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German Pages 310 [312] Year 2018
Sylvia Brockstieger Sprachpatriotismus und Wettstreit der Künste
Frühe Neuzeit
Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext Herausgegeben von Achim Aurnhammer, Wilhelm Kühlmann, Jan-Dirk Müller, Martin Mulsow und Friedrich Vollhardt
Band 227
Sylvia Brockstieger
Sprachpatriotismus und Wettstreit der Künste Johann Fischart im Kontext der Offizin Bernhard Jobin
ISBN 978-3-11-061290-5 e-ISBN (PDF) 978-3-11-061313-1 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-061304-9 ISSN 0934-5531 Library of Congress Control Number: 2018960711 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2018 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Dörlemann Satz, Lemforde Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
Meinen Eltern
Vorwort Das vorliegende Buch ist die überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die unter dem Titel Arbeit am Deutschen. Johann Fischart im Kontext der Offizin Bernhard Jobin im Wintersemester 2013/2014 an der Philologischen Fakultät der AlbertLudwigs-Universität Freiburg zur Promotion angenommen wurde. Ihre Entstehung geht auf die Anregung Prof. Dr. Jan-Dirk Müllers zurück, in dessen Teilprojekt A3 des Münchner SFB 573 Pluralisierung und Autorität in der Frühen Neuzeit ich erstmals Luft als wissenschaftliche Mitarbeiterin schnuppern durfte. Ihm bin ich für den intensiven wissenschaftlichen Austausch und nicht zuletzt für das Zweitgutachten zu tiefem Dank verpflichtet. Ganz besonders danke ich meinem Doktorvater Prof. Dr. Ralph Häfner: Er hat mir mit der Assistenz an seinem Lehrstuhl ganz früh in meinem akademischen Dasein umfassende Perspektiven eröffnet und die Arbeit in meinen Tübinger und Freiburger Jahren mit immensem Vertrauen, ruhiger Hand und stetem Rat begleitet. Prof. Dr. Dieter Martin danke ich für die Übernahme des Drittgutachtens im Promotionsverfahren, den Herausgebern der Frühen Neuzeit, vor allem Prof. Dr. Wilhelm Kühlmann, für die Aufnahme der Dissertation in ihre Reihe; Dr. Jacob Klingner danke ich für die umsichtige Betreuung seitens des Verlags. Prof. Dr. Friedrich Vollhardt hat mir während des Studiums in München erstmals die Tür zum Universum der frühneuzeitlichen Literatur aufgestoßen, Prof. Dr. Dirk Werle unterstützt mich nun in Heidelberg dabei, es weiter zu erkunden: Beide sind mir unverzichtbare Ratgeber und wichtige Ansprechpartner im wissenschaftlichen Dialog wie im akademischen Alltag. Die Dissertation wurde 2015 mit dem großzügig dotierten Ralf-DahrendorfPreis der Badischen Zeitung ausgezeichnet, durch den auch die Drucklegung ermöglicht wurde. Zum Gelingen der Arbeit maßgeblich beigetragen haben die fachlichen wie freundschaftlichen Gespräche mit Prof. Dr. Anna Kathrin Bleuler, Prof. Dr. Tobias Bulang, Dr. Jan Hon, Dr. Elsa Kammerer und Dr. Cornelia Rémi. Die Diskussionen in den Oberseminaren von Prof. Dr. Cora Dietl, Prof. Dr. Ralph Häfner, Prof. Dr. Beate Kellner, Prof. Dr. Jan-Dirk Müller, Prof. Dr. Klaus Ridder, Prof. Dr. Peter Strohschneider und Prof. Dr. Friedrich Vollhardt haben immer wieder für wichtige Impulse im Denk- und Schreibprozess gesorgt. Richard Engl, Konrad Frenzel, Bettina Pfotenhauer, Christine Rühling und Andrea Stahl haben mich mit ihrem Zuspruch unterstützt und mir mit ihrer Freundschaft vieles leichter gemacht. Michael hat tatkräftig und liebevoll die Entstehung des Manuskripts begleitet, Quirin auf dem Weg zum Buch noch für fröhlichen Aufruhr gesorgt. Widmen möchte ich es in Dankbarkeit und Liebe meinen größten Stützen: meinen Eltern. Heidelberg, im Juli 2018 http://doi.org.de/10.1515/9783110613131-101
Zitierkonventionen Beim Zitieren aus Alten Drucken werden Versalien und Kapitälchen als solche nicht berücksichtigt, sondern es wird lediglich der je erste Buchstabe als Großbuchstabe übernommen. Typographische Markierungen wie beispielsweise die Verwendung der Antiqua bei lateinischen Einsprengseln in frühneuhochdeutschen Texten werden nicht gesondert ausgezeichnet. Im Falle der lateinischen Texte wird die Abbildung von u/v bzw. U/V und i/j bzw. I/J im Sinne unseres modernen Verständnisses gelöst. Im Falle der volkssprachlichen, meist frühneuhochdeutschen Texte wird hingegen vorlagengetreu gearbeitet. Dies betrifft auch die diakritischen Zeichen und übergeschriebenen Buchstaben sowie die Transkription der Virgeln. Weitere Ligaturen und Abbreviaturen sind aufgelöst. Der Zeilenfall wird, beispielsweise beim Nachweis von Titeln, nicht abgebildet. Bei kürzeren Zitaten werden Versgrenzen durch einen doppelten Solidus „//“ direkt im Anschluss an das letzte Wort eines Verses markiert. Endet ein Vers mit einer Virgel „/“, ist ein zusätzliches Spatium eingefügt.
http://doi.org.de/10.1515/9783110613131-102
Inhalt 1 Einleitung 1 Konzeptrahmen: Literaturgeschichtsschreibung im Zeichen von 1.1 Region und Konstellation 3 Forschungs- und problemgeschichtliche Positionierung 1.2 14 1.3 Institutionelle Voraussetzungen: Die Offizin Bernhard Jobin im Straßburger Kontext 21 2 2.1
2.1.1 2.1.2 2.2
2.3
3 3.1 3.1.1 3.1.2 3.2 3.2.1
3.2.2
Von deutscher Nation, Sprache und Poesie: Reflexionsebenen und Reflexionsformen 28 Imaginationen der Vergangenheit: Reich, Reichsstadt und Region zwischen politischen, sprachlichen und poetischen Genealogien 31 Autochthone Begründung von Reich, Volk und Sprache (Historiographie, Sprachgeschichte) 32 Die Freiheit von Stadt und Region (Historiographie, Versepik) 49 Forderungen der Gegenwart: Nation, Konfession und ihre Relevanz für die städtische Kultur (Konfessionspolemik, Unterweisungsliteratur, Kirchenlied) 64 Zwischenfazit: Politische, sprachliche und poetische Autonomie als Basis aemulativer Operationen in Sprache, Literatur und Kunst 69 Kunstformen zwischen Bild und Text: Portraitwerk, Bildergedicht, Bilderbibel, Emblematik 71 Das Profil einer deutschen Bildkunst zwischen imitatio und aemulatio 72 Wettstreit der Renaissancen: Die Rezeption der Portraitwerke Onofrio Panvinios und Paolo Giovios in Basel und Straßburg 74 Repräsentation und Brechung: Ausgewählte Bildergedichte 96 Transformationen der Emblematik zwischen neulateinischer und volkssprachlicher Kultur 103 Apologie deutscher Kunst: Stimmers und Fischarts emblematische Bilderbibel Neue Künstliche Figuren Biblischer Historien (1576) 105 Vernakulare Umakzentuierungen: Mathias Holtzwarts Emblematum Tyrocinia (1581) 115
X
Inhalt
3.2.3
Exkurs: Der prekäre Status der Volkssprache in den AlciatoÜbersetzungen Wolfgang Hungers (1542) und Jeremias Helds (1566) 136 3.2.4 Enzyklopädische Amalgame: Nikolaus Reusners Aureolorum Emblematum Liber (1587) im Kontext 144 3.2.4.1 Nikolaus Reusners emblematische Vorarbeiten in Frankfurt und Straßburg 144 3.2.4.2 Der Aureolorum Emblematum Liber (1587) zwischen Johann Christoph Artopoeusʼ Ismenius-Übersetzung (1573), Johann Fischarts Ehzuchtbüchlin (1578) und Mathias Holtzwarts Emblematum Tyrocinia (1581) 151 3.3 Zwischenfazit: Bild und Text in der Formierungsphase der Emblematik 173 4
Sprach- und Textorganisation in Fischarts replizierendem Schreiben (Übersetzung und konfessionelle Polemik) 176 4.1 Imitatio und aemulatio 177 4.1.1 Zum Verhältnis von Nachahmungspoetik, Übersetzung und Polemik 177 4.1.2 Binenkorb Deß Heyl. Rmischen Imenschwarms (ab 1579) 184 4.1.3 Uncaluinisch Gegen Ba[d]stblein (1589) 187 4.1.4 Etlich Sonnet (1575) 196 4.2 Cornucopia: Geschichtklitterung (ab 1575), Jesuiterhütlein (1580) 205 4.3 Makkaronismen: Geschichtklitterung (ab 1575), besonders Truncken Litanei 217 4.4 Exkurs: Revision des humanistischen Erziehungsprogramms in der Geschichtklitterung (ab 1575) 229 4.5 Zwischenfazit: Revision und Transgression humanistischer Textherstellung 237 5
Fazit: Spielarten der aemulatio zwischen Vergangenheit und Gegenwart 240
6 Abbildungen
243
7 Literatur- und Abbildungsverzeichnis 7.1 Abbildungsverzeichnis 264 7.2 Literaturverzeichnis 267 7.2.1 Abkürzungsverzeichnis 267
264
Inhalt
Textausgaben und Nachdrucke 7.2.2 Alte Drucke 7.2.3 270 7.2.4 Forschungsliteratur 272 8 Namensregister
296
268
XI
1 Einleitung Die vorliegende Studie setzt sich zum Ziel, das Profil der Straßburger Offizin Bernhard Jobins nachzuzeichnen, die am Ende des sechzehnten Jahrhunderts, nicht zuletzt aufgrund der Beteiligung Johann Fischarts als ihres wichtigsten und einflussreichsten Mitarbeiters, die literarische Landschaft Straßburgs entscheidend prägte. Dies soll jedoch nicht, wie im Falle der meisten anderen wissenschaftlichen Studien zu einzelnen Druckerverlegern, in primär buchwissenschaftlicher Perspektive geschehen.1 Vielmehr werden mit einem ausdrücklich literaturwissenschaftlichen Ansatz anhand eines klar umrissenen Korpus, das angesichts der Weite des Straßburger Textuniversums nur auf strenger Auswahl beruhen kann, bestimmte literatur- und kulturhistorische Problemlagen der Zeit aufgearbeitet, die zusammen mit dem Methoden- und Konzeptrahmen in den folgenden Abschnitten dieser Einleitung zu entwickeln und zu begründen sein werden. Der Literaturbegriff, der dabei zugrundegelegt wird, ist im Sinne des Literatursystems der Frühen Neuzeit ein erweiterter: Sachtexte spielen ebenso eine Rolle wie die sogenannte schöne Literatur, wobei die Interferenzen vielfältig sind. Eine Unterscheidung zwischen ‚hoher‘ oder ‚niederer‘, hoch- oder minderwertiger Literatur wird nicht vorgenommen. Zudem arbeitet die Studie, auch wenn sie sich als eine germanistische versteht, nicht ausschließlich mit deutschsprachigen Texten, sondern zieht, sofern es der Argumentation dienlich ist, auch solche anderer Sprachen, vor allem des Lateinischen, heran.2 Im Zentrum des Interesses steht die Frage, wie die Offizin Jobin, ihre Mitarbeiter, ihre Autoren und ihre Texte am literatur- und kulturpolitischen Diskurs des späten sechzehnten Jahrhunderts, also der Jahrzehnte vor Martin Opitz und seinem epochemachenden Buch von der deutschen Poeterey (1624), partizipieren, wie sie über explizite Programmatik oder implizite literarisch-poetische Strategien den Wert der ‚deutschen Nation‘ beweisen und dabei zugleich die Qualität der deutschen Sprache als Literatursprache demonstrieren. Die ‚Arbeit am Deutschen‘ speist sich dabei aus der Auseinandersetzung mit alten Autoritäten, also den klassischen Sprachen, und neuen Autoritäten wie den bereits stärker etablierten romanischen Vernakularsprachen. Deren Vorgaben werden rezipiert, modifiziert, imitiert, weiterentwickelt, mit autochthonen Angeboten abgeglichen
1 Vgl. die konzeptionellen Überlegungen dazu unten, Kap. 1.3. 2 Theoretisch sind alle im gelehrten Kontext des frühneuzeitlichen Europa gepflegten Sprachen relevant. Die Produktion der Offizin Jobin partizipiert jedoch, wie es nur natürlich ist, nicht an allen Diskursen und an allen Sprachen der Zeit. Zur quantitativen Vermessung des Jobin’schen Druckerprogramms vgl. Kap. 1.3. http://doi.org.de/10.1515/9783110613131-001
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Einleitung
und zuweilen auch zurückgewiesen, um so das Deutsche für den Wettstreit, paragone, der Sprachen fit zu machen. Die deutsche Kultur und Nation als Ganzes wird an den Kulturleistungen der Antike und denen der zeitgenössischen Romania gemessen. Dass all diesen theoretischen wie praktischen Bemühungen ein deutlich spürbarer Überbietungsgestus (aemulatio) innewohnt, ist eine der Kernthesen der vorliegenden Studie. Welche Formen und (literarischen, politischen) Funktionen dieser im Einzelnen annehmen kann, ist Gegenstand der Analysen. Der dabei angenommene Kulturbegriff ist ein historischer, nicht im Sinne der Begriffsgeschichte oder historischen Semantik, sondern von der Sachgeschichte her kommend. Als Kultur werden im Folgenden alle menschlichen Errungenschaften begriffen, die in der frühneuzeitlichen epistemischen Ordnung eine Rolle spielen, seien es die Taxonomien der Wissenschaften und der Künste, seien es die Inhalte des enzyklopädischen Wissens, der Geschichte, der politischen Theorie und der Sittenlehre.3 Sprache und Literatur nehmen dabei eine Sonderstellung ein: Sie sind gleichermaßen „Kulturform[en]“4 sowie deren Medien. Ich gehe weiterhin davon aus, dass sich in der ‚deutschen Nation‘ zwei kulturelle Gefüge mit je unterschiedlichen Bedürfnishorizonten überlappen: die vernakulare Kultur und die Gelehrtenkultur. Wenn also von ersterer die Rede ist, so sind damit die epistemischen Strukturen und sozialen Praktiken einer breiteren, auf Deutsch kommunizierenden ‚Öffentlichkeit‘ gemeint. Die am Jobin’schen Programm abzulesende Selbstvergewisserung in den Bereichen der Sprache, der Künste, der Sitten, der Politik und des Wissens – der Kultur also – hängt mit dem Gedanken der nationalen Vergemeinschaftung zusammen. (Humanistische) Reflexion über Nation ist am Ende des sechzehnten Jahrhunderts kein neues Phänomen mehr, doch trifft sie sich an diesem Ort der Literatur- und Kulturgeschichte mit dem ebenfalls humanistisch informierten Unternehmen, das Deutsche auf das Niveau einer klassischen Sprache zu heben – dem also, was probehalber als ‚volkssprachiger (Renaissance-)Humanismus‘ bezeichnet sei und was einige Jahre später bei Opitz zur vollen Entfaltung
3 Die Forschung zu Wissensbeständen und ihrer literarischen Verfasstheit ist Legion. Für ‚Wissen‘ bediene ich mich einer weichen Begrifflichkeit, die sowohl im diskursgeschichtlichen Sinne als „Episteme einer Epoche“ (Tobias Bulang: Enzyklopädische Dichtungen. Fallstudien zu Wissen und Literatur in Spätmittelalter und früher Neuzeit. Berlin 2011 (Deutsche Literatur. Studien und Quellen 2), S. 28) als auch im kulturwissenschaftlichen Sinne als „kulturelles Wissen“ (ebd.) zu greifen wäre; zur weiteren Debatte der theoretischen Voraussetzungen von Wissenspoetologie und Wissensgeschichte für den Fall des sechzehnten Jahrhunderts vgl. ebd., S. 27–50. 4 Ernst Cassirer: Formproblem und Kausalproblem. In: Ernst Cassirer: Zur Logik der Kulturwissenschaften. Fünf Studien (1942). Mit einem Anhang: Naturalistische und humanistische Begründung der Kulturphilosophie. Hamburg 2011, S. 92–107, hier S. 102.
Konzeptrahmen
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kommen wird. Dabei ist die Frage zentral, ob und inwiefern die Offizin Jobin mit Fischart als ihrem kreativen Zentrum als repräsentativ für ihre Zeit gelten darf oder ob es sich um eine exzeptionelle Konstellation handelt.
1.1 Konzeptrahmen: Literaturgeschichtsschreibung im Zeichen von Region und Konstellation Das sechzehnte Jahrhundert hat es in der Germanistik schwer: Nicht nur fällt es institutionell in eine Lücke zwischen der mediävistischen und der neueren Abteilung und liegt deswegen an der Peripherie der disziplinären Forschungsfelder, auch führen die Wege zu seiner Erforschung über das Minenfeld der durch eine lange literaturhistoriographische Tradition aufgebauten Vorurteile und Schieflagen. Lange hatte man aus der Perspektive der späteren Jahrhunderte vor allem das siebzehnte Jahrhundert im Blick und hierbei Opitz ganz im Sinne seines eigenen Selbstbilds zum Gründervater einer an antiken, italienischen, französischen und niederländischen Vorbildern ausgerichteten Literatur stilisiert, die, so die Großerzählung, ungebrochen auf die große kanonische (und protestantisch geprägte) Literatur des achzehnten Jahrhunderts und schließlich die der Weimarer Klassik zuläuft.5 Dass das sechzehnte Jahrhundert dabei retrospektiv als „wenig attraktive Vorgeschichte der Vorgeschichte“6 erscheint, ist nicht zuletzt auch das Verdienst des siebzehnten Jahrhunderts, das auf vielfältige Weise am Vergessen der literarischen Vätergeneration arbeitete.7 Auch Fischarts Werke ereilte dieses Schicksal: Lediglich bis in die 1620er Jahre blieben seine umfangreicheren Satiren – Aller
5 Einen Überblick über jene Deutungsmuster sowie die jüngere Forschung zum sechzehnten Jahrhundert liefert Jan-Dirk Müller: Die frühe Neuzeit in der Literaturgeschichtsschreibung. In: Entdeckung der frühen Neuzeit. Konstruktionen einer Epoche der Literatur- und Sprachgeschichte seit 1750. Hg. von Marcel Lepper, Dirk Werle. Stuttgart 2011 (Beiträge zur Geschichte der Germanistik 1), S. 15–38, hier S. 15–18. Vgl. zum problematischen Status des Jahrhunderts auch Ronny F. Schulz: Alterität, Interkulturalität, Wahrnehmung des Neuen vs. Manierismus. Vom adäquaten Umgang mit der „schwierigen“ deutschen Literatur des 16. Jahrhunderts. In: Vernetzte Welt(en) – Germanistik zwischen -täten und -ismen. Hg. von Carmen Elisabeth Puchianu. Passau 2012 (Kronstädter Beiträge zur Germanistik 1), S. 11–20. 6 Müller: Die frühe Neuzeit, S. 18. 7 Vgl. beispielweise zum negativen ‚Hans-Sachs-Stereotyp‘ um 1700 als Ausschlussstrategie Dirk Rose: ‚Hans-Sachs‘. Entstehung und Funktion eines nationalen Stereotyps in der Frühen Neuzeit. In: Frühneuzeitliche Stereotype. Zur Produktivität und Restriktivität sozialer Vorstellungsmuster. V. Jahrestagung der Internationalen Andreas Gryphius Gesellschaft Wrocław. Hg. von Mirosława Czarnecka, Thomas Borgstedt, Tomasz Jabłecki. Bern u. a. 2010 (Jahrbuch für Internationale Germanistik. Reihe A: Kongressberichte 99), S. 443–468, hier besonders S. 460.
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Einleitung
Praktik Grossmutter, Geschichtklitterung, Podagrammisch Trostbüchlein, Binenkorb und Flöh Hatz – über zahlreiche Neuauflagen präsent8 und wurde sein ‚Stil‘ durch Nachahmer wie Georg Friedrich Messerschmid oder Wolfhart Spangenberg gepflegt, die bei den Nachfolgern Jobins, erst bei dem Sohn Tobias, dann bei Johann Carolus, satirische Schriften im Stile Fischarts herausbrachten.9 Selbst ein Verkaufsschlager wie der Binenkorb, eine Übersetzung Fischarts aus dem Niederländischen mit zwölf Auflagen bis ins erste Viertel des siebzehnten Jahrhunderts,10 fiel mit seinem Autor bald dem Vergessen anheim: So erschien 1733, also etwa 150 Jahre nach der Erstpublikation des Binenkorb,11 unter dem Titel Gereinigter Bienenkorb eine neue hochdeutsche Übersetzung. Das Urteil des anonymen Verfassers über Fischarts Binenkorb ist vernichtend: Dass man aber dieses Büchlein von neuem in das Hochteutsche übersetzet, da es doch vorlängst von einem, so sich Jesuwald Pickhart [Pseudonym Fischarts, Anm. S. B.] nennet, geschehen, ist Ursache: weil erstlich der so genannte Pickhart den wahren Auctorem gänzlich verschwiegen, dessen man sich doch gar nicht zu schämen hat. Vors zweyte, weil verschiedenes nicht accurat übersetzet ist, indem der Translateur das Holländische nicht recht verstanden, auch ganz gemeine Wörter nicht einmahl Teutsch zu geben gewusst: Drittens, weil er daher manches gar ausgelassen, und vor sich ander Zeug aus seinem Gehirn hinein geflickt, so in des wahren Auctoris Buch nicht stehet.12
Fischarts Sprachkompetenz wird angezweifelt, seine amplifizierende Schreibund Übersetzungsweise13 vor dem Hintergrund veränderter Übersetzungsideale des achtzehnten Jahrhunderts kritisiert. Zudem scheint – wenn es sich in diesem Fall nicht um eine Geste der bewussten damnatio memoriae handelt – Anfang des achtzehnten Jahrhunderts das Wissen um die Auflösung des Pseudonyms Fischarts und damit um den Autor des ersten hochdeutschen Bienenkorbs verlorengegangen zu sein. Erst im Laufe des achtzehnten Jahrhunderts und besonders um 1800 sollte das Interesse an den verschütteten Autoren des sechzehnten Jahrhunderts und ihren Texten aufs Neue erwachen.14
8 Vgl. Ulrich Seelbach: Art. ‚Fischart, Johann‘. In: VL16 2 (2012), Sp. 358–383, hier Sp. 361. 9 Vgl. Walter E. Schäfer: Nachwirkungen der Satire-Auffassung Johann Fischarts im 17. Jahrhundert. In: Wilhelm Kühlmann, Walter E. Schäfer: Literatur im Elsaß von Fischart bis Moscherosch. Gesammelte Studien. Tübingen 2001, S. 389–408, hier besonders S. 390. 10 Vgl. Seelbach: Art. ‚Fischart, Johann‘ 2012, Sp. 361. 11 Vgl. zur Analyse des Binenkorb Kap. 4.1.2. 12 [Anonym:] Gereinigter Bienen-Korb Der Heiligen Rmischen Kirche […]. Amsterdam: Abraham und Johann de Wees 1733, fol. a2v. 13 Vgl. hierzu Kap. 4. 14 Vgl. Klaus Weimar: Interesse an der deutschen Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts. In: Entdeckung der frühen Neuzeit. Konstruktionen einer Epoche der Literatur- und Sprachgeschichte
Konzeptrahmen
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Zwar ist die Bedeutung Opitzʼ und des schlesischen Paradigmas durch die Erschließung zeitgenössischer Alternativangebote – man denke an die oberdeutsche Literatur,15 an Georg Rodolf Weckherlin und andere16 – relativiert worden, zwar hat die jüngere Forschung das sechzehnte Jahrhundert zunehmend wiederentdeckt und zahlreiche Traditionslinien herauspräpariert, die auf Opitz zulaufen und in seiner normativen Poetik verknüpft oder auch umakzentuiert werden.17 Dennoch bleibt das sechzehnte Jahrhundert, besonders seine zweite Hälfte, ein „Stiefkind der Literaturgeschichtsschreibung“18 und ist das Opitz-Narrativ für die Erforschung der frühneuzeitlichen nationalliterarischen Anliegen nach wie vor äußerst wirkmächtig.19
seit 1750. Hg. von Marcel Lepper, Dirk Werle. Stuttgart 2011 (Beiträge zur Geschichte der Germanistik 1), S. 53–63, hier S. 55 f.; Stefan Knödler: Wiederentdeckung und Missverständnis. Zur Weckherlin-Rezeption bei Johann Gottfried Herder, Karl Philipp Conz und August Wilhelm Schlegel. In: Daphnis. Zeitschrift für Mittlere Deutsche Literatur und Kultur der Frühen Neuzeit (1400– 1750) 39 (2010), S. 611–636. 15 Vgl. zur Rehabilitierung der oberdeutschen Sprache und Literatur grundlegend Dieter Breuer: Oberdeutsche Literatur 1565–1650. Deutsche Literaturgeschichte und Territorialgeschichte in frühabsolutistischer Zeit. München 1979 (ZBLG Beiheft 11. Reihe B). 16 Zur Überbewertung Opitzʼ im Zusammenhang mit Weckherlin vgl. Kurt Kniesant: Georg Rodolf Weckherlin (1584–1653) – ein „Vorläufer der neuen Dichtung“? In: Akten des XI. Internationalen Germanistenkongresses Paris 2005: „Germanistik im Konflikt der Kulturen“. Bd. 5. Hg. von Jean-Marie Valentin. Bern u. a. 2008, S. 327–333, hier S. 332. Zur Bedeutung Weckherlins vgl. Klaus Haberkamm: Georg Rodolf Weckherlin als Advokat von „reichtumb und schönheit“ der deutschen Sprache. Zur Kontroverse mit Opitz um die prosodische Suprematie. In: Simpliciana. Schriften der Grimmelshausen-Gesellschaft 35 (2013), S. 263–281; Heiko Ullrich (Hg.): Privatmann – Protestant – Patriot – Panegyriker – Petrarkist – Poet. Neue Studien zu Leben und Werk Georg Rudolf Weckherlins (1584–1653). Passau 2018. 17 Vgl. Kap. 1.2 dieser Einleitung. 18 Müller: Die frühe Neuzeit, S. 15. 19 So Wolf Peter Klein: Die deutsche Sprache in der Gelehrsamkeit der frühen Neuzeit. Von der lingua barbarica zur HaubtSprache. In: Diskurse der Gelehrtenkultur in der Frühen Neuzeit. Ein Handbuch. Hg. von Herbert Jaumann. Berlin 2011, S. 465–516, hier S. 497: „Vor diesem Hintergrund stieß das für die deutsche Sprachgeschichte epochale Buch von der deutschen Poeterey (1624) von Martin Opitz auf ein enormes Echo. Denn damit wurde die Aufwertung des Deutschen auf literarischem Feld nachhaltig eingeleitet“. Ähnlich Klaus Garber: Erwägungen zur Kontextualisierung des nationalliterarischen Projekts in Deutschland um 1600. In: Der Genfer Psalter und seine Rezeption in Deutschland, der Schweiz und den Niederlanden. 16.–18. Jahrhundert. Hg. von Eckhard Grunewald, Henning P. Jürgens, Jan R. Luth. Tübingen 2004 (Frühe Neuzeit 97), S. 185–194, hier S. 191: „Immerhin, um 1620 mehren sich die Zeichen, daß unabhängig voneinander, zugleich aber auch immer wieder in denkwürdigen Kontakten in Heidelberg, in Stuttgart, in Straßburg, in Prag […], alsbald in Köthen und von der in Mitteldeutschland sich formierenden Fruchtbringenden Gesellschaft ausgehend die Versuche, im deutschen Idiom anspruchsvolle Poesie zu schreiben, sich verdichten.“ An anderer Stelle entwickelt Garber die Linie „Celtis –
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Einleitung
Die Unsicherheit der Forschung spiegelt sich in den zahlreichen terminologischen Angeboten zur näheren Charakterisierung der Zeit um 1600 wider. Vom „Späthumanismus“20 ist zuweilen die Rede, vom „Manierismus“21 oder auch, für die Opitz-Zeit, vom „Vorbarock“22. Dass zumeist ein ‚vor‘, ‚früh‘ oder ‚spät‘ im Begriff aufzufinden ist, hängt mit eben jenem problematischen Versuch zusammen, den in vielerlei Hinsicht sperrigen Zeitraum von etwa der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts bis hin zu Opitz in die Teleologie der gelungenen Literaturund Literatursprachenentwicklung einzupassen, ihn also an den Maßstäben des ‚davor‘ und ‚danach‘ zu messen und zu bewerten. So kann er nur verlieren. Eine andere, anti-teleologische Herangehensweise ist nötig, um gerade den Eigenwert und die Besonderheiten dieser Zeit herauszuarbeiten und damit auch jene Entwürfe und Experimente auf dem Feld der Literatur- und Spracharbeit sichtbar zu machen, die, schnell vergessen, in der Erfolgsgeschichte der deutschen Literatur keinen Platz gefunden haben. Dieser alternative Blick auf die Literaturgeschichte wurde im Rahmen der dritten Förderphase des Teilprojekts A3 (Auctoritas und imitatio veterum) des Münchner Sonderforschungsbereichs 573 Pluralisierung und Autorität in der Frühen Neuzeit unter der Leitung von Jan-Dirk Müller erprobt.23 Man ging hier von der Vorstellung aus, dass sich im Laufe des sechzehnten Jahrhunderts abseits der Kernlandschaften der späteren Literatursprachenentwicklung, also besonders im deutschsprachigen Südwesten, sowie „abseits der klassizistischen Regelpoetik“24 ein
Opitz – Gottsched“, vgl. Klaus Garber: Zur Konstitution der europäischen Nationalliteraturen. Implikationen und Perspektiven. In: Klaus Garber: Literatur und Kultur im Europa der Frühen Neuzeit. Gesammelte Studien. München 2009, S. 15–70, hier S. 53–70. Ähnlich auch Klaus Garber: Europäische Nationalliteraturen. Ein lexikalischer Aufriß. In: Klaus Garber: Literatur und Kultur im Europa der Frühen Neuzeit. Gesammelte Studien. München 2009, S. 71–106, hier S. 87. Jüngst dann jedoch stärker mit Bezug auf das (europäische) späte sechzehnte Jahrhundert Klaus Garber: Literatur und Kultur im Deutschland der Frühen Neuzeit. Gesammelte Studien. Paderborn 2017. 20 Vgl. beispielsweise Notker Hammerstein, Gerrit Walther (Hg.): Späthumanismus. Studien über das Ende einer kulturhistorischen Epoche. Göttingen 2000. 21 Zur Begriffsdiskussion vgl. Kap 4.5. 22 Zu ‚Vorbarock‘ als Stilbegriff vgl. Richard Alewyn: Vorbarocker Klassizismus und griechische Tragödie. Analyse der Antigone-Übersetzung des Martin Opitz. In: Neue Heidelberger Jahrbücher. N. F. (1926), S. 3–63, hier S. 53. Zur Epochenschwellen-Diskussion vgl. auch Theodor Verweyen: Literarische Evolution um 1600. Epochenschwellen und Epochenprobleme im Blick auf Erich Trunz: Deutsche Literatur zwischen Späthumanismus und Barock. Acht Studien. München 1995. In: Göttingische Gelehrte Anzeigen 252 (2000), S. 76–100. 23 Die Verfasserin war zuerst wissenschaftliche, dann kooperierende Mitarbeiterin (2008–2011). 24 Müller: Die frühe Neuzeit, S. 34.
Konzeptrahmen
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eigener rinascimentaler Diskurs in der Volkssprache herausschälte, der statt auf die imitative Heranschreibung des Deutschen an die Autoritäten der Antike – oder auch der bereits etablierteren romanischen Volkssprachen – auf die Fokussierung der Eigenständigkeit des Deutschen baute. Zur Demonstration dieses Anspruchs wurden von den Zeitgenossen neue und andere (partielle, satirisch-brechende, antikanonische etc.) Weisen der Bezugnahme auf die literarischen Autoritäten entwickelt, als dies im diskursiven Paradigma von imitatio und aemulatio eigentlich vorgesehen war.25 Diese literarisch-poetischen Revisionen waren dabei Teil eines umfassenden kulturellen Überbietungsgestus im „paragone zwischen Gruppen, Disziplinen, Sprachen, Nationen“, sind doch „imitatio und aemulatio nicht nur Kernkonzepte humanistischen Geschichtsdenkens und als solche regulative Prinzipien neulateinischer Dichtung, sondern Elemente eines übergreifenden kulturellen Dispositivs.“26 Seine Gegner im kulturellen Agon fand dieses ‚andere nationalliterarische Projekt‘ in der antiken Vergangenheit sowie, mit neulateinischem Humanismus und den romanischen Vernakularkulturen, in der Gegenwart. Mit der Fokussierung des sprachlich-literarisch wie epistemisch Abseitigen sowie dem damit verbundenen Postulat einer anti-teleologischen Literaturgeschichtsschreibung27 ist allerdings die potentielle Alternativheuristik noch nicht näher benannt. Diese liegt, so die These dieser Studie, in der Beschränkung auf eine räumlich, sozial wie topographisch klar umrissene Konstellation begründet, durch deren detaillierte Analyse wie durch ein Brennglas jene Dynamiken und Aushandlungsprozesse offengelegt werden können, denen die deutsche Sprache und Kultur in jener Zeit unterlagen. Eine solche Mikroeinheit kann beispielsweise eine Stadt sein, aber auch ein Hof oder, wie im vorliegenden Fall, eine Druckeroffizin. Der Begriff des Laboratoriums mag hierfür in Anschlag gebracht werden:
25 Vgl. ebd. 26 Ebd., S. 37. Zur imitatio jenseits der rhetorischen Textherstellung vgl. Jan-Dirk Müller: Formung der Sprache und Formung durch Sprache. Zur anthropologischen Interpretation des imitatio-Konzepts. In: Maske und Mosaik. Hg. von Jan-Dirk Müller, Jörg Robert. Münster 2007, S. 159–199, hier S. 165–190. Zum Spektrum des imitatio-Begriffs vgl. Nicola Kaminski, Dina De Rentiis: Art. ‚Imitatio‘. In: HWRh 4 (1998), Sp. 235–303. Zur Neujustierung des aemulatio-Begriffs vgl. Jan-Dirk Müller u. a. (Hg.): Aemulatio. Kulturen des Wettstreits in Text und Bild (1450–1620). Berlin, New York 2011 (Pluralisierung & Autorität 27), S. 165–190. Grundlegend zu aemulatio vgl. Barbara Bauer: Art. ‚Aemulatio‘. In: HWRh 1 (1992), Sp. 141–187. 27 Vgl. in diesem Sinne programmatisch Jan-Dirk Müller: Literaturgeschichtsschreibung als Mikrogeschichte. Zur Schwierigkeit, eine Geschichte vormoderner Literatur zu schreiben. In: Literaturgeschichte. Theorien – Modelle – Praktiken. Hg. von Matthias Buschmeier, Walter Erhart, Kai Kauffmann (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 138). Berlin, Boston 2014, S. 165–184.
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Einleitung
Denk- und Schreibalternativen werden erprobt, verglichen, verworfen; Umwege werden gegangen; Widerständiges wird ausgehalten; Erfolge können intendiert sein oder sich unbeabsichtigt einstellen.28 Natürlich ist eine Offizin keine sterile, abgeschottete Versuchsanordnung: Sie ist zu allererst ein Wirtschaftsunternehmen, sie nimmt Einflüsse von außen auf, sie reagiert auf die Forderungen der lokalen und auch überregionalen Käuferschaft und ist auf vielfältige Art und Weise vernetzt. So ist letztlich auch die Intentionalität der postulierten Sprach- und Kulturarbeit in so manchem Fall schwer nachzuweisen, manches mag einfach passiert oder vom Markt gefordert gewesen sein. Dennoch lassen sich am Gesamtprogramm der Offizin Jobin, gleichsam im Konzert der Texte, Autoren und Positionen, die Bearbeitungsspuren des Druckerverlegers Jobin selbst, seines ‚Hauskünstlers‘ Tobias Stimmer, seines Redaktors und Mitarbeiters Fischart sowie weiterer, wiederkehrender Autoren wie beispielsweise Mathias Holtzwart oder Nikolaus Reusner beobachten, lässt sich das gemeinsame kulturpolitische Anliegen ablesen, das bei weitem nicht in allen Drucken umgesetzt ist, jedoch als Tendenz immer wieder aufscheint. Mit ihrem Sitz in Straßburg ist Jobins Offizin an der Peripherie desjenigen Raumes situiert, der die weitere Entwicklung und Normierung der deutschen (Literatur-)Sprache dominieren sollte, doch zugleich im Zentrum der zu dieser Zeit höchst lebendigen Literaten- und Druckerszene des deutschsprachigen Südwestens, die sich über zahlreiche Vernetzungen entlang des Rheins konstituierte.29 Wer heute allerdings Literatur- und Kulturgeschichte aus einem regionalen Blickwinkel heraus schreibt, setzt sich leicht dem Vorwurf aus, einer längst überholten, unterkomplexen, kleinteilig operierenden Landeshistoriographie anzuhängen. Dabei häufen sich gerade in letzter Zeit30 Ansätze zur Neukonzeptualisierung von Regionalität und Raum als heuristischer Kategorie.
28 Der Laboratoriumsbegriff wurde in der deutsch-französischen Forschergruppe Eurolab: Dynamique des langues vernaculaires dans l’Europe de la Renaissance. Acteurs et lieux. Dynamik der Volkssprachigkeit im Europa der Renaissance. Akteure und Orte diskutiert, der die Verfasserin angehörte (2010–2013). Auch andere Projekte, die sich mit topographisch oder sozial fassbaren Kommunikationszusammenhängen beschäftigen, verwenden den Laboratoriumsbegriff, vgl. das Forschungszentrum Laboratorium Aufklärung der Universität Jena und die gleichnamige Buchreihe, z. B. Olaf Breidbach, Hartmut Rosa (Hg): Laboratorium Aufklärung. München 2010 (Laboratorium Aufklärung 1). 29 Die Verbindungen zwischen Basel und Straßburg werden beispielsweise in Kap. 3 eine wichtige Rolle spielen. 30 Bereits Garber ist mit der Konzentration auf die städtische Kultur als heuristischer Kategorie sowie deren Gruppierung in Regionen – in der Anlage der Bände – einem solchen Vorgehen verpflichtet: Klaus Garber (Hg.): Stadt und Literatur im deutschen Sprachraum der Frühen Neuzeit. 2 Bde. Tübingen 1998 (Frühe Neuzeit 39). Desweiteren vgl. auch Axel E. Walter (Hg.): Regionaler
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Im Bereich der neueren Philologien und der Kulturwissenschaften steht das Denken in kleinteiligeren kulturellen Einheiten in komplementärem Zusammenhang mit der Verabschiedung der Nation und damit auch der Nationalliteratur in Zeiten des Interkulturalitäts- und Globalisierungsparadigmas.31 Neuere Theoriebildung im Bereich der Raumkonzeptionen, also dessen, was als spatial turn bzw. topographical turn bezeichnet worden ist, leistet diesem Trend Vorschub.32 Fast wäre man außerdem geneigt, dem Problem von Zentrum und Peripherie, sowohl geographisch wie auch literaturhistoriographisch gesehen, sowie dem der Grenzlage des deutschen Südwestens mit Angeboten aus postkolonialer Theoriebildung zu begegnen – oder auch jene Mixturen, die sich aus dem Kontakt der vernakularen und humanistischen Denk- und Schreibmuster und letztlich auch aus dem Kontakt des deutschen und französischen Sprach- und Kulturraums im Elsass ergeben, mit dem Konzeptinventar der interkulturellen Hybriditätsforschung zu erfassen.33 Solche postmodern informierten Konzepte setzen jedoch als Folie die großen Entwürfe der Neuzeit voraus, Nationalismen, Imperialismen und Ganzheitsimaginationen, zu denen das zwanzigste und einundzwanzigste Jahrhundert seine spezifischen, fragmentorientierten Denkalternativen entwickelt hat. Diese
Kulturraum und intellektuelle Kommunikation vom Humanismus bis ins Zeitalter des Internets. Festschrift für Klaus Garber. Amsterdam, New York 2005 (Chloe. Beihefte zum Daphnis 36). 31 Vgl. Michael Böhler: Vom Umgang der Literaturwissenschaft mit kulturtopographischen Aspekten der deutschsprachigen Literatur. In: Kulturtopographie deutschsprachiger Literaturen. Perspektivierungen im Spannungsfeld von Integration und Differenz. Hg. von Michael Böhler, Hans Otto Horch. Tübingen 2002, S. 11–44; Hartmut Böhme (Hg.): Topographien der Literatur. Deutsche Literatur im transnationalen Kontext. Stuttgart, Weimar 2005 (Germanistische Symposien der DFG XXVII. DVjs Sonderband). 32 Vgl. zu seiner postkolonialen Spielart María do Mar Castro Varela, Nikita Dhawan, Shalini Randeria: Postkolonialer Raum. Grenzdenken und Third Space. In: Raum. Ein interdisziplinäres Handbuch. Hg. von Stephan Günzel. Stuttgart 2010, S. 177–191. Vgl. zu bereits kanonisierten Ausprägungen des spatial turn und des topographical turn Wolfgang Hallet, Birgit Neumann: Raum und Bewegung in der Literatur. Zur Einführung. In: Raum und Bewegung in der Literatur. Die Literaturwissenschaften und der Spatial Turn. Hg. von Wolfgang Hallet, Birgit Neumann. Bielefeld 2009, S. 11–32. Vgl. auch den Überblick über das weite Theorie- und Forschungsfeld in den unterschiedlichsten Disziplinen in Stephan Günzel (Hg.): Raum. Ein interdisziplinäres Handbuch. Stuttgart 2010. 33 Vgl. in ihrer historisch pointierten Form Wolfgang Haubrichs, Reinhard Schneider (Hg.): Grenzen und Grenzregion – Frontières et régions frontalières – Borders and Border Regions. Saarbrücken 1994 (Veröffentlichungen der Kommission für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung 22); Michael Borgolte, Bernd Schneidmüller (Hg.): Hybride Kulturen im mittelalterlichen Europa – Hybride Cultures in Medieval Europe. Vorträge und Workshops einer internationalen Frühlingsschule – Papers and Workshops of an International Spring School. Berlin 2010 (Europa im Mittelalter 16).
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nun auf einen Konzept- und Methodenrahmen hin zu operationalisieren, der der Erforschung der dezentralen frühneuzeitlichen Literaturlandschaft Vorschub leisten soll, in der über die Nation, ihre Sprache und Literatur lange vor den entsprechenden Systementwürfen nachgedacht wird, ist schwierig, wenn nicht sogar unmöglich. Es erscheint vielmehr sinnvoller, sich weniger an (Raum- und Kultur-) Theorie im engen und emphatischen Sinne als vielmehr an zwei Forschungsprogrammen zu orientieren, die in den letzten Jahren eine Renaissance einerseits, eine Ausarbeitung andererseits erfahren haben: der Konstellationsforschung im Anschluss an Dieter Henrich und der Regionalitätsforschung in der germanistischen Mediävistik. Das etwa zu Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts neu erwachte Interesse der Mittelalterphilologie34 an topographisch orientierter Literaturgeschichtsschreibung ist bislang nicht in Form einer strengen Programmatik systematisiert worden, sondern kennt verschiedene Ausprägungen: Die einen Forschungen zielen auf die ‚flächendeckende‘ Beschreibung einer Region, indem sie versuchen, deren gesamte Literatur zu einem bestimmten Zeitpunkt quer durch alle Gattungen zu erfassen. […] Andere Studien setzen kleinräumiger an. Sie beschreiben einen Ausschnitt des literarischen Lebens einer Region, indem sie eine literarisch bedeutsame Institution […] als Ausgangspunkt wählen.35
Das kleinteilige close reading eines geographischen Raums oder einer sozialen Institution erlaubt historische Tiefenbohrungen, in denen die Überlieferungsgeschichte der Textzeugen in besonderem Maße vor Augen tritt.36 Zugleich trägt ein solches Verfahren den vielfältigen Varianten an regionalen und kulturellen Identitäten in der Vormoderne Rechnung37 und erlaubt valide Aussagen auf dem Minenfeld der Literaturgeschichtsschreibung.38 Der Ansatz verknüpft also geo-
34 Vgl. den Themenband Helmut Tervooren, Jens Haustein (Hg.): Regionale Literaturgeschichtsschreibung. Aufgaben, Analysen und Perspektiven. Berlin 2003 (= ZfdPh. Sonderheft). 35 Johanna Thali: Regionalität als Paradigma literaturhistorischer Forschung zur Vormoderne. Das Beispiel des Benediktinerinnenklosters St. Andreas in Engelberg. In: Beiträge zur Kulturtopographie des deutschsprachigen Südwestens im späteren Mittelalter. Hg. von Barbara Fleith, René Wetzel. Tübingen 2009 (Kulturtopographie des alemannischen Raumes 3), S. 229–262, hier S. 232. Einen Überblick über verschiedenste Forschungsprojekte der jüngeren Zeit, die sich diesem Ansatz verpflichtet fühlen, liefert Thali ebd., S. 229–236. 36 Vgl. ebd., S. 235. 37 Vgl. Helmut Tervooren: Überlegungen zu einer regionalen Literaturgeschichte des RheinMaas-Raumes. In: Regionale Literaturgeschichtsschreibung. Aufgaben, Analysen und Perspektiven. Hg. von Helmut Tervooren, Jens Haustein. Berlin 2003 (ZfdPh. Sonderheft), S. 1–30. 38 Vgl. das Projekt einer Literaturgeschichte des deutschen Südwestens im vierzehnten Jahrhundert, skizziert in Nigel F. Palmer, Hans-Jochen Schiewer: Literarische Topographie des
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bzw. topographische Beschränkung mit Kategorien des Sozialen zur näheren Ausleuchtung des Problems der Textüberlieferung. Auch wenn sich Letzteres im Falle der meisten dieser Studien konkret auf die mittelalterliche Handschriftenkultur bezieht, auch wenn die ‚Regionalität des Mittelalters‘ nicht ohne weiteres mit derjenigen des sechzehnten Jahrhunderts – in Zeiten zunehmenden Territorialitätsbewusstseins – in Einklang zu bringen ist, so lohnt doch der Blick auf ihre Prämissen: Es wird prinzipiell von vormodernen sozialen und textuellen Zusammenhängen ausgegangen, d. h. es handelt sich um einen historisch operierenden Ansatz, der die zeitgenössischen Bedingtheiten von Produktions- und Rezeptionsprozessen in der Literatur in den Blick nimmt.39 Die Fokussierung des Textes und seiner Konstitution macht das skizzierte Forschungsprogramm für die vorliegende Studie insofern in besonderem Maße fruchtbar, als es sich eben nicht in der minutiösen Rekonstruktion der sozialen Verknüpfungen erschöpft, wie es beispielsweise die soziologisch informierte Netzwerkanalyse oder die Akteur-Netzwerk-Theorie im Anschluss an Bruno Latour tun – Methoden, die, wenngleich sie in neuerer Zeit gerne für geisteswissenschaftliche Studien in Anschlag gebracht werden, aufgrund ihrer formalistischen Tendenz für den vorliegenden Zusammenhang ausgeschlossen werden.40 Die gleichberechtigte Untersuchung von Texten und ihrer personellen wie sozialen Umgebung ist auch zentrales Merkmal der sogenannten Konstellationsforschung, die von Henrich mit eigentlich philosophisch-systematischem Anspruch unter Verwendung des wissenschaftsgeschichtlich stark semantisierten Begriffs der Konstellation41 an der Formationsphase des deutschen Idealismus
deutschsprachigen Südwestens im 14. Jahrhundert. In: Regionale Literaturgeschichtsschreibung. Aufgaben, Analysen und Perspektiven. Hg. von Helmut Tervooren, Jens Haustein. Berlin 2003 (ZfdPh. Sonderheft), S. 178–202. 39 Andreas Bihrer schlägt vor, das Konzept zu erweitern und der Analyse des sozialen Netzes und der Überlieferung diejenige einzelner Figuren und ihrer lebensweltlichen Einbindung an die Seite zu stellen, vgl. Andreas Bihrer: Repräsentationen adelig-höfischen Wissens – ein Tummelplatz für Aufsteiger, Außenseiter und Verlierer. Bemerkungen zum geringen gesellschaftlichen Stellenwert höfischer Literatur im späten Mittelalter. In: Kulturtopographie des deutschsprachigen Südwestens im späteren Mittelalter. Studien und Texte. Hg. von Barbara Fleith, René Wetzel. Berlin, New York 2009 (Kulturtopographie des alemannischen Raums 1), S. 215–227, hier S. 227. 40 Vgl. zur theoretischen Zusammenführung von Geschichts- und Sozialwissenschaft Lothar Krempel: Geschichtswissenschaft und Netzwerkanalyse: Potentiale und Beispiele. In: Transnationale Netzwerke im 20. Jahrhundert: Historische Erkundungen zu Ideen und Praktiken, Individuen und Organisationen. Hg. von Berthold Unfried u. a. Leipzig 2008, S. 59–79. 41 Vgl. Andrea Albrecht: ‚Konstellationen‘. Zur kulturwissenschaftlichen Karriere eines astrologisch-astronomischen Konzepts bei Heinrich Rickert, Max Weber, Alfred Weber und Karl Mann-
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entwickelt worden ist.42 Henrichs Schüler haben sie in der Folgezeit auch als philosophiegeschichtliches Forschungsinstrument etabliert und für weitere Disziplinen außerhalb der Philosophie geöffnet.43 Die Konstellationsforschung stellt zwar kein rigides Methodeninstrumentarium bereit, liefert aber einen terminologisch abgesicherten Orientierungsrahmen, der die Makrobeschreibung der zu beobachtenden Phänomene erleichtert. Ziel der Konstellationsforschung ist es, einen sogenannten Denkraum zu rekonstruieren und zu konturieren, der „aus einem Ursprungskonzept, einer Prototheorie, aus Anlagen, Ansätzen entfaltet“ wird.44 Im Sinne der vorliegenden Studie mag man Opitzʼ spezifischen Modus der Bezugnahme auf antike und zeitgenössische Literatur, sein ‚nationalliterarisches‘ Projekt, als jenen wirkmächtigen Denkraum verstehen, der weite Teile der Literatur des siebzehnten Jahrhunderts und, auf der Meta-Ebene, der Literaturgeschichtsschreibung dominieren sollte und der ihm vorgängige Alternativangebote eliminierte oder verengte. Nährboden eines Denkraums ist immer die Konstellation, in der Ideen, Personen und Dokumente beziehungsweise Texte gleichberechtigt nebeneinander stehen und miteinander vernetzt sind.45 Unterschiede zwischen großen Männern und Minimi sind in einer Konstellation nivelliert, Randständiges erweist sich als besonders fruchtbar.46 Für den vorliegenden Fall ist also mit dem angenommenen ‚rinascimentalen Diskurs in der Volkssprache‘ im späten sechzehnten Jahrhundert eine solche Konstellation gegeben, in der von größeren und kleineren Literaten vielfältige Umgangsweisen mit kulturellen und literarischen Leit- und Vorbildern gepflegt werden. Wenn behauptet wird, die Konstellation sei dynamisch, besonders an der Peripherie, wo sie ständig neue Impulse von außen aufnehme,47 so trifft dies, geographisch gewendet, auf den Grenzraum des deutschen Südwestens zweifelsohne zu. Solch eine weite Vorstellung der Konstellation ist auch mit jener
heim. In: Scientia Poetica. Jahrbuch für Geschichte der Literatur und Wissenschaften 14 (2010), S. 104–149. 42 Vgl. zusammenfassend Dieter Henrich: Konstellationsforschung zur klassischen deutschen Philosophie. Motiv – Ergebnis – Probleme – Perspektiven – Begriffsbildung. In: Konstellationsforschung. Hg. von Martin Mulsow, Marcelo Stamm. Frankfurt a. M. 2005 (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 1736), S. 15–30. 43 Vgl. den Band mit Basistexten und Fallstudien von Martin Mulsow, Marcelo Stamm (Hg.): Konstellationsforschung. Frankfurt a. M. 2005 (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 1736). 44 Marcelo R. Stamm: Konstellationsforschung – Ein Methodenprofil: Motive und Perspektiven. In: Konstellationsforschung. Hg. von Martin Mulsow, Marcelo Stamm. Frankfurt a. M. 2005 (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 1736), S. 31–73, hier S. 35. 45 Vgl. ebd., S. 48. 46 Vgl. ebd., S. 46 f. 47 Vgl. ebd.
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Annahme kompatibel, dass sich die an einer Konstellation beteiligten Personen zwar kennen können, aber nicht müssen48 – nur folgerichtig, wenn man auch das Eigenleben von Ideen in einer Konstellation ernst nimmt. Verengt man den Begriff für den vorliegenden Fall weiterhin in Richtung der Offizin, so ergibt sich folgende methodische Formel: Fischart als dominante Literatenpersönlichkeit und ‚Kräftezentrum‘ der Offizin befindet sich auf einer Stufe mit allen anderen für Jobin tätigen Autoren und Mitarbeitern. Die Verbindungen zu weiteren Druckerverlegern und in andere Städte sind als Peripherie der Konstellation zu verstehen. Der Konstellationsforscher legt alle Denkoptionen offen, die möglicherweise später im Rahmen der Großtheorie49 nicht zum Tragen gekommen sind: Sackgassen also, verworfene Positionen, die, für den vorliegenden Fall, sowohl für den Opitz’schen Klassizismus als auch für die Erfolgsgeschichte der deutschen Literatur irrelevant geworden sind. Dies geschieht in der Praxis über die Zusammenschau der in einer Zeit vertretenen Konzepte und Positionen sowie über das minutiöse Nachverfolgen der Diskussionen, die entweder über gedruckte Texte oder briefliche Hintergrundkommunikation geführt worden sind. Der mündliche Austausch wird, auch wenn er kaum mehr nachweisbar ist, zumindest als Faktor mit bedacht.50 Eine breite Quellen- und Dokumentenlage, die hier als notwendige Bedingung für gelingende Konstellationsforschung erscheint, ist jedoch im Falle Jobins nicht gegeben. Anders als für andere Druckerverleger der Zeit sind für Jobin und Fischart kaum nicht-literarische Quellen, geschweige denn Briefwechsel erhalten, Referenztexte können also lediglich die von der Offizin produzierten Drucke sein.51 Die Aufarbeitung der Jobin’schen Konstellation vor dem Hintergrund des literarischen ‚konstellatorischen Feldes‘ vor Opitz ist folglich modifizierte Konstellationsforschung unter den eingeschränkten Bedingungen des sechzehnten Jahrhunderts. Keinesfalls sei hiermit behauptet, die vorliegende Studie versuche sich an der Konstellationsforschung in unmittelbarer Nachfolge Henrichs – schon allein die Quellenlage lässt dies nicht zu. Zudem soll hier der ‚Fluchtpunkt Opitz‘ nachgerade aus der literaturwissenschaftlichen Detailarbeit herausradiert, soll das literarhistorische Denken ‚ent-teleologisiert‘ sein – ein Anspruch, der mit Henrichs Modell nicht zur Gänze eingelöst werden kann. Das Konzept der Konstellationsforschung hält jedoch einige Anker bereit, die für die weiteren Über-
48 Vgl. ebd., S. 50. 49 Natürlich kann beim Opitz’schen ‚Denkraum‘ nicht von einer Theorie im Sinne des achtzehnten Jahrhunderts gesprochen werden. 50 Vgl. Stamm: Konstellationsforschung, S. 50 f. 51 Vgl. Kap. 1.3 dieser Einleitung.
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legungen fruchtbar sein können: die gleichberechtigte Ausleuchtung aller beteiligten Personen als methodisches Desiderat;52 das zirkulierende Ineinander von Personen, Ideen und Texten als Prämisse der Analysearbeit; die laboratorische Relevanz sozialer Einheiten; zuletzt das Sichtbarmachen von Sackgassen und damit die (entzaubernde) Archäologie großer Meisternarrative als Forschungsziel. Sowohl die Konstellationsforschung als auch die mediävistische Regionalitätsforschung können so im Sinne von Konzeptrahmen höherer Ordnung helfen, die Einzelstudien an ihr gemeinsames Erkenntnisinteresse zurückzubinden und deren Relevanz für die Konturierung innovativer Literaturgeschichtsschreibung offenzulegen.
