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German Pages 306 [307] Year 2019
Hans-Christoph Goßmann Halima Krausen Michaela Will (Hrsg.)
Ephraim Meir hat der Diskussion über den interreligiösen Dialog eine neue Grundlage gegeben. Durch das von ihm entwickelte Konzept der Transdifferenz ebnet er einen Weg des Dialogs, bei dem die Differenzen zwischen den Dialogpartnerinnen und –partnern nicht ausgeblendet, sondern wahrgenommen und gewürdigt werden. Dieses Konzept hat in den Beiträgen dieser Festschrift seinen Niederschlag gefunden. Kolleginnen und Kollegen wie auch Schülerinnen und Schüler von Ephraim Meir thematisieren auf je ihre eigene Art und Weise Dimensionen interreligiösen Dialogs und interreligiösen Lernens.
ISBN 978-3-95948-408-4
H.-Chr. Goßmann / H. Krausen / M. Will (Hrsg.) - Dialog in Transdifferenz
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Dialog in Transdifferenz Transdifferenz im Dialog Festschrift für Ephraim Meir Verlag Traugott Bautz GmbH
Dialog in Transdifferenz Transdifferenz im Dialog
Jerusalemer Texte
Schriften aus der Arbeit der Jerusalem-Akademie
herausgegeben von Hans-Christoph Goßmann
Band 23
Verlag Traugott Bautz
Hans-Christoph Goßmann Halima Krausen Michaela Will (Hrsg.)
Dialog in Transdifferenz – Transdifferenz im Dialog Festschrift für Ephraim Meir
Verlag Traugott Bautz
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://www.dnb.de› abrufbar.
© Verlag Traugott Bautz GmbH 98734 Nordhausen 2019 ISBN 978-3-95948-408-4
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Vorwort Ephraim Meir hat der Diskussion über den interreligiösen Dialog eine neue Grundlage gegeben. Durch das von ihm entwickelte Konzept der Transdifferenz ebnet er einen Weg des Dialogs, bei dem die Differenzen zwischen den Dialogpartnerinnen und –partnern nicht ausgeblendet, sondern wahrgenommen und gewürdigt werden. Dieses Konzept hat er an seinen beiden akademischen Wirkungsbereichen als Professor für neuere jüdische Philosophie an der Bar-IlanUniversität in Ramat Gan, Israel, und als Emmanuel-Lévinas-Gastprofessor für jüdische Dialogstudien und interreligiöse Theologie an der Akademie der Weltreligionen der Universität Hamburg in die wissenschaftliche Diskussion eingebracht. Im Dialog mit seinen Kolleginnen und Kollegen wie auch mit seinen Studierenden hat er es entfaltet und Impulse von ihnen aufgenommen. Er hat dieses Konzept nicht nur in den universitären Diskurs eingebracht, sondern auch in andere Bereiche der Bildungsarbeit – nicht zuletzt auch als Schirmherr der Jerusalem-Akademie. Dies spiegelt sich in den Beiträgen dieser Festschrift wider, in denen Kolleginnen und Kollegen wie auch Schülerinnen und Schüler von Ephraim Meir auf je ihre eigene Art und Weise Dimensionen interreligiösen Dialogs und interreligiösen Lernens thematisieren. Aber wie unterschiedlich die Perspektiven auch sein mögen, die in ihren Beiträgen zur Sprache kommen – es eint sie der Wunsch für den Jubilar zu dessen siebzigsten Geburtstag:
עד מאה ועשרים שנה Hans-Christoph Goßmann Halima Krausen Michaela Will
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Inhaltsverzeichnis Hans-Christoph Goßmann / Halima Krausen / Michaela Will Vorwort
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Wolfram Weiße Hommage für einen großen jüdischen Denker Interreligiöser Dialog und Dialogische Theologie – Eckpunkte und Perspektiven
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Thorsten Knauth „Weißt Du, wer ich bin?“ Religiöse Identität und interreligiöse Verständigung im RU
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Pia Köppel Bibel und Koran unterhalten sich
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Martin Aaron Kindermann ‘Black, friendly letters’: Midrashic Voices and Dialogic Encounters in Anglo-Jewish Literature
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Mehmet Kalender Im Spiel mit den Anderen: Gedanken zur Rolle des Spiels für interdisziplinär ausgerichtete Lehre
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Silvia Richter On “needing the other and [...] taking time seriously” – Rosenzweig’s concept of speech-thinking (Sprachdenken) and Levinas’s notion of language
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Hans-Christoph Goßmann Transdifferenz in der Praxis jüdisch-christlichen Dialogs Die Gestaltung der Gemeindepartnerschaft zwischen der Jüdischen Gemeinde Pinneberg und der Jerusalem-Gemeinde zu Hamburg
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Michaela Will Transdifferenz und feministische Praxis Interkultureller und interreligiöser Dialog in der evangelischen Frauenarbeit in Hamburg vor dem Hintergrund des Konzepts der Transdifferenz von Ephraim Meir
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Halima Krausen Grenzerfahrungen im interreligiösen Dialog
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Ali-Özgür Özdil Maulana Djalal ad-Din ar-Rumi und die Nächstenliebe
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Carola Roloff Gehört der Buddhismus zu Deutschland? Die Relevanz des Buddhismus für die Welt von heute
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Joachim Liß-Walther „Er verhandelte mit Kaiser und Fürsten“ Josel von Rosheim, ‚Befehlshaber der Judenschaft im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation‘ und bedeutender Zeitgenosse Martin Luthers
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Arno Herzig Von dem sogenannten jüdischen Staat im Staat zum Dialog zwischen Juden und Christen in Deutschland
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Hanoch Ben-Pazi Martin Buber's 'Religious Humanism': 'Hebrew Humanism' as a Call to Ethical Zionism
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Hommage für einen großen jüdischen Denker
Interreligiöser Dialog und Dialogische Theologie – Eckpunkte und Perspektiven Wolfram Weiße Dir, lieber Ephraim, geht es um die grundlegenden Fragen von Menschen – des hommes. Insofern treffe ich mit meiner „Hommage“ wie ich hoffe, den angemessenen Ton für Dich: Du beziehst Dich auf Ressourcen jüdischer Philosophie und interreligiöser Theologie, aber Du begrenzt Dich nicht darauf, sondern siehst diese für die Menschen insgesamt. Das Partikulare bleibt bei Dir nicht für sich, sondern ist weit geöffnet auf Menschen verschiedener Religion, verschiedener Tradition, unterschiedlicher nationaler und internationaler Kontexte. Du, lieber Ephraim, hast einen großen Geist und ein großes Herz. Was für eine wundervolle Kombination!!! Die Akademie der Weltreligionen hat von Deiner Person und Deinem Denken über lange Jahre und immer wieder neue Impulse empfangen. Großen Dank dafür!!! Ich schreibe im Folgenden etwas konkreter, was ich an Deinem Denken bewundere und schließe mit einer Perspektive. Dein beeindruckender Reichtum jüdischen Dialogdenkens steht in der Tradition von Moses Mendelssohn, Samson Raphael Hirsch, Hermann Cohen, Siegmund Freud, Franz Rosenzweig, Martin Buber, Emmanuel Lévinas, und Abraham Joshua Heschel. Deine Publikationen loten die Tiefen wissenschaftlicher Theorie aus, ohne sich auf eine hoch spezialisierte Leserschaft zu beschränken. Das ist auch deswegen ein großer Vorzug, weil das Thema jüdisches dialogisches Denken so grundlegend und so relevant für die Gegenwart ist, dass es allen zugänglich sein sollte, die sich in diesem Themenbereich bewegen. Die Zahl derer, die sich in Universität, Gesellschaft und Politik mit dem Thema „Dialog“ befassen, ist jetzt schon groß und nimmt immer weiter zu. Dies ist zum einen der Tatsache geschuldet, dass in einer kulturell, sprachlich und religiös
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pluralen Gesellschaft der Prozess der Kommunikation eine zentrale Rolle einnimmt und hierbei der Dialog eine zentrale Form des Austausches verschiedener Perspektiven und des Aushandelns unterschiedlicher Interessen darstellt. Zum anderen geht um wesentlich mehr beim Dialog, wenn er nicht als Mode- oder gar Zauberwort, sondern als ein Urgrund von Denken und Reflexionsfähigkeit, von Identität und menschlicher Entwicklung, von Menschenwürde und Zusagen Gottes aufgefasst wird. In diese grundlegenden Dimensionen führst Du, lieber Ephraim, uns ein und sorgst damit für ein Fundament, auf dem viele aufbauen können, in meiner Perspektive vor allem die Akademie der Weltreligionen der Universität Hamburg. Hierfür sei deren Ansatz kurz erläutert. Akademie der Weltreligionen, das ReDi-Projekt und der Beitrag von Ephraim Meir Die Akademie der Weltreligionen der Universität Hamburg verfolgt seit ihrer Gründung im Jahr 2010 einen dialogorientierten Ansatz, der neben Christentum und Islam (Amirpur & Weiße 2015) weitere ausgewählte Religionen wie Judentum (Meir 2011, 2016, 2017), Buddhismus und Hinduismus (Roloff & Weiße 2015) sowie das Alevitentum (Aksünger & Weiße 2015) einbezieht und sich dabei nicht auf das Nebeneinander der Religionen beschränkt, sondern auf die Wechselwirkungen zwischen den Religionen gerichtet ist. Damit löst sie ein, was auch der Wissenschaftsrat 20101 empfohlen hat, nämlich die religiöse Pluralisierung an der Universität. Und sie geht darüber hinaus, indem sie unterschiedliche Theologien nicht nebeneinander, sondern in ihrem wechselseitigen Bezug beachtet. Dieser Dialogansatz wird in Forschung und Lehre aufgenommen. Konkret bedeutet dies für die Lehre, dass die Theologien und Lehren der verschiedenen Religionen nicht nebeneinander, sondern – zumindest in Phasen – miteinander unterrichtet werden. Hierfür hast Du, 1
Die „Empfehlungen zur Weiterentwicklung von Theologien und religionsbezogenen Wissenschaften an deutschen Hochschulen“ vom 29. Januar 2010 können eingesehen werden unter: http://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/9678-10.pdf (Letzter Zugriff am 24.2.2015).
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lieber Ephraim, über Jahre ein Modellprojekt entwickelt, in das die Lehrenden der Akademie der Weltreligionen und deren Gastprofessorinnen und -professoren mit einbezogen wurden. Teamteaching unter Leitung von Dir, lieber Ephraim. Dadurch wurden die jeweiligen theologischen Entwürfe einer Weltreligion mit denen einer anderen Weltreligion in Verbindung gebracht, um Gemeinsamkeiten und Differenzen fundiert und umfassend zu thematisieren. So wird eine Basis geschaffen, um den interreligiösen Dialog wissenschaftlich zu verankern. Darüber hinaus wird der wissenschaftliche Horizont erweitert: Fragen des interreligiösen Dialogs wurden an der Akademie der Weltreligionen mit Deinem Engagement nicht nur in grundlegenden Dimensionen, sondern in Bezug zu gesellschaftlichen Problemfeldern in modernen Einwanderungsgesellschaften erörtert, um einen praktischen Beitrag für das Zusammenleben in unserer multikulturellen und multireligiösen Gesellschaft zu leisten. Vor diesem Hintergrund ist der Ansatz des europäischen Forschungsprojektes „Religion und Dialog in modernen Gesellschaften“ (Weiße, Amirpur, Körs, Vieregge 2014 b), das an der Akademie der Weltreligionen angesiedelt ist, zu verstehen. Es widmete sich seit 2013 dem Thema des interreligiösen Dialog, an den hohe gesellschaftliche Erwartungen für die Gestaltung des Zusammenlebens von Menschen unterschiedlichen religiösen und kulturellen Hintergrunds geknüpft sind, zu dem allerdings noch viel zu wenig wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen. Das Forschungsprojekt „Religion und Dialog in modernen Gesellschaften“ hatte die Aufgabe, dieses Defizit überwinden zu helfen (vgl. Weisse, Amirpur, Körs, Vieregge 2014 a). Die Forschung erfolgte auf zwei verschiedenen Ebenen: Zum einen der „Dialogischen Theologie“ und zum anderen der „Dialogischen Praxis“. Vor dem Hintergrund bereits vorliegender Ansätze der pluralistischen, interkulturellen und interreligiösen Theologie entwickelt ein interdisziplinär und interreligiös zusammengesetztes Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in einem an der Akademie der Weltreligionen angesiedelten „Forschungslabor“ Konzeptionen einer dialogischen Theologie. Du, lieber Ephraim,
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hast im Kreise namhafter Kolleginnen und Kollegen maßgeblich diese Entwicklung einer „dialogischen Theologie“ befördert, wofür ich Dir herzlich danke. Im Rahmen einer Kontextorientierung spielte für die Forschungsebene der „Dialogischen Theologie“ der Bezug auf gelebte Formen von interreligiösem Dialog eine bedeutende Rolle, wie sie auf der zweiten Ebene – der „Dialogischen Praxis“ – von uns erforscht werden. Dieser Bezug zur Realität gelebter Religion ist wichtig, um theologische Neuansätze nicht im luftleeren Raum zu entwickeln, sondern sie rück zu koppeln an religiöses Denken und Handeln von Menschen unterschiedlicher religiöser Zugehörigkeit. Du, lieber Ephraim, hast diese Verbindung von akademischer Theologie und lebensweltlichem Denken als eine für Deinen Ansatz hoch relevante Frage aufgenommen. Grundimpulse von Ephraim Meir zu Differenz und Dialog im jüdischen Denken Im Folgenden nehme ich auf drei Publikationen von Dir, lieber Ephraim, Bezug. Zum einen auf Dein 2011 publiziertes Buch „Differenz und Dialog“ und zum anderen auf Dein in mehreren Sprachen veröffentlichtes Oeuvre „Interreligiöse Theologie“ (Meir 2016) sowie Dein Buch „Becoming Interreligious“ (2017). Differenz und Dialog: Bei Dir, lieber Ephraim, wird Dialog nicht als eine uniformierende, auf einebnende Harmonie ausgerichtete Denkbewegung verstanden (Meir 2011). Vielmehr arbeitest Du tiefgründig heraus, es um eine Dialektik von Differenz und Dialog geht. Du machst dabei drei Dimensionen deutlich: Dialog als Grundform des Existierens und Theologisierens: Mit dem Aufdecken und dem analytischen Zugriff jüdischen Denkens treten eine Lebendigkeit und eine Impulsgebung für die Gegenwart zutage, die eine Rezeption des Judentums mit dem alleinigen Fokus auf den Holocaust aufbrechen. Ohne dieses abgrundtiefe Leiden zu vergessen – wie sollte das auch möglich sein? – beziehst Du Dich auf die immer noch viel zu
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wenig beachteten jüdischen Denker wie Franz Rosenzweig, Martin Buber, Emmanuel Lévinas und A. Joshua Heschel. Hierbei wird deutlich, dass der Dialog im Zentrum dessen steht, was das Menschsein ausmacht: Erst in seinem Bezug zum Nächsten und zu Gott wird der Mensch zum Menschen. Diese Voraussetzung birgt eine geradezu revolutionäre Vorstellung von Identität und Identitätsentwicklung, die gerade nicht in einer auf sich selbst gerichteten Eigentümlichkeit, sondern in der Beziehung zu anderen Menschen – durch Gottes- und Nächstenliebe – gründet. Schließlich wird deutlich, welche Kraft das jüdische Denken für die Theologie selbst hat: Mit Bezug auf jüdisches Denken wird jedem Essenzialismus, jeder Uniformität, allen machtförmigen Interpretationen dessen, was Judentum heißen könnte, der Boden entzogen. Im Rückgriff auf die Quellen der hebräischen Bibel und des Talmuds geht es um das Offenhalten und Aushalten unterschiedlicher Perspektiven, um den Abschied von geschlossenen Interpretationen, um die Aufschlüsselung der jüdischen Religion weniger über ein wie auch immer interpretiertes religiöses System, sondern über das Antlitz des Menschen, über die Würde aller Menschen, nicht nur der jüdischen. Dialog als Form vielfältigen Denkens unter Einschluss von Differenz: Das Judentum trägt – wie Du, lieber Ephraim hervorhebst –, in sich die Maxime einer „antiautoritären“ Interpretation, die auf Vielfalt und nicht auf Einengung in ein bestimmtes Interpretationsschema drängt. Hierzu nimmst Du u.a. Bezug auf das Denken von Abraham Joshua Heschel, das auf die "Einheit Gottes“ und auf "Vielfalt" drängt. Im Anschluss an sein Denken wird auf die „vielfältigen Gesichter des Judentums“ und auf die Verbindung mit anderen Religionen Wert gelegt. Als eine gemeinsame Grundlage jüdischen Denkens wird herausgearbeitet, dass in den dargestellten Entwürfen religiöse und kulturelle Differenz als Ressource angesehen werden, in der Dialog und Vielfalt verankert sind. Eine „monolitische Kultur“ wird als ungenügend gekennzeichnet und es wird auf eine (jüdische) Kultur abgezielt, die „in Kontakt und Wechselwirkung mit anderen kulturellen Phänomenen außerhalb der Grenzen des
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eigenen Vermächtnisses“ (Meir 2011,154) steht. Nicht die Bewahrung des Eigenen durch Ausschluss, sondern die Entwicklung des Eigenen durch Beachtung und Einbezug anderer Religionen und Kulturen wird als Leitmotiv jüdischen Denkens herausgearbeitet. Das ist ein kräftiger Impuls, der aus dem jüdischen Denken abgeleitet wird und weit über jüdisches Denken hinaus von Bedeutung ist. Dialog als Basis für die Ethik: Dialog besitzt im jüdischen Denken einen zentralen Stellenwert für das Zusammenleben von Menschen und für öffentliche Verantwortung. Dies trifft, wie Du, lieber Ephraim, herausarbeitest, schon auf den Ansatz von Martin Buber zu, der neben der anthropologischen Grundkomponente dialogischer Existenz auch eine gesellschaftliche Dimension aufweise. Du kennzeichnest das dialogische Denken von Buber als ein tragfähiges „Modell der Konfliktbewältigung“, das auf gesellschaftliche und politische Transformation gerichtet ist. Bei Emmanuel Lévinas, Deinem Lehrer an der Sorbonne, lieber Ephraim, baut die gesamte Ethik auf der bevorzugten Stellung „d’autrui“ auf, des Nachbarn und des Nächsten. Nicht nur als Zusatz, sondern im Kern ist der Mensch in seinem Leben auf den Anderen verwiesen, auf die Verantwortung für den Anderen, auf die Wahrnehmung des Antlitzes des Anderen. Abraham Joshua Heschel bringt diesen Sachverhalt im Blick auf gesellschaftliche Verantwortung der Religionen auf die von Dir, lieber Ephraim, gerne zitierte Kurzform: „Keine Religion ist eine Insel“. Interreligiöse Verständigung wird damit notwendig und dient als Voraussetzung für die Positionierung im öffentlichen Raum, als ein Gegenlager zu Unrecht und Unterdrückung, für ein Verständnis der grundlegenden Botschaft des Göttlichen. Hierbei verweist Du mit aller Klarheit darauf, dass eine Absolutsetzung der eigenen Religion theologisch unhaltbar und in der gegenwärtigen Weltgesellschaft unangemessen ist: Theologisch wird klar herausgearbeitet, dass im Licht jüdischen Denkens der Versuch, Gott nur für sich selber zu vereinnahmen, gegen die Grundauffassung gerade des Judentums verstößt. Hierzu beziehst Du Dich auf die Aussage von A.J. Heschel: „Jeder Gott, der der meine ist,
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aber nicht der deine: Jeder Gott, der sich um mich kümmert, aber nicht um dich, ist ein Götze.“ Und Du setzt hinzu, dass der göttliche Name entweiht werde, wenn man von einem Gegensatz des „eigenen Gottes“ zum „Gott der anderen“ ausgeht. Wir sehen in all diesen Punkten, wie grundlegend und wie herausfordernd der Dialog für die Theologie, für die Anthropologie und für die Ethik ist. In diesen Ansätzen liegt – wie Du, lieber Ephraim, in Deinen Publikationen, in Deinen Vorträgen und im persönlichen Gespräch immer wieder deutlich gemacht hast – ein Vermächtnis, das seine Wurzeln im Judentum hat und gleichzeitig schon im Kern über dieses hinaus geht und auf einen interreligiösen Dialog zielt. Interreligiöse und Dialogische Theologie: Bausteine für eine interreligiöse Theologie: Du, lieber Ephraim, arbeitest die Prioritäten interreligiöser Theologie heraus (Meir 2016) und betonst dabei besonders, dass es möglich ist, sich mit den theologischen Entwürfen anderer Religionen in einer Weise auszutauschen, dass es nicht darum geht, entweder die eigene Position durchzusetzen oder anderen gegenüber nachzugeben. Mit dem Terminus der „Trans-Differenz“ unterstreichst Du die Möglichkeit, eigene Positionen zu wahren und im Dialog mit den Positionen anderer in einen Lernprozess zu treten, der auf die gemeinsame Entwicklung neuer Verstehensansätze gerichtet ist. Dabei tritt kein Verlust der jeweiligen „Besonderheit“ ein, vielmehr wird Raum für Denk- und Entwicklungsprozesse mit neuen Erkenntnissen für die je eigene Religion wie für neues gemeinsames Denken im Feld von Religion eröffnet. Interreligiöse Theologie ist ebenso auf religiöse Haltung wie auf religiöse Praxis gerichtet. Es geht darum, wechselseitig die eigene Tradition zu übersetzen und den anderen zuzuhören, es geht um die gelebte Praxis, um eine gemeinsame solidarische Ethik, um Gastfreundschaft. Eine solche Theologie ist wie Du, lieber Ephraim, sehr deutlich machst, nur gangbar durch die Entwicklung einer Hermeneutik, die von einer Anerkennung der Anderen getragen ist.
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Dein Ansatz gewinnt dadurch zusätzlich an Kontur, dass Du Dich klar von einer engen, einer „rein“ konfessionellen Theologie absetzt und auch eine komparative Theologie als im Ansatz defizitär einstuft. Darüber hinaus setzt Du Dich auch mit dem Dir näher stehenden Ansatz einer pluralistischen Theologie auseinander. Bei aller Wertschätzung des Grundanliegens dieses Ansatzes als einem ersten Schritt der Öffnung von Theologie unterstreichst Du die Notwendigkeit von interreligiöser Begegnung, die Du in der pluralistischen Theologie zu wenig eingelöst siehst. Interreligiöser Dialog in Form von Begegnung bildet bei Dir vielmehr den Kern für deinen Ansatz von interreligiös-dialogischer Theologie. Hierzu der folgende Abschnitt. Mehrperspektivisch angelegter Dialog als Innovationspotenzial für gegenwärtige Theologie: Auf mehreren Ebenen untersuchst Du das, was den Dialog ausmacht: Zum einen finden sich, wie erwähnt, die grundlegenden Gedanken hierzu in Ansätzen von Protagonisten jüdischer Denker. Zum anderen wird von Dir eine kreative Form gesucht, diese Gedanken aus dem Judentum mit entsprechenden Ansätzen im Buddhismus in einen Zusammenhang zu bringen. Der von Dir imaginierte Dialog zwischen buddhistischem Denken und Heschels jüdischer Dialogphilosophie setzt ein interreligiöses Potenzial frei. Weiterhin wird am Beispiel von Paul Knitter gezeigt, wie fruchtbar es sein kann, nicht nur in einer Religion – bei Knitter der römisch-katholischen – zu bleiben, sondern auch einen Zugang zu einer anderen Religion, nämlich zum Buddhismus zu gewinnen (Knitter 2014). Zudem wird am Beispiel der Bibelübersetzung von Martin Buber und Franz Rosenzweig der interreligiös-dialogische Charakter dieses Vorhabens herausgearbeitet. Ein dialogisches Vorgehen siehst du auch für die Exegese von Grundtexten als angemessen an, bei der es – wie von E. Lévinas vorgeschlagen – nicht nur um das geht, was der Text sagen will („veut dire“), sondern auch um das, was er sagen könnte („peut dire“). Zusätzlich zu diesen konzeptionell ausgerichteten Ansät-
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zen wählst Du, lieber Ephraim, einen weiteren, bemerkenswerten Zugang zum Dialog: Du verdeutlichst, wie interreligiöser Dialog in der Praxis angelegt sein kann und welche Schlussfolgerungen daraus möglich sind. Damit wird nicht nur über Konzeptionen von Dialog reflektiert, sondern Dialog wird wissenschaftlich praktiziert und reflektiert. Am Beispiel von Modulen, die Du, lieber Ephraim, mit Kolleginnen und Kollegen aus dem Hinduismus, dem Buddhismus, dem Islam und dem Christentum zusammen an der Akademie der Weltreligionen unterrichtet hat, wird die Relevanz des faktisch geführten Dialogs über die konzeptionellen Ansätze von Dialog hinaus deutlich. Mit dieser Initiative und Verarbeitung von interreligiösem Dialog an der Universität hast Du ein Pilotprojekt für einen wissenschaftlich interreligiösen Dialog „von Angesicht zu Angesicht“ initiiert, das schon in der vorliegenden Form beeindruckend ist und noch weiter Gestalt gewinnen und für die Weiterentwicklung interreligiös-dialogischer Theologie große Relevanz entfalten wird. Als Summe formulierst Du die Einsicht, dass der interreligiöse Dialog verändere, ohne aber die eigene Identität zu gefährden: „Man erweitert die eigenen Grenzen und geht auf den Anderen zu, um in einer Bewegung, die das Ich nicht unverändert lässt, zurück zum Selbst zu kommen.“ Weiterdenken im Bereich Dialogischer Theologie Du, lieber Ephraim, hast ganz grundlegend zur Weiterentwicklung einer dialogischen Theologie beigetragen. Aber: Wir haben es mit einem solchen komplexen Feld zu tun, dass das Gespräch weitergehen muss. Ich deute dies nur an und bin sicher, dass sich unser Austausch auch in Zukunft lebendig weiterentwickeln wird. Ich kennzeichne drei Gebiete für weiteres Nachdenken, nämlich erstens kritische Rückfragen zu den Ansätzen Dialogischer Theologie, zweitens die Relation zwischen religiöser Pluralisierung und Säkularisierung und drittens die Grenzen von religiöser Pluralität.
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Kritische Rückfragen zu Dialogischer Theologie: Wir haben in einer Publikation, an der Du entscheidend mitgewirkt hast (Amirpur et al. 2016), den Versuch unternommen, Kennzeichen und Merkmale für eine „Dialogische Theologie“ zusammenzufassen. Hierbei wurde deutlich, dass u.a. die folgenden Merkmale für eine noch in Entwicklung befindliche Dialogische Theologie eine zentrale Rolle spielen (vgl. Weisse et al 2016, 17-19): - Interreligiosität und Begegnung mit einer Offenheit, die Voraussetzung und Ziel interreligiöser Begegnung ist, - Demut und Wechselseitigkeit mit einer Ablehnung von Absolutheitsansprüchen, Praxis des Dialogs und interreligiös-dialogische Hermeneutik, - Kontextualität und gelebte Religion, - Ethik der Gastfreundschaft und der Solidarität, - Akzeptanz des Andersseins der Anderen und - Verurteilung jeglicher Form von Extremismus. Als Perspektive für die Zukunft wurde die Notwendigkeit der Transformation von Theologie ins Auge gefasst, wobei gender-Fragen und befreiungstheologische Ansätze von Bedeutung sind, um in gemeinsamer Suche eine von Hoffnung geleitete Perspektive auf dem Weg zu „Dialogischer Theologie“ zu gewinnen, „die ungeachtet der bleibenden Unterschiede von Religionen doch im Sinne einer Transdifferenz zu Neuem führen, zu neuen Ansätzen im Bereich wissenschaftlicher Theologie und zu verstärkten Ansätzen von Menschen im Zusammenleben mit anderen.“ (Weiße 2016. 19). Mit diesen Merkmalen ist ein großer Horizont, sind große Herausforderungen für den wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Dialog angesprochen. Zwei Fragen sollten m.E. aber noch näher bedacht und künftig bearbeitet werden. Zum einen ist für mich offen, wie ein derartiger Ansatz im Bereich bestehender Theologien aufgenommen wird. Es ist damit zu rechnen, dass viele Akteure eher an einer Stärkung der je eigenen Theologie interessiert sind und sich damit ausgelastet fühlen, als dass sie neue Wege des gemeinsamen Nachdenkens intensiv aufnehmen. Wie ist damit umzugehen? Zum anderen ist die Frage weiter zu bedenken, wie die vielen Gläubigen aller Religionen, die sich – wie die weltweit im Bereich des Christentums am stärksten wachsenden Gruppe der Evange-
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likalen – nicht mit dem Gedanken anfreunden können, dass auch in anderen Religionen Wahrheit stecken kann, die aber z.T. doch für den interreligiösen Dialog auf Alltagsebene offen sind, für die Grundanliegen einer Dialogischen Theologie gewonnen werden können. Oder wäre ein solcher Versuch von vornherein zum Scheitern verurteilt? Religiöse Pluralisierung und Säkularisierung: Wir haben uns mit dem Ansatz von Peter L. Berger auseinandergesetzt, der über Jahrzehnte der weltweit renommierteste Vertreter der Säkularisierungstheorie war, dann um die Jahrtausendwende zu der Einsicht kam, dass nicht die Säkularisierung, sondern die religiöse Pluralisierung die wichtigste akademische und gesellschaftliche Herausforderung sein, und der schließlich seit einigen Jahren die These vertritt, dass es um beides geht: Religiöse Pluralisierung und gleichfalls fortschreitende Säkularisierung (Berger 2015. Weisse 2016a und 2016 b. Berger, Steets & Weiße 2017). Eine Frage, der wir uns weiter widmen könnten und sollten, besteht darin, wie konzeptionell und praktisch eine solche Verbindung analysiert werden kann, ohne dass beide Pole undeutlich werden. Oder ist die Verkoppelung von religiöser Pluralisierung und Säkularisierung so eng, dass nicht die Scheidung beider, sondern ihre Verwobenheit miteinander den entscheidenden Ansatz für weiteres Nachdenken bietet? Darüber lass uns debattieren. Grenzen religiöser Pluralisierung: Ebenfalls von Peter L. Berger, aber nicht nur von ihm, ist die Frage nach den Grenzen religiöser Pluralisierung angestoßen. Wir haben uns damit schon befasst, aber hier gilt es, weiter nachzudenken. Dass es Grenzen religiöser Pluralisierung geben kann, sollte nicht nur konservativ Denkenden als Thema überlassen werden. Aber eine Beschäftigung mit diesem Thema aus der Sicht einer Dialogorientierung, wie wir sie vertreten, ist nicht unproblematisch. Es kann ja ohnehin nicht darum gehen, dass wir als Theologen überlegen, wie viele Menschen verschiedener Kultur und Religion in einer Gesellschaft leben können. Das ist eine politische Frage, bei der wir unsere Grundideen der Nächstenliebe, der Toleranz und der Dialogoffenheit mit ein-
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tragen können und müssen, die sich aber nicht in Politikberatung mit Zahlen begeben kann. Unser Nachdenken hat sich auf die Frage zu richten, wo im Rahmen von Theologie und Gesellschaft die Offenheit und Dialogbereitschaft ihren Platz finden muss, wo aber auch die Grenzen sind: Wo sich vielleicht Intoleranz gerade dadurch implizit auswirken kann, dass die Dialogbereitschaft grenzenlos ist. Zum Abschluss ein Dank Lieber Ephraim, Du warst an der Akademie der Weltreligionen weit mehr als ein Gast – und auch das wäre ja schon sehr viel – , Du warst nicht nur Teil der Akademie der Weltreligionen und ihrer Forschung, sondern Du warst und bist Protagonist für den Ansatz einer dialogischinterreligiösen Theologie, den wir zusammen ausarbeiten. Dafür gebührt Dir Dank. Und ich danke Dir darüber hinaus für den professionellen und persönlichen Austausch mitsamt allen Hoffnungen und Anstrengungen, die wir beide teilen mit dem Ziel, einen Dialog zwischen Menschen verschiedener Religion zu fördern, der offen und kritisch, mit Ernst und Humor, mit Mut und in Demut, mit Anfragen an bestehende Wissenschaft und Vorschlägen für neue Wege geführt wird. Dies alles im Bestreben, Wissenschaft und tägliches Leben miteinander zu verbinden im Wissen um die eigene Unvollkommenheit und zugleich im Bewusstsein, wie wichtig, ja unabdingbar, eine Verständigung zwischen Menschen unterschiedlicher Religion und Weltanschauung mit und über die eigenen Positionen hinaus – also mit Dir gesprochen „transdifferent“ – ist, so dass es lohnt, hierzu die notwendigen wissenschaftlichen Arbeiten mit aller Kraft und Kreativität zu leisten. Lieber Ephraim, hoch geschätzter Theologe und Freund, möge es Dir und Deiner Familie weiterhin gut gehen, mögen sich unsere Wege immer wieder überschneiden, mögen Deine Impulse bei uns und international weiterwirken – zum Wohle der Menschen – des hommes – und all derer, die auf dem Weg für ein grundlegend religiöses Denken nicht auf den Ausschluss anderer, sondern auf das Miteinander setzen. Ein Miteinander der Kritik, der Solida-
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rität und des wechselseitigen Lernens. Was für ein hoher Anspruch! Und welch eine Menschlichkeit, die Du genauso verkörperst wie die Wissenschaftlichkeit: ernsthaftes, grundlegendes Denken und Zugewandtheit zu anderen Menschen mit großer Wahrnehmung der Anderen und auf jeden Fall: mit himmlischem und alltäglichem Humor. Danke, lieber Freund. Literatur Aksünger, H. & Weiße, W. (Hrsg.) (2015). Alevitische Theologie an der Universität Hamburg. Dokumentation einer öffentlichen Antrittsvorlesung (Dokumentationsreihe der Akademie der Weltreligionen der Universität Hamburg, Bd. 3). Münster: Waxmann. Amirpur, K. & Weiße, W. (Hg.) (2015). Religionen, Dialog, Gesellschaft. Analysen zur gegenwärtigen Situation und Impulse für eine dialogische Theologie, Münster: Waxmann. Amirpur, K., Knauth, T., Roloff, C. & Weiße, W. (Hgg.)(2016). Perspektiven Dialogischer Theologie. Offenheit in den Religionen und eine Hermeneutik des interreligiösen Dialogs, Münster: Waxmann. Berger, Peter L. (2015). Altäre der Moderne. Religion in pluralistischen Gesellschaften. Frankfurt/New York: Campus-Verlag. Berger, Peter L., Steets, Silke & Weiße, Wolfram (Hgg.) (2017). Zwei Pluralismen. Positionen aus Sozialwissenschaft und Theologie zu religiöser Vielfalt und Säkularität, Münster u.a.: Waxmann. Bernhardt, R. & Schmidt-Leukel, P. (2013b). Einleitung. In R. Bernhardt & P. Schmidt-Leukel (Hrsg.), Interreligiöse Theologie. Chancen und Probleme (S. 7-20). Zürich: TVZ, Theologischer Verlag. Brück, M. v. (1986). Einheit der Wirklichkeit. München: Christian Kaiser Verlag. Casanova, J. (2014). Secularisation, Religion and Multicultural Citizenship. In W. Weisse, K. Amirpur, A. Körs & D. Vieregge (eds.), Religions and Dialogue. International Approaches (S. 21-32). (Religionen und Dialog. Eine Schriftenreihe der Akademie der
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Dr. Wolfram Weiße ist Professor em. für Religionspädagogik und internationale Theologie an der Universität Hamburg und war bis zu seiner Emeritierung Direktor des Interdisziplinären Zentrums Weltreligionen im Dialog, Universität Hamburg.
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„Weißt Du, wer ich bin?“
Religiöse Identität und interreligiöse Verständigung im RU Thorsten Knauth 1 Einleitung Ich möchte Ihnen zu Beginn eine kleine Szene vorstellen: Religionsunterricht in der 9. Klasse eines Gymnasiums in Hamburg. Die Schule liegt in einem sogenannten sozialen Brennpunkt. Der Kurs ist für Hamburger Verhältnisse ganz normal zusammengesetzt: knapp die Hälfte der Schüler und Schülerinnen hat einen muslimischen Hintergrund, es gibt außerdem alevitische Jugendliche und auch konfessionslose Schüler. Von dem guten Drittel Schüler mit christlichem Hintergrund sind zwei katholisch, ein Mädchen ist orthodox, der Rest evangelisch. Die Gruppe arbeitet seit über einem halben Jahr zusammen. Für den Religionsunterricht steht ein mit Symbolen und Gegenständen der Religionen ausgestatteter Religionsraum zur Verfügung. Der Raum zeigt, worum es im Religionsunterricht geht: die Schüler lernen, Gespräche zu religiösen Themen zu führen. Weil die Gruppe religiös und weltanschaulich so vielfältig zusammengesetzt ist, geht es dabei immer um Religion im Plural: Sichten der Schüler/innen und die Interpretationen ihrer religiösen Herkünfte und Sichten aus den Religionen kommen ins Gespräch. In einer Doppelstunde geht es um die Frage, wie man Gott angesichts unverdienten Leids rechtfertigen könne. Um eine persönliche Tönung des Gespräches zu erreichen, gibt der Lehrer zunächst Gelegenheit, über persönliche Schicksalsschläge nachzudenken und sich auszutauschen. Dann steht die Frage im Raum, wie diese Erfahrungen mit dem persönlichen Verständnis von Gott in Einklang gebracht werden könnten. Es entwickelt sich ein Gespräch im Stuhlkreis. Svenja mit evangelischem Hintergrund vertritt die Auffassung, dass kollektive Schicksalsschläge wie zum Beispiel ein Tsunami geschähen, damit Menschen daraus lernen könnten und zum Beispiel bessere Häuser bauten. Dennis, überzeug27
ter Atheist, widerspricht energisch: Das, was sie gesagt hat, sei eigentlich voll Quatsch. Es mache keinen Sinn, Hunderttausende Menschen sterben zu lassen, nur damit man lerne, bessere Häuser zu bauen. Imen, mit muslimischem Hintergrund, schaltet sich ein. Sie bestreitet, dass dies der Grund sei, Gott habe vielleicht andere Gründe, über die man nur mutmaßen könne. Vielleicht bestehe ein Grund auch darin, dass Gott die Menschen erinnern wolle, dass es ihn noch gebe. Nalan, auch mit muslimischem Hintergrund, stimmt ihr zu: Gott könne unschuldige wie auch schlechte Menschen strafen – aber an Gott zweifeln könne man nicht. Svenja bezweifelt die Argumentation von Imen, Nalan und Alex, aber auch Hanife pflichtet ihr bei. Gott verhänge keine Strafen für unschuldige Menschen. Nach nur wenigen Beiträgen hat sich in der Lerngruppe ein Diskursfeld aufgebaut, das im weiteren Verlauf des Unterrichtsgespräches durch andere Schüler und Schülerinnen ergänzt und erweitert wird. Deutlich wird im Laufe der Stunde: Die Schüler nutzen das Gespräch, um mit Argumenten zu experimentieren. Sie testen auch die Stichhaltigkeit und Wirkung von Positionen auf andere aus. Der Religionsunterricht wird zu einer theologischen Werkstatt, in dem die Jugendlichen Positionen auf Probe beziehen und auch andere zu einer Stellungnahme herausfordern. Ich möchte Sie einladen, mit mir kurz darüber nachzudenken, wie dieser an der kleinen Szene exemplarisch vorgeführte Religionsunterricht aus der Perspektive unseres Tagungsthemas zu beurteilen ist. Es handelt sich hier ja um ein Gespräch, in dem es vorrangig darauf ankommt, zu einer offenen theologisch-ethischen Fragestellung in einer religiös und weltanschaulich sehr pluralen Lerngruppe persönliche Positionen in Anknüpfung und Widerspruch zu anderen Meinungen zu entwickeln. Man könnte nun sagen, dass der Religionsunterricht (für den die Szene paradigmatisch steht) sein Ziel verfehlt, zur religiösen Identitätsbildung beizutragen, weil nicht genügend Gelegenheit gegeben werde, christliche Tradition kennen zu lernen, weil nicht deutlich werde, was hier die evangeli-
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sche, die christliche Position sei, von der aus sich Gemeinsamkeit und Differenzen zu anderen religiösen Positionen erarbeiten ließen. Man könnte aber auch sagen, dass diese Szene ein gutes Beispiel dafür sei, wie Religionsunterricht zu Identität und Verständigung beitrage, und zwar aus folgenden Gründen: Den Schülern und Schülerinnen wird zugemutet, zu einer zentralen theologischen Fragestellung Stellung zu nehmen. Ja, ihnen wird sogar die Möglichkeit eröffnet, sehr persönlich zu bekennen, wie diese Frage mit ihrem eigenen Glaubensverhältnis zusammenhängt. Sie zeigen anderen ihre (religionsbezogene) Identität und nehmen wahr, was sie mit anderen in dieser Frage gemeinsam haben und wie sie sich unterscheiden. Egal, wie Sie diese Szene interpretieren – sie führt uns mitten in das Thema, denn die Diskussion über das Verhältnis von religiöser Identität und interreligiöser Verständigung ist in den letzten 30 Jahren in der Religionspädagogik entlang der soeben angedeuteten Grundpositionen geführt worden. Die erste Position findet sich maßgeblich vertreten in den beiden Denkschriften der Evangelischen Kirche zum Religionsunterricht und versucht, einen pluralitätsfähigen konfessionellen Religionsunterricht zu begründen, der mit anderen konfessionellen Religionsunterrichten die Kooperation sucht. Die zweite Position wurde im Kontext des Hamburger Religionsunterrichts entwickelt und versucht, den Dialog inmitten einer religiös und kulturell pluralen Schülerschaft innerhalb eines Faches zu verankern. Diesen Ansatz eines dialogischen Religionsunterrichts möchte ich Ihnen heute mit einigen zentralen konzeptionellen Elementen näher bringen. Zuvor jedoch stelle ich Ihnen die Argumentation vor, die in den Denkschriften der Evangelischen Kirche entwickelt wurde. Sie zu kennen ist wichtig, um einzuschätzen, wie sich hiervon die u.a. von Hamburger Kolleginnen und Kollegen vertretene Position eines Dialogischen Religionsunterrichts abhebt.
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2 Das Verhältnis von Identität und Verständigung in der Perspektive der EKD. Die Denkschrift mit dem programmatischen Titel: Identität und Verständigung. Standort und Perspektiven des Religionsunterrichts in der Pluralität erschien 1994. Erinnern wir uns kurz an den zeitgeschichtlichen Kontext: Damals war Deutschland gerade wiedervereinigt. Die ostdeutschen Bundesländer hatten – bis auf Brandenburg – das Modell des konfessionellen Religionsunterrichts nach Art. 7,3 übernommen – trotz oder vielleicht auch wegen der Tatsache, dass sich die Kirchenmitgliedschaft in den Neuen Bundesländern auf einem niedrigen Niveau bewegte (20%). Schon vor 1989 hatte es in der alten Bundesrepublik eine lebendige Diskussion über die Zukunft des Religionsunterrichts gegeben – alternative Modelle zum konfessionellen Religionsunterricht wurden vorgeschlagen und kontrovers diskutiert: ReligionskundeUnterricht, ein Pflichtfach für alle, ein Lernbereich Religion-Ethik. Diese Diskussion fand auch vor dem Hintergrund religions- und jugendsoziologischer Daten und Analysen statt, wonach sich lang anhaltende gesellschaftliche Trends von Enttraditionalisierung und Individualisierung auch im Bereich von Religion auswirkten. Diesen Studien zufolge zeigte sich, dass die Prägekraft der christlichen Religion bei Heranwachsenden abnimmt, sich insgesamt durch Zuwanderung die religiöse Landschaft pluralisiert und gleichzeitig ein Individualisierungsprozess von Religion einsetzt, der zu neuen, auch patchworkartig zusammengesetzten religiösen Gestaltbildungen führt. Erstmals schien die lange anhaltende Theorie der Säkularisierung ergänzt werden zu müssen durch eine Theorie religiöser Pluralisierung. Angesichts dieser Situation sollte die Aufgabe des Religionsunterrichts neu begründet werden. Das war das Ziel der EKDDenkschrift. Zugespitzt gesagt, wollte man Religionsunterricht als eine Art Widerlager gegen Tendenzen des Verblassens christlicher Identität verstehen. Man wollte seine wichtige sozialisatorische und bildende Funktion betonen. Auf Grund dessen wundert es nicht, dass der Identitätsbegriff eine prominente Stelle in der Gesamtargumentation der Denkschrift einnahm. 30
Ein bestimmtes Verhältnis von Identität, Dialog und Religionsunterricht wird dabei vorausgesetzt: RU versichert, entwickelt Identität in einem, durch Bibel, christliche Tradition und die Rechtfertigungsbotschaft inhaltlich bestimmten Glauben. Er macht vertraut, versichert, bestärkt, und manchmal wurde auch gesagt: Er beheimatet in Glauben und Tradition. Auf der Grundlage einer so gefundenen Identität sollte man dann in den Dialog mit anderen religiösen, auch weltanschaulichen Überzeugungen treten können. Der Dialogbegriff war konzeptionell wenig geklärt, zum Beispiel wurde nicht zwischen verschiedenen Formen des Dialogs unterschieden, z.B. zwischen einem schülerorientierten Dialog und einem Expertendialog. Identität und Dialog wurden in ein additives oder auch ein konsekutives (im Sinne einer zeitlichen Nachordnung) Verhältnis gesetzt. Interreligiöse Verständigung übernahm auch gegenüber Identitätsbildung eine nachgeordnete Aufgabe. In der Schule sollte die Kooperation in der Fächergruppe gesucht werden – und zwar mit intentional gleich gerichteten Fächern, vor allem dem katholischen RU, aber auch Ethik/Philosophie. Die Diskussion über islamischen RU befand sich damals erst am Anfang. 20 Jahre später, im Jahr 2014, erschien wieder eine Denkschrift: Religiöse Orientierung gewinnen. Evangelischer Religionsunterricht als Beitrag zu einer pluralitätsfähigen Schule. Während dieser zwanzig Jahre hat sich im Blick auf die von der Denkschrift geforderte Fächergruppe wenig getan. Allein im Blick auf den konfessionell-kooperativen Religionsunterricht (evangelisch-katholische Zusammenarbeit) hat es in Baden-Württemberg und Niedersachsen Entwicklungen gegeben. Aber die Situation des Religionsunterrichts hat sich in Bezug auf die eben beschriebenen Säkularisierungs- und Pluralisierungstendenzen weiter verschärft. Das Identitäts-Relevanz-Dilemma konfessionellen Religionsunterrichts wurde in manchen Regionen überdeutlich: Der RU verlor an Relevanz in der Schule, wenn er weiter in konfessioneller Trennung erteilt wurde; wenn er sich aber auf die plurale Schülerschaft öffnete, wurde ihm Identitätsverlust und Profillosigkeit vorgeworfen.
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Wie argumentiert in dieser Situation die neue Denkschrift? Auffällig ist, dass der Identitätsdiskurs in der neuen Denkschrift in deutlich abgeschwächter Form geführt wird. An die Stelle des Identitätsbegriffes ist der Begriff der religiösen Orientierung getreten. Konzediert wird mit der Akzentuierung des Begriffes der Orientierung, dass es RU mit Lernenden zu tun hat, denen gegenüber eine identitätsstiftende Aufgabe des Religionsunterrichts zu behaupten unangemessen wäre. Die neue Denkschrift nimmt die Behauptungen von 1994 sogar zurück: Pädagogisch gesehen lasse sich das Verhältnis von Identität und Dialogfähigkeit nicht 1:1 abbilden; schon gar nicht als eine zeitliche Abfolge (vgl.S.45): Beide Aufgaben müssten vielmehr als ein Zusammenhang wahrgenommen werden. Der veränderten Situation auf dem Gebiet christlicher Religion wird Rechnung getragen. Auch die Situation von Konfessionslosigkeit in den ostdeutschen Bundesländern findet eine stärkere Beachtung – und es wird regionalen Gestaltungsspielräumen von Religionsunterricht eine größere Beachtung geschenkt. Es ist aber interessant zu sehen, dass die zentrale Argumentationsfigur dieselbe bleibt wie in der Denkschrift von 1994: Im evangelischen Religionsunterricht muss die Chance einer authentischen und lebensbezogenen Begegnung und Auseinandersetzung mit dem christlichen Glauben gegeben werden. Dies ermöglicht religiöse Orientierung als Voraussetzung für die Fähigkeit, mit religiöser Pluralität umzugehen. Mit leicht veränderter Begrifflichkeit wird also die bekannte Argumentationsfigur wiederholt, wonach das Vertrautmachen mit dem eigenen Glauben die Voraussetzung für die interreligiöse Verständigung sei. Wenn aber für den evangelischen Religionsunterricht in „konfessioneller Bindung und dialogischer Offenheit“ (S.45ff.) die Ausrichtung an Gott in Jesus Christus grundlegend ist, dann kann der Religionsunterricht nur in einem eingeschränkten Maße den Raum für interreligiöse Verständigung bieten. Tatsächlich verlegt die Denkschrift den Ort für interreligiöses Lernen auch außerhalb des Religionsunterrichts auf die Kooperation zwischen den verschiedenen Fächern und gemeinsame Projekte in der
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Schule. In dieser Form einer ökumenischen und interreligiösen Kooperation, bei der auch die unterschiedlichen theologischen Voraussetzungen differenziert zur Kenntnis genommen werden müssten, und auf der Ebene schulbezogener Projekte sieht die Studie die Möglichkeit verwirklicht, das eigene konfessionelle Profil zu wahren und sowohl den Gemeinsamkeiten als auch den Unterschieden gerecht zu werden. Sie sehen: Die in den Denkschriften vertretene Position hat ihre Stärke in der klaren Konturierung des evangelischen Profils von Religionsunterricht. Es gibt auch eine Perspektive der interreligiösen Kooperation und Verständigung zwischen den Fächern. Pluralitätsfähigkeit gilt als „zeitgemäße Konkretion religiöser Orientierung nach evangelischem Verständnis.“ (S.54) Deutlich wird aber auch, dass die proklamierte Verständigung auf der Grundlage einer vorangegangen Trennung der Schüler und Schülerinnen in die verschiedenen religionsbezogenen Unterrichte stattfinden soll. Sie hat mindestens zwei Schwächen: Diese Trennung nach formalen Religions- und Konfessionszugehörigkeiten bildet die religiöse Heterogenität in den Schülergruppen in den wenigsten Fällen vollständig ab. Innerhalb des Faches selbst findet das interreligiöse Lernen vorwiegend auf der Ebene der Unterrichtsstoffe und kaum als Dialog zwischen unterschiedlichen religiösen und weltanschaulichen Perspektiven von Lernenden statt. Hinzukommt, dass die Kooperation zwischen den Fächern in der schulischen Realität weitgehend noch uneingelöst ist. 3 Identität durch Verständigung. Der Ansatz einer dialogischen Religionspädagogik Im Folgenden möchte ich Ihnen nun die zweite Position vorstellen, die das Verhältnis von Identität und Verständigung anders bestimmt und daher auch der interreligiösen Verständigung im Religionsunterricht einen anderen konzeptionellen Ort einräumt. Während – wie beschrieben – in der EKD-Denkschrift gesagt wird, man könne erst in einen Dialog treten, wenn man eine feste religiöse Identität habe, wird in der im Folgenden zu skizzierenden Position begründet, dass man gerade durch den 33
Dialog herausfinden könne, wer man sei. Identität wird nicht als ein inhaltlich, etwa aus einer religiösen Tradition bestimmtes Konzept verstanden. Identität wird eher als eine offene Prozesskategorie verstanden – oder, um es mit einem anderen Bild zu sagen, als ein Gewebe, das aus verschiedenen Fäden entsteht, die im Lauf eines Lebens in vielen verschiedenen Begegnungen und Situationen gesponnen werden. Auch die so genannte religiöse Identität wird mehr in einer Suchbewegung angestrebt, sie ist ein offenes und immer auch veränderbares Konstrukt, das aus Sinn und Bedeutung, Nähen und Distanzen zu Überliefertem besteht und aus Interaktion, aus Begegnungen entsteht. Dialog/Verständigung ist geradezu das Medium, in dem Identität sich entwickelt – durch die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Perspektiven. Weil diese Voraussetzungen gelten – und weil Heranwachende schon sehr früh (schon im Vorschulbereich) religiöser Heterogenität begegnen, geht es darum, im Religionsunterricht so früh wie möglich Gelegenheiten für die Auseinandersetzung mit anderen religiösen Positionen zu schaffen. Der Dialog mit anderen, das Gespräch darüber, wer man eigentlich ist, rückt damit in das Zentrum von Religionsunterricht. Diese Position eines dialogisch ansetzenden Religionsunterrichts, wie er in erfahrungsgesättigter Form in Hamburg vorliegt und auch konzeptionell ausgearbeitet wurde, möchte ich Ihnen im Folgenden in drei Grundbegriffen etwas näher vorstellen: Ich sage etwas zum Dialogverständnis, ich möchte mit den Begriffen „religiöse Ansprechbarkeit“ und „Hermeneutik der Aneignung“ zwei religionspädagogische Grundkonzepte vorstellen. Und ich möchte schließlich noch eine Anmerkung zum gesellschaftsbezogenen Profil und zum Kirchenbezug des Religionsunterrichts machen. 3.1 Dialogisches Lernen statt interreligiöses Lernen Zunächst eine kurze und kritische Bemerkung zum Begriff des Interreligiösen Lernens. Von Anfang an sind wir mit dem Begriff Interreligiöses Lernen distanziert abwägend und kritisch umgegangen, weil der Begriff
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die religiösen Voraussetzungen unter den Schülern unseres Erachtens nicht angemessen berücksichtigte. Denn aus empirischen Untersuchungen zur Religiosität von Jugendlichen wissen wir um den hybriden und patchworkartigen Charakter religiöser Bedeutungsmuster. Wir wissen auch, dass gerade im Jugendalter atheistische und religionskritische Positionen eine große Attraktivität besitzen – und es ist offensichtlich, dass viele der Lernenden, mit denen es der Religionsunterricht zu tun hat, erst noch auf dem Weg sind, Positionen und Bedeutungen zu entwickeln – und dies nicht immer in den abgezirkelten Bereichen religiöser Traditionen. Mit dem Terminus des Interreligiösen wurde für uns zu sehr ein Bild evoziert, wonach der Austausch zwischen klar markierten Positionen und abgesteckten Grenzen zwischen Religionen stattfinde. Zutreffender schien es uns davon auszugehen, dass auf Seiten der Subjekte stärker individuelle Perspektiven vorzufinden sind, die weniger auf klar umrissene religiöse Grenzen abzubilden sind als vielmehr hybrider, durchlässiger und fragmentarischer im Blick auf religiöse Sinnwelten sind. Deshalb schien im Blick auf die vorhandene bunte, wilde Heterogenität im Klassenzimmer der Begriff interreligiöses Lernen für das hier Gemeinte nicht vollends passend zu sein. Dagegen scheint mir der Begriff eines religionsbezogenen dialogischen Lernens die Aufgabe angemessener zu charakterisieren. Dieser Begriff bringt den Anspruch m.E. besser zum Ausdruck, sowohl die Vielfalt subjektiver Sichten auf Religion wahrzunehmen als auch wichtige Bedeutungen religiöser Traditionen zu berücksichtigen und in die Form eines dialogischen Austausches zu bringen. Ich nenne nun wichtige Aspekte des Dialogverständnisses (Knauth 1996; Weiße 1999a; Knauth/Weiße 2000), das in der Dialogphilosophie Martin Bubers steht, aber auch in gesellschaftsbezogener Profilierung auf die Befreiungspädagogik Paulo Freires, die kritische Erziehungswissenschaft Helmut Peukerts, und im Kontext ökumenisch-interreligiösen Dialogs u.a. auf Hans-Jochen Margull Bezug nimmt.
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1) Mit Begegnung und Dialog wird für die sinn- und orientierungsbildenden Akte des Subjekts die Angewiesenheit auf die/den Anderen grundlegend hervorgehoben und die Bedeutung von Personalität und Beziehung für Interaktion betont. 2) Die Begriffe bringen die interpersonale Modalität der Auseinandersetzung mit Religion zur Geltung, setzen sich von asymmetrisch strukturierten Lernsituationen ab und gehen konstitutiv von einer Mehrperspektivität des Weltzuganges aus. 3) Das Moment von Unverfügbarkeit, das im Begegnungsbegriff liegt, ist außerdem kritisches Korrektiv gegenüber Vorstellungen eines auf rationale Plan- und Machbarkeit setzenden Unterrichtsgeschehens. 4) Dialog und Begegnung weisen zugleich auch über die institutionelle Rahmung des Lernens hinaus, auf die lebensweltliche Einbettung von Bedeutungen – das, was Martin Buber „das wirkliche Leben“ nennt, wenn er schreibt: „Alles wirkliche Leben ist Begegnung“ (Buber 1992 [1962], S.15). Der Dialogbegriff betont also die Verbindung von Person und Position, von Person und Perspektive. Er eröffnet einen Zugang, in dem nicht ein gleichsam objektives Lehrgebäude bzw. die ausschließlich religionswissenschaftlich aufbereitete Information Gegenstand des Lernens ist, sondern die immer an subjektive Interpretationsleitungen gebundene Positionalität. Noch immer werden im Religionsunterricht eher die Lehren von Religionen vorgestellt. Dieser Ansatz möchte also den Zugang über Menschen eröffnen, die ihre religiösen Traditionen oder ihre Lebenswichtigkeiten deuten, einander ihre religionsbezogenen Praxen zeigen bzw. über sie berichten. Das personale Prinzip ist für dieses Dialogverständnis entscheidend. Am Beispiel eines Unterrichtsmaterials möchte ich kurz erläutern, wie wir uns in einer dialogischen Konzeption dem Feld von Religionenvielfalt nähern. In Zusammenarbeit mit religionspädagogischen Expertinnen aus Judentum, Islam, Alevitentum, Buddhismus und Hinduismus haben Andreas Gloy, Referent am Pädagogisch Theologischen Institut 36
der Nordkirche, und ich ein Unterrichtsmaterial zum dialogischeninterreligiösen Lernen entwickelt (Gloy, Knauth, 2015). Das Buch mit dem Titel „glauben, vertrauen und zweifeln“ präsentiert Materialien, Aufgaben und Lernanlässe zum Thema. Das Buch ist in einem interreligiösen Team entwickelt worden. Seine Aufgaben und Materialien sind in religionspädagogischen Praxis-Seminaren an Universität und PTI ausprobiert und reflektiert worden, von erfahrenen Lehrern und Lehrerinnen in Hamburg und im Ruhrgebiet eingesetzt worden, in videogestützten Unterrichtsanalysen reflektiert worden und anhand dieser Erfahrungen und Rückmeldungen weiter überarbeitet worden. Lernwege und Inhalte folgen durchgängig einem dialogischen Prinzip. Im Zentrum stehen immer Aufgaben oder herausfordernde Fragen, zu denen die Lernenden zunächst eigene Vorstellungen und Positionen entwickeln und in der Lerngruppe miteinander besprechen sollen. In einem nächsten Schritt kommen die von den Schülern und Schülerinnen entwickelten Deutungen in ein Gespräch mit religiösen Positionen und Perspektiven. Das gelingt durch den Einbezug von sogenannten Religionskundigen aus fünf Religionen, die sich zu denselben Aufgaben vor dem Hintergrund ihrer eigenen religiösen Tradition äußern. Die Religionskundigen stehen dabei nicht repräsentativ für eine Religion, sondern werden als Menschen vorgestellt, die sich einer religiösen Tradition besonders nah und dieser verpflichtet fühlen, aus ihr Bedeutung und eine religiöse Praxis generieren und sich mit ihr auseinandersetzen. Die Religionskundigen deuten aber nicht nur, sondern zeigen auch: Sie zeigen den Jugendlichen ihre Gebete, ihre Glaubensweisheiten, und sie erzählen über biographisch gewachsene Überzeugungen. Sie teilen also auch mit, welchen Platz bestimmte Texte und Traditionen in ihrem Leben einnehmen. Das ermöglicht den Jugendlichen, sich der eigenen Haltung bewusster zu erden. Sie können ihre eigenen Auffassungen im Angesicht dieser über echte Personen eingeführten Positionen klären, vertiefen, verändern und gegebenenfalls neu formulieren.
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So reflektieren die Jugendlichen beispielsweise über die Frage, ob Zweifeln in der Religion erlaubt ist: Sie schreiben eigene Antworten in ihr „Frage-Antworten-Buch zu Glauben und Zweifel“ (Gloy, Knauth, 2015, S.40) – und können sich anschließend mit der Antwort eines erfahrenen islamischen Religionslehrers (Amin Rochdi aus Nürnberg-Erlangen: „Sogar die Engel zweifelten an der Richtigkeit des göttlichen Handelns.“) oder den Gedanken eines tibetischen Buddhisten (Oliver Petersen aus Hamburg: „Es verbindet uns Menschen, wenn wir Zweifel zugeben.“) auseinandersetzen (Gloy, Knauth, 2015, S.33 u. S.34). Oder aber die Schüler und Schülerinnen klären ihre eigenen Antworten zu den Inhalten ihres Glaubens und begegnen den Gedanken und Überzeugungen einer jüdischen oder alevitischen Lehrerin (Rachel Herweg aus Berlin, Melek Yildiz aus Dortmund) (vgl. Gloy, Knauth, 2015, S.46 u. S.49). Es geht in dem didaktischen Prozess nicht um Vermittlung feststehender Wahrheiten, sondern um eine dialogische Bewegung des Verstehens, um Sinnsuche und Vergewisserung in der Auseinandersetzung mit Positionen. Das Gespräch über Fragen des Glaubens, das stärkende aber auch beunruhigende Elemente enthält, wird als ein Experiment mit Positionen und Meinungen verstanden, die auf Probe übernommen und vertreten, aber auch wieder verworfen werden können, mit denen man sich aber auch bleibend identifizieren kann. 3.2 Religiöse Ansprechbarkeit und Hermeneutik der Aneignung Sie sehen: für eine dialogische Konzeption von Religionsunterricht ist es wichtig, subjektive Sichten von Lernenden in den Austausch zu bringen. Ein weiterer Begriff wird wichtig. Der Begriff der „religiösen Ansprechbarkeit“. Es geht um die Aufgabe, herauszufinden, woran Jugendliche eigentlich ihr Herz hängen, was für sie wichtig ist, wo für sie Klärungsbedarf besteht und Fragen offen sind. Nicht immer geht es dabei ganz offensichtlich um Religion, immer geht es aber vielleicht um Sinn- und Lebenssuche. Ich gebe Ihnen ein Beispiel, das dieses Lebensgefühl von Jugendlichen zum Ausdruck bringen kann, die sich am Über-
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gang in eine Phase von Selbstständigkeit befinden. Es stammt von Dillan White aus Stuttgart, der einen Videoblog betreibt. Ende des Jahres 2015 entstand dieses Video: Dillan White. „Fang an zu leben“: https://youtu.be/82Rr448r4Xs. Da spricht einer, der sich als Träumer und als Weltenbummler bezeichnet. Er spricht darüber, dass seine Zukunft unklar ist, er aber von einem Gefühl, einer Sehnsucht getrieben wird, das Leben zu entdecken, die Welt zu entdecken. Er möchte „leben“ und nicht „existieren“. Er will Zwängen entkommen, Druck entkommen und Schönheit finden. Er spricht von der Zerbrechlichkeit des Lebens. Auf einmal kann alles vorbei sein. Darum hat er eine Botschaft an sich und an alle anderen: Lebe Dein Leben jetzt. Hier spricht sich aus, was der Erziehungswissenschaftler Dieter Baacke einmal „Die stillen Ekstasen der Jugend“ bezeichnet hat, um eine radikal diesseitige, „säkulare“ Religiosität zu beschreiben. Religion, verstanden als Sehnsucht nach Transzendierung des Alltags (im Sinne des Religionsbegriffes von Berger und Luckmann), des Gewohnten. Auch Ausstieg aus dem Alltag. Träume an das Leben, die auch Fragen hervorrufen: Im Zentrum dieses Lebensentwurfes steht das einzelne, das empfindsame, muss man auch schon sagen: das selbstbezogene Ich auf der Suche nach Intensität und Schönheit. Berechtigte Fragen können an diesen Entwurf gestellt werden: Inwiefern sind andere in dieses Konzept eingebunden? Inwiefern ist auch nicht nur das Scheitern des eigenen Lebens bedacht, sondern auch die Sorge um das Scheitern der Anderen? Die Fürsorge für andere? Wie sieht es aus mit Beziehungen? Gibt es eine Wahrnehmung für Hässlichkeit, Krieg und Leid? Müsste Dillan nicht die Frage zurückgespielt werden: Hast Du Dir die Welt schon einmal angeschaut? Ich meine: Hast Du sie Dir wirklich schon einmal angeschaut? Das Beispiel will zeigen: Das Konzept der religiösen Ansprechbarkeit ist auch eine Art „Such-Scheinwerfer“, der das vielgestaltige Gelände der Orientierungen beleuchtet und Sinnentwürfe in den Blick bekommt, die
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sehr viel mit der Suche nach tragenden Orientierungen und nach Identität zu tun haben. Über all diese Fragen ein Gespräch zu organisieren, sollte Aufgabe von RU sein, der religiöse Ansprechbarkeit ernst nimmt. Der Leitbegriff der religiösen Ansprechbarkeit verbindet sich also mit einem subjekt- und schülerorientierten Ansatz, in dem ein Entdeckungszusammenhang von religiösen und theologischen Themen im Alltag von Jugendlichen hergestellt wird. Leitend ist ein aufmerksames, ernsthaftes Interesse an dem, was Jugendliche beschäftigt und bewegt und was ihnen einen Zugang in die Welt sowohl tragender Perspektiven als auch beunruhigender Fragen ermöglicht. Hermeneutik der Aneignung Im Zusammenhang mit „Religiöser Ansprechbarkeit“ und einer schülerorientierten dialogischen Didaktik verwende ich gerne den von Klaus Goßmann und Norbert Mette geprägten Begriff einer „Hermeneutik der Aneignung“ (vgl. Goßmann & Mette 1993). Es geht darum zu fragen, wie Religion, wie lebensbedeutsame Inhalte so angeeignet werden können, dass dabei auch die subjektiven Sichten der Lernenden, wie sie sich selbst und andere sehen und thematisieren, stärker zur Geltung kommen können. Es geht also gewissermaßen um eine Umkehr der Bewegungsrichtung: Im Zentrum steht nicht zuerst die Frage, wie ich Inhalte altersspezifisch vermitteln kann, sondern es gilt umgekehrt zu fragen, wie Religion, religiöse Sprache, Form auch Medium und Hilfe für die Selbstthematisierung und Identitätsvergewisserung sein können. Ein Beispiel aus dem Unterricht: Im Jahrgang 10 hat sich die aus konfessionslosen, christlichen und muslimischen Schülern und Schülerinnen zusammengesetzte Lerngruppe mit dem Weg Jesu an das Kreuz auseinander gesetzt. Im Unterricht interessieren nicht so sehr christologische Konzeptionen – oder die Frage, warum sich gerade am Kreuz die Gottessohnschaft Christi zeigt. Die Schüler interessieren vielmehr die existenziellen Situationen vor dem Tod Jesu. In einer Stunde geht es auch
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um das Verhalten der Jünger nach der Verhaftung Jesu in Gethsemane. Ein Teil der muslimischen Schüler und Schülerinnen ist empört darüber, dass die Jünger Jesus im Stich lassen und – wie im Falle Petrus – sogar verleugnen. Andere, vor allem Schüler und Schülerinnen mit christlichem Hintergrund sind eher geneigt, das Verhalten der Jünger zu verteidigen. Es entwickelt sich eine leidenschaftliche Debatte, in dessen Verlauf schließlich auch die Emotionen hoch kochen und insbesondere zwei Mädchen zu Wortführerinnen der im Streit liegenden Positionen werden. Die Positionen bringen auch das persönliche Verhältnis zur Religion zum Ausdruck: Man müsse notfalls auch bereit sein, für die Religion zu sterben – so die eine Seite. Sich zu Jesus zu bekennen, sei unklug – dann könne man ihm ja gar nicht mehr helfen, sondern erleide lediglich das gleiche Schicksal – so die andere Position. Man könnte aus der Perspektive einer Hermeneutik der Vermittlung an diesem Unterricht kritisieren, dass er an der Erzählung nicht das herausarbeite, was in den Szenen vor der Verhaftung Jesu theologisch beabsichtigt sei. Aus der Perspektive einer Hermeneutik der Aneignung betrachtet aber, thematisieren die Schüler und Schülerinnen voller Engagement nicht nur die Wichtigkeit von Freundschaft, sondern auch identitätsbestimmende Bedeutungen von Religion. Und die muslimischen SchülerInnen konfrontieren ihre MitschülerInnen mit der Frage, wie weit man für das, was man liebt, zu gehen bereit ist – mit anderen Worten: Es geht in diesen Dialogen ganz zentral um sehr persönliche Fragen religiöser Identitätsvergewisserung. 3.3 Gesellschaftsbezogenes Profil und Kirchenbezug des RU Bislang habe ich den Ansatz eines dialogischen Religionsunterrichts mit Bezug auf die personale und interpersonale Ebene vorgestellt. Aber Dialogisches, interreligiöses Lernen kann nicht darauf verzichten, auch gesellschaftliche Schlüsselprobleme zu thematisieren. Problemorientiertesinterreligiöses Lernen wird daher eine wichtige Dimension.
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Im Ansatz des problemorientierten Religionsunterrichts wurde ein Modell entwickelt, das auch heute noch orientierend sein kann. Religiöses Lernen findet auf der Schnittfläche individueller, sozialer und gesellschaftsbezogener wie theologisch/religiöser Perspektiven statt. Bei jedem Thema ist also zu fragen, wie es in der Lebenswelt von Schülern und Schülerinnen auftaucht, welche gesellschaftlichen Aspekte es hat und wie es mit Themen und Perspektiven aus den religiösen Traditionen in einen resonanten Zusammenhang gebracht werden kann. Elementare religiöse und gesellschaftsbezogene Bildung sind in einem problemorientierten Ansatz eng mit einander zu verknüpfen. Ich halte dafür die beiden Themenkreise von Gerechtigkeit und Anerkennung für Schlüsselkonzepte eines problemorientierten interreligiösen Lernens. Dies führt im Religionsunterricht zum Beispiel zur Zentralstellung von Themen, die um Armut und soziale Benachteiligung, um Flucht und Migration und Aspekte globalen Lernens kreisen. Das ist für Religionsunterricht kein zusätzlicher Luxus, sondern berührt das Innerste von religiösen Traditionen. Mit anderen Worten: Wie ich mit den „Armen“ und den „Anderen“ umgehe, ist entscheidend für meine Identität. Im Blick auf das Schlüsselthema soziale Exklusion geht es ganz grundlegend um die Frage, welches Bild vom Menschen und vom menschlichen Zusammenleben Raum greift und welche Kräfte, Bindungen, Logiken Gesellschaften zusammenhalten: Ist es ein Denken der mitleidslosen Selbstabschottung in eigene Sicherheiten, das Anderen die Anerkennung oder wenigstens ein zugewandtes Interesse entzieht, wenn sie nicht mehr gebraucht werden oder sich nicht mehr über das bestimmen können, was sie tun oder schaffen? Oder können Haltungen entwickelt und nachhaltig im Fühlen, Denken, Urteilen verwurzelt werden, die sich gerade den Ausgeschlossenen, den Benachteiligten, von Missachtung Betroffenen solidarisch verpflichtet zeigen? Können Spuren gelegt, einsichtsvolle Erfahrungen gestiftet werden, die von der Gewissheit getragen sind, dass menschliches Zusammenleben elementar von Anerkennung lebt? Ethisches Lernen ist dann elementare Arbeit an der Fähigkeit, sich durch das
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Schicksal, das Leid anderer berühren zu lassen. Eine Schlüsselfrage ethischen Lernens lautet: Was gehen mich die Anderen an? Religiöse Bildung/ Religionsunterricht besitzt für die Thematisierung dieser Fragen ein großes Potenzial. Religionsbezogene ethische Bildungsprozesse leben von dem Rückgriff auf Geschichten, Symbole, Deutungsfiguren, in denen das Motiv der Würde von Menschen, der Gerechtigkeit für Benachteiligte, der Anerkennung von Randständigen zentral, wenn nicht gar konstitutiv, für Glauben und religiöses Selbstverständnis sind. Religiöse Traditionen sind – so gesehen – große Erzählungen von der unverlierbaren Würde von Menschen, die in Gott oder in einem transzendenten Grund des Seins verankert ist. So häufig sich in Geschichte und Gegenwart auch zeigt, wie unter Rückgriff auf Religion auch Menschlichkeit und Würde verletzt werden, so notwendig bleibt es, in religiöser Bildung an das Potenzial religiöser Traditionen zu erinnern (und es freizulegen), zu einem gerechten und solidarischen Miteinander beizutragen. Ethisches religiöses Lernen erschließt darum Religionen als Bewahrerinnen von Motiven der Würde, Gerechtigkeit und Mitmenschlichkeit. Dies kann selbstverständlich auf verschiedene Weise und auf verschiedenen Wegen passieren: Es gibt inzwischen auf diesem Gebiet viele Materialien und Ansätze diakonischen, globalen und ethischen Lernens. Ich nenne hier nur als Beispiel für das Gemeinte ein Medium, mit dem gute Erfahrungen vorliegen: Im Zusammenhang mit der Thematisierung globaler Fragen von Not und Ungerechtigkeit und den Verflechtungen von Erster und Dritter Welt haben die kirchlichen Hilfswerke Misereor und Brot für die Welt regelmäßig so genannte Hungertücher herstellen lassen. Diese Hungertücher kamen meistens aus Anlass der kirchlichen Fastenaktionen während der Passionszeit heraus. Sie wurden von Künstlern, meistens aus Ländern der Dritten Welt, des globalen Südens, wie man heute sachlich korrekter sagt, hergestellt, um auf das Leid, die Not, Armut, Gewalt und Unterdrückung in den Ländern des Südens aufmerksam zu machen. Die Machart der Kunstwerke, die auf die Tücher ge-
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druckt wurden, war trotz der großen Vielfalt der künstlerischen Stile, meistens gleich: Motive aus der Gegenwart der Dritte-Welt-Länder wurden mit biblischen Geschichten, Bildern und Motiven in Verbindung gesetzt, oft zusammen montiert, so dass sich aus dieser Verschränkung von Gegenwart und biblischen Welten dann auch die Botschaft der Bilder ergab. Auch zum Thema von Flucht, Vertreibung und Fremdheit sind Hungertücher entstanden, die sich gut für die religionspädagogische Arbeit in Schule und Gemeinde eignen. Da ist zum Beispiel das Hungertuch des südafrikanischen Künstlers Azaria Mbatha „Gott begegnen im Fremden“, das Biblische Traditionen wie die Abrahamserzählung, die Exodustradition, die Emmaus-Geschichte mit aktuellen Szenen von Flucht und Vertreibung in Beziehung gesetzt. Biblische Geschichte wird als eine Geschichte des Auszugs in die Fremde, der Begegnung mit dem Fremden, der Erfahrung von Flucht, Heimatlosigkeit und Unterdrückung erzählt. Es sei auch auf ein Hungertuch zu Bootsflüchtlingen hingewiesen, das im PTI Hamburg entstanden ist und in ein Unterrichtsmaterial zum Thema aufgenommen wurde. Dass man mit dem Medium des Hungertuches auch das Thema Armut und Ungerechtigkeit in der eigenen Region bearbeiten kann, zeigt ein letztes Beispiel. In einem Projekt von Schule und Universität haben wir zum Beispiel das Thema Armut und Ungerechtigkeit in einer Großstadt bearbeitet und die in der Stadt ansässigen Vertreter der Religionsgemeinschaften nach ihrer Deutung der sozialen Wirklichkeit, nach Handlungsansätzen und ihren theologischen Visionen von einer gerechten Stadt gefragt. Diese Bilder von Ungerechtigkeit und Gerechtigkeit sind zum so genannten Hamburger Hungertuch zusammengetragen worden, das ein Künstler umgesetzt hat. Als Sinnbild der gemeinsamen Verantwortung für die drängenden Fragen von Armut und sozialer Ungerechtigkeit sind in den Rahmen des Bildes die Symbole der verschiedenen Religionen eingetragen.
