Sprachwissenschaft und Philosophie: Ein Beitrag zur Einheit von Forschung und Lehre [Reprint 2021 ed.] 9783112421062, 9783112421055


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German Pages 78 [80] Year 1949

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Sprachwissenschaft und Philosophie: Ein Beitrag zur Einheit von Forschung und Lehre [Reprint 2021 ed.]
 9783112421062, 9783112421055

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ERNST

OTTO

Sprachwissenschaft und Philosophie Ein Beitrag zur Einheit von Forschung und Lehre

W A L T E R D E GRUYTER & CO. vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung / J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung / Georg Reimer / Karl J. Trübner / Veit & Comp. Berlin 1949

Printed in Germany Archiv-Nr. 347249 / Gen.-Nr. 11382. Druckhaus E. Hectendorff, Berlin SO 36 / ISCS 114 / 1400. 4. 49.

Inhaltsübersicht Einführung

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Allgemeine Grammatik und die kategoriale Schichtung der realen Welt

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I. Wortarten und die gegenständliche Schicht

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II. Kategorien der Wortbedeutungen und die Schicht des Geschehens 31 III. Riohtkräfte der Sprache und die Schicht des Geistes

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Schlußbetrachtung Methodologischer Rückblick und heuristischer Ausblick

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Einführung Der Sinn unseres Daseins offenbart sich dem menschlichen Geiste in mancherlei Gestalt der Natur wie auch des kulturellen Lebens — im Zugriff des schaffenden Menschen, im Handeln aus verantwortlicher Entscheidung oder hingebender Güte, in der wissenschaftlichen Forschung, in den Symbolen der Kunst, nicht zuletzt in den Gleichnissen religiöser Schau. Auch die Sprache als „Fundament der Kultur", sachlich und besinnlich betrachtet, weist uns hin auf das Urwissen letzter Zusammenhänge. So soll denn im folgenden versucht werden, die Sprachwissenschaft so weit vorzutreiben, daß sie uns einen Blick in die Urphänomene unseres Seins enthüllt und damit ein überschaubares Weltbild abgibt als Grundlage einer dem Leben abzuringenden Weltanschauung. An solcher Reifung persönlichen Wesens, durch Einheit des Denkens zur Ganzheit der Persönlichkeit, hat, auf Schule und Hochschule, nur teil, wer das Wahre sucht aus der Sehnsucht selbstgerichteten Wissen-Wollens, nicht aber der zweckbestimmte, nüchterne Grübler, der deinos des Phaidros; auch nicht, wer in unsteter Eile zusammenhangloses Wissen häuft in öden „Grammatikstunden" ungeklärter Begriffe. Ich brauche nur zu erinnern an Zahl und Auffassungsweise der Wortarten, an die Deutungen 5

des Bedeutungswandels, an den positivistischen Aufbau der wissenschaftlichen wie dann auch der Schulgramamatiken. So scheint sich denn in den letzten Zeiten wenig geändert zu haben: „Nur im deutschen Unterricht, d e r d e n K e r n d e s deutschen G e i s t e s d e r Z u k u n f t i n d e r H a n d h a t , daß er ihm den rechten Boden gebe zum Wachsen, nur da ist der Hebel noch nicht recht zu spüren". Und selbst R. Hildebrands Kritik („Vom deutschen Sprachunterricht in der Schule", 1903) ermangelt noch der entscheidenden Vorschläge. Denn Sprachforschung, auch „Grammatik", muß wieder -werden, was sie ihrem Wesen nach ist und vordem, in griechisch-hellenistischer Zeit, war: Sprachbetrachtung auf philosophischer Grundlage; dazu ein Stück Kulturgeschichte, um auch in diesem Sinne die Schule zu befruchten.

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Allgemeine

Grammatik und die kategoriale der realen Welt.

Schichtung

Der augenblickliche Stand sprachphilosophischer Forschung ist gekennzeichnet durch zwei sich ergänzende Richtungen, nämlich durch den Rückgang auf die äußere und innere W i r k l i c h k e i t der tatsächlichen S p r e c h l a g e sowie durch das Hindrängen auf Erfassung der k a t e g o r i a l e n G r u n d l a g e n menschlicher Sprache in einer a l l g e m e i n e n G r a m m a t i k . Damit' greift die Sprachforschung auf die ältere Forschung zurück, die an die Namen Herder, Humboldt und Grimm geknüpft ist. So kommt es denn, daß sie in die Bahnen mündet, welche auch die neijere Ontologie eingeschlagen hat. Die Transzendentalphilosophie geht dagegen grundsätzlich nicht vom Gegenstand als dem Bekannten aus, sondern von den subjektiven Bedingungen aller Erkenntnis, d. h. von dem Aufweis der Anschauungsformen Raum und Zeit sowie von der Analyse der Erkenntnisformen. D a das Denken eine „Erkenntnis durch Begriffe" ist, glaubte K a n t , die Einteilung der reinen Verstandesbegriffe oder Kategorien aus dem „Vermögen zu urteilen" systematisch ableiten zu können. Ihre Tafel läuft somit, in der Idee, derjenigen der U r t e i l e parallel und um faßt die entsprechende Gliederung nach der Quantität, Qualität, der Relation und Modalität: So Kant in der transzendentalen Analytik seiner „Kritik der reinen Vernunft". Kants Gegenspieler, Joh. Gottfried H e r d e r , war schon vorher, wenn auch wenig systematisch, in der gekrönten Preisschrift „Über den Ursprung der Sprache" (1770) den Zusammenhängen 7

von umgebender „Natur" und den auffassenden Sinnen nachgegangen: „Die ganze Natur stürmt auf den Menschen, um seine Sinne zu entwickeln, bis er Mensch sey". Unter dem Einfluß von Hamanns religiös-metaphysischer Sprachauffassung, deren Ursprünglichkeit schon früh Goethes hohe Anerkennung gefunden hatte, verfolgte Herder den Prozeß der Erkenntnis und Menschwerdung in engster Beziehung mit dem Ursprung der tönenden Sprache. Wie der erste Zustand menschlicher Besinnung nicht ohne Wort verwirklicht werden kann, so werden „ a l l e Z u s t ä n d e d e r B e s o n n e n h e i t in i h m s p r a c h m ä ß i g " ; seine Kette von Gedanken wird eine Kette von Worten. Hat der Mensch schon als Tier Sprache, so wird mit jedem Gebrauch seiner Sinne wie aller Seelenkräfte auch seine Sprache fortgebildet. Je mehr er Erfahrungen sammelt, desto reicher wird seine Sprache. Herder geht also nicht nur auf das Denken des Menschen zurück, sondern betont die Auffassung der gesamten W i r k l i c h k e i t durch „die ganze Haushaltung seiner sinnlichen und erkennenden, seiner erkennenden und wollenden Natur". Wenn Kant Sinnlichkeit und Verstand in scharfer Gegenüberstellung methodisch voneinander abgrenzt, so ist Herder vielmehr darauf gerichtet, das enge Zusammenwirken und Ineinandergreifen von Natur mit der „ganzen Einrichtung aller menschlichen Kräfte", einschließlich des Gefühls wie auch der Sprache, als ganzheitlichen Entwicklungsprozeß zu erfassen und darzustellen. Auch W i l h e l m v o n H u m b o l d t war der Überzeugung, daß die Sprachen, die aus unerreichbarer Tiefe des Gemüts hervorgehen, einerseits unzertrennlich mit der innersten Natur des Menschen verwachsen sind: „Der Mensch ist nur Mensch durch Sprache." Andererseits ist die menschliche Sprache als Erzeugnis des Avillkürlichen Sprechens die ewige Vermittlerin zwischen dem Geiste und der Natur, das „Abbild" der Gegenstände, insofern die „reale Natur der Objekte" den Eindruck auf das Gemüt hervorbringt: „Das Wesen der Sprache besteht darin, die Materie der Erscheinungswelt in die Form der Gedanken zu gießen." Diese Auffassung der Sprache als produktiver Tätigkeit liegt der Akademieabhandlung „Über das vergleichende Sprachstudium" 8

(1820/21) zugrunde wie auch dem Aufsatz „Uber die Verschiedenheiten des menschlichen Sprachbaues", der dem dreibändigen Werk über die Kawisprache vorangestellt und erst 1836 posthum veröffentlicht ist. Aus dem gleichen Geist ist auch J a c o b G r i m m s historische Forschung entsprossen, die Auffassung von dem natürlichen Wuchs der Sprachen aus dem nationalen Boden der verschiedenen Völker. Der logisierenden Sprachbetrachtung abhold, schwebt J. Grimm eine neue philosophische Sicht der Sprache vor, allerdings in naturgesetzlichem Sinne. Diese Ideen der drei großen Sprachforscher bauten deren Schüler mit ungeheurem Fleiß in unermüdlicher Kleinarbeit aus — bis schließlich die ältere logisch-grammatische Auffassung allmählich wieder die Oberhand gewann. Seit der Grundlegung der griechischen und römischen Grammatik, seit den Bemühungen eines Dionysios Thrax und Apollonios Dyskolos bzw. Remmius Palaemon und weiterhin während der Zeit der Scholastik war die Grammatik immer im engen Anschluß an die L o g i k behandelt worden. Jacob Grimms Bedenken gegen Joh. Chr. Adelung, ebenso H. Steinthals schärfe Kritik an Ferdinand Becker verhallten ungehört. So wurde denn deutsche Grammatik wie auch die der neuen Fremdsprachen formal nach lateinischem Muster betrieben, bis auf unsere Zeit. In einer Akademieabhandlung über „Wirklichkeit, Sprechen und Sprachsymbolik" (Prag 1943) habe ich versucht zu zeigen, inwiefern L. Wyplels Schrift „Wirklichkeit und Sprache" sowie Th. Kalepkys „Neuaufbau der Grammatik", und zwar von der Sprechsituätion her, die Wirklichkeit verfehlt haben, nicht zu sprechen von Fr. Brunots und Ch. Ballys Wendung zur Stilistik, aber doch in bewußter Gegenstellung zur alten Grammatik. Noch weiter lassen die Vorstöße O. Stöhrs, O. Jespersens und J, Schichters in der Richtung einer logistischen SpTachsymbolik die Wirklichkeit ganz absichtlich hinter sich. Sie haben nur eine „neutrale", eine „verkrüppelte Wirklichkeit", mit O. Fr. Bollnows treffender Kritik gesprochen (Beiblatt zur Anglia 54/55, 1944). Es ist das Verdienst des so früh vollendeten Hans Lipps („Die Verbindlichkeit der Sprache", 1944; „Untersuchungen zur Phänomenologie der Erkenntnis", 1928), von der Existenzphilosophie her 9

in den realen Vollzug wirklicher Gespräche eingedrungen zu sein Seine existenzielle Haltung bedeutet nicht eine Flucht aus einei sinnlosen Wirklichkeit, sondern gerade ein Aufgehen in der Verbindlichkeit des gesprochenen Wortes im sinnerfüllten Leben1), Schon vorher war Edm. Husserl in seinen „Logischen Untersuchungen" und den „Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie" zu einer klaren Unterscheidung dei bloßen Bedeutungsintention bedeutungsverleihender Akte auf dei einen Seite und den bedeutungserfüllenden Akten auf der andern Seite vorgestoßen. Die ersteren Akte sind den Namen wesentlich, insofern sie sich auf Gegenständliches beziehen, da wir dann in dem einheitlichen Aktkomplex von Zeichen und Bezeichnetem leben, ohne daß erfüllende Anschauungen gegeben zu sein brauchen. Sobald aber eine bestimmte Gegenständlichkeit mit einem sinnvollen Worte „gemeint" ist, bzw. die bloße Bedeutungsintention mit einer konkreten Anschauung erfüllt ist, wird einer gewissen Wahrnehmung oder Vorstellung nunmehr Ausdruck gegeben. Damit sind wir der Wirklichkeit einer Gesprächssituation schon nähergetreten. Im dieser Richtung schreitet H. Lipps noch weiter voran. Methodisch geht er so vor, daß er zeigt, wie man durch Beispiele einem andern veranschaulichen kann, was man eigentlich mit einem Worte „meint". Die Veranschaulichung durch ein Beispiel bezieht sich auf ein bestimmtes Verhältnis, in das man zu demjenigen tritt, was am Beispiel vorgeführt wird. Denn mit dem, was mir deutlich werden soll, muß „ich in einer bestimmten Situation verbunden sein". H. Lipps belegt demgemäß nicht irgendeine These durch Beispiele, wie es in der Sprachphilosophie üblich ist, sondern geht von der Grundlage eines typischen Beispiels aus. Beim Vollzug seines Sinnes wird man in die Bewegtheit der Betrachtung versetzt. Die Bedeutung, d. h. der Sinn, vollzieht sich in der Aufnahme eines konkreten Zusammenhangs der sinnvollen Rede, wo der Gedanke „erst zu sich selbst entbunden" wird, indem der Vollzug solcher Bedeutung die Erfüllung bringt. Dies Verfahren der Exemplifizierung erläutert H. Lipps vorbildlich an dem *) In der gleichen Richtung bewegt l'Écriture, Paris 1942.

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sich L. Lavelle, La Parole et

Vergleich: Beispiel (Modell) — Exempel — Fall. Ein solches Vorgehen erinnert an A. Martys Auffassung von „habitueller" und „aktueller" Bedeutung, wobei unter „habituell" die Bedeutung zu verstehen ist, die ein Sprachmittel überhaupt haben kann, unter „aktuell" diejenige, die es im konkreten Falle hat. Die aus dieser Methode folgende Sprachschöpfung von Wendungen wie „das Sich-dem-andern-verbunden-zu-haben-wissen", in den immer wieder erneuerten und dann abgebrochenen Ansätzen, begründen H. Lipps' eigentümlichen Stil. Infolge dieser Methode und der hiermit gewonnenen Einsichten wendet sich Lipps gegen die formal-logische Sprachbetrafchtung in Forschung und Lehre. Er legt dar, daß ein Wort im B e g r i f f etwas kenntlich macht auf Grund seiner Merkmale. Wir bestimmen nämlich und nennen ein bestimmtes Tier mit dem Namen Pferd im Hinblick auf seine Merkmale. Damit befinden wir uns noch im Bereich der „alten Logik", einer künstlichen Abstraktion der „Vorgestaltung sichtender Griffe", insofern hier allgemein gültige Vorstellungen zum Ausdruck gebracht werden. In dieser Allgemeingültigkeit liegt eine spezifische Unverbindlichkeit der Ausdrucksweise. Wie die aus dem Zusammenhang gerissenen Wörter an sich unbestimmt und lebensfern sind — ich gebe dazu das klassische Beispiel aufheben in den drei von Hegel unterschiedenen Begriffsbedeutungen —, so auch die im Lexikon aufgeführten Bedeutungen, die sich um dten Kern eines Begriffsfeldes lagern, z. B. principium '(vgl. gr. arche) als Anfang, Ursprung, Element, Grund usw. Daraus erklärt sich die Allgemeinheit der vagen bzw. der äquivoken Namen. Ganz anders der S i n n , wie man dann statt Bedeutung genauer sagen sollte, der Sinn eines Wortes in der wirklichen Rede. So grenzt denn H. Lipps die künstlichen Abstraktionen der alten Logik wie der alten, logisierenden Grammatik mit vollem Recht •von der sinnhaften Rede ab. Nur die letztere ist als schöpferisches Gebilde der durchseelte Spiegel der wahrgenommenen bzrw. vorgestellten Wirklichkeit vernünftiger Menschen. Aber auch nur solche Rede kann zum Ausgangspunkt einer kategorialen Philosophie im exakten und umfassenden Sinne gemacht werden. Sonst kommt man au künstlichen Konstruktionen und Spekulationen. 11

Es wird demgemäß unsere Aufgabe sein, nicht etwa philosophische Erkenntnisse an die Sprache heranzutragen und die philosophische Theorie an Beispielen der Sprache damit zu erhärten, wie die höchst anregenden, Sprache und Sprechvorgang klärenden Werke eines Wundt, Marty, Cassirer gedacht sind, sondern gerade das Umgekehrte: aus dem a l l g e m e i n e n G r u n d g e r ü ' s t der menschlichen Sprache schlechthin, und zwar möglichst an der deutschen Sprache als konkretem Beispiel, einen tieferen Einblick in das Wesen der Sprache wie des sprechènden Menschen und damit in das k a t e g o r i a l e G e f ü g e der realen Welt, im ontologischen Sinne, zu gewinnen. Denn Welt und sprechender Mensch können immer nup in Beziehung aufeinander gedacht werden, wie uns nicht nur Herder, Humboldt, Grimm, sondern auch neuere Philosophen gelehrt haben. Wie ein breiter Strom, aus mancherlei Quellen gespeist und vielseitig verzweigt, zieht sich durch die Geschichte der Philosophie die Überzeugung, daß die gesamte Wirklichkeit, das göttlich durchwaltete Weltganze (die „Natur") und dér Mensch, der dièses Ordnungsgefüge betrachtend überschaut, in Harmonie aufeinander abgestimmt sind. Wilh. Dilthey hat diese Weltanschauung „objektiven Idealismus" genannt (Bd. 5 und 8 der Gesammelten Schriften). Wir zählen zu dieser Geistesrichtung Heraklit, die Stoa und im Zusammenhang mit ihr den Neuplatonismus, Nicolaus von Cues, Giordano Bruno und Shaftesbury, Spinoza, Leibniz, Herder, Goethe, Novalis, Schelling, Hegel, Schleiermacher, Pestalozzi, Schopenhauer. Und auf diesen Bahnen wandeln ja die ersten bahnbrechenden Sprachforscher. Dabei kann man mit P. Häberlin, Naturphilosophische Betrachtungen I, Zürich 1940, der Meinung sein, daß es neben dem grundsätzlichen individualisierten Seienden keine Einheit über den individuellen Existenzen gibt. Zu dieser Richtung gehören auch die sonst in diesem Rahmen übersehenen Vorkämpfer einer ganzheitlichen Sprach- und Weltauffassung: der sprachgewaltige J. A. Komensky, dessen verschiedenartige Nomenklaturen und systematische Klassifizierungen den Parallelismus von Diesseits und Jenseits, Innen und Außen, res et verba, Deus - t natura — ars zum Ausgang nehmen. Weiterhin J. D. Hamann, der glühende Verehrer des muttersprachlichen 12

Wortes, der zugleich die unausschöp fliehe Tiefe, die Ursprünglichkeit und Einheit von Vernunft, menschlicher Sprache und geistiger Welt verficht gegenüber jeglicher Zergliederung und Rationalisierung der Aufklärung, damit auch des Kritizismus; von Hamann inspiriert, neben Herder weiterhin Goethe, der auch in der Sprache die eigenartige Schöpfung des menschlichen^ Geistes sieht, nicht eine künstliche Erfindung, sondern ein Produkt naturhafter Bedingungen sowie seelischer, göttlicher Kräfte, als Ausdruck allgemein menschlichen Wesens wie des besonderen Yolksgeistes; schließlich, auf einsamer Höhe, Joh. Heinrich Pestalozzi, seine eigenwilligen Intuitionen in ihrer Tragweite selbst nicht überschauend. Hatte er doch dem Sprachunterricht und, von da zum Sprachstudium weiterschreitend, der Sprache und dem Sprechen sein größtes Interesse zugewandt, wie sein wohl unterbrochenes, aber doch nie ermattetes Ringen bezeugt. Von der „unbegreiflichen Harmonie" zwischen dem Ganzen einer Sprache aufs tiefste überzeugt, wovon der erscheinende XIV. Band der kritischen Ausgabe besonders eindringlich kündet, sucht er, trotz aller Ungleichheit der „äußeren Menschenlagen", doch zur „ a l l g e m e i n e n B a s i s " der.Sprache und Kultur in der Menschenerziehung durchzudringen. Das wird mit steigender Klarheit in dem Schriften der Alterszeit ausgesprochen, die auf das „Ewige" und „Unveränderliche"', auf das „innere Wesen" des Menschen hinzielen, was wir das K a t e g o r i a Y e nennen und unter dem wir nicht irgendwelche „eingeborene Ideen" im Sinne von Vorstellungen verstehen, auch nicht ein bloß subjektives Befiridlichsein, sondern die unser ganzes Dasein durchwaltenden Gesetzlichkeiten. Ihnen ist auch der Mensch und seine Sprache eingegliedert. Mit H. Lipps' Worten: „Die Sprache ist nicht zu lösen aus einer bestimmten Weise des Durchstimmtseins von der Welt." Nur in diesem Innesein kann uns die Sprache sichere Auskunft geben von dem strukturalen Aufbau der realen Welt, einschließlich des sprechenden Menschen. Wer jedoch mit Aristoteles und Kant auf das (logische) Urteil zurückgreift, hat die Ursprünglichkeit der Sprache bereits verfehlt! Damit ist uns der Weg vorgezeichnet. Um die allgemeine Struktur der menschlichen Sprachgebung zu erkunden, werden wir daher nicht von dem verstandesmäßigen 13