1.2 Forschungs- und problemgeschichtliche Positionierung Bei der methodisch-konzeptuellen Organisation der Studie wiederum überkreuzen sich literaturwissenschaftliche, diskurshistorische und buchwissenschaftliche Fragestellungen und Problemhorizonte. Die Erforschung von einzelnen Offizinen oder städtischen Druckkulturen im deutschsprachigen Raum ist bisher hauptsächlich mit buchwissenschaftlichem Methodeninventar bestritten worden. Demgemäß wird das Programm der Drucker möglichst vollständig rekonstruiert, auf sprachliche und thematische Präferenzen hin überprüft und dann auf dem literarischen Markt verortet.53 Auch institutionengeschichtliche Fragen nach der Rolle der Offizin im städtischen Kontext spielen hierbei eine Rolle.54 Das Problem des Sprachwechsels vom Lateinischen hin zur Volkssprachigkeit wird dabei oft im Verbund mit dem des Medienwechsels, zumal in der Frühdruckzeit, reflektiert,55
52 Dem die vorliegende Studie mit dem spezifischen Zuschnitt ihres Korpus auch nicht zur Gänze begegnen kann. 53 Für einzelne Drucker vgl. beispielsweise Imke Schmidt: Die Bücher aus der Frankfurter Offizin Gülfferich – Han – Weigand Han-Erben. Eine literarhistorische und buchgeschichtliche Untersuchung zum Buchdruck in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Wiesbaden 1996 (Wolfenbütteler Schriften zur Geschichte des Buchwesens 26); Oliver Duntze: Ein Verleger sucht sein Publikum. Die Straßburger Offizin des Matthias Hupfuff (1497/98–1520). München 2007 (Archiv für Geschichte des Buchwesens. Studien 4). Für städtische Druckkulturen vgl. beispielsweise Helmut Gier, Johannes Janota (Hg.): Augsburger Buchdruck und Verlagswesen. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Wiesbaden 1997; Hans-Jörg Künast: „Getruckt zu Augsburg“. Buchdruck und Buchhandel in Augsburg zwischen 1468 und 1555. Tübingen 1997 (Studia Augustana 8). 54 Vgl. beispielsweise Pierre L. van der Haegen: Der frühe Basler Buchdruck. Ökonomische, sozio-politische und informationssystematische Standortfaktoren und Rahmenbedingungen. Basel 2001 (Schriften der Universitätsbibliothek Basel 5). 55 Vgl. beispielsweise Romy Günthart: Deutschsprachige Literatur im frühen Basler Buchdruck
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was die Untersuchung von Druck- und Seitengestaltung oder Typographie beinhalten kann. Auch die Verbindung von Druck- und konfessioneller Kultur ist ein beliebtes Forschungsfeld,56 ebenso die Frage nach der Kooperation von Humanisten und Druckern.57 Eine umfassendere Darstellung der Straßburger Druckerszene, zumal in der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts, ist seit den Forschungen von Miriam Usher Chrisman nicht geleistet worden.58 Auch fehlen Untersuchungen zum Zusammenhang von Sprachpatriotismus und Druckerei als sozialer Entität im Sinne des oben skizzierten Erkenntnishorizontes.59 Nun ist es weder das Anliegen dieses Buches, das Programm der Offizin Jobin umfassend zu erschließen, nach Themen und Sprachen aufzugliedern und es auf dem Straßburger Markt zu verorten, noch sie – dies auch mangels überlieferter Quellen60 – institutionengeschichtlich aufzuarbeiten oder gar im größeren Kontext der Straßburger Druckerszene des späten sechzehnten Jahrhunderts zu behandeln. Vielmehr dient mir die Druckerwerkstatt als heuristische
(ca. 1470–1510). Münster u. a. 2007 (Studien und Texte zum Mittelalter und zur frühen Neuzeit 11); Hans-Joachim Koppitz: Zur deutschen Buchproduktion des 15. und 16. Jahrhunderts. Einige Beobachtungen über das Vordringen deutschsprachiger Drucke. In: Gutenberg-Jahrbuch 62 (1987), S. 16–25. 56 Vgl. beispielsweise Richard A. Crofts: Printing, Reform and the Catholic Reformation in Germany (1521–1545). In: The Sixteenth Century Journal 16 (1985), S. 369–381. 57 Vgl. Stephan Füssel: „Dem Drucker aber sage er Dank…“. Zur wechselseitigen Bereicherung von Buchdruckerkunst und Humanismus. In: Artibvs. Kulturwissenschaft und deutsche Philologie des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Festschrift für Dieter Wuttke zum 65. Geburtstag. Hg. von Stephan Füssel, Gert Hübner, Joachim Knape. Wiesbaden 1994, S. 176–178; Fritz Krafft, Dieter Wuttke (Hg.): Das Verhältnis der Humanisten zum Buch. Boppard 1977 (Kommission für Humanismusforschung. Mitteilungen 4). 58 Vgl. Miriam Usher Chrisman: Lay Culture, Learned Culture. Books and Social Change in Strasbourg, 1480–1599. New Haven 1982; Miriam Usher Chrisman: Bibliography of Strasbourg Imprints. New Haven 1982. 59 Vgl. grundlegend bisher Elsa Kammerer, Jan-Dirk Müller (Hg.): Imprimeurs et libraires de la Renaissance: Le travail de la langue. Sprachpolitik der Drucker, Verleger und Buchhändler der Renaissance. Genf 2015 (De lingua et linguis 1). Vgl. für die Straßburger und Basler Zusammenhänge Sylvia Brockstieger, Jan Hon: Deutsche Sprache und nationale Historiographie in der Mitte des 16. Jahrhunderts. Brylinger (Basel) und die Druckerfamilie Rihel (Straßburg). In: Imprimeurs et libraires de la Renaissance: Le travail de la langue. Sprachpolitik der Drucker, Verleger und Buchhändler der Renaissance. Hg. von Elsa Kammerer, Jan-Dirk Müller. Genf 2015 (De lingua et linguis 1), S. 507–523 und S. 563; Sylvia Brockstieger: Bücher für Exulanten. Die europäischen Volkssprachen im Straßburger Buchdruck (ca. 1550–1600). In: Imprimeurs et libraires de la Renaissance: Le travail de la langue. Sprachpolitik der Drucker, Verleger und Buchhändler der Renaissance. Hg. von Elsa Kammerer, Jan-Dirk Müller. Genf 2015 (De lingua et linguis 1), S. 260 f., S. 265–270 und S. 555. 60 Zur Überlieferungssituation vgl. Kap. 1.3 dieser Einleitung.
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Brille, durch die im ersten Schritt ein Ausgangskorpus an Texten definiert ist, durch das im zweiten Schritt die Schneisen der Fallanalysen geschlagen werden. Vorrangiges Interesse besteht nämlich, im literaturwissenschaftlichen Sinne,61 an den literarisch-poetischen Operationen sowie den einzelnen Gattungen und Reflexionsformen, über die die einzelnen Literaten im Kontext der Offizin das nationalliterarische Projekt gestalten. Fischarts Rolle dabei ist nicht zu unterschätzen. Seine eigenen Schriften mit sprach- und kulturpatriotischem Impetus entfalten ihre eigentliche Bedeutung aber erst in der konstellatorischen Zusammenschau mit anderen Drucken der Offizin. Indem die vorliegende Studie versucht, Fischart als hoch anspruchsvollen Schriftsteller zu konturieren, reiht sie sich in die jüngere Fischart-Forschung ein, die verstärkt darum bemüht ist, den alten Volkstümlichkeits- und Grobianismus-Topos62 aus dem Sprechen über Fischart zu entfernen, seinen gewaltigen gelehrten Hintergrund zu rekonstruieren63 sowie den epistemologischen Anspruch seines satirischen Schreibens aus der Aufarbeitung seines breiten sachliterarischen Schaffens heraus zu erfassen.64 Mit der Rede von imitativen und aemulativen Strategien ‚eigenen Typs‘ jedoch, wie sie oben formuliert worden ist, trifft sie auch den Kern der literaturwissenschaftlichen Debatte darüber, ob es einen sogenannten Renaissancehumanismus in der deutschen Volkssprache überhaupt geben könne.65 Für Georg Wickram, der ähnlich wie Fischart „für eine besondere Amalgamierung frühneuzeitlicher Traditionen“66 steht, hat Müller entsprechende Etiket-
61 Zur Affinität von Buch- und Literaturwissenschaft vgl. Carlos Spoerhase: Perspektiven der Buchwissenschaft. Ansatzpunkte einer buchhistorisch informierten Literaturwissenschaft. In: ZfGerm. N. F. 21 2011, S. 145–152. 62 Zur genaueren Diskussion dieses Topos – verbunden mit dem Grotesken – vgl. Kap. 4.2. 63 Vgl. Ulrich Seelbach: Ludus lectoris. Studien zum idealen Leser Johann Fischarts. Heidelberg 2000 (Beihefte zum Euphorion 39). 64 Vgl. die große Studie von Bulang: Enzyklopädische Dichtungen. Bulangs zahlreiche Aufsatzarbeiten werden an thematisch einschlägiger Stelle angeführt. Vgl. auch Beate Kellner: Spiel mit gelehrtem Wissen. Fischarts ‚Geschichtklitterung‘ und Rabelais’ ‚Gargantua‘. In: Text und Kontext. Fallstudien und theoretische Begründungen einer kulturwissenschaftlich angeleiteten Mediävistik. Hg. von Jan-Dirk Müller. München 2007 (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien 649), S. 219–244; Beate Kellner: Fischarts Geschichtklitterung und Rabelaisʼ Gargantua. Komparatistische Perspektiven. In: GRM. N. F. 59 (2009), S. 149–165. 65 Noch für Erich Trunz scheinen sich ‚Humanismus‘ und ‚deutsche Sprache‘ auszuschließen: „Der Übergang der Neulateiner zur deutschen Sprache ist der Anfang der deutschen Barockdichtung“ (Erich Trunz: Deutsche Literatur zwischen Späthumanismus und Barock. Acht Studien. München 1995, S. 207). 66 Jan-Dirk Müller: Wickram – ein Humanist? In: Vergessene Texte – Verstellte Blicke. Neue
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tierungen zurückgewiesen, und auch Stefanie Schmitt betont hier die Bedeutung von spezifisch mittelalterlichen Modi der Antikenrezeption im sechzehnten Jahrhundert.67 Regina Töpfer hingegen kann beispielsweise für den Fall der OdysseeÜbersetzung Simon Schaidenreissers keine signifikante Kluft zwischen deutscher und lateinischer Poetik und Epistemik ausmachen.68 Wie man also diese intrikate Frage beantworten möchte, hängt nicht zuletzt am zugrunde gelegten Humanismusbegriff. Dass sich der Humanismus im Laufe der Zeit gegenüber den Volkssprachen öffnete, steht außer Zweifel, auch, dass er den weiteren Ausbau der Vernakularsprachen zunehmend ‚anschob‘ und bald im Sinne großer nationalliterarischer Anliegen entfaltete.69 Dies gilt für das fünfzehnte und sechzehnte Jahrhundert in besonderem Maße für die Literaturen der Romania, hatten sie doch den großen Vorteil, in direkter Linie zu den antiken Traditionen zu stehen. Für den Fall der deutschen Literatur hingegen ist man lange von einer tiefen Kluft zwischen dem neulateinisch-gelehrten Literatursystem und den vernakularen Texten ausgegangen. Und tatsächlich: Legt man strenge, klassizistische Parameter an die Begriffsintension von ‚Humanismus‘ an, so scheint die Vorstellung
Perspektiven der Wickram-Forschung. Hg. von Maria E. Müller, Michael Mecklenburg. Frankfurt a. M. u. a. 2007, S. 21–39, hier S. 39. 67 Vgl. Stefanie Schmitt: Humanistisches bei Georg Wickram? Zur Problematik deutschsprachiger humanistischer Literatur. In: Humanismus in der deutschen Literatur des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit. XVIII. Anglo-German Colloquium Hofgeismar. Hg. von Nicola McLelland. Tübingen 2008, S. 137–153. 68 Vgl. Regina Toepfer: Mit fleiß z Teütsch tranßferiert. Schaidenreissers Odyssea im Kontext der humanistischen Homer-Rezeption. In: Übertragungen. Formen und Konzepte von Reproduktion in Mittelalter und Früher Neuzeit. Hg. von Britta Bußmann u. a. Berlin, New York 2005 (Trends in Medieval Philology 5), S. 328–348. 69 Vgl. grundlegend Joachim Knape: Humanismus, Reformation, deutsche Sprache und Nation. In: Nation und Sprache. Die Diskussion ihres Verhältnisses in Geschichte und Gegenwart. Hg. von Andreas Gardt. Berlin, New York 2000, S. 103–138. Vgl. auch die Beiträge in dem Band von Bodo Guthmüller (Hg.): Latein und Nationalsprachen in der Renaissance. Wiesbaden 1998 (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 17). Für den italienischen Renaissancehumanismus vgl. beispielsweise Gabriella Albanense: Mehrsprachigkeit und Literaturgeschichte im Renaissancehumanismus. In: Mehrsprachigkeit in der Renaissance. Hg. von Christiane Maaß, Annett Vollmer. Heidelberg 2005 (GRM. Beiheft 21), S. 23–56. Vgl. das große Panorama bei Klaus Garber: Die Idee der Nationalsprache und Nationalliteratur in der Frühen Neuzeit Europas. In: Klaus Garber: Literatur und Kultur im Europa der Frühen Neuzeit. Gesammelte Studien. München 2009, S. 107–213, hier aber wieder mit einer Zuspitzung auf Opitz. Vgl. desweiteren Wilhelm Kühlmann: Nationalliteratur und Latinität: Zum Problem der Zweisprachigkeit in der frühneuzeitlichen Literaturbewegung Deutschlands. In: Nation und Literatur im Europa der Frühen Neuzeit. Akten des ersten Osnabrücker Kongresses zur Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit. Hg. von Klaus Garber. Tübingen 1989 (Frühe Neuzeit 1), S. 164–206.
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von einer deutschsprachigen humanistischen Literatur im sechzehnten Jahrhundert in der Tat zu scheitern. Indem die deutschen Humanisten jedoch ihre eigene Antike sowie das Mittelalter70 entdeckten und im Zuge dessen auch sprachhistorische Rechtfertigungsstrategien ausbildeten,71 ist der Vergangenheitsbezug – zwischen Kontinuitäts- und Neuanfangsbehauptung – ein dem romanischen Renaissancehumanismus analoger. Wenn die vorliegende Studie also immer wieder vom emphatisch vertreten ‚Eigenen‘ in Sprache und Kultur spricht, so handelt es sich dabei möglicherweise schlicht um eine notwendige Konsequenz aus einem spezifisch deutschen und deutschsprachigen humanistischen Denken: Ein ‚rinascimentaler Diskurs eigenen Typs‘ ist in der Tat die Folge. Was Fischart angeht, so ist seine humanistische Grundausrichtung unbestritten – genauso unbestritten ist auch sein spielerischer Umgang mit dieser Tradition, was seine Einordnung als Späthumanisten rechtfertigen mag.72 Schon die ältere Forschung wie Eckehart Spenglers linguistisch informierte FischartMonographie73 hat vor dem Hintergrund seines Bildungsweges74 den Einfluss der lateinischen Humanistenkultur aufgezeigt und diesen nicht nur anhand des Textuniversums, mit dem Fischart jongliert, sondern auch an gewissen Spuren des „lateinische[n] Prosastil[s]“75 in Fischarts Sprache nachgewiesen – wobei in dieser Perspektive seine Bemühung um die Volkssprachigkeit als gegenläufige Tendenz erscheint, die mit jenen humanistischen Bestrebungen kollidiert.76 Aber schon hier wird die Produktivität dieser Kollision erkannt, nämlich als „lebendiges Verhältnis zur Antike“, das es „möglich mach[t], in so lebendiger Weise mit ihrer
70 Vgl. Johannes Klaus Kipf: Wann beginnt im deutschen Sprachraum die Mittelalterrezeption? Vergleichende Beobachtungen zu Rezeptionsweisen volkssprachiger und lateinischer mittelalterlicher Literatur (ca. 1450–1600). In: Rezeptionskulturen. Fünfhundert Jahre literarische Mittelalterrezeption zwischen Kanon und Populärkultur. Hg. von Matthias Herweg, Stefan KepplerTasaki. Berlin, Boston 2012 (Trends in Medieval Philology 27), S. 15–49. 71 Vgl. Kap. 2.1.1. 72 Vgl. zu Fischarts intrikatem (bei Weinberg als defizitär aufgefasstem) Verhältnis zum Humanismus des Rabelais Florence Weinberg: Gargantua in a Convex Mirror. Fischart’s View of Rabelais. New York u. a. 1986 (Studies in the Humanities. Literature – Politics – Society 2). 73 Vgl. W. Eckehart Spengler: Johann Fischart gen. Mentzer. Studie zur Sprache und Literatur des ausgehenden 16. Jahrhunderts. Göppingen 1969 (GAG 10). 74 Zum Bildungsweg Fischarts vgl. Adolf Hauffen: Johann Fischart. Ein Literaturbild aus der Zeit der Gegenreformation. 2 Bde. Berlin, Leipzig 1921/22 (Schriften des wissenschaftlichen Instituts der Elsaß-Lothringer im Reich), Bd. 1, S. 9–70; Spengler: Johann Fischart, S. 229 f.; Weinberg: Gargantua, S. 6. 75 Spengler: Johann Fischart, S. 236. 76 Vgl. ebd., S. 229–247.
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Überlieferung umzugehen.“77 Letztlich sind die jüngsten Arbeiten, namentlich diejenigen Müllers,78 auch als Antwort auf das von Spengler formulierte Postulat zu verstehen, „die vielen Asnpielungen [sic!] auf die Antike einmal einer ernsthaften Betrachtung zu unterziehen und nicht nur als nebensächlichen Zierrat und äußerlichen gelehrten Aufputz hinzunehmen.“79 Dass Fischarts ganz eigenes, spielerisches Verhältnis zur Welt der Antike und, wie zu zeigen sein wird, zu der des italienisch dominierten Humanismus mit einem sprachpflegerischen Impetus gegenüber dem Deutschen zusammenhängt, dass Fischart „die Leistungsfähigkeit deutscher Sprach- und Dichtkunst gegenüber den anderen Sprachräumen […] beweisen“80 wollte, ist früh erkannt worden. Auch Fischarts spezifisch (reichs-)städtischer Patriotismus war immer wieder Gegenstand der Diskussionen,81 ebenso seine Bedeutung für diese spezifische Straßburger, reichspatriotisch-„altdeutsche Bewegung“82, die bei Sebastian Brant beginnt und sich über Wickram und Fischart hin zu Jesaias Rompler von Löwenhalt und Johann Michael Moscherosch zieht.83 Eine Zusammenschau dieser beiden Aspekte und vor allem ihre Kontextualisierung wie Begründung vor dem Hintergrund des kulturpolitischen Projekts der Offizin Jobin blieb bisher Desiderat. Damit ist der dritte Referenz- und Fragehorizont eröffnet, den es zu beachten gilt, nämlich die Diskurs- und Begriffsgeschichte zu den Kategorien ‚Volk‘, ‚Stamm‘, ‚Reich‘, ‚Vaterland‘, ‚Nation‘ und ‚Sprache‘. Deren semantische Füllung
77 Ebd., S. 244. 78 Vgl. Jan-Dirk Müller: Fischarts Gegenkanon. Komische Literatur im Zeichen der imitatio. In: Maske und Mosaik. Hg. von Jan-Dirk Müller und Jörg Robert. Münster 2007 (Pluralisierung & Autorität 11), S. 281–321; Jan-Dirk Müller: Viele neue Homere: Alte contra neue Autoritäten. Das volkssprachige Epos und die Antikerezeption. In: Die Frühe Neuzeit. Revisionen einer Epoche. Hg. von Andreas Höfele, Jan-Dirk Müller, Wulf Oesterreicher. Berlin, Boston 2013 (Pluralisierung & Autorität 40), S. 229–254. 79 Müller: Viele neue Homere, S. 245. 80 Ebd., S. 234. 81 Vgl. Erich Kleinschmidt: Stadt und Literatur in der Frühen Neuzeit. Voraussetzungen und Entfaltung im südwestdeutschen, elsässischen und schweizerischen Städteraum. Köln, Wien 1982 (Literatur und Leben. N. F. 22); Erich Kleinschmidt: Gelehrtentum und Volkssprache in der frühneuzeitlichen Stadt. Zur literaturgesellschaftlichen Funktion Johann Fischarts in Straßburg. In: Politik und Dichtung vom Mittelalter bis zur Neuzeit. Hg. von Wolfgang Haubrichs. Göttingen 1980 (als: LiLi 10, H. 37), S. 128–151. 82 Wilhelm Kühlmann: „Baldanders“ – Grimmelshausen und die ‚altdeutsche‘ Bewegung am Oberrhein. In: Simpliciana. Schriften der Grimmelshausen-Gesellschaft 25 (2003), S. 15–32, hier S. 16. 83 Vgl. ebd., S. 16–18.
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schwankt im sechzehnten Jahrhundert noch enorm,84 eine Tatsache, die sich Jobin und seine Autoren durchaus für ihre Sprach- und Literaturexperimente zunutze machen.85 In der jüngeren Forschung wird wurde zunehmend das agonale Prinzip herausgearbeitet, das den humanistischen Bemühungen um besagte Kollektivkonzepte innewohnt: Der aus den Praktiken der Adelskultur herrührende ‚Wettkampf der Nationen‘ vermag sich auf den unterschiedlichsten kulturellen Feldern, darunter auch Kunst, Sprache und Sitten, zu manifestieren,86 was die Ausgangshypothese von aemulatio als kulturellem Dispositiv zusätzlich stützt. Die Überbietungsgesten hinsichtlich Kultur und Sprache sind dabei je unterschiedlich akzentuiert und keineswegs programmatisch geschlossen, der Wettkampf wird gleichsam von Fall zu Fall neu ausgetragen.87 Der Entwurf kohärenterer Nationen- und Nationalismustheorien erscheint mithin erst für das achzehnte und neunzehnte Jahrhundert angemessen, wobei auch hier mit einer konflikttheoretischen Perspektive operiert werden kann.88 Der Faktor der gemeinsamen Sprache spielt in diesen Zusammenhängen ebenfalls eine große Rolle, und so sind Studien, die sich des Verhältnisses von Sprache und kollektiver bzw. nationaler Identität in systematischer Perspektive annehmen89 und auch topische Argumente im Sprachnationalismus-Diskurs identifizieren,90 Legion. Doch setzt das Gros der Forschung, sofern sie denn die historische
84 Vgl. zu den heterogenen nationalen Diskursen, die miteinander im Wettkampf liegen, Joachim Whaley: Kulturelle Toleranz – die deutsche Nation im Europäischen Vergleich. In: Die deutsche Nation im frühneuzeitlichen Europa. Politische Ordnung und kulturelle Identität? Hg. von Georg Schmidt. München 2010 (Schriften des Historischen Kollegs 80), S. 201–225, hier S. 209. 85 Vgl. Kap. 4. 86 Vgl. Caspar Hirschi: Wettkampf der Nationen. Konstruktionen einer deutschen Ehrgemeinschaft an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit. Göttingen 2005; Claudius Sittig: Kulturelle Konkurrenzen. Studien zu Semiotik und Ästhetik adeligen Wetteifers um 1600. Berlin, New York 2010 (Frühe Neuzeit 151). Vgl. auch Kap. 2.2. 87 Dennoch kennt auch das sechzehnte Jahrhundert bereits Nationalstereotype und -charaktere, vgl. Mirosława Czarnecka, Thomas Borgstedt, Tomasz Jabłecki (Hg.): Frühneuzeitliche Stereotype. Zur Produktivität und Restriktivität sozialer Vorstellungsmuster. V. Jahrestagung der Internationalen Andreas Gryphius Gesellschaft Wrocław. Bern u. a. 2010 (Jahrbuch für Internationale Germanistik. Reihe A: Kongressberichte 99), besonders S. 15–152. 88 Vgl. zum Begriff der Konflikttheorie Bernhard Giesen: Die Intellektuellen und die Nation. Eine deutsche Achsenzeit. Frankfurt a. M. 1993 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft 1070), S. 20. 89 So beispielsweise Andreas Gardt, Ulrike Haß-Zumkehr, Thorsten Roelcke (Hg.): Sprachgeschichte als Kulturgeschichte. Berlin, New York 1999 (Studia Linguistica Germanica 54); Fritz Hermanns: Sprache, Kultur und Identität. Reflexionen über drei Totalitätsbegriffe. In: Sprachgeschichte als Kulturgeschichte. Hg. von Andreas Gardt, Ulrike Haß-Zumkehr, Thorsten Roelcke. Berlin, New York 1999 (Studia Linguistica Germanica 54), S. 351–391. 90 So beispielsweise Andreas Gardt: Sprachpatriotismus und Sprachnationalismus. Versuch
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Dimension in den Blick nimmt, immer erst im siebzehnten Jahrhundert an,91 nicht zuletzt weil sie mit Opitz und seiner Zeit den programmatischen Aufschwung in der Sprachpolitik zu erkennen glaubt:92 Auch in diskursgeschichtlicher Perspektive emanzipiert sich das sechzehnte Jahrhundert also erst langsam. Eine Rekonstruktion derjenigen Elemente und Ebenen des agonalen Patriotismus- und Nationendiskurses des sechzehnten Jahrhunderts, die für die literarische Arbeit der Offizin Jobin eine Rolle spielen, ist für den vorliegenden Zusammenhang unbedingt nötig und wird gleich eingangs geleistet, jedoch nicht ohne zugleich die textuellen Reflexionsräume und literarisch-poetischen Gattungen mit ihren Potentialen und Funktionen mitzureflektieren.93 Doch bevor vor dem Hintergrund der ausgeführten Problem- und Fragehorizonte der methodische Zuschnitt genauer vorgestellt wird, lohnt der Blick auf den Straßburger Kontext, innerhalb dessen die Offizin agiert.
1.3 Institutionelle Voraussetzungen: Die Offizin Bernhard Jobin im Straßburger Kontext Bernhard Jobin, aus Pruntrut in der Schweiz stammend, war nicht immer Buchdrucker, sondern begann seine Karriere als Formschneider.94 1560 erlangte er das Straßburger Bürgerrecht und wirkte dann in seinem erlernten Beruf, möglicherweise in der Offizin der Familie Rihel. Ab etwa 1570, also drei Jahre nach seiner Heirat mit Fischarts Schwester Anna, sind Drucke nachzuweisen, eine ununterbrochene Produktion setzte jedoch erst ab ca. 1572 ein. Daher überrascht es kaum, dass die ersten konfessionspolemischen Schriften Fischarts noch an anderen Druckorten erschienen, wenngleich auch die städtische Zensur für solche Aus-
einer historisch-systematischen Bestimmung am Beispiel des Deutschen. In: Sprachgeschichte als Kulturgeschichte. Hg. von Andreas Gardt, Ulrike Haß-Zumkehr, Thorsten Roelcke. Berlin, New York 1999 (Studia Linguistica Germanica 54), S. 89–113. 91 Vgl. Anja Stukenbrock: Sprachnationalismus. Sprachreflexion als Medium kollektiver Sinnstiftung in Deutschland (1617–1945). Berlin, New York 2005 (Studia Linguistica Germanica 74), besonders S. 69–156. 92 Vgl. oben zum Kontext der Opitz-Diskussion. Vgl. zum siebzehnten Jahrhundert grundlegend Andreas Gardt: Sprachreflexion in Barock und Frühaufklärung. Entwürfe von Böhme bis Leibniz. Berlin, New York 1994 (Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker. N. F. 108). 93 Vgl. Kap. 2. 94 Zum Beruf des Formschneiders vgl. Tilmann Falk: Art. ‚Formschneider, Formschnitt‘. In: RDK 10 (2004), Sp. 190–224.
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weichmanöver verantwortlich gewesen sein könnte. 1593 starb Jobin, bis 1601 führte sein Sohn Tobias im Namen der Erben die Offizin weiter. Zwischen 1601 bis 1604 druckte Tobias unter eigenem Namen, bis er den Betrieb an Johann Carolus verkaufte, der dann für die erste europäische Wochenzeitung verantwortlich zeichnete, die Relation: Aller Fürnemmen vnd gedenckwürdigen Historien.95 Jobins wichtigste Mitarbeiter waren ohne Zweifel Johann Fischart und der Schaffhausener Künstler Tobias Stimmer. Stimmer, geboren 1539, war seit 1568 in Basel für verschiedene Druckerverleger tätig, bis er sich wohl im Sommer 1570 in Straßburg niederließ und dort Pate von Jobins Sohn Tobias wurde. 1584 schon starb er, so dass für die weiteren neun Jahre sein Schüler Christoph Murer die Illustrationen für die Jobin’sche Presse fertigte, wohl aber oft auf der Basis von Vorarbeiten Stimmers.96 Stimmers Tätigkeit für Jobin war nicht exklusiv: Berühmt sind seine Illustrationen für die großen Livius- und Flavius Josephus-Übersetzungen, die 1574 bei Theodosius Rihel herauskamen.97 Fischart wiederum, geboren um 1545, genoss eine umfassende Bildung, bevor er in den Betrieb Jobins einstieg: Nach dem Besuch des Gymnasiums in Straßburg besuchte er die Lateinschule in Worms, wo Caspar Scheidt als Lehrer wirkte. Nach kurzer Studienzeit in Tübingen ging er nach Paris, von wo er im Zuge der allgemeinen Protestantenvertreibungen im Jahr 1567 floh. Seine juristischen Studien beendete er mit dem Baccalaureat in Siena. Etwa 1569 kehrte er nach Straßburg zurück und wirkte, vermutlich aus finanziellen Gründen, wohl als Lektor für mehrere Straßburger Offizinen. Nach seiner Doktorpromotion 1574 bekam er lange keine Anstellung, was auch die rege Tätigkeit für seinen Schwager Jobin erklärt. 1583 dann wurde er, gefördert von Egenolf III. von Rappoltstein, Amtmann in Forbach und heiratete schließlich die Tochter des Historikers Bernhard Hertzog,98 Anna.99 1590 verstarb er, drei Jahre
95 Vgl. zur Biographie Christoph Reske: Die Buchdrucker des 16. und 17. Jahrhunderts im deutschen Sprachgebiet. Auf der Grundlage des gleichnamigen Werkes von Josef Benzing. Wiesbaden 2007, S. 894 f. (Jobin), S. 898 (Carolus); Josef Benzing: Art. ‚Jobin, Bernhard‘. In: NDB 10 (1974), S. 444 (http://www.deutsche-biographie.de/pnd100739571.html, zuletzt aufgerufen am 30. Juni 2018). 96 Zur Biographie Stimmers vgl. Paul Tanner: Zeittafel zur Biographie von Tobias Stimmer. In: Spätrenaissance am Oberrhein. Tobias Stimmer 1539–1584. Ausstellung im Kunstmuseum Basel, 23. September bis 9. Dezember 1984. Hg. von Kunstmuseum Basel. Basel 1984, S. 33–34; Hellmut Thomke: Art. ‚Stimmer, Tobias‘. In: 2Killy 11 (2011), S. 275 f. 97 Vgl. Paul Tanner: Illustrierte Bücher (ohne Bilderbibeln und Porträtwerke). In: Spätrenaissance am Oberrhein. Tobias Stimmer 1539–1584. Ausstellung im Kunstmuseum Basel, 23. September bis 9. Dezember 1984. Hg. von Kunstmuseum Basel. Basel 1984, S. 170–184, hier S. 175 f. 98 Vgl. zu Hertzog Kap. 2.1.1. 99 Zur Biographie Fischarts vgl. Seelbach: Art. ‚Fischart, Johann‘ 2012, Sp. 395 f.; Hauffen: Johann Fischart, Bd. 1, S. 1–94. Vgl. auch zu Fischarts Leben und Werk im Überblick Wilhelm
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vor Jobin, so dass die Lebens- und Schaffenszeiten Jobins und Fischarts in der Tat beinahe deckungsgleich sind. Es haben sich mit Ausnahme von städtischen Verwaltungsakten, die die wichtigsten institutionengeschichtlichen Eckpfeiler belegen, keinerlei Quellenbestände wie beispielsweise Briefkorrespondenzen o. ä. erhalten, über die die Zusammenarbeit in der Offizin rekonstruierbar wäre.100 Die Dynamik der Konstellation ist also lediglich über die Drucke selbst zu beschreiben, in denen die paratextuellen Beigaben oft reichhaltige Informationen über Entstehungskontexte bereithalten. Allerdings finden sich in der spärlichen Quellenüberlieferung einige interessante Spuren, die auf die Herausforderungen hindeuten, mit denen sich die Straßburger Druckerszene im Allgemeinen und auch die Offizin Jobin konfrontiert sah. Im Dezember 1571 beschwerte sich der profilierte Druckerverleger Theodosius Rihel beim Straßburger Rat, dass ihm die Zunft nicht erlauben wolle, einen ledigen Formschneider zu beschäftigen. Das Zunftgericht wies im März 1572 die Beschwerde ab, woraufhin Rihel sie im Juni erneuerte.101 In ihr hebt er die Auseinandersetzung ins Allgemeine und weist am Beispiel anderer betroffener Drucker nach, dass die einzelnen Zünfte die Drucker zu gängeln pflegen, wenn es um die Anstellung von Formschneidern, Buchbindern und anderen Berufsgruppen geht. Über Jobin heißt es: „Bernhart Jobin den formenschneider haben sie gleichfals auch beschickt, ime fürgehalten wie das er den buchtruckern in ir hantierung greife, derwegen soll er davon abstehn, sie werden ihn sonst strafen.“102 Diese kleine Episode weist auf die Widerstände, mit denen sich der Berufsstand konfrontiert sah, auch wenn es darum ging, die Seiten zu wechseln. Jobin jedenfalls verlor nie sein Interesse an der bildenden Kunst, das beweist der klare thematische Schwerpunkt in seinem Programm, und beteilgte sich auch später noch zuweilen an der Herstellung der Bildstöcke.103
Kühlmann: Johann Fischart. In: Deutsche Dichter der frühen Neuzeit (1450–1600). Ihr Leben und Werk. Hg. von Stephan Füssel. Berlin 1993, S. 589–612; Ulrich Seelbach: Art. ‚Fischart, Johann‘. In: 2Killy 3 (2008), Sp. 449–453. 100 Alle handschriftlichen Zeugnisse Fischarts versammelt Christian Hoffmann: Bücher und Autographen von Johann Fischart. In: Daphnis. Zeitschrift für Mittlere Deutsche Literatur und Kultur der Frühen Neuzeit (1400–1750) 25 (1996), S. 489–579. 101 Vgl. Theodosius Rihel: Ratsbeschwerde vom 5. Dezember 1571; Zunftgericht: Antwort vom 12. März 1572; Theodosius Rihel: Begründung der Beschwerde vom 9. Juni 1572. In: Wilhelm Stieda: Zur Geschichte des Straßburger Buchdrucks und Buchhandels. O. O. 1879, S. 96–106. 102 Vgl. ebd., S. 104. Zur Druckerfamilie Rihel vgl. Brockstieger, Hon: Deutsche Sprache. 103 Vgl. Reske: Buchdrucker, S. 894.
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Auch die spezielle konfessionelle Faktur der Reichsstadt Straßburg musste zu Problemen, aber auch Chancen, im Publikationswesen führen. Der evangelische Rat stand dem katholischen Bischof gegenüber, während sich das Domkapitel in den letzten Jahrzehnten des sechzehnten Jahrhunderts zumeist gespalten zeigte. Die wechselnden Allianzen führten regelmäßig zu Auseinandersetzungen, förderten aber auch die Entwicklung von Strategien zur Koexistenz.104 Einerseits griffen also immer wieder Zensurmaßnahmen, andererseits blühte der protestantische Theologica-Druck.105 Im Falle der bei Jobin gedruckten, der katholischen Perspektive kritiklos verpflichteten Papstportraitserie Accuratae Effigies (1573) lässt sich dieses dynamische Ineinander gut beobachten.106 Auch Fischart war zuweilen von der Zensur bedroht, so im Falle des Einblattdrucks mit seiner Ausdeutung der Tierbilder im Münster.107 Gemäß dem VD16 sind rund 250 Titel mit Jobin in der Drucker- und/oder Verlegerfunktion (ohne die Erben) nachweisbar, und auch nur diese sollen für die vorliegende Studie potentiell eine Rolle spielen.108 Bei einem knappen Drittel handelt es sich um lateinische Schriften, der Rest ist ausschließlich auf Deutsch oder zweisprachig verfasst. Die fast vollständige Absenz des Französischen muss überraschen,109 was allerdings ins Panorama der Straßburger Druckkultur im sechzehnten Jahrhundert passt: Während das Deutsche im Laufe des sechzehnten Jahrhunderts immer stärker in die Verlagsprogramme vordrang,110 fristeten Publi-
104 Vgl. im Überblick Francis Rapp: Strassburg. Hochstift und Freie Reichsstadt. In: Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500–1650. Bd. 5: Der Südwesten. Hg. von Anton Schindling, Walter Ziegler. Münster 1993, S. 73–95, besonders S. 86–91. Einen Überblick über das kulturelle wie konfessionelle Leben in Straßburg, allerdings mit einem Schwerpunkt in der ersten Jahrhunderthälfte, präsentiert Georges Livet, Francis Rapp (Hg.): Strasbourg au cœur religieux du XVIe siècle. Hommage à Lucien Febvre. Actes du Colloque international de Strasbourg (25–29 mai 1975). Straßburg 1977. Vgl. auch Miriam Usher Chrisman: Strasbourg and the Reform. A Study in the Process of Change. New Haven, London 1967. 105 Vgl. im Überblick Miriam Usher Chrisman: Polémique, bibles, doctrine. L’édition protestante à Strasbourg 1519–1599. In: Bulletin de la Société de l’Histoire du Protestantisme français 13 (1984), S. 319–343. 106 Vgl. Kap. 3.1.1. 107 Vgl. Ernst Rührmund: Fischart als Protestant. Anklam 1916, S. 32, 42. 108 Vgl. auch die 240 gezählten Titel bei Josef Benzing, Jean Muller: Bibliographie strasbourgeoise. Bibliographie des ouvrages imprimés à Strasbourg (Bas-Rhin) au XVIe siècle. 3 Bde. Baden-Baden 1981–1986 (Répertoire bibliographique des livres imprimés en France au seizième siècle 148. Bibliotheca Bibliographica Aureliana 80, 90, 105). 109 Eine französische Schrift ist darunter: Le reveille-matin (1574), eine calvinistische konfessi onspolemische Schrift, die dann von Fischart ins Deutsche übersetzt wurde, vgl. Kap. 2; Kap. 4.1.4. 110 Vgl. Brockstieger, Hon: Deutsche Sprache.
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kationen in den anderen Volkssprachen ein benachteiligtes Dasein. Auf Englisch, Spanisch oder Italienisch wurde eigentlich nur gedruckt, wenn eine Exulantengemeinde in Kooperation mit einem Drucker ein entsprechendes Engagement entwickelte, und auch das unmittelbar benachbarte Französisch fand hauptsächlich in Publikationen aus dem religiös-theologischen Bereich Eingang in den Straßburger Buchmarkt – nicht zuletzt aufgrund der ‚unheimlichen Nähe‘ der französischen Religionskriege.111 Die aktive Auseinandersetzung mit dem Deutschen in der Druckpraxis hatte Konsequenzen für die Sprachentwicklung, nicht nur in Straßburg, sondern generell im deutschsprachigen Raum. Trotz mancher Einwände im Detail herrscht in der Forschung Konsens darüber, dass die Drucker und ihre Korrektoren eine große Rolle bei der Entwicklung einer normierten deutschen Schriftsprache spielten.112 Dieser Prozess verlief natürlich nicht linear, die Druckpraxis changierte zwischen „Sprachausgleich“113 im Dienste überregionaler Kommunikation und der Betonung regionaler Besonderheiten, zwischen programmatischen Bemühungen und marktwirtschaftlichen Rücksichtnahmen.114 In dieser Situation, die nicht zuletzt ihre besondere Dynamik durch den regen Lutherbibel-Nachdruck erhielt, konkurrierten die verschiedenen Regiolekte oder „Typen von Druckersprachen“115 miteinander, fanden Mischungen statt, wurden landschaftliche Anpassungen vorgenommen oder zuweilen auch zurückgewiesen.116 Straßburg und das Elsass
111 Vgl. Sylvia Brockstieger: Bücher für Exulanten. Die europäischen Volkssprachen im Straßburger Buchdruck (ca. 1550–1600). In: Imprimeurs et libraires de la Renaissance: Le travail de la langue. Sprachpolitik der Drucker, Verleger und Buchhändler der Renaissance. Hg. von Elsa Kammerer, Jan-Dirk Müller. Genf 2015 (De lingua et linguis 1), S. 260 f., S. 265–270 und S. 555. 112 Zu den Einwänden und ihrer Entkräftung vgl. Frédéric Hartweg: Die Rolle des Buchdrucks für die frühneuhochdeutsche Sprachgeschichte. In: Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung. 2., vollst. neu bearb. und erw. Auflage. Bd. 2. Hg. von Werner Besch u. a. Berlin, New York 2000 (HSK 2.2), S. 1682–1705, hier S. 1686–1688; Frédéric Hartweg: Buchdruck und Druckersprachen der frühneuhochdeutschen Periode. In: Flugschriften als Massenmedium der Reformationszeit. Hg. von Hans-Joachim Köhler. Stuttgart 1981 (Spätmittelalter und Frühe Neuzeit 13), S. 43–64, hier S. 53 f. 113 Hartweg: Rolle, S. 1686. 114 Vgl. ebd., S. 1686–1691. 115 Hartweg: Buchdruck, S. 60. Hartweg unterscheidet zwischen einem „südöstlichen Typus“ (München, Wien, Ingolstadt), einem „schwäbischen“ (Tübingen u. a.), einem „oberrheinisch-alemannischen“ (Straßburg, Basel) und einem „innerschweizerischen“ (Bern, Zürich) (ebd., S. 60 f.). 116 Zur Praxis der Straßburger Luthernachdrucker vgl. Frédéric Hartweg: Aus der Druckpraxis der Luther-Nachdrucker in Straßburg. In: Luthers Sprachschaffen. Gesellschaftliche Grundlagen. Geschichtliche Wirkungen. Hg. von Joachim Schildt. Berlin 1984 (Akademie der Wissenschaften der DDR. Zentralinstitut für Sprachwissenschaft. Linguistische Studien. Reihe A: Arbeitsberichte 119/I), S. 178–189.
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nahmen hier trotz der intensiven literarischen Produktion eine „Randlage im Prozeß der Normenkonstituierung“117 ein und gehörten mittelfristig – gleichsam analog zur literaturgeschichtlichen Entwicklung – zu den sprachgeschichtlichen Verlierern. Dennoch trugen sie ihren Teil zu diesen schwer zu überblickenden Vorgängen bei. In der Offizin Jobin und bei Fischart kristallisierte sich eine alemannisch dominierte, womöglich am Konkurrenten Theodosius Rihel orientierte Orthographie heraus, die zuweilen Züge ins Westmitteldeutsche erkennen lässt.118 Simultan allerdings sprengen Fischarts exaltierte Sprachoperationen119 jedweden ‚Zug zur Standardisierung‘ und überschreiten so auch die systemischen Voraussetzungen der Druckkultur, in der er sich bewegt. Die Themen, über die Jobin drucken lässt, sind, eine Selbstverständlichkeit bei einer marktwirtschaftlich operierenden Institution, heterogen. Breites botanisches oder juridisches Fachschrifttum steht neben den zahlreichen Fischartiana, konfessionellen Streitschriften und Flugblättern sowie, und hier lässt sich eine gewisse Präferenz ablesen, Texten aus dem Bereich Musik und Kunst – Letzteres überrascht vor dem Hintergrund von Jobins beruflichem Werdegang als Formschneider kaum. Dass das Programm neben all den potentiellen Kontingenzen des Druckeralltags in der Tat von einem umfassenden kulturpatriotischen Inter esse überspannt wird, verdeutlicht die Druckermarke Jobins (vgl. Abb. 1): Sie zeigt die Büste des mythischen ersten Königs von Athen, Cecrops. Die Weisheit des Kulturstifters überdauert die Zeiten, selbst wenn die Akropolis, im Hintergrund zu sehen, in Trümmern liegt.120 Dementsprechend wird das Druckerzeichen oft auch
117 Frédéric Hartweg: Oberdeutsche, alemannische oder elsässische Schibboleths? Zur Frage der räumlichen Geltung von Besonderheiten der Straßburger Druckersprache. In: Stadtsprachenforschung unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse der Stadt Straßburg in Spätmittelalter und früher Neuzeit. Hg. von Gerhard Bauer. Göppingen 1988 (GAG 488), S. 401. Vgl. auch Frédéric Hartweg: Regionale Besonderheiten der frühneuhochdeutschen Lexik im Elsass. Probleme der regionalen Determination des Lexikons. In: Lexikographie der Dialekte. Beiträge zu Geschichte, Theorie und Praxis. Hg. von Hans Friebertshäuser. Tübingen 1986 (Reihe Germanistische Linguistik 59), S. 67–74, hier S. 69. 118 Vgl. Virgil Moser: Über Sprache und Orthographie Fischarts [1915]. In: Virgil Moser: Schriften zum Frühneuhochdeutschen. Hg. von Hugo Stopp. Bd. 2. Heidelberg 1982, S. 524–540, hier S. 533–540. Zur Druckersprache Theodosius Rihels vgl. Virgil Moser: Die Straßburger Druckersprache zur Zeit Fischarts (1570–1590). Grundlegung einer Fischart-Grammatik [1920]. In: Virgil Moser: Schriften zum Frühneuhochdeutschen. Hg. von Hugo Stopp. Bd. 2. Heidelberg 1982, S. 541–721, hier S. 651–720. 119 Vgl. Kap. 4.2. 120 Vgl. Howard W. Winger: Printers’ Marks and Devices. Chicago 1976, S. 70; Anja Wolkenhauer:
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von Jobins Wahlspruch „Sapientia Constans“ begleitet. Es setzt das Prinzip von der Präsenz einer uralten Vergangenheit ins Bild, das immer wieder in vielfältigen diskursiven und sprachlichen Schleifen, wie die folgenden Kapitel zeigen werden, umkreist wird. Weil es unmöglich ist, das gesamte Druckprogramm, selbst bei einer Beschränkung auf die deutschsprachigen Publikationen, nicht nur zu katalogisieren, sondern unter den oben entwickelten Fragestellungen und in den jeweiligen intertextuellen wie personellen Zusammenhängen zu analysieren, müssen notgedrungen sinnvolle Ausschnitte festgelegt werden. Und da nicht nur die Konstellation mit all ihren potentiell gleichberechtigten Autoren erfasst, sondern auch das Verständnis der zentralen Figur Fischarts aus ihrem ‚intellektuellen‘ Kontext heraus gefördert werden soll, folgt die Studie im Sinne dieser Pendelbewegung einem Dreischritt: In einem ersten Kapitel werden die oben angerissenen diskurshistorischen Zusammenhänge skizziert und dabei die Ebenen identifiziert, auf denen sich patriotisches Denken in Jobins Offizin abspielt. Zugleich werden Gattungen und textuelle Reflexionsräume vorgestellt, die hierfür geeignete Plattformen bieten. Ein zweites Kapitel widmet sich in einer großen Fallstudie einem ausgewählten ‚Kampfplatz‘ für den paragone der Kulturen, nämlich dem der Jobin auch persönlich sehr nahestehenden Portraitkunst und Emblematik: Hier treffen sich die Bemühungen verschiedener Autoren um eine elaborierte vernakulare Sprache und Bildkunst im Zeichen der aemulatio. In einem dritten Kapitel werden dann die Konzepte von imitatio und aemulatio selbst Gegenstand der Untersuchung, indem ihre literarische Präsenz und metapoetische Verbildlichung in Fischarts Schreiben – neben anderen Prinzipien der humanistischen Textherstellung – erörtert werden.
Zu schwer für Apoll. Die Antike in humanistischen Druckerzeichen des 16. Jahrhunderts. Einführung, Einzelstudien, Katalog. Wiesbaden 2002 (Wolfenbütteler Schriften zur Geschichte des Buchwesens 35), S. 70, 134. Vgl. zur Bedeutung der Druckerzeichen und ihrem Bezug zur Emblematik weiterhin Anja Wolkenhauer, Bernhard F. Scholz (Hg.): Typographorum Emblemata. The Printer’s Mark in the Context of Early Modern Culture. Berlin, New York 2018 (Schriftmedien. Kommunikations- und buchwissenschaftliche Perspektiven 4); Anja Wolkenhauer: Druckerzeichen und Embleme von Alciato bis Rollenhagen. In: Polyvalenz und Multifunktionalität der Emblematik – Multivalence and Multifunctionality of the Emblem. Akten des 5. Internationalen Kongresses der Society for Emblem Studies – Proceedings of the 5th International Conference of the Society for Emblem Studies. Hg. von Wolfgang Harms, Dietmar Peil. Frankfurt a. M., Berlin u. a. 2002 (Mikrokosmos. Beiträge zur Literaturwissenschaft und Bedeutungsforschung 65), S. 845–866.
2 Von deutscher Nation, Sprache und Poesie: Reflexionsebenen und Reflexionsformen Die den Begriffen von natio und patria und den Konzepten von Nationalismus und Patriotismus im Zeitalter des Humanismus inhärente Agonalität hat Caspar Hirschi in seiner großen Studie zum Wettkampf der Nationen umfangreich aus mittelalterlichen1 und antiken Bezügen herausgearbeitet.2 Die patria der römischen Antike, changierend zwischen Herkunftsort und Stadt bzw. Reich Rom, wurde „im Mittelalter auf die europäischen Monarchien und etwas später auf die italienischen Stadtstaaten, deutschen Reichsstädte und Territorien übertragen“3. In diesem Sinne muss für das fünfzehnte und sechzehnte Jahrhundert zwischen mehreren ‚Patriotismen‘ unterschieden werden, die sich auf verschiedene Entitäten beziehen konnten. Während einerseits beispielsweise das mittelalterlichmonarchistische Konzept Lupolds von Bebenburg weiter rezipiert wurde, der Vaterland anhand sprachlicher und juridischer Faktoren bestimmte und auf die Instanz des Königtums hin zuspitzte,4 trat im deutschen Humanismus die Idee der Blutsverwandtschaft in die Debatten ein.5 Außerdem wurden die stark städtisch geprägten Vaterlandskonzeptionen der italienischen Humanisten auf den deutschen Raum übertragen,6 was zu einem emphatischen auf die Heimatstadt bezogenen Patriotismus, zum Beispiel eines Konrad Peutinger oder Jakob Wimpfeling, führte.7 Wimpfeling ist für den vorliegenden Zusammenhang insofern von besonderer Bedeutung, als sich seine Vaterlandskonzeption zwischen drei Aspekten entfal-
1 Vgl. zu den mittelalterlichen Voraussetzungen grundlegend Joachim Ehlers: Mittelalterliche Voraussetzungen für nationale Identität in der Neuzeit. In: Nationale und kulturelle Identität. Studien zur Entwicklung des kollektiven Bewußtseins in der Neuzeit. Hg. von Bernhard Giesen. Frankfurt a. M. 1993 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft 940), S. 77–99. 2 Vgl. Hirschi: Wettkampf. Vgl. auch grundlegend Alexander Schmidt. Vaterlandsliebe und Religionskonflikt. Politische Diskurse im Alten Reich (1555–1648). Leiden, Boston 2007 (Studies in Medieval and Reformation Traditions 126). 3 Hirschi: Wettkampf, S. 42. 4 Zu einer differenzierten Diskussion vgl. ebd., S. 106. 5 Vgl. ebd., S. 108. 6 Vgl. zu den Voraussetzungen dieser Transferbewegung Kathrin Mayer, Herfried Münkler: Die Erfindung der italienischen Nation in den Schriften der Humanisten. In: Nationenbildung. Die Nationalisierung Europas im Diskurs humanistischer Intellektueller. Italien und Deutschland. Hg. von Herfried Münkler, Hans Grünberger, Kathrin Mayer. Berlin 1998 (Politische Ideen 8), S. 75–162. 7 Vgl. Hirschi: Wettkampf, S. 109 f. http://doi.org.de/10.1515/9783110613131-002
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tet: der Heimatstadt Schlettstadt, der Region des Elsass – für die er eine gemeinsame Stammesidentität konturiert – und der Nation Germania.8 Die Koppelung der pluralen Vaterlandskonzeptionen an eine übergeordnete Vorstellung von Nation sieht Hirschi als konstitutiv für den Humanismus an; ihre Quelle erkennt er in der Politisierung des eigentlich aus dem universitären Kontext herstammenden natio-Begriffes während des Konstanzer Konzils im Sinne einer „nationalen Wettkampfrhetorik“9. In der Folgezeit schälte sich das von der Adelskultur herrührende Konzept der Nation als „Ehrgemeinschaft“ heraus,10 die ihren Status im Kampf gegen die anderen europäischen Nationen zu verteidigen hatte. Zugleich begann der Nationenbegriff mit den skizzierten Patriotismusvorstellungen die unterschiedlichsten Wahlverwandtschaften einzugehen, und auch die zugrundeliegende Reichskonzeption war keine einheitliche11 – die Bedeutung des Reichspatriotismus für die Entwicklung des Nationenbegriffs ist unter Frühneuzeithistorikern intensiv diskutiert worden; von einem solchen Konnex auszugehen, ist aber mittlerweile Konsens.12 Die Argumente, die in den Agon der Nationen eingespeist wurden, folgten keineswegs einem kohärenten Programm. Während beispielweise Konrad Celtis die Deutschen für durchaus ungehobelt hielt und daraus ein Erziehungsprojekt für die Eliten ableitete,13 sahen andere in Deutschland ein Kernland der Zivilisation, beispielsweise – in der Wendung vom Antibarbaries- hin zum Anti-
8 Vgl. ebd., S. 108–112. Zum Indigenitätsproblem u. a. bei Wimpfeling vgl. Herfried Münkler, Hans Grünberger: Nationale Identität im Diskurs der Humanisten. In: Nationales Bewußtsein und kollektive Identität. Studien zur Entwicklung des kollektiven Bewußtseins in der Neuzeit 2. Hg. von Helmut Berding. Frankfurt a. M. 1994, S. 211–248, hier besonders S. 225–241. 9 Ebd., S. 135 bzw. S. 135–143. 10 Vgl. Sittig: Kulturelle Konkurrenzen. 11 Vgl. Thomas Maissen: Die Eidgenossen und die deutsche Nation in der Frühen Neuzeit. In: Die deutsche Nation im frühneuzeitlichen Europa. Politische Ordnung und kulturelle Identität? Hg. von Georg Schmidt. München 2010 (Schriften des Historischen Kollegs 80), S. 97–128, hier S. 99; Otto Dann: Die Eidgenossen und die deutsche Nation in der Frühen Neuzeit. In: Die deutsche Nation im frühneuzeitlichen Europa. Politische Ordnung und kulturelle Identität? Hg. von Georg Schmidt. München 2010 (Schriften des Historischen Kollegs 80), S. 97–128, allerdings mit einem deutlichen Schwerpunkt auf dem achtzehnten Jahrhundert. 12 Vgl. die Skizze der Debatte bei Luise Schorn-Schütte: Politica christiana: eine konfessionelle oder christliche Grundordnung für die deutsche Nation? In: Die deutsche Nation im frühneuzeitlichen Europa. Politische Ordnung und kulturelle Identität? Hg. von Georg Schmidt. München 2010 (Schriften des Historischen Kollegs 80), S. 245–264, hier S. 245 f. 13 Vgl. Hirschi: Wettkampf, S. 303–310. Vgl. zu Celtis grundlegend Jörg Robert: Konrad Celtis und das Projekt der deutschen Dichtung. Studien zur humanistischen Konstitution von Poetik, Philosophie, Nation und Ich. Tübingen 2003 (Frühe Neuzeit 76).
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romanitas-Diskurs – Heinrich Bebel in den Proverbia Germanica (1508).14 In der Frontstellung gegenüber der Dominanz Italiens und auch Frankreichs gewann die Imagination einer autochthonen deutschen, germanischen Vergangenheit und damit die Rezeption der taciteischen Germania eine enorme Bedeutung. Die Idee von der Eigenständigkeit deutscher Geschichte – bei gleichzeitiger Ableitung dieser Tatsache aus einem antiken Dokument – und deutscher Herrschaft trat damit in Konkurrenz zu alternativen Konzeptionen wie dem Trojanermythos, also der Vorstellung, dass die Franken direkt von den Trojanern abstammten und dass damit die translatio imperii zusätzlich legitimiert sei.15 Mit der historisch untermauerten Würde der eigenen Nation ging zugleich der Auftrag einher, diese stets im Wettkampf der Völker unter Beweis zu stellen, zu verteidigen und zu fördern. Ein wichtiges Feld war hierbei das der Sittenlehre, deren Diskursivierung in der Politik unter dem Schlagwort der disciplina morum geleistet wurde, ein obrigkeitlicher Aufgabenbereich, der seit dem späten fünfzehnten Jahrhundert zunehmend in Richtung der Städte und Territorien diffundierte.16 Dementsprechend gehörte die Diagnose wie Förderung der Sittenkultur neben der Religion, den freien Künsten, den mechanischen Künsten, wie beispielsweise ganz prominent der Buchdruckerei, und der Frage nach „Herrschaft und Territorium“ zu den „Wettkampfterrain[s]“17 des deutschen Humanismus, auf denen er die Herausforderungen des Auslands kämpferisch parierte. Der Versuch, auf diesen diskursiven Feldern die Konkurrenz mittels bestimmter Argumentationsstrategien zu übertreffen, ist mit der Vorstellung von aemulatio als kultureller Überbietungsstrategie, ja als eines „übergreifenden, kulturellen Dispositivs“18, in Einklang zu bringen. Auch in den Veröffentlichungen der Offizin Jobin im Allgemeinen und Johann Fischarts im Besonderen lassen sich die beschriebenen Ebenen des humanistischen National- und Patriotismusdiskurses wiedererkennen, allerdings nicht in programmatischer Geschlossenheit, sondern in verschiedenster, durchaus nicht widerspruchsloser Ausprägung in den unterschiedlichsten Gattungen und Reflexionsformen. Die politische Selbstvergewisserung in der Reichsgeschichte, in der Reichsstadt Straßburg und in der Region des Elsass spielt ebenso eine Rolle wie die konfessionell geprägte Positionierung im Feld der europäischen Großkonflikte, namentlich der Religions-
14 Vgl. Hirschi: Wettkampf, S. 312 f. Zu Bebel vgl. auch Albrecht Schirrmeister: Nationale Autound Heterostereotypen um 1500 – Frankreich und Deutschland in den Schriften Heinrich Bebels. In: Recherches germaniques 25 (1995), S. 13–41. 15 Vgl. Hirschi: Wettkampf, S. 97 f. 16 Vgl. ebd., S. 321 f. 17 Hirschi: Wettkampf, S. 270–296. 18 Müller: Die Frühe Neuzeit, S. 37.
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kriege in Frankreich und den Niederlanden, sowie die protestantisch gefärbte Förderung der Sitten auf den ‚niederigeren Ebenen‘ der städtischen Gemeinschaft und der Familie. Die konfessionell imprägnierte Sittenlehre fungiert gleichsam als Klammer zwischen den diskursiven Ebenen, was ebenfalls mit den Konzepten von imitatio und aemulatio kompatibel ist: In der frühneuzeitlichen Nachahmung und Überbietung rhetorischer und literarischer Formen sowie – so ließe sich im Sinne dieser Studie erweitern – kultureller Formationen ist immer das moralische Element mitgedacht: Pflege der Sprache (und Kultur) sowie Pflege der Sitten sind untrennbar miteinander verbunden. Dass sich das humanistische Projekt einer elaborierten deutschen Nation mit dem der Förderung der deutschen Sprache verband, kristallisierte sich erst langsam im Laufe des sechzehnten Jahrhunderts heraus.19 Diese Tendenz ist in Jobins Offizin insofern in verdichteter Weise anzutreffen, als ein Großteil ihrer Drucke nicht nur an den oben skizzierten Diskursen partizipieren, sondern in vielen Fällen – und dies ist den für die folgenden Überlegungen ausgewählten Textzeugen gemein – entweder gleichsam hinter ihren politischen Aussagen Räume des literarischen bzw. poetischen Experiments eröffnen oder sprachliche, poetische und politische Denkfiguren parallelführen.