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Ich komme zu meinem letzten Punkt, in dem ich – vielleicht dem Anlass einer Vokationstagung angemessen – kurz etwas zum Kirchenbezug des Religionsunterrichts sagen möchte: Für die Zukunftsfähigkeit von RU bleibt der Bezug und Zusammenhang zur Kirche (zu einer Religionsgemeinschaft) wichtig. Der Bezug ist aber kein Selbstzweck, sondern bemisst sich auch an einer qualifizierten Sozial-Gestalt von Kirche. Für mich steht außer Frage, dass ein inhaltlich relevanter RU, der Religion in ihrer existenzerschließenden und orientierungsstiftenden Bildungsbedeutung in der Schule zum Tragen bringt, auf die reflektierte Bindung an und den institutionellen Rückhalt von Kirche angewiesen ist. Es gibt – zum Glück – verschiedene Sozialgestalten und Verständnisse von Kirche (vgl. dazu z.B. Huber 1998). Das ist Voraussetzung ihrer Lebendigkeit und Fähigkeit zur Erneuerung, erfordert aber auch im Blick auf religionspädagogische Begründungszusammenhänge Klärungen und Konkretisierungen, welche Kirche bzw. welche Gestalt von Kirche denn gemeint ist, wenn vom Kirchenbezug des Religionsunterrichts die Rede ist. Drei Aspekte: 1. Guter RU braucht Kirche als „Bürgin der Tradition“, deren symbolische und rituelle Kompetenz die Religionspädagogik auf der Suche nach guten Gestalten und Gestaltungen, nach Rhythmisierungen und Inszenierungen des Lebens in Anspruch nehmen kann. Sie braucht 2. Kirche als „Anwältin der Benachteiligten“, als eine – wie der ehemalige Berliner Bischof und Heidelberger Sozialethiker Wolfgang Huber es nennt – Institution des Perspektivenwechsels, die Gesellschaft mit den Augen derer anschaut, die am meisten unter ihr leiden, und die sich parteilich einmischt in die „Kämpfe um Anerkennung“ der Armen, der Flüchtlinge etc. Und RU braucht 3. Kirche auch als sich in gesellschaftliche Debatten einmischende „Zwischenrednerin“ (vgl. dazu Knauth 2004, S.144-152.), die die in Medien und in Öffentlichkeit zu stark vernachlässigten The-
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men ins Bewusstsein bringt. Und ich finde die Frage für den RU wichtig, ob es gelingt, in Anknüpfung auch an verschüttete Traditionen, Kirche als `Kirche für Andere´ (Dietrich Bonhoeffer) zu verstehen: die als Ausdruck evangelischer Freiheit Anderen Raum für Selbstinterpretation und Lebenschancen gibt; dies auch im Religionsunterricht, die ihren prophetischen Auftrag ernst nimmt und Anderen, die nicht mehr für sich sprechen können, Stimme leiht und öffentliches Gehör verschafft; die sich als Zwischenrednerin (im besten befreiungstheologischen Sinne als: interlocutor) einmischt; die ihre Sendung in die Welt als Auftrag zu einer Kommunikation des Evangeliums (Ernst Lange) versteht und daher Kirche der Laien (Henning Luther) ist; die Prozesse der Teilhabe an Macht und Privilegien und Entscheidungsfindung ermöglicht und Subjekte gegen systemische Strukturen stärkt. Ich behaupte: Ein solcher Kirchenbezug, der nicht auf Totalidentifikation, kritiklose Initiation oder Kohärenz drängt, sondern auch Reibung, Kritik, Abstand, Zweifel und Widerspruch zulässt, dient dem Anliegen eines pluralitätsfähigen Religionsunterrichts unter dem Anspruch interreligiöser Verständigung. Ich sehe sowohl im Raum der katholischen als auch in der evangelischen Kirche Tendenzen und Ansätze, auf ein solches Verständnis des Bezuges zu Kirche und Tradition zuzugehen. Und ich nehme auch innerhalb des Islams solche Tendenzen wahr. 4 Abschluss „Weißt Du, wer ich bin?“ So lautet die Fragestellung Ihrer Tagung. Meine Antwort auf diese wichtige Frage lässt sich vielleicht so zusammenfassen: Damit die Frage gut beantwortet werden kann, ist ein dialogischer Ansatz von Religionsunterricht notwendig, in dem das Lernen zu einer gemeinsamen Suchbewegung wird. Zu einer Suchbewegung kann Lernen dann werden, wenn es um Themen und Fragen geht, die für das eigene und das gesellschaftliche Leben wichtig sind – und die nicht so einfach zu beantworten sind:
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Ingo Baldermann, der so leidenschaftlich für eine gesellschaftsbezogene Bibeldidaktik eintrat, hat immer wieder darauf aufmerksam gemacht, dass der Religionsunterricht viel Kredit durch die Zwangsvorstellung verspielt habe, für alle einschlägigen Fragen christliche Antworten bereithalten zu können. Er schreibt: „Wir begreifen heute, dass wir solche Antworten nicht haben. Es kann auch heute nicht mehr unsere Aufgabe sein, die Sinnfrage mit Antworten zu beruhigen, sondern wir haben sie offen zu halten, die Fragen nach der Gerechtigkeit angesichts der Armut, nach dem Leiden der hungernden Kinder, nach dem Sinn des technischen Fortschritts und den Chancen für das Überleben der Menschheit; wir haben sie unbeirrt und immer wieder zu stellen. Denn die Gefahr ist heute, dass diese Fragen überhaupt nicht mehr gestellt werden, dass sie einfach verdrängt werden.“ (Baldermann 1996, S.97)
Dialog, der im Medium dieser „verdrängten“ Fragen und Themen stattfindet, sollte von einer bewussten Gestaltung und Förderung von Mehrperspektivität getragen werden. In diesen dialogischen Lernprozessen bleiben die Lernenden Subjekte ihrer eigenen Konstitution von Sinn, denn erst diese Orientierung am Sinn der Subjekte erlaubt die Verschränkung mit den fachlichen Konzepten des Unterrichts. Dies ist ein Prozess, der im Medium relevanter Fragen außerordentlich identitätsfördernd ist. Klar ist: In solche dialogischen Haltungen einzuüben braucht Zeit. Unsere empirischen Studien zeigen, dass sich der Aufbau einer Dialogkultur im Religionsunterricht durch mehrere Phasen bewegt. Zunächst bewegt man sich auf dem sicheren Gebiet der fachlichen Konzepte und hält sich mit Persönlichem zurück. Es wird über Religion gesprochen. Konflikte werden vermieden oder nicht zur Sprache gebracht. Damit persönlicher Dialog stattfinden kann, müssen Regeln entwickelt werden. Vertrauen muss entstehen. Ein safe space ist wichtig. Arbeit in kleinen Gruppen ist dafür gut. So kann langsam auch in der gesamten Gruppe eine Atmosphäre entstehen, in der ungeschütztes und persönliches Sprechen möglich wird.
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Dies alles führt auch auf Seiten der Lehrperson zu einer veränderten Rolle: In flexibler Interpretation der Gesprächsverläufe wird sie mal zum(r) Moderator/in, mal zum(r) Partner/in im Dialog und muss manchmal aber auch als Wissensvermittler/in fungieren. Treffend hat diese Aufgabe einmal eine Schülerin aus der 9. Jahrgangsstufe eines Gymnasiums in einem dialogischen Religionsunterricht nachträglich reflektierend zusammengefasst: „Der Lehrer hat es immer so gemacht: wenn wir angefangen haben, uns mit einem Problem zu beschäftigen, mussten wir immer alleine einen Weg herausfinden. Der Lehrer hat nicht gesagt, was richtig oder was falsch ist. Er gibt uns die Gelegenheit, eine eigene Lösung zu finden. Später sagt er dann: Das ist meine Meinung. Oder er kommentiert nur und sagt: Niemand kann es mit Bestimmtheit wissen.“
Literatur Becker, Ulrich, Das Dialog-Programm des Ökumenischen Rates der Kirchen – Wegweiser für einen dialogischen Religionsunterricht?, in: Lohmann, Ingrid/Weiße, Wolfram (Hg.), Dialog zwischen den Kulturen. Erziehungshistorische und religionspädagogische Gesichtspunkte Interkultureller Bildung, Münster u.a. 1994, 257-264. Bernhardt, Reinhold/Schmidt-Leukel, Perry, Interreligiöse Theologie. Chancen und Probleme, Zürich 2013. Buchholz, Christine (Hg. u.a.), Armut und Ungerechtigkeit im Alltag von Jugendlichen. Hamburger Hungertuch (Medienpaket bestehend aus Stoffdruck (160x110cm), Folie und didaktischem Begleitmaterial), Hamburg 1998. Doedens, Folkert/Weiße, Wolfram (Hg.), Religionsunterricht für alle. Hamburger Perspektiven zur Religionsdidaktik, Münster u.a. 1997. Gemischte Kommission Schule/Kirche: Hamburger Lehrplan für den Religionsunterricht in der Grundschule, in: Doedens, Folkert/Weiße, Wolfram (Hg.),Religionsunterricht für alle. Hamburger Perspektiven zur Religionsdidaktik, Münster 1998, 23-34.
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Gesprächskreis Interreligiöser Religionsunterricht in Hamburg (GIR), Empfehlungen zum Religionsunterricht an öffentlichen Schulen in Hamburg, in: Doedens, Folkert/ Weiße, Wolfram (Hg.), Religionsunterricht für alle. Hamburger Perspektiven zur Religionsdidaktik, Münster u.a. 1997, 35-41. Gesprächskreis Interreligiöser Religionsunterricht (GIR) und Expertenkreis am interdisziplinären Zentrum „Weltreligionen im Dialog“, „Religionsunterricht für alle“ in Hamburg. Resolution v. Dezember 2006, in: Weiße, Wolfram (Hg.), Dialogischer Religionsunterricht in Hamburg. Positionen, Analysen und Perspektiven im Kontext Europas, Münster u.a. 2008, 234-236. Gloy, Horst, Die religiöse Ansprechbarkeit Jugendlicher als didaktisches Problem dargestellt am Beispiel des Religionsunterrichts an der Berufsschule, Hamburg 1969. Gloy, H. (1969). Die religiöse Ansprechbarkeit Jugendlicher als didaktisches Problem dargestellt am Beispiel des Religionsunterrichts an der Berufsschule, Hamburg: Furche Verlag. Gloy, H. (1971). Themen statt Texte?. In: N. Schneider (Hg.). Religionsunterricht – Konflikte und Konzepte. Beiträge zu einer neuen Praxis. (S.67-79). Hamburg, München: Furche & Kösel. Gloy, A. & Knauth, Th. (2015). Glauben, vertrauen, zweifeln. Unterrichtsmaterialien für die Sekundarstufe. Interreligiöses dialogisches Lernen Bd.6. München: Kösel Schulbuch. Goßmann, K. & Mette, N.: Lebensweltliche Erfahrung und religiöse Deutung. Ein religionspädagogisch-hermeneutischer Zugang. In. Comenius-Institut (Hrsg.). Religion in der Lebensgeschichte. Interpretative Zugänge am Beispiel der Margret E., (S. 163-175) Gütersloh: Gütersloher Verlag. Jozsa, D.-P., Knauth, Th. /Weiße, W. (Hrsg.) (2009). Religionsunterricht, Dialog und Konflikt. Analysen im Kontext Europas, Münster u.a: Waxmann.
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Weiße, Wolfram (Hg.), Dialogischer Religionsunterricht in Hamburg. Positionen, Analysen und Perspektiven im Kontext Europas, Münster u.a. 2008. Weiße, Wolfram/Doedens, Folkert (Hg.), Religiöses Lernen in einer pluralen Welt. Religionspädagogische Ansätze in Hamburg. Novemberakademie 1999, Münster u.a. 2000.
Dr. Thorsten Knauth ist Professor für Evangelische Theologie/Religionspädagogik an der Universität Duisburg-Essen und Leiter der Arbeitsstelle für interreligiöses Lernen (AiL).
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Bibel und Koran unterhalten sich Pia Köppel 1 Einleitung Der nachstehende Text enthält Material und Auszüge zu Begleitbänden eines Lehrbuches für Koranarabisch. Die Hilfe Ephraim Meirs bei der Erstellung und Korrektur der Begleitbände war unverzichtbar. Alle Fehler darin gehen auf das Konto der Verfasserin. Konvention für Umschrift: Umschrift arabischer Wörter in kursiv, Umschrift hebräischer Wörter in kursiven Kapitälchen. 2 Halleluja, der hilāl – Wörter im Gespräch miteinander Manch einer mag meinen, das passe nicht zusammen: HALLELUJA steht in den biblischen Psalmen und wird im christlichen Gottesdienst gesungen, wohingegen die Beobachtung des hilāl – der ersten schmalen Mondsichel nach Neumond (besser gesagt: „Schwarzmond“) – eine Spezialität des Beginns muslimischer Mondmonate ist. Beides ist richtig, aber es gibt eine Verbindung zwischen den beiden Begriffen, wenn auch mit unterschiedlichen Aspekten. Allen semitischen Sprachen ist gemeinsam, dass den meisten Wörtern eine Wurzel aus drei Konsonanten zugrunde liegt, die eine bestimmte Idee ausdrückt. Wörter mit einer gemeinsamen Wurzel bilden eine Wortfamilie. Viele Wurzeln sind mehreren semitischen Sprachen gemeinsam, so auch die Wurzel h-ll, aus der diese beiden Wörter stammen. Eine Auswahl aus Wörtern der Wortfamilie h-l-l in der arabischen Sprache: َّﻩَﻝ
halla
erscheinen, sich zeigten (Neumond); beginnen (Monat)
ََّﻩﻝ َﻝ
hallala
jauchzen, jubeln; den Satz ََلَّ ِﺇ ٰﻝ ﻩََّ ِﺇَلَّٱهللaussprechen
ahalla
erscheinen (Neumond); jauchzen, jubeln; ein (Tieropfer) darbringen, schlachten (unter Anrufung des Namen Gottes)
َّ ﺃَ ﻩ َﻝ
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َّﺕَ َﻩﻝ َﻝtahallala
glänzen, schimmern, strahlen; vor Freude strahlen, sich freuen, frohlocken
ْ ِﺍ َّﻥ َﻩﻝ
inhalla
etw. anfangen, in Angriff nehmen; sich heftig ergießen (Regen)
ﻩ ََِلﻝ
hilāl
erste schmale Mondsichel nach Neumond
َﻩﻝَﻝ
halal
Furcht, Schrecken
ﺕَ َﻩﻝُّﻝtahallul Freude, Jubel, Frohlocken Eine Auswahl aus Wörtern der Wortfamilie h-l-l in der hebräischen Sprache: הָ לַל
HĀLAL
leuchten, scheinen; leuchtend, hell, klar ersichtlich sein
אָ הַ ל
ĀHAL
hell sein, leuchten (vgl. Hiob 25,5)
הַ לֵּל
HALLĒL
preisen (späthebräisch) (Psalm 113-118)
הַ לְ ל
HALƏL
preisen, verherrlichen, ausrufen
הַ לְ לּו
HALƏLŪ
preiset! (Imperativ 2. Pers. Pl)
ִהלּול
HILLŪL
Lobpreis; Freude, Fest
ִהלֵּל
HILLĒL
הֹולֵּל֖ ֹות
HŌLƏLŌH
Eigenname „er hat gepriesen“ (a) Name des Vaters eines Richters in der Bibel (Ri 12,13; 12,15); b) Name eines berühmten rabbinischen Gelehrten Tollheit (nur in Prediger 1,17; vgl. „Mondsüchtigkeit“)
Nun wird zu dem hebräischen Imperativ HALLELU „preiset“ noch die Kurzform „JĀH“ ָיָּה des Gottesnamens JHWH יהוהhinzugefügt und hier ist die Zusammensetzung: הַ לְ לּויָּהHALLƏLŪ JĀH – preiset Gott! Wer den hilāl sieht, der darf also getrost „HALLELUJA“ rufen. 3 Die Wurzel h-l-l – Sprach- und religionsgeschichtlicher Kontext Wörter haben eine Geschichte und sie erzählen Geschichten. Oft werfen solche „familiären Verbindungen“ semitischer Wörter ein erhellendes 55
Licht auf den sprach- und religionsgeschichtlichen Kontext, auf die Gefühls- und Gedankenwelt der Sprecher, auf kulturelle und religiöse Vorstellungen und Gepflogenheiten. Eine Auswahl aus Wörtern der Wortfamilie h-l-l in weiteren semitischen Sprachen: Akkadisch (Sprache babylonischer Epen; das „h“ ist durch ein ḫ ersetzt und fällt am Wortanfang oft aus: ḫalālum aufhängen (wie die Mondsichel am Himmel; babylonisch). alālu ein frohes Lied singen; prahlen; feiern, jubeln. ellu(m) hell, leuchtend, (rituell) rein. elû(m) hoch; aufsteigen; erheben. Aramäisch (jahrhundertelang Verkehrssprache des Orients): הִ ילּולָא hillōlāʾ Hochzeitslied Syrisch (Kirchensprache der orientalischen christlichen Kirchen): ܗܠܠ halel lobpreisen, rühmen. ܗܘܠܠhwll Lobpreis; Hymne. Altäthiopisch (Gəʿəz, liturgische Sprache der Äthiopisch-Orthodoxe Kirche): tmhll tmhll anflehen. Gelegentlich sind aber auch noch ältere Sprachen vor Interesse. Auf ugaritischen Keilschrifttafeln ist etwa eine Gestirnsgottheit namens llH hll belegt (ugaritisch wurde ohne Vokalzeichen geschrieben und die Vokalisierung der Wörter ist daher unbekannt). Offensichtlich hat die Wurzel h-l-l die Grundbedeutung von „strahlen, glänzen“ und zugleich „anfangen, beginnen“. Dieser Zusammenhang ist leicht nachzuvollziehen bei einer Zeitrechnung, die auf Mondmonaten beruht. Diese Wurzel ist aber zusätzlich mit „jubeln“ und „frohlocken“ einerseits und mit „Furcht“ und „Schrecken“ andererseits assoziiert und das führt direkt zurück in die Vorstellungswelt der Frühzeit der Menschheit: Man stelle sich Menschen vor, die weder Straßenbeleuchtung noch Taschenlampen hatten, und für die das „Verschwinden“ des Mondes während der Schwarzmondphase immer wieder beunruhigend war: „Wird er wiederkommen, der Mond? Wirklich? Ist das sicher?“ Das mag eine bei jedem Schwarzmond (und erst recht bei jeder Mondfinsternis) wiederkehrende Furcht gewesen sein. Und dann – „oh! – da
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ist etwas zu sehen! Ganz schwach noch, aber da ist er wieder, der Mond.“ Und schon – nun, was werden alle Mondbeobachter jetzt tun? Hier können Sie sehen, wie die Zeichen sehr alter Schriften den ursprünglichen Begriff darstellten: Dies ist die Hieroglyphe des Wortes hillul (Jubel). Aus ihr wurde der Buchstabe h h des protosemitischen Alphabets und der noch älteren Wadi-el-Hol-Schrift: Ob die ehobenen Hände für die Anbetung des Mondes stehen (wie in der koranischen Erzählung von Abrahams Verwerfung der Gestirnsanbetung in Vers 6:77) oder ob sie den Dank an eine Hochgottheit ausdrücken, die den in der Unterwelt verschwundenen Mond wieder in den Himmel hat auferstehen lassen, ist den Schriftzeichen und Darstellungen nicht zu entnehmen. Beide Interpretationen sind denkbar und beide finden sich in Stele aus dem der wissenschaftlichen Literatur. kanaanitischen Hazor Y. Yadin, der die hier abgebildete Stele in Hazor 1 ausgegraben hat, assoziiert die Handhaltung mit der Ikonographie einer sehr viel späteren punischen Göttin namens Tanit, einer Gefährtin der Mondgottheit Sin2, denn er interpretiert die Form oberhalb der Hände als Mondsichel, die in südlicheren Breitengraden nicht senkrecht am Himmel steht wie in Mitteleuropa, sondern tendenziell eher waagerecht liegt wie eine Barke. Die urtümlichen sprachlichen Schichten sind aber nicht allein von kultur- und religionsgeschichtlichem Interesse, sondern eine Erinnerung daran, was „Lobpreis“ ursprünglich meinte: Die Erlösung aus einem Zustand existentieller Bedrängnis - veranschaulicht im Psalm 130: „Aus 1
Y. Yadin, Hazor: The Rediscovery Of A Great Citadel Of The Bible, 1975. Y. Yadin, "Symbols Of Deities At Zinjirli, Carthage And Hazor" in J. A. Sanders (Ed.), Essays In Honor Of Nelson Glueck: Near Eastern Archaeology In The Twentieth Century, 1970, S. 216-224.
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tiefer Not schrei ich zu Dir“ (in der Nachdichtung Luthers) – und der Wechsel zu Jubel und hingerissener Begeisterung. Auch die Volk Israel feierte den Neumond (ḫodæš) (Num 10,10; 28,11-15) in diesem Sinne. 4 Schriften im Gespräch – Psalm 117 Zwischen Bibel und Koran gibt es viele Parallelstellen. Gelegentlich ist zu lesen, dass die betreffenden Stellen im Koran plagiiert (oder gar missverstanden plagiiert) seien, aber das ist ein Missverständnis. Abgesehen von den Varianten in den schriftlichen Überlieferungen der Banū Isrāʾīl (Kinder Israels) und der Banū Ismāʿīl (Kinder Ismaels) beinhalten die Parallelstellen häufig ein Gesprächsangebot, und zwar in der Bandbreite von Anspielung – Wortspiel – Kommentar – Schwerpunktverschiebung - Hervorhebung anderer Aspekte durch eine Veränderung des Blickwinkels. Ephraim Meir spricht daher eher von „Verbindungen und Aspekten“, statt von „Gemeinsamkeiten und Unterschieden“, einer Redewendung, die die komplexen Beziehungen zwischen den abrahamitischen Religionen in eine allzu schematische Dualität fasst. Angelika Neuwirth hat anhand von Dtn 6,4 und Sure 112:1 exemplarisch ausgearbeitet,3 wie die Texte miteinander in Beziehung stehen können. Es muss aber nicht ein ganzer Koran- oder Bibelvers sein, die in Beziehung stehen. Oft sind die Verbindungen subtiler und allein schon aus den beiden Sprachen gemeinsamen Wortfamilien zu erschließen. Und es geht in beide Richtungen: Manchmal ist es ein arabisches Wort gleicher Wurzel, das ein Schlaglicht auf einen hebräischen Vers wirft, z.B. wenn die arabische Wortfamilie Bedeutungsnuancen enthält, die in der hebräischen Wortfamilie nicht (mehr) vorkommen oder eher in den Hintergrund getreten sind. Und umgekehrt genauso, versteht sich. Wenn – wie in einer hebräisch-arabischen Interlinearübersetzung – die Wörter Wort für Wort miteinander verglichen werden, dann wird deut-
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ANGELIKA NEUWIRTH: Der Koran als Text der Spätantike. Ein europäischer Zugang. Berlin [Verlag der Weltreligionen] 32013, S. 202f.
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lich, wie bereits auf der Wortebene durch sprachliche Mittel erzeugte „Verbindungen und Aspekte“ sichtbar werden (können). Mit dem Ausruf הַ לְ לּויָּהHALLƏLŪ JĀH „preiset Gott!“ beginnen oder enden eine ganze Reihe von Psalmen, die deshalb auch Hallel-Psalmen genannt werden und an bestimmten jüdischen Feiertagen rezititert werden. Hier sei kürzeste dieser Psalmen, der Psalm 117, für eine Untersuchung mittels hebräisch-arabisch-deutscher Interlinearübersetzung ausgewählt. Die Interlineartexte sind von links nach rechts zu lesen, so dass der deutsche Text hintereinander gelesen werden kann. Die hebräischen und arabischen Texte stehen in den Originalen in der entgegengesetzten Richtung. In den Erläuterungen wird jeweils erst das hebräische, dann das arabische Wort genannt. Der hebräische Artikel lautet HĀ- und der arabische (a)l-. Die Artikel in den Versen bleiben in den Erläuterungen unberücksichtigt, ebenso Konjunktionen wie we – wa- „und“ sowie Präpositionen wie le- – li- „in, an, für“ u.ä. Auch die Begadkefat-Lautverschiebungen werden weggelassen. Zu den hebräischen Wörtern werden möglichst arabische Wörter derselben Wurzel ausgewählt – selbst dann, wenn die Bedeutung nicht ganz identisch ist. Die Wortwahl wird dann in den Erläuterungen begründet. Dadurch ergibt sich für die arabischen Zeilen kein „schönes“ oder „gutes“ Arabisch (so wie in den deutschen Zeilen kein „schönes“ Deutsch steht), aber das ist auch nicht Zweck der Übung. Vielmehr sollen die Verwandtschaften dieser beiden semitischen Sprachen deutlich und für das Textverständnis fruchtbar gemacht werden. Zum Vergleich drei deutsche Übersetzungen von Psalm 117,1: Preiset, alle Weltstämme, IHN, rühmt ihn, all ihr Nationen! (BuberRosenzweig). Den Ewgen preiset, alle Völker ihn rühmet, alle Nationen! (Tur Sinai). Lobet den HERRN, alle Heiden; preiset ihn, alle Völker! (Lutherbibel 1912).
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הָ אֻ ִ ִּֽמים HĀ-
כָל־
שַ ְב ֗חּוהּו
ּגֹויִ ם
כָל־
יהוה
אֶ ת־
הַ לְ לּו
KĀL
ŠABBƏḫŪHŪ
GŌJÍM
KĀL-
JHWH
ʾÆT-
alle
lobpreist ihn!
Stämme
alle
GOTT
(Akk.part.) Jauchzet
HALƏLŪ
ʾUMMÎM Völker
zu!
َّْﺍْل ُ َﻡ ِﻡ l-ʾumami
ُ َّﻙـ ُّﻝ kullu
ُﺏ ُﺡﻭ َّﻩ َ ِﺱ sabbiḥuhu
َ ﺍ ْﻝ ِﺝ َّﻱَل ِﻥ l-ǧīlāni
ُ َّﻙـ ُّﻝ kullu
َّ ِ ِِل li-Llāhi
َﻭ َﻩ ِﻝـﻝُﻭﺍ hallilū
– hallilū. Wurzel h-l-l (s.o.). Imperativ: „Jauchzet (zum Herrn)!“ oder „Jubelt (dem Herrn) zu!“. KĀL – kullu. Wurzel k-l-l. Ursprünglich vermutlich „Kreis“, vgl. akkadisch kulūlu „Krone“ und kallu(m) „runde Schüssel“ neben kalû „alle(s), Gesamtheit“. GŌJÍM – ǧīlāni. Keine gemeinsame Wurzel. (Manchmal in Verbindung gebracht mit babylonisch gutû als Bezeichnung für ein wanderndes Bergvolk; „Guti“ wurde immer mehr zum Schimpfwort). ŠABBƏḫŪHŪ – sabbiḥuhu. Wurzel š-b-ḥ. Hierin stecken zwei Lautverschiebungen: - Š – s. Ein bekanntes Beispiel: ŠALOM – salām „Friede“. - ḫ – ḥ. Protosemitisch gab es zwei in der Kehle gesprochene Hauchlaute, nämlich ḥ und ḫ. In der arabischen Sprache sind beide erhalten, daher z.B. sabbaḥa „lobpreisen“ und sabaḫa „tief und fest schlafen“. Hebräisch sind sie zu ḫ zusammengefallen, daher bedeutet šabaḫ: a) loben, preisen; b) beruhigen, zur Ruhe bringen. Im Psalm werden zwei verschiedene Wörter für „lobt/preist!/“ verwendet, nämlich HALƏLŪ und ŠABBƏḫŪ. und das jeweils in Verbindung mit zwei unterschiedlichen Begriffen für Menschengruppen, nämlich GŌJÍM und ʾUMMÎM. Mehr zur Wurzel š-b-ḥ und zu den Kombinationen s.u., Abschnitt 5. ʾUMMÎM – ʾumami. Wurzel ʾ-m-m. Beide Wörter gehören zu derselben Wortfamilie wie das Wort „Mutter“, nämlich EMM – umm. Gemeint ist HALƏLŪ
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also eine Gruppe von Personen gleicher Abstammung, etwa von einer gemeinsamen (Ur-)Mutter. Psalm 117,2: Denn gewaltig ist über uns seine Huld, SEINE Treue währt in Weltzeit. Preiset oh Ihn! (Buber-Rosenzweig). Weil mächtig an uns seine Liebe des Ewgen Treue ewiglich! Preist Jah! (Tur Sinai). Denn seine Gnade und Wahrheit waltet über uns in Ewigkeit. Halleluja! (Lutherbibel 1912). ָיִּּֽה YĀH
הַ לְ לּו HALƏLŪ
לְ עֹולָם LƏ-ʿŌLĀM
יהוה JHWH
ֶ ִּֽו ֱאמֶ ת
WÆ-ʾ MÆT ḥAṣƏDŌ Æ
Jauchz in den Gotte und GOTT et zu! Welten s Treue َّ ِ ِِل li-Llāhi
ﻝﻝﻉ ٰـﻝﻡﻱﻥ َﻭ َﻩ ِﻝـﻝُﻭﺍ hallilū
li-lʿālamīna
ָעלֵּינּו ʿĀLĒNŪ
(Seine über ) Güte uns
َُﻭَّﺃ َ َﻡﺍﻥَ َّﺓ
َّ ِللا Llāhi
חַ ְסּדֹו
ُﺭﺡﻡﺕ ُ َّﻩ
ﻉﻝَﻱﻥَﺍ َ
wa-
raḥmatu ʿalaynā
ʿamānatu
hu
גָבַ ר GĀBAR
כִ י KI
es ist mächti Denn g ِْﺇ َّﺫ
ْ ﺏ َﺭ َّﺕ َ َﺝ ğabarat
iḏ
- iḏ. Gemäß der Bedeutung „denn“ ist iḏ die Entsprechung von KI. Das arabische Wort kai hat die Bedeutung „auf dass, damit“. Der Vers würde allerdings auch Sinn machen, wenn er mit „auf dass“ eingeleitet würde. GĀBAR – ğabarat. Ein arabisches Verb mit der Bedeutung „es ist stark, mächtig“ wäre quwiyat und das gehört zu einer ganz anderen Wurzel. Die Wurzel G-B-R – ğ-b-r hat auf Arabisch die Bedeutung „einrenken“ und von da aus verallgemeinert „wieder in guten Zustand bringen“. Die Bedeutung „stark, mächtig sein“ hat es nicht, obwohl Stärke implizit in den Akt des Einrenkens inbegriffen ist, aber eben nur implizit. alĞabbār „Der Wiedereinrenkende“ (59:23) ist einer der 99 schönsten Namen Gottes. ğabbār bedeutet aber auch „Zwang ausübend“ oder gar „gewalttätig, tyrannisch“. KI
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Auf Hebräisch bedeutet ָּ֫ ָּגבֶ רGEBER „Mann“ und ּגִ בֹורGIBBOR „stark, mächtig“. Der Eigenname ּגִ בָ ֵּריGIBBAR bedeutet „(Kriegs-)Held, Krieger“ (Es 2,20) und der starke Erzengel ּגַבְ ִריאֵּ לGABRI-EL (arabisch ğibrīl oder ğibrāʾīl) ist ein mächtiger „Mann/Held Gottes“. Ein ּגְ בִ ירGƏBIR ist ein ָ ְ ּגGEBURAH „Stärke, Macht“. „Herr(scher)“ (Gen 27,29 u. 37) und בּורה Auf Arabisch bedeutet ﺏ ُﺭﻭﺕ َ َﺝğabarūt „Allmacht“ und bezeichnet die Sphäre des prophetischen Ideals (Logos). ḥAṣƏDŌ – raḥmatuhu. Es könnte spekuliert werden, dass – mit einer Lautverschiebung zwischen ṣ und ḍ – das arabische Verb ḥaḍara „anwesend sein, da sein“ einst die Bedeutung „für j-d da sein“ gehabt haben und so mit חָ סֶ דḫĀṣÆD „Freundlichkeit, Güte; Huld“ verwandt sein könnte. Es kommt vor, dass die dritten Wurzelkonsonanten im Laufe der Sprachgeschichte variiert wurden, da es in diesem Fall dafür aber in keiner semitischen Sprache einen Beleg gibt, bleibt es auf Arabisch bei einer Ableitung aus der beiden Sprachen gemeinsamen Wurzel R-ḫ-M – r-ḥm, die im ursprünglichsten Sinn mütterliche Zuwendung bezeichnete. ʾÆMÆT – ʾamānat. Wurzel ʾ-m-n. Diese bedeutungsvolle Wurzel, die in den meisten semitischen Sprachen vorkommt, hätte einen eigenen Aufsatz verdient. Hier nur so viel, dass sie mit „ruhig, gelassen, sicher sein (geistig und seelisch); treu, zuverlässig, vertrauenswürdig, wahr(haftig) sein; sich sicher fühlen, sich anvertrauen“ zu tun hat. Der dritte Wurzelkonsonant N ist bei ʾÆMÆT „Treue; Wahrheit“ ist ausgefallen. Das arabische Wort ʾamānat bedeutet nicht nur „Treue“ sondern bezeichnet häufiger eine „Treuhandschaft“ und „anvertrautes Gut“: „Wir (Gott) haben das anvertraute Gut (al-ʾamānata) den Himmeln und der Erde und den Bergen angeboten, aber sie weigerten sich, es zu tragen, sie scheuten sich davor. Der Mensch trug es - gewiss, er ist sehr oft ungerecht und sehr oft töricht“ (Koranvers 33:72). Der arabische Kausativstamm ʾāmana die doppelte Bedeutung von 1. „Gewissheit (empfangen) haben = gläubig sein“ und 2. „Gewissheit, Sicherheit geben (106:4), sicher machen“ hat. Das dazugehörige Partizip muʾmin bezeichnet einerseits einen gläubigen Menschen, ist aber gleich-
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zeitig einer der Namen Gottes: Er ist Der Sicherheit Gewährende, Treue. Von dem dem hebräischen Verb אָ מֵּ ןʾĀMĒN– „fest, zuverlässig sein; unterstützen, festhalten“ – so wie starke Elternarme ein Kind tragen – ist u. a. das Wort ֱאמּונָהʾÆMŪNĀH „Festigkeit; Glaube“ abgeleitet als eine angeborene Überzeugung und Erkenntnis einer tief in der Seele verwurzelten Wahrheit, nicht als einfaches „für wahr halten“. Allen drei abrahamitischen Religionen ist das Wort אָ מֵּ ןʾĀMĒN – ʾāmīn gemeinsam, mit dem die Betenden bestätigen, dass das Gebet auch für sie selbst persönliche Gültigkeit besitzt. ʿŌLĀM – ʿālam. Wurzel ʿa-l-m. Auf Hebräisch hat diese Wurzel mit Jugend zu tun und auf Arabisch mit Wissen und davon ist abgeleitet ʿālam „Welt“ als das, woraus man Wissen erwerben kann. Das hebräische Wort ʿŌLĀM wird gewöhnlich übersetzt als „ewig“. Buber-Rosenzweig übersetzen es jedoch als „Weltzeit“. Damit beziehen sie die Wortverwandtschaft mit ʿālam „Welt“ mit ein und entfalten so eine aufschlussreiche Verknüpfung von Raum und Zeit, gewissermaßen: „in allen Welten und in allen Äonen“. 5 Zwei Arten von Lobpreisung Zu der protosemitischen Wurzel š-b-ḥ gehört auf Arabisch als Grundwort sabaḥa und in modernen arabischen Wörterbüchern steht dazu „schwimmen“. Wie kann daraus „lobpreisen“ abgeleitet werden? Da können Linguisten schon ins Schwimmen kommen. Der Zusammenhang zwischen Bewegung und Anrufung Gottes ist ist für heutiges Denken nicht unmittelbar offensichtlich. Ursprünglich bezeichnete sabaḥa sinngemäß sich vorwärts bewegen mit den vorherrschenden Kräften, etwa Wellen, Wind, etc. und intuitiv in der dem Medium angemessenen Art und Weise, z. B. gleiten, schwimmen (im Wasser mit Wellen und Strömung), schweben, fliegen (in der Luft mit dem Wind), mühelos laufen, gleiten (am Boden). Davon wurde als Intensiv- und Kausativform sabbaḥa abgeleitet: intensiv als beschleunigte und bewusste Bewegung (wie sabaḥa, nun aber mit voller Absicht und
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Zielbewusstsein statt intuitiv) und kausativ als eine solchen Bewegung veranlassend, in Gang setzend. Da Sprache etwas in Bewegung setzt, in archaischer Vorstellung sogar durch Anrufung des Wortes etwas gegenwärtig gemacht (s. Wurzel š-mw und dazu ha-šem) oder gar ins Leben gerufen wird (Adam und die Namen, Gen 2,19-20 und 2:32-34), wird aus dem „sich zielgerichtet Vorwärtsbewegen“ abgeleitet: „durch Worte auf etwas hinzielen, Abläufe in Gang setzen, Bewegungsrichtungen festlegen“, und hiervon wird dann abgeleitet: „etwas aussprechen, dessen Anwesenheit gewünscht wird; lobpreisen, verherrlichen“ und dabei sich selbst zu dem Gepriesenen hinbewegen. Daher auch trägt Jonas in muslimischer Tradition den Beinamen sābiḥu Llāhu „Lobpreisender Gottes“: Denn er lobpries Gott, nachdem er zunächst mit der Anweisung Gottes nicht einverstanden gewesen und daraufhin sehr gründlich baden gegangen war (37:139-148). Auch auf Aramäisch und Syrisch kommt die Bedeutung „loben, preisen“ und auf Akkadisch „beten, anflehen“ vor, aber nur in Altsüdarabisch ist die Bewegung noch erhalten, nämlich in sbḥ „Reise“. Auf Arabisch gibt es ein Wort, das speziell diese Art des Gebets benennt, nämlich tasbīḥ. Ein musabbiḥ, also einer, der tasbīḥ vollzieht, lobpreist etwas, was er oder sie sich präsent wünscht; wobei allerdings die Möglichkeit offen gehalten bleibt, dass das Gewünschte und Gepriesene längst da ist. Dennoch: Es bleibt der Wunsch – oder besser gesagt: die Bewegungsrichtung in die Zukunft –, es möge sich im Laufe der Lebensreise immer noch weiter entfalten und deutlicher manifestieren. HALƏLŪ – hallilū beschreibt eine Reaktion auf ein eindrucksvolles Ereignis: Solche Reaktionen zeigen alle Menschengruppen, also auch wilde und/oder gottesferne GŌJÍM – ǦĪLĀNI. “Noting the repetition of the word lk (kol), all, the midrash pondered the question: When is it that all nations and all peoples praise God at the same time? Their answer: When there has been a drought and then rain falls, ‘all the world rejoices and praises God’ (Midrash Psalms 117:1).
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An appreciation of the wonders of the world can unite all faiths and creeds.“4 – sabbiḥu beschreibt eine Aktion, dabei geht es um Ausdruck und Einsatz: ŠABBƏḫŪ
in Worten:
vom einfachen Dankgebet für die Fähigkeiten und Möglichkeiten, die Gott uns gegeben hat, bis hin zum Gedicht oder Kunstwerk – denn die Sprache ist eine besondere unter den natürlichen Fähigkeiten des Menschen,
mit in denen mit reiner Absicht gute Eigenschaften und Handlun- Fähigkeiten eingesetzt und entfaltet werden, wie z. B. durch gen: Fürsorge für die Familie, Zuverlässigkeit in kleinen wie in großen Dingen, Freundlichkeit, Streben nach Wissen und Verwenden des Wissens im Dienst der Mitgeschöpfe. tasbīḥ ist also etwas, das von Menschen(gruppen) mit besonderer Qualifikation erbracht wird, hier von ʾUMMÎM – ʾumami, die sich bewusst sind, woher sie kommen und also auch, wohin sie gehen wollen. Denn tasbīḥ erfordert aktives Hinbewegen und – jedenfalls bei Menschen bewusstes – Hinbewegen. Ein solcher Wechsel zwischen H-L-L und Š-B-ḫ findet sich auch in Psalm 106,47 zwischen LƏ-HIŠTABBÊAḥ und BI-ṯHILLĀṯEḵĀ, sowie Psalm 145,24 zwischen ĂHALLĀH, MƏHULLĀL und YƏŠABBAḥ. In beiden Psalmen kommt noch Ableitungen der Wortfamilie B-R-K – b-r-k „niederknien; segnen“ zu diesen Kombinationen hinzu und müssten bei einer sorgfältigen Analyse mit herangezogen werden. 6 Lobpreisung im Tanach und im Koran Nichtsdestotrotz ist tasbīḥ nicht auf Menschen beschränkt, denn es geht „mit dem Strom“. Es handelt sich um eine allen Wesen, und so auch dem Menschen, natürliche Bewegung: Alle, auch die alltäglichsten Handlun4
https://www.rabbinicalassembly.org/sites/default/files/public/jewish-law/holidays/orhadash-hallel.pdf.
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gen, können Gottesdienst sein, wenn sie im entsprechenden Geiste vollzogen werden. Das rituelle (drei oder fünf Mal tägliche) Pflichtgebet geht „gegen den Strom“, nämlich gegen das Mitgerissen-werden im Alltagstrubel der irdischen Welt, und ist eine allein dem Menschen auferlegte Verpflichtung, aber das ist schon wieder eine andere (Wort-) Geschichte. Die Schöpfung und alle Geschöpfe, die im Einklang mit der Schöpfung stehen, sind gut und enthalten in ihrem schieren Dasein ein immanentes Lob Gottes. In diesem Sinne lobpreisen alle Geschöpfe Gott, indem sie blühen, wachsen und gedeihen, ihre Lebensfunktionen ihrem Schöpfungszweck entsprechend ausüben, und schließlich noch mit ihrem Tod anderen Wesen nützlich sind. Das wird im Koran an mehreren Stellen auch explizit ausgesprochen, z. B. in der Sūra an-Nūr: „Hast du nicht gesehen, dass es Gott ist, Den alle lobpreisen, die in den Himmeln und auf Erden sind, und die Vögel auch mit ausgebreiteten Schwingen? Jedes kennt seine eigene (Weise von) Gebet und Lobpreisung. Und Gott weiß wohl, was sie tun.“ (24:41). Wohlgemerkt: die Vögel „mit ausgebreiteten Schwingen“. Da wird kein süßliches – und verlogenes – Bild vom fröhlichen Gesang der kleinen Vöglein bemüht, sondern es ist die Rede von ihren natürlichen Lebensäußerungen, mit denen sie ihren Platz im Schöpfungsganzen erfüllen, von ihrer natürlichen Lebensweise. … Wenn sich etwas so entwickelt, wie es seinen eigenen immanenten Gesetzmäßigkeiten entspricht, entsteht etwas Schönes. Wenn wir einer Pflanze die Möglichkeit geben, ihre Bestimmung zu erfüllen, entsteht etwas Schönes. Wenn wir einem Tier diese Möglichkeit geben, entsteht auch etwas Schönes. Und auch wenn wir Menschen diese Möglichkeit geben.5 Auch in der Bibel werden die Schöpfung und alle Geschöpfe an mehreren Stellen aufgefordert, Gott zu lobpreisen, ganz ausdrücklich in Imperativen zur Wurzel H-L-L (Ps 148,1-10): Sie sollen es tun. In die Reihe 5
Mehdi Razvi in Zusammenarbeit mit Halima Krausen: Entdeckungsreisen im Koran. Zwölf Lehrgespräche, Hamburg: EB-Verlag 2001, S. 163-165.
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dieser Imperative schleicht sich allerdings ein Indikativ ein: YƏHALLŪ „sie preisen“: Sie tun es ständig, denn: „denn er gebot, und sie waren erschaffen“ (Ps 148,5), und so auch in Ps 69,34 YƏHALLŪHŪ „es preisen ihn“ Himmel und Erde, die Meere und allwas sich drin regt. Dieser der Schöpfung immanente Jubel wird in der Bibel mit zahlreichen indikativischen Verben weiterer Wortfamilien beschrieben, die wahlweise mit „jauchzen, jubeln, frohlocken, sich freuen“ o.ä. übersetzt werden, so z.B. in Psalm 96,11-12 (ein Hallel-Psalm), Psalm 65,13-14 oder Psalm 89,6. Auch im Koran wird der Lobpreis der Schöpfung und aller Geschöpfe in mehreren Versen erwähnt, aber immer mit Ableitungen der Wurzel s-b-ḥ. „Siehst du nicht, dass (alle) Gott preisen (yusabbiḥu), die in den Himmeln und auf der Erde sind, und (auch) die Vögel mit ausgebreiteten Flügeln? Jeder kennt ja sein Gebet (ṣalātahu) und sein Preisen (tasbīḥahu). Und Gott weiß Bescheid über das, was sie tun“ (Koranvers 24:41). Besondere Menschen können sogar mit der Schöpfung in diesem Lobpreis in Einklang sein: „Und gedenke Unseres Dieners Dawud, des Kraftvollen. Gewiss, er war immer wieder zuwendend. Wir machten ja die Berge dienstbar, dass sie mit ihm zusammen abends und bei Sonnenaufgang (Gott) preisen (yusabbiḥna), und auch die (in Scharen) versammelten Vögel. Alle sind immer wieder Ihm zuwendend“ (Koranvers 38:17-19). Was allerdings die Menschen angeht und insbesondere ihre in der rabbinischen Auslegung erwähnte „appreciation of the wonders of the world“, so ist der Tonfall gelegentlich eher skeptisch: „Ihn preisen (tusabbiḥu) die sieben Himmel und die Erde, und wer in ihnen ist. Es gibt nichts, was Ihn nicht preist (yusabbiḥu); ihr aber versteht ihr Preisen (tasbīḥahum) nicht. Gewiss, Er ist langmütig, verzeihend“ (Koranvers 17:44).
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Das impliziert einen – wenn auch unausgesprochenen – Tadel: Wie taub und stumpf seid ihr doch! Seid froh, dass Gott so nachsichtig mit euch ist. Die Bibel ist in diesem Punkt zurückhaltender, denn sie stellt einfach nur fest: Ihre Lobpreisung ist (für euch) unhörbar, da sie nicht in (menschlicher) Sprache geäußert wird (Ps 19,2).
Pia Köppel ist Mitglied in der ‚Initiative für Islamische Studien e.V.‘ und arbeitet derzeit an einem Lehrbuch für Koranarabisch.
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‘Black, friendly letters’
Midrashic Voices and Dialogic Encounters in Anglo-Jewish Literature Martin Aaron Kindermann The relation between text and self in Jewish literature – as well as Judaism – is multi-layered and complex. The Hebrew word davar means “word”, “event” as well as “thing”, a nexus of meanings which hint at the material quality of language and the agency of the text. Letters are not only means for transmitting content nor are they merely the smallest unit in writing: From a religious perspective, they are entities on their own. As part of the Torah, they are also part and means of Divine communication, they are part of the Divine Names, they are, as the Talmud puts it, ‘black fire written on white fire’.1 The Torah is the blueprint and the means of creation. The midrashBereshit Rabba argues that the word b’reshit – the first word of the Torah, which is often translated as “in the beginning” – can just as well be read as “with the Torah” as the Torah is the beginning, the prerequisite to any creative process. (Bereshit Rabba, 1 § 1) The Hebrew word reshit (beginning) may also refer to the Holy Text and thus stresses its world-shaping and world-making qualities. Through studying, interpreting and commenting on the text, the reader engages in an interaction not only with the text itself but also enters a dialogic encounter with God. The text is a way to connect oneself to God, and simultaneously, it is the contact zone in which this encounter becomes possible. In galut, the exile of the Jewish people, the text provides the self with a sense of belonging. Consequently, the text has many layers: it is a surrogate home, a location as well as a part of religious 1
״.״ר׳׳פ ָבשם ָרשב׳׳ לָהתורה ָשנ תוָלו ָהקב׳׳ה ָלמשה ָנ תנהָלו ָאש ָלבנה ָחרותה ָבאש ָשחורה “Rabbi Pinchas said in the name of Rabbi Shimon ben Lakish: The Torah the Holy One, blessed be He, gave to Moshe, He gave as white fire engraved by black fire.” Talmud Yerushalmi, Shekalim 25b, my translation.
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practice, a place of encounter, a tool to establish dialogic situations, and a means of creation. In the following, I will examine how commentary tradition and Midrashic narrative are used in Anglo-Jewish writing to construct encounters in which the narration engages with the religious and secular literary tradition in the context of spatial representations. Encounters are used to constitute a polyphonic environment that allows for multiple meanings as well as for multiple voices to be heard. To sketch the development of this phenomena, I use two novels by Anglo-Jewish writers from the 19th and the 21st century: Israel Zangwill’s The Children of the Ghetto (1892) and Tamar Yellin’s The Genizah at the House of Shepher (2008). Both authors make use of strategies of commentary and encounter to relate the self to the text as well as to the community and to the religious traditions. I will show how religious discourses that stem from rabbinic literature provide Anglo-Jewish authors in the 19th century with a frame of reference to locate Jewish identity within a British environment. In a second step, I will outline how contemporary authors, like Yellin, draw on the literary tradition of Zangwill and others in narrating the Jewish self, and how the self-location of Jewish voices changes with regard to mobility in as well as interaction with the Holy Text and the commentary tradition. Herein it will become clear that contemporary authors like Tamar Yellin (or Naomi Alderman and Eve Harris, to name but a few others) show a heightened interest in religious narratives, which also have influenced authors in the 19th century. Yet, mobility in the context of intertextual encounters as well as spatial movements have changed considerably, which also hints at new strategies of self-location in an Anglo-Jewish context. 1 The Text as Contact Zone So far the influence of rabbinic writing and a rabbinic understanding of the text on English literature has been widely neglected by literary scholars. In one of the few publications on the impact of rabbinic
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thought on Western philosophy, Susan A. Handelman stresses the vital importance of this tradition to an understanding of, for example, postmodern thinking such as that of Jacques Derrida. (Handelman 1982) In the following, I will briefly outline the dynamic qualities of the Holy Text, as foregrounded in rabbinic literature, as a vital source to an understanding of the text that allows for multiple voices and meanings. Such an understanding is particularly interesting to a notion of the text that is based on disagreeing commentaries, perpetual re-interpretation, rewriting of narratives and the construction of diverging meanings. The process of interpretation itself should not be seen as distinct or even alien to the text, as Handelman argues: Thus, interpretation is not essentially separate from the text itself – an external act intruded upon it – but rather the extension of the text, the uncovering of the connective network of relations, a part of the continuous revelation of the texts itself: at bottom, another aspect of the text. (Handelman 1982, 39)
Therefore, studying the text as part of a constant process of interpretation does not only mean engaging with a text but also encountering it. Gershom Sholem stresses that commenting on a text inevitably establishes a dialogic relationship between text and commentator. (1970, 102) The spatial structure of the Talmud reflects this strong intertwinement of commentary and primary source: Whereas we find Mishnah and Gemarah in the centre of each page, the different commentaries are arranged around this centre. Only as a whole do primary source and commentaries make up the text. Interpreting and analysing texts through new narratives, as is achieved by the various Midrashim, goes far beyond an understanding of texts that only seeks to derive one single and distinct meaning. Through qualities such as these, the Holy Text is able to become a contact zone in which not only reader and text interact, but in which an interaction with the Divine takes place. From a rabbinic point of view, the Holy Text cannot be located at specific fixed coordinates in time and space.
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The Biblical text is not, according to the Rabbinic view, a material thing located in a single space and circumscribed by quantifiable time. […] In other words, in the Rabbinic view the Torah is not an artifact of nature, a product of the universe; the universe, on the contrary, is the product of the Torah. (Handelman 1982, 37)
The Torah, thus, is an all-encompassing prerequisite for existence as a whole, which, as the Gemarah clarifies, pre-dates creation: “The coveted and treasured [Torah] that was stored […] as a treasure for nine hundred and seventy-four generations before the creation of the world”. (Talmud Bavli, Shabbat 88b) Consequently, the text should not be seen as a mere means to communicate information through the centuries. Rather, the act of studying the text and commenting on the text is a form of religious performance as well as a method in theological discourse. The commentary is the location of interaction and a form of performative religious practice through which the self is able to encounter God. The text appeals to the self to respond in the form of commentary and thus engage in a dialogue. Following Avivah Gottlieb Zornberg, (1995, 28) this enunciation represents a fundamental human experience, in which human beings are called upon by the Divine ‘I am,’ the Anochi. Through answering the call, the self is constituted in performance by responding dialogically to what is experienced as the Thou. To the articulation of the Divine I at Mount Sinai, the Israelites respond by confirming this dialogic relationship, calling out נעשה ָונשמע, “we will do and we will hear”. (Ex. 24,7) Working with the text – studying it, commenting on it – is intertwined with daily actions, as these respond to the text. “And it is understood that one who does not study for the sake of ‘doing’ Torah is really ignoring the meaning of Torah. Indeed, all Ḥokhma or Wisdom is realized only in the acting out, in acts of loving-kindness.” (Steinsaltz 1999, 65) The rabbinic understanding of the text as essentially dialogic provides a vital source to my application of Martin Buber’s dialogic principle in I and Thou (1958): Buber characterises the interaction between self and
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others as inevitably dialogic. The ‘in-between’ is a zone of interaction where dynamic processes of encounter take place. Existence as a whole, according to Buber, is to be understood as an endless series of dialogic interactions through which the self recognises the other and constructs selfhood by experiencing the other. These relations are then articulated by the self in two distinct though strongly interrelated modes of speaking: through the primary words I-Thou and I-It. (Buber 1958, 3) Speaking the I-Thou means to encounter the other in unconditional and radical openness; it means to elevate the other from any form of objectification and thus from the world of the It, which is governed by knowledge, causality, space, time etc. “If I face a human being as my Thou, and say the primary word I-Thou to him, he is not a thing among things, and does not consist of things.” (Buber 1958, 8) In an unconditional encounter, the I refrains from objectifying the other according to the I’s conceptualisations and desires. To speak the I-Thou thus is to disengage from the IIt-relationship and construct relations which are not governed by subjective needs. The I-Thou implies mutuality in a dialogic encounter and therefore recognises the other as equal in dialogue. (Buber 1958, 15) In addition, experiencing the other as a Thou, the unconditional character of the interaction also implies an encounter with God: For he who speaks the word God and really has Thou in mind (whatever the illusion by which he is held), addresses the true Thou of his life, which cannot be limited by another Thou, and to which he stands in a relation that gathers up and includes all others. (Buber 1958, 75– 76)
This Divine Thou is experienced as an absolute other and at the same time as ever-present, the Thou that can never become an It. Encountering the worldly other always implies an interaction with the Divine Thou. 2 The Act of Telling – Israel Zangwill’s Children of the Ghetto The aspect of interaction is already prominent in the title of Zangwill’s well-known novel, The Children of the Ghetto. It uses a parent-child73
relationship to foreground the intimate connection of London’s East End to its Jewish inhabitants: Urban space is a parent to its residents who then again are children of their neighborhood. Thus, the East End is not only partly responsible for begetting its population but, in addition to this, it remains part of an ongoing interaction, a dialogue, in which residents constitute the space they live in, and vice versa.2 Yet space in The Children of the Ghetto is only partly responsible for bringing forth its inhabitants: Religious narratives are an equally creative force in the construction of the self. In combination, urban space and religious narratives interact dialogically, being equally part of the Jewish East End’s polyphonic environment of multiple meanings. In addition, through the interaction of narrative and spatial network, the East End, as portrayed by Zangwill, not only provides a contact zone but also a counter-space, in which the pressure to assimilate into the non-Jewish environment seems less daunting. The novel’s plot covers a time span between two Jewish festivals that are already associated with the act of narrating their underlying stories: Purim and Pesach. Various elements of the Jewish calendar and religious practice are used, such as the two festivals, Shabbat, an engagement party, and a Bar Mitzvah. By locating the plot between Purim and Pesach, the novel chooses a dialogic frame of reference that implies interaction with the narrative: On both holidays reading the story – the Megillat Esther and the Pesach Haggadah – and responding to the text by adding one’s own narrative is a central part of religious performance and a mitzvah, “so that you will remember the day of your departure from the land of Egypt all the days of your life.” (Deut. 16,3) In the context of zakhor-imperative, the commandment to remember, the act of telling is the means through which a collective memory narrative is actualised, articulated and commented on. Thus, an essential part of the Passover 2
For a detailed analysis of the literary implications of spatial relations in contemporary Anglo-Jewish writing: Kindermann, Martin. Zuhause im Text: Raumkonstitution und Erinnerungskonstruktion im zeitgenössischen anglo-jüdischen Roman. Berlin: Neofelis, 2014.
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celebration on the first two nights of the festival – the two Seder-Nights – is telling the story of the liberation in the Exodus and responding with one’s own stories, which constitutes a dialogic interaction. Zangwill’s novel depicts home celebrations for Shabbat evening (1892, 243) and the first Seder-Night, (1892, 317) through which the novel itself becomes part of the textual network of e.g. the Pesach Haggada, a particle in an ongoing communication of tradition and memory. It records religious performances and thus establishes a link in the relational network of collective memory associated with the festival. The intertwinement with Biblical pretexts is further used to stress the construction of Jewish memory in the East End. When Esther, the daughter of the pious but poor Moses Ansell, is introduced, (Zangwill 1892, 24) she is compared to Rebecca going to the well about to meet Abraham’s servant in search for a wife for his son Isaac. (Gen. 24) Through this, the text links Esther Ansell to the Jewish matriarch and locates the girl in the genealogy of Jewish women. Of course, her name, Esther, already links the girl to the Purim story in which Queen Esther’s clever plotting saves the Jewish people from death. Finally, the text proleptically connects its beginning to the end, in which Esther Ansell is presented as the future of Judaism in Britain. The outlook of the novel covers the city’s diversity as well as different articulations of Jewish selfhood. Here, the traditional religious practice of the East End community is confronted with assimilated Jews from West London: In the West End, synagogues are built to eke out the income of poor minyanmen or professional congregants; in the East End, rooms are tricked up for prayer. This synagogue was all of luxury many of its Sons could boast. It was their salon and their lecture-hall. It supplied them not only with their religion but their art and letters, their politics and their public amusements. It was their home as well as the Almighty’s, and on occasion they were familiar and even a little vulgar with Him. (Zangwill 1892, 162–163)
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East End synagogues are centres of social and religious life, putting these two spheres into a close connection; through this the synagogue becomes literally a Beit HaKnesset, a house of meeting, of interaction and encounter with the human other as well as with the Divine Thou. Further, it highlights encountering the Holy Text in a line with meeting the human other and attaching oneself to one’s religious practice. Zangwill’s novel confronts this religious frame with the younger generation’s loss of traditions and knowledge. The contact zone in which the Thou can be encountered is always fragile and contested. When a young man, Samuel Levine, jokingly recites the Hebrew marriage blessing while giving his friend Hannah Jacobs the ring intended for his fiancé Leah, the young people all of a sudden see themselves confronted with the deep underlying authority of the Hebrew language. Inconsiderate use of a language which has the potential to literally build and destroy worlds is revealed to have serious consequences. Samuel and Hannah unintentionally marry according to Halachah, on which Moses’ sister-inlaw Malka cannot help but comment: “These are your English Jews, who make mock of holy things.” (Zangwill 1892, 81) The implied opposition between an assimilated generation of “English Jews” and the traditional newly arrived Ashkenazi immigrants from Eastern Europe is stressed by the novel time and again. The former’s lack of knowledge articulates a serious dysfunctionality in the interaction that actually should provide for a communication of traditions and rituals. After Samuel and Hannah acquire a get, a halachically valid divorce, Hannah realises that she won’t be able to marry her beloved David Brandon who is a Cohen, a descendant of the priestly lineage and thus forbidden to marry a divorced woman. All of a sudden the mocking use of Hebrew as a joke shows its serious consequences, on which David warns Samuel: “No more Hebrew. Remember what happened last time. Perhaps there’s some mysterious significance even in that […].” (Zangwill 1892, 296) But the influence of the religious narrative is even stronger: Although Hannah at first agrees to David’s proposal to forsake Jewish Law, flee to the U.S. and
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marry him there in a civil marriage, she suddenly finds herself emotionally unable to do so on the first Seder-Night. The narrative told on this night is a bond which obviously cannot be broken as it reminds Hannah of the covenantal relationship between the Jewish people and God. Zangwill’s text here adds another narrative to the network of commentaries and is itself a response to the articulation of the Holy Text. Thus, the novel, in representing the Jewish space of the East End seeks to open up a contact zone in which encountering the Holy Text becomes possible. And at the same time, it represents the East End as counter-space in which the Ashkenazi-traditions of its inhabitants survive despite the dominant non-Jewish environment. In the novel assimilation equals oblivion, because in the English cultural frame of belonging, accommodating a Jewish past makes Jewish present seem impossible. Despite this, Jewish selfhood in London is voiced in multiple ways. Clearly, Zangwill’s text foregrounds the religious frame of reference as well as the Zionist narrative as counter-spaces to the British sphere. Although Esther’s heightened interest in English literature foregrounds her cultural hybridity, she still remains firmly rooted within the frame of her religious traditions. Rather, she is able to construct a new frame of multiple valences, in which rabbinic tales, Talmudic discussions and Biblical narratives co-exist with English literature. Esther’s conscious as well as creative interaction with different sorts of texts is contrasted to the inconsiderate use of language by Samuel who is oblivious of its power. At the end of the novel Esther is part of multiple narratives and yet clearly centred in the religious frame of reference: In the garret of Number 1 Royal Street little Esther Ansell sat brooding, her heart full of vague tender poetry and penetrated by the beauties of Judaism, which, please God, she would always cling to; her childish vision looking forward hopefully to the larger life that the years would bring. (Zangwill 1892, 332)
Through these polyvalent and at times conflicting relations of Esther the text does reject an all too easy solution for the diverging memory tradi77
tions between the generations as well as between the cultural narratives of Britain and the Jewish tradition. Rather, the novel stresses the impossibility of such an endeavour: It is Esther’s position in-between – which following Buber is a highly dialogic one – that is able to articulate a conceptualisation of an Anglo-Jewish self. And at the same time, this hybrid speaker-position opens up possibilities to perform a Jewish identity still grounded in Scripture within the British frame of reference. 3 The Textual Network Dissolving? Tamar Yellin’sThe Genizah at the House of Shepher The dialogic interaction of the rabbinic commentary tradition, which constitutes a shaping force in Zangwill’s novel, is further developed in contemporary Anglo-Jewish writing, such as Yellin’s novel The Genizah at the House of Shepher. Yet, Zangwill uses Midrashic commentaries to connect the self to the Divine Thou through speaking the I-Thou of the community. In Yellin’s text, on the other hand, the commentary becomes a means to negotiate a destabilisation of common ideas of narrative and the construction of meaning from the Holy Text. Through employing rabbinical narratives, her novel implicitly rejects the idea of a deconstruction of meaning. Rather, it seeks to foreground an understanding of narratives that questions linearity and, at the same time, highlights the possibilities of the commentary to provide the self with a suitable location. Thus, despite the overwhelming destabilisation of semantic relations as experienced by the protagonists, a connection between self and the Holy Text can be established. Through multiple narrative voices, which constantly re-interpret events, a much more mobile and dynamic mode of spatial narrative can be achieved as it is the case in Zangwills’s text. The Genizah at the House of Shepher questions a notion that misinterprets history as a linear narrative. The urban space of Jerusalem is soaked with endless memories and tales, which pile upon each other just as debris of a building would. Thus, the novel rejects the idea of linearity
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with regard to memory and narrative alike: “Jerusalem lay sleeping on the ashes of her seventeen destructions. Houses were built upon houses; ruins tottered on a foundation of ruins. Sometimes there were earthtremors and the ruins collapsed down into each other like an ancient honeycomb.” (Yellin 2008, 20) Memory is first and foremost a narrative and yet it is not a residue of writing layered upon writing; rather, the pieces are broken into smaller pieces, layers infiltrate each other until the once distinctive parts become indistinguishable. Memories are put into a relationship similar to text and commentary, in which different textual levels infiltrate each other, so that any reading has to consider the primary text as well as different interpretations added throughout the centuries and yet rejecting linearity in time as well as space. It does not come as a surprise that Yellin’s novel uses the commentary structure in its literary representation of the Holy City. Jerusalem has many different layers when it comes to space, memory and narrative. Shalom Shepher, the narrator’s great-grandfather, experiences the 19th-century city on multiple levels: “There was the city of streets and there was the city of roofs. It was possible to cross Jerusalem without setting foot on the ground.” (Yellin 2008, 17) Just as the Holy Text holds hidden interconnections and pathways to be discovered through intense study, the actual city is made up of hidden alleys and passageways. It is not enough to rely on visual perception to find one’s way in this city, rather one must consult religious narratives and commentaries as a map to find links, which give access to different levels. Similarly, the commentaries provide the reader with clues and openings in the textual network that hint at new ways of elucidating the text and to combine seemingly oppositional positions in the interpretation of the Holy Text. With the focus on Jerusalem as a genuinely Jewish space, the novel draws on the tradition of authors like Zangwill, by foregrounding the intertwinement of the spatial network and Holy Text. Yet, Yellin’s novel is able to transcend the idea of space and commentary providing a location from which to avert the loss of
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tradition, in favour of exploring the commentary as a means to navigate seemingly inaccessible parts of narrative and space alike. The novel connects this complex structure with the negotiation of belonging, the idea of which, at first glance, it seems to reject: Driven by a yearning for the other place as articulation of the galut-experience, Shalom Shepher moves from Bielsk to Jerusalem. But here his spatial longing for Eretz Yisrael gives way to a messianic longing which pushes him further East in search of the ten lost tribes. Rootlessness is thus presented as a fundamental experience in what it means to be a member of the Shepher family: The search for fixed coordinates in space and time, which would provide the self with a sense of belonging somewhere, becomes an obsession and is also an articulation of a restlessness which can never be fulfilled. This leaves the self prone to disorientation when confronted with endless possibilities in the construction of meaning, with regard to the self as well as to the text. For the narrator’s father, Amnon Shepher, the inability to settle in space and time results in a state of constant indecision. Narratives are re-told, meanings derived in new ways and interpretations linked to new sources and different commentaries. Amnon’s fixation on locating himself in space and time as an articulation of belonging represents a failed dialogic interaction with his personal as well as his family’s narrative. It leaves Amnon forever yearning for the other, dismissing the present: “And it seemed to him, too, that he had never lived in the moment, but only ever in some future moment, torn and distracted by the thousand and one things he might have done with his life, powerful but always undecided […].” (Yellin 2008, 322) He remains trapped in a notion of history that is based on an I-It-relationship, governed by space and time. His obsession to establish a linear sequence of events that would allow for only one interpretation – which would then again allow for a stable self-location – makes it impossible to transcend the world of the It in favour of articulating the IThou.
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Consequently, his daughter Shulamit, the narrator of the novel, rejects the idea of belonging altogether, seeing herself as a “tree without roots, a building without foundation, ready to blow away in the first wind.” (Yellin 2008, 38) Here, she formulates an ideal of an existence devoid of roots. Although this notion implicitly questions processes of dialogic interaction – relating to a Thou implies having a connection to the other, however fleeting it may be –, Shulamit nevertheless hints at a new understanding of roots: Belonging as belonging to the text and claiming one’s place in the commentary. The novel constantly proposes plot variations, which basically are Midrashic stories, e.g. when Shulamit locates her family within the 40year wandering in the desert in the book B’midbar. What a role my ancestors played in these great events I can’t be sure, though I feel fairly certain it wasn’t a prominent one. Most likely they formed part of that chorus of complainers who drove poor Moses to strike the rock instead of speaking to it at the waters of Meribah, a crime for which, we are told, he was refused entry to the Promised Land. My ancestors, however, entered the Promised Land. And since they were members of the tribe of Judah they settled in that area between Hebron and the plain, in the hills surrounding the future Jerusalem. (Yellin 2008, 88)
This location within the Biblical narrative introduces an additional voice, which at the same time highlights narrative variance as well as a response to the Holy Text in dialogic interaction. The novel draws on Chasidic tales of great Rabbis, Tzadikim with a special connection to the text and outstanding abilities when it comes to navigating the relational network of the textual traditions and searching new connections to explore hidden links. The attic of the Shepher house is envisioned as a genizah, a place where flawed scrolls are stowed until they can be properly buried according to Halachah. Yet, the attic as genizah is not a place of decomposition but of possibilities: It is here that a multitude of voices, commentaries, readings and textual variants is interconnected.
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For a long time I linger in the attic. And I think of all the other manuscripts and all the other attics: of the vanished codices and vanished truths; of the synagogue of Bielsk which was burnt along with the members of its congregation; and of the hundreds and thousands of forgotten souls, the lost members of a vast and scattered clan: the Shephers, the Shaffers and the Shaeffers, the Shifrins and Shapiros and Shapiras, the Siffres and the Saffres of whom no shoe or glove remains, whose very bones are the dust now circling the earth; and of all those texts which because of their many errors could not be used, and which because they bear the name of God will never be destroyed. (Yellin 2008, 338)
The texts defy space and time, and they present hidden possibilities and variant narratives. Forgotten souls and forgotten texts are linked up to a point where they become indistinguishable, so that, just as the texts cannot be destroyed because they bear the holy four-letter name of God, the souls cannot be obliterated as they, in reference to the creation narrative from the book B’reshit, are created b’tzelem Elokim – in the image of the Divine Thou. This defiance towards monosemy influences how Shulamit herself perceives her role as a narrator within her own family history. Realising the fragility of relations within the textual network, she – in opposition to her father Amnon – does not succumb to stasis, petrified by endless possibilities. Rather, she refuses to give in to her father’s obsession with linearity and fixed coordinates by advocating a mobile floating location, which hints at a flexible as well as agile position within the narrative. A train is used to negotiate this mobile location: The train carries me into a night territory, warm sea-drenched darkness, glittering distances, lozenges of yellow light. […] I think I have reached the warm heart of my life, the one place of safety, here on this train which might travel indefinitely so far as I am concerned and never reach its destination, I think I am lingering at the midpoint, without regret for the past or fear for the future: only a floating calm, a clear wisdom. I have travelled a long journey, away from the old uncertainties, the old confusions, to a new floating, undiscovered place. (Yellin 2008, 305)
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Foregrounding that any location – spatial or textual – can only be a proximity, Shulamit realises that her very centre – the “warm heart” of her life – lies in motion. She is now able to claim the network itself, the “floating, undiscovered place” as her home. Through this she stresses an understanding of selfhood that is not linked to specific places but to a narrative tradition that provides her with the openness to engage in a dialogic encounter with the Thou. Through these narratives, which are told by many different and often conflicting voices, she can finally make her own voice heard, and thus claim authority within her literary tradition, constituting an I in relation to the other. Simultaneously, she thus responds to the commentaries of rabbinic literature from the perspective of a Jewish female writer in the twenty-first century. Shulamit decides to pass on her narratives to her niece, who up until then is completely unaware that she is even Jewish. I thought I would tell her […] of where these seeds came from: of how her own grandfather planted their ancestors. I would tell her about the house, about her many relatives. There were so many stories, now, that I could give her: stories of Metatron and Sandalfon, fables of Moses, myths of the ten lost tribes beyond the River Sambatyon […]. (Yellin 2008, 325)
The cypress seeds, on the one hand, trigger the narrative: “I would tell her […] of where these seeds came from.” Through this, the girl – who does not have a family narrative – is introduced to a rich body of stories in the Shepher family. Thus, she is provided with relations to a network of memories. Similar to the seeds of her ancestors, who claimed Jerusalem for themselves as a location, she is planted within a highly dynamic system of intertwined stories. On the other hand, Shulamit finds an expression for her new sense of belonging. Just as her own ancestors once planted the seeds in Jerusalem, she locates herself as an author in the commentaries of her family narrative, and, implicitly, of the fast narrative tradition of Judaism. Belonging is neither a seemingly natural state of being nor a totally random decision. It is the location of the self with-
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in a network of articulations in an on-going encounter of the I and the human as well as the Divine Thou. At first the novel deconstructs notions of belonging in favour of fragmentation, in which protagonists like Amnon lose themselves in an obsession to establish fixed coordinates that would help to construct a coherent, static self in space and time. In opposition to this, Yellin’s text stresses a different understanding of narrative and selfhood: a polyphonic narrative which allows for the interaction of voices as well as for conflicting interpretations only to derive meanings based on multiplicity and the relational character of dialogic interaction within the textual network. The Shepher family history is presented from a rabbinic understanding of the text, in which conflicting voices and interpretations co-exist and in which polysemy is understood as an access point to deeper levels of the semantic network. By narrating her story, Shulamit claims her location within the network and develops her narrative voice from an I-Thou relationship; at the same time, she adds new perspectives to the body of commentaries. The rabbinic notion of the text, which recognises its ability to bring together contradicting voices, is used by the novel to argue an understanding of narrative that, on the one hand, questions linearity and static structures and, on the other hand, embraces polysemy. Thus, polysemy becomes a key concept in the novel’s narrative design. Handelman points out: “Rabbinic thought developed the doctrine of polysemy as opposed to polytheism: the multiple meanings that may be heard or read within the Word, rather than the many gods which may be seen.” (1982, 34) The novel does not reject the idea of rootedness but, on the contrary, shows how polysemy articulated in commentaries and variant interpretations open up new possibilities to relate to the textual tradition, that is an essential part of belonging. By claiming mobility as location in the textual tradition, the fleeting and fragile locations of selfhood are embraced while the text is simultaneously cherished as home.
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4 Conclusion: Voices from the Commentary Commentary tradition and dynamic processes of encounter are strong shaping forces in Anglo-Jewish writing, as both novels show. On the one hand, of course, the interaction with the Jewish tradition connects the literary text back to the cultural and religious narratives of Judaism. On the other hand, the use of a Midrashic form of narration – an interpretation through a unique new narrative which adds to the relational network of the text – is able to voice dialogic encounters, which are prominent in both novels. Through this, it becomes obvious that the mode of Midrashic narration utilised by Zangwill’s text has to be perceived as a vital influence on contemporary authors such as Yellin. When negotiating questions of Jewish selfhood in Britain, The Children of the Ghetto does not propose a naively optimistic mending of ruptures. The religious tradition here offers a means to reject the pressure to assimilate to the British environment. It does not come as a surprise that Zangwill uses the East End to negotiate the location of Jewish identity in the spatial network. As a space influenced by immigration, the East End is a space of multiple voices. But, as the decline in versatility with regard to the religious and cultural tradition shows, loss of knowledge nevertheless leaves the younger generation prone to the destabilisation of mnemonic narratives and thus of collective memory as a network which is essential to the formation of identity. Yet, the novel proposes strategies of self-construction that seek to come to terms with the schism between Jewish and English narratives and thus accept the validity of the respective narrative by foregrounding processes of encounter. Zangwill’s text draws on the importance of dialogic interaction to re-establish connections within the collective memory which have become forgotten throughout the process of acculturation. It is surely too far-fetched to make out any advocacy of a third way between assimilation and isolation within the novel. But the dialogic character of various interactions used in the text’s narrative design – such as interaction with Biblical texts and rabbinic traditions – opens a contact zone, in which the uncon-
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ditional encounter with the Thou of the other might find a possible location. The Genizah at the House of Shepher, on the other hand, negotiates belonging from a starting point in which locating the self seems no longer possible. The religious text here at first glance presents the self with an overwhelming multitude of voices so that some protagonists fall to stasis. Yet, the location within the mobile although fragile realm of the textual dynamics of the commentary is finally embraced by Shulamit. She highlights this location because it allows for an access point to deeper levels within the reading and, simultaneously, for a re-evaluation of the concept of belonging. The semantic frame of trees, roots and seeds is used to negotiate belonging as neither inevitable nor random. The text provides a dynamic location from which conflict and polysemy can be embraced as transcending a stasis that stems from the obsession with fixed coordinates in space and time. In Children of the Ghetto, a suitable location in the temporal and spatial network is aimed at through relating the self to the dynamic commentary tradition. Yellin’s novel does not seek to construct such safe spaces to articulate a Jewish identity, rather, it stresses the fluidity and the highly dynamic character of the spatial network through embracing the commentary as location. Through this, a perspective is developed based on a rabbinic understanding of the text which sees polysemy not as a destabilising force inimical to an understanding of the narrative, but rather cherishes polysemy as a richer semantic network in which the text can be explored. In contrast to Zangwill’s novel, this shows how contemporary authors like Yellin do no longer use spaces of encounter to construct counter-spaces to assimilation. Rather, through locating oneself in the text, the margins of the network can be explored in a similar manner as marginal commentaries provide essential perspectives to the reading of the Holy Text. This heightened interest of contemporary Anglo-Jewish authors in the location within the commentary hints at a new understanding of selfhood
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that – through the network of narratives – seeks to engage in as well as explore the dynamics of encounter. Works Cited ---. Fragments of Redemption.Jewish Thought and Literary Theory in Benjamin, Scholem, and Levinas. Bloomington, IN / Indianapolis, IN: Indiana University Press, 1991. Buber, Martin. I and Thou.From the German by Ronald Gregor Smith. Edinburgh: T. & T. Clark, 1958. Handelman, Susan A. The Slayers of Moses. The Emergence of Rabbinic Interpretation in Modern Literary Theory. Albany, NY: State University of New York Press, 1982. Heschel, Abraham Joshua. The Prophets. New York, NY: Harper Perennial, 2001. Kindermann, Martin. Zuhause im Text: Raumkonstitution und Erinnerungskonstruktion im zeitgenössischen anglo-jüdischen Roman. Berlin: Neofelis, 2014. Scholem, Gershom. Über einige Grundbegriffe des Judentums. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1970. Steiner, George. “Our Homeland, the Text” (1985).No Passion Spent, Essays 1978-1996.London / Boston, MA: faber and faber, 1996, 304–327. Steinsaltz, Adin. The Candle of God.Discourses on Hasidic Thought.From the Hebrew and ed. by Yehuda Hanegbi. New Milford, CT / London / Jerusalem: Maggid, 1999 Talmud Bavli. Schottenstein Daf Yomi edition. Rabbi Hersh Goldwurm (ed.) New York, NY: Mesorah, 1996. Talmud Yerushalmi: online: https://www.sefaria.org/texts/Talmud/Yerushalmi. The Torah: With Rashi’s Commentary translated, annotated, and elucidated. 17 Vol. Rabbi Nosson Scherman / Rabbi Meir Zlotowitz (ed.). New York, NY: Mesorah, 2003.