Urteil ausgehen, sondern von dein natürlichen Akt menschlichen Sprechens. So können wir zum Grundgefüge des menschlichen Sprachbaus durchstoßen, das man die „ a l l g e m e i n e G r a m m a t i k " genannt hat. Insofern Sprache und „Wirklichkeit" übereinstimmen, da sie ja beide miteinander im Laufe der Jahrtausende geworden sind, wird sich damit auch das Grundgerüst unserer Lebenswirklichkeit enthüllen. Es ist A. Marty ebenso wie Edm. Husserl weitgehend zuzustimmen, daß die Aufgabe der Sprachphilosophie darauf abzielt, das E m p i r i s c h e , so wie es wesentlich „durch die allgemeinen und doch nur faktischen Züge der Menschennatur bestimmt" ist, von dem rein Grammatischen zu sondern, d. h. vom „A p r i o r i s e h e n " oder auch der „idealischen Form" der Sprache, worauf schon Humboldt ausging. Es fragt sich aber, ob der Zusatz „rein" uns nicht wieder in den Formalismus der Logik zurückwirft; es fragt sich weiter, was mit dem vieldeutigen Wort „Apriori" gemeint ist. Mit Recht wenden sich daher Martys „Untersuchungen zur Grundlegung der allgemeinen Grammatik und Sprachphilosophie'" (1908) gegen die Bezeichnung „reine Grammatik", wodurch die ganze Frage in der Tat mit der Kantischen Problematik und Terminologie verquickt wird. Im Hinblick auf Martys berechtigte Kritik zieht sich Husserl in der 2. Auflage seiner „Logischen Untersuchungen" (2/1, 1913) auf die Bezeichnung „rein logische Grammatik" zurück, setzt auch gelegentlich hinzu: im Sinne der „allgemeinen Sprachwissenschaft", welche, das „Fundament" erforscht, „dessen theoretisches Heimatsgebiet die reine Logik ist". Diese Einengung des Problems kann unseren Absichten nicht entsprechen, worauf auch schon H. Lipps' Kritik hinweist. Zudem behandelt Husserl, in stärkerem Maße als Marty, vorzugsweise semasiologische Fragen. Die folgenden Ausführungen werden hingegen dartun, daß nicht nur die Begriffsbedeu^ungen, sondern gerade die syntaktischen Beziehungsbedeutungen und überdies ganz besonders die historische Sprachwissenschaft wie auch die Sprechkunde eine Fundgrube sprachphilosophischer und damit allgemein philosophischer Einsichten sind, die sich niemand, der von „Kategorien" im umfassenden Sinne handelt, entgehen lassen darf. Immerhin ist Martys Bezeichnung „allgemeine Grammatik" auf dem 14

richtigen Wege» Auch wenn er vom „Apriori" und dem „apriorischen Fundament aller Grammatik" spricht, sagt er mit Recht, daß darüber nur die Erfahrung Aufschluß geben kann, d. h. die Rückbeziehung auf die W i r k l i c h k e i t . So treten immer wieder die Beziehungen auf zwischen der sinnlich-anschaulichen Wirklichkeit einerseits und dem „idealen Kategorienschema" einer allgemeinen Grammatik, dem „apriorischen Fundament" aller Grammatik andererseits, wie schon anfangs dieser Arbeit bemerkt war. Diesem Problem gehen wir nunmehr im einzelnen nach, und zwar im Hinblick auf die Grundfrage der Philosophie, der Kategorienlehre. Zuvor sind die umstrittenen Begriffe der „Wirklichkeit" und der „Kategorie" durch einige Erläuterungen zu klären 1 ). Was den Bedeutungsgehalt des W i r k l i c h k e i t s b e g r i f f e s betrifft, so ist zu unterscheiden zwischen der Erkenntnistheorie und der Psychologie des Denkens, d. h. der Lehre von den Denkprozessen; weiterhin zwischen der Lehre von der Wirklichkeitserkenntnis und der (reinen) Ontolögie der Wirklichkeit; schließlich zwischen Ontologie und Metaphysik, der Lehre vom „Übersinnlichen". Mithin ist zu sondern die gnoseologische, die psychologische, die ontologische und die metaphysische Fragestellung. Die O n t o l o g i e handelt von der sinnlich wahrnehmbaren i m m a n e n t e n Wirklichkeit wie auch von der sinnlich nicht wahrnehmbaren t r a n s z e n d e n t e n Wirklichkeit an sich. Es ist mithin die ansichseiende transzendente Wirklichkeit zu unterscheiden von der immanenten Wahrnehmungswirklichkeit bzw. Bewußtseinswirklichkeit (einschließlich der emotionalen Akte gefühlsbetonten Wollens). Das in diese umfassende Wirklichkeit eingebettete S u b j e k t , als ein Seiendes unter anderen, sowie das O b j e k t sind Glieder des Seinszusammenhangs der realen Welt, wobei weiterhin ein anderes Subjekt auch Objekt des ersteren Subjekts sein kann. *) Vgl. G. Jacobi, Allgemeine Ontologie d. Wirklichkeit, I, Halle (Saale) 1925, S. 15 ff.; N. Hartmann, Grundzüge einer Metaphysik der Erkenntnis, Berlin u. Leipzig 1921, S. 256 ff., 262 ff., 279 ff.

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Während der natürliche Realismus das Erkenntnisbild in seiner Konkretheit als real hinnimmt, halten wir uns nur an die k a t e g o r i a 1 e Einheit von Subjekt und Objekt. K a t e g o r i e n als Ansichbestimmtheiten des Subjekts wie des Objekts sind reale Gesetzlichkeiten sowohl der Erkenntnis wie des Seins. Sie sind ü b e r g r e i f e n d , insofern Subjekt und Objekt der Grundstruktur einer gemeinsamen Seinssphäre eingelagert sind. Eine „Identität" von Erkenntnis- und transzendenten Seinskategorien kann nicht aufrechterhalten werden. Ihre Gesetzlichkeiten stimmen vielmehr im Grunde nur soweit überein,' als ihr gemeinsamer Kern eine G l e i c h g e r i c h t e t h e i t in sich schließt; daher ihr grundsätzlich irrationaler Charakter. Nur in diesem Sinne mag man sagen, daß die Prinzipien des Subjekts zugleich Prinzipien des Objekts sind; in diesem Sinne können auch die Erkenntniskategorien die Seinskategorien „repräsentieren". Auf dem Gebiete der sinnlich-anschaulich erfaßten „Gegebenheit" gibt uns eine wissenschaftliche Theorie der W o r t a r t ein erstes Mittel an die Hand, das Gefüge der das Subjekt und das Objekt bestimmenden Seinsrelationen in den Griff zu bekommen, insofern sie beide einem einheitlichen Seinszusammenhang der ontisch realen Welt eingeordnet sind, was nunmehr zu zeigen ist

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I. Wortarten

und die gegenständliche

Schicht.

Wir nehmen unsern Ausgangspunkt von der grundlegenden Sonderung von B e g r i f f s b e d e u t u n g und syntaktischer B e z i e h u n g s b e d e u t u n g . Die Begriffsbedeutung der einzelnen Vollwörter im Rahmen der sinnhaften Rede haben wir als ihren „Sinn" bezeichnet. Ihre wechselseitigen Beziehungen im Satze werden dazu gekennzeichnet durch die Beziehungsbedeutungen der „Beziehungsmittel". Wir unterscheiden vier Hauptgruppen solcher B e ziehungsmittel: In dem Satze Aq\iila non capit muscas sind Subjekt (aquila) und Objekt (muscas) durch F l e x i o n unterschieden, ebenso das Prädikat (capit). Die Satzbeziehungen können aber auch durch W o r t s t e l l u n g - w i e durch S t i m m o d u l a t i o n (Akzent) gekennzeichnet sein; aber auch durch die Wortart, z. B. Magister dixit, in welchem Falle das substantivische Subjekt (magister) und das verbale Prädikat (dixit) eindeutig durch kennzeichnende Wortarten voneinander abgehoben werden. Also ist auch die Wortart ein Beziehungsmittel. Wo immer wir „deklinieren" (der Tisch, des Tisches usw.) oder „konjugieren" (ich liebe, du liebst usw.) oder „steigern"- (groß, größer usw.), stets ändert sich mit der „Form" des Beziehungsmittels auch ihre Beziehungsbedeutung. Das gleiche gilt für die Abwandlungen der Stimmodulation und auch der Wortart, z. B. der Dank — dankbar — dank (Präposition) — danken. Wo aber keine Unterschiede der Form zu erkennen sind, kann auch keine Kennzeichnung durch Beziehungsmittel vorliegen; so verzichtet die deutsche Sprache auf die Unterscheidung von Subjekt und Objekt mittels der Flexion in Fällen wie Die Mutter lobt ihr Kind, da Nominativ und Akkusativ nicht unterschieden sind. Dieser Ausgleich der Formen ist in den klassischen Sprachen unter dem Namen „Synkretismus" bekannt. Wer sich vorurteilsfrei auf ein Vorrecht der Flexion nicht versteift, sondern auch den anderen Beziehungsmitteln ihr Recht zugesteht und den historischen Wandel in der Verwendung der Beziehungsmittel erkannt hat, wird 17

sich auch der Einsicht nicht verschließen, daß die Flexion allmählich von' der ökonomischen Wortstellung zurückgedrängt wird. Wirkungsart und Umfang der einzelnen Beziehungsbedeutungen werden mittels der sogenannten „Regeln" bestimmt, z. B. durch, für, ohne, um „regieren" den Akkusativ. Mit dem schlichten Wort „regieren" bezeichnet man mithin die Art, in der bestimmte Satzbeziehungen, d. h. ihre Beziehungsbedeutungen sprachlich ausgeformt werden. Psychologisch ist dieser Vorgang im Akt der Sprechhandlung bisweilen recht verwickelt, z. B. im Falle des französischen Konjunktivs, wo der Modus des abhängigen Satzes im Sinne des Hauptsatzes, bzw. des „regierenden" Prädikats determiniert wird. Betrachten wir mit O. Selz den gesprochenen Satz als Ausgliederung einer Gesamtvorstellung im Rahmen eines antizipierten Satzschemas mittels Komplexergänzung, so gehen in dem Beispiel Je suis ravi qu'il soit venu von dem Vorstellungsgehalt des Hauptsatzes determinierende Tendenzen aus, die sich am Verb des Nebensatzes, als der Bezugsvorstellung (N. Ach), auswirken. Wenn man statt Beziehungsbedeutung ( = determinierende Tendenz) auch „Funktion" gesagt hat oder mit W. Wundt „allgemeine Bedeutung", „innere Wortform", „Begriff", ja auch „Stellung" usw., so beweist das eben, wie selbst hervorragende Gelehrte vom Range eines Wundt („Die Sprache" II), ebenso Miklosich, Scherer, Behaghel, über diese entscheidende Frage nicht im klaren gewesen sind. Ist es doch seltsam, wie wenig sich die Sprachwissenschaft mit der Sprechkunde befaßt hat, nachdem bereits H. Paul in seiner Lehre von den „Analogiebildungen" mit diesem Problem gerungen hat, die ich dann in meiner „Grundlegung der Sprachwissenschaft" (1919) weiter zu klären gesucht habe. Die Beziehungsbedeutungen der Beziehungsmittel sind demgemäß wesentlich verschieden von den Begriffsbedeutungen. Vergleicht man z. B. Ich merde kommen und Ich komme morgen, so ist im ersteren Falle der Zeitpunkt der künftigen Handlung nur kategorial im Rahmen der Zeit durch die Beziehungsbed^utung des Futurums charakterisiert, im letzteren Falle aber begrifflich durch das Vollwort morgen bestimmt. Ähnlich Kommt er? im Unterschied zu Wann kommt er?, wo das Begriffswort mann die Frage zeitlich genauer festlegt, als es durch das syntaktische Beziehungs18

mittel der Wortstellung geschieht. Entsprechend haben wir es beim Gebrauch der Wörtarten nicht etwa mit Begriffsbedeutungen zu tun, sondern mit Beziehungsbedeutungen. Im Falle des Beispiels der Laut (als Substantiv), laut (als Adjektiv), laut (als Präposition) und lauten (als Verb) ist die Begriffsbedeutung innerhalb des Wortfeldes die gleiche; doch die Beziehungsbedeutung des Wortkernes ändert sich, da das Substantiv der Laut das Subjekt kennzeichnet, z. B. Der Laut sch roird so und so gesprochen. Dagegen charakterisiert das Verb lauten das Prädikat als solches, B. der Satz lautet folgendermaßen. Entsprechend: seine Stimme ist laut, laut Verordnung vom... So erweist sich die Wortart als das bequemste Mittel, die verschiedenen Satzteile zu kennzeichnen, auf welcher Grundlage sich dann sekundär noch Flexionen entfalten können. Und wie so oft, ist auch hier das Selbstverständliche übersehen worden. Es wäre aber verfehlt, die Beziehungsbedeutungen der „Formen" als inhaltlich „formal" aufzufassen in der Art quantitativer Bestimmungen der Mathematik oder der mathematischen Physik. Die Beziehungsbedeutungen haben vielmehr eine materiale Erfüllung, nur nicht im Sinne der Begriffsbedeutungen, aus denen die Flexionen allerdings entstanden sein können, z. B. franz. de mon père, lat. de = von... her1). —• Wie sich die Begriffsbedeutungen als Namen der Gegenstände (im weitesten Sinne) auf die geschaute oder vorgestellte W i r k l i c h k e i t beziehen, so auch die B e z i e h u n g s b e d e u t u n g e n , was bereits oben (S. 18) bei Erörterung der Wortart anklang und auch schon in Pauls „Prinzipien *) H. Rickert ringt mit dem Gedanken einer gegliederten Rangordnung der Werte. Er glaubte dabei, von a l l e n Sinngehalten absehen zu müssen, um nicht dem „Psychologismus" zu verfallen. In dem Kapitel über das Prinzip der Voll-Endung (System der Philosophie I, 1921) -spricht er sich folgendermaßen aus: „Vor allem haben wir darauf zu achten, daß unsere Begriffe von allen geschichtlichen Besonderheiten frei bleiben, um auf alle denkbaren historischen Erfüllungen bezogen (werden zu können. Wir müssen also von allen inhaltlichen Verschiedenheiten auch des Sinnes der Wertungen absehen. Deshalb reflektieren wir zuerst auf das allgemeine Wesen des wertenden Verhaltens, das Güter schafft, und suchen seinen immanenten Sinn in allgemeingültiger Weise als den Sinn a l l e s Wertens und Güterschaffens überhaupt zu bestimmen. Dann erst

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der Sprachgeschichte" (1880, 1920) in einem besonderen Kapitel unter dem Titel „Psychologische und grammatische Kategorien" (!) behandelt ist. W i r ü b e r b l i c k e n d a r a u f h i n d i e v i e r B e z i e h u n g s m i t t e l , wobei wir unter der nachgebildeten W i r k l i c h k e i t eine „autonome Schöpfung des Geistes" verstehen (E. Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen", 1923), mithin die gesamte Außenwelt der Gesprächssituation, dazu auch alle Stimmungen und Stellungnahmen der Innenwelt:, 1. D i e F l e x i o n . Auf dem Gebiete der K a s u s t h e o r i e hat sich allerdings die lokalistische These nicht behaupten können. W. Wundts Einteilung der Kasus in solche der „inneren" und solche der „äußeren" Determination enthält den richtigen Kern, daß die letztere nicht innensyntaktische Beziehungen betrifft, sondern Hinweise auf die äußere Wirklichkeit meint! Wundts Verwechslung von Kasus (der inneren Determination) mit der Wortstellung ist dahin zu berichtigen, daß Kasus, die keine Kennzeichen haben, überhaupt nicht als solche anzusprechen sind. Wohl darf man aber behaupten, daß dem Ablativ wie dem Lokativ eine Raumvorstellung zugrunde liegt,* auch dem Akkusativ, wenn sich die Begriffsbedeutung des Verbs in der Richtung auf das Objekt zu einer Einheit ergänzt oder dessen Sinnverwirklichung vollendet. Dabei darf nicht übersehen werden, daß sich die angeschaute Wirklichkeit nicht in bloßen Raumbeziehungen erschöpft, wie auch schon B. Delbrück in seinen „Grundfragen der Sprachforschung" (1901) bemerkt hat. Es drücken der Genetiv, auch als adnominaler Kasus, fragen wir, ob und inwiefern die verschiedenen Werte, die an den geschichtlich vorfindbaren Gütern haften, in ihrer Eigenart zu diesem wertenden Verhalten eine verschiedene Stellung einnehmen, d. h. es in verschiedener Weise inhaltlich e r f ü l l e n , und inwiefern sie sich mit Bücksicht auf diese inhaltliche Erfüllung ordnen lassen." Im Gegensatz zu dieser Auffassung, die beispielsweise auch von P. Natorp (Sozialpädagogik, 1922) vertreten wird, ist festzustellen, daß den Wertungen (Wertrichtungen bzw. Kategorien), abgesehen von ihren historischen Erfüllungen, noch ein allgemeiner Sinn eignet; sonst würden sie alle im Grunde zusammenfallen, was tatsächlich bei Natorp eintritt (Urgesetz der „Gesetzlichkeit"). Vgl. M. Schelers Kritik an Kants Identifizierung des Apriorischen mit dem Formalen (Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik, 1921).

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und der Dativ, als Kasus der bloßen Beteiligung, die verschiedenartigsten Beziehungen seelischer Wirklichkeit aus, die in der Sprache nachgebildet werden. Der Übergang vom klassischen Latein zu den romanischen Sprachen bietet einen sichern Einblick in das allmähliche Verblassen sinnfälliger Anschauungen bzw. voller Begriffsbedeutungen. Es wird darüber kein Zweifel bestehen, daß die Numeri ebenso wie 'die grammatischen Geschlechter in Anlehnung an dje reale Umwelt entstanden sind, desgleichen die Steigerungsformen der Größe, Stärke usw. Im Rahmen der Konjugation beziehen sich die verschiedenen P e r s o n e n auf die Teilnehmer der Gesprächslage. Die T e m p o r a , A s p e k t e , A k t i o n s a r t e n geben all^emein-kategoriale Verlaufsarten des Geschehens an, die g e n e r a v e r b i die Richtung der Tätigkeit bzw. des Erleidens. Die M o d i tund zwar Imperativus, Voluntativus, Optativus, Potentialis usw.) spiegeln Stellungnahmen einer Person wider im Hinblick auf die im Satze ausgedrückten Gehalte, charakterisieren also auch wirkliche Tatbestände. 2. Wenn die Beziehungsbedeutungen der Flexionen, im Vergleich mit den Begriffsbedeutungen der Vollwörter, schon einen abgeschwächten Grad der Bedeutungserfüllung aufweisen, so gilt das noch mehr von der W o r t s t e l l u n g als Beziehungsmittel: sie kennzeichnet die Abhängigkeit schlechthin, und zwar Zusammenhänge der erlebten Außenwelt, die dann auf die Wörter des Satzzusammenhangs übernommen werden. Ist die Flexion immerhin der Wortstellung weit überlegen an Klarheit und Klangfülle, so hat sich die Zeit und Kraft ersparende Wortstellung mit steigender Intensivierung unseres rastlosen Wirtschaftslebens doch mehr und mehr durchgesetzt. Denn es ist eine erwiesene Tatsache, daß die (unökonomischen) Flexionen erst dann fortgefallen sind, wenn sich die Wortstellung genügend gefestigt hatte, soweit nicht beide Vorgänge wechselseitig ineinandergrdffen. Es hat also der Drang nach Kürze gesiegt über das Streben nach anschaulicher Genauigkeit und Schönheit. Doch bricht im Kreislauf — besser: im Spirallauf 21

— des Sprachwandels straktere Wortstellung rakter der Vollwörter, seits wieder verblassen

immer wieder die Tendenz durch, die abdurch sogenannte Partikeln, mit dem Chaanschaulich zu verstärken, die nun ihrerkönnen.

Daß die linear-anreihende Wortstellung, die Zusammenstellung bzw. Trennung von Wörtern der geschauten oder vorgestellten Wirklichkeit entspricht, leuchtet ohne weiteres ein und wird weitgehend erhärtet durch die Gebärdensprache der Taubstummen wie durch die Sprache ursprünglicher Völker. Nach W. Wundt („Die Sprache" I) bietet die Gebärdensprache die „Ereignisse genau in der Folge, in der sie erlebt wurden. Sie beschreibt Gegenstände genau in der Ordnung, in der sich ihre Teile der Beobachtung aufdrängen". Ebenso bezeichnen die symbolischen Gebärden in ihrer ursprünglichsten Bedeutung „immer zugleich ein Gehen in der angegebenen Richtung, demnach einen zeitlich-räumlichen Vorgang". Im Falle der Emphase tritt das, was zunächst in die Sinne fällt, bzw. eindringlich erlebt wird, dementsprechend an die Spitze des Satzes; das abschließend logisch Wichtige bildet den Beschluß. 3. Die klangliehen Beziehungsmittel S t i m m o d u l a t i o n und d y n a m i s c h e r A k z e n t sind unmittelbare Wiedergaben des Erlebten, also auch der Wirklichkeit. Sie werden weitgehend von Volk zu Volk verstanden, so der emphatische Stimmungsgehalt lebhafter Redeweisen, im gewissen Sinne auch die logisch gegliederte Art selbstbeherrschter Rede. Während der Aussagesatz, den wir auch als Stellungnahme (statt eines gesetzten Urteils) charakterisieren können, in fallender und damit abgeschlossener Intonation als ein vollendetes Ganzes erscheint, können Fragen als unvollständige Gebilde klanglich in der Schwebe bleiben. Aufforderungen, in ihren Abstufungen von zurückhaltenden Mahnungen bis hin zu drohenden Befehlen, sind auch klanglich selbst ein Glied der wirklichen Befehlshandlung. Der wichtigste Teil der Mitteilung wird im Deutschen durch Nachdruck hervorgehoben und so sinnfällig verstärkt. 4. Das Verhältnis der W o r t a r t e n zur Wirklichkeit, das des öfteren bereits gestreift wurde, zwingt uns schließlich zu längerem 22

Verweilen, zumal man dieses Beziehungsmitte] in völliger Verkennung seines Charakters ganz äußerlich zur Einteilung der Grammatik verwendet. Mit vollem Recht war jedoch schon von A. Marty in seinen nachgelassenen Schriften, die von O. Funke unter dem Titel „Satz und Wort" (1925) veröffentlicht sind, die Mahnung ergangen: „Man hätte also die Frage zu erörtern, welchen Zweck die Redeteile zu erfüllen haben." Statt dessen baut man nach wie vor die Grammatiken in positivistischer Art von den Elementen her synthetisch auf, statt das Ganze der Sprache, mit der Syntax be-' ginnend, in geisteswissenschaftlicher Weise allmählich zu analysieren! So nimmt es kein Wunder, wenn Stilistiker wie F. Brunot, „La pensée et la langue" (1926), der üblichen Unterscheidung syntaktischer Kategorien den Rücken gewandt haben', wogegen sich nun wiederum A. Meillet und van Ginneken ausgesprochen haben. Was die A r t u n d Z a h l d e r W o r t a r t e n betrifft, so hat man sich seit Aristoteles, ohne Redeteile und Satzteile klar zu scheiden, auf die Sonderung von Nomen und Verbum beschränkt und diese Zahl auf drei (Francesco Sanchez de las Brozas) bis vier ergänzt, wobei lange Zeit, trotz Priscian und Melanchthon, Nomen und Adjektiv als eine einzige Klasse angesehen wurden. Die gesamte Literbtur über diese Frage habe ich in einer Akademieabhandlung „Sprache und Sprachbetrachtung" (1944) kritisch beleuchtet und darf mich daher hier kurz fassen. Die Anlehnung an das ldgische Urteil (Grammaire générale, G. Hermann) verschob die sprachpsychologische Lösung des Problems. In Verkennung der Wortart stieg ihre Zahl auf acht, indem für den im Lateinischen fehlenden Artikel die Interjektion — ein ungegliedertes Satzäquivalent! — eingesetzt wurde, dann auf neun und zehn, wobei der Artikel im Deutschen als Wortart aberkannt und das Adjektiv vom Substantiv als Sonderklasse abgelöst wurde. In dieser stattlichen Zahl zog die Wortart in Schulen und Hochschulen ein. In neuester Zeit erhöht sich ihre Anzahl gar auf dreizehn, fünfzehn und darüber hinaus. Das ist nun doch zu viel des Guten! Vergleichen wir einmal die Klassen der gewöhnlich aufgezählten Wortarten, so leuchtet ein, daß das Pro-nomen neben dem Nomen nicht den Charakter einer selbständigen Kategorie beanspruchen kann, auch nicht das adjektivische Numerale neben dem Adjektiv. 23