2.1 Imaginationen der Vergangenheit: Reich, Reichsstadt und Region zwischen politischen, sprachlichen und poetischen Genealogien Sprachtheoretische, poetologische und politische Reflexion kreuzen sich in besonderer Weise immer dann, wenn die Texte aus der Jobin’schen Konstellation Vergangenheit in Form genealogischer Entwürfe zu fassen suchen. Diese reflektieren bestimmte Modi des Sozialen und weisen ihnen ihren jeweiligen Ort in der Geschichte zu. Die germanische Stammesgeschichte erweist sich hierbei als besonders anpassungsfähig. Einerseits dient sie, wie im Folgenden zu zeigen sein wird, der Etablierung eines nationalen Ehrenkodex, der Verknüpfung von Volk und Reich in der Nation sowie der Rechtfertigung einer anspruchsvollen gemeinsamen Sprache, des Deutschen. Andererseits dient sie auch der Selbstvergewisserung einer ganzen Region, nämlich des Oberrheins bzw. des Elsass, und der Herausbildung einer spezifisch städtischen Identität, die sich nicht in der Tatsache der Reichsunmittelbarkeit erschöpft.
19 Vgl. die Einleitung, Kap. 1.2.
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2.1.1 Autochthone Begründung von Reich, Volk und Sprache (Historiographie, Sprachgeschichte) Ein prominentes Zeugnis für die Verrechnung von (römisch-)deutscher Reichsgeschichte und germanischer Völkergeschichte sind die im Jahre 1573, also lange vor seinem berühmten Emblembuch Emblematum Tyrocinia (1581)20 gedruckten lateinischen Eikones cum brevissimis descriptionibus duodecim primorum […] veteris Germaniae Heroum des Mathias Holtzwart,21 eine Bildnisserie mit den Darstellungen der mythischen zwölf ersten deutschen Könige. Jede Darstellung eines germanischen Ahnen wird dabei von einem lateinischen Begleitgedicht in Hexametern flankiert. Holtzwarts Quelle ist die 1543 in Nürnberg aus Anlass des Nürnberger Türken-Reichstags bei Hans Guldenmund gedruckte Schrift Ursprung vnd Herkummen der zwlff ersten alten Knig vnd Fürsten Deutscher Nation des Burkard Waldis, die wiederum auf der einflussreichen Berosus-Fälschung des Annius von Viterbo (Giovanni Nanni) basiert, die die Abstammung der Germanen von Noah behauptet, die durch „[d]ie Rückdatierung der Nation noch vor die Trojaner- und Alexandersagen […] die römische Welt vollständig [umgeht]“22 und sich bei deutschen Humanisten als „Ersatzantikenbezug“23 großer Beliebtheit erfreute.24 Das historische Konstrukt funktioniert folgendermaßen:
20 Vgl. Kap. 3.2.2. 21 Vgl. zu Biographie und Werk Johannes Klaus Kipf, Frédéric Hartweg: Art. ‚Holtzwart, Mathias‘. In: VL16 3 (2014). https://doi.org/10.1515/vdbo.vl16.0212 (Verfasserdatenbank); Wilhelm Kühlmann, Walter E. Schäfer: Art. ‚Holtzwart, Mathias‘. In: 2Killy 5 (2009). https://doi.org/10.1515/ vdbo.killy.2784 (Verfasserdatenbank). 22 Tobias Bulang: Ursprachen und Sprachverwandtschaft in Johann Fischarts Geschichtklitterung. In: GRM. N. F. 56 (2006), S. 127–149, hier S. 132. 23 Jörn Garber: Trojaner – Römer – Franken – Deutsche. Nationale Abstammungstheorien im Vorfeld der Nationalstaatsbildung. In: Nation und Literatur im Europa der Frühen Neuzeit. Akten des ersten Osnabrücker Kongresses zur Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit. Hg. von Klaus Garber. Tübingen 1989 (Frühe Neuzeit 1), S. 210–233, hier S. 162. Vgl. auch Bulang: Ursprachen, S. 132. 24 Giovanni Nannis Schrift Commentaria super opera diversorum auctorum de antiquitatibus loquentium (1498) geriet schnell in den Ruch, eine Fälschung zu sein, und tatsächlich wurde der Verfasser bald von Beatus Rhenanus überführt. Dennoch blieb das Interesse an Nannis Konzept ungebrochen, vgl. Bulang: Ursprachen, S. 132. Vgl. zur Rezeption Nannis u. a. bei Heinrich Bebel, Andreas Althamer, Sebastian Münster und Burkard Waldis Herfried Münkler, Hans Grünberger: Origo et Vetustas. Herkunft und Alter als Topoi nationaler Identität. In: Nationenbildung. Die Nationalisierung Europas im Diskurs humanistischer Intellektueller. Italien und Deutschland. Hg. von Herfried Münkler, Hans Grünberger, Kathrin Mayer. Berlin 1998 (Politische Ideen 8), S. 235–262, hier S. 249–262.
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Ascenas den man nennet Tuiscon Derselbig war des Gomers son Den Japhet nach der Sindtflut gbar Wie solchs die schrifft bezeuget klar Als Nymbrot Babylon nam eyn.25
Waldis nimmt jedoch in Nannis Reihung der germanischen Stammväter eine Änderung vor: Er ersetzt die letzten drei Figuren bei Nanni – Hunnus, Herkules und Theutanes – durch Ariovist, Arminius und Karl den Großen. So dehnt er die Zeit, schafft er beinahe den Anschluss an die Gegenwart und lässt er durch die Referenz auf die antiken Stammesfürsten und den ersten mittelalterlichen Kaiser Karl die Vorstellung der translatio imperii zwar durchscheinen, aber zugleich wieder verschwinden, indem er sie durch die Indigenitäts- und Kontinuitätsbehauptung überschreibt.26 Die Kehrseite dieser antirömischen Geste nach außen ist der politische Fingerzeig nach innen, koppelt Waldis doch durch seinen geschickten Trick das Kaisertum an die Völkergeschichte.27 Damit begründet er die politische Symbiose von Volk und Kaiser in der Institution der Königswahl durch die „Churfrsten vnd Stenden des Reichs/ auch mit verwilligung aller Deutschen Oberherrn/ vnd alles volcks“28, leitet er also ein Kernprinzip der Reichsverfassung aus der nationalen Geschichte her. Die aktuelle Relevanz dieses Geschichtskonstrukts wird umso augenfälliger, als die Schrift auch gegen „[d]es Türcken Tyranney“29 gerichtet ist, also nicht nur den Kaiser (Karl V.) an seine Pflichten gegenüber dem Reich gemahnt,30 sondern auch die „Deutschen“ an ihre „ehr vnd
25 Burkard Waldis: Ursprung vnd Herkummen der der zwlff ersten alten Knig vnd Fürsten Deutscher Nation […]. Nürnberg: Hans Guldenmund d. Ä. 1543, fol. A3r. 26 Im angefügten, in Reimpaarversen verfassten „Lobspruch der alten Deutschen“ wird die translatio imperii en passant als Selbstverständlichkeit erwähnt, aber nicht weiter problematisiert, vgl. Waldis: Ursprung, fol. D2v. Damit steht Waldisʼ ‚Indigenitätskonzept‘ in scharfem Gegensatz zu beispielsweise den lateinischen Icones Imperatorum, von Jacob Micyllus und Kaspar Ursinus Velius auf der Basis von Ausonius erarbeitet und 1544 in Straßburg bei Krafft Müller gedruckt, wo die translatio imperii von den römischen Kaisern über die Könige der Völkerwanderungszeit bis zum Neuansatz bei Karl dem Großen explizit gemacht wird, vgl. Jacob Micyllus (Moltzer), Kaspar Ursinus Velius: Icones Imperatorum […]. Straßburg: Krafft Müller 1544, fol. H3v. 27 Vgl. auch Peter Hutter: Antike Cäsaren, germanische Stammväter und deutsch-römische Kaiser. Eine anonyme Bilderhandschrift von 1617/19. In: Die Kultur der Kleider. Zum hundertjährigen Bestehen der Lipperheideschen Kostümbibliothek. Hg. von Adelheid Rasche. Potsdam 1999, S. 37–48, hier S. 44. 28 Waldis: Ursprung, fol. A2r. 29 Ebd., fol. D3r. 30 Vgl. ebd., fol. A2r. Zum Reflexionspotential der Figur Karls des Großen in Bezug auf das Kaisertum Karls V. im sechzehnten Jahrhundert vgl. Bernd Möller: Karl der Große im 16. Jahrhundert.
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freyheyt“31. Der kulturelle Agon mit dem antiken dekadenten Rom, den Waldis in Anlehnung an Tacitus beschreibt,32 ist in der Gegenwart gleichsam ersetzt durch den Kampf gegen die Gefahr aus dem Osten. Die zwölf ersten deutschen Könige sollen in diesen schweren Zeiten zur Tugend anleiten, Exempel sein. Den didaktischen Aspekt greift Holtzwart in seinen Eikones auf, allerdings indem er ihn seiner situativen Einbettung in den zeithistorischen Moment, also seiner politischen Relevanz in Bezug auf die Geschäfte des Reichstags, entreißt. Holtzwart rahmt seine Königsreihe nun einerseits mit einem Holzschnitt Stimmers, der eine Germania-Allegorie in einer aus der Fortuna-Ikonographie bekannten Pose zeigt und der mit „Germania Domitrix Gentium“ überschrieben ist (vgl. Abb. 2a),33 andererseits mit einem Bild mit die Tugenden der „Fortitudo“ und „Fides“ verkörpernden Allegorien, die gemeinsam die „Virtus Germanica“34 konfigurieren (vgl. Abb. 2b). Außerdem ersetzt er alle Holzschnitte der zwölf Stammväter, die bei Waldis von Peter Flötner stammen, durch diejenigen Stimmers, die wiederum auf den Illustrationen aus Wolfgang Laziusʼ De gentium migrationibus (1557) sowie auf Arbeiten Jost Ammans basieren (vgl. Abb. 3).35 In seiner lateinischen Widmung an den aus einer elsässischen Adelsfamilie stammenden Burkhard Waldner von Freundstein beklagt sich Holtzwart über die Vernachlässigung der Germanen in den Schriften der Alten.36 Indem er nun die deutschen Reimpaarverse des Burkard Waldis durch lateinische Epigramme in Hexametern ersetzt, ja in seiner gesamten Publikation – also auch in der je versifizierten praefatio und peroratio – den Sprachwechsel vollzieht, schreibt er Waldisʼ Publikation in den humanistischen Nationaldiskurs ein. In seiner praefatio konkretisiert Holtzwart dieses Projekt. Er spielt auf seinen literarischen Erstling an, den 1568 beim Straßburger Drucker Josias Rihel publi-
In: Die Präsenz der Antike im Übergang vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit. Hg. von Ludger Grenzmann u. a. Göttingen 2004 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Philologisch-Historische Klasse. Dritte F. 263), S. 18–124. 31 Waldis: Ursprung, fol. D2r. 32 Ebd., fol. D3r. 33 Die Abbildungen 2a, 2b und 3 zeigen die identischen Holzschnitte aus der Ausgabe von 1581, von der unten noch die Rede sein wird. 34 Vgl. Mathias Holtzwart: Eikones Cum Brevissimis Descriptionibus Duodecim Primorum […] Heroum […]. [Straßburg: Bernhard Jobin] 1573, fol. B6v. 35 Allerdings entstanden wohl auch die Illustrationen zu Laziusʼ Völkergeschichte auf der Grundlage der Flötner-Holzschnitte, vgl. zur Entstehungsgeschichte Bulang: Enzyklopädische Dichtungen, S. 423 f.; Ilse O’Dell: „Tuiscon“ und „Gambrinus“ zwischen 1543 und 1585: Zur bildkünstlerischen Darstellung der „Zwölf ersten deutschen Könige“ von Peter Flötner bis zu Jost Amman. In: Zeitschrift für schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 50 (1993), S. 357–366. 36 Vgl. Holtzwart: Eikones, fol. A2r.
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zierten Lustgart Newer deuttscher Poëteri (1568),37 wenn er davon spricht, dass er sich in seiner Jugend an ‚deutschem Vers‘ und ‚teutonischem Rhythmus‘, also den gängigen ungeregelten, acht- bis neunsilbigen Reimpaarversen, probiert habe, um die Genealogie und die Taten der Heroen zu beschreiben – im Lustgart wird in der Tat der Dichter, eine Persona Holtzwarts, im Musengespräch in antike Mythologie sowie in württembergische Dynastie- und deutsche Reichsgeschichte eingeführt.38 Nun aber sollen das Latium, die Gallier, die Angeln und die Spanier sowie ‚unsere Männer jedweder Abstammung‘ über die ‚Vorfahren‘ in Kenntnis gesetzt werden, und zwar in einer ‚Sprache, die dem ganzen Erdkreis bekannt ist‘– dem Lateinischen: CUm quondam iuvenis Germano ludere versu, Theutonio et Rhithmo, subii monstrare genesin Clarorum heroum, et cantu perstringere gesta, Divum quos veteres olim cecinere poëtae: Nosceret ut patrius, lingua et cognosceret ista Quam nutrix docuit, fuerit quàm vana vetustas; Caeca Deos fecit sibi quae turpißima quaeque, Nunc contra et Latium prudens Gallosque severos, Atque Anglos vigiles, Hyspanos nitar alacres, Omnigenasque viros nostros docuisse priores, Lingua illa celebri toto quae innotuit orbi. Musa fave et plectro modulanti pulcher Apollo.39
Ich lese diese Passage, trotz der, mit Ausnahme der ‚strengen‘ Gallier, positiven Attribuierung der Nachbarvölker, im Sinne einer dezidierten Frontstellung gegen die anderen Nationen.40 Die Zuschreibung gewisser Nationalcharaktere fungiert als Unterscheidungsmarker und setzt den aus der kulturellen Differenz gespeisten Wettstreit poetisch um. Das ‚Wir‘ der ‚Männer jedweder Abstammung‘ ist auf die Binnendifferenzierung der Deutschen in Stämme bezogen: Sie sind einerseits durch die gemeinsame geneaologische Wurzel im „Tuiscon Pater Germanorum
37 Vgl. zum Lustgart und seinem intertextuellen Zusammenhang mit Holtzwarts Emblematum Tyrocinia Kap. 3.2.2. 38 So lernt der Autor beispielsweise die Gallogriechenthese kennen, vgl. Mathias Holtzwart: Lustgart Newer deuttscher Poëteri […]. Straßburg: Josias Rihel 1568, fol. 61v. 39 Holtzwart: Eikones, fol. A3r. Die pejorative, vermutlich auf die Tatsache einer heidnischen Antike bezogene Aussage über die „vana vetustas“, die der ‚Landsmann‘ ‚in der Sprache, die ihn seine Mutter lehrte‘, durch die poetische Arbeit kennenlernen sollte, muss überraschen, ist aber vermutlich topisch begründet. 40 Es werden ja keineswegs gemeinsame Vorfahren beschrieben, sondern nur die germanischen Ahnen.
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Omnium“41 verbunden, andererseits werden sie vom übergeordneten Konzept einer Nation zusammengehalten, in der sich das Verwandtschaftsprinzip mit der Instanz des Kaisertums verbindet – wie an den Insignien der Germania-Allegorie zu sehen ist (vgl. Abb. 2a). Allerdings denkt der weltumspannende Reichsgedanke die anderen Nationen als Teile des Reichs mit; mit der Konstruktion der Reichsvergangenheit als einer germanischen ist die Superiorität der Deutschen sowie ihr Anspruch auf das Kaisertum klar bewiesen. Holtzwarts Anliegen ist also ein mehrfaches: der Nachweis der Würde des deutschen Volkes sowie der seiner einzelnen Stämme über ihr biblisches Alter und die Unabhängigkeit von Rom; die Profilierung einer deutschen Nation im Ineinander von Reich, Volk und moralischer Kultur; zuletzt die Legitimierung des Führungsanspruches der Deutschen in Bezug auf das Kaisertum. Indem Holtzwart Waldisʼ Publikation latinisiert, kann er all diese Forderungen in den ‚inter-nationalen‘, agonalen Dialog einspeisen und sie an die anderen europäischen Diskursteilnehmer vermitteln. Die deutschen Kapitaltugenden der „Fides“ und „Fortitudo“, allegorisch ans Ende gestellt, sind neben der Publikation selbst die Waffen, mit denen der Kampf für den „hono[s]“42 der Germanen ausgefochten zu werden vermag. Die Arbeit der Offizin Jobin erschöpft sich allerdings nicht darin, den Anspruch der deutschen Nation lediglich in politischer Hinsicht zu formulieren. 1581 werden in den Anhang von Holtzwarts Emblematum Tyrocinia43 seine lateinischen Eikones mit Stimmers Holzschnitten aufgenommen, jedoch jeweils durch die deutschen Waldis-Verse ergänzt, über deren Qualität sich Holtzwart selbst bereits 1573 positiv – sie seien „eleganter“44 ausgestaltet – geäußert hatte. Die lateinische praefatio und peroratio, in denen Holtzwart das agonale Prinzip ausbuchstabiert hatte, entfallen. An ihre Stelle treten zu Beginn des Textes die gereimte „Ernstliche Ermanung an die lieben Teutschen“45 Johann Fischarts, in der er die Germania-Allegorie ausdeutet, sowie am Ende der Schrift die „Erklrung beyder hiefrgemalter Teutscher Tugenden“46, ebenfalls von Johann Fischart.
41 Vgl. Holtzwart: Eikones, fol. A4r. 42 Ebd., fol. B7r. 43 In die moderne Ausgabe von Holtzwarts Emblemen ist dieser Anhang – mit dem Titel Bildnussen oder Contrafacturen der XII. Ersten Alten Teutschen Knig – nicht aufgenommen, vgl. Mathias Holtzwart: Emblematum Tyrocinia [1581]. Mit einem Vorwort über Ursprung, Gebrauch und Nutz der Emblematen von Johann Fischart und 72 Holzschnitten von Tobias Stimmer. Hg. von Peter von Düffel, Klaus Schmidt. Stuttgart 1968. 44 Holtzwart: Eikones, fol. A1v. 45 Mathias Holtzwart: Emblematum Tyrocinia […]. Straßburg: Bernhard Jobin 1581, fol. L1r. 46 Ebd., fol. N4v.
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In seiner „Erklrung“ arbeitet Fischart solche Dimensionen des deutschen Nationalbewusstseins heraus, die in der Ausgabe von 1573 entweder fehlen oder lediglich anklingen. In einer kunstvollen chiastischen Formulierung setzt Fischart die Vorstellung von der Konvergenz der beiden deutschen Haupttugenden als Basis für die Freiheit in Sprache um: Bestndige Treuhertzigkeyt Vnd Treuhertzig Bestndigkeyt Wann die kommen zur Eynigkeyt/ So widerstehen sie allem Leyd: Daher vnser Vorfahren frei!47
Die historische Tatsache der Autonomie von Rom wird in ein Postulat an die Gegenwart umgemünzt, d. h. in den Aufruf, sich über die Ausbildung der Sitten die Unabhängigkeit von anderen Nationen zu erhalten – die Behauptungen der nationalen Eigenständigkeit und der autochthon fundierten politischen Faktur der Nation sind also nicht nur als Argumente im paragone der Nationen zu verstehen, sondern auch, indem sie das Moment der Freiheit in sich tragen, als den Agon motivierende und vorantreibende Kräfte zu deuten. Gleich im Anschluss an diese Passage bringt Fischart weitere, nicht unerhebliche Bestandteile des humanistischen National- und Patriotismusdiskurses zur Sprache, nämlich die Kategorie des „Land[s]/ welchs Gott hat verliehen“48 als identifikatorischer Basis sowie die des Landerwerbs, also der Expansion.49 Solche territorialen Aspekte klingen im deutschen und lateinischen Biogramm zu Tuiscon zwar an,50 waren aber bisher von Holtzwart in den Paratexten nicht ausformuliert worden: Durch Redliche Standhaffte Treu/ Schtzten [sie, Anm. S. B.] jr Freiheyt/ Land vnd Leut/ Ja weiterten jr Land auch weit […].51
Dieses Land gelte es zu verteidigen, und zwar im Zeichen deutscher ‚Frömmigkeit‘,52 also deutscher Tüchtigkeit und Tapferkeit.
47 Ebd. 48 Ebd. 49 Vgl. Hirschi: Wettkampf, S. 348. 50 Vgl. Holtzwart: Emblematum Tyrocinia 1581, fol. L2v. 51 Ebd., fol. N4v. 52 Die Passage lautet: Was nun euch Frommen Teutschen heut Die von so frommen Eltern seit
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Die positiv formulierte Didaxe, die Fischart in seiner Auslegung der Tugendallegorien unternimmt, ist in der „Ernstliche[n] Ermanung“, die auf die allegorische „Germania Domitrix Gentium“ bezogen ist, in eine umfassende Kulturkritik gewendet. Hier hält er seinen Landsleuten vor, dass an die Stelle der „Teutsch Standhafftigkeyt“ eine „Weibisch Leichtfertigkeyt“53 getreten sei. Über die heutige Germania heißt es: Ja jr gebürt für den Knigsstab/ Eyn Hltzin Roß/ welchs sie nur hab/ Vnd führe für den Adler Kün Eyn bundte Atzel nun forthin/ Vnd für den Weltapffel eyn Ball Den man schlgt/ wann er hupfft im fall: Weil heut doch schier keym ernst ist mehr Handzuhaben Freiheyt vnd Ehr […].54
Laus temporis acti und historische Selbstvergewisserung verbinden sich in der Gegenwartskritik zu einem didaktischen Projekt, das den Zustand der deutschen Sitten umfassend zu bessern gedenkt. Auch hier wird das Autonomie-Argument ins Spiel gebracht: Man solle sich auf den autochthonen, anhand der zwölf ersten deutschen Könige aufgezeigten deutschen Sittenkodex stützen und nicht auf die „fremde[n] Sitten/ Bruch vnd Neuheyt“55. Zum Zwecke der Kommunikation dieses Programms ‚nach innen‘ sind die Verse des Burkard Waldis auf Deutsch gesetzt. Die Tatsache der Zweisprachigkeit, also der Erhalt der lateinischen Epigramme, signalisiert, dass das paragonale Signal des Textes ‚nach außen‘ keineswegs aufgegeben ist und seine Funktion für die humanistische Debatte über den Vorrang einzelner Nationen immer noch eine wichtige Rolle spielt. In den Eikones von 1581, im Anhang der Emblematum Tyrocinia, verbinden sich also Reichsidee, Nationenkonzeption und causae scribendi der beiden Ausgaben von 1543 und 1573 zu einem umfassenden Programm der moralischen wie historisch-politischen Selbstvergewisserung, das wiederum, über seine Zweisprachigkeit, aktiv am humanistischen Nationaldiskurs zu partizipieren vermag. Zugleich setzt Fischart, beispielsweise über die Betonung der Bedeutung von Land und Boden, eigene Akzente. Über die buchstäbliche Rahmung der deut-
Auch nunmals will zuthun gebüren/ Solt jhr hiebei zu Gmüt kurz füren (ebd.). 53 Ebd., fol. L1v. 54 Ebd. 55 Ebd. Dieses Argument wird in der Übersetzung von Innocent Gentillets Anti-Machiavel wiederkehren, vgl. Kap. 2.2.
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schen Frühgeschichte durch die Sittenlehre sowie die kontinuierliche Abfolge von Holzschnitt und versifizierter Beischrift erzielen Fischart (und Holtzwart?)56 eine Quasi-Emblematisierung der Ahnenreihe, die im Zusammenhang mit den umfänglichen Bemühungen der Offizin gesehen werden muss, Status und Funktionen einer genuin deutschen und deutschsprachigen Emblematik aus verschiedensten Traditionszusammenhängen herauszufeilen.57 In diesem ‚laboratorischen‘ Sinne weisen die Eikones auch eine gewisse konzeptuelle Affinität zu den Portraitbüchern der Offizin Jobin auf,58 allerdings mit der großen Einschränkung, dass in den Eikones die rinascimentale Errungenschaft der Individualportraitkunst keinerlei Rolle spielt: In den Bildnissen wird über die Figuren ein deutsches Altertum imaginiert, so dass sie mit den naturgetreuen Abbildungen – nach der Sprachregelung der verae icones, accuratae effigies etc. – der berühmten Persönlichkeiten aus der jüngsten Vergangenheit nichts gemein haben. Zwei Zeitindices, relative Gegenwart und uralte Vergangenheit, vermögen aber in ähnlicher Weise und in textuell-piktorialer Mischform für die Sittenlehre fruchtbar gemacht zu werden und dabei die Autonomie der deutschen Kultur unter Beweis zu stellen. Über die Kopplung an Holtzwarts zweisprachiges Emblembuch und die Rahmung durch Fischarts Morallehre gewinnen die Eikones von 1581 literarischen Experimentcharakter, weisen sie also auf das Spiel mit den Kunstformen zwischen Text und Bild zum Zwecke des Gewinns von Erkenntnis und Wahrheit, wie es auch andernorts in der Offizin betrieben wird. Zugleich wird durch die historische Tiefe der zu vermittelnden Sitten, wie sie die Eikones vorführen, die deutsche Emblematik der Emblematum Tyrocinia auf der inhaltlichen Seite zusätzlich geadelt – für die formale Seite bemüht sich einerseits Fischart in der Vorrede zu den Emblematum Tyrocinia um den Nachweis des biblischen Alters der deutschen Emblem- und Bilderkunst, andererseits Holtzwart in der poetischen Praxis seiner deutschsprachigen subscriptiones um die Autonomie der deutschen Poesie.59 Doch auch die Eikones selbst enthalten, und dies nicht erst in der Ausgabe von 1581,60 Reflexionen auf Sprachgeschichte und Sprachtheorie. Die Biographie
56 Holtzwart tritt in den zweisprachigen Eikones von 1581 in den Paratexten nicht mehr auf. Es ist davon auszugehen, dass die konzeptionelle Kopplung der Eikones an Holtzwarts Emblembuch sowie die zweisprachige Anlage auf Fischart und wohl auch auf Jobin zurückgehen. 57 Vgl. Kap. 3. Zu Holtzwarts Emblembuch besonders Kap. 3.2.2. 58 Vgl. Kap. 3.1.1. 59 Vgl. hierzu ausführlich Kap. 3.2.2. 60 Im Folgenden wird nach der zweisprachigen Ausgabe von 1581 im Anhang von Holtzwarts Emblembuch zitiert, deren lateinische Bestandteile identisch mit denjenigen der Ausgabe von 1573 sind und deren deutsche Texte direkt aus der Waldis-Ausgabe (1543) übernommen worden sind.
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des Tuiscon bzw. Ascenas formuliert die Geburt des Deutschen aus der babylonischen Sprachverwirrung: Da das Gebu ward auffgefürt/ Vnd die Sprachen daselbst verwirrt/ Blib bei Tuiscon die Teutsche Sprach Vnd bei seinem Geschlecht hernach/ Vom Vatter Noha gfertigt ab/ Der jm auch disen Ort eingab Mit allen die von seinem Stam Das Teutsche Land zum erst einnam/ Daselb ein Regiment begundt/ Das Volck sich mehrt von tag zu stund Ward verbreytet inn alle Ort Nach dem Segen vnd Gottes Wort/ Von dem wir vns all Teutschen nennen/ Für vnsern Herrn vnd Vatter kennen.61
Im Zeitalter der ‚Entdeckung Babels‘,62 als sich die Ursprachentheoretiker zunehmend vom Hebräischen als erster Sprache zwischen Gott und den Menschen entfernen und verstärkt Erklärungsmodi für Genese und Status der Vernakularsprachen zu entwickeln haben,63 wird in kritisch-modifizierender Auseinandersetzung mit Tacitus das Germanentum auch über die Sprachreflexion ‚ent-barbarisiert‘.64 Waldis und Holtzwart verknüpfen hier zudem die Idee vom biblischen Alter der Germanen und ihrer Sprache mit der Vorstellung von Landerwerb und Expansion und speisen so ‚durch die Hintertür‘ den Reichsgedanken in das Nationenkonzept mit ein. Mit der klaren Referenz auf Wolfgang Lazius und dessen Völkergeschichte (vgl. Abb. 3) sind die Eikones untrennbar mit Fischarts eigenen sprachtheoretischen Studien verknüpft,65 die einerseits in seiner Auseinandersetzung mit den
61 Holtzwart: Emblematum Tyrocinia 1581, fol. M3v. 62 Zum Schlagwort ‚Entdeckung Babels‘ als Charakteristikum eines ganzen Zeitalters, nämlich der Renaissance, vgl. Bulang: Enzyklopädische Dichtungen, S. 395 nach John R. Firth: The Tongues of Men and Speech. Oxford 1964, S. 53–61. Vgl. grundlegend auch Arno Borst: Der Turmbau zu Babel. Geschichte der Meinungen über Ursprung und Vielfalt der Sprachen und Völker. Stuttgart 1963. 63 Vgl. Bulang: Enzyklopädische Dichtungen, S. 198 f. 64 Vgl. ebd., S. 399 f. 65 Die äußerst komplexe und facettenreiche Diskussion um Sprachgeschichte und Ursprachentheorien im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert kann im Folgenden lediglich kurz und auf das Einzelbeispiel bezogen umrissen werden, vgl. den Überblick bei Gerhard F. Strasser: Von der
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sprachhistorischen Entwürfen von Lazius und Johannes Goropius Becanus bestehen, sich andererseits in der Beschäftigung mit alchemisch-hermetischen Sprachkonzepten niederschlagen, namentlich in den zusammen mit Michael Toxites herausgegebenen Onomastica II (1574) und in Fischarts Vorrede zum Correctorium Alchymiae. Sie werden im Folgenden lediglich skizzierend und besonders in Hinblick auf genealogische Denkfiguren zusammengestellt, da hierzu jüngere und umfassende Arbeiten von Tobias Bulang vorliegen.66 Lazius vertritt in seiner völkerkundlichen Schrift De gentium migratione (1551) die Ansicht, dass es sich beim Deutschen um eine Mischsprache handle, die auf der Basis eines ‚Ur-Deutsch‘ – der gemeinsamen Sprache der Teutonen und Gallier – entstanden sei und im Laufe der Zeit Entlehnungen aus dem Griechischen und dem Lateinischen aufgenommen habe.67 In seiner lediglich handschriftlich überlieferten Übersetzung68 von Teilen des dritten Kapitels, in dem die sogenannte Gallogriechenthese entfaltet wird, wendet sich Fischart mittels kommentierender Randglossen gegen dieses Konzept und erklärt die lexikalischen Ähnlichkeiten mit Sprachverwandtschaft, seien doch die deutsche, griechische und lateinische Sprache „von ainer ainigen sprach in vil […] getrennt worden.“69 Damit stellt Fischart das Deutsche auf eine Stufe mit den klassischen Sprachen und behauptet zugleich seine Unabhängigkeit. Ja, in seiner Übersetzung der latei-
Lingua Adamica zur Lingua universalis. Theorien über Ursprachen und Universalsprachen in der Frühen Neuzeit. In: Diskurse der Gelehrtenkultur in der Frühen Neuzeit. Ein Handbuch. Hg. von Herbert Jaumann. Berlin 2011, S. 517–592. 66 Vgl. Bulang: Enzyklopädische Dichtungen, S. 403–414 und 439–466; Bulang: Ursprachen; Tobias Bulang: Literarische Produktivität – Probleme ihrer Begründung am Beispiel Johann Fischarts. In: Konzepte von Produktivität im Wandel vom Mittelalter in die Frühe Neuzeit. Hg. von Corinna Laude, Gilbert Heß. Berlin 2008, S. 89–118; Tobias Bulang: Zur poetischen Funktionalisierung hermetischen Wissens in Fischarts Geschichtklitterung. In: Erzählen und Episteme. Literatur im 16. Jahrhundert. Hg. von Beate Kellner, Jan-Dirk Müller, Peter Strohschneider. Berlin, New York 2011 (Frühe Neuzeit 136), S. 41–67. 67 Vgl. zusammenfassend Bulang: Enzyklopädische Dichtungen, S. 403 f. 68 Ein Teil findet sich – als Probedruck – ediert bei Ulrich Seelbach: Alternativen der Textkonstitution bei der Edition der Werke Fischarts. In: Textkonstitution bei mündlicher und schriftlicher Überlieferung. Basler Editoren-Kolloquium 1990. Autor- und werkbezogene Referate. Hg. von Martin Stern. Tübingen 1991 (Beihefte zur editio 1), S. 15–34, hier S. 31. Vgl. auch die Edition von Wilhelm Crecelius: Johann Fischarts Übersetzung von W. Lazius ‚Über die Wanderungen der Völker‘ [o. D.]. Nach den Wolfenbütteler Bruchstücken hg. von Wilhelm Crecelius. In: Alemannia. Zeitschrift für Sprache, Litteratur und Volkskunde des Elsasses und Oberrheins 1 (1873), S. 113–336. Auszüge finden sich auch bei Adolf Hauffen: Einleitung. In: Johann Fischarts Werke. Hg. von Adolf Hauffen. 3 Bde. Stuttgart 1893–1895 (Deutsche National-Litteratur 18), hier Bd. 1, S. I–LXXXIII, hier S. LXVI–LXVII. 69 Fischart: Übersetzung von W. Lazius, S. 124.
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nischen und griechischen Lehnwortlisten lassen sich sogar Tendenzen feststellen, dass er das Deutsche früher als das Griechische anzusetzen versucht.70 Diese Korrektur der Sprachgeschichte des Lazius ist umgesetzt in den Eikones, in denen vom biblischen Alter nicht einer frühen Sprachstufe, sondern des Deutschen an sich die Rede ist. In dieser Sicht bestätigt sah sich Fischart, als er sich den Werken von Goropius Becanus zuwandte. Seine Marginalglossen zu seinem Handexemplar der Opera Goropi Becani sind heute verloren, doch sind sie teilweise von den Fischart-Forschern des neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts transkribiert und so konserviert worden.71 Bei Goropius Becanus findet sich die Überzeugung, dass das Deutsche bereits zu Noahs Zeiten existiert, ja die vorsintflutliche Allgemeinsprache dargestellt habe. Goropius Becanusʼ Präferenz für das Niederdeutsche in diesem Zusammenhang stellt Fischart jedoch in seinen Bemerkungen das Alemannische seiner eigenen Region entgegen, das so zur gemeinsamen Ursprache aller Völker aufsteigt.72 Fischart experimentiert also mit den widersprüchlichen Theorieangeboten zur Genealogie der deutschen Sprache und entwickelt hierbei keineswegs ein kohärentes eigenes Modell. Er konfrontiert die Debattenbruchstücke von Lazius und Goropius Becanus mit seinen Autonomieansprüchen in Bezug auf das Deutsche und lässt sogar, mit der Betonung des Alters des Alemannischen, einen gewissen Regionalpatriotismus durchscheinen – ein Zeichen dafür, dass das, was unter ‚dem Deutschen‘ zu verstehen sei, auch am Ende des sechzehnten Jahrhunderts noch lange nicht fertig ausgehandelt ist.73 Diese konzeptuelle Offenheit Fischarts ist auch im Falle seiner Auseinandersetzung mit alchemischen Sprachkonzepten zu beobachten:74 Die Offizin Jobin partizipiert mit einigen Drucken am Paracelsismus-Diskurs, den mit ihm verbundenen Sprachkonzeptionen und -diskussionen sowie lexikographischen Praktiken.75
70 Vgl. hierzu die ausführliche Herleitung bei Bulang: Enzyklopädische Dichtungen, S. 405 f. 71 Transkriptionen in: Adolf Hauffen: Über die Bibliothek Johann Fischarts. In: Zeitschrift für Bücherfreunde 2 (1898), Teil 1, S. 18, 21–32, hier S. 24, 26, 28 f.; Johannes Ficker, Otto Winkelmann: Handschriftenproben des 16. Jahrhunderts nach Straßburger Originalen. Bd. 2: Zur geistigen Geschichte. Straßburg 1905, S. 95; Johannes Ficker, Otto Winkelmann: Handschriftenproben des 16. Jahrhunderts nach Straßburger Originalen. Kleine Ausgabe. Straßburg 1906, S. 33. 72 Vgl. Hauffen: Über die Bibliothek, S. 2, 26, 28; Ficker, Winkelmann: Handschriftenproben des 16. Jahrhunderts nach Straßburger Originalen. Bd. 2: Zur geistigen Geschichte, S. 95. Zusammenfassend vgl. Bulang: Enzyklopädische Dichtungen, S. 407–409. 73 Vgl. zur Standardisierungsproblematik Kap. 4.1.1. 74 Vgl. Bulang: Enzyklopädische Dichtungen, S. 455–461; Bulang: Literarische Produktivität. 75 Neben den im Folgenden kurz zu besprechenden Onomastica II druckt Jobin auch die Zwen
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Fischart liefert im ersten Teil der 1574 bei Jobin gedruckten Onomastica II ein Wörterverzeichnis, in dem er medizinische Fachbegriffe gängiger oder auch paracelsischer Provenienz sammelt und für das interessierte Fachpublikum bereitstellt.76 Michael Toxites wiederum kompiliert im zweiten Teil, dem Onomasticon Theophrasti Paracelsi, Fachbegriffe der paracelsischen Arkansprache und stellt Erläuterungen auf Latein, Deutsch, zuweilen auch Französisch und Italienisch bereit.77 Eine lateinische Vorrede steuern jeweils beide bei. Toxites verteidigt darin den Hermetismus der paracelsischen Sprache, die sich in lexikalischer Hinsicht einerseits bei anderen Sprachen bediene, andererseits auf die Dinge selbst verweise.78 Fischart wiederum begegnet dem Sprachproblem der Alchemisten in seiner deutschen Vorrede zum von ihm bei Jobin herausgegebenen Correctorium Alchymiae (1581), also den Schriften von Richard Anglicus, (Pseudo-)Raimundus Lullus und Geber, auf ironisch-distanzierte Weise, wenngleich er den Paracelsismus zugleich vor den allzu scharfen Gegnern schützt.79 So ‚packt‘ Fischart bei-
Tractatus des Paracelsus selbst (1572) sowie dessen De Natura Rerum IX Bcher (1584). Vgl. zur Alchemie bei Fischart Tobias Bulang: Satirische, dämonologische und wissensvermittelnde Schreibweisen über die Alchemie im Werk Johann Fischarts. In: Magia daemoniaca, magia naturalis, zouber. Schreibweisen von Magie und Alchemie in Mittelalter und früher Neuzeit. Hg. von Peter-André Alt u. a. Wiesbaden 2015 (Episteme in Bewegung 2), S. 189–202. 76 Zur Differenzierung des Publikums in Paracelsisten (bei Toxites) und größere Kreise an Fachleuten (Fischart) vgl. Bulang: Enzyklopädische Dichtungen, S. 457. 77 Die Auswertung dieser Glossare in Hinblick auf die Rolle des Deutschen bei der terminologischen Erfassung von Medizin und Pflanzenkunde böte – zusammen mit dem juristischen Fachvokabular beispielsweise aus Fischarts Übersetzung von Jean Bodins De la démonomanie des sorciers – Stoff für weitergehende Studien zu etwaigen Bemühungen Fischarts um das Deutsche als Fachsprache, vgl. zu dieser Problematik auch Wilhelm Kühlmann: Rätsel der Wörter. Zur Diskussion von ‚Fachsprache‘ und Lexikographie im Umkreis der Paracelsisten des 16. Jahrhunderts. In: Das Wort. Seine strukturelle und kulturelle Dimension. Festschrift für Oskar Reichmann zum 65. Geburtstag. Hg. von Vilmos Ágel u. a. Tübingen 2002, S. 254–262. Vgl. zum gegenwärtigen Forschungsstand zur Daemonomania Tobias Bulang u. a.: Johann Fischarts „Daemonomania Magorum“ im wissensgeschichtlichen Kontext. Ausblick auf Edition und Kommentar einer frühneuzeitlichen Dämonologie. In: Daphnis 43 (2015), S. 424–480. 78 Vgl. [Michael Toxites, Johann Fischart:] Onomastica II. I: Philosophicum, Medicum, Synonymum ex variis vulgaribusque linguis. II: Theophrasti Paracelsi: hoc est earum vocum, quarum in scriptis eius solet usus esse, explicatio […]. Straßburg: Bernhard Jobin 1574. Vgl. auch die Edition der Vorrede von Toxites in Wilhelm Kühlmann, Joachim Telle: Corpus Paracelsisticum. Dokumente frühneuzeitlicher Naturphilosophie in Deutschland. Bd. 2: Der Frühparacelsismus. Tl. 2. Tübingen 2004 (Frühe Neuzeit 89), S. 321–333. 79 Vgl. [Toxites, Fischart:] Onomastica II. Vgl. auch die Edition der Vorrede Fischarts in Camillus Wendeler: Fischart als Herausgeber alchymistischer Schriften. In: Archiv für Litteratur-Geschichte 6 (1877), S. 487–509.
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spielsweise die Alchemisten bei ihrer Arkan- als Natursprachenbehauptung und fordert in der Konsequenz für eine an der Natur orientierten Sprache perspicuitas in der Darstellung: „Wiltu ein Nachmer vnd Folger der Natur seyn vnd heyssen/ so folge auch im schreiben der Natur/ vnd schreib verstndlich […].“80 Für Fischart selbst folgt aus dieser Aussage im Umkehrschluss, dass er, der auf den ersten Blick Artifizialität zum obersten Prinzip seiner Sprachbehandlung erhoben hat, an solche Weisungen nicht notwendigerweise gebunden ist.81 Fischarts eigene Sprachauffassung aus all diesen verstreuten sprachtheoretischen Studien einerseits sowie seiner literarischen Praxis andererseits zu extrapolieren, ist kein leichtes Unterfangen. In seinen Lazius- und Goropius-Studien unternimmt Fischart den Versuch, das Deutsche nahe an den Ursprung von Sprache an sich, also den biblischen Urzustand, zu rücken, und auch in den Eikones behauptet er mit Holtzwart und Waldis eine ‚noachidische Kontinuität‘ des Deutschen im Zeitalter der Setzungen durch die babylonische Sprachverwirrung. Damit tendiert er, so lässt sich behaupten, im Falle des Deutschen in Richtung einer von der Determiniertheit der sprachlichen Zeichen ausgehenden physei-Sprachauffassung, die bekanntlich, anders als die menschliche Konstruktion und somit Arbitrarität der Zeichen annehmende thesei-Sprachauffassung, einen sinnhaften Zusammenhang zwischen dem Wesen der res und der verba erblickt, der qua Etymologie extrahierbar ist und der nicht zuletzt auf göttliche Setzung zurückgeht.82 Diese ‚typisch mittelalterliche‘ Sprachauffassung, die in einem entsprechenden Methodenkanon resultierte,83 gerät seit dem sechzehnten Jahrhundert zunehmend in eine Konkurrenzsituation mit der thesei-Theorie, mit der Signaturenlehre
80 Ebd., S. 500. 81 Vgl. Kap. 4. 82 Vgl. Gerd Schank: Etymologie und Wortspiel in Johann Fischarts „Geschichtsklitterung“. 2., ergänzte Auflage. Kirchzarten 1978 (Hochschul-Produktionen), S. 7–71; Wolfgang Harms: Funktionen etymologischer Verfahrensweisen mittelalterlicher Tradition in der Literatur der Frühen Neuzeit. In: Mittelalterliche Denk- und Schreibmodelle in der deutschen Literatur der Frühen Neuzeit. Hg. von Wolfgang Harms, Jean-Marie Valentin. Amsterdam, Atlanta 1993 (Chloe. Beihefte zum Daphnis 16), S. 1–17, hier S. 3 f. und 12 f.; Josef K. Glowa: Johann Fischart’s Geschichtklitterung. A Study of the Narrator and Narrative Strategies. New York 2000 (Renaissance and Baroque. Studies and Texts 27), S. 125. Vgl. zum Problem der ‚Setzung‘ in der physei-theseiDebatte vgl. Eugenio Coseriu: Die Sprache zwischen φύσει und θέσει. In: Eugenio Coseriu: Der Physei-Thesei-Streit. Sechs Beiträge zur Geschichte der Sprachphilosophie. Hg. von Reinhard Meisterfeld. Tübingen 2004, S. 99–118, hier S. 100 f. 83 Zur Form der mittelalterlichen (lateinischen) Etymologie und ihrer Heterogenität vgl. Roswitha Klinck: Die lateinische Etymologie des Mittelalters. München 1970 (Medium Aevum 17), S. 10–70.
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paracelsischer Couleur etc.84 Diese Angebotsvielfalt führt bereits in den diskursiven Äußerungen Fischarts zur Sprachtheorie zu einer gewissen Unsicherheit und zum „Einsatz einer flexiblen, weil nicht disziplinierten Etymologie […] mit Ansätzen zu einer Etymologiekritik“85, was in der satirisch-polemischen Literaturpraxis86 intensiviert ist und als eigentlich unauflösbares Konglomerat erscheint. Während Bulang in der Geschichtklitterung „Elemente des Ursprachendiskurses“ „einer gezielten Verwirrung und Verballhornung unterworfen“87 sowie die damit begründeten etymologischen Verfahren – zum Altersnachweis einer Sprache – satirisch gebrochen88 sieht, lässt Peter Fuß die Lektüre dieses exzeptionellen Romans seine Interpretation von Fischarts sachliterarischen Schriften steuern: Er ordnet Fischart klar als Vertreter der thesei-Auffassung ein.89 Für Fischarts offensichtliche Widersprüchlichkeiten kann Wolfgang Harms für den Fall der Geschichtklitterung nur festhalten: „Hier sind das Wortspiel, das nur über seine erheiternde Wirkung Funktionen ausübt, und die Etymologie, die autorisierte Aussagen ermöglicht, nicht immer zu unterscheiden.“90 Die Entwirrung dieser Doppelgesichtigkeit, also des Ineinanders von Wortspiel, das eigentlich nur auf der Basis einer thesei-Auffassung möglich ist, und Etymologie, hat Gerd Schank als Forschungsdesiderat benannt und zu diesem Zwecke ein kleinschrittiges Kriterienraster zur Identifizierung und Differenzierung von Wortspielen und Etymologien bei Fischart erarbeitet.91 Allerdings kann es das Verständnis von Fischarts Sprach- und Textorganisation nachgerade befördern, beide Strategien als ineinander verschränkt zu begreifen. Ihre gegenseitige Verquickung bildet geradezu die Bifunktionalität von satirischer und polemischer Schreibweise92 ab, die über die Verzerrung der Wirklichkeit – analog zum Wort-
84 Vgl. Harms: Funktionen, S. 4 f. Zur Signaturenlehre vgl. Peter Fuß: Von den Zeichen der Welt zur Welt der Zeichen. Semiologische Konzepte bei Paracelsus und Fischart. In: Wirkendes Wort 52 (2002), S. 333–360, hier S. 333–346. Fuß begreift die Signaturenlehre als ‚Radikalisierung‘ des „Projekt[s] humanistischer Etymologie“, ebd., S. 345. 85 Bulang: Ursprachen, S. 142. 86 Vgl. hierzu Kap. 4. 87 Bulang: Ursprachen, S. 148. 88 Vgl. beispielsweise Bulang: Enzyklopädische Dichtungen, S. 409–414. 89 Vgl. Fuß: Zeichen, S. 346–358. 90 Harms: Funktionen, S. 12. 91 Vgl. zusammenfassend Schank: Etymologie, S. 136–143. Er konstatiert: „[E]s [ist] möglich und notwendig […], bei Fischart zwischen Etymologien und Wortspielen zu unterscheiden. Die Fischart-Forschung war darin bisher nicht sehr genau. Sie sprach ziemlich wahllos von Etymologie und Wortspiel, vermischte beides und legte den Hauptakzent meist auf das Wortspiel. Dies ganz zu Unrecht!“ Ebd., S. 143. 92 Zum Begriff der Schreibweise vgl. Kap. 4.1.4.
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spiel – eine moralische Lehre als semantischen Kern – analog zur Etymologie – sichtbar machen will.93 Der Nachweis von Alter und Dignität des Deutschen stellt gleichsam den sicheren Boden bereit, auf dem sich die entgrenzende Sprachpraxis Fischarts entfalten kann: Seine sprachlichen Modifikationen zur Aktivierung von (alternativer) Bedeutung und Sinn sind damit sprachhistorisch legitimiert. Trotz dieser Doppelbödigkeiten also, die sich in Fischarts literarischer Praxis einstellen, ist immer ein ‚Bekenntnis zur Genealogie‘ sowie zur Autonomie der deutschen Sprache zu erkennen, das hinter den (pseudo-)etymologischen Operationen aufscheint und in den sprachhistorischen Forschungen, wenn auch nur in Ansätzen, ausformuliert wird. Über solche Zusammenhänge begründet sich der selbstbewusste Status des Deutschen, der Fischart zudem befähigt, das Deutsche als gleichberechtigten Partner der anderen Volkssprachen sowie der alten Sprachen in die Glossarzusammenhänge der Naturkunde und damit auch in den Denkzusammenhang moderner paracelsistischer Zeichen- und Sprachauffassungen einzuspeisen. Das Alter und die damit einhergehende Dignität des Deutschen lassen es also in der agonalen Juxtaposition der Sprachen, die die Glossare und Wörterbücher vorführen, als gleichwertige, wenn nicht sogar maßgebliche Stimme im Konzert der Sprachen erscheinen. Auch an anderer, jedoch weniger prominenter Stelle wird in der Offizin an einer Emanzipierung des Deutschen aus sprachhistorischer Perspektive mittels etymologischer Verfahren gearbeitet. Der Alciatio-Übersetzer und Jurist Wolfgang Hunger94 begründet in seiner Linguae Germanicae Vindicatio, die von seinem Sohn posthum im Jahre 1586 in der Offizin Jobin herausgebracht wird, die romanischen Sprachen mit der Veränderung des Lateinischen durch die germanische Invasion,95 eine Vorstellung, die sich zeitgenössisch auch bei italienischen Humanisten im Hinblick auf die Entwicklung des volgare großer Beliebtheit erfreut, dort jedoch zumeist im Sinne einer Korrumpierungsthese negative Konnotationen
93 Ähnlich auch Harms: Funktionen, S. 13: „Bei Fischart wie schon bei Rabelais kann die assoziationsstiftende und dadurch deutende Leistung von etymologischen Beobachtungen unterschiedlichen Funktionen dienen, der Steigerung der Heiterkeit, die den Leser die Satire gern weiterverfolgen lässt, wie aber auch der Fundierung von Aussagen, die zur moralischen Substanz der satirischen Lehre gehören können [– oder, so ließe sich ergänzen, die die polemischen Herabsetzung des Gegners anstreben und Wahrheiten in Glaubenssachen vermitteln wollen, Anm. S. B.].“ 94 Vgl. zu seiner Alciato-Übersetzung Kap. 3.2.3. Zu biographischen Informationen vgl. Georg Westermayer: Art. ‚Hunger, Wolfgang‘. In: ADB 13 (1881), S. 414 f. (http://www.deutsche-biographie.de/pnd128777060.html?anchor=adb, zuletzt aufgerufen am 30. Juni 2018). 95 Vgl. Urban T. Holmes: The Vulgar Latin Question and the Origin of the Romance Tongues: Notes for a Chapter of the History of Romance Philology Prior to 1849. In: Studies in Philology 25 (1928), S. 51–61, hier S. 58 f.
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trägt.96 Hunger stellt seine Abhandlung hauptsächlich auf die Konfrontation des Deutschen mit der französischen Sprache ab, was im Kontaktraum Straßburg als großes Anliegen gelten darf. Bei seiner Linguae Germanicae Vindicatio handelt sich in erster Linie um eine kritische Auseinandersetzung mit dem Liber de differentia vulgarium linguarum et Gallici sermonis varietate des Charles de Bovelles (1533) und den darin enthaltenen Etymologien. De Bovelles war davon ausgegangen, dass das Alt-Gallische kontinuierlich in das moderne Französisch übergegangen sei – ein klarer Gegensatz beispielsweise zu Lazius, der das Alt-Gallische mit dem Ur-Deutschen, dem Teutonischen, identifiziert hatte. Heinrich Glarean hatte de Bovelles in seinem Cäsar-Kommentar (1538) schon scharf widersprochen, denn in seinen Augen handelt es sich beim Französischen um eine Mischsprache.97 Hunger kann an diese Auffassung anknüpfen, behauptet die Identität des Alt-Gallischen mit dem Deutschen98 und verortet die Wurzeln von ca. 300 französischen Vokabeln und Wendungen, darunter viele juristische Fachbegriffe, in teils weitschweifigen Begründungen unter Umgehung des Lateins in verschiedenen Phasen der deutschen Sprachgeschichte. Folgendes Beispiel ist insofern aufschlussreich, als es für die betreffenden Lexeme einen mittelhochdeutschen Ursprung, „Kiesen“, behauptet:
96 Ein Vertreter dieser These ist beispielsweise Girolamo Muzio, während dagegen Benedetto Varchi von der Geburt einer neuen Sprache nach der ‚Barbarisierung‘ ausgeht, vgl. einführend Andreas Michel: Einführung in die italienische Sprachwissenschaft. Berlin, New York 2011 (Romanistische Arbeitshefte 55), S. 5 f. 97 Es ist hier nicht der Ort, auf die komplexen Bezüge zwischen den ‚Kelten‘ und den ‚Helvetiern‘ bzw. ‚Germanen‘ und ‚Franzosen‘ bei Glarean einzugehen. Vgl. zu Glareans Kritik an de Bovelles Jean-Claude Margolin: Glaréan, commentateur du de bello Gallico. In: Présence de César. Actes du Colloque des 9–11 décembre 1983. Hommage a doyen Michel Rambaud. Hg. von Raymond Chevalier. Paris 1985, S. 183–212. Zu weiterer zeitgenössischer Kritik an de Bovelles vgl. Jean-Claude Margolin: Science et nationalisme linguistiques, ou la bataille pour l’étymologie au XVIe siècle. Bovelles et sa postérité critique. In: The Fairest Flower. The Emergence of Linguistic National Consciousness in Renaissance Europe. Hg. von Fredi Chiappelli. Florenz 1985, S. 139–165. 98 Vgl. Wolfgang Hunger: Linguae Germanicae Vindicatio Contra Exoticas Quasdam, Quae Complurium Vocum et dictionum, mere Germanicarum, Etymologias, ex sua petere sunt conari […]. Hg. von Wolfgang Hunger d. J. Straßburg: Bernhard Jobin 1586, fol. B1v: „Ut ut hoc fiet, certè is Suetonii locus non parum eos adiuvat, qui priscam Gallorum linguam eandem fuisse volunt, cum Germanica [verderbte Stelle, Anm. S. B.] excepto dialecto.“ Vgl. hierzu auch Toon van Hal: From Alauda to Zythus. The emergence and uses of Old-Gaulish word lists in early modern publications. In: KF 6 (2013/2014), hier S. 219–277, hier S. 226.
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Choisier, à verbo quaero et quaesito.) Sylvius in adverbiis eligendi deducit hanc dictionem à colligere. Quid si à cooptare? Quid si à nostro außschiessen/ id est delectum facere. Sed omnium proximè videtur accedere ad priscum Germaniae vocabulum Kiesen/ quod est eligere/ hodie etiam Flandris ea significatione perfrequens.99
Dass die Vokabel zeitgenössisch immer noch im Gebrauch sei, untermauert die Vorstellung von der Präsenz der Vergangenheit in der Gegenwart, aus der sich der ‚vernakularhumanistische‘ Überbietungsgestus speist. Wie in den Eikones der zwölf ersten deutschen Könige die translatio imperii durchgestrichen und die Reichsgeschichte germanisiert wird, so wird hier analog mit der Geschichte der deutschen Sprache verfahren: Das Modell von der Abhängigkeit vom Lateinischen wird noch anzitiert und sodann klar zurückgewiesen. Dabei handelt es sich keineswegs um eine Marginalie in der zeitgenössischen Sprachgeschichtsdebatte, bezieht sich doch noch im siebzehnten Jahrhundert Justus Georg Schottelius in seiner Ausführliche[n] Arbeit Von der Teutschen HaubtSprache (1663) emphatisch auf Hunger.100 In den vorgestellten Reflexionsformen – in der Sprachgeschichtsschreibung, der Sprachtheorie und einer Stammvätergalerie – werden die politischen Genealogien des Deutschen im Sinne der Großkategorien von deutscher Nation, nationenübergreifendem Reich, germanischem Volk und gemeinsamer deutscher Sprache zusammengedacht und auf den Wettkampf mit den anderen Nationen hin abgestellt. Ihr jeweiliges Alter und ihre kontinuierliche Existenz bis in die Gegenwart hinein machen sie dabei zu einem ernsthaften Gegner sowohl der klassischen Antike, einhergehend mit der gängigen Altertumskonzeption, als auch der anderen europäischen Völker. Zugleich wird das literarische Experiment mitbedacht: Das Etymologieproblem und die damit verbundene Aussagekraft des Deutschen haben konkrete Auswirkungen auf den epistemologischen Status der sogenannten Wortspielereien Fischarts, und auch die Eikones reflektieren die emblematische Kunstform implizit mit.
99 Hunger: Linguae Germanicae Vindicatio, fol. C3v. 100 Vgl. William J. Jones: „Französisch Kauder-Walsch macht unsre Sprache falsch“. In: William J. Jones: Images of Language. Six essays on German attitudes to European languages from 1500 to 1800. Amsterdam 1999 (Amsterdam studies in the theory and history of linguistic science. Ser. II: Studies in the history of the language science 89), S. 111–170, hier S. 114.
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2.1.2 Die Freiheit von Stadt und Region (Historiographie, Versepik) Aus der autochthonen Fundierung von sprachlichen wie politischen Genealogien sowie dem damit verbundenen Kontinuitäts- und Autonomiebewusstsein qua Selbstverortung in uralter Vergangenheit bezieht allerdings nicht nur die Reichsund Abstammungsgemeinschaft mit ihrer gemeinsamen Sprache ihre Identität, sondern auch, untrennbar damit verknüpft, die Reichsstadt Straßburg. So erzählt der etwa 1575 von Jobin publizierte Einblattdruck, der einen Holzschnitt des Münsters sowie einen kurzen versifizierten Begleittext – Von Straßburg/ der vralten Statt“ (vgl. Abb. 4) – enthält und damit auch für die Diskussionen um Geschichte und Stellenwert der deutschen Kunst von Bedeutung ist,101 die Gründung Straßburgs als einen von Rom unabhängigen Akt: Dan d Römer herschten biß an Rein/ Drum hettens diese Stat auch ein. Da aber das Teutsch Volk die Franken On der Rmer willen vnd danken Inn Galliam hinein zog vnd trang Dasselbig gwaltig auch bezwang/ Vnd es nanten jrm Namen gleich/ Wie es dan noch heut haißt Franckreich: Da ward auch Strasburg vntertan Den Frnkisch Knign/ da es dan Sehr an Volk vnd gebu zunam […].102
Die viele Jahre später publizierte These Hungers vom Einfluss des Deutschen auf die französische Sprache qua Expansion klingt gleichsam auch hier in der Benennung Frankreichs an. Diesen deutschen Namen Frankreichs hält Fischart in seinem im LaziusKonvolut befindlichen, handschriftlichen Begleitgedicht zu einer Abbildung eines Vralte[n] Bildnus eines frnkischen Krigsmanns in seiner Rüstung in der Lazius-Ausgabe103 ebenfalls für einen Schandfleck auf der glorreichen römischen Vergangenheit, die er als von der germanischen separat ansieht. Die Franken erscheinen hier als Helden nicht nur der deutschen, sondern vor allem der oberrheinischen Geschichte:
101 Vgl. Kap. 3. 102 [Daniel Specklin,] Bernhard Jobin: Von Straßburg/ der vralten Statt […]. Straßburg: Bernhard Jobin ca. 1575. 103 Bild und Text waren vermutlich zur separaten Veröffentlichung als Bildergedicht bestimmt.