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Yellin, Tamar.The Genizah at the House of Shepher. New York, NY: St. Martin’s Griffin, 2008. Zangwill, Israel. Children oft he Ghetto.A Study of a Peculiar People (1892).Black Apollo Press, 2009. Zornberg, Gottlieb. Avivah. The Beginning of Desire.Reflections on Genesis. New York, NY: Schocken, 1995.
Dr. Martin Aaron Kindermann ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Hamburg und Mitglied der Jüdischen Gemeinde Hamburg.
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Im Spiel mit den Anderen
Gedanken zur Rolle des Spiels für eine interdisziplinär ausgerichtete Lehre1 Mehmet Kalender Einleitung „In different religions, one may frequently hear the claim that only its adherents can understand what a particular religion is about: only Jews understand Judaism, only Christians understand Christianity, and so on. I do not agree with this standpoint, since I believe that communication between people is possible and, therefore, notions and ideas belonging to one religion are to a certain extent comparable to and translatable into terms and ideas of other religions. True, one has to be careful, since the same words may have different meanings in different religions.” (Meir 2014, 132)
Ephraim Meir beschreibt hier mit wenigen Worten die grundsätzliche Problematik interreligiöser Verständigung angesichts einer fehlenden gemeinsamen Konzeptsprache der religiösen Traditionen und die Notwendigkeit der Übersetzungsleistung, wenn dieser auf das gegenseitige Verstehen gerichtete Austausch gelingen soll. Sein positivistischer Ansatz dazu: Im Dialog treten sich zuallererst Menschen gegenüber und Menschen sind in der Regel unterschiedlich und kommunikationsfähig. Das heißt, vorausgesetzt eine gewisse Übersetzungsbereitschaft und ein Wille zum Verstehen sind gegeben – und sie sind es, denn sie sind die Grundbedingung für soziales Leben überhaupt – ist Kommunikation 1
Die Stoßrichtung dieses Beitrags basiert u.a. auf Erfahrungen, die ich im BmBFgeförderten Projekt „Religion und Dialog in modernen Gesellschaften“, kurz ReDiProjekt, an der Universität Hamburg gemacht habe. Nähere Informationen zum ReDiProjekt gibt es hier: https://www.awr.uni-hamburg.de/forschung/redi-projekt.html (letzter Zugriff: 30.08.2018). Als kleine Vorüberlegung mag der Blog-Beitrag „Verspielte (Religions-)Wissenschaft?!“ gelten, den ich 2018 für "| Marginalien – Religionswissenschaftliche Randbemerkungen" verfasst habe. Nicht zuletzt danke ich meinem lieben Kollegen Thorsten Wettich für wertvolle Hinweise.
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über Grenzen hinweg möglich.2 Meir bezeichnet die entsprechende Grundhaltung dazu als trans-different (vgl. Meir 2014, 132). Die Feststellung, dass bei der Übertragung von Begriffen aus einem in ein anderes religiöses Zeichensystem unbedingt Vorsicht zu walten hat, ist nicht zuletzt auch in die Religionswissenschaft programmatisch eingeschrieben. So ist es spätestens seit der kulturwissenschaftlichen Wende des Fachs in den 1980er Jahren ein Kernanliegen, angesichts vielfältiger Objektsprachen (gemeint sind die in den jeweiligen religiösen Traditionen ausgebildeten Zeichensysteme) metasprachliche Konzepte zu entwickeln (vgl. Gladigow 1988), die eine Vergleichbarkeit herstellen und so den analytischen Zugriff ermöglichen. Dabei ist bei einer engen Auseinandersetzung mit dem Feld und seinen Akteuren klar, dass metasprachliche Konzepte den Vergleich ermöglichen, sie der vergleichenden Arbeit aber auch entspringen. Die vergleichende Herangehensweise kann also als grundlegendes Kennzeichen der Religionswissenschaft gelten (vgl. Freiberger 2011, 215f.). Sowohl im interreligiösen Austausch als auch in religionswissenschaftlicher Arbeit sind der sensible Umgang mit Konzepten und die Identifikation von Ähnlichkeiten und Differenzen also unabdingbar. Es gibt jedoch einen entscheidenden Unterschied. Während im interreligiösen Austausch die Arbeit miteinander (also das direkte Aufeinandertreffen unterschiedlicher Zeichensysteme) im Vordergrund steht, bildet die Religionswissenschaft sozusagen als Beobachterin mehrerer Zeichensysteme eine eigene Sprache aus, die sie (zwar in Auseinandersetzung mit dem Feld und seinen Akteuren3, aber dann) zunächst vor allem innerhalb der eigenen Disziplin verhandelt. Strukturell ähnlich zum interreligiösen Austausch verhält es sich dagegen schon eher, wenn Religionswissen2
Zur kulturgeschichtlichen Bedeutung der Übersetzungsleistung gibt es einen wissenschaftlichen Diskurs, der bereits in den 1980er Jahren eingesetzt hat. Vgl. hierzu die Ausführungen zum „Translational Turn“ von Bachmann-Medick (2010). 3 Die Haltungen (bzw. Nähe und Distanz) des Forschers zu seinem Feld können unterschiedlich schattiert sein und bewegen sich zwischen absoluter Beobachtungsrolle und vollständiger Teilnahme. Vgl. hierzu Knott 2005.
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schaftlerInnen in einen interdisziplinären Austausch mit VertreterInnen anderer akademischer (theologischer wie nicht-theologischer) Fächer eintreten. In diesem Fall wird aus der generierten (und eigentlich immer in Aushandlung befindlichen) religionswissenschaftlichen Metasprache eine disziplinäre Objektsprache mit eigenen Konzepten, die zur fachübergreifenden Verständigung übersetzt werden müssen.4 Hier wie dort stellt sich hinsichtlich grenzübergreifenden Austauschs die Frage, auf welche Weise und unter welchen Bedingungen die Begegnung gestaltet werden sollte, um sie gelingen zu lassen und wie wir dies zumindest für das Interdisziplinäre in der universitären Lehre fördern können. Mein kurzer Beitrag zielt weder auf eine Auseinandersetzung mit den theoretischen Grundlagen einzelner akademischer Disziplinen zu fachübergreifender Arbeit5, noch auf allgemein kommunikationstheoretische Zugänge oder eine Evaluation von Lehrplänen zu bestehenden praktischen Ansätzen. Im Folgenden möchte ich das Augenmerk vielmehr auf einige Gedanken zur Verbindung von Spiel und interdisziplinär orientierter Lehre lenken. Dazu werde ich zunächst auf Interdisziplinarität eingehen, anschließend Johan Huizingas kulturhistorische Perspektive auf das Spielen aufgreifen und schließlich mit Blick auf die interdisziplinär orientierte Lehre auf den Zusammenhang von Wissenschaft, Spiel und Wissenstransfer zu sprechen kommen.
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Ich gehe weder hinsichtlich der religiösen Traditionen noch mit Blick auf akademische Disziplinen davon aus, dass diese in luftleerem Raum entstanden sind und sich wie in einer sterilen Blase ohne Kontakt zur Außenwelt weiterentwickelt haben. Der Verweis auf das Andere gehörte und gehört stets zur Entwicklung eines Selbstverständnisses dazu und so sollte jede religiöse Tradition und jede akademische Disziplin auch als (Zwischen-)Ergebnis dieser Auseinandersetzung verstanden werden. Vgl. zur Rolle von Fremdreferenzen beispielsweise Grünschloß 2002. 5 Mit Blick auf die Religionswissenschaft wäre das nicht zuletzt das Verhältnis zur Theologie. Für eine Auseinandersetzung mit den Gemeinsamkeiten und Unterschieden in den Voraussetzungen und der Vorgehensweise beider Disziplinen siehe ebenfalls Grünschloß 2002.
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Wünschenswerte Interdisziplinarität Zunächst ein paar Sätze zur Rolle der Interdisziplinarität: Während vergangene Zeiten noch Universalgelehrte hervorgebracht haben, die gewissermaßen interdisziplinäre Personalunionen darstellten, gibt es heute im Zuge gewaltiger Wissensexpansionen eher eine bunte Landschaft disziplinärer Spezialisten und thematischer Experten. Vor diesem Hintergrund erscheint der Ruf nach interdisziplinärer Arbeit verständlich und naheliegend, wird die multiperspektivische Betrachtung eines Problems doch allgemein als vorteilhaft für seine Lösung erachtet. Doch inwiefern werden die Fähigkeiten zu interdisziplinärer Arbeit, d.h. zur Arbeit über disziplinäre Grenzen hinaus, im Studium eigentlich geweckt und gefördert? Oder in Meirs Worten gefragt: Auf welche Weise kann eine trans-differente Haltung für den und im interdisziplinären Austausch eingeübt werden? Ohne allgemeingültigen Anspruch möchte ich den Blick kurz auf meine eigenen interdisziplinären Erfahrungen im Studium lenken: Interdisziplinäre Erfahrungen im weitesten Sinne sammelte ich im Rahmen meines religionswissenschaftlichen Studiums in dreierlei Hinsicht. Dazu zählte das sich zügig herausbildende Bewusstsein für die eigene Fachgeschichte und damit einhergehend die Abgrenzung (z.B. zur Theologie) und Einordnung (z.B. in die kultur- und sozialwissenschaftlichen Fächer) des Fachverständnisses. Daneben war der Besuch von Lehrveranstaltungen in benachbarten Fächern (z.B. in der Islamwissenschaft, Judaistik, Kultur- und Sozialanthropologie) obligatorisch und ermöglichte mindestens ein Hineinschnuppern in andere Disziplinen. Und nicht zuletzt gehört die produktive Übernahme theoretischer Konzepte und Methoden aus zahlreichen anderen Disziplinen zu den Stärken religionswissenschaftlichen Arbeitens und ermöglichte auch auf diese Weise die Ausbildung fachübergreifender Kompetenzen. Diese drei Aspekte können insgesamt als eher indirekte interdisziplinäre Zugänge verstanden werden. Was aus meiner heutigen Sicht und vor allem auch nach Erfahrungen in einem interdisziplinären Großprojekt
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jedoch insgesamt zu kurz kam, war die direkte Auseinandersetzung mit VertreterInnen bzw. StudentInnen anderer Fächer.6 Natürlich können indirekte interdisziplinäre Situationen, beispielsweise ein Seminar, an dem Studierende unterschiedlicher Fächer teilnehmen, prinzipiell zu direktem Fachaustausch führen. Was mir allerdings eher vorschwebt, ist eine Art universitäre Veranstaltungsform, die konzeptionell auf einer direkten Form interdisziplinären Austauschs basiert.7 Wenn mein kurzer Beitrag eine Pointe verfolgt, dann diese: Direkter interdisziplinärer Austausch im Studium (und möglicherweise auch darüber hinaus) braucht einen klar festgelegten Kontext und ein Ziel. Und: Zur Bestimmung des Kontextes interdisziplinärer Arbeit ist das Konzept des Spielens bestens geeignet. Dieses möchte ich in den folgenden Zeilen vertiefen. Zu einem möglichen Ziel werde ich am Ende meiner Ausführungen einen Vorschlag unterbreiten. Spielen als Element von Kultur Als homo ludens bedient sich der Mensch, so Johan Huizingas kulturhistorische Deutung, in nahezu allen kulturellen Bereichen einer eigentümlichen Form des Handelns: dem Spiel. Er geht sogar so weit zu sagen, dass das kreative Potential des Spiels Kultur erst möglich macht, ihr zumindest vorausgeht (vgl. Huizinga 2015, 9), insofern Kultur im Spiel entsteht. In seinem 1939 erschienenen Essay „Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel“ bemüht sich Huizinga angesichts in seinen Augen zu einseitiger und funktionalistischer Definitionen von Spiel um eine eigene: „Der Form nach betrachtet, kann man das Spiel […] eine freie Handlung nennen, die als ‚nicht so gemeint‘ und außerhalb des gewöhnlichen Lebens ste6
Mit der Ausnahme natürlich, dass ich selbst zwei Fächer studiert habe und so einen tieferen Einblick in zwei Fachkulturen erhielt. Mir geht es hier jedoch um die in der Lehre forcierten interdisziplinären Aspekte des Studiums. 7 Keineswegs schmälern möchte ich all jene Ansätze, die bereits existieren, darunter Veranstaltungen, die unter der Beteiligung von Dozierenden aus unterschiedlichen Disziplinen durchgeführt werden und sicher ihren eigenen Wert haben.
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hend empfunden wird und trotzdem den Spieler völlig in Beschlag nehmen kann, an die kein materielles Interesse geknüpft ist und mit der kein Nutzen erworben wird, die sich innerhalb einer eigens bestimmten Zeit und eines eigens bestimmten Raums vollzieht, die nach bestimmten Regeln ordnungsgemäß verläuft und Gemeinschaftsverbände ins Leben ruft, die ihrerseits sich gern mit einem Geheimnis umgeben oder durch Verkleidung als anders von der gewöhnlichen Welt abheben.“ (Huizinga 2015, 22)
Als unbefohlene und in diesem Sinne ungezwungene Handlung stellt das Spiel eine Art eigenen Modus menschlichen Handelns dar, der eine Abgrenzung vom alltäglichen Ablauf des Lebens ermöglicht (vgl. Huizinga 2015, 16). Diese Handlungsform ist insofern nicht zweckgerichtet, als dass spielerisches Handeln in erster Linie nicht der „Befriedigung von Notwendigkeiten und Bedürfnissen“ (Huizinga 2015, 18) dient.8 Als weitere formale Kennzeichen nennt Huizinga die räumliche Abgeschlossenheit und zeitliche Begrenztheit spielerischer Tätigkeiten. Es ist demnach ein „Spielplatz“ notwendig, der mehr oder weniger auf die Bedürfnisse des Spiels abgestimmt sein muss und dem eine fast ehrfurchtgebietende Rolle zukommt: „Die Arena, der Spieltisch, der Zauberkreis, der Tempel, die Bühne, die Filmleinwand, der Gerichtshof, sie sind allesamt der Form und der Funktion nach Spielplätze, d.h. geweihter Boden, abgesondertes, umzäuntes, geheiligtes Gebiet, in dem besondere Regeln gelten.“ (Huizinga 2015, 18f.)
Das Territorium des Spiels ist also mit besonderen Regeln belegt und wird im Rahmen der (ggf. rituell markierten) Spielzeit zum Spielort. Das führt bereits in einen weiteren Punkt hinein, den Huizinga als wesentliches Element des Spiels ausmacht, nämlich die eigene außerhalb der Alltagsnormen stehende Ordnung des Spiels. Dieser müssen sich die Mitspielenden bedingungslos unterwerfen, erhalten dafür in gewisser Weise aber den Lohn einer wohl sortierten Umgebung mit klarer Orien8
Als Grenzfall, der mir dazu spontan einfällt, mag Spielsucht gesehen werden, allerdings kann diese pathologische Form des Spielens u.U. auch als außerhalb der Definition Huizingas stehend gelten.
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tierungsmöglichkeit, ein wichtiger Aspekt der Abgrenzung von chaotischem Alltag und geordnetem Spiel: „In die unvollkommene Welt und in das verworrene Leben bringt es eine zeitweilige, begrenzte Vollkommenheit. Das Spiel fordert unbedingte Ordnung. Die geringste Abweichung von ihr verdirbt das Spiel, nimmt ihm seinen Charakter und macht es wertlos.“ (Huizinga 2015, 19)
Anders gesagt: Wer mitspielen möchte, muss sich an die Regeln halten. Die Regelhaftigkeit macht das Spiel prinzipiell wiederholbar (vgl. Huizinga 2015, 18), aber im Normalfall nicht langweilig, denn innerhalb des geordneten Ablaufs und der klaren Grenzen entsteht das, was vielleicht den eigentlichen Reiz und das Spannungsmoment des Spiels ausmacht: „Das Spiel bindet und löst. Es fesselt. Es bannt, das heißt: es bezaubert“ (Huizinga 2015, 19). Wissenschaft, Spiel und Wissenstransfer Ich möchte nun den Blick auf die Wissenschaft werfen und fragen, wie es sich dort mit spielerischen Elementen verhält. In seiner Tour durch verschiedene kulturelle Bereiche kommt Huizinga in seinem Essay auch auf den „Spielgehalt der modernen Wissenschaft“ (Huizinga 2015, 219) zumindest kurz zu sprechen und fällt zunächst ein vernichtendes Urteil: „Nichts ist leichter, als jeder Wissenschaft auf Grund ihrer Isolierung innerhalb der Grenzen ihrer Methode und ihres Begriffs einen Spielcharakter zuzuerkennen. Halten wir aber immer an einem deutlichen und für das spontane Denken gültigen Spielbegriff fest, dann ist dazu, daß man etwas als Spiel bezeichnet, noch mehr nötig als lediglich ein Spielraum. Das Spiel ist an Zeit gebunden, es läuft ab und hat kein eigenes Ziel außer sich selber. Es ist von einem Bewußtsein getragen, eine frohe Erholung außerhalb der Forderungen des gewöhnlichen Lebens zu sein. Dies alles gilt von der Wissenschaft nicht. Sie sucht ja durchaus einen Kontakt mit der Wirklichkeit und eine Gültigkeit für die allgemeine Wirklichkeit. Ihre Regeln sind nicht, wie die des Spiels, ein für allemal unerschütterlich. Sie wird fortwährend durch die Erfahrung Lügen gestraft und wandelt sich selbst. Die Regeln des Spiels können nicht Lügen gestraft werden.“ (Huizinga 2015, 219)
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Die Abkehr vom Alltag als Wesenszug des Spiels steht der wissenschaftlichen Zugewandtheit zur Welt demnach also entgegen. Während das Spiel sich selbst genügt, geht wissenschaftliche Arbeit mit dem Zweck wissenschaftlicher Erkenntnis einher. Ergo ist Wissenschaft im Kern kein Spiel, denn dazu müsste sie ihre wissensproduktive Zielsetzung ablegen und würde damit sich selbst verraten. Aber es gibt gewissermaßen einen Lichtblick, d.h. ein Hintertürchen, durch das Huizinga dem Spiel Einlass in die Wissenschaft gewährt: „Etwas anderes ist die Frage, ob nicht eine Wissenschaft innerhalb des durch ihre Methode abgeschlossenen Gebiets ‚spielen gehen‘ kann.“ (Huizinga 2015, 219)
Er sieht da vor allem Potential in der Aneignung spielerischen Verhaltens als Methode, also beispielsweise in der Übertragung theoretischer Konzepte und dem spielerischen Umgang mit Begriffen (vgl. Huizinga 2015, 220). Diesen Gedanken möchte ich nun aufgreifen und abschließend zum ursprünglichen Anliegen zurückkehren, nämlich der Frage, wie interdisziplinäre Arbeit in der universitären Lehre eingeübt werden kann. Ich denke, die Überlegungen zum Spiel haben einigen Wert für diese Frage. Studierende können über spielerische Techniken auf unterschiedliche Weise an ein Thema und an wissenschaftliche Methoden herangeführt werden. Im Zentrum sollte das Ausprobieren, das Anwenden und das Neudenken stehen. Es gibt eine große Masse an Literatur zu kreativen Arbeitsformen, die deutlich stärker zum Standardrepertoire wissenschaftlicher Lehre werden sollten, denn die innovative Kraft und die spielerische Leichtigkeit, die diese auslösen können, ist meiner Ansicht nach nicht zu unterschätzen. Für interdisziplinäre Arbeit mit Studierenden, d.h. für den direkten Kontakt von Studierenden aus unterschiedlichen Disziplinen, gilt die Notwendigkeit spielerischer Methoden besonders. Dazu müsste, folgt man Huizingas Spielbegriff soweit es geht, neben der Eignung eines Spiel-
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raums und der zeitlichen Regelung vor allem ein klares „Regelwerk“ her, das es für interdisziplinäre Arbeit mit Studierenden zu erarbeiten gilt. Der spielerische Clou: Es sollte dabei um ein Ausschalten jener Elemente des disziplinären Alltags gehen, die einem Blick über den Tellerrand im Wege stehen. Es wäre das Einlassen auf die zeitweilige (und insofern kontrollierte) Außerkraftsetzung disziplinärer Eigenlogik und die gemeinsame Öffnung für Trans-Differenz. Das Ganze kann dann gelingen, wenn die prinzipielle Zielsetzung wissenschaftlichen Wirkens nicht vergessen wird, nämlich die Schaffung neuen Wissens. Genau da liegt ja das eigentliche Potential interdisziplinärer Arbeit. Mein Vorschlag ist ein Fokus auf die Produktion von Wissen, das gemeinsam so aufbereitet wird, dass es über den Kreis der interdisziplinären Gruppe hinaus getragen werden kann. Der Vorteil dieses auf Wissenstransfer bezogenen Ansatzes liegt darin, dass hierbei Wissen in eine so allgemeine Form gebracht werden muss, dass es auch außerhalb der Gruppe und im Idealfall sogar außerhalb des akademischen Rahmens (in der Schule, in den Medien oder vielleicht auf der Straße) verstanden wird. Auf diese Weise kann der disziplinäre Druck im interdisziplinären Kreis entlastet werden und die produktiven und multiperspektivischen Einsichten können über ein geeignetes Medium des Wissenstransfers kreativ in den Vordergrund treten. So entfaltet direkte interdisziplinäre Arbeit ihren eigenen Zauber. Fazit und Ausblick Das Eingangszitat von Meir hatte den Blick auf die Schwierigkeiten interreligiösen Austauschs gelenkt. Dem stand eine trans-differente Haltung, die im Prinzip der menschlichen Veranlagung als soziales Wesen eigen ist, als Lösungsgedanke gegenüber. Übertragen auf interdisziplinäre Arbeit lag die Strukturähnlichkeit vor allem in den Schwierigkeiten direkten Austauschs Angehöriger unterschiedlicher Disziplinen. Zur Einübung einer trans-differenten Haltung im interdisziplinären Austausch vor allem im Rahmen der Hochschullehre habe ich die Kraft spie-
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lerischen Verhaltens vorgeschlagen. Zwar ist Wissenschaft im Prinzip kein Spiel, sofern sie eben nicht zweckfrei ist, aber die Pflege einer spielerischen Wissenschafts- und Lehrkultur erscheint doch sowohl reizvoll als auch vielversprechend. Ein entsprechendes interdisziplinäres Veranstaltungsformat müsste die sich widerstrebenden Eigenlogiken wissenschaftlicher Einzeldisziplinen durch ein Regelwerk kontrolliert ausschließen und so die multiperspektivische Arbeit, zum Beispiel an einem gemeinsamen Produkt des Wissenstransfers (vielleicht ein Videoclip, eine Plakatausstellung, ein Blog, ein Joint Venture mit nichtakademischen Einrichtungen oder Ähnliches mehr) zum Blühen bringen. Was hierzu benötigt wird, ist Zeit zur Aufarbeitung und Aufbereitung spielerischer Kreativtechniken für die universitäre Lehre und zur Konzeption eines interdisziplinären Veranstaltungsformats, das im Idealfall auch ausprobiert wird. Ein spielerischer Versuch bleibt abzuwarten. Literatur Bachmann-Medick, D. (2010) “The Translational Turn”. In: Doris Bachmann-Medick (Hrsg.) Cultural turns. New orientations in the study of culture. Berlin: De Gruyter, 175-210. Freiberger, O. (2011) „Der Vergleich als Methode und konstitutiver Ansatz der Religionswissenschaft“. In: Stefan Kurth & Karsten Lehmann (Hrsg.) Religionen erforschen. Kulturwissenschaftliche Methoden in der Religionswissenschaft. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 199-218. Gladigow, B. (1988) „Gegenstände und wissenschaftlicher Kontext von Religionswissenschaft“. In: Hubert Cancik, Burkhard Gladigow & Matthias Laubscher (Hrsg.) Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe, Band I. Stuttgart et al.: Verlag W. Kohlhammer, 26-40. Grünschloß, A. (2002) „Interreligiöse Fremdwahrnehmung als Thema von Religionswissenschaft und Theologie“. In: Andrea Schultze (Hrsg.) Vom Geheimnis des Unterschieds. Die Wahrnehmung des
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Fremden in Ökumene-, Missions- und Religionswissenschaft. Münster: Lit, 37-61. Huizinga, J. (2015) Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag. Kalender, M. (2018) "Verspielte (Religions-)Wissenschaft?!". BlogBeitrag auf |Marginalien – Religionswissenschaftliche Randbemerkungen, Mai 2018, url: https://marginalie.hypotheses.org/663. Knott, K. (2005) “Insider/outsider perspectives”. In: John R. Hinnells (Hrsg.) The Routledge companion to the study of religion. London: Routledge, 243-258. Meir, E. (2014) „Building Stones for an Interreligious Dialogue and Theology“. In: Wolfram Weisse, Katajun Amirpur, Anna Körs & Dörthe Vieregge (Hrsg.) Religions and Dialogue. International Approaches. Münster: Waxmann, S. 125-135.
Mehmet Kalender ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie der Georg-August-Universität Göttingen.
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On “needing the other and [...] taking time seriously” – Rosenzweig’s concept of speech-thinking (Sprachdenken) and Levinas’s notion of language Silvia Richter Speech is a vital process, without which no other life process is understandable. Biologists who study life without taking as a basis the effects of the word to every living thing, take a false basis. He who has never trembled at the call of his name, has not yet lived. Only the addressed life becomes the full life. 1
This article outlines Franz Rosenzweig’s concept of the New Thinking (das neue Denken) as well as his concept of speech-thinking (Sprachdenken) and will set it in relation to Levinas’s views on language, in particular the notion of the ‘saying’. I will start by pointing out in which sense the model of Rosenzweig’s New Thinking was a novum on the philosophical scenery in his time and why it can be compared to Levinas’s views on language. The sources of Rosenzweig’s New Thinking and his concept of speech-thinking can be found in his biography and in his intellectual development. Although Rosenzweig was a brilliant student, receiving his doctor’s degree summa cum laude in 1912, and thereby designated to make an excellent academic career with the support of his mentor, the historian Friedrich Meinecke (1862-1954) – one of the most famous German professors at that time – the world of the university left Rosenzweig unsatisfied.2 Even though Meinecke, in 1
Rosenstock-Huessy, Eugen, Der Atem des Geistes, p. 10: “Sprechen ist ein Lebensvorgang, ohne den kein anderer Lebensvorgang verständlich ist. Biologen, die das Leben untersuchen, ohne die Wirkungen des Wortes auf alles Lebendige zu Grunde zu legen, legen einen falschen Grund. Wen nämlich nie ein namentlicher Anruf hat erzittern machen, der hat noch gar nicht gelebt. Das angesprochene Leben wird erst das volle Leben.” 2 Rosenzweig’s doctoral thesis appeared under the title Hegel und der Staat in two volumes 1920. It has been reedited by Frank Lachmann, with an afterword by Axel
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1919, repeatedly offered him Habilitation and in 1921 invited him to work regularly on the Historische Zeitschrift, Rosenzweig invariably refused. The academic life left him unfulfilled as he discovered that he did not find what he was searching for. He explained the consequence of this fundamental spiritual change in a letter to his teacher Meinecke on August 30th 1920 as follows: Now I only inquire when I find myself inquired of. Inquired of, that is, by men rather than by scholars or the ‘scholarship’. [Ich frage nur noch, wo ich gefragt werde. Von Menschen gefragt werde, nicht von Gelehrten, nicht von ‘der Wissenschaft’.]3
Rosenzweig’s letter to Meinecke is of outstanding importance for the understanding of his intellectual development. It is here that he points out the reasons for developing his concept of a New Thinking and also why he abandoned an academic career for dedicating himself to Jewish teaching as a founder and director of the Freies Jüdisches Lehrhaus in Frankfurt from 1920 onward. However, Rosenzweig’s sceptical attitude towards the academic life can also be found much earlier than 1920. In a diary note from November 20, 1906 Rosenzweig openly mocks the ivory tower of scholarship in which the professors live without participating in real life, as well as the “overestimation of their own worth” [“Überschätzung des eigenen Werts”], describing their profession as “a
Honneth, Suhrkamp 2010. In his evaluation of Rosenzweig’s thesis, which can be found in the archives of the philosophical faculty of the Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg, Professor Meinecke left no doubt about his student’s exceptional talent, which he hoped to promote in the future. See Meineke, Stefan, “A Life of Contradiction. The Philosopher Franz Rosenzweig and his Relationship to History and Politics”, p. 463. For a brief sketch of Rosenzweig’s intellectual development see further Mendes-Flohr, Paul, introduction to The Philosophy of Franz Rosenzweig, ed. by Paul Mendes-Flohr, pp. 1-14. 3 Rosenzweig, Franz, in: GS, I, 2, letter to Friedrich Meinecke, 30.8.1920, pp. 678-682, p. 679. I cite the English translation of Nahum Glatzer, in: Franz Rosenzweig. His Life and his Thought, by Nahum N. Glatzer, pp. 94-98, p. 97, with slight modification of the translation at the end of the sentence.
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world apart” [“eine Welt für sich”].4 In his letter to Meinecke, Rosenzweig traces his intellectual change back to the year 1913, which he highlights as a turning point of his existence: In 1913 something happened to me for which collapse [Zusammenbruch] is the only fitting name. I suddenly found myself on a heap of wreckage, or rather I realized that the road I was then pursuing was flanked by unrealities. Yet this was the very road defined for me by my talent, and my talent only! […] Amidst the shreds of my talents I began to search for myself, amidst the manifold for the One. It was then (one can speak of such matters in metaphors only) that I descended into the vaults of my being, to a place whither talents could not follow me; that I approached the ancient treasure chest whose existence I had never wholly forgotten, for I was in the habit of going down at certain times of the year to examine what lay uppermost in the chest: those moments had all along been the supreme moments of my life. 5
There can be no doubt about the fact that that which Rosenzweig designates in this context as “the ancient treasure chest [die alte Truhe]” was in fact nothing other than Judaism. In 1913 Rosenzweig was tempted to convert to Christianity, however he finally decided to stay a Jew. Reflecting on the former years, he realized that this experience indeed changed his whole life. It opened his eyes for what have been for him, as Rosenzweig summarizes it, “the supreme moments of my life [die großen Augenblicke meines Lebens]”,6 by which he means his consciousness that he cannot flee his Judaism, as became clear during the Yamim haNoraim, i.e. the High Jewish holidays, of 1913. As a result of this development, he explains to Meinecke that
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Rosenzweig, Franz, GS, I, 1, p. 65, own translation as this diary note is not translated in Glatzer’s anthology Franz Rosenzweig. His Life and his Thought. 5 Ibid., GS, I, 2, pp. 679-680. The cited English version is quoted from: Franz Rosenzweig. His Life and his Thought, by Nahum N. Glatzer, pp. 94-98, p. 95. 6 Rosenzweig, Franz, GS, I, 2, letter to Friedrich Meinecke, 30.8.1920, pp. 678-682, p. 680. For the English version see p. 95, in: Franz Rosenzweig. His Life and his Thought, by Nahum N. Glatzer, pp. 94-98.
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[…] scholarship no longer holds the center of my attention, […] my life has fallen under the rule of a ‘dark drive’, which I’m aware that I merely name by calling it ‘my Judaism’. […] Cognition [Erkennen] no longer appears to me as an end in itself. It has turned into service, a service to human beings (not, I assure you, tendencies).7
As a consequence, Rosenzweig went on to build his own system of philosophy as formulated in his book The Star of Redemption, written in 1918-1919, published in 1921. Thus, the intellectual development which Rosenzweig describes in the cited letter to Meinecke is of fundamental importance for his whole work. Without emphasizing the role that Judaism played in it, it seems to me incomprehensible why Rosenzweig decided to set out on this new path and to develop the ideas I am going to present in the following pages. According to Rosenzweig, it must be underscored, more important than all our studying is life itself. It seems to me therefore by no means to be an overestimation to call him “a worshipper of life, life as such, life of and in the world […],”8 as Amos Funkenstein points out. Funkenstein goes on to explain in his article namely the importance of Judaism for Rosenzweig in this context. Judaism represented for Rosenzweig “pure life, the very symbol of life, meaningful and spiritual in that it was biological, eternal in that its members died but gave life. Zest for life is the deepest drive in the Stern der Erlösung.”9 Against this background, one must also read the following explanations on the role of language in Rosenzweig’s thinking and its connection to Levinas. In his article “The New Thinking”, written in February 1925, four years after the publication of his major work The Star of Redemption, Rosenzweig points out the main characteristics of his philosophical 7
Ibid., pp. 680-681/pp. 96-97, in: Franz Rosenzweig. His Life and his Thought, ed. by Nahum Glatzer, pp. 96-97. 8 Funkenstein, Amos, “An Escape from History: Rosenzweig on the Destiny of Judaism”, p. 125. 9 Ibid.
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thinking in a more concise manner.10 The essay was “addressed”, as Rosenzweig later said, “to the Jewish reader.”11 Unfortunately, The Star of Redemption did not have much success among the readers; indeed it rather “had fallen on deaf ears; it was a book known by some but read by virtually no one.”12 In a letter to Hans Ehrenberg, Rosenzweig complained that his work – although it had achieved a ceratin reputation among the Jews [“Das Buch ist ja bei den Juden direkt berühmt.”]13 – had been generally misunderstood: “I am amazed again and again how unknown the book is to his readers. The whole world thinks it is an admonition to eat kosher.”14 It is thus understandable that he felt the need to give the reader a kind of explanation (not to be conceived of, however, as an introduction post factum), in order to understand its structure, its argument and its method. Furthermore, besides this motivation, the essay is interesting in terms of the methodological questions it deals with. In my view, important aspects of Levinas’s problem with philosophical thematization could be seen in accordance with the concept of “speech-thinking” (Sprach-Denken) elaborated by Rosenzweig.15 Therefore, it seems to me a promising task to compare Rosenzweig’s thinking to that of Levinas regarding the notion of language. There are two aspects I would like to accentuate in this context: revelation and speech. The latter is at the core of Rosenzweig’s New Thinking, which is con10
Rosenzweig, Franz, “The New Thinking”, in: Rosenzweig, Franz, Philosophical and Theological Writings, pp. 109-139/“Das neue Denken. Einige nachträgliche Bemerkungen zum ‘Stern der Erlösung’”, in: Rosenzweig, Franz, GS, III, pp. 139-161. 11 Rosenzweig, Franz, GS, I, 2, letter to Hans Ehrenberg, 11.3.1925, pp. 1025-1026, p. 1025: “An den jüdischen Leser ist es [the essay “The New Thinking”] aber wirklich geschrieben.” 12 Franks, Paul W./Morgan, Michael L., introduction to chapter IV “From 1917-1925”, in: Rosenzweig, Franz, Philosophical and Theological Writings, pp. 84-91, p. 91. 13 Rosenzweig, Franz, GS, I, 2, letter to Hans Ehrenberg, 11.3.1925, pp. 1025-1026, p. 1026. 14 Ibid., p. 1026: “Ich staune immer aufs neue, wie unbekannt es bei seinen Lesern ist. Alle Welt meint, es sei eine Mahnung zum koscheren Essen.”
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sidered a “speech-thinking” – unlike the abstract thinking of academic philosophy, which is a thinking for no one because it speaks to no one.16 On the contrary, Rosenzweig explains that “the New Thinking’s method originates out of its temporality. [...] Into the place of the method of thinking, as all previous philosophy developed it, steps the method of speaking.”17 This emphasis on speaking and the living speech entails certain results for thinking as such. According to Rosenzweig, there is always an unknown side-effect in speaking that has to be taken into account, since, in “actual conversation, something happens; I do not know in advance what the other will say to me because I myself do not even know what I am going to say; perhaps not even whether I am going to say anything at all [...].”18
An active dialogue is always a creative process with an outcome that cannot be foreseen. It is this moment of the unpredictable that marks not only creativity and creative thinking but, ultimately, any human relation. Taking this fact into account, Rosenzweig’s New Thinking focuses essentially “on needing the other and, what amounts to the same, on taking time seriously.”19 In terms of Rosenzweig’s biographical experience, these conditions were fulfilled through his encounter with Gritli, as Ephraim Meir points out: “In dialogue with her, language became living speech.”20 16
Glatzer, Nahum N., “The Concept of Language in the Thought of Franz Rosenzweig”, p. 183. See further, Stahmer, Harold, “Franz Rosenzweig (1886-1929): Speech Precedes Thought and Needs Time”, in: Stahmer, Harold, “Speak That I May See Thee!” The Religious Significance of Language, chapter 4, pp. 148-182. 17 Rosenzweig, Franz, “The New Thinking”, in: Rosenzweig, Franz, Philosophical and Theological Writings, pp. 109-139, p. 125/“Das neue Denken. Einige nachträgliche Bemerkungen zum ‘Stern der Erlösung’”, in: Rosenzweig, Franz, GS, III, pp. 139-161, p. 151. 18 Ibid., p. 126/ p. 151, emphasis added. 19 Ibid., p. 127/pp. 151-152. The notion of “need” used in this context is to be understood primarily to avoid solipsism, however not as erotic love or desire. Nonetheless, desire and erotic love are not an unimportant aspect for Rosenzweig, as can be seen from his interpretation of the Song of Songs in the center of the Star, which plays a crucial role in his study. 20 Meir, Ephraim, Letters of Love, p. xiv.
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In order to draw a parallel in the following to Levinas’s notion of language, it seems to me helpful in this context to highlight again briefly the central motivation of his thinking. Asked in an interview to give a definition of philosophy, Levinas placed the encounter with the other man in its center, as he points out that […] philosophy permits man to interrogate himself about what he says and about what one says to oneself in thinking. No longer to let oneself be swayed or intoxicated by the rhythm of words and the generality that they designate, but to open oneself to the uniqueness of the unique in the real, that is to say, to the uniqueness of the other. That is to say, in the final analysis, to love. To speak truly, not as one sings; to awaken; to sober up; to undo one’s refrain. 21
Levinas’s definition of philosophy is remarkable with respect to Rosenzweig’s concept of a New Thinking because it highlights the central significance of the other person as well as the important role of responsibility. In the aforementioned interview, Levinas emphasized precisely the extraordinary event of the other for his thinking: The encounter with the other is the great experience, the grand event. The encounter with the other is not reducible to the acquisition of a supplementary knowledge. Certainly I can never totally grasp the other, but the responsibility on his behalf – in which language originates – and the sociality with him goes beyond knowledge […].22
Knowledge is thus only a secondary effect, caused in the encounter with the fellow man, as it does not hold the central place in Levinas’s eyes. What is really at stake is the responsibility which is experienced through the confrontation with the face of the other and in which, according to Levinas, language finds its starting point. It is notable in this context that Levinas underlines the fact of ‘truly speaking’, i.e. “not as one sings”, as 21
Levinas, Emmanuel, “On the Usefulness of Insomnia”, in: Is it righteous to be?, ed. by Jill Robbins, pp. 234-236, p. 234/“De l’utilité des insomnies”, entretien avec Bertrand Révillon, in: Les imprévus de l’histoire, pp. 177-180, p. 177. Originally published in the French journal La Croix – L’Événement, 10.6.1987, p. 18. 22 Ibid., p. 235/p. 178.
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he says. That means reasonable speaking, although he emphasizes that that which is the content of speaking surpasses the structures of knowledge and logic. In this dichotomy Levinas’s notion of language is caught up. Even if I can never fully grasp the other’s existence nor fully understand him, I have to acknowledge his existence since the ethical moment precedes cognition and knowledge. Thus, for Levinas as for Rosenzweig, the act of speaking face-to face is central to their respective philosophies. Rosenzweig’s method of speech-thinking could, in this context, offer an adequate way to get past the “said” of linear thought, which is the main problem of Levinas’s philosophical thematization, and to think in terms of “Sayings” rather than “saids”. The active act of speaking is important for Levinas. Not just what is said, but that (and how) it is said is important for him. The role of the speaker holds in this process a crucial place. To diminish this aspect would entail diminishing also the revealing power of language, as he emphasizes, that […] to make of the thinker a moment of thought is to limit the revealing function of language to its coherence, conveying the coherence of concepts. […] The function of language would amount to suppressing ‘the other’, who breaks this coherence and is hence essentially irrational. A curious result: language would consist in suppressing the other, in making the other agree with the same! […] this is why language institutes a relation irreducible to the subjectobject relation: the revelation of the other. In this revelation only can language as a system of signs be constituted.23
The event of language, as realized in the face-to-face speaking, entails thus a revelation of the other, according to Levinas. In fact, revelation and speech are deeply connected in his thinking. This connection reflects, in my view, the two main characteristics that Rosenzweig pointed out with respect to the New Thinking as “needing the other and, what 23
Levinas, Emmanuel, TI, pp. 72-73/Ti, p. 70, in italics in the original.
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amounts to the same, on taking time seriously.”24 It is interesting to trace these two mentioned aspects in Levinas’s thinking from their emergence onwards. I will go on to consider in more detail, firstly, the aspect of the need of the other person, then, in a second step, the aspect of the importance of temporality. That language consists fundamentally in speaking to someone is a fact clearly emphasized by Levinas in Totality and Infinity: “Language presupposes interlocutors, a plurality.”25 Knowledge emerges only among people that interact with one another, i.e. in every sort of communication between human beings. The other is essential for the formation of knowledge which comes thereby always from outside to the subject. It is a surplus gained through the process of communication realized through language. In this context, Levinas also highlights the unpredictable moment – that I have also pointed out with respect to Rosenzweig’s speechthinking – which is inherent in every speech searching for real knowledge and truth: […] discourse is therefore not the unfolding of a prefabricated internal logic, but the constitution of truth in a struggle between thinkers, with all the risks of freedom. The relationship of language implies transcendence, radical separation, the strangeness of the interlocutors, the revelation of the other to me. […] Discourse is thus the experience of something absolutely foreign, a pure ‘knowledge’ or ‘experience’, a traumatism of astonishment.26
Even though the wording of Levinas is in this context very radical, since he even speaks of a ‘traumatism’ of astonishment, the idea that language comes essentially from outside can be traced back to a much earlier period. One can see, for instance, how Levinas elaborated this idea in his 24
Rosenzweig, Franz, “The New Thinking”, in: Rosenzweig, Franz, Philosophical and Theological Writings, pp. 109-139, p. 127/“Das neue Denken. Einige nachträgliche Bemerkungen zum ‘Stern der Erlösung’”, in: Rosenzweig, Franz, GS, III, pp. 139-161, pp. 151-152. 25 Levinas, Emmanuel, TI, p. 73/Ti, p. 70. 26 Ibid., p. 73/pp. 70-71, in italics in the original.
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philosophical notes that preceded Totality and Infinity; here this aspect of the outside of thinking, connected to language, is summarized as follows: “The essence of language: A thought received from the outside – The outside is the essential and not the universality – nor even the fact that I can communicate it [the outside] to a reason.”27 This demonstrates how this idea took shape in his thinking and that it holds an important place in the development of his notion of language. Indeed this echoes also in the notion of language developed in Otherwise than Being, where Levinas underlines, that “[l]anguage is already skepticism”28 – and it was none other than Maurice Blanchot who emphasizes this aspect in his interpretation of Levinas’s work.29 Language is never sure of itself as it is always undermined by the presence of the other which it can never fully grasp. Being confronted permanently by something which is received from outside, language is always haunted by something that remains outside, which cannot be absorbed by language, and which nevertheless is the impetus of speaking. As a consequence, there is always a word which is left unsaid in every saying. The need of the other person, in order to philosophize at all, is an idea both Levinas and Rosenzweig underline. Levinas stresses particularly the point of the ethical relationship of language and thinking. In an interview, he emphasized the priority of the other as a fundamental aspect which grounds humanity as such: Our humanity consists in being able to recognize this priority of the other. Now you can better understand […] why I have been so interested in lan27
Levinas, Emmanuel, Carnets, p. 460: “L’essence du langage: Une pensée reçue du dehors – Le dehors est l’essentiel et non pas l’universalité – ni même le fait que je peux le communiquer à une raison.” Emphasis added. 28 Levinas, Emmanuel, OBBE, p. 170/AQE, p. 263. 29 Blanchot, Maurice, “Our Clandestine Companion”, p. 47/“Notre compagne clandestine”, p. 84. See also Hart, Kevin, The Dark Gaze. Maurice Blanchot and the Sacred, p. 113: “[…] Blanchot suggests that the accent should fall on the adverb: not to indicate a movement of negativity or a transgression but to remind us that language unsettles both absolute knowledge and transparent verbal communication.”
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guage. Language is always addressed to the other, as if one could not think without already being concerned for the other. Always already my thinking is a saying. In the profundity of thinking, the for-the-other is articulated, or, said otherwise, goodness is articulated, love for the other, which is more spiritual than any science.30
In this sense, I have already pointed out in my interpretation of Levinas’s article “Is Ontology fundamental?” that language precedes ontology in Levinas’s view. Similarly, in Totality and Infinity he goes on to emphasize the hegemony of language over ontology: “This ‘saying to the Other’ – this relationship with the Other as interlocutor, this relation with an existent – precedes all ontology; it is the ultimate relation in Being. Ontology presupposes metaphysics.”31 This very radical manner to emphasize the hegemony of the ‘saying’ over ontology entails for Levinas, ultimately, a hegemony of the other over the I. As distinct from the views of Rosenzweig (and also, for instance, Martin Buber), the relationship between the interlocutors is not conceived as equal by Levinas, although it is a face-to-face situation, but as asymmetrical: the other dominates the I, who is troubled and, in a certain sense, ‘awakened’ by the encounter with the other – an infinite awakening which never comes to an end. Since language is fundamentally linked to this awakening through the encounter of the other, it is conceived as a putting into question (mise en question) the I: “The calling in question of the I, coextensive with the manifestation of the Other in the face, we call language. The height from which language comes we designate with the term teaching.”32 In his philosophical notes which precede the publication of Totality and Infinity, we can see how this idea took shape in Levinas’s mind, as he writes, for instance: “Being taught – creature’s structure,”33 30
Levinas, Emmanuel, “On the Usefulness of Insomnia”, in: Is it righteous to be? Interviews with Emmanuel Levinas, ed. by Jill Robbins, pp. 234-236, p. 235/“De l’utilité des insomnies”, entretien avec with Bertrand Révillon, in: Les imprévus de l’histoire, pp. 177-180, p. 179. 31 Levinas, Emmanuel, TI, p. 48/Ti, p. 39. 32 Ibid., p. 171/p. 185, emphasis added. 33 Levinas, Emmanuel, Carnets, p. 454: “Être enseigné – structure de créature.”
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and also how it is connected with philosophy as such for him: “Creation and power. How does philosophical inquiry itself cease to be vision and power? How does it seize the origin without distorting it? Therefore we cannot philosophize alone. Philosophy as discussion and teaching.”34 The influence of the other extends thus not only to the theoretical concept of philosophy, but also to the ontological structure of the I which is addressed in its being from the ‘height’ of the other who is ‘teaching’ him. This asymmetry between the interlocutors seems to me a fundamental difference between Rosenzweig’s method of speech-thinking and Levinas’s views on language. Their different points of view involve also a different approach to time. Whereas for Rosenzweig the temporal background of the ‘speaking scene’ in which the method of speech thinking takes place is a simultaneous one, for Levinas there is a temporal deferral between the I and the other which can never be bridged by any presence. Levinas calls this situation diachrony and conceives it as an immemorial time. Whereas the synchronous time represents for him the linear time of consciousness, the diachronic time means the interference of the other, as a result of the encounter with his asynchronicity.35 Diachrony is a breaking-up of synchrony, it is an awakening to an immemorial past as an obligation to be responsible prior to any meaning and freedom, prior to any agreement given by the I, as Levinas underlines: “A responsibility preceding freedom, a responsibility preceding intentionality! […] A responsibility 34
Ibid., p. 443: “Création et pouvoir. Comment la recherche philosophique elle-même cesse d’être vision et pouvoir? Comment se saisit-elle de l’origine sans la fausser? C’est pourquoi on ne peut pas philosopher seul. Philosophie comme discussion et enseignement.” 35 See Wenzler, Ludwig, “Zeit als Nähe des Abwesenden. Diachronie der Ethik und Diachronie der Sinnlichkeit nach Emmanuel Levinas”, p. 84ff. For a comparison of Rosenzweig’s notion of time and the diachrony Levinas outlines, see GarridoMaturano, Angel E., “Zeit als Gebet. Eine Einführung in die phänomenologische Bedeutung der Zeitigung des Selbst in Franz Rosenzweigs Stern der Erlösung”, pp. 933935.
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which, before the discourse revolving around what is said, is probably the essence of language.”36 Levinas also speaks of the illeity37 of the other, which expresses precisely not an equal relationship – as Rosenzweig and Buber focused on in their philosophies, i.e. the method of ‘speech-thinking’ and the dialogical thinking respectively –, but designates the ‘height’ from which the other approaches me, teaches me. According to Levinas, [t]his anteriority of responsibility must be understood in relation to freedom as the very authority of the Absolute which is ‘too great’ for the measure or finitude of presence, revelation, order and being, and which consequently, as neither being nor non-being, is the ‘excluded third party’ of the beyond of being and non-being, a third person that we have called ‘illeity’ and that is perhaps also expressed by the word God. A beyond being, resistant to thematization and origin – something preceding the originary: beyond nonbeing – an authority that orders my neighbor for me as a face. 38
In this context, also the notion of the trace is of great importance for Levinas’s thinking: The trace represents a sign of an absent presence, of a presence that has already passed, leaving only its trace – as the present mark of its absence.39 In order to explain this notion, Levinas refers to the verse in the book of Exodus where God passes in front of Moses (Ex. 34:5, vayavor hashem al panav) and leaves His “trace”.40 His complex interpretation of the trace interweaves theological and philosophical as36
Levinas, Emmanuel, “The Name of God according to a few Talmudic Texts”, in: Beyond the Verse, pp. 115-126, pp. 125-126/“Le Nom de Dieu d’après quelques textes talmudiques”, in: L’au-delà du verset, pp. 143-157, pp. 156-157. 37 See Levinas, Emmanuel, “The Trace of the Other”, p. 356/“La trace de l’autre”, in: En découvrant l’existence avec Husserl et Heidegger, pp. 261-282, p. 278. See also Casper, Bernhard, “Illéité”, in: Casper, Bernhard, Angesichts des Anderen. Emmanuel Levinas – Elemente seines Denkens, pp. 33-51. 38 Levinas, Emmanuel, “The Name of God according to a few Talmudic Texts”, in: Beyond the Verse, pp. 115-126, p. 126/“Le Nom de Dieu d’après quelques textes talmudiques”, in: L’au-delà du verset, pp. 143-157, p. 157. 39 On the notion of the trace see Levy, Ze’ev, “Die Rolle der Spur in der Philosophie von Emmanuel Levinas und Jacques Derrida”. 40 Meir, Ephraim, “Judaism and Philosophy: Each Other’s Other in Levinas”, p. 356.
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pects, as Ephraim Meir points out: Such a trace does not indicate an archeological presence, or a sign of something that was materially there. God is always past presence, His absence does not ‘appear’. […] Finally, God is not an idea, which would neutralize Him into a totality. He cannot be contaminated by the finiteness of being. Man in His ‘image’ (Gen 1:27) nonetheless bears His trace. One may conclude, therefore, that there is a sign in the human being that never reaches the signified. The signifier which does not reach the signified is the trace of God, whom one approaches through ethical living. In traditional Jewish phraseology: God’s name is ineffable.41
The aspect of the ‘ineffable’ moment marks a difference between Levinas’s notion of language and Rosenzweig’s concept of speechthinking, where the impossibility of synchronized, equal speaking is not highlighted. Nonetheless the ethical approach of both thinkers is similar. For a last example concerning their different temporal views, I would like to draw attention to the early work of Levinas, i.e. his lectures Time and the Other. Levinas concludes this work with a remarkable statement about the connection between time, eros and the other, which I cite at length and will expound upon: I have tried to find the temporal transcendence of the present toward the mystery of the future. This is not a participation, in a third term, whether this term be a person, a truth, a work, or a profession. It is a collectivity that is not a communion. It is the face-to-face without intermediary, and is furnished for us in the eros where, in the other’s proximity, distance is integrally maintained, and whose pathos is made of both this proximity and this duality. What one presents as a failure of communication in love precisely constitutes the positivity of the relationship; this absence of the other is precisely its presence as other.42
This at first sight rather paradoxical conclusion reveals all the more how 41 42
Ibid. Levinas, Emmanuel, TO, p. 94/TA, p. 89, emphasis added.
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Levinas’s views differ from those of Rosenzweig’s. Even if the face-toface relationship is a very close, unique one set in time, Levinas nonetheless underlines that “distance is integrally maintained.” However, this is by no means to be understood as a negative aspect. Levinas refers in this context to the erotic relationship, which ultimately furnishes the face-to-face relationship, and points out that this absence of the other in love is precisely his presence, in a positive sense. Or, in a nutshell, precisely because we cannot grasp the other’s presence, since he remains absent and infinitely inaccessible to us, we are able to desire and to love him. Only the ungraspable stimulates the desire to touch and it is precisely this impossibility that awakens the desire. In this sense, Levinas points out, “[t]he Other is the only being that one can be tempted to kill.”43 It is from this absence of the other, which has to be also conceived as the beginning of language in the face of the other, that the presence of love is nourished and supported. We feel the need to speak, because ultimately it is impossible to fully understand each other. In fact, in a total agreement the dialogue would collapse and would end in silence. This aspect is addressed by Rosenzweig in Part III of The Star of Redemption, where he points out a notion of truth which is speechless or, more precisely, beyond speech; he deems that God is truth and associates this truth with light, concluding: “Light does not talk; but shines.”44 In a certain sense, the silence outlined by Rosenzweig can be seen in connection with Levinas’s notion of the Saying, which is conceived of as an ‘ethical language’, beyond words. However, according to Levinas, it speaks nevertheless, as he repeatedly underlines: the face speaks.45 An absolute silence, outlined by Rosenzweig at the end of The Star, is for Levinas thus impossible since his notion of truth is ultimately linked to a certain notion of language, conceived of as an ‘ethical language’, realized in the face-to-face encounter. The other remains the other in this 43
Levinas, Emmanuel, “Ethics and Spirit”, in: Difficult Freedom, pp. 3-10, p. 8/“Éthique et Esprit”, in: Difficile Liberté, pp. 13-23, p. 21. 44 Rosenzweig, Franz, Star, p. 313/Stern, p. 328. 45 Levinas, Emmanuel, TI, p. 66/Ti, p. 61: “Le visage parle.”
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encounter. Thus the fundamental absence of the other, which I pointed out above, has to be acknowledged. In this sense, as Ludwig Wenzler emphasized, the structure of time, realized in the encounter, is conceived by Levinas as the “proximity of an absence”.46 At this point, differences between Rosenzweig and Levinas with respect to their temporal concepts and their relations to language emerge.47 Although I have outlined differences between Levinas and Rosenzweig regarding the notions of time and language, they have nonetheless a common approach to these themes. One could summarize that both thinkers, Rosenzweig as well as Levinas, emphasize speaking as such, without a pre-fabricated intention behind the speaking and without reducing the other to a mere receiver of what is said. Thus, an entire openness of the speaker towards the other is necessary for open-minded participation in an “act of speaking” in the sense found in the work of Levinas and Rosenzweig. An openness without limits and without intentions, which does not know where it will lead, but which is ready to inspire and to let itself be inspired by the other, in order to quit the banal order of logic and to generate not only knowledge, but something more seldom, and more precious – truth. This conception of truth has to be conceived as a dialogic truth, as has been pointed by Ephraim Meir in his approach of interreligiosity.48 It is a truth which none of the interlocutors possesses alone, but which comes about through the living speech of each participant, and for which each participant is necessary in order to be achieved. This entails an ethical communication which is actually in nuce set up in the concept of an ‘ethical language’ Levinas outlined, and for which realization the need of time and the other person is evi46
See Wenzler, Ludwig, “Zeit als Nähe des Abwesenden. Diachronie der Ethik und Diachronie der Sinnlichkeit nach Emmanuel Levinas”. 47 See Habib, Stéphane, Levinas et Rosenzweig. Philosophies de la Révélation, especially chapter II, “L’autre dans le Même”, p. 225ff. 48 Meir, Ephraim, Becoming Interreligious. Towards a Dialogical Theology from a Jewish Vantage Point, Waxmann 2017.
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dent.49 Works Cited Bauer, Anna Elisabeth, Rosenzweigs Sprachdenken im ‘Stern der Erlösung’ und in seiner Korrespondenz mit Martin Buber zur Verdeutschung der Schrift, Frankfurt am Main: Peter Lang, 1992. Blanchot, Maurice, “Our Clandestine Companion”, in: Face-to-Face with Levinas, ed. by Richard A. Cohen, Albany: State University of New York Press, 1986, pp. 41-50/“Notre compagne clandestine”, in: Textes pour Emmanuel Levinas, ed. by François Laruelle, Paris: Jean Michel Place, 1980, pp. 79-87. Casper, Bernhard, Angesichts des Anderen. Emmanuel Levinas – Elemente seines Denkens, Paderborn/Munich/Vienna/Zürich: Ferdinand Schöningh, 2009. Funkenstein, Amos, “An Escape from History: Rosenzweig on the Destiny of Judaism”, in: History and Memory, Vol. 2, no. 2, Winter 1990, pp. 117-135. Garrido-Maturano, Angel E., “Zeit als Gebet. Eine Einführung in die phänomenologische Bedeutung der Zeitigung des Selbst in Franz Rosenzweigs Stern der Erlösung”, in: Franz Rosenzweigs “neues Denken”. Internationaler Kongress Kassel 2004, ed. by Wolfdietrich Schmied-Kowarzik, Freiburg/Munich: Verlag Alber, 2006, Vol. II, pp. 923-937. Glatzer, Nahum N., “The Concept of Language in the Thought of Franz Rosenzweig”, in: The Philosophy of Franz Rosenzweig, ed. by Paul Mendes-Flohr, Hanover/London: University Press of New England, 1988, pp. 172-184. Ders. (ed.), Franz Rosenzweig: His Life and Thought, New York: Schocken Books, 1961. Habib, Stéphane, Levinas et Rosenzweig. Philosophies de la Révélation, 49
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Dr. Silvia Richter ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Guardini Professur der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin.
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Transdifferenz in der Praxis jüdisch-christlichen Dialogs
Die Gestaltung der Gemeindepartnerschaft zwischen der Jüdischen Gemeinde Pinneberg und der Jerusalem-Gemeinde zu Hamburg Hans-Christoph Goßmann Wer anfängt, sich im Dialog mit Andersgläubigen zu engagieren, macht oft für die ihn bzw. sie verblüffende Erfahrung, dass es mit den andersgläubigen Dialogpartnerinnen und -partnern weit mehr verbindende Gemeinsamkeiten gibt als zuvor erwartet. Denn wer bisher noch keine eigenen Dialogerfahrungen hat sammeln können, geht oft davon aus, dass andere Religionen so grundlegend anders sind, dass keine tragfähigen Gemeinsamkeiten mit anderen Religionen bestehen. So wichtig dieser Blick auf die verbindenden Gemeinsamkeiten als erster Schritt zweifellos auch ist, es darf nicht bei ihm bleiben. Er ist gut und hilfreich als Türöffner in den Raum des Dialogs. Ist dieser Raum jedoch betreten, muss der zweite Schritt folgen: Neben den Gemeinsamkeiten gilt es auch die Unterschiede in den Blick zu nehmen. Dialog vollzieht sich in der Spannung zwischen Distanz und Nähe. Letztlich können die verbindenden Gemeinsamkeiten nur wahrgenommen und gewürdigt werden, wenn auch die bleibenden Unterschiede wahrgenommen und gewürdigt werden – und umgekehrt. Wie kann dies in die Praxis interreligiösen Dialogs umgesetzt werden? Ephraim Meir hat ein Konzept entwickelt, das Unterschiede und Gemeinsamkeiten gleichermaßen ernst nimmt – das die Differenz zwischen den Dialogpartnerinnen und -partnern nicht gleichsam ausblendet.1 Dieses Konzept hat er mit dem Begriff der Transdifferenz charakterisiert.2 1
Somit hat der Titel „Differenz und Dialog“, mit dem Ephraim Meir eines seiner Bücher versehen hat (Ephraim Meir, Differenz und Dialog [Religionen im Dialog, Bd. 4], Münster / New York / München / Berlin 2011), durchaus programmatischen Charakter. 2 Zum Verständnis von Transdifferenz bei Ephraim Meir vgl. Michaela Will, Pfarramt und Rabbinat. Identitätskonstruktionen im Dialog, Nordhausen 2016.
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Grundlegend für sein Dialogverständnis ist sein Identitätsverständnis, bei dessen Entfaltung er an das von Emmanuel Lévinas anknüpft, dieses jedoch weiterentwickelt.3 Meir betont „die radikale Differenz nicht nur zwischen Religionen, sondern auch zwischen Menschen“4. Die steht jedoch einer dialogischen Beziehung nicht im Wege: „Trotz der radikalen Differenz zwischen Ich und Anderem hält Meir eine Verbindung zwischen Ich und Anderem für möglich. Diese bezeichnet er als Transdifferenz. Dabei geht es ihm darum, durch das Schaffen eines Zwischen über die Differenzen zwischen Ich und Anderem in dialogischer Weise hinauszugehen, ohne die Differenzen zu negieren. Ziel ist, eine Brücke zwischen Ich und Anderem zu schlagen (bridging) und zum Anderen hinüberzugehen (passing). Transdifferenz ist eine Beziehung des Ich mit dem Anderen, die eine Welt des Geistes und des Zwischen schafft." 5
Eine solche Transdifferenz kann im Dialog konkrete Gestalt annehmen.6 Damit grenzt sich Meir von Ansätzen ab, die die bestehenden Unterschiede zwischen den Religionen gleichsam einebnen. Dieses Modell des Religionsgrenzen überschreitenden Dialogs ist praxistauglich. Das wird im Folgenden anhand des Beispiels einer Religionsgrenzen überschreitenden Partnerschaft zweier Gemeinden exemplarisch dargelegt – der Gemeindepartnerschaft einer Synagogengemeinde und einer Kirchengemeinde, der Jüdischen Gemeinde Pinneberg und der Jerusalem-Gemeinde zu Hamburg. Beide Gemeinden brachten gute Voraussetzungen für eine solche Partnerschaft mit, denn in beiden hatten die jeweiligen Gemeindeglieder viele Dialogerfahrungen sammeln können: Die Jüdische Gemeinde Pinneberg hat sich seit ihrer Gründung im Jahr 2003 im interreligiösen Dialog engagiert, insbesondere im jüdischchristlichen und im jüdisch-islamischen Dialog. 3
Vgl. Michaela Will, a.(Anm. 2)a.O., S. 67ff. Michaela Will, a.(Anm. 2)a.O., S. 65. 5 Michaela Will, a.(Anm. 2)a.O., S. 72 (Hervorhebungen im Original). 6 Vgl. Michaela Will, a.(Anm. 2)a.O., S. 73: „Durch den Dialog als Brücke des Ich zum Anderen wird Transdifferenz ermöglicht.“ 4
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Das Engagement der Jerusalem-Gemeinde im christlich-jüdischen Dialog hat seine Wurzeln in deren Geschichte. Diese Gemeinde wurde im 19. Jahrhundert von der irisch-presbyterianischen Kirche zum Zweck der Judenmission gegründet. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges vollzog die Gemeinde unter Pastor Helmut Weber den theologischen Wechsel von der Judenmission zum christlich-jüdischen Dialog. Seit 1962 gehörte sie als Personalgemeinde ohne Pfarrbezirk zur Evangelisch-Lutherischen Kirche im Hamburgischen Staate und gehört somit jetzt zur Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland (Nordkirche). Sie hat den besonderen Auftrag, „Dienst an Israel“ zu leisten. Diesen Auftrag nimmt sie wahr durch ihr Engagement im christlich-jüdischen Dialog und durch Bildungsveranstaltungen und Publikationen zu Judentum sowie Geschichte und Gegenwart christlich-jüdischer Beziehungen. Die Partnerschaft dieser beiden Gemeinden hat ihre Vorgeschichte: Auf erste Kontakte folgten gegenseitige Einladungen zu Gottesdiensten und Festen. So wurden – um nur ein Beispiel zu nennen – die Mitglieder der Jüdischen Gemeinde Pinneberg zu Adventsfeiern der JerusalemGemeinde eingeladen und die Mitglieder der Jerusalem-Gemeinde zu Chanukka-Feiern in Pinneberg. Darüber hinaus werden von den beiden Gemeinden Bildungsveranstaltungen zum Verhältnis von Judentum und Christentum gemeinsam geplant, vorbereitet und durchgeführt. Der damalige Vorsitzende des Vorstands der Jüdischen Gemeinde Pinneberg, Wolfgang Seibert, ist regelmäßiger Autor im Gemeindebrief der Jerusalem-Gemeinde gewesen. Als anlässlich des 100jährigen Kirchweihfestes der Jerusalem-Kirche im Jahr 2012 eine Festschrift herausgegeben wurde, enthielt sie zwei Geleitworte: eines von Dr. Michael Arretz, dem Vorsitzenden des Kirchengemeinderates (damals noch: Kirchenvorstandes) der Jerusalem-Gemeinde und eines von Wolfgang Seibert. Dessen Geleitwort hat folgenden Wortlaut: „Liebe Jerusalem-Gemeinde, im Namen der Jüdischen Gemeinde Pinneberg gratuliere ich Ihnen zum hundertjährigen Bestehen Ihrer Kirche.
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Die Jerusalem-Kirche ist ein Ort des jüdisch-christlichen Dialogs. Wir brauchen solche Orte, um uns kennen zu lernen und besser verstehen zu können. Ich freue mich auf die Fortsetzung unseres Dialogs und wünsche Ihnen Gottes Segen.“
Der Dialog wurde nicht nur fortgesetzt, er wurde intensiviert. Es entwickelten sich vertrauensvolle und tragfähige Beziehungen zwischen den Mitgliedern der beiden Gemeinden. Diese Entwicklung führte zu der Entscheidung, eine Gemeindepartnerschaft einzugehen. Am Freitag, den 9. September 2016, wurde ein Partnerschaftsvertrag unterzeichnet, in dem diese Gemeindepartnerschaft gleichsam besiegelt wurde. In der seitdem vergangenen Zeit wurde deutlich, dass durch den Abschluss dieses Gemeindepartnerschaftsvertrags die bereits gewachsenen Beziehungen zwischen den beiden Gemeinden nicht nur dokumentiert, sondern auch vertieft wurden: Mitglieder beider Gemeinden bringen immer wieder zum Ausdruck, dass die Tatsache, dass sie jetzt eine „offizielle“ Partnergemeinde haben, ein Grund ist, die Beziehungen zu ihrer Partnergemeinde zu intensivieren. Dass eine Kirchengemeinde eine oder mehrere Gemeindepartnerschaften hat, ist nicht ungewöhnlich. Bemerkenswert ist allerdings, dass in diesem Fall die Partnergemeinde keine christliche, sondern eine jüdische ist. Bei der Gestaltung einer jüdisch-christlichen Gemeindepartnerschaft gilt es anderes zu berücksichtigen als bei der einer innerchristlichen. Das hat auch in dem Text des Partnerschaftsvertrages seinen Niederschlag gefunden. Dort wurde entfaltet, wie der Begriff „Partnerschaft“ verstanden wird. Unter der Überschrift „Was wir unter Partnerschaft verstehen“ wurde von Vorstandsmitgliedern der Jüdischen Gemeinde Pinneberg sowie von Mitgliedern des Kirchenvorstands der Jerusalem-Gemeinde gemeinsam ein Text erarbeitet, der ein von beiden Gemeinden getragenes Partnerschaftsverständnis in Worte fasst. Dieser Text hat folgenden Wortlaut: „Wir verstehen Partnerschaft als eine verbindliche Beziehung zwischen unseren Gemeinden. Diese Beziehung gründet in dem Vertrauen darauf, dass Gott
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uns zu geschwisterlicher Partnerschaft berufen hat. Auf dieser Basis wollen wir uns noch besser kennenlernen und unsere Hoffnungen, aber auch unsere Sorgen miteinander teilen. So kann unsere Partnerschaft weiter wachsen. In unserer Partnerschaft lassen wir uns von der gemeinsamen Vorstellung leiten, dass der Gott Israels, der alle Menschen nach seinem Bilde geschaffen hat (1. Mose 1,27), es uns ermöglicht, uns für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung einzusetzen. Auf dieser Grundlage versuchen wir, einander gegenseitig zu unterstützen und einander zur Seite zu stehen. So leisten wir auch einen Beitrag zum inneren Frieden in unserer Gesellschaft. Grundlegend für unsere Partnerschaft ist der gegenseitige Respekt. Diesen Respekt erweisen wir uns insbesondere dort, wo sich unsere Glaubensweisen voneinander unterscheiden. Die Andersartigkeit der jeweils Anderen begreifen wir als Bereicherung und nicht als persönliche In-Frage-Stellung unseres eigenen Glaubens. Diese Bereicherung eröffnet uns neue Perspektiven und hilft uns, nicht nur den anderen, sondern auch unseren eigenen Glauben besser zu verstehen. Es ist nicht unser Ziel, die jeweils Anderen von der Wahrheit unseres eigenen Glaubens zu überzeugen, wir wollen sie auch nicht dazu bewegen, ihren eigenen Glauben aufzugeben und sich dem Glauben zuzuwenden, in dem wir unsere religiöse Heimat haben. Jegliche Missionierung lehnen wir ab. Wir wollen uns vielmehr unsere Glaubenserfahrungen gegenseitig mitteilen und auf die des anderen Glaubens hören, um unser Gegenüber besser zu verstehen. Dabei bemühen wir uns, einen Zugang zur Geschichte und Kultur unserer Partnerinnen und Partner zu finden. Ein wechselseitiger Lernprozess befähigt uns dazu, uns in unserem jeweiligen Selbstverständnis wahrzunehmen und anzunehmen. Unsere Partnerschaft soll ein Ausdruck der Verbundenheit von Juden und Christen sein.“
Der Satz „Diesen Respekt erweisen wir uns insbesondere dort, wo sich unsere Glaubensweisen voneinander unterscheiden“ in diesem Vertrag hat für die Gestaltung der Partnerschaft beider Gemeinden ein besonderes Gewicht. Es wird anerkannt, dass nicht alle Wege zusammen gegangen werden können, weil es zwischen jüdischem und christlichem Glauben Unterschiede gibt, die wahr und ernst zu nehmen sind. So werden keine gemeinsam verantworteten jüdisch-christlichen Gottesdienste gefeiert. Dort, wo liturgische Gemeinschaft gelebt wird, sind Mitglieder der einen Gemeinde Gäste der anderen. So werden in der JerusalemGemeinde christliche Gottesdienste unter Mitwirkung von Gemeinde124
gliedern der Jüdischen Gemeinde Pinneberg gefeiert und in der Pinneberger Synagoge Gottesdienste unter Mitwirkung von Gemeindegliedern der Jerusalem-Gemeinde; die Mitglieder beider Gemeinden laden sich also gegenseitig ein, an der Gestaltung ihrer jeweiligen Gottesdienste mitzuwirken. So haben Mitglieder der Jüdischen Gemeinde Pinneberg in Gottesdiensten der Jerusalem-Gemeinde Lesungen aus der Hebräischen Bibel, dem christlichen Alten Testament, übernommen und sich an der Gestaltung von Dialogpredigten beteiligt; in Gottesdiensten der Jüdischen Gemeinde Pinneberg werden Mitglieder der Jerusalem-Gemeinde aufgefordert, Psalmen zu lesen, und deren Pastor hat in einem KabbalatSchabbat-Gottesdienst in der Pinneberger Synagoge die Predigt über die entsprechende Parascha, den Wochenabschnitt aus der Tora, gehalten. Dieser Bereich der christlich-jüdischen Zusammenarbeit hat dem im Rahmen dieser Gemeindepartnerschaft gelebten Dialog eine besondere Tiefe verliehen. Denn in ihm stehen heilige Texte im Zentrum sowie der Umgang mit ihnen im Religionsgrenzen überschreitenden Dialog. Auch in dieser Hinsicht erweist sich der Ansatz von Ephraim Meir als weiterführend, den Michaela Will wie folgt zusammenfasst: „Im Blick auf die Texte geht es darum, über eine exklusive Lesart hinauszugehen, die nur der Stärkung der eigenen Gruppe dient. Eine dialogische Interpretation ermöglicht auch die Wahrnehmung der Textelemente, die zur Anerkennung des Anderen und zur Aufmerksamkeit für dessen Narrativ, Erinnerung und Leiden führen können.“7 Dies kann zu einer Vertiefung der Glaubenserfahrung führen: „Erst durch den Dialog mit dem Anderen, dem Fremden, wird die Stimme Gottes in den heiligen Texten hörbar.“8 Diese Praxis gelebter Partnerschaft, bei der gemeinsame Wege beschritten werden, ohne die bestehenden Differenzen zwischen den beiden Religionen Judentum und Christentum auszublenden, entspricht den „Bereiche[n] der Zusammenarbeit“, die im Partnerschaftsvertrag benannt wurden: 7 8
Michaela Will, a.(Anm. 2)a.O., S. 84. Michaela Will, a.(Anm. 2)a.O., S. 85.
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„Wir geben unserer Partnerschaft konkret Gestalt, indem wir einander über aktuelle Entwicklungen in unseren Gemeinden informieren, uns gegenseitig zu Gottesdiensten und Festen einladen, uns in unsere Gebete aufnehmen, sowohl in Gottesdiensten als auch im persönlichen Gebet, gemeinsam unsere Stimmen gegen Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus erheben, uns bei Bedrohungen z.B. durch Antisemiten im Rahmen unserer Möglichkeiten zur Seite stehen, da, wo es sich anbietet, gemeinsame Aktionen und Veranstaltungen planen und durchführen – insbesondere Bildungsveranstaltungen, in denen wir über Judentum, Christentum sowie Geschichte und Gegenwart jüdisch-christlicher Beziehungen informieren und so unseren Beitrag zum Abbau von Vorurteilen leisten.“
Die Gestaltung des jüdisch-christlichen Dialogs gemäß dem von Ephraim Meir entwickelten Konzept der Transdifferenz ermöglicht somit einen Dialog, bei dem Differenz nicht als Defizit betrachtet und deshalb gleichsam wegdialogisiert wird, sondern als Anlass gewürdigt wird, überhaupt in einen Dialog einzutreten. Denn ohne die Differenz zwischen den Religionen würde es keine unterschiedlichen Religionen geben und somit auch keinen interreligiösen Dialog. Letztlich kann es zu einem wirklichen Dialog, einer wirklichen Begegnung mit dem Anderen nur dann kommen, wenn die Differenzen ernstgenommen werden. „Die Differenzen zwischen dem Anderen und dem Selbst verhindern nicht die Begegnung, sondern ermöglichen eine transdifferente Begegnung, in der Freude und Leiden des Anderen erfahren werden.“9 Das hier dargestellte Beispiel der Gestaltung der Gemeindepartnerschaft zwischen der Jüdischen Gemeinde Pinneberg und der JerusalemGemeinde zu Hamburg zeigt somit: „Das von Meir vertretene Konzept der Transdifferenz bietet damit eine tragfähige Grundlage für einen Dialog zwischen Religionen, bei dem auch die Differenzen in den Blick genommen werden.“10 9
Michaela Will, a.(Anm. 2)a.O., S. 68. Michaela Will, a.(Anm. 2)a.O., S. 87.
10
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Literatur Meir, Ephraim (2011). Differenz und Dialog [Religionen im Dialog, Bd. 4], Münster / New York / München / Berlin Will, Michaela (2015). Pfarramt und Rabbinat. Identitätskonstruktionen im Dialog, Nordhausen 2016
Dr. Hans-Christoph Goßmann ist Pastor der Jerusalem-Gemeinde zu Hamburg und leitet die Jerusalem-Akademie.