Der (betonte) Artikel ist ein Pronomen oder (unbetont) ein Gliedwort ohne eigene Begriffsbedeutung, das Substantiv als solches kennzeichnend. Schließlich verhält sich das Adverb, das sehr häufig ein Ad-Adjektiv ist oder ein Ad-Relationswort, zum Verb wie das Adjektiv zum Substantiv: es gibt die Eigenschaft an; so gehen denn auch Adjektiv und Adverb häufig ineinander über, wie die historische Grammatik zeigt. Dann bleiben nur v i e r voneinander unabhängige, wesensverschiedene Kategorien übrig: d a s G e g e n s t a n d s - , das E i g e n s c h a f t s - , das R e l a t i o n s w o r t (Präposition sowie Konjunktion) und d a s V o r g a n g s w o r t . Der geschichtliche Rückblick ergibt, daß die Stoa bereits grundsätzlich auf diese vier Kategorien hinzielt, nachdem schon Aristoteles seine obersten Gattungsbegriffe unter g r a m m a t i s c h e m Gesichtspunkt gefunden hat. So stößt auch der späte Neuplatoniker und Kommentator des Aristoteles, Simplikios, In Arist. categorias, in dieser Richtung vor und unterscheidet vier Wortarten: 1. Substrat (Substanz), 2. die (geschaffene) Qualität, 3. wie sich verhaltend, und 4. wie sich gegen irgend etwas verhaltend (Relation). Bernhardi unterscheidet in seinen „Anfangsgründen der Sprachwissenschaft" (1805), welche auf die Herausarbeitung der notwendigen Kategorien der Sprache hinstreben, zunächst drei Redeteile: Substantiv, Attribut (Adjektiv), Verb und daneben, sich mit der ersten Gliederung durchkreuzend, die Partikeln, wozu Präpositionen und Konjunktionen gehören. Eindeutiger stoßen auf die angegebene Yierzahl vor Fr. Misteli, W. Wundt, L. Sütterlin, A. W. de Groot, O. Naes, H. Delacroix u. a. Auch Logiker, wie Chr. Sigwart („Logik" I, 1911) und Psychologen wie E. Meumann („Vorlesungen zur Einführung in die experimentelle Pädagogik", 1911) haben die Vierzahl der Kategorien (bzw. Entwicklungsstadien) erkannt. Es will sehr viel bedeuten, wenn ein so selbständiger Denker wie H. Pestalozzi, mit den Grundfragen der Sprache ringend und dabei immer auf das Allgemeine der Grammatik, besonders im „Schwanengesang" und in der „Skizze" zur „Langenthaler Rede" hinsteuernd, vier Wortarten als „Fundament der Redekraft" angibt: Nenn-, Beschaffenheits-, Zeit- und Verbindungswörter. So in seiner, grundlegenden 24

Schrift „Wie Gertrud ihre Kinder lehrt" und ähnlich in den „Epochen": Namen f ü r Gegenstände (Teile des Körpers), Eigenschafts-, Zeit- und die „Nebenwörter", welche „die Beschaffenheit ihrer Verrichtungen" bestimmen. Siehe dazu meine Schrift „Pestalozzi, Werk und Wollen", Berlin 1948. Die vier Kategorien menschlicher Sprache sind augenscheinlich eine getreue und umfassende Nachbildung der mit den Sinnen angeschauten Wirklichkeit. Gegenstände (i. w. S.) werden demgemäß kategorial als Substantiva, Eigenschaften als Adjektiva, Relationen als Präpositionen bzw. Konjunktionen, Vorgänge (i. w. S.) als Verben sprachlich „geformt" und entsprechen insofern der anschaulich wahrgenommenen bzw. vorgestellten Umund Innenwelt, d. h. der immanenten und vielleicht auch der transzendenten Wirklichkeit 1 ). Da der Satz unsere Aussagen (Fragen usw.) über die beobachtete und erlebte Welt enthält, so ist es natürlich, daß die Sprache nicht nur Gegenstände, Eigenschaften, Relationen und Vorgänge mit Namen (Begriffsbedeutungen) nennt, sondern diese Sinngehalte auch noch mit Hilfe wirklich bestehejnder Beziehungen sprachlich verknüpft. So kommt es, daß den Vollwörtern nicht nur eine Begriffsbedeutung eignet, z. B. trotz, sondern daß diese Vollwörter überdies im Sinne der vier angegebenen Wortarten noch abge-' wandelt werden können, z. B. der Trotz, trotzen usw., wodurch auch bestimmte Beziehungen zwischen den einzelnen Begriffswörtern angegeben werden, sofern die Sprache auf die Kennzeichnung eines Begriffswortes mit Hilfe der Wortart nicht verzichtet. Denn erst dann, wenn z. B. in dem oben lateinisch zitierten Satze Der Meister hat gesprochen von einem Seienden ein Tun oder ') „Der- Begriff des Urteils ist entschieden abstrahiert vom grammatischen Satze mit Weglassung der Wortform; aus Subjekt und Prädikat wurden die Kategorien der Substanz und Akzidenz auf dieselbe Weise herausgezogen. Einen entsprechenden begrifflichen Gegensatz von Substantivum und Yerbum zu finden, ist heute noch ein ungelöstes, vielleicht sehr fruchtbares philosophisches Problem." Ed. v. Hartmann, Philosophie des Unbewußten I, Leipzig 1932, S. 125. Da er aber die Gesichtspunkte „Syntax" und „Wortart" durcheinanderwirft, wie es auch sonst geschieht, kann er in der Lösung des „vielleicht sehr fruchtbaren philosophischen Problems" nicht vorankommen. 25

Lassen ausgesagt wird und auf das Seiende als S u b s t a n z (Substantivum), z. B. mit Hilfe des Artikels, hingewiesen wird; wenn weiterhin das Geschehen kategorial als V o r g a n g in einer verbalen Form gekennzeichnet wird, erst dann wird die syntaktische Beziehung zwischen beiden Begriffswörtern (Substantivum und Verbum) mittels der Wortart eindeutig offenbar. So werden die sogenannten Wortarten zu Trägern syntaktischer Beziehungsbedeutungen, wie es experimentell in einer aufschlußreichen Arbeit „Uber die Entstehung des Satzbewußtseins" (1935) von O. Niemeyer bestätigt ist. In diesem Sinne äußert sich auch H. Lipps in der ihm eigenen Ausdrucksweise: „Eine solche von der Sprache gestiftete, im Worte vorgezeichnete, sichtungsbahnende Beziehung ist z. B. die verbale Grundbedeutung" (d. h. Beziehungsbedeutung). Um die Beziehungsbedeutung, den Geltungsbereich .und den Wertigkeitsgrad verschiedener Beziehungsmittel zu erproben, könnte man auch den Versuch machen, nach Art eines gedrängten Telegramms auf das eine oder andere Beziehungsmittel zu verzichten, z. B. Vaters ankunft donnerstag vormittag, im Sinne von Der Vater roird Donnerstag vormittag ankommen. Mit Stimmodulation, Pause, Nachdruck kann allerdings der Stil des Telegramms nicht arbeiten, aber die Wortstellung kann eine bedeutende Rolle spielen. Es ergibt sich indes auch, wie weit die Wortart allein für sich ausreicht, um den Sinngehalt einer Aussage herauszustellen. In der gewöhnlichen Rede erfolgt schließlich das Satzverständnis aus dem Zusammenwirken aller sich wechselseitig unterstützenden Beziehungsmittel — und auch der Begriffsbedeutungen. Der verstandesmäßigen Durchdringung dieses höchst verwickelten Prozesses stehen immerhin sehr große Schwierigkeiten entgegen. In diesem Zusammenhang mache man sich klar, daß die deutsche Schreibart der Substantiva mit großem Anfangsbuchstaben nicht eine lexikalische Frage der sogenannten Rechtschreibung bedeutet, sondern die Syntax angeht. Vielleicht täte man also besser, statt der grundsätzlichen „Vereinfachung", in diesem Falle die Jugend in den syntaktischen Sinn und damit auf den angemessenen Gebrauch der Wortart hinzuführen, im übrigen sie aber nicht zu bevormunden, sondern großzügig Freiheit zu geben. 26

Mit dieser Aufhellung der Wortart, ihrer Anzahl und besonderen Leistungsfähigkeit taucht wieder das alte Problem auf, wie weit man aus der menschlichen Sprache auf die „im Gemüthe a priori bereit liegenden" Formen (Kant) bzw. auf die gegebene Wirklichkeit schließen kann. Steht doch hinter den empirischpsychologischen wie den rationalistisch-logischen Sprachtheorien seit Heraklit immer wieder die Frage nach dem Beitrag, den die Sprache für den Akt der Erkenntnis leistet, und zwar durch Erschließung der allgemeinen Struktur, die allen Sprachen wesensgemein ist, über ihre historischen Besonderungen hinaus. Damit kommen wir auf Herders und weiterhin auf Humboldts, allerdings nirgends systematisch begründete noch zusammenhängend dargestellte Sprachtheorie zurück. Für Humboldts Sprachbetrachtung ist der Leibnizsche Gedanke einer Characteristica realis grundlegend. Entsprechend der Zerlegung ,von Zahlen in Primfaktoren hat die Lingua universalis die Mathesis universalis zu ergänzen. So konnte denn Humboldt dazu angeregt werden, durch den Vergleich empirischer Sprachen „das ganze Gewebe der Kategorien des Denkens" und damit der menschlichen Sprache aufzudecken. Während Kant seine erkenntnistheoretischen Einsichten in die Kategorien des Verstandes aus der Tafel der Urteile, wenigstens dem Ansätze nach, herzuleiten bemüht war, macht Humboldt, wie auch Herder, den g e s a m t e n S p r a c h s c hra t z einzelner Sprachen wie auch die urtümliche Energeia des Sprechens zwecks Erkenntnis der allgemeinen Formen des menschlichen Sprachbaues fruchtbar. Und das mit vollem Recht. Wie unsere Analyse der Wortart gezeigt hat, sind in der Tat die allgemein-kategorialen Formen der Anschauung (Substanz, Eigenschaft usw.) in der Sprache als Substantiva, Adjektiva usw. nachgeformt. Diese „inneren Sprachformen" sind das Werk der Sprache und des Sprechens als einer spontanen Selbsttätigkeit des menschlichen Geistes. Auch H. Lipps' ganz allgemein gedachte Kritik an der traditionalen Logik, die schon Hegel als „unwahr" und als „totes Gebein" bezeichnet hatte, ist im besonderen gegen Kant gerichtet, insofern das Urteil dort zu einer bloßen Setzung verblaßt. Daher konnte auch in der entsprechenden Sprachtheorie die Aussage nicht als Stellungnahme aus einer seelischen „Haltung" verstanden werden. 27

Solche Stellungnahme ist nichts Äußerliches; sie ist vielmehr nur aus einer Sprachsituation zu erfassen, in der man aussagend, fragend usw. zu etwas steht. Unsere Herleitung der Kategorien der Anschauung aus der Sprache, und zwar aus der allgemeinen Grammatik, geht zudem von der Überzeugung aus, daß diese Kategorien, die von Kants „Verstandesbegriffen" und auch den „Reflexionsbegriffen" (z. B. dem Verhältnis des Inneren und des Äußeren) wohl zu unterscheiden sind, keineswegs als „subjektive Bedingungen" apriorischer Erkenntnis, sondern o n t o l o g i s c h gemeint sind im Sinne objektiver Seinserfassung, unabhängig vom erkennenden Subjekt, das selbst ein Glied des Seins ausmacht. So auch M. Scheler (schon in „Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik", 1916) und N. Hartmann (besonders „Der Aufbau der realen Welt", 1940), in gewissem Sinne auch E. Spranger („Lebensformen": Ichkreise und Gegenstandsschichten, 1921). Es werden demgemäß einem chaotischen Stoff nicht subjektive Formbestimmtheiten der Anschauung im Prozeß der transzendental-synthetischen Apperzeption aufgeprägt, sondern G e g e n s t ä n d l i c h k e i t sowie ihre E i g e n s c h a f t e n , V e r h ä l t n i s s e und V o r g ä n g e sind k a t e g o r i a l e G e g e n s t a n d s b e s t i m m t h e i t e n im Rahmen einer fundamentalen Schicht, die wir mithin die g e g e n s t ä n d l i c h e S c h i c h t nennen wollen 1 ). Die der transzendenten Wirklichkeit entsprechenden Kategorien unserer Anschauungsfor*) Es ist hier nicht der Ort, auf Kants Anschauungsformen des äußeren und des inneren Sinnes einzugehen, auch nicht auf den Raum und auf die Zeit als vierte Dimension neben den drei Raumdimensionen (H. Weyl, „Raum, Zeit, Materie", 1922). Bezüglich des Raumes wird man mit R. Carnap („Der Raum, ein Beitrag zur Wissenschaftslehre", 1922) deu formalen, den Anschauungs- und den physischen Raum unterscheiden. Insofern die Lehre vom physischen Raum Aussagen macht über die physischräumlichen Beziehungen, z. B. vor, innerhalb usw., die „für die bestimmten in der Erfahrung vorliegenden Dinge gelten", werden wir wiederum auf die oben dargelegten Anschauungsformen verwiesen. — Auch die alten Prädikamente, z. B. motus, prius und simul, beziehen sich z. T. auf Raum und Zeit, die beide zudem in sprachlichen Kategorien ihren Niederschlag gefunden haben» in Kasus und Tempus.

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men — Rehmke sagt „gegenständliches Bewußtsein" — bilden ihre subjektiven Korrelate. Beide müssen aufeinander bezogen werden 1 ), im Rahmen eines harmonisch geordneten Weltgänzen: War' nicht das Auge sonnenhaft, die Sonne könnt' es nie erblicken; lag' nicht in uns des Gottes eigne Kraft, wie könnt' uns Göttliches entzücken? Hinsichtlich dieser Übereinstimmungen zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos haben wir von „übergreifenden" Kategorien gesprochen (s. S. 16), deren Gesetzlichkeiten das ganze Weltall bestimmen. Auf solcher Grundlage ist die Möglichkeit gegeben, von der Sprache her zur Erkenntnis realontologischer Grund Verhältnisse der Gegenstandsschicht durchzustoßen. Denn jegliche Systematik wird nicht an die Dinge herangetragen, sondern kann grundsätzlich nur die i m G e g e n s t a n d liegenden Tatbestände bloßlegen und einsichtig machen 2 ). Die Rede von „übergreifenden" Kategorien beansprucht also Geltung nicht nur für die Welt der Phainomena, in Sonderheit der Geschichte, sondern auch für die der transzendenten Noumena (s. o. S. 15 f). Tendiert doch der Gang unserer Physik dahin, die unseren Sinnen gegebene Welt mehr und mehr aufzulösen in abstrakte Gesetze, in Verknüpfungsrelationen; mit Planck gesprochen: daß die „fortschreitende Abkehr des physikalischen Weltbildes von der Sinnenwelt nichts anderes bedeutet als eine fortschreitende Annäherung an die reale Welt." Darauf hat auch in jüngerer Zeit Rud. Seeliger in der „Universitas" (1946, Heft 9) hingewiesen. Das besagt, daß Naturgesetze wie das Energieprinzip oder das Gravitationsgesetz auch dann noch gelten, wenn die Erde und wir mit ihr in Trümmer gegangen sind. Es ist der *) Die Prinzipien, die das Wesen der onta ausmachen, müssen nach N. Hartmann („Das Problem des Apriorismus in der platonischen Philosophie", 1935) zugleich Prinzipien der Erkenntnis sein. s ) Vom genetischen Standpunkt wäre hier zu verweisen auf Arnold Gehlen, Der Mensch, seine Natur und seine Stellung in der Welt, Berlin 1940, S. 40. Vgl. dazu meine Allgemeine Unterrichtslehre, Berlin-Leipzig 1933, S. l l l f . (Angleichung von Kind und Mitwelt mit Hilfe der Sprache).

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Standpunkt der neueren Realontologie. Damit ist ausgesprochen, daß die Kategorien der sinnlichen Welt nach der Helmholtzschen Zeichentheorie nicht Abbilder, sondern „Zeichen" der transzendenten Wirklichkeit sind. Gegenständliche Kategorien der immanenten bzw. transzendenten Wirklichkeit stehen also im Verhältnis funktionaler Abhängigkeit. Hiermit ist zugleich angedeutet, daß man ganz verschiedene Abstufungen des Erkennens zu unterscheiden hat, die zwischen den Polen sinnlicher Wahrnehmungen und eines Systems mathematisch-physikalischer Formeln liegen. E r f a h r e n und e r k e n n e n kann man jedoch, nach Max Hartmann, nur jenen Teil der Welt, in dem die gleichen kategorialen Gesetze gelten wie im Menschen. Alles übrige ist irrational. Das Entsprechende gilt für den v e r s t e h e n d e n und h a n d e l n d e n Menschen als Yernunftwesen. Der vernünftige Mensch handelt frei nach den Normen des Sittengesetzes in der Erfüllung der kategorialen Forderungen in ihm, aus dem Bewußtsein seines freien Willens. Solches vollzieht sich in allen übergreifenden Ordnungen des Gemeinschaftslebens, in welchem dieselben Gesetze herrschen, die auch im Innern des Menschen leben und gebieten. Der Rechtsstaat ist somit begründet im Ausgleich der Forderungen, welche die verschiedenen Gruppen der Gesellschaft aneinander stellen. Dies ist der Sinn des mit dem Menschen geborenen Naturrechts auf Grund der kategorialen Gleichheit aller Menschen.

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II. Kategorien der Wortbedeutungen und die Schicht des Geschehens. Wie die Erkenntnistheorie seit griechischer Zeit immer wieder auf die Unterscheidung von Sinnlichkeit (Sensation) und Verstand (Reflexion) zurückgeht, desgleichen der Nominalismos Wilh. von Occams sowie Locke und Kant, so unterscheidet auch in neuerer Zeit Ed. von Hartmanns „Kategorienlehre" einerseits Kategorien der Sinnlichkeit und K a t e g o r i e n d e s D e n k e n s andererseits. Diesen letzteren wenden wir uns nunmehr zu und stellen wiederum die Frage, inwiefern uns die Sprachwissenschaft auf diesem Gebiete philosophische Einsichten gewähren kann. Wie die Beziehungsbedeutuogen der< Beziehungsmittel auf unsere U m - u n d I n n e n w e l t zurückgehen, so auch die B e g r i f f s und S i n n g e h a l t e der B e g r i f f s w o r t e . Man wird wohl ohne Bedenken einräumen, daß die konkreten Substantiva als „Namen" von Gegenständen wiederum der „Wirklichkeit" entsprechen. Aber die Abstrakt«? Im Unterricht bzw. in wissenschaftlicher Forschuñg und Lehre werden sie bestimmt als Dinge, die man mit den Sinnen nicht wahrnehmen kann, als bloß gedachte oder abgezogene Begriffsnamen und dergleichen. Klarer hat schon Ad. Noreen gesehen in seiner „Einführung in die wissenschaftliche Betrachtung der Sprache", 1923, sowie P. Matthes, „Sprachform, Wort- und Bedeutungskategorie und Begriff", 1926. Tatsächlich steht die Sache aber so, daß der Sprechende derartige Eigenschaften, Relationen (des Ortes, der Zeit usw.) und Vorgänge, die er in der Rede als Subjekt, Objekt (Ergänzung) oder Bestimmung verwenden will, s y n t a k t i s c h als Substantiva kennzeichnet, z. B. schön > das Schöne, tapfer > Tapferkeit; entgegen > Entgegnung, gegenüber > mein Gegenüber; hoffen > Hoffnung, wünschen > der Wunsch. Die aufgewiesener! Begriffsbedeutungen sind demnach in sinnhafter Rede nicht wirklichkeitsfern, bezeichnen vielmehr Eigenschaften, Verhältnisse und Vorgänge der wahrgenommenen oder gedachten Wirklichkeit, sind also nicht weniger 31

„wirklich" als die Gegenstände. Der hier obwaltende Irrtum ist darauf zurückzuführen, daß man die syntaktische Beziehungsbedeutung der Wortart verkannt hat 1 ). Stellen sich die Namen dar als Spiegel der erlebten Wirklichkeit bzw. als Zeichen von Begriffen, so ist wohl die Annahme berechtigt, daß ihrer Gesamtstruktur, der angeschauten Wirklichkeit — vielleicht auch der transzendenten Wirklichkeit — entsprechend, eine gegliederte Ordnung zugrunde liegt, insofern unsere gesamte Welt kein Chaos, sondern ein durchgegliederter Kosmos ist. Welches wird dann das Ordnungsgefüge dieser erlebten Wirklichkeit bzw. der Wortbedeutungen sein? Die Semasiologie (K. Reisig) oder genauer: die Onomasiologie als Lehre von der bezeichneten Wirklichkeit verdankt Peter Mark Rogets „Thesaurus of English Words and Phrases" (1852) wesentliche Anregungen. Sein plan of Classification umfaßt bereits folgende geordnete Kategorien: 1. existence 2. relation 3. quantity 4. order I. Abstract relations 5. number 6. time 7. change 8. causation II. Space

III. Matter IV. Intellect 1

1. 2. 3. 4.

generally dimensions form motion

j 1. generally 2. inorganic 1l J.- organic formation of ideas communication of ideas

u

- ) Vgl. auch Franz Brentanos psychologisch begründete Ansichten über die „Bildung abstrakter Namen", Kategorienlehre, Leipzig 1933, S. 260 ff.