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Wolkomen seist du/ Edler Frank, Dir wais das gantze Teutschland dank, Vnd fürnamlich wir, die am Rain, Die von dir frankfrei gmachet sein Von dem fremden Römischen trang, Den lezlich dein gewalt vertrang […] das weite Gallierland, Welchs noch euch Römern heut zur schand Mus Frankreich haisen zum sigzaichen, Das Teutsche nicht den Römern weichen.104
Die Fundierung der städtischen Freiheit in der fränkischen Geschichte wird an anderer Stelle von Fischarts Lazius-Übersetzung insofern noch mit einer besonderen Pointe versehen, als hier die Franken nicht nur als Befreier von außen auftreten, sondern zumindest teilweise als der Oberrhein-Region indigen angesehen werden. Fischart übersetzt wie folgt: „Ich halt aber, das die Franken, von welchen wir hie reden, nicht allain nachkommene der Cimberer […] sonder auch gesellen vnd prüder der Sicambrer, so bei dem Rein gepliben, gewesen seien: Welche rheinische Sicambrer etwas später den namen der Franken haben vberkommen […].“105 Diese zumindest teilweise vorgenommene Indigenisierung der Franken stützt den Freiheitsanspruch von Stadt und Region noch einmal besonders, da dieser nicht nur dem Reich ‚aufgepfropft‘ ist, sondern autochthon verortet wird. Er wird in dieser Lesart in besonderem Maße gefeiert in der 1588 bei Jobin gedruckten Ordenliche[n] Beschreibung Welcher gestalt die Nachbarliche Bündnuß vnd Verain der dreyen Lblichen Freien Sttt Zrich, Bern vnd Straßburg […] ist ernewert, bestttigt vnd vollzogen worden.106 Die Lobschrift auf ein historisch verbürgtes Städtebündnis hat folgenden Hintergrund: Die bereits seit dem dreizehnten Jahrhundert bestehende Städtefreundschaft zwischen Straßburg, Bern, Zürich und anderen Schweizer Städten wurde im Laufe der Jahrhunderte immer wieder für kleinere kriegerische Auseinandersetzungen, zum Beispiel für das gemeinsame Vorgehen gegen Raubritter, reaktiviert. Zuletzt hatten sich die drei Städte 1530 in einem evangelischen Bündnis gegen die katholischen Nachbarn zusammen-
104 Johann Fischart: Vraltes Bildnus eines frnkischen Krigsmanns in seiner Rüstung [o. D.]. In: Johann Fischarts Werke. Hg. von Adolf Hauffen. 3 Bde. Stuttgart 1893–1895 (Deutsche National-Litteratur 18 f.), Bd. 1, S. 393 f., hier S. 393. 105 Zit. nach Hauffen: Einleitung 1893, S. LXVI. 106 Vgl. zum Kontext Heinrich Kurz: Johann Fischart über das im Jahr 1588 zwischen Zürich, Bern und Strassburg geschlossene Bündniss. In: Zur Feier der Fünfundzwanzigjährigen Lehrerwirksamkeit des derzeitigen Rectors der Aargauischen Kantonsschule Herrn Prof. Dr. Rudolf Rauchenstein. [Hg. von Kantonsschule Aargau.] Aarau 1847, S. 47–68.
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geschlossen. Gegen Ende des Jahrhunderts eskalierten in Straßburg die konfessionellen Unruhen: Der katholische Bischof Johann IV. von Manderscheid verweigerte den üblichen Schwur auf die Rechte der Stadt und ging scharf gegen elsässische Protestanten vor. Als sich ab 1583 die Affäre um den abgesetzten Kölner Erzbischof Gebhard zuspitzte, der als Dechant in Straßburg ein zusätzliches Amt, verbunden mit einer lukrativen Einkommensquelle, besaß und sowohl vom Stadtrat als auch von den zum Protestantismus tendierenden Mitgliedern des Domstifts unterstützt wurde, benötigte die Stadt Hilfe gegen den Bischof und versuchte sogar in den Jahren von 1584 bis 1586 gänzlich in die Eidgenossenschaft aufgenommen zu werden – ein Zeichen dafür, dass der städtische Patriotismus nicht notwendigerweise ein reichsstädtischer zu sein hatte. Der Antrag wurde von den katholischen Kantonen auf Bestreben Kaiser Rudolfs II. und Papst Sixtusʼ V. abgelehnt. Als sich 1587 die katholischen Kantone der spanischen Krone und Mailand zuwandten, die evangelischen Schweizer Städte also zunehmend isoliert waren, und sich Straßburg wiederum von kriegerischen Auseinandersetzungen in Frankreich bedroht sah, kam es 1588 zu einem offiziellen Bundesvertrag zwischen den drei Städten.107 Jobin leitet die Festschrift mit einer für den vorliegenden Zusammenhang wenig aussagekräftigen Vorrede ein: Er preist lediglich den Wert der Freundschaft als Basis für ein friedliches Zusammenleben.108 Die darauf folgende, gereimte „Kurtze Erklerung“ deutet den Holzschnitt auf dem Titelblatt aus und stammt von Fischart, ebenso wie vermutlich alle deutschen Textbestandteile:109 insgesamt vier Lobgedichte, die sich mit fünf lateinischen aus der Feder anderer Autoren abwechseln,110 sowie zwei längere Prosaabschnitte, in denen die Entstehung des Bündnisses skizziert und gegen (katholische) Gegner verteidigt wird („Wolmeinende Erinnerung“) bzw. in seiner formalen Ausgestaltung beschrieben wird („Beschreibung“). In die Publikation eingebunden sind am Ende mehrere Folioblätter mit je einer Stadtansicht und einem von Fischart verfassten, beigegebenen Lobspruch.111
107 Zum historischen Kontext, der hier nur knapp zusammengefasst wurde, vgl. Hauffen: Einleitung 1893, S. XXXIV f. Zur quellengestützten Dokumentation des Vertrags vgl. Heinrich Kurz: Bündniss zwischen Zürich, Bern und Straßburg im Jahr 1588. In: Beiträge zur Geschichte und Literatur, vorzüglich aus den Archiven und Bibliotheken des Kantons Aargau 1 (1846), S. 374–421. 108 Vgl. [Johann Fischart u. a.:] Ordenliche Beschreibung Welcher gestalt die Nachbarliche Bündnuß vnd Verain der dreyen Lblichen Freien Sttt Zrich, Bern vnd Straßburg […] ist ernewert, bestttigt vnd vollzogen worden […]. Straßburg: Bernhard Jobin 1588, fol. )(1v–)(3v. 109 Vgl. die Begründung bei Hauffen: Einleitung 1893, S. XXXV. 110 Vermutlich wurden diese Gedichte bereits im Vorfeld einzeln gedruckt und in den Umlauf gebracht, vgl. ebd., S. XXXVII. 111 Die fünf prominentesten Gedichte Fischarts aus der Publikation – „Kurtze Erklerung“, „Erlustigung“ und die drei Preisgedichte auf die Städte – sind ediert als Johann Fischart: Ordenliche
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Die Kategorie der städtischen Freiheit wird hier einmal mehr in variantenreichen Sprachschleifen gepriesen und dabei eng an die geographischen Ver hältnisse, also an die Kategorie des Landes, gekoppelt. Gleich in der „Kurtze[n] Erklerung“ spricht Fischart von der „Elsssisch Fruchtbarkeit“112 in Verbindung mit der eigentlich französisch konnotierten Lilie, die allegorisch als Freiheits zeichen ausgedeutet wird. Freiheit gedeiht also nicht nur über genealogisch gesicherte Abstammungsketten, sondern buchstäblich in der oberrheinischen Erde. In der „Erlustigung“ leitet Fischart, diesem Gedanken folgend, eine landschaftlich motivierte Einteilung in Völker und Sprachen her, da der Schpffer dieser Welt Sie drumb mit gbirgen hat bestelt, Darmit ein vnderscheid zu machen Zwischen den Vlckern vnd den Sprachen […].113
Zugleich habe Gott aber die vielfältig miteinander verbundenen Flüsse geschaffen, um gegenseitige Besuche – ähnlich wie sie auch im Glückhafft Schiff berichtet werden – zu ermöglichen.114 Der Zusammenfluss von Aare, Limmat und Rhein setzt die Städtefreundschaft ins Bild115 und signalisiert en passant zugleich die besondere Bedeutung Straßburgs als derjenigen Stadt, die an dem Fluss liegt, der gleichsam die anderen Flüsse in sich aufnimmt. Die höhere Ebene des Deutschen bleibt auch hier nicht unbeachtet: Dises sind die zwei Schwestern trew, Welche der Rhein zeicht an sich frey, Vnd droben bei Waldshut empfengt, Vnd mit denselben fort sich schwenckt, Biß sie sich thun in das Teutsch Meer, Weil sie vom Teutschen gbirg sind her.116
Beschreibung […] [1588]. In: Johann Fischarts Werke. Hg. von Adolf Hauffen. 3 Bde. Stuttgart 1893–1895 (Deutsche National-Litteratur 18), Bd. 1, S. 201–225, woraus im Folgenden zitiert wird. Vgl. zum Aufbau der Publikation in Verbindung mit Paraphrasen der Prosateile Hauffen: Einleitung 1893, S. XXXV–XXXIX. 112 Fischart: Ordenliche Beschreibung, S. 201. 113 Ebd., S. 203. Hier klingt das Konzept einer göttlichen ‚Setzung‘ der natürlichen Sprache an, was die Sprachgeschichte theologisch auflädt, vgl. oben Kap. 2.1.1. 114 Vgl. ebd., S. 203 f. 115 Vgl. ebd., S. 205 f. 116 Ebd., S. 205.
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Stammvater dieser geographischen Genealogie ist in diesem Fall der Gotthard, und so darf sich hinter diesem geschickt konzipierten Bild der Hinweis verbergen, dass ‚das Deutsche‘ im schweizerisch-elsässischen Raum seinen Ursprung habe.117 Unterstützt wird diese Deutung durch die Tatsache, dass die chiastisch konzipierten Tugenden „standhafftige[ ] trewlichkeit// Vnd trewliche[ ] standhafftigkeit“118 der Vorfahren, in deren „fußstapffen [zu] trett[en]“119 die drei Städte nun aufgerufen werden, den beinahe identisch formulierten deutsch-germanischen Kardinaltugenden „Bestndige Treuhertzigkeyt// Vnd Treuhertzig Bestndigkeyt“120 aus den Holtzwart’schen Eikones entsprechen. Die Geburt der Heimatstadt Straßburg aus der Sittlichkeit wiederum zeigen die etymologischen Spielereien an, über die Fischart den Namen der Stadt herleitet und deren Klangpotential die Tugenden umkreist: Im „Lobgedicht“ auf Straßburg rekonstruiert er die Geschichte des Eigennamens von „Trautburg“ über „Archentraut“ zurück bis hin zu den vorchristlichen Bezeichnungen „Tribarch“ und Treuborg“, „[w]elchs beides eben so vil laut,// Als Trautenburg und Burgentraut“121. Die Alemannen hätten dann bei ihrer Ankunft in der Gegend – ein weiteres Indiz dafür, dass die Determinierung durch das Land als der genealogischen vorgängig angesehen werden kann – ein ‚S‘ vorangestellt, um die besondere „Streitbar[keit]‘ „wider die Rmer“ und „für die Traute Freyheit“122 anzuzeigen.123 Diese Namen bringt Fischart im Glückhafft Schiff (1576), das ebenfalls die schweizerisch-straßburgische Freundschaft zum Thema hat, mit dem Germanenstamm der Triboci in Zusammenhang, die er „Treuwacker“ bzw. „Trüwoner“124 nennt und sie so auch
117 Zum Problem des ‚Territorialitätsbewusstseins‘ sowie von geographischen Grenzen von Identitäten vgl. Joachim Whaley: Kulturelle Toleranz – die deutsche Nation im Europäischen Vergleich. In: Die deutsche Nation im frühneuzeitlichen Europa. Politische Ordnung und kulturelle Identität? Hg. von Georg Schmidt. München 2010 (Schriften des Historischen Kollegs 80), S. 201–225, hier S. 206 f. 118 Fischart: Ordenliche Beschreibung, S. 208. 119 Ebd. 120 Holtzwart: Emblematum Tyrocinia 1581, fol. N4v. 121 Fischart: Ordenliche Beschreibung, S. 219. 122 Ebd. 123 Fischart liefert noch weitere etymologische Angebote aus diesem Klangfeld, beispielsweise „Treubach“ im Glückhafft Schiff (Johann Fischart: Das Glückhafft Schiff von Zürich […] [1576]. In: Johann Fischarts Werke. Hg. von Adolf Hauffen. 3 Bde. Stuttgart 1893–1895 [Deutsche Na tional-Litteratur 18], Bd. 1, S. 133–197, hier S. 133) oder „Trbuchen“ in seinem Pseudonym in der Ordenliche[n] Beschreibung (Fischart: Ordenliche Beschreibung, S. 210). 124 Fischart: Glückhafft Schiff, S. 146 und 136.
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den Zürchern annähert.125 Nach Uwe Ruberg dient diese „Poetik der Eigennamen“ dem „Zusammenstimmen von alt und neu, geschichtlichem Ursprung und Gegenwart“126, also der Anbindung der Gegenwart an die Vergangenheit mit durchaus normativem Fingerzeig. Der ‚gewachsenen‘ Sittlichkeit und Freiheit, die die Alemannen übernommen haben, entsprechen im „Lobgedicht“ sodann die Franken mit ihren Taten, als sie im Zuge der Völkerwanderungsbewegungen im Oberrheinischen anlangen und zusammen mit den Alemannen die Römer vertreiben:127 Erneut wird die germanische Vergangenheit und die historische Verortung der Alemannen etwas anders als beispielsweise noch in den Eikones akzentuiert. Die Gründung des Reichs sowie die Verleihung des Status einer freien Reichsstadt erscheinen als Konsequenz aus den primär aus dem Land und der Region gewachsenen und erst in zweiter Linie genealogisch fundierten moralischen Anlagen: Da es128 sach, wie diß Trautburg sich Allzeit annam bestendiglich Der Teutschen Freyheit vnd sich strußte, Wann man zu nach derselben raißte, Da haben die Knig der Francken, Jhr für solch Redlichkeit zu dancken, Die alte Freyheit jr bestettigt, vnd mit mehr Freyheiten begnedigt […].129
Die ‚gewachsene‘ Freiheit von Stadt und Region geht nun mit der Reichsfreiheit eine unauflösbare Symbiose ein, eigentlich konfligierende Ursprungsmodelle überkreuzen und ergänzen sich. In den bisher diskutierten Quellen wird die Völker- und Reichsgeschichte also durchaus unterschiedlich gefasst: Fischart und andere Autoren der Offizin Jobin laborieren buchstäblich mit verschiedenen Konzepten von politischer oder sprachlicher Genealogie, und dies in den unterschiedlichsten textuellen Zusammenhängen. Dennoch lässt sich insofern ein gemeinsamer Nenner der Aushandlungsprozesse erkennen, als vor allem der Sittenindex mit einem hohen Alter ver-
125 Vgl. Hauffen: Einleitung 1893, S. XXXVIII f. Fischart ist mit dieser Lesart nicht alleine: Beatus Rhenanus hatte eine ähnliche etymologische Begründung erarbeitet, vgl. ebd. 126 Uwe Ruberg: Zur Poetik der Eigennamen in Johann Fischarts Glückhafft Schiff von Zürich. In: From Wolfram and Petrarch to Goethe and Grass. Studies in Literature in Honor of Leonard Forster. Hg. von Dennis H. Green u. a. Baden-Baden 1982 (Saecula Spiritalia 5), S. 281–300, hier S. 295. 127 Vgl. Fischart: Ordenliche Beschreibung, S. 220. 128 Gemeint ist das „Frey Volck der Francken“, ebd. 129 Ebd.
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sehen wird, der wiederum entweder über Stadt und Region oder genealogisch fundiert wird. In ihm gründet sich der zentrale Wert der Freiheit, der in politischer Hinsicht verschiedentlich weitergedacht werden kann. Das Elsass, die oberrheinische Landschaft und die Stadt Straßburg erscheinen in diesem Zusammenhang gleichsam als Kernland der Nation und ihrer Tugenden, was über die Genesis von Land und Leuten in mehreren und unterschiedlichen Schritten begründet wird.130 Eine nicht unerhebliche Ingredienz von solchen politischen und sprachlichen Ursprungs-, Verwandtschafts- und Familienkonzeptionen sowie von regionaler Identität ist allerdings bisher nicht zur Sprache gekommen: die Bedeutung des in einer Gegend angestammten Adels, seiner Familiengeschichte und, damit verbunden, die Denkfigur von der „deutsche[n] Freiheit als Adelsfreiheit“131. Auch einige Publikationen der Offizin Jobin beschäftigen sich in diesem Zusammenhang mit Regional- und Stammesgeschichtsschreibung,132 unter denen allerdings das deutschsprachige Chronicon Alsatiae […] Edelsasser Chronick (1592) von Bernhard Hertzog, Fischarts Schwiegervater, hervorsticht. Hertzog bedient darin verschiedene Interessen: Ein erster Teil behandelt die Geschichte vor allem des unteren Elsass von Cäsars Zeiten bis zu Karl dem Großen; der zweite schließt daran an und führt bis in die Gegenwart; der dritte beschreibt die Ortschaften und Klöster; der vierte das Bistum Straßburg; der fünfte die höheren Adelsfamilien; der sechste die Ritterschaft – wobei die Adelsgeschichte vor allem in der Aufarbeitung der Dynastiegeschichte besteht; die Bücher sieben, acht und neun handeln von den Städten Schlettstadt, Straßburg und Hagenau.133 Dass eine solche Historiographie ein nationales Anliegen ist, macht die Leservorrede Hertzogs deutlich: Säuberlich werden die Nachrichten über „Germania“ und „Teutschland“134 aus antiken und mittelalterlichen Geschichtsschreibern kollationiert, bevor zu einem topischen Lob der Historiographie übergegangen
130 Vgl. den historischen Abriss zur Konstituierung des Elsass bei Karl Weber: Die Formierung des Elsass im Regnum Francorum. Ostfildern 2011. 131 Vgl. Horst Carl: Europäische Adelsgesellschaft und deutsche Nation in der Frühen Neuzeit. In: Die deutsche Nation im frühneuzeitlichen Europa. Politische Ordnung und kulturelle Identität? Hg. von Georg Schmidt. München 2010 (Schriften des Historischen Kollegs 80), S. 181–200, hier S. 187. 132 So sind beispielsweise die Hennebergische Chronica des Cyriacus Spangenberg, gedruckt 1599 bei Jobins Erben, sowie David Chyträusʼ Sylva Cronici Saxoniae, gedruckt 1590 bei Jobin selbst, zu nennen. 133 Vgl. Bernhard Hertzog: Chronicon Alsatiae […] Edelsasser Chronick […]. Straßburg: Bernhard Jobin 1592, fol. (::)2v f. 134 Ebd., fol. (::)4r f.
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wird.135 Hertzog sieht Nachholbedarf bei der deutschen Nationalgeschichtsschreibung, die, weil die für entsprechende Publikationen geforderte Volkssprache noch nicht weit ausgebildet und das Lateinische folglich noch sehr dominant sei, im Vergleich zu der anderer Völker verspätet sei.136 Die nationale Historiographie müsse vor allem darin bestehen, anhand der Taten der Fürsten und hohen Herren gewisse nationale Tugenden herauszupräparieren, um stereotype Vorverurteilungen von anderer Seite besser parieren zu können.137 Wenn Hertzog also von „Vatterland“138 spricht, meint er, das geht aus der Anlage seines Werks hervor, Nation und Reich, Stadt und Region, und all diese Ebenen sind miteinander verquickt. Hertzog listet auch Johann Fischart unter seinen Quellen.139 Es dürfte sich um die heute verlorene Abhandlung Origines Argentoratenses handeln,140 die Hertzog zitiert: „Von disem Fluß Ergers/ will in eim sondern Tracttlin von Originibus Argentoratensibus/ D. Joh. Fischart beweisen/ daß der Name Argentoratum eigentlich sey herkommen […].“141 Es wäre dies gleichsam das Partnerprojekt zu den deutschen Namensetymologien Fischarts: Auch hier wird sein Bestreben deutlich, römische Wurzeln nicht nur aus der politischen Geschichte, sondern auch aus der Sprachgeschichte zu entfernen. Fischart ist für Hertzog allerdings nur eine Quelle unter vielen, und es ist hier nicht der Ort, seine sprach- und stammesgeschichtlichen Ausführungen mit all den Diskussionen von Varianten und Alternativen ausführlich darzustellen. Als Tendenz gilt festzuhalten: Auch Hertzog nimmt Tuiscon als Stammvater an und versetzt die Land- und Sprachverteilung in biblische Zeiten. Zugleich ist, und dies darf als Indiz für den realitätsnahen Blick des Historiographen gelten, das Problem der Fremdbestimmung in der Geschichte, also die wechselnden Herrschaften über das Elsass, die Auseinandersetzungen mit Römern, Galliern und anderen, dominierendes Thema in der frühen Landesgeschichte.142 Was den Namen der Stadt Straßburg angeht, so spielt Hertzog mit den etymologischen Varianten verschiedene Herkunftstheorien durch – die Elsässer stammen über die „Tribaces“ möglicherweise von den Trierern ab (nach Glarean), alternativ von den Schwaben (nach Peutinger) oder von den „Alemanniern“ (nach Lazius) –, aber will sich nicht recht festlegen:
135 Vgl. ebd., fol. )(1r. 136 Vgl. ebd., fol. )(1r f. 137 Vgl. ebd., fol. )(1v f. 138 Ebd., fol. )(2r. 139 Vgl. ebd., fol. )(3r. 140 Vgl. hierzu Hauffen: Einleitung 1893, S. XXXVIII f. 141 Hertzog: Chronicon, liber III, S. 7. 142 Vgl. ebd., liber I, S. 1 f.
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„Disem allem sei wie jm wlle […].“143 Es komme hauptsächlich auf die Tatsache an, dass Straßburg „eyn alte Freystatt“144 sei. Die besondere Bedeutung von Hertzogs Chronicon besteht darin, dass es sich erstmals einer umfassenden historischen wie topographischen Vermessung des Elsass nach wissenschaftlichen Maßstäben annimmt, dabei Reichs- und Regionalgeschichte als ineinander verschränkte entwickelt und über die Sprachenwahl das patriotische Projekt einer anspruchsvollen Landes- wie Nationalhistoriographie nach den modernen Richtlinien humanistischer Geschichtsschreibung vorantreibt. Er bleibt dabei dem Gedanken der Offizin Jobin verpflichtet, das Freiheitsproblem zu verhandeln und über uralte Vergangenheiten politische wie sprachliche Ansprüche zu vertreten. Zugleich wird das genealogische Prinzip nun auf allen denkbaren sozialen und konzeptuellen Ebenen durchdekliniert – Stadt, Land, Stamm, Adelsfamilie und Dynastie, Nation, Reich –145 sowie die Darstellung deutscher Sittlichkeit nun auch anhand der Geschichte des autochthonen Adels geleistet. Wieder sind es mit Historiographie und Preisdichtung unterschiedliche Gattungen und Reflexionsformen, in denen die Autoren der Offizin Jobin den städtischen und landschaftlichen Freiheitsbegriff entwickeln. Seinen konzeptuellen Kern stellen, ähnlich der oben diskutierten nationalen und reichspatriotischen Ebene, die deutschen Sitten dar, die hier nicht primär in Stammes- oder Reichsgeschichte verortet werden, sondern organisch dem elsässisch-oberrheinischen Boden entwachsen und von den Akteuren der Geschichte – erst den Alemannen, dann den reichsgründenden Franken – gleichsam zusammen mit dem Autonomiebewusstsein adaptiert und weiterentwickelt werden. Die herrschenden Instanzen in Stadt und Land, also das städtische Regiment und der autochthone Adel, sind Träger
143 Ebd., liber VIII, S. 40. 144 Ebd. 145 Vgl. zur Dominanz, aber auch Kritik der Genealogie in der Geschichtsschreibung des späten sechzehnten Jahrhunderts auch Bernhard Jahn: Genealogie und Kritik. Theologie und Philologie als Korrektive genealogischen Denkens in Cyriacus Spangenbergs historiographischen Werken. In: Genealogie als Denkform in Mittelalter und Früher Neuzeit. Hg. von Kilian Heck, Bernhard Jahn. Tübingen 2000 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 80), S. 69–86. Zur (humanistischen wie späteren) Geschichtsschreibung im deutschen Südwesten vgl. – allerdings ohne eine konkret für den vorliegenden Zusammenhang einschlägige Studie – den Band Sönke Lorenz, Sabine Holtz, Jürgen M. Schmidt (Hg.): Historiographie – Traditionsbildung, Identitätsstiftung und Raum. Südwestdeutschland als europäische Region. Ostfildern 2011 (Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde 71).
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und Vermittler solcher Überzeugungen, und sie haben diese über den Lauf der Geschichte, über Friedens- und Kriegszeiten, zu retten. Die dabei immer wieder proklamierte, sprachlich wie politisch manifeste Unabhängigkeit von Rom und Frankreich, also der aemulative Gestus gegenüber rivalisierenden Kulturen in Vergangenheit und Gegenwart, hat Auswirkungen auf den Umgang Fischarts mit derjenigen poetischen Gattung, die schlechthin auf Ursprungsimagination, Geschichtsreflexion und genealogische Beweisführung abonniert ist: dem (Vers-)Epos. Ich lese den im Folgenden zu skizzierenden, freien Umgang Fischarts mit der antiken, an Würde kaum zu übertreffenden Großform,146 ja ihre Umorganisation und Neuausrichtung auf die Bedürfnisse vernakularer Sprache und Kultur als logische Konsequenz aus der oben entwickelten, diskursiven Transformation gängiger genealogischer Geschichtsentwürfe – als poetische Seite derselben Medaille gewissermaßen.147 Fischarts Epenvers, das hat Müller betont, ist, wenngleich in der Geschichtklitterung mit Hexametern und Distichen experimentiert wird,148 der gängige deutsche Acht- und Neunsilbler.149 Doch hat das Experiment mit dem antiken Versmaß in Fischarts großem Roman die Funktion zu markieren, dass genealo-
146 Vgl. zum Status des carmen heroicum in der Frühen Neuzeit Dirk Werle: Von hohem Wesen. Zu Wahrheitsanspruch und Gattungspoetik epischer Versdichtungen im 17. Jahrhundert (am Beispiel von Caspar von Barth und Georg Greflinger), in: ZfGerm. N. F. 28 (2018), S. 10–24. 147 Die Ausleuchtung von Fischarts versepischen Unternehmungen im Zeichen von volkssprachlich informierter imitatio und aemulatio ist in jüngerer Zeit von Müller geleistet worden ist, vgl. Müller: Fischarts Gegenkanon; Müller: Viele neue Homere. Flankierend ist auch an die explizite wie implizite Poetik der erzählenden Prosaliteratur, an der Fischart beteiligt ist, zu denken, so beispielsweise an Fischarts Übersetzung des sechsten Buchs des Amadis-Romans (gedruckt 1572 bei Sigmund Feyerabend in Frankfurt), die sich als Beitrag zum Ritterroman versteht und sich zugleich in die Diskussion um den prekären Status des Romans einschreibt. In der Geschichtklitterung werden ebenfalls Helden-Genealogien thematisiert, vgl. u. a. Müller: Viele neue Homere, S. 243. Und auch in der Ismenius-Übersetzung des Johann Christoph Artopoeus werden ‚hohe‘ und ‚niedere‘ Register zusammengespannt, vgl. meinen Aufsatz Sylvia Brockstieger: Aemulatio und Intermedialität. Kunsttheoretische und poetologische (Selbst-)Reflexion im Prosaroman Ismenius (1573). In: Aemulatio. Kulturen des Wettstreits in Text und Bild (1450–1620). Hg. von Jan-Dirk Müller, Ulrich Pfisterer, Anna Kathrin Bleuler. Berlin, New York 2011 (Pluralisierung & Autorität 27), S. 165–190. Für die folgenden Überlegungen soll dagegen die Transformation des Versepos im Vordergrund stehen, eben jene Gattung, der eine ganz besondere Dignität eigen ist. 148 Damit ist Fischart nicht alleine. Zu weiteren Hexameter-Experimenten im sechzehnten Jahrhundert, z. B. bei Johann Clajus oder Johann Jakob Weidner, vgl. Erich Trunz: Deutsche Literatur zwischen Späthumanismus und Barock. Acht Studien. München 1995, S. 229. 149 Vgl. Müller: Alte und neue Homere, S. 243 f.
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gisch-patriotisch informierte Dichtung üblicherweise im versepischen Modus vonstatten geht: Dapffere mein Teutschen, Adelich von gemüt und geplüte. Nur Euerer herrlichkeit: Ist dises hie zubereyt. Mein zuversicht jder zeit ist, hilft mir Götlich güte. Zupreisen in ewigkeit, Euere Grosmütigkeyt: Ihr seit von Redlichkeyt, von grosser streitwarer hande. Berümt durch alle Land, Immerdar ohn widerstand: So wer es Euch allesamt fürwar ain mächtige schande. Würt nicht das Vatterland, In künstlichkeit auch bekannt […].150
Indem sich Fischart bei seinen eigenen versepischen Unternehmungen bewusst für den autochthonen Vers entscheidet, obwohl er den Hexameter durchaus beherrscht, passt er die Gattung in formaler Hinsicht an die deutsche Tradition an, ohne dabei notwendigerweise einen Registerwechsel zu vollziehen: Er ersetzt schlicht die antike Tradition durch eine indigene deutsche. Eine inhaltliche Umgestaltung der gattungspoetologischen Vorgaben wird in den beiden „‚ernsten‘ Dichtungen“151 vom Ritter Stauffenberg (1588) und dem Glückhafft Schiff von Zürich (1576) vorgenommen. Der Ritter Stauffenberg in der ‚modernisierten‘ Fassung des sechzehnten Jahrhunderts stammt eigentlich vom Straßburger Organisten Bernhard Schmidt, wird aber von einer langen, von Jobin unterschriebenen Prosavorrede sowie einem versifizierten Prolog von Fischart eingeleitet.152 Das Glückhafft Schiff wiederum erzählt eine Rekordfahrt der Zürcher nach Straßburg und dient, diesmal als Epos und nicht als Festschrift, in ähnlicher Weise der Festigung und Lobpreisung der elsässisch-schweizerischen Städtefreundschaft wie die oben diskutierte Ordenliche Beschreibung zwölf Jahre später. Beide Texte poetisieren jene genealogischen und organischen Denkformen, über die oben auf diskursiver Ebene gehandelt worden ist: Das Glückhafft Schiff enthält, wie bereits gezeigt, ähnliche etymologische Reflexionen auf den Städtenamen Straßburg wie die Ordenliche Beschreibung153 und verhandelt den über Land und Geschichte begründeten Freiheitstopos.154 Der Ritter Stauffenberg wiederum thematisiert die Sage um einen Angehörigen eines Ortenauer Minis-
150 Johann Fischart: Geschichtklitterung (Gargantua). Text der Ausgabe letzter Hand von 1590. Mit einem Glossar hg. von Ute Nyssen. Nachwort von Hugo Sommerhalder. Düsseldorf 1963, S. 53. 151 Müller: Alte und neue Homere, S. 244. 152 Zur Verfasserfrage vgl. unten Kap. 4.2. 153 Vgl. Fischart: Glückhafft Schiff, S. 136, 146. 154 Diesmal spielt auch die eidgenössische Freiheit eine besondere Rolle, vgl. ebd., S. 137.
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terialengeschlechts, indem er eine mittelhochdeutsch-elsässische Erzählung aus dem vierzehnten Jahrhundert aktualisiert,155 und führt so ganz im Sinne des Regionalpatriotismus einen oberrheinischen Adligen als Tugendexempel156 vor. Dementsprechend formuliert Fischart in seinem Prolog: Das wollen wir Erstlich thun zu Ruhm Inn Gmeyn den Alten Teutschen frumm; Darnach dem Teutschen Adel Kn, Das er sein Tugend bseh hierinn.157
Mit diesen Eigenschaften, dem „sittsam Gmt“, das sich auch in „Seytenspilen“158 manifestiert, kann der Held dem Vergleich mit Achilles standhalten.159 Die Kategorie der Tugend bzw. des Muts ist dann auch in beiden Fällen das zentrale Scharnier, in dem der Text vom antiken epischen Modell hin zum autochthon motivierten Erzählen schwingt. Wenngleich das Glückhafft Schiff den Rhein in bester mythologischer Manier personifiziert160 und sich selbst in die heroische Tradition der Argonautika des Apollonios von Rhodos stellt,161 so beharrt der Text auf seinem Status als faktualem Text: „Derhalben weichet, jr Poeten,// Die war geschicht inn falsch gdicht nten […].“162 Indem Fischart stets die Mühe, die „Arbeitsamkeyt// Vnd standhafft vnuerdrossenheit“163 der Zürcher bei ihrem Kampf gegen die Wellen betont, so klingen hinter diesen Eigenschaften virtus, labor und constantia des vergilischen Äneas an.164 Sie sind aber auch im Sinne einer modernen, bürgerlichen Arbeitstugend aufzufassen:165 Die Zürcher werden eben nicht vom fatum hin- und hergeworfen, sondern verdienen sich den Erfolg durch ihrer Hände Arbeit. Durch diese Eigenleistung können sie die antiken Vorbilder übertreffen:
155 Vgl. Hauffen: Einleitung 1893, S. XLVII. 156 Zur zeitgenössischen Differenzierung zwischen Geblütsadel und Tugendadel sowie die Präferenz des Tugendadels beim großen Adelstheoretiker Cyriacus Spangenberg vgl. Carl: Euro päische Adelsgesellschaft, S. 194. 157 [Bernhard Schmidt:] Erneuwerte Beschreibung […] [1588]. In: Johann Fischarts Werke. Hg. von Adolf Hauffen. 3 Bde. Stuttgart 1893–1895 (Deutsche National-Litteratur 18), Bd. 1, S. 263–352, hier S. 266. 158 Ebd., S. 271. 159 Vgl. ebd. 160 Vgl. Fischart: Glückhafft Schiff, S. 135: „Vnd bfal die Gselschaft dem Rein […].“ 161 Vgl. ebd., S. 166; Müller: Viele neue Homere, S. 24. 162 Fischart: Glückhafft Schiff, S. 136. 163 Ebd., S. 134. 164 Vgl. Müller: Viele neue Homere, S. 245. 165 Vgl. Müller: Fischarts Gegenkanon, S. 316 und S. 285–288.
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Diweil sie vnterstunden mehr, Als des Jasons Gselschaft zu Mr, Bedacht, das sie kain bhelf nicht haten Von Winden, die sie treiben thaten […].166
Die Motivierung der Handlung durch eine regional wie städtisch verankerte Tugend, die nicht nur im Glückhafft Schiff selbst, sondern, wie gezeigt, auch andernorts in Jobins Offizin aus der Geschichte hergeleitet wird, verpflanzt das epische Erzählschema in autochthone Gefilde. Im Ritter Stauffenberg wird ebenfalls die Tugend ins Zentrum und an den Anfang der Narration gesetzt. Den „freien Mut,// Der nicht alleyn Lust tragen thut,// Das er die Tugend selber b“167, stellt Fischart in seinem Prolog an die Stelle aller nur denkbaren Musenanrufe. Er weist sogar die gängigen mittelalterlichen Erzählstoffe mit dem Argument der Lügenhaftigkeit168 als Orientierungsmuster zurück, d. h. beispielsweise die Melusine, die Heldensagen, die Artusromane und sogar die neueren Amadisromane,169 und verortet so Beginn und Motiv des Erzählens in uralter, vor-mittelalterlicher Vergangenheit. Dennoch hat der Ritter Stauffenberg selbst eine Mahrtenehe zum Gegenstand, und so ziehen Jobin bzw. Fischart in der Prosavorrede „nicht Musterautoren lateinischer Sprachkunst, sondern Gewährsleute für Monströses und Wunderbares [heran]: Dionysius Areopagita, den (sophokleischen?) Oedipus, die Trojasage, die Aeneis, Plutarchs und Livius’ Geschichten der ersten römischen Könige, die Geschichten der Amazonen, Apollonios von Tyana und Apuleius […].“170 Die Hierarchien zwischen den antiken und vernakularen Sprachen und Literaturen sind eingerissen,171 und doch fungiert die Sage vom Peter Stauffenberg als alternatives Mythologem, das nun, aus deutscher alter Vergangenheit stammend, den Mythos des antiken Epos ablöst. Müller hat zwar Recht, wenn er von einer „Geschichte des Abseitigen“ statt einer „Poetik des Niedrigen“172 spricht, die sich im Ritter Stauffenberg manifestiere. Doch holen Fischart, Jobin und Schmidt das Abseitige über dessen geschickte Plazierung an gattungspoetologischen Systemstellen in das hohe Sprechen zurück.
166 Fischart: Glückhafft Schiff, S. 166. 167 [Schmidt:] Erneuwerte Beschreibung, S. 267. 168 Vgl. ebd., S. 267. 169 Vgl. ebd. Vgl. zu diesen Begründungen auch Müller: Viele neue Homere, S. 247 f.; Müller: Fischarts Gegenkanon, S. 310–316. 170 Müller: Fischarts Gegenkanon, S. 310. 171 Vgl. ebd., S. 312. 172 Ebd., S. 313.
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Die vielfältigen Ersetzungsoperationen, die im Ritter Stauffenberg und im Glückhafft Schiff auf inhaltlicher wie formaler Ebene173 unternommen werden, eröffnen einen Raum der Gleichwertigkeit, in dem das Deutsche mit seinen spezifischen kulturellen Anforderungen und seiner autochthonen Vergangenheit genauso eine Gattung des hohen Stils besetzen kann wie das Lateinische oder Griechische der Antike. Die Freiheit und Unabhängigkeit von Rom in Sprache und Kultur, wie sie oben am Beispiel verschiedenster genealogischer Reflexionen analysiert worden ist, offenbart sich gerade in diesem Kontrasteffekt, der sich in der Poetisierung besagter Wissensbestände einstellt. Sie manifestiert sich in der Autonomie deutscher versepischer Poesie, die mit ihren ureigenen genealogischen Konzepten erfolgreich zu operieren vermag. Ein aemulativer Gestus unterliegt diesen Verfahren insofern, als indigene Denk- und Schreibformen im deutschen Kulturraum das antike Muster anzupassen und damit, qua Fundierung in der eigenen Vergangenheit, zu aktualisieren vermögen. Die antike Autorität verkörpert zwar immer noch ein gewisses stilistisches Niveau, ist aber angreifbar und modifizierbar geworden. Ein anders akzentuiertes Modell versepischer aemulatio entwirft Fischart – ganz im Sinne eines Laboratoriums, in dem verschiedene Optionen und Entwürfe nebeneinander stehen können – in seinem Eulenspiegel Reimensweiß (ca. 1572) und in der Flh Hatz, Weiber Tratz (1573 und 1577). Dort geht jeweils eine andere, antiklassizistische Antike eine Allianz mit den volkssprachigen Traditionen ein. Müller hat ausführlich herausgearbeitet, dass im Eulenspiegel beispielsweise über die Rede vom Esel als besserem Pegasus174 – und in vielen anderen Passagen – eine emanzipierte und elaborierte ‚Poetik des Niederen‘ etabliert wird, die bewusst unterhalb der hohen Stilebenen bleibt und damit anschlussfähig für neue epistemologische Zusammenhänge, zum Beispiel die Didaktisierung, wird175 – ein Zug, der die vernakulare Kultur entscheidend prägt.176 Autochthone Satirentradition in Form des Schwankbuchs und die komische Literatur
173 Im Ritter Stauffenberg erscheinen die Acht- und Neunsilbler einerseits als alte Form: „Jn Reimens gstalt Altartiglich“, so äußert sich Fischart über die den seinen ähnlichen Verse Bernhard Schmidts, [Schmidt:] Erneuwerte Beschreibung, S. 288. Andererseits gelten sie gleichzeitig als Modernisierung älterer dreihebig-siebensilbiger Verse, vgl. ebd., S. 269 – ein Zeichen dafür, dass es sich bei der vernakularen Tradition um eine ungebrochene handelt. 174 Vgl. Johann Fischart: Eulenspiegel reimenweis [ca. 1572]. In: Johann Fischart: Sämtliche Werke. Bd. 2. Hg. von Ulrich Seelbach und W. Eckehart Spengler. Stuttgart-Bad Cannstatt 2002, V. 1–4. 175 Vgl. Müller: Fischarts Gegenkanon, S. 290–297. 176 Vgl. zur Didaktisierung als vernakularem Zug auch Kap. 3.2 (Emblematik). Vgl. in diesem Zusammenhang zum religiösen Wissen Florence Brunner: Fischarts Transformationen religiö-
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der Antike reichen sich in der versepischen Bearbeitung des Eulenspiegel konzeptuell die Hand. Die vernakulare Dichtung übertrifft die der klassischen Antike, indem sie sich selbstbewusst ihren eigenen, autonomen Raum mit alternativen poetischen Funktionsbestimmungen schafft, sich so der ‚anderen Antike‘ als gleichwertig erweist und dabei gar nicht erst versucht, sich an den Klassizismus heranzuschreiben – auch dies eine Spielart der Freiheit von der römischen und lateinischen Tradition, besitzt doch die deutschsprachige Dichtung ihre eigene Domäne und Geschichte, die sie legitimiert. Für die Flh Hatz177 wiederum, die in ihrer ersten Ausgabe von 1573 auch die Flohklage des Mathias Holtzwart in recht intakter Form enthält, ist der Gedanke von der Freiheit und dem autochthon fundierten Selbstbewusstsein der deutschsprachigen Literatur einen Schritt weitergedacht, verbindet sich doch nun die Parodie zeitgenössischer Ratgeberliteratur mit der Parodie heroisch-epischen Erzählens.178 Die hohe Stillage wird also nicht nur als das ganz Andere deklariert, sondern zum Gegenstand satirischer und damit auch aemulativer Umarbeitung.179 Auch hier darf, beispielsweise mit dem Verweis auf die Batrachomyomachia, der Referenzhorizont des antiken komischen Epos sowie des komischen Enkomiums zur Erarbeitung einer ‚Poetik des Niederen‘ nicht fehlen.180 Zugleich entpuppt sich die Flh Hatz als intertextueller, die Sprachen transgredierender Flickenteppich, der sich gleichermaßen aus komischer und ernster Literatur aus Antike und Gegenwart bedient181 und dabei zwischen Orientierung an generischen (unklassischen) Vorbildern und ihrer freien Dissektion und Rekombination changiert. Müller erkennt hier außerdem in einer im inserierten Flöhlied verwendeten Strophenform einen direkten – und ernsthaften – Bezug zur autochthonen Liedkunst,
sen Wissens in seiner Eulenspiegel-Bearbeitung. In: Eulenspiegel-Jahrbuch 52–53 (2012–2013), S. 55–74. 177 Zur Flh Hatz vgl. Müller: Fischarts Gegenkanon, S. 297–303. Zur Funktion der Komik, sehr auf die Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung sowie das richtige weibliche Verhalten zugespitzt, vgl. Peter Rusterholz: Form und Funktion des Komischen in der Tierdichtung des 16. Jahrhunderts. In: Daphnis. Zeitschrift für Mittlere Deutsche Literatur und Kultur der Frühen Neuzeit (1400–1750) 7 (1978), S. 129–154, hier besonders S. 138–148. 178 Vgl. Müller: Fischarts Gegenkanon, S. 298. Vgl. zu den Unterschieden zwischen den Ausgaben auch ebd., S. 197 f. Die juristische Fachterminologie wäre ebenfalls eine Untersuchung wert, vgl. Michael Schilling: Skeptizistische Amplifikation des Erzählens. Fischarts Antworten auf die epistemische Expansion der Frühen Neuzeit. In: Erzählen und Episteme. Literatur im 16. Jahrhundert. Hg. von Beate Kellner, Jan-Dirk Müller, Peter Strohschneider. Berlin, New York 2011 (Frühe Neuzeit 136), S. 69–90, hier S. 71–78. 179 Vgl. zum Zusammenhang von aemulatio und Satire Kap. 4.1.1. 180 Vgl. Müller: Fischarts Gegenkanon, S. 299 f. 181 Vgl. ebd., S. 299, 302.
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die in dieser Ausprägung keine Fortsetzung finden sollte.182 In diesem Ineinander von der Ausstellung vernakularer Formen bei gleichzeitiger Satirisierung und Parodierung ‚hoher‘ Autoritäten scheint sich Fischart mit Holtzwarts Motiven zu treffen, denn eben solche Verfahren werden auch in den Emblematum Tyrocinia (1581) Holtzwarts zu beobachten sein.183 Den skizzierten, je unterschiedlich akzentuierten aemulativen Strategien beim Umgang mit der antiken Literatur ist gemein, dass sie allesamt den Eigenwert der Reflexionsformen, Gattungen und Inhalte aus der volkssprachigen Tradition als Argument für die Umarbeitungsprozesse gebrauchen. Das Deutsche erweist sich hierbei als dem hohen Register ebenso gewachsen, wie es in seiner angeblich ureigenen Domäne, der ‚niederen Literatur‘, heimisch ist. Der Gedanke der thematischen und formalen Unabhängigkeit von der klassischen Antike, verdichtet in uralter deutscher Sittlichkeit und Tugend, spannt all diese Überbietungsoperationen zusammen. Indem er gerade im versepischen Erzählen zum Ausdruck gebracht wird, der Gattung also, der traditionellerweise die Reflexion von Ursprungskonzepten und kollektiver Geschichtserfahrung obliegt, weisen all die genannten sprachlich-poetischen Modifizierungen an der Textoberfläche zurück auf die Tiefendimension der organischen und genealogischen Begründungen der Freiheit der deutschen Nation, des germanischen Volks und seiner Stämme sowie der deutschen Sprache – eine Vorstellung von Freiheit, ohne die die artistische Sprach- und Textbeherrschung Fischarts gar nicht denkbar ist.184
2.2 Forderungen der Gegenwart: Nation, Konfession und ihre Relevanz für die städtische Kultur (Konfessionspolemik, Unterweisungsliteratur, Musik) Die deutsche, von kulturellen Determinationen freie Vergangenheit wird über die skizzierten genealogisch-organischen Begründungen stets an die Gegenwart angebunden und auf diese Weise präsent gehalten. So erhalten die historischen Einsichten eine normative Bedeutung für die Faktur der deutschen Nation in der Gegenwart: Sie flankieren die konfessionell gefärbten, allgemeinen wie tagespolitischen Herausforderungen der Zeit, die ebenfalls den sprachlich-kulturellen Agon sowie Inklusions- und Exklusionsbewegungen provozieren.
182 Vgl. ebd., S. 303. 183 Vgl. Kap. 3.2.2. 184 Vgl. Kap. 4.
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Die Offizin beteiligt sich in großem Umfang an der Übersetzung und Verbreitung von Flugschriften und Pamphleten zu tagesaktuellen und religionspolitischen Themen, vor allem aus Frankreich, aber auch aus den Niederlanden und der Schweiz. Der Binenkorb gehört in diese Reihe,185 aber auch, als Beispiele unter vielen, das gegen Katharina von Medici gerichtete Offenlich[ ] Ausschreiben (ca. 1575) – eine Übersetzung des Discours merveilleux, ebenfalls aus dem Jahr 1575 – oder, aus demselben Jahr, Reveille-matin, Oder wacht frü auf.186 Fischart tut sich hier als Übersetzer hervor, und sein Umgang mit den Vorlagen ist dabei stets unterschiedlich: Zuweilen übersetzt er recht nah an seinen Vorlagen, zuweilen operiert er mit zusätzlichen Einsprengseln, wie man es von seinem aemulativamplifizierenden Übersetzungsstil her kennt.187 Wenn Klaus Garber für die OpitzGeneration feststellt, dass sie sich weniger von Südeuropa denn, aufgrund der von den konfessionellen Auseinandersetzungen freigesetzten literarisch-poetischen Potentiale – man denke an die hugenottischen Literaten Clément Marot oder Théodore de Bèze –, von Frankreich und den Niederlanden angeregt gefühlt habe,188 so darf man Analoges auch für Fischart und die ihm über die Offizin verbundenen Literaten annehmen.189 Im Offenlich[en] Ausschreiben befinden sich die berühmten Sonett-Experimente Fischarts, die Etlich Sonnet. Achim Aurnhammer hat nachgewiesen, dass Fischart in den Sonetten, die inhaltlich wie formal auf hugenottischer Pamphletistik aufbauen, die spezifische (Reim-)Form für komplexere Argumentationen zu nutzen weiß, als dies in den gängigen Reimpaarversen möglich gewesen wäre.190
185 Vgl. zum Binenkorb Kap. 4.1.2. 186 Vgl. im Überblick Adolf Hauffen: Fischart-Studien VI: Die Verdeutschungen politischer Flugschriften aus Frankreich, den Niederlanden und der Schweiz. In: Euphorion. Zeitschrift für Literaturgeschichte 8 (1901), S. 529–571; Adolf Hauffen: Fischart-Studien VI: Die Verdeutschungen politischer Flugschriften aus Frankreich, den Niederlanden und der Schweiz. Fortsetzung. In: Euphorion. Zeitschrift für Literaturgeschichte 9 (1902), S. 637–656; Adolf Hauffen: Fischart-Studien VI: Die Verdeutschungen politischer Flugschriften aus Frankreich, den Niederlanden und der Schweiz. Schluss. In: Euphorion. Zeitschrift für Literaturgeschichte 10 (1903), S. 1–22. 187 Vgl. Kap. 4.1.1. 188 Vgl. Garber: Erwägungen, S. 188; Garber: Literatur und Kultur im Deutschland der Frühen Neuzeit, S. 909–954. 189 Vgl. zu den Voraussetzungen Ferdinand van Ingen: Die niederländische Nationalliteratur im Kontext der konfessionspolitischen Auseinandersetzungen auf der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert. In: Nation und Literatur im Europa der Frühen Neuzeit. Akten des ersten Osnabrücker Kongresses zur Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit. Hg. von Klaus Garber. Tübingen 1989 (Frühe Neuzeit 1), S. 576–595. 190 Vgl. Achim Aurnhammer: Johann Fischarts Spottsonette. In: Simpliciana. Schriften der Grimmelshausen-Gesellschaft 22 (2000), S. 145–165. Vgl. zu den juristischen Zuammenhängen
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Im ‚replizierenden Schreiben‘191 zwischen Konfessionspolemik und Übersetzung vermag Fischart aus der Konfrontation mit der verhassten Katharina von Medici eine mit den Franzosen gemeinsame Vergangenheit zu konstruieren und daraus das Postulat zum Aufstand abzuleiten:192 „Erweist/ das jhr von Teutschen kommen/ // Von Francken frey/ den alten frommen.“193 Das Prinzip der Freiheit resultiert hier aus dem agonalen Verhältnis zu einem konfessionell definierten kulturellen Gefüge. Unter diesen Vorzeichen wird die eigentlich tiefgreifende nationale Differenz zwischen Franzosen und Deutschen aufgehoben und durch die konfessionelle überschrieben. Ins Bild gesetzt wird diese Akkulturation des Französischen über die Adaptation der Sonettform, die auf diese Weise als genuin deutsche Ausdrucksmöglichkeit erscheint. Konfessioneller Agon treibt also neue poetische Formen hervor, die jedoch mit dem Anspruch des Alten auftreten.194 Nicht immer handelt es sich bei den Jobin-Drucken, die zu aktuellen kriegerischen Auseinandersetzungen Stellung beziehen, um Übersetzungen. Die Schrift Gantz gedenckwürdige und Eygentliche Verzeichnuß (1588) beispielsweise dokumentiert und preist den Untergang der Armada, indem sie längere Tatsachenberichte in Prosa mit liedhaften Kleinformen kombiniert, die u. a. von Fischart stammen.195 Sie eröffnet gleichsam einen Raum für das literarische Experiment, das dort zahlreiche formale Variationen über ein und dasselbe Thema durchspielen kann. Eine weitere Reflexionsform alternativer konfessioneller und politischer Entwürfe ist die Fürstenspiegelliteratur. Georg Nigrinus (Schwarz), der, wie unten zu sehen sein wird, Jobins Papstportraitbuch Accuratae Effigies (1573) im konfessionellen Sinne rezipiert196 und 1584 bei Jobin eine der Ehrenrettung des Heiligen Römischen Reiches verpflichtete Replik auf Carlo Sigonios Papstgeschichte herausbringt,197 übersetzt den sogenannten Anti-Machiavel von Innocent Gentil-
Stephanie Blum: „Darum gott alles recht erschuf“. Recht und Geschlecht in Johann Fischarts Sonettzyklus „Etlich Sonnet“. In: Dichterjuristen. Studien zur Poesie des Rechts vom 16. bis 21. Jahrhundert. Hg. von Yvonne Nilges. Würzburg 2014, S. 13–29. 191 Zu diesem meinem Begriff und Konzept vgl. Kap. 4. 192 Vgl. Aurnhammer: Spottsonette, S. 153. 193 Johann Fischart: Etlich Sonnet. In: Achim Aurnhammer: Johann Fischarts Spottsonette. In: Simpliciana. Schriften der Grimmelshausen-Gesellschaft 22 (2000), S. 145–165, S. 155–158, hier S. 158. 194 Zur gattungspoetologischen Implikation der Sonette im Zeichen der Nachahmumgspoetik vgl. Kapitel 4.1.4. 195 Vgl. [Anonym:] Gantz gedenckwürdige und Eygentliche Verzeichnuß […]. [Straßburg: Bernhard Jobin] 1588, fol. H1r. 196 Vgl. Kap. 3.1.1. 197 Es handelt sich um eine Übersetzung von Sigonios De regno Italiae, allerdings im konfessionspolemischen Sinne (Von Geschichtenn des Knigreichs Italie/ Fnffzehen Bcher (1584).
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let (1576) und publiziert ihn, mit einer Vorrede Fischarts, 1580 bei Jobin unter dem Titel Regentenkunst/ Oder Fürstenspiegel.198 In seiner eigenen Vorrede goutiert Nigrinus den konfessionellen Impetus der Gentillet-Schrift und erkennt den politischen Horizont der europäischen (Anti-)Machiavellismus-Debatten als relevant für die Institution einer guten Policey im Inneren an.199 Fischart wiederum preist auf der Grundlage klimatheoretischer Vorannahmen – vermutlich ein Seitenhieb in Richtung all jener, die das germanische Barbarentum mit dem schlechten Klima begründeten – die autochthonen Sitten der Alten, die in Schriften und Exempeln überliefert seien, und wehrt sich gegen die fremden Einflüsse von außen.200 Die Übersetzungstätigkeit von Nigrinus bringt also erneut den Eintritt in den Agon der konfligierenden politischen und konfessionellen Positionen mit sich, allerdings nicht, wie im Offenlich[en] Ausschreiben, unter Aufhebung der nationalen Differenzen, sondern bei deren gleichzeitiger Vertiefung. Die Orientierungsmacht solcher Positionen mit Blick auf die Einrichtung eines guten Gemeinwesens wird von den Beteiligten keineswegs unterschätzt: Aus dem paragone der Sitten und politischen Positionen können Handlungsanweisungen für die eigene Politik und Verwaltung generiert werden. Die konfessionell geprägte ‚Disziplinierung‘ des öffentlichen und privaten Lebens ist ein zentrales Anliegen des auf das betreffende Gemeinwesen bezo-
198 Vgl. zur Machiavelli-Rezeption in Deutschland grundlegend Cornel Zwierlein: Machiavellismus und italienisch-deutscher Kulturtransfer im 16./17. Jahrhundert. In: Machiavellismus in Deutschland. Chiffre von Kontingenz, Herrschaft und Empirismus in der Neuzeit. Hg. von Cornel Zwierlein, Annette Meyer. München 2010 (HZ Beihefte 51), S. 23–60. „Macchiavellis Name wird sehr rasch zu einer Chiffre“ (ebd., S. 31), es ist schwer zu unterscheiden, wann ein Topos und wann ein Text rezipiert wird. 199 Vgl. Michael Szurawitzki, Dagmar Neuendorff: Die ‚Epistre‘ zu Innocent Gentillets ‚ContreMachiavel‘ und die Vorreden Georg Nigrinusʼ und Johann Fischarts in ‚Regentenkunst oder Fürstenspiegel‘. Edition mit Hintergrund und Kommentar. In: PBB 133 (2011), S. 290–315. 200 Vgl. ebd., S. 310–331. Es ist wahrscheinlich, dass Fischarts klimatheoretische Überlegungen auf Jean Bodins Methodus ad facilem historiarum cognitionem (1566) zurückgehen. Bodin war ein gerade am Oberrhein vielgelesener Autor und Fischart auch aus dämonologischen Kontexten bekannt, vgl. Fischarts Übersetzung von Jean Bodins De la démonomanie des sorciers (Vom Aussgelassnen wütigen Teuffelsheer, 1581). Vgl. zu Bodins klimatheoretischer Fundierung der Nationalcharaktere Martin Disselkamp: Nationalcharaktere als Kriterien historischer Wahrheit. Zu Bodins Methodvs ad facilem historiarum cognitionem. In: Frühneuzeitliche Stereotype. Zur Produktivität und Restriktivität sozialer Vorstellungsmuster. V. Jahrestagung der internationalen Andreas Gryphius Gesellschaft Wrocław. Hg. von Mirosława Czarnecka, Thomas Borgstedt, Thomas Jabłecki. Bern u. a. 2010 (Jahrbuch für internationale Germanistik. Reihe A: Kongressberichte 99), S. 45–65. Zur Klimatheorie im patriotischen Diskurs vgl. Schmidt: Vaterlandsliebe, S. 156–163.