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Transdifferenz und feministische Praxis
Interkultureller und interreligiöser Dialog in der evangelischen Frauenarbeit in Hamburg vor dem Hintergrund des Konzepts der Transdifferenz von Ephraim Meir Michaela Will Als ich 2011 an der Akademie der Weltreligionen in Hamburg Ephraim Meir das erste Mal über sein Konzept der Transdifferenz sprechen hörte, war ich fasziniert von dem Gedanken, Differenzen als Reichtum und Ausgangspunkt für ein wechselseitiges Lernen zu begreifen.1 Dies schien mir ein Schlüssel dafür zu sein, Differenzen im Dialog nicht zu verdrängen, sondern wahrzunehmen und konstruktiv zu nutzen. Für den Diskurs einer Praktischen Theologie im Dialog mit dem Judentum fand ich hierin eine hermeneutische Grundlage, um christliche und jüdische Traditionen inspirierend zueinander in Beziehung zu setzen.2 Aber auch in der interreligiösen und interkulturellen Praxis zeigt sich die Tragfähigkeit eines solchen transdifferenten Denkens. Dies möchte ich Folgenden auf der Grundlage einer Darstellung von Meirs Konzept der Transdifferenz am Beispiel meiner Arbeit im Frauenwerk HamburgWest/Südholstein deutlich machen. 1 Ephraim Meirs Konzept der Transdifferenz 1.1 Radikale Differenz Ausgangspunkt für Meir ist die radikale Differenz nicht nur zwischen Religionen, sondern auch zwischen Menschen.3 Daraus ergeben sich 1
Ephraim Meir. (2011): Religiöse Identität und interreligiöser Dialog: Transzendenz des Selbst und Trans-Differenz [Vortrag an der Akademie der Weltreligionen im Dialog in Hamburg, unveröffentlicht]. 2 Michaela Will (2016): Pfarramt und Rabbinat. Identitätskonstruktionen im Dialog, Nordhausen. 3 Vgl. Ephraim Meir (2013): Dialogical Thought and Identity. Trans-Different Religiosity in Present Day Societies, Berlin / Boston, 135ff; ders. (2016): Interreligiöse Theologie. Eine Sichtweise aus der jüdischen Dialogphilosophie, Berlin/Jerusalem;
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Konsequenzen für die Wahrnehmung und Beschreibung des jeweils Anderen: Der Andere kann nicht definiert werden. Er ist immer anders. Zugleich konstatiert Meir die vorherrschende Tendenz in der Gesellschaft einschließlich der Wissenschaft, den Anderen zu definieren, sich ein Bild von ihm zu machen. Es wird versucht, den Anderen im wahrgenommenen Bild zu bändigen, ihn von seinen Wurzeln her als definierte Identität zu verstehen und ihn so zu beherrschen und zu kontrollieren. Ein solches objektivierendes ‚Anstarren’ macht für Meir eine dialogische Beziehung zum Anderen unmöglich und verhindert eine eigene Entwicklung ebenso wie die des Anderen. Als Alternative zu einer solchen totalisierenden Konstruktion des Anderen sieht Meir den Weg, mit dem Anderen zu sein, präsent und verfügbar. Anstelle des beobachtenden Ich tritt ein Ich, das den Anderen nicht mit den Maßstäben des Ich misst, sondern dessen Nichtmessbarkeit und Unbeschreibbarkeit anerkennt. Anstelle des objektivierenden ‚Anstarrens’ tritt ein Blick, der die unvergleichbare Einzigartigkeit des Anderen respektiert. Ein solcher Blick respektiert die Differenz und führt zu ‚Nicht-Indifferenz’ (nonindifference). Im Anschluss an Deleuze und Lévinas betont Meir die Wichtigkeit von Differenz.4 Er versteht die undenkbare Alterität nicht als Objekt des Denkens, sondern als das, was Denken erlaubt. Er sieht die Möglichkeit, dem darstellenden Ich zu widerstehen, wenn Differenz als ‚Ungedachtes’, das gedacht werden muss, verstanden wird. Differenz zu denken impliziert für ihn ein anderes Denken, ein ‚Denken ohne Bilder’. Begrenzte, degradierende Sichtweisen werden durch eine nicht-indiffeders. (2011): Identity Dialogically Constructed, (Jerusalemer Texte 4), Nordhausen; ders. (2014): Building Stones for an Interreligious Dialogue and Theology, in: Wolfram Weisse [u.a.] (Hg.): Religions and Dialogue. International Approaches, (Religions in Dialogue 7), Münster / New York, 125-138. Für weitere Literaturhinweise siehe das entsprechende Kapitel meiner Dissertation, das die Grundlage für diesen Abschnitt bildet: Will (2016): Pfarramt und Rabbinat., 65-87. 4 Vgl. Gilles Deleuze (1992): Differenz und Wiederholung, München, 329, 262, 287; Emmanuel Lévinas (20084): Totalität und Unendlichkeit. Versuch über die Exteriorität, Freiburg/ München.
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rente, ethische Offenheit für die Differenz jedes Menschen ersetzt. Im ‚Wunder’ einer transdifferenten Begegnung sieht Meir die eigene Differenz und die des Anderen zum Ausdruck kommen. 1.2 Meta-Identität, Selbsttranszendenz und Selbstdifferenz Grundlage für Meirs Konzept der Transdifferenz ist sein Identitätsverständnis. In Anknüpfung an Lévinas versteht Meir das Ich als erst durch den Anruf des Anderen konstituiert.5 Das Ich ist Ich durch den Anruf des Nicht-Ich. Die Differenz zwischen dem Ich und dem Anderen führt zu Nicht-Indifferenz und bricht mit der Gewalt eines beherrschenden Seins. Im Ich, das zur Brüderlichkeit gerufen wird, findet etwas vom Nicht-Ich statt. Anders als Lévinas hält Meir jedoch auch die aktive Formung des Ich für bedeutsam. Er geht davon aus, dass das Ich nicht nur durch den Anruf des Anderen geformt wird, sondern auch sich selbst formt. Er betont, dass auch das Ich Anderer für den Anderen ist und sich selbst konstruiert. Dies führt Meir anhand der Begriffe der Selbsttranszendenz, Selbstdifferenz und Transdifferenz aus. Selbsttranszendenz definiert er als Ausrichtung des Selbst auf den Anderen durch das Antworten auf dessen Anruf.6 Es bedeutet ein Ausstrecken zum Anderen, das dem Selbst ermöglicht, sich selbst in der Beziehung zum Anderen zu transzendieren. Selbsttranszendenz ist ein Prozess, bei dem das Ich sich dem Anderen öffnet und eher den Anderen bestätigt als sich selbst. Das Ich kann der ewigen Rückkehr zu sich selbst entkommen. Es geht um die Bewegung des Ich aus seiner Eingeschlossenheit und den Durchbruch zum Anderen hin. Die Folge von Selbsttranszendenz ist für Meir Selbstdifferenz.7 Damit bezeichnet er das Sich-selbst-anders-Werden. Dabei geht es darum, aus einer geschlossenen Identität zugunsten eines nicht-identischen Ich herauszutreten und die Andersheit im eigenen Selbst zu erkennen. Selbstdif5
Vgl. Meir (2013): Dialogical Thought and Identity, 4ff. Vgl. a.a.O., 3, 6, 25f, 42. 7 Vgl. a.a.O., 6, 148ff. 6
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ferenz ist die Offenheit des Selbst für den Anderen, die Erfahrung von Andersheit als Folge der Sorge um den Anderen. Sie ist die Folge davon, das Nicht-Ich willkommen zu heißen und für es zu sorgen. Darin liegt für Meir die höhere Identität des Menschen. Selbstdifferenz ist eine Umkehrung des ganzen Seins, bei der das Ich das tiefste Selbst im Ich entdeckt. Damit sieht Meir Andersheit als das tiefste Element von Identität. Die Andersheit bricht die Identität. Diese wird durch den Anderen alteriert. Eine solche fremde, gebrochene, nicht egologische Identität ermöglicht das Übersetzen und den Eintritt in die Welt der Anderen. In Selbstdifferenz erfährt man nicht sich selbst, sondern lässt sich tief auf die Antwort auf den Ruf des Anderen ein. Durch die Anrede des Anderen wird das Ich zum Ich. Die so entstehende Selbstdifferenz des Ich trägt den Anderen in sich. Das Ich ist ein wirkliches Ich in Antwort auf den Anderen, unterschieden (different) vom Anderen, aber nicht-indifferent. So lässt das Selbst eine Distanz zwischen sich und dem Anderen und schafft eine nicht-indifferente Beziehung. Die Differenzen zwischen dem Anderen und dem Selbst verhindern nicht die Begegnung, sondern ermöglichen eine transdifferente Begegnung, in der Freude und Leiden des Anderen erfahren werden. Das Ergebnis einer solchen Zuwendung zum Anderen versteht Meir als Entdecken des ‚heiligen Funkens’ im Selbst und in den Anderen. Selbsttranszendenz heißt für ihn Heilig-Werden. In der Zuwendung zum Anderen und im Schaffen einer gemeinsamen Welt der Transdifferenz wird Heiligkeit bzw. Selbstdifferenz verwirklicht. Meir versteht Identität als zugeschrieben und im Kontext geformt. Er plädiert gegen die Bindung von Individuen und Kollektiven an Stereotypen sowie für die Möglichkeit einer Entwicklung in unterschiedliche Richtungen.8 Jedoch sieht er in der Zuschreibung von Identität durch den Anderen nicht nur eine Begrenzung, sondern auch die Möglichkeit zur Entwicklung einer höheren Identität. Der Andere zwingt das Ich, die Grenzen des Selbst zu überschreiten, um ihn zu besuchen und seinen 8
Vgl. a.a.O., 10ff.
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Besuch zu erlauben. Der Andere fordert zur Selbstdifferenz heraus. Das Ich kann sich konstruieren wegen des Anrufs des Anderen, der die höhere Identität des Selbst bzw. die Andersheit im Selbst ausmacht. In dieser Selbstkonstruktion verändert sich das Ich ständig aufgrund der Forderung des Anderen. Dessen Anruf zwingt zur Selbsttranszendenz. Damit rührt die höhere Identität bzw. Meta-Identität des Ich vom Gefordertsein durch den Anderen her. Diese Veränderung des Ich im Dienst des Anderen ist ein permanenter Zug des Ich. Dabei bezeichnet Meir den Prozess des Sich-selbst-anders-Werdens als Selbsttranszendenz und das Ergebnis des alterierten Selbst als Selbstdifferenz. Meir beabsichtigt keine Rückkehr zu einem essentialistischen oder substantiellen Verständnis des Ich.9 Vielmehr geht es ihm im Anschluss an Lévinas um eine Meta-Identität, die an die Rechte des Anderen gebunden und dem Anderen mit Sorge um seine irreduzible Alterität verpflichtet ist. In seiner Einzigartigkeit bleibt jeder Mensch für ihn ein nicht vollständig zu entschlüsselndes Geheimnis. Das Ich ist vor allem Anfang vom Anderen gefordert, und diese Forderung macht die Einzigartigkeit des Selbst aus. 1.3 Transdifferenz Trotz der radikalen Differenz zwischen Ich und Anderem hält Meir eine Verbindung zwischen Ich und Anderem für möglich.10 Diese bezeichnet er als Transdifferenz. Dabei geht es ihm darum, durch das Schaffen eines Zwischen über die Differenzen zwischen Ich und Anderem in dialogischer Weise hinauszugehen, ohne die Differenzen zu negieren. Ziel ist, eine Brücke zwischen Ich und Anderem zu schlagen (bridging) und zum Anderen hinüberzugehen (passing). Transdifferenz ist eine Beziehung des Ich mit dem Anderen, die eine Welt des Geistes und des Zwischen schafft. In der ethischen Erfahrung der Offenheit für das Nicht-Ich kommt das Leben des Ich zur Erfüllung im Buberschen Zwischen bzw. 9
Vgl. a.a.O., 12ff. Vgl. a.a.O., 2, 6.
10
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im Rosenzweigschen Übersetzen.11 Dabei sind beide Seiten getrennt und trotzdem miteinander verbunden. Entsprechend bedeutet Transdifferenz für Meir, dass der Andere anders ist als ich, wie auch ich für ihn, und dass trotz dieser Differenzen ein Hinübergehen zum Anderen bzw. ein Bauen von Brücken zwischen den Differenzen möglich ist. Die Beziehung zum Anderen schafft eine Welt des Geistes und des Zwischen. Durch den Dialog als Brücke des Ich zum Anderen wird Transdifferenz ermöglicht. Das Zwischen bezeichnet für Meir einen Dialog zwischen dem Selbst und dem Anderen.12 Im Prozess des Zwischen gibt es eine Spur des Anderen im Selbst, die das Selbst verändert und zu seinem höheren Selbst bringt. Dieses Ich ist ein dem Anderen unmittelbar verpflichtetes Selbst. In einer inklusiven Haltung wird versucht, die Grenzen des Selbst zu überschreiten und die trennenden Mauern zwischen Selbst und Anderem niederzureißen. Das Überschreiten der Grenze muss nicht die Andersheit eliminieren oder neutralisieren. Es ist nur erfolgreich, wenn eine unüberbrückbare Dualität bewahrt und eine Synthese vermieden wird. Wirkliches Verstehen bleibt für Meir eine schwierige Aufgabe. Dialog und Kontakt zum Anderen ereignen sich, wenn es einen Übergang (passage) zum Anderen ohne totale Assimilation oder Dissimilation gibt. Voraussetzung dafür ist die Entdeckung der Andersheit im Selbst. Als Voraussetzung für die menschliche Fähigkeit zur Transdifferenz verweist Meir auf die wesentliche Einheit aller Sprachen und das Gebot, sich gegenseitig zu verstehen.13 Dies schafft die Möglichkeit wie auch die Aufgabe des Übersetzens. Letztlich geht es Meir dabei um die Überzeugung, dass jeder Mensch die Fähigkeit hat, den Anderen zu verste11
Vgl. a.a.O., 18. Vgl. auch Martin Buber (1983): Ich und Du, Heidelberg, 49; ders. (1948): Das Problem des Menschen, Heidelberg, 168. 12 Vgl. Meir (2013): Dialogical Thought and Identity, 151f. 13 Vgl. a.a.O., 80. Vgl. auch Franz Rosenzweig: (1983): Sprachdenken im Übersetzen, 1. Band: Jehuda Halevi. Fünfundneunzig Hymnen und Gedichte. Deutsch und Hebräisch, (Der Mensch und sein Werk. GS IV), mit einem Vorwort und mit Anmerkungen, hg v. Rafael N. Rosenzweig, Dordrecht [u.a.], 155.
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hen, dass Frieden und gegenseitiges Verstehen möglich sind. Für Meir ist Übersetzen gleichbedeutend mit einem transdifferenten Leben. Er versteht Übersetzen als den eigentlichen Akt von Transdifferenz. Es bedeutet für ihn das Hinübergehen zum Anderen bzw. den Anderen willkommen zu heißen. Für Meir ist jedes Gespräch ein Akt der Übersetzung, weil unterschiedliche Welten miteinander in Kontakt kommen. Durch das Übersetzen wird der Übersetzer sich selbst anders, selbstdifferent. Auch der Hörer oder Leser der Übersetzung wird seinem Selbst anders durch seine Offenheit für eine andere Welt, was Meir als Akt der Selbsttranszendenz bezeichnet. So wird jede wirkliche Begegnung zu einem Akt der Gastfreundschaft. Übersetzen heißt also für Meir zu glauben, dass die Verwirklichung der Einheit und Verbundenheit der Menschheit immer eine Möglichkeit ist. Diese Möglichkeit besteht nicht trotz, sondern wegen der Differenzen. In einer Haltung der Transdifferenz wird eine Brücke zum Anderen gebaut. Diese Brücke entsteht nicht durch die Auslöschung der Andersheit des Anderen, sondern dadurch, dass man die Fremdheit des Anderen die Welt des Selbst beeinflussen lässt. Das sich selbst transzendierende Ich erlaubt der Andersheit, in das Selbst einzutreten. In der Übersetzung und in jedem wirklichem Gespräch wird das Selbst durch etwas überrascht, dass jeglicher Familiarität entflieht. In Kontakt, in Gastfreundschaft gegenüber dem Nicht-Ich wird das Selbst verändert. Das Ergebnis ist ein selbstdifferentes Ich, in dem der Andere nach Hause kommen kann. Mit dem Konzept der Transdifferenz geht es Meir darum, Differenzen zu bestätigen und zu transzendieren, um eine Haltung von Kommunikation, Austausch, Koexistenz und Interaktion zu entwickeln.14 Angesichts des von Lyotard konstatierten Endes der großen Erzählungen, der zunehmenden Multi- und Interkulturalität und der Konstruktion dynamischer Identitäten fordert er Transdifferenz als gemeinsamen Grund zwischen Menschen, unabhängig von den bleibenden Differenzen zwischen ih-
14
Vgl. Meir (2013): Dialogical Thought and Identity, 137f.
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nen.15 Er versteht Transdifferenz als interkulturelles Engagement bzw. Nicht-Indifferenz gegenüber dem Anderen. Mit Nicht-Indifferenz meint er eine Haltung gegenüber dem Anderen, die das Selbst und das Wissen um das Selbst und den Anderen zugunsten der Anerkennung der Andersheit des Anderen, die auch im Ich selbst ist, übersteigt. Es geht ihm um eine Koexistenz von Horizonten ohne Fusion bzw. eine Verbundenheit mit dem radikal Anderen, ein Brückenschlagen zwischen den unterschiedlichen Welten. Dies versteht er als lebenslange spirituelle Aufgabe. „The possibility of the coexistence of horizonts without fusing, of being linked to the radically other, the possibility of ‚translating’ his world in my own terms as well as ‚translating’ my world in terms of the other, is what ‘transdifference’, as I understand it, is all about. Realizing ‚trans-difference’ in which the I becomes I, is therefore a process, a life-long spiritual task.”16
1.4 Kulturen in Transdifferenz Meir bezieht seine philosophischen Überlegungen zur dialogischen Konstruktion von Identität auch auf kollektive Identitäten, auf Kulturen und ihr Verhältnis zueinander.17 Angesichts der Gewalt des 20. und 21. Jahrhunderts hebt Meir die Wichtigkeit der Unterstützung interkultureller Kommunikation als Notwendigkeit jeder Kultur hervor. Über die jeweilige partikulare kulturelle Identität hinaus sieht er Respekt für den Anderen in seiner Andersheit als eine alle Menschen verbindende universale Tugend an.18 Die Tugend des Dialogs und die Entdeckung des dialogischen Kerns in jedem Menschen überschreiten kulturelle und religiöse Grenzen. Auch die Kluft zwischen Religion und Säkularität sieht er durch die Sorge für den Mitmenschen und Respekt gegenüber der Würde des Geheimnisses in jedem Menschen überbrückt.
15
Vgl. Jean-François Lyotard (20055): Das postmoderne Wissen. Meir (2013): Dialogical Thought and Identity, 140. 17 Vgl. a.a.O., 171. 18 Vgl. a.a.O., 170. 16
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Zugleich wendet Meir sich gegen das Ideal einer homogenen Kultur.19 Er wertschätzt die Einzigartigkeit jedes kollektiven Ichs und spricht sich gegen dessen Auslöschung in einer höheren Einheit aus. Andererseits warnt er vor einer Dissimilation, die Ethnozentrismus, soziale Ghettos und Ausschluss von der allgemeinen Gesellschaft mit sich bringt. Mit dem Begriff der Transdifferenz geht es ihm dem gegenüber um eine Bewegung, die eine Einheit mit Respekt für Unterschiede schafft. Totale Assimilation wie auch extreme Dissimilation sollen vermieden werden. Mit dem Begriff der Transdifferenz möchte Meir sowohl über Multikulturalität als auch über Transkulturalität hinausgehen und Differenz wie auch Gemeinsamkeit berücksichtigen. Mit seinem Konzept der Transdifferenz wendet sich Meir gegen das Ideal einer post-differenten Kultur, die Differenzen in einer allumfassenden Einheit auslöscht.20 Dem gegenüber sieht er die Differenzen zwischen Kulturen und Sprachen als eine Möglichkeit der Bereicherung. Die Aufmerksamkeit für die Besonderheit einer Kultur kann zu einer transdifferenten Haltung und zu ‚Nicht-Indifferenz’ führen. Für Meir sind die Unterschiede zwischen den Kulturen wesentlich. Zugleich wird die Möglichkeit einer Brücke zwischen ihnen durch Übersetzungen in Betracht gezogen. Kommunikation ist seiner Meinung nach nur verbunden mit einer nicht-synthetisierenden Perspektive möglich, wenn die Unterscheidung zwischen unterschiedlichen Realitäten ernst genommen wird. Zugleich versteht Meir Kulturen nicht als statische, voneinander abgegrenzte Gebilde, sondern als komplexe, sich verändernde ‚Mischungen’ zwischen dem Eigenen und dem Anderen.21 Der Einzelne muss ständig alte Kennzeichen in neue Begriffe und die neu aufgenommenen kulturellen Merkmale in alte, bekannte Worte übersetzen. Übersetzung im Sinne von Kommunikation und Austausch zwischen Elementen des Selbst sowie zwischen dem Selbst und dem Anderen ist in jedem Leben notwen19
Vgl. a.a.O., 137f. Vgl. a.a. O., 151. 21 Vgl. a.a.O., 160. 20
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dig. Durch Übersetzung oder Brückenschlagen zwischen unterschiedlichen Kulturen bildet sich das höhere Selbst. Das Ich wohnt in einem Zwischen und kann am Gespräch zwischen den verschiedenen Kulturen teilnehmen. In einer Vielfalt von Kontexten lebend, übersetzt es ständig. Da Alterität jedoch das Un-Gedachte (un-thougth) in der Philosophie ist, bleibt die Versuchung eines regressiven Ichs, das Kommunikation vermeidet und monadisch innerhalb des Eigenen ohne Empathie und Solidarität mit Anderen bleibt, real. Daher sieht Meir die Notwendigkeit eines neuen Denkens über Alterität, das das Subjekt in ein höheres Selbst verändert. Er ist an einer Meta-Identität interessiert, die in vorurteilsfreier interkultureller Kommunikation geformt wird.22 1.5 Religionen in Transdifferenz Meir bezieht sein dialogisches Verständnis von Identität auch auf religiöse Identitäten und versteht Religionen als kollektive Identitäten. Auch in diesem Zusammenhang fragt er nach einer grundlegenden Tiefenstruktur, weniger nach dem Wesen religiöser Identitäten oder konkreter Praxis und Glaubensweise. Dieser meta-religiöse Standpunkt ermöglicht die Suche nach Sinn in den Religionen wie auch Kritik an deren nichtdialogischen Ausprägungen.23 Auch hinsichtlich der Religionen geht es Meir um ein nicht essentialistisches Verständnis. Auch Religionen als kollektive Identitäten können nach Meir durch die Entwicklung einer Haltung der Selbsttranszendenz von der ewigen Rückkehr zu sich selbst wegkommen.24 Ausgehend davon können sich unterschiedliche Welten in Transdifferenz treffen. Dabei bleiben die Unterschiede zwischen den Religionen wertvoll, sind aber mit dem Wissen um die Begrenztheit der einzelnen Religion verbunden. Die einzelne Religion wird als ein Teil des Ganzen verstanden. Das Ziel von Religion ist entsprechend nicht Trennung, sondern die Kultivierung von Nähe 22
Vgl a.a.O., 167f. Vgl. auch a.a.O., 38. 24 Vgl. a.a.O., 134f, 156. 23
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zum Anderen. Der Kern authentischer Religiosität liegt in einem Leben im Angesicht Gottes, das sich in einem Leben im Angesicht des anderen Menschen ausdrückt. Transdifferenz beinhaltet, das Menschen Verbindende, die universale Dimension verschiedener Religionen und deren Beitrag zu anderen Formen des Humanismus zu entdecken. Wahre Religiosität baut nach Meir Brücken zwischen Religionen, weil diese als unterschiedliche Lebensweisen um den ‚Unaussprechlichen’ herum verstanden werden.25 Dabei ist die unvergleichbare Partikularität der einzelnen Religion genauso wichtig wie die Verbindung zu anderen. Da die Frage der Identität für Meir immer an das Universale gebunden ist, kann religiöse Identität nicht nur durch die Betonung einer bestimmten Lebensweise verstanden werden. Daher ist Dialog notwendig, nicht nur um der Stärkung der eigenen Identität willen, sondern auch aufgrund der Verbundenheit aller. So sieht Meir Transdifferenz als entscheidend nicht nur für das Individuum, sondern auch für die Religionen an.26 Entsprechend bringt eine transdifferente oder interreligiöse Religiosität unterschiedliche MetaNarrative zusammen.27 Auch wenn die Offenheit gegenüber anderen religiösen Erfahrungen den eigenen Narrativ in gewisser Weise relativiert, stärkt sie den Einzelnen zugleich darin, seine eigene story wie eine Farbe in einem vielfarbigen Mosaik zu leben. 28 Die andere Religion kann als Bereicherung gesehen werden. Für Meir ist religiöses Leben notwendigerweise im Plural. Die einzelnen Religionen haben teil an der Wahrheit, die Gott ist. Zugleich betont er, dass Gott über allen Religionen steht und Gott und Religionen nicht gleichgesetzt werden dürfen.29 Eine interreligiöse Theologie, eine Pluralität religiöser Lebensweisen und Respekt für die Heterogenität in den Religionen können exempla25
Vgl. a.a.O., 161f. Vgl. a.a.O., 163f. 27 Mit dem Begriff des religiösen Narrativs knüpft Meir an Lyotard an. Vgl. Lyotard (20055): Das postmoderne Wissen, 63ff. 28 Vgl. Meir (2013): Dialogical Thought and Identity, 178f. 29 Vgl. a.a.O., 197. 26
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risch für eine interkulturelle, friedliche Gesellschaft sein, in der Konsens und Dissens koexistieren.30 Als Voraussetzung dafür sieht Meir die Entwicklung einer dialogischen Hermeneutik. 1.6 Transdifferenz als Beitrag zum Frieden Im Unterschied zu einem Verständnis von Religionen als Hindernis für den Frieden weist Meir auf die Möglichkeit der Förderung des Friedens durch die Religionen und durch Religiosität hin.31 Im interreligiösen Dialog engagierte Menschen können inklusive Gedanken entwickeln, die den Frieden fördern. Aus Sicht der monotheistischen Religionen bringen die Schöpfung und der Gedanke der menschlichen Ebenbildlichkeit die Menschen zusammen. Partikularität muss nicht aufgegeben werden, da das höhere Ziel der Religionen in der Schaffung einer Atmosphäre liegt, in der Partikularität bewahrt wird, und alle aufgefordert werden, miteinander zu leben. Friedensprozesse können von diesem neuen Denken religiöser Identität als Verpflichtung zum Schaffen einer gemeinsamen Welt der Geschwisterschaft profitieren. Ein gegenseitiges Bestärken des jeweils Anderen kann zur Verringerung von Spannungen und zur Normalisierung von Beziehungen beitragen. Religiöse Kulturen können Verbindendes betonen und Diskriminierung vermeiden und so zur Deeskalation von Konflikten beitragen. Ein dauerhaftes Gespräch zwischen religiösen Menschen kann die Grundlage für das Verständnis der gemeinsamen Aufgaben schaffen. Diese sieht Meir darin, den universalen Bund Gottes mit den Menschen zu leben, Partnerschaft und Verantwortung für das Wohl der Welt zu entwickeln sowie den Anderen als Gottes Ebenbild anzuerkennen. Damit betont er die Möglichkeit von Menschen, 30
Vgl. Ephraim Meir [u.a.] (2007): An Integrated Strategy for Peacebuilding. Judaic Approaches, in: Die Friedens-Warte. Journal of International Peace and Organization 82/2-3, 137-158. 31 Vgl. Meir (2013): Dialogical Thought and Identity, 174ff; ders. (2012): Quo vadis, religio? Religion as Terror and Violence or as Contribution to Civilization. A Plea for Trans-Difference [Vortrag an der Akademie der Weltreligionen im Dialog in Hamburg, unveröffentlicht]; ders. (1996): Modernes jüdisches Denken, Fuldatal, 85.
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Konflikte zu überbrücken und zu einem gegenseitigen Verständnis sowie zu einer Koexistenz zu kommen und sieht Kontakt als Mittel der Konfliktlösung. Die Entdeckung der Verbindung aller Menschen kann so zu einem neuen, die Welt verändernden Bewusstsein führen. 2 Frauenwerk Hamburg-West/Südholstein Das Frauenwerk Hamburg-West/Südholstein ist eine übergemeindliche Einrichtung der Ev.-Luth. Kirche in Norddeutschland.32 Es gehört zum Bereich Bildung des Ev.-Luth. Kirchenkreises Hamburg-West/Südholstein, gemeinsam mit Arbeitsstellen zu den Bereichen Flüchtlingsarbeit, Ökumene, Älterwerden, Engagementförderung und Jugendarbeit.33 Zum Kirchenkreis gehören 55 Kirchengemeinden im Westen Hamburgs und in Südholstein mit ca. 212 000 Kirchenmitgliedern.34 Die Arbeit im Frauenwerk richtet sich an Frauengruppen in den Kirchengemeinden, aber auch darüber hinaus an alle interessierten Frauen und* Männer der Metropolregion Hamburg.35 „Die Schwerpunkte unserer Arbeit von Frauen* für Frauen* sind: Feministische und geschlechtergerechte Theologie und Spiritualität Sozialpolitisches Engagement Qualifizierung von Frauen Frauensozial- und Frauenbildungsarbeit Ökumenischer, interkultureller und interreligiöser Dialog Engagement für Gerechtigkeit in der Einen Welt“ 36
Inhaltliche Arbeitsschwerpunkte liegen derzeit in den Bereichen 100 Jahre Frauenwahlrecht und Frauenrechte, Weltgebetstag, Amica e.V.37, 32
https://www.frauenwerk-hhsh.de (abgerufen am 5.1.19). https://www.kirche-hamburg.de/kirche-hamburg/kirchenkreis-hamburgwestsuedholstein/bildung.html (abgerufen am 5.1.19). 34 https://www.kirche-hamburg.de/kirche-hamburg/kirchenkreis-hamburgwestsuedholstein.html (abgerufen am 5.1.19). 35 Das Sternchen* steht für das Dritte Geschlecht und gegen die Festlegung von Menschen auf eine stereotypisierende Zweigeschlechtlichkeit. 36 https://www.kirche-hamburg.de/kirche-hamburg/kirchenkreis-hamburgwestsuedholstein/bildung/frauenwerk-hamburg-westsh.html (abgerufen am 5.1.19). 33
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in der Vernetzung mit anderen religiösen und säkularen Frauenorganisationen sowie im interkulturellen und interreligiösen Dialog. Zu Letzerem gehören unter anderem 1. Veranstaltungen zu aktuellen Themen wie Feminismus, Frauenrechte und Islam, 2. das Interreligiöse Frauennetzwerk Hamburg, 3. das Transkulturelle und interreligiöse Lernhaus der Frauen, 4. das Projekt Interkulturell und biologisch Gärtnern. 2.1 Feminismus, Frauenrechte und Islam Anlass für die Veranstaltung zum Thema Feminismus, Frauenrechte und Islam mit Lamya Kaddor vom Liberal-Islamischen Bund e.V. und Stefanie Lohaus vom Missy Magazin für Feminismus und Popkultur waren Konflikte in der Hamburger Frauenszene, im Zuge derer das Kopftuch bei muslimischen Frauen als Zeichen des Patriarchats und der Unterdrückung kritisiert wurde und Frauen mit Kopftuch pauschal Feminismus abgesprochen wurde. Ziel dieses Podiumsgesprächs zum Internationalen Frauentag 2017 war, antiislamische Stereotype sichtbar zu machen und Brücken zwischen muslimischen Frauen und säkularen Feministinnen zu bauen. Der Ankündigungstext zur Veranstaltung lautete: „Die Frauenbewegung in Europa war von Anfang an international vernetzt und hat die Solidarität unter Frauen über die Grenzen von Ländern und Kulturen hinweg hoch gehalten. Was bedeutet dies heute im Blick auf unterschiedliche religiöse Praxis in Europa? Kopftuchtragende Frauen und Emanzipation scheinen für viele feministisch bewegte Frauen ein Widerspruch zu sein, viele Musliminnen sehen das anders. Themen des Abends sind Emanzipationsbewegungen im Islam, blinde Flecken in Teilen der westlichen Frauenbewegung und die Vision eines kulturübergreifenden Feminismus.“ 37
Amica e.V. ist ein Verein, der Frauen und Mädchen in Krisengebieten unterstützt. https://www.amica-ev.org/de (abgerufen am 5.1.19).
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Im Gespräch der beiden Referentinnen wurde deutlich, dass es zwischen liberal-islamischen Positionierungen und säkularen intersektionalfeministischen Positionierungen große Überschneidungen im Blick auf Geschlechterfragen gibt. Durch das gemeinsame Auftreten der muslimischen Referentin ohne Kopftuch in Verbindung mit einer muslimischen Moderatorin mit Kopftuch wurden die Vielfalt muslimischer Richtungen und innerislamischer Dialog ansatzweise erfahrbar. Für viele Teilnehmer*innen war es interessant, eine Vertreterin eines Liberalen Islams und eine sich als liberal verstehende religiös traditionellere Muslima kennenzulernen. Für manche war es jedoch auch nach Besuch der Veranstaltungen nicht nachvollziehbar, dass christliche Feministinnen „das Kopftuch verteidigen“. Aus der hermeneutischen Perspektive der Transdifferenz lässt sich die Veranstaltung als eine Begegnung beschreiben, die vielen Teilnehmenden ein temporäres ‚Hinübergehen‘ in die Welt der jeweils Anderen ermöglicht hat, konkret in die Welten des Liberalen Islams und eines intersektionalen säkularen Feminismus (auf Seiten der Referentinnen) sowie in die Welten eines intersektionalen christlichen Feminismus und eines liberalen traditionelleren Islams (auf Seiten der Veranstalterinnen). Trotz dieser Differenzen war es vielen möglich, eine Brücke zu schlagen. Dabei wurde nicht der Feminismus als verbindendes Element gesehen, da eine solche Verortung nicht von allen geteilt wurde. Stattdessen verständigte sich die große Mehrheit der Anwesenden auf das Recht von Frauen zur (religiösen) Selbstbestimmung als gemeinsam geteilten Wert, konkret auf das Recht von Frauen, selbst entscheiden zu können, welche Religion sie ausüben, wie sie diese praktizieren und wie sie sich kleiden. 2.2 Interreligiöses Frauennetzwerk Hamburg Das Interreligiöse Frauennetzwerk Hamburg ist eine Gruppe von Frauen unterschiedlicher Kulturen und Religionen. Ziele des Netzwerks sind das Lernen voneinander, die Überwindung von Vorurteilen und ein friedliches und respektvolles Zusammenleben in der gemeinsamen Stadt.
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„Wir sind ein Netzwerk von Frauen, die über die Grenzen von Kulturen und Religionen hinweg im Dialog miteinander sind. Wir möchten mehr voneinander erfahren, um auf diese Weise mehr Verständnis und Toleranz füreinander zu entwickeln. Wir schätzen die Unterschiedlichkeiten im Glauben und in den Traditionen als großen Reichtum, von dem wir alle profitieren. Wir sind bereit, unsere eigenen Vorurteile und Bilder kritisch zu hinterfragen und zu verändern. Uns ist Ehrlichkeit im Umgang miteinander sehr wichtig. Gepaart mit Achtsamkeit hilft sie dabei, Vertrauen zu entwickeln. Mit unserem Netzwerk möchten wir zum friedlichen und respektvollen Zusammenleben in unserer Stadt beitragen. Wir sind für Frauen aller Religionsgemeinschaften und auch für nicht religiöse Frauen offen.“38
Zum Netzwerk gehören Frauen aus zwanzig Institutionen, Initiativen und Religionsgemeinschaften. Christliche, muslimische, jüdische, buddhistische und Bahá’í Frauen sind vertreten.39 Das Netzwerk wurde 2012 gegründet. Es veranstaltet monatliche Netzwerktreffen zum internen Austausch sowie Arbeitsgruppentreffen für die Bereiche Öffentlichkeitsarbeit, Finanzen, Organisation des Begegnungstages, Netzwerkstruktur und schulpädagogische Arbeit. Einmal im Jahr findet ein öffentlicher Interreligiöser Begegnungstag zu einem aktuellen Thema statt. Darüber hinaus stellt das Netzwerk Informationen über interreligiöse Veranstal38
https://www.interreligioeses-frauennetzwerk.de/wpcontent/uploads/sites/6/2014/03/IRFF-Imageflyer-2018-Web_Seite_2.jpg (abgerufen am 5.1.19). 39 Als Mitglieder werden auf dem Imageflyer 2018 folgende Organisationen genannt: Akademie der Weltreligionen, Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in Hamburg (ACK), Bahá’í-Frauen-Forum Hamburg (BFF), Brücke – Ökumenisches Forum HafenCity, Evangelische Studierendengemeinde Hamburg, Fachrat Islamische Studien e.V., Flüchtlings- und Migrationsarbeit Norderstedt in Trägerschaft des Diakonischen Werkes Hamburg-West/Südholstein, Frauenorganisation Lajna Imaillah der Ahmadiyya Muslim Jamaat KdöR Hamburg, Frauenwerk des Ev.-Luth. Kirchenkreises Hamburg-West/Südholstein, Frauenwerk der Nordkirche, Frauengruppe der Imam-Ali-Moschee, Hamburg, Interreligiöser Dialog Christuskirche Hamburg-Eimsbüttel, Islamischer Verein El-Iman e.V. Harburg, Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd) Diözesanverband Hamburg e.V., Kloster Nütschau, Liberale Jüdische Gemeinde Hamburg e.V., Jüdische Gemeinde Pinneberg, Missionsakademie an der Universität Hamburg, Ökumenisches Forum Christlicher Frauen in Europa (ÖFCFE) und Hamburg Yun Hwa Dharma Sah.
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tungen zur Verfügung und bietet für Schulen interaktive Unterrichtsgespräche zu lebensweltlichen Themen in der Oberstufe an. „Wir stehen in regelmäßigem Austausch nach innen und außen, organisieren Veranstaltungen und schaffen Raum für Begegnungen. Über unser Netzwerk machen wir interreligiös interessante Veranstaltungen bekannt. In der Regel bieten wir jährlich einen Interreligiösen Frauenbegegnungstag zu einem aktuellen Thema an. Er wird von uns Netzwerkfrauen in einem intensiven Prozess gemeinsam erarbeitet und vorbereitet. Gastfreundschaft ist uns wichtig. Daher sind wir regelmäßig bei den unterschiedlichen Religionsgemeinschaften zu Gast.“40
Das Besondere am Interreligiösen Frauennetzwerk Hamburg ist die breite Zusammensetzung von Frauen nicht nur unterschiedlicher Religionszugehörigkeit, sondern auch unterschiedlicher Richtungen innerhalb der Religionen, die sich zum Teil gegenseitig nicht anerkennen. Die Brücke über die Differenzen hinweg besteht hier in den gemeinsamen Zielen – der besseren Verständigung untereinander und nach außen – und im gemeinsamen Engagement. Darüber hinaus sind in den sieben Jahren des Bestehens des Netzwerks Vertrauen und eine emotionale Verbundenheit der Frauen untereinander entstanden, die über die Differenzen hinweg und durch Konflikte hindurch tragen. Eine wichtige Rolle spielt hierfür die Praxis der Gastfreundschaft im Netzwerk, die sich in den wechselnden Orten der Netzwerktreffen, der Arbeitsgruppentreffen und des Begegnungstages sowie in den wechselseitigen Einladungen zu religiösen Festen konkretisiert. 2.3 Transkulturelles und interreligiöses Lernhaus der Frauen Das Transkulturelle und interkulturelle Lernhaus der Frauen ist eine Fortbildung, bei der haupt- und ehrenamtliche Frauen zu Dialogexpertinnen ausgebildet werden. Es begann 2005 als Modellprojekt in Berlin, 40
https://www.interreligioeses-frauennetzwerk.de/wpcontent/uploads/sites/6/2014/03/IRFF-Imageflyer-2018-Web_Seite_2.jpg (abgerufen am 5.1.19).
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Frankfurt am Main und Köln. Weitere Lernhäuser fanden in Ulm, Münster, Hamburg und Flensburg statt. Die Fortbildung erstreckt sich über ein Jahr. Dabei sind die monatlichen Lernhaustreffen selbst „ein Ort der Begegnung und des Dialogs für Frauen mit und ohne Migrationshintergrund, mit und ohne religiöse Wurzeln, mit unterschiedlichen Lebensgeschichten, Fähigkeiten, Fragen und Hoffnungen.“41
So entsteht ein Raum, um die Sichtweisen anderer kennenzulernen und eigene Ängste und Vorurteile zu überwinden. Eine Teilnehmerin schreibt hierzu: „Dann ist es aber wohl auch so, dass mich die Begegnung und Auseinandersetzung mit gerade dem muslimischen Glauben vor Verallgemeinerungen schützt und auch vor einer verallgemeinerten Angst vor Muslimen, welche aufgrund der Anschläge von Paris derzeit verstärkt entsteht. Es gibt mir auch Argumentationsgrundlagen Anderen gegenüber: ich habe aus erster Hand ein Gottesbild muslimischer Frauen kennen gelernt, von dem ich sagen kann, dass es in positiver Weise denk- und handlungsleitend wirken kann.“
Der Abbau eigener Barrieren ermöglicht ein Lernen miteinander und voneinander. Dies beschreibt eine Teilnehmerin in folgender Weise: „Die Erfahrungen von anderen Frauen haben mich um Einiges reicher gemacht, da ich durch diesen Austausch die Möglichkeit habe, die Welt etwas anders zu sehen. Ich weiß jetzt, dass es nicht nur diese ‚deutsche Sicht‘ auf die Dinge gibt; ich weiß aber auch, dass Frauen, die in einem anderen Land aufgewachsen sind, oft ähnliches erlebt haben, und dieselben Bedürfnisse wie ich haben.“
Elemente des gemeinsamen Lernprozesses sind die Vermittlung von Wissen über unterschiedliche Kulturen und Religionen, das Kennenlernen von Kommunikationstechniken sowie die Förderung einer Dialog-
41
Irene Pabst / Michaela Will (2018): Transkulturelles und interreligiöses Lernhaus. Vom Traum zur Realität, in: Evangelische Stimmen 7/8, 2018, 39-41, hier 39.
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haltung der Empathie und des Respekts. Eine Teilnehmerin beschreibt dies sehr anschaulich: „Die Erfahrungen sind in meinem Herzen angekommen und werden mich begleiten in meinen Begegnungen, auch in den Begegnungen mit Menschen meiner Hautfarbe und Tradition. Was daraus wächst – ich werde es erleben.“42
Dabei gestaltet die Lerngruppe den Lernprozess aktiv mit, indem die Themen gemeinsam erarbeitet werden und die Teilnehmerinnen Beiträge zur Gestaltung der Treffen übernehmen. Ziel ist, die Frauen zu befähigen, in ihrem beruflichen oder privaten Kontext Brücken zwischen Menschen unterschiedlicher religiöser und kultureller Zugehörigkeit zu bauen. „Die Lernhaus-Frauen werden zu Dialogexpertinnen und Multiplikatorinnen ausgebildet, die das Gelernte bei ihrer Arbeit oder auch im persönlichen Umfeld wirkungsvoll einsetzen können. Sie setzen sich für mehr Verständnis ein, vermitteln Wissen, bauen Vorurteile ab und können bei Konflikten Lösungen anbieten. Sie tragen so zu einem respektvollen Umgang miteinander und einem friedlichen Zusammenleben in unserer Gesellschaft bei.“43
Das Besondere des Hamburger Lernhauses 2018, an dem das Frauenwerk Hamburg-West/Südholstein mitwirkte, war, dass bereits das Vorbereitungsteam transkulturell und interreligiös zusammengesetzt war. So wurde bereits die Vorbereitung zu einem transkulturellen und interreligiösen Lernprozess für die Koordinatorinnen. Außerdem nahmen am Lernhaus erstmals Frauen mit Fluchthintergrund teil. Die Übersetzung durch Dolmetscherinnen erforderte ein hohes Maß an Elementarisierung der inhaltlichen Beiträge und verdeutlichte die Möglichkeiten von nicht-sprachlichen Übungen. Zugleich war es bewegend zu erleben, wie die Gruppe mehr und mehr zusammenwuchs und die Differenzen als wechselseitige Bereicherung erfahren wurden. 42 43
Zitiert nach a.a.O., 41. A.a.O., 39..
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2.4 Biologisch und interkulturell Gärtnern Ein anderer Bereich der interkulturellen Arbeit des Frauenwerks liegt in der Arbeit mit geflüchteten Frauen. Die Situation von geflüchteten Frauen ist so vielfältig wie die Frauen selbst und die Orte, aus denen sie kommen. Viele Fragen wie eine menschenunwürdige Unterkunft und die restriktive Asyl- und Einwanderungsgesetzgebung betreffen alle Geschlechter, beispielsweise die Begrenzung des Familiennachzugs und des Rechts auf Arbeit. Zugleich gibt es frauenspezifische Fluchtursachen, besondere Gefährdungen auf der Flucht und in Deutschland sowie frauenspezifische Herausforderungen, beispielsweise hinsichtlich Spracherwerb und Arbeitssuche. Es gibt inzwischen eine Vielzahl von Analysen, Initiativen und Projekten im Blick auf die Situation von geflüchteten Frauen. Diese werden von der Stadt Hamburg im Rahmen ihrer durch das Bundesrecht begrenzten Möglichkeiten unterstützt.44 Ziel der Bildungsarbeit der Flüchtlingsbeauftragten des Kirchenkreises Hamburg-West/Südholstein ist eine gleichberechtigte Partizipation der Geflüchteten. Im Kontext der Arbeit im Frauenwerk bedeutet dies, die geflüchteten Frauen als Partnerinnen auf Augenhöhe in die Entwicklung der Projekte einzubeziehen. Das Projekt Bio-Gärten für Geflüchtete entstand im Mai 2018 spontan angesichts einiger teilweise vorbepflanzter, aber nicht vermieteter Parzellen auf dem Gut Wulksfelde nördlich von Hamburg. Auf Anfrage wurden dem Frauenwerk vom Unternehmen Ackerhelden zwölf Parzellen à jeweils vierzig Quadratmeter zur Weitergabe an geflüchtete Frauen und ihre Familien zur Verfügung gestellt. Dazu spendete die Gärtnerei Gut Wulksfelde über eintausend weitere Jungpflanzen, die zügig eingepflanzt werden mussten – bei hochsommerlichen Temperaturen mitten im Ramadan. Mit tatkräftiger Hilfe vieler anderer ‚Ackerhelden‘, die bereits eine Parzelle gemietet hatten, gelang es, die zwölf Parzellen vom Unkraut zu befreien, zu bepflanzen und an geflüchtete Familien zur wei44
Eine Übersicht findet sich auf der Webseite http://www.hamburgfuerfrauen.de/ (abgerufen am 5.1.19).
Hamburg
für
Frauen:
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teren Bewirtschaftung zu übergeben. Es folgten ein sehr trockener Sommer und Herbst mit viel Gießen, leckerem Gemüse und einer erfolgreichen Kartoffelernte. Mehrere Ehrenamtliche waren wöchentlich vor Ort, um bei Fragen zur Verfügung zu stehen. In gemeinsamen Webinar Biologisch und interkulturell Gärtnern fand ein Fachaustausch mit der Caritas im Landkreis München statt, die dort seit 2017 das Projekt Die Erde verbindet durchführt, bei dem Geflüchtete und Einheimische gemeinsam Nutzpflanzen anbauen. Das gelungene Interkulturelle Erntefest bei sommerlichen Temperaturen im Oktober tröstete über so manche nicht aufgegangene Saat hinweg. Das Projekt geht 2019 in Kooperation mit der Initiative Wir für Niendorf unter dem Titel Biologisch und interkulturell Gärtnern weiter. Eine interkulturelle Koordinierungsgruppe aus Frauen mit und ohne Fluchthintergrund wird das Projekt begleiten. Die Finanzierung des Projekts erfolgt über eine Spendensammlung bei der Spendenplattform Betterplace.45 Das Faszinierende dieses Projekt liegt darin, dass das Arbeiten auf dem Feld eine Verständigung über sprachliche und kulturelle Differenzen hinweg ermöglicht und eine heilsame Wirkung auf die so unterschiedlichen ‚Ackerhelden‘ entfaltet. Geerntetes Gemüse wird hin- und hergeschenkt. Im Austausch über Anbautechniken und Kochrezepte ereignet sich ein wechselseitiges Lernen auf Augenhöhe, das auf einfache Weise verdeutlicht, welch ein Reichtum in den Differenzen liegt. Gemeinsame Fahrten zum Gut Wulksfelde eröffnen Zeit für persönliches Gespräch und gegenseitige Einladungen. 3 Ausblick: Transdifferente Gesellschaft Alle vorgestellten Projekte lassen sich als transdifferente Projekte beschreiben. Denn sie beschreiben auf unterschiedliche Weise Prozesse, in denen es gelingt, Differenzen als Ausgangspunkt für eine Brücke zwischen unterschiedlichen Welten zu nutzen. Dabei ist die Art der Verbin45
www.betterplace.org/p66781 (abgerufen am 5.1.19).
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dung durchaus unterschiedlich: Bei der Podiumsdiskussion Feminismus, Frauenrechte und Islam wird anhand eines gemeinsamen übergeordneten Wertes, dem Recht von Frauen auf (religiöse) Selbstbestimmung, eine Verständigung über unterschiedliche Identitätskonstruktionen von Frauen hinweg erreicht. Die Verbindung im Interreligiösen Frauennetzwerk Hamburg konstituiert sich durch regelmäßigen Austausch, gemeinsame Ziele, gemeinsames Engagement für Verständigung und Frieden sowie persönliche Sympathie. Auch beim Transkulturellen und interreligiösen Lernhaus entsteht die Verbundenheit durch intensiven Austausch und persönliches Kennenlernen, außerdem durch ein gemeinsames Lernen im Fortbildungsprozess. Beim Projekt Biologisch und interkulturell Gärtnern wird die Brücke durch das gemeinsame Gärtnern geschaffen. Die Verbundenheit mit der Erde, das Überwinden der Herausforderungen der Natur und die Freude über die Ernte bilden hier die Brücke. Dazu kommt in den drei fortlaufenden Projekten die zunehmende Bedeutung der Gastfreundschaft. Hier führt das temporäre geistige ‚Hinübergehen‘ in die Welt der Anderen zu wechselseitigen Einladungen und einem tieferem Verständnis füreinander. ‚Übersetzung‘ hat in allen Projekten eine große Bedeutung. Das Konzept der Transdifferenz von Ephraim Meir ermöglicht es, diese Dimensionen der Überbrückung von Differenzen zu verstehen und zu beschreiben. Es wird deutlich, dass Verbindungen auf vielfältige Weise entstehen können und bei dauerhaften Projekten eine größere Tiefe und Nachhaltigkeit entfalten. Voraussetzung ist, dass die Einzelnen sich auf den Weg machen und ‚Hinübergehen‘ in die Welt der Anderen. Beschenkt kehren sie zurück in ihre eigene Welt. Zugleich wird deutlich, dass so auch neue gemeinsame Welten mitten in unseren zerrissenen Gesellschaften entstehen können und auf diese zurückwirken. Als ein Netz solcher gemeinsamen Welten ließe sich vielleicht eine transdifferente Gesellschaft beschreiben. Je enger ein solches Brücken-Netz geflochten wird, desto stärker können Verbundenheit und ein friedliches Miteinander unsere gemeinsame Welt bestimmen.
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Literatur Buber, Martin (1983): Ich und Du, Heidelberg. Buber, Martin (1948): Das Problem des Menschen, Heidelberg. Deleuze, Gilles (1992): Differenz und Wiederholung, München. Lévinas, Emmanuel (20084): Totalität und Unendlichkeit. Versuch über die Exteriorität, Freiburg/ München.Meir, Ephraim (2011). Differenz und Dialog [Religionen im Dialog, Bd. 4], Münster / New York / München / Berlin. Lyotard, Jean-François (20055): Das postmoderne Wissen. Meir, Ephraim (2016): Interreligiöse Theologie. Eine Sichtweise aus der jüdischen Dialogphilosophie, Berlin/Jerusalem. Meir, Ephraim (2014): Building Stones for an Interreligious Dialogue and Theology, in: Wolfram Weisse [u.a.] (Hg.): Religions and Dialogue. International Approaches, (Religions in Dialogue 7), Münster / New York, 125-138. Meir, Ephraim (2013): Dialogical Thought and Identity. Trans-Different Religiosity in Present Day Societies, Berlin / Boston. Meir, Ephraim (2012): Quo vadis, religio? Religion as Terror and Violence or as Contribution to Civilization. A Plea for TransDifference [Vortrag an der Akademie der Weltreligionen im Dialog in Hamburg, unveröffentlicht]. Meir, Ephraim (2011): Identity Dialogically Constructed, (Jerusalemer Texte 4), Nordhausen. Meir, Ephraim (2011): Religiöse Identität und interreligiöser Dialog: Transzendenz des Selbst und Trans-Differenz [Vortrag an der Akademie der Weltreligionen im Dialog in Hamburg, unveröffentlicht]. Meir, Ephraim [u.a.] (2007): An Integrated Strategy for Peacebuilding. Judaic Approaches, in: Die Friedens-Warte. Journal of International Peace and Organization 82/2-3, 137-158. Meir, Ephraim (1996): Modernes jüdisches Denken, Fuldatal
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Pabst, Irene / Will, Michaela (2018): Transkulturelles und interreligiöses Lernhaus. Vom Traum zur Realität, in: Evangelische Stimmen 7/8, 2018, 39-41. Rosenzweig, Franz: (1983): Sprachdenken im Übersetzen, 1. Band: Jehuda Halevi. Fünfundneunzig Hymnen und Gedichte. Deutsch und Hebräisch, (Der Mensch und sein Werk. GS IV), mit einem Vorwort und mit Anmerkungen, hg v. Rafael N. Rosenzweig, Dordrecht [u.a.]. Will, Michaela (2015). Pfarramt und Rabbinat. Identitätskonstruktionen im Dialog, Nordhausen 2016. Webseiten https://www.amica-ev.org/de (abgerufen am 5.1.19). https://www.betterplace.org/p66781 (abgerufen am 5.1.19). https://www.frauenwerk-hhsh.de (abgerufen am 5.1.19). https://www.hamburgfuerfrauen.de/ (abgerufen am 5.1.19). https://www.interreligioeses-frauennetzwerk.de/wpcontent/uploads/sites/6/2014/03/IRFF-Imageflyer-2018Web_Seite_2.jpg (abgerufen am 5.1.19). https://www.kirche-hamburg.de/kirche-hamburg/kirchenkreis-hamburgwestsuedholstein/bildung.html (abgerufen am 5.1.19). https://www.kirche-hamburg.de/kirche-hamburg/kirchenkreis-hamburgwestsuedholstein.html (abgerufen am 5.1.19). https://www.kirche-hamburg.de/kirche-hamburg/kirchenkreis-hamburgwestsuedholstein/bildung/frauenwerk-hamburg-westsh.html (abgerufen am 5.1.19).
Dr. Michaela Will ist Pastorin im Frauenwerk des Kirchenkreises Hamburg-West/Südholstein.
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Grenzerfahrungen im interreligiösen Dialog Halima Krausen „Gott kennt keine Grenzen,“ lautete der Titel eines der letzten Rundfunkinterviews mit Reinhard von Kirchbach, dem Initiator des interreligiösen Projekts „Living Dialogue“. Andererseits gibt es lebhafte öffentliche Diskussionen über Definitionen, Bedingungen, Möglichkeiten und Grenzen von Dialog, unter letzteren insbesondere Ausschließlichkeitsansprüche, extremistische Ansichten, die Teilnahmeverweigerung des Anderen, theologische Inkompatibilität sowie ethische Grenzen, beispielsweise, wie es Peter Berger ausdrückte, wenn die Religion des Anderen ein Konzept von Menschenopfer enthält. Ich möchte meine Erfahrungen mit dem Projekt „Living Dialogue“ als Ausgangspunkt dafür nehmen, noch einmal über verschiedene Arten von Grenzen nachzudenken sowie über Möglichkeiten, damit umzugehen. An dieser Stelle kann es sich dabei nicht um mehr handeln als um ausgewählte Vignetten aus meiner Perspektive als beobachtende muslimische Teilnehmerin und diverse Schlussfolgerungen daraus. Eindrücke und Schlussfolgerungen aus der Perspektive anderer Teilnehmer sind mittlerweile in anderen Zusammenhängen veröffentlicht worden.1 Das Projekt begann 1980, als Reinhard von Kirchbach, Propst im Ruhestand in Schleswig, der seinen Wohnsitz für diesen Zweck vorbereitet hatte, eine kleine Gruppe handverlesener Fachleute aus Buddhismus, Christentum, Hinduismus und Islam eingeladen hatte, für einige Zeit zusammenzuleben und verschiedene Ebenen interreligiöser Kommuni-
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Govindh Bharatan: Reinhard's Dream, Cochin o. J. (sehr wahrscheinlich Mitte der 1980er Jahre); Sheikh Mahmood Rashid: Interreligious Dialogue at Bathroi. An Historic Event. In der Serie "A Way Forward", Birmingham 1987; Deepal Sooriyaarachchi: Living Together, Nugegoda 2018; verschiedene Notizen von Reinhard von Kirchbach und Michael Möbius auf der Website Reinhard von Kirchbach – ein Pionier des interreligiösen Dialogs (http://reinhardvonkirchbach.de/).
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kation zu erkunden. Im Vorlauf identifizierte er einige existierende Ansätze zum interreligiösen Dialog: * Aggressiver Dialog oder vielmehr eine Debatte über die jeweiligen Interessen der Teilnehmenden, die Verhandlungen und Streitgespräche umfassen und im Extremfall sogar in physischen Konflikt einmünden kann. * Liberaler oder koexistenter Dialog, begründet auf gegenseitiger Toleranz aber nicht unbedingt mit dem Risiko, die eigenen Ansichten zu sehr in Frage stellen zu lassen (Reinhard beschrieb dies als „liberale Selbstverschlossenheit“). * Konvergierender Dialog, der eine aktive Bekräftigung des religiösen und kulturellen Raums des Anderen einschließt und kritische Wachsamkeit gegenüber den eigenen Voraussetzungen sowie einen Verzicht auf eigene Erwartungen, Vorbehalte und Forderungen. Diese drei Ansätze schließen einander keinesfalls gegenseitig aus, sondern können sich im Laufe einer Begegnung ändern und ineinander übergehen. Deswegen ist es wichtig, Zeit für einen Prozess einzuräumen statt eine Serie von Diskussionsveranstaltungen abzuhalten. Anfangs wurde ein Zeitraum von zwei bis drei Monaten für jedes Treffen angesetzt, aber da alle Teilnehmenden andere Verpflichtungen hatten, wurde der Zeitraum auf etwa drei Wochen festgelegt. Mit seinen eigenen Worten beschrieb Reinhard die Zielsetzung der Gruppe wie folgt: 1. Es geht bei diesem Dialog nicht um die Bildung einer Diskussionsgruppe über religiöse oder weltanschauliche Themen, sondern um ein Aufeinander-Zuleben mit unseren verschiedenen, zumeist gegensätzlichen Traditionen im Blick auf die Zukunft.
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2. Es geht nicht um die Verteidigung unserer eigenen Position, oder um den Versuch, den Partner in das eigene Lager zu ziehen, sondern um die ernsthafte Bemühung, den Standort, die Wurzeln und die Lebensbewegung des anderen in seiner Tradition wahrzunehmen. 3. Es geht nicht darum, nach einer Vermischung der verschiedenen Traditionen zu suchen, auch nicht darum, durch Auswahl oder Streichung gemeinsame Nenner zu finden, sondern um das geduldige, gegenseitige Aushalten, Ausweiten und Vertiefen der Traditionen in einem gelebten Dialog.2 In der Praxis bedeutete dies, dass allen Teilnehmenden jeweils reichlich Zeit für ihre eigene religiöse Ausübung und Reflexion gegeben war sowie dafür, Beiträge vorzubereiten oder bei den alltäglichen Aufgaben zu helfen; die Mahlzeiten waren vegetarisch, so dass jeder daran teilnehmen konnte; und den Nachmittag verbrachte man in Gesprächen, deren Themen aus den Interessen und Fragen der Teilnehmenden hervorgingen. Einleitende Impulse wurden aus Schriften von Teilhard de Chardin, Carl Friedrich v. Weitzsäcker, Dom Helder Camara, Martin Buber, dem tunesischen Muslim Prof. Bouhdiba, Mahatma Gandhi, D. T. Suzuki und dem damals marxistischen Autor Roger Garaudy gegeben. Diesen folgte bald das gemeinsame Studium von Textpassagen aus den heiligen Schriften und wichtigen Werken aus den religiösen Traditionen. Die tägliche Routine wurde mit spirituellen Beiträgen seitens der Teilnehmenden und gemeinsamer stiller Meditation vervollständigt. Es gab auch Ausflüge zu verschiedenen religiösen Zentren vor Ort. Außer dem Initiator Reinhard von Kirchbach waren die Kernteilnehmenden der evangelische Pastor Michael Möbius, der buddhistische Mönch Bhante P. Kassapa Thera, dem später Bhante Olande Ananada nachfolgte, der hinduistische Rechtsanwalt und Meditationslehrer Govindh Bharathan, Imam Syed Mehdi Razvi, dem später Halima Krau2
Siehe http://www.reinhardvonkirchbach.de/wp-content/uploads/Ein_Projekt.pdf, S 12, Zugriff 9. September 2018.
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sen nachfolgte, und der Humanist Peter Fromm sowie in späteren Treffen neue Mitglieder wie der buddhistische Marketing Manager Deepal Sooriyaarachchi aus Sri Lanka und der Naqshbandi-Sheikh Mahmood Rashid und gelegentliche Gäste, viele von ihnen führende Vertreter der Evangelischen Kirche. Bis 1982 fanden drei solche Treffen in Norddeutschland statt. Der anfänglichen Überraschung darüber, dass es tatsächlich möglich war, in dieser Vielfalt ohne Konflikte so lange zusammenzuleben, folgte bald umfangreichere Neugier auf die Traditionen der Partner, die Entdeckung der tieferen eigenen Wurzeln jedes Partners und zunehmendes gegenseitiges Vertrauen und Freundschaft, die in fruchtbaren Gesprächen, gemeinsamen Meditationen, erlebten Festen und Feiern und gemeinsam bewältigten Krisen anwuchsen. Fragen waren nicht länger nur an die Anderen gerichtet, sondern auch an sich selbst: Wie kann nach diesen neuen Erfahrungen das Göttliche wahrgenommen werden? Was bedeutet diese Begegnung für meinen eigenen spirituellen Weg? Nach diesen drei ersten Treffen wurde der Beschluss gefasst, aus der mittlerweile vertrauten norddeutschen Umgebung hinauszugehen und einen ähnlichen Dialog im Kontext anderer Kulturen zu erleben. Das vierte Treffen fand in der buddhistischem Einsiedelei Rock Hill in Sri Lanka mit Bhante Kassapa und Bhante Olande Ananda statt und das fünfte in der hinduistischen Umgebung von Govindh Bharathans Haus in Cochin, Südindien. Das sechste Treffen in Moshav Beit-Zayit und Kibbuz Lavi in Israel war mit einem Versuch verbunden, einen jüdischen Partner zu finden, aber während die Gruppe auf Freundlichkeit und Offenheit seitens der lokalen Bevölkerung traf, schien der Ansatz doch zu weit entfernt von ihren eigenen existentiellen Fragen. Das war der Stand der Dinge, als ich 1987 dazukam.
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Bathroi, 4. April bis 1. Mai 1987 Reinhard von Kirchbach, Michael Möbius, Peter Fromm und ich flogen zusammen nach Islamabad in Pakistan, wo wir von Sheikh Mahmood Rashid, der unser Gastgeber für dieses Treffen sein sollte, vom Flughafen abgeholt wurden. Uns schlossen sich die Buddhisten Bhante Olande Ananda und Deepal Sooriyaarachchi, Adelheid „Shanti“ Haltmar, eine Schweizer Stewardess mit einem gemischten christlichen und buddhistischen Hintergrund, und Professor Donald Nichols, ein anglikanischer Historiker aus Birmingham an. Als indischer Staatsbürger war unser hinduistischer Partner Govindh aus politischen Gründen nicht in der Lage, an einem Treffen in Pakistan teilzunehmen. Die Weiterreise ging zu Sheikh Mahmoods Stammsitz in Bathroi, einem Dorf in Azad Kashmir in der Nähe von Dadyal am Fuß des Himalaya, wo er sich mit seiner Mutter aufhielt, während seine Frau und seine Kinder in seinem zweiten Wohnsitz in Birmingham waren. Das Haus war groß und hatte reichlich Platz für unsere Aktivitäten. Da ich von meiner Schwiegerfamilie in Karachi her mit der Sprache und auch im Großen und Ganzen mit der Lebensweise vertraut war, passte ich mich schnell an das Leben im Dorf an und schloss Bekanntschaft mit einer Anzahl von Frauen und Mädchen, die mich besuchten und zu sich nach Hause einluden. So wie es „zu Hause“ in Karachi der Fall war, bedurfte es einiger Bemühungen, um Sheikh Mahmoods Mutter mit Aufgaben im Haushalt helfen zu dürfen, die für Gäste sowie für „Akademiker“ fast als tabu betrachtet wurden. Die tägliche spirituelle Praxis war ebenso vertraut, vielleicht abgesehen von einigen wenigen Details, wo sich meine eigene Chishti-Sufitradition leicht von der Naqshbanditradition unterschied, die Sheikh Mahmood vertritt und die er freizügig mit der Gruppe teilte, indem er eine Einführung sowohl in die theologischen Aspekte der Lehre präsentierte – einschließlich der islamischen Prinzipien des Zeugnisses für Gottes Einheit,
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rituelles Gebet, das Fasten im Ramadan, das Spenden und die Pilgerfahrt Makkah – als auch in seine persönlichen Hintergründe und Erfahrungen. Man konnte leicht sehen, dass er seine Rolle als traditioneller Lehrer gewohnt war. Andererseits war jedes Mitglied der Gruppe gewohnt, ein Dialogpartner zu sein, das heißt, in gewissem Sinne sowohl Lehrer als auch Schüler, und der Übergang zwischen diesen Rollen gelang nicht immer reibungslos. Dies führte zu einer Anzahl von Missverständnissen, die allerdings durch respektvollen Takt besonders von der Seite von Reinhard und Bhante Ananda überwunden wurden, denen es schließlich gelang, Sheikh Mahmood in die Dynamik der Gruppe zu integrieren. Freitags nahmen wir am Gottesdienst in der Moschee teil, wobei wir hinten im Gebetsraum saßen. Während die nichtmuslimischen Mitglieder der Gruppe respektvolle Beobachter blieben, schlossen sich Sheikh Mahmood und ich (als einzige Frau, denn die Dorffrauen folgten ihrer Tradition und zogen es vor, ihr Gebet zu Hause zu halten) den Reihen der Betenden an. Die Leute wussten selbstverständlich, dass wir eine international und religiös gemischte Gruppe waren, die zu einem intensiven Dialog zusammengekommen war. Aber sie waren sich nicht immer der Einzelheiten und der Implikationen bewusst, die in diesem Dorfkontext weit revolutionärer waren als sie in einer größeren Stadt gewesen wären, wo die ältere Generation noch lebhafte Erinnerungen an die interreligiöse Koexistenz vor der Teilung von Indien und Pakistan 1947 hatten und selbst die jüngeren Leute mit der Anwesenheit von Christen, Hindus und Sikhs vertraut waren. Trotzdem wurden in diesem Stadium Einzelheiten unserer jeweiligen religiösen Identitäten nicht direkt bekanntgegeben – eine Tatsache, die einige unserer deutschen Partner verstimmte, die diese Undeutlichkeit als „Heimlichtuerei“ empfanden und kaum den öffentlichen „International Interreligious Dialogue“ am 23. April erwarten konnten, der mit farbenfrohen Plakaten in der Moschee von Bathroi und in der Umgebung angekündigt wurde. Wie ich
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später von meinem Schwiegervater in Karachi hörte, wurden in den Zeitungen in größeren Städten mehr Einzelheiten erwähnt. Im Laufe der Zeit ging unser Gastgeber allmählich von den theoretischen Aspekten der Naqshbandi-Weise des Dhikr (Gottgedenkens) zu den praktischen überzugehen: im Kreis zu sitzen und rhythmisch im Chor die arabische Anrufung „Allah-hu“ zu wiederholen, bis der Atem und sogar der Herzschlag synchronisiert war, gefolgt von einer Phase der stillen Meditation. Im Gegensatz zu theologischen Debatten, die sehr wohl auf einer ausschließlich rationalen und emotional distanzierten Ebene stattfinden können, wo man die eigenen Positionen und Grenzen logisch definiert, kann gemeinsame Meditation zusätzliche Dimensionen eröffnen. Sheikh Mahmood erklärte als Ziel, sich selbst zu transzendieren, die eigenen Namen und Konzepte, jeglichen intellektuellen Assoziationen, alle persönliche Konditionierung loszulassen, das zu erkennen, was jenseits aller Namen und Begriffe ist. Obwohl diese spezifische Art von DhikrTechnik in meiner Tradition, wo das Hauptgewicht auf stiller Meditation liegt, nicht regelmäßig praktiziert wird, war ich von der Shadhili und der Burhani Sufitradition damit vertraut und erlebte ein großes Gefühl der Harmonie und Verbundenheit. Dies wurde allerdings nicht von allen geteilt. Einer der christlichen Teilnehmer fühlte sich ziemlich unwohl und erschien in der Meditation meiner Wahrnehmung wie ein hartes Stück Felsen in dem ansonsten weichen Zusammensein. In dem nachfolgenden Gespräch stellte sich heraus, dass er das Gefühl gehabt hatte, in eine Konfrontation mit etwas hineingezogen zu werden, das er als eine monolithische Art der Einheit empfand, im Gegensatz zu seinem dynamischen trinitarischen Konzept des Göttlichen. Reinhard verglich diese Meditation mit der früher christlicher Mystiker, wobei er auf Callistus und Ignatius im 14. Jahrhundert Bezug nahm, die das Gedenken an Christus mit ihrem Atem verbanden mit dem Gebet: „Herr Jesus, Sohn
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Gottes, erbarme dich meiner“. Der Buddhist Deepal rang mit einer anderen Herausforderung: dem Fokus auf einer persönlichen Gottesvorstellung. In der Tat begann er einen Prozess, seine Anhaftung an seine eigenen buddhistischen Konzepte und sein Identitätsgefühl zu reflektieren, bis er das Gefühl hatte, dass er sich selbst hinreichend befreien kann, das Unbekannte zu erfahren. Seine persönliche Schlussfolgerung war die, dass selbst die Anhaftung an die eigenen Ansichten eine Leidensursache im buddhistischen Sinne sein kann. Irgendwann stellte er die Frage, ob es für einen Muslim möglich sei, alle Anhaftungen an weltliche Dinge aufzugeben, selbst die Idee von Gott als einer Person, woraufhin Sheikh Mahmood erwiderte, dass dies wohl zeitweilig möglich sei, es dann aber kein Lebensziel gäbe, und das leere Gefäß könne leicht vom Bösen übernommen werden. Ich fragte mich, wie wohl muslimische mystische Philosophen, wie Ibn Arabi (gest. 1240) mit seiner Theorie von der „Einheit des Seins“ (Wahdat al-Wujud), auf diese Frage reagiert hätten. Seine Gottesvorstellung ließ reichlich Raum jenseits des Persönlichen. Da es aber nirgendwo in der Nähe eine Bibliothek gab, gab es an diesem Punkt keine Möglichkeit, dies nachzuprüfen.3 Eine große Herausforderung für mich war die Entdeckung, dass unsere christlichen Partner, die mich von Aktivitäten in Deutschland her kannten, es manchmal schwierig fanden, den Aspekt meiner Persönlichkeit zu verstehen, der es mir ermöglichte, so leicht auf die Dorfbewohner und ihre Lebensweise einzugehen. Ein Anlass war die Hochzeit eines von Sheikh Mahmoods Neffen, die die traditionellen drei Tage lang dauerte. Es war eine sehr traditionelle Hochzeit mit getrennten Feierlichkeiten: der Hennaabend für Frauen unter sich im Dorf der Braut, die Verhandlungen der Männer für den Ehevertrag und ihre Fahrt, um die Braut abzuholen, ohne eigentlich eine Gelegenheit zu haben, sie zu sehen, und die für Männer und Frauen getrennten Festmahlzeiten an diesem Abend 3
Literaturempfehlung zum Weiterlesen: Toshihiko Izutsu: Sufism and Taoism, Tokyo 1983.
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und am folgenden Tag. Wer mit solchen Bräuchen nicht vertraut war, war ziemlich konsterniert über meine ruhige Akzeptanz dieser Tatsachen, aber so werden die Dinge hier gehandhabt und ich hatte nichts anderes erwartet. Viel erschütternder für mich war es, als nach einer sehr temperamentvollen Predigt in der Moschee Shanti zu mir sagte: „Das war beängstigend, nicht wahr?“, und erwartete, dass ich ihr zustimmte, während ich noch ganz von der Schönheit ihres Inhaltes beeindruckt war, den ich versuchte, ihr zu erklären, während sie mich zweifelnd anschaute. Ich sah, dass es eine meiner Aufgaben sein könnte, Brücken zu bauen, aber wie? Ich musste zunächst die Brüche in mir selbst überbrücken, zwischen verschiedenen Aspekten meiner Persönlichkeit, die unterschiedlich aktiviert wurden, abhängig von meiner kulturellen Umgebung und der Sprache, die mit der Erfahrung verbunden war. Das Sinhala- und Hindu-Neujahr wurde zum Anlass genommen, einen Beitrag über buddhistisches Mitgefühl in unser Tagesprogramm aufzunehmen, und mit der Lesung des Metta Sutta durch Bhante Ananda und Deepal sowie guten Wünschen, dass es allen Wesen wohlergehen solle. Reinhard wollte auch unserem abwesenden Hindu-Partner Raum geben und las Abschnitte aus den Upanishaden, aber obwohl ich Govindh noch nicht persönlich begegnet war, ließ mich dies umso mehr die Lücke seiner Abwesenheit spüren und ich fragte mich, wie er sie gefüllt hätte. Der andere bedeutsame Anlass, der in die Zeit unseres Aufenthalts fiel, war Ostern, aber schon zuvor wurde das Bedürfnis nach einer Zwischenevaluation verspürt, in der jeder Beteiligte Eindrücke und Bedenken mitteilte. Für die meisten Teilnehmenden waren Fragen und Herausforderungen, die aufgetreten waren, unerwartet gewesen. Reinhard, der die meisten seiner Gedanken und Gefühle in schriftlichen Gebeten verarbeitete, verglich den Prozess damit, in einer Schar sehr verschiedener Vögel fliegen zu lernen. Bhante Ananda hatte sich mit der Entwicklung arrangiert, soweit es seine eigenen Erwartungen betraf, konnte aber die Span-
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nungen verstehen, mit denen einige andere Teilnehmer zu ringen hatten. Peter mit seinem allgemeinen rationalistisch-humanistischen Ansatz folgte der muslimischen Praxis eher als Beobachter und vermisste ausgeprägtere Beiträge seitens der anderen Teilnehmer. Während Shanti mit dem Fokus auf persönlicher Erfahrung statt hochtrabender philosophischer Erläuterungen und Definitionen zufrieden genug zu sein schien, stellte Donald fest, die Erfahrung habe ihn getroffen „wie ein Expresszug“. Michael schließlich gestand seine sehr ambivalenten Gefühle und Gedanken und fragte in ziemlich herausfordernder Weise, ob Sheikh Mahmood nicht eigentlich versuchte, die Gruppe in seine eigene Glaubenswelt hineinzuziehen. Damit war Sheikh Mahmood sichtlich verletzt. Er erinnerte die Gruppe daran, dass Reinhard ihn in der vorbereitenden Korrespondenz darum gebeten hatte, so weit wie möglich auf die Tiefe des Islam einzugehen, einschließlich der mystischen Aspekte. Er brachte seine Wertschätzung für die Offenheit der Aussagen zum Ausdruck und sagte, dass jeder Teilnehmende jetzt für sich entscheiden müsse, ob er oder sie auf diese Weise fortfahren und eine Beziehung des Herzens aufbauen oder eine eher intellektuelle Diskussion führen wolle. Irgendwann fiel der Strom aus und ließ den Raum in Dunkelheit. Donald schlug schließlich vor, eine Zeitlang zu schweigen, um jedem die Gelegenheit zum eigenen Nachdenken zu geben. Der Ostersonntag wurde von den christlichen Teilnehmenden mit einem Choral und einer Bibellesung eingeleitet, gefolgt von Fragen derjenigen, die weniger mit der Geschichte von der Passion und Auferstehung vertraut waren, sowie von einem Beitrag von Sheikh Mahmood über das am meisten verbreitete muslimische Verständnis, dass Jesus nicht am Kreuz gestorben sei, sondern in Gottes Gegenwart in Sicherheit gebracht wurde. Zu diesem Zeitpunkt waren mir die verschiedenen muslimischen Überlieferungen noch nicht bekannt, die eine Anzahl von alternativen
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Darstellungen vorstellen. Im Allgemeinen hatte allerdings das Gespräch, das entstand, offensichtlich nach der Krise am Tag zuvor eine neue Ebene von Offenheit und Zusammensein erreicht. Die nächste Krise betraf die Gesundheit: Ob es das Klima war oder die ungewohnte Ernährung (Chappatis mit reichlich gewürztem Gemüse oder Linsen sowie viel frisches Obst) oder der übermäßige Genuss von Wassermelone, die gerade Saison hatte, mehrere Teilnehmende wurden in den folgenden Tagen durch Krankheit aus dem Verkehr gezogen und vom Rest der Gruppe versorgt. Reinhard war am schlimmsten betroffen. Trotz des traditionellen Kräutertees, der den anderen geholfen hatte, war er am Tag des öffentliche Treffens im Islamic Cultural Centre Bathroi noch nicht wieder auf den Beinen und Peter musste seine kurze Ansprache zum Anlass vorlesen. Am 23. April, dem Tag der großen öffentlichen Veranstaltung, hatten sich etwa 200 Gäste, anscheinend alle männlich, in der neuen Moschee versammelt, von denen ein Teil immer noch in Bau war. Außer Rezitationen aus dem Qur'an sowie Gedichtvorträgen und Gesängen auf Urdu enthielt das Programm auch kurze Ansprachen von jedem von uns. Mich selbst eingeschlossen – tatsächlich war dies die erste öffentliche Ansprache, die ich je in einer Moschee gehalten habe. Sheikh Mahmood stellte unsere Aktivitäten während der letzten Wochen vor, und für viele der Anwesenden war dies eine erste Begegnung mit christlichen und buddhistischen Sprechern. Die Reaktionen waren freundlich und warm und Leute kamen individuell zu uns, um uns zu grüßen, nachdem das Treffen mit dem Nachmittagsgebet beendet wurde. Ich denke, es hat sich gelohnt, nicht alle Einzelheiten unseres Projekts anzukündigen und die Menschen schrittweise an neue Informationen zu gewöhnen.