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{

1. individual 2. intersocial 1. generally 2. personal VI. Affections 3. sympathetic 4. moral . 5. religious Rogets System von tausend Begriffen ist in Daniel Sanders „Deutschem Sprachschatz" (I, 1873), der zur leichten „Auffindung und Auswahl des passenden Ausdrucks" angeordnet ist, auf 687 Begriffe gebracht, leicht abgeändert und ergänzt worden: VI. Besitz; Eigentum. — VII. Empfindungen usw. Max Müller, „Das Denken im Licht der Sprache" (1888) hat zwölf „Urbegriffe" herausgearbeitet; S. G. Conon v. d. Gabelentz fordert überdies ausdrücklich eine „allgemeine Wortschatzkunde" in seiner „Sprachwissenschaft" (1901). Weiter ausgebaut wurde die Bezeichnungslehre dann von Schuchardt und Meringer in der Zeitschrift „Wörter und Sachen" (1909 ff.). V. Volition

Das umfassende Werk Franz Dornseiffs „Der deutsche Wortschatz, synonymisch geordnet" (1933, 1940), mit sehr wertvollem Material, gliedert sich höchst kennzeichnend in folgende z w a n z i g A b t e i l u n g e n : 1. Zeit. 2. Raum, Lage, Form. 3. Größe, Menge, Zahl, Grad. 4. Wesen, Beziehung, Geschehnis. 5. Sichtbarkeit, Licht und Farbe, Schall, Temperatur, Gewicht, Aggregatzustände, Geruch, Geschmack. 6. Anorganische Welt, Stoffe. 7. Pflanze, Tier, Mensch (Körperliches). 8. Ortsveränderung. 9. Wollen und Handeln. 10. Sinnesempfindungen. 11. Fühlen, Affekte, Charaktereigenschaften. 12. Denken. 13. Zeichen, Mitteilung, Sprache. 14. Schrifttum, Wissenschaft. 15. Kunst. 16. Soziale Beziehungen und Verhältnisse. 17. Geräte, Technik. 18. Wirtschaft. 19. Recht, Ethik. 20. Religion, das Ubersinnliche. Seit P. M. Rogets „Thesaurus", dem sich A. Schlessings „Deutscher Wortschatz", neu bearbeitet von H. Wehrle (1914, 1927 und 1940) eng anschließt; seit D. Sanders „Sprachschatz" bis hin zu Dornseiffs „Wortschatz" wird die Einteilung der Wörter durchkreuzt von syntaktischen Gesichtspunkten, insofern verschiedene 3

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Wortarten (Substantiva, Adjektiva bzw. Adverbia, Verba) gesondert aufgeführt werden. So steht wechseln neben Wechsel, Bewegung neben beweglich und bewegen; Trotz, trotzig, trotzen, trotz bzw. trotzdem tritt in den verschiedensten Rubriken auf, was darin begründet ist, daß die Zusammenstellung synonymer Ausdrücke, unter Heranziehung von Interjektionen und Redensarten, praktischen Zwecken dienen soll. Ohne ein klares Prinzip bleibt auch die Auszählung und der Vergleich des Wortschatzes verschiedener Sprachen eine recht bedenkliche Angelegenheit. Dornseiffs Werk, ähnlich Rogets „Thesaurus", nimmt „den Weg vom A priori" aus und erinnert teils an den erkenntnistheoretischen Ausgangspunkt, teils an die alte subjektiv-psychologische Betrachtungsweise: die ersten Versuche des Schichtungsgedankens bei Piaton und Aristoteles. Sieht man aber genauer zu, so stellt sich heraus, daß die Abteilungen 1 bis 6 wesentlich Beziehungen und Geschehnisse der m e c h a n i s c h e n Welt, die Abteilungen 7 und 8, auch 10 wesentlich b i o l o g i s c h e , d. h. körperlich-seelische Funktionen von Pflanze, Tier und Mensch betreffen, die übrigen Abteilungen dazu die s o z i o l o g i s c h e Sphäre des Kulturmenschen angehen. Damit werden d r e i durch das W e l t g e s c h e h e n o b j e k t i v durchgehende K a t e g o r i e n sichtbar, das physisch-mechanische, das organisch-biologische und das geistig-geschichtliche Geschehen, denen drei Arten von G e s e t z l i c h k e i t e n d e s G e s c h e h e n s in Raum und Zeit entsprechen: 1. die der m e c h a n i s c h e n Notwendigkeit; 2. die der o r g a n i s c h e n Entwicklung; 3. die der geistigen Freiheit s o z i a l e n Handelns und g e s c h i c h t l i c h e n Wandels1). Efckenntnistheoretisch- s u b j e k t i v könnte man diese drei Verschiedenheiten des Geschehens als Leistungen der „V e r s t a n d e s b e g r i f f e " auffassen, nach Art der KantischeD Relation; doch schreibt nicht der Verstand seine Gesetze der Natur vor, sondern die drei Kategorien sind, ontisch gesehen, subjektiv-objektiv *) So auch Jean Przyluski, Créer, Paris 1943. 34

ü b e r g r e i f e n d e Gesetzlichkeiten; denn „Kategorie" heifit „Gesetzlichkeit", Gleichgerichtetheit. Dabei ist die natürliche Ganzheit der psychophysischen Funktionen, die man schließlich auch noch zerlegen könnte, in der Einheit der organisch-biologischen Kategorie gewahrt worden. Wie unter der Bezeichnung „Natur" sowohl die physikalischchemische als auch die biologische WeTt verstanden werden kann, obgleich wir wissenschaftlich doch genauer zu unterscheiden gelernt haben, so wird auch die Grenze zwischen Biologie und Geisteswelt immer wieder verwischt, selbst in strenger Wissenschaft. Seit Aristoteles und dann besonders seit Lamarck ist der Organismusbegriff von den Vertretern der idealistischen Philosophie aufgenommen und mit der Romantik auf alle Gebiete des geschichtlichen Lebens übertragen worden. Seitdem werden wir die Geister, die wir riefen, nicht mehr los. Alles ist „organisch", alles ist „Entwicklung". Denn wenn schon die Entwicklung von Pflanzen-, Tier- und Menschentypen biologisch an bestimmte Entwicklungsphasen gebunden ist, so herrscht doch im Bereich geistigen Seins nicht der „Fortschritt" im Sinne biologischer Entwicklung, sondern das „Prinzip schöpferischer Synthese", das W. Wundt bereits in seinem „Grundriß der Psychologie" (1896) herausgestellt hat, nachdem Fichte unter Kants Einfluß hier schon feinere Unterschiede gemacht hatte. Desgleichen hat M. Scheler („Vom Ewigen im Menschen", 1923) auf den logischen Widerspruch in Bergsons Rede von der „schöpferischen Entwicklung" aufmerksam gemacht. Auch in der .neueren Volkswirtschaft (E. Egner, W. Mitscherlich) sucht man sich den Fesseln ererbter Vorstellungen zu entwinden. Demgemäß wäre zu unterscheiden zwischen biologischem „Wachstum" („Entwicklung") einerseits und andererseits der geistigen „Reifung", wo nicht ein kontinuierlicher Fortschritt, sondern die Diskontinuität neu einsetzender Entscheidungen waltet. Ebenso wie die Kategorien der gegenständlichen S c h i c h t (bzw. der Anschauungsformen, subjektiv betrachtet) nach den Darlegungen des I. Abschnittes eine in sich geschlossene, gegliederte Ganzheit bilden, so auch die Kategorien in der j'

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S c h i c h t d e s G e s c h e h e n s (bzw. der Verstandesbegriffe, subjektiv ausgedrückt). Könnte man doch die Struktur der gegenständlichen Schicht unter dem Titel zusammenfassen: Vorg ä n g e von G e g e n s t ä n d e n mit E i g e n s c h a f t e n unter bestimmten V e r h ä l t n i s s e n . Entsprechend gründet sich in der Schicht des Geschehens das S o z i o l o g i s c h e auf das B i o l o g i s c h e und dieses wiederum auf das M e c h a n i s c h e . Den,n wie K. E. von Baer („Uber die Zielstrebigkeit in den organischen Körpern" II, 1876) schon betont hat, schließen mechanische „Kausalität" und biologische „Teleologie" einander nicht aus: „Die Natur kann Ziele doch nicht anders verfolgen als durch die Wirksamkeit der Naturgesetze." N. Hartmann hat in dem „Aufbau der realen Welt" (1940) die Schichtungsgesetze des mechanischen, biologischen, seelischen und geistigen Geschehens eingehend erörtert. In der Spranger-Festschrift (1942) habe ich sie von unserem Gesichtspunkt aus formuliert, unter Vermeidung der bildlichen Rede von „höheren" oder „niederen" Werten bzw. Schichten. Darauf ist weiter unten noch zurückzukommen. Was heifit es auch, wenn man im Anschluß an Aristoteles von „obersten" Gattungsbegriffen redet oder mit Kant von „höheren" und „höchsten Begriffen", vom „höchsten" Gut und dergleichen? Ist damit nicht der u m f a s s e n d e r e , der u m f a s s e n d s t e Begriff (bzw. Idee) gemeint? Kann es für uns doch nur den Gesichtspunkt der U m f a s s e n h e i t geben, d. h. die einzelnen Schichten mit ihren Kategorien ruhen nicht aufeinander, sondern umschließen eher einander wie Hüllen, so daß man geneigt wäre, von einem fundamentalen „Kern" der Gegenstandsschicht, von einer „Mittelschicht" des Geschehens und schließlich von einer „Schale" oder „Hülle" des Geistigen zu sprechen, die im folgenden Abschnitt eingehend zu erörtern ist.

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III. Richtkräfte der Sprache und die Schicht des Geistes. Wenn Ed. von Hartmann wohl zu unterscheiden weiß zwischen der „Kategorialfunktion" der Sinnlichkeit und der des Denkens (s. o. S. 31), so ergänzen wir seine Kategorienlehre nunmehr durch die Schicht der Vernunftideen bzw. durch die Schicht des Geistes1). Kennt doch auch die Brentanoschule—ähnlich J.Rehmke— neben den psychischen Phänomenen des Vorstellens und des Urteilens auch noch die „Gemütstätigkeiten", d. h. das Geistige. Wir verstehen unter „Geist" den gefühlsbetonten Willen, der als grundsätzlich irrational aufzufassen ist, also systematisch verschieden von den Funktionen des reflektierenden Verstandes, des „Vermögens der Begriffe". Als methodisches Prinzip ist die Unterscheidung von geistigen Akten und den „Funktionen" des Verstandes wohl begründet, was man nicht von der im 18. Jahrhundert beliebten Einteilung in Denken, Fühlen und Wollen sagen kann, die j a auch der Gliederung der drei Kantischen Kritiken zugrunde liegt und Fühlen und Wollen zerreißt. Das macht sich in der „Kritik der Urteilskraft" wohl geltend. Da wir uns nunmehr der Kategorialanalyse der g e i s t i g e n S c h i c h t zuwenden, um aus der Sprache Aufschlüsse für die Philosophie (Ontologie) zu gewinnen, so sind wir uns der Schwierigkeiten wohl bewußt. Eduard Spranger bekennt (Logos XII, 1923), daß er lange Jahre versucht hat, die Gliederung des geistigen Lebens „in der Form eines regulären Begriffsschematismus zu finden". Im „Aufbau der realen Welt" (1940) äußert sich Nicolai *) In der Ubersicht stellt sich Ed. von Hartmanns Kategorientafel folgendermaßen dar: A. Kategorien der S i n n l i c h k e i t : 1. Kategorien des Empfindens, 2. Kategorien des Anschauens. B. Kategorien des D e n k e n s : 1. Urkategorie der Relation, 2. Kategorien des reflektierenden Denkens, 3. Kategorien des spekulativen Denkens. 37

Hartmann dahin: „Die höchsten Kategorien sind undurchsichtig wegen ihrer hohen Komplexheit, die niedersten wegen ihrer Einfachheit." In der Tat, was diese letzteren Kategorien angeht, haben uns die Ausführungen des I. Abschnitts gezeigt, daß das mangelnde Verständnis der Wortart, als des natürlichsten Beziehungsmittels, gerade wegen seiner Einfachheit den Zutritt zur Erkenntnis der vier wesentlichen Wortarten und damit zu weiteren fundamentalen Einsichten vers"perrt hat. Auf der anderen Seite hat gerade die hohe Komplexheit der geistigen Schicht dazu geführt, die kategoriale Struktur dieser umfassenden Sphäre zu Verdecken. Des sind die Bemühungen von P. Natorp, H. Münsterberg, R. Reininger, M. Scheler, H. Rickert u. a. lehrreiche Zeugen. Die mit gewissem Vorbehalt von N. Hartmann aufgestellten zwölf Gegensatzpaare, welche den Anspruch eines Systems nicht erheben, sind logisch gedacht, können also die Irrationalität des geistigen Lebens und seiner spannungsreichen Bewegtheit nicht erfassen1). Hartmann hat aber in seiner „Systematischen Philosophie" („Neue Wege der Ontologie", 1942) die Richtung gewiesen, in der die zu bewältigende Aufgabe gelöst werden könnte. Er erhebt die Forderung, die e i n z e l w i s s e n s c h a f t l i c h e n E r r u n g e n s c h a f t e n nicht zu vernachlässigen, sondern sie für die Begründung der neuen Ontologie auszuwerten. Da die Ergebnisse der physikalischen und biologischen Einzelforschung für die Durchleuchtung der geistigen Welt und ihrer Kategorien ausfallen, bleibt die Geschichte und gerade die G e s c h i c h t e d e r S p r a c h e neben dem A k t d e r S p r e c h h a n d l u n g , die uns beide die 1 ) Nie. Hartmanns 24 Glieder von gende Gruppen: I. G r u p p e : 1. Prinzip — Concretum 2. Struktur — Modus 3. Form — Materie 4. Inneres — Äußeres 5. Determination — Dependenz 6. Qualität — Quantität

12 Gegensatzpaaren umfassen fol-

II. G r u p p e : 7. Einheit — Mannigfaltigkeit 8. Einstimmigkeit — Widerstreit 9. Gegensatz — Dimension 10. Discretion — Kontinuität 11. Substrat — Relation 12. Element — Gefüge Im II. Abschnitt des zweiten Teiles des „Aufbaus der realen Welt" werden die Seinsgegensätze dieser Gegensatzkategorien eingehend geklärt.

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tiefsten und umfassendsten Einblicke in die b e w e g e n d e n K r ä f t e geistigen Lebens zu gewähren vermögen. Denn wie die Auseinandersetzung zwischen D. Schäfer und E. Gothein erwiesen hat, durchforscht die Historie ihr Tatsachenmaterial nicht nur unter dem Gesichtspunkt geschichtlichen Wandels, sondern auch unter dem der Handlung (Betätigung). So werden wir denn sowohl die Ergebnisse der S p r a c h g e s c h i c h t e , als auch unsere Einsichten in - den Ablauf der S p r e c h h a n d l u n g ' für die Aufhellung der Ontologie, und zwar gerade der geistigen Schicht und ihrer Kategorien fruchtbar machen. Bei Betrachtung der historischen Sprachentfaltung und des Bedeutungswandels im besonderen, a^ch der Lautänderungen, greifen wir wiederum auf den Gedanken der allgemeinen Grammatik zurück, da es uns immer wieder nicht um die Herausarbeitung philologischer Einzelheiten, sondern um Gewinnung allgemeingültiger Erkenntnisse für die philosophischen Grundfragen getan ist. Dabei bleiben wir uns der Tatsache bewußt, daß das Allgemeine nur immer am Besonderen, d. h. am historischen Sprachgut einer bestimmten Sprache aufgewiesen werden kann, wie sich auch der Sprechakt nur an der Ausgliederujig konkreter Sätze verfolgen läßt, die in dieser oder jener Sprache aktuell geäußert sind. Unter dem Einfluß Herbarts behandelt H. Paul in seinen „Prinzipien der Sprachgeschichte" (1880 bis 1920) den für unsere Zwecke besonders ertragreichen Bedeutungswandel unter formal-logischen Gesichtspunkten an der Hand eines umfangreichen und wertvollen Materials. Sein Ausgangspunkt liegt in der Unterscheidung von I n h a l t , d. h. der Gesamtheit der damit gedachten Merkmale, und U m f a n g , d. h. der Summe von Vorstellungen des betreffenden Gebiets nach dem logischen Satze: Je größer der Inhalt eines Begriffs, desto kleiner der Umfang, und umgekehrt. Als erste Hauptart des Bedeutungswandels wird demnach die S p e z i a l i s i e r u n g d e r B e d e u t u n g durch Verengung des Umfangs und Bereicherung des Inhalts in Betracht gezogen, z. B. Schirm. Die zweite entgegengesetzte Hauptart der Bedeutungsänderung ist die B e s c h r ä n k u n g a u f e i n e n T e i l d e s V o r s t e l l u n g s . i n h a l t s und die damit gegebene Erweiterung 39

des Umfangs, z. B. fertig, früher: zu einer Fahrt bereit. Damit ist auch der Übergang von Appellativen zu Eigennamen sowie umgekehrt zur M e t a p h e r angebahnt, z. B. Kopf > (Salat-)Kopf. Die dritte Hauptart des Bedeutungswandels ist nach Paul die Ü b e r t r a g u n g auf das r ä u m l i c h , z e i t l i c h oder k a u s a l mit dem Grundbegriff Verknüpfte, z. B. Trotzkopf. Den drei Hauptarten gliedern sich die Verstärkung (furchtbar hungrig), Übertreibung und dergleichen ein, womit wir schon ins Gebiet des Stiles, d. h. des angemessenen persönlichen Sprechens und Schreibens übertreten. Diese Gesichtspunkte wurden von den Schulgrammatiken wie von wissenschaftlichen Werken übernommen; dazu die besonderen Übergänge zwischen konkreten und abstrakten Ausdrücken (begreifen, Herrschaft), die Figur der pars pro toto, die Volksetymologie, der Wechsel des Stimmungsgehalts (Mähre) sowie die kulturellen Einflüsse und Wechselwirkungen im Laufe der Zeit. So Sütterlin—Waag, Prigge—Reinhold u. a. H. Lipps hat es unternommen, die beschränkte Richtigkeit der formal-logischen Auffassung zu widerlegen. Die übertragene Bedeutung beruhe nicht, der ursprünglichen Bedeutung gegenüber, auf Allgemeinheit oder »Ähnlichkeit. Es liege nicht an der Allgemeinheit des mit dem Wort Lome verbundenen Begriffs, daß man dieses oder jenes mit Lome bezeichnen könne. Es gäbe auch keine ursprüngliche Bedeutung, sondern nur den Ursprung einer Bedeutung. Statt einer unbestimmten Ähnlichkeit liege eine strenge Identität der Bedeutung vor, z. B. von stehen in Fällen wie auf dem, Boden stehen, in einem Buche stehen: „Im Falle der echten Metapher wird nie auf irgendwelche nur eben festzustellende Ähnlichkeit als schon bestehende Beziehung zurückgegriffen". H. Lipps' Kritik mag im gewissen Sinne berechtigt sein. Wichtiger für uns ist jedoch die Feststellung, daß H. Paul über seine formalen Klassifizierungen hinaus den g e i s t i g e n K r ä f t e n der Gesellschaft nachgeht, die den Sprachwandel herbeigeführt haben. Und damit bekommen wir die Kategorien der geistigen Schicht in den Blick! Paul spricht allerdings nach der Art seiner Zeit von Ursachen (mechanisch!), von Bedürfnissen (biologisch!), aber er geht doch auch der „größeren oder geringeren Zweckmäßigkeit" 40

der Sprachveränderungen nach. Wie seit W. v. Humboldts geistigschöpferischer Sprachauffassung das Streben nach B e q u e m l i c h k e i t , S c h ö n h e i t und K l a r h e i t immer wieder bemerkt wurde, so klingen diese Richtkräfte des Sprachwandels, besonders die Bequemlichkeit (Sparsamkeit) als „Ursache" einer „Verschiebung des Bewegungsgefühls" beim Sprechen in Pauls Werk des öfteren au1). Während Paul den Wandel der Wortbedeutungen an die Unterscheidung von usueller und okkasioneller Bedeutung knüpft, sondert W. Wundt („Die Sprache" II, 1912) den s i n g u l ä r e n und den r e g u l ä r e n Bedeutungswandel auf psychologischer Grundlage. Der erstere geht „aus individuellen, an spezielle Zeit- und Raumbedingungen gebundenen Motiven" hervor. Der letztere erfolgt „durch die innerhalb einer Sprachgemeinschaft allgemeingültig auftretenden allmählichen Veränderungen der Apperzeption". Da es uns grundsätzlich um das Allgemeine geht, wenden wir unsere Aufmerksamkeit diesem regulären Wandel zu. Er ist entweder a s s i m i l a t i v oder k o m p l i k a t i v , je nachdem Verbindungen zwischen Vorstellungen (Vorstellungsbestandteilen) desselben oder verschiedener Sinngebiete nachzuweisen sind. Der assimilative Wandel umfaßt zwei Arten, die sich dadurch unterscheiden, daß die dominierende Vorstellung für die Apperzeption eines komplexen Gegenstandes entweder k o n s t a n t bleibt (der Fuß eines Berges) oder w e c h s e l t (Korn: Getreide- bzro. Sandkorn). Auch der komplikative Wandel umfaßt zwei Arten: er ist p r i m ä r (hell als Schalleindruck zu hallen gehörig > hell als Lichteindruck) bzw. s e k u n d ä r ( a u f f a s s e n im intellektuellen Sinne), in welchem Falle der Begriffs Wechsel durch später erst eintretende Komplikationen vermittelt wird. Zu diesen Gliederungen kommen noch die Bedeutungsübergänge infolge G e f ü h l s w i r k u n g e n (Elend ursprünglich: sich außer Landes befindend), sowie durch a s s o z i a t i v e V e r d i c h t u n g e n der Bedeutung (Gifi, ursprünglich gleich Gabe). l ) In jüngster Zeit beachtet W. Henzen die Wirkung der „Triebkräfte" auch auf dem Gebiete der „Deutschen Wortbildung", Halle 1947, S. 17 ff.