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genen, hier also des städtischen Patriotismus. In der Offizin Jobin ist entsprechendes Schrifttum Legion. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang Fischarts Anmanung zu christlicher Kinderzucht (1578) aus dem Anhang des bei Jobin gedruckten Luther-Katechismus und Fischarts Ehzuchtbüchlin (1578),201 aber auch die zahlreichen Liederbuch- und Musik-Publikationen wie die Psalmen/ geistliche Lieder vnd Kirchengesänge (1573) oder das Gesangbüchlin (1575),202 die von Fischart eingeleitete Tabulatur des Organisten Bernhard Schmidt (1577), der Lobwasser-Psalter (1586), Melchior Neusidlers Teütsch Lautenbuch (1574), Sixtus Kargels lateinische Toppel Cythar (1575) und zweisprachige Renovata Cythara (1578) sowie Das Erste Buch Newerleßner Fleissiger […] Lautenstück (1572) bzw. Das Ander Buch Newerleßner Kunstlicher […] Lautenstück (1573), je eingeleitet von Jobin und im ersten Teil mit Fischarts Artliche[m] Lob der Lauten ergänzt, in dem Fischart Gottesdienst und Musik aufs Engste zusammenspannt, also auch die Instrumentalmusik auf den religiösen Zusammenhang hin abstellt. Die Musik entfaltet sich in diesen Publikationszusammenhängen als diejenige Kunst, in der das protestantische Lob Gottes zum Ausdruck kommt und die dabei zugleich eine charakterbildende und soziale Funktion erfüllt – nicht zuletzt sind auch beim Elsässer Chronisten Hertzog „Kinderzucht“ und „Gottesdienst“ Teil von „Regiment vnnd verwaltung“203. Der gemeinsame Gesang konstituiert die christliche Gemeinde, und diese wiederum steht im Zentrum eines gelungenen Gemeinwesens. Es ist Zeichen für die noch fluide Ausgestaltung der konfessionellen protestantischen Identitäten am Ende des sechzehnten Jahrhunderts im Allgemeinen sowie in der Stadt Straßburg und bei Jobin und Fischart im Besonderen, dass die
201 Die humanistische Moralphilosophie beeinflusst in hohem Maße die Ehelehre, vgl. Alfred Noe: Der Einfluß des italienischen Humanismus auf die deutsche Literatur vor 1600. Ergebnisse jüngerer Forschung und ihre Perspektiven. Tübingen 1993 (IASL. Sonderheft 5), S. 118–140. Diese wird aber zumal im vorliegenden Zusammenhang im Rezeptions- und Übersetzungsprozess zahlreichen Transformationen unterworfen und ‚protestantisiert‘. Zur protestantischen Ehelehre bei Fischart vgl. Pia Holenstein: Der Ehediskurs der Renaissance in Fischarts Geschichtklitterung. Kritische Lektüre des fünften Kapitels. Bern u. a. 1991 (Deutsche Literatur von den Anfängen bis 1700 10), S. 249–324. Zum Frauenbild der Geschichtklitterung vgl. Elisabeth Wåghall Nivre: Women and Family Life in Early Modern German Literature. Rochester 2004 (Studies in German Literatur, Linguistics, and Culture), S. 131–156. 202 Fischart beteiligte sich mit 22 Psalmdichtungen und 14 Liedern. Vgl. die Ausgabe Johann Fischart’s genannt Mentzers Geistliche Lieder und Psalmen aus dem Straßburger Gesangbüchlin von 1576, auch dessen Anmahnung zu christlicher Kinderzucht und Ein Artliches Lob der Lauten. Hg. von Gustav von Below, Julius Zacher. Berlin 1849; Philipp Wackernagel (Hg.): Das deutsche Kirchenlied von der ältesten Zeit bis zu Anfang des 17. Jahrhunderts. 5 Bde. Leipzig 1864–1877, Bd. 4, S. 810–844. 203 Hertzog: Chronicon 1592, liber I, S. 5.
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Liedpublikationen gleichermaßen auf ein lutherisches wie reformiertes Publikum abzielen.204 Zu solchem didaktischem Schrifttum gehören streng genommen auch Fischarts Satiren, die gängige menschliche Laster aufs Korn nehmen, wie beispielsweise Aller Praktik Großmutter (1572) oder das Podagrammisch Trostbüchlein (1577). Die Besserung der deutschen Sitten wird hier über ähnliche Bezugnahmen auf antike und zeitgenössische Gattungen und Literaturen erreicht, wie sie bereits oben für die Versepen beschrieben worden sind. Der Überblick über die verschiedenen Gattungen und Textsorten, in denen über Moral, Sittlichkeit und gutes Zusammenleben reflektiert wird, legt offen, dass die Pflege der privaten Sittenkultur immer auch eine soziale Funktion besitzt und den städtischen Raum mitdenkt. Die Texte weisen, sei es im Zusammenhang mit dem Gottesdienst oder bei der Leitfrage des Fürstenspiegels, wie eine gute Policey aussehen könne, einen stark konfessionellen Impetus auf, den sie unter anderem aus den agonalen Bezugnahmen auf konfligierende politische wie religiöse Positionen auf europäischer Ebene schöpft. Der Wettstreit der Konfessionen, der in dieser Zeit anders als der kulturelle paragone nicht nur konzeptueller Natur war, sondern sich in massiven kriegerischen und sonstigen gewaltsamen Auseinandersetzungen manifestierte, wirkt sich produktiv auf die moralische und soziale Kultur der Stadt aus und schlägt sich wiederum in den verschiedensten Kunst- und Literaturformen nieder, die allesamt die Experimentierfreudigkeit von Jobins Offizin unterstreichen.
2.3 Zwischenfazit: Politische, sprachliche und poetische Autonomie als Basis aemulativer Operationen in Sprache, Literatur und Kunst Die Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit qua kultureller Innenschau vermag also ebenso zur kollektiven Selbstversicherung beizutragen wie die Orientierung
204 Nach Luther könne man sich selbst und die Christenheit in den Psalmen wie in einem Spiegel erkennen, „das rechte Gnothiseauton finden, dazu Gott selbs, und alle Creaturen“, zit. nach Ernst Ribbat: „Tastend nach Autonomie“. Zu G. R. Weckherlins Geistlichen und weltlichen Gedichten. In: Rezeption und Produktion zwischen 1570 und 1730. Festschrift für Günther Weydt zum 65. Geburtstag. Hg. von Wolfdietrich Rasch, Hans Geulen, Klaus Haberkamm. Bern, München 1972, S. 73–92, hier S. 75. Während im Luthertum die Psalmen als Glaubensübung immer noch durch das Kirchenlied ergänzt waren, wurden bei den Reformierten, aufgrund ihrer stark ekklesiologischen Ausrichtung, die „Psalmen als […] genuine[ ] Sprachform des neuen Glaubens“ (Ribbat: „Tastend nach Autonomie“, S. 76) angenommen.
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nach außen und die damit verbundene gezielte Beobachtung der politischen Faktur der konkurrierenden Nationen. Die Auseinandersetzung mit den konfessionellen Großereignissen der Zeit und die Reflexion auf alternative soziale Ordnungsmuster lassen Rückschlüsse darauf zu, wie das eigene Gemeinwesen zu funktionieren habe. Den sittenpolitischen Index setzen Jobin und seine Autoren in unterschiedlichen textuellen Reflexionsformen um: im konfessionspolemischen Schrifttum, das Spielräume für literarisch-poetische Kleinformen eröffnet; in politischen Traktaten, in denen beispielsweise über diskursive Abgrenzungsoperationen gleichzeitig die Sonettform für die deutsche Sprache erschlossen wird; in der Musik des evangelischen Gottesdiensts; und in didaktischer Traktat- und Anweisungsliteratur, die ihre formalen Grenzen und Möglichkeiten austestet und dabei auch die vielfältigen Potentiale satirischen Schreibens eröffnet. Fischart, Jobin und ihre Mitarbeiter verhandeln die sprach- und kulturpatriotische Frage also nicht nur diskursiv auf all denjenigen Ebenen, die die zeitgenössische Diskussion dafür bereithält, sondern sie experimentieren zugleich mit geeigneten Formen. Sittliches wie ‚ästhetisches‘ Formbewusstsein gehen dabei, ganz im Sinne des anthropologischen imitatio- und aemulatio-Konzeptes, Hand in Hand. Der freie Umgang mit den Textformen zur Vermittlung deutscher Sitten legitimiert sich wiederum in der über unterschiedliche genealogische und organische Begründungszusammenhänge herauspräparierten Unabhängigkeit deutscher Tugend. Zum Prüfstein dieser Haltung wird das geneaologisch vorstrukturierte Versepos, an dem das proteushafte Potential vernakularer Textund Sprachbeherrschung in divergierenden aemulativen Operationen sichtbar gemacht werden kann. Die deutsche Sittenkultur ist so als Gravitationszentrum jeglicher sprachlich-rhetorischer aemulativer Strategien identifiziert. Auch dies ist gewissermaßen eine Umakzentuierung der tendenziell eher auf die Formseite fokussierten, klassizistischen imitatio-Auffassung der Neolatinität, hervorgetrieben von den Spezifika der deutschen Kultur. Es liegt also nahe, die konzeptuellen und formalen Ausprägungen der aemulatio unter vernakularen Vorzeichen im Folgenden in Kunstformen weiterzuverfolgen, denen die didaktisch orientierte Erkenntnisbewegung als ein Wesensmerkmal inhärent ist: der Emblematik und den ihr strukturähnlichen Ausprägungen von Bild- und Portraitkunst.
3 Kunstformen zwischen Bild und Text: Portraitwerk, Bildergedicht, Bilderbibel, Emblematik Bild und Text sind in Spätmittelalter und Früher Neuzeit in vielfältiger Weise aufeinander bezogen. Während beispielsweise Bilder in erzählenden Texten während der Frühzeit des Buchdrucks in mittelalterlicher Tradition eher illustrierenden Charakter haben, die Memorierbarkeit des Inhalts gewährleisten und dabei auch die Laienunterweisung im Blick haben, lässt sich im Laufe des sechzehnten Jahrhunderts gleichsam eine Emanzipation des Bildes beobachten, das zunehmend als gleichberechtigter Partner des Textes auftritt, wie im Flugblatt oder im Emblem.1 Textuell-piktoriale Mischformen sind dabei entweder integraler Bestandteil der Buchkunst oder werden auf vielfältige Art und Weise aus der außerliterarischen Welt in sie aufgenommen: Von den Errungenschaften der modernen Malerei bleiben auch die Holzschnitte nicht unbeeinflusst; oft betätigen sich Maler als Formschneider; oder die Formschneider greifen, zumal im Bereich der Portraitkunst, auf Bildnisse aus den Pinseln anderer zurück. Die Erkenntnisse der Architektur und geometrischen Kunst im Bereich der dreidimensionalen Darstellungsverfahren wiederum schlagen sich in den kunstvollen Bordüren und Rahmen nieder, mit denen die Textseiten oder Holzschnitte nicht selten umfasst sind (vgl. beispielsweise Abb. 25). Die Offizin Jobin ist, das zeigt ein Blick in ihr Programm, auf dem Feld der Bildkunst sowie der Architektur besonders engagiert,2 was nicht zuletzt den beruflichen Wurzeln Jobins in der Holzschneiderei sowie der Verpflichtung des künstlerischen Schwergewichts Stimmer zuzuschreiben ist. Mit dem Transfer der bildenden Kunst in das gedruckte Buch in Form des Holzschnitts, dessen Entwicklung untrennbar mit der eigentlich primär textzentierten Buchdruckerkunst ver-
1 Vgl. Jan-Dirk Müller: Das Bild – Medium für Illiterate? Zu Bild und Text in der Frühen Neuzeit. In: Schriftlichkeit und Bildlichkeit. Visuelle Kulturen in Europa und Japan. Hg. von Ryozo Maeda, Teruaki Takahashi, Wilhelm Voßkamp. München 2007, S. 71–104, besonders S. 88. Vgl. explizit zu den deutschsprachigen Texten auch den monumentalen Aufsatz von Michael Curschmann: Wort – Schrift – Bild. Zum Verhältnis von volkssprachigem Schrifttum und bildender Kunst vom 12. bis zum 16. Jahrhundert. In: Mittelalter und frühe Neuzeit. Übergänge, Umbrüche und Neuansätze. Hg. von Walter Haug. Tübingen 1999 (Fortuna vitrea 16), S. 378–470. 2 Vgl. beispielsweise neben den in diesem Kapitel zu diskutierenden Texten den Erstdruck von Daniel Specklins deutscher Festungsbauschrift Architectura von Festungen (1589) bei Jobin sowie den von Wendel Dietterlins Architectura, einem Werk mit Stichvorlagen für Dekorationen, 1594 bei Jobins Erben. http://doi.org.de/10.1515/9783110613131-003
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bunden ist, werden naturgemäß jene bildkünstlerischen Formen in besonderem Maße gefördert, die sich geradezu über das Zusammenspiel von Text und Bild konstituieren. Das gedruckte Buch arbeitet also gleichsam über seine medialen Struktureigenschaften nicht nur der Profilierung, sondern auch der Reflexion kombinatorischer Kunstformen zu, wie es im Falle der bei Jobin publizierten Bilderbibeln, Portraitbücher, Bildergedichte, Flugblätter und Emblembücher zu beobachten ist. Die komplexen Holzschnitte Stimmers ‚wandern‘ dabei nicht selten zwischen den Drucken, wobei diese zeitgenössisch durchaus übliche Mehrfachverwendung der Bildstöcke nicht ausschließlich auf wirtschaftliche Motive zurückgeht: Sie erzeugt ein intermedial strukturiertes semantisches Netz, das intertextuelle Dependenzen stützt und dabei implizite Gattungspoetologien und -geschichten zu transportieren vermag, die von den Paratexten flankiert werden. All diesen Kunstformen ist eben jene genannte Eigenschaft gemein, dass ihre Bilder nicht bloß illustrativen Charakter haben, sondern in einem produktiv-dynamischen Verhältnis zu den Texten stehen. Damit können sie gleichsam emblematische Strukturen aufweisen, auch wenn sie nicht explizit mit der entsprechenden Signatur versehen sind und auch das oft als typisch angesehene Moment der argutia fehlt.3 So lässt sich hier am Ende des sechzehnten Jahrhunderts, als sich die Emblematik immer noch in ihrer Formierungsphase befindet, bebachten, wie die noch neue Gattung in der Konstellation von Jobins Offizin aus den verschiedensten Text- und Bildtraditionen herauspräpariert und dabei explizit, wenn auch nicht widerspruchslos, auf die deutsche Sprache und die Epistemik der vernakularen Kultur hin abgestellt wird. Auf ähnliche Weise historisch fundiert wird die Gattung des Portraitbuchs, die Jobin als Prüfstein einer elaborierten deutschen Bildkunst dient; diese bildet letztlich auch die starke Basis einer autarken vernakularen Emblemkunst.
3.1 Das Profil einer deutschen Bildkunst zwischen imitatio und aemulatio Ihre Skizzen zu Theorie und Geschichte der bildenden Kunst in Deutschland entwerfen Jobin und seine Mitarbeiter vor allem in den Paratexten zu mehreren Portraitbüchern, die zwischen den Jahren 1573 und 1587 in der Offizin gedruckt wurden. Die Portraitkunst nach der maniera moderna mit dem Anspruch, gemäß
3 Vgl. ähnlich argumentierend, allerdings schon für die Zeit des frühen Buchdrucks, Seraina Plotke: Emblematik vor der Emblematik? – Der frühe Buchdruck als Experimentierfeld der TextBild-Beziehungen. In: ZfdPh 129 (2010), S. 127–142.
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antiken Prinzipien wahre Kunst über die Nachahmung der Natur zu erreichen und dabei menschlicher Individualität – dies ist bekanntlich ein Topos der Ideengeschichte – zum Ausdruck zu verhelfen,4 erlebte im Italien des fünfzehnten Jahrhunderts ihren Aufschwung und wurde zugleich vielfältigst ausdifferenziert. So verschieden ihre Medien – großformatige Malereien5 stehen neben Kleinformen wie Medaillen, Münzen und Holzschnitten –, so unterschiedlich ihre Funktionen: Als Repräsentations- und Machtinstrument an den Fürstenhöfen fand sie ebenso Verwendung wie in Memorial-, Dedikations- und Sakralkontexten.6 Schon früh lässt sich eine Affinität zwischen Bildnis und Dichtung beobachten: Aus dem ikonisch gewordenen Dante-Portrait Giottos, der laut Georgio Vasari als Begründer der modernen Bildniskunst zu gelten habe, erwuchs für die „Portraitkunst auch jenes kulturelle Prestige, das sich mit dem großen Dichter verband“7. Ekphrastische Sonette, z. B. eines Francesco Petrarca, ahmen die Portraitkunst nach;8
4 Vgl. Jacob Burckhardt: Das Porträt in der Malerei. In: Jacob Burckhardt: Werke. Kritische Gesamtausgabe. Bd. 6: Das Altarbild. Das Porträt in der Malerei. Die Sammler. Beiträge zur Kunstgeschichte von Italien. Aus dem Nachlass hg. von Stella von Boch u. a. München, Basel 2000, S. 495–515. Der komplexe Diskurs zum Verhältnis von Natur und Kunst in der italienischen Kunst und Kunsttheorie kann hier nicht erschöpfend skizziert werden. Zusammenfassend sei verwiesen auf den Klassiker Erwin Panofsky: Idea. Ein Beitrag zur Begriffsgeschichte der älteren Kunst theorie. 6. Auflage. Berlin 1989, besonders S. 23–38. Zur Theorie des Portraits zwischen Individualität und Ähnlichkeit vgl. auch Evi Zemanek: Das Gesicht im Gedicht. Studien zum poetischen Porträt. Köln u. a. 2010 (Pictura et Poesis 28), S. 15–22. Genauer zur Interferenz der Abbildung von äußerer (empirischer) Natur und Wesen des Individuums in der Kategorie der Ähnlichkeit vgl. Stefan Weppelmann: Zum Schulterblick des Hermelins – Ähnlichkeit im Portrait der italienischen Frührenaissance. In: Gesichter der Renaissance. Meisterwerke italienischer PortraitKunst. Hg. von Keith Christiansen, Stefan Weppelmann. München 2011, S. 64–76. 5 Vgl. hierzu das Standardwerk von Gottfried Boehm: Bildnis und Individuum. Über den Ursprung der Porträtmalerei in der italienischen Renaissance. München 1985. 6 Einen Überblick über Formen und Funktionen bietet Patricia Rubin: Florenz und das Portrait der Renaissance. In: Gesichter der Renaissance. Meisterwerke italienischer Portrait-Kunst. Hg. von Keith Christiansen, Stefan Weppelmann. München 2011, S. 2–25. Genauer zur höfischen wie republikanischen Portraitkultur vgl. Peter Humfrey: Das Portrait im Venedig des 15. Jahrhunderts. In: Gesichter der Renaissance. Meisterwerke italienischer Portrait-Kunst. Hg. von Keith Christiansen, Stefan Weppelmann. München 2011, S. 48–63; Beverly Louise Brown: Die Bildniskunst an den Höfen Italiens. In: Gesichter der Renaissance. Meisterwerke italienischer Portrait-Kunst. Hg. von Keith Christiansen, Stefan Weppelmann. München 2011, S. 26–47. Vgl. zum Portrait auch Giulia Gandolfi (Hg.): Imagines Illustrium Virorum. La collezione dei ritratti dell’Università e della Biblioteca Universitaria di Bologna. Bologna 2010 (Università degli studi di Bologna. Pubblicazioni dell’Archivio storico 6). 7 Rubin: Florenz, S. 3. 8 Vgl. ebd., S. 7. Zum Porträtgedicht aus theoretischer Perspektive vgl. Zemanek: Gesicht im Gedicht, S. 23–28. Zu seiner Ausgestaltung in der Renaissance vgl. ebd., S. 75–108.
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Dichter, Künstler oder auch Gelehrte verfassen (Begleit-)Verse auf ihre eigenen Konterfeis.9 Poesis und pictura sind im paragone der Künste aufeinander bezogen. Das textuell imprägnierte Portrait tritt unter den Publikationen der Offizin Jobin auf verschiedene Art und Weise in Erscheinung:10 Während sich die mit mehr oder weniger Textbeigaben ausgestatteten Portraitbücher in den hohen und ernsten Kanon romanisch-rinascimentaler Portraitkunst einerseits einzuschreiben gedenken,11 diesen andererseits auch öffnen und auf neue Felder überführen, brechen bzw. stilisieren die in den Flugblättern und Bildergedichten implementierten Bildnisse eben jene diskursiven Vorgaben.
3.1.1 Wettstreit der Renaissancen: Die Rezeption der Portraitwerke Onofrio Panvinios und Paolo Giovios in Basel und Straßburg Das Portraitwerk ist eine eigentlich antike Gattung: Berühmt ist die aus jeweils Bildnis, Epigramm und biographischem Abriss einer berühmten Persönlichkeit bestehende, jedoch verlorene Portraitsammlung des M. Terentius Varro aus dem Jahr 39. v. Chr.12 In der Renaissance jedoch wurde sie zur regelrechten Mode. Die Kombination von Text und Bild ist dabei konstitutiv, wobei der Fokus entweder auf der auserzählten Biographie oder auf dem Bild liegt, das in diesem Fall dann lediglich mit kurzen, meist versifizierten Unterschriften versehen ist.13 Lange war dabei die Individualität der Darstellung zweitrangig, und so sind beispielsweise die 1650 Bildnisse aus Heinrich Pantaleons Teutscher Nation Heldenbuch (1567–
9 Vgl. Humfrey: Das Portrait, S. 59. 10 Vgl. grundlegend zum Medienwechsel in der Portraitkunst hin zur Druckgraphik und den entsprechenden Konsequenzen Hans Jakob Meier: Das Bildnis in der Reproduktionsgraphik des 16. Jahrhunderts. In: Zeitschrift für Kunstgeschichte 58 (1995), S. 449–477. 11 Vgl. grundlegend zur Gattung die umfassende Studie von Milan Pelc: Illustrium Imagines. Das Porträtbuch der Renaissance. Leiden u. a. 2002 (Studies in Medieval and Reformation Thought 88). Vgl. außerdem den Band Karl A.E. Enenkel, Betsy de Jong-Crane, Peter Liebregts (Hg.): Modelling the individual: biography and portrait in the Renaissance. With a critical edition of Petrarchʼs Letter to posterity. Amsterdam 1998 (DQR studies in literature 23). 12 Vgl. grundlegend Arnold von Salis: Imagines illustrium. In: Eumusia. Festgabe für Ernst Ho wald. O. Hg. Erlenbach-Zürich 1947, S. 11–29. 13 Vgl. zu den möglichen quantitativen Verteilungsverhältnissen Pelc: Illustrium Imagines, S. 21–27. Außerdem Paul Tanner: Paolo Giovio, Pietro Perna, Tobias Stimmer und ihre Porträtwerke. In: Spätrenaissance am Oberrhein. Tobias Stimmer 1539–1584. Ausstellung im Kunstmuseum Basel, 23. September bis 9. Dezember 1984. Hg. vom Kunstmuseum Basel. Basel 1984, S. 223–273, hier S. 223.
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1570) mit nur etwa 250 Bildstöcken angefertigt worden,14 was das ‚Portrait‘ zum imaginativen Platzhalter degradiert. Als maßgeblich für die Entwicklung authentischer Bildnisvitenbücher der Renaissance darf neben Vasari der italienische Bischof und Philosoph Paolo Giovio (1483–1552) gelten,15 der unter intensiver Nutzung der ihm am Papsthof zur Verfügung stehenden politischen Kontakte seine Portraitsammlung vorantrieb. Für sie ließ er am Comer See nach dem Vorbild des ostensischen Landsitzes Pliniusʼ d. J. sein sogenanntes Museum errichten, das 1543 fertiggestellt wurde.16 Die Bildnisse berühmter Gelehrter und Dichter, Humanisten, Politiker und Feldherren sowie Künstler aus Antike und Gegenwart und verschiedenster Herkunft – allerdings mit einem starken Schwerpunkt auf Italien – versah er mit biographischen Bildunterschriften, den Elogien; die Elogia virorum litteris illustrium erschienen dann schon 1546 in gedruckter Form. Außerdem verfasste Giovio längere Biographien, die Vitae virorum illustrium (1549–1557).17 1549 ließ er in Paris die Viten der zwölf Visconti unter Beigabe der entsprechenden Portraits drucken, wobei er die Ausführung der Holzschnitte per sönlich überwachte – es handelt sich hierbei um die einzige autorisierte illus trierte Ausgabe seines gesamten biographischen Werks.18 1551, kurz vor seinem Tod, erschien dann sein berühmter Dialogo delle imprese, den auch Fischart im Kontext seiner emblemtheoretischen Überlegungen rezipierte.19 Einzelne Impresen ließ Giovio auch an verschiedenen Orten seines Hauses an die Wände malen, so dass sich dem Besucher ein hochinteressantes ikonographisches Programm zwischen Bild und Text dargeboten haben muss.20 Die Mode der Portraitbücher
14 Vgl. ebd., S. 138. Heinrich Pantaleon hat prinzipiell durchaus einen humanistischen Anspruch, rekurriert auf antike Vorbilder und auch auf Paolo Giovio, vgl. Matthias Pohlig: Zwischen Gelehrsamkeit und konfessioneller Identitätsstiftung. Lutherische Kirchen- und Universalgeschichtsschreibung 1546–1617. Tübingen 2007 (Spätmittelalter und Reformation. Neue Reihe 37), S. 261; Schmidt: Vaterlandsliebe, S. 146–150. 15 Vgl. zur Bedeutung Giovios für die Mode der Bildnisvitenbücher der Renaissance grundlegend Paul Ortwin Rave: Paolo Giovio und die Bildnisvitenbücher der Renaissance. In: Jahrbuch der Berliner Museen 1 (1959), S. 119–154. Die wichtigsten Drucker, Künstler und Kollaboratoren nennt Meier: Das Bildnis, S. 457. 16 Die Idee einer Heldengalerie ist keineswegs neu, vgl. auch die in ihrer ursprünglichen Form von Petrarca angeregte Paduaner Sala dei Giganti, vgl. hierzu Theodor E Mommsen: Petrarch and the Decoration of the Sala Virorum Illustrium in Padua. In: The Art Bulletin 34 (1952), S. 95–116. 17 Zu den folgenden Zusammenhängen vgl. Tanner: Paolo Giovio, S. 223 f.; Pelc: Illustrium Imagines, S. 55 f. 18 Vgl. ebd., S. 229. 19 Vgl. Kap. 3.2.2. 20 Vgl. Tanner: Paolo Giovio, S. 224.
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schließt also mit „Biographie und Porträtgalerie“ „die zwei Hauptgattungen ein, in denen sich das für die Frühe Neuzeit bezeichnende Interesse der Zeitgenossen an den großen Menschen aus allen Gebieten humaner Tätigkeit wiederspiegelt“21. Seit 1549 erschienen etliche Ausgaben von Giovios Hauptwerk, der Zeit geschichte (Historiarum sui temporis libri XLV, 1551–1553), sowie der Elogia und der Viten auf Latein und in den Volkssprachen, allerdings nicht illustriert, und zwar u. a. bei Pietro Perna und Heinrich Petri in Basel.22 Pietro Perna war es, der schließlich die Zeichen der Zeit (und des Marktes) erkannte und in den Wintermonaten der Jahre 1569 und 1570 Stimmer, der für Perna bis Mitte 1570 arbeitete, an den Comer See mit dem Auftrag entsandte, Giovios Portraitsammlung abzuzeichnen.23 Die Skizzen brachte dieser zurück nach Basel, wo sie Perna als Grundlage für die Vitenbücher mit den Bildnissen der Feldherren (Elogia/ Virorum bellica virtute illustrium 1575) und der Gelehrten (Elogia/ Virorum literis illustrium 1577) dienten, als Stimmer schon längst nach Straßburg übergesiedelt war und dort für Jobin und andere arbeitete.24 Stimmers Bildstöcke bildeten auch die Basis für zahlreiche Übersetzungen und Nachahmungen der Elogia Giovios, die in der Folge bei Perna gedruckt wurden: 1577 erschienen unter dem Titel Musaei Ioviani Imagines erneut die Bildnisse der Kriegshelden, diesmal allerdings mit lateinischen Preisdistichen vom Basler Poetik-Professor Theobald Müller anstelle
21 Pelc: Illustrium Imagines, S. 21. 22 Vgl. hierzu die bei Heinrich Petri und Pietro Perna gedruckten bzw. verlegten Ausgaben der lateinischen Vitae (1559), der lateinischen Zeitgeschichte (1560), der deutschen Übersetzung der Zeitgeschichte (durch Heinrich Pantaleon) (1560), der geographischen Beschreibungen (1561), der lateinischen Elogien (1561 und 1571), der deutschen Übersetzung der Türkengeschichte und Moscovia (durch Pantaleon) (1564), vgl. im Überblick Frank Hieronymus: 1488 Petri – Schwabe 1988. Eine traditionsreiche Basler Offizin im Spiegel ihrer frühen Drucke. Basel 1997, Hb. II, S. 1140–1147. Vgl. zur Rezeption des italienischen Renaissancehumanismus in Basel Peter G. Bietenholz: Der italienische Humanismus und die Blütezeit des Buchdrucks in Basel. Die Basler Drucke italienischer Autoren von 1530 bis zum Ende des 16. Jahrhunderts. Basel, Stuttgart 1959 (Beiträge zur Geschichtswissenschaft 73). 23 Auch andere Zeitgenossen ließen Kopien aus der Giovio-Sammlung anfertigen und trugen so unabsichtlich zu ihrem Überleben bei, so Herzog Cosimo I. deʼ Medici, Ferdinand von Tirol für seine Ambraser Sammlung und Kardinal Federigo Borromeo für die Ambrosiana, vgl. Tanner: Paolo Giovio, S. 223. Die Mission Stimmers begründet aber die Mode der Bildnisvitenbücher im deutschen Humanismus. Einen deskriptiven Überblick über diese Rezeption bietet Rave: Paulo Giovio, S. 147–153. 24 1571 publizierte Perna, allerdings noch ohne Illustrationen – die Bildstöcke standen wohl noch nicht vollständig zur Verfügung –, bereits die Elogia über die Feldherren separat, vgl. Tanner: Paolo Giovio, S. 226; vgl. Hieronymus: 1488 Petri – Schwabe 1988, S. 1147.
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der Prosabiographien Giovios.25 1589 fertigte Valentin Thilo26 auf ihrer Grundlage eine erweiterte, von Pernas Nachfolger Konrad Waldkirch verantwortete Ausgabe unter dem Titel Icones Sive Imagines Virorum Bellica Laude Ac Heroicis Virtutibus Illustrium an, die nun auch Bildnisse der dänischen Könige und der Herren von Rantzau enthielt.27 Thilo übernimmt Müllers Gerüst, tauscht aber in vielen Fällen die aus drei Distichen bestehenden Bildunterschriften durch eigene identischer Bauart aus.28 Noch im Jahr der Erstpublikation, 1577, veröffentlichte Müller bei Perna eine deutsche Übersetzung seiner Gedichte zu den Portraits unter dem Titel Eigentliche vnd gedenckwürdige Contrafacturen [….] wolverdienter […] Kriegshelden.29 Seine je drei lateinischen Distichen überträgt er inhaltlich getreu in je sechs deutsche Reimpaarverse, ohne sie dabei mit einem künstlerischen Eigenwert zu versehen oder das Übersetzungsproblem in seiner deutschen Vorrede zu den Contrafacturen zu thematisieren. Vielmehr treibt Müller das Problem der biographischen Verkürzung der langen Prosaviten Giovios um, das mit dem Vorhaben des Druckers einhergeht, eine preisgünstige und zugleich deutschsprachige Ausgabe für ein breiteres Publikum herzustellen30 – ursprünglich scheint eine zweisprachige Ausgabe geplant gewesen zu sein, denn Müller spricht von Platzproblemen, die sich aus der Kombination der deutschen und lateinischen Verse ergeben haben.31 Auch wenn Müller für eine intensivere Beschäftigung mit den historischen Persönlichkeiten auf die Originalviten Giovios zurückverweist,32 so vertritt er doch selbstbewusst das didaktische Telos seiner Publikation, das sich mit der von altersher tradierten Funktion der Portraitkunst und auch den Interessen Giovios trifft: Die Darstellung derjenigen, die sich im Kampf um das Vaterland hervorgetan und so sichergestellt haben, dass die Pflege des Privaten, also die sittliche Ausgestaltung
25 Vgl. Hieronymus: 1488 Petri – Schwabe 1988, S. 1179 f. 26 Biographische Daten sind kaum bekannt. Thilo ist Schlesier und um 1582 in Basel immatrikuliert, vgl. Hieronymus: 1488 Petri – Schwabe 1988, S. 1180. 27 Die entsprechenden Holzschnitte mit den Bildnissen der Dänenkönige stammen mit Ausnahme des Portraits Christians II. nicht mehr von Stimmer, vgl. Tanner: Paolo Giovio, S. 234 f. 28 Beispielsweise zum Bildnis des Romulus vgl. Theobald Müller: Musaei Ioviani Imagines […]. Basel: Pietro Perna 1577, fol. a1r und Valentin Thilo: Icones Sive Imagines Virorum Bellica Laude Ac Heroicis Virtutibus Illustrium. Basel: Konrad Waldkirch [1590], fol. a2r (zitiert nach dem ein Jahr nach der Erstausgabe erschienenen Druck). 29 Vgl. Hieronymus: 1488 Petri – Schwabe 1988, S. 1175–1179. 30 Vgl. Theobald Müller: Eigentliche vnd gedenckwürdige Contrafacturen […]. Basel: Pietro Perna 1577, fol. a2r. 31 Vgl. ebd., fol. a3v. 32 Vgl. ebd., fol. a4r.
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des Ehelebens und der Kindererziehung, florieren könne,33 solle die Leser zur entsprechenden ethischen Orientierung anleiten. Das Konzept, die Förderung der Tugend an die Anschauung zu knüpfen, es also mit dem „beschawen vnd sich doran […] ehrgetzen“34 zu verbinden, sieht Müller bereits zu antiken Zeiten umgesetzt. Auch wenn er das Prinzip der Kalokagathia, also dass „die mores animi dem temperamento corporis correspondieren“35, durchaus kritisch sieht, gesteht er doch zu, dass es in vielen Fällen durchaus seine Gültigkeit besitze: [D]ieweil es mehrermal zutrifft/ das in wolgeformirten leichnam/ der einem rechtschaffenen menschen nlich geschaffen/ vnnd an welchen auch trewe vnderweisung vnd anleitung zur Tugent wirt angewendet/ gleich als in einer lustigen vnd anmtigen herberg/ gemeinlich ein Tugendt vnd Ehrliebendes gemt/ als ein holdseliger lieber gast/ ligt vnd wohnet: ist billich deren jntent vnd meinung zu loben/ die solche contrafacturen zu widergedchtns vnd tugentlicher ermanung […] samlen vnd dem menschen ob augen stellen.36
Diese idealisierende Bildniskunst sei, „do die Hunnen vnd Gothier alles zersthret“37, untergegangen. Erst eine Generation vor Müller und seinen Zeitgenossen sei durch wichtige Förderer wie Maximilian I., Cosimo I. deʼ Medici, Franz I. von Frankreich und Heinrich VIII. von England die „trübe dicke Finsternuß“ von der „helle[n] Sonn“38 abgelöst worden. Die Wiedergeburt des Portraits ist also ein gesamteuropäisches Phänomen. Müller integriert das Deutsche insofern in diesen Prozess, als er das antik-italienische Vorbild reibungslos in die deutsche Sprache überträgt. Die neue Bildniskunst ist nach Müller eine, die sich an den Realitäten messen lassen muss. Wie das Bild selbst nun dem Abgleich mit den lebenden Vorbildern standhalten müsse – einzig im Falle der antiken und mittelalterlichen Persönlichkeiten greifen Stimmers Holzschnitte (und damit auch die Portraits Giovios) auf büstenhaft anmutende Idealisierungen oder kontingente Zuschreibungen zurück39 –, so sei es durchaus möglich, dass die vaterländischen Helden, durch
33 Vgl. ebd., fol. a3r. Zum Zusammenhang von Politischem und Privatem bzw. den diskursiven Ebenen des Patriotismus Kap. 2. 34 Vgl. Müller: Eigentliche vnd gedenckwürdige Contrafacturen, fol. a2r. 35 Ebd. 36 Ebd., fol. a2v. 37 Ebd. 38 Ebd. 39 Jacob Burckhardt beurteilt den künstlerischen Wert von Stimmers Holzschnitten aus Pernas Portraitwerken folgendermaßen: „Die Ausgabe in Holzschnitten kann man öfters durch anderweitig erhaltene Bildnisse kontrollieren, und sie besteht dabei nicht schlecht; in sehr vielen Fäl-
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die Brille der historisch akkuraten Lebensbeschreibung betrachtet, möglicherweise nicht immer die reinsten Tugendhelden gewesen seien. In diesem Falle müsse der Leser „die warhafte vngefelschte Tugent“40 gewissermaßen herausdestillieren und von den Lastern zu scheiden wissen.41 Aus Müllers Ausführungen wird deutlich, dass es sich bei den rinascimentalen Portraitwerken ganz eindeutig um Projekte zur Förderung von Moral und Sittlichkeit handelt. Das elaborierte, nach allen Regeln der Renaissancekunst produzierte Bild ist nicht nur Illustration, sondern setzt über seinen ästhetischen Wert, über die ‚Ergetzung‘ in der ‚Anschauung‘, einen Erkenntnis- und Beurteilungsprozess beim Rezipienten in Gang, der seine Erfahrungen aus Lektüre und Betrachtung gleichermaßen aufeinander zu beziehen hat. Berücksichtigt man noch die Tatsache des dreigliedrigen Aufbaus – bestehend aus Überschrift mit Namen und Berufsbezeichnung, Holzschnitt sowie mehr oder weniger ausführlicher Biographie in Vers- oder Prosaform –, so lässt sich hier mit Fug und Recht von emblematischen Sinnstrukturen sprechen, die dem Portraitwerk innewohnen. Im Falle der kurzen versifizierten Bildunterschriften Müllers ist der ‚emblematische Effekt‘ zudem optisch intensiviert.42 Den traditionellen Exempel- wie Memorialwert der Portraitkunst hatte auch Michael Beuther, Historiker, Professor an der Straßburger Akademie und wichtiger Mitarbeiter der Offizin Rihel, im Auge,43 als er bei Perna eine illustrierte Vitensammlung der Kriegsherren auf Deutsch herausbrachte, 1582 unter
len aber sind diese Holzschnitte entweder die einzigen authentischen Aussagen über die Physiognomie der Betreffenden oder doch unabhängig von anderen erhaltenen Porträts. Die Profilbilder des Leon Battista Alberti, des Leonardo da Vinci […] [und anderer Renaissancekünstler, Anm. S. B.] bleiben neben allen anderen Kunden unentbehrlich, und so auch das Profil des Cesare Borgia. Für das Altertum und das Mittelalter, von Alexander dem Grossen und Aristoteles an bis auf Totila, Gottfried von Bouillon und Friedrich Rotbart nahm Giovio vorlieb mit Köpfen, welche irgendwo diesen Namen trugen, aber von den (damals!) erhaltenen Fresken an gibt er ziemlich sicher die Züge der italienischen Herrscher, Tyrannen, Condottieren und Staatsmänner des 14. und 15. Jahrhunderts; die islamitischen Gewaltigen kennt man beinahe nur aus ihm; mehrere Dogen von Venedig sind genau wiedergegeben; für die Könige des Nordens, selbst für Franz I., sind diese Holzschnitte noch immer von Bedeutung neben allen anderen Porträts“, Jacob Burckhardt: Die Sammler. In: Jacob Burckhardt: Werke. Kritische Gesamtausgabe. Bd. 6: Das Altarbild. Das Porträt in der Malerei. Die Sammler. Beiträge zur Kunstgeschichte von Italien. Aus dem Nachlass hg. von Stella von Boch u. a. München, Basel 2000, S. 283–472, hier S. 442 f. 40 Vgl. Müller: Eigentliche vnd gedenckwürdige Contrafacturen, fol. a3v. 41 Vgl. ebd., fol. a3r f. 42 Tanner stellt demgemäß für Müllers Portraitbuch die Verbindung zu Stimmers und Fischarts Bilderbibel her, vgl. Tanner: Paolo Giovio, S. 234. Zur Bilderbibel vgl. Kap 3.2.1. 43 Vgl. Michael Beuther: Warhafftiger Kurtzer Bericht von/ mannigerley Kriegs vnd anderen fürnemen Hnndeln […]. Basel: Konrad Waldkirch 1587, fol. (:)2r f.
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dem Titel Bildnisse, 1587 und 1588, dann bereits bei Pernas Nachfolger Konrad Waldkirch, als Warhafftiger Kurtzer Bericht von/ mannigerley Kriegs vnd anderen fürnemen Hnndeln.44 Obwohl deutlich an Giovio orientiert, betont Beuther ganz im Sinne seiner beruflichen Expertise seine Eigenleistung im Falle der beigegebenen Viten, die „aus vilerley in Latinischer/ Italianischer/ Franzosischer/ Spanischer vnd Teutscher Sprache“45 gesammelt seien – zumal im Falle der neu beigegebenen skandinavischen Herrscherbeschreibungen. Für dieses Projekt habe Beuther sein eigenes Vorhaben, Analoges für die deutsche Geschichte seit Karl dem Großen zu schaffen, erst einmal hintenangestellt.46 Sein Bildnisvitenbuch ist im Unterschied zu den Unternehmungen Müllers stark historiographisch akzentuiert und legt den Schwerpunkt wieder stärker auf den textuellen Teil des Portraitwerks, den er gleichsam einer bessernden Revision unterzieht. Zielgruppe dürfte hier, trotz der deutschen Sprache und wegen des größeren Formats, weniger ein breites Publikum als vielmehr ein am Deutschen interessierter Gelehrtenkreis gewesen sein.47 Die in textueller wie piktorialer Hinsicht experimentierfreudigen GiovioAppropriationen bei Perna, die mit Ausnahme einzelner Holzschnitte allesamt auf dem Korpus der Stimmer’schen Kopien von Giovios Portraitsammlung basieren, stellen die Offenheit der Gattung Portraitbuch bzw. Bildnisvitenwerk aus und schöpfen diese, durchaus mit Blick auf verschiedene Absatzmärkte, aus. Das laboratorische Weiterschreiben und Modifizieren der italienisch-rinascimentalen Gattung im Allgemeinen und der Portraitwerke Giovios im Besonderen bleibt in Basel allerdings auf die Formseite beschränkt. Die Transposition ins Deutsche bleibt unreflektiert, mit dem Sprachwechsel geht kein Programmwechsel einher: So vollzieht sich die Öffnung des Portraitbuchs für eine breite Öffentlichkeit bei Müller auch im Medium des Lateinischen, die historiographisch-gelehrte Reflexion bei Beuther in durchaus gängiger Weise auch auf Deutsch. Den Vorreden, besonders der Müllers, ist zu entnehmen, dass sich das Basler Projekt als Teil einer gesamteuropäischen Renaissance zu etablieren versucht, das italienische Vorbild dabei jedoch keineswegs in Frage stellt. Den affirmativen Schlussstein in das Gebäude der Basler Giovio-Rezeption setzte Nikolaus Reusner 1589 mit der Publikation der lateinischen Icones Sive Imagines vivae, literis Clarum Virorum, Italiae, Graeciae, Germaniae, Galliae,
44 Vgl. Hieronymus: 1488 Petri – Schwabe 1988, S. 1180 f. 45 Beuther: Warhafftiger Kurtzer Bericht, fol. (:)3r. 46 Vgl. ebd., fol. (:)3r f. 47 Entsprechende Hinweise fehlen in der Vorrede.
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Angliae, Ungariae beim Perna-Nachfolger Waldkirch.48 Die Ausgabe besteht aus zwei Abschnitten: Der erste Teil versammelt Portraits antiker wie zeitgenössischer Gelehrter, Dichter und Künstler aus Griechenland und Italien, die vor allem, aber nicht ausschließlich, auf den Giovio-Portraits beruhen und denen jeweils eine distichische Bildunterschrift sowie mehrere Preisgedichte, ebenfalls meist in Distichen, aus der Feder neulateinischer oder antiker Dichter beigegeben sind.49 Der zweite Teil mit neun Portraits von Gelehrten aus den anderen genannten europäischen Ländern50 ist dem jüngst verstorbenen Schweizer Mediziner Theodor Zwinger gewidmet und versammelt aus diesem Grund neben seinem Portrait zuvorderst Auszüge aus dessen Dichtungen sowie Nachrufe auf seine Person; daran schließen sich nach dem Muster des ersten Teils die weiteren Bildnisse mit versifizierten Bildunterschriften und Preisgedichten an, die im Falle der deutschen Gelehrten in abgeänderter oder ergänzter Form Übernahmen aus Reusners bei Jobin publiziertem, lateinischen Portraitbuch Icones sive Imagines Virorum Literis Illustrium darstellen.51 Mit dem thematischen Zuschnitt der Portraits sowie der Auswahl der beigebenen Gedichte und ihrer Verfasser zeichnet der Humanist Reusner ein durch intertextuelle und intermediale Verweisungszusammenhänge zusammengehaltenes, klar definiertes Bild der neulateinischen Gelehrtenrepublik und der von ihr favorisierten Traditionszusammenhänge.52 Auch ein Dichter wie Petrarca, der als „Princeps Italicae linguae“53 apostrophiert wird, bleibt vom System des neulateinischen Renaissancehumanismus eingehegt – ein Verfahren, das in Reusners emblematischen Werken erneut zu beobachten sein wird.54 Die wenigen in den Icones Sive Imagines vivae, literis Clarum Virorum, Italiae, Graeciae, Germaniae, Galliae, Angliae, Ungariae ausgewählten Vertreter des nordalpinen Humanismus sind den großen Männern des alten und neuen Griechenlands und Italiens buchstäblich an die Seite gestellt, sie sind ihnen angeglichen. Der
48 Reusner ließ zu diesem Zeitpunkt eigentlich schon seit Jahren bei Jobin in Straßburg drucken. 49 Vgl. Nikolaus Reusner: Icones Sive Imagines vivae, literis Clarum Virorum, Italiae, Graeciae, Germaniae, Galliae, Angliae, Ungariae […]. Basel: Konrad Waldkirch 1589, fol. A1r. 50 Drei der neun Holzschnitte stammen nicht mehr von Stimmer, vgl. Tanner: Paolo Giovio, S. 235. 51 Nikolaus Reusner: Icones Sive Imagines Virorum Literis Illustrium 1587. Ndr. mit Begleittext und Namensregister mit biographischen Angaben von Manfred Lemmer. Gütersloh 1973. Zum Bezug vgl. Reusner: Icones Sive Imagines vivae, literis Clarum Virorum, Italiae, Graeciae, Germaniae, Galliae, Angliae, Ungariae, fol. ):(5r f. 52 Zu Leben und Werk vgl. Michael Schilling: Art. ‚Reusner, Nikolaus‘. In: VL16 5 (2016), S. 259–266. 53 Reusner: Icones Sive Imagines vivae, literis Clarum Virorum, Italiae, Graeciae, Germaniae, Galliae, Angliae, Ungariae, fol. B1v. 54 Vgl. hierzu und zum gelehrten Profil Reusners Kap. 3.2.4.
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italienische Renaissancehumanismus ist das dominierende Denk- und Schreibsystem, an das sich die anderen europäischen Nationen annähern, indem sie seine künstlerischen Formen im Sinne der translatio artium55 an anderem Ort reproduzieren. Den Weg, den Stimmer nahm, als er diesen Prozess der translatio artium buchstäblich durch den Transport der Portraits vom Comer See nach Basel vollzogen hat, überliefert Reusner in der lateinischen Vorrede zu den Icones Sive Imagines vivae, literis Clarum Virorum, Italiae, Graeciae, Germaniae, Galliae, Angliae, Ungariae,56 wo sich in topisch verfestigter Form weitergehende Überlegungen zur Memorial- und Exempelfunktion der Portraitkunst, zu ihren öffentlichen und privaten Erscheinungsweisen sowie zu ihrer Entwicklung und Ausdifferenzierung finden.57 Mit der Person Stimmers war wahrscheinlich auch die Idee von Basel aus nach Straßburg zu Jobin gewandert, sich weiter auf dem Feld der Portraitkunst zu betätigen. Bald nach seiner Ankunft in Straßburg war Stimmer bereits intensiv in die Ausarbeitung der lateinisch-deutschen Ausgabe des eigentlich lateinischen Papstportraitbuchs XXVII Pontificum Maximorum Elogia et imagines (1568) des Augustinereremiten, Historikers, Antiquars und Bibliothekars Alessandro Farneses, Onofrio Panvinio, involviert, die unter dem Titel Accuratae Effigies Pontificum Maximorum […] Eÿgenwissenliche vnnd wolgedenckwürdige Contrafeytungen/ oder Antlitzgestaltungen der Rmischen Bpst 1573 bei Jobin erschien.58 Die lateinische Ausgabe von 1568, gedruckt bei Antonio Lafreri in Rom, basiert auf Panvinios illustrierter Papstgeschichte – einer Umarbeitung derjenigen Bartolomeo Platinas –, die 1562 als Historia de vitis pontificum romanorum erstmals in Venedig erschienen war. Für das Portraitbuch ist sie jedoch radikal gekürzt: Die Reihe der Päpste beginnt mit Urban VI., listet lückenlos alle rechtmäßigen Päpste auf – d. h. die avignonesischen Gegenpäste fehlen – und endet im Druck von 1568 mit Pius V., in der Jobin-Ausgabe allerdings mit dem zeitgenössisch noch regierenden Papst Gregor XIII., also in der unmittelbaren Gegenwart. Man kann nur vermuten,
55 Zu Konzept, Geschichte und mittelalterlichen Voraussetzungen der translatio artium vgl. grundlegend Franz Josef Worstbrock: Translatio artium. Über Herkunft und Entwicklung einer kulturhistorischen Theorie. In: AKG 47 (1965), S. 1–22. Worstbrock arbeitet klar heraus, dass die translatio imperii dafür als Modell gedient hat. 56 Vgl. Reusner: Icones Sive Imagines vivae, literis Clarum Virorum, Italiae, Graeciae, Germaniae, Galliae, Angliae, Ungariae, fol. ):(5r. 57 Vgl. ebd., fol. ):(2r –):(4v. 58 Eine weitere lateinische Ausgabe erschien 1572 bei Philipp Galle in Antwerpen, vgl. Meier: Das Bildnis, S. 461.
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dass der lateinische Text zum letzten Papst ebenfalls auf Fischart zurückgeht, dem die deutsche Übersetzung des Gesamtwerks zu verdanken ist.59 Hans Jakob Meier sieht den Grund für die schon in der Ausgabe von 1568 implementierte Kürzung der Papstgeschichte in der an Vasari orientierten Überzeugung begründet, dass die mittelalterliche Kunst nicht in der Lage sei, Ähnlichkeit wiederzugeben. Erst die seit Giotto und seinen Zeitgenossen produzierten Portraits genügten den zeitgenössischen Ansprüchen an die Individualportraitkunst.60 Dadurch ergibt sich ein spannungsreicher Gegensatz zu Jobins unten noch genauer zu besprechender Vorrede zu den Accuratae Effigies, die ja gerade gegen Vasari argumentiert und auf die Relevanz der mittelalterlichen Kunst, wenn auch hier mehr in Bezug auf die Architektur, und deutschen autochthonen Kunst abhebt. Die Dynamik von Akzeptanz und Zurückweisung der Autorität Vasaris inszenieren Jobin und Stimmer dabei gekonnt. Die Kupferstiche der XXVII Pontificum Maximorum Elogia et imagines, allesamt basierend auf vatikanischen Gemälden und Fresken, darunter Meisterwerke von Raffael und Tizian,61 überträgt Stimmer auf Holzstöcke.62 Durch den Wechsel der Reproduktionstechnik markiert Stimmer gleichsam die translatio artis und bereitet durch die formale, transponierende imitatio der argumentativen aemulatio Vasaris in der Vorrede Jobins den Weg.63 In der Nachahmung der Autoritäten erweist sich die Kunstfertigkeit Stimmers und damit die These Jobins von der Qualität der autochthonen deutschen Kunst.64 Wieder weist die Anordung von Bild und Text in Richtung emblematischer Strukturen: Im Zentrum einer Seite befindet sich das detailreich ausgestaltete Portrait, eingebettet in einen kunstvollen Rahmen, wobei Bildüberschriften und Bildunterschriften Kurzinformationen zur Biographie in beiden Sprachen liefern (vgl. Abb. 5). Die darauffolgende Seite gibt dann jeweils die Biographie auf Latein
59 Vgl. Onofrio Panvinio, Johann Fischart: Accuratae Effigies Pontificum Maximorum, Numero XXVIII […] Eÿgenwissenliche vnnd wolgedenckwürdige Contrafeytungen/ oder Antlitzgestaltungen der Rmischen Bpst/ an der Zahl 28 […]. Straßburg: Bernhard Jobin 1573, Titel. 60 Vgl. Meier: Das Bildnis, S. 461 f. Panvinio selbst ist die historische Differenz in der Portraitkunst bewusst: „Als Antiquar unterscheidet Panvinio zwischen überliefertem und imaginärem Bildnis“, ebd., S. 460. Vgl. zum Problem der „Ähnlichkeit und Authentizität“ Pelc: Illustrium Imagines, S. 64–85. 61 Vgl. Tanner: Paolo Giovio, S. 227 f.; Meier: Bildnis, S. 463. 62 Stimmers Holzschnitte dienten wiederum als Vorlage für die Papstmedaillenserie des Breslauer und Dresdener Medailleurs Tobias Wolf, vgl. Lore Börner: Die graphischen Vorlagen der Papstmedaillenserie von Tobias Wolff. In: Staatliche Museen zu Berlin. Forschungen und Berichte 6 (1964), S. 91–96. 63 Vgl. unten. 64 Vgl. ähnlich auch Meier: Bildnis, S. 463.
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in Prosa wieder und schließt in den meisten Fällen, graphisch abgesetzt, mit einem kurzen Preisgedicht oder einer Grabinschrift, wiederholt also den Originaltext Panvinios.65 Die sich anschließende Seite imitiert das Schema auf Deutsch, wobei der optisch markierte Schluss genau der Vorlage folgt: Versifizierte Elogien oder Grabschriften, meist in Hexametern oder Distichen, werden in formal amplifizierende, inhaltlich aber treu an der Vorlage orientierte Reimpaarverse übertragen. So lautet der Schluss der Biographie Papst Alexanders V. auf Latein bzw. auf Deutsch: SUmmus pastorum Alexander quintus, et omnis Scripturae lumen, sanctissimus Ordo Minorum Quem dedit, et proprio Cretensis nomine Petrus: Migravit, Anno Domini M.CCCCX […] Der hchst Hirt das Liecht aller Gschrifft/ Bapst Alexander der fünfft gstifft/ Welcher ist vom Heiligsten Orden Der Minderer Brder geben worden/ Vnd ward der Cretisch Peter gnant: Verschied auß disem Jamerland Als man fünffzehen hundert zehlt Vnd darbey zehen vngefehlt.66
Auch wenn die piktorial-textuelle Organisation der Portraitseite an den emblematischen Aufbau gemahnt, ist Tugenddidaxe in diesem Fall nicht der zentrale Zweck der Publikation, nennt doch das Titelblatt vor allem historisch Interessierte und „Gemlverstndige[ ]“67 als Zielgruppe. Mit ersterer Teilgruppe richten sich die Herausgeber wohl auch nach der historiographisch-antiquarischen Intention Panvinios.68 Die deutsche Vorrede Jobins – es gibt keinen Grund, sie, wie in der Vergangenheit des Öfteren geschehen, Fischart zuzuschreiben69 – verzichtet auf
65 Dieser Aufbau ist an der Panvinio-Ausgabe von 1568 orientiert. Programmatische Weglassungen beispielsweise der Preisgedichte oder auch Ergänzungen, etwa zum Zwecke einer subtilen konfessionspolemischen Spitze, sind nicht zu beobachten. 66 Panvinio, Fischart: Accuratae Effigies, fol. B3v f. 67 Vgl. Panvinio, Fischart: Accuratae Effigies, Titel. 68 Zu Panvinios historisierender Herangehensweise an seine Gegenstände vgl. William Stenhouse: Panvinio and descriptio: Renditions of history and antiquity in the late Renaissance. In: Papers of the British School at Rome 80 (2012), S. 233–256. 69 Vgl. so Friedrich Thöne: Johann Fischart als Verteidiger deutscher Kunst. In: Zeitschrift des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft 1 (1934), S. 125–133; Gaspard L. Pinette: Über deutsche Kunst und Künstler. In: Jahrbuch des Vorarlberger Landesmuseumsvereins 1966, S. 9–21. Vgl.
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die oben bereits mehrfach ausgeführte, in etlichen Portraitwerken gepflegte Rede von der Memorial- und Unterweisungsfunktion der Portraitkunst, sondern liefert elaborierte Überlegungen zu Genese und Potenz der deutschen bildenden Kunst, vor allem der Malerei, auf die noch näher einzugehen sein wird. Vielleicht wohnt dieser Auslassung des moraldidaktischen Topos, die zugleich Raum schafft für zeitgenössisch einzigartige kunstgeschichtliche Reflexionen, implizit doch ein konfessioneller Impetus inne: Denn das Buch behandelt die Biographien der Päpste gemäß der offiziellen römischen Kirchengeschichte, und dies auch in Fischarts Übersetzung, wie das Beispiel oben zeigt, ohne offen polemische Untertöne. Das Buch ist zudem Melchior von Lichtenfels, Bischof von Basel,70 gewidmet: Sowohl Jobins deutsche Vorrede als auch ein von ihm unterschriebenes, lateinisches Widmungsgedicht in Distichen71 sind an ihn gerichtet. Dieser Umstand überrascht auf den ersten Blick insofern, als Fischart in den frühen 1570er Jahren einige scharfe konfessionspolemische Schriften herausbrachte. Diese allerdings erschienen – aus Gründen der Zensur oder weil Jobins Druckerei noch keinen regelmäßigen Betrieb aufwies – nicht bei Jobin selbst, sondern u. a. in Frankfurt a. M.72 In jedem Fall bezeugt die neutrale Haltung der Accuratae Effigies einerseits eine Stimmung der relativen konfessionellen Entschärfung in der Stadt,73 andererseits die ökonomische Orientierung der Offizin, die sich entweder einem lukrativen Auftrag nicht entziehen wollte oder schlicht einen hohen Absatz witterte. Buchstäblich Papstportraits als Tugendexempel zu verkaufen, konnte allen taktischen Überlegungen zum Trotz aber nicht im Sinne der Offizin sein, und so wird dieser Aspekt in den paratextuellen Eingaben zum Genese und Status deutscher Bildkunst einfach verschwiegen. Die klar katholische Ausrichtung des Papstportraitbuchs geriet im weiteren Rezeptionsprozess zunehmend ins Wanken, und auch die neutrale Haltung der Publikation von 1573 wird fragwürdig, betrachtet man sie im intertextuellen
jüngst auch noch Josef K. Glowa: The Role of Art in the Cultural Competition between Germans and Italians in the Sixteenth Century. Johann Fischart’s Response to Giorgio Vasari’s Le vite deʼ più eccellenti pittori, scultori e architettori (1568). A translation from German into English with an introduction. In: Simiolus 37 (2015), S. 187–203. 70 Seit im Jahr 1527 in der Stadt Basel die Reformation eingesetzt hatte, befand sich der Bischofssitz in Pruntrut. 71 Vgl. Panvinio, Fischart: Accuratae Effigies, fol. (:)4v. 72 Vgl. beispielsweise Nacht Rab oder Nebelkrh 1570 bei Johann Schmidt in Frankfurt, Von S. Dominici […] Leben 1571 bei Nikolaus Heinrich in Ursel, vgl. zur letzteren Schrift Sylvia Brockstieger: Literatursatire und konfessionelle Polemik. Zu Johann Fischarts Von S. Dominici und S. Francisci artlichem Leben und großen Greweln […] (1571). In: Scientia Poetica 13 (2009), S. 21–72. 73 Vgl. Kap 2.1.2.