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Schlussfolgerungen aus der Bathroi-Erfahrung Die theologischen Spannungen lagen zwischen dem Fokus auf der Einheit des Göttlichen, dem trinitarischen Ansatz und dem Absehen von einem festgelegten oder sogar persönlichen Konzept. Dies wäre einfach nur eine akademische Gegenüberstellung verschiedener Theorien auf einer bloßen intellektuellen Ebene. Auf der tieferen Ebene der Erziehung und Erfahrung berührt sie allerdings die existentielle Frage nach dem, worauf sich ein Individuum verlässt, und kann sich als emotional sehr verunsichernd erweisen. Dies muss in der Religionswissenschaft mitberücksichtigt werden, und es muss Raum für praktische Erfahrungen eingeräumt werden, sonst wird ein bedeutsamer Punkt versäumt. Es scheint offensichtlich, dass dies eine Herausforderung in der Begegnung von Menschen aus verschiedenen religiösen Traditionen sein kann, besonders wenn die Konfrontation mit solchen Unterschieden unerwartet kommt und einen Impuls auslöst, die eigene Perspektive zu verteidigen, denn sie ist wahr, nicht wahr? Allerdings kann diese sehr wohl zwischen Angehörigen derselben Religion auftreten. Ich habe beispielsweise leidenschaftliche Debatten über verschiedene Trinitätskonzepte zwischen christlichen Theologiestudenten erlebt. Hier stellte sich heraus, dass es eine Spannung zwischen dem Konzept der „Einheit des Seins“ gab, die von einer gegenseitigen Verbundenheit des Transzendenten und des Immanenten ausgeht, und dem Konzept der „Einheit des Zeugnisses“, die unter anderem in der Naqshbanditradition vertreten wird, die ihre Philosophie in erster Linie auf dem existentiellen Gegensatz zwischen dem Transzendenten und dem Immanenten aufbaut. Ob dies zwischen theologisch ausgebildeten bewussten Dialogteilnehmern stattfindet oder zwischen „einfachen“ Gläubigen, jedenfalls ist eine solche Herausforderung von reichlich Verunsicherung begleitet, die ernstgenommen werden muss, wenn man Begegnungen und sogar langfristiges Zusammenleben plant, ganz zu schweigen vom Zusammenleben in einer weltweiten Gesellschaft. Hier ist es notwendig, die eigenen
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Grenzen zu akzeptieren, um sich nicht überwältigt zu fühlen, und die Grenzen des anderen zu akzeptieren ist notwendig, um sich nicht aufzudrängen; nur mit einer solchen Akzeptanz kann ein Prozess einsetzen, gemeinsamen Raum zu entdecken und Gastfreundschaft zu riskieren. Lunel, 14. bis 28. Mai 1990 Ich war nicht in der Lage, an dem nächsten Treffen in der christlichen Eremitage Takamori, Japan, mit dem Dominikaner Vater Shi-geto Oshida teilzunehmen. Inzwischen hatte Heidi („Shanti“) die Suche nach einem jüdischen Teilnehmer weiterverfolgt und Bekanntschaft mit dem französischen Rabbiner Leonard Szteinberg aus Montpellier geschlossen. Da ihr Wohnsitz nicht weit von dort entfernt liegt, fand sie es günstig, die Gruppe zu einem nächsten Treffen dorthin einzuladen. Außer ihr und dem Rabbiner nahmen Bhante Ananda, Deepal, Sheikh Mahmood, Halima und Peter sowie zwei Freunde, Evelyn aus Frankreich und Max aus der Schweiz, daran teil. Aufgrund der Krankheit seiner Frau konnte Reinhard erst mehrere Tage später kommen, und Govindh und Michael konnten überhaupt nicht teilnehmen. Gleich von Anfang an erwies sich die Sprache als größere Herausforderung: Die ansonsten englischsprachige Routine der Gruppe wurde durch die Tatsache geändert, dass Rabbi Szteinberg nur Französisch sprach. Nachdem mein eingerostetes Französisch aufpoliert war, konnte ich etwas mit Übersetzungen helfen. Eine weitere Herausforderung war die, dass Rabbi Szteinberg sich weigerte, andere Vornamen zu akzeptieren als die, die wir von unseren Eltern bekommen hatten; so bestand er darauf, Shanti Heidi zu nennen – was sie akzeptierte, da sie ihn als einen spirituellen Partner betrachtete, nachdem sie ihre Nähe zu jüdischen Einsichten entdeckt hatte – und Bhante Ananda mit seinem Laiennamen Rudi zu rufen. Da ich mich weigerte, meinen Vornamen anzugeben, war ich ab sofort von jedem persönlichen Gespräch mit ihm ausgeschlossen.
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Die Gruppengespräche im Laufe der nächsten Tage wurden sehr stark durch die Vorträge des Rabbiners zu Schlüsselbegriffen des Judentums bestimmt mit Fokus auf dem Tsaddik und der Shechinah mit einem kabbalistischen Ansatz. Meine Schwierigkeiten, seinen Gedanken zu folgen, lagen nicht so sehr an der Sprache, sondern an seinen theologischen Positionen, denen ich nie zuvor seitens eines meiner jüdischen Freunde begegnet war. Die Shekinah wurde als die Einwohnung Gottes auf der Erde erklärt, die einzige Verbindung mit Gott, das göttliche Licht, das sich in dem Tsaddik manifestieren kann, wo es in Energie und Materie umgewandelt wird. Es kann von einer Person mit göttlicher Vision wahrgenommen werden, wo es sich in einem mystischen Raum manifestiert, wo Götzendienst ausgelöscht wurde. Tatsächlich gab es Anlässe, wo zu einer Aussage des einen oder anderen Teilnehmenden und manchmal sogar vor dessen Übersetzung ins Französische, der Rabbiner ausrief, die Shechinah sei anwesend. Ein weiteres zentrales Thema, das der Rabbiner ausgewählt hatte, war die Geschichte von der Bindung Isaaks, bei der er zwei Interpretationen ablehnte: eine jüdische Position, die schlussfolgert, Abrahams Bereitschaft, sogar seinen Sohn zu opfern, sei die Grundlage für das Konzept von den Juden als Auserwähltes Volk, und eine christliche, die die Geschichte als eine Präfiguration des Opfers Christi betrachtet. Beide Interpretationen wies er als anthropomorphische Entgleisungen zurück, wobei menschliche sadomasochistische Konzepte auf Gott projiziert würden und somit Götzendienst betrieben würde. Mit einer an Sheikh Mahmood gerichteten Entschuldigung fuhr er fort, die „Steinigung der Teufel“ in Mina während der Hajj zu kommentieren, indem er sagte, es sei nicht Satan gewesen, der versucht habe, Abraham von der Opferung seines Sohnes abzuhalten, wie es die Muslime erzählen, sondern das Heilige Licht. Nicht sicher, ob die Implikationen dieser Aussage aus sprachlichen Gründen von allen verstanden worden waren, versuchte ich zu erklären, wie in der muslimischen Tradition das Ritual als das Ringen
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mit dem eigenen Ego verstanden wird, den eigentlichen Götzen, der alle anderen hervorbringt. Da die buddhistischen Partner kein vergleichbares Konzept von Opfer und Selbstaufopferung hatten, hörten sie der Diskussion hauptsächlich zu. Nach einigen sanften Einwänden gegen das dominierende Temperament des Rabbiners seitens Evelynes und Bhante Anandas bekamen andere Teilnehmende mehr Raum in der Diskussion und sprachen auch andere Punkte der Präsentation des Rabbiners aus ihrer jeweiligen Perspektive an, wobei sie sorgfältig zu verhindern suchten, dass der Dialog sich in Richtung auf einen „aggressiven Dialogue“ entwickelt, in dem die Bereitschaft und Fähigkeit, einander zuzuhören, zunehmend unterdrückt wurde. Während unseres Aufenthalts machten wir mehrere Ausflüge. Einer war ein Besuch in dem kürzlich eröffneten tibetischen buddhistischen Tempel Kagyu Rintchen Tcheu Ling in Montpellier, wo ein Maler noch mit der typisch tibetischen Dekoration beschäftigt war. In einer lebhaften Diskussion zwischen Lama Saram Tshering, der den Tempel leitete, und Sheikh Mahmood ging es um Meditation. Auf den Kommentar des Rabbiners, Meditation führe zu Autosuggestion, womit sich übrigens erklärte, warum weder er noch Heidi jemals an unserer stillen Gruppenmeditation am Morgen teilnahm, reagierte der Lama, indem er erklärte, es gebe angemessene Methoden für jede der verschiedenen menschlichen Persönlichkeiten. Ein weiterer Ausflug ging zu der kürzlich eingerichteten Tawba-Moschee zusammen mit einer Gruppe von jüdischen Gästen, für die dies der erste Besuch in einer Moschee war. Auch hier bestimmte der Rabbiner stark die Diskussion mit dem jungen Imam, indem er sie auf die in Judentum und Islam geteilte Notwendigkeit lenkte, gegen Götzendienst und Anthropomorphismus zu kämpfen, womit er ein großes Schwergewicht auf den Diskurs innerhalb der Abrahamitischen Tradition legte.
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Ein dritter Ausflug führte uns nach Santes Maries de la Mer an der Rhônemündung in der Camargue, einem traditionellen Wallfahrtsort insbesondere für Roma. Wir waren zufällig dort zum Marienfest im Mai, das tausende von Menschen anzieht. Der Legende zufolge kamen zwei Marien von den nahen Anhängern Jesu dort per Schiff an und verbrachten den Rest ihres Lebens in der Camargue. Im Brennpunkt steht allerdings die dunkelhäutige St. Sara, die entweder als Dienerin mit ihnen zusammen ankam oder sie empfing. Wir konnten eine große Prozession beobachten, in der Statuen der Saintes Maries und Saras ins Meer getragen werden. Dann wurde Segen über das Meer, die Seeleute und die Roma gesprochen. Erst an diesem Tag, einem Freitag, konnte sich Reinhard uns anschließen, der bislang per Telefon in Verbindung gewesen und über die Entwicklung informiert war. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Gruppe die Meditationsphasen während des Tages mit Rücksicht auf die Aversion des Rabbiners aufgegeben, der darauf bestand, dass es „Autosuggestion“ sei, und die Spannung hatte bis zu einem Punkt zugenommen, an dem der Rabbiner frustriert war, weil die Gruppe sich nicht in seine Richtung zu bewegen schien und Heidi erklärt hatte, dass sie uns nicht mehr als Gruppe betrachte, sondern als eine Anzahl individueller Gäste ihrer selbst und des Rabbiners. Als Reinhard den Rabbiner bat, uns am nächsten Morgen in den Shabbatgottesdienst einzuführen, weigerte er sich. Stattdessen begann er nach einer Präsentation des Shema' eine Diskussion vor allem mit Sheikh Mahmood. Rückblickend ist es schwierig zu rekonstruieren, was als nächstes geschah. Als Reinhard gegen Ende der Diskussion etwas sagte, stand der Rabbiner auf, streckte seine Arme zum Himmel aus und berührte Reinhards Füße. Sheikh Mahmood, der nicht dem folgen konnte, was gesagt wurde, verstand dies als ein Signal, aufzustehen und sich zu strecken, was der Rabbiner wiederum als respektlos gegenüber der göttlichen Gegenwart wahrnahm. Später an diesem Tag, als Sheikh Mahmood eine kurze Lobpreisung auf Arabisch aus-
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sprach und der Rabbiner nachfragte, was er gesagt hatte, fragte Bhante Ananda, ob er das göttliche Licht gesehen habe, was der Rabbiner als eine weitere Beleidigung auffasste – nicht gegen ihn selbst, sondern gegen die Shechina. Am nächsten Morgen wurde uns mitgeteilt, dass er dies sehr ernst genommen habe und abgereist sei, weil er nicht bereit sei, den Dialog fortzusetzen. Er hatte sogar Heidi mit der Alternative zwischen ihrer Beziehung mit ihm und ihrem weiteren Dialog in der Gruppe konfrontiert. An diesem Punkt stellte sich heraus, dass es nicht möglich war, dieses Treffen fortzusetzen, und wir trafen Vorbereitungen zur Abreise. Unter den insgesamt 14 Treffen war dies das einzige, das vorzeitig beendet werden musste. Schlussfolgerungen aus der Lunel-Erfahrung Ich war nicht die einzige, für die die Lunel-Erfahrung als Schock kam nach dem Gefühl von Vertrauen und Freundschaft, das innerhalb der Gruppe entstanden war. Verschiedene Versuche einer Auswertung wurden individuell von einigen Gruppenmitgliedern unternommen, die eine Anzahl von Faktoren identifizierten, die in diesem Fall einem fruchtbaren Dialog entgegenstanden. Einer bestand wohl in sehr praktischen und menschlichen Hindernissen, das heißt, Sprache, Temperament und eine grundsätzliche Ablehnung der benutzten Methoden – Elemente, die sich alle von echt religiösen Hindernissen unterscheiden. Andererseits zeigten sie auf, dass wir etwas von der anfänglichen kritischen Wachsamkeit und Achtsamkeit aufgegeben hatten, mit denen der Dialog angefangen hatte, und außer neuen Erwartungen eine Gruppenatmosphäre entwickelt hatten, die man fast als eine neue Sprache oder Kultur bezeichnen könnte, sozusagen neue Anhaftungen, eine neue Wohlfühlzone. Es gab hier allerdings auch etwas, was als religiöses Element betrachtet werden kann: die wiederholte Bezugnahme des Rabbiners auf das trans-
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zendente Element, das ihn in seiner spontanen Bewertung von Ereignissen zu leiten schien und etwas jenseits der menschlichen Ebene unserer menschlichen Begegnung repräsentierte, ausschließlich für ihn selbst wahrnehmbar. Reinhard verglich gern die religiöse Welt eines Individuums mit einem Heiligen Land dieser Person, das mitsamt seinen Grenzen zu respektieren ist. Man kann eingeladen werden, das Heilige Land einer anderen Person zu besuchen – was nicht bedeutet, dass man dort ein Bürger werden oder sich wie ein Eindringling verhalten kann. Ich habe aber angefangen, mich zwei Dinge zu fragen. Das eine ist, wie weit sich das auch auf Menschen bezieht, deren Weltanschauung als unabhängig von dem betrachtet wird, was man traditionell unter Religion versteht: Ist nicht das, worauf sie sich explizit oder implizit verlassen und wonach sie ihre Wahrnehmung der Welt organisieren, ein ähnliches „Heiliges Land“? Das andere ist, wie weit es für ein Individuum oder eine Gruppe möglich ist, vollständig in einer eigenen Welt zu leben, ohne wahrzunehmen, dass es andere Welten gibt. Ich fing allerdings auch an, darüber nachzudenken, was wir eigentlich meinen, wenn wir das Wort Religion benutzen, und habe schließlich drei Ebenen identifiziert. Eine ist Religion im Sinne von Institution, wo sie sich in Strukturen wie der Kirche manifestiert und Mechanismen entwickelt, die mit Staaten oder Geschäftsunternehmen vergleichbar sind, wo eine große Betonung auf ihren eigenen Interessen liegt. Eine andere ist Religion im Sinne von Tradition, die eine Reihe von Konzepten, Begriffen und Verhaltensmustern bereithält, die menschliche Zusammenarbeit innerhalb einer Gruppe ermöglicht. Und schließlich ist da die Ebene der persönlichen Einsicht und Reaktion, die ich als ‚prophetisches Element‘ bezeichnen würde – die auch eine kritische Loyalität gegenüber der eigenen Institution und Tradition ermöglicht, während sie auch Möglichkeiten für eine Verständigung zwischen den Gruppen eröffnet.
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Cochin, 26. August bis 16. September 1993 Aufgrund beruflicher Verpflichtungen war ich nicht in der Lage, an zwei Treffen teilzunehmen, die in Südindien und in Bali stattfinden und konnte erst bei dem Treffen in Cochin 1993 wieder mit dabei sein. Es war mein erster Aufenthalt in einer überwiegend hinduistischen Umgebung, und bis dahin war mein Eindruck, dass ich, je mehr ich über den Hinduismus lese, umso weniger davon weiß. Bilder von farbenprächtigen Gottheiten und Erzählungen von einer Vielfalt an Bräuchen überschnitten und widersprachen einander in meinem Kopf ohne eine Möglichkeit, sie auf einleuchtende Weise anzuordnen. Ich hatte auch Govindh Bharatan, unseren Hindu-Partner, bis dahin noch nicht getroffen. Ich beschloss daher, die Erfahrung mit so wenigen Erwartungen wie möglich anzugehen. Schlimmstenfalls würde es wie ein Besuch im Völkerkundemuseum werden. Michael, Peter und ich flogen zusammen nach Bombay, wo wir den Tag mit einer Stadtrundfahrt verbrachten, einschließlich des Grabes eines muslimischen Heiligen, das im Meer gelegen ist, zugänglich nur über einen Damm, der bei Flut unter Wasser war, das von Hindus und Muslimen gleichermaßen besucht wurde. Auf dem Anschlussflug nach Cochin am nächsten Tag genoss ich von meinem Fensterplatz aus die Aussicht über die gesamte Westküste von Indien sowie den Landeanflug über Palmen hinweg, so dicht, dass man fast die Kokosnüsse hätte pflücken können. Govindh holte uns vom Flughafen ab und brachte uns in sein Haus Chitravathi, wo er mit seiner Frau Indira wohnte. Am ersten Morgen waren wir eingeladen, bei Govindhs Puja anwesend zu sein, einer komplexen Zeremonie in seinem kleinen Gebetsraum, der mit verschiedenen Bildern und Symbolen angefüllt war. Ich hatte die Absicht, ihn später nach den Einzelheiten zu fragen, aber ich verlor bald den Faden und meine Gedanken schweiften ab: Mir wurde allmählich bewusst, dass von den vielen Generationen spiritueller Lehrer im
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„Stammbaum“ meiner Chishti Sufitradition die meisten vom indischen Subkontinent und daher mit dieser Art von Umgebung vertraut waren. Diese Einsicht gab mir ein eigenartiges Gefühl – wie ein Auswandererkind, das zum ersten Mal die Heimat seiner Vorfahren besucht. Später an diesem Morgen, als Govindh erläuterte, dass seine Puja eigentlich eine Guru-Puja war, die Verehrung der Sandalen seiner Lehrerin, die ihn über eine Kette von spiritueller Überlieferung mit großen HinduHeiligen der Vergangenheit verband, erschien mir dies wie eine Parallele zu dem, was ich erlebt hatte, obgleich die Begriffe und Konzepte ganz verschieden waren. In einem späteren Gespräch erläuterte Govindh uns seine Advaita-Philosophie des Nicht-Dualismus, die mich sehr an die muslimische mystische Philosophie von Wahdat al-Wujud erinnerte, obwohl es ganz sicher nicht dasselbe ist. Verschiedenheit in den Gemeinsamkeiten und Gemeinsamkeiten in den Verschiedenheiten? Allmählich trafen die anderen Teilnehmenden ein: Bhante Ananda und Deepal mit seiner Frau Sunethra, die mit einer katholischen Mutter und einem buddhistischen Vater sehr enge Erfahrungen mit interreligiösem Zusammenleben hatte, kamen mit dem Taxi aus Trivandrum, von wo es nach Colombo nur ein kurzer Flug ist. Reinhard kam zusammen mit einer neuen Teilnehmerin, Helga. Mit seinem pakistanischen Hintergrund konnte Sheikh Mahmood aus politischen Gründen nicht teilnehmen. Gelegentlich schlossen sich uns Kailash, ein hinduistischer, und Harun, ein muslimischer Freund von Govindh an. Wir kamen in der Zeit von Onam an, einem Südindischen Erntefest am Ende des Monsun. Insbesondere Frauen und Mädchen wetteiferten darin, ihre Häuser und Tempel mit kunstvollen, Pooklam genannten Blumenmandalas zu schmücken, aber auch Männer und Jungen nehmen teil. Govindh, Indira und ihr jüngster Sohn Shankar erwiesen sich als begabte Künstler. Ihr Muster hatte einen Durchmesser von ungefähr zwei Metern. Firmen schrieben Preise für die besten Muster aus. Ein Mandala in
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der Nachbarschaft, das mir am meisten auffiel, enthielt eine Landkarte von Indien mit den Symbolen Om für den Hinduismus, Kreuz für das Christentum und Mondsichel für den Islam - eine schöne Geste der Koexistenz. Wenn wir einfach nur Touristen gewesen wären, dann wären wir wohl gegangen, um anderen Aktivitäten wie den Bootsrennen zuzusehen, aber unser Ziel war ein anderes. Einer unserer ersten Ausflüge war ein Besuch bei Mata Amrithananda Mai Amritanandamayi, einer lokalen Swamini, die allerdings durch ihre Auslandsreisen international bekannt ist. Seit ihrer frühen Kindheit war sie in spirituellen und wohltätigen Aktivitäten engagiert, komponierte und sang religiöse Lieder, teilte Nahrung und Kleidung mit Ärmeren trotz der Armut ihrer eigenen Familie und umarmte Menschen, um sie zu trösten.4 Die Fahrt dauerte mehrere Stunden zwischen den Nebengewässern mit Fischerbooten und großen Netzen und an Bananen- und Kokosnusspflanzungen vorbei, bis wir Ammas Ashram am Ufer des Arabischen Meeres erreichten. Das Mittagessen war eine einfache Mahlzeit aus Linsen und Reis in einem großen Speisesaal mit Mengen von Menschen, viele davon aus Europa und Amerika, die dann Schlange standen, um sie zu sehen. Wir hatten eine Privataudienz mit ihr später an diesem Tag am Strand. Sie und ich haben nie wirklich miteinander gesprochen, aber wir haben einander umarmt. Es war ein intensives Gefühl von coincidentia oppositorum, von dem ich im Nachhinein nicht sagen kann, ob es Sekunden oder Jahre dauerte. Wenige Tage später fuhren wir zu dem jesuitischen Ashram Sameeksha am Ufer des Flusses Poorna, der jetzt nach dem Monsun ein breiter, schnellfließender Strom geworden war. Gewürze aller Art sowie Kokosnüsse und Bananen wuchsen auf dem Gelände. Unsere Unterkunft bestand aus kleinen Hütten, die zwischen den Bäumen verteilt lagen, mit einfachen Betten und Moskitonetzen. Die Jesuiten, soweit ich sehen konnte, Einheimische, waren wie hinduistische Sannyasins gekleidet. 4
http://amma.org Zugriff 9. September 2018.
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Aber die gesamte Umgebung atmete buchstäblich multireligiöse Koexistenz. Die Tage begannen typisch sehr früh mit dem Gebetsruf von einer nahen Moschee. Darauf folgten Rezitationen in Sanskrit von einem Hindutempel, ebenfalls mit Lautsprecher verstärkt. Und schließlich läuteten Kirchenglocken. Durch all die Bäume hörten wir allerdings nicht viel vom Lärm aus dem nahen Dorf und wurden auch nicht von Verkehrslärm gestört. Unsere Mahlzeiten nahmen wir im Gemeinschaftsspeisesaal ein, zusammen mit den Jesuiten und den Leuten, die im Ashram arbeiteten oder sich sonst da aufhielten, wobei wir wie alle anderen mit den Händen von Aluminiumtellern aßen. Frühstück, Mittagessen, Abendessen – es gab kaum eine Mahlzeit ohne Kokosnüsse und Bananen. Unsere Meditationen morgens und abends fanden in einem interreligiösen Haus auf dem Gelände statt. Es war ein quadratisches Gebäude mit einem pyramidenförmigen Dach. Auf jeder Seite gab es einen Eingang. Symbole für die fünf Elemente (Raum, dargestellt durch eine Kokosnuss, wird in der Hindu-Tradition als fünftes Element betrachtet) waren in der Mitte angeordnet, zusammen mit den heiligen Schriften der Weltreligionen, der Bibel, dem Qur'an, der Bhagvad Gita und dem Dhammapada, die auf niedrigen Lesepulten den Eingängen gegenüber ausgelegt waren. Matten und Kissen vervollständigten die Einrichtung. Für unsere Studien- und Gesprächssitzungen während des Tages wählten wir unterschiedliche andere Orte aus. Das konnte das interreligiöse Haus sein oder ein Gebäude, das Klassenräume mit Tafeln enthielt, oder einfach irgendwo unter einem Baum, je nach Thema und Wetterlage. Teilnehmende stellten der Reihe nach ein Thema aus ihrer Glaubenstradition vor, und es gab genug Zeit für fruchtbare Diskussionen in einer entspannten Atmosphäre. Allmählich wurde ich mehr mit hinduistischen und buddhistischen Begriffen vertraut sowie mit der Vielfalt an Ritualen und philosophischen Traditionen innerhalb des Hinduismus. Viele der
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Puzzleteile, die mich vor meiner Abreise aus Deutschland beschäftigt hatten, ordneten sich ein und ich fing an, das farbenfrohe religiöse Alltagsleben zu genießen. Aber wir hatten auch Zeit, über die Entwicklung des Dialogs in unserer Gruppe nachzudenken. Wieder in Chitravathi angekommen, führte uns Govindh in ein Morgenritual ein, das als Homa Puja bezeichnet wird, ein Feueropfer, das in der vedischen Religion wurzelt. Zu diesem Zweck benutzte er einen Behälter für das Feuer, der wie eine umgekehrte Pyramide geformt war. Das Feuer wird als ein Mittel erklärt, das die Votivgaben, in diesem Fall Reiskörner und einen Löffel voll Butterschmalz, zum Göttlichen emporträgt. Dieses Bild wurde später für das Stadium benutzt, das der Dialog in unserer Gruppe erreicht hatte: Jedes Mitglied brachte die wesentlichsten und wertvollsten Elemente des eigenen Glaubens, um sie in der Gegenwart der anderen Gott darzubieten. Mir fiel ein, dass unser Treffen wie eine Begegnung reicher Leute war, die einander ihre Schätze zeigen, nicht auf irgendeinem gemeinsamen Anliegen oder Defizit oder einer wahrgenommenen Bedrohung begründet. Einige weitere Aktivitäten in Cochin verdienen es, erwähnt zu werden. Eine ist unser Besuch im Gurdwara. Während Sikhs ihren Ursprung in Punjab in Nordindien haben, ist eine beträchtliche Sikh-Gemeinschaft Teil des religiösen Gefüges von Kerala. Der Tempel bestand aus einer großen Halle, deren Brennpunkt ein erhöhtes Podest war, auf dem das Guru Granth, das von Guru Nanak verfasste heilige Buch der Sikhs, unter einem Baldachin auf Seidentücher gebettet war und dem mit einem speziellen Fächer Luft zugefächelt wurde. Verse aus dem Buch wurden rezitiert, begleitet von Instrumenten. Unten war der Langar, die Gemeinschaftsküche, aus der kostenlose Mahlzeiten an alle Besucher ausgeteilt wurden.
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Ein weiterer Besuch galt einem Hindutempel, wo Govindh Aspekte der Architektur erläuterte: Er ist so gebaut, dass er einem menschlichen Körper ähnelt, wobei das Heiligtum, in dem die Gottheit wohnt, der Kern der Persönlichkeit ist, mit der Halle, in der die Rezitationen stattfinden, als Kopf. Neun Eingänge repräsentieren die neun Körperöffnungen. Die Gottheit in diesem spezifischen Tempel war androgyn und der Priester schenkte mir eine Abbildung davon. Ein dritter Ausflug führte zur Synagoge von Cochin, wo ich überrascht war, dass Besucher gebeten wurden, die Schuhe auszuziehen wie in einem Tempel oder einer Moschee. Die jüdische Gemeinde in Cochin war bedeutsam im Pfefferhandel, ist jetzt aber winzig. Ein Nachbau der Synagoge ist im Israel Museum in Jerusalem ausgestellt. Danach besuchten wir die Kirche, in der Vasco Da Gama begraben ist, im portugiesischen Stil gebaut. Auch hier waren am Eingang die Schuhe auszuziehen. Eine Reihe von Veranstaltungen in Chithravathi war halb öffentlich. Eine war Krishnas Geburtstag, zu dem Govindh eine Statue des jungen Krishna mitten im Wohnzimmer aufgestellt hatte, vor der ein blauer Sari ausgebreitet war. Teilnehmende und Gäste saßen an den Seiten des Saris und hielten Teller mit Reiskörnern. Während die tausend Namen Krishnas vorgetragen wurden, wurde Reis auf den Sari geworfen, der die Segnungen der Namen darstellte. Eine weitere Veranstaltung, zu der Gäste eingeladen wurden, war eine geleitete buddhistische Meditation, die mich in gewisser Weise noch einmal auf meine eigenen persönlichen Grenzen aufmerksam machte. Wir saßen da und weiteten allmählich unser Mitgefühl von uns selbst und unseren Angehörigen auf Nachbarn und Freunde und den Rest der Welt aus: „Möge es allen Wesen wohlergehen“ - und ich hatte ein großartiges Gefühl von Harmonie, als mir, gestört von sirrenden Geräuschen
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und juckenden Stichen, der Gedanke kam: „Auch den Moskitos? Meine ich das wirklich?“ Schlussfolgerungen aus der Cochin-Erfahrung Irgendwann während unseres Aufenthaltes fragte mich Reinhard, der an den islamischen Fokus auf Einheit dachte: „Wie gehst du eigentlich mit dieser ganzen sakralen Vielfalt um?“ Ich brauchte nicht lange über eine Antwort nachzudenken, aber ich konnte es nicht in theologischen Begriffen ausdrücken, sondern nur beschreiben, indem ich die Erfahrung mit dem Hören einer indischen Raga verglich: Der Grundton ist immer im Hintergrund zu hören, wo er auf einem speziellen Instrument gespielt wird, während sich die Melodie entfaltet und sogar noch komplexer wird, sobald die Trommeln einsetzen. Tatsächlich war in Pakistan mein Schwerpunkt auf der Einheit des Göttlichen, während die Cochin-Erfahrung die Vielfalt in der Einheit repräsentiert. In muslimischer Sprache wird dies in dem ausgedrückt, was wir als die „Neunundneunzig Schönsten Namen Gottes“ bezeichnen, aber es löste viel systematisch-theologisches Neudenken aus. Meine Rückkehr nach Deutschland machte mich auf einen gegensätzlichen Eindruck aufmerksam, den ich wie folgt ausdrückte: „In Indien ist alles heilig. In Europa ist nichts mehr heilig.“ Bei dieser Gelegenheit gelangte ich dazu, religiöse Traditionen als eine Art Sprache zu betrachten. Wie bei Sprachfamilien wie den indoeuropäischen oder den semitischen Sprachen gibt es Traditionsfamilien wie die abrahamitische oder die indische, die unter sich verwandte Begrifflichkeiten und Konzepte haben. So haben Begriffe wie Gott oder Prophet oder Engel Entsprechungen in den abrahamitischen Religionen, die einen Dialog zwischen ihnen relativ leicht machen und den Dialogpartner nicht mit zu vielen fremden Elementen konfrontieren. Dasselbe gilt für
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Karma und den Daseinskreislauf in den indischen Religionen. Wenn es allerdings zu einem Dialog zwischen diesen „Traditionsfamilien“ kommt, brauchte es größere Bemühung und achtsameres Zuhören, um einander zu verstehen. Fazit Mit Bezug auf die islamische Theologie: Während Beziehungen mit anderen abrahamitischen Religionen und gegenseitige Einflüsse hier ausgiebig erforscht wurden – sei es aufgrund ihrer geographischen Nachbarschaft, ihrer historischen Rivalität oder ihrer anscheinenden theologischen Ähnlichkeit – kann man dies nicht über die religiösen Traditionen „jenseits des Indus“ sagen, besonders was Buddhismus und Hinduismus betrifft. Die wenigen Einblicke, die erscheinen, wenn man z.B. Al-Birunis Buch über Indien5 oder Dara Shukohs Austausch mit dem Hindu-Weisen Lal Das über die Upanishaden6 studiert, sind nicht weithin bekannt und kaum ausgeweitet, obwohl es eine lange Geschichte von sowohl Konflikt als auch Koexistenz von Muslimen mit Hindus und Buddhisten auf dem indischen Subkontinent gibt. Weitere Forschung ist überfällig. Mit Bezug auf monotheistische Theologien: Es besteht ein dringender Bedarf, über das Konzept des Monotheismus neu nachzudenken sowie über das Konzept von Götzendienst, das in den monotheistischen Religionen heftig kritisiert wird, bis dahin, dass es eine Barriere gibt, sowohl gegen eine angemessene Definition von Götzendienst, besonders im Hinblick auf die gegenwärtige Zeit, als auch 5
E. Sachau, ed., Al-Beruni's India: an Account of the Religion, Philosophy, Literature, Geography, Chronology, Astronomy, Customs, Laws and Astrology of India, London 1910. 6 Perwaiz Hayat: The conversation between Dara Shukoh and Lal Das: a Sufi-Yogi dialogue of the 17th - century Indian subcontinent. A thesis submitted to the Faculty of Graduate Studies and Research in partial fulfillment of the requirements for the degree of Doctor of Philosophy, Institute of Islamic Studies, McGill University, Montreal 2016.
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gegen eine tiefere Erforschung „polytheistischer“ Religionen. Dies mag auf der Tatsache beruhen, dass die Begriffe „Monotheismus“ und „Götzendienst“ ausschließlich auf einer „religiösen“ Ebene verstanden werden, während ihre Bedeutung in Begriffen von menschlichem Selbstverständnis („auf wen oder was ist mein letztendliches Verantwortungsbewusstsein gerichtet, was bestimmt mein Leben“) und Weltsicht („eine Welt vor dem einen Schöpfer“) und ihre Relevanz für die Ethik übersehen wird. Dies bedarf einer sorgfältigen Überarbeitung, wenn möglich in einem theologischen und philosophischen Dialog mit Gelehrten aus den östlichen religiösen Traditionen.
Shaykha Halima Krausen ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Akademie der Weltreligionen der Universität Hamburg.
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Maulana Djalal ad-Din ar-Rumi und die Nächstenliebe Ali-Özgür Özdil 1 Der Mensch Auf Scheich Ghalib (gest. 1799), einem Sufimeister des MaulawiOrdens geht der Satz zurück: „Der Mensch ist die Zusammenfassung des Universums“. Eine Sufi-Weisheit besagt daher: „Der Mensch ist die Zusammenfassung des Universums, wie der Kern eines Baumes. Was im Baum ist, ist auch im Kern. Aus dem Baum wird nur das, was im Kern enthalten ist. Wer das Universum versteht, versteht auch den Menschen. Wer den Menschen versteht, versteht das Universum.“ Die Lehre Maulana Djalal ad-Din ar-Rumis (gest. 1273) basierte darauf, dass er die Liebe als die Hauptkraft des Universums betrachtete. Genauer gesagt ist das Universum ein harmonisches Ganzes, in dem jedes Teil mit allen anderen in einer Liebesbeziehung steht, die wiederum einzig und allein auf Gott gerichtet ist und nur durch seine Liebe existieren kann. Der Mensch, der als ein Teil dieses harmonischen Ganzen geschaffen ist, kann die Harmonie mit sich selbst und dem Universum nur erreichen, wenn er lernt, Gott zu lieben. Seine Liebe zu Gott wird ihn dazu befähigen, nicht nur seine Mitmenschen, sondern alles von Gott Geschaffene lieben zu können. Gott durch Liebe näher zu kommen ist für ar-Rumi, der Weg zur wahren Erfüllung im Leben. Ein Grund für seine Berühmtheit ist, dass er die Fähigkeit besaß, diese Lehre in Poesie wiederzugeben. So ist sein berühmtes Werk, das Mathnawi (pers. für „Gedicht“) entstanden. Für ar-Rumi sandte Gott die Propheten, um die Menschen mit Ihm zu vereinen und nicht, um jene, die bereits mit Ihm verbunden sind, von Ihm zu trennen!
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2 Moses und der unwissende Hirte In seinem Mathnawi (Band II, Vers 1702) erzählt ar-Rumi von einer Begegnung Moses mit einem Hirten. Als Moses sich dem Mann nähert, sitzt dieser an einem Baum gelehnt und betet zu Gott: „O mein lieber Gott! Weißt Du wie sehr ich Dich liebe. Für Dich würde ich alles tun, was immer Du auch wünschst. Mein bestes Schaf würde ich für Dich opfern, zubereiten und Reis dazu kochen. Bitte Du mich nur darum, ich würde Dir die Füße waschen, Dir die Ohren reinigen, Dich von Deinen Läusen befreien. Meine Liebe zu Dir ist dermaßen unbeschreiblich groß.“ Moses hingegen kann nicht ertragen, was seine Ohren mit anhören müssen. Völlig wutentbrannt schreit er den Mann an: „Sei still, du Unwissender! Was glaubst du, was du da tust? Isst Gott etwa Reis? Hat er etwa Füße, die du waschen könntest? Gibt es denn ein solches Gebet? Du begehst eine große Sünde! Bitte sofort um Vergebung dafür!“ Der Hirte läuft daraufhin vor Scham rot an und schwört, nie wieder solch unbedachte Gebete zu sprechen und bricht in Tränen aus. Bis spät in die Nacht sitzt Moses dann bei dem Mann und bringt ihm Gebete bei. Dann verabschiedet er sich von dem Mann mit dem Gedanken: Ich habe heute etwas Gottgefälliges getan. Gott wird sehr zufrieden mit mir sein. Gott spricht daraufhin zu Moses: „Was hast du nur getan? Habe ich dich entsendet, um diejenigen, die von mir getrennt sind, mit mir zu vereinen, oder diejenigen, die mit mir vereint sind, von mir zu trennen? Du hast den armen Hirten verletzt. Du hast nicht begriffen, wie sehr er mit Mir verbunden war. Auch wenn er sich nicht bewusst war, was er sprach, war er in seinem Glauben aufrichtig. Wir schauen nicht auf die Worte, sondern auf die Absicht. Sollten Wir alleine auf die Worte blicken, gäbe es heute keinen einzigen Menschen mehr auf Erden. Was für jemand anderen ein Lob ist, mag dir als Beleidigung erscheinen. Was ihm Honig ist, mag für dich Gift sein. Das, was du gehört hast, klang in deinen Ohren wie Gottesleugnung und Sünde, doch selbst wenn darin ein Fehler sein sollte, was für ein süßer Fehler das doch ist.“
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Moses erkannte seinen Fehler und ging am nächsten Tag erneut zum Hirten. Wieder sah er ihn beim Gebet, doch dieses Mal war nichts von der gestrigen Innigkeit und Aufrichtigkeit seines Gebets zu spüren. Er versuchte lediglich das, was er von Moses auswendiggelernt hatte, mühsam zu wiederholen. Dabei versprach er sich mehrmals, stotterte und schwitzte er vor Anstrengung. Moses verspürte erneut Reue, streichelte dem Hirten den Rücken und sagte: „O Freund! Ich habe mich geirrt. Bitte vergebt mir und betet zu Gott, wie ihr es wünscht. Denn dies ist bei Gott wertvoller.“ 3 Die Einheit der Vielfalt Ar-Rumi spricht in seinem Werk „Diwan al-Kabir“ (Band VI, Vers 3020) daher zum Menschen: „Komm, komm näher, komm noch näher! Wie lange wird diese Überheblichkeit noch andauern? Wenn du schon ich bist und ich du bin, weshalb dann dieses Ich und Du? Wir sind Gotteslicht, Gottesspiegel! Weshalb zanken wir dann ständig mit uns selber und mit den anderen? Warum läuft ein Licht dem anderen Licht davon? Es ist, wie wenn alle Menschen im einen Körper, in einem Wesen eines reifen Menschen versammelt wären! Aber warum schielen wir dann noch, obwohl wir alle Glieder des gleichen Körpers sind? Warum behandeln die Reichen die Armen so verächtlich? Warum verachtet die rechte Hand die linke Hand, die sich doch am gleichen Körper befindet? Da ja beides deine Hände sind, was bedeuten dann Glückseligkeit und Trauer im gleichen Körper? In Wirklichkeit sind wir alle Menschen aus einer einzigen Substanz. Unser Verstand ist eins, unser Kopf ist eins. Diese ungetreue Welt bringt uns dazu, dass wir die Eins als Zwei sehen! Los, befreie dich von diesem Ego; verständige dich mit jedem und vertrage dich mit jedem! Solange du noch du bist, bist du nur ein Korn, ein Staubkörnchen! Doch wenn du dich mit jedem vereinigst, mit jedem verschmilzt, bist du eine Quelle… ein Ozean!
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Alle Menschen haben die gleiche Seele, aber es gibt Mio. von Körpern! So wie es auch unzählige Mandelsorten gibt auf dieser Welt – doch in allen ist das gleiche Öl. Es gibt verschiedene Sprachen, verschiedene Bezeichnungen auf dieser Welt; die Bedeutung von allen ist jedoch die gleiche! Wenn sie zerbrechen, fließt das Wasser in den verschiedenen Gefäßen als ein einziges Wasser. Wenn du die Bedeutung der Einheit verstehst und sie erlangst – wenn du die Sprache und die bedeutungslosen Gedanken aus deinem Herzen herausreißt und wegwirfst – dann wird deine Seele Nachrichten an diejenigen mit geistig offenen Augen senden und die Wahrheit erzählen!“ 4 Die Gottesliebe “Liebe erst und komme dann wieder” Es heißt, dass eines Tages ein Jugendlicher an die Tür ar-Rumis klopfte und ihn bat: „Meister, bitte nehmt mich als euren Schüler auf!” Ar-Rumi jedoch sah den jungen Mann etwas an und fragte ihn: „Mein Sohn, hast du dich jemals verliebt?” Der Jugendliche, sichtlich erstaunt über diese Frage, wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Ar-Rumi sagte ihm schließlich, dass er, um als Schüler aufgenommen zu werden, erst einen Menschen lieben müsse und wies ihn ab. Der Jugendliche kehrte um und ging, kam jedoch am nächsten Tag erneut an die Tür ar-Rumis und wiederholte seine Bitte. Doch ar-Rumi bestand auf seiner Bedingung und schickte den jungen Mann erneut weg. Am dritten Tag, als der Jugendliche wieder vor ar-Rumis Tür stand, fragte er ar-Rumi nach der Weisheit hinter dieser Bedingung. Ar-Rumi lächelte und sagte: „Wer noch nicht einmal imstande ist, ein Geschöpf Gottes zu lieben, wie soll dieser dann den Weg zu der Liebe
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zu Gott finden? Wie soll der, dessen Herz noch nicht einmal um ein Geschöpf Gottes brennt, die Liebe zu Gott kennen und um seinetwillen brennen? Liebe erst und komme dann wieder, mein Sohn.” Schams at-Tabrizi Irgendwann begegnete ar-Rumi einem Fremden Namens Schams aus Tabriz. Diese Begegnung und Freundschaft war so intensiv, dass für arRumi die Liebe zum Zentrum seiner Weisheit wurde. Man fragte ar-Rumi schließlich: „Bei jeder Gelegenheit erzählst du, wie sehr du von Schams profitiert hast. Aber du bist bereits der größte Gelehrte dieser Ortschaften und der Berater der Sultane gewesen, bevor du Schams begegnet bist. Wozu brauchst du Schams?“ „Früher“ sagte ar-Rumi, „früher nahm ich, wenn mir kalt war, eine Wolldecke und wärmte mich. Schams aber sagte mir: ‚Solange es nur einen Menschen gibt, der friert, hast du nicht das Recht, dich zu wärmen.‘ Früher genügte eine Schale Suppe, um mich satt zu machen, doch jetzt schmeckt mir kein Essen mehr. Denn nun weiß ich, dass es sehr viele hungernde Menschen gibt.“ (Eren Sarı: Aşkın Kitabı (Buch der Liebe). Antalya 2016, S. 54). Die sieben Ratschläge ar-Rumis Folgende Ratschläge, die aus den Lehren ar-Rumis entnommen wurden und mit denen ich meinen Beitrag beschließen will, sollen den Universalismus in seiner „Lieben-Lehre“ zum Ausdruck bringen. Sei in deiner Güte und Barmherzigkeit, wie die Sonne. Sei beim Bedecken von Fehlern, wie die Nacht. Sei in deinem Edelmut und deiner Freigebigkeit, wie fließendes Wasser. Sei in deiner Bescheidenheit, wie die Erde. Sei in deiner Nachsicht, wie das Meer. Sei in deinem Zorn, wie ein Toter. Sei so wie du dich zeigst oder zeig dich so wie du bist. (damit dein äußeres wie dein inneres ist)
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Dr. Ali-Özgür Özdil ist Direktor des Islamischen Wissenschafts- und Bildungsinstituts in Hamburg.
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Gehört der Buddhismus zu Deutschland?
Die Relevanz des Buddhismus für die Welt von heute Carola Roloff Seit Beginn dieses Jahrhunderts sind wir mit einer wachsenden Zahl scheinbar religiös motivierter Terrorattacken und Konflikte konfrontiert, mit Unterdrückung, Vertreibung und Diskriminierung, mit Hass und Gewalt. Dadurch wird das Thema Religion zunehmend in der Gesellschaft diskutiert. Manche argumentieren, die Welt wäre besser dran ohne Religion, andere, dass Glaube Privatsache sei, wieder andere, dass Religion wieder stärker in der Gesellschaft und Erziehung verankert werden müsse. Dieses gesellschaftliche Interesse hat 2010 mit zur Gründung der Akademie der Weltreligionen geführt, die sich mit den Fragen des friedlichen Miteinanders verschiedener religiöser Traditionen beschäftigt, einer Frage, die heute wichtiger ist denn je. Und der Buddhismus? Anfang der 1990er Jahre, ausgelöst durch die Programmschrift „Weltethos“ von Hans Küng und das ‚Weltparlament der Religionen’ in Chicago ist man an deutschen Schulen verstärkt dazu übergegangen, den Buddhismus im Rahmen der fünf Weltreligionen in den Philosophie- und Religionsunterricht einzubeziehen. In letzter Zeit jedoch zeichnet sich eine Verengung auf die drei abrahamischen Religionen ab – nicht zuletzt auch im ‚Religionsunterricht für alle‘ in Hamburg. Deshalb stellt sich die Frage: Was ist mit dem Buddhismus? Gehört auch er zu Deutschland? Weltweit gibt es rund eine halbe Milliarde Buddhisten, den Großteil im asiatisch-pazifischen Raum. In Deutschland leben etwa eine Viertelmillion Buddhisten, ethnische wie auch deutschstämmige, denn der Buddhismus ist seit 200 Jahren auch zunehmend Teil der deutschen Kultur geworden. Der Philosoph Arthur Schopenhauer (1788–1860) z.B. hat
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sich als den ersten „europäischen Buddhisten“ bezeichnet.1 Er wird als ein entscheidender Wegbereiter des Buddhismus im Westen angesehen. Auch Richard Wagner (1813-1883) war – inspiriert von Schopenhauer – zutiefst von buddhistischem Gedankengut beeinflusst. Vor diesem Hintergrund möchte ich die Relevanz des Buddhismus für die Gesellschaft von heute beleuchten und dabei zunächst auf Hamburg eingehen, wo etwa 20.000 Buddhisten2 leben und inzwischen mehr als 60 buddhistische Zentren und Gruppen unterschiedlicher Schulrichtungen das Leben der Stadt mitgestalten. Erste Buddhisten in Hamburg sind für das Jahr 1906 dokumentiert. Der Mediziner Prof. Dr. Hans Much (1880–1932), der sich unter anderem als Entdecker einer Tuberkel-Bazille und Entwickler der Spalt-Tablette einen Namen gemacht hatte, stand der Hamburger Ortsgruppe „Bund für buddhistisches Leben“ vor. Doch trotz dieser langen Zeit hat der Buddhismus hier noch immer Schwierigkeiten, als gleichwertig anerkannt zu werden – nicht etwa bei den anderen Religionen, sondern auf bürokratischer Ebene der Freien Hansestadt. 1 Das aktuelle Problem: Fehlende Anerkennung als Religionsgemeinschaft Seit einem Jahr schon prüft die Rechtsabteilung des Hamburger Senats, ob die gemeinnützige Buddhistische Religionsgemeinschaft Hamburg e.V., die Kriterien einer Religionsgemeinschaft nach Artikel 140 des GG erfüllt.3 Dieser Verein ist ein Zusammenschluss von zehn buddhistischen Zentren, die bereits seit Jahrzehnten bestehen und in vielen traditions1
https://www.the-tls.co.uk/articles/public/arthur-schopenhauer-footnotes-to-plato/; https://www.zeit.de/2010/35/Portraet-Schopenhauer, abgerufen am 13.06.2018. 2 Nach eigenen Angaben mehr als 20.000: https://www.tibet.de/fileadmin/pdf/Kooperationen/BRG/Presseerklaerung_BGH_Vesa kh_2017_2.pdf, abgerufen am 09.06.2018. 3 Religionsgesellschaften (dort Religionsgesellschaften genannt) erwerben die Rechtsfähigkeit nach den allgemeinen Vorschriften des bürgerlichen Rechtes, und auf ihren Antrag sind ihnen gleiche Rechte zu gewähren, wenn sie durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten.
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übergreifenden Fragen zusammenarbeiten. Es geht also darum, ob sie als Körperschaft öffentlichen Rechts selbständig diejenigen Aufgaben erledigt, die für die Gläubigen und ihre Religion sog. „identitätsstiftenden Charakter“ haben oder ob sie nur gemeinsame Interessen koordiniert. Es geht also nicht etwa um die Frage, ob der Buddhismus eine Religion ist, sondern ob diese buddhistische Institution durch ihre Satzung und die Zahl ihrer Mitglieder die „Gewähr der Dauer“ bietet, d.h. mindestens 30 Jahre – was, philosophisch betrachtet, für einen Buddhisten eine Herausforderung darstellt, ist doch nichts, was aus Ursachen entsteht, von Dauer, denn „Alles Bedingte ist unbeständig“, verändert sich von Moment zu Moment. Oder in den Worten, die dem griechischen Philosophen Heraklit zugeschriebenen werden: panta rhei (altgriechisch πάντα ῥεῖ), zu Deutsch ‚alles fließt‘. Auch wird in Frage gestellt, ob man aufgrund der großen Vielfalt der Traditionen überhaupt konsensfähig wäre, z.B. bei der Ausarbeitung von Arbeitsmaterialien für den Religionsunterricht. Eine andere Frage, nämlich ob es überhaupt genügend Kinder und Jugendliche aus buddhistischen Familien in Hamburg gibt, ist schwierig zu beantworten, da man im Anmeldeformular der Hamburger Meldebehörde nur wählen kann zwischen Ev.-luth., Röm.-kath., jüd. Gem. HH oder ref. Kirchen. Alle anderen religiösen wie nicht-religiösen Bürgerinnen und Bürger fallen unter die Kategorie "Sonstige Religionsgemeinschaften/ohne Angaben/keine". Die bestehenden buddhistischen Zentren sind finanziell unabhängig und erfreuen sich regen Besuchs von Buddhisten wie Nichtbuddhisten aus Hamburg und der Umgebung. Warum also überhaupt das Bemühen um einen Religionsvertrag? Die Antwort lautet: Weil Buddhisten dann nicht nur für einander, sondern für die Gesellschaft insgesamt auf vielen Ebenen einen wertvollen Beitrag leisten könnten. Doch bevor ich aufzeige, worin dieser Beitrag konkret schon besteht und worin er, mit entsprechender Förderung, zukünftig bestehen könnte, las-
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sen Sie mich erst noch kurz ein Schlaglicht auf die Problemlage in anderen Ländern Europas werfen. In Italien und Spanien z.B. kann der Steuerpflichtige auf seiner Steuererklärung angeben, welcher Religionsgemeinschaft oder welch anderen sozialen oder kulturellen Zwecken sein Beitrag zugutekommen soll. In Schweden erhält die schwedisch-buddhistische Union vom Staat jährlich 5 Euro pro eingetragenem Mitglied. Buddhisten engagieren sich dort vor allem in Krisenmanagement und Seelsorge. Zwei Koordinatoren werden zu je 40% mit staatlichen Zuschüssen finanziert. Diese sind in der Gefängnisseelsorge aktiv und leiten u.a. ein Jugendprojekt zur Präventionsarbeit gegen verschiedene Formen der Gewalt (einschließlich gewalttätigem Extremismus). In Reflexionsgruppen an schwedischen Gymnasien führen sie seit einiger Zeit Jugendliche in eine kurze Meditationspraxis ein. In Frankreich gibt es für Religionsgemeinschaften, wenn überhaupt, für alle, die gleichen Rechte bzw. Unterstützung,4 so z.B. Sendezeit im öffentlichen Fernsehsender France 2, wo jeden Sonntag verschiedene Traditionen des Buddhismus abwechselnd eine Viertelstunde lang ihre „Buddhistischen Weisheiten“5 präsentieren können. Ein positives Beispiel ist Österreich: Dort ist die Österreichische Buddhistische Religionsgesellschaft seit 1983 bundesweit als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt.6 Seit 1993 gibt es buddhistischen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen, und seit 2017 werden in Wien nun auch buddhistische Religionslehrerinnen und -lehrer ausgebil-
4
Einen Sonderstatus genießt das Elsass, wo weiterhin ein Kirchenkonkordat Gültigkeit hat. Auch dort erhalten Buddhisten gleiche Unterstützung. 5 Sagesses Bouddhistes: http://www.buddhistwomen.eu/EN/index.php/Sakyadhita/BuddhismInEurope; For TV examples see: http://www.buddhistwomen.eu/FR/index.php/Documentation/Video, http://www.buddhistwomen.eu/FR/index.php/Documentation/TenzinPalmo, und http://www.buddhistwomen.eu/FR/index.php/Documentation/JeanneSchut, abgerufen am 03.06.2018. 6 1998 folgte Portugal, 2000 Italien. Siehe dazu auch Freiberger & Kleine (2011, 168).
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det. Der Bedarf ist tendenziell steigend, wie die Kirchliche Pädagogische Hochschule Wien/Krems berichtet. Und in Hamburg? Bereits in den 1990er Jahren halfen das Tibetische Zentrum und die Buddhistische Gesellschaft der damals noch Nordelbischen Kirche, in Hamburg den ‚Religionsunterricht für alle’ mit aus der Taufe zu heben (GIR, 1997; Petersen, 1997, 50-52; Petersen, 2011, 143). Doch seit es die sog. Staatsverträge mit dem Alevitentum und dem Islam gibt, werden Buddhisten in die Weiterentwicklung des ‚Religionsunterrichts für alle‘ seitens der Schulbehörde inhaltlich nicht mehr auf Augenhöhe einbezogen, und das, obwohl das Interreligiöse Forum Hamburg, allen voran Frau Bischöfin Fehrs, aber auch die Schura und die Alevitische Gemeinde das Anliegen der Buddhisten unterstützen.7 Doch Buddhisten wollen mitverantwortlich sein. So könnte es zukünftig in Hamburg auch eine Lehramtsausbildung für buddhistische Religion geben. Hier an der Universität gibt es bereits gute Ressourcen: die steten Professuren für Buddhismuskunde, Religionswissenschaft und interreligiöse Theologie und nicht zuletzt nun auch meine Gastprofessur. Gemeinsam ließe sich sicher ein entsprechender Studiengang mit Lehrveranstaltungen sowohl aus der Binnen- als auch der Außenperspektive sicherstellen. Bisher können in Hamburg nur Christen, Muslime und Aleviten Religionslehrerinnen und -lehrer werden. Zukünftig soll auch die jüdische Gemeinde Religionslehrkräfte beauftragen können. Buddhisten, Baha’i, Hindus, Sikhs usw. bleiben zurzeit noch außen vor. Aus akademischer Sicht ist es jedoch wichtig, dass Ausbildung nicht nur in privatem Rahmen stattfindet, sondern wissenschaftlich fundiert und zertifiziert in öffentlichen Bildungseinrichtungen. Dadurch wäre sicher7
In einem Schreiben des Interreligiösen Forum Hamburg vom 10. August 2016 schreibt die Vorsitzende Bischöfin Kirsten Fehrs: „Aus diesem Grund möchten wir ‒ die Vertreter der im Interreligiösen Forum Hamburg organisierten Religionsgemeinschaften ‒ hiermit bekunden, dass wir unsere Freunde aus den Gemeinschaften der Buddhisten und der Hindus dabei unterstützen, erfolgreich mit dem Senat über einen Vertragsabschluss zu verhandeln.”
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gestellt, dass bei den Lehrenden ein Mindestmaß an Qualität eingehalten wird, was nicht kontrolliert werden kann, wenn diese aus Asien sozusagen „importiert“ werden und die Schulung nur in buddhistischen Zentren stattfindet. Eine andere wichtige Ausbildung ist die in der Seelsorge. In der ev. und kath. Theologie-Ausbildung gehört die Seelsorge-Schulung zur sog. Praktischen Theologie. Hier wäre aus buddhistischer Sicht vergleichbar eine Zusatzausbildung sinnvoll, die für Seelsorge und Hospizarbeit z.B. Psychologie und interkulturelle Kompetenz einbezieht. Denn es geht auch um den Wissenstransfer zwischen asiatischen und hiesigen Kulturen, gerade in Krisensituationen. 2 Was der Buddhismus zum Gemeinwohl beiträgt, und was er beitragen könnte Welchen Beitrag könnte der „anerkannte“ Buddhismus konkret für die Gesellschaft leisten? Der Buddhismus ist nicht nur eine Religion, er hat auch eine philosophische und eine naturwissenschaftliche Dimension. Deshalb ist er in zunehmendem Maße auch für Nicht-Buddhisten interessant. Aufgrund des wachsenden Interesses von Psychologie, Medizin und Pädagogik an buddhistischem „Handwerkszeug“ wie Meditationstechniken und Achtsamkeitstraining hat sich der traditionelle Buddhismus bereits seit den frühen 1980er Jahren dem Dialog mit den Naturwissenschaften geöffnet. Dabei geht es nicht um Glaube, sondern um die Beziehung zwischen Geist und Körper, z.B. um die Auswirkung verschiedener Meditationspraktiken auf das menschliche Gehirn. Eines der weltweit größten Forschungsprojekte, das aus den seit 1987 bestehenden Internationalen Mind & Life Konferenzen8 hervorgegangen ist, wird seit 2013 unter der Leitung von Prof. Dr. Tania Singer am Max Planck Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig be-
8
Siehe https://www.mindandlife.org/mission/, abgerufen am 16.12.2018.
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trieben.9 Dort sind u.a. auch buddhistische Methoden der Geistesschulung Gegenstand einer Langzeitstudie zum mentalen Training. Man untersucht, wie sich ein solches Training auf Gehirn, Gesundheit, Stress, Wohlbefinden und Sozialverhalten auswirkt. Meditation soll auch frühe Symptome von Demenz und Alzheimer mildern. Zuvor hatte schon 1979 der Molekularbiologe Jon Kabat-Zinn an der Universität Massachusetts in Anlehnung an eine buddhistische Meditationstechnik ‚Mindfulness-Based Stress Reduction’ (MBSR) entwickelt, ein achtsamkeitsbasiertes Programm zur Stress-Bewältigung. Klinische Studien zeigen, dass MBSR hilft, besser mit Krankheiten, Stress, Angst und Depression umzugehen. Zu nennen wäre hier auch der buddhistische Mönch Matthieu Ricard, ebenfalls Molekularbiologe, der gegenwärtig mit Hirnforschern der Universitäten Madison-Wisconsin, Princeton und Berkley zusammen arbeitet. Sie untersuchen die Wirkung von Mediation und Geistestraining auf das Gehirn. Tania Singer bezeichnete ihn einmal scherzhaft als ihr „Lieblings-Versuchstier“. Vieles, was der Buddhismus zu bieten hat, wurde also bereits von der Wissenschaft aufgegriffen, mit westlichen Erkenntnissen in Verbindung gesetzt und auf säkularer Ebene weiterentwickelt, sowohl von der Psychologie und Pädagogik als auch von den Naturwissenschaften. Und manches wird schon seit längerem auch bei uns erprobt, in Schulen z.B. Achtsamkeitstraining. Besonders bewährt hat sich hier das Projekt AISCHU-Achtsamkeit in der Schule von Vera Kaltwasser. Aufgrund solcher Erfahrungen, die in anderen Ländern und zum Teil auch in Deutschland schon gemacht wurden, bemüht sich die Buddhistische Religionsgemeinschaft Hamburg um einen besseren Zugang zu öffentlichen Einrichtungen wie Krankenhäusern, Heimen, Justizvollzugsanstalten, Polizeiausbildungsstätten und Militär – überall dort, wo es um den Dienst am Nächsten geht. Viele buddhistische Zentren werden mit derartigen Anfragen überhäuft, für die sie derzeit qualitativ – gemes9
Zum aktuellen Stand siehe https://www.resource-project.org/, abgerufen am 16.12.2018.
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sen an staatlichen Bildungskriterien – nicht ausreichend aufgestellt sind. In den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich werden Buddhisten an sog. chaplain (Seelsorge)-Kursen beteiligt. An solchen Beispielen könnte man sich bei der Entwicklung von Ausbildungsprogrammen orientieren. Eine staatliche Förderung durch Fortbildung und z.B. auch Anerkennung von Bildungsurlaub wären daher hilfreich. Sowohl in Deutschland als auch in Italien gibt es schon Fälle, wo sich nicht nur einzelne Gefangene, sondern auch Haftanstalten an buddhistische Zentren gewandt haben mit der Frage, ob sie in Gefängnissen Kurse zum Umgang mit Emotionen, speziell mit Aggression anbieten können. In Italien findet die Ausbildung dafür an der Universität Rom statt.10 Einige Buddhisten sind in der Drogenprävention und der Betreuung von Obdachlosen aktiv. Auch dazu gibt es schon erste Ansätze in Hamburg. In den USA und Australien ist man hier schon viel weiter. Es gibt auch hier viele Menschen, die bereit wären, sich ehrenamtlich einzubringen, aber dafür benötigt man professionelle Koordination und entsprechende Stellen – und, wie gesagt, ein Mindestmaß an Qualifikation. Ein Tätigkeitsfeld, das heute immer wichtiger wird und auf dem Buddhisten schon jetzt viel bewirken und noch mehr bewirken könnten, gäbe es entsprechende öffentliche Mittel, sind Sterbebegleitung und Hospizarbeit. Auf diesen Gebieten wird Buddhisten eine besonders hohe Kompetenz zuerkannt. Meditationen über Tod und Vergänglichkeit, das Sich-Vertraut-Machen mit Sterben und Tod bereits zu Lebzeiten hat in der buddhistischen Praxis einen hohen Stellenwert. Zum einen geht es darum, jeden Augenblick des Lebens gut und bewusst zu nutzen, also jeden Tag so bewusst zu leben, als wäre es der letzte. Zum anderen glauben viele, wenn auch nicht alle Buddhisten an Wiedergeburt. Deshalb gibt es im Buddhismus viele bewährte Anleitungen, um Menschen im Sterben zu begleiten. Sie sollten möglichst friedlich, schmerzfrei und 10
Siehe dazu http://religioniperlapaceitalia.org/?page_id=2792 und http://europeanbuddhism.org/about/activities/ebu-networks/chaplaincy-prisonchaplaincy/, abgerufen am 16.12.2018.
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auch
bewusst Abschied nehmen können und dabei unterstützt werden, sich noch einmal an das Gute ihres Lebens zu erinnern. In Deutschland – auch in Hamburg – gibt es bereits eine ganze Reihe von Bestattungsinstituten, die auch buddhistische Trauerfeiern anbieten. Die Buddhistische Religionsgemeinschaft Hamburg bemüht sich z.Z. um ein Gräberfeld und die Nutzung einer Kapelle auf dem Ohlsdorfer Friedhof. Das sind alles Aktivitäten, für die es Bedarf gibt, wo es aber oft an der notwendigen buddhistisch geprägten Fachausbildung mangelt. Doch wo können Buddhisten in Deutschland eine entsprechende „theologische“ und seriöse Seelsorge-Ausbildung erwerben? Bis jetzt gibt es an keiner deutschen Universität einen Standort für buddhistische „Theologie“. Für das Christentum dagegen stehen rund 700 Lehrstühle bundesweit zur Verfügung,11 für den Islam etwa 16, für das Judentum nach meinem letzten Stand 2 und für das Alevitentum 1. Buddhisten versuchen bisher, dieses Manko aus eigenen Kräften bzw. durch private Stiftungen zu überbrücken. So berichtete mir kürzlich ein Kollege aus den Niederlanden, dass die Buddhist Union Netherlands (BUN) extra eine Stiftung ins Leben gerufen hat, die sich sowohl um die Ausbildung und Autorisierung von buddhistischen Religionslehrern für den Schulunterricht als auch von buddhistischen Seelsorgern kümmert. An der Freien Universität Amsterdam gibt es die Möglichkeit einer interreligiösen Seelsorge-Ausbildung, und auch an der Universität Oslo wird diese seit kurzem für Buddhisten staatlich gefördert. In Deutschland gibt es meines Wissens noch kein vergleichbares Angebot. In der Gesellschaft dagegen ist der Buddhismus längst angekommen, selbst in der Umgangssprache. Bezeichnenderweise bedeutet der Ausdruck „rester ZEN“ in Frankreich „cool/locker/ruhig bleiben“. Das Angebot an Kursen und Literatur ist unüberschaubar geworden, Buddha-
11
Siehe Anhang C.11. „Anzahl der von Frauen besetzten Professuren in Theologie nach Hochschulen 2007 (nach Bundesland und Hochschulstandort)“, in Wissenschaftsrat (2010, 148-150).
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statuen sind allenthalben zu finden, von Baumärkten bis zu Bahnhofsbuchhandlungen. Anziehend ist der Buddhismus sicher für viele Menschen heute auch dadurch, dass er eine „Religion ohne Schöpfergott“ ist und ohne Begriffe wie Sündenfall, Strafe usw. auskommt. Das Kausalprinzip von Ursache und Wirkung, also Karma, und das Entstehen in Interdependenz, wirken hier eng zusammen. Es kommt dem Wunsch nach Selbstbestimmung entgegen und betont die Eigenverantwortung. Theologisch betrachtet, geht es im Buddhismus ebenso wie in den theistischen Religionen um die Frage nach der Ursache von Leid. Sie wird der eigenen Unvollkommenheit, der eigenen Verblendung zugeschrieben. Die Frage von Schuld stellt sich deshalb nicht und somit auch nicht die Theodizee-Frage nach der Gerechtigkeit Gottes.12 So haben Menschen das Gefühl, im Guten wie im Bösen selbst die Verantwortung für ihr Leben zu haben. Diese Vorstellung ist, säkular betrachtet, voll kompatibel mit dem Gedanken der europäischen Aufklärung und dem „Recht auf Selbstverwirklichung“. Ein Punkt, auf den ich gleich noch einmal zurückkomme. 3 Werte des Buddhismus – Common Ground – Aufgeklärter Buddhismus Halten wir zunächst fest: Es gibt schon Manches, das auch ohne staatliche Förderung gut läuft, und die gesellschaftliche Akzeptanz des Buddhismus ist eine durchaus erfreuliche Entwicklung. Doch bei all dem sollte man nicht vergessen, dass der Buddhismus sich nicht in Achtsamkeitstraining und Meditation erschöpft, sondern er ist eben auch eine Religion und nicht nur eine Philosophie oder Weltanschauung. Warum kann der Buddhismus auch als Religion einen wertvollen Beitrag leisten? Warum ist er seinem Wesen nach für die Gesellschaft heute besonders gut geeignet? Ich denke, zum einen aufgrund seines tiefen spirituellen Gehalts und zum anderen, weil er in dem Sinne undogma12
Siehe dazu auch meinen Dialog mit Ephraim Meir (2015, 192‒196).
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tisch ist, dass er eine Philosophie ohne Umsetzung in der Praxis als nutzlos betrachtet. Man könnte ihn also in mancher Hinsicht durchaus als angewandte Wissenschaft des Geistes betrachten. 3.1 Werte Im Idealfall – ich spreche jetzt nicht von der sozialen Realität, die mitunter weit davon entfernt ist – also im Idealfall zeichnet sich der Buddhismus durch Toleranz aus, er propagiert nicht den einzig wahren Heilsweg und verzichtet in der Regel darauf, andere missionieren13 zu wollen. Traditionell steht der Buddhismus für die Devise: Komm und sieh! Die Lehre des Buddha gilt als pragmatisch, sie propagiert eher das Sowohlals-auch als das Weder-noch. Der Buddhismus ist von seinem Fundament her eine Erkenntnisreligion und keine Glaubensreligion. Dabei bestätigen Ausnahmen wie der ostasiatische Amida-Buddhismus die Regel. Vergleichbare Elemente, die vor allem auf Vertrauen und spiritueller Hingabe beruhen, finden sich auch im tantrischen Buddhismus Tibets und Japans. Im Zentrum der buddhistischen Lehre steht stets die Bemühung um Einsicht in die Vier Wahrheiten. Erstens: Leben ist mit Leid verbunden. Zweitens: Die Ursachen des Leids sind psychologischer Natur: der Egotismus des Menschen, seine Ichzentriertheit und sein nimmer endendes Verlangen nach Mehr. Drittens: Es ist möglich, sich radikal zu verändern, sich von Leid und dessen Ursachen zu befreien. Wenn nicht in diesem, dann im Laufe zukünftiger Leben. Und wenn nicht durch Erkenntnis, dann durch Vertrauen in den Buddha, der in verschiedener Weise erscheinen kann, nicht nur als historische Person, sondern in der Mahāyāna-Tradition auch in einem transzendenten Körper. Und viertens 13
Gemeint ist Mission im negativen Sinn des Abwerbens von anderen Religionen oder Konfessionen (Proselytismus). Mission im Sinne einer organisierten Verbreitung des Dharma wird nicht als unheilsam (skt. akusala) angesehen, sondern als heilsam (skt. kusala), vorausgesetzt, die Motivation ist rein. Dies wiederum schließt einen Alleinvertretungsanspruch ebenso aus wie jegliche Art von Gewalt. Lehrerende sind angewiesen, niemanden im Dharma zu unterweisen, der nicht darum gebeten hat.
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gibt es einen Weg, sich aus der psychologischen Falle von Egotismus und Verblendung zu befreien – nämlich durch konkrete Methoden aus dem Bereich ethisches, mitfühlendes Verhalten, meditative Versenkung und Kultivierung von Weisheit. Die beiden Hauptsäulen des Buddhismus sind zum einen das eigene achtsame, möglichst gewaltfreie, mitfühlende Handeln und zum anderen die Schulung in Weisheit. Werte wie Liebe und Mitgefühl sind im Buddhismus von zentraler Bedeutung. Das buddhistische Mitgefühl umfasst idealerweise ausnahmslos alle Lebewesen, seien es Freunde, Fremde oder Feinde, Mensch oder Tier. Man ist bemüht, uneigennützige Liebe zu entwickeln, das spontane Gefühl, mit allen und allem anderen verbunden zu sein, in sich zu stärken. Das bedeutet, dass Buddhisten auch die Umwelt – manche bevorzugen den Begriff Mitwelt – mit einschließen. In diesem Sinne geht es um Respekt, Mitverantwortung und Fürsorge für einander. Wie der englische Buddhist Stephen Batchelor (2011, 33) so treffend sagt, war das, was der Buddha gelehrt hat, durchaus radikal und beunruhigend: „Es fordert mich in meinem tiefsten Gefühl, wer „ich“ bin heraus und stellt eine harte Kritik an Selbstsucht, Anhaftung und Hass dar. Wenn die Werte des Buddhismus klar kommuniziert würden, sollten sie Menschen genau darin herausfordern, wie sie über sich selber und ihre Welt denken, und dazu führen, gegebenenfalls zu grundlegenden Änderungen in ihrer Lebensweise anzuregen.“
Der Buddhismus ist somit also auch ein philosophisches System von Ideen und Werten, das eine tiefgründige Bedrohung der Gier darstellt, die durch unsere Konsumgesellschaft gefördert wird. Die Angst, die benutzt wird, um militärische Gewalt zu rechtfertigen, wird von buddhistischen Werten ebenso in Frage gestellt und herausgefordert wie das kapitalistische System als solches. Wer buddhistische Genügsamkeit, sozusagen einen einfachen Lebenswandel bevorzugt, wirkt somit auch selbsterklärend all jenen Gefahren entgegen, die durch uneingeschränk196
ten Konsum und durch Gier nach immer Mehr zum Klimawandel, zum Artensterben und zu Naturkatastrophen führen und letztendlich zur Zerstörung unseres Lebensraumes. Nicht verwunderlich ist deshalb, dass Buddhisten ihre ethischen Vorstellungen mehr und mehr auch im Berufsleben verwirklichen, sich z.B. mit Umweltschutz und Tierschutz befassen oder dass sie sich gar als Banker betätigen. Der Erfolg der anthroposophischen GLS-Bank, die sich an ethischen Richtlinien orientiert, zeigt, dass dieser Weg dem Wunsch vieler Menschen entspricht. Dabei sollte man nicht verleugnen, dass es nicht Hauptziel des Buddhismus ist, die Welt zu verbessern, sondern Erleuchtung zu erlangen, die Befreiung von Leid und das Erlangen von wahrem, langfristigem Glück – und das für alle Lebewesen. Doch das eine schließt das andere nicht aus. Damit kommen wir zur zweiten Säule des Buddhismus: Weisheit. Wie in anderen Religionen geht es auch im Buddhismus um die Suche nach Wahrheit, genau genommen um Einsicht in die letztgültige Wahrheit durch Meditation. Zentral für das Verständnis von Wahrheit sind hier die Lehren über das Entstehen in Interdependenz (skt. pratītyasamutpāda) und über das Leersein von intrinsischer Existenz (skt. śūnyatā). Die meditative Übung in diesen beiden Sichtweisen führt dazu, sich einerseits kausaler Zusammenhänge bewusst zu werden und andererseits die Dinge multiperspektivisch in ihrer Komplexität und Partikularität zu betrachten. Die Vergegenwärtigung der Leerheit schützt davor, die Dinge zu pauschalisieren, bestimmte Personen oder Personengruppen zu stigmatisieren oder aber einer essentialistischen Sichtweise zu verfallen. Dekonstruktion und Rekonstruktion gehen hier sozusagen Hand in Hand. Das hilft im Alltag sehr konkret, spontane Eindrücke und Werturteile zu hinterfragen und zu relativieren. Sowohl das kognitive Denkvermögen als auch die emotionale Selbststeuerung wird in der Meditation gestärkt und somit komplexes und differenziertes Denken mit emotionaler Offenheit verbunden. Damit wird
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eine geistige Ebene erschlossen, die es möglich macht, die komplexen Zusammenhänge unserer vernetzten Welt besser zu verstehen. So entsteht ein Gefühl des Verbundenseins und des Zusammenhalts, eines Miteinander statt Gegeneinander, und daraus wiederum eine Kraft, gemeinsam durch Solidarität Gutes zu bewirken. Gern rufen Buddhisten deshalb zu Toleranz und Respekt vor allem und jedem auf. Sie bemühen sich, andere nicht auszugrenzen, auch nicht andere Religionen, sondern versuchen, mit allen friedlich zusammenzuleben und kein oder zumindest möglichst wenig Leid zu verursachen. So zumindest die Ideale. Wenn wir nach Myanmar schauen und die Gräueltaten dort, sehen wir, dass Buddhisten leider auch anders können. Ohne Zweifel, gibt es auch fundamentalistische und sektiererische Buddhisten, aber solche Tendenzen kann man nicht an einem bestimmten Traditionsstrang festmachen, vielmehr finden sich in jeder Religionsgemeinschaft Menschen mit solcher Sichtweise. Deshalb ist eine Erziehung zur Pluralisierung nötig, nicht nur im säkularen Bereich, sondern gesamtgesellschaftlich, also auch im religiösen Bereich. 3.2 Common Ground Es ist wichtig, in einer Gesellschaft zunehmender Diversität im religiösen wie im nicht-religiösen Bereich, über gemeinsame Werte zu sprechen, über Common Ground. Dabei geht es nicht nur um gemeinsames Wissen, sondern auch um eine gemeinsame Wertebasis, die es konkret in die Praxis umzusetzen und zu bewahren gilt. Zum Teil sind diese gemeinsamen Werte hier in Deutschland bereits durch den Rechtsrahmen vorgegeben. In Art. 137 (3) der Weimarer Verfassung von 1919, der Teil des Grundgesetzes ist (Artikel 140) heißt es, dass jede Religionsgesellschaft „ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes“ ordnet und verwaltet.