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'Die Kritik, die Wundts Zurückführung des Bedeutungswandels auf Assoziationen (Apperzeptionen) erfahren hat, erstreckt sich einerseits auf Wahl und Durchführung seiner Belege; so z. B. Delbrück in seinen „Grundfragen der Sprachforschung" (1901), die das ganze Problem unter psychologisch-linguistischen .Gesichtspunkten betrachten. Darüber hinaus erhebt Delbrück noch die bedeutsame Forderung, die syntaktisch bedingten Veränderungen von den „real bedingten" zu trennen. Im letzteren Falle wäre zu unterscheiden, ob die Übertragung von Teilen des menschlichen Körpers aüf Außendinge, innerhalb des menschlichen Organismus von einem Gebiet auf das andere, innerhalb der Natur von einem Gegenstand auf den andern sich vollzieht, ob er durch Veränderungen in der menschlichen Kultur bedingt (!) ist und was sich noch sonst darbieten mag. Auf diesen Wechsel der Schichten sowie auf die B e d i n g t h e i t des geschichtlichen Wandels ist noch zurückzukommen. Während Delbrück wesentlich vom Standpunkt der Sprachwissenschaft zu Wundts Theorien Stellung nimmt, übt A. Marty eine ins einzelne gehende Kritik an dessen psychologisch-philosophischer Auffassung der Sprache. Dem Nativismus Wundts stellt er seine eigene empiristisch-teleologische Ansicht gegenüber, zeigt zudem, daß die Sprachentwicklung des Kindes sowie die Erscheinungen der Volksetymologie mit seinem eigenen Standpunkt übereinstimmen („Untersuchungen zur Grundlegung der allgemeinen Grammatik und Sprachphilosophie", 1908). Dabei darf man jedoch zweierlei nicht übersehen. Allerdings schließt nach Wundts Grundansicht die Entfaltung des menschlichen Bewußtsein^ notwendig auch die Ausgliederung von Ausdrucksbewegungen, von Gebärden und Lautsprache in sich, so daß sich das Vorstellen, Fühlen und Denken auf jeder Stufe in der ihr genau adäquaten Form äußert. Aber diese Ausdrucksweise wird doch in dem Kapitel über die Entwicklungstheorie („Die Sprache" II, 1912) dahin erläutert, daß sich das menschliche Bewußtsein ohne Sprache gerade so wenig denken läßt wie Sprache ohne menschliches Bewußtsein: „Darum sind beide miteinander und durcheinander geworden". Gegen diese Formulierung des Nativismus ist nichts einzuwenden. Zweitens hat 42

Wundt nicht nur den e i n g e b o r e n e n Faktor einer bloß biologischen Entwicklung im Auge, sondern überall trägt er auch den ä u ß e r e n B e d i n g u n g e n der Natur und der Kultur Rechnung, dies also neben den „Ursachen", „Motiven" und der Einheit stiftenden „Apperzeption", wobei die letztere im Wundtschen Sinne als Willensvorgang aufzufassen ist. Eigenartig bleibt immerhin, daß Wundt, der Voluntarist, der die Sprache als „Trieb- oder einfache Willenshandlung" versteht, wohl auch in diesem Sinne vom '„instinktiven Triebe nach Verständigung" spricht, den Motiven sprechender Menschen bzw. den geistigen Richtkräften des historischen Sprachwandels aber kein volles Verständnis entgegenbringt, wenn auch gelegentlich die „sprachbildenden Kräfte" erwähnt werden. Und in dieser Hinsicht ist Martys Kritik als zutreffend anzusehen; mit Wort und Begriff der Teleologie kann man jedoch nicht vorsichtig genug umgehen. W. Wundt lehnt geradezu den Gedanken ab, daß ein Streben („Trieb") nach Wohllaut, nach Bequemlichkeit („Gleichförmigkeit") oder nach Deutlichkeit den Sprachwandel beeinflußt habe. Marty dagegen mißt dem Triebe (der Tendenz) nach Ersparnis (Bequemlichkeit und Ökonomie), dem Streben nach Klarheit (Verständlichkeit und Verständigung, dem Triebe nach Erhaltung bedeutsamer Lautunterschiede) sowie dem ästhetischen Streben nach Schönheit die größte Bedeutung bei, spricht auch gelegentlich von dem Dienst, den das Sprachmittel dem einsamen Denken als solchem leisten soll. Die gewählte Ausdrucksweise zeugt aber zugleich davon, wie wenig die b i o l o g i s c h e und die s o z i o l o g i s c h e Schicht voneinander abgehoben sind. Das Zweckmäßige ist als „wirkendes Motiv der Vorgänge" ohne „ein darauf gerichtetes Bewußtsein" verstanden. Denn die Sprachbildung ist nicht das planvolle Werk einzelner Menschen; sie ist aber auch, wie Marty mit vollem Rechte sagt, als Schöpfung des Volkes „nicht wahllos, wohl aber unsystematisch und planlos". Es drängt sich die Frage auf, ob mit den bereits erwähnten Richtkräften alle Tendenzen des historischen Sprachwandels .bzw. stilgerechten Sprechens erschöpft sind. Denn Sprachveränderungen im Laufe der Geschichte und der Sprechakt im Rahmen einer 43

Sprechsituation sind nichts anderes als nur zwei verschiedene Seiten des umfassenden Sprachlebens, da sich Sprachveränderungen nur auf dem Wege des Sprechens vollziehen können. Die Sonderung beider Möglichkeiten von Sprachbetrachtung habe ich in meiner „Grundlegung der Sprachwissenschaft" (1919) grundsätzlich durchgeführt, ähnlich F. Saussures Unterscheidung im „Cours de linguistique générale", veröffentlicht von Ch. Bally und A. Sechehaye (1916—1922). Beide Gebiete werden bei Paul sowohl wie bei Wundt und Marty nicht unterschieden. Die von H. Paul aufgewiesenen Klassifikationen können uns noch einen wichtigein Schritt weiter führen. Paul reiht seinen drei Hauptarten der Sprachveränderung noch die Gruppen der Verstärkungen bzw. der rücksichtsvollen Abschwächungen (mohl) an, dazu die Klassen von Derbheiten bzw. schonenden Abminderungen des Sinnes (Schelm, ursprünglich gleich Aas), der Litotes als Gegenteil der Übertreibung (das ist menig schön), des Euphemismus (mein bester Körperteil; auf religiösem Gebiet: Potztausend, um Gottes Name zu vermeiden) oder der Entwertung (Frau), was wir bereits gestreift haben. Schon Leibniz hatte in seinen „Unvorgreiflichen Gedanken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der teutschen Sprache" auf den Gebrauch unanständiger und undeutscher Worte aufmerksam gemacht, sowie auch Herder in seiner Schulrede über den „echten Begriff der schönen Wissenschaften" die stilistischen Mittel streift, um Menschen „unterrichten, überzeugen, rühren, erweichen oder bilden" zu wollen, wie auch die Sprache des Rittertums den Wortschatz in der Richtung höfischer Sitte (höoescheit), des rücksichtsvollen Anstandes (der Zucht) umgeprägt hat. Überall liegt hier der Grund der Bedeutungsgestaltung nicht mehr in der v o r g e s e l l s c h a f t l i c h e n K a t e g o r i e (Si ->-G) rein g e g e n s t ä n d l i c h e n Verhaltens eines Subjekts in der Handhabung der Sprache (Streben nach Klarheit, Schönheit, Kürze des Ausdrucks), womit es unsere abstrakten Stilübungen in der Schule meist bewenden lassen, sondern wir beachten nun die Wirkung dieser Ausdrucksmöglichkeiten u n t e r S u b j e k t e n innerhalb der m e n s c h l i c h e n G e s e l l s c h a f t (Sn--Sn) ! Unsere Ausdrucksweise wird jetzt bestimmt durch gütige Rücksichtnahme auf 44

das Fü'hlen und Denken unserer Mitmenschen oder durch die Notwendigkeit, sich gebieterisch durchzusetzen. Hier walten demnach s i t t l i c h e M o t i v e bzw. R i c h t k r ä f t e vor; „Höflichkeit und Unterwürfigkeit auf der einen, Eitelkeit auf der andern Seite" wirken sich nach H. Paul in der Sprachgebung aus. Fr. Kainz („Psychologie der Sprache", 1941) spricht viel allgemeiner von der „ethischen Sekundärfunktion" der menschlichen Sprache, und zwar Sprache nicht nur unter dem Gesichtspunkt v e r a n t w o r t u n g s b e w u ß t e r Rede (Leistung), sondern auch als Ausfluß menschlicher G ü t e (bzw. Bosheit). Denn schon E. Spranger hat darauf aufmerksam gemacht („Lebensformen"), daß das „Gute", das Sittliche zweipolig ist, also sowohl Macht (bzw. Gewalt) wie das soziale Verhältnis der Liebe in sich schließt. In dieser Ergänzung der innerhalb der Gesellschaft wirkenden s i t t l i c h e n S p r a c h k r ä f t e liegt der tiefere Grund, warum französische und namentlich Linguisten der Schweiz die soziale Funktion der Sprache hervorgehoben und ihre soziologische Betrachtungsweise befürwortet haben; so R. de la Grasserie, A. Meillet, F. Brunot, Ch. Bally. Aus der Berücksichtigung a l l e r erwähnten Kräfte innerhalb der g e i s t i g e n S c h i c h t ergibt sich demnach die Sonderung folgender Kategorien, die wir weiter unten (S. 50 f.) an einigen Beispielen übersichtlich erläutern: 1. Die v o r g e s e l l s c h a f t l i c h e Kategorie. In ihr herrschen die sachlich-praktischen Tendenzen der Ö k o n o m i e (Bequemlichkeit) sowie das theoretische Hindrängen auf K l a r h e i t und W a h r h e i t in abstrakter W i s s e n s c h a f t , aber auch in der anschaulich-symbolischen K u n s t , wie z. B. Diltheys Deutung des Kunstwerks als der Offenbarung einer Lebens- und Weltanschauung erwiesen hat. Stammen doch auch nach Kant aus der Urteilskraft die reinen Geschmacksurteile. — Wir nennen diese Kategorie „vorgesellschaftlich", insofern sie eine wirklichkeitsferne Abstraktion ist (S G), aber vom Standpunkt der Systematik ihre Berechtigung besitzt. 2. Die g e s e l l s c h a f t l i c h e Kategorie (S •*—>- S). Sie wird getragen von dem Verlangen, dem Mitmenschen g ü t i g und r ü c k 45

s i c h t s v o l l zu begegnen bzw. verantwortungsvoll, d. h. „ b e s t i m m t " , „ m ä c I i t i g " und „ m i t N a c h d r u c k zu reden" (Herder). 3. Die r e l i g i ö s e Kategorie. Wir beten und dienen unserm Gott in d e m ü t i g e r A n d a c h t und s c h e u e r V e r e h r u n g , „ergriffen" vom Absoluten (A S). Auf die Notwendigkeit, in der Region des Geistigen die vorgesellschaftliche und die gesellschaftliche Kategorie wohl zu unterscheiden, ist in neuerer Zeit bereits verschiedentlich hingewiesen worden. E. Spranger („Lebensformen", 1921 ff.) stellt die individuellen Geistesakte den gesellschaftlichen gegenüber. H. Rickert („System der Philosophie" I, 1921) nennt drei Alternativen: neben Kontemplation — Aktivität noch Sachen — Personen sowie asozial — sozial. H. Freyer („Theorie des objektiven Geistes", 1928) trennt Akte nichtsozialer Natur und soziale Akte, die auf Antwort rechnen und sie finden. Es ist bemerkenswert, daß auch H. Lipps auf Grund seiner existenziellen Betrachtungsweise zur sauberen Unterscheidung der vorgesellschaftlich-dinglichen und der gesellschaftlich-persönlichen Kategörie vorgestoßen ist. Wenn man nämlich an die D i n g e herangeht und in einem bedeutungsgebundenen Umgange mit den angesprochenen Dingen steht, verfügt man geradezu über die Dinge und begreift sie in ihrer Antwort. Das Wort ist nicht bloß die Bezeichnung von etwas, sondern das Wort enthält eine Antwort auf die Dinge. Natürlich antworten die Dinge nicht selbst, sondern der sprechende Mensch reagiert im Sinne der Dinge. Etwas ganz anderes ist nach H. Lipps das Wort der g e s e l l s c h a f t l i c h e n Kategorie geistiger Existenz. Ja, das Faktum, daß der Mensch Sprache hat, bedeutet schon, daß man durch die Sprache, die man spricht, „in einer Gemeinschaft mit anderen steht". Der Ausdruck der Gedanken ist hier „keine sachliche Beziehung". Das Wort greift bestimmend ein in menschliche Lebensverhältnisse, und zwar da, wo das Wort wahr wird, d. h. wo es „sich-zu-erfüllen" beginnt. Seine Erfüllung bedeutet seine Verwirklichung! Das ist wesentlich verschieden von dem „an den 46

Dingen gesuchten Ausweis". Denn hier waltet nicht mehr irgendeine Übereinstimmung mit den Dingen vor, sondern das gesprochene Wort erweist seine Macht, es prätendiert, sie durchzusetzen, z. B. in Flüchen, Schlagworten, Redensarten usw. Der Fluch „beruft" etwas. Der Mensch wird von ihm „benommen", wenn diese vis magica über ihn kommt. Man ist hier nicht mehr frei verfügend im Begreifen von Dingen. Die volle Wirklichkeit liegt nämlich nur da vor, wo in Frage und Antwort einer wirklichen Gesprächssituation die „Verantwortlichkeit des Wortes" im Lichte der im Wort gefallenen Entscheidung hervortritt. Denn wir sind dem gegebenen Worte im Rahmen menschlichen Verkehrs „hörig". Sofern man seinem Appell folgt, verantwortet man sein Wort. In diesem Sinne treten die vorgesellschaftliche und die gesellschaftliche Kategorie der geistigen Schicht scharf auseinander. Und die r e l i g i o s e Kategorie liegt überdies noch auf einer andern Ebene. Daraus erhellt, daß auch der geistigen Schicht eine Struktur geordneter Kategorien eignet. Wie in der fundamentalen g e g e n s t ä n d l i c h e n S c h i c h t der physisch-räumlichen Körperweit die „Substanz" (der Gegenstand) von den weiteren Kategorien (Eigenschaft, Verhältnis, Vorgang) bestimmt und umformt wird; wie dann in einer „m i t t l e r e n " S c h i c h t d e s G e s c h e h e n s mechanische und weiterhin biologische Gesetzlichkeiten das soziologische Geschehen begründen und ermöglichen (s. o. S. 36), so auch in der umfassender^ S c h i c h t d e s G e i s t e s : theoretische Kontemplation und praktisches Schaffen als sachliche Auseinandersetzungen mit der Welt der Dinge bleiben an sich bloße Abstraktionen „vorgesellschaftlichen" Verhaltens und beziehen sich erst in der „gesellschaftlichen" Kategorie, wo sie in die Wechselwirkung handelnder Personen einbezogen sind, auf eine gewisse Lebenswirklichkeit (siehe dazu die nachstehende Skizze). Denn in der Kategorie sittlichen Handelns werden theoretisches Sinnen und praktischer Zugriff, Wissen und Können erst wirklichkeitsnah ausgerichtet und begründen die auf ihnen beruhende v e r a n t w o r t l i c h e L e i s t u n g der Gesellschaft, deren Einseitigkeit im Handeln g ü t i g e r M e n s c h e n ergänzt und in der Sphäre des G l a u b e n s zum Weltganzen hin abgeschlossen wird. Nicht selten verkennt man jedoch, daß unser geistiges Sein erst dann seinen 47

vollen und endgültigen Sinn erwirbt, wenn es in dieser umfassendsten aller Kategorien geborgen und aufgehoben ist. Wehe uns, wenn wir das Allumfassende außer acht lassen wollten! Betrachten wir rückblickend einmal das Verhältnis der einzelnen K a t e g o r i e n zueinander innerhalb ein und derselben Schicht (1.), sodann das Verhältnis der drei großen S c h i c h t e n zueinander (2.). 1. In jeder der drei Schichten sind die einzelnen K a t e g o r i e n wohl in systematisch klar zu scheidenden Abstufungen voneinander abgehoben; jede umfassendere Kategorie richtet jedoch die engere der betreffenden Schicht im Sinne ihrer besonderen Gesetzlichkeit aus, wobei der kategoriale Sinn der jedesmaligen Grundkategorie trotzdem unverändert fortbesteht und nur durch den Einschlag einer jedesmal neuartigen Gesetzlichkeit umgeprägt und in diesem Sinne abgewandelt wird: der Gegenstand durch die näheren Bestimmungen der Eigenschaft, der Relation und des Vorgangs in der g e g e n s t ä n d l i c h e n S c h i c h t usw., die mechanische durch die biologische und weiterhin die soziologische Kategorie in der S c h i c h t d e s G e s c h e h e n s . Entsprechend ergänzt innerhalb der g e i s t i g e n S c h i c h t die sittliche Kategorie (der Leistung und der Güte) die zugrunde liegende theoretischpraktische Kategorie und beide werden dann schließlich vollendet in der umfassendsten Kategorie der Gläubigkeit, die somit a l l e andern Gesetzlichkeiten der vorausliegenden Schichten und Kategorien strukturell in sich birgt (vgl. o. S. 46). „Struktur" bedeutet somit das Gefüge von Kategorien (Ideen, Typen), d. h. Gesetzlichkeiten innerhalb einer Schicht. Philosophie, im besonderen Sinne der Ontologie, ist also zu guter Letzt K a t e g o r i e n l e h r e , mithin Theorie der auf unser gesamtes Weltgefüge ü b e r g r e i f e n d e n G e s e t z l i c h k e i t e n — „übergreifend" wieder im Sinne der in Wirkung und Wechselwirkung miteinander stehenden Subjekte und Objekte innerhalb derselben Kategorie, also koexistent, nicht als Sukzession verstanden. So weit das Verhältnis der Kategorien innerhalb einer und derselben Schicht. 2. Analoges gilt von dem Verhältnis der drei großen S c h i c h t e n zueinander, die, wiederum vom Vernunftmenschen aus gesehen, ein System von einamderdurchdringenden (subjektiven) Be48

trachtungsweisen abgeben und (objektiv) einer real existierenden, mit dem Bestände dieser Welt vorgegebenen Weltordnung entsprechen: Die „ e n g s t e " K e r n s c h i c h t beinhaltet den fundamentalen Bestand der einzelnen Gegenstände, ihre Eigenschaften, Relationen und Vorgänge im physischen Raum, kategorial gesehen. Die „m i 111 e r e" S c h i c h t( umfaßt die verschiedenen Geschehnisse mechanischer, biologischer und soziologischer Art in der differenzierten Schicht des raumzeitlichen Weltgeschehens, also unter noch a l l g e m e i n e r e n Gesetzlichkeiten. Die u m f a s s e n d e H ü l l e ordnet flie gegenständliche Schicht und diejenige des Geschehens den allgemeinsten Gesetzen des Geistes ein: der Theorie und Praxis, der Sittlichkeit und schließlich der Religiosität. Aus dieser Gesamtstruktur der einander umschließenden Schichten mit ihren immer neuauftretenden kategorialen Gesetzlichkeiten werden die sonst unentwirrbaren Spannungen unseres weltlichen und überweltlichen Daseins erst einigermaßen ein- und übersichtlich. Ich versuche, dessen apriorisches Grundgefüge im nachstehenden Aufriß darzustellen.

(

Die g e g e n s t ä n d l i c h e Schicht. Kategorien: Substanz — Eigenschaft Relation - Vorgang.

I

Die S c h i c h t des Geschehens. Kategorien: Mechanik - Biologie - Soziologie. Die S c h i c h t des G e i s t e B . Kategorien: S G (Theorie und Praktik) - S-*—>-S (Leistung und Güte) ~ A > S (Absolutes).

4

49

Dabei steht das Grundgefüge der drei Schichtenordnungen in einem inneren Zusammenhang: die umfassenderen Schichten des Geschehens und des Geistes sind Ausgliederungen der ihnen vorgelagerten Kategorien, d. h. die Kategorie des V o r g a n g s differenziert sich in die drei Möglichkeiten des Geschehens, die Kategorie der S o z i o l o g i e in die drei Arten geistigen Seins. Man wird dementsprechend folgende Stufen l i n g u i s t i s c h e r Forschung unterscheiden können, beispielsweise auf dem besonderen Gebiete der Bedeutungslehre: 1. Den einfachen Nachweis,-welcher Schicht bzw. Kategorie ein näher zu bestimmendes Wort angehört, z. B. Fuchs als Tier des biologischen Bereichs, wobei allen Metaphern und Ableitungen gegenüber immer auf die Grundbedeutung zurückzugehen ist, sowohl systematisch im Sinne Wundts (der dominierenden Vorstellung) wie unter historischem Gesichtspunkt. 2. Die Richtung, in der sich die Bedeutungsveränderung bewegt, z. B. Kranich (frz. la grue) > Kran (frz. la grue): Verschiebung von der biologischen zur mechanischen Kategorie; Fuchs (als kluger, als gerissener Mensch) von der biologischen zur geistigen Kategorie, und zwar genauer zur theoretischen und darüber noch hinaus zur s i t t l i c h e n K a t e g o r i e innerhalb der geistigen Schicht. Dazu können noch Änderungen des Stimmungsgehaltes treten, z. B. Fuchs als Student. 3. Die Analyse führt notwendig dazu, nicht nur die r u h e n d e n G e g e b e n h e i t e n des Sprachwandels zu beachten, sondern auch die d y n a m i s c h e n K r ä f t e des Werdens und Wirkens. Damit wird der Gegensatz des einseitigen Positivismus und des weltfremden Idealismus in der Synthese des Realismus aufgehoben. Wir unterscheiden demnach „Bedingungen" und geistige „Richtkräfte" geschichtlichen Werdens einerseits sowie andererseits „Voraussetzungen" und „Motive" angemessenen Sprechens. Demgemäß fragen wir nicht nur nach dem „Warum" in alter Weise, sondern auch ganz besonders nach dem „Wozu", das uns, den Zwecken dieser Arbeit gemäß, besonders angeht. a) Die B e d i n g u n g e n bzw. V o r a u s s e t z u n g e n der Urschöpfung und Sprachentfaltung (des Sprechens) liegen sowohl in 50

dem Charakter einer Lautsprache und in der psychophysischen Natur des Menschen als auch in der äußeren Umwelt: der Natur (Schallnachahmungen), der kulturellen Wechselwirkungen (Lehnwörter; dtsch. überholen, nun auch im Sinne des engl, ooerhaul), des allgemeinen" Kulturwandels (Einschlag christlichen Denkens, des Wirtschafts-, Kunst- und Wissenschaftslebens). Dabei darf man die Bedeutungsänderungen nicht von ihrer psychophysischen Gebundenheit lösen, da Wortsinn und Wortklang eine komplexe Einheit bilden und ihre Schicksale mannigfach ineinandergreifen (Wortdurchkreuzung, Volksetymologie). Eine wesentliche Bedingung der Bedeutungsverschiebung liegt m dem Umstand, daß die einzelnen Wortbedeutungen jeglicher Sprachgemeinschaft kein abgelöstes Dasein führen, sondern in eigenartiger Weise mit allen übrigen Wortbedeutungen gliedhaft verwoben sind, und zwar im Sinnbereich eines engeren und weiteren Wortfeldes. Den Gesichtspunkt des Bedeutungs- bzw. Wortfeldes hatte bereits Adolf Stöhr („Lehrbuch der Logik", 1910) erwähnt! Sodann G. Ipsen und W. Porzig. J. Trier hat diese Gedanken in mehreren Arbeiten begründet und fruchtbar gemacht. Damit ergänzt die kulturgeschichtliche Betrachtungsweise sehr glücklich die sprachphilosophische Forschung. b) Die b e w e g e n d e n K r ä f t e kann man folgendermaßen übersichtlich zusammenfassen: Drang nach K l a r h e i t der Ausdrucksweise, z. B. Linse (als technische Neuerung); Tendenz der B e q u e m l i c h k e i t , z. B. lautliche Angliederung in der Aussprache, Kürzungen wie U. B., Labor, Ersatz der Flexion durch Wortstellung; Verlangen nach W o h l l a u t , das der Tendenz der Ökonomie entgegenarbeitet, z. B. Wahrung älteren Wortbestandes, Beibehaltung synonymer Ausdrucksweisen zwecks Abwechslung der Wortwahl, wie nebst (= mit), sowie (= und); Streben nach v e r a n t w o r t l i c h e r Ausdrucksweise: schließlich steht hinter jedem Bedeutungswandel das Hindrängen auf soziale Verständigung; V