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Zusammenhang mit zwei Drucken, die in den Folgejahren bei Jobin herauskamen und die sich ebenfalls auf Panvinios Portraitbuch bezogen. So erschien 1582 bei Jobin die konfessionspolemische Schrift Papistische Inquisition vnd glden Flüs der Rmischen Kirchen von Nigrinus, der sich bei Jobin auch durch eine ebenfalls antikatholische Gentillet-Übersetzung hervortat.74 Die Papistische Inquisition geriert sich als polemische, aus verschiedenen Quellen kompilierte Papstgeschichte75 von den Anfängen bis zur Gegenwart, wobei die Biographien der Päpste dem Leser vor allem als Berichte über deren Untaten und über die während der jeweiligen Regierungszeiten erfolgten Wunderzeichen entgegentreten. Das Werk präsentiert sich als ein wissenschaftliches, sind doch die Darstellungen über umfangreiche Marginalglossen kommentiert und mit Belegen versehen. Stimmers Holzschnitte aus der Panvinio-Ausgabe von 1573 finden allesamt Eingang in den Text und werden sogar noch durch die Bildnisse der drei ersten Päpste Petrus, Linus und Anaklet ergänzt. Die quasi-emblematische Organisation des Bild-TextVerhältnisses ist dabei allerdings aufgelöst; die Portraits sind nunmehr in das historiographische Narrativ integriert und spielen nur noch eine dienende, illustrierende Rolle (vgl. Abb. 6 zu Paul IV.) – der Drucker hat mutmaßlich lediglich zur Verschönerung der Ausgabe auf bestehende Bildstöcke zurückgegriffen. Dennoch würde man durch solch eine pragmatische Lesart, wie so oft, den ‚intermedialen Willen‘ Jobins und seiner Mitarbeiter unterschätzen, wird doch sogar auf dem Titelblatt explizit Panvinio als Quelle für die Portraits genannt.76 Der intertextuelle Zusammenhang ist auf diese Weise explizit gemacht, und der Einsatz der Holzschnitte erscheint plötzlich gar nicht mehr so arbiträr, im Gegenteil: Dass die historiographisch-polemische Zielsetzung der ehedem gleichberechtigten Zur-Schau-Stellung der Bildkunst eine subordinierte Rolle zuweist, dass die ursprünglichen, romtreuen Biographien nun nicht mehr übersetzt sind, wie es noch in der Ausgabe von 1573 der Fall war, sondern durch ihr Gegenteil ersetzt sind – all diese Operationen sind als Modifikationen des Ausgangsmodells zu verstehen. Mit Polemisierung77 und Konfessionalisierung gehen formale Auf-
74 Vgl. Kap. 2.2. 75 Vgl. Georg Nigrinus: Papistische Inquisition vnd glden Flüs der Rmischen Kirchen […]. [Straßburg: Bernhard Jobin] 1582, Titel und fol. K7v-K8v (Liste der antiken und zeitgenössischen Quellen). 76 Vgl. ebd., Titel. Allerdings äußert sich Nigrinus in seiner Vorrede nicht zum Status der Bildnisse in seinem Werk. Stattdessen erarbeitet er gleichsam in systematischer Perspektive die Prämissen seiner antikatholischen Polemik und bereitet den argumentativen Boden für die sich anschließende historische Darstellung vor, vgl. ebd., fol. (::)2r–K7v. 77 Es handelt sich hier nicht um eine satirische, gar die Form des Portraitbuchs parodierende Schrift, sondern um ernsthafte Historiographie mit konfessionspolemischem Impetus.
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lösungserscheinungen einher, so dass man hier angesichts des Textüberschusses kaum mehr von einem Bildnisvitenwerk sprechen kann. Mit der Autorität der Dargestellten schwindet zugleich die Autorität der Gattung, die polemische Aneignung des Inhalts zieht Anpassungen in der formalen Gestaltung nach sich. Die konfessionelle Imprägnierung von Stimmers Panvinio-Holzschnitten durch ihre Verwendung in der Papstgeschichte des Nigrinus war ab 1582 gleichsam irreversibel, und der entsprechende Assoziationsraum ist für das Jahr 1589 mitzudenken, als einige der Bildnisse in die Übersetzung der Giovio-Viten durch Georg Klee aufgenommen wurden, die in zwei Teilen unter dem Titel Pauli Iovii Berümter Fürtrefflicher Leut Leben bei Jobin erschien. Neben den Papst-Holzschnitten liegen der Ausgabe großenteils die 1575 bei Perna erschienenen Elogia der Kriegsherren zugrunde. Klee kürzt die Biographien Giovios und übersetzt sie sonst recht vorlagengetreu. In der Vorrede jedoch spart er nicht mit Angriffen gegen Papsttum und Katholizismus.78 Damit sind nun auch die Portraitwerke Giovios, die bei Perna noch als unantastbare Autoritäten galten, an die sich die deutsche Kultur heranarbeiten sollte und deren Systemeigenschaften sie sich zu eigen zu machen hatte, bei Jobin polemisch eingefärbt. ,Konfessionalisierung‘ – ein Grundmuster der Giovio-Rezeption seit den 1560er Jahren79 – geht also einher mit De-Autorisierung und repräsentiert dabei nur eine von mehreren Taktiken, mit denen die Offizin Jobin die italienisch-rinascimentale Portraitkunst in den deutschen Kulturraum übersetzt, transformiert und in ihren Funktionen nach den hiesigen kulturellen Bedürfnissen neu ausrichtet. Weniger auf formale Umgestaltung denn auf inhaltliche Modifizierung des Giovio-Vorbildes zielen die beiden Portraitbücher, die im Jahr 1587 bei Jobin unter Nikolaus Reusners Federführung herauskamen. Bei den Icones sive Imagines Virorum Literis Illustrium sowie dem Contrafacturbuch handelt es sich um die lateinische und deutsche Version eines Portraitbuchs mit den „Bildnussen etlicher weitberhmbten vnnd Hochgelehrten Mnner in Teutschland“80, wobei
78 Vgl. Paolo Giovio: Berümter Fürtrefflicher Leut Leben […]. Übers. von Georg Klee. Straßburg: Bernhard Jobin 1589. Vgl. zu Klee Tanner: Paolo Giovio, S. 233 f. 79 Vgl. Meier: Bildnis, S. 455. Meier sieht in der Giovio-Rezeption des sechzehnten Jahrhunderts eine „eigentümliche[ ] Verbindung von Giovios antik verstandener Idee der Uomini illustri mit einer konfessionell gebundenen Vitenliteratur“ (ebd.) am Werke. 80 Christophorus [Nikolaus] Reusner: Contrafacturbuch. Ware vnd Lebendige Bildnussen etlicher weitberhmbten vnnd Hochgelerten Mnner in Teutschland […]. Straßburg: Bernhard Jobin 1587, Titel. Der einzige Musiker unter den Dargestellten ist der bei den Protestanten hochgeschätzte Orlando di Lasso, vgl. Peter Bergquist: A Tribute from Johannes Eccard to Orlando di Lasso at Concordia Seminary, St. Louis. In: Notes. The Quarterly Journal of the Music Library Association. N. F. 60 (2004), S. 603–612.
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nur erstere eine weitere, in Bezug auf die Holzschnitte leicht veränderte Auflage im Jahre 1590 erlebte.81 Die Holzschnitte stammen vermutlich vom Nachfolger des im Jahr 1584 verstorbenen Stimmer, Christoph Murer, basieren aber mit größter Wahrscheinlichkeit auf Vorarbeiten Stimmers.82 Mit dem Konzept, nun diejenigen Persönlichkeiten Deutschlands, die sich um die Gelehrsamkeit sowie den Zustand der Kirche, also die Reformation, verdient gemacht haben,83 in einem Portraitbuch zu verewigen, überträgt Jobin das Modell Giovios, gleichsam vermittelt durch die entsprechenden Publikationen der Offizin Perna, im wahrsten Sinne in den deutschen Kulturraum. Das Muster der humanistischen Gelehrtenrepublik wird transferiert, konfessionalisiert und dabei auch verengt: Die berühmten italienischen Persönlichkeiten sind ausgeschlossen, renaissancehumanistische Gelehrsamkeit wird an die konfessionelle Frage sowie an Deutschland geknüpft, wobei keiner protestantischen Konfession der Vorzug gegeben wird.84 Da sich der Drucker Jobin sowohl in der Panvinio-Ausgabe von 1573 als auch im deutschen Contrafacturbuch in den Vorreden ausführlich zu Wort meldet und für die lateinischen Icones zumindest ein einseitiges Vorwort85 beisteuert, er also in seinen schwerpunktmäßig bildkünstlerischen Pulikationen stärker als sonst seine Stimme findet, darf man, zumal vor dem Hintergrund seines beruflichen Werdegangs, davon ausgehen, dass ihm gerade die hier genannten Publikationen
81 Manfred Lemmer: Nachwort. In: Nikolaus Reusner: Icones Sive Imagines Virorum Literis Illustrium 1587. Ndr. mit Begleittext und Namensregister mit biographischen Angaben von Manfred Lemmer. Gütersloh 1973, S. 431–449, hier S. 448. Zu den Veränderungen zwischen den Auflagen vgl. auch Bergquist: A Tribute, S. 609. 82 So lese ich Jobins Beschreibung des Arbeitsverhältnisses in seiner Vorrede zum Contrafacturbuch, vgl. Reusner: Contrafacturbuch, fol. )(5r f. Tanner weist die Möglichkeit einer Zuschreibung an Stimmer auch aus Gründen der Stilistik klar zurück, vgl. Tanner: Paolo Giovio, S. 26. Ähnlich auch Friedrich Thöne: Christoph Murers Holzschnitte. In: Kunst- und Antiquitäten-Rundschau 43 (1935), S. 25–31. Manfred Lemmer dagegen hält Stimmer für den verantwortlichen Künstler, der von Murer unterstützt worden sei, vgl. Lemmer: Nachwort, S. 439. Vgl. ebenso Bergquist: A Tribute, S. 608. 83 Vgl. Reusner: Icones Sive Imagines Virorum Literis Illustrium, Titel. 84 So finden sich beispielsweise Luther wie Zwingli im Büchlein wieder, vgl. Reusner: Icones Sive Imagines Virorum Literis Illustrium, fol. C5r und G8r. Lemmer problematisiert mit Recht die weitere Zusammenstellung der Portraits. Trotz der eindeutig protestantischen Tendenz des Werks finden sich auch einige Katholiken und sogar dezidierte Gegner der Reformation unter den Holzschnitten wieder, wie beispielsweise Johannes Cochläus, Juan Luis Vives oder Beatus Rhenanus; auch scheint die Auswahl recht kontingent zu sein und keinem expliziten Programm zu folgen. Auffällig ist allerdings die Konzentration auf Mitteldeutschland als Kerngebiet der lutherischen Reformation sowie auf den alemannisch-oberrheinischen Raum, vgl. Lemmer: Nachwort, S. 446. 85 Vgl. Reusner: Icones Sive Imagines Virorum Literis Illustrium, fol. )(8v.
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ein Herzensanliegen gewesen sein müssen.86 Nicht nur folgt er dem in wirtschaftlicher Hinsicht Erfolg verheißenden, von Perna vorgeprägten Pfad der Portraitwerke, er stellt sich durch die konzeptuelle Neuausrichtung der Icones und des Contrafacturbuch[s] sowie durch ihre Herauslösung aus dem imitativen Übersetzungszusammenhang auch in konzeptioneller Hinsicht in ein aemulatives Verhältnis zur Basler Offizin. Hinter der Rede von den „veris imaginibus“87 und den „Ware[n] vnd Lebendige[n] Bildnussen“88, also der Betonung der künstlerischen Qualität der lebensnahen Portraits, die die Natur der Dargestellten wiederzugeben behaupten, mag sich auch ein kompetitiver Seitenhieb gegen das Portraitwerk des Théodore de Bèze verstecken, das 1580 unter dem Titel Icones id est Verae Imagines Virorum Doctrina simul et Pietate Illustrium bei Johannes Laonius in Genf erschienen war.89 Dieses versammelt ebenfalls die Portraits berühmter Reformatoren in Kombination mit lateinischen Prosa-Epigrammen. Allerdings sind hier von 90 Holzschnitten nur 37 umgesetzt, während sonst die Rahmen unausgefüllt bleiben.90 Diese Leerstellen vermag Jobin in seinen Ausgaben, unterstützt von der großen künstlerischen Kompetenz seiner Mitarbeiter, zu füllen, was die bildkünstlerische Seiten seiner Publikation stärker in den Fokus rückt – zumal es nicht unwahrscheinlich ist, dass zumindest einige wenige von Reusners Icones nach dem Vorbild der Icones-Publikation von de Bèze und Laonius gerissen wurden.91 Zudem verengen Jobin und Reusner weiter die Perspektive und konzentrieren sich nun endgültig auf Deutschland, während de Bèze und Laonius noch die ‚Kämpfer für den wahren Glauben‘ aus England und Frankreich berücksichtigt hatten.92 Der aemulative Gestus gegenüber den zeitgenössischen Konkurrenzdrucken und -druckereien ist also mehr als deutlich, der eigene Standpunkt der Offizin Jobin ist in inhaltlicher Perspektive mit der Konzentration auf die deutschen Gelehrten und Theologen klar festgelegt.93 Deren Repräsentationsformen hinge-
86 Neben den programmatischen Aussagen in den Vorreden liegen leider keine weiteren Quellen vor, die diese These stützen könnten. 87 Reusner: Icones Sive Imagines Virorum Literis Illustrium, fol. )(8v. 88 Vgl. Reusner: Contrafacturbuch, Titel. 89 Reusner nennt de Bèze in seiner lateinischen Vorrede als Vorbild, vgl. Reusner: Icones Sive Imagines Virorum Literis Illustrium, fol. )(4r, )(5r. 90 Vgl. Lemmer: Nachwort, S. 435. 91 Vgl. ebd., S. 445. 92 Vgl. Reusner: Icones Sive Imagines Virorum Literis Illustrium, fol. )(4r f. 93 Es böte sich ein struktureller Vergleich mit der von Heinrich Pantaleon beim Basler Drucker Nikolaus Brylinger herausgebrachten Prosopographia heroum atque illustrium virorum totius Germaniae (1565–1566) bzw. dem Teutscher Nation Heldenbuch (1567–1570) an, in denen die deutschen Helden zwar in Abhängikeit von der Humanistenkultur konzipiert werden, sich aber ebenfalls – zumal mit Blick auf die oft unter Beteiligung Pantaleons bei Brylinger gedruckten
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gen sind keineswegs so deutlich definiert: In den Icones und im Contrafacturbuch experimentieren Reusner und Jobin mit zwei verschiedenen Darstellungsmodi, die untrennbar mit der Sprachenwahl verbunden sind. Gemeinsam ist ihnen, ganz im Sinne des künstlerischen Anspruchs Jobins, die Konzentration auf das Portrait. Es nimmt jeweils den Großteil einer Seite ein, ist mit dem Namen und der Berufsbezeichnung der jeweiligen Person überschrieben und, im Falle der Icones, mit einem einzelnen lateinischen Distichon bzw. im Contrafacturbuch mit vier Reimpaarversen unterschrieben. Lateinische wie deutsche Texte stammen von Reusner.94 Für das Portrait Ulrich von Huttens (vgl. Abb. 7a und 7b bzw. 8a und 8b) lauten die Unterschriften beispielsweise: „Martis eram, simul et Musarum fortis alumnus:// Laureolae decus hinc nunc utriusque fero“95 bzw. Edel von Stamm/ Lehr vnd verstand/ Ein Held zugleich mit faust vnd Hand/ Die Freyheit vnd auch ware Lehr/ Bschtz ich jm Leben mit Mund vnd wehr. Starb im Jar 1523.96
Auf den dem Portrait jeweils folgenden Seiten schließen sich in den Icones Preisgedichte von Zeitgenossen, Grabschriften und Ähnliches an (vgl. Abb. 7b), die aus verschiedenen Quellen, darunter auch Giovio und de Bèze, kompiliert sind.97 Im Contrafacturbuch hingegen entfällt dieser Anhang komplett, die Präsentation eines Bildnisses bleibt auf eine Seite beschränkt (vgl. Abb. 8a und 8b). Die dadurch erzielte stärkere Konzentration auf das Bild, die Steigerung der Anschaulichkeit und somit die Intensivierung des quasi-emblematischen Zugs im deutschsprachigen Portraitbuch hängt mit dem veränderten Rezipientenkreis zusammen, also denen, „so der Latinischen Sprachen vnerfanen“98. Das didaktisch-pädagogische Element ist hier in den Vordergrund gerückt, während die lateinische Ausgabe zusätzlich den Zweck verfolgt, das Leben und die Ver-
historiographischen Werke – eine ‚national-agonale‘ Dynamik beobachten lässt, vgl. hierzu Jan Hon: Die deutsche Volkssprache als Vermittlerin der Nationalidentität: Heinrich Pantaleon bei Nikolaus Brylinger. In: Imprimeurs et libraires de la Renaissance: Le travail de la langue. Sprachpolitik der Drucker, Verleger und Buchhändler der Renaissance. Hg. von Elsa Kammerer, Jan-Dirk Müller. Genf 2015 (De lingua et linguis 1), S. 508–519. 94 Warum das Titelblatt des Contrafacturbuch Nikolaus als Christophorus bezeichnet, ist unklar. In der Vorrede zum Contrafacturbuch wird deutlich, dass Nikolaus Reusner für die deutschen und lateinischen Texte verantwortlich ist, vgl. Reusner: Contrafacturbuch, fol. )(6r. 95 Reusner: Icones Sive Imagines Virorum Literis Illustrium, fol. B6r. 96 Reusner: Contrafacturbuch, fol. 8r. 97 Vgl. Reusner: Icones Sive Imagines Virorum Literis Illustrium, fol. )(5r. 98 Reusner: Contrafacturbuch, fol. )(6r.
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dienste der Persönlichkeiten über gelehrte Zitate zu konturieren, so das Profil einer deutschen humanistischen, protestantisch gefärbten Gelehrtenrepublik zu umreißen und den Verfasser bzw. Kompilator Reusner selbst als Teil dieser Gemeinschaft zu inszenieren. Ähnliche Zielsetzungen werden unten im Falle von Reusners Emblembüchern zu beobachten zu sein, wobei dort die Richtung der Umarbeitung genau andersherum verläuft: Reusner passt unter anderem Holtzwarts stark an den Bedürfnissen der vernakularen Kultur ausgerichtete Emblematum Tyrocinia (1581) in das System des neulateinisch dominierten Humanismus ein.99 Von Reusners Selbstverständnis als eines eigentlich dem Neulateinischen verpflichteten Gelehrten zeugt auch die Tatsache, dass er in seiner lateinischen Vorrede zu den Icones nicht auf die geplante deutsche Version, das Contrafacturbuch,100 hinweist, sondern vielmehr eine Ausgabe mit den Portraits und Elogien von (europäischen) Herrschern und Kriegshelden anpreist101 – die, wie oben gezeigt, zwei Jahre später bei Perna auch erschien. Der Registerwechsel in Richtung der niederen, vernakularen Ebene also schlägt sich nicht nur in der Textstruktur, sondern auch in der künstlerischen Gestaltung des Büchleins nieder.102 Entsprechend ändern sich die Widmungsempfänger: Waren die Icones noch Friedrich II., König von Dänemark und Norwegen, zugeeignet,103 richtet sich das Contrafacturbuch an den Berner Patrizier Johann Anton Tillier.104 Es wäre nun völlig verfehlt, diese Vernakularisierungsbewegung als Qualitätsverlust deuten zu wollen. Der Wechsel der Ebenen ist deutlich markiert, das Büchlein wird so umorganisiert, dass es bei unterschiedlichem Publikum mit einer veränderten inneren Logik gleichermaßen funktionieren kann. Der neue Zuschnitt dient auch dazu, „sonder Ehr vnd ruhm Teutscher Natio/ vnsers geliebten Vatterlands“105 zu befördern. Dies illustriert, dass die Diffusion einer Kunstform aus der Domäne der vornehmlich italienisch dominierten Renaissance über mehrstufige Übersetzungs- und Transformationsprozesse – vom Comer See über Basel nach Straßburg – in den vernakularen Sprach- und Kulturraum erfolg-
99 Vgl. Kap. 3.2.4.2. 100 Die lateinischen Icones sind vor dem Contrafacturbuch erschienen, vgl. Reusner: Contrafacturbuch, fol. )(6v, fol. )(7r (Datierungen) und )(6r (Aussage Jobins zum Entstehungsprozess). 101 Vgl. Reusner: Icones Sive Imagines Virorum Literis Illustrium, fol. )(6r f. 102 Die reichhaltigen Bordüren und Rahmen fehlen in der deutschen Ausgabe, allerdings auch – so muss einschränkend konzediert werden – in der zweiten Auflage der Icones im Jahr 1590. Zudem sind einige Holzschnitte ausgetauscht, was auf eine ‚Alemannisierung‘ der Darstellung schließen lässt, vgl. Lemmer: Nachwort, S. 447 f. 103 Vgl. Reusner: Icones Sive Imagines Virorum Literis Illustrium, fol. )(2r. 104 Vgl. Reusner: Contrafacturbuch, fol. )(2r. 105 Ebd., fol. )(6r.
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reich vonstatten gehen und dabei einem nationalen Interesse entgegenkommen kann. ‚Das Eigene‘ ist hierbei der Maßstab, an dem sich ‚das Andere‘ zu orientieren hat. Das rinascimentale Muster ist nicht unangreifbare Autorität, sondern wird zum Gegenstand vielfältiger Umarbeitungsprozesse: Das modifizierende Überschreiten des Ausgangsmusters unter den veränderten kulturellen und sprachlichen Bedingungen ist als aemulative Bewegung zu lesen. Ein weiteres Indiz für die Dignität des deutschen Contrafacturbuch[s] ist die Tatsache, dass sich hier, wie auch in der Panvinio-Ausgabe Fischarts, der Drucker selbst zu Wort meldet: Bei den beiden Vorreden handelt es sich um die einzigen Dokumente, die Jobins Haltung zur deutschen Kunst und ihrer Geschichte explizit machen. In derjenigen zum Contrafacturbuch greift Jobin den Topos von der Memorial- und Exempelfunktion der Portraitkunst seit der Antike auf: „alles zu ersprießlicher befürderung Gottseligen lebens/ auch des gemeinen nutzes/ guter zucht vnd Erbarkeit“106. Sie geht zugleich mit gemeinschaftsfördernden Effekten einher, werden doch diejenigen Persönlichkeiten als nachahmungswürdig vorgestellt, die sich „vmb den gemeinen nutz vnd das lieb Vatterland“107 verdient gemacht haben. Jobin diskutiert die antiken Vorbilder wie M. Terentius Varro,108 verweist auf die zeitgenössische allgemeine Praxis, Portraits zu sammeln, nennt für das „Vatterland[ ] Teutscher Nation“109 die Münchner und Wiener Hofbibliotheken als Schatzkammern der Portraitkunst und preist die Vorbildhaftigkeit der Arbeiten Giovios, die aber, und dies entbehrt nicht einer gewissen Pointe, erst durch Kopieren und Weiterentwickeln ein echtes Nachleben beschert worden sei.110 Basis für die gelungene imitatio, die, wie gezeigt worden ist, als aemulatio aufzufassen ist, ist die Expertise der beteiligten Künstler. Jobin greift hier unter vielen anderen, wie er selbst sagt, Hans Holbein (d. J.) – vor allem wegen dessen europäischer Wirkung – und Tobias Stimmer heraus: Holbeins Originalportraits haben zudem als Vorlage für einige Holzschnitte des Contrafacturbuch[s] gedient.111 Wichtig ist, dass Jobin hier die Entstehungsgeschichte sowohl der deut-
106 Reusner: Contrafacturbuch, fol. )(2r. 107 Ebd. 108 Vgl. ebd., fol. )(2r f. 109 Ebd., fol. )(2v. 110 Vgl. ebd., fol. )(4v. 111 Vgl. ebd., fol. )(4v f. Lemmer konnte weitere Gemäldevorlagen identifizieren, so von Hans Burgkmair, Albrecht Dürer, Lucas Cranach d. Ä. und anderen, vgl. Lemmer: Nachwort, S. 444. Jobin erwähnt außerdem bei Perna gedruckte „Teutsche[ ] Bildnusse[ ]“ (Reusner: Contrafactur buch, fol. )(5v), die offenbar als Anregung für das eigene Projekt dienten. Er impliziert die Nacktheit dieser Bilder und argumentiert für die Relevanz der Textbestandteile eines Portraitbuchs, was
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schen als auch der lateinischen Ausgabe skizziert, beide also gleichsam als zwei Seiten eines einzigen großen Projekts betrachtet. Im besten Sinne eines offenen Laboratoriums werden also zwei Repräsentationsmodi ausgetestet, die auf zwei unterschiedlichen Ebenen angesiedelt sind und gleichermaßen als Reflexionsmedien der deutschen Kultur fungieren können: Einschreibung ‚des Deutschen‘ in den humanistischen Leitdiskurs einerseits, dessen simultane Weiter- und Umschreibung andererseits. Den kunsttheoretisch ambitionierteren Entwurf legt Jobin allerdings nicht in seiner Vorrede zum Contrafacturbuch vor, sondern in derjenigen zur PanvinioÜbersetzung, die, wie oben bereits angedeutet, umfassend an Vasaris Kunstgeschichte Kritik übt.112 Er sieht in den gegenwärtigen Diskussionen über den Ursprung der bildenden Kunst ein nationales Interesse am Werk – die moderni perpetuierten gleichsam den Wettstreit der Nationalkünste, wie er schon unter den antiqui ausgefochten worden sei: Wer den altgewonten span vnnd streit/ auch gleich nach der Allgemeinen vertheilunge der Zungen und Vlcker/ zwischen den ltesten vnd herrlichsten Nationen/ als den Chaldeern/ Assyriern/ Egyptiern/ vnd den eigenrhmigen Griechen ob erfindung vnnd verbesserung der lieblichen vnd anmütigen Künst des Gemls/ oder anbildens/ angangen/ z sinn vnd mt führet: Der würd sich nicht hoch zbefrembden noch zverwundern haben/ das auch bey vnserer jetziger Lebzeit deßgleichen zweyung zwischen den heutberümtesten Vlckern den Teutschen/ Italianern vnnd Frantzosen vmb gleiche vrsach sich reget. […] Diweil sie namlich gedachte fürtreffliche Malerkunst in so hohen Ehren/ Würden vnnd achtung halten/ das sie vermeinen jhrem Vatterland/ neben dem nutz nicht ein wenig rhmes vnd achtbarkeit hiedurch zgehn/ wa sie die erfindung vnd den Vrheber derselbigen bey jhnen gewesen sein/ erhalten.113
Die Mode der Portraitbücher wird für Jobin zum Prüfstein für die in seinen Augen irrige These Vasaris, in Italien, zumal in der Toskana läge der Ursprung der Malerei, Bildhauerei und Architektur. Dessen Künstlerviten – konkret den Le Vite Deʼ Piu Eccellenti Pittori, Scultori, E Architettori in der illustrierten Ausgabe von 1568114 – setzt Jobin als Gegenbeweis die 1572 erschienenen Pictorum aliquot celebrium Germaniae inferioris effigies entgegen, also Kupferstiche der wichtigsten niederländischen Künstler von Hieronymus Cock, begleitet von Elogien des
bei Reusners Buch eingelöst sei (vgl. ebd.). Vermutlich handelt es sich dabei um die deutschen Anteile aus Pernas Elogien-Ausgaben aus den Jahren 1575 und 1577. 112 Die Vorrede wird von der Forschung stiefmütterlich behandelt, vgl. deswegen immer noch grundlegend Thöne: Johann Fischart; Pinette: Über deutsche Kunst. Vgl. neuerdings auch Glowa: The Role of Art. 113 Panvinio, Fischart: Accuratae Effigies, fol. (:)2r. 114 Vgl. zur Identifikation dieser Ausgabe Tanner: Paolo Giovio, S. 238.
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Dominicus Lampsonius.115 Er wehrt sich gegen die klimatheoretische Begründung der italienischen Suprematie und gegen die Vorstellung, dass, auch wenn ähnlich den Poeten bei bildenden Künstlern ein gewisses Maß an ingenium nötig sei, diese Gottesgabe auf alle kultivierten Völker – „so nicht gar Cyclopisch/ Cannibalisch vnd Barbarisch lebe[n]“116 – ungleich verteilt sei, ja dass sie sich sogar auf die Erbmasse eines bestimmten Volkes beschränke.117 Der Verankerung der italienischen Renaissance in der Antike setzt Jobin einen alternativen genealogischen Entwurf entgegen und inszeniert sich damit gewissermaßen als ein besserer Vasari. Er setzt sich in ein dialogisches Verhältnis zu Vasari und befragt einzelne Viten auf ihre Richtigkeit. Die Blüte der deutschen Kunst seit dem Mittelalter, beispielsweise in Form der Kathedralen, und ihre Kontinuität bis in die Gegenwart meint er sogar aus Vasari selbst herauszulesen.118 Zudem entlarvt er dessen Fehlzuschreibungen im Bereich bestimmter Erfindungen wie beispielsweise der Kupferstecherei119 und führt diese stattdessen auf deutsche Künstler, in diesem Falle auf den Straßburger Martin Schongauer, zurück. Die piktoriale Buchkunst, Kupferstecherei und Holzschneiderei erscheinen in dieser Perspektive als eigentlich deutsche Künste, als deren leuchtendster Vertreter Albrecht Dürer zu gelten habe, der seine Nachfolger wie Lucas Cranach, Jost Amman, Virgil Solis und andere angeregt habe.120 Ähnlich der Vorrede zum Contrafacturbuch hebt Jobin den europaweit bedeutenden Holbein und natürlich Stimmer besonders hervor, weil sie sich „der frembden Welschen art zmalen […] entschlagen“121 haben. Die moderne deutsche Kunst konstituiert sich also im Widerspiel zwischen innova tiven Neuansätzen der Gegenwart122 und ununterbrochen wirksamen, indigenen
115 Vgl. ebd. 116 Panvinio, Fischart: Accuratae Effigies, fol. (:)2r. 117 Vgl. ebd. 118 Mit der sich aus der Kritik an Vasari und dessen Toskanozentrismus ergebenden Akzentuierung der mittelalterlichen Kunst ist Jobin nicht alleine; so verwirft auch Giulio Mancini einige Jahrzehnte später vor diesem Hintergrund Vasaris Renaissancekonzeption, vgl. Ingo Herklotz: Mittelalterliche Kunst zwischen absolutistischer Geschichtsschreibung, kirchlichem Reformbemühen und kunsthistoriographischem Schulenstreit. Paradigmen der Mediävistik im 17. Jahrhundert. In: Johann Dominicus Fiorillo. Kunstgeschichte und die romantische Bewegung um 1800. Hg. von Antje Middeldorf Kosegarten. Göttingen 1997, S. 57–78, hier S. 76 f. 119 Vgl. Panvinio, Fischart: Accuratae Effigies, fol. (:)2v. 120 Vgl. ebd., fol. (:)2v f. 121 Ebd., fol. (:)3r. 122 Vgl. zum Problem des Neuen in der Renaissancekunst Ulrich Pfisterer: Die Erfindung des Nullpunktes. Neuheitskonzepte in den Bildkünsten, 1350–1650. In: Novità. Neuheitskonzepte in der Kunst um 1600. Hg. von Ulrich Pfisterer, Gabriele Wimböck. Zürich, Berlin 2011, S. 7–85. Zum Neuen u. a. bei Fischart vgl. Ronny F. Schulz: Die Wahrnehmung des Neuen in der Literatur des
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Traditionen, die der Einflüsse Italiens nicht bedürfen. Letztere Dimension ist auch der Grund, warum den Deutschen die eigentliche Wiedergeburt der Kunst obliege, da sie nicht den Niedergang erfahren habe wie die italienische.123 Das Ineinander von traditio und inventio definiert die deutsche Renaissancekunst, die ganz unabhängig von der ‚welschen‘ ihre Wirkung entfaltet. Darin liegt ihre besondere Kraft, die sie vor der Kunst aller anderen Völker auszeichnet, zusätzlich gestützt von der „Redliche[n] auffrichtigkeit der Teutschen“124 und deren ingenium. Das Papstportraitbuch mit Stimmers Holzschnitten wird in diesem Zusammenhang zum lebenden Beweis für Jobins These, dass auch der deutsche Boden künstlerische Begabung hervorbringe – anders, als es die römischen His toriographen insinuiert hatten.125 Wie in Holtzwarts Bildnussen oder Contrafac turen der XII. Ersten Alten Teutschen Knig im Anhang seiner Emblematum Tyrocinia die translatio imperii durchgestrichen wird, wird hier in den Accuratae Effigies das Konzept der translatio artium Lügen gestraft.126 Den Kunst- und Kulturvergleich sowie die agonale Suche nach den Ursprüngen der Kunst erachtet Jobin als Motor weiterer künstlerischer Entwicklung, „dieweil dieser Eyfer z beiden theilen die gemter z fleissiger bung, vnd grndlicher erforschung noch vnverschter sachen antreibet vnnd ermanet.“127 Auf der Meta-Ebene schreibt sich auch Jobin in diese Auseinandersetzung ein, indem er gängige, mitunter von Vasari geprägte Denkmuster – wie eine einseitige Lesart der Klimatheorie oder die Dominanz der italienischen Renaissance – infragestellt. Der Wettstreit der Nationalkünste spiegelt sich so im paragone ihrer Historiographen. Diese auf die anderen europäischen Nationen geweitete Perspektive schlägt sich auch in Jobins abschließenden Bemerkungen zur Mode der Portraitwerke nieder. Statt lediglich die antike Tradition sowie das Vorbild Giovios anzuzitieren, listet er u. a. die Sammlungen am englischen Königshof sowie am holsteinischen Adelssitz der Rantzow auf, versteht er also die Konservierung von memoria und exemplum in Form von Portraits als kulturübergreifende Konstante und weniger als antik geprägte Tradition.128
16. Jahrhunderts. Novitätsdiskurse bei François Rabelais, Johann Fischart, Michael Lindener und im „Finckenritter“. Bielefeld 2018. 123 Vgl. Panvinio, Fischart: Accuratae Effigies, fol. (:)3r. 124 Ebd. 125 Vgl. ebd. Zu klimatheoretischen Begründungen im politischen Zusammenhang vgl. Nigrinusʼ Gentillet-Übersetzung, vgl. Kap. 2.2. 126 Vgl. zum Verhältnis der beiden Konzepte Worstbrock: Translatio Artium. Zu der Heldenreihe Holtzwarts vgl. Kap. 2.1. 127 Panvinio, Fischart: Accurarate Effigies, fol. (:)3r. 128 Vgl. ebd., fol. (:)3v.
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Im Lichte dieser Überlegungen gewinnen, wie oben angedeutet, Stimmers Kopien der Giovio-Portraits, ihr Transfer nach Basel sowie die für Jobin neu konzipierten ‚deutschen Portraits‘ für die späteren Icones und das Contrafacturbuch eine andere Qualität. Die sich autochthon aus dem mittelalterlichen Erbe heraus schälende, von äußeren Einflüssen emanzipierte deutsche Renaissancekunst, repräsentiert durch Stimmer, ‚stülpt‘ sich über das italienische Modell, macht es sich in mehreren Schritten zu eigen und beweist so die Tatsache einer umfassenden, in den Nationen Europas jeweils unterschiedlich ausgeprägten, jedoch in ihren einzelnen Strängen potentiell gleichwertigen rinascimentalen Bewegung. Dass Stimmer dabei als der einzige Künstler des sechzehnten Jahrhunderts gelten kann, „der sich eingehend mit dem Problem der druckgraphischen Reproduktion insbesondere des italienischen Bildnisses auseinandergesetzt hat“129, macht einmal mehr deutlich, dass sich das Konzept einer deutschen Kunst, wie es die Konstellation von Jobins Offizin vertritt, in einer doppelten aemulatio manifestiert: Die sich aus dem Indigenitätsargument speisende Überbietungskraft ist untrennbar mit der Vorstellung einer transponierenden und modifizierenden imitatio verbunden. Die Portraitbücher selbst sind Zeugen des künstlerischen paragone zwischen den Nationen und auch, wie gezeigt, zwischen den Offizinen. Indem Jobin deutsche Kunst inhaltlich wie formal in zwei unterschiedlichen Repräsentationsmodi – auf Deutsch und Latein – zur Darstellung bringt und so das aemulierte Ausgangsmodell sichtbar hält, stellt er zugleich den Wettstreit zwischen den konfligierenden Renaissance- und Humanismuskonzeptionen auf produktive Art und Weise aus.
3.1.2 Repräsentation und Brechung: Ausgewählte Bildergedichte Die bisher diskutierte und von Jobin und seinen Mitarbeitern in den Portraitbüchern produzierte wie reflektierte Kunst ist die des Individualportraits, das spätestens seit Dürer auch auf deutschem Boden floriert.130 Das Prinzip, dass die naturgetreue imitatio der äußeren Natur einer Person im Bild sowie die Nachahmung ihrer moralischen Natur in der Anschauung Hand in Hand gehen, ist auch auf zahlreichen Einblattdrucken aus der Offizin Jobin eingelöst,131 auf denen
129 Meier: Bildnis, S. 464. 130 In diesem Zusammenhang sieht auch Lemmer Stimmer, vgl. Lemmer: Nachwort, S. 437–439. 131 Vgl. grundlegend Bruno Weber: „Die Welt begeret allezeit Wunder“. Versuch einer Bibliographie der Einblattdrucke von Bernhard Jobin in Straßburg. In: Gutenberg-Jahrbuch (1976), S. 270–290; Anton Englert: Zu Fischarts Bilderreimen. In: ZfdPh 35 (1903), S. 534–540. Zu den
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das Portrait von einem längeren, über Biographie und Verdienste informierenden Text, meist in Gedichtform, begleitet wird – einem Bildergedicht.132 Zu nennen wären hier die Darstellungen von bekannten Reformatoren, etwa von Heinrich Bullinger (1571), Matthias Flacius Illyricus (1571), Rudolf Gwalther (o. J.), von Straßburger Berühmtheiten wie dem Schulmeister Jacob Sturm (1571) oder dem Organisten Bernhard Schmidt (1571)133 und weiteren Persönlichkeiten vor allem aus dem oberdeutschen Adel.134 Der Verfasser der jeweiligen Textteile ist hier stets unbekannt, und nicht zu Unrecht hat man aufgrund stilistischer Besonderheiten und des Sprachduktus oft Fischart als Urheber angenommen.135 Ungleich umfangreicher ist jedoch die Einblattdruck- und Flugblattproduktion mit primär konfessionspolemischem Anliegen, wobei dies durchaus, wie am Beispiel Bullingers und anderer zu sehen ist, mit der Portraitkunst Hand in Hand gehen kann. Hier überschreitet Stimmer in seinen Holzschnitten die Grenzen der imitatio naturae und erweist sich als Meister des Inszenierung, der Verzerrung und des ‚Grotesken‘.136 Statt einen zur Tugend anleitenden, intakten Körper zur Darstellung zu bringen, zelebrieren Stimmer und Fischart im Flugblatt Der Barfsser Secten vnd Kuttenstreit (ca. 1570/1571 und 1577), einer Replik auf das mit einer analogen Szenerie operierende Flugblatt Anatomia Lutheranismi (1568) des Franziskanerpaters Johannes Nas,137 in Wort und Bild die Zerstückelung des
kommunikativen Aufgaben des Flugblatts vgl. Michael Schilling: Bildpublizistik der frühen Neuzeitt. Aufgaben und Leistungen des illustrierten Flugblatts in Deutschland bis um 1700. Tübingen 1990 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 29), hier besonders S. 266–282 (zur Rolle der bildenden Kunst). 132 Zu den Funktionen der „Repräsentation“ und der „Propaganda“ vgl. Pelc: Illustrium Imagines, S. 102–111. 133 Vgl. zu Bernhard Schmidt, Autor des Ritter Stauffenberg, auch Kap. 4.2. 134 Zu nennen wären hier Ottheinrich von Schwarzenburg (1577), Lazarus von Schwendi (1579). Bei Carl Mieg handelt es sich um einen Repräsentanten der Straßburger Familie Mieg. Die Darstellung des riesenwüchsigen Anton de Franckenpoint (1583) muss eher in die Kategorie ‚Wunderzeichen‘ fallen. Einen Überblick über Stimmers Einblattportraits liefert Tanner: Paolo Giovio, S. 240–252. 135 Vgl. die Übersicht über die „[u]ngesicherten Zuschreibungen“ bei Seelbach: Art. ‚Fischart, Johann‘ 2012, Sp. 376 f. mit Hinweisen auf Ausgaben, die entsprechende ältere Forschung und deren Antwort auf die Identifizierungsfrage. 136 Vgl. zum Begriff im literatur- und kunstwissenschaftlichen Sinne Kap. 4. 137 Vgl. zu den ‚replizierenden‘ Schreibstrategien im Bereich der konfessionellen Polemik Kap. 4.1.1. Zu dieser Flugblattkontroverse vgl. Harry Oelke: Konfessionelle Bildpropaganda des späten 16. Jahrhunderts. Die Nas-Fischart-Kontroverse 1568/71. In: ARG 87 (1996), S. 149–200; Rainer Hillenbrand: Kontroverstheologische Bildinterpretationen von Fischart und Nas. In: Daphnis. Zeitschrift für Mittlere Deutsche Literatur und Kultur der Frühen Neuzeit (1400–1750) 42 (2013), S. 93–139.
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Heiligen Franziskus (vgl. Abb. 9) und damit auch die Destruktion seiner sittlichen und theologischen Bedeutung. Ähnliches geht im Flugblatt Malchopapo (1577) vor sich, in dem Fischart in Reimpaarversen mit dem Papsttum abrechnet und dies mit dem körperlichen Angriff des Heiligen Petrus auf einen nicht näher identifizierbaren Papst im Holzschnitt inszeniert – zumal vor dem Hintergrund der 1573 bei Jobin erschienenen, individualisierten und ehrwürdigen Papstportraits Panvinios ist die Spannung zwischen den diametral entgegengesetzten Darstellungsweisen nicht zu übersehen. Eine der Zerstörung des Körpers gleichsam entgegengesetzte, jedoch ebenfalls das Prinzip der Naturnähe pervertierende Strategie ist kombinatorische Neukonstruktion, wie sie in den nach einer Vorlage Stimmers angefertigten Einblattdrucken Gorgoneum Caput (etwa 1571/1572) bzw. Der Gorgonisch MeduseKopf (1577) praktiziert wird (vgl. Abb. 10).138 Nach Art der Kunst Arcimboldos139 wird hier aus den verschiedenen Insignien des Papsttums wie einem Weihrauchkessel, Tabernakel und einem schlüsselgeschmückten Buch, das die päpstliche Lehrmeinung bzw. die katholische Tradition repräsentieren soll, das Profilbild einer monströsen Papstfigur zusammengesetzt, dessen Bedeutung vom Betrachter erst mühsam enträtselt werden muss, wobei ihm wieder, ähnlich dem Emblem, der Text Hilfestellung gibt. Spätestens hier wird mehr als deutlich, dass Stimmer in der Kunstgeschichte als Vertreter der Spätrenaissance und des Manierismus zu gelten hat: Seine Zeichnungen, die besonders auf intensive bis übertriebene Herausarbeitung der Muskelpartien Wert legen und die Darstellung von Körpern aus den verschiedensten Perspektiven und in unterschiedlichsten Haltungen durchexerzieren, legen davon besonders beredtes Zeugnis ab.140 Diese ‚Lust am Grotesken‘ schlägt sich auch im 1576 erstmals erschienenen Einblattdruck Abzeichnus etlicher wolbedencklicher Bilder vom Römischen Abgotsdinst nieder
138 Hier ist die Autorschaft Fischarts nicht gesichert, vgl. Seelbach: Art. ‚Fischart, Johann‘ 2012, Sp. 376. Vgl. zu diesem Blatt auch Carsten-Peter Warncke: Der visuelle Mehrwert. Über die Funktion des Bildes im illustrierten Flugblatt. In: Die Intermedialität des Flugblatts in der Frühen Neuzeit. Hg. von Alfred Messerli, Michael Schilling. Stuttgart 2015, S. 47–60, hier besonders S. 51–53. 139 Thomas DaCosta Kaufmann liest Arcimboldos berühmte allegorische Portraits als auf das Kaiserlob abgestellte Metamorphosen, die bewusst auf Elemente von ernsthaften Heldendarstellungen rekurrierten, vgl. Thomas DaCosta Kaufmann: Arcimboldo’s Imperial Allegories. G. B. Fonteo and the Interpretation of Arcimboldo’s Paintings. In: Zeitschrift für Kunstgeschichte 39 (1976), S. 275–296, hier besonders S. 285–296. 140 Vgl. zur Gegenüberstellung von Früh- und Spätwerk Dieter Koepplin, Monika Stucky: Stimmers kaum manieristische Zeichnungen. In: Spätrenaissance am Oberrhein. Tobias Stimmer 1539–1584. Ausstellung im Kunstmuseum Basel, 23. September bis 9. Dezember 1984. Hg. von Kunstmuseum Basel. Basel 1984, S. 295–380. Zum Manierismusbegriff in kunst- und literarurwissenschaftlicher Perspektive vgl. Kap. 4.5.
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(vgl. Abb. 11),141 in dem der Holzschnitt ein Relief aus dem Straßburger Münster wiedergibt. Es stellt die Beerdigungsmesse für einen scheinbar toten Fuchs dar, den Fischart in seinen begleitenden Reimpaarversen als Papst ausdeutet, der von den Vertretern der Kirche zu Grabe getragen wird.142 Nas publizierte daraufhin eine Gegendarstellung unter dem Titel Abcontrafeyhung vnd Außlegung etlicher seltzamer Figuren (1588). Während Stimmer in den oft bzw. meist in Kollaboration mit Fischart konzipierten, konfessionspolemischen Bildergedichten und Holzschnitten die Ordnung des Körpers ins Wanken bringt und sich dabei der vollen Klaviatur der Darstellungsvarianten bedient, finden sich andere Fälle, in denen wiederum wirklichkeitsgetreue Repräsentation, diesmal jedoch nicht der Natur, dringend geboten ist: dann nämlich, wenn die Errungenschaften der deutschen Kunst und Architektur, konkret am Beispiel des Straßburger Münsters, propagiert werden sollen. Die genannten Tierbilder weisen bereits in diese lokalpatriotische Richtung, und wenn Jobin in der Vorrede zu den Accuratae Effigies (1573) die Kontinuität deutscher Kunst seit dem Mittelalter an den Kathedralen festmacht, ist die Straßburger mit Sicherheit mitgedacht. Um das Jahr 1575 publizierte Bernhard Jobin selbst eine Ansicht des Münsters und versah diese mit einem kurzen, das Lob der Stadt singenden Abriss über die Baugeschichte (vgl. Abb. 4). Während das Münster also die ungebrochene Tradition autochthoner deutscher Kunst repräsentiert und zugleich den reichsstädtischen Stolz Straßburgs weithin sichtbar macht – man denke beispielsweise auch an das Lob der mittelalterlichen Kunst in Julius Wilhelm Zincgrefs Vom Thurn zu Straßburg (1624) –,143 verweist die in zahlreichen Publikationen gepriesene, zeitgenössisch neu eingebaute astronomische Uhr auf den technischen wie bildkünstlerischen Erfindergeist der moderni, den Jobin in den Accuratae Effigies so deutlich gegen Vasari in Stellung bringt. Stimmer war von Anfang an in die Konzeption der neu geplanten Münsteruhr involviert. Während er für die künstlerische Ausgestaltung und Bemalung verantwortlich zeichnete, übernahmen der Straßburger Mathematiker Konrad Dasypodius die wissenschaftliche Ausarbeitung und die Schaffhausener Uhr-
141 Zwei weitere, veränderte Drucke erscheinen 1580, vgl. Seelbach: Art. ‚Fischart, Johann‘ 2012, Sp. 373. 142 Vgl. [Stimmer, Fischart:] Abzeichnus etlicher wolbedencklicher Bilder vom Römischen Abgotsdinst [1576]. 143 Vgl. hierzu Richard Erich Schade: Kunst, Literatur und die Straßburger Uhr. In: Spätrenaissance am Oberrhein. Tobias Stimmer 1539–1584. Ausstellung im Kunstmuseum Basel, 23. September bis 9. Dezember 1984. Hg. von Kunstmuseum Basel, S. 112–117, hier S. 112.
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macher Isaak und Josias Habrecht die praktische Umsetzung des Projekts. Als Rechtsberater fungierte der, wie oben deutlich wurde, offensichtlich kunstinter essierte Historiker Michael Beuther.144 Das komplexe Bildprogramm entwirft ein gewaltiges Panorama an Zeitkonzepten, fusioniert dabei christliche Stoffe und antik-heidnische Mythologeme im Lichte der Allegorie145 und hat auf verästelten Wegen weit in die druckgraphischen Werke Stimmers hinein weitergewirkt.146 Zum Jahr der Fertigstellung, 1574, druckte Jobin den Einblattdruck Eigentliche Fürbildung vnd Beschreibung des Newen Kunstreichen Astronomischen Vrwercks zu Straßburg im Mönster (vgl. Abb. 12), wobei die gereimte Beschreibung von Fischart, die zeichnerische Umsetzung der Uhr von Stimmer stammt.147 Es existieren zwei Fassungen: In gekürzter Form wurde das Blatt mehrfach neu aufgelegt und diente so als Informationsbroschüre für Besucher.148 Fischart vollzieht in Worten die kunstvolle Faktur der Uhr ekphrastisch nach und intensiviert so einerseits den ‚ästhetisch‘-repräsentativen Eindruck, der sich beim Betrachten des Blattes einstellt, andererseits trägt er zum Verstehen des rätselhaften, allegorischen Bildprogramms bei – die zwischen Text und Bild generierte Erkenntnisbewegung ist wieder der emblematischen nicht unähnlich. Die Komplexität der künstlerischen Ausgestaltung spiegelt dabei die Qualität der uhrmacherischen und der mathematisch-astronomischen Leistung – schöne, freie und technische Künste befinden sich in einem harmonischen Ineinander, dabei auf der Höhe ihrer Zeit und tragen gemeinsam zum Lob der Stadt Straßburg bei. Zum besseren Verständnis seines Kunstwerks veröffentlichte Dasypodius 1578 beim Straßburger Drucker Nikolaus Wyriot einen längeren Kommentar unter dem Titel Warhafftige Außlegung des Astronomischen Vhrwercks zu Straßburg, das den Stimmer-Holzschnitt auf dem Titelblatt reproduziert.149 In seiner Vorrede, die für die zweite Auflage im Jahr 1580 ebenso wie das Büchlein selbst leicht überarbeitet wurde, diskutiert Dasypodius das Verhältnis des modernen Handwerks
144 Zur Entstehungsgeschichte und den entsprechenden Quellen vgl. Paul Tanner: Die astronomische Uhr im Münster von Strassburg. In: Spätrenaissance am Oberrhein. Tobias Stimmer 1539–1584. Ausstellung im Kunstmuseum Basel, 23. September bis 9. Dezember 1984. Hg. von Kunstmuseum Basel, S. 97–111, hier S. 97 f. 145 Vgl. die detaillierte Beschreibung des Programms ebd., S. 98–105. Die umfangreichste Darstellung liefert August Stolberg: Tobias Stimmers Malereien an der astronomischen Münsteruhr zu Strassburg. Straßburg 1898 (Studien zur deutschen Kunstgeschichte 13). 146 Vgl. Tanner: Die astronomische Uhr, S. 105. 147 Vgl. ebd., S. 107. 148 Vgl. Seelbach: Art. ‚Fischart, Johann‘ 2012, Sp. 368. 149 Vgl., nach der Ausgabe von 1580, Konrad Dasypodius: Warhafftige Außlegung des Astronomischen Vhrwercks zu Straßburg […]. Straßburg: Nikolaus Wyriot 1580, Titel.
Das Profil einer deutschen Bildkunst zwischen imitatio und aemulatio
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und der zeitgenössischen technischen Künste zu den antiken Leistungen und postuliert eingangs die potentielle Gleichberechtigung der „Tempel“ in Jerusalem, Ephesus und Rom und derjenigen in Straßburg, Wien und Florenz.150 Aufgrund der historischen Differenz herrsche allerdings keine absolute Gleichheit: Kriegsund Friedenszeiten haben sich in der Geschichte abgelöst, so dass immer wieder andere Kompetenzen gefragt waren und unterschiedliche Künste – die freien, die schönen oder die technischen – zu je verschiedenen Zeitpunkten florierten. Deswegen sei auch eine Bewertung der eigenen Zeit schwierig; es sei anzuzweifeln, dass Kunstfertigkeit und Gelehrsamkeit gleichermaßen in Blüte stehen könnten.151 Eine weitere Konsequenz des historischen Wandels sei außerdem das Aussterben gewisser Künste einerseits, das Aufkommen von Neuheiten andererseits. Wenn also die antiken Künste nicht mit den modernen identisch seien, so seien doch die neueren nicht minder zu schätzen: Sie seien einfach nur anders und in Italien, Frankreich und Deutschland reich vorhanden.152 Um mögliche Defizienzen auf der Seite der praktischen Fertigkeiten gegenüber dem hohen Entwicklungsstand der Antike auszugleichen – Dasypodius scheint vom zeitgenössischen Uhrmacherhandwerk nicht viel zu halten –, müsse sich die wissenschaftliche Aus einandersetzung mit dem Gegenstand, konkret die Mathematik, hinzugesellen.153 Das Bewusstsein über den historischen Fortschritt wird mit einer dynamischen, beinahe schon dialektisch anmutenden Vorstellung von der Entwicklung der Künste verrechnet. Für Dasypodius ist die Kategorie der inventio, bedingt durch die Aufstiegs- und Dekadenzbewegungen in der Geschichte, der einzig denkbare Hebel für den Transfer der Künste aus der Antike in die unter anderem auch deutsche Gegenwart, während sie bei Jobin in der Vorrede zu den Accuratae Effigies Hand in Hand geht mit einer autochthonen, aus dem ‚eigenen Boden‘ gewachsenen deutschen Kunst. Wenngleich also Jobin und Dasypodius Geschichte und Neuheit auf unterschiedliche Weise zusammendenken, so ist doch beiden der an die Innovationen gekoppelte emanzipatorische Impetus gemein, der selbstbewusst die deutschen freien, technischen und bildenden Künste in vereinter Weise nach außen vor den anderen Nationen in Europa vertritt. Stimmer, Jobin und Fischart lösen diesen Anspruch mit ihren auf breite Sichtbarkeit ausgerichteten Einblattdrucken ein.
150 Vgl. ebd., fol. a2r–a3r. 151 Vgl. ebd., fol. a3r f. 152 Vgl. ebd., fol. a3r. 153 Vgl. ebd., fol. b1r. Die Defensivhaltung des Dasypodius, was die Handwerkskunst anbelangt, hängt möglicherweise auch mit dem Gegenwind zusammen, der ihm von der öffentlichen Meinung her entgegenschlug. Kritik an der „erfündung anordnung vnnd außtheylung“ (vgl. ebd., fol. b3v) der Uhr weist er schroff zurück, vgl. ebd.
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Die hohe repräsentative Relevanz der Straßburger Münsteruhr ist auch dem seit den 1580er Jahren in Straßburg ansässigen Dichter und Philologen Nicodemus Frischlin bewusst. Er setzt ihr in seinem lateinischen Carmen De Astronomico Horologio Argentoratensi, gedruckt 1575 ebenfalls bei Wyriot, ein Denkmal und verbindet dort das Lob der mechanischen Künste mit der laus urbis und dem Lob Stimmers,154 wobei im Zentrum des Textes eine ausführliche lateinische Beschreibung der Uhr in Versform steht.155 In ihren Zielsetzungen ähneln sich Fischarts und Frischlins Preisgedichte also durchaus, doch unterscheiden sie sich maßgeblich mit Blick auf das intendierte Publikum und die entsprechenden poetischen Register (vom Umfang ganz zu schweigen). Umso frappierender ist, dass Fischart das beiden gemeine rinascimentale, auf den Pfeilern der Gelehrsamkeit ruhende Selbstbewusstein156 im Medium des Vernakularen unter die Massen bringen möchte. Spuren der Faszination mit der Münsteruhr finden sich auch weiterhin in beider Werk. In Frischlins Komödie Iulius Redivivus, gedruckt bei Jobin im Jahr 1585, ist die Uhr im Zwiegespräch zwischen Cicero und Cäsar ein Argument – neben den Erfindungen wie dem Schießpulver und der Buchdruckerei – für die Errungenschaften deutscher renaissancehumanistischer Gelehrsamkeit und Kunstfertigkeit.157 Zu guter Letzt kommt auch Fischart nicht umhin, im Glückhafft Schiff das Städtelob mit dem Hinweis auf die Straßburger Uhr zu verbinden.158 Die Verkörperung deutscher moderner mechanischer Kunst und Malerei durch die von Stimmer bemalte und nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen konzipierte astronomische Uhr wird durch ihre Repräsentation in Form des ebenfalls bildkünstlerisch anspruchsvollen Bildergedichts von Stimmer und Fischart reproduzierbar und dadurch nicht nur für das Straßburger Publikum sichtbar gemacht. Die schnell und kostengünstig distribuierbaren Bildergedichte verdeutlichen buchstäblich auf einen Blick die Potenz der deutschen Künste, die andernorts
154 Vgl. zu Frischlins carmen und dessen Bezug zu Fischart grundlegend Wilhelm Kühlmann: Poesie und Mechanik als Weltmodell: Zu Faktur und ideengeschichtlichem Gehalt von Nicodemus Frischlins Lehrgedicht (1575) über die Straßburger Münsteruhr. In: Scientia Poetica. Jahrbuch für Geschichte der Literatur und Wissenschaften 20 (2016), S. 1–26; Wilhelm Kühlmann: Wissen als Poesie. Ein Grundriss zu Formen und Funktionen der frühneuzeitlichen Lehrdichtung im deutschen Kulturraum des 16. und 17. Jahrhunderts. Berlin, Boston 2016 (Frühe Neuzeit 204), S. 97–104. 155 Vgl. Nicodemus Frischlin: Carmen De Astronomico Horologio Argentoratensi. Straßburg: Nikolaus Wyriot 1575, f. C1r–L3r. Vgl. Schade: Kunst, S. 116. 156 Vgl. Kühlmann: Wissen als Poesie, S. 99. 157 Vgl. Schade: Kunst, S. 114 f. 158 Vgl. Fischart: Glückhafft Schiff, S. 159.