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3.3 Aufgeklärter Buddhismus Das heißt, nur wenn der Buddhismus die Ideale der europäischen Aufklärung berücksichtigt, kann er in modernen Gesellschaften sein positives Potenzial entfalten. Unter aufgeklärtem Buddhismus verstehe ich einen Buddhismus, der im Einklang mit unserem Grundgesetz, mit der Europäischen Menschenrechtskonvention und mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und der übrigen für alle geltenden Gesetze agiert. Das Recht aus Selbstverwirklichung lässt sich, wie vorhin erwähnt, auch aus der Lehre selbst heraus begründen. Wenn es z.B. um die Gleichbehandlung von Mann und Frau geht, darf Religion hier keine Ausnahme bilden. Religionen sollten nicht hinter der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zurückbleiben. Eine Relativierung von Geschlechtergerechtigkeit aus kulturellen oder religiösen Gründen ist rechtlich betrachtet nicht zulässig. Wenn wir über Wertebildung sprechen, kann man von religiösen Institutionen, insbesondere, wenn sie öffentliche Förderung aus Steuermitteln erhalten, erwarten, dass sie hier mit gutem Beispiel vorangehen. Es muss also gefragt werden, ob Religionen, die in Bildung einbezogen werden, so auch der Buddhismus, Werte zeitgenössischer Gesellschaften wie Freiheit, Demokratie, Menschenrechte anerkennen und wie sie diese konkret umsetzen. 4 Dialogische Theologie und Hermeneutik Eine zeitgemäße, kontextuelle Auslegung jahrtausende- oder jahrhundertealter Texte ist für alle Religionen des 21. Jahrhunderts eine große Herausforderung, auch für den Buddhismus. Bleiben wir bei diesem Beispiel. Da der Buddha vor 2.500 Jahren keine Aussage zur Freiheitlich demokratischen Grundordnung gemacht hat und der Kontext, in dem er gelehrt hat, ein völlig anderer war, ist es Aufgabe von „Theologen“ bzw. „Buddhologen“, Vorschläge zu machen, wie man aus dem Vorhandenen, aus dem, was in den Traditionen des Buddhismus und in ihren Texten bereits gegeben ist, einen zeitgemäßen, demokratiekompatiblen, geschlechtergerechten Buddhismus ableiten bzw. rekonstruieren kann. Aus theologischer Sicht geht es nicht nur darum, was diese Texte einst be199
deutet haben, sondern darum, was sie heute für Praktizierende von Religion bedeuten könnten (Meir, 2016, 346). Der Respekt vor der eigenen Tradition erweist sich dabei in der Kritik aus der Binnenperspektive, immer da, wo sie von ihren eigenen Grundprinzipien abweicht. Ergebnisoffene Forschung versteht sich auch im Bereich „Theologie“ von selbst. Es geht nicht darum, Dogmen zu verteidigen und zu untermauern. Ein gutes Kontrollventil ist hier der interreligiöse Dialog auf akademischem Niveau, d.h. eine Theologie der Religionen, oder eben eine dialogische Theologie, wie sie seit 2012 von uns an der Akademie der Weltreligionen der Universität Hamburg entwickelt wird (Weiße, 2011, 136). Zu einer dialogischen Theologie gehören mindestens zwei Religionen, in der Akademie der Weltreligionen idealerweise mindestens fünf oder sechs. Es geht darum, nicht nebeneinander, sondern gemeinsam Theologie zu betreiben. Dabei geht es um das Neulesen und die gemeinsame Reflexion von Texten, um gegenseitige und multiperspektivische Interpretation, mit dem Ziel gemeinsam Antwort auf drängende Fragen der Zeit in einem sich ständig wandelnden Kontext zu finden. Voraussetzung ist die Bereitschaft, nicht die eigene Religion als die einzig richtige für alle zu betrachten, sondern uns der eigenen menschlichen Fehlbarkeit bewusst zu sein. Soweit zu Wissenschaft und Forschung. Was bedeutet das für Buddhisten? Oft gilt es, sich zu fragen, was würde wohl der Buddha heute zu dieser oder jener Frage sagen, zur Frage der Gleichstellung von Frauen, zum Thema Homosexualität, zu Organspende, zu Arm und Reich, zur Flüchtlingsfrage, zum Verhalten gegenüber der Umwelt/Mitwelt, zur Tierethik und zu den vielen anderen Fragen, die für Gesellschaften heute relevant sind. Hierfür gibt es keine fertigen Antworten. Jeder muss das für sich selbst beantworten. Aber eine grundständige Ausbildung an Universitäten könnte hier Orientierungshilfe geben, indem sie verschiedene denkbare ethische Antworten aufzeigt. Prinzipiell gilt es, im Kontext aufgeklärter Religionen zu fragen, ob es heute wirklich noch in erster Linie darum geht, „identitätsstiftend“ zu
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sein, wie es nach derzeitiger Auslegung des Grundgesetzes gefordert wird. Oder sollte es heute nicht vielmehr darum gehen, ein „Wir-Gefühl“ zu stärken, Common ground zu finden und gemeinsam Identität im Sinne von Mitmenschlichkeit zu stiften? Literatur Batchelor, S. (2011). Eine buddhistische Stimme für Europa. In C. Roloff, W. Weiße & M. Zimmermann. (Hrsg.), Buddhismus im Westen. Ein Dialog zwischen Religion und Wissenschaft (Religionen im Dialog, Bd. 6, 25‒35). Münster: Waxmann Verlag. Freiberger, O. & Kleine, C. (2011). Buddhismus. Handbuch und kritische Einführung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. GIR (1997). Gesprächskreis Interreligiöser Religionsunterricht in Hamburg: Empfehlungen zum Religionsunterricht an öffentlichen Schulen. In F. Doedens & W. Weiße (Hrsg.), Religionsunterricht für alle. Hamburger Perspektiven zur Religionsdidaktik (Religionspädagogik in einer multikulturellen Gesellschaft, Bd. 1, 35‒41). Münster: Waxmann. Meir, E. (2015). Interreligious Theology. Its Value and Mooring in Modern Jewish Philosophy. Berlin and Jerusalem: De Gruyter and Magnes. Meir, E. (2016). Kommentar zum Vorhaben einer Dialogischen Theologie. In K. Amirpur, T. Knauth, C. Roloff & W. Weiße (Hrsg.). Perspektiven dialogischer Theologie. Offenheit in den Religionen und eine Hermeneutik des interreligiösen Dialogs (Religionen im Dialog, Bd. 10, 345‒354). Münster: Waxmann-Verlag. Petersen, O. (1997). Buddhistische Stellungnahme: Tibetisches Zentrum e.V. Hamburg. In F. Doedens & W. Weiße (Hrsg.), Religionsunterricht für alle. Hamburger Perspektiven zur Religionsdidaktik (Religionspädagogik in einer multikulturellen Gesellschaft, Bd. 1, 50‒52). Münster: Waxmann.
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Petersen, O. Erfahrungen eines Buddhisten im interreligiösen Dialog in Hamburg. In C. Roloff, W. Weiße & M. Zimmermann. (Hrsg.), Buddhismus im Westen. Ein Dialog zwischen Religion und Wissenschaft (Religionen im Dialog, Bd. 6, 141‒154). Münster: Waxmann Verlag. Weiße, W. (2011). Interreligiöser Dialog im öffentlichen und akademischen Diskurs. Dialogansätze im Bildungsbereich und das Ziel einer Akademie der Weltreligionen der Universität Hamburg. In C. Roloff, W. Weiße & M. Zimmermann. (Hrsg.), Buddhismus im Westen. Ein Dialog zwischen Religion und Wissenschaft (Religionen im Dialog, Bd. 6, 125‒140). Münster: Waxmann Verlag. Wissenschaftsrat. (2010). Empfehlungen zur Weiterentwicklung von Theologien und religionsbezogenen Wissenschaften an deutschen Hochschulen, Drs. 6978-10, Berlin 29.01.2010. Online verfügbar: https://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/967810.pdf
Dr. Carola Roloff ist Gastprofessorin an der Akademie der Weltreligionen an der Universität Hamburg.
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„Er verhandelte mit Kaiser und Fürsten“
Josel von Rosheim, Befehlshaber der Judenschaft im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation´ und bedeutender Zeitgenosse Martin Luthers Joachim Liß-Walther Einleitung Josel von Rosheim war eine prägende Gestalt und charismatische Persönlichkeit, deren Bedeutung für die Juden in seiner Zeit, im Reformationszeitalter, kaum überschätzt werden kann. In christlichen Kreisen, in Theologie und Kirche, spielt er hingegen keine nennenswerte Rolle, wenn auch neuere Luther-Biographien im Zusammenhang mit dem unbequemen Komplex ‚Luther und die Juden‘ auf Josel von Rosheim kurz zu sprechen kommen bei seinem vergeblichen Versuch, mit Luther persönlich in Kontakt zu treten.1 Auch die zu diesem verstörenden Kapitel in den letzten Jahrzehnten erschienenen Abhandlungen2 verweisen auf den ‚Befehlshaber der Judenschaft im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation´, würdigen ihn aber kaum einmal als streitbaren und entscheidenden Vertreter der Juden, der mit Kaiser und Fürsten verhandelte. Es scheint nach wie vor innerhalb der Kirchengeschichtsforschung die Tendenz vorzuherrschen, sich vor allem auf die Haltung der christli-
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So etwa bei Heinz Schilling, Martin Luther. Rebell in einer Zeit des Umbruchs, München 2012, 558-561; bei Willi Winkler, Luther. Ein deutscher Rebell, Berlin 2016, in über 600 Seiten wird Josel nicht einmal erwähnt. 2 Um nur die wichtigsten zu nennen: Reinhold Lewin, Luthers Stellung zu den Juden. Ein Beitrag zur Geschichte der Juden in Deutschland während des Reformationszeitalters, Aalen 1973; Heinz Kremers (Hg.), Die Juden und Martin Luther – Martin Luther und die Juden. Geschichte, Wirkungsgeschichte, Herausforderung, Neukirchen 1987; Peter von der Osten-Sacken, Martin Luther und die Juden. Neu untersucht anhand von Antonius Margarithas `Der gantz Jüdisch glaub´(1530/31), Stuttgart 2002; Thomas Kaufmann, Luthers `Judenschriften´. Ein Beitrag zu ihrer historischen Kontextualisierung, Tübingen 2011; Ders., Thomas Kaufmann, Luthers Juden, Leipzig 2014.
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chen Gemeinschaft gegenüber den Juden zu konzentrieren. Es dominiert die Perspektive der Christen, von Theologie und Kirche, auf die Juden. „Das christliche Bild vom Juden, die theologische Verhältnisbestimmung von Christentum und Judentum, die zu kirchenpolitischen Maßnahmen führt, wird jedoch kaum auf die konkrete Lebenswirklichkeit der jüdischen Menschen der jeweiligen Zeit bezogen. Die Quellenerschließung betrifft allein die christliche Seite […], anstatt die Quellen daraufhin zu befragen: Wie haben jüdische Menschen, Frauen und Männer, ihre jüdische Existenz bestimmt, wie haben sie die Christen gesehen?“3
Daher wundert es auch nicht, dass die Beschäftigung mit Josel und seinem Wirken bislang überwiegend in den Händen jüdischer Historikerinnen und Autoren lag und vermutlich im Hinblick auf die Forschung auch weiterhin liegen wird.4 3
Leonore Siegele-Wenschkewitz, Josel von Rosheim: Juden und Christen im Zeitalter der Reformation, in: Kirche und Israel 6, 1991, 3-16, hier 5. Dazu auch Andreas Pangritz, Zeitgenössische jüdische Reaktionen auf Luther und die Wittenberger Reformation, in: Begegnungen. Zeitschrift für Kirche und Judentum 1, 2011. 4 Im Folgenden beziehe ich mich vor allem auf die große Josel-Biographie von Selma Stern, Josel von Rosheim. Befehlshaber der Judenschaft im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, Stuttgart 1959. Sie zitiert vor allem aus den von Josel erhaltenen Schriften `Sefer HaMiknah´ (Buch des Erwerbs), aus den `Memoiren´ - die aufgrund ihres Charakters kaum als Autobiographie, sondern eher als `Chronik´ zu verstehen sind -, aus dem `Trostbrief´, aus den Takkanot (Ordnungen von 1530) sowie aus verschiedenen Sendschreiben und Stellungnahmen. Im Folgenden zit. als Stern, Josel. Eine frühe umfangreiche `Roman-Biographie´ verfasste Rabbiner Marcus Lehmann, Rabbi Joselmann von Rosheim. Historische Erzählung aus der Zeit der Reformation, 2 Bde., Frankfiurt/Main 1879/80 (ND Zürich 1988). Es handelt sich dabei um einen lesenswerten und spannenden Roman, der viele historische Dokumente und Verlautbarungen – häufig ungekürzt – bietet, jedoch auch Vorgänge und Intrigen, die frei erfunden sind. Um nur zwei Beispiele anzuführen: So phantasiert Lehmann eine Reise herbei, die den frühen Josel auf die Feste Salzburg zu Kaiser Maximilian geführt haben soll. Gewiss hat Josel viele Reisen in Mitteleuropa unternommen und unternehmen müssen und gewiss hat er eine Eingabe zugunsten der Juden im Elsass bei Maximilian gemacht, doch nach Salzburg kam er nie, den Kaiser traf er in Koblenz. Der Phantasie entspringt auch eine Szene, in der Josel von Luther während des Reichstages zu Augsburg 1530 besucht wird – Luther will den geschätzten Anwalt der Judenschaft zum Übertritt ins Christentum bewegen, wird aber fast unvermittelt von Hass erfüllt, als Josel dies Ansinnen ablehnt. Bekanntlich war Luther nicht auf dem
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Die Lage der Juden im Deutschland des 16. Jahrhunderts Im 16. Jahrhundert, im Zeitalter des Übergangs vom Spätmittelalter zur anhebenden Frühmoderne, in dem Josel seine imponierende Wirksamkeit entfaltete, durchlitt das Judentum im ‚Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation’ eine schwere und nicht selten existentiell bedrohende Krise.5 Immer wieder wurden kaiserlich überkommene und erneuerte Reichstag zugegen und zwischen Melanchthon und Josel kam es zu keiner ernsthaften Auseinandersetzung. So wäre also der Roman – wie Luther es wohl ausdrücken würde - `zwar nützlich zu lesen´ sein, doch nicht in den Kanon historisch-belegter Schriften zu erheben. Im Jahre 1888 hat Isidor Kracauer die in hebräisch verfassten Memoiren Josels unter dem Titel `Journal´ in: Révue des Etudes Juives 16, 84-105 mit französischer Übersetzung herausgegeben – daraus vor allem zitiert Selma Stern. Noch in das 19. Jahrhundert gehört das auf wissenschaftlicher Grundlage verfasste und mit zahlreichen Dokumenten versehene Werk von Ludwig Feilchenfeld, Rabbi Josel von Rosheim. Ein Beitrag zur Geschichte der Juden in Deutschland im Reformationszeitalter, Straßburg 1898. In diesem Werk weist Feilchenfeld auch auf offene Fragen und Aufgaben hin, die angesichts der nicht selten unklaren Quellenlage noch gelöst werden müssten. Aus dem Jahr 1913 stammt der Aufsatz von Moses Ginsburger, Josel von Rosheim und seine Zeit (= Schriften der Gesellschaft für die Geschichte der Israeliten in ElsassLothringen 11), Gebweiler 1913. Neueren Datum sind folgende Beiträge: Rosemarie Schuder/Rudolf Hirsch, Der Gelbe Fleck. Wurzeln und Wirkungen des Judenhasses in der deutschen Geschichte. Essays, Berlin 1989, Kap. Josel von Rosheim – Luther – Osiander, 353-423; Hans-Joachim Bechtoldt, Josel von Rosheim, `Fürsprecher´ der deutschen Juden und seine Kontaktaufnahme zu Martin Luther, in: Ebernburg-Hefte 2002, 13-29. Weitere Aufsätze zusammen mit der Dokumentation einer Ausstellung finden sich in: Volker Gallé (Hrsg.), Josel von Rosheim – Zwischen dem Einzigartigen und Universellen. Ein engagierter Jude im Europa seiner Zeit und im Europa unserer Zeit, Worms 2013. S. auch die Angaben unter Anmerkung 2. Weitere Hinweise auf Publikationen in hebräischer, französischer und englischer Sprache finden sich unter: http://www.geschkult.fu-berlin.de/e/jancke-quellenkunde/verzeichnis. Der gegenwärtige Stand der Forschung wird präsentiert in dem von der - noch vor der Publikation verstorbenen – Josel-Spezialistin Chava Fraenkel-Goldschmidt herausgegebenen und umfangreich kommentierten Band: The Historical Writings of Joseph of Rosheim. Leader of Jewry in Early Modern Germany, übers. aus dem Hebräischen von Naomi Schendowich, ediert und mit einem Nachwort von Adam Shear (=Studies in European Judaism 12), Boston/Leiden 2006. Im Folgenden meist zit. als Fraenkel-Goldschmidt oder als Fraenkel-Goldschmidt, The Chronicle. 5 Zum folgenden Abschnitt in Auswahl: Friedrich Battenberg, Die Juden in Deutschland vom 16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, München 2001; Haim HillelBen Sasson, Geschichte des jüdischen Volkes, München 1994; Arno Herzig, Jüdische
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Schutzrechte und Bestimmungen von Territorialfürsten und freien Reichsstädten unterlaufen und außer Kraft gesetzt. Emanzipationsbestrebungen der Landesherren, des Adels und des Patriziats, der Bürger und Meister des Handwerks, machten der Regentschaft des Reiches zu schaffen, die Konflikte zwischen den verschiedenen Ständen verschärften sich, die ausgebeuteten Bauern erhoben sich vom Elsass bis Thüringen, die kaiserliche Gewalt sah sich wieder und wieder gezwungen, unterschiedliche Koalitionen gegenüber Angriffen von außen ins Leben und in den Krieg zu rufen, sei es gegen Frankreich, sei es gegen die aus dem Südosten gegen das Reich anstürmenden Türken, sei es schließlich auch gegen die sich rasch ausbreitende reformatorische Bewegung. Die Lage der Juden wurde geradezu verzwickt: Weder konnten sie über Ländereien verfügen, in der Landwirtschaft tätig sein, noch war ihnen erlaubt, im Handwerk zu wirken und sich in den Zünften zu organisieren. Öffentliche Ämter waren ihnen versperrt. Das aber, was ihnen erlaubt war, zugemutet wurde und wovon die Herren im Lande am meisten profitierten: Geldhandel, Kreditgeschäfte und Pfandleihe, war zugleich das, was man ihnen vorwarf und was sie am meisten bedrohte. Der Vorwurf der Wucherei und Hehlerei war immer wieder ein probates Mittel, gegen Juden vorzugehen. Den Christen war das Zinsnehmen traditionell verboten, die Juden mussten hingegen zum Leben und Überleben Zinsen nehmen, von denen sie ihre Steuern und Abgaben zu entrichten und ihren Lebensunterhalt zu bestreiten hatten. Gerade in diesem Jahrhundert jedoch vollzog sich der Übergang zur frühen Finanzwirtschaft, und darin engagierte Christen scherten sich kaum um das Verbot der Zinsnahme. Die Juden wurden dadurch zu unliebsamen Konkurrenten. Produktiv werden konnten und durften sie nicht – im Bereich der ‚Dienstleistungen’ waren sie allerdings nicht selten als Medizinkundige tätig –, was
Geschichte in Deutschland. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 1997; Die Juden. Ein historisches Lesebuch, hrsg. Von Günter Stemberger, München 1990.
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wiederum dazu führen konnte, ihnen bei ausbleibender Heilung den Prozess oder ohne Prozess den Garaus zu machen. Dieser Übergangsphase eignete eine bestimmte Janusköpfigkeit: Wuchs auf der einen Seite die Bedeutung der Vernunft, des rationalen Diskurses und damit der Vorlauf der Aufklärung, steigerte sich die Erkenntnis, dass der Mensch sich zum verändernden Gestalter der Welt und seiner Umwelt auftürmen könne und solle, so wucherten auf der anderen Seite die alten Verhältnisse im Verhalten, im Denken und Handeln der Menschen weiter, die Gewohnheiten und Traditionen, die Vorurteile und der Aberglaube. Und die kleine Minderheit der Juden eignete sich in besonderer Weise zum Sündenbock. So galten sie im theologischen Sinn schon seit Jahrhunderten als ‚Gottesmörder’, so waren sie verantwortlich gemacht worden für die verheerende Pestepidemie von 1347-1353 und mussten den Vorwurf der Brunnenvergiftung mit zahlreichen Pogromen und Verfolgungen büßen – in Augsburg, Würzburg, Bamberg, Passau, München und anderen Städten wurden die Juden zusammengetrieben und ermordet – allein in Straßburg verbrannten 1800 Juden auf dem Scheiterhaufen. Nach dem Ende der Pestpogrome, nach 1353 waren fast zwei Drittel der Juden im ‚Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation’ umgebracht, an die 300 Gemeinden ausgelöscht worden. Lediglich in drei Dutzend Orten konnten Juden überleben, weil die Stadtherren, die Bürgervorsteher, Räte oder Bischöfe den mordgierigen ‚Wutbürgern’ unter Androhung schwerer Strafen entgegentraten. Hinzu kamen die Beschuldigungen wegen Ritualmordes und Hostienfrevels. Ritualmordanklagen wurden zumeist im Zusammenhang mit der Karwoche oder dem Pessachfest erhoben. Verschwand ein Christenkind, so wurde behauptet, Juden hätten es gefoltert und geopfert, um die Leiden Christi und damit den Gottesmord abzubilden.6 In der Regel endeten die Prozesse mit Folter und Todesurteilen für die Beschuldigten. Seit dem 4. Laterankonzil 1215 wurde der Ritualmordvorwurf nicht selten 6
Heinrich Heine hat einen solchen Fall in seiner unvollendeten Erzählung `Der Rabbi von Bacharach´ geschildert.
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mit der Anklage wegen Hostienfrevels verbunden; denn mit der zum Dogma erhobenen katholischen Transsubstantiationslehre, die besagt, dass Brot und Wein beim Abendmahl wahrhaftig in Leib und Blut Christi verwandelt werde, wurde der Hostie, der geweihten Oblate, magische Bedeutung und Kraft angedichtet. So kam in weiten Kreisen der christlichen Bevölkerung die groteske Überzeugung auf, die Juden würden die Hostie durchstechen, um Christus erneut zu foltern und das hervorquellende Blut zum Einbacken in die Mazzen für Pessach zu verwenden oder für Zauberei oder gegen Krankheiten zu missbrauchen – das Blut geopferter Christenkinder sollte den gleichen Zwecken dienen. Die grässlichen Folgen für die ‚überführten’ Juden kann man sich ausmalen. Nicht ‚nur’ der Tod auf dem Scheiterhaufen stand den Angeklagten nach erpressten Geständnissen bevor, sondern meist auch die Enteignung und Vertreibung aller ansässigen Juden aus der Stadt oder gar dem ganzen Territorium. Um 1520 waren Juden aus vielen großen Städten und manchen Ländereien verschwunden, fanden aber auch wieder – auf Zeit – Unterschlupf bei anderen Herrschaften oder konnten sich als Landgemeinden einrichten. Die Lage der Juden war also tagtäglich gefährdet, eine verbindliche Rechtssicherheit gab es nicht oder konnte nur befristet und meist nur für einzelne Orte und Bezirke durchgesetzt werden. Josel von Rosheim war bei seinen Verhandlungen häufig darauf angewiesen, geltende kaiserliche Schutzbestimmungen für die Juden oder auch päpstliche Schutzbullen ins Feld zu führen und immer neu einzuklagen. Die rechtlichen Schwierigkeiten bestanden zum Großteil darin, dass auf der einen Seite die Juden als ‚servitus camere imperialis’, also in Kammerknechtschaft allein dem Kaiser unterstanden, ja mit Leib und Vermögen als sein Eigentum betrachtet wurden, als Objekte, über die er frei verfügen konnte. Auf der anderen Seite aber war es üblich geworden, die Judenschutzrechte als so genannte ‚Judenregalien’ an Dritte zu verleihen:
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„Indem sie vom Kaiser an Städte und Fürsten verkauft wurden, höhlten sie die besondere Schutzbeziehung zwischen dem Kaiser und seinen Kammerknechten aus.“7
So sahen sich die Juden in Stadt und Land ganz unterschiedlichen Herrschaftsverhältnissen ausgesetzt, zwar an den Kaiser gebunden, aber doch ‚Spielball’ unterschiedlicher Interessen. Die den Juden ausgestellten Privilegien waren meist auf kurze Zeit befristete Gnadenakte, die nicht oder nur in den seltensten Fällen als Rechtstitel unter Verweis auf Dokumente einklagbar waren. Außerdem kamen auch Fürsten und Städte in den ‚Genuss’ des ‚Privilegs, Juden des Landes zu verweisen’, d. i. zu vertreiben. In diesem Rahmen bewegte sich das bewegte Leben Josels von Rosheim, das nach einer knappen Skizze über die Zeit bis 1529 anhand von drei entscheidenden Stationen dargestellt werden soll. Josel von Rosheim – Die Jahre bis 1529 Josel wurde höchstwahrscheinlich 1478 im elsässischen Hagenau geboren.8 Es wird angenommen, dass seine Vorfahren aus Louans stammten – Josel selbst unterzeichnete einmal mit ‚Joseph Ben Gerschon aus der Familie aus Loans’. Daher liegt es nahe, in ihm einen Verwandten von Jacob Ben Jechiel Loans, Leibarzt des Kaisers Friedrich III. und von diesem zum Ritter geschlagen, zu vermuten.9 Der Vater von Josel, 7
Leonore Siegele-Wenschkewitz, Josel von Rosheim (s. Anm. 2), 8. Fast alle Josel-Experten gehen von 1478 aus, lediglich der Wikipedia-Beitrag nennt 1476 als Geburtsjahr, gleich daneben steht seltsamerweise 1480; in dem Beitrag ist auch davon die Rede, dass die Brüder des Vaters von Josel hingerichtet wurden – es handelte sich jedoch um die Großonkel von Josel - Josel selbst schreibt: „three brothers, uncles of my father“, in: Fraenkel-Goldschmidt, The Chronicle, 303. An dieser Stelle sei kurz notiert, dass die Bezeichnungen für Josels biographische Aufzeichnungen bei den verschiedenen Autoren variieren: Kracauer nennt sie `Journal´, Feilchenfeld `Tagebuch´, Stern `Memoiren´ und Fraenkel-Goldschmidt `Chronik` (The chronicle). Letztere ist wohl am treffendsten und soll im Folgenden verwandt werden. 9 Dazu Stern, Josel, 15ff. Sie berichtet, dass der bedeutende Humanist und Gelehrte, der Hebraist Johann Reuchlin, von Jacob in die hebräische Sprache eingeführt, ihm in 8
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Gerschon, hatte in jungen Jahren erleben müssen, wie drei Onkel, Eberlin, Mercklin und Rabbi Elias, in ‚ihrer’ kleinen Stadt Endingen 1470 angeklagt wurden, eine Bettlerfamilie, deren Leichen gefunden wurden, umgebracht und deren Blut als Heilmittel bei Beschneidungen verwendet zu haben. Die drei Brüder, denunziert von einem bei ihnen hochverschuldeten Metzger, und vier weitere angeblich mitschuldige Juden aus Pforzheim, wurden auf dem ‚Judenhügel’ hingerichtet, die übrigen Juden des Ortes ‚auf ewige Zeiten’ aus Endingen verbannt; ein ‚Endinger Judenspiel’ machte diesen ‚Fall’ in der Region bekannt. Gerschon entkam dem Grauen mit knapper Not, floh über den Rhein und ließ sich in der Reichsstadt Oberehnheim im Unterelsass nieder. Das Elsass, das „zersplittertste Land des Heiligen Römischen Reichs“,10 besaß im Unterschied zu anderen Landstrichen seit Jahrhunderten eine dichte jüdische Besiedlung, die durch die Vielfalt der Herrschaften und Kommunen sowie durch die zentrale Lage des Landes auch als Durchgangsland für Handel und Wandel bedingt und ermöglicht wurde. Doch Kriegswirren und marodierende Banden zwangen Gerschon und seine Frau bald, das Weite zu suchen, bis sie in Hagenau Zuflucht fanden und eine neue Existenz aufbauen konnten – nach Oberehnheim zurückzukehren, war unmöglich, da die Stadt wie auch andere Städte im Land sich nach Beendigung der Kriegshandlungen weigerten, Juden wieder aufzunehmen. Diese Familiengeschichte hat den kleinen Josel tief beeindruckt und geprägt und zu seinem lebenslangen Einsatz für die drangsalierten Glaubensgeschwister motiviert – wie er noch im hohen Alter bezeugt. seinem Werk `De arte cabbalistica´ ein berührendes Denkmal in der Gestalt des Juden Simon gesetzt hat, eines Juden, der in seiner Würde und Weisheit, seiner Bildung und Großherzigkeit bereits auf Moses Mendelssohn vorausweist, dem Lessing in seinem `Nathan´ ein unvergessliches Andenken schuf. 10 Ebd. 19. Stern fährt fort: „in dem die Habsburger, die Württemberger, die Badener, die Pfälzer, die Hanauer und Lichtenberger Fürsten ihre kleinen Landgrafschaften, Vogteien, Grafschaften und Herrschaften besaßen, in dem die Reichsritter und Bischöfe freundlich und feindlich nebeneinander hausten und die zehn reichsfreien Städte, Mühlhausen, Colmar, Türckheim, Münster, Kaysersberg, Schlettstadt, Oberehnheim, Rosheim, Hagenau und Weißenburg, sich zu einem Städtebund zusammengeschlossen hatten.“
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Seine Bildung in allgemeiner und religiöser Hinsicht, seine Unterweisung im jüdischen Glauben und in der Tradition, verdankt Josel sowohl dem Besuch einer rheinischen Jeschiwa als auch vermutlich einem Verwandten, dem hochgeachteten Gelehrten Jochanan Luria, der im Unterelsass wirkte.11 1493 starb Kaiser Friedrich III., der sich ‚seinen’ Juden gegenüber verpflichtet gefühlt hatte. Zwar konnte er nicht verhindern, dass während seiner Regierungszeit die Juden aus vielen Städten des Reichs vertrieben wurden12, doch die Ritualmordanklagen und Hostienschändungsprozesse verurteilte er scharf. So drohte er während des Regensburger Ritualmordprozesses 1476-1480 dem Magistrat an, ihm den Blutbann zu entziehen und über ihn die Reichsacht zu verhängen, wenn die Juden nicht frei kämen. Er konnte sich dabei auf ein althergebrachtes Dekret des Stauferkaisers Friedrich II. berufen, der - anlässlich des Fuldaer Ritualmordprozesses – im Jahre 1236 in Hagenau entschieden hatte, dass solche Anklagen und Prozesse künftig grundsätzlich zu verbieten seien, da weder im Alten noch im Neuen Testament geschrieben stünde, Juden würden nach Blut dürsten – im Gegenteil, ihnen sei Blut, selbst das der Tiere, heilig. Auf diese Schutzbestimmung konnte, sollte und musste sich Josel später mehrfach beziehen. Unter Kaiser Maximilian wuchs der Einfluss der Fürsten und Stände und sie erzwangen in harten Auseinandersetzungen die Einrichtung eines Reichsregiments, die Einberufung alljährlicher Reichstage und die Einsetzung eines Reichskammergerichtes, das über den Parteien stehend unabhängig zu urteilen befugt war. In diesem Kampf der Gewalten wur11
Stern, Josel, 26f. schreibt dazu: „So wenig wie über seine säkulare gibt Josel uns Auskunft über seine rabbinische Ausbildung. Er hat eine erstaunliche Belesenheit im biblischen und talmudischen, im philosophischen und kabbalistischen Schrifttum, eine gute Kenntnis der mittelalterlich-jüdischen Geschichte und Literatur, eine vollkommene Beherrschung des Hebräischen besessen; er verstand sich auf die genaue Auslegung der Bräuche, Riten und Zeremonien und auf die kompliziertesten Bestimmungen des mosaisch-talmudischen Rechts.“ 12 Dazu zählen Schaffhausen, Tübingen, Heilbronn, Erfurt, Bamberg, Würzburg, Magdeburg, Mainz.
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de die Judenschaft zum Streitobjekt zwischen Kaiser und Ständen. Je nach wechselnden Machtkonstellationen erlaubte Maximilian einer Stadt, Juden auszuweisen und zwang andere – wie etwa im Elsass – wiederum, vertriebene Juden wieder aufzunehmen. Josel hatte sich um 1500 als Geldhändler in dem Städtchen Mittelbergheim niedergelassen, verrät allerdings nicht, warum er das Amt eines Rabbiners, zu dem er berechtigt war, nicht ausübte. Vermutlich waren es wirtschaftliche Gründe und die Versorgung der Angehörigen, die ihn davon abhielten. Einmal, 1505, so berichtet er in seinen ‚Memoiren’, seiner Chronik, verlor er infolge von Kriegswirren alle seine Schuldscheine: „Damals plünderten und raubten sie alles in den Häusern, auch meine Hausgeräte, mehr als 400 Gulden. Mir verblieb nichts als ein paar Gegenstände.“13 Zu dem materiellen Verlust gesellte sich erschwerend hinzu die Erfahrung, dass diesem ‚Beruf’ des Geldhändlers und Pfandleihers eine tiefe Verachtung entgegen gebracht wurde, immer begleitet von Verdächtigungen der Habgier und Betrügerei.14 Von einer solchen Verdächtigung scheint Josel 1514 wohl selbst einmal betroffen gewesen zu sein – in seiner Chronik heißt es: „Im Jahre 1514 wurden die [jüdischen] Einwohner von Mittelbergheim gefangen genommen und ich mit ihnen auf Grund verleumderischer Anklagen. Es wurden acht Leute insgesamt in zwei Plätzen der Stadt Oberehnheim sieben Wochen lang interniert, bis sich unsere Angelegenheit aufklärte, da der Schatzmeister seinen Irrtum eingestand und erklärte, dass wir unschuldig seien.“15 Die manchmal vorgetragene Deutung, es hätte sich bei dieser Verleumdung um den Vorwurf der Hostienschändung gehandelt, der sich bis heute hält, dürfte falsch sein, denn zum einen wird in keiner Chronik ein Hostienschändungsprozess im Elsass erwähnt, zum anderen spricht Josel lediglich von Gefangennahme, nicht von Folter, die bei solchen Prozessen zwingend 13
Zit. bei Stern, Josel, 37; bei Fraenkel-Goldschmidt, The Chronicle, 310. Nicht von ungefähr konnte Shakespeare in seinem `Kaufmann von Venedig´ auf solche Vorstellungen zurückgreifen. 15 Zit. bei Stern, Josel, 53; bei Fraenkel-Goldschmidt, The Chronicle, 312f. 14
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angewandt worden wäre. Stern schreibt daher: „Auch daß ein Schatzmeister seinen Irrtum eingestand, weist eher auf eine Anklage wegen Münz- oder Wechselvergehen hin, die bei der Mannigfaltigkeit der Münzsorten und der Ungereimtheit des ganzen damaligen Münzsystems immer wieder gegen die Juden erhoben wurde. Es ist auch nicht von der Hand zu weisen, dass es sich um einen Racheakt der Stadt Oberehnheim gegen Josel handelte.“16 Gerade mit der Stadt Oberehnheim bekam es Josel mehr als einmal zu tun. Die Stadt hatte sich über viele Jahre dagegen gewehrt, vertriebene Juden wieder aufzunehmen, hatte Anweisungen Maximilians unbeachtet gelassen, musste jedoch nach 1500 einige wenige Juden einlassen, denen weitere folgten, und beklagte sich 1507 bitter beim Kaiser, dass die Juden Diebe und Wucherer seien, auf gestohlene Gegenstände Geld liehen und dabei wären, die Bürgerschaft zugrunde zu richten. „Im Jahre 1506/07 gingen die Bürger von Oberehnheim den Kaiser an, die Juden aus der Stadt zu vertreiben, und sie erhielten auch den Erlaß, daß die Stadt und ihr Gebiet kein Jude, der zum lebendigen Gott betet, betreten dürfe. […] Sie wurden ohne Erbarmen aus ihren Häusern und Wohnungen vertrieben, in das Feld und das Elend gejagt und dadurch zu großem Schaden gebracht“, hält Josel in seiner Chronik fest.17 Hatte Josel bis dahin seinen Beruf ausüben und mit seiner Familie, seiner Frau und den kleinen Kindern, unbedrängt leben können, so war dies der Anlass zu seinem ersten öffentlichen Auftreten: Denn die Vertriebenen baten ihn um Rat und Tat, und Josel wandte sich umgehend mit ihnen an den Unterlandvogt, unter dessen Schutz sie standen, und vertrat ihre Sache – nicht bittend und demütig, sondern kühl und sachlich, die Reichsstadt Oberehnheim des Vertragsbruchs anklagend. Er verwies selbstbewusst darauf, dass der Kaiser hier nicht nur als Oberhaupt des Reiches, sondern auch als Oberlandvogt des Elsass’ seiner Schutzverpflichtung nach16
Stern, Josel, 53. Zit. bei Stern, Josel, 48f.; bei Fraenkel-Goldschmidt, The Chronicle, S. 311, dazu auch Josels Bemerkung: „Jewish travellers on the roads were persued, and attacked and killed, and not only that but bears and leopards tormented them.“ 17
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zukommen habe, denn Oberehnheim habe auf hinterlistige Weise sein Ausweisungsdekret erlangt. Resultat dieser wenig unterwürfigen, dieser geradezu kühnen Sprache war der Befehl Maximilians an den Magistrat, einen gewissen Juden, Phal von Dambach, samt allen Angehörigen aufzunehmen und mit zwei Häusern auszustatten. Dieser Vorgang bewirkte, dass Josel von der Judenschaft des Unterelsass zu ihrem ‚Parnos und Manhig’ gewählt wurde, zu ihrem ‚Vorgänger und Vorgesetzten’. Wenn Josel schreibt: „Im Jahre 5270 (1509/10) wurde ich eingesetzt […], in besonderer Fürsorge das Auge offen zu halten über die Gemeinde, um sie zu leiten“18, dann ist unter Gemeinde die Gemeinschaft der jüdischen Gemeinden in Unterelsass zu verstehen. Zu seinen Aufgaben als ‚Vorgänger’, also als Vorsteher gehörte es, in gottesfürchtiger und gottgefälliger Weise sich zu bemühen, Streitigkeiten und Misshelligkeiten zwischen Juden und Christen zu überwinden, nach Frieden und Gerechtigkeit, Shalom und Zedaka zu streben, bei Prozessen der Juden untereinander das Richteramt und wenn erforderlich den Bann auszuüben.19 Oberehnheim jedoch unterlief das kaiserliche Gebot, misshandelte Phal von Dambach, verbot auswärtigen Juden den Besuch der Stadt und das Betreten der freien Landstraßen, ließ einen Mord an einem früheren jüdischen Bürger ungestraft, gab damit anderen Städten ein ‚Vorbild’ im Umgang mit Juden, sodass auch der Bischof von Straßburg und andere Herrschaften beabsichtigten, Juden aus ihren Ortschaften zu entfernen. Daher beauftragte die unterelsässische Landjudenschaft ihren Vorsteher, nunmehr den Kaiser persönlich aufzusuchen und um Abhilfe ihrer Notlage zu ersuchen. Es gelang Josel, in Koblenz vor Kaiser und Fürsten, hohen und geistlichen Herren, seine Anklagen vorzubringen und einen Vergleich mit Bischof und Herren auszuhandeln, während der Magistrat von Oberehnheim trotz des kaiserlichen Befehls überhaupt nicht erschienen war. Maximilian erließ kurz darauf ein Mandat, das den Ver-
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Zit. bei Stern, Josel, 50; bei Fraenekl-Goldschmidt, 312. Vgl. dazu ausführlich Stern, Josel, 50ff.
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antwortlichen im Elsass „untersagte, Denunziationen Gehör zu schenken und Juden aus ihren Wohnungen zu verjagen.“20 „Im Jahre 1519 starb der Kaiser, sein Andenken sei zum Segen“, schrieb Josel in seiner Chronik und beklagte die kurz danach erfolgte „schändliche Vertreibung“21 der Juden aus der jahrtausendealten Gemeinde in Regensburg und die anschließende Zerstörung der großen und stolzen Synagoge durch die enthemmten Regensburger Christen, ein Akt der Raserei, der alle jüdischen Gemeinden im Reich zutiefst entsetzte. Auf den Trümmern der Synagoge wurde die bald viel besuchte Wallfahrtskapelle ‚Zur Schönen Maria’ erbaut. Die Befürchtungen der Juden, dass mit dem jungen Nachfolger Maximilian, mit Karl V., eine für sie noch fatalere Entwicklung einsetzen würde, erwies sich bald als wenig begründet – auch bedingt durch das besonnene und energische Wirken Josels, der seit 1514 mit seiner Familie in Rosheim lebte. Die Befürchtungen waren nicht aus der Luft gegriffen, denn Karl war im erzkatholischen Spanien erzogen worden, einem Land, in dem die Inquisition wütete und die Juden seit 1492 vertrieben oder ans Taufbecken gepresst worden waren. Bei der festlichen Krönung in Aachen war auch Josel von Rosheim zugegen, sehr wahrscheinlich als Abgesandter der elsässischen Gemeinden. Lapidar vermeldet er in seiner Chronik: „Im Jahre 1520 wurde Karl zum König gekrönt, und ich wurde bei ihm und seinen Dienern vorstellig, um für unser Volk Fürbitte einzulegen. Wir (d. i. ich und der Mann, der mit mir war), erhielten (günstige) königliche Privilegien für ganz Deutschland. Zwar beschlossen die Einwohner von Rosheim und der Stadt Kaysersberg, die Juden zu vertreiben, doch gelang es mir mit Gottes Hilfe, den König zum Widerruf des Beschlusses von Kaysersberg zu bestimmen.“22
20
Stern, Josel, 55 Zit. bei Stern, Josel, S. 55; bei Fraenkel-Goldschmidt, 314. 22 Zit. bei Stern, Josel, S. 59; bei Fraenkel-Goldschmidt, 315f. 21
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Im Hinblick auf seinen Wohnort Rosheim konnte er Karl lediglich einen Aufschub abringen. Kennzeichnend für den jungen König war wohl auch, dass er keine Krönungssteuer von ‚seinen’ Juden verlangt zu haben schien, die seit Jahrhunderten üblich war und die auszuhandeln und zu entrichten Josel vermutlich auch nach Aachen gekommen war. Dass die Stadt Oberehnheim erneut vorstellig wurde, wundert schon nicht mehr: Es gelang ihr, den König auf dem Reichstag zu Worms 1521 zu bewegen, den Erlass von Maximilian aus dem Jahre 1507 zu bestätigen, wodurch die Ausweisung der Juden wieder ermöglicht wurde; die gleiche ‚Freiheit’, sich von ihren Juden zu befreien, verschaffte Karl durch seine Wormser Dekrete auch anderen, darunter auch dem Bischof von Straßburg, den Herren von Andlau und den Städten Schwäbisch-Gmünd, Rosheim und Donauwörth. Vertreter der Judenschaft konnten immerhin die Zusicherung erreichen, dass ihre Klagen geprüft und, falls berechtigt, anerkannt würden. Diese Vorgänge schienen zunächst die jüdischen Bedenken und Befürchtungen Karl gegenüber zu bestätigen, doch hielt sich der König an die von seinen Vorgängern überkommenen Schutzprivilegien und setzte eine seit dem Jahre 1407 bestehende Tradition fort, indem er den Rabbiner Samuel von Worms zum Reichsrabbiner über die gesamte deutsche Judenschaft ernannte. Nach Beendigung des Reichstages übergab Karl seinem Bruder, Erzherzog Ferdinand, und dem seit einiger Zeit etablierten Reichsregiment in Nürnberg die Regierungsgeschäfte und verließ die deutschen Länder. Eine von Josel ausgearbeitete Klageschrift gegen die Stadt Oberehnheim führte schließlich 1524 zu einem Abkommen, das zwar nicht die erwünsche Rückkehr der Juden in die Stadt, aber doch wesentliche Handelserleichterungen ermöglichte. Josel beruft sich in seiner Schrift auf das Privileg Kaiser Friedrichs II. von 1236, in dem die jüdische Bevölkerung als schutzwürdige Minderheit rechtlich der kaiserlichen Jurisdiktion unterstellt wurde und die Juden sich verpflichteten, der kaiserlichen Kammer für dieses Schutzprivileg im Gegenzug Abgaben zu leisten. Josel betonte dabei energisch und eindrücklich, dass die Stadt in der
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Verletzung des Privilegs den Kaiser selbst und seine Autorität verletze, denn, so heiße es im Wortlaut von 1236: „In seinen Dienern ehrt sich der Herr. Wer diese verletzt, verletzt auch den Herrn.“23 Mittlerweile hatten sich die sozialen und ökonomischen Verhältnisse zugespitzt, die Schere zwischen arm und reich geöffnet und es waren nicht allein die Bauern, die sich zur Erhebung gegen die Eliten rüsteten. Zu der sozialen Revolutionsbewegung, die vom südlichen Schwarzwald aus sich über fast das ganze Reich ausbreitete, gehörten auch städtische Proletarier, abgehängte Menschen der ‚Mittelschichten’, verarmte Ritter, hungernde Literaten, protestantische Prediger und freisinnige Religiöse. Sie alle forderten ein Ende der bedrückenden Herrschaften und erhofften sich ein Reich, in dem jeder Mensch ein Recht auf ein befriedigendes Leben hätte, wenn nicht sogar die Erschaffung eines Gottesreichs. Überfälle und Plünderungen waren an der Tagesordnung, Kirchen, Klöster und Schlösser wurden verwüstet, Städte angegriffen und kurzfristig erobert. Unter der Führung von Erasmus Gerber versammelten sich im Frühjahr 1525 auch in der Nähe von Rosheim etwa 15 000 Aufständische, die sich anschickten, die Stadt einzunehmen. Versuche des Landvogts und Abgesandter der Stadt, mit den Rebellen zu verhandeln und den Angriff zu verhindern, scheiterten ebenso wie die Bemühungen der Straßburger Reformatoren Martin Bucer und Wolfgang Capito. Überraschend erhielt Josel eines Abends die Nachricht, dass der Angriff am nächsten Tag erfolgen solle. Von wem sie auf den Weg gebracht wurde und warum an Josel, konnte bislang nicht geklärt werden. Todesmutig entschloss sich Josel, nachdem er die beiden Bürgermeister benachrichtigt hatte, den Führer der Aufständischen aufzusuchen. Wider Erwarten gelang es ihm, Gerber und seine Leute zu bewegen, Rosheim nicht zu überfallen – dass ein beträchtliches Geldgeschenk, vermutlich aus seiner eigenen Tasche, dabei behilflich war, dürfte kaum von der Hand zu weisen sein. Möglich auch, dass Josel die gegen Unterdrückung Aufbegehrenden zur Rück23
Zit. bei Stern, Josel, 64.
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sicht auf das Los der gleichfalls unterdrückten Juden veranlassen konnte. Man werde Josel und seinen Kindern diese kühne und rettende Tat nie vergessen, war die dankbare Reaktion der Einwohner. Bekanntlich wurde die Rebellion im so genannten Bauernkrieg grausam und blutig von den Armeen der Regierenden im gleichen Jahr niedergeschlagen, sei es von katholisch geführten sei es von protestantisch aufgestellten Heeren. „Im Jahre 1529 wurden die Heiligen von Pösing, 36 Seelen, 24 gottesfürchtige Männer und Frauen, Knaben und Mädchen auf lügnerische Anklagen hin verhaftet und am 13. Sivan [21. Mai] verbrannt. Bei dieser Gelegenheit wurden die Juden Mährens gefangengesetzt.“25
So lautet die Eintragung in Josels Chronik. Die Anklage in dem kleinen ungarischen Städtchen Pösing, nicht weit von Pressburg (Bratislava) entfernt, richtete sich gegen den wohlhabenden Juden Esslein Ausch, der angeblich einen neunjährigen Jungen gefoltert und ermordet haben sollte. Nach entsetzlichen Martern bekannte Ausch, dass er und weitere Juden dem Jungen das Blut ausgesaugt und feierlich in die Synagoge zur Verwendung bei einer Hochzeitsfeier gebracht hätten. Das reichte, um die Angeklagten auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen und auch einige mitbezichtigte Juden aus Marchegg ins Gefängnis zu werfen. Dieser immenses Aufsehen erregende ‚Pösinger Ritualmord’ wurde in Mähren dazu genutzt, gegen Juden vorzugehen und sie gefangen zu setzen. Und Josel berichtet weiter, dass er von Rabbinern und Repräsentanten der Judenschaft gedrängt wurde, eine Rechtfertigungsschrift zu verfassen, unter Hinzuziehung der Bullen, Privilegien und Schutzbriefe, die von Kaisern und Päpsten seit 1236 erlassen, erneuert und in Kraft gesetzt worden waren. All diese Unterlagen brachte er zur Versammlung der Abgesandten der jüdischen Gemeinden des ganzen Reiches in Günzburg an der Donau mit, damit sie an den König von Böhmen und Mähren, Ferdinand, und seinen Hof gesandt werden konnten, um die Befreiung 24 25
Es waren 30 Personen, Stern, Josel, 240. Zit. bei Stern, Josel, 73; bei Fraenkel-Goldschmidt, 320.
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der Juden zu erlangen: So „wurde ihnen unsere Unschuld bekannt und sie sprachen zu den Gefesselten: ‚Gehet hinaus’.“26 Dabei spielt eine Rolle, dass, bevor gegen Marchegger Juden der Prozess eröffnet werden konnte, das angeblich ermordete Kind unversehrt in Wien wieder auftauchte. Erst später stellte sich heraus, dass der bei Ausch hoch verschuldete Graf Wolf von Pösing den Jungen selbst aus Pösing entfernt hatte, um die Ritualmordanklage erheben zu können. Auf dieser Versammlung in Günzburg wurde Josel von Rosheim von den Abgeordneten der jüdischen Gemeinden des deutschen Reiches zu ihrem ‚Vorgänger und Befehlshaber’ gewählt. Selma Stern kommentiert diesen Vorgang: „Dieses einzigartige Ereignis in der Geschichte des deutschen Judentums ist bis heute noch nicht geklärt worden. Weder vorher noch nachher haben die Juden des deutschen Reichs freiwillig ihr ängstlich gehütetes und sorgfältig bewahrtes Sonderleben in Gemeinde und Landjudenschaft aufgegeben, um sich zu einer, wenn auch losen Gemeinschaft zusammenzufinden.“ 27
Nicht der Kaiser war es, der Josel in Amt und Würden einsetzte, wenngleich er dieses Amt später anerkannte, sondern seine Glaubensgenossen waren es. Und man möchte geradezu formulieren: ‚Und diese Wahl war die allererste Wahl und geschah zu der Zeit, da Karl V. über das Heilige Römische Reich Deutscher Nation herrschte’.28
26
Zit. bei Stern, Josel, 73; bei Fraenkel-Goldschmidt, 320. Ausführlich dazu und zur Vorgeschichte Stern, Josel, 74ff. 28 Josel hat seine Eingaben und Gesuche, seine Briefe und Einladungen unterschiedlich unterschrieben, so auch manches Mal mit `Regierer der Judenschaft´. Das trug ihm eine Anklage ein des Inhalts, `Regierer´ sei allein der Kaiser. Belegt mit einer Geldstrafe hat es Josel nach dem Prozess unterlassen, diesen Titel zu benutzen. Näheres dazu bei Friedrich Battenberg, Josel von Rosheim als Befehlshaber der deutschen Judenheit, In: Volker Gallé (HG.), Josel von Rosheim – Zwischen dem Einzigartigen und dem Universellen, Worms 2013, 29-47. 27
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Der Reichstag zu Augsburg 1530 Nach neunjähriger Abwesenheit kehrte Karl V. in das Reich zurück, als glanzvoller Imperator des Universums, als machtvoller, gerade vom Papst in Bologna zum Kaiser gekrönter Herrscher und Sieger, in dessen Reich – wie es dann hieß – ‚die Sonne nicht untergeht’. Nun sah er es als seine Aufgabe an, als weltlicher Vertreter Gottes auf Erden, seinem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation die entsprechende universale Bedeutung und kirchliche Einheit zurückzugeben, die protestantische Erhebung zu unterdrücken oder wenigstens in die Schranken zu weisen und die bereits erneut auf Wien und damit das Reich anstürmenden Türken wieder in ihre angestammten Gefilde zurück zu werfen. Dies zu erreichen, wurde für Juni 1530 der Reichstag nach Augsburg einberufen. Karl hatte sich vorher mit seinem Bruder Ferdinand nach Innsbruck begeben, um sich auf Augsburg vorzubereiten. Im Mai nun traf nach mühevoller Anreise Josel in Innsbruck ein und suchte um eine Audienz beim Kaiser nach, die ihm auch gewährt wurde. Es war keine der üblichen Klagen wegen drohender oder stattgefundener Vertreibungen oder wegen eines angeblichen Hostienfrevels, die Josel vorzubringen hatte, sondern das hartnäckige Gerücht, die Juden machten mit den Türken gemeinsame Sache und seien Spione in deren Diensten. Dies hatte bereits dazu geführt, dass ihnen der Zugang zu einigen Ländern verboten worden war. Als Befehlshaber der Judenschaft überreichte Josel Kaiser und König eine Denkschrift, in der er ausführte, dass die Juden durch ein solches Gerücht, das nichts anderes als Landesverrat unterstelle, noch stärker in ihrer Existenz bedroht seien als durch die ohnehin üblichen Verdächtigungen. Die Türken seien schließlich die ärgsten Feinde, die wie die Mongolenstürme vergangener Zeiten das Reich zu erobern sich anschickten.29 Es gelang Josel, Karl und Ferdinand von Hinterhältigkeit und Haltlosigkeit der Vorwürfe zu überzeugen: Am 18. Mai 1530 erließ Karl in Innsbruck ein Edikt, in dem er alle
29
Vgl. zu den Hintergründen der Gerüchte und Legendenbildungen Stern, Josel, 80ff.
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Privilegien, die er bereits anlässlich seiner Krönung in Aachen bestätigt hatte, nunmehr als römischer Kaiser erneuerte. Mit dem Einzug des Kaisers in Augsburg am 15. Juni begann der größte, prächtigste und bedeutendste Reichstag des Jahrhunderts. Im Unterschied zum Reichstag zu Worms 1521 stand ein gereifter, erfahrener und sich seiner Machtfülle bewusster Herrscher an der Spitze, dem nun aber – neben anderen Problemstellungen – mächtige, um Selbständigkeit und kirchlich-protestantische Eigenständigkeit ringende Kurfürsten, Fürsten und Landesherren gegenübertraten, von den selbstbewussten freien und reichen Reichsstädten zu schweigen. Wollte der Kaiser zuerst über die Türkenbedrohung verhandeln, so musste er sich dem Ansinnen der Evangelischen beugen, die ihm ihre Unterstützung im Kampf gegen die Türken erst zuzusichern versprachen, wenn die religiöse Frage zu ihrer Zufriedenheit gelöst wäre. So wurde die von Melanchthon verfasste ‚Confessio Augustana’, die für die Evangelisch-Lutherische Kirche bis heute maßgebliche Bekenntnisschrift, Gegenstand der Debatten. Im Kontext dieser spannungsreichen Auseinandersetzungen erhoben die katholischen Theologen die Behauptung, die Juden hätten den reformatorischen Aufruhr verursacht, weil sie die Lutherischen mit ihrem Glauben infiziert hätten. So absurd dieser Vorwurf auch war, so gab es doch den Anschein einer Begründung, die zunächst einleuchtete, denn: „Es geschah zum ersten Male, dass eine Bewegung von weltweiter Bedeutung den leidenschaftlichen Versuch machte, sich dem Judentum zu nähern und es zu verstehen, mit ihm zusammen das Geheimnis des gemeinsamen Urgrunds zu entdecken und von ihm geleitet den verhüllten Sinn des geoffenbarten Wortes zu deuten. Indem die Reformatoren die ursprünglichen und unverfälschten Quellen ihrer Religion, die Bibel, neu entdeckten und in ihr alle Wissenschaft und alle Weisheit der Welt enthalten fanden, wurde ihnen auch der Jude zum Nachkommen der Patriarchen, der Propheten und der Könige, das jüdische Volk zu dem vor allen Völkern auserwählten und ausgezeichneten, weil Gott ihm allein die Heilige Schrift anvertraut hatte. Der starke Biblizismus der Reformatoren, der dazu führte, dass sie sich mit gelehrten Juden umgaben und die alten jüdischen Kommentatoren zu Rate zogen, ihr Kampf gegen die Hierarchie der Kirche und gegen die Bildwerke, ihre politisch-säkularen Theorien,
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die ihre Beispiele dem Alten Testament entnahmen, hatten ihnen seit langem von katholischer Seite den Vorwurf des ‚Judaisierens’ eingetragen. Luther wurde als ‚Patron der Juden’, als ‚Halbjude’ verdächtigt, Zwingli angeklagt, er habe seine Bibelkenntnisse einem Juden aus Winterthur zu verdanken, Butzer jüdischer Abstammung bezichtigt. Auch die Juden waren durch die Reformation auf das Tiefste aufgewühlt worden. Dass die neue Religion sich auf das Wort ihrer Heiligen Schrift gründete, dass das kanonische Recht abgeschafft und die Herrschaft der Kirche erschüttert worden war, erschien ihnen als das verheißene Zeichen, dass der Messias erscheinen und Israel sich in seiner alten Herrlichkeit wieder erheben werde.“30
Josel erinnerte sich, dass Luther sich damals, in der Auseinandersetzung mit Pfefferkorn, auf die Seite Reuchlins geschlagen hatte im Kampf um die jüdischen Bücher und die Heiligkeit der Hebräischen Sprache. 31 Und er erinnerte sich weiter, wie er den Mut bewundert hatte, mit dem Luther seine Schrift „Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei“ 1523 veröf30
Stern, 83f. Die `Affäre Pfefferkorn´: In seiner Chronik notierte Josel 1509/10, dass sich „Feinde in unserem eigenen Volk [erhoben], um die schriftliche Lehre zu vernichten“ Zit. bei Stern, Josel, 42 („Also enemies and apostates arose and attempted to annul the Written Law.“, s. Fraenkel-Goldschmidt, The Chronicle, 312). Gemeint war Johann Pfefferkorn, ein übel beleumdeter Geldhändler und Metzger, der mit seiner ganzen Familie zum Christentum übergetreten war und sich in Köln mit den dort dominierenden Dominikaners verband, zum Hospitalaufseher befördert wurde und eine Reihe von Schriften verfasste, in denen er unter anderem den Ratschlag gab, jüdische Kinder mit Gewalt zur Taufe zu zwingen. Bekannt und berüchtigt und für die Juden gefährlich wurde er dadurch, dass auf sein Betreiben hin Kaiser Maximilian ihm die Genehmigung erteilte, alle jüdischen Bücher, außer der hebräischen Bibel, zu konfiszieren und zu verbrennen. Die Appellation der Juden an den Kaiser bewirkte, dass der berühmteste Hebraist Deutschlands, der Theologe Johann Reuchlin mit der Aufgabe betraut wurde, die Jüdischen Schriften, den Talmud, die Gebetsbücher und Kommentare daraufhin zu prüfen, ob sie den christlichen Glauben gefährden und abwerten würden und könnten. Reuchlin urteilte, dass das Christentum in den untersuchten Werken weder geschmäht noch beschädigt würde und er riet, den Anschlag, den Pfefferkorn als Werkzeug im Interesse der Kölner Klerikern in Gang gesetzt hatte, strikt zu unterbinden. Und aufatmend, jedenfalls fürs Erste, schreibt Josel von einem „Wunder im Wunder“, dass ein Weiser gegen den Feind aufstand und den Angriff verhinderte: „And God, blessed be He, showed us a miracle within a miracle, in that one of the sages of the nations stood up against him and the Torah was restored to its former status.“, s. Fraenkel-Goldschmidt, The Chronicle, 314. Ausführlich dazu Stern, Josel, 42-45. 31
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fentlicht hatte, in der er seinen ‚lieben Christen’ energisch die Leviten gelesen und einen anderen Umgang, einen freundlichen und fürsorglichen, mit den Juden empfohlen hatte. Da fielen doch scharfe und klare Sätze über die Christen wie: „Denn sie haben mit den Juden gehandelt, als wären es Hunde und nicht Menschen. […] Wenn die Apostel, die auch Juden waren, also hätten mit uns Heiden gehandelt wie wir Heiden mit den Juden, es wären nie keine Christen unter den Heiden geworden.“32
Hatte er nicht formuliert, dass, wäre er in den vergangenen Zeiten Jude gewesen und hätte am eigenen Leibe erfahren, wie Christen mit Juden verfuhren, so wäre er „lieber eine Sau geworden denn ein Christ.“33 Hatte er nicht dem stracks entgegen gehalten: „Und wenn wir uns gleich hoch rühmen, so sind wir dennoch Heiden, die Juden aber von dem [Geschlechte] Christi. Wir sind Schwäger und Fremdlinge, sie sind Blutsfreunde, Vettern und Brüder des Herrn. […] Auch hat’s Gott wohl mit der Tat bewiesen, denn solche große Ehre hat er nie einem Volk unter den Heiden getan als den Juden. […] Und obgleich das Evangelium aller Welt kundgetan ist, so hat er doch keinem Volk die heilige Schrift, das ist das Gesetz und die Propheten, befohlen, denn den Juden. […] Ich bitte hiermit meine lieben Papisten, ob sie schier müde werden, mich einen Ketzer zu schelten, dass sie nun anfangen, mich einen Juden zu schelten.“34
Josel wusste auch noch, wie erregt und begeistert viele Judengemeinden die Worte Luthers geradezu aufgesaugt, Wort für Wort diskutiert und das Büchlein heimlich verschickt hatten, etwa als Trostbüchlein an die leidenden Glaubensgenossen in Spanien, die als getaufte Juden, als Marranen, zu überleben versuchten. Josel wusste aber zugleich, dass Luther diese Freundlichkeiten mit der Absicht verbunden hatte, die Juden zum Christenglauben zu reizen: 32
D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe. Weimar 1883-2009 (Weimarer Ausgabe = WA), Bd. 11, 314. 33 Ebd. 34 Ebd., 315f.
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„Lass sie zuvor Milch saugen und aufs erste diesen Menschen Jesus für den rechten Messias erkennen. Danach sollen sie Wein trinken und auch lernen, wie er wahrhaftig Gott sei.“35
In welcher Weise nun aber konnte und sollte Josel dem von katholischer Seite erhobenen Vorwurf begegnen, wie die Unterschiede zwischen jüdischer und evangelisch-lutherischer Lehre darlegen? Ohne gewichtigen Grund war das nicht möglich – ein solcher Grund ergab sich allerdings rasch, als er von Karl selbst aufgefordert wurde, in einer Disputation vor dem gesamten Reichstag eine Reihe schwerer Anklagen gegen die Juden zu widerlegen, die vor kurzem erst, im März, in Augsburg erhoben worden waren. Großes Aufsehen nämlich hatte eine Schrift erregt, die von einem Lektor der hebräischen Sprache unter dem Titel ‚Der gantz Jüdisch Glaub’ verfasst worden war und in der erstmals die jüdischen Gebete und Zeremonien, Sitten und Gebräuche darzustellen und zu interpretieren unternommen worden war. Das Aufsehen verdankte sich vor allem dem Verfasser Antonius Margaritha, der einer alten und bekannten jüdischen Familie entstammte, sich jedoch von seinem Judentum verabschiedet und ins Christentum hinein begeben hatte. Sein neuer Glaube führte dazu, dass er seine Schrift als Abrechnung mit der Blindheit und Verstocktheit seines Volkes inszenierte – und somit zu einer größeren Gefahr für die Juden als der ungebildete Pfefferkorn wurde: Denn Margaritha wollte beweisen, dass die jüdischen Gebete und Rituale, die täglich mehrmals vollzogen werden mussten, von Gott wünschten, er möge das römische Kaisertum und die christlichen Herren vernichten und die Erde mit dem Blut der Christen tränken: „O christlicher Leser, du musst das merken, dass, wo die Juden um Rache bitten und fluchen über Edomiter, Esau, Seir, meinen sie allemal alle Obrigkeit samt den Untertanen des römischen Reichs […] Sie haben Gebete, besonders das Alenugebet, in dem sie wagen, Christus selbst zu verfluchen. Wenn sie beten, ‚sie [die Christen] knien und bücken sich sich vor einer Torheit und Eitelkeit und anbeten einen Gott, der nicht helfen kann’, so beten sie hier klärlich 35
Ebd., 336.
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wider Christus und die Christen. Denn unter Torheit und Eitelkeit verstehen sie Jesus.“36
Darüber hinaus fordert Margaritha, den Juden die Geldgeschäfte zu verbieten und ihnen weder Schutz noch Rechtsbeistand zu gewähren, da sie notorisch stehlen und hehlen, fälschen und wuchern, lästern und lästerlich leben. Hatte der Kaiser soeben noch in Innsbruck die Verteidigungsrede Josels zugunsten seines Volkes vernommen, so musste er nun die Behauptungen eines gelehrten Judenchristen zur Kenntnis nehmen, dass die Juden versuchten, die Axt an das Kaiserreich zu legen – und vielleicht deshalb doch mit den Türken paktierten. Da aber Margaritha selbst den Wunsch geäußert hatte, die Wahrheit seiner Argumente in einer Disputation mit den gelehrtesten Juden demonstrieren zu wollen und zu können, verlangte Karl Josels Teilnahme als Befehlshaber der Judenschaft. Damit lag auf Josel eine ungeheure Verantwortung, denn er musste seine tiefe Abneigung gegenüber dem Abtrünnigen überwinden, da jede unbedachte Äußerung die Juden insgesamt in höchste Gefahr bringen konnte. Die Disputation vor einer kundigen Kommission in Gegenwart des Kaisers und anderer hochgestellten Personen fand am 25. Juni statt. ‚Dreier Punkte wegen’ sollte sich Josel verantworten und er antwortete im Kern mit den folgenden Belegen: 1. Auf den Vorwurf Margarithas, die Juden fluchten und lästerten Christus und die Christen, erklärte Josel, dass die Thora den Juden streng verbiete, den Göttern, also fremden Religionen zu fluchen (Ex 22,27). 2. Gegen die Behauptung Margarithas, die Juden betrachteten die Christen als ihre Feinde, führte Josel an, dass die Thora verlange, auch den Anderen und den Fremden zu lieben, denn es gelte für die Juden das Gotteswort: „Wenn ein Fremdling bei euch wohnt, den sollt ihr nicht bedrücken. Er soll bei euch wohnen wie ein Einheimischer unter euch, und du sollst ihn lieben
36
Zit. bei Stern, Josel, 86.
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wie dich selbst; denn ihr seid auch Fremdlinge gewesen in Ägyptenland“ (Lev 19,34; Dtn 10,19).
3. Gegen den Vorwurf Magarithas, die Juden lehnten sich gegen ihre Regentschaften auf und betrieben deren Abschaffung, entgegnete Josel, dass Jeremia selbst an die nach Babylon ins Exil geführten Juden geschrieben hätte, sie sollten vor allem nach Frieden und Wohlergehen trachten: „Suchet der Stadt Bestes […] und betet für sie zum Herrn; denn wenn’s ihr wohl geht, so geht’s auch euch wohl“ (Jer 29,7).
Und Josel fügte hinzu, dass die Geschichte bis hin zum Reichstag in Augsburg belege, dass die Juden trotz aller Gefährdungen und Nöte der Obrigkeit immer und immer wieder Gehorsam geleistet hätten. Josel muss derart überzeugend und wahrhaftig geredet haben, dass die kaiserliche Kommission daraufhin Margaritha als einen gefährlichen Denunzianten und Wahrheitsfälscher gefangen setzte und kurz darauf aus Augsburg verbannte, mit der Auflage, die Stadt nie mehr zu betreten. Dass Josel überglücklich war, diese Prüfung glorreich bestanden zu haben, lässt sich nachvollziehen.37 Weniger nachvollziehbar ist, dass Luther später die Unterstellungen und Verdrehungen Margarithas in seinen Schriften gegen die Juden wieder aufgriff38; Margaritha selbst konnte sich bereits 1531 wieder als Lektor der hebräischen Sprache in Leipzig niederlassen, wo eine dritte Auflage seiner Schrift erscheinen konnte. Der Augsburger Reichstag bot allerdings noch eine weitere Gelegenheit, Josel als ‚Regierer’ agieren zu sehen. Zwei weitere Problemstellungen bestimmten nämlich die Tagesordnung des Reichstages: Zum einen die Entwicklung der Finanzmonopole, der großen Handelshäuser und Banken, durch die Einzelhandel und Bevölkerung zunehmend belastet wur37
Bei Fraenkel Goldschmidt, The Chronicle, 322. Dazu Näheres bei Peter von der Osten-Sacken, Martin Luther und die Juden. Neu untersucht anhand von Antonius Margarithas `Der gantz Jüdisch glaub´ (1530/31), Stuttgart 2002, 162-208 und 216-224. 38
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den; Ausbeutung, Preissteigerungen und Geldentwertungen führten zu Forderungen, gegen das Finanzkapital einzuschreiten. Während diese Angelegenheit die Juden kaum berührte – die Zeiten, in denen Juden als finanzkräftige Finanziers der Regenten und Oberen gefordert waren, hatten sich fast schon verabschiedet -, so waren sie von der zweiten Problematik betroffen, nämlich von der Zinsfrage. Obwohl christliche Kaufleute mittlerweile überall das Zinsverbot umgingen und nicht selten erheblich höhere Zinsen als die Juden verlangten, wurden Zins und Wucher weiterhin mit den Juden identifiziert – war ihnen doch die Betätigung in fast allen anderen Berufen verunmöglicht. So legten neunzehn freie Reichsstädte dem Kaiser eine Denkschrift vor, in der sie den verderblichen Schaden beklagten, den die Juden in deutschen Ländereien verursachten, wobei neben den ‚Manipulationen’ mit verdeckten Zinssätzen besonders das ‚jüdische Hehlerrecht’ in den Fokus rückte, das die Juden berechtigte, gestohlene Dinge als Pfänder anzunehmen. Josel war an dieser Streitfrage lebhaft engagiert, weil er um die Berechtigung der Beschwerden wusste, auch um das ungebührliche Geschäftsgebaren so mancher seiner Leute und schließlich als Geldhändler selbst mit angesprochen war. Seit vielen Jahren hatte er sich intensiv damit beschäftigt, ob Juden moralisch berechtigt seien, Zinsen auf geliehenes Geld zu verlangen: Die Frage war also, ob und in welcher Weise das Zinsnehmen mit den Worten der heiligen Schriften und der Halacha, den Geboten des Talmuds in Einklang gebracht werden könne. Das mosaische Gesetz, die Thora erlaubte den Juden, von Fremden, von Gojim für ein Darlehen Zinsen zu erheben. „Aber hatte der strengere Talmud die Heilige Schrift nicht besser ausgelegt, wenn er erklärte, dass das Vermögen desjenigen zugrunde gehen müsse, der Geld ausleihe, selbst wenn die Schuldner Nichtjuden seien? Wurde nicht gelehrt, dass ‚wer auf Zinsen leihe, nicht von den Toten auferstehen werde’? Hatte nicht Jehuda ben Samuel in seinem ‚Buch der Frommen’ ausdrücklich bestimmt, dass der Jude selbst dann keine Zinsen annehmen dürfe, wenn er das also verdiente Geld zu Wohltaten benutze? Aber hatten nicht auch wieder die Gelehrten der neueren Zeit der veränderten Wirtschaftslage Rechnung ge-
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tragen und einen mäßigen Zins gestattet, weil sie keine Felder und Weinberge mehr haben durften, um sich davon zu ernähren, und weil sie große Summen Geldes aufbringen mussten, um dem König die vielen Abgaben zu bezahlen? Josel, der in seinem Herzen der Auffassung des Jehuda ben Samuel zustimmte, glaubte in der Praxis den Weisungen der jüngeren Lehrer folgen zu müssen, da auch ihn die harte Lebenswirklichkeit immer mehr überzeugte, dass sie zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes gezwungen seien, Zinsen von den Christen anzunehmen.“39
Im Hinblick auf das ‚Hehlerrecht’ war hingegen die Sachlage eindeutig: Es war im jüdischen Recht streng untersagt, gestohlene Gegenstände wie auch immer an sich zu bringen. Der Talmud erörtert auch weitere damit zusammenhängende Fragen, die bei Josel Niederschlag finden: Denn Josel beschloss, alle jüdischen Gemeinden und Landjudenschaften anzuschreiben und zu bitten, Bevollmächtigte nach Augsburg zu senden, um mit ihnen eine Satzung und Ordnung zu beschließen, die er ihnen vorschlagen würde. Die Judenschaft folgte ihrem Befehlshaber und die Gesandten verabschiedeten nach eingehenden Debatten, die erst kurz vor dem Ende des Reichstages abgeschlossen werden konnten, eine Ordnung mit zehn Artikeln zur Vorlage bei Kaiser und Ständen. Die Hauptsätze dieser Ordnung, die für die jüdischen Gemeinden von existentieller Bedeutung waren, und die explizit auf die Zahl der Zehn Gebote verweisen, lauten auszugsweise und in geraffter Form:40 „1. Wenn ein Jude einem Christen Waren auf Borg verkauft, so soll er keinen verdeckten Wucher treiben und keinen höheren Preis verlangen, selbst wenn er Jahr und Tag auf die Bezahlung warten muss, damit der Käufer keinen Schaden leidet. […] 2. Wenn ein Jude eine kleinere oder größere Geldsumme ausleiht, darf er einen mäßigen Zins dafür verlangen, wie die kaiserlichen und anderen Privilegien es ihm erlauben. […] 3. Wenn der Schuldner nicht imstande ist, die geborgte Summe zu einem bestimmten Zeitpunkt zu erlegen, so soll der Gläubiger ihm nicht gleich vor einem ausländischen Gericht den Prozeß machen. […] 39 40
Stern, Josel, 95. Ausführlich zitiert bei Stern, Josel, 98ff.
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4. Wenn ein Jude oder eine Jüdin Geld auf Pfänder ausleihen, dürfen sie es nicht auf verdächtige Gegenstände tun oder Güter kaufen, die gestohlen sein können. […] 8. Wenn ein Christ gegen einen Juden Klage zu führen hat, so soll der Parnos oder oberste Richter der Juden dem Kläger zu seinem Recht verhelfen. […] 9. Jeder Jude, der von einem Betrug oder einer Unbilligkeit erfährt, ist verpflichtet, dem Parnos seiner Gemeinde davon Bericht zu erstatten. 10. Die Parnassim der Gemeinden sollen scharf darauf achten, dass die Satzungen dieser Judenordnung von jedem einzelnen auf das peinlichste befolgt werden. Sie sollen eine strenge Oberaufsicht über den Handel und Wandel der Gemeindemitglieder führen und diejenigen, die die Bestimmungen übertreten, hart bestrafen.“
Zum Abschluss bittet Josel, dass alle Stände des Reiches dem Beispiel des Kaisers folgen mögen, der die von alters her bestehenden Privilegien für die Judenschaft bestätigt und erneuert hat. Die Herrschaften mögen doch von weiteren Unterdrückungen absehen und die Juden nicht aus den Orten, in denen sie jetzt wohnen, vertreiben. Mit den Worten: „Denn wir auch Menschen von Gott dem Allmächtigen auf Erden zu wohnen geschaffen, bei euch und mit euch zu wohnen und zu handeln“41,
beendet Josel die von ihm entworfene Judenordnung, diesen ersten umfassenden Versuch, das Leben der Juden den veränderten Verhältnissen anzupassen und ins Recht zu setzen. Selbstbewusst, nicht demütig, aufrecht, nicht geknickt, besteht er auf Anerkennung der Würde aller Menschen vor Gott, der sie nach seinem Ebenbilde geschaffen hat. Am 19. November siegelte Josel diese so wichtige Ordnung, konnte sie jedoch dem Kaiser und den Ständen nicht mehr vorlegen, da zwei Tage später der Reichstag mit einem Eklat endete, weil es zu keiner Verständigung und Übereinkunft zwischen Katholiken und Protestanten gekommen war. So blieben fürs Erste die harten Bestimmungen im Reichstagsabschied stehen, die den Landesregierungen verboten, Juden, die von Geldhandel und Wucher lebten und auf gestohlene Waren Geld liehen, 41
Zit. bei Stern, Josel, 100.