51

G ü t i g e Rücksichtnahme auf die sittlichen Gefühle der Mit-

m e n s c h e n , z. B . wenig schmerz;

i n wenig

gütig,

Leibschmerz

statt

Bauch-

R e l i g i ö s e Scheu, z. B. Gottseibeiuns statt Teufel. Mit der Sonderung von Bedingungen (Voraussetzungen) einerseits und andererseits den bewegenden Mächten des Wandels ist die Möglichkeit geboten, über die bloße Beschreibung von Einzeltatsachen hinaus noch g e s e t z l i c h e Zusammenhänge innerhalb der Sprachwissenschaft nachzuweisen. Die allgemeine Formel lautet dann nicht mehr: Wenn a, so b, wie in der Mechanik, sondern: Wenn a und b, so c, wobei unter a die Bedingungen (Voraussetzungen) und unter b die bewegenden Kräfte des organischen und geistigen Geschehens zu verstehen sind. Diese Mächte sind im Reich der Biologie die T r i e b e , in der Region des Geistes die R i c h t k r ä f t e historischen Wandels bzw. die M o t i v e normgemäßen SpTechens. Früher, z. B. auch Jakob Grimm in der Vorrede seiner „Deutschen Grammatik" (1819), und noch jetzt spricht man unterschiedslos von den Trieben der Sprache, von Triebkräften und dergleichen. Aber erst mit der klaren Unterscheidung der verschiedenartigen Kategorien und Schichten sowie mit derjenigen von Bedingungen und bewegenden Kräften wird die Sprachwissenschaft als Gesetzeswissenschaft begründet. Auf dieser Grundlage ordnet sich somit die bisher isolierte Sprachforschung in den allgemeinen Rahmen der Natur- und Geisteswissenschaften ein. Denn die aufgewiesenen Formen von „Gesetzlichkeiten" — wir sagen nicht „Gesetze" wegen der unübersehbaren Fülle möglicher Durchkreuzungen — gelten für die Entwicklung wie für die Betätigung aller Organismen, biologisch gesehen, und ebenso für die geistige Reifung und Handlungen des vernunftbegabten Menschen schlechthin. Daraus ergeben sich mancherlei Folgerungen. Zuvor möchte ich jedoch mit wenigen Strichen auf das Hauptthema des 6. Internationalen Linguistenkongresses in Paris (19. bis 24. VII. 1948) eingehen, nachdem der 5. Kongreß im August 1939 in Brüssel hinsichtlich des Krieges abgebrochen war. Die Ankündigung des 6. Kongresses ist mir aus einer Notiz des Classical 52

Journal (Washington University, April 1948) nachträglich bekannt geworden. Der Gegenstand des Kongresses — wie auch der Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit — ist die A l l g e m e i n e M o r p h o l o g i e der Sprache und umfaßt folgende einzelwissenschaftliche Fragen, die ich nach meiner Quelle zitiere: 1. Are there categories common to all languages which afford a structural classification of languages? 2. What are the relationships of unity or independence between the phonetic and the grammatical structure of a language? 3. Is there a universally valid definition of the respective domains of morphology and syntax? 4. How does the morphology of one language influence that of another? Man möchte zunächst annehmen, daß in der zweiten Frage wohl nicht Phonetik und Grammatik gegenübergestellt werden sollen; denn Phonetik ist nur ein Glied der Grammatik; es ist jedenfalls Syntax statt Grammatik gemeint. Sodann muß es wohl Phonologie statt Phonetik heißen; denn es handelt sich im Hauptproblem um S t r u k t u r e n d e r S p r a c h e , nicht um den Sprechakt, wie sie auch in der Phonologie tatsächlich vorliegen. Ich habe versucht, diese Wesensunterschiede von Phonologie und Phonetik auf einem Vortrage des 4. Linguistenkongresses in Kopenhagen 1936 herauszuarbeiten. Der Vortrag ist in den Indogermanischen Forschungen, Bd. LV (1937), Heft 1, erschienen. Die Allgemeine Sprachwissenschaft hat die Aufgabe, die durchgehenden K a t e g o r i e n der menschlichen Sprache herauszuarbeiten, und zwar auf dem Gebiete der Phonologie, Semasiologie (Onomasiologie) und Syntax. Unter „Kategorie" sind die zwischen Subjekt und Objekt „übergreifenden" Richtungs-Gesetzlichkeiten der Koexistenz zu verstehen. Ohne solche Klärung bleibt alles Sprechen über Strukturen im unklaren. Im allgemeinen Rahmen der jedesmaligen Kategorien auf den drei gesonderten Gebieten der Grammatik — Phonologie, Semasiologie und Syntax — ist durch Vergleich wohl eine gewisse Anordnung der Sprachen möglich, j e nach dem Stande ihres geschichtlichen Wandels. 53

Die phonologischen, semasiologischen und syntaktischen Kategorien sind wohl zu sondern, doch ist eine i n n e r e V e r w a n d t s c h a f t der einzelnen Gebiete derselben Sprache bzw. Sprachgruppe nicht von der Hand zu weisen, da jede Einzelsprache für sich das geschlossene Gepräge eines einheitlichen Geistes trägt in den verschiedenen Stadien ihrer Entwicklung. Mit dem Begriff der D e f i n i t i o n kann nicht vorsichtig genug umgegangen werden, da solcher im strengen Sinne nur auf das Gebiet der mathematischen Physik anwendbar ist. Auf geisteswissenschaftlichem Gebiete tritt an die Stelle strenger Gesetze die B e s c h r e i b u n g von Typen, der Gesetzlichkeiten. Typische Er-' scheinungen gleiten ineinander über ohne feste Grenzen. Die Sprachgeschichte zeigt hier und da B e e i n f l u s s u n g e n zweier verschiedener Sprachen in der weiteren Ausgestaltung, d. h. in der historischen Erfüllung der Kategorien. Kategorien selbst unterliegen als wissenschaftliche Hilfsbegriffe nicht dem historischen Wandel, können mit der Zeit nur klarer eingesehen werden. Damit erledigt sich auch die dritte der gestellten Fragen. — Von den Gesetzlichkeiten der Sprache sind die des S p r e c h e n s zu unterscheiden, und zwar auf den einzelnen Gebieten des S p r e e h a k t e s t Phonetik (Artikulation), Semantik (Benennen) und Syntaktik (Prozeß der Satzgliederung). Ich hoffe, nach Erscheinen des Kongreßberichtes auf diese Grundfragen zurückzukommen.

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Methodologischer

Schlußbetrachtung Rückblick und heuristischer

Ausblick

Der vorliegenden Arbeit liegt die bedeutsame Frage nach dem Ordo, dem kategorialen Aufbau des Weltgefüges zugrunde, gesehen aus der Perspektive linguistischer Forschung. Diese Sicht erfolgt wesentlich vom Standpunkt des objektiven Idealismus (s. o. S. 12). Die Rückwendung vom Subjektivismus der kritischen Philosophie zur Objektivität des Seins, in welcher der Mensch selbst ein Glied übergreifender, d. h. die ganze Welt durchziehender Gesetzlichkeiten ist, vermag ihren Ausgang von der Sprache her zu nehmen, insofern die menschliche Sprache sich nicht bloß im „Urteil" denkender Menschen kundgibt, sondern im Sinne Herders, Humboldts und Grimms das Wirkfeld der sich in unendlicher Fülle durchkreuzenden Abhängigkeitsbeziehungen widerspiegelt, die wir „Wirklichkeit" genannt haben — und die selbst wieder d a s Problem bleibt. Sprache in diesem umfassendsten Sinne ist dann nicht nur in ihrem historischen Gewordensein zu begreifen, sondern auch als Sprechhandlung im weiteren Rahmen wirklicher Sprechsituationen. Der charakteristische Grundzug unseres Zeitalters, wie es im grausigen Zusammenbruch so fürchterlich in die Erscheinung tritt, ist die Zerrissenheit des Menschen, der Menschheit. Alles ist aufgespalten, nirgends Einheit und Harmonie: die Schule ist ein Sammelsurium von Fächern, die Universitäten ein Bündel beziehungsloser Fakultäten; die Berufe dienen dçr Technik, insofern jeder Berufsmensch nur ein getriebenes Rad einer erbarmungslosen Maschinerie, ist, ohne die Kultur würdiger Muße. Die Glieder des „Volkes" stehen politisch und religiös und weltanschaulich nebeneinander, wenn nicht gegeneinander. Staat und Kirche sind getrennt, also auch weltliche und religiöse Erziehung. Wie soll da Volk werden? Durch die äußere Organisation der Einheitsschule? Wenn nun auch „Tugend" kein Wissen ist im Sinne einer beziehungslosen Yielwisserei, so könnte doch wohl der Einblick in die Grundverhältnisse menschlichen Lebens eingewurzelte Vorurteile 55

erschüttern und Menschen verschiedener Weltanschauungen in gegenseitiger Achtung zu gemeinsamer Arbeit zusammenführen, — seit langem die unerfüllte Sehnsucht des deutschen Menschen, nachdem aer philosophische Monotheismus eines Sokrates, Piaton und Aristoteles dem Einzel wissen der hellenistischen enkyklios paideia gewichen war. I. Wenn wir im ersten Abschnitt zumeist von der B e z i e h u n g s b e d e u t u n g syntaktischer Beziehungsmittel aiisgegangen sind, und zwar gerade von der (unverstandenen) Wortart, so setzt diese grundsätzliche Wendung die Erkenntnis voraus, daß es nicht nur innensyntaktische Beziehungen gibt, also Beziehungen, die den Zusammenhang der Vollwörter i n n e r h a l b des Satzes kennzeichnen, sondern auch a u ß e n s y n t a k t i s c h e Beziehungsbedeutungen, die, wie der Plural, ganz ursprünglich auf die vorgestellte Wirklichkeit hinweisen und damit zur „grammatischen Kategorie" (H. Paul) umgeprägt sind. So spiegelt denn auch die Wortart in ihren elementaren Kategorien die Grundformen der G e g e n s t a n d s s c h i c h t (Substanz, Accidenz, Relation und Aktion) wider. Demgemäß könnte man mit N. Hartmann sagen: „Nicht die Welt ist auf den Menschen hin angelegt, sondern er auf sie." („Systematische Philosophie", 1942). Auf dem Gebiete der Biologie war von Uexküll („Theoretische Biologie", 1920) die Organisation und die Lebensäußerung der Tiere auf die Umwelt bezogen worden, wie schon vordem Humboldt von dem „Eindruck" gesprochen hatte, den die „reale Natur der Objekte" auf das Gemüt hervorbringt („Über das vergleichende Sprachstudium". 1822). Insofern haben sich Anschauung und Sprache des Menschen an äußeren Gegebenheiten kategorial geformt. II. Die O n o m a s i o l o g i e ist das günstigste Eingangstor zur Erkenntnis der in der S c h i c h t d e s G e s c h e h e n s nun einmal waltenden Strukturgesetzlichkeiten. Drängt doch die natürliche Klassifikation der Wortbezeichnungen, wie Avir gesehen haben, auf eine klare Sonderung der mechanischen, biologischen und soziologischen Kategorien hin, die • sich eben auf Grund der sie beherrschenden Gesetzlichkeiten voneinander abheben. Davon unterscheiden sich die psychischen Gesetze (des Gedächtnisses 56

usw.), die ihrem Wesen nach persönlich gebunden sind und nicht auf die objektive Welt „übergreifen": Ontologie ist Philosophie, nicht Psychologie. Arnold Gehlen („Der Mensch, seine Natur und seine Stellung in der Welt", 1944) wendet sich gegen das „Stufenschema", d. h. gegen die Vorstellung, als gäbe es in der Natur niedere Instinktwesen, höhere Gewohnheits- und Gedächtnistiere, noch höhere Tiere mit praktischer Intelligenz und schließlich den Menschen, der „die in der Natur aufeinander aufgebauten ontologischen Bereiche" in sich vereinige und mit seinein menschlichen „Geiste" ( = theoretischer Intelligenz) kröne. Natürlich ist „Geist" nicht Sublimierung der Triebenergie, auch ist der Übergang vom Tier zum Menschen kein kontinuierlich-gradueller. Jedenfalls liegt das Stufenschema Instinkt — Gewohnheit — praktische Intelligenz — menschliche Intelligenz jenseits aller ontologischen Betrachtungsweisen. Diese Stufen sind vielmehr psychologische, also nicht auf die objektive Welt „übergreifende" Phänomene — wie auch „Geist" nicht mit menschlich-theoretischer Intelligenz (Verstand) gleichzusetzen ist. Denn das eigentlich Geistige ist m. E. eine wesentlich andere Schicht, die nur gegen Ende des sonst so klugen Buches hervortritt. Gehlens anthropo-biologische Betrachtungsweise ruft somit nach einer unerläßlichen Ergänzung, nach einer geisteswissenschaftlichen Anthropologie. Und diese kommt um das Strukturgefüge des Geistes als Grundlage schwerlich herum. Wenn man die Grammatik in Lautlehre, Wortlehre und Syntax gliedert, so könnte man auf den Gedanken kommen, auch die L a u t l e h r e philosophischen Einsichten dienstbar zu machen, wie wir im I., II. u. III. Abschnitt auf die Syntax bzw. auf die Wortbezeichnungslehre zurückgegriffen haben. Es leuchtet aber ohne weiteres ein, daß die psychophysische Seite der Artikulation kein Ausgangspunkt für die kategoriale Erfassung der Wirklichkeit sein kann. III. Die b e w e g e n d e n K r ä f t e des historischen Sprachwandels und des aktuellen Sprechens sind insofern der angemessene Ansatz einer Wirklichkeitsforschung, als die Sprache, das Vehiculum veritatis nach Pestalozzi, jeglicher Wissenschaft schlecht57

hin verhaftet ist. Biologische Entwicklung, geistiges Werden und Wirken sind der umspannende Rahmen, in dem auch alle Sprachveränderung wie menschliche Rede eingebettet ist. Da nach Humboldt und Herder die „Geschichte nur Verwirklichung einer Idee" ist und die Aufgabe des Geschichtsschreibers in der „Erforschung der als handelnd und leitend im Leben auftretenden Kräfte" besteht; da der Ursprung der Sprache im „innern Drange" (und „äußern Erfordernissen") liegt und zugleich mit der „ganzen Entwicklung der menschlichen Kräfte" geschieht1),- so bot sich der Aufweis der geistigen Kräfte des Sprachlebens zwanglos als vorzügliche Basis an, der D y n a m i k und S t r u k t u r der g e i s t i g e n S c h i c h t nachzuspüren. Deren Richtkräfte sind ihrem Wesen nach irrational, da alles vollkommene Tun nach Nietzsches Wort „gerade unbewußt" ist. Wer wollte auch „definieren", was Liebe, was Gläubigkeit ist! Haben wir oben festgestellt, daß die äußere Gegenständlichkeit die Art menschlichen Anschauens und Sprechens kategorial geformt hat, wird der Mensch auch von den mechanischen (und den biologischen) Gesetzlichkeiten bestimmt, so gestaltet schließlich die s c h ö p f e r i s c h e K r a f t der religiösen und sittlichen Menschen, der einzelnen wie der Massen, die gesamte Kultur. Und dies unter Berücksichtigung aller Bedingungen neben den Richtkräften, wie wir oben gesehen haben (S. 42 f. und 50 ff.). Also kann ein Wandel unserer politisch-kulturellen Verhältnisse auch nur von einer Erneuerung des Menschen ausgehen. — Und die Berechtigung einer b e s o n d e r e n religiösen, a l l u m f a s s e n d e n K a t e g o r i e ? Die biologische Tatsache der Erhaltung und Entfaltung des Individuums wie der Gattung, die geisteswissenschaftliche Einsicht des Selbstgerichtetseins vernünftiger Wesen — ganz abgesehen von den Offenbarungen des Glaubens — haben dem sinnenden Menschen von alters her einen umfassenden Sinn des Universums erschlossen. So wird auch Goethe, der im Besonderen das Allgemeine, im Sosein das geschichtliche Gewordensein erschaut, und zwar auf Grund seiner *) Zum Schluß der Abhandlung „Über das vergleichende Sprachstudium" formuliert Humboldt: Der Ursprung der Sprache liegt „in Naturnotwendigkeit und physischem Bedürfnis". 58

„anschauenden Urteilskraft", die an Kants intellectus archetypus gemahnt, zur Idee einer Urkraft weitergetrieben, wonach „Gott in der Natur, die Natur in Gott" von Ewigkeit zu Ewigkeit wirkt. Unter Spinozas Einfluß drängt sich ihm der Name Gott-Natur auf die Lippen, das Wort vom „Allumfasser". Mit dem Verständnis und der Anerkennung dieser allumfassenden Kategorie ist ein Problem gegeben, auf dessen Lösung die Geschlossenheit unserer Weltanschauung und damit unseres Bildungswesens wie der Einzelpersönlichkeit beruht! Wir haben eingangs dieser Arbeit auf die Yerquickung von äußerer bzw. innerlich-seelischer Wirklichkeit und a l l g e m e i n e r G r a m m a t i k hingedeutet. Die von uns vorausgesetzte Harmonie eines in sich geordneten Weltalls kann sich dann nicht auf irgendwelche Einzelheiten erstrecken, sondern nur auf das kategoriale Grundgefüge des Kosmos. Also sind wir auch immer auf die allgemeine Struktur der Sprache zurückgegangen, auf die allgemeine Grammatik. Dabei haben wir abgesehen von untergeordneten Kategorien wie Quantität neben Qualität (als Eigenschaften. Vgl. o. S. 23); von Reaktivität des Handelns (Passiv!) neben der Aktivität; von Einheit und Mannigfaltigkeit,'wie sie durch die Numeri sprachlich wiedergegeben werden usw. Oder verbergen sich hinter den „abgeleiteten" Kategorien letzte logische Unterscheidungen im Sinne der Aristotelischen Prädikamente, z. B. Inneres — Äußeres in der Unterscheidung von Wortbedeutung und Wortkörper (vgl. o. S. 28)? Ist doch die Hum'boldtsche Idee der „inneren Wortform" wohl immer wieder beschworen, aber nirgends zu Ende gedacht worden. Dagegen scheint Martys „konstruktive innere Sprachform" auch auf die Eigenart der Beziehungsbedeutung abzuzielen, insofern damit „gewisse vorbereitende Vorstellungen" zustande kommen (vgl. O. Funke, Englische Studien 57, 1923, sowie „Psyche und Sprachstruktur", 1940). In wissenschaftlich-methodischen Schriften der Linguistik wird immer wieder die Behauptung aufgestellt, daß das WesenhaftAllgemeine des empirisch vorgefundenen Sprachgutes mittels I n d u k t i o n gefunden und in Regeln formuliert würde. Die Erfassung des Allgemeinen geschieht aber nirgends durch Induktion, 59

vielmehr durch „ideirende Abstraktion", um Edm. Husserls Bezeichnung aufzunehmen („Logische Untersuchungen" II, 1, 1913). Solche t y p i s i e r e n d e H e r a u s h e b u n g , wie wir lieber sagen möchten, versteht den Prozeß der Abstraktion nicht in dem uneigentlichen Sinne der empirischen Psychologie und Erkenntnistheorie, sondern erfaßt das allgemeine Wesen einer Spracherscheinung an einzelnen typischen Fällen. Dieser Gedanke findet sich schon öfters bei Humboldt angedeutet, z. B. am Schlüsse der Akademieabhandlung „Über das vergleichende Sprachstudium". Ein Beispiel ist unerläßlich: Um das „Wesen" des französischen Konjunktivs zu begreifen, wohl des umstrittensten Kapitels der französischen Grammatik, so kann man dies an zwei typischen Beispielen einsehen: 1. Je veux que tu viennes im Sinne von daß du kommen sollst; der Konjunktiv als Ausdruck des Wunsches. 2. In dem Falle Qu'il soit malade, je le crois bien ist der Konjunktivsatz emphatisch vorangestellt, um die eigentliche Mitteilung, der französischen Eigenart gemäß, an das Ende, d. h. an die wichtigste Stelle des Satzes zu bekommen: der Indikativ als Modus des Wichtigen, der Konjunktiv als Modus des Unwichtige^. Es hat sich ergeben, daß Eug. Lerch fast gleichzeitig lind unabhängig von mir zur gleichen Erkenntnis gelangt ist. Der französische Konjunktiv hat demnach zwei Beziehungsbedeutungen: die erstere beinhaltet einen Wunsch; die letztere, der Ausdruck des Unwesentlichen, vielleicht des bereits Bekannten, ist nur zu begreifen im Gesamtrahmen der französischen Wortstellung. Mit dieser Kenntnisnahme fallen die berüchtigten „Ausnahmen" fort, die nur eine Folge unzulänglicher Einsicht bzw. Fassung einer Regel sind. Denn wie es keine Zufälle im eigentlichen Sinne gibt, so auch keine Ausnahmen. Unter gleichen Bedingungen (Voraussetzungen) und gleichen Kräften geschieht auch Gleiches, wenn auch der Einblick in die oft sehr verwickelten Wege des Geistes mitunter unendlich schwer ist. — Wir fragen nunmehr nach dem E r t r a g , der sich aus unseren Darlegungen für Sprachwissenschaft und Philosophie auf Schulen und Hochschulen ergibt. 60