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bei Jobin in langen Argumentationen entwickelt wird. Indem das mittelalterliche Straßburger Münster die auf den deutschen Erfindergeist verweisende astronomische Uhr buchstäblich beherbergt und indem Flugblätter sowie weitere Textzeugen verschiedenster Gattungen die beiden technischen Meisterleistungen aus deutscher Vergangenheit und Gegenwart preisen, setzen sie die von Jobin in seiner Vorrede zu den Accuratae Effigies vertretene Auffassung vom Ineinander der autochthonen Tradition und der produktiven Neuansätze, ermöglicht durch die kontinuierliche Wirksamkeit des deutschen ingenium, um. Die Tatsache, dass Stimmer die Klaviatur der italienischen Renaissancekunst beherrscht, ihre Normen und Grenzen einzuhalten weiß und sie dabei doch zugleich testet, dehnt, weiterentwickelt und an die Erfordernisse und Eigenheiten der deutschen Kultur anpasst, ist an den Portraitbüchern ebenso zu sehen wie an den mannigfaltigen Darstellungsweisen des menschlichen Körpers und Gesichts in den ernsthaften, konfessionspolemischen und auch spielerischen Portraitblättern. Die deutsche Kunst im Ganzen überschreitet, bedingt durch die ihr genealogisch mitgegebene Kraft, die Grenzen der herkömmlichen rinascimentalen Denkmuster und trägt dadurch, wiederum innovatorisch, zu ihrer Neukonzeptualisierung bei. Die über die Redefinition rinascimentaler Piktorialität erzielte Überschreitung, aemulatio, des romanozentrischen Renaissancehumanismus als solchen wird sich, wie im Kapitel zu Fischarts Sprach- und Textorganisation zu sehen sein wird, auf sprachlicher Ebene in der Revision humanistischer Schreibmuster wiederholen.
3.2 Transformationen der Emblematik zwischen neulateinischer und volkssprachlicher Kultur Über die Aufarbeitung von Geschichte und Gegenwart, von Tradition und Innovation der deutschen Künste im Allgemeinen und der deutschen Bildkunst im Besonderen nähern sich Jobin und seine Mitarbeiter zugleich derjenigen Kunstform an, die zeitgenössisch als absolut neu zu gelten hat und rege diskutiert wird: der Emblematik.159 Sie ist auch am Ende des 16. Jahrhundert eine noch junge ‚Gat tung‘,160 die im engeren Sinne erst mit Andrea Alciatos epochalem Emblembuch
159 Vgl. grundlegend Bernhard F. Scholz: Emblem und Emblempoetik. Historische und systematische Studien. Berlin 2002 (Allgemeine Literaturwissenschaften – Wuppertaler Schriften 3). 160 Ich möchte im Folgenden aus praktischen Gründen am Gattungsbegriff festhalten, um zu markieren, dass es sich beim Terminus ‚Emblem‘ um eine abgesteckte Reflexionskategorie handelt. Ich teile jedoch die Vorbehalte Rüdiger Zymners gegenüber der ‚Gattung‘ Emblem, vgl. Rüdiger Zymner: Das Emblem als offenes Kunstwerk. In: Polyvalenz und Multifunktionalität der Emblematik – Multivalence and Multifunctionality of the Emblem. Akten des 5. Internationalen
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(1531) das Licht der Welt erblickt hat.161 Ihre Geschichte ist noch nicht diskursiviert, ihre Form hat sich noch nicht endgültig konstituiert, ihr Begriff ist noch nicht definiert. Diese Aspekte sind im ganzen sechzehnten Jahrhundert vielfältigen Aushandlungen unterworfen. Ihre Verbindungen – als eine der „Bilderschriften der Renaissance“162 – zur Hieroglyphen-, Impresen-, Devisen- und Wappenkunst werden in zahlreichen Emblemtraktaten diskutiert.163 Ihre Provenienz aus der ‚hohen‘ Humanistenkultur steht dabei außer Frage, sind doch die Bezüge zur Hieroglyphyik stark und die Anspielungen und Zitate gelehrt-humanistischen Wissens zahlreich, ohne deren Kenntnis das Verständnis des Emblems erschwert ist.164 Es verwundert also nicht, dass sich auch der Kreis um Jobin dieser humanistischen Kunstform annimmt und sie auf ihr vernakulares Potential hin überprüft. Anders als im Falle der als antik zu geltenden Portraitkunst bzw. ihrer frühneuzeitlichen Umsetzung als Portraitbuch handelt es sich bei der Emblematik eben nicht um ein arriviertes Modell, sondern um eine offene Form,165 deren Normen und Grenzen erst noch festgelegt werden müssen und die zahlreiche Interferenzen mit anderen literarischen sowie bildkünstlerischen Gattungen aufweist.166 Entsprechend präparieren sie Jobin und seine Mitarbeiter auch aus den verschiedensten Traditionen heraus, aus verschiedenen Gattungen und aus verschiedenen Sprachen.
Kongresses der Society for Emblem Studies – Proceedings of the 5th International Conference of the Society for Emblem Studies. Hg. von Wolfgang Harms, Dietmar Peil. Frankfurt a. M., Berlin u. a. 2002 (Mikrokosmos. Beiträge zur Literaturwissenschaft und Bedeutungsforschung 65), S. 9–24. 161 Zur Inszenierung Alciatos als „Begründer einer Gattung“ vgl. Scholz: Emblem, S. 145–182. 162 Ludwig Volkmann: Bilderschriften der Renaissance. Hieroglyphik und Emblematik in ihren Beziehungen und Fortwirkungen. Nieukoop 1962. Ndr. der Ausgabe Leipzig 1923. 163 Vgl. zu Emblem und Imprese Scholz: Emblem, S. 79–110. Vgl. zur Hieroglyphik – stellvertretend für viele andere – die deutsche Horapollo-Ausgabe von Johann Basilius Herold mit dem Titel Heydenweldt vnd irer Götter anfängcklicher vrsprung (1554), dazu einführend und im Überblick Ingrid Höpel: Emblem und Sinnbild. Vom Kunstbuch zum Erbauungsbuch. Frankfurt a. M. 1987, S. 67–73; Volkmann: Bilderschriften. Zu Wappenbüchern wie dem Stam vnd Wapenbuchlein des Theodor de Bry vgl. ebd., S. 84–96. 164 Vgl. William S. Heckscher, Karl-August Wirth: Art. ‚Emblem, Emblembuch‘. In: RDK 5 (1959), Sp. 85–228, hier Sp. 65 f. 165 Bedingt durch den dreistufigen Erkenntnisprozess zwischen pictura, inscriptio und subscriptio handelt es sich laut Zymner generell um ein ‚offenes Kunstwerk‘, vgl. Zymner: Emblem. 166 Vgl. zum Zusammenhang von Fabel und Emblem Barbara Tiemann: Fabel und Emblem. Gilles Corrozet und die französische Renaissance-Fabel. München 1974.
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3.2.1 Apologie deutscher Kunst: Stimmers und Fischarts emblematische Bilderbibel Neue Künstliche Figuren Biblischer Historien (1576) Aus einer anderen Offizin, nämlich der Thomas Guarins in Basel, stammt ein erster Beitrag zu der gewissermaßen implizit, an der Faktur der Emblembücher abzulesenden Diskussion des Straßburger Kreises über Bedingungen und Potentiale volkssprachlicher Emblematik, für deren Konstitution verschiedenste Traditionen und Quellen durchgespielt werden: die ausschließlich deutschsprachige Bilderbibel Neue Künstliche Figuren Biblischer Historien (1576), zu der Stimmer die Illustrationen und Johann Fischart „zu Gotsfrchtiger ergetzung andchtiger hertzen“ „artige[ ] Reimen“167 beisteuerte. Warum sich Jobin und Stimmer zuerst zu einer Veröffentlichung bei Guarin anstelle Jobins entschieden, ist nicht bekannt; allerdings waren zumindest Stimmers Kontakte zu Basler Offizinen, zumal derjenigen Pernas, intensiv.168 1578 erschien eine von Stimmer illustrierte Vollbibel bei Guarin, die Biblia Sacra Veteris Et Novi Testamenti, in der zum großen Teil die Holzschnitte aus den Neuen Künstliche[n] Figuren übernommen sind, diese in einigen Fällen aber auch ausgetauscht wurden, was die konstante Mitarbeit Stimmers bei Guarin unterstreicht.169 Im Falle der Bilderbibel schienen, dies legen entsprechende Andeutungen in Fischarts Vorrede nahe, finanzielle Gründe eine Rolle für die Wahl der Basler Offizin gespielt zu haben, denn Jobin war als Formschneider in die Produktion des Buches eingebunden.170 Die 1590 von Jobin gedruckte lateinisch-deutsche Version dieser Bilderbibel mit dem Titel Novae Sacrorum Bibliorum figurae trägt noch Guarins Druckersignet, die Palme, auf dem Titelblatt, außerdem unterzeichnen Guarin und Jobin die lateinische Widmungsvorrede gemeinsam – alles Indizien für eine produktive Zusammen arbeit zwischen den beiden Druckerwerkstätten.171 Der konzeptionelle Hebelpunkt, der eine Bibelausgabe in die Nähe eines Emblembuchs rückt, ist weder das episodische Narrativ noch die Ekphrase noch die Bild-Text-Struktur einer Roman- oder Traktatvorlage – eine intertextuelle
167 Tobias Stimmer, Johann Fischart: Neue Künstliche Figuren Biblischer Historien […]. Basel: Thomas Guarin 1576, Titel. 168 Vgl. Kap. 3.1.1. 169 Vgl. Paul Tanner: „Neue Künstliche Figuren Biblischer Historien zu Gotsförchtiger ergetzung andächtiger Herzen“. In: Spätrenaissance am Oberrhein. Tobias Stimmer 1539–1584. Ausstellung im Kunstmuseum Basel, 23. September bis 9. Dezember 1984. Hg. von Kunstmuseum Basel. Basel 1984, S. 185–200, hier S. 192. 170 Vgl. Stimmer, Fischart: Neue Künstliche Figuren, fol. (*)5r. 171 Vgl. Tobias Stimmer, Johann Fischart: Novae […] Sacrorum Bibliorum figurae […] Newe Biblische Figuren […]. Straßburg: Bernhard Jobin 1590, Titel.
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Dynamik, die im Falle der unten zu diskutierenden Emblembücher Holtzwarts und Reusners zum Tragen kommen wird –, sondern der Holzschnitt: Nicht umsonst wird Stimmer auf dem Titel zuerst genannt. Mit ihrer Bilderbibel stehen die beiden Verfasser in einer noch jungen Traditionslinie, die einerseits auf die bereits seit dem fünzehnten Jahrhundert zirkulierenden, reduzierten Bibelformen wie beispielsweise Reimbibeln, Historienbibeln, Armenbibeln und Heilsspiegel zurückgeht, anderseits auf die besonders seit der Reformation zu beobachtende Tendenz zurückgreift, Vollbibeln mit reichen Bebilderungen auszustaffieren.172 Für letztere wurden die Lutherbibel-Illustrationen der Wittenberger CranachWerkstatt maßgeblich, die im Nachdruck von so namhaften süddeutschen Künstlern wie Hans Sebald und Barthel Beham in Nürnberg, Hans Holbein d. J. in Basel und Hans Burgkmair in Augsburg imitiert wurden. Die Druckerverleger erkannten bald, dass es auf der Grundlage dieser eingeführten Gepflogenheiten – einerseits den Bibeltext publikumsgerecht zu transformieren, andererseits ihn über Bilder anzureichern – auch Bedarf an illustrierten Teilbibeln bzw. kommentierten ‚biblischen Bilderbüchern‘ geben musste, die mit lateinischen, deutschen oder zweisprachigen Texten versehen wurden. Am Anfang dieser literarischen Mode standen Hans Sebald Behams überaus erfolgreiche Frankfurter Biblicae Historiae […] Biblische Historien (1533) sowie Hans Holbeins d. J. Lyoner Historiarum veteris Instrumenti Icones (1538), wobei sich Stimmer wahrscheinlich maßgeblich an Holbeins Icones orientierte.173 Es folgten die bedeutsamen Arbeiten aus dem Umkreis des Frankfurter Druckerverlegers Sigmund Feyerabend: Virgil Solisʼ noch stark an Dürer angelehnte Biblische Figuren des Alten vnd Newen Testaments (1560) bzw. Biblische Figuren dess Alten Testaments (1562), wenig später dann Johann Bocksbergers und Jost Ammans Neuwe Biblische Figuren deß Alten vnd Neuwen Testament (1564) sowie Ammans Neuwe Biblische Figuren (1571) und Ammans Künstliche Vnd wolgerissene Figuren (1587).174 Zudem war im Jahr 1540 in Straßburg selbst, bei Wendelin Rihel, die sogenannte Leien Bibel mit Holzschnitten von Hans Baldung Grien erschienen.175
172 Bekanntlich wurden bald nach der Einführung des Buchdrucks und unabhängig von der reformatorischen Bewegung Bibelillustrationen geschaffen, wie das Beispiel der großen Dürerholzschnitte u. a. zur Apokalypse oder zur Passion Christi zeigt, vgl. Tanner: „Neue Künstliche Figuren“, S. 185. 173 Vgl. ebd. S. 193. Holbeins Holzschnitte wurden vor denen der Behams gestaltet und gerissen, so dass sie den eigentlichen Beginn der Reihe markieren, vgl. ebd., S. 193 f. 174 Vgl. ebd., S. 185 f. 175 Vgl. Richard W. Gassen: Die Leien Bibel des Straßburger Druckers Wendelin Rihel. Kunst,
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Dass sich Stimmer und Fischart höchst erfolgreich in diese Reihe einordneten, ist nicht zuletzt an der Tatsache abzulesen, dass Matthäus Merian d. Ä. für seine Radierungen in den Icones Biblicae Biblische Figuren (1625/1627) in Komposition und Figurenzeichnung auf Stimmers Bilderbibel zurückgriff.176 Die Entscheidung für den Bilderbibeldruck wird also primär ein wirtschaftlicher gewesen sein: Jobin und Stimmer wollten wohl hinter den erfolgreichen Unternehmungen anderer Offizinen nicht zurückstehen und konnten zu ihrem Vorteil auf ihre eigene künstlerische Expertise zurückgreifen. Stimmer begibt sich mit seiner Publikation automatisch in den Wettstreit mit den anderen großen Formschneidern seiner Zeit, namentlich Hans Holbein d. J., an dessen Bildersprache er sich orientiert,177 und reklamiert so seinen Platz in der zeitgenössischen Kunstszene. Die Darstellungen der 135 alttestamentarischen und 35 neutestamentarischen Szenen sind sehr aufwendig und detailreich gestaltet, was der Vergleich der Triumphwagenillustration (vgl. Abb. 13) mit der aus Reusners Emblembuch bzw. aus dem Ismenius-Roman (vgl. Abb. 25) zeigt. Auch die mit allegorischen Figuren versehenen Rahmungen und Bordüren sind komplex gebaut und in dieser Form einzigartig.178 Völlig singulär im Panorama der Bilderbibeln des sechzehnten Jahrhunderts und deswegen zugleich innovativ ist zudem der gleichsam emblematische Zuschnitt, den vermutlich Fischart dem Werk angedeihen lässt:179 Die biblischen Historien werden über ein ‚Epigramm‘ in Form einer fünfzeiligen Kirchenlied-Strophe paraphrasiert – sie ist regelmäßig und solchermaßen gebaut, dass jeweils die ersten beiden Verse und die restlichen Verse denselben Reim aufweisen180 –, während eine inscriptio eine moraldidaktische Lesart nahelegt. Die Erschaffung Evas aus der Rippe Adams wird so zum Plädoyer für die Liebe in der Ehe. Die inscriptio spricht von der „Ehlich Pflicht aufgericht“, die subscriptio lautet:
Religion, Pädagogik und Buchdruck in der Reformation. In: Memminger Geschichtsblätter (1983/1984), S. 4–273, insbesondere S. 53–55 für den Überblick zum Straßburger Bibeldruck. 176 Vgl. ebd., S. 195. 177 Den Vergleich bezüglich Figurenanordnung und Komposition ausgewählter Szenen nimmt Tanner vor, vgl. Tanner: „Neue Künstliche Figuren“, S. 188–191. Holbein wurde auch, das macht die Vorrede zu den Accuratae Effigies deutlich, von Jobin sehr geschätzt, vgl Kap. 3.1.1. 178 Vgl. Tanner: „Neue Künstliche Figuren“, S. 186. 179 Vgl. ebd. 180 Es handelt sich um eine einfache Liedstrophe, die im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert im Kirchengesang beliebt war, vgl. Manfred Frank: Handbuch der deutschen Strophenformen. 2., durchges. Auflage Tübingen, Basel (UTB für Wissenschaft 1732), S. 395 f.
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Auf das der Mensch ain Ghülfin het/ Schuf Got/ weil Adam schlafen thet/ Evam das Weib/ aus seiner Ripp/ Die darnach allzeit bei jm plib: Hiraus entsprißt die Ehlich lib.181
In der Tat beschränken sich die subscriptiones auf die Darstellung des biblischen Sachverhalts und überlassen den Motti weitgehend die Aufgabe, einen Lehrsatz zu formulieren oder zumindest anzudeuten. So greift hier die emblematische Triade weitestgehend reibungsfrei ineinander, konstituiert sich Bedeutung in der integrierenden Zusammenschau der drei Elemente.182 Die Ordnung des Buchs wiederum ist natürlich nicht von einem enzyklopädischen oder pädagogischen Interesse bestimmt, das beispielsweise die emblematischen Projekte Reusners und Holtzwarts begleitet, sondern durch die Bibel vorgegeben: Im Konzert der Emblembücher aus Jobins Umfeld stellen die Neue[n] Künstliche[n] Figuren also einen experimentellen Versuch dar, die noch junge Emblemkunst auf ihre möglichen Bild- und Wissensspender hin abzutasten und eine emblematische Ordnung zu konstituieren. Die emblematische Form ist unmittelbares Resultat der apologetischen Haltung, die Fischart in seiner Vorrede in Bezug auf die Bildkunst einnimmt. Es geht ihm grundlegend darum, die Kunst aus der Selbstbezüglichkeitsfalle zu retten und „des gemäls Nuzbarkeit“183 zu erweisen. Die Allusion an die alte horazische Faustregel vom ‚prodesse et delectare ‘ in der Kunst ist freilich in der zeitgenössischen Diskussion kein neues Phänomen, hat sich doch beispielsweise auch in der Prosaliteratur der Zeit die Rede von der Nützlichkeit des Erzählten als probates Mittel zur Verteidigung gegen Kritiker erwiesen und zugleich zum Topos verfestigt. Dementsprechend schlägt auch Sigmund Feyerabend in eben diese Kerbe, wenn er in der Vorrede der von ihm verlegten Neuwe[n] Biblische[n] Figuren (1571) – mit Holzschnitten von Jost Amman und „schnen Teutschen Reimen“184 von Heinrich Peter Rebenstock – auf das didaktische Potential der religiösen Bildkunst abhebt, das schon bei den Vorfahren zur Unterweisung der Jugend und des „gemeinen Mann[s]“185 genutzt worden sei, damit sie „die wol-
181 Stimmer, Fischart: Neue Künstliche Figuren, fol. A1v. 182 Dies ist ein Indiz dafür, dass die in Holtzwarts Emblembuch festgestellten Inkohärenzen zwischen Text und Bild nicht auf Unvermögen zurückzuführen, sondern mit einer Funktion versehen sind, vgl. unten Kap. 3.2.2. 183 Stimmer, Fischart: Neue Künstliche Figuren, fol. (*)2r. 184 Jost Amman, Heinrich Peter Rebenstock: Neue Biblische Figuren […]. Frankfurt a. M.: Sigmund Feyerabend (Verleger), Georg Rab (Drucker) 1571, Titel. 185 Ebd., fol. A5v.
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thaten Gottes […] desto besser lehrne erkennen“186. Mittlerweile habe man aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt und die Gefahr des Götzendienstes gebannt.187 Gerade die zeitgenössischen Errungenschaften im Bereich der Kunst und des Handwerks – genannt sind die Buchdruckerei, die Plastik und der Holzschnitt – erfüllten zugleich eine wichtige Memorialfunktion.188 Fischart argumentiert ähnlich, geht aber zugleich weit über Feyerabend hinaus. Auch er sucht den Idolatrievorwurf zu entkräften, was angesichts seiner calvinistischen Sympathien und der ikonoklastischen Vorkommnisse in den Niederlanden auch von entscheidender persönlicher wie zeithistorischer Bedeutung ist. Unter Rückgriff auf Augustinus argumentiert er, dass Bilder zwar von Andachtsräumen ausgeschlossen sein sollen, jedoch „an vilen andern ehrlichen vnd herlichen orten/ auch inn Büchern vnd schriften […] würde vnd nuz“ besitzen, sofern sie „nach gelegenhait hailige vnd gemälmäsige sachen“189 vermitteln. Diese Bedingungen erfüllt die Bilderbibel, und so diene sie der „ergetzung Gotsförchtiger herzen/ vnd […] den solcher kunst vbenden vnd belibenden“190. Es geht Fischart also nicht nur um die theologische Unterweisung und das daraus resultierende Vergnügen. Vielmehr soll das künstlerisch anspruchsvolle Buch all jenen zum Vorbild dienen, die einer solchen Kunst nacheifern. Fischarts Vorrede sieht im gemeinsam mit Stimmer konzipierten Bibelbilderbuch gewissermaßen einen Präzedenzfall künstlerischer Gestaltung, der das Potential hat, stilbildend zu werden. Die Besonderheit liegt, man ahnt es bereits, im emblematischen Charakter des Buchs, der in der Vorrede ausführlich begründet wird. Zwar fällt an keiner Stelle der Terminus Emblem, doch in dem in die Prosavorrede inserierten Reimpaarversgedicht wird eine Form der Kunst diskutiert, die als „gmalt Poesi/ // Lehrbild/ vnd gmalt Philosophi“191 bezeichnet wird. Diese Formulierung erinnert stark an die begrifflichen Äquivalente, die Fischart fünf Jahre später in seiner Vorrede zu Holtzwarts Emblematum Tyrocinia ins Spiel bringen wird: „Poetische[ ] Dichtungen/ Gemälmysterien vnd verdeckte[ ] Lehr gemäl[ ]“192 bzw. „[e]ingeblümete Zierwerck/ oder Gemlpoesy“193. Es geht Fischart keineswegs darum, eine offensiv didaktische Kunst, zumal unter der Prämisse religiöser Unterweisung, zu konturieren, wie dies noch Feyerabend getan hat.
186 Ebd., fol. A6v. 187 Vgl. ebd., fol. A5v–A7v. 188 Vgl. ebd., fol. A7v. 189 Stimmer, Fischart: Neue Künstliche Figuren, fol. (*)4v. 190 Ebd., fol. (*)4v f. 191 Ebd., fol. (*)2v. 192 Holtzwart: Emblematum Tyrocinia [1581] 1968, S. 10. 193 Ebd., S. 3.
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Vielmehr verlegt er den epistemologischen Mehrwert der Kunst hauptsächlich in den Rezipienten. Zwar ist, gerade im Falle der Bilderbibel, im Sujet die erhoffte Wirkung angelegt: „Das gmäl ain gmüt bewegt vnd naigt/ Zu dem/ was es einhält vnd zaigt: So werden gewisslich diese Biblische Figuren hailige gdanken er wecken/ diweil sie Gaistliche händel vorstellen.“194 Doch ist die Kunst gemäß dem paulinischen Grundsatz „den rainen sei alles rain“195 immer so wertvoll, wie sie aufgenommen wird – was als Hauptargument gegen den Idolatrievorbehalt funktioniert:196 „Solt man von wegen des gegossenen Aronischen Kalbs/ das Goldschmidhandwerk verfluchen?“197 Es bedarf also eines gewissen Kunstsinns auf Seiten des Betrachters, über den sich erst die wahre Bedeutung der Kunst erschließt, denn am bloßen „gmäl“198 haben auch Kinder und Tiere ihre Freude. Der ‚Kunstsinn‘ ist es, der ähnlich der Sprache und dem Verstand den Menschen vom Tier unterscheidet, wie es Emblem VII von Holtzwarts Emblematum Tyrocinia formuliert.199 ‚Sinnlose‘ Kunst wäre gleichsam l’art pour l’art avant la lettre, was an einigen, u. a. antiken Anekdoten exemplifiziert wird, die das Prinzip der formfixierten, allzu wirklichkeitsgetreuen Naturnachahmung repräsentieren: Genannt werden beispielsweise das gemalte Pferd des Apelles, dem ein echtes Pferd zuwiehert, oder das häßliche Weib des Zeuxis, über das er sich selbst zu Tode lacht.200 Fischart plädiert folglich für die andere Spielart der imitatio naturae, die in der zeitgenössischen, vor allem italienischen Kunsttheorie gleichermaßen diskutiert wird,201 nämlich die Darstellung der der Form inhärenten Idee. Es geht Fischart keineswegs darum, die Bildkunst als Formkunst zu diskreditieren, im Gegenteil: Exzellenz auf ihrem Feld ist gleichsam die Bedingung für mehr. So heißt es am Ende der Passage über die ‚nicht-ideale‘ Kunst: „[W]ie
194 Stimmer, Fischart: Neue Künstliche Figuren, fol. (*)4r. 195 Ebd. 196 Ähnlich argumentiert auch Wendelin Rihel in der Vorrede zu seiner Leien Bibel, in der er sich ebenfalls mit dem Bilderverbot auseinandersetzt, es für den kultischen Raum bekräftigt, es für den religiös-didaktischen Lesezusammenhang allerdings aufhebt, vgl. [Wendelin Rihel:] Leien Bibel […]. Straßburg: Wendelin Rihel 1540, fol. A2r. Vgl. hierzu auch Christian Rümelin: Bildverwendung im Spannungsfeld der Reformation. Aspekte oberrheinischer Buchillustration. In: Macht und Ohnmacht der Bilder. Reformatorischer Bildersturm im Kontext der europäischen Geschichte. Hg. von Peter Blickle u. a. München 2002, S. 195–222, hier S. 198–200. 197 Stimmer, Fischart: Neue Künstliche Figuren, fol. (*)4r. 198 Ebd., fol. (*)2r. 199 Vgl. die Ausführungen unten in Kap. 3.2.2. 200 Vgl. Stimmer, Fischart: Neue Künstliche Figuren, fol. (*)2v. 201 Vgl. zu den antiken Voraussetzungen Panofsky: Idea, S. 5–16, insbesondere zur Ausprägung in der Renaissance S. 23–38.
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gern der Weis dis seh/ Noch seh er liber nuzlichs meh“202. Kunst soll nicht nur im Äußeren naturnah gestaltet sein, sie soll zudem die Seele ‚zurechtrücken‘, sie soll ihre „kraft vnd artlichait// Nicht allein […] zur zartlichait“ wenden, „[s]onder zu vnterricht dem gmüt“,203 damit ihr Eindruck verstetigt wird und „nicht allain der augenplick“204 zählt. Deswegen eignen sich besonders die „hailig Historisch gschicht/ // Nuzlich exempel/ vnd gedicht“205 als Themen. Allerdings ist nicht die Rezeption von didaktischen Lehrsätzen das Ziel der Sujets, sondern „[d]as je meh man nachsinnt vnd gründ/ // Je meh sie schärfen den verstand“206. Deswegen seien die Maler von jeher „Poeten vnd Philosophi“207 gewesen. Kunst ist also weniger Mittel zur planen Didaxe, sondern ein Weg, der Weisheit und Wahrheit näherzukommen. Ein Beispiel für diese These ist, dass auch die Hieroglyphenschrift, die „Weishait vnd Theologi/ // Die Hieroglyphisch nanten sie“208, aus der Malerei entstanden sei. Da wiederum die Hieroglyphen-Begeisterung der Renaissance untrennbar mit der Entstehung der Emblematik zusammenhängt, muss Fischart eben jene neue Kunstform im Auge haben, wenn er das Prinzip der Weisheitslehre in der Kunst vertritt und, konsequenterweise, der Bilderbibel eine emblematische Struktur verleiht. Es scheint, als pendelten Fischarts Überlegungen in der Vorrede zwischen einer allgemeinen Kunsttheorie, also der Reflexion über die Faktur einer ‚idealen‘ Kunst, und der Explikation einer gewissen künstlerischen Gattung, ist doch beispielsweise an einer Stelle von der „erweisung vorhabender kunst nuzbarkait“209 die Rede, also vom Nachweis des Nutzens der im vorliegenden Buch angestrebten (emblematischen) Kunst. Für die erstere Lesart spricht, dass die nützliche, auf Weisheit abgestellte Bildkunst in den Kontext einer gesamteuropäischen Renaissance gestellt wird. Dan wa sint alle weise lehrkünst gepliben/ als die Gothen/ Hunnen/ Rugen/ Wenden/ vnd andere Barbarische Völker vorzeiten vm das 470. Jar/ Italien/ Gallien/ Teutschland durchstraiften vnd verwüsteten? sint sie nicht zugleich mit dem gemäl/ vnd im verwandten könsten […] verschwunden vnd vntergangen?210
202 Stimmer, Fischart: Neue Künstliche Figuren, fol. (*)2v. 203 Ebd. 204 Ebd. 205 Ebd. 206 Ebd., fol. (*)3r. 207 Ebd. 208 Ebd. 209 Ebd. 210 Ebd.
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Kunstformen zwischen Bild und Text
Seit etwa 1450 sei nun aber die Bildkunst wieder „wie die morgenröt durch die Wolken herfür geprochen/ vnd [hat] den nachkommenden könsten/ als der Sonnen/ den weg zu heutigem lichtem tag aller lehr vnd geschiklichait […] gewisen“211. Die aufgehende Sonne als gängiges Motiv rinascimentaler Selbstreflexion war oben bereits bei Theobald Müller begegnet. Fischart schreibt so der Bildkunst eine kulturstiftende Funktion vor, denn gerade am Beispiel der Türken sei zu sehen, wie Bilderfeindlichkeit den Verfall „all andere[r] sittliche Weishait lehrsame[r] künst“212 nach sich ziehe. Eine gute gesellschaftliche Ordnung korreliert gewissermaßen mit der Blüte der Kunst: Zeitgenössisch steht die Kunst wieder, wie ehedem in der Antike, in allen denkbaren sozialen Einheiten in hohem Ansehen, an den europäischen Fürsten- und Königshöfen, ja sogar am Kaiserhof, in den Städten „als Corinth/ Athen/ Alexandria etc. vnd jtziger zeit Venedig/ Nörnberg/ Antorf“213 sowie auch bei den „Privatpersonen von Gaistlichen/ Edeln/ Gelehrten/ Weisen/ verständigen Leuten“214. En passant speist Fischart an dieser Stelle seine Reisen nach England und Italien ein und untermauert seine Positionen durch seine Augenzeugenschaft. Vorbild für diese „wolbestelleten Regiment“215 ist Rom, bleibt doch dort beispielhaft die Kunst von kriegerischen Handlungen unberührt, ist sie also ein Hort des Friedens und des Kulturerhalts.216 Die Wiedergeburt der Kunst und der mit ihr einhergehenden Kultur – im Sinne der Sittlichkeit und Kultiviertheit im Sozialen – ist laut Fischart die Bedingung dafür, dass sie sich zu ihrer eigenen Bestimmung hin entwickeln kann. Denn es gibt verschiedene, durchaus legitime Funktionen von Kunst, wobei die Möglichkeit, durch sie die Wahrheit zu erkennen, die höchste und nobelste darstelle: Die Kunstsinnigen staffieren ihre privaten oder öffentlichen Räume mit dem Ziel aus, „daran jre augen zuerlustigen/ jre herzen zuerquicken/ oder/ so sie zum besten zweck gelangt/ dadurch dem gemüt zu Weltgescheider weishait anlaitung zuschaffen.“217 Letztgenannte Bestimmung ist in der Emblematik eingelöst, die sich in dieser Lesart dynamisch genau dann aus einer elaborierten bildenden Kunst herausentwickeln kann, wenn der kulturelle Nährboden gegeben ist. Hinter diesen Überlegungen steht gleichsam eine kulturgeschichtlich informierte Gattungstheorie der Emblematik, die durch ihre textuellen Bestandteile die epistemologische Dimension aus der Bildkunst zu Tage fördert. Zugleich impliziert
211 Ebd. 212 Ebd. 213 Ebd., fol. (*)3v. 214 Ebd. 215 Ebd. 216 Vgl. ebd., fol. (*)3v f. 217 Ebd., fol. (*)3r.
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die Rede vom Frühling der Kunst, in dem man sich momentan befinde,218 das Bewusstsein des Neuen, das sich nicht ohne den Rückgriff auf die antiken Vorbilder zu konstituieren vermag, das aber zugleich zukunftsweisend auf eine längst nicht abgeschlossene Evolution der künstlerischen Formen und ihrer Bedeutung abhebt. Fischart bleibt hier, auch mit dem aus der italienischen Kunsttheorie bekannten Konzept der Repräsentation von Ideen, argumentativ innerhalb der rinascimentalen Denkmuster, was ihn von Jobin und der oben diskutierten, emphatisch auf den Wert des Autochthonen abhebenden Vorrede zu den Accuarate Effigies unterscheidet. Ich lese dies einerseits als Zeichen der programmatischen Offenheit des Kreises um Jobin, in der Widerstände produziert und ausgehalten werden können, andererseits als Indiz für die Tatsache, dass das argumentative Telos von Fischarts Ausführungen weniger die Polemik gegen zeitgenössische Denkmuster ist denn das Extrapolieren der Emblematik aus einer allgemeinen, humanistisch informierten Theorie der Kunst, die auf die deutsche Kunst ebenso wie auf die anderen Nationalkünste anwendbar sein kann. Praktisch setzt Fischart diesen Gedanken um, indem er ihn mit der nach den Bedürfnissen einer vernakularen Leserschaft ausgerichteten Bilderbibel zusammenspannt. Freilich ist unbestritten, dass die Bilderbibel weder ausdrücklich als Emblembuch deklariert ist, noch sich irgendwo der entsprechende Terminus wiederfindet, obwohl Alciato längst auch im deutschen Sprachraum ein Begriff und damit potentielles Vorbild ist.219 Sie ist vielmehr als Experiment zu verstehen, das Fischart und Stimmer anstellen, um die Ausdrucksmöglichkeiten der ‚sinnreichen Kunst‘ auszutesten. Dass die beiden dafür die Form der deutschsprachigen Bilderbibel, also einer Gattung ohne größeren gelehrten Anspruch, wählen, weist auf ihr Ansinnen hin, die deutsche Weisheitskunst gerade nicht vom italienischen Vorbild abzuleiten, sondern ihre Ebenbürtigkeit und Vereinbarkeit mit den romanischen Konzepten zu erweisen. Prüfstein für diese Haltung sind die höchst kunstvollen und kompliziert gebauten Holzschnitte Stimmers, die die einfachen deutschen Verse optisch zu überwuchern drohen – was nicht zuletzt auf den Primat der bildenden Kunst in diesem Buch hindeutet. In dem Sinne mag der für die Pflege und prozessuale Weiterentwicklung der Bildkunst als notwendig konstatierte kulturelle Nährboden auch auf die Städte Basel und Straßburg sowie die kunstaffine Konstellation rund um die beiden Verfasser bezogen sein.
218 Vgl. ebd. 219 Zu Alciato und seiner Bedeutung für die Entwicklung der deutschen Emblematik vgl. Kap. 3.2.3.
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In der lateinisch-deutschen Ausgabe der Bilderbibel, die 1590 unter dem Titel Novae Sacrorum Bibliorum figurae bei Jobin herauskam, lassen sich auf den ersten Blick ähnliche Tendenzen beobachten wie im ein Jahr später, 1591, gedruckten Emblembuch Aurolorum Emblematum Liber des Nikolaus Reusner:220 Das Lateinische wird zur Leitsprache. War Fischarts deutsche Vorrede in den Neue[n] Künst liche[n] Figuren Philipp Ludwig (I.) von Hanau-Münzenberg gewidmet, ist sie in den Novae Sacrorum Bibliorum figurae an den Leser gerichtet und an die zweite Stelle gerückt. Die Widmung der zweisprachigen Ausgabe an Reinhard (I.) von Hanau-Lichtenberg nehmen jetzt Guarin und Jobin in ihrer lateinischen Vorrede vor, die der deutschen vorangestellt ist. Die Holzschnitte verlieren ihre reich geschmückten Rahmungen,221 den deutschen Texten Fischarts werden lateinische Motti und subscriptiones aus der Feder des Paulus Crusius, Diakon an der Straßburger Wilhelmskirche und wahrscheinlich Vater des ungleich berühmteren Johannes Paulus Crusius,222 vorgeschaltet. Die lateinischen Epigramme, bestehend aus je fünf Hexametern, dürfen hierbei als Übersetzungen der deutschen Verse gelten und nicht als selbständige Einheiten, die wiederum eine deutsche Übertragung herausforderten, wie dies in Reusners ‚Goldenen Emblemen‘ der Fall ist. Im Gegenteil, Fischarts Verse bleiben intakt und leiten den Schwenk ins Neulateinische ein (vgl. Abb. 14). Auch die lateinischen Vorbemerkungen Guarins und Jobins greifen das Lob der Kunst auf, akzentuieren es jedoch etwas anders als Fischart. Mit Plinius heben sie ebenfalls auf den Zusammenhang von Bildkunst, Wissen und Wissenschaft ab223 und stellen in Grundzügen die aristotelische Kunstlehre dar, d. h. sie heben einerseits auf den pädagogischen und ästhetischen Nutzen der Bildkunst ab, andererseits formulieren sie den paragone von Kunst und Dichtung aus. Dies trägt zwar implizit dem Umstand Rechnung, dass es sich bei der Emblematik um eine Bild und Text kombinierende Kunstform handelt, doch fällt auch hier das Votum eindeutig zugunsten der bildenden Kunst aus. Ihr Sieg im Wettstreit der Künste prädestiniert sie zur Mimesis des Religiösen: „Cum igitur tanta sit picturae praestantia, tanta utilitas, tanta claritas: divinarum autem literarum summa Maiestas; res in Dei ecclesia gestae admirandae, easque, Deus velit, iubeatque, omnibus modis celebrari et propagari […].“224 Der Tenor Guarins und Jobins ist
220 Vgl. Kap. 3.2.4. 221 Eine Bewegung, die der im Falle von Reusners Icones und Contrafacturbuch zu beobachtenden entgegengesetzt ist. 222 John L. Flood.: Art ‚Crusius, Johannes Paul (1588–1629)‘. In: John L. Flood: Poets Laureate in the Holy Roman Empire. Bd. 1. Berlin 2006, S. 388–390, hier S. 389. 223 Stimmer, Fischart: Novae Sacrorum Bibliorum figurae, fol. )(2r. 224 Ebd., fol. )(2v.
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also, ähnlich dem Fischarts, ein apologetischer, muss doch die Verarbeitung religiöser Sujets im Medium des Bildes erst legitimiert werden. Die beiden Drucker wählen aber, im Gegensatz zu Fischarts primär kulturgeschichtlichem Ansatz, einen kunstphilosophischen, der die Kompetenz im Umgang mit antikem Wissen im eigenen Medium der lateinischen Sprache vor Augen führt. Diese ‚Hebung‘ der zuvor rein deutschen Bilderbibel degradiert jedoch die erste Ausgabe nicht, sondern erweitert sie und legt gewissermaßen ihr volles Potential – indem es nun auch ein anspruchsvolleres Publikum anzusprechen vermag – offen.
3.2.2 Vernakulare Umakzentuierungen: Mathias Holtzwarts Emblematum Tyrocinia (1581) Das in der Gegeneinanderführung der Sprachen inszenierte Mit- und Ineinander vernakularer und renaissancehumanistischer Ansprüche prägt auch das erste Emblembuch der Offizin Jobin, das explizit diesen Namen trägt: Mathias Holtzwarts lateinisch-deutsche Emblematum Tyrocinia (1581), das erste Emblembuch mit deutschen Anteilen überhaupt, bei dem es sich nicht um eine Alciato-Übersetzung handelt.225 Die Dynamik der Sprachen und Kulturen entfaltet sich hier in der spezifischen Faktur der emblematischen Trias: Im Emblem wird Sinn bekanntlich durch den dreifachen Erkenntnisschritt, im Durchgang durch inscriptio, pictura und subscriptio hergestellt. Die Textbestandteile rahmen das verrätselte Bild, das auf verborgenes Arkanwissen zu verweisen vermag. Das Bild wiederum verleiht den Lehren der Textteile semantische Komplexität und Tiefe. In der Praxis und zumal in der frühen Emblematik des sechzehnten Jahrhunderts hingegen wird dieses Programm oft nicht bis ins Letzte eingelöst, denn die Einzelbestandteile können durchaus widerständige Momente produzieren.226 Dies ist auch in den
225 Vgl. Mario Praz: Studies in Seventeenth-Century Imagery. 2., erw. Auflage Rom 1975. Ndr. der Ausgabe Rom 1964 (Sussidi Eruditi 16), S. 371; Arthur Henkel, Albrecht Schöne (Hg.): Emblemata. Handbuch zur Sinnbildkunst des XVI. und XVII. Jahrhunderts. Taschenausgabe. Stuttgart, Weimar 1996, S. XLV. Vgl. einige Bemerkungen zu Holtzwarts Emblembuch bereits in meinem Aufsatz: Sylvia Brockstieger: Reflexionen über deutsche Sprache und Kunst. Mathias Holtzwart, Johann Fischart und die Profilierung der Emblematik aus dem Geist des Patriotismus. In: Simpliciana. Schriften der Grimmelshausen-Gesellschaft 35 (2013), S. 243–262. 226 Wenn dies nicht prinzipiell für die Emblematik zu gelten hat, vgl. Thomas Althaus: Differenzgewinn. Einwände gegen die Theorie von der Emblematik als synthetisierender Kunst. In: Polyvalenz und Multifunktionalität der Emblematik – Multivalence and Multifunctionality of the Emblem. Akten des 5. Internationalen Kongresses der Society for Emblem Studies – Proceedings of the 5th International Conference of the Society for Emblem Studies. Hg. von Wolfgang Harms,
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Emblematum Tyrocinia der Fall, in denen das Verstehen aufgrund der durch die Zweisprachigkeit bedingten Verdoppelung des Textmaterials zusätzlich erschwert ist.227 Die lateinischen Epigramme sind vermutlich eine Jugendarbeit Holtzwarts, die etwa zeitgleich mit seinem Erstling, dem beim Straßburger Konkurrenzunternehmen Josias Rihel gedruckten Lustgart Newer deuttscher Poëteri (1568), und möglicherweise angeregt durch die erste vollständige lateinisch-deutsche Alciato-Ausgabe aus dem Jahr 1567, besorgt und übersetzt von Jeremias Held, entstanden sein muss228 und die in der Druckfassung von 1581 den Verbund mit den deutschen Versen und Stimmers Holzschnitten eingeht. Wie aus der lateinischen, auf das Jahr 1576 datierten Widmungsvorrede Holtzwarts an Friedrich, später
Dietmar Peil. Frankfurt a. M., Berlin u. a. 2002 (Mikrokosmos. Beiträge zur Literaturwissenschaft und Bedeutungsforschung 65), S. 91–109. 227 Vgl. Dietmar Peil: Das Sprichwort in den ‚Emblematum Tyrocinia‘ des Mathias Holtzwart (1581). In: Kleinstformen der Literatur. Hg. von Walter Haug, Burkhart Wachinger. Tübingen 1994 (Fortuna vitrea 14), S. 132–164, hier S. 135 f. 228 Im Epilog des Lustgart Newer deuttscher Poëteri zitiert, wenn auch nicht im exakten Wortlaut, Holtzwart sein Emblem XV (Mathias Holtzwart: Lustgart Newer deuttscher Poëteri […]. Straßburg: Josias Rihel 1568, fol. 172v): Non semper magnos venatur Delia ceruos, Et parvos lepores fallere saepe solet. Frugiferae nec solunt solae, cerasique, pirique, Exiles fragae, et dulcia poma ferunt. In den Emblematum Tyrocinia heißt es entsprechend (Holtzwart: Emblematum Tyrocinia [1581] 1968, S. 48): Nec semper magnos uenatur Delia ceruos, Et paruos lepores fallere saepe solet. Nec sunt frugiferae solae cerasique pyrique Dulcem etiam gignunt paruula fraga cibum. Vgl. zur Datierung auch Peter von Düffel, Klaus Schmidt: Nachwort. In: Mathias Holtzwart: Emblematum Tyrocinia. Mit einem Vorwort über Ursprung, Gebrauch und Nutz der Emblematen von Johann Fischart und 72 Holzschnitten von Tobias Stimmer. Hg. von Peter von Düffel, Klaus Schmidt. Stuttgart 1968, S. 207–234, hier S. 212, hier auch zur möglichen Anregung durch Jeremias Held. Holtzwarts konkrete Emblemstudien, die über ein prinzipielles Interesse an emblematischen Strukturen hinausgehen, werden im Lustgart auch daran sichtbar, dass die Ekphrase einer Bacchus-Darstellung als „Beschreibung Bacchi/ nach gnomischem verstand auß Alciato“ (Holtzwart: Lustgart, fol. 41r) bezeichnet wird. Zu weiteren Alciato-Referenzen im Lustgart vgl. Elisabeth Klecker, Sonja Schreiner: How to Gild Emblems. From Mathias Holtzwart’s Emblematum Tyrocinia to Nicolaus Reusner’s Aureola Emblemata. In: Mundus Emblematicus. Studies in Neo-Latin Emblem Books. Hg. von Karl A.E. Enenkel, Arnoud S.Q. Visser. Turnhout 2003 (Imago Figurata Studies 4), hier S. 141.
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Herzog von Württemberg und Graf von Mömpelgard, ersichtlich ist,229 waren die Tyrocinia also lange vor ihrer Publikation fertiggestellt. Weil zudem die deutsche Vorrede mit Aussagen zur Konzeption und Intention einer deutschsprachigen Emblematik von Johann Fischart stammt230 und weil das Verhältnis zwischen deutschen und lateinischen Texten ein fragiles ist, hat man in der Vergangenheit Holtzwarts Autorschaft für die deutschen Verse angezweifelt und ein gewisses Engagement Fischarts angenommen.231 Allerdings gibt es meines Erachtens dazu keinen Anlass, zumal die Inkohärenz zwischen den lateinischen und deutschen Elementen sowie den picturae in vielen Fällen, wie zu zeigen sein wird, nicht kontingent und damit als Zeichen künstlerischer Inkompetenz oder fehlender Absprachen anzusehen ist,232 sondern insofern semantisiert wird, als sich hinter den dadurch vom Leser abverlangten epistemologischen Operationen ein sprachund kunstpolitischer Fingerzeig versteckt.233 Da die potentiellen Intentionen Einzelner im Entstehungsprozess ohnehin nicht mehr rekonstruierbar sind, muss sich der Interpret auf die Aussage des fertigen Emblembuchs beschränken, wie es sich 1581 der Öffentlichkeit präsentierte, und seiner immanenten, sinnhaften Dynamik auf die Spur kommen. Die Gesamtanlage des Buches, seine Themen und das programmatische Eingangsemblem sprechen für eine grundsätzliche Präferenz des Vernakularen, die es im Folgenden herauszuarbeiten gilt. Im sechzehnten Jahrhundert war die Emblematik nicht zuletzt aufgrund ihrer Affinität zur Hieroglyphik eine anspruchsvolle Kunstform, deren Publikum aus den humanistisch Gebildeten bestand, die den Anspielungsreichtum des
229 Vgl. Holtzwart: Emblematum Tyrocinia [1581] 1968, S. 5. 230 Vgl. ebd., S. 7–18. 231 Im Falle der deutschen Verse ist eine genaue Datierung nicht möglich: Sie entstanden entweder zeitgleich oder wurden später im Rahmen der Kollaboration mit Jobin und Stimmer ergänzt, vgl. Düffel, Schmidt: Nachwort, S. 232; Klecker, Schreiner: How to Gild Emblems, S. 159. Klecker und Schreiner stellen auch fest, dass „[t]he German epigrams do not seem to be in Fischart’s usual vein, contributions by Stimmer who composed a German Shrovetide play […] cannot be excluded“, ebd., S. 159, Anm. 117. 232 Klecker und Schreiner gehen davon aus, dass Holtzwart seine Embleme von vorneherein als nackte konzipierte und mit der Illustration nichts mehr zu tun hatte, was sich u. a. in den Inkohärenzen zwischen Bild und Text manifestiere, vgl. Klecker, Schreiner: How to Gild Emblems, S. 148 f. Zum Missverhältnis zwischen Text und Bild vgl. auch Holger Homann: Studien zur Emblematik des 16. Jahrhunderts. Sebastian Brant, Andrea Alciati, Johannes Sambucus, Mathias Holtzwart, Nicolaus Taurellius. Utrecht 1971, S. 94 f. 233 Außerdem ist zu fragen, ob die Emblematik tatsächlich immer auf eine harmonisierende Lesart abgestellt sein muss, wie es Dieter Sulzer nahelegt, vgl. Dieter Sulzer: Traktate zur Emblematik: Studien zu einer Geschichte der Emblemtheorien. Hg. von Gerhard Sauder. St. Ingbert 1992, S. 50–62. Vgl. die Kritik daran bei Althaus: Differenzgewinn.
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Emblems erfassen, seine epistemischen Bausteine, zumal die Klassikerzitate, identifizieren und damit seine Rätsel234 entschlüsseln konnten. In späteren Jahrhunderten verlor sie diesen exklusiven Charakter, während zugleich die picturae immer stärker von der antiken Bildsprache abrückten und sich immer weniger an den elaborierten Erzeugnissen der Renaissancekunst orientierten.235 In Holtzwarts Emblembuch hat man diese Entwicklung gewissermaßen antizipiert gesehen. Zeichen für seine Volkstümlichkeit sei sein Hang zur offenen Didaktisierung236 – was durchaus zutrifft, sich jedoch, wie zu zeigen ist, auf gelehrtem Fundament abspielt. In der Tat orientiert sich der Aufbau des Buchs am christlichen Entwurf eines guten Lebens, dessen Teleologie in Jugend und Ausbildung ihren Ausgang nimmt und in der Auferstehung endet.237 Quellenuntersuchungen haben gezeigt, dass sich Holtzwart intensiv, jedoch immer modifizierend auf Alciato stützt,238 außerdem gekonnt auf der Klaviatur der klassischen Literatur im Allgemeinen und der zeitgenössisch in der Emblematik beliebten Quellen im Besonderen spielt: Zu nennen sind die Anthologia Graeca genauso wie die sich im Umlauf befindende Devisen-, Hieroglyphen- und Emblemliteratur, wobei konkrete Einflüsse schwer nachzuweisen sind.239 Holtzwarts Tableau wird dominiert
234 Vgl. zum Emblem als Rätsel William S. Heckscher, Karl-August Wirth: Art. ‚Emblem, Emblembuch‘. In: RDK 5 (1959), Sp. 85–228, wobei eine zu enge Fokussierung auf den Rätselcharakter des Emblems nach heutigem Stand als überholt zu gelten hat. 235 Vgl. ebd., Sp. 65 f. 236 Vgl. von Düffel, Schmidt: Nachwort, S. 227; Klecker, Schreiner: How to Gild Emblems, S. 135– 137; Bulang: Enzyklopädische Dichtungen, S. 421; Homann: Studien, S. 93. Möglicherweise etwas zu weit greift von Düffels und Schmidts Urteil, Holtzwart sei „[w]eit entfernt von den esoterischen Gedanken der Neuplatoniker in Italien, die in den Emblemen die Hieroglyphen der Moderne […] sahen, und ebenso fern vom geschärften theoretischen Bewußtsein der italienischen Akademiker“, von Düffel, Schmidt: Nachwort, S. 226. 237 Vgl. hierzu auch Klecker, Schreiner: How to Gild Emblems, S. 140. 238 Vgl. die ausführlichen Darlegungen in ebd., S. 141–151, wobei Klecker und Schreiner vor allem eine Bewegung von einer gewissen Bildlichkeit der Sprache hin zu moralisierenden Lehrsätzen beobachten. 239 Ob Holtzwart alle von Fischart in seiner Vorrede genannten Vertreter der einschlägigen Literatur wirklich gekannt hat, bleibt fraglich. Für die Devisen nennt Fischart Paolo Giovio, Claude Paradin, Gabriele Symeoni; für die die Hieroglyphen Celio Calcagnini, Alessandro Cittolini, Pierio Valeriano; für die Emblematik Andrea Alciato (mit Jeremias Held), Barthélemy Aneau, Achille Bocchi, Pierre Cousteau, Hadrianus Junius, Guilleaume de la Perrière, Johannes Sambucus, vgl. Holtzwart: Emblematum Tyrocinia [1581] 1968, S. 17. Vgl. zu den Quellen Klecker, Schreiner: How to Gild Emblems, S. 140; Homann: Studien, S. 90 f. Homann konstatiert fälschlicherweise den „weitgehende[n] Verzicht, den Text durch gelehrte Anleihen aus der Welt der Antike aufzuputzen“, ebd., S. 90. Zur Hieroglyphe des Frosches in Emblem LXX vgl. ebd., S. 91–93.
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von einer Fülle an deutschen und lateinischen Sentenzen und Sprichwörtern, an deren Existenz ebenfalls das ‚moralisierende Moment‘ festgemacht worden ist.240 Nicht nur die lateinischen Proverbien, auch die deutschen Sprichwörter besitzen zumal in ihrer vorgeblichen Volkstümlichkeit ihre eigene Dignität. Ihr Anteil ist in den deutschsprachigen subscriptiones und noch mehr den Motti signifikant hoch, wobei letztere „häufiger als die lateinischen auf Sprichwörter zurückgreifen und […] eine größere Bildhaftigkeit besitzen.“241 Peil bemerkt zurecht, dass „[d]ie Verwendung volkssprachlicher Sprichwörter in der frühen Emblematik […] auch in einem Zusammenhang mit den antiquarisch-nationalen Interessen der Humanisten [steht].“242 Sittenlehre und Handlungswissen der Alten geht mit deren Fähigkeit zur pointierten sprachlichen Äußerung im Sprichwort eine augenfällige Symbiose ein. Deutsche wie lateinische Sprichwörter bergen beispielsweise nach Sebastian Franck, der als wirkmächtiger Gewährsmann für das frühneuzeitliche vernakulare Sprichwortverständnis angeführt sei, die alte, vor-literarische, allen Völkern gemeinsame Weisheit und sind über die formalen Eigenschaften der brevitas und obscuritas Vehikel der Wahrheit.243 Franck lehnt sich dabei eng an die Auffassungen des Erasmus von Rotterdam an, der in den Adagia ebenfalls die prisca philosophia am Werke sieht.244 So sind sowohl die deutschen Sprichwörter
240 Vgl. ebd., S. 90 f. 241 Peil: Sprichwort, S. 143. In Hungers Alciato-Übersetzung finden sich beispielsweise bei weitem nicht so viele Sprichwörter, vgl. ebd., S. 144. Vgl. den Exkurs zu Hunger, Kap. 3.2.3. Peil differenziert außerdem zwischen nachweisbaren Sprichwörtern (vgl. die Liste ebd., S. 150–152), „[s]prichwortähnliche[n] Äußerungen“ (ebd., S. 153) und „[s]prichwörtliche[n] Redensarten“ (ebd., S. 153 f., vgl. auch S. 146). Zur diffizilen Stellung des Sprichworts in der späteren Emblemtheorie vgl. ebd., S. 143 f. 242 Ebd., S. 149. Das patriotische Interesse formuliert Sebastian Franck auch in der Vorrede zu seiner Sprichwörtersammlung, vgl. Franck: Sprichwrter […]. Frankfurt a. M.: Christian Egenolff 1541, fol. †4r. Im Falle von Bebels Proverbia Germanica kann es sich sogar im Lateinischen äußern, vgl. Silvia Reuvekamp: Heinrich Bebels ‚Proverbia Germanica‘ (1508). Zum Verhältnis von Latinität und nationalem Selbstbewusstsein im deutschen Humanismus. In: Humanismus in der deutschen Literatur des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit. XVIII. Anglo-German Colloquium Hofgeismar. Hg. von Nicola McLelland. Tübingen 2008, S. 333–345. 243 Vgl. Wilhelm Kühlmann: Auslegungsinteresse und Auslegungsverfahren in der Sprichwortsammlung Sebastian Francks (1541). In: Kleinstformen der Literatur. Hg. von Walter Haug, Burkhart Wachinger. Tübingen 1994 (Fortuna vitrea 14), S. 117–131, hier S. 118 f. In seiner Vorrede schreibt Franck, an seiner Sammlung sei „zu sehen/ was weißheyt/ kunst/ verstand/ religion/ vnd verbo[r]gner gheym in der alten Teutschen/ Latiner/ Griechen vnnd Hebreer Sprichwrtern steckt“ (Franck: Sprichwrter, fol. †3v). 244 Vgl. Barbara Bauer: Die Philosophie des Sprichworts bei Sebastian Franck. In: Sebastian Franck (1499–1542). Hg. von Jan-Dirk Müller. Wiesbaden 1993 (Wolfenbütteler Forschungen 56), S. 181–221.