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Schutz und Aufenthalt, Durchzug und Rechtsbeistand zu erlauben. Josel versandte zwar Kopien der zehn Artikel an Städte in Süddeutschland und Elsass, konnte Karl, der bereits nach Köln abgereist war, jedoch nicht mehr sprechen. Die Fortsetzung konnte erst erfolgen, als Karl in bedrängter Lage, auch durch den Zusammenschluss der Protestantischen Stände zum Schmalkaldischen Bund, 1532 einen Reichstag nach Regensburg berief, um die Protestanten durch Zugeständnisse erneut zu einem gemeinsamen Vorgehen gegen die Türken zu gewinnen. Im Mai erhielt Josel einen Geleitbrief, der ihn im Namen des Kaisers aufforderte, seine Angelegenheiten, die Artikel der Judenordnung betreffend, in Regensburg vorzubringen. Dieser Geleitbrief gilt als der erste schriftliche Beleg, dass Josel in Amt und Würde als Befehlshaber der Judenschaft von Kaiser und Reichsregierung anerkannt und bestätigt ist. Zusätzlich hatte sich Josel ausgestattet mit einer historisch belegten Urkunde, einem Privileg, das von dem großen Stauferkaiser Friedrich II. den Juden in Regensburg 1216 verliehen worden war und ihnen erlaubte, ohne genau definierte Einschränkung Zinsen zu erheben, Pfänder anzunehmen und sich auf diese Weise eines Verdienstes aus der Geldleihe zu erfreuen. Mithilfe der von den jüdischen Gemeinden akzeptierten Judenordnung konnten in Regensburg die strengen Bestimmungen der Reichspolizeiordnung von 1530 beträchtlich gemildert werden. Josel und Luther, Bucer und Philipp von Hessen Johann Friedrich, Kurfürst von Sachsen, erließ am 6. August 1536 eine Verordnung, durch die den Juden die Ansiedlung, der Aufenthalt, der Handel im Land und die Durchreise durch Sachsen verboten wurde. Dieser mächtige Fürst und leidenschaftlicher Anhänger der Reformation, in persönlicher Freundschaft mit Luther verbunden, herrschte nicht nur über ein bedeutendes Territorium, sondern verfügte auch über erheblichen Einfluss im Reich und galt als einer der führenden Köpfe der Opposition gegen Karl V. Ein Grund für den plötzlichen Ausweisungsbe-
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fehl könnte gewesen sein, dass Juden an einem Erzdiebstahl beteiligt gewesen waren oder sein sollen. Als weiteren Grund könnte Josel vermutet haben, dass Schriften und Auftreten mancher Reformatoren dabei eine Rolle gespielt hätten – er hatte ja selbst auf dem Augsburger Reichstag die Unterschiede zwischen evangelischer und jüdischer Lehre darlegen müssen. Doch Luther selbst konnte er nicht – jedenfalls noch nicht – hinter dem Erlass des Fürsten erkennen, im Gegenteil war er der Meinung – die judenfreundlichen Passagen der Schrift von 1523 noch im Ohr –, Luther bewegen zu können, sich für die Aufhebung der Maßnahme einzusetzen. So fasste er den Entschluss, Luther persönlich aufzusuchen, um eine Audienz beim Kurfürsten zu erwirken. Daher erbat er vom Straßburger Magistrat, ihm ein an den Fürsten gerichtetes Empfehlungsschreiben auszustellen; der Magistrat entsprach dieser Bitte wohlwollend. Außerdem wandte Josel sich an die beiden herausragenden Vertreter der süddeutschen Reformation, Wolfgang Capito und Martin Bucer. Mit dem feinsinnigen und allem Jüdischen zugewandten Gelehrten Capito verband ihn nicht nur eine herzliche Freundschaft, sondern auch die Prägung durch Land und Leute, war der gleichaltrige Capito doch ebenfalls in Hagenau geboren und aufgewachsen. Capito war ein ausgezeichneter Hebraist und Sammler hebräischer Bücher und Urkunden, galt als eine weitherzige und nicht auf Dissens und Streit angelegte Persönlichkeit, die sich wenn erforderlich auf die Seite der Benachteiligten und Verfolgten schlug. Capito also schrieb am 26. April 1537 einen Brief an Luther, in dem er Josel, dessen Bedeutung und Einsatz für das Wohl der Juden, dessen Redlichkeit und Frömmigkeit wärmstens schilderte und Luther die Förderung des Anliegens Josels beim Kurfürsten ans Herz legte. Er selbst, Capito, hege mehr als nur Sympathie für das jüdische Volk und sei tief betrübt über die Verachtung, die seit langer Zeit diesem Volk entgegengebracht werde, das doch immer schon und noch und weiter als Bürge des Bundes und der Verheißung vor Gott und den Menschen zu gelten
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habe. Zum Schluss betont Capito, dass er den Brief auch im Namen Bucers verfasst habe, der nach Basel hätte abreisen müssen.42 Josel wollte mit Luther nicht über Theologie, über Fragen des jüdischen und christlichen Glaubens diskutieren, sondern Luther auffordern, die Worte einzulösen, die er über die Juden als ‚Blutsbrüder, Vettern und Brüder des Herrn’ geschrieben und mit denen er einen freundlichfriedlichen Umgang mit ihnen angemahnt hatte. Nach langer und mühevoller Reise musste Josel, der seinen Besuch angekündigt hatte, vor der Grenze Sachsens Halt machen und auf die Reaktion Luthers warten. „Aber er hat mich nit vorlassen, sondern einen Brief geschrieben.“43
Es ist ein im wahrsten Sinne des Wortes: enttäuschender Brief, durch den klar wird, dass Luthers Haltung gegenüber den Juden sich bereits verändert hat. Luther schreibt also: „Dem Fürsichtigen Jesel, Jüden zu Rosheim, meinem guten Freunde. Mein lieber Jesel! Ich wollte wohl gerne bei meinem gnädigsten Herrn für Euch handeln, beides mit Worten und Schriften, wie denn auch meine Schrift44 der ganzen Judenheit gar viel gedient hat; aber dieweil die Euren solchen meinen Dienst so schändlich missbrauchen und solche Dinge vornehmen, die uns Christen von ihnen nicht zu leiden [dulden] sind, haben sie selbst damit mir genommen alle Förderung, die ich sonst hätte bei Fürsten und Herren können tun.“ Er sei den Juden immer gut gesinnt gewesen, wolle auch jetzt noch, dass man ihnen mit Freundlichkeit begegne in der Hoffnung, dass Gott sie zu ihrem Messias bringe. Doch er hätte nicht die Absicht, sie durch seine Gunst in ihrem Irrtum, ihrem Irrglauben zu bestärken. Er wolle auch noch ein Büchlein verfassen, um etliche aus dem ‚Samen der Propheten’ zu gewinnen und zu ihrem verheißenen Messias zu bekehren, obwohl es 42
Der Brief Capitos findet sich unter der Nr. 3152 in: WA Br, Bd. 8, 1938, 76-78. Josel in seinem Brief an den Straßburger Magistrat vom Mai 1537, zit. bei S. Stern, Josel, 128. 44 „Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei“. 43
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seltsam sei, dass die Christen die Juden zu ihrem natürlichen Herrn, Christus, zurückführen sollten: „Darum wollet doch uns Christen nicht für Narren und Gänse halten und Euch doch einmal besinnen, dass Euch Gott wollte dermaleinst aus dem Elende [Exil], das nun über fünfzehnhundert Jahre lang gewähret, helfen, was nicht geschehen wird, [es sei denn] Ihr nehmet denn Euren Vetter und Herrn, den lieben gekreuzigten Jesus, mit uns Heiden an.“
Er habe selbst auch die Schriften ihrer Rabbinen gelesen, und wenn etwas Wahres darinnen gestanden hätte, dann hätte er sich wohl überzeugen lassen, denn hölzern und steinern sei er denn doch nicht. „Darum mögt Ihr Eure Briefe an meinen gnädigsten Herrn durch andere vorbringen. Hiermit Gott befohlen. Datum [Gegeben] aus Wittenberg, Montags nach Barnabae, im 1537. Jahr.“45
Die angesprochene Schrift „Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei“, gedacht als eine Werbungsschrift, hatte bei aller Begeisterung und Bewunderung jedoch nicht dazu geführt, dass viele Juden sich zu Christus bekehrten. Die Enttäuschung, die Luther verspürte, äußerte sich bereits drei Jahre später, als er in einer Predigt am 25. November 1526 über Jer. 23,6 berichtete, dass seine Gespräche mit gelehrten Juden nichts gefruchtet hätten, da sie nur auf ihrer Lesart der Hebräischen Bibel und ihres Talmuds bestanden und seine, Luthers Auslegungen ihrer heiligen Schriften, überhaupt nicht verstanden hätten. Luther kommt darüber hinaus in seinen späteren Tischreden mehrfach auf eine Begegnung mit drei Rabbinern 1526/27 zurück – mit Buber müsste man diese Begegnung als ‚Vergegnung’ bezeichnen –, selbst die Namen nennt er noch: Samaria (Schmarjahu), Schlom (Shlomo) und Lev oder Levi. Hinzu kam in 1532 vom Grafen Wolf Schlick zu Falkenau die Nachricht, dass angeblich in Mähren Christen zum Judentum übergetreten seien. Möglicherweise waren manche Christen vom Judentum fasziniert und waren kon45
WA Br 8. Band, 1938, Nr. 3157, 89-91.
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vertiert, aktiv judaisiert wurden sie gewiss kaum, da Mission unter Christen bei den Juden verpönt war. Luther jedenfalls schrieb 1538 ein Büchlein „Wider die Sabbather“. Als er dann 1543 seine Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“, unterstützt von dem grauslichen Pamphlet „Vom Schem Hamphoras“, veröffentlichte und sich seine furchtbaren Ratschläge an die Fürsten verbreiteten, nämlich die Synagogen anzuzünden, die Heiligen Bücher der Juden zu verbrennen, die Juden zu Fronarbeit heranzuziehen und sie aus Deutschland zu vertreiben, da verlangte Josel vom Magistrat der Stadt Straßburg, diese Greuelschriften nicht nachzudrucken und zu verbreiten – und diesem Begehren gab Straßburg statt. Man darf und muss auch vermelden, dass kaum eine Regierung die hasserfüllten Ratschläge Luthers konsequent in die Wirklichkeit überführte. Gewiss unterlag Luther auch dem antijüdisch geprägten Zeitgeist, man darf ihn jedoch nicht als repräsentativ verstehen und damit allein in seiner Zeitgebundenheit verstehen und entschuldigen. Denn es gab auch Vertreter unter den Reformatoren, die einen anders akzentuierten ‚Zeitgeist’ verkörperten, Capito ist bereits genannt, Osiander wäre ebenfalls zu erwähnen, dessen Gutachten in einem weiteren Blutschändungsprozess Josel später heranziehen wird. Und auch auf Melanchthon wird noch kurz einzugehen sein. Am Beispiel des Landgrafen Philipp von Hessen, dem politisch bedeutendsten Kopf unter den Landesherren der Reformation, der sich mit Leidenschaft der Sache der Protestanten verschrieben hatte, können wir eine solch anders geartete Haltung erkennen und würdigen.46 Theologisch begabt versuchte er, die Radikalität der lutherischen Lehre mit der weitherzigeren seines Freundes Zwingli kompatibel zu machen. Mit Josel verband ihn gewiss ein Wort, das er einmal so ausdrückte:
46
Dazu Stern, Josel, 131.
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„Mit gutem Gewissen kann man wegen Irrtum im Glauben niemand töten, weil der Glaube ja in niemandes Macht steht, sondern ein reines Geschenk Gottes ist: wem er den Glauben nicht gewährt, der kann ihn nicht erlangen.“ 47
Philipp hatte seine 1524, kurz vor Beginn der Bauernkriege – wahrscheinlich zur Beruhigung der Bevölkerung – erlassene Verordnung, die den Juden verbot, auf hessischem Gebiet zu siedeln oder sich aufzuhalten, bereits 1532 zurückgenommen und ihnen für erst einmal sechs Jahre erlaubt, im Lande zu wohnen. Die einige Jahre später erfolgte Etablierung des landesherrlichen Kirchenregiments warf die Frage auf, wie in der neuen ‚res publica Christiana’, dem vom wahren Geist des Evangeliums erfüllten Gemeinwesen, eine religiös unterschiedene Gruppierung Platz finden könne und solle. Ende 1538 legten die hessischen Räte dem Landgrafen einen Vorschlag, wie man die Juden dulden könne, vor, den Philipp zur Begutachtung an seine Theologen sandte. An deren Spitze stand Martin Bucer, den Philipp aus Straßburg nach Kassel berufen hatte. Diese vorgedachte Judenordnung umfasste sieben Artikel, darunter folgende: Juden sollten in den Städten das Recht bekommen zu kaufen und zu verkaufen und in Grenzen Handel zu treiben. Geld dürften sie – in Gegenwart einer amtlichen Person – bis zu einem Zinssatz von zwei bis drei Prozent verleihen. Sie seien verpflichtet, dem Fürsten das Schutzgeld zu zahlen, sollten zwecks Integration veranlasst werden, die Predigten der protestantischen Geistlichen zu besuchen, es aber unterlassen, mit Christen über den Glauben zu disputieren. Die hessischen Geistlichen, von Bucer betreut und beraten, verschärften die Tonlage der Räte und entwickelten ihren Ratschlag, der von der Grundlage ausging, dass zur Wohlfahrt und zur Seligkeit des Gemeinwesens eine einzige Religion vorherrschen müsse. Zwar könne man den Juden den weiteren Aufenthalt in Hessen gestatten, sie dürften jedoch keine neuen Synagogen errichten, das Christentum nicht lästern, müssten die evangelischen Gottesdienste besuchen und nur der Thora, nicht aber ihrem ‚gottlosen’ 47
Zit. bei Stern, Josel, 131.
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Talmud, folgen. Handel und Geldleihe seien ihnen grundsätzlich zu verwehren, das gelte auch für Handwerkarbeiten, zu erledigen wären lediglich die niedrigsten Verrichtungen wie etwa Kloaken reinigen, Kalk brennen und Straßenbefestigungsarbeiten, schließlich seien ‚die Christen das Haupt und die Juden der Schwanz’.48 Noch im Dezember 1538 lehnte Philipp alle Artikel ab, weil die darin enthaltenen Ratschläge die Juden über Gebühr bedrücken und zum Weggang treiben würden und verfasste höchstselbst zehn neue als Grundlage einer sogenannten ‚Judenordnung’. Weder im Alten noch im Neuen Testament könne er die von den Räten und Theologen vorgesehenen Maßnahmen gegen Juden befohlen finden. Auch wenn die Juden nach dem Evangelium als Feinde bezeichnet werden, so solle man sie doch lieben um der Väter willen, denn Christus selbst entstamme diesem Volk und die Apostel ebenfalls. Mit dem Römerbrief des Paulus fragt Philipp seine Geistlichen, ob Gott denn sein Volk, das er zuvor auserwählt habe, je verstoßen habe oder habe verstoßen können? Und die Christen mögen sich doch bitte nicht gegen die Juden als wahre Zweige des wahren Ölbaums rühmen: „Rühmst du dich aber wider sie, so sollst du wissen, nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich.“ (Röm 11.18). Das klingt fast – so mag an dieser Stelle angemerkt werden –, als hätte Philipp am Christlich-Jüdischen Dialog nach der Shoah, an den Konzilsbeschlüssen Mitte der 60er Jahre und den Synodalerklärungen der Evangelischen Kirchen reformierter und lutherischer Konfession der letzten Jahrzehnte teilgenommen und zur Überwindung der antijüdisch geprägten Theologie und Tradition sowie zur Erneuerung des Verhältnisses von Judentum und Christentum beigetragen. Auch den wirtschaftlichen Vorschlägen versagte Philipp seine Zustimmung – denn die Juden hätten weniger gewuchert als seine lieben Chris48
Diesen Ausdruck entnimmt Bucer nicht dem Zweiten, dem Neuen, sondern dem Ersten, dem Alten Testament, der Hebräischen Bibel, den Fluchsprüchen, die im 5. Buch Mose 28, 43-44 nachzulesen sind.
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tenleute. Gerechter Handel solle gefördert werden, ein Zinsfuß von fünf Prozent sei angemessen, Wucher, Bestechung und Kauf von gestohlenen Gegenständen seien, im Sinne der Judenordnung von 1530/32, streng zu bestrafen. Allerdings sei der Bau neuer Synagogen untersagt und das Anhören der evangelischen Predigt geboten. Josel verfolgte die Vorgänge in Hessen mit größter Aufmerksamkeit, denn die Vorgänge in den Ländern der beiden wichtigsten protestantischen Landesherren strahlten über die Landesgrenzen hinaus. Er war nach seiner ergebnislosen Reise nach Sachsen bemüht, auf anderem Wege mit den Führern der protestantischen Bewegung in Kontakt zu kommen. Gelegenheit dazu bot der sogenannte ‚Frankfurter Anstand’ im Februar 1539, zwar kein Reichstag, da Karl außer Landes war, aber doch ein Treffen kaiserlicher Beauftragter und der protestantischen Stände, um erneut den religiösen Konflikt friedlich beizulegen. Josel traf in Frankfurt/Main nicht nur Philipp Melanchthon, Martin Bucer, Johann Friedrich von Sachsen und Philipp von Hessen, sondern auch Joachim II. von der Mark Brandenburg. Da der Vater von Joachim, Joachim I., im Zusammenhang mit dem Hostienschändungsprozess 1510 seine Juden zwar ‚auf ewige Zeiten’ aus der Mark verbannt, ihnen jedoch 1532 und 1535 den Handel und den Besuch der Jahrmärkte wieder gestattet hatte, befürchtete Josel, dass der Sohn diese Vergünstigungen wieder aufheben könnte, um seine Bevölkerung versöhnlich zu stimmen. Doch es geschahen, so berichtet Josel voller Dankbarkeit, „Wunder über Wunder“49, denn Melanchthon erklärte der Versammlung, dass die 1510 in Brandenburg verbrannten 38 Juden unschuldig gewesen seien, der Ankläger namens Fromm hätte seine Verleumdungen seinem Beichtvater gestanden, die Aufklärung sei jedoch vom Bischof geheim gehalten worden, obwohl die Verurteilten vor dem Feuertod in letzter Sekunde noch hätten gerettet werden können. Diese mit Nachdruck vorgetragene Erklärung Melanchthons machte auf alle Anwesenden einen ungeheuren Eindruck und Josel konnte, nüchtern 49
Zit. bei Stern, Josel, 137.
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und geistesgegenwärtig, wie er war, die Erschütterung nutzen, um die Wiederherstellung der früher in Kraft gewesenen Privilegien für seine Leute einzufordern. Sowohl Johann Friedrich von Sachsen als auch Joachim II. ließen sich von Josel bewegen, den Juden in ihrem Territorium Durchzugs- und Aufenthaltsrecht einzuräumen. Während Johann Friedrich jedoch bereits unter dem Einfluss von Luthers antijüdischen Schriften 1543/44 die Juden aus Sachsen wieder heraustrieb, gestattete Joachim II. den Juden, zum Ärger Luthers, Anfang der 40er Jahre sogar das Wohnrecht in Brandenburg: „Und er hielt bis heute seine Zustimmung“, konnte Josel später aufatmen.50 Es gelang ihm zudem, in manchen Disputationen mit katholischen und evangelischen Repräsentanten Vorwürfe und Vorurteile, Unwahrheiten und Missdeutungen zu entkräften, indem er die Thora auslegte. Bitter beklagte er jedoch das gegen die Juden gerichtete beleidigende und polemische Verhalten Bucers. Bucer hatte nämlich den Verdacht geäußert, dass die gerade erfolgte Veröffentlichung der ‚Vorschläge’ der hessischen Räte, des ‚Ratschlags’ der Geistlichen sowie der Artikel von Philipp von den Juden veranlasst und betrieben worden wäre, um die philippschen Maßnahmen zu unterstützen und die Prediger, also gerade auch Bucer bloß zu stellen. Er verfasste voller Zorn eine Broschüre ‚Von den Juden’, die noch einmal die Stellungnahmen der Räte und Geistlichkeit enthielten und darin gipfelte, dass Bucer den Juden vorwarf, mit den ‚Papisten’ gemeinsame Sache zu machen. Denn – so Bucer – abgesehen davon, dass die Katholischen Bilder und Götzen anbeteten und Christus nur auf den Lippen führten, handele es sich bei dem jüdischen und bei dem katholischen Glauben um ein und dieselbe Sache, und daher seien die Juden Feinde des wahren Evangeliums wie die Papisten, Schwärmer, Türken und Ungläubigen. Diese Broschüre erregte viel Aufsehen und rief erneut Übergriffe auf Juden in der verwirrten Bevölkerung hervor. Die hessischen Juden be50
Zit. bei Stern, Josel, 137; bei Fraenkel-Goldschmidt, The Chronicle: „To this day Duke Joachim has faithfully kept his word, but the Duke of Saxony has gone back on his promise, and has done us great harm by outlawing us.“, 330f.
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fürchteten, dass sich der günstige Wind drehen und ihnen wieder widrig ins Gesicht blasen könnte und baten Josel um Rat, wie sie sich verhalten sollten. Josel verfasste daraufhin ein Büchlein „Josephi oder Josels Trostschrift an seine Brüder wider Buceri Büchlein“,51 bestimmt, in den hessischen Synagogen vorgelesen zu werden. Eine Kopie sandte Josel an den Magistrat der Stadt Straßburg, der Bucer als Reformator der Stadt überaus schätzte und durchaus verstimmt war über das, was ihm aus Frankfurt und Kassel zugetragen wurde. Durch alles, was Josel in der nur fragmentarisch überlieferten Broschüre schrieb, dringt das Wort aus dem Buch Jesaja, geschrieben im babylonischen Exil: „Tröstet, tröstet mein Volk.“ (Jes 40,1) Josel tröstet mit biblischen Gestalten und Geschichten, mit Worten der Weisen und Propheten, aber auch mit Erfahrungen aus der gerade erst erlebten Vergangenheit und Gegenwart. So erinnert er an den Schutz der Glaubensgenossen, die Straßburg ihnen während der Bauernkriege gewährt hatte, an die Verbannung des Denunzianten Antonius Margaritha durch Karl V., an den fürsorglichen Brief Capitos an Luther, an die Rolle von Melanchthon gerade erst in Frankfurt, an die maßvollen Maßnahmen protestantischer Fürsten. Sogar die schlimme Schrift Bucers hätte einen Vorteil, da sie schlagend belege, was er, Josel bereits in Augsburg bezeugt hätte: Dass nämlich die Juden nicht als Dunkelmänner für die reformatorische Bewegung verantwortlich seien. Was das Hören der evangelischen Predigten anginge, so müsse jeder nach seinem Gewissen entscheiden, er selbst, Josel, hätte mit Gewinn Vorlesungen bei seinem Freund Capito gehört und sei dabei keineswegs in seinem Glauben irre geworden. Und man möge doch bitte keinen schmähen, auch Bucer nicht – letztlich stünde nur Gott das Urteil zu. Eher solle für die Juden selbst gelten, sich in ihrem eigenen Verhalten zu prüfen, denn auch sie seien in der Welt, umgeben von andern Völkern, den Verlockungen ausgesetzt, den Lastern der Habgier und des Wucherns, der Hoffart und des Eigensinns, der Untreue und der Missgunst, der Zwie51
Der deutsche Originaltext ist abgedruckt bei Fraenkel-Goldschmidt, 357-363.
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tracht und der Gleichgültigkeit. Und wenn unverschuldet Leid über sie komme, dann müsse es ertragen werden, weil auch dies ein Zeichen sein kann, dass Gott das von ihm erwählte Volk prüfe: „Wie die Olive ihr Öl erst durch Erpressung hergibt, so wird Israel erst durch Leiden zum Guten zurückgebracht.“52 Der Höhepunkt Konnte Josel an diesem und jenem Ort gegenüber Fürsten und Adligen, Stadtregierungen und Landgemeinden erfolgreich sein und für seine Judengemeinden erreichen, was zu erreichen war, so brodelten an anderen Orten Verfolgung und Vertreibung, Schändungsanklage und Wuchervorwurf wieder auf. Privilegien wurden verliehen und verletzt. Den Höhepunkt seines Wirkens erfuhr Josel, als er an dem Reichstag zu Speyer teilnahm, den Karl V. 1544 einberief. Karl im Vollbesitz des Bewusstseins seiner Macht und von der Idee durchdrungen, die Einheit von Reich und Kirche wieder herzustellen, den Glanz des Staufers Friedrich II. neu zu beleben, die Brüche und Umwälzungen der neuen Zeit zu bändigen, die auseinander strebenden Mächte und Tendenzen zusammenzubringen, beabsichtigte, die Rebellion der Evangelischen endgültig nieder zu ringen. Er schrieb über den Reichstag in seinen Memoiren, er habe „damals gesehen, dass es nicht nur nicht mehr unmöglich sei, mit Gewalt den Hochmut der Abgefallenen zu unterdrücken, sondern dass es unter geeigneten Umständen und mit passenden Mitteln ein leichtes sein müsste.“53
Doch Karl musste mit den evangelischen Herren des Schmalkaldischen Bundes zunächst ein Bündnis eingehen und Zugeständnisse machen, damit sie oder einige von ihnen nicht gemeinsame Sache machten mit dem französischen König Franz I., der im Begriff stand, den dritten Krieg gegen Habsburg zu führen und verbündet war mit den Osmanen, 52 53
Zit. bei S. Stern, Josel, 143. Zit. bei Stern, Josel, 159.
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die bereits nahe vor den Grenzen des Reiches lagerten und mit ihrer Flotte das Tyrrhenische Meer beherrschten. Mitten in diesen aufreibenden Verhandlungen erschien Josel, um vor seinem ‚Befehlshaber’, seinem Herrn und Kaiser Beschwerde einzulegen gegen eine neue Ritualmordanklage in Würzburg, gegen die Einschränkungen des jüdischen Geldhandels, gegen die wüsten antijüdischen Schriften und Vorschläge Luthers, gegen die immer wieder verfügten Ausweisungen und die willkürlichen Gefangennahmen und Folterungen, die bei der Judenschaft zu ständiger Unsicherheit und Angst, zu Gefahr für Leib und Leben führten. Josel, vom Kaiser ja anerkannt als ‚Vorsteher’ oder ‚Befehlshaber’ der Juden, erreichte von Karl tatsächlich am 3. April 1544 ein Privileg, das berühmt geworden ist als das freiheitlichste und großzügigste, das je den Juden bislang übergeben wurde: ‚Privilegiorum Universorum, Teutoniae Nationis, Hebraeorum Confirmatio’. Mit diesem Privileg bestätigte Karl alle von seinen Vorfahren und von ihm selbst verliehenen Schutzrechte und Rechte, Verordnungen und Erlasse. Mit kaiserlicher Vollmacht wurden den Juden im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation die Sicherheit des Geleits und des Handels zu Wasser und zu Land gewährt. Verboten wurden die Schließung ihrer Synagogen und ihre Ausweisung aus den Fürstentümern, Grafschaften und anderen Territorien, insbesondere aber aus den Reichsstädten, in denen Juden bei seinem Regierungsantritt niedergelassen waren. Wie bereits 1541 bestimmt, sollte kein Jude gezwungen werden, außerhalb seines Wohnsitzes das Judenzeichen, den Gelben Fleck, zu tragen. All die, die sich an Juden vergriffen, sollten strengstens bestraft werden. Da die Juden weder über Land und andere Liegenschaften verfügten noch in der Landwirtschaft, in den Zünften und in öffentlichen Ämtern wirken könnten und dürften, müsse es ihnen zu ihrem Lebensunterhalt und zu ihrer Existenzsicherung mehr als nur erlaubt sein, Handel und Geldhandel zu treiben und einen höheren Zins zu verlangen, als bei Christen geduldet werden könne.54 54
Letztere Regelung liest sich in der deutschen Fassung folgendermaßen: „Indem auch die Juden und Jüdinnen des mehrenteils in allen Reichs Anlagen und Hilfen mit Leib,
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Ferner sei bereits durch Päpste untersagt, dass den Juden aufgrund von Verleumdungen oder Missgunst von Feinden der Prozess gemacht werde, sei es wegen angeblicher Nutzung von Christenblut oder sei es wegen Hostienschändungen; schon Friedrich II. sei gegen solchen Aberglauben energisch eingeschritten. Karl verordnet weiterhin, dass künftig kein Jude gefangen genommen, gequält und gefoltert, seiner Habe beraubt und getötet werden dürfe – es sei denn, glaubwürdige Zeugen könnten jüdische Vergehen beweisen. Dieses Privilegium entsprach in allen seinen Aspekten den Anliegen Josels und Karl erklärte, dass er nach Anhörung dessen, was ihm der ‚Befehlshaber der Judenschaft’ an Beschwerden vorgetragen hätte, nicht anders habe handeln können. Verständlich, dass Josel jubelte, Karl habe den Juden Freiheiten und Schutz gegeben wie noch von kein anderer Kaiser oder König.55 Das Ende In diese Zeit fiel auch die lange aufgeschobene kriegerische Auseinandersetzung des Kaisers mit den von Sachsen und Hessen angeführten Schmalkaldischen Bund. Zunächst schien es, dass Karl den Sieg davontragen würde. Die Juden allerdings, wurden nicht allein von den Evangelischen bedrängt, sondern auch von Seiten der kaiserlichen Truppen aus Spanien. Lassen wir Josel mit einem längeren Abschnitt am Ende seiner Chronik zu Wort kommen: Hab und Gut um ein viel Höheres als die Christen belegt und angeschlagen werden und aber daneben weder liegende Güter noch andere stattliche Hantierungen, Ämter oder Handwerk bei den Christen haben und treiben, davon sie solche Anlagen erstatten und ihre Nahrung bekommen außerhalb des, so sie von ihren Barschaften zu Weg bringen: So lassen wir zu und gönnen denselben Juden, dass sie hinwiederumb […] ihre Barschaften um Zins und sonst zu ihrem Nutzen und Notdurft um so viel desto höher und etwas weiter und mehrers, dann den Christen zugelassen ist, anlegen und wenden und ihnen solches geduldet werden möge.“ Zit. bei Stern, Josel, 160. 55 Bei Frankel-Goldschmidt, The Chronicle, 337: „Meanwhile, I laboured to obtain new privileges and credentials the like of wich no emperor or king had ever granted us before.“
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„In the year 5306 (1545/46), our lord the Emperor came to Regensburg and commanded all the princes and dukes to attend the Reichstag and to reconcile their differences of opinion and their disagreements on matters of faith. Although most of them came, the two dukes, Saxony and Hesse, 56 and their followers were rebellious and vexed the Emperor; they rebelled against him for several years. […] Soon afterwards, the Emperor resolved to gather forces and to wage war against those two aforsaid princes. Then came the people whose tongue you cannot understand – the Spaniards – and would have attacked the Jewish people, had it not been for God who was with us, aiding us when I came to the great governor – chief minister to the Emperor – named Granvelle, and requested him to implore and entreat the Emperor to protect us, and he did what we asked. He went to the Emperor and said to him: ‚Behold, the Jews have suffered much persecution at the hand of those Lutheran heretics, and now come your own people, the Spanish, and will attack them in spite of the new privileges that you previously granted them [the Jews].’ And the Emperor gave a gracious reply: ‚It would not be right to leave the Jews unprotected. Here are written and signed orders that no soldier from any of our armies shall lift hand or foot to injure or harm any Jew on pain of punishment.’ Therefore, it was publicly proclaimed by imperial command in all parts of Germany that anyone violating the Emperor’s decree would be punishable by death. All at once the Spaniards became well disposed towards the Jews, and when the Emperor arrived with his army to do battle, the Jews brought them bread and wine and supplied the forces with more than 50 wagons and karren. The two princes, Saxony and hesse, together with all the German cities, had huge forces, more than 100,000 foot soldiers and armed horsemen. However, although our lord the Emperor, may be exalted, did not possess so great and powerful an army as they did – only 40,000 in all – God came to his aid, so that he persued and totally destroyed them. And in the end he captured the two princes. They are still in his custody. We strenguously appealed to all the Jews to pray morning and evening [for the safety of the Emperor] and to recite ‚Our Father Our King’ and the Hymn of Unity. […] The victory that the Emperor won was in the year 5307 (1546/47). And God performed miracles and wondrous acts for us: His mercy He protected the Jewish people, so that we did not lose a single person in this great war. Blessed be God who did not fail us in his loving kindness, and delivered us twice over from those great multitudes. May He continue and do more also. Amen.“57
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D. h. Johann Friedrich und Philipp. Bei Fraenkel-Goldschmidt, The Chronicle, 337ff.
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Mit diesen Worten und einer letzten Notiz endet die Chronik von Josel von Rosheim. Aus diesen Aufzeichnungen spricht durchgängig das tiefe Gottvertrauen, das Josel stets nicht nur begleitet, sondern sein Leben und Wirken fundiert und durchdrungen hat. Die Entwicklung in Gesellschaft und Politik, in Religion und Glauben hatte ihn gelehrt, seine Verantwortung für ‚seine’ Juden, für die Juden in Reich, Land und Stadt in möglichst direktem Kontakt zum Kaiser wahrzunehmen – dabei spielte eine nicht geringe Rolle die grundsätzliche Sympathie zwischen Karl und Josel. Aber auch nach dem Sieg Karls im Schmalkaldischen Krieg und nach dem Reichstag in Augsburg 1547 war dem fast 70jährigen Josel bewusst, dass seine Mission, dass der Kampf, der mit seinem Amt verbunden war und ihn von Ort zu Ort getrieben hatte, nicht zu Ende gelangt war und dass er seine Aufgabe nicht aufgeben konnte und durfte. Denn nach wie vor versuchten Städte und Territorien in dem von Karls Regentschaft keineswegs befriedeten und geeinigten Reich ihre Interessen durchzusetzen und gegen die Juden vorzugehen. So war Josel auch in seinen letzten Jahren von Rosheim aus immer wieder und fast ruhelos unterwegs und mit Eingaben und Beschwerden, mit Denkschriften und Einsprüchen befasst und in komplizierte Verhandlungen und Prozesse verwickelt. Dabei lösten sich Erfolge mit Misserfolgen untereinander ab, sei es mit den Herzögen in Württemberg und Bayern, sei es mit Städten wie Türckheim, Colmar und sogar selbst mit ‚seiner’ Stadt Rosheim. Einige Jahre nach dem Schmalkaldischen Krieg bildete sich eine gegen Karl gerichtete Allianz zwischen protestantischen Fürsten – darunter auch Moritz von Sachsen, der seinem Verbündeten, dem Kaiser, in den Rücken fiel – und König Heinrich II. von Frankreich. Unter der Gicht leidend und durch den Verrat erbittert, raffte sich Karl noch einmal auf, um sich den Feinden zu stellen, musste aber erkennen, dass seine eigenen Unterstützer sich zurückhielten. So konnte er keinen weiteren Sieg erringen, resignierte, überlies die Regierung des Reiches seinem Bruder Ferdinand und zog sich zurück – in der realistischen Einsicht, dass die Einheit des ‚Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nati-
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on’ nicht mehr zu erreichen und die Glaubensspaltung nicht zu überwinden sei. Josel von Rosheim starb, als er sich bereit machte, nach Heidelberg zu kommen, um die Vertreibung der Juden aus Dangolsheim zu verhindern. Vermutlich war es Ende März/Anfang April 1554 während des Pessachfestes, an die Juden alljährlich sich den Auszug aus Ägypten, die Befreiung aus dem Sklavenhaus Mizrajim vergegenwärtigen. Unter der Führung Moses zog Israel 40 Jahre durch die Wüste, bis sie in das gelobte Land einziehen konnten, das Mose auf Gottes Geheiß nur sehen, nicht betreten durfte. Die Gestalt des Mose, seine brennende Sorge um das ihm anvertraute Volk, seine Nachsicht und Strenge, seine Leidenschaft und sein Eintreten für das Volk auch vor und gegenüber Gott, die Gestalt des Mose war für Josel das dauerhafte Vorbild während seiner 40 Jahre andauernden ‚Vorstandstätigkeit’ als ‚Befehlshaber der Judenschaft im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation’. So mag am Ende stehen, was die deutschen Juden damals, als sie vom Ende ihres Befehlshabers erfuhren, eindrucksvoll und tiefempfunden in Worte gefasst haben: „Gott möge gedenken der Seele des Greises, des Fürsten Rabbenu Joseph, Sohn des Gerschon, S. A., welcher genannt wurde mit seinem Namen Joselmann, mit den Seelen Abrahams, Jizchaks und Jakobs, weil er weder seine Ehe noch sein Vermögen geschont hat, und weil er viele Male sein Leben in Gefahr gebracht hat durch seine Fürbitte und seinen Schutz für die Gesamtheit und für Einzelne. Er ging länger als vierzig Jahre an die Höfe der Könige und Fürsten und hielt von der israelitischen Nation Austreibungen, Unterdrückungen, Verfolgungen und Ermordungen fern. Auch erlangte er Schutzbriefe am Hofe des Kaisers, Seine Majestät werde erhöht. Für alles dieses nahm er weder Dienst noch Belohnungen. Er tat es nur aus Liebe zu Gott und Israel. Um dessentwillen sei sein Anteil mit den anderen Hirten und Führern Israels und seine Seele sei eingebunden in dem Bunde des Lebens mit den anderen Frommen im Paradiese.“58 58
Die Memorbücher von Niederehnheim und Hagenau. Überliefert bei Marcus Lehmann, Rabbi Joselmann von Rosheim, Band II, 1879/80 (wiederaufgelegt 1925), Reprint 1988, Zürich/Jerusalem, 326.
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Joachim Liß-Walther, Pastor em. und Sozialwissenschaftler, ist evangelischer Vorsitzender der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Schleswig-Holstein e.V.
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Von dem sogenannten jüdischen Staat im Staat zum Dialog zwischen Juden und Christen in Deutschland Arno Herzig In seinem Essay über die Erklärung ‚Dabru emet‘, in der sich amerikanische orthodoxe Rabbiner zur Beziehung Judentum- Christentum äußern, kommt Ephraim Meir zu dem Schluss, dass sich in der Erklärung der Versuch zeigte, „dem Christentum die Hand zu reichen ... Differenzen zu überbrücken, um eine gemeinsame Welt zu schaffen“, dabei aber „die Einzigartigkeit beider Partner zu bewahren“.1 Dieser Dialog wurde in Deutschland zu Beginn des 20. Jahrhunderts von Martin Buber, Leo Baeck und Franz Rosenzweig angestoßen. Doch ging es in Deutschland in den letzten 200 Jahren zunächst nicht um einen Dialog auf gleicher Augenhöhe, sondern um die Selbstbehauptung des Judentums in einer christlich bestimmten Gesellschaft, die das Judentum als gleichberechtigt nicht anerkennen wollte. Im Gegenteil, sie zielte auf seine Vernichtung ab, dies aber nicht im physischen, sondern im geistigen Sinne: durch die Taufe. Trotz der Säkularisation, die mit der Aufklärung begann, verstanden Staat und Gesellschaft sich als christlich geprägt und forderten statt Akkulturation die Selbstaufgabe des Judentums. Das Judentum hat sich gegenüber dieser Forderung in dieser Auseinandersetzung selbstbewusst behauptet. Doch erst die bittere Erfahrung der Shoa führte in Deutschland die christliche Gesellschaft zur Einsicht, einen Dialog mit dem Judentum ohne Vorbedingungen auf Augenhöhe zu führen. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts konstatierte der liberale Rabbiner Dr. Felix Goldmann, dass trotz aller liberaler Politik das Christentum die kulturellen Normen setze, die jüdischen Staatsbürger sich dem Anspruch 1
Ephraim Meir: Innerjüdische Debatten über den Dialog. Hintergründe des Dokuments Dabru emet. In: Siegfried von Kortzfleisch; Wolfgang Grünberg; Tim Schramm (Hg.): Wende-Zeit im Verhältnis von Juden und Christen, Berlin 2009, S. 283-306.
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eines christlichen Selbstverständnisses beugen müssten, was er entschieden ablehnte.2 Die Diskussion um die Akkulturation und damit verbunden die Frage nach der Integration des Judentums in die deutsche Gesellschaft spielte sich deshalb sowohl im politischen als auch im religiösen Bereich ab, wobei zunächst das stärkste Argument von jüdischer Seite war, dass der Staat eine säkulare Institution sei. Von diesem Standpunkt aus argumentierte auch der bedeutendste Vertreter dieser Debatte, Gabriel Riesser, seine Forderung nach Gleichberechtigung der Juden in der deutschen Gesellschaft. Mit der Aufklärung begann in Deutschland der Diskurs über die Integration der Juden in die Gesellschaft. Hatte die jüdische Minderheit im Absolutismus, wenn auch verachtet und isoliert, jedoch kulturell autonom, als „jüdische Nation“ existiert, so stellte sich für die aufkommende bürgerliche Gesellschaft die Frage der Integration, denn die Vorstellung von der Gleichheit aller ihrer Mitglieder duldete keine Sondergruppen. So radikal wie im späteren revolutionären Frankreich wurde dieser Grundsatz im Deutschland des Ancien Regime allerdings nicht vertreten und auch in der nachrevolutionären restaurativen Phase orientierte man sich eher an ständischen Idealen als an Gleichheitsprinzipien. Doch mit C. W. Dohms Buch ‚Von der bürgerlichen Verbesserung der Juden‘ (1781) war die Diskussion in Gang gesetzt und vor allem nach 1806 zu einem Politikum geworden. Die bürgerliche Gleichstellung der Juden sollte nach Auffassung einer kleinen Aufklärungselite als ein länger dauernder Emanzipationsprozess erreicht werden. Gefordert wurde die Anpassung in Sprache, Kultur und Sozialstruktur.3
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Felix Goldmann-Oppeln: Religiöser und politischer Liberalismus. In: Liberales Judentum. Monatsschrift für die religiösen Interessen des Judentums 4 (1919), S. 6164, S. 77-81, S. 112-115; Dieter Langewiesche: Bildungsliberalismus und deutsches Judentum. Historische Reflexionen auf den Spuren von George L. Mosse. In: Medaon. Magazin für jüdisches Leben in Forschung und Bildung 12 (2018), S. 1-15, S. 8f. 3 Christian Wilhelm Dohm: Über die bürgerliche Verbesserung der Juden, 2 Teile in einem Band (1781/1783), ND Hildesheim und New York 1973.
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Der Aufklärungsdiskurs um die bürgerliche Verbesserung lief nicht nur als innerbürgerlicher Diskurs, sondern schloss auch die jüdischen Aufklärer ein, die sich zu der neuen aufgeklärten Bildungselite zählten, und damit die Mauern einrissen, die seit je die jüdische Intelligenz von der Intelligenz der Gesamtgesellschaft – von Ausnahmen abgesehen – getrennt hatte. Diese nicht sehr große Gruppe der Haskala war mit Dohm der Ansicht, dass eine bürgerliche Verbesserung der Juden dringend erforderlich sei. Sie akzeptierten durchaus Dohms aufgeklärtes Erziehungsprojekt, dass eine Verbesserung nur zu erreichen sei, wenn man die Juden von den tradierten Handelsberufen wegbringe und für sie landwirtschaftliche Berufe öffne. Es blieb nicht nur bei der Akzeptanz dieser These, sondern es kam auch zu den ersten realen Versuchen, Juden für die Handwerke zu gewinnen. Interessanterweise unterschied sich Moses Mendelssohn hier recht entschieden von Dohms Konzept, indem er im Handel, auch im Hausier- und Angebotshandel, nichts moralisch Korrumpierendes entdecken konnte und daher die geforderte „Umerziehung“ durchaus nicht für erforderlich hielt. Hierin war er sicherlich weitsichtiger als seine aufgeklärten jüdischen und christlichen Zeitgenossen, die in einem eigenartige Widerspruch auf der einen Seite zwar das herkömmlich Wirtschaftssystem mit seinen Privilegiengruppen als überholt ansahen und deshalb für einen liberalen Markt eintraten, auf der anderen Seit aber die grundlegenden Mechanismen dieses Marktes, nämlich Handel und Geldverleih, als moralisch korrumpierend darstellten.4 Schon in dem aufgeklärten Diskurs des ausgehenden 18. Jahrhunderts spielt ein Moment hinein, das bereits den modernen bürgerlichen Staat des 19. Jahrhunderts ankündigt, der zwar die Gleichheit aller Bürger forderte, auf der anderen Seite aber unfähig war, Minderheiten und ihre Subkultur zu tolerieren. Zum Programm wird dies interessanterweise 1793 in Fichtes anonym erschienener Schrift ‚Beitrag zur Berichtigung 4
Arno Herzig: Das Assimilationsproblem aus jüdischer Sicht (1780-1880), in: Conditio Judaica. Judentum, Antisemitismus und deutschsprachige Literatur vom 18. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg, 1. Teil, hg. von H. O. Horch und H. Denkler, Tübingen 1988, S. 10-28, S. 10ff.
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der Urtheile des Publicums über die französische Revolution‘, in der er die Auflösung aller Untergruppierungen im Staate, darunter Kirche, Armee, Handwerkerzünfte, vor allem aber der Juden fordert. 5 Nicht bei Fichte, aber in der späteren Diskussion in Deutschland lief dies auf eine konfessionelle Gleichheit hinaus. Selbst dem gebildeten Juden, der durch eine totale Assimilation seine Aufnahme in die Zirkel der Aufklärungsgesellschaft zu erreichen versuchte, wurde die sittliche Rückständigkeit der jüdischen Nation, die abergläubischen, nutzlosen und lächerlichen Gebräuche der jüdischen Religion, ja sogar sein Bemühen vorgeworfen, sich von dieser verachteten Minderheit abzusetzen. Sein aufgeklärtes Bildungsbemühen wurde als „Äußerlichkeit“ verdächtigt, seine eigentlichen Interessen – so die Unterstellung – galten nach wie vor Wechseln, Bürgschaften, Zinsen. Letztlich wurde ihm dann sein „Sington“ vorgehalten.6 Mochten das auch Äußerlichkeiten sein, sie machten, wie die Unvereinbarkeit jüdischer und christlicher Feiertage und die Speisegewohnheiten, letztlich die jüdische „Insonderheit“ aus, wie dies der Aufklärer Johann Heinrich Schulz 1784 in dem Titel einer seiner Schriften bezeichnete. Er brachte dies auf eine neue Formel, indem er von der jüdischen Minderheit als dem „Staat im Staate“ sprach und sie wegen ihrer angeblichen Intoleranz von jeglicher Toleranz ausschloss.7 Gerade die Rezeption des französischen Gleichheitsgedankens durch Fichte 1793 führte zu einer gnadenlosen Polemik gegen den jüdischen „Staat im Staat“, der sich angeblich in einem ständigen Kriegszustand mit den übrigen europäischen Staaten befand. Obwohl von den Idealen der Französischen Revolution begeistert, immerhin verteidigte Fichte sie 1793 im Jahr der terreur, kämpfte er gegen deren Errungenschaft, nämlich die Verfassung 5
Johann Gottlieb Fichte: Beitrag zur Berichtigung der Urtheile des Publicums über die französische Revolution [Danzig]1793, in: ders.: Sämtliche Werke VI, Berlin 1844, S. 194. 6 Jacob Katz: Aus dem Ghetto in die bürgerliche Gesellschaft. Jüdische Emanzipation 1770-1870, Frankfurt/M. 1986, S. 94ff. (Hier auch die Zitate). 7 Ebd., S. 114.
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von 1791, die den Juden die vollen Bürgerrechte zugestand. Ihnen solle man im Sinne der Aufklärung die Menschenrechte, nicht aber die Bürgerrechte zuerkennen, denn ihre selbstgewählte Absonderung verhindere die Integration in eine Gesellschaft der Gleichen.8 Im Gegensatz zu Dohm und anderen Aufklärern geht nach Fichte diese Absonderung nicht von der Allgemeingesellschaft, sondern von der jüdischen Minderheit selbst aus. Sie bilde einen Staat, der „fester und gewaltiger“ sei als alle europäischen Staaten. Dieser jüdische Staat sei auf den Hass gegen das menschliche Geschlecht aufgebaut.9 Dieser Hass rühre aus der Vertreibung aus ihrem „schwärmerisch geliebten Vaterlande“ her, wofür sie alle europäischen Völker verantwortlich machten. Dies habe sie zu dem „jedes edle Gefühl tötenden Kleinhandel“ verdammt und sie zu ihrer selbst gewählten Absonderung von der Allgemeinheit geführt. Durch ihren fest gefügten „Staat im Staate“ aber seien sie in der Lage, bei Zuerkennung der Bürgerrechte alle „übrigen Bürger völlig unter die Füsse zu treten“. Fichtes Quintessenz, die er allerdings nicht im Haupttext seiner Abhandlung, sondern in einer Fußnote anbringt, gipfelt in dem von späteren Antisemiten immer wieder (genüsslich) zitierten Satz: „Aber ihnen Bürgerrechte zu geben, dazu sehe ich wenigstens keine Mittel als das, in einer Nacht ihnen alle Köpfe abzuschneiden und andere aufzusetzen, in denen auch nicht eine jüdische Idee sei. Um uns vor ihnen zu schützen, dazu sehe ich wieder kein anderes Mittel, als ihnen ihr gelobtes Land zu erobern und sie alle dahin zu schicken“.10 Es ist schwierig, aus Fichtes Ausführungen, die von ihm angeprangerte vermeintliche Gefährlichkeit des jüdischen Staates im Staat zu begründen. Die größte Gefahr liegt für ihn in der vermeintlichen Intoleranz des jüdischen Staates, sollte er im Staat Oberhand gewinnen. Für sich selbst lehnte Fichte jede Voreingenommenheit gegenüber Juden ab. Er sei nie von einem 8
Jan-Philipp Pomplun: Fichte, Johann Gottlieb. In: Handbuch des Antisemitismus. Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart. Hg. von Wolfgang Benz, Bd. 2/1 Personen, Berlin 2009, S. 229-231, S. 230. 9 Fichte, Beitrag (wie Anm. 5), S. 143. 10 Ebd.
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Juden betrogen worden, habe sie sogar, wie er schreibt, „mit eigener Gefahr und zu eigenem Nachteil in Schutz genommen“. Auch lehnte er es ab, dass Juden „um ihres Glaubens willen verfolg(t)“ werden sollen.11 Es ist die neue Form einer säkularisierten Judenfeindschaft, die Fichte hier vertritt, die nicht mehr in dem christlichen Glauben begründet liegt, sondern in einer kulturellen Fiktion des Judentums und den dadurch begründeten negativen Eigenschaften. Es ginge zu weit, aus Fichtes Schlussfolgerungen einen biologistischen oder rassistischen Antisemitismus zu konstruieren. Sobald allerdings um die Jahrhundertwende die Ideale der Aufklärung in Misskredit gerieten und einem romantischen Irrationalismus Platz machten, umso stärker wurde der Jude zum Antisymbol der angeblich christlichen Gesellschaft, was in zahlreichen Schriften nach 1800 seinen Ausdruck fand. Obwohl an diesen antijüdischen Pamphleten auch preußische Beamte beteiligt waren, setzte die preußische Regierung hier ein Haltzeichen und verbot 1803 antijüdische Schriften und Theaterstücke, da – so die Begründung – „deren einzige Tendenz dahin geht, die jüdische Nation in einem gehässigen Licht darzustellen und verächtlich zu machen, welches jedoch keineswegs gebilligt werden könne“.12 In parodistischer Manier hatte sich 1796 Jean Paul in seinem ‚Siebenkäs‘ dieser Problematik angenommen, in dem er von einer eventuellen „jüdische(n) Universalmonarchie“ spricht, in der es keine christlichen Kalender mehr geben werde und die Christen – wie jetzt die Shabbes-Gojim – ihre „edleren Heloten und Sklaven“ sein würden. Ihr „Handelsgeist“ werde zu einem „Schutzgeist für uns arme Christen“. Sie werden allerdings „gegen uns weit mehr Geist der Duldung beweisen, als wir sonst leider gegen sie gezeigt“. Fichtes Vorschlag der Auswanderung der Juden nach Palästina parodiert Jean Paul, indem er gleichsam den Spieß umdreht und ironisch davon spricht: „wenn die Juden endlich Deutsch11
Ebd. Stefi Jersch-Wenzel: Rechtslage und Emanzipation. In: Deutsche-Jüdische Geschichte in der Neuzeit. Zweiter Band: Emanzipation und Akkulturation 1780-1871, München 1996, S. 15-56, Zitat S. 30. 12
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land zu ihrem gelobten Lande erhoben und uns den Kreuz- und Rückzug in das asiatische (Land) zu einem heiligen Grabe und einem heiligen Schädelberg übrig gelassen haben“, so werden die Christen „als neue Kreuzzügler das Palästina wieder suchen, nach welchem die Juden selber so wenig fragen und jagen“.13 In dem Diskurs, den Dohm mit seinem Buch ausgelöst hatte, spielte allerdings die Diskussion um einen jüdischen Staat im Staate keine bedeutende Rolle. Eher die These vom „christlichen Staat“, der die Basis des modernen Staatswesens in Deutschland bilde. Diese Theorie begründete dann in den 1830er und 1840er Jahren den Vorbehalt gegen eine Gleichstellung der Juden im Staat. Diese These wurde in dem Diskurs um Dohms Vorschläge von dem lutherischen Prediger Schwager aus Bielefeld vorgebracht. In der Erwiderung auf alle Einwände, die Dohm in der zweiten Auflage seines Buches (1783) brachte, weist er diesen Vorbehalt zurück, dass sich nach seiner Auffassung die Gesellschaft in einem säkularen Staat konstituiere.14 Dieses Argument bildete 50 Jahre später in der sich hinschleppenden Emanzipationsdebatte die Basis des in dieser Diskussion wohl bedeutendsten jüdischen Vertreters, nämlich Gabriel Riesser. Dohms Zeitgenossen, die jüdischen Maskilim, brachten andere Argumente ins Spiel und leiteten daraus ihre Handlungsstrategien ab. Für die älteren Vertreter der jüdischen Aufklärung, der Haskalah, so Moses Mendelssohn, Moses Wessely oder den Regensburger Rabbiner Isaac Alexander, die in den 1790er Jahren schrieben, war die Isolation der jüdischen Minderheit durch die Allgemeingesellschaft bedingt. Nach ihrer Auffassung – und dieser folgten dann auch die späteren Maskilim – hatte diese Isolation die Rückständigkeit der jüdischen Kultur verursacht, die aber eine aufgeklärte jüdische Gesellschaft bald überwinden würde. Es kam den Anhängern der Haskalah darauf an, das Judentum als vernunftgemäße Religion herauszustellen, die mit den Wahrheiten der 13
Jean Paul: Siebenkäs. In: Jean Paul Werke in zwölf Bänden. Hg. von Norbert Miller, München-Wien 1975, S. 11-576, S. 206. 14 C. W. Dohm: Über die bürgerliche Verbesserung, 2. Auflage 1783, S. 49f.
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modernen Philosophie nicht in Widerspruch stand. Als Vernunftreligion bot nach ihrer Meinung das Judentum seinen Mitgliedern eine aufgeklärte moralische Basis. In seiner gereinigten Form schloss es die „Liebe zum Vaterland und die Nützlichkeit gegen den Staat“ nicht aus. Dieses Judentum als Vernunftreligion galt es gegen alle orthodox jüdischen Einsprüche zu verteidigen. Die Beibehaltung der Zeremonialgesetze war für sie nicht problematisch, da – wie der aufgeklärte Rabbiner Alexander betonte – „kein Nachteil für den Staat daraus erwächst“. Problematisch war für sie allerdings die Macht der orthodoxen Rabbiner in den Gemeinden, die Dohm in seiner Schrift nicht infrage gestellt hatte. Mendelssohn trat deshalb für einen losen Zusammenschluss der Juden ein. Doch entgegen seiner Auffassung waren die anderen Maskilim der Auffassung, dass der moralisch niedrige Stand im Judentum von den erniedrigenden Handelsgeschäften herrühre, was nur – wie es Dohm vorschlug – durch eine Anpassung an die allgemeine Berufs- und Sozialstruktur überwunden werden könne. Das hatte die Gründung zahlreicher Vereine zur Förderung der Handwerke unter den Juden zur Folge.15 Die jüngere Generation der Maskilim wie David Friedländer (17501834), ein einflussreicher Kaufmann in Berlin, sah das Verhältnis von Judentum und Vernunftreligion nicht so problemfrei wie die ältere Generation. Für die jüngere stand das Judentum als Vernunftreligion nicht mehr gleichrangig neben dem Christentum; dafür war es durch seine orientalischen Zeremonialgesetze sehr entstellt. Das Judentum befand sich für sie in einer ernsten Identitätskrise. Für Friedländer führte dies zu dem seltsamen Vorschlag, die Juden sollten der protestantischen Kirche beitreten, dabei aber nicht die christlichen Dogmen anerkennen, sondern die protestantische Religion als Vernunftreligion praktizieren. Selbst die aufgeklärten protestantischen Theologen lehnten dies natürlich ab.16 Stattdessen schlug Friedrich Schleiermacher, für den das zeitgenössische Judentum eine tote Religion und „unverwesliche Mumie“ war, vor, eine 15 16
Herzig, Assimilationsproblem (wie Anm. 4), S. 11ff. Katz, S. 131ff.
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jüdische Reformsekte zu gründen, die die traditionellen Praktiken und Lehren, so die Erwartung eines künftigen Messias, aufgeben sollte. Es war allerdings nicht der rationalistische Protestantismus, sondern der durch Schleiermacher begründete emotionale Protestantismus (Reden über Religion), der zahlreiche Juden aus dem Bürgertum zur Konversion verleitete. Auch wenn hier nicht von einer Taufepidemie die Rede sein kann, so waren es nach Schätzungen von Friedländer in Berlin 50 der ungefähr 405 jüdischen Familien, die diesen Schritt taten. Ähnliche Zahlen können auch für Breslau und Königsberg angenommen werden.17 Ansätze zur Überwindung dieser Identitätskrise kamen aus dem Judentum selbst, nachdem den meisten städtischen Gemeinden die jüngeren Mitglieder nicht durch Konversion, sondern durch Desinteresse verloren gingen. Dieser Entfremdung versuchte eine progressive Avantgarde durch eine Reform des Gottesdienstes entgegenzutreten. 1810 hatte der Braunschweiger Hoffaktor und spätere Präsident des jüdischen Konsistoriums in Kassel, Israel Jacobsohn, in seiner jüdischen Reformschule in dem Harzstädtchen Seesen eine Reform des jüdischen Gottesdienstes mit Verkürzung der Lesungen, Einführung der deutschen Predigt und des Choralgesangs mit Orgelbegleitung eingeführt. Dies nahm in Hamburg 1817 der dort gegründete Tempelverein auf und wurde somit zum Vorreiter einer großen Zahl von Synagogengemeinden, die mit ihrem Ritus modernen ästhetischen Ansprüchen und einer Emotionalisierung der Gemeindemitglieder genügen wollten. So entstanden die liberalen jüdischen Gemeinden. Die orthodoxe Richtung lebte vor allem in Landgemeinden fort, doch auch sie erlebten durch die so genannte Neoorthodoxie im Lauf des 19. Jahrhunderts eine Reform.18 Neben der religiösen Reformbewegung war es eine säkulare, die eine Akkulturation des Judentums im Bürgertum bewirkte. 1819 entstand in Berlin unter der Ägide des bekannten Juristen Eduard Gans ein Verein für Cultur und Wis17
Matthias Blum: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst. In: Handbuch des Antisemitismus, Bd. 2/2, S. 733-735. 18 Arno Herzig: Jüdische Geschichte in Deutschland. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 2002, S. 161ff.
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senschaft der Juden, dem sich vor allem jüdische Intellektuelle anschlossen. Gemäß seines Programms sollten die Juden durch einen „von innen heraus sich entwickelnden Bildungsgang mit dem Zeitalter und den Staaten, in denen sie leben, in Harmonie gebracht werden“. Diese Akkulturation bedeutete für die Vereinsmitglieder keineswegs die Preisgabe jüdischer Kultur, im Gegenteil: Sie betonten deren Bedeutung für die europäische Kultur. Deshalb sammelten und publizierten sie hebräische Kulturgüter. Wenn dieser Verein, dem kurzfristig auch Heinrich Heine angehörte, nach kurzer Zeit scheiterte, so geht auf ihn die Gründung der jüdischen Wissenschaft zurück, die heute an zahlreichen Universitäten vertreten wird.19 Damals weigerten sich allerdings die deutschen Universitäten, Professuren für Judaica-Wissenschaften einzurichten. Einen gewissen Ersatz bot das von dem Breslauer Kommerzienrat Josef Fraenkel 1854 gestiftete jüdisch-theologische Seminar in Breslau, das zum Vorbild weiterer Gründungen, vor allem in den USA wurde. Die ehemaligen Mitglieder des Vereins setzten sich in der Folgezeit für die Ausbildung jüdischer Lehrer ein, die in den jüdischen Schulen Schülern und Schülerinnen neben der religiösen Bildung auch allgemeinbildende Fächer vermittelten. Als hervorragendes Beispiel sei hier der jüdische Münsteraner Arzt Alexander Haindorf (1782-1863) angeführt, der sich in Heidelberg 1811 habilitiert hatte und 1818 als Professor (dieser Titel wurde ihm allerdings nur indirekt zugestanden) an der Münsteraner medizinischen Lehranstalt lehrte. Er gründete in Münster ein Lehrerseminar für jüdische Studierende. Die Lehrerausbildung war für ihn ein wichtiger Indikator für den Erfolg der kulturellen Integrationsleistung. Als ehemaliges (externes) Mitglied des Kulturvereins kommt er 1827 in einem Brief an den westfälischen Oberpräsidenten Ludwig von Vincke zu der 19
Arno Herzig: Immanuel Wohlwill (1799-1847). Protagonist der jüdischen Reform und Akkulturation. In: Der Jacobstempel. Die Synagoge der Jacobson-Schule in Seesen, Seesen 2010, S. 112-127; Ismar Schorsch: Das erste Jahrhundert der Wissenschaft des Judentums (1818-1918). In: Michael Brenner; Stefan Rohrbacher (Hg.): Wissenschaft vom Judentum. Annäherungen nach dem Holocaust, Göttingen 2000, S. 11-24, S. 12ff.
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Schlussfolgerung: „Die Zeit hat bei den Juden innerhalb von 30 Jahren Wunder getan, und ich lebe in der festen Überzeugung, dass auf dem bequemen Weg der Bildung endlich das Ziel der Amalgamierung und Veredelung erreicht wird“.20 Ein Handikap für das jüdische Schulwesen bestand allerding darin, dass diese Lehrer nicht vom Staat, sondern von den jüdischen Gemeinden bezahlt werden mussten, was wegen der zu geringen Besoldung zu häufigem Lehrerwechsel führte. Viele jüdische Kinder wechselten zudem seit den 1840er Jahren auf die Gymnasien über, so dass neben dem Wirtschaftsbürgertum im 19. Jahrhundert auch ein jüdisches Bildungsbürgertum entstand, aus dem nicht nur bedeutende Wissenschaftler, sondern auch zahlreiche Künstler und Literaten hervorgingen. Die akkulturativen Bemühungen, die von der jüdischen Minderheit ausgingen und die die Behauptung vom jüdischen Staat im Staat konterkarierten, wurden von der Allgemeingesellschaft eher behindert als befördert. Diese Bemühungen wurden immer wieder infrage gestellt mit dem Verweis auf die noch nicht erfolgte Anpassung an die Berufsstruktur. Zu Recht waren die Juden nicht von ihren Handelsberufen abgerückt, sondern hatten diese in dem nun beginnenden kapitalistischen Zeitalter beibehalten. Allerdings waren sie weitgehend keine Hausierer mehr, sondern hatten sich in den Städten als Geschäftsleute etabliert. Die Vorwürfe der Allgemeingesellschaft entpuppten sich deshalb als recht scheinheilig. Es waren nicht die Juden, die – wie Fichte behauptete – eine selbst gewählte Absonderung betrieben, sondern es war die Allgemeingesellschaft, die mit ihrer Ideologie vom christlichen Staat und der Forderung nach Anpassung an eine überholte Sozialstruktur nicht in der Lage war, die jüdische Minderheit zu integrieren. Es dauerte in Deutsch-
20
Andreas Brämer: Leistung und Gegenleistung. Zur Geschichte jüdischer Religionsund Elementarlehrer in Preußen 1823/24 bis 1872, Göttingen 2006, S. 177ff.; Haindorfs Brief an den Oberpräsidenten Ludwig von Vincke. In: Forum Vormärz Forschung, Jahrbuch 1998: Juden und jüdische Kultur im Vormärz, Bielefeld 1999, S. 67f.
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land 90 Jahre, von Dohms Schrift von 1781 bis zu dem Reichsgesetz von 1871, bis die Juden ihre bürgerliche Gleichstellung erhielten. Es war der Hamburger jüdische Jurist Gabriel Riesser, der diese Vorbehalte zurückwies, indem er als einer der ersten den säkularen Staat in Deutschland forderte, in dem alle Religionen und Konfessionen gleichberechtigt nebeneinander leben sollten und keiner durch den Staat aufgrund seiner Religionszugehörigkeit bevorteilt oder benachteiligt werden dürfe. In seiner Auseinandersetzung mit dem liberalen protestantischen Theologen Heinrich Eberhard Paulus betont Riesser, wie schon in den Jahren davor, dass sich die Judenheit in Deutschland nicht als eine Nation, sondern als Religion verstehe, dass die Juden deshalb keine Fremden, sondern Deutsche seien. Die Intoleranz liege nicht auf jüdischer, sondern auf christlicher Seite, wie die Scheiterhaufen und die Ströme vergossenen Blutes der Vergangenheit bezeugen. Die jüdische Religion fasst er allerdings nicht nur als Glaubensrichtung auf, sondern als eine Kulturgemeinschaft, die gleichberechtigt neben der protestantischen Kulturgemeinschaft steht. Mit dieser These von der Kulturgemeinschaft widerlegte er auch die These vom christlichen Staat, da für ihn die katholische und die evangelische Kulturgemeinschaft durchaus nicht identisch waren.21 Wenn auch 1848 Juden in das Paulskirchenparlament gewählt worden waren, so waren die gesellschaftlichen Vorbehalte ihnen gegenüber keineswegs ausgeräumt, da ihre Vertreter weiterhin die Juden von der Gleichberechtigung ausschließen wollten, indem sie ihnen die vollen Bürgerrechte verweigerten. Es gelang Riesser im Paulskirchenparlament alle Sonderrechte, die für Juden gefordert wurden, zurückzuweisen und für die Juden die gleichberechtigte Bürgerschaft zu fordern. Es dauerte allerdings noch 20 Jahre, bis 1871 diese Forderung politisch für das Deutsche Reich durchgesetzt wurde. Der Stadtstaat Hamburg war der erste, in dem die Konfessionen
21
Arno Herzig: Gabriel Riesser, Hamburg 2008, S. 55ff.
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gleichgestellt wurden und Riesser 1860 zum ersten jüdischen Richter in Deutschland ernannt wurde.22 Doch ein Dialog zwischen Judentum und Christentum auf Augenhöhe war damit noch nicht erreicht. Dieser setzte erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein mit der Auseinandersetzung zwischen dem bekannten protestantischen Theologen Adolf von Harnack und dem damals noch unbekannten Oppelner Rabbiner Leo Baeck. Nach Baeck stellte sich für Judentum und Christentum die Aufgabe, „eine Korrelation zwischen Religion und Humanität als Endprodukt menschlicher Entwicklung herzustellen“.23 Der Dialog als Angebot wurde fortgesetzt von Martin Buber und Franz Rosenzweig, aber in Deutschland zunächst von christlicher Seite nur vereinzelt aufgenommen.24 Erst das furchtbare Erlebnis der Shoa, aber auch jetzt noch mit Verzögerung, führte auf christlicher Seite zur Erkenntnis, dass beide, Judentum und Christentum zum Heile führen. Literatur Blum, Matthias: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst. In: Handbuch des Antisemitismus, Bd. 2/2, S. 733-735. Brämer, Andreas: Leistung und Gegenleistung. Zur Geschichte jüdischer Religions- und Elementarlehrer in Preußen 1823/24 bis 1872, Göttingen 2006. Dohm, C. W.: Über die bürgerliche Verbesserung, 2. Auflage 1783. Dohm, Christian Wilhelm: Über die bürgerliche Verbesserung der Juden, 2 Teile in einem Band (1781/1783), ND Hildesheim und New York 1973. 22
Ebd., S. 154. Walter Homolka: Leo Baeck und Adolf von Harnack. Zwei liberale Theologen, ein fiktiver Dialog. In: Kortzfleisch; Grünberg; Schramm (Hg.): Wende-Zeit (wie Anm. 1), S. 189-217, S. 213ff; Herzig, Jüdische Geschichte (wie Anm. 23). 24 Christian Wiese: Dialogical Turn? Pluralitäts- und Dialogkonzepte in der jüdischen Religionsphilosophie des 19. und 20. Jahrhunderts. In: Josef Hainz (Hg.): Martin Buber und seine christlichen Gesprächspartner Ernst Michel, Hans Trüb und Joseph Wittig, Eppenhain 2017, S. 34-76. 23
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Fichte, Johann Gottlieb: Beitrag zur Berichtigung der Urtheile des Publicums über die französische Revolution [Danzig]1793, in: ders.: Sämtliche Werke VI, Berlin 1844. Goldmann-Oppeln, Felix: Religiöser und politischer Liberalismus. In: Liberales Judentum. Monatsschrift für die religiösen Interessen des Judentums 4 (1919), S. 61-64, S. 77-81, S. 112-115. Haindorfs Brief an den Oberpräsidenten Ludwig von Vincke. In: Forum Vormärz Forschung, Jahrbuch 1998: Juden und jüdische Kultur im Vormärz, Bielefeld 1999, S. 67f. Herzig, Arno: Das Assimilationsproblem aus jüdischer Sicht (17801880), in: Conditio Judaica. Judentum, Antisemitismus und deutschsprachige Literatur vom 18. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg, 1. Teil, hg. von H. O. Horch und H. Denkler, Tübingen 1988, S. 10-28. Herzig, Arno: Gabriel Riesser, Hamburg 2008. Herzig, Arno: Immanuel Wohlwill (1799-1847). Protagonist der jüdischen Reform und Akkulturation. In: Der Jacobstempel. Die Synagoge der Jacobson-Schule in Seesen, Seesen 2010, S. 112-127; Ismar Schorsch: Das erste Jahrhundert der Wissenschaft des Judentums (1818-1918). In: Michael Brenner; Stefan Rohrbacher (Hg.): Wissenschaft vom Judentum. Annäherungen nach dem Holocaust, Göttingen 2000, S. 11-24. Herzig, Arno: Jüdische Geschichte in Deutschland. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 2002. Jersch-Wenzel, Stefi: Rechtslage und Emanzipation. In: DeutscheJüdische Geschichte in der Neuzeit. Zweiter Band: Emanzipation und Akkulturation 1780-1871, München 1996, S. 15-56. Katz, Jacob: Aus dem Ghetto in die bürgerliche Gesellschaft. Jüdische Emanzipation 1770-1870, Frankfurt/M. 1986 Langewiesche, Dieter: Bildungsliberalismus und deutsches Judentum. Historische Reflexionen auf den Spuren von George L. Mosse.
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In: Medaon. Magazin für jüdisches Leben in Forschung und Bildung 12 (2018), S. 1-15. Meir, Ephraim: Innerjüdische Debatten über den Dialog. Hintergründe des Dokuments Dabru emet. In: Siegfried von Kortzfleisch; Wolfgang Grünberg; Tim Schramm (Hg.): Wende-Zeit im Verhältnis von Juden und Christen, Berlin 2009, S. 283-306. Paul, Jean: Siebenkäs. In: Jean Paul Werke in zwölf Bänden. Hg. von Norbert Miller, München-Wien 1975, S. 11-576. Pomplun, Jan-Philipp: Fichte, Johann Gottlieb. In: Handbuch des Antisemitismus. Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart. Hg. von Wolfgang Benz, Bd. 2/1 Personen, Berlin 2009, S. 229-231.
Dr. Arno Herzig ist Professor em. für Geschichte der Frühen Neuzeit am Historischen Seminar der Universität Hamburg.
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Martin Buber's 'Religious Humanism': 'Hebrew Humanism' as a Call to Ethical Zionism Hanoch Ben-Pazi To my Rabbi and Teacher, Professor Ephraim Meir Upon Reaching his Seventieth Birthday To the one who taught me the command to persevere and to be a "Man" ("Mensch") Committed to ethics and to the Other In the world of Academia as well In many ways, I think it would be possible to consider of the lifework of Ephraim Meir exactly in this context, that of religious humanism and of personal and professional commitment to the two fundamental elements which comprise it. Frequently, the confrontation between these two realms is described as one that requires balance and establishing a bridge between them. However, Ephraim Meir's intellectual approach chose to follow a totally opposite path, and regard the Jewish religious worldview and the interreligious worldview, respectively, as basic principles of humanism and humanistic responsibility. I have been privileged to be his student and I thank him for all that he has given me, for there is little that the written word can add to my appreciation, to my esteem and thanks for all that I learned and continue to learn from him, as a man, as a teacher, and as a philosopher. Among all his books, there is one which contains more personal content, in my view, and that is the book "Old-New Jewish Humanism." Ephraim conducts a complex interpretative discussion with Jewish tradition as well as with other religious traditions, about the significance of humanism, and the significance of religion's ethical and humanistic responsibil-
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ity. Despite the intellectual distance of the writer, it is possible to discern Ephraim's personal and biographical imprint, through his style and his writing. One of the most personal descriptions of Ephraim appears as the picture on the cover page of his book. It is a depiction of the biblical scene of Ruth cleaving to Naomi and declaring to her: "Your people are my people and Your God is my God." Who is Ruth in the picture and who is Naomi? On one level the answer is quite simple; this is the Judaism by choice of the book's author. However, that cannot suffice, and we must add another horizon. This picture reflects not only Jewish life, but also the continued choice of saying: "yes, here I am". This is the religious and ethical call that Ephraim Meir calls us, not to accept the obvious, as if it were self-evident. We have to continue to redesign our identity, even if there is something old about it, there is something new, always new. At one of our earliest meetings Buber said to me. 'I would like to convert you to Judaism'. I was startled by this and mumbled, 'I don't know what you mean'. Buber smiled and said, 'When I say Judaism I mean the kind of Judaism I believe in, which I call Hebrew Humanism'.25
“For if I should characterize my own basic view by a concept, it can only be… the concept of a believing humanism”.26 It is with these words that Buber described himself in 1963, some two years prior to his death, upon receiving the Erasmus Prize in Amsterdam. By his own profession, the one concept capable of describing his worldview articulates a profound and inner connection between humanism and faith.” “A Believing Humanism” was for Buber a single concept that in essence combines two principles – one oriented to the human and one oriented to the divine. In this speech, Buber brings full circle a course of creative endeavor lasting more than sixty years, since he first named it “Biblical human25
Aubry Hodes, Encounter with Martin Buber, (London: The Penguin Press 1972), 82 َّBuber, Martin, A Believing Humanism: Gleanings, trans.: Maurice Friedman, (New York: Simon and Schuster 1967), 117 26
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ism”, a concept that became elucidated gradually, until “A Believing Humanism” came to signify Buber’s self-declared spiritual identity. The hybrid term “Biblical humanism” was one of Martin Buber’s unique and early linguistic creations. It appeared as the combination of two different and separate concepts, but in a manner that ascribes to the Bible an internal relation to humanism, and possibly also conversely, ascribes to humanism an internal relation to the Bible.27 What makes the hybridizing of these two terms into a single concept distinctive is the attitude which Buber held toward it: one of esteem and reverence. More precisely, one might say that “Biblical humanism” was not meant to describe a finished fact, but rather to depict a purpose toward which education and culture ought to be oriented. The term “Biblical humanism” can be grouped with a number of related locutions that Buber employed in his later development: “Jewish humanism”, “Hebrew humanism”, and “a believing humanism”. These terms and similar ones constitute a central backbone of Martin Buber’s work, and create a firm inner connection between humanistic thought and culture, and the world of Judaism. Tracing this series of concepts allows us to observe a philosophical, scholarly, and cultural course of development, rooted in the defining of a cultural goal of “Jewish Renaissance”, a call for Jewish renewal and revival, which, he hoped, would become the spiritual-cultural quest of the 27
َّMy discussion addresses both directions of movement: from the Bible to humanism, and from humanism to the Bible. The literature on Buber and his philosophy is voluminous, and it would be impossible to thoroughly reference even a small part of it, but I still wish to mention here a number of important works, which in a profound sense also trace the process of Buber’s philosophical development: Diamond, Martin Buber, Jewish Existentialist, (New York: Oxford University Press 1960) ; Maurice S. Friedman, Martin Buber: The Life of Dialogue, (London: Routledge and Kegan Paul 1955) ; Maurice S. Friedman, Martin Buber and the Eternal, (New York: Human science Press 1986) ; Grete Schaeder, The Hebrew Humanism of Martin Buber, trans.: Noah J. Jacobs, (Detroit: Wayne State University Press, 1973) ; Alexander Even-Chen and Ephraim Meir, Between Heschel and Buber: A Comparative Study, (Brighton: Academic Studies Press, 2011) ; Paul Mendes Flohr, From Mysticism to Dialogue: Martin Buber's Transformation of German Social Thought, (Detroit: Wayne State Univ Pr; 1989).