I. Eine wissenschaftliche Betrachtungsweise wird die Erforschung und Unterweisung sprachlicher Erscheinungen immer in engster Beziehung auf äußere und innere W i r k l i c h k e i t betreiben, nicht an einzelnen, aus dem Zusammenhang gerissenen Wörtern. Dabei wird klar zu unterscheiden sein zwischen der historisch gewordenen Sprache und dem Sprechvorgang, weiterhin zwischen dem Sinn der Begriffsworte und der Beziehungsbedeutung der Beziehungsmittel. Die Leistuiig der Beziehungsmittel besteht nicht nur in der Kennzeichnung der innensyntaktischen Beziehungen von Satzteilen und Satzgliedern, z. B. durch die Kasus, sondern auch in der Charakteristik von außensyntaktischen Beziehungen zwischen Außen- und Innenwelt, z. B. durch Tempora und Modi. Da Natur und Kultur nicht Stillstand, sondern ewigen Wandel bedeuten, so wird die Sprachforschung jeden Einzelfall im steten Fluß des Ganzen betrachten und nicht in ein festes Schema pressen wollen. So auch im Sprachunterricht. Eine vernünftig gewährte und genutzte Freiheit auf Grund vertieften Verständnisses ist zudem auch bildsamer als der Zwang gedächtnismäßigen Drills. Man deute demgemäß auch nicht Flexionen (Kasus) und Wortarten (Adverb) in Formen hinein, wo diese im Wandel der Zeiten zugunsten der Wortstellung aufgegeben sind, z. B. Mutter hat das Buch gelesen (lat. mater — librum), er arbeitet sorgfältig (lat. diligenter). Nach einem Worte Jakob Grimms ist es das Kennzeichen der Wissenschaft, also auch der Sprachwissenschaft, daß sie ihr Netz auswerfe nach allseitigen Ergebnissen und jede wahrnehmbare Eigenheit der Dinge der zähesten Prüfung unterwerfe, „gleichviel was zuletzt daraus hervorgehe" (Akademierede vom 9. 1. 1851). Im Akte höchster Selbstkritik wird man dahin gelangen, so manches durch die Jahre geheiligte Vorurteil über Bord zu werfen. II. Die Spracherscheinungen sind nie aus dem befruchtenden Mutterboden eigenen V o l k s t u m s , auch nicht aus der Wechselwirkung a l l e r m e n s c h l i c h e n K u l t u r e n zu reißen. Die „Sprachvergleichung" der letzten Jahrzehnte ist uns in dieser Hinsicht viel schuldig geblieben. 61

Die durch Fr. Bopp und R. Rask begründete „Vergleichende Grammatik" hat der gesamten Wissenschaft den Namen „Sprachvergleichung" gegeben. Mit dem Rückgang auf das Sanskrit blieb sie wohl ihrem Ausgangspunkt verpflichtet, umschloß aber bereits in ihren ersten Anfängen alle folgenden Wandlungen. Mit Herder und Jak. Grimm, Humboldt, Scherer und Steinthal vertiefte sie sich in die Darstellung des jeweiligen V o l k s l e b e n s bzw. der charakteristischen V o l k s k u l t u r e n und nahm damit eine kulturhistorische Wendung. Eine neue Ausweitung erfuhr die Sprachvergleichung mit Wilh. v. Humboldts Forschungen, die in der „Einleitung" zur Kawisprache ihren Niederschlag gefunden haben. Diese trägt den kennzeichnenden Titel: „Über die Verschiedenheiten des menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts" (1836 veröffentlicht). Darin liegt der Vorstoß zür Erforschung der Menschheit und ihrer G e s c h i c h t e von der Sprache her, worauf bereits Franz Schnabel in seiner „Deutschen Geschichte im 19. Jahrhundert" (III, 1934) hingewiesen hat. Ist doch nach Humboldt das Ziel des „Vergleichenden Sprachstudiums", uns „zu sicheren und bedeutenden Aufschlüssen über Sprache, Völkerentwicklung und Menschenbildung" zu führen. 'Diese Richtung auf die Idee der Humanität ist auch der Tenor von Herders „Journal" vom Jahre 1769 sowie seines Vierten Naturgesetzes in der Preisschrift des folgenden Jahres. Wie dies geschehen kann, muß schon in kurzen Strichen an einem schlichten Beispiel erläutert werden. In dem Kapitel über die Rektion der Verben im Englischen wird auch in den zuverlässigsten Grammatiken von einem Dativ und Akkusativ gesprochen. Damit sind wir schon auf einen Abweg geraten. Der Satz I send the letter to my parents entspricht keineswegs dem deutschen Ich sende meinen Eliern den Brief, sondern an meine Eltern; the letter ist überdies nicht als Akkusativ gekennzeichnet. Allerdings hat das Englische noch Reste eines Akkusativs (Dativs) und damit die Grundlage für ein dahin gehendes Sprachgefühl bewahrt, z. B. rohom; aber die neuere Sprache zeigt gerade die Tendenz, sich auch dieses unbequemen Erbstücks 62

zu entledigen, z. B. mho's he roith? oder Who did you see there? Das volkstümliche me statt I liegt dagegen auf einer anderen Ebene. Also sage man besser persönliches und sachliches Objekt, das den Sinn trifft. Diese Erscheinung könnte man weiterhin dm Rahmen eines größeren KultuTzusammenhanges sehen. Im Englischen ist nämlich der „Verfall" der Flexionen im Vergleich zum Deutschen viel weiter fortgeschritten. Dies stärkere Hindrängen auf Ökonomie wirkt sich nicht nur auf sprachlichem, sondern auch ganz allgemein auf wirtschaftlich-politischem Gebiete aus: Wandel des Kapitalismus, des Imperialismus, Entstehung der Arbeiterbewegung — aber Verzögerung der sozialen Gesetzgebung in England im Vergleich zu Deutschland. Neben den Richtkräften sind wiederum die Bedingungen der maritimen Lage, der insularen Abgeschlossenheit usw. zu berücksichtigen. Also Verquickung von Sprach- und Kulturwandel, von Grammatik und Politik! Aber das alles kann nur mit größter Zurückhaltung angedeutet werden, ist jedoch klärender und bildender als zerstreute — oder gar falsche Einzelheiten. Ihre Krönung fand die Sprachvergleichung in der Hinwendung zur Philosophie, wodurch die gegliederte Einheit von Sprache und Kultur erst zutiefst begründet und die Durchforschung von Sprache und Philosophie in wechselseitiger Befruchtung erst ermöglicht wird. In seinem Akademievortrag vom Jahre 1821 sieht Humboldt die Aufgabe des Geschichtsschreibers darin, die „Verwirklichung der durch die Menschheit darzustellenden Idee" aufzuweisen, die sowohl „Richtung" wie „Krafterzeugung" ist. Dabei unterscheidet Humboldt klar die B e d i n g u n g e n („Ursachen", „Umstände", welche „aus der Beschaffenheit des Erdbodens, der Natur der Menschheit, dem Charakter der Nationen und Individuen" wie auch aus den „Veränderungen des Klimas" stammen) von den „ewigen, tief in der Brust der Menschen gewurzelten" I d e e n . So tritt neben die Bedingungen noch die „wirkende Kraft", welche „Wissenschaft, Kunst, sittliche Einrichtung" als Frucht des Geistes und der Sinnesart erzeugt, desgleichen die Sprache „als eine eigentümliche Form der Erzeugung und Mitteilung von Ideen". Man kann wohl nicht behaupten, daß die spätere „Sprachvergleichung" diese Bahnen gewandelt ist, ebenso63

wenig, daß die Philosophie aus der Sprachbetrachtung Anregung und Vertiefung bezogen hat, wie doch schon ehedem zur Zeit der Sophisten und ihrer großen Gegenspieler Sokrates und Piaton. III. K a t e g o r i e n d e r S p r a c h e u n d d e r realen W e l t . Wie Anton Marty aus der Erfahrung der Wirklichkeit auf die in den speziellen Sprachen ausgedrückten „Formen" des Bewußtseins geschlossen hat, so hatte bereits vor ihm H. Steinthal, auf Grund einer umfassenden Sachkenntnis und in Anlehnung an W. v. Humboldt, in seinem „Abriß der Sprachwissenschaft" (1871—93, 1881) von den „Kategorien der idealen Grammatik" gehandelt. Diese Linie führt, nach Humboldts eigenem Bekenntnis, direkt zurück auf Aug. Ferd. Bernhardi und auf dessen Idee der „philosophischen Grammatik", welche die „unbedingte", „notwendige" Form der Sprache im Gegensatz zu den empirischen Sprachen zum Gegenstand hat; dann weiter zurück zu J. Harris' Universal GraiAmar („Hermes", 1751) bis hinab zur Grammaire générale et raisonné (Port Royal, 1660), mit melhr oder weniger starken Anlehnungen an die ältere Logik und Sprachtheorie (Duns Scotus). In einem Brief an Schiller vom 20. November 1795 betonte Humboldt die Aufgabe, „die Kategorien zu finden, unter welche man die Eigentümlichkeiten einer Sprache bringen könnte, um die Art aufzufinden, einen bestimmten Charakter irgendeiner Sprache zu schildern". Denn das Begreifen der labyrinthisch verschlungenen Begebenheiten der Weltgeschichte auf Grund der „Ideen", der „wirkenden und schaffenden Kräfte" besteht allemal in der Anwendung „eines früher vorhandenen Allgemeinen auf ein neues Besonderes". Wie kommt aber der Geschichtsschreiber zu diesen kategorialen Formen? Darauf antwortete Humboldt, daß diese Formen von den Begebenheiten selbst „abzuziehen" seien. Und, nun folgt die bedeutsame Begründung eines derartigen Verfahrens: „Jedes Begreifen einer Sache setzt, als Bedingung seiner Möglichkeit, in dem Begreifenden schon ein Analogon des nachher wirklich Betroffenen voraus, eine vorhergängige, ursprüngliche Übereinstimnung zwischen dem Subjekt und Objekt." Das ist ganz im Sinne 64

der obigen Ausführungen (S. 15 f.) und heißt nichts anderes, als die Kategorien des Subjekts entsprechen denen der realen Wirklichkeit, mit anderen Worten: sie „greifen über" zwischen Subjekt und Objekt. Damit ist auf sprachlichem Gebiete die Möglichkeit geboten, aus den Kategorien der Sprache diejenigen der realen Welt, einschließlich des sprechenden Menschen aufzufinden. Es waren daher zunächst die Kategorien der Sprache in einer allgemeinen Grammatik von dem Objekt der Sprache selbst abzulesen. Die Voraussetzung dazu ist damit gegeben, daß jede Sprache „ein Anklang der allgemeinen Natur des Menschen" ist oder, nach Herders scharfer Zuspitzung, „unter allen Völkern der Erde ist d i e G r a m m a t i k b e i n a h e a u f e i n e r l e i A r t g e b a u t " . Im Sinne der allgemeinen Grammatik ist damit der Weg zu einer ontologischen Untersuchung gewiesen, und zwar, wie oben (S. 38) gefordert wurde, von einer mit möglichster Akribie allseitig durchforschten E i n z e l W i s s e n s c h a f t , nicht durch bloße philosophische Spekulation. Da sich der Ausgang von der Mathematik und Physik (z. B. Kant) wie von der Biologie (z. B. Haeckel) als zu einseitig erwiesen hat, bleibt nur die geschichtliche Welt als Ausgangspunkt und gerade die Sprache mit ihrem leichter überschaubaren Tatsachenmaterial 1 ). Auf dieser Grundlage ermöglichte sich die Herausarbeitung der drei übergreifenden und in sich zusammenhängenden Schichten: der gegenständlichen Schicht, der Schicht des Geschehens und der geistigen Schicht mit deren besonderen Kategorien. Diese Gliederung der Schichten erhärtet die Richtigkeit der von Franz Brentano aufgestellten Klassifikation der psychischen Phänomene: Vorstellen, Urteilen und Gemütstätigkeiten — in M. Schelers Terminologie: Formen der Anschauung, des Denkens und des Fühlens, wobei ') In dieser Sicht erhebt sich die Philologie zum Range einer Philosophie im ontologischen Sinne, wie Ernesto Grassi in mehreren seiner Schriften, so in seinem Buch „Vom Vorrang des Logos", München 1939, S. 20 f., 26 f., 52 ff., 148 ff., 184 ff. bereits dargelegt hat. Der überragende Organisator des gelehrten Unterrichts unter dem Konvent und dem Direktorium, Joseph Lakanal, hatte bereits die a l l g e m e i n e G r a m m a t i k als Abschluß der Erziehung gefordert.

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die Anschauungsformell als „stoffgebende" Funktionen .näher bezeichnet sind („Vom Ewigen im Menschen", 1933). IV. D i e e r s e h n t e E i n h e i t der Lehre auf Hochschulen und Schulen setzt einen Einblick in das Schiehtengefüge unseres Seins und ihrer Kategorien, und zwar in unserem Falle an der Hand der allgemeinen Grammatik voraus. Mit der Verzweigung linserer Zivilisation, dem steigenden Kampfe ums Dasein und der entsprechenden Anhäufung eines enzyklopädischen Wissöns auf den sogenannten allgemein bildenden Schulen und Berufsschulen geht die Sehnsucht nach einer E i n h e i t s s c h u l e Hand in Hand. Das Allheilmittel wurde schon nach der Katastrophe des ersten Weltkrieges von Fachleuten und hilfsbeflissenen Außenstehenden in der rein äußeren Organisation gesehen und zum Gegenstand politischer Machtkämpfe gemacht. Das war das Schlimmste, was dem Bildungswesen zustoßen konnte, sofern es überhaupt berufen ist, zur Erneuerung des Volkes, der Menschheit mitzuwirken. Immer ist es jedoch der Geist, der die Form prägt, nie umgekehrt, da grundsätzlich die Gestalt der Ausdruck eines geistigen Kerns ist. Also wird man auch im Bildungswesen und seiner Organisation von innen nach außen fortschreiten müssen, wenn es uns überhaupt um den Auf- und den Ausbau eines sinnvollen Ganzen für alle Volksschichten ernst getan ist. Die Idee, daß damit das eigene Kulturgut und die Muttersprache zum tragenden Pfeiler jeglicher Bildung im Sinne charakterlicher Erziehung und beruflicher Leistungsfähigkeit für Volk und Staat werden müßte, ist Gemeingut aller erfahrenen Pädagogen und einsichtigen Politiker. Das beweist auch das Bildungswesen anderer Völker. Die Einheit der Weltanschauung wird allerdings damit noch nicht gewährleistet. Schon Hermann Köchly, ein Schüler Gottfried Hermanns, damals Lehrer an der Kreuzschule zu Dresden, forderte im Sturmjahr 1848 auf einer Leipziger Versammlung, daß der Deutschunterricht in den Mittelpunkt der deutschen Schule zu stellen sei. Das war ganz im Sinne der Fichteschen Reden an die deutsche Nation und bereitete auch das spätere Altonaer und Frankfurter 66

System vor. Jn den Lehrplähen des Jahres 1891, wie in der vorhergehenden Preußischen Schulkonferenz von 1890, wurde dieser Gedanke amtlich aufgenommen und der deutschen Sprache, im Rahmen des deutschen Volkstums, die ihm gebührende Stelle angewiesen. In dem Gedanken der Deutseihkunde wurden dann alle geschichtlich-ethischen „Fächer" auf dieses gemeinsame Zentrum bezogen, was auch die leitende Idee der Richertschen Reform unter dem Kultusminister Boelitz bildete. Solange aber der (deutsche) Sprachunterricht in ein fremdes System auf der Grundlage der äußerlich aufgefaßten Wortarten gepreßt wurde, konnte von einer gewissen Einheit keine Rede sein. Auch der mißglückte Versuch der Parallelgrammatiken und der Querverbindungen, das nachträgliche Zusammenflicken des einmal Zerstückelten, mußte von vornherein einen Fehlschlag bedeuten. Das Grundübel blieb der formale Betrieb des Deutschen. Wenn auch Herder mit Jakob Grimm gegen „Grammatiken und Grammatiker" angingen und mit Humboldt ein wirklichkeitsnahes und philosophisch vertieftes Sprachstudium ersehnten, es blieb trotz aller Reformen und Reförmchen beim alten. Ein Wandel ist nur zu erhoffen, wenn erst einmal grundsätzlich die Andersartigkeit von Bedeutung und Beziehungsbedeutung verstanden wird; wenn jede syntaktische „Regel'" als wissenschaftliche Formulierung des Geltungsbereichs von „Beziehungsbedeutungen", und wenn schließlich diese Beziehungsbedeutungen in der Art determinierender Tendenzen von psychologisch hinlänglich geschulten Philologen a u f g e f a ß t werden. Im einzelnen müßten überdies die vier Beziehungsmittel und deren sich vielfach durchkreuzenden Wirkmöglichkeiten unmißverständlich eingesehen werden. D a n n wird man die Grammatik nicht mehr in positivistischer Weise von den Elementen her aufbauen, was der Auffassung entspricht, d a ß der Satz durch Zusammenfügung von Worten entsteht, sondern gerade umgekehrt in geisteswissenschaftlicher Analyse das Ganze, d. h. die (meist fehlende!) Syntax voranstellen 1 ) und dann erst zu den Elementen fortschreiten, zur Wortlehre und 1

) Man vergleiche daraufhin selbst grundlegende Werke wie „Grundriß der germanischen Philologie", begründet von H. Paul.

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Lautlehre. Denn der Entstehungsort des Wortes und der Wortartikulation ist die Rede, der Satz. Diese Gliederung beherrscht sowohl die Sprach- wie die Sprechkunde (Satzgliederungs-, Wortvorstellungs-, Lautbildungslehre), wie ich es in einer Broschüre für das Deutsche durchzuführen unternommen habe („Grundlinien der deutschen Satzlehre", 2. Aufl. 1943). Damit wird 1. die deutsche Sprachlehre aus den Fesseln eines die Sonderart des Deutschen f ä l s c h e n d e n S y s t e m s befreit; 2. es wird mit der umfassenden Basis eine einheitliche, allgemeine Grundlage geschaffen für die E r l e r n u n g a l l e r S p r a c h e n , der älteren wie der neueren, wodurch nicht nur viel Zeit erspart, sondern vor allem ein tieferes Verständnis von dem Bau der menschlichen Sprache schlechthin angebahnt und damit erst eine Einheitsschule wissenschaftlich vom Geiste her begründet werden kann. Sieht doch W. v. Humboldt in einem an König Friedrich Wilhelm III. gerichteten Bericht vom 1. 12. 1809 das Ziel des Sprachunterrichts in der „Kenntnis vom Sprachbau überhaupt". Das ist von der hohen Warte des Sprachphilosophen Humboldt gesehen! 5. Durch den Rückgang auf die allgemeine Grammatik wird die lang ersehnte Möglichkeit geboten, eine p h i l o s o p h i s c h e P r o p ä d e u t i k auch für den gelehrten Unterricht zu begründen und damit die geistige Einheit alles „Urwissens" in der kommenden Einheitsschule „von unten her" zu wahren — nicht etwa den zerstreuten Stoffmengen nachträglich anzuhängen. Dieser fundamentalen Aufgabe wenden wir uns im nächsten Abschnitt zu. Denn eine Einführung in die Lehre von den Begriffen und Schlüssen, das Studium der funktionalen Psychologie, des Vorstellungsverlaufs usw., auch eine Übersicht über die Geschichte der Philosophie oder die Lektüre eines klassischen Werkes vermag eine derartig grundlegende Aufgabe nicht zu erfüllen. Dieses Problem philosophisch fundierter und in diesem Sinne humanistischer Bildung statt des Erwerbs pragmatischer Vielwisserei ist auch gerade jetzt an den alten Universitäten der Vereinigten Staaten (Harvard, Yale, Princeton) der Gegenstand lebhafter Erörterungen. 68

Die Voraussetzungen einer Erneuerung unserer Kultur durch die „Schule" sind weniger measures, sondern vielmehr men, also die Durchbildung der neuen Erzieher und Zöglinge in der neuen Schule für den Dienst des Volkes: eine strenge Leistungsschule der S e l b s t a u s l e s e zum Beruf, nach Charakter und Intelligenz, Können und Handeln. Die unermeßliche Not unserer Zeit fordert nicht so sehr eine Förderung des Durchschnitts als vielmehr den Aufstieg der wirklich Begabten. Und die wohlgegliederte, von innen her organisierte Schule muß Zeit und Raum dazu gewähren, daß sich die reifende Jugend an den ausgewählten Bildungsgütern allmählich entfalte, nicht in Treib-Häusern überstürzt gezücht.et werde. V. Die M e t h o d e wissenschaftlicher Forschung und die M e t h o d i k der gegliederten Schule des Volkes. Seit jeher ist alle erfolgreiche Weltbemächtigung mittels der Theorie ausgegangen von der „Erfahrung". Auch nach Kant sind Anschauung und Begriff im Grunde verbunden; alle Erkenntnis hebt mit der Erfahrung an, wenn sie auch nicht aus der Erfahrung entspringt. Allerdings sind Anschauung und Anschauung recht verschiedene Dinge: Schellings intellektuelle Anschauung, Goethes Anschauung, wie sie in dem berühmten Gespräch mit Schiller und dem folgenden Briefwechsel aufgehellt ist, Pestalozzis Anschauung als ontologisches und erzieherisches Prinzip und die ganzheitliche Anschauung der neueren Zeit. Der Grundzug jeglicher erziehenden und bildenden Unterweisung bleibt, daß zu Beginn jeder Vorlesung wie des fortgeschrittenen Unterrichts das Problem als Problem geboten und als anschaulich Ganzes dauernd gegenwärtig ist; so die Durchführung einer mathematischen Aufgabe, die Deutung eines Dramas, eines Gedichts: Synthese i n der Analyse und rückblickende Synthese n a c h der Analyse! Sonst kann von „Bildung" keine Rede sein; es wäre nur Schulung, wobei der Mensch wie eine „leidlich klug eingerichtete Maschine" funktioniert (Schelling). Für die folgende Analyse der Anschauung werden die Forderungen von bleibendem Werte sein, die Schelling, Fichte, Schleiermacher sowie Wilhelm von Humboldt, in schwerer Zeit, an die 69

zu errichtende Universität Berlin gestellt haben 1 ); sie ebnen die Wege f ü r eine ontologische Betrachtungsweise der Welt und unseres Wissens über sie. Wie Fichte, überzeugt von der notwendigen Einheit alles Wissens, auch des Wissens vom Menschen, theoretische und praktische Philosophie unter einem einzigen Gesichtspunkte a u f g e f a ß t hat, so begründete Schelling seinerseits das „Urwissen" als „das schlechthin Eine", aus dem alle Wissenschaften fließen und in das sie zurückkehren. Also Wahrung der Einheit zu A n f a n g und zu Ende als Aufgabe der Philosophie, der Wissenschaft alles Wissens. D a aiuf dem Gebiete der Erkenntnis alles zusammenhängt und ineinandergreift, so k a n n nach Schleiermacher jedes einzelne nur in Verbindung mit allem übrigen ganz durchschaut werden. Die Schule m u ß aus dem Inhalt des Wissens dasjenige besonders herausheben, worin die wissenschaftliche Form der Einheit und des Zusammenhangs am frühesten deutlich angeschaut werden kann, was zugleich das allgemeine Hilfsmittel alles anderen Wissens ist: G r a m m a t i k u n d M a t h e m a t i k ! In diesem Sinne hat Wilhelm v. Humboldt das humanistische Gymnasium begründet. Seine „innere Organisation" beruht auf Einheit und Ganzheit des Bildungsguts und der Menschen, in einem ununterbrochenen, sich immer selbst belebenden, aber ungezwungenen Zusammenwirken zum Besten aller Volksschichten. Die im „Urwissen" begründete, innere Einheit alles Wissens k a n n auch in der Forschung, neben dem oben erwähnten Unterricht, vor der Zerstücklung nur bewahrt werden, wenn das Besondere immer i m R a h m e i l d e s G a n z e n allgemeiner Ideen oder T y p e n gesehen und behandelt wird, wenn die geistigen *) F. W. J. Schelling, „Vorlesungen über die Methode des academischen Studium", 1813; J. G. Fichte, „Deducirter Plan einer zu Berlin zu errichtenden höheren Lehranstalt, die in gehöriger Verbindung mit einer Akademie der Wissenschaften stehe", Sämtliche Werke VIII, o. J.: Fr. D. E. Schleiermacher, „Gelegentliche Gedanken über Universitäten in deutschem Sinn", Schleiermachers Werke IV, 1911: W. v. Humboldt, Bericht der Sektion des Kultus und Unterrichts vom 1. Dezember 1809, Gesammelte Schriften X; „Über die innere und äußere Organisation der höheren wissenschaftlichen Anstalten in Berlin" (1810?). Altensteins Gutachten über Fichtes Ideen, Grefilers „Klassiker der Pädagogik", Bd. XII (1891), S. 506 ff.