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Zionist movement.28 Setting this goal clarified even for Buber himself the importance of forging a cultural connection to the Bible, and the moral and human commitment to the manner in which this relationship should be forged. The current article aims to examine the Zionist context of the Jewish Renaissance, in which the concepts of “Biblical humanism” and “Hebrew humanism” arose, the way in which Buber chose to shape them and give them substance, but no less importantly, also to demonstrate the way in which these concepts affected Buber’s own path. This study reveals the adumbrations of Buber’s pattern of thought even before he named it ‘Biblical humanism”, thus allowing us to understand the programmatic dimension that characterized it from the start. This in turn, allows us to discern the way in which it was meant to guide thought, creativity, and praxis, an orientation more precisely expressed when he came to call it “Hebrew humanism”. The importance of the notions of “Biblical humanism” and “Hebrew humanism” is not that they attempt to produce a compromise or to bridge two worlds: humanism and bible or humanism and Judaism, but rather that they consist of a meditation are a contemplation of “Jewish humanism” (which may also by “humanistic Judaism”) as a living organic creation. According to this account, Buber’s intention in these conceptualization processes was not meant to define and limit, to point to an ideal, or describe a reality. His goal was 28
َّ Two of Buber’s articles at this time were devoted to this idea: Martin Buber, "Jüdische Renaissance", Ost und West I (1901), 1 ; Martin Buber, "Jüdische Wissenschaft", Die Welt V 41/43; 11/25 X (1901). Buber wished to define the role of Jewish renewal, and at the same time, seeks to understand the meaning and role of Jewish studies – this too, in the context of the hoped-for Renaissance. The present article does not address another important question which is closely related to the discussion presented here; Buber’s attitude toward the renewal of Jewish art. Buber gave a speech at the 5th Zionist Congress on this topic, wrote about it, and his statements on the topic are part of the ethos of the art school “Bezalel’. See: Avner Holzman, Melekhet Mahshevet – Tehiyat Ha-Uma: Ha-Sifrut ha-‘ivrit le-nokhah haomanut ha-plastit (Tel Aviv-Haifa: Haifa University Press and Zmora-Bitan, 1998/9), 19-31; Gidon Ofrat, “Ha-hazon shel ‘Bezalel’ 1906-1929”, Gidon Ofrat, “Bezalel bein ha-Zionismim” Al-Ha-aretz 1 (Tel Aviv: Yaron Golan, 1993), 73-88;
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to create an enabling “concept”, as a fertilizing notion, which guides to thought, creativity, and praxis.29َّThe importance of cultural creativity in the formation of this concept, was in Buber’s eyes a definition of the essence of the Zionist idea, or what the goal of Zionism ought to be. The current article’s structure follows the chronological development of this idea in Buber’s writings, thereby also paying attention to historical, social, and political contexts in which the various essays Buber devoted to this notion were conceived of, shaped, and written. It should be added within the proposed context – as concepts intended to orient and guide the public – that Buber’s appeals to create a “Biblical humanism” or “Hebrew humanism”, particularly within a Zionist context, made considerable waves. Some of the most important Zionist thinkers invoked this concept, and each in his own way, availed himself of Buber’s idea in order to invest a variety of meanings in the possibilities of integrating humanism and Judaism. In a text devoted to Buber, and his multifaceted education projects, Baruch Kurzweil called him “the great teacher: “For Buber is the teacher of this generation and the teacher of humanity in the most comprehensive sense of the term”.30 Even if Buber had many disciples, who received their respective portions and then were disappointed, says Kurzweil, the fact of the matter is that they were disappointed in themselves. In the end, they were destined 29
َّOn the important of distinguishing between an idea, an ideal, and ideology, within an educational context, see Akiva Ernst Simon “Ide’alim u-matarot ba-hinukh”, HaZekhut Lehanekh – Ha-hova le-hanekh (Tel Aviv: Sifriyat Ha-Poalim, 1983), 55-81; see also the positioning of the idea of “Jewish humanism” as part of Buber’s educational teaching, in Adir Cohen, Mishnato ha-hinukhit shel Martin Buber, (Herzliya: Yahdav 1976), 167-190; Eugene B. Borowitz, "Humanism and Religious Belief in Martin Buber", Thought: Fordham University Quarterly 53 (1978), 320 – 328 ; Grete Schaeder, The Hebrew Humanism of Martin Buber, Detroit: Wayne state University 1973 ; Peter M. Collins, "Philosophy and 'Alternative Humanistic Education", Journal of Thought 15 (1980), 47 – 62 ; Bernard Grasser, "L'humanisme biblique des 'Pensées' de Pascal", Science et Esprit: Revue de philosophie et de théologie 58 (2006), 251 – 264. 30 َّBaruch Kurzweil, Le-nokhah ha-mevukha ha-ruhanit shel doreinu (Ramat Gan: Yad Kurzweil – Bar Ilan University 1976), 64.
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to find their way back to Buber, for it was he who opened the way to them: “Distancing themselves from Buber the teacher and educator was part of their development. But those who were not contented with this phase of their development, either found or would find the way back to their great teacher. At that point they would no longer ask of him the impossible, or what he never had promised them.”31 In a certain sense, the current article also offers a response to Kurzweil’s comments, for it may be the case that those disciples who were disappointed in Buber had expected from him a “full answer”, a “theory”, while he had intended to outline a path, to structure an educational and cultural program for an entire generation.32 The chief effort in this article is therefore devoted to elaborating and describing the development and increasing sophistication of the concepts of “Biblical humanism” and “Hebrew humanism” in Buber’s writings. It appears that this philosophical process holds the key to understanding Buber’s research path in respect to a variety of other issues. I do not intend, within the limits of this article, to address the question of the impact of this concept on other thinkers.33 For methodological rea31
َّBaruch Kurzweil, Le-nokhah ha-mevukha ha-ruhanit shel doreinu, 64. َّIn a rejoinder to an article critiquing him, Buber writes that he has no method, and this is consistent with the description of the path he wishes to outline, as against a theory he may have wished to present. Martin Buber, "Replies to My Critics", The Philosophy of Martin Buber, eds.: Paul Arthur Schlipp & Maurice S. Friedman (La Salle, Ill.: Open Court, 1967), 692. Cf, Yohai Eden, “Emet le-lo shita: iyyunim be-mishnato ha-yehudit shel Martin Buber”, Akdamot 2 (1996/7), 33-50. 33 َّAlthough the discussion of Buber’s impact on other thinkers is beyond the scope of this article, I wish to draw attention to a number of articles that ask questions about the meaning of Jewish humanism in our times: Richard A. Cohen, "Biblical Humanism and Its Relevance to the Humanities", Phenomenological Inquiry: A Review of Philosophical Ideas and Trends 24 (2000), 27 – 38 ; Peter M. Collins, "Philosophy and 'Alternative Humanistic Education", Journal of Thought 15 (1980), 47 – 62 ; Paul MendesFlohr, "A Post-Modern Humanism from the Sources of Judaism", Revista Portuguesa de Filosofia, 62 (2006), 369 – 377 ; Nathaniel Lehrman, "Prophetic Jewish humanism: Historic, Worship-Based, Nonsupernatural", Religious Humanism 20 (1986), 114 – 120 ; Maxine Negri, "In support of Humanism", Humanist: A Magazine of Critical Inquiry and Social Concern 44 (1984), 27 – 28 ; Peter M. Collins, "Philosophy and 'Alternative Humanistic Education", Journal of Thought 15 (1980), 47 – 62. 32
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sons, I wish to trace the development of the concept through a number of key essays, which I shall present chronologically. It is precisely by tracing through Buber’s different articles that we can discover how Buber’s concept of “Biblical humanism” achieves increasing clarity in his own writings, and eventually how this concept becomes Buber’s manner of defining and identifying himself as a “believing humanist”. This discussion sheds further light on the importance and meaning of Buber’s engagement with the Bible and the dialogical mode of reading he proposed for studying the Bible. Between Judaism and Humanism Although humanism can be described as a cultural and philosophical movement dating to the Renaissance, and although Jewish philosophy’s reactions to humanism can already be described in the sixteenth and seventeenth century, it would only be fair to argue that the Jewish Enlightenment period (Haskalah) instigated a significant change in understanding the uniqueness of the humanist challenge to religious thought in general and to Jewish thought in particular. Since the time of the Enlightenment, the question of the relationship between Judaism and humanism became one of the greatest challenges faced by Jewish philosophy.34 34
َّMuch has been written about the characteristics of modern Judaism, inasmuch as it has taken shape and develops within the context of and in confronting the ethical challenge of humanism. The books of Eliezer Shweid open a door to studying the relations between humanism and Judaism in Europe, in respect to numerous challenges, and in different philosophical guises: Eliezer Shweid, A History of Modern Jewish Religious Philosophy, 2-3 (Tel Aviv: Shechter Institute – ‘Am ‘Oved, 2002-2005) provides a number of entries for reviewing this development in Central Europe, vis-à-vis the challenge of humanism, vis-à-vis the crisis of humanism, and even vis-à-vis an appeal to return to humanism. The following references are mere illustrations of the many studies devoted to this topic, some deriving from a religious commitments, and some from a humanistic commitment: Gedaliahu A. G. Stroumsa, "Hebrew Humanism Revisited : Jewish Studies and Humanistic Education in Israel", Jewish Studies Quarterly 3 (1996), 123 – 135 ; Stephen Jack Whitfield, The 'Bourgeois Humanism' of American Jews", Judaism 29 (1980), 153 – 166 ; Shemaryahu Talmon, " The Bible in Contemporary Israeli Humanism", Judaism 21 (1972), 79 – 83 ; Aharon Lichtenstein, " 'Mah Enosh': Reflections on the Relation between Judaism and Humanism", Torah u-Madda
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This question appeared on the stage of Jewish thought in Europe’s important centers, which emerged within the French cultural domain after the French Revolution, and those that were under the influence of the German Haskalah in the large cultural centers, such as Berlin, Vienna, and Prague. On the intellectual plane, humanism demanded from human beings the audacity to think and acquire knowledge, and gave them critical and rational tools for thinking; in contrast, Judaism appeared to preserve traditional and naïve thought patterns, unsubstantiated beliefs, and folkloric rules of conduct. On the cultural plane, humanism broke open boundaries, expanded and enriched thought, art, and creativity, in ways that provoked jealousy and enticed Jews, arousing an uncomfortable sense regarding Judaism’s limited boundaries.35 On the political plane, humanism posited new civic modes of conducting daily life and upholding the social contract, for which Jews were hard pressed to find a parallel or alternative that could be called “Judaism”.36 Above all, perhaps, humanism presented a new challenge of “redemption”, for the universal horizon of personal and redemption and redemption of humanity overshadowed even the messianic horizon that Judaism could offer.37 Each of this planes is worthy and deserving of a broad discussion in its own Journal 14 (2006-2007), 1 – 61 ; Jacobus Schoneveld, "New Meaning in the Ancient Sources", Studies in Jewish Education 5 (1990), 48 – 61 ; Paul R. Mendes-Flohr, " The Politics of Covenantal Responsibility : Martin Buber and Hebrew Humanism", Orim 3 (1988), 7 – 21 ; 35 َّSee the expansive discussion by Jacob Katz, Tradition and Crisis: Jewish Society at the End of the Middle Ages, trans.: Bernard D. Cooperman, Syracuse: Syracuse University Press 2000 36 َّSee the anthology of articles on modern Judaism and historical consciousness, whose first part contains many articles that pertain directly to the religious ideological meanings of the political and social change: Consciousness: Identities, Encounters, Perspectives, eds.: Andreas Gotzmann and Christian Wiese, (Leiden: Brill 2007); Andreas Gutzmann, Eigenheit und Einheit: Modernisierungsdiskurse des deutschen Judentums der Emanzipationszeit, (Leiden: Brill 2002) ; Paths of Emancipation: Jews, States, and Citizenship, eds.: Pierre Birnbaum, Ira Katznelson, (Princeton, N.J.: Princeton University Press 1995). 37 َّ See Emmanuel Levinas, Difficult Freedom: Essays on Judaism, trans.: S. Hand, (Baltimore: Johns Hopkins University Press 1990), 58 – 78.
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right. For our current purposes, understanding that at stake were two different systems of value and consciousness, standing side by side and sometimes competing with each other, explicates the need to describe the possible relationships between Judaism and humanism. In order to clarify the tension between these two systems, the following series of question may be formulated in somewhat simplistic terms: Can a person both be a humanist and adhere to his Judaism? Can a person be humane and adhere to his Judaism? Can Judaism be humanistic? Does Judaism have anything to say to a humanist person and a humanist mankind? How can a proper relationship between humanism and Judaism be cultivated? Thinking of Judaism in Humanistic terms I wish to clarify that the very possibility of thinking about Judaism in humanistic terms, or about humanism in Jewish terms, is not an innovation of Buber’s, and it may be one of the most fascinating products of Jewish thought in central Europe in the nineteenth century and beginning of the twentieth century. In a certain sense, this was the plainest and most self-evident meaning of the Emancipation and the Jewish Haskalah movement. Some of the figures who played a central part in the development of Judaism in central Europe epitomize these ideas, e.g. Moses Mendelsohn,38 Maurice Lazarus,39 Hermann Cohen,40 and Leo Baeck.41 38
َّMuch has been written about the importance of Moses Mendelsohn and his role in this development, see, e.g. Alexander Altmann, Moses Mendelsshon, (University of Alabama Press, 1973; Moshe Pel’i, Moshe Mendelssohn: Be-kavlei Massoret (Tel Aviv: Alef, 1972); Tsemah Tsamarion (?), Moshe Mendelsshon ve-ha-ideologia shel ha-haskala (Tel Aviv: Mif’alim Universitaim, 1985); Shweid, Toldot Filosofiat ha-dat ha-yehudit ba-zman ha-hadash 1, 69-81; Shmuel Feiner, Moshe Mendelsshon (Jerusalem: Merkaz Shazar 2006). 39 َّ The role of Moritz Lazarus in respect to this issue is deserving of more extensive discussion and research, because of the unjustified neglect of him in histories of the development of Jewish thought. His book on Jewish ethics is exemplary in this respect, Moritz Lazarus, Ethik des Judenthums, Frankfurt aM, 1898-1911; see Eliezer Shweid, Toldot Filosofiat ha-Dat ha-Yehudit ba-Zman ha-Hadash 3, I 103-114; Julius Gutman, Ha-Filosofiya shel Ha-Yahadut (Jerusalem: Mosad Bialik, 1951), 314 - 316; Natan
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Systematic inquiry into these thinkers’ writing reveals their profound commitment to universalism, Enlightenment, and humanistic values. Each in his own way also gave shape to the complex relationship between his Jewish and humanistic world. And yet, an enquirer must ask to what extent are elements of Jewish humanism given expression in their writings? In other words, it seems that all of them – to a greater or lesser extent – accepted the values of humanism in the Maskilic European sense, and simultaneously upheld their commitments to Judaism and to Jewish tradition; their work included, among other things, an attempt to mediate and balance these two different worlds. But did they attempt to create a new concept of humanism and a new concept of Judaism which would answer to the definition of “Hebrew humanism”? Some have argued that the works of Lazarus and Baeck indicate the option of regarding humanism as the fitting contemporary expression of Judaism in modern times. Others have argued that they too wished to identify Judaism’s particular contribution to humanism, in the modern sense of the word. As for Cohen, it appears that more than others, he succeeded in
Rotenstreich, Ha-Mahshava ha-yehudit ba-‘et ha-hadasha, (Tel Aviv: Am Oved, 1950), 45 - 54. 40 َّMost of Hermann Cohen’s important work on this topic is found in his later studies, devoted to the issue of religion and Jewish religion, e.g. Hermann Ezekiel Cohen, Iyyunim ba-Yahadut u-bi-Ve’ayot ha-Dor, Trans. Zvi Vislawsky (Jerusalem: Mosad Bialik, 1975). Many will justly claim that in his important philosophical works devoted to ethics and aesthetics one can discern the importance of the Jewish element, as is evinced by his references to Biblical literature or to religious literature in his philosophical writing. For Hermann Cohen generally, and the discussion of humanism, see, .e.g Eliezer Shweid, Toldot Filosofiat ha-Dat ha-Yehudit ba-Zman ha-Hadash 3, 3, I, 116-172; ; Natan Rotenstreich, Ha-Mahshava ha-Yehudit ba-‘Et ha-Hadasha, 2m 113154, Shmuel Hugo Bergman, Faith and Reason, trans.: Alfred Jospe, (New York: Schoken Books 1961), 81 – 97; William Kluback, The Idea of Humanity, Hermann Cohen's Legacy to Philosophy and Theology, (New York – London – Lanham: University Press of America 1987). 41 َّOn the role of Leo Baeck in this regard see, Hans Liebshitz, “Mahut ha-yahadut vetoldot ha-dat bi-yetsirato shel Leo Baeck”, Peraqim mi-Morashat shel Yahadut Germania, eds. A/E? Tarshish & Yochanan Ginat (Jerusalem: Leo Baeck publisihg, 1975)
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identifying an actual contribution of Judaism and of Jewish teachings to morality in its humanistic, Maskilic sense. In this context, the challenge posed by Martin Buber is conspicuous and interesting because he wished to redefine Jewish humanism, not in the terms of humanism generally, but in the terms of a renewal of a Jewish humanistic national outlook. Buber chooses to invoke Biblical humanism in order to define the role of Zionism, and as will become clearer below, this was a polemical definition, counterpoised to other modern Jewish approaches. What brought this about? It is difficult to answer this question unequivocally, especially because there are several possible answers, in principle, all of which must stand up to the scrutiny of critical research. At this point I choose to propose two central answers: the awareness of the Hassidic movement, and of the vital possibilities that Hassidism introduced to Judaism.42 Another possibility is, of course, Buber’s own commitment to the Zionist cause, in other words, the very possibility of thinking in terms of Zionism radically changes the conception of Judaism, and by virtue of so doing, changes the conception of “Jewish humanism”. In his attempt to describe the trajectory of the question of Jewish identity, Shweid assessed Buber’s unique place with the following words: “In his own time, Buber attained the status of a guiding light to his young compatriots, when he responded to their crisis of identity and proposed answers that satisfied some of them. He was also among those philosophers and Jewish educators who watched with great concern when the problem of Jewish identity began to develop within 42
َّBuber’s small book, which was an outcome of a series of special radio programs he presented on Hasidism are an excellent example of such a possibility, cf. Martin Buber, Way of Man: According to the Teaching of Hasidism, New York: Kenigston Pub. 1964 - Citadel 2000. To understand the very broad general significance of his understanding of Hasidism, it is necessary to extensively study his articles on Judaism and Hasidism, as well as his dialogical philosophical writings. Two broad analyses should be mentioned in this regard: Avraham Shapira, “Tikkun Atzmi ve-tikkun ‘olam ba-aspaklaria shel Buber”, Da’at 27 (1990/1), 61-71; Margolin Ron, “Inner Redemption as the Way to Amend the World: How was Buber's Gog and Magog Written ?", Zionism 21 (1998) 99-120.
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political Zionism, and even within social Zionism, were his own sentiments lay.”43 Shweid understands that this work of Buber’s offered a profound response to Jews who shared a humanistic outlook, but Shweid permits himself to ask whether it still provides an answer or a humanistic orientation in current times. Konrad Burdach and the beginnings of humanism What does Buber mean when he thinks about “humanism”? Is he thinking about the crisis of humanism of his day? Is he thinking of a certain definition of humanism? His conscious answer to this question as revealed in his writing notwithstanding is that this issue should be addressed in relation to a broader sphere of reference beyond the specific definition of humanism chosen by Buber. To put it differently, the broad cultural, social, and political context of humanism needs to be taken into account, and within this larger purview the definition and description to which Buber refers should be identified. In respect to this issue, Buber was taking part in an ongoing discussion within modern Jewish philosophy, vis-a-vis the challenge of humanism, according to its various meanings and manifestations. The lexical definition of humanism that Buber chose comes in wake of an important study by Konrad Burdach on the beginning of humanism in the Renaissance.44 The article on the beginnings of humanism is part of Burdach’s book, Reformation, Renaissance, Humanismus. Burdach’s particular point of view describes the intimate relationship between the Renaissance in the cultural and artistic sense and the constitution of humanism. The search for cultural and spiritual renewal, achieved through a backward move43
َّEliezer Shweid, “Tefisat ha-yahadut shel Buber u-mashma’uta li-zmanenu”, Mordecai Martin Buber be-Mivhan ha-Zman, eds. Kalman Yaron and Paul Mendes-Flohr (Jerusalem: Magnes 1992/3), 161. 44 َّKonrad Burdach’s article was published as a chapter in his book on the Reformation and Renaissance, see Konard Burdach, "Über den Ursprung des Humanismus", Reformation, Renaissance, Humanismus: Zwei Abhandlungen über die Grundlage moderner Bildung und Sprachkunst, Berlin : Paetel 1918, 97 – 203.
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ment to the cradle of classical cultural, and from there to renewal, is a constitutive element of the artistic Renaissance and of humanism. The search for renewal involves an attempt to re-cognize the roots of culture. Translating these ideas in ethical terms, Burdach explains the search for man’s essence, and includes an investigation into the beginnings of the image of man’s humanity. In other words, this is not a description of actual man, nor an account of his behavior and traditions, but an attempt to describe the image of the worthy man. The greatness of the human species resides not in what it actually is, but in it what it might potentially become. Here, according to Burdach, is where the Renaissance meaning of the concept of humanism comes to light: the search for that classical tradition that described the establishment of the concept of humanity. The character of the Renaissance, says Buber following Burdach, is revealed as a combination of an exemplary tradition with an exemplary renewal, which converge in their commitment to the human element, to humanism. Buber suggests here complicated response: acceptance of the tradition, but with a critical gaze: the ability to differentiate the historically contingent traditions concerning the worthy human from those that stand the test of time, and might be relevant to any epoch. In fact, Buber would attempt to apply this very program to the Jewish context, i.e. in a search for the beginnings of Jewish thought in terms of the beginnings of an image of man as he ought to be. This search would lead Buber to pursue a return to the Bible, in its sense as Jewish culture’s originary definition of the human. If the Renaissance was able to define humanism by returning to the beginnings of the classical tradition, by revisiting Greek and Roman art and literature, then Judaism would be able to define humanism by returning to the beginnings of Jewish tradition, the beginning of Jewish literature, i.e. the Bible. It can almost be said that this is a logical, methodological conclusion arising from observation of Western humanism, which enables education geared to the creation of Jewish humanism in the form of “Biblical humanism”.
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Hence, the Bible’s role, prior to any definition of ‘the Bible’, is as the beginning of Hebrew and Jewish literature. It thus appears that the Buberian project of understanding humanism and the establishment of Jewish humanism, entails an important dimension that needs be taken into account, pertaining to his Zionist commitment. Buber is not seeking a bridge between Judaism and humanism, but desires to instigate a renewal of Judaism with the same toolkit for renewal that humanism employed. Thus, the effort Buber dedicates to the renewal of Jewish peoplehood, Buber’s call for a Jewish Renaissance, will be given substantive content with his appeal for a “Biblical humanism”. The Zionist Context: humanism as Jewish revival and renewal During the first stage in the development of the concepts of “Biblical Humanism” – “Hebrew Humanism” it was not these terms that were employed. It was part of Buber’s desire to see the Zionist movement as a movement of “spiritual revival”. Moreover, this was the stage in which Buber saw it as his role and mission to chart Zionism’s path toward this selfsame spiritual renewal. Buber’s Zionist revival has been much discussed in the research literature, and it was undoubtedly a most significant element in the overall course of his life and work: His connection with Herzl early on his Zionist path, including his editorship of the Zionist weekly during its early phase,َّhis participation in a number of Zionist Congresses, where he also attempted to propose speeches, and various cultural and educational programs, his immigration to Israel as a tenured professor at the Hebrew University in Jerusalem, his ties with the Kibbutz movement and his political involvement in the “Ihud” movements that followed “Brit Shalom”. But more importantly, Buber did not only view Zionism as a national political movement, but considered it rather as a movement of spiritual renewal which would bring about Jewish renewal. The spiritual meaning of the national revival directly touches upon the current discussion, because it indicates the programmatic cultural project – which was
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both humanist and religious – that Buber was outlining for Zionism. In Buber’s eyes, the national renewal aroused by the Zionist movement was a Renaissance-like renewal, and it must therefore involve a return to Judaism’s cultural sources. Just as humanism is a movement of cultural and ethical renewal, by means of a return to the classical sources concerning man’s purpose, so Zionism must become a movement of cultural renewal that answers to the logic of revival of the Renaissance. “Awake, why sleepest thou?” – The public appeal for a Jewish Renaissance In 1899 Buber published a short article, which might be termed a poem, or perhaps better, a ‘public appeal’, under the title “Unsere Volkes Erwachen” – the awakening of our people. The motto of the poem derives from the Book of Psalms, and is presented in the Hebrew source and German translation thus: "Wache auf! Warum schläfst Du?" - “َّעורה ָלמה ( ”תישןPsalms 44:24).45 “Arise my people! The night has ended! Arise and go forward, for now you will live!".46 And if the Jewish People ask: "How can I rise?... My heart is ill and all my limbs are aching. My forehead marked from the burden of eternities",47 he will encourage it: "We shall take the night from your eyes. And weariness and worry from your body".48 Employing one of the most well known Christian images, Buber adds “God is with us – Gott ist mit uns”, and it is he who will “takes the crown of thorns from your head”,49 and it is he who will reveal to us that the people’s savior has arrived. This poetic appeal resonates with images and metaphors belonging to the world of nationalism – the national revivals of the nineteenth century. Here we find no ex45
Martin Buber, "Unseres Volkes Erwachen. Die Welt, 3 (1899) Nr 46, 14 - 15 َّ Martin Buber, "The Awakening of Our People", in: Schmidt Gilya G., The First Buber: Youthful Zionist Writings of Martin Buber, (Syracuse: Syracuse University Press 1999), 3 47 Buber, idem, 3 48 Buber, idem, 4 49 Buber, idem, 5 46
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plicit expression of Jewish revival or renewal. But, can we say that this reading is already inherently present? Eighteen months later, in 1901, Buber published an article entitled “A Jewish Renaissance”, in which he calls for Jewish renewal, invoking the word “Renaissance” to insist that this renewal occur from within Jewish culture.50 Retrospectively, the interpretation might be entertained that this was also his deep intention in the earlier poem, which calls for the people to awaken. Despite the great importance of this article in shaping Buber’s Renaissance consciousness, it still does not contain the central blueprint that he would eventually adopt, that of Biblical humanism. But, I would suggest, that the first inklings of this programmatic concept can already be found in his call for a Renaissance.51 If we pay attention to Buber’s appeal in this consciousness-forming essay, we can discern an initial articulation of the role of Jewish thought in current times – which is to effect a cultural revival and Jewish renewal that he designates a “Renaissance” (and not only as a borrowed term, but as a model for renewal). Buber’s awareness of the awakenings of cultural revival in current times draw his attention to the turn of the century, as a unique epoch in the modern era in which new, path-breaking possibilities open up, albeit possibilities that contain immense spiritual and moral dangers. The tension afflicting modern culture is described as follows: on one hand there is an immense and profound consciousness of the totality of the products of high culture, seen in literature, painting, art, and in social life. On the other hand, there is an awakening of immensely powerful national forces, which threaten this very same ethical high culture. Buber is not simplistic, and does not view this as a battle between the forces of light and darkness. On the contrary, he identifies both 50
َّThis article was also published in Die Welt, not a coincidental platform for a publication of this kind: Martin Buber, "Jüdische Renaissance", Ost und West 1 (1901) Nr 1, 7 – 10. 51 َّIt is also immensely instructive to look at Buber’s brief words appearing as “Three stations"(1929), where Buber describes the onset of his path in regard to Zionis, and see Buber, Selected Writings on Judaism and Jewish Affairs II, 211
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movements as modern movements of the contemporary epoch. The Jews, or perhaps, as he states 'this part of the Jewish tribe' are subject to the same tension afflicting other groups, and yet, the Jewish situation is uniquely characterized by one aspect: when the word ‘revival’ is uttered, it is like an awakening, it is a miracle. And although history does not recognize miracles, it knows that currents of national life that seemed to have dried up continued to flow underground, only to come gushing out again after thousands of years. This he likens, using a botanical analogy, to seeds planted in the earth, which we awaken to new life and growth upon contact with water. For the Jewish people, this tension and the possibilities it creates, is like a provocation, a challenge, and this is the deep meaning of the Jewish Renaissance. Buber’s description of the Renaissance includes the need to overcome adverse conditions, the ghetto, and exile. The adverse conditions pertain to economic life, spirituality, insularity, aesthetics, and the expectation is for an awakening of consciousness and an emergence from ghetto and exile. The awakening is therefore not only humanistic but also national; yet at the same time it is deeply committed to humanism. It seems to me that Buber does not select his images randomly – they are intended to forge a new language, a romantic and appealing one: water lilies resting on floodwaters, seeds buried in the soil waiting for water to reawaken them, plunging into the depths of the ocean, the vigorous striding of youths in the field, the rebirth of nature. These images stand in utter opposition to the images of Judaism before his time: the ghetto, the wall, the iron chains, the closed gates, and more. The struggles are internal struggles and the action is a liberating action, but it is an action of spiritual liberation, of cultural revival. Buber who seeks to revive Jewish national life is simultaneously concerned about the dangers of nationalism, which he calls “egotistical nationalism”.52 At a later date, in 1949, in his article “Recognizing the na52
َّOn the idea of nationalism in Buber’s philosophy and the role of Biblical humanis in the constitution of a national humanist outlook, see Ratzaby Shalom, “Zionism as a
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tional idea” (“Le-hakarat ha-ra’ayon ha-leumi”), Buber would pay careful attention to the connection between modern nationalism, even in its most tribal and chauvinistic terms, and the development and progress of moral humanity. The role of nationalism is to provide a foundation for the autonomous existence of a nation, and of the partnership -- the common origin, the ties of blood, the shared territory. But, it can also become a notion unto itself: “it will exceed its function, pass beyond its proper bounds, and – with overemphasized consciousness – displace the spontaneous life of the nation. Unless some force arises to oppose this process, it may well be the beginning of the downfall of the people, a downfall dyed in the colors of nationalism"53 But, nationalism can be saved from itself “in the knowledge that the nation has an obligation which is more than merely national”.54 According to Buber’s account, the new national idea acquired a pattern of thought and action from the time of the French revolution and founded itself upon two politicalphilosophical sources: Rousseau’s “Social Contract”, and Herder’s writings.55 And Buber writes: “in this day and age, when false nationalism is on the rise, we are witness to the beginning of the decline of the national ideology which flowered in the nineteenth and early twentieth centuries. It goes without saying that it is perfectly possible for this decline to go hand in hand with increasing success of nationalistic politics, but we live
Theo-Political Doctrine and the Unnatural Character of the People of Israel", Iyyunim Bi-tequmat Yisrael 14 (200/34), 97 – 129 ; Paul R. Mendes-Flohr, "Nationalism as a Spiritual Sensibility: the Philosophical Suppositions of Buber’s Hebrew Humanism", Journal of Religion 69 (1989), 155 – 168 ; Paul R. Mendes-Flohr, "The Politics of Covenantal Responsibility: Martin Buber and Hebrew Humanism", Orim 3 (1988), 7 – 21; 53 َّ Buber, Israel and the World: Essays in a Time of Crisis, (New York: Schocken Books, 1963), 219 54 َّBuber, Israel and the World, 220. 55 َّBuber describes an anticipation of the idea of the basic rights of the nations in the writings of the Rabbi Judah Loew ben Bezalel (the MaHaRa”L), see Martin Buber, Selected Writings on Judaism and Jewish Affairs II, (Jerusalem: Zionist Library 1984), 201 - 205
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in the hour when nationalism is about to annul itself spiritually". 56 The Jewish people of the current epoch, at the beginning of the twentieth century, stands precisely at this point, according to Buber. Therefore, Buber’s goals apparent goal is to revive the Jewish national sentiment, or perhaps even to create a Jewish national outlook, but one that will not surrender to the terms of tribal nationalism and will remain committed to morality, to spirituality, and to renewal: “it is an hour of decision, of a decision which depends on whether a distinction will be drawn, and how sharply it will be drawn. We all play a part, we can all play a part in such a distinction and decision”.57 It is interesting that this tension between the two different currents of nationalism already in the early twentieth century is described by Buber with incredible perspicacity, more than ten years before World War I, and more than thirty years before World War II and the Holocaust. Already then Buber interprets the Jewish people’s movement toward nationalism as constructed out of two types of national awakening. Each of the two movements has different goals, moves in a different direction, and arouses different deep currents. On one hand, says Buber, there is an awakening of the great human culture, and on the other, there is the particularist and tribal awakening. The source of the human awakening, as Goethe taught, is in the possibility afforded to every people to present its essences as a contribution to humanity at large – every person and every people exhibiting its unique path and outlook.58 Buber wishes to focus his conceptual contemplation on the notion of a “Renaissance” that will allow him to understand the concept of “Jewish Renaissance” that he is creating. The idea of a Renaissance first suggests the sense of splendor of “primitive life”. We think of a return to the lan-
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َّBuber, Israel and the World, 221 - 222 َّBuber, Israel and the World, 222 58 َّBuber, "Goethe's Concept of Humanity", Pointing the Way: Collected Essays, trans.: Maurice Friedman, (London: Routledge and Kegan Paul 1957), 74 – 80. 57
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guage of antiquity, of renewing our days as the days of old.59 But its real meaning is “rebirth” not in the sense of returning to the past, but in the sense of the new possibilities that are reborn in the current epoch. The image “rebirth” in ritual terms is what Buber is contemplating, when he seeks to explain the meaning of revival and renewal and progress. He speaks of a cultural movement, a mission that we must undertake, with open eyes trained toward the role of this Renaissance. And it must be done just as prophets recognize and live out their calling in solitude. The suffering is not meaningless, it is the suffering of a calling. The Jewish people’s inward nature suffers because of ghetto and exile. The Jewish people must awaken from this exilic existence, from this ghetto. It must determine a positive plan of action, not a particular partisan one, not one allied with a particular movement, butَّrather an action plan expressing the deep movement of all the different movements of Judaism. Many of the Jewish people’s pathologies were a product of these two maladies – of Ghetto and Exile. Hasidism should be seen as one of the movements that elevates the sense of the Jewish organism and stimulates harmonic cultural development. According to Buber, the Hasidic movements arouse the vital national feelings. These movements succeed in sweeping away the dust and cobwebs of the Jewish ghetto. The Jewish Renaissance is a cultural Renaissance, based on the Jewish people’s awakening to life, from within ghetto and exile, but also out of a deep commitment to culture and humanity. The educational program of renewal: the plan to establish a Jewish school of higher learning Buber wished to offer his own contribution to this Jewish Renaissance, in concrete terms, as an educational plan, which he together with Berthold Feivel and Haim Weizman, articulated a program toward the
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َّFor the importance of the return to language in Buber, see, e.g. Shweid, Tfisat haYahadut shel Buber, 165-166.
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establishment of a “Jewish school of higher learning”, in 1902. 60 The correspondence between Buber and Haim Weizmann surrounding the writing of this plan reveals Buber’s seminal role as the articulator of the entire program.61 Part of the correspondence reflects Weizman’s tangible impatience toward the young Buber in regard to delays in its writing, but perhaps also displaying a lack of understanding in regard to the maturation process required for it to crystallize. It is no trivial matter, in discussing the idea of Judaism’s renewal, to mention that this program was conceived, written, and published in German. Hebrew may perhaps serve it as a kind of inspiration and perhaps provide an element of hope, but in actuality it is articulated in the language and logic of central European culture. The motto of the plan for the establishment of a Judischen Hochschule – a Jewish institution of higher learning – was the motto of Rabbi Yohanan ben Zakai: “Give me Yavneh and its sages”.62 This motto appears to reveal the degree of urgency they felt in regard to the establishment of an educational institution. At the same time, the preamble to the plan as well as the poetic spirit imbuing it, suggest the great hopes attached to this venture. The writers devote a long and detailed passage to describing the dire circumstances of Jewish higher education, chiefly in respect to the expulsion of Jews from universities and high-schools in Europe, from Russia to Germany. In wake of this development, they desire to put forward a positive plan of action to create a Jewish school of higher learning. In the technical sense, this would present an initial solution to the opening of the gates of academic learning to Jews. However, this was only one aspect of this policy of social change. Indeed, the 60
َّSome of the tensions accompanying the writing of the program can be gleaned from a few pieces of correspondence between Buber and Haim Weizmann in the period preceded the creation of the document, see Martin Buber, Hilufei Igrot 1, trans. and annot. Yehoshua Amir and Gabriel Stern (Jerusalem: Mosad Bialik 1982), 141 - 146. 61 َّ See Martin Buber, Hilufei Igrot 1, 141-146. In the following, Buber explains to Weizmann the delay in sending the draft of the plan for his review. 62 َّHere too, Rabban Yohanan ben Zakkai’s saying, “Give me Yavneh and its sages”, quoted as the motto of the plan, appears in both Hebrew and German.
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goal of the Jewish school of higher learning was much more farreaching, and it touched upon the various dimensions of the Jewish national problem: this will be the sign for the vitality and renewal of Jewish people. A Jewish school of higher learning would foster the development of Jewish scientists and artists, whose progress will not be blocked by the gates of the European academy, and will be a source of national pride and creativity. But here they introduce another matter, the matter of Palestine, and the possibility of establishing the said institution in the Land of Israel. And again, they here define what Buber had designated in his appeal and essay about the Jewish Renaissance, as the time for decision. The school’s actual plan grants no significant place for Jewish studies, nor does it prescribe patterns or means for the revival of the Jewish spirit. On the contrary, “Jewish studies” (Wissenschaft des Judentums) appear only as part of the program for the department of general studies.63 Here it should be emphasized, that although a program for Jewish studies was not on the table, there is no doubt that the program’s general intentions were in harmony with Buber’s larger plan for Jewish renewal and a Jewish Renaissance. So much at least is evidenced in the final words of the program, which read more as a prophetic or visionary call: “Wir wenden uns allem an unsere Gesinnungsgenossen. Die Zionisten, wir wenden uns aber auch an diejenigen Juden, die ihrem Volke die Treue bewahrt haben, die sie an seine Zukunft nicht vergessen lässt".64 The issue of establishing a Jewish institution of higher learning continued to occupy Buber, at times to a greater and at times to a lesser degree. In most contexts, these were practical matters: the establishment of a board of directors, recruiting funds and supporters, updating the plan and
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One can trace the details of the academic plan, including the decision to excise the plan for a faculty of medicine at this stage, from the school curriculum, and see Martin Buber, Das Projekt einer Jüdischen Hochschule, (Jerusalem: Magnes 1968), 32 [ German and Hebrew]. 64 َّBuber, Das Projekt einer Jüdischen Hochschule, 28.
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creating separate plans for a high school, college, and a university. 65 Rereading the correspondence that pre-dated the writing of the program, as well as texts written later upon its publication, and upon the establishment of a founding committee along with a public steering committee, reveals that a deeper understanding of the ‘Renaissance’ significance of the school program dawned on Buber only toward 1913. His ideas and plans anticipated the establishment of an institute similar to such a school, with the young Zionist cadre in Prague, as can be found in the Buber archives: notes toward the planning of an institution of higher learning, first and second drafts, formal and informal correspondence.66 In May 1913, three persons signed a document regarding the advancement of the plan: Martin Buber, Erich Kahler, and Arthur Saks.67 At the same time period (May 1913), one can see how Buber describes the importance of the project to establish a Jewish institution of higher learning to Richard Baer Hoffman. He explains that the institution’s role is to work toward the “the renewal of Judaism”, a renewal not emanating from theory and ideas, but rather from the practical life of an institution of this sort. The school of higher learning – the college or academy to be established – will represent a step toward the “reformation” of Judaism. Despite the school’s clear plan to promote this Jewish Renaissance, Buber still does not know what the content of that Renaissance might be. Buber speaks in a similar vein, in another earlier article, published in 1905: “The problem of Jewish and Zionist Culture”.68 It is once again 65
Some of the tensions that attended the work on the project and the school’s plan can be gleaned from the correspondence between Weizmann and Buber. 66 See the file devoted to this topic in the Buber archives, National Library of Israel, ARC. Ms. Var. 350 05 31. 67 َّReading Buber’s documents from that era reveals various attempts to create a council that would oversee the establishment of the school; most of the names scribbled in Buber’s notebooks appear only as abbreviated surnames, and apparently were part of the deliberations during the meetings that accompanied the process of creating the plan and establishing the school. 68 َّ Martin Buber, "Das jüdische Kultur-Problem und der Zionismus", Die Stimme der Wahreit Jabrbuch für wissenschftkichen Zionismus 1, Lazar Schön (ed.), (Würzburg: Velag N. Philippi 1905), 205 - 217
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necessary, so he writes, to clarify and define the tasks of the Jewish Renaissance, speaking of the renewal of the Hebrew language, and of Jewish customs and arts. All this is meant to lead to a Renaissance, according to its literal meaning: the re-birth of national culture. At this juncture, Buber trains his gaze onto the unique phenomena of renewed Jewish existence in the forms of Hasidism and Haskalah. The two so very different phenomena of Jewish renewal in the Jewish world attest to a deep and internal desire for renewal. It is our duty, he says, to define Zionism with the aid of the same terms of renewal of these unique and different types. Zionism can guarantee Jewish renewal, the freedom and space for independent and open creativity. More important for our present concern is that we do not find even in this article a demand to return to the Bible as a foundational document for Jewish renewal. This thought will arrive only at a later stage.69 The address at the 16th Zionist Congress: Education for Hebrew Humanism Buber highly valued the address he gave at the 16th Zionist Congress, which took place in Zurich in 1929.70 The speech itself was dedicated to timely affairs that were being discussed at the Congress following the historical developments in Palestine, and the institutional developments within the Zionist Congress, and the expansion of the Jewish Agency. A 69
َّOn the importance of the Bible in Buber’s thought, see Ratzaby Shalom, “The Bible History and Myth: The Place of the Bible in the Zionist Thought of David Ben-Gurion and Martin Buber" Culture, Memory and History, Essays in Honor to Anita Shapira, eds. Meir Hazan, Uri Cohen, Tel Aviv: Tel Aviv University; Jerusalem: Merkaz Zalman Shazar, 2012, 471 – 496 ; Eliezer Shweid, “Martin Buber as a Philosopher Interpreter of the Bible", Jerusalem Studies in Jewish Thought 2 (1982/3), 570 – 612 ; Shweid Eliezer, “De-mitologizatsia and ve-re-mitologizatzia shel ha-yahadut, mitos veyahadut be-mishnoteihem shel Kaufmann, Buber, ve-Baeck” (De-mythologize and Remythologize of Judaism), Eshel Be’er Sheva 4 (1995/6), 342 – 365 ; Shwartz Moshe, “The concept of myth in their views of Martin Buber and Franz Rosenzweig”, Tura; Studies un Jewish thought, Simon Greenberg Jubilee Volume, ed. Meir Eyali, Tel Aviv: Ha-Kibbutz ha-Me’uhad, 1988/9, 306 - 319. 70 َّMartin Buber, Selected Writings on Judaism and Jewish Affairs II, 303 – 307.
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close reading of Buber’s address reveals to us how his conception of Biblical humanism has affected his historical and political hermeneutics. For, according to his analysis of the political situation of that time, three outlooks exist in regard to the national problem: the non-Zionist outlook, the national outlook, and the Zionist outlook. I prefer, in relation to this topic, to distinguish between the term ‘national outlook’ and ‘Zionist outlook’, and the Zionist meaning of the latter, according to Buber. Comparing among these outlooks means us that according to the nonZionist outlook: 'Israel is less than a people'. According to the national outlook, 'Israel is just a people', while to Zionist eyes, 'Israel is more than a people'. Here Buber emphasizes that a “spiritual war” is waged between those holding a national view and those holding a Zionist view. The difference between “national Jews” and “Zionist” Jews can be articulated as a distinction between the recognition of a people as an existing entity, and recognition of the people’s role. In Buber’s eyes, this argument is inestimably more important and more profound than the argument with the non-Zionist view, because it is an argument between the national egotism and spiritual dedication.71 Because the address was delivered at the Zionist Congress, Buber emphasized that what troubled him was not the moral/ethical problem, but the political problem. The road to achieving Zionist goals must pass through an orienting towards the purpose of the generation. Buber calls for avoidance of resorting to the conventional policy of force, which ostensibly is only intended as a means for physically sustaining the Jews and Jewish existence in Palestine; this in turn would also enable the achievement of other spiritual goals. No actual security provided by force can be imagined, which would be equal in value to “spiritual force”. Buber firmly opposes the principle of fore and aft – of a material contingency that will enable spir-
71
َّOn Buber’s use of “National egotism”, which is close to another expression he used, ‘sacred egotism.” This article was inspired by the Polish poet Adam Mickiewicz and see Buber, Israel and the World, 152 - 155.
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itual and ethical fulfillment.72 Buber then lays down two questions of import that are under discussion at this time: the Arab question and the question of education. Regarding the first question, Buber says the Zionist confrontation with the Arab question in Palestine is beset by the danger of “nationalist assimilation”. Jews’ perception of themselves dwelling among other nations as strangers should be a lesson in treating others. Imagination is required, says Buber, meaning that one should see the other in oneself. Seen from a contemporary perspective, some eighty years since Buber delivered his speech, it is difficult not to judge his words as naïve. But Buber anticipated this suspicion, saying that his words are not born of illusion, but out of a deep political understanding. However, the most important domain of all, says Buber, is the domain of education and youth education in particular.73 The forms of national life in the Land of Israel are tremendously important, as is the revival of the Hebrew language, but these alone are not sufficient. One must think of a way of life: Just as tradition was a source of nourishing and sustaining forces, so should the revival (renaissance) be a source of similar things for showing the way to a path of life. I see that it would be good for education in the Land of Israel, to take the path of Hebrew humanism as something unsurpassed, not something that one simply lets developments determine but something that itself determines a path toward a program, a curriculum, and to education as a whole. I have taken stock, in part, of the situation of youth in the Land of Israel, and I cannot hide from them that here too there is sacro egoism to an alarming extent. This humanism of which I am speaking means leading the youth in the Land of Israel along the path from national assimilation of sacro egoism to national pioneering; to fulfill, out of complete love for human beings, the historic 72
It should be noted that Buber made this statement during the year of the violent riots of 1929 in Palestine, while dealing with the commission (of inquiry?) established by the British Mandate, and the difficult and weighty question facing Zionist policy in Palestine. In spite of this, Buber upholds a spiritual outlook, which he favors in practice over the position advocating physical security. 73 َّOn the importance of Buber's educational approach, beyond the Zionist or Biblical context of the present article, see Meir Ephraim, “Jewish Dialogical Philosophy and its Implications for Education”, Hagut - Jewish Educational Thought 1, (1998), 127-141.
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role of the new Judaism that now stands at the eternal threshold of the nations.74
The series of essays: ‘Biblical humanism’ – ‘Hebrew Humanism’ – ‘Believing Humanism’ Beginning in 1933, one can find Buber clearly addressing the idea of ‘Biblical humanism’ as a fully-formed concept. He published a number of articles relating to the concept itself, and he took the trouble of reprinting them as part of an anthology, explaining and re-thinking how to explicate it. Beginning with this phase, the content of “Biblical humanism” becomes increasingly more lucid, and includes a return to the Bible, a return to the language, and a return to faith. These different aspects are constructed as part of Buber’s declaration of intent and teaching purpose; however, what is no less interesting is that they provide us with a new and important key to understanding Buber’s extensive engagement with Biblical literature, and the way in which he asks his readers and disciples to learn how to converse with scripture. We who study Buber’s work may also ask, how is Buber’s guidance toward ‘Biblical humanism” expressed in his many books and articles that are devoted to the Bible. The publication of the essay ‘Biblical humanism’. Buber’s essay on “Biblical humanism” (Biblischer Humanismus) was published in German a number of years later, in 1933.75 It should be noted that the essay was reprinted in translation into Hebrew by Baruch Kropnik, that same year.76 In both versions, this article presents Buber
74
َّMartin Buber, Selected Writings on Judaism and Jewish Affairs II, Jerusalem: Zionist Library 1984, p. 307. 75 Martin Buber, "Biblischer Humanismus", Der Morgen IX (1933), 4. The English version: Martin Buber, "Biblical Humanism", On the Bible: Eighteen Studies by Martin Buber, Nahum N. Glatzer (ed.), (New York: Shoken Books 1968), 211 – 216 َّ 76 َّMartin Buber, “Humanismus Miqra’i”, trans. Baruch Kropnik, Moznayim (series 2), 1, (1933/4).
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with the opportunity of explaining the concept of “Biblical humanism”, and why he regards it as so important. Describing the birth of the concept “Biblical Humanism”, in the beginning of his essay, Buber recalls the context and time period in which the idea was first conceived, in the early 20th century (during meetings held between 1911 and 1913): I assembled and headed a small circle of Jews interested in education. As we formulated plans for a Jewish school of advanced studies (which the World War prevented from materializing), I proposed that the course of studies of the prospective institution be guided by the concept of a Hebrew humanism. By this I meant that, just as the West has for centuries drawn educative vigor from the language and the writings of antiquity, so does the pivotal place in our system of education belong to the language and the win new focal influence, that they may, out of the raw materials of contemporary life and its tasks, fashion a human being with new Jewish dignity. 77
According to his testimony, which does not provide many clues about the setting, the context was educational or concerned the educational aspirations of a group of young people who had turned to him for advice in regard to the establishment of a Jewish high school in Germany. Apparently, this formed part of the attempt to translate the grand ideas associated with the plan for a Jewish institution of higher learning into actual, concrete terms. The broad goal, he writes, was to awaken “the renaissance of people of Israel, and the renaissance of the Jewish man.”78 However, he does not limit this to the educational experience of central European Jewish youths, but introduces the following important landmark idea – positing the notion of Biblical humanism as a central goal of Hebrew education in the Land of Israel (in the same address to the Zionist Congress mentioned above). Added to the educational ideas that had emerged initially in German speaking lands was the notion that
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َّBuber, On the Bible, 211. Buber, On the bible, 211.َّ
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this was to be a renewal “in its truest meaning”.79 Buber’s emphasis of this point is significant because it throws into relief the Zionist import of the idea, going beyond the humanist thinking of central European Jews. It is henceforth clear that Buber was not speaking only of a pedagogical issue, nor was he referring only to the general connotations of humanism, but to the broad spiritual task to be shouldered by the Jewish revival movement. His intention, so he said, was to equip the youth with “spirit” versus the “non-spirit” of the Nazi regime. Hebrew humanism – Jewish humanism – here called “Biblical humanism”, and the specific use of the terms “Biblical”, are meant to elucidate the program: a return to classical Jewish literature, i.e. the Bible. Within the European humanist movement, classical Greek literature actively exercised a literary effect in encouraging the Renaissance; within Hebrew humanism, the literature deemed as classical was, in Buber’s thinking, the Bible. Humanism is an attempt to define the ethical meaning of being human, but this attempt is undertaken by means of a literary action, which endorses the literature that constitutes its conception of the human, shaping both culture and education in light of this conception. “Humanism”, says Buber, is faith in man, 'if he becomes human'. The thought that man is the object of faith is a rhetorically seductive one, but it requires some reflection. Buber sees the potentially problematic implications of this idea, and uses literary citation to emphasize “if he were a man”. 80 In other words, faith in man is not faith in the human biological species, simply because it is human, but it is faith in the potential idea of being human. The moral significance of this attitude is that man is required to recognize and take into account that the achievement of humanism is not
79
َّBuber, On the bible, 211.َّ َّBuber does not cite the sources that he refers to in Roman comedy, in which a person is addressed: “if you were human”. And even more clearly in Greek comedy. 80
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guaranteed, and that he might discover himself sliding into the zone of inhumanity.81 And when, at a certain time, there looms the danger that humanity will slide into the zone of the ‘inhuman’, then must we turn for assistance to an earlier age, in which the human element of humanity was clearer, and purer, in order to find the driving force toward a new, freer humanity. The renewal of the concept of humanity is undertaken vis-à-vis the danger of losing it. Talk of humanism is not innocent and pretty speech, as we might be tempted to think; it is speech that stands in the looming shadow of the loss of humanism, and perhaps even out of a struggle against its actual loss. The goal of humanism, the goal of returning to history, is not only the search for a better humanity and humane-ness but also a search for another type of literature, an ideal literature: “According to the true humanistic understanding, the literary tradition is not mainly a matter of aesthetic admiration or historical teaching, or even of patriotic prides, although it contains some of those things as well as others; according to the true understanding its is first and foremost authoritative and normative, because it teaches the distinction between the human and the inhuman, it testifies in regard to the human and demonstrates it.”82 Therefore, a return to the linguistic tradition is not only a return to the past; its role is to generate an image of the normative value of the human qua human. The foregoing discussion allows us to understand the meaning of the project that Buber points to: a return to the Bible. This is not a romantic experiment of a return to the glorious past of the Jewish people. Nor is it an attempt to study the Bible per se – either from a literary, national, or historical perspective. The goal of returning to the Bible is an ethical, cultural goal – to identify the normative value presented in the Bible. 81
َّIs Buber here alluding to Germany’s situation in those years? Perhaps, but this is not explicitly stated. This might only perhaps be alluded to by the addition of the date of publication to the essay’s title. 82 َّBuber, Selected Writings on Judaism and Jewish Affairs II, 127.
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Bible study, therefore, is not a simple task by any means, for it poses a weighty ethical task for the student: to differentiate between the historically contingent and that which stands beyond the historical periods. Or, in other words, the students must make a distinction between historical and literary description, which has inherent interesting for both national and historical reasons, and the human image depicted by Biblical literature. The student is required to extract from the Bible the depiction of man as a human idea, as 'humanism'. Renewal of the Hebrew language as an act of Biblical humanism When I wished to convey, in brief, what I thought was missing in the educational system of Jewish Palestine and what I hoped for, I again found no better designated for it than 'Hebrew humanism, in its truest meaning'. This newly added phrase, 'in its truest meaning', encompassed my experience of three decades with the Jewish national movement. This movement had activated the people as a people, had revived the language as a language; but in neither case, its history or its literature, had it distinguished with prophetic awareness and prophetic demand true values from false, nor drawn order and direction for the inherited material. It had failed to understand that the archetype of the people sprang from the ordering and direction- giving deed; that the great document of this language was grounded in the ordering and directing word; that the formal 'Renaissance' is inflated nonsense; that, rather, the future of a community on the rebirth of its normative primal forces. Hebrew humanism means fashioning a Hebrew man, and a Hebrew man is not at all same as a Hebrewspeaking man.83
What is most noteworthy in Buber’s words is that he is directing Jewish creativity toward the future, and not toward the past. In other words, the meaning of return to the sources, to the Bibe, Hasidisim, and the like, is not a return to the past, but, as in the Renaissance sense, a movement of revival oriented to the future:
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Buber, On the Bible, 211 - 212
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To be sure, a Hebrew man is not a biblical man. The 'return' that is meant here cannot in the nature of things mean a striving for the recurrence or continuation of something long past, but only a striving for its renewal in a genuinely contemporary manifestation. Yet only a man worthy of the Bible may be called a Hebrew man. Our Bible, however, consists of instruction, admonition, and dialogue with the Instructor and Admonitor. Only that man who wills to do and to hear what the mouth of the Unconditioned commands him is a man worthy of the Bible. Only that man is a Hebrew man who lets himself be addressed by the voice that speaks to him in the Hebrew Bible and who responds to it with his life.84
This essay already explicitly brings to the fore the question of the Hebrew language. In describing Biblical humanism, Buber is already aiming toward the renewal of the Hebrew language. The importance of the Hebrew language for the rejuvenation movement, he declares, is supreme; but it is not the use of Hebrew itself that makes it a revival movement, but the cultural meaning of the Hebrew language, because: “The Hebrew man is that individual who lets himself be addressed by the voice that speaks to him in the Hebrew language. That is the meaning of biblical humanism”.85 In reference to this matter, another essay by Buber, which was delivered in Berlin in 1909 and was devoted to the subject of the Hebrew language, merits attention. The central problem, says Buber, is that we speak about Hebrew in another tongue, in this instance, German. He admits to his audience that he is not capable of thinking in Hebrew, nor is he able to translate his own words into Hebrew. And yet, he says, Hebrew is his language, even if it is slightly less familiar to him. 86 In this lecture too, Buber articulates the importance of Hebrew as part of a project of Jewish Renaissance. The return to the beginnings, a return to the
84
Buber, On the Bible, 212 – 213. Attention should be paid to the meaning of dialogue suggested by this text, as including listening and response. 85 َّBuber, On the Bible, 213. 86 َّ Martin Buber, "Die hebräische Sprache und der Kongress für hebräische Kultur", Jüdische Rundschau 15,2 (14 Jan 1910), 13 – 14 ; 15,3 (21 Jan 1910), 25 – 26.
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Urzeit of their culture, is not intended to enrich the lives of Jews, but to bring them back to life. A concern with language is not unique to the Hebrew language revival movement; but it is the deep mystery of the humanist movement, born of the Renaissance: “Humanism moves from the mystery of language to the mystery of human person. The reality of language must become operative in a man's spirit. The truth of language must prove itself in the person's existence. That was the intent of humanistic education, so long as it was alive”.87 Buber’s doesn’t limit his treatment of the question of the Hebrew language to formal or cultural aspects – he articulates it in terms of a “mystery”. There is a mysterious relationship between the “Hebrew language” and the “Hebrew person”. Biblical humanism, and perhaps humanist Biblicism allows a person to open his ears to hear the absolute voice, the voice of mystery, via the return of the Hebrew language: “Biblical humanistic education means fulfillment of the one in the other. Its intent is to lead the Jew of today back to his origins. But his origins are there where he hears the voice of the Unconditional resounding in Hebrew”. 88 How is the importance of the Hebrew language, as presented by Buber, to be understood? It may be that Buber is referring to the dogmas of Jewish mysticism (Kabbalah) or perhaps of Hasidism. Such a reading would be consistent with Buber’s well known motto to his book “Ha-Or Ha-Ganuz” (=The Hidden Light), in which he grants significance to the revelation of the hidden light of the Torah through the lives of the Hasidism, who discover this light when reading the Torah, and express it outwardly in their lives and deeds. It is my belief however that Buber is speaking of a different revival of Hebrew, one that returns to its primary elements, its foundational myths, which were at the root of the creation of the Bible’s. The phrases in Hebrew regarding the “ancient powers”
87
َّBuber, On the Bible, 213. َّBuber, On the Bible, 213.
88
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bring us very close to Buber’s essay on “Jewish myth”,89 which was one of a series of speeches Buber gave on Judaism: “Biblical humanism is concerned with a 'concrete transformation' of our total – and not alone our inner – lives… The primal forces are transmitted to us in the word, the biblical word”.90 The ability of contemporary Jews to listen to the voice of the Bible, both to the Biblical laws and to the words of the Prophetic absolute, depends on opening the heart to Biblical language. The renewal of the Hebrew language is not a national event of merely tribal significance, but an event of mythic proportions, in which the Hebrew language is revived as a living language, in which absolute words are spoken and heard from the voice of the almighty (“mi-pi-ha-gevura”): Some, like myself, will not let the biblical word usurp the place of the voice; they will not acknowledge the word as that voice's absolute, sufficing, immutably valid expression. Yet even they must feel certain that we can truly retrieve the normative only as we open ourselves to the biblical word, wherein it appears as a primal force.91
Buber bestows these ideas with a nationalist-Zionist significance as well, for the question arises – what shall the common foundation of Zionism be? Shall it be founded on the connection of the Jewish people, on the particularist, tribal dimension, or might this connection be a spiritual one? “[I]f the individual will let it affect his personal life and open himself to the authority of the normative, then we may hope that the persons so affected – in various ways, yet at all one – will once coalesce into a community”.92 Which Biblical myth will inspire Biblical humanism with deep meaning? Buber answers this question by arguing that the power of the Bible 89
َّMartin Buber, "Myth in Judaism", On Judaism, Nahum N. Glatzer (ed.), (New York: Schocken Books 1972), 95 – 107. 90 Buber, On the Bible, 213. 91 َّBuber, On the Bible, 214. 92 َّBuber, On the Bible, 215.
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is the live, natural form which enables dialogical life. Thus does Biblical humanism diverge from Greek, Western humanism, whose form is the beautiful (aesthetic), refined, and processed form: "The word of the Greek antiquity is detached and formally perfected. It is removed from the block of actual spokenness, sculpted with the artful chisel of thought, rhetoric, and poetry – removed to the realm of form. It would be considered cryde and useless – barbarian – were it to retain any immediacy. It is valid only when it becomes pure form".93 It seems that we can begin to form an impression of what Buber is talking about when he speaks of Biblical humanism, for the literary works that provide the basis for humanism in its Western European sense are those that are predicated on the “beautiful’ and the “aesthetic”. European humanism orients humans to fine writing, fine dress, eloquent speech, and refined music. But, says Buber “[t]he purity of the Hebrew Bible's word resides not in form but in originality (Ursprünglichkeit)”. 94 The Bible seeks not the noble element, the pleasing rhetoric, the artfully wrought poem. The power of the Psalms is in their expression of the “crying out voice”; the power of prophetic words is in their being a “calling out voice”. The voice of the Bible desires to preserve live, errorridden speech: “This is why it also became possible in the domain of this word for the humanized voice of God, resounding in human idiom and captured in human letters”.95 To the best of my understanding, this is where the uniqueness of Buber’s Biblical humanism, which is unlike the Jewish humanism that emerged in Europe, becomes increasingly elucidated. While the Enlightenment philosophers and proponents of monotheistic ethics attempted to reconcile humanism with Judaism, to identify Judaism as humanistic, and to recognize the Jewish bases of humanism, Buber seeks to reshape the concept of Jewish humanism in a new spirit, which he identifies as a 93
َّBuber, On the Bible, 214. َّBuber, On the Bible, 214. 95 َّBuber, On the Bible, 214 - 215. 94
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Biblical spirit. We take the liberty of calling this “the Jewish myth”, which is the dialogical myth. Therefore, if there is a law of “Biblical humanism” this is the law that seeks to identify the rawness of an event, and not the form by which it was determined as part an existing system of thought. The goal of Biblical humanism is not to overcome mystery by formalizing it, but to draw close to the mystery, hear it, and give it existence. And in Buber’s interpretation, it is to approach the idea of prophecy.96 Understanding that these ideas of Buber’s were written and published in 1933 in the Germany of Nazism’s rise to power, endows his words with a moral and political significance. Buber seizes upon the Bible, and what he calls Biblical humanism, in order to confront the events of his time: “This stormy night, these shafts of lighting flashing down this threat of destruction – do not escape from them into a world of logos, of perfected form! Stand fast, hear the word in the thunder, obey, respond! This terrifying world is the world of God. It lays claim upon you. Prove yourself in it as a man of God!".97 Language plays a crucial role in the constitution of humanism in general and in that of Biblical humanism in particular. There is a special linguistic tradition whose goal it is to depict the idea of man, the human ideal. Humanity has preserved something of the paradigm of humanity by means of particular forms of expression, with a specific and unique form of language. According to this description, it is the linguistic tradition to which cultural magnitude and power is ascribed, not the content that the tradition has transmitted, but more profoundly, the unique structure of the language and its internal possibilities that are realized in its rules and grammatical particularities. Indeed, the use of the Hebrew language
96
َّBuber, On the Bible, 215; and see also Buber, "False Prophets", On the Bible, 166 171. 97 َّBuber, On the Bible, 216
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bears national importance, and the study of history and the acquisition of culture are similarly important.98 But why does the historical understanding of the classical literature concerning humanism even carry any importance? Do we not understand that these notions about the essence of humanity were written within a different historical context and under utterly different life conditions? To this Buber responds that it is precisely the penetrating understanding of the vicissitudes of time that is a condition of humanistic thinking. For, only historical consciousness can help us identify the ‘image of man’ that is beyond time: with the role of the 'receiver' and with the role of the 'critic'.99 Those who devote thought and study to classical literature are required to have the ability to extract from it ideas that transcend the contingencies and limitation of the given historical context. Biblical humanism is a Hebrew attempt to create a concept of the ‘worthy man’, as depicted in Biblical literature, but one which is relevant to and can provide guidance for current times. The Eretzisraeli formulation: “Hebrew humanism”, The foregoing account brings us to a new stage in the development of the idea of “Biblical humanism”, which is now given a new title: “Hebrew humanism”. Here, Buber defines – in Hebrew – the meaning of the idea of Biblical humanism, spelling out its particular characteristics. The description is clear and fully formed, and includes an ethical aspect, paralleling the programmatic outline. Published in 1941, the essay “Hebrew humanism”, revisits, in more than one sense, the ideas that preoccupied Buber eight years earlier in his essay “Biblical humanism”.100 98
َّ Martin Buber, "Hebrew Humanism", The Writings of Martin Buber, Will Herberg (ed.), (Chicago: New American Library 1956), 293 – 299. 99 َّHere Buber realizes his idea of dialogical reading, within the Biblical text. 100 َّThe essay "Hebrew humanism” was first published in the journal of Ha-Po`el HaTsa`ir: Buber, “Humaniut Ivrit”, Ha-Po`el Ha-Tsa`ir 34, 18, 30, 1941. It was then reprinted in the collection “Mahshavot ve-De`ot’, joining another article by Buber on the essence of Culture, “Humaniut Ivrit – ‘al mahuta shel ha-tarbut”, Mahshavot ve-
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For Buber, the description of Hebrew humanism has a dual role. It is meant to pose a spiritual-cultural alternative to the Zionist conception of “a nation like all other nations”, and, on the other hand, to stand as a bulwark against an egotistical national conception, which risks evolving into a chauvinist, racist outlook, viz. the notion advanced by some of the Zionist thinkers, as if the role of Zionism were to allow the Jewish people to preserve its will to exist. Alluding to words he had once attributed to Goethe, Buber says that a nation whose world consists only of the task of preserving its existence, “so a nation with no other aim deserves to pass away”.101 On the other hand, a no lesser risk than that of “normality” lies at the door of Zionism – the danger of egotistical nationalism: The Zionist movement must decide either for national egoism or national humanism. If it decided in favor of national egoism, it too will suffer the fate which will soon befall all shallow nationalism, that is nationalism which does not set the nation a true supernational task. If it decided in favor of Hebrew humanism, it will be strong and effective long after shallow nationalism has lost all meaning and justification, for it will have something to say and to bring to mankind.102
Buber is waging an historical polemic against other potential Zionist positions, and says: Israel is not a nation like any others, for it is the only nation that combines nationalism and religion. At the time when the tribes chose to unite and become a people they also chose “a common covenant with the God of Israel".103 This does not constitute a theological interpretation of Judaism, as many claim, thus attempting to view this theology as something worthless and barren, “in reality, dealing with a fundamental historical recognition without which Israel as an historical factor and fact could not be understood”.104 The humanistic meaning of De`ot’, eds: Y/I Becker and S. Shpan (Tel Aviv: Yavneh 1954_, I 488 II 520; Martin Buber, “`al mahut shel ha-tarbut”, Mahbarot le-sifrut B 4 XI, 1943; 101 َّBuber, The writings of Martin Buber, 296. 102 َّBuber, The writings of Martin Buber, 296. 103 َّBuber, The writings of Martin Buber, 296. 104 َّBuber, The writings of Martin Buber, 297.
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this religious-national amalgam named Israel is its aspiring toward the sphere of truth and justice. The covenant entered into vis-à-vis God is a covenant that defines man’s human aspiration, or perhaps, the cultural and ethical aspiration of the human biological species. The Bible defines a purpose for the Jewish people, to portray man’s aspiration for truth, to portray: “an order of life for a future mankind, for all the peoples combined into one people”.105 Biblical humanism, therefore, aims toward justice and toward its holism in human life. The human person in the Bible does not reject this demand; even if he disobeys, betrays, abandons, or submits, he stills preserves the demand for justice in his very bloodstream. This is the Abrahamic prototype – he who teaches his son and household who come after him to practice justice (zedakah umishpat). And this is the Job prototype – who struggles with God, because of the demand for justice that suffuses him, so much so that he will not relinquish it, even when in judgment with God.106 The basic outlook: “A believing humanism” The essay, “A believing humanism”, was the address delivered by Buber upon the occasion of receiving the Erasmus prize, where Buber read the following words from the podium: “For if I should characterize my own basic view by a concept, it can only be the same as that with which we characterize Erasmus: the concept of a believing humanism”.107 This is not a question of compromise or mediation between two worlds, says Buber, “Here humanity and faith do not appear as two separate realms each of which stands under its own signs and under its special laws: they penetrate each other, they work together, indeed they are so centrally related to each other that we may say our faith has our humanity as its foundation, and our humanity has our faith as its foundation.”108 105
َّBuber, The writings of Martin Buber, 298. َّBuber, The writings of Martin Buber, 298 – 299. 107 َّBuber, Believing Humanism, 117. 108 َّBuber, Believing Humanism, 117. 106
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The force of Buber’s argument pertains also to humanism itself. Indeed, he says, there is a difference between humanism and believing humanism, and at its crux is the importance of dialogue. The new meaning of “the human” emerges as “the capacity inborn in man enter into meeting with other existing beings”.109 To Buber, it is of chief significance that religious thinkers such as Jacobi, Kierkegaard, or Feuerbach identified the importance of the encounter between the individual person and the other as well as of the encounter between the individual person and his God: “And, in fact, it will appear that today more than ever a type of man predominates who prefers to observe and use of the beings whom he encounters on his life way instead of turning soul and deed toward them”.110 The crisis of the human species requires that attention be paid to a believing humanism, for this crisis threatens the human species with annihilation. The crisis leads to humanity’s self-willed subjugation to technology, to the service of nuclear power, to limitless domination, in short, to the subjugation of man, “In the growing, the still plastic generation more and more men are aware of what is preparing itself there; their day-by-day-increasing awareness, the knowledge of the crisis, summons in them the only counterforce that can succeed in elevating ends again, great clear ends, above the rebellious means. It is this counterforce that I call the new believing humanism”.111 In lieu of a conclusion When I first encountered Buber’s essay on “Biblical humanism”, I was surprised by the immense importance he attaches to the story of the birth of the expression in his thinking. The encounter with the essay “Hebrew humanism” was even more surprising, because it repeated the account of the concept’s creation, as though this story were more important than 109
َّBuber, Believing Humanism, 120. Buber, Believing Humanism, 121.َّ 111 َّBuber, Believing Humanism, 121. 110
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understanding the idea itself. Why did Buber insist on recounting the evolution of the concept and of his thinking? I believe that the answer offered in this article is related to the special nature of this concept, which is not conceptualized or defined in a philosophical sense, but was rather a kind of educational guidepost or lodestar for creativity. When Buber intuitively formulated the role of “Biblical humanism” he sought to create a pathway for study and reflection in which the cultural and spiritual work of return to Judaism’s early sources would take place, a pathway for returning to the Bible, while drawing and sifting a renovated image of the ideal human. The act of renewal that enables a return to the Bible is the renewal of the Hebrew language. The Bible is not the book and the content it teaches, but the voice calling out to man from the Bible. The renewal of the Hebrew language will allow the book to speak again in its own tongue, and will allow Judaism to listen to its voice and to hear its commandment of humanity. The Jewish Renaissance will occur if and when the Jewish people succeeds in returning to the sources of its beginnings, in order to fashion from them the idea of man’s humanity, the idea of humanism that springs from the sources of Judaism. This spiritual and cultural project is one project of renewal and creation; it is a project of both human and Jewish commitment. For Buber, this was the greatest test facing Zionism. Buber understood, so he wrote, that a spiritual and Jewish renewal can only occur within a national context. But the moment of national renewal, he says, is a moment highly fraught with danger in which nationalism is open to two possibilities: egotistical nationalism and “moral/ethical nationalism”. This joyous renewal – joyous because of its spiritual and ethical potential – is one that could precipitate the collapse of culture into narcissistic nationalism. For Buber, the project of returning to the Bible, in order to forge from it the idea of humanity and the human in the moral and spiritual sense, would determine in which direction the Zionist national renewal would evolve. And when writing these ideas, in the early twentieth century he posits: “This is the decisive hour.” We, who read and study Buber’s writings are per-
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mitted to ask ourselves: if so, which decisive path was taken by Jewish national renewal? And what remains for us to do fifty years after his death?
Dr. Hanoch Ben Pazi ist Professor am Department of Jewish Philosophy der Bar-Ilan University in Ramat Gan.
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Jerusalemer Texte
Schriften aus der Arbeit der Jerusalem-Akademie herausgegeben von Hans-Christoph Goßmann Band 1:
Peter Maser, Facetten des Judentums. Aufsätze zur Begegnung von Christen und Juden sowie zur jüdischen Geschichte und Kunst, 2009, 667 S.
Band 2:
Hans-Christoph Goßmann; Reinhold Liebers (Hrsg.), Hebräische Sprache und Altes Testament. Festschrift für Georg Warmuth zum 65. Geburtstag, 2010, 233 S.
Band 3:
Hans-Christoph Goßmann (Hrsg.), Reformatio viva. Festschrift für Bischof em. Dr. Hans Christian Knuth zum 70. Geburtstag, 2010, 300 S.
Band 4:
Ephraim Meir, Identity Dialogically Constructed, 2011, 157 S.
Band 5:
Wilhelm Kaltenstadler, Antijudaismus, Antisemitismus, Antizionismus, Philosemitismus – wie steht es um die Toleranz der Religionen und Kulturen?, 2011, 109 S.
Band 6:
Hans-Christoph Goßmann; Joachim Liß-Walther (Hrsg.), Gestalten und Geschichten der Hebräischen Bibel in der Literatur des 20. Jahrhunderts, 2011, 294 S.
Band 7:
Hans-Christoph Goßmann (Hrsg.), Geschichte des Christentums, 2011, 123 S.
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Band 8:
Jonathan Magonet, Schabbat Schalom. Jüdische Theologie – in Predigten entfaltet, 2011, 185 S.
Band 9:
Clemens Groth; Sophie Höffer; Laura Sophie Plath (Hrsg.), „... das habe ich nie vergessen, bis heute ...“. Jugendliche befragen Menschen, die die Zeit des Nationalsozialismus erlebt haben, 2011, 200 S.
Band 10:
Hans-Christoph Goßmann, Altes Testament und christliche Gemeinde. Christliche Zugänge zum ersten Testament der Bibel, 2012, 198 S.
Band 11:
Bernd Gaertner; Hans-Christoph Goßmann (Hrsg.), Der Glaube an den Gott Israels. Festschrift für Joachim LißWalther, 2012, 254 S.
Band 12:
Wilhelm Kaltenstadler, Maqāla fī al-rabw. Die Abhandlung des Maimonides über das Asthma, 2013, 171 S.
Band 13:
Hans-Christoph Goßmann; Joachim Liß-Walther (Hrsg.), Gestalten und Geschichten der Hebräischen Bibel im Spiegel der Literatur des 20. Jahrhunderts, 2015, 434 S.
Band 14:
Wilhelm Kaltenstadler, Ernährung im medizinischen Werk des Moses Maimonides, 2015, 132 S.
Band 15:
Yee Wan SO, „And Jesus Replied...” – But what issues did Jesus address in his replies?! The Reception of the Conflict Narratives in the Gospel of Matthew, 2015, 377 S.
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Band 16:
Salomon Almekias-Siegl; Sabine Münch, Gehen wohl zwei miteinander. Jüdisch – christliche Lernwege durch die Bibel, 2016, 288 S.
Band 17:
Michaela Will, Rabbinat bei Franz Rosenzweig, 2017, 102 S.
Band 18:
Hans-Christoph Goßmann; Michaela Will (Hrsg.), „Siehe, wie gut und schön es ist, wenn Geschwister beieinander wohnen“. Festschrift für Wolfgang Seibert, 2017, 202 S.
Band 19:
Joanne Schmahl, Von der „Vergegnung“ zur Begegnung. Die besondere Beziehung zwischen Christentum und Judentum und die Bedeutung des christlich-jüdischen Dialogs für den Frieden, 2018, 139 S.
Band 20:
Hans-Christoph Goßmann (Hrsg.), „Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich“. Predigten zum 10. Sonntag nach Trinitatis, 2018, 243 S.
Band 21:
Wilhelm Kaltenstadler, Altes Testament, jüdische Kultur und deutsches Judentum. Aufsätze zur jüdisch-christlichislamischen Kultur Europas, 2018, 243 S.
Band 22:
Moshe Navon, Dwar Tora. Kommentare zum wöchentlichen Toraabschnitt. Mit Gemälden von Lynne Feldman, 2018, 202 S.
Band 23:
Hans-Christoph Goßmann; Halima Krausen; Michaela Will (Hrsg.), Dialog in Transdifferenz – Transdifferenz im Dialog. Festschrift für Ephraim Meir, 2019, 306 S.
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