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Bänder nicht von vornherein zerrissen werden. Daher betont Humboldt als Aufgabe des Geschichtsschreibers, daß die vollständige Durchsuchung des Besonderen immer die Kenntnis „des Allgemeinen voraussetzt, unter dem es begriffen" wird, nämlich unter leitenden Ideen (vgl. o. S. 64 f.). Auf dem speziellen Gebiete der Soziologie fordert M. Scheler („Vom Ewigen im Menschen"), daß dem Zögling zuvor ein Netz der soziologischen Grundbegriffe gegenwärtig sei, um das je in der Geschichte vorhandene besondere Miteinander klar zu sehen und zu erfassen. Wie das Einzelne der mathematischen Physik unter der Ordnung allgemeiner Gesetze „begriffen" wird, so das naturhaft-kulturhafte Geschehen unter den Gesetzlichkeiten des „Typus" und allés zusammen, Natur und Geist, unter dem gegliederten Ordnungssystem der mit unserer Welt nun einmal gegebenen Schichten und deren Kategorien! Denn der Kategorie nach ist das bereits erschlossen, was es dann nur noch näher zu bestimmen gilt (H. Lipps). In diesem-Sinne ist die Philosophie, die Kategorienlehre, d i e Wissenschaft alles Wissens vom Sein: Ontologie als Grundwissenschaft. Die Sichtung unseres Wissens unter dem Ordnungssystem der Kategorien gewährt folgende Möglichkeiten: 1. Das Verständnis des kategorialen Strukturgefiiges ermöglicht einen Überblick über das gegliederte S y s t e m d e r W i s s e n s c h a f t e n . Von der Schicht des Geschehens aus gesehen, leuchtet die grundsätzliche Sonderung von mechanischen, von biologischen und von Geisteswissenschaften ein und macht auch den historischen Wandel der entsprechenden Auffassungsweisen verständlich: die Vorherrschaft mechanischer Gesetzlichkeiten von Demokrit bis Newton (und dem frühen Kant), die biologische Betrachtungsweise seit Lamarck und Darwin, die geistige seit Herder und der Romantik. So erklärt es sich, daß der Panphysikalismus wie der Panbiologismus (d. h. alles ist organische Entwicklung!) auch heute noch systembildende Kraft besitzt. Die Betrachtungsweisen „von unten" macht die Tafel der Welträtsel bei E. Du Bois-Reymond und E. Haeckel verdächtig; demgegenüber scheint die Betrachtung von der geistigen Kategorie her — Ad. Meyers „organizistische" Ganzheitslehre ist auf 71

dem rechten Wege dahin — in die gegenteilige Einseitigkeit „von oben her" zu verfallen. Eine solche Befürchtung ist jedoch unbegründet, da das Geistige in unserer Auffassung das Umfassende ist. Denn das Wahre ist, nach Hegels Wort, das Ganze! Die Einsicht in die geschichtlichen Abwandlungen wissenschaftlicher Forschungsweisen auf Grund des kategorialen Stufenbaus läßt somit die Herkunft und zeitliche Gebundenheit einseitiger Betrachtungsweisen (Ppsitivismus, Idealismus bzw. Spiritualismus usw.) deutlich werden; warnt auch den Menschen vor Selbstüberschätzung, dem Wesen der Ontologie gemäß, wonach der Mensch nur ein Glied des Universums ist; mahnt schließlich den Menschen, daß wir uns alle den „ewigen, ehrnen, großen Gesetzen" unseres Daseins fügen müssen, uns dazu in einen vernünftigen Naturalismus retten können unter Wahrung und Pflege unserer gesunden Naturinstinkte. Es drängt sich die Frage auf, ob das Wissen um die Grundgesetzlichkeiten unserer biologischen und geistigen Entwicklung, das Verständnis der Reifungsphasen des jugendlichen Menschen nicht ebenso wichtig wäre wie die Kenntnis der mathematischphysikalischen Gesetze. Ist vielleicht unser Denken der mechanischen Schicht doch noch mehr verhaftet, als wir glauben? 2. Die Überschau über den gegliederten Zusammenhang der Schichten und Kategorien klärt unsere b e g r i f f l i c h e n u n d s i t t l i c h e n V o r s t e l l u n g e n . Wie Schelling die Herrschaft dunkler Begriffe für das Gefährlichste erklärt, so durchzieht die gleiche Uberzeugung alle methodischen Schriften Pestalozzis: Das letzte Ziel der Sprache ist offenbar, das Menschengeschlecht von dunkeln Anschauungen zu deutlichen Begriffen zu führen. Demgemäß sucht Pestalozzi, in den großen Schriften der Alterszeit sich selbst mehr und mehr verstehend, die „allgemeine Basis" der Sprache und der Erziehung, was bereits angedeutet wurde. Dieser Grundgedanke ist für mich um so überzeugender, als ich selbst in dauernden Sprachstudien zu den „unveränderlichen Anfangspunkten" der Lebenswirklichkeit wie ihrer Struktur hingedrängt. bin und damit zur „allgemeinen Basis" von Erziehung und Unterricht 72

(„Allgemeine Erziehungslehre", 1928, und „Allgemeine Unterrichtslehre", 1953). Ist doch auch nach Diltheys Berliner Vorlesungen der Jahre 1884—94 die Erziehung „eine Funktion der Gesellschaft". a) Begleiten wir nunmehr die nachstehenden Begriffe bzw. Ideen durch die einzelnen K a t e g o r i e n d e r g e i s t i g e n S c h i c h t , d. h. also durch die •vorgesellschaftliche Kategorie sachlichen Sinnens und Schaffens eines Subjékts an einem Gegenstand (S->-G), durch die sittliche Kategorie gesellschaftlicher Wechselwirkung von Subjekten (Sn *—> Sn) bis hin zur allumfassenden Kategorie des Absoluten (A -> Sn), wozu man oben S. 44 ff. vergleichen mag! Ist doch Sprachkritik und Sprachpflege das vornehmste Mittel, daß einander nicht mehr verstehende Menschen sich wiederfinden in Wissenschaft, in politischer und kultureller Arbeit. Es gibt z. B. ein G e w i s s e n des Wissenschaftlers bzw. Handwerkers dem zu betrachtenden bzw. zu bearbeitenden Gegenstand gegenüber (S G) ; etwas anderes ist das Gewissen, das Verantwortungsgefühl miteinander handelnder Menschen (Sn •*—*• Sn) ; schließlich das religiöse Gewissen eines Subjekts gegenüber dem Absoluten (S — A). Damit klären sich auch die Begriffe des (theoretischen) „Irrtums" (S ->- G) und der (sittlichen) „Mitschuld" vor Menschen (S •*—• Sn) oder -vor Gott, die heute im Vordergrund der politischen Diskussion stehen. — Das praktisch-technische Tun des schaffenden Subjekts am Gegenstand (S G) unter der Gesetzlichkeit der Ökonomie heißt A r b e i t . In der Kategorie handelnder Subjekte (Sn •*—* Sn) wird, unter der Gesetzlichkeit sittlicher Verantwortung, die Arbeit zur L e i s t u n g , die Technik zur W i r t s c h a f t . Der Sinn der Wirtschaft ist nicht bloß, wie früher gelehrt wurde, die technische Gütererzeugung und Güterverteilung, sondern eben vérantwortungsbewußte „Planung" zum Besten der Allgemeinheit. •— W a h r h e i t ist als „Tatsachenwahrheiten" (vérités de fait) die bloße Feststellung von Tatsachen; als logische „Richtigkeit" eines durchdachten Zusammenhangs der T h e o r i e oder als (gnoseologische) E r k e n n t n i s der transzendenten Wirklichkeit im ontologisehen Sinne (S -*• G) ist sie wesentlich verschieden von der sich 73

in der G e s e l l s c h ' a f t ( G) in die der Ethik gerückt (S •*—> Sn). — P o l i t i k ist nicht die Kunst des Möglichen u. dergl., also nicht eine Sache rein verstandesmäßigen Abwägens möglicher Chancen, sondern sie beinhaltet, im Sinne des griechischen Gemeinschaftslebens der Polis, die umfassende Verpflichtung des Menschen gegenüber der G e m e i n s c h a f t und vor G o t t (S —*• S bzw. S — A). Politik meint also die Förderung des Mitmenschen aus sittlich-religiöser Verantwortung — also nicht eine Trennung von Staatskunst und Ethik; wie doch auch die bloße Trennung von Staat und Kirche einen zu bequemen Ausweg darstellt. Echte Religiosität kann vom Dienst an der Gesamtheit nicht entbunden 74

werden. Doch wird das Verhältnis von Staat und Kirche („den Kirchen"), von Staat und christlicher E r z i e h u n g der Gesinnung und der Tat nur aus höchstem Verantwortungsgefühl und unbedingter Wahrhaftigkeit einer angemessenen Lösung entgegengeführt werden. — Geschichtsphilosophisch betrachtet, geht alle Philosophie vor Fichte grundsätzlich vom Sein eines erkennenden Subjekts in bezug auf ein O b j e k t aus (S -*• G); das ist eine bloße Abstraktion, eine Uberschätzung verstandesmäßigen Denkens nach der Art des westeuropäischen Rationalismus. Kant verkündet den Primat der Ethik über das Erkenntnisproblem, weist damit Fichte den Weg zum handelnden Ich (S — S ) und damit den Ausgangspunkt vom Ganzen her. — Es ist hier kein Raum, auf die ungemein aufschlußreichen Zusammenhänge zwischen verantwortungsvoller Leistung (Sittlichkeit!) und Recht, zwischen Güte und Konvention einzugehen: Recht und Konvention sind beide rationale Regelungen irrationaler Grundverhältnisse (Kategorien) des geistigen Lebens, also der Leistung bzw. der Güte. Unrecht tut bereits der Egoist, der nicht verantwortungsbewußt zugreift, wo die Not des Mitmenschen ein spontanes Handeln gebeut; unrecht tut aber auch, wer dem Buchstaben des positiven Gesetzes folgt gegen seine sittliche Überzeugung. Die Sonderung der I r r a t i o n a l i t ä t geistigen Seins von seinen r a t i o n a l e n Regelungen ist ungemein wichtig (s. o. S. 58). Nach O t h m a r Spann, der als Schüler des Aristoteles den Gedanken der organischen Ganzheit und der Gliedhaftigkeit des sozialen Lebens vertritt, soll demgemäß auch der Staat der „Natur nach" früher sein als einzelne G r u p p e n und der Einzelne („Tote und lebendige Wissenschaft", Jena 1925). „Denn das Ganze m u ß notwendig f r ü h e r sein als der Teil." Spann übersieht, daß der Staat eine rational geregelte Institution ist, im Gegensatz zu den natürlichen Urgebilden Individuum, Familie und Volk. Daher sind seine weiteren Folgerungen unzutreffend. — 75

Solche Betrachtungen auf Grund der kategorialen Schichtung vermögen das Verantwortungsgefühl des sprechenden Menschen gegenüber seiner Mitwelt und seinem Gott zu klären und zu beleben. Die der Wirklichkeit des verantwortungsbewußten Menschen zugewandte Existenzphilosophie (H. Lipps, O. Fr. Bollnow) hat auf die geheimnisvolle Macht des gesprochenen und gegebenen Wortes wieder aufmerksam gemacht. Semel emissum volat inrevocabile verbum — keine Reue holt es wieder zurück. Die gottesfürchtige Inbrunst der Kirchenlieder und Sprüche des 16. und 17. Jahrhunderts ist oft zu bloßen Redensarten des Alltags erstarrt (Gott behüte! Gott bewahre!); im religiösen Bereiche kann sie erst im Gefühl der Geborgenheit des Gläubigen ihre alte Sinnerfüllung zurückgewinnen. b) Schließlich ein Beispiel der Begriffsklärung, nicht bloß im Wechsel der Kategorien ein und derselben Schicht, sondern durch alle S c h i c h t e n hindurch verfolgt: das P r o b l e m d e r F r e i h e i t d e s W i l l e n s . Unter W i l l e n s f r e i h e i t des Denkens, des Redens, des Handelns ist vielerlei verstanden worden, ohne daß es zur Aufhellung dieser vielschichtigen Idee kommen konnte. Den m e c h a n i s c h e n u n d b i o l o g i s c h e n Gesetzlichkeiten gegenüber (z. B. des Klimas, des Todes) sind wir machtlos, also nicht frei; ebensowenig können wir die Gesetzlichkeiten der g e i s t i g e n S c h i c h t abändern. Der vernünftige Mensch vermag aber, sich die empirischen Einwirkungen der Natur dienstbar zu machen und sie mit Hilfe der Technik zu beherrschen. Damit wird ihnen der Charakter der Heteronomie genommen. Der Zwang der an sich fremdgesetzlichen Tatsachen sinkt dann zu bloßen „Bedingungen" des Handelns hinab (s. o. S. 43, 50 f.); die „Richtkräfte" unseres Tuns treten ihnen beherrschend gegenüber. Und was dann den Zwang geistiger Gesetzlichkeiten betrifft, so können die überlieferten Imperative der Wissenschaft und Kunst, der Sitte und der Politik, wie die der Kirchen, die Freiheit des Menschen wohl einengen, insofern sie unecht, d. h. normwidrig sind. Dem vernünftigen Menschen erwächst jedoch aus dem Bewußtsein 76

sittlich-religiöser Pflichten die Kraft, auf die Beseitigung der „Vorurteile" nach Bestem Wissen und Können hinzuarbeiten. Soweit diese aber echte Urteile sind, kann der Mensch die in ihm liegenden Normen keineswegs als heteronom empfinden, sondern wird sie als autonom aus freien Stücken bejahen. In der Religion christlicher Ergebenheit steht er unter der Gnade des Allmächtigen, mit anderen Worten: die Sorge um irdisches Sein und Glück, die Nöte des Augenblicks verlieren ihre Bedeutung, die Frage nach der Freiheit des Willens hebt sich selbst auf. Die Willensfreiheit ist demnach 1. zunächst eine „Freiheit von", d. h. ein Freisein von mechanischem Zwang, biologischen Trieben und unechtem Streben. Unter diesem Gesichtspunkt wird die Verflochtenheit von Freiheit und Selbstbeherrschung (enkrateia, sophrosyne) verständlich: Freiheit heifit Selbstbeherrschung gegenüber den Triebregungen und Leidenschaften, der Willkür und der Selbstsucht. 2. „Freiheit zu", d. h. des auf das Echte gerichteten Willens: wir wollen, was wir sollen. Freiheit iist demnach kein Problem des Determinismus bzw ; Indeterminismus, da alles Geschehen im Leben determiniert ist; Freiheit ist vielmehr eine Frage der Heteronomie bzw. Autonomie des Menschen, seiner schöpferischen Selbstbestimmung bzw. seiner Gottergebenheit. Da ist's dann wieder, wie die Sterne wollten: Bedingung und Gesetz; und aller Wille ist nur ein Wollen, weil wir eben sollten, und vor dem Willen schweigt die Willkür stille. Das allgemeine Hochbild vollendeter Menschlichkeit, die Idee der H u m a n i t ä t ist dann nur denkbar als A u s g l e i c h a l l e r k a t e g o r i a l e n G e s e t z l i c h k e i t e n d e s G e i s t e s : des auf Wissen und Können beruhenden, verantwortungsbewußten Handelns, der hingebenden Liebe und der demütigen Gläubigkeit. Aber wer •will, zumal in dieser Zeit des sittlich-religiösen Zusammenbruchs und der primitivsten" Sorgen, die hierin beschlossenen 77

scheinbaren Widersprüche zur persönlichen Ausgeglichenheit verwirklichen, selbst wenn ihm die Selbstbeherrschung aus Selbsterkenntnis oder natürlicher Begnadung zuteil ward: die s c h l i c h t e Güte des H e r z e n s , die a u f r e c h t e W ü r d e g e w u ß t e r P f l i c h t e r f ü l l u n g , die D e m u t vor dem A l l m ä c h t i g e n ! Denn gerade der angemessene Ausgleich aller dieser Spannungen, je nach den unübersehbaren Forderungen des geschichtlich einmaligen Augenblicks, das wird immer das Problem des täglich und stündlich vor die Entscheidung gestellten Menschen sein.

78

Ernst

Otto

P e s t a l o z z i W e r k Oktav.

u n d

W o l l e n

XI, >314 Seiten.

1948

12,—

Sprachwissenschaft und Philosophie SPRACHE Bergmann, K., Der deutsche Wortschatz. Auf Grund des deutschen Wörterbuchs von Weigand dargestellt. Ein Hilfsbuch für den deutschen Sprachunterricht auf höheren Schulen, wie zum Selbststudium. 1912. 156 S 1,20 Berneker, E., u. M. Vasmer, Russische Grammatik. Göschen Nr. 66)

155 S. 1947. (Sammlung 2,40

Brandl, A., Forschungen und Charakteristiken. Zum 80. Geburtstag herausgegeben von dem englischen Seminar der Universität Berlin und der Berliner Gesellschaft für das Studium der neueren Sprachen. 1936. 228 S 10,Feist, H., Sprechen und Sprachpflege. Göschen Nr. 1122)

Mit 25 Abb. 107 S. 1938. (Sammlung 2,40

Grimme, H., Plattdeutsche Mundarten. 2. durchgesehene Auflage. 152 S. 1922. (Sammlung Göschen. Nr. 461) 2,40 Hofstaetter, W., Deutsche Sprachlehre. 8. neubearbeitete Auflage. 140 S. 1944. (Sammlung Göschen Nr. 20)

Neudruck. 2,40

Kluge, F., u. A. Götze, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 14. unveränd. Aufl. 1948. XV, 740 S Geb. 2 7 , Koelwei, E., Kleine deutsche Sprachlehre.

1947.

Krähe, H., Indogermanische Sprachwissenschaft Göschen Nr. 59)

58 S 2. Aufl. 134 S.

2,50 (Sammlung 2,40

Krähe, H., Germanische Sprachwissenschaft. Bd. I. Einleitung und Lautlehre. 2. Aufl. 1948. 127 S. (Sammlung Göschen Nr. 238j 2,40 Bd. II. Formenlehre. 2. Aufl. 1948. 140 S. (Sammlung Göschen Nr. 780) 2,40

Lehnert, M., Englisches Lehrbuch. Einführung, Sprachlehre, Gesprächsbeispiele. 1947. 88 S 3,50 Ranke, F., Altnordisches Elementarbuch. Schrifttum, Sprache, Texte mit Übersetzung und Wörterbuch. 145 S. 1937. (Sammlung Göschen Nr. 1115) 2,40 Schulz, H., Abriß der deutschen Grammatik. 3. Aufl. bearbeitet von Friedrich Stroh. VII, 135 S. 1947, (Trübners Philologische Bibliothek, Bd. I.) 4,Schulz, H., Deutsches Fremdwörterbuch. Bd. I. A - K . 1913. XXII, 416 S Bd. II. L - P . 1942. 748 S

Fortgeführt von Otto Basler. Geb. 1 4 , Geb. 32,50

Stenzler, A. F., Elementarbuch der Sanskrit-Sprache. (Grammatik - Texte Wörterbuch). Fortgeführt von Richard Pischel, umgearbeitet von Kail F. Geldner. 12. Aufl. 1943. 120 S Geb. 6,20

PHILOSOPHIE Apel, M., Philosophisches Wörterbuch. 2., verbesserte und vermehrte Aufl. 252 S. 1948. (Sammlung Göschen Band 1031) 2,40 Hartmann, N., Problem des geistigen Seins. 2. Aufl. XVI, 564 S, 1949. Hartmann, N., Ethik. Hartmann, N., Etrça 600 S

3. Aufl.

Grundzüge

Etwa 800 S

einer

ca. 2 5 , -

Metaphysik

Jaspers, K., Descartes und die Philosophie.

18,-

der

Erkenntnis.

4. Aufl. ca. 1 8 , -

2. Aufl. 104 S. 1948

6,-

:

Jaspers, K., Die geistige Situation der Zeit (1931). Unveränderter Abdruck der im Sommer 1932 bearbeiteten 5. Aufl. 191 S. 1947. (Sammlung Göschen Band 1000) 2,40 Philosophen-Lexikon. Handwörterbuch der Philosophie nach Personen. Herausgegeben und verfaßt, unter Mitwirkung von Gertrud Jung, von Werner Ziegenfuß. I. Band A - K . Etwa 640 S. 1949 ca. 3 0 , II. Band L - Z . Im Druck. Philosophische Studien. Herausgegeben von Otto Fr. Bollnow (Mainz) — Paul Feldkeller (Berlin) - Robert Heiss (Freiburg i. Br.) - Erich Rothacker (Bonn) Rud. Schottlaender (Dresden) - Alfred Vierkandt (Berlin) - Alfred Werner (Berlin).. Erscheinen viermal jährlich. Bezugs-Preis für den Jahresband von 4 Heften im Gesamtumfang von 30 Bogen 18, —

VERLAG WALTER DE GRUYTER & CO. / BERLIN W 35