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als auch die lateinischen Proverbien philosophisch bedeutsam und verweisen in ähnlicher Weise auf den Bereich des hermetischen Wissens, wie es die Emblematik vermag. In den Emblematum Tyrocinia werden sie nun auf unterschiedliche Weise miteinander verrechnet, wird das antik-humanistische Gedächtnis, wie es beispielsweise in Erasmusʼ Adagia thesauriert ist, gegen Dokumentation und Ausdruck des autochthonen Wissens und dessen ‚natürlicher Sprache‘ geführt. Ein quasi-imitatives Verhältnis liegt vor, wenn der deutsche Spruch den lateinischen gleichsam übersetzt, also in eigenen Worten den identischen Sachverhalt wiedergibt. So findet sich in Emblem XLI der Fall, dass die lateinische und die deutsche subscriptio je die Erklärung zur pictura, die einen Skorpion vor einem Gebäudeensemble zeigt (vgl. Abb. 15), liefert, indem sie das Prinzip, dass Gleiches mit Gleichem vergolten wird, am Beispiel des Skorpions, der erst angreift, wenn er gereizt wird, und am Exempel des Skarabäus, der die Eier aus dem Adlernest wirft,245 auserzählt. Das lateinische Motto „Clavus clavo tunditur“ bringt nun mit dem Nagel, der von einem anderen Nagel geschlagen wird, genauso einen neuen Bildbereich ins Spiel der emblematischen Erkenntnisbewegung wie das deutsche mit „Was man in Wald schreit/ // töndt wider ausser.“246 Deutsches und lateinisches Sprichwort sind also gleichberechtigte Partner in der epistemologischen Gesamtanordnung des Emblems. In Emblem XVII hingegen ist ein deutlicher semantischer Mehrwert des deutschen sprichwörtlichen Mottos zu erkennen. In der pictura (vgl. Abb. 16) sind zwei ins Gespräch vertiefte Männer abgebildet; einer der beiden zeigt auf ein auf einem Tisch befindliches, gläsernes Trinkgefäß. Die deutsche und die lateinische subscriptio verbalisiert jeweils die Deiktik der Darstellung und illustriert anhand der Metapher vom durchsichtigen Becher, durch den immer die Farbe des Inhalts scheint, das Prinzip, dass ‚Fehler in der Gesinnung schwer verborgen werden können‘: „Vitia animi difficulter occultantur“247, heißt es im lateinischen Motto. Das deutsche Motto hingegen speist ein gänzlich anderes Bildfeld ein: „Wie das
245 Das Beispiel vom Skarabäus und dem Adlernest findet sich u. a. bei Aesop und ist auch in Erasmusʼ Adagia nachzuweisen. Es handelt sich um ein in der Emblematik äußerst beliebtes Motiv, vgl. Peter von Düffel, Klaus Schmidt: Zur Textgestalt. In: Mathias Holtzwart: Emblematum Tyrocinia. Mit einem Vorwort über Ursprung, Gebrauch und Nutz der Emblematen von Johann Fischart und 72 Holzschnitten von Tobias Stimmer. Hg. von Peter von Düffel, Klaus Schmidt. Stuttgart 1968, S. 163–201, hier S. 187. 246 Holtzwart: Emblematum Tyrocinia [1581] 1968, S. 100 f. Der lateinische Spruch ist beispielsweise bei Cicero nachweisbar, vgl. von Düffel, Schmidt: Zur Textgestalt, S. 187. Zum Nachweis des deutschen Sprichworts vgl. Peil: Sprichwort, S. 151. Zum gleichberechtigten Verhältnis der beiden Sprichwörter vgl. auch ebd., S. 149. 247 Holtzwart: Emblematum Tyrocinia [1581] 1968, S. 52.
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gesang also ist auch der vogel.“248 Das vernakulare Sprichwort vermag also die Metaphorik des Emblems zu erweitern, seine Komplexität zu steigern und darin die Ausdrucksfähigkeit des Lateinischen zu übertreffen. Der deutsche Spruch kann, das haben die beiden Beispiele gezeigt, sein lateinisches Gegenüber übertragend ergänzen oder sogar insofern übertreffen, als er die Bildsemantik des Emblems zu erweitern vermag. Diese Grundspannung zwischen den Sprachen lässt sich nicht nur zwischen den Sprichwörtern im engeren Sinne, sondern generell zwischen den lateinischen und deutschen subscriptiones beobachten.249 So stehen sich im Emblem XXVII die beiden Motti, je ihre eigene sprichwörtliche Domäne repräsentierend, noch gleichberechtigt gegenüber: „Domus amica, domus optima“ bzw. „Eigner Herdt ist Golds werdt.“250 Die pictura zeigt eine Schnecke mit Schneckenhaus (vgl. Abb. 17), in der lateinischen subscriptio ist aber von einer „testudo“251, potentiell einer Schildkröte,252 die Rede. Lediglich die deutsche subscriptio spricht von der „schneck“253. Der Sinn des Emblems ist also erst vollständig erschlossen, wenn auch die deutschen Text anteile rezipiert worden sind. Ein viel augenfälligeres Beispiel dafür, wie erst das deutsche Textmaterial die emblematische Verrätselung entwirrt und den Leser zur Erkenntnis führt, stellt das Emblem XXIX dar. Das lateinische Motto „Fortunae non nimium credendum“254 warnt vor der Unberechenbarkeit des Glücks. Die lateinische subscriptio zitiert die berühmte Sentenz des Publilius Syrus vom gläsernen Glück, das leicht zerbrechen kann: Improba ne incautum fors te Fortuna prehendat, In praecepsque ruas, sedulus ipse cave. Namque illam vitro similem dixere parentes, Dum, mage quò splendet, frangitur hoc citiùs.255
248 Ebd., S. 53. Zum Nachweis des deutschen Sprichworts vgl. Peil: Sprichwort, S. 151. 249 Vgl. dazu auch die Beobachtungen von Homann: Studien, S. 95–101. 250 Holtzwart: Emblematum Tyrocinia [1581] 1968, S. 72 f. Das lateinische Sprichwort findet sich in Erasmus’ Adagien, vgl. von Düffel, Schmidt: Zur Textgestalt, S. 181. Zum Nachweis des deutschen Sprichworts vgl. Peil: Sprichwort, S. 151. 251 Holtzwart: Emblematum Tyrocinia [1581] 1968, S. 72. 252 ‚Testudo‘ ist zeitgenössisch durchaus mit ‚Schnecke‘ übersetzbar, vgl. Birgit Plank: Johann Sieders Übersetzung des ‚Goldenen Esels‘ und die frühe deutschsprachige ‚Metamorphosen‘-Re zeption. Ein Beitrag zur Wirkungsgeschichte von Apuleius’ Roman. Tübingen 2004 (Frühe Neuzeit 92), S. 88. 253 Ebd., S. 73. 254 Ebd., S. 76. 255 Ebd. Die deutsche Übersetzung lautet: „Damit dich Sorglosen nicht etwa die bösartige For-
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Die semantische Verbindung zu den drei Frauenfiguren der pictura (vgl. Abb. 18) ist erst einmal nicht gegeben. Erst deutsches Motto und deutsche subscriptio verknüpfen Bild und Text miteinander, indem sie das rhetorische Muster des Autoritätsbeweises aufgreifen, dabei aber mit einem anderen, passenderen Epistem der „parentes“ operieren. Sie variieren den Topos von den drei Eigenschaften der „bruta[ ]“ (stumpfsinnigen), „caeca[ ]“ (blinden) und „insana[ ]“ (rasenden) „fortuna[ ]“256, der auf den römischen Tragiker Pacuvius zurückgeht und in der Rhetorica ad Herennium zitiert wird, und sprechen von den drei Fortuna-Figuren, der blinden, unsinnigen und tauben: Dreyerlei Glück bei den altenn. Die alten haben wie man Sagt Bey jhn dreyerley Glück gehapt Deren eins sey gantz blind von art Das ander sey vhnsinnig gar Das tridt seye gantz taub ohn ghör Das wenig betracht fg noch Ehr. Das blind weil es leichtlich anhangt Einem der jhm doch wenig danckt Das vnsinnig das es zustund Wider hein nem was es erst rund Gegeben hatt. das taub das es Der armen gebett gantz vergeß.257
tuna ergreift und du ins Verderben stürzt, nimm dich geflissentlich in acht. Denn die Alten haben gesagt, daß sie dem Glas ähnlich sei: Je glänzender es ist, desto eher zerbricht es“, von Düffel, Schmidt: Zur Textgestalt, S. 182. Bei Publilius Syrus heißt es: „Fortuna vitrea est: tum cum splendet frangitur“, Publilius Syrus: Sententiae. Hg. von Eduard Woelfflin. Leipzig: Teuber 1869, S. 78. Vgl. dazu auch Michael Lailach: „Der Gelehrten Symbola“. Studien zu den ‚Emblematum Tyrocinia‘ von Mathias Holtzwart (Straßburg 1581). Diss. Tübingen 2000 (http://edoc.hu-berlin.de/ dissertationen/lailach-michael-2000-07-05/HTML/, zuletzt aufgerufen am 30. Juni 2018), S. 89. 256 Die berühmte Passage lautet (Petra Schierl: Die Tragödien des Pacuvius. Ein Kommentar zu den Fragmenten mit Einleitung, Text und Übersetzung. Berlin 2006 [Texte und Kommentare 28], S. 532): Fortunam insanam esse et caecam et brutam perhibent philosophi saxoque instare in globoso praedicant volubili: id quo saxum inpulerit Fors, eo cadere Fortunam autumant; insanam autem aiunt, quia atrox incerta instabilisque sit, caecam ob eam rem esse iterant, quia nihil cernat quo sese adplicet, brutam, quia dignum atque indignum nequeat internoscere. 257 Holtzwart: Emblematum Tyrocinia [1581] 1968, S. 77.
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Entsprechend ist im Holzschnitt links die blinde, in der Mitte die taube und rechts die unsinnige oder auch rasende Fortuna dargestellt. Die Quintessenz der Lebenslehre ist letztlich identisch, aber erst die deutsche Seite stellt in einer Variation über dem antiken Topos, auf dem sie ruht und den sie zugleich modifiziert, den Sinn des Emblems vollständig her. Das semantische Surplus des deutschen Textmaterials ist Indiz für einen gewissen „Abweichungsehrgeiz“258, der sich hier aus der dynamischen Auseinandersetzung mit dem antiken Fundament speist. Programmatisch wird diese Geste im ersten Emblem von Holtzwarts Sammlung ins Bild gesetzt, das zudem als Insignie und „Zeichen// Matheis Holtzwarter von Harburg“259 verstanden werden soll. Die pictura (vgl. Abb. 19) zeigt ein efeuumranktes kleines Häuschen, daneben einen Dudelsackspieler, der die „Rustica Musa“260, von der in der lateinischen subscriptio die Rede ist, repräsentiert. Die dudelsackpfeifende Musenfigur spielt in poetologischer Perspektive auf die bukolische Tradition, in der seit Vergil der Dichter gerne mit dem Hirten identifiziert wird,261 genauso an wie auf die Satirendichtung.262 In beiden Fällen handelt es sich um Genres bzw. Kommunikationsmodi,263 die unterhalb der hohen, heroischen Poesie angesiedelt sind. In der subscriptio – deutscher und lateinischer Text entsprechen sich hier weitestgehend – wird gleichsam das poetologische Dudelsackspiel der Muse in Worte übersetzt, spricht der Dichter Holtzwart die Dichterpflanze Efeu an, die das bescheidene Haus der einfachen Rede umrankt, in dem die antiken Dichter keinen Platz haben: O Ebhew du sehr freches kraut Du hast an die Recht maur nicht bawt Dan hie Vergilius nit wont Deßgleich Ouidius nicht gront Horatius mit seyner leyren Sagt selb es thu jhm nicht gepüren Zu wohnen hie jnn disem hauß Tibullus hatt auch drab ein grauß Vnd sonst alle Poeten zmal So ye sind gwesen vberal
258 Diesen Begriff verdanke ich Thomas Althaus (mündliche Diskussion im Rahmen der Grimmelshausen-Tagung, 22. Juni 2013). 259 Holtzwart: Emblematum Tyrocinia [1581] 1968, S. 21. 260 Ebd., S. 20. 261 Vgl. Klaus Garber: Art. ‚Bukolik‘. In: RLW 1 (1997), S. 287–291, hier S. 288 f. 262 Zu Dudelsackdarstellungen in der satirischen Literatur des sechzehnten Jahrhunderts vgl. Lailach: „Der Gelehrten Symbola“, S. 53. Lailach verweist auch auf die Abbildung eines Dudelsackspielers in der Straßburger Vergil-Ausgabe von 1502, vgl. ebd., S. 54. 263 Zu Gattungsdiskussion im Zusammenhang mit der Satirendichtung vgl. Kap. 4.1.1.
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Dan vnser gsang gantz schlecht vnd ring Durchaussen ist/ drum baß vmbfing Diß hauß/ das aller wenigst kraut So auff der Erden würt erbawt. Weil aber ye wilt wachsen hie So wachs Glückselig spat vnd frue.264
Vergil, Horaz, Ovid und Tibull sind allesamt Vertreter der Bukolik, der hohen Epik und der Liebeslyrik, also verschiedener literarischer Niveaus und Gattungen. Nicht nur diese, also die die Gesamtheit der antiken Dichtung repräsentierenden Literaten, sondern sogar „alle Poeten […] So ye sind gwesen vberal“, wollen in dem Haus nicht wohnen, sei doch Holtzwarts Dichtung zu niedrig, klein („ring“) und schlicht („schlecht“). Obwohl eigentlich nur „das aller wenigst kraut“ dieses Hauses würdig sei, appelliert der Sprecher an den Efeu, weiter zu ranken, da er sich offenbar sowieso nicht davon abhalten lasse. Wenngleich sich dieses durch den Bescheidenheitstopos notdürftig verschleierte Plädoyer für die Würde des emblematischen Epigramms auf seine lateinische wie deutsche Umsetzung bezieht, steht doch, nicht zuletzt aufgrund der in der pictura gespeicherten Konnotationen, zu vermuten, dass die hier gepriesene ‚Poesie der kleine Form‘ vor allem auf die niedere vernakulare Poesie referiert. Auch entspricht das ungesteuerte, naturhafte Wuchern des Efeu der Vorstellung einer ‚natürlich‘-autochthonen (deutschen) Dichtung, die buchstäblich aus dem Boden wächst und von keinerlei Autoritäten, antiker oder jedweder anderer Provenienz, tangiert ist. Aus dieser conditio poesiae beziehen die deutschen Reimpaarverse die Kraft, in den paragone mit den lateinischen Versen, zumeist Distichen, einzutreten und diesen in der Epistemologie des Emblems letztlich eine subordinierte Stellung zuzuweisen. In den meisten Fällen handelt es sich, und dies mag vor dem Hintergrund des ‚Programms der Urwüchsigkeit‘ kaum überraschen, um die gängigen acht- und neunsilbigen Knittelverse. In Emblem LVI jedoch werden die fünfsilbigen Verse der lateinischen subscriptio auf der deutschen Seite als zweihebige jambische Kurzverse abgebildet:
264 Holtzwart: Emblematum Tyrocinia [1581] 1968, S. 21.
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Quaeritis, unde Pingere mos sit Cyprida nudam […].265 Du fragst warumb Vnd wie es kum Das Venus wird Nackend auf Erd […].266
Im vollen Bewusstsein der Tatsache, so scheint es, dass eine korrekte imitatio nach antiken Maßstäben im Deutschen nicht möglich ist, wird hier konsequent die letzte Kürze vernachlässigt und durch den Hebungsprall die Kohärenz der Versübergänge behindert. Daraus resultieren holprige deutsche Verse, die aber kein Zeugnis des Scheiterns, sondern parodistisch gefärbt sind: Sie passen durchaus auf den witzigen Inhalt des Emblems, nämlich die nicht ganz ernst gemeinte Begründung der stets nackten Darstellung der Venus. Es handelt sich also um eine Form von subversiver imitatio, in der sich wiederum das Potential des Deutschen manifestiert. Ähnlich verhält es sich mit der sapphischen Odenstrophe, die im Emblem LVII anzutreffen ist:267 Dic Hymen, pulchram Venerem fabro cur Nuptui olim Prisca locavit aetas, Atque Vulcani nigricantis aedes Fecit inire?268
Die deutsche subscriptio vollzieht die Odenstrophe mit den Mitteln des Deutschen nach: Es handelt sich um in Paaren gereimte Knittelverse, von denen die ersten drei Verse jeweils exakt acht Silben aufweisen. Der vierte Vers hat vier Silben und entspricht dem fünfsilbigen letzten Vers der eigentlichen Odenstrophe: O Hymen/ du vil schöner Knab Warumb doch Venus gheurat hab Zu Vulcano das sag du mir/ Ist mein begir.269
265 Ebd., S. 130. 266 Ebd., S. 131. Vgl. zur Versbestimmung auch von Düffel, Schmidt: Nachwort, S. 233. 267 Zur Versbestimmung vgl. ebd., S. 233. 268 Holtzwart: Emblematum Tyrocinia [1581] 1968, S. 133. 269 Ebd., S. 133.
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Dieses Vier-Vers-Schema wird dreimal wiederholt. Die deutsche Sprache ist also in der Lage, mithilfe der an dieser Stelle recht streng gebauten Knittelverse eine strukturierte Strophenform zu entwickeln, die auf die antike sapphische Odenstrophe alludiert, diese aber nicht treu imitiert: Ein Versuch, die klar definierten Odenmaße ins Deutsche zu übertragen, wird erst gar nicht unternommen; von vorneherein nehmen die autochthonen Achtsilbler ihren Platz ein. Auch diesem Verfahren wohnt ein satirisch-parodistischer Zug inne,270 durch den sich der deutsche Text über den lateinischen erhebt. Hier ist die deutsche Poesie der kleinen, vernakularen Form, ist die „Rustica Musa“, wie sie mit dem efeuberankten Häuschen im ersten Emblem trefflich illustriert ist, beispielhaft umgesetzt. Die besondere poetologische Relevanz dieses ersten Emblems wird deutlich, liest man es zusammen mit einer entsprechend einschlägigen Passage aus Jobins Vorrede zu Fischarts Philosophisch Ehzuchtbüchlin (1578). Dort argumentiert Jobin mit Pietro Bembo und dessen Prose della volgare lingua, dass keine Energien mehr an die bereits hochentwickelten klassischen Sprachen zu verschwenden seien. An die Stelle humanistischer Latinität trete nun die Arbeit an der Volkssprache, die gleichsam ein eigenständiges Gebäude darstelle, das es seiner eigenen Gestalt gemäß auszubauen, „zu excoliren“, gelte. Es sei nicht akzeptabel, weiterhin die „Pallst“ der alten Sprachen auszustatten, wenn man gleichzeitig inn eym bauflligen schnden Hüttlin wonet. Deshalben so laßt vns nit mehr inn zirung des Vatterlands so vnachtsam sein, das wir mehr fremde als vnsere eygene cker baueten vnd es mit liederlichen Stroen Hüttlin entstelleten, sondern laset vnser jeden forthin nach vermgen seiner im verlihenen gaben neben den Griechischen vn Latinischen Pallsten auch vnsere die zeit her vngeachtete Huser stattlich aufbauen, ja so vil mglich, denselbigen zubauen […].271
Der ‚stattliche Aufbau‘ der Hütten ist gleichsam auch als Verzierung mit Holtz warts Efeu der ‚niederen Poesie‘ vorstellbar, denn „[o]ffenbar soll […] die von Jobin [in der Vorrede zu Fischarts Ehzuchtbüchlin, Anm. S. B.] projektierte volkssprachige Literatur nicht mit dem ornatus des hohen Stils konkurrieren, und offenbar will Jobin eine stadtbürgerliche Literatur in der Volkssprache von einer höfischen in der Gelehrtensprache absetzen: ein Plädoyer für ein ‚niedriges‘
270 Es handelt sich gerade nicht um den Versuch, „lateinische Formen ins Deutsche einzuführen“ (von Düffel, Schmidt: Nachwort, S. 233), wie von Düffel und Schmidt behaupten. 271 Johann Fischart: Das Philosophisch Ehzuchtbüchlin […] [1578]. In: Johann Fischarts Werke. Hg. von Adolf Hauffen. 3 Bde. Stuttgart 1893–1895 (Deutsche National-Litteratur 18), Bd. 3, S. 115–332, hier S. 123.
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Genre, das mit den ‚hohen‘ Genera konkurriert“272 – eine Haltung, die sich mit der Aussage des ersten Holtzwart-Emblems deckt und sich auch im Bereich der bei Jobin erschienenen und von Fischart verantworteten erzählenden Literatur abzeichnet.273 Der Wert der deutschen Verse, der hier programmatisch vertreten und in der Praxis erprobt wird, indem sich die vernakularen Sprichwörter als den lateinischen ebenbürtig erweisen, indem die deutschen Textanteile den Sinn des Emblems zu vervollständigen helfen und sich die autochthonen Acht- und Neunsilbler selbstbewusst gegenüber der antiken Tradition verhalten, untermauert zugleich den Status der Emblematik als einer im Bereich des Vernakularen gleichermaßen (oder gar besonders gut) funktionierenden Kunstform, wie sie von Fischart in der unten zu diskutierenden Vorrede entwickelt wird. Sprachliche wie außersprachliche Kultur fusionieren im Verbund von Sittenlehre und Bild-Text-Kunst: Die Forschung hat mehrfach konstatiert, dass Holtzwart „das für das Emblem bezeichnende didaktisch-moralische Moment“ im Gegensatz zu Alciato verstärkt, was u. a. an den „durchgängig adhortativen Motti und […] de[m] überwiegend imperativische[n] Charakter der deutenden Epigramme“274 abzulesen sei. In den großen strukturellen Bogen des guten christlichen Lebens, dem das Buch folgt, ist dann auch die protestantische Ehelehre in den Emblemen XXIII, XXIIII, XXXIIII und XXXV eingelassen,275 was nicht zuletzt die wiederholte Verwendung der Bildstöcke beweist: Teile der Eheholzschnitte finden sich außerdem in Fischarts Ehzuchtbüchlin (1578), in den bei Jobin erschienenen (undatierten) Missive/ oder Sendbrieffe, einer Übersetzung des 55. Kapitels aus dem ersten Buch der Epístolas familiares des Antonio de Guevara durch den Straßburger Johann Beat Graß, die dem Ehzuchtbüchlin ab der Auflage von 1591 beigegeben sind, sowie im von Johann Christoph Artopoeus übersetzten und von Fischart in einer Vorrede im Sinne der protestantischen Eheauffassung ausgedeuteten Antikenroman Ismenius.276 Damit versehen die Holzschnitte die schon bei den ersten
272 Vgl. zur weiteren ‚Poetik des Niederen‘ im Bereich der erzählenden Literatur auch Kap. 2.1.2. 273 Müller: Fischarts Gegenkanon‚ S. 305. 274 von Düffel, Schmidt: Nachwort, S. 227. 275 Die Motti lauten: „Honestè amandum“ bzw. „Ehrliche Liebe schadt Niemandt“, Holtzwart: Emblematum Tyrocinia [1581] 1968, S. 64 f.; „Quare contrahendum Matrimonium“ bzw. „Warumb man heürathen soll“, ebd., S. 66 f.; „Uxor, quae coelitus contingit, optatissimus“ bzw. „Der best heürath kompt den Gott schickt“, ebd., S. 86 f.; „Amor coniugalis“ bzw. „Liebe soll sein im Ehstand“, ebd., S. 88 f. Zur Analyse der Eheembleme vor dem Hintergrund der protestantischen Ehelehre und in ideologiekritischer Perspektive vgl. Ken Fowler: Social Content in Mathias Holtzwart’s Emblematum Tyrocinia. In: Emblematica 4 (1989), S 15–38. 276 Natürlich hat die Mehrfachverwendung von Bildstöcken meist praktisch-wirtschaftliche
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Emblemautoren beliebten, die Konzepte von geistiger und weltlicher Liebe verhandelnden Liebesembleme mit einer protestantischen Note.277 Die Emblematik als humanistisch-gelehrte Kunstform278 wird so in den eigenen Kulturraum eingemeindet und an die hiesigen moraldidaktischen Bedürfnisse angepasst. Allgemeine Lebenslehren und situative Handlungsanweisungen werden hier außerdem von Empfehlungen aus dem Bereich der Pädagogik sowie der Fürstenspiegeltradition begleitet, die den ersten Teil des Emblembuchs (Emblem II bis XV) einnehmen, auf den Konnex von Sprache, schönen Künsten, Gelehrsamkeit und Moral abheben und diesen explizit auch auf die vernakulare Literatur und Kultur beziehen. Dass der Tugendadel den zentralen Wert darstellt, nicht der genealogisch bedingte Adel, darauf weist das letzte Emblem (XV) dieser Reihe hin;279 dass es diese innere Qualität allen Äußerlichkeiten vorzuziehen und zu pflegen gilt, darüber informiert Emblem XIII;280 dass sich diese Tugend wieder um generell im Handeln in Form von Tapferkeit, Vernunft und Wohlberatensein manifestiert, stellt Emblem XIIII vor; und dass sie sich im Fall eines Fürsten vor allem in den klassischen Herrschertugenden Milde und Freigiebigkeit zeigt, das beweist Emblem XII.281 Die Embleme II bis XI beschreiben den Weg, der zu diesen
Gründe, doch ist sie in diesem Fall als durchaus programmatisch zu verstehen, fungieren die Holzschnitte doch als intertextuelle (und intermediale) Klammer und ordnen sie die drei Texte in ein und denselben Sinnzusammenhang ein. Zum Ehzuchtbüchlin und den Missive vgl. Sylvia Brockstieger: Spielarten moralistischer Prosa im 16. Jahrhundert. Die Rezeption Antonio de Guevaras in München und Straßburg. In: Literatur und Moral. Hg. von Volker Kapp, Dorothea Scholl. Berlin 2011 (Schriften zur Literaturwissenschaft 34), S. 123–140. Zum Ismenius-Roman in protestantischer Perspektive vgl. Brockstieger: Aemulatio und Intermedialität. 277 Vgl. zu Ikonographie und Ikonologie der Liebesembleme Praz: Studies, S. 83–168. 278 Beispielsweise setzt Emblem XXXV, indem es auf das platonische Kugelwesen aus dem Symposion alludiert, eine quasi-platonische Liebeslehre ins Bild, vgl. Holtzwart: Emblematum Tyrocinia [1581] 1968, S. 88. 279 Die Motti lauten: „Virtus summa nobilitas“ bzw. „Tugent macht Edel“, Holtzwart: Emblematum Tyrocinia [1581] 1968, S. 48 f. Die gleichnishafte Aussage der lateinischen subscriptio, nämlich dass die Jagdgöttin auch Hasen erlege, ist in der deutschen durch den (modernisierenden) Hinweis auf Gottes Liebe zu allen Menschen ersetzt, vgl. ebd. Die Embleme XXXIX und XL wiederholen die Lehre vom zentralen Wert der Tugend: „Virtutem colendam“ bzw. „Der Tugent soll man sich fleissenn“ (ebd., S. 96 f.) und „Virtus laesa magis lucet“ bzw. „Tugent will geübt sein“ (ebd., S. 98 f.), so heißt es jeweils in den Motti. 280 Die Motti lauten: „Pulchrum et laudari,// praestantius esse laudabilem“ bzw. „Es Ist ein schön ding das man einen lob.// Es ist aber noch schöner/ // das einer lobreich seye“, ebd., S. 44 f. Die deutsche subscriptio erzählt das Bild vom prächtigen, aber lahmen Gaul ungleich breiter aus, vgl. ebd. 281 Emblem XIIII verweist auf die Autorität Ciceros, wenn es „anim[us] forti[s]“, „ratio[ ] und [c]onsili[um] bon[um]“ (ebd., S. 46) empfiehlt (ebd., S. 47):
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Tugenden führt, nämlich den der Pädagogik. Während die Embleme II, III, IV und IV auf allgemeine Erziehungsgrundsätze abheben wie beispielsweise das Gebot, für eine erfolgreiche Erziehungsarbeit bei den individuell unterschiedlichen Voraussetzungen anzusetzen,282 formulieren die Embleme VI bis XI den zentralen pädagogischen Imperativ schlechthin, nämlich die Ausbildung des Verstandes:283 Diese sei der Königsweg, um sich in der Welt hervorzutun (Emblem VI),284 unterscheide doch der Verstand den Menschen vom Tier (Emblem VII),285 wappne die Gelehrsamkeit, also auch „kunst vnd witz“286, gegen die Nöte des Lebens (Emblem VIII), seien „witz“ und „arbeit“287 die Grundlagen für weltlichen Ruhm (Emblem X) und garantiere das Wissen dem Herrscher Ansehen und insofern Stabilität, als er nicht von seinen Beratern abhängig sei (Emblem XI).288 Verstandesbildung, Gelehrtheit, allgemeine Sittlichkeit und Außenwirkung im Sinne des Ruhms hängen, das macht diese emblematische Klimax deutlich, aufs Engste zusammen: „Bonis moris studendum“, lehrt Emblem IX, man muss die guten Sitten studieren,
Wer was herlichs vnd hochs wolt thun Dauon erlangen grossen Rum der dörff erstljch eins dapffren gmüts Demnach soll er auch sein geübt das er vernünfftig mit vmbgang Was er wöll thun vnd anfang Vnd das er hab vor gutten rath/ Eh dan er greiffet zu der tat. In Emblem XII übersetzt die deutsche subscriptio das herrscherliche Instrument der „miti[s] […] ratio[ ]“ mit den Eigenschaften „mild“ und „freygebig“, ebd., S. 42 f. 282 So die Motti der Embleme IIII – „Ingeniis se accomodare oportet“ bzw. „Man soll sich eines yedenn Jungen// Verstand nach richten“ (ebd., S. 26 f.) – und V – „Ingeniis concedendum rudioribus“ bzw. „Den Grobuerstendigen soll man Eben vor gehen“ (ebd., S. 28 f.). 283 Der lateinische Komplementärbegriff zu „Verstand“ (z. B. ebd., S. 27, 33) ist „ingenium“ (z. B. ebd., S. 26, 28, 32). 284 Motto und subscriptio lauten (ebd., S. 31): Was glert Mach. Wer sich will richten hie auff Erd Das er geschickt vnd hochglert wird Der schaw ersts/ was sein Kopf vermag Demnach das er gut Lehrer hab. Vnd als dan das er spath vnd fr Nichts anders dan studieren th. 285 „[V]erstand“ wird hier eigentlich synonym mit „wissenheit“ (ebd., S. 32) verwendet. 286 Ebd., S. 35. 287 Ebd., S. 39. Voraussetzung ist ein „sinnreich gmüt“ (ebd.), also Verstand. 288 Vgl. ebd., S. 40 f.
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denn, um es in den Worten des deutschen Mottos zu sagen, „Kein ding zierett den Menschen mehr// dan Kunst vnd gutte sitten.“289 Unter Kunst ist hier vornehmlich die Wissenschaft im Sinne des basalen universitären Fächerkanons gemeint, und so ist auch in Emblem VIII der Grundsatz vom „[s]tudium in faustis et adversis invictissimum“ mit „Kunst hilfft Jnn allen nötten“290 übersetzt. Das Emblem IX deutet jedoch, indem es das Ideal der Kalokagathie ins Bild setzt, eine weitere Dimension an: Es gebraucht in lateinischer wie deutscher subscriptio die Exempelerzählung von Bias, einem der Sieben Weisen, der seine Schüler anweist, sich im Spiegel zu betrachten, „[j]hre sitten vnd gantzen brauch“291 an der äußeren Schönheit auszurichten und die körperliche Defizienz über sittliche Exzellenz auszugleichen.292 Das „discernere formas“, das unter der Anleitung des Lehrers vorgenommen wird, zeigt, dass ästhetische Erziehung als Vehikel der sittlichen Ausbildung fungiert. Zudem ist die Selbsterkenntnis, das γνῶϑι σεαυτόν,293 an die Wahrnehmung des Spiegelbilds geknüpft, was durchaus als meta-emblematische Aussage zu lesen ist: Moralische Lehren werden auch aus der Anschauung eines Bildes gewonnen. Eine ähnliche, auf die Ebene der schönen Künste weisende Dimension eröffnet sich im bereits genannten Emblem XI, dessen pictura eine reich ausgestattete Orgel zeigt und das einen ungebildeten Herrscher, dem man die Berater nimmt, mit dem über einen Blasebalg betriebenen Instrument vergleicht, das verstummt, wenn ihm die Luftzufuhr genommen wird.294 Während der deutsche Text von „Glerte“295, also Gelehrten bzw. Gelehrsamkeit, spricht, ist in der lateinischen subscriptio von einem „[p]rinceps indoctus, Musas qui nescit et artes“296 die Rede, also einem Fürsten, der weder die Wissenschaft, also die „artes“, noch die (schönen) Künste, also die „Musas“ kennt. Sowohl das lateinische Motto von der „Musae corona Principis“ als auch die subscriptio, die mit der Aufforderung „[d]a te igitur Musis, Princeps“297 schließt, erfassen eher den künstlerischen
289 Ebd., S. 36 f. 290 Ebd., S. 34 f., vgl. hier auch den entsprechenden Herausgeberhinweis in Anm. 1. 291 Ebd., S. 37. 292 Eine mögliche Quelle hierfür sind die Scharpfsinnige[n] Sprüche (1551) des Johannes Stobaios, vgl. von Düffel, Schmidt: Zur Textgestalt, S. 17. 293 Das Emblem XXXIII führt den Imperativ des „Nosce te ipsum“ bzw. „Schaw dir selb inn bsen“ (Holtzwart: Emblematum Tyrocinia [1581] 1968, S. 84 f.) als eine wichtige Lebensregel an. 294 Vgl. ebd., S. 40 f. 295 Ebd., S. 41. 296 Ebd., S. 40. 297 Ebd.
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Aspekt, während die deutsche Seite mit ihrem Fokus auf den Wissenschaften die Balance der doppelten pädagogischen Zielsetzung wiederherstellt. Wird die sittliche Kultur also über die künstlerische und wissenschaftliche Ausbildung befördert, so ist in diesem Zusammenhang auch die Sprachpflege von höchster Bedeutung, was das Emblem VII ins Bild setzt. Der in den lateinischen Textteilen stark betonte Zusammenhang von „[i]ngenium“ und „[e]loquentia[ ]“ sowie „[v]su[s] […] linguae“ und „mentis[ ] uigor[ ]“ wird in der eher kurz gehaltenen deutschen subscriptio in die Verbindung von „vernunfft“ und „Redens kunst“298 übersetzt. Das „cole[re]“, also die Pflege dieser Anlagen, bringt der Holzschnitt mit einem die Feldarbeit verrichtenden Bauern zum Ausdruck. Das abgebildete Gespann ist jedoch ein sonderbares, denn es besteht aus einem Esel, der einen Baumstamm zieht, und einer Figur mit Narrenkappe (vgl. Abb. 20). Einerseits unterstreicht die Szene die Lehre des Emblems, dass Sprache und Vernunft die beiden Faktoren sind, die den Menschen vom Tier unterscheiden. Andererseits ist mit der im bäuerlichen Milieu angesiedelten, pseudo-kultivierenden Tätigkeit von Narr und Esel auf die niedere Schreibweise299 der Satire angespielt, die einerseits als Medium der Welterkenntnis und als Spiegel der Sitten, andere rseits als eigenständige sprachlich-literarische Form ihre Berechtigung hat. So weist dieses Emblem zugleich zurück auf das erste, das die „Rustica Musa“ zum Programm des Emblembuchs erhoben hatte. Selbsterkenntnis und Sittenlehre im Medium von Wissenschaft, Bildkunst und Dichtung sind also die dominanten Themen der zuletzt besprochenen metapoetischen und gattungspoetologischen Embleme, sind im deutsch-lateinischen Sprachverbund auch ein vernakulares Anliegen und können, um den Bogen zum Engagement Jobins für eine elaborierte deutsche Bildkunst zu schlagen, die in Stimmer ihren würdigsten Vertreter findet, als das Programm der Offizin in nuce gelesen werden. Die deutschen Knittelverse, die in der epistemologischen Bewegung des Emblems eine unhintergehbare Relevanz besitzen, sind in ihrer ‚kleinen Form‘ ebenso Teil der sogenannten niederen Literatur wie die Satirendichtung und haben sowohl aufgrund ihres autonomen Aussagestatus als auch aufgrund ihrer spezifischen Form ihren eigenen poetischen Wert. Die Emblematik wird als Kunstform inszeniert, die ihnen einen Ort gibt und den Verbund mit dem anderen zentralen Medium der moralischen Erziehung herstellt, nämlich dem der bildenden Kunst. In der zweisprachigen Anlage der Texte wird nicht nur die Weisheit der Antike mit der der autochthonen Alten zusammengespannt, sondern werden auch verschiedene Stillagen der Literatur miteinander verknüpft. In Verbindung
298 Ebd., S. 32 f. 299 Zur Begriffsexplikation von ,Schreibweise‘ vgl. Kap. 4.1.1.
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mit der pictura entsteht so im Anschauungs- und Lektüreprozess eine Pendelbewegung zwischen den poetischen Niveaus und den Traditionen, und diese dialogische Dynamik ist es, die erst das vollständige Verstehen ermöglicht – wobei nicht zu vergessen ist, dass den deutschen Anteilen dabei zumeist die größere Bedeutung beigemessen wird. Holtzwart inszeniert sich hier als Dichter, der über das Reservoir des antiken Wissens und der lateinischen Sprache wie Literatur spielerisch verfügt, dabei natürlich seine gewaltige (humanistische) Gelehrsamkeit zur Schau stellen kann und letztlich selbstbewusst die neuen Wege einer autonomen deutschen Dichtung beschreitet. Dass diese, trotz aller Bescheidenheitstopik, eine anspruchsvolle ist, davon zeugt die Juxtaposition des lateinischen und deutschen Textmaterials, die zum kompetitiven Kräftemessen geradezu herausfordert. Die neue Kunst der Emblematik stellt den Schauplatz für diesen Agon bereit und ist doch selbst noch Gegenstand ständiger Aushandlungsprozesse. Holtzwart definiert sie in seiner emblematischen Arbeit als eine Kunst, in der sich die deutsche Sprache in ihrer Autonomie entfalten kann und durch die die (deutschen) Sitten kultiviert werden können. Die explizite Programmatik hierzu liefert Fischart in seiner Vorrede, die entsprechende Ausbuchstabierung der Sittenlehre im Sinne einer zutiefst deutschen Aufgabe erfolgt in den beigegebenen Holtzwart’schen Bildnussen oder Contrafacturen der XII. Ersten Alten Teutschen Knig.300 Fischart germanisiert301 in seiner Vorrede die Emblematik in mehreren Schritten, wobei er mit der Begriffgeschichte einsetzt. Er geht von der Vorstellung aus, im (Kunst-)Handwerk liege der Ursprung des Terminus ‚Emblem‘302, der erst später auf das „Lehrgemäl“303 bezogen worden sei. Ähnlich der Blüte der Baukunst zu bestimmten Zeiten der griechischen und römischen Antike, die in „Eingeblmete[n] Kunststcklin“304 resultierte, stünden auch heutzutage Handwerk wie beispielsweise Steinmetz- oder Goldschmiedekunst sowie Architektur und Baukunst in höchster Blüte. Fischart nennt sogar das Nähen, Weben und anderes Textilhandwerk – was auch insofern bedeutsam ist, als einerseits bei Jobin beispielsweise mit dem New Knstlich[ ] Modelbuch (erstmals 1589) Anleitungsschrifttum für die Stickerei, verbunden mit einer kleinen Morallehre für die
300 Vgl. zu den Bildnussen Kap. 2.1.1. 301 Zur Germanisierung der Emblematik vgl. Bulang: Enzyklopädische Dichtungen, S. 423. 302 Vgl. zur Begriffsgeschichte Daniel Russell: The Term „Emblème“ in Sixteenth-Century France. In: Neophilologus 59 (1975), S. 337–351; Hessel Miedema: The Term Emblema in Alciati. In: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 31 (1968), S. 234–250. 303 Holtzwart: Emblematum Tyrocinia [1581] 1968, S. 7. 304 Ebd., S. 8.
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Frauen in der Vorrede,305 veröffentlicht wird, andererseits das Nähen, Schneiden und Schneidern eine von Fischart breit eingesetzte Metapher für das polemische Schreiben darstellt.306 Explizit sieht er die Handwerkskunst nicht nur in ‚Deutschland‘, sondern auch in anderen europäischen Ländern wie Frankreich und den Niederlanden in der Blüte,307 was der Vorstellung einer allgemein-europäischen Renaissance entspricht, wie sie Fischart auch in seiner Vorrede zur Bilderbibel Neue Künstliche Figuren vertritt.308 Die artifizielle Ausgestaltung von Brunnenanlagen erhält hier ebenfalls eine auf die ‚eigentliche‘ Emblematik zulaufende Dimension zugeschrieben: Es sei „wunderlich zuschauen/ wie Emblematisch vnd verblmet sie [die Franzosen und Niederländer, Anm. S. B.] die Rörbronnen/ Bächlin vnd Wässerlin/ mit Lebhafften Fischlein/ Schnecken/ Muscheln/ Wasser thierlein/ vnd sonst Zierwerck“309 ausschmückten. Dies ist insofern bedeutsam, als die verrätselten, ekphrastisch dargestellten Bildwerke des Ismenius-Romans, die in Reusners Aureolorum Emblematum Liber, wie zu zeigen sein wird,310 als Bild- und Textspender für die Emblematik im engeren Sinne fungieren, in artifiziellste Gärten eingebettet sind, die sich auch durch ebenfalls allegorisch zu lesende Brunnen auszeichnen.311 So figurieren die in die Narration eingebetteten Garten-Tableaus mit ihren von den Protagonisten zu enträtselnden Kunstwerken – neben dem Ismenius sei hier auch auf Holtzwarts Lustgart verwiesen312 – in ähnlicher Weise eine der Emblematik ähnliche Erkenntnisbewegung, wie es in Fischarts Vorrede zu Holtzwarts Emblembuch das Kunsthandwerk tut. Nachdem Fischart in seiner Vorrede die Ebenbürtigkeit der zeitgenössisch auch in deutschen Landen313 praktizierten Bau- und Handwerkskünste mit
305 Vgl. [Federico di Vinciolo:] New knstlichs Modelbuch […]. Straßburg: Bernhard Jobin 1589, fol. [01r]. 306 Vgl. Kap. 4.2. 307 Vgl. Holtzwart: Emblematum Tyrocinia [1581] 1968, S. 10. 308 Vgl. Kap. 3.2.1. 309 Holtzwart: Emblematum Tyrocinia [1581] 1968, S. 10. 310 Vgl. Kap. 3.2.4.2. 311 Vgl. Eustathios Makrembolites, Artopoeus: Ismenius 1573, fol. 5r–6v. 312 Vgl. Holtzwart: Lustgart. 313 Konkret werden die u. a. in Augsburg gepflegten Intarsienarbeiten genannt (vgl. Holtzwart: Emblematum Tyrocinia [1581] 1968, S. 10), was historisch korrekt ist: Augsburg ist neben Nürnberg ein Zentrum deutscher Intarsienkunst; zu nennen ist hier beispielsweise Lorenz Stöer, der in beiden Städten wirkte und mit seiner Schrift Geometria et perspectiva (1567) und den darin enthaltenen Holzschnitten eine wichtige Vorlage für die entsprechenden Schreinerarbeiten lieferte, vgl. den Ausstellungskatalog von Michael Mathias Prechtl (Hg.): Jamnitzer, Lencker, Stoer. Drei Nürnberger Konstruktivisten des 16. Jahrhunderts. Ausstellung der Albrecht-Dürer-Gesellschaft im Fembohaus vom 20. April bis 1. Juni 1969. Nürnberg 1969.
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denen der Antike erwiesen hat – es handelt sich um eine Parallelerscheinung, kein Derivat –, wird dieses Prinzip von den ‚Sachen‘ auf die ‚Worte‘ übertragen: Auch das Deutsche erweist sich als terminologiefähig und kann zum Nachweis der „Deitlichkeyt vnd Reichlichkeyt vnserer Sprach“ dem Emblembegriff analoge Bezeichnungen ausbilden:314 Dieweil aber solche Schmucksachen das mehrertheyl/ wie gedacht/ schöne lehrhaffte/ Tieffgesuchte/ Nutzliche vnd ergötzliche Meynungne vnd Manungen zu vnterricht der Leut frstallten/ ist nachmals solcher Nam [der Begriff ‚Emblema‘, Anm. S. B.] den Sinnreichen Erfindungen/ Poetischen Dichtungen/ Gemälmysterien vnd verdeckten Lehrgemälen/ dergleichen inn disem Büchlein etliche vorhanden/ angewachssen. Darumb haben auch wir nunzumal inn vnserer Sprach/ gleich so wol als die Griechen/ vns dieser Freiheyt ange nommen/ vnd von obberrten Künsten auff fürgeschlagene Materi sondere Wörter vnd Namen verwendet: Gäntzlich darfür haltend/ wa man vorgesetztes alles gründlich erwiget/ daß man sich nicht mehr der Frembde zuverwunderen/ sondern der Deitlichkeyt vnd Reichlichkeyt vnserer Sprach wird zubefräuen haben.315
Fischart legt sich dabei keineswegs auf einen einheitlichen Begriff fest. Die copia der deutschen Wörter, deren Inszenierung ihm ein so wichtiges Anliegen ist,316 stellt er auch im Bereich der Terminologie aus, indem er insgesamt acht ver schiedene Begriffe für Artefakte und zwölf für Embleme ins Spiel bringt.317 Es geht ihm also weniger um die Prägung des Begriffs und seine diskursive Schließung, sondern um den Reichtum seiner potentiellen Ausformungen. Nachdem Fischart gezeigt hat, dass im Deutschen also sowohl die künstlerischen als auch die sprachlichen Voraussetzungen gegeben sind, die Emblemkunst auszubilden und zu praktizieren, wendet er sich von dieser systematischen Perspektive der historischen Dimension und damit der Vorstellung zu, in der Wappen- und Impresenkunst liege die Quelle der Emblematik. Deren Ursprung wiederum sei zu den Zeiten der Noachiden zu verorten: Als „Gedenckzeichen“318 dienten sie den Phrygern, Persern, Griechen (Athenern), Ägyptern und Franken
314 Zum Terminologieproblem bei Holtzwart und Fischart vgl. auch Höpel: Emblem, S. 73–83. 315 Holtzwart: Emblematum Tyrocinia [1581] 1968, S. 10 f. 316 Vgl. Kap. 4.2. 317 „Arbeytsinnige Künste“, „sinnreiche künst“, „Ein oder angeworffen arbeyt“, „Eingeblmete Kunststcklin“, „Geheymnusreiche Bildnusse“, „eingelegte Arbeit“, „Kleynotghänck“, „Einblmungen“ (Holtzwart: Emblematum Tyrocinia [1581] 1968, S. 7–10) bzw. „Eingeblömete Zierwerck“, „Gemälpoesy“, „GeheymnußLehren“, „Poetische Geheymnußlehrige Gemäle“, „Lehrgemäl“, „Sinnreiche Erfindungen“, „Poetische Dichtungen“, „Gemälmysterien“, „verdeckte Lehrgemäle“, „Deutungsgemäl“, „Gemäldeutnusse“, „Emblematische Blumwerck vnd Zierarbeyten“ (ebd., Titel und S. 7–11). Vgl. hierzu auch Höpel: Emblem, S. 79 f. 318 Holtzwart: Emblematum Tyrocinia [1581] 1968, S. 12.
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dazu, die Erinnerung an die große Flut aufrecht zu erhalten. Nicht nur die deutsche Sprache sei also nach Meinung mancher biblisch alt – ihre Datierung auf die Zeit des Turmbaus zu Babel ist ein Topos der zeitgenössischen Ursprachendiskussionen und beispielsweise auch bei Pseudo-Berosus (Giovanni Nanni) präsent, dessen völkergeschichtliches Konzept den den Emblematum Tyrocinia im Anhang beigegebenen Eikones cum brevissimis descriptionibus duodecim primorum […] veteris Germaniae Heroum zugrundeliegt319 –, sondern auch die deutsche Wappenkunst. In der Folgezeit sei diese kollektive Memorialkunst in den kriegerischen Kontext überführt worden, und hier hätten sich dann wiederum „die Teutschen“320 besonders hervorgetan, was einerseits an den Wappen der Ritter der Tafelrunde zu sehen sei,321 andererseits an deren Einsatz zur Differenzierung der Adelsgeschlechter seit Friedrich Barbarossa, was von den anderen Nationen imitiert worden sei.322 Das Wappenwesen wird nach Fischart sodann durch die Devisenkunst323 weiterentwickelt, außerdem durch ihre Ausweitung auf sämtliche Stände, Berufsgruppen und sogar Individuen. Auch hier spielt, was Fischart an verschiedenen Beispielen zeigt, das Bewussthalten der Geschichte, mitunter in Form der individuellen Biographie, im Medium des Wappenbilds eine wichtige Rolle.324 Die Transformation der ‚sinnreichen Kunst‘ von der exklusiven, auf die Adelsdomäne bezogenen Heraldik hin zu ihrer Applikation auf andere soziokulturelle Felder, ja letztlich ihre Anpassung an die modernen Gegebenheiten, geht einerseits mit ihrer formalen Weiterentwicklung, andererseits mit ihrer programmatischen Aufarbeitung einher. In den Druckersignets sieht Fischart das emblematische Prinzip in heraldischer Form am stärksten verwirklicht,325 in der Schildkunst des zeitgenössischen Turnierwesens wiederum den historischen Kreis geschlossen, ist doch hier der martialische Aspekt wieder der dominierende.326
319 Vgl. Kap. 2.1.1. 320 Holtzwart: Emblematum Tyrocinia [1581] 1968, S. 13. 321 Die hier zum Beweis auch der Germanisierung des arthurischen Sagenkreises (vgl. ebd., S. 14 und ebd., S. 14, Anm. 57 f.) angeführte Schrift des Johannes Frisius gegen Polydorus Vergilius ist nicht identifizierbar. Als weitere Quelle führt Fischart Paolo Giovios Dialogo dell’Imprese (1555) an. 322 Vgl. Holtzwart: Emblematum Tyrocinia [1581] 1968, S. 14. 323 Vgl. ebd., S. 15. 324 Vgl. ebd., S. 16 f. 325 Zum Druckersignet Jobins vgl. Kap. 1.3. 326 Vgl. Holtzwart: Emblematum Tyrocinia [1581] 1968, S. 17.
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Fischart bricht also eine Lanze für seine eigene Zeit, die es in dieser Lesart in Bezug auf ihre künstlerische Praxis mit der Antike aufnehmen kann und deshalb beste Voraussetzungen für die Entwicklung der „[e]ingeblmeten Kunststcklin“327 bietet. Die deutsche Nation partizipiert so einerseits an der gesamteuropäischen Renaissance, andererseits an der Geschichte der ältesten Völker und erweist sich im historischen Vergleich als die, hier im Falle der Wappenkunst, erfolgreichste. Der Emblemkunst wird in letzter Konsequenz eine germanische Vergangenheit unterstellt, was letzthin die selbstbewusste Ausstellung vernakularer Text- und Traditionsbestandteile in Holtzwarts Emblembuch selbst legitimiert. Die Autonomie deutscher Sprache und Emblematik, die hier zum Ausdruck kommt, wird flankiert von der autochthonen Fundierung der durch sie zu vermittelnden Einsichten und Sitten, ja deren Verortung in uralter germa nischer Vergangenheit, wie sie die lateinisch-deutschen Eikones cum brevissimis descriptionibus duodecim primorum […] veteris Germaniae Heroum Holtzwarts im Anhang der Emblematum Tyrocinia vorführen.328 Daneben ist der Tenor von der Unabhängigkeit der deutschen Kunst, hier der Wappen- und Handwerkskunst als zweier möglicher Quellen der Emblematik, derselbe wie in Fischarts Vorrede zur gemeinsam mit Stimmer verfassten Bilderbibel Neue Künstliche Figuren. Während Fischart dort allerdings die Annäherung an die Emblematik über eine allgemeine Kunsttheorie mit dem Fokus auf der Bildkunst verfolgt, zieht er hier, in der Vorrede zu den Emblematum Tyrocinia, bereits das zeitgenössisch zirkulierende Fachschrifttum zur Emblematik, die Angebote zu ihrer Konzeptualisierung und Historisierung sowie ihre italienisch-rinascimentalen Vorbilder mit ein, unterlässt es aber nicht, wieder eigene Akzente zu setzen.329
3.2.3 Exkurs: Der prekäre Status der Volkssprache in den AlciatoÜbersetzungen Wolfgang Hungers (1542) und Jeremias Helds (1566) Die Verve, mit der Fischart und sein Kreis in den Paratexten und Texten der Portraitbücher, der Bilderbibel und Holtzwarts Emblembuch die deutsche Bildkunst profilieren, vernakulare Traditionen in den Vordergrund rücken und deutsche Sprache und Literatur als autonomes System mit eigener Domäne vertreten, sucht man in den vor den Emblematum Tyrocinia im deutschen Sprachraum kursieren-
327 Ebd., S. 8. 328 Vgl. Kap. 2.1.1. 329 Die Vorstellung von der Dominanz der deutschen Heraldik scheint mir an keiner anderen Stelle präsent.
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den Beiträgen zur Emblemliteratur vergeblich. In der Zeit vor Holtzwarts Versuch einer eigenständigen deutschen Emblematik sind Emblembücher mit deutschen Textanteilen Alciato-Übersetzungen, namentlich die Wolfgang Hungers (1542) und die Jeremias Helds (1566),330 wobei letztere möglicherweise Holtzwart zu seinem eigenen Projekt angeregt hat. Während Hungers lateinische Widmungsvorrede an das junge adlige Brüderpaar Werner und Balthasar von Seyboldsdorf, als deren Lehrer er zeitweise angestellt war,331 umfangreiche Reflexionen über die Bedeutung der Volkssprachen im Übersetzungszusammenhang enthält, fallen eine Generation später bei Held entsprechende Überlegungen eher dürr aus.332 Held333 nennt in der Leservorrede seines bei Sigmund Feyerabend entstandenen lateinisch-deutschen Buchs mehrere Gründe für die Übersetzung und den Entschluss zu ihrer Publikation, so den Reiz des Gegenstands, die Liebe zum Vaterland und die eigene Vorbildfunktion für andere Gelehrte.334 Er sieht sich nicht mehr bemüßigt, seine Übersetzertätigkeit zu verteidigen, seien doch Übersetzungen ins Deutsche längst gang und gäbe, und so wolle auch er dazu beitragen, dass die Emblematik dem „gemeinen Mann“335 zugänglich werde. Dennoch kommt er nicht ganz ohne den Autoritätsbeweis aus, habe doch nicht nur Alciato die Griechische Anthologie rezipiert, sondern auch u. a. Erasmus und Melanchthon. Auf dem Feld der äsopischen Fabeln wiederum habe sich bereits Luther her-
330 Vgl. die vergleichende Analyse bei Elisabeth Klecker: Intermediales Übersetzen? Emblematische Rezeptionsliteratur. In: Die Bedeutung der Rezeptionsliteratur für Bildung und Kultur der Frühen Neuzeit (1400–1750). Hg. von Alfred Noe, Hans-Gert Roloff. Bern u. a. 2012 (Jahrbuch für Internationale Germanistik. Reihe A: Kongressberichte 109), S. 367–404. 331 Vgl. zur Biographie Dennis D. Drysdall: Defence and Illustration of the German Language: Wolfgang Hunger’s Preface to Alciati’s Emblems (text and translation). In: Emblematica 3 (1988), S. 137–160, hier S. 137. 332 In Anbetracht des exkursorischen Charakters des Abschnitts zu den deutschen AlciatoÜbersetzungen wird hier hauptsächlich auf die Paratexte eingegangen, weniger auf die eigentlichen Übersetzungen. Vgl. weiterführend zu Hunger Peter M. Daly: The Intertextuality of Word and Image in Wolfgang Hungerʼs German Translation of Alciato’s Emblematum liber. In: Intertextuality. German Literature and Visual Art from the Renaissance to the Twentieth Century. Hg. von Ingeborg Hoesterey, Ulrich Weisstein. Columbia 1993 (Studies in German literature, linguistics, and culture), S. 30–46; Peter M. Daly: The Emblem and Emblematic Forms in Early Modern Germany. In: Early Modern German Literature 1350–1700. Hg. von Max Reinhart. Rochester 2007 (Camden House History of German Literature 4), S. 509–545. 333 Über seine Biographie ist fast nichts bekannt, vgl. Klecker: Intermediales Übersetzen?, S. 392. 334 Vgl. Andrea Alciato: Liber Emblematum […] Kunstbuch. Übers. von Jeremias Held. Frankfurt a. M.: Sigmund Feyerabend 1566, fol. B3v. Vgl. zu Helds Übersetzung auch Höpel: Emblem, S. 57–66. 335 Ebd.
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vorgetan.336 Held reiht sich also in die Gelehrtenszene nördlich der Alpen ein und wird nicht müde, den hohen Anspruch seiner Vorlage und damit auch des eigenen Werks hervorzuheben. Der besondere Wert der Emblematik liegt, das stellt Held gleich eingangs fest, in ihrem hieroglyphischen Ursprung und ihrer Blüte bei den Griechen, Römern und Ägyptern. Er hebt auf ihre verstandesbildende Dimension ab, auf die Exklusivität der sich in ihr manifestierenden Geheimnislehren sowie auf die Nützlichkeit der Historien, Fabeln und Naturgegenstände, wobei sich die Erforschung letzerer als besonders würdig erweist.337 Doch nicht nur dieser inhaltliche Aspekt ist für Held relevant, auch der ‚ästhetische‘: Die ‚Belustigung‘ der Leser durch diese neuartige Materie wird ebenso unterstrichen wie die ‚Augenweide‘ der Bildkunst.338 Zudem könne durch die poetischen Elemente das Gedächtnis trainiert sowie generell die Sittlichkeit gesteigert werden.339 Die Öffnung der esoterisch-gelehrten Kunstform der Emblematik hin zum deutschen Sprachraum des ‚gemeinen Mannes‘ – der hier eher mit den Angehörigen des Adelsstandes identifiziert wird340 – und die Übersetzung der Epigramme in „gebreuchliche Reymen“341, also in die üblichen Reimpaarverse, hat demnach wenig damit zu tun, Alciatos Emblematik zu vernakularisieren und an deutsche Traditionsbestände oder kulturelle Gegebenheiten anzupassen. Vielmehr geht es Held darum, den Geheimnisraum humanistisch-emblematischen Wissens ein klein wenig für die Lateinunkundigen zu öffnen, ihn dabei aber nach wie vor im gelehrten Kontext verankert zu halten. Die Übersetzungstatsache bleibt hierbei topisch verkürzt und wird kaum programmatisch fruchtbar gemacht. Zwar scheinen die deutschen Reimpaarverse selbst aufgrund ihres größeren Umfangs auf den ersten Blick eine andere Sprache zu sprechen – indem beispielsweise die deutsche Übersetzung des Emblems „Foedera“, das eine Laute in der pictura zeigt, die zwölf lateinischen Verse in sechs Distichen auf insgesamt 26 Reimpaarverse aufbläht342 –, doch generieren sie dabei kaum eine eigene semantische Bewegung.
336 Ebd., fol. B3v. 337 Vgl. ebd., fol. A7v–B1r. 338 Vgl. ebd., fol. B1r f. 339 Vgl. ebd., fol. B1v. 340 Er meint „etlich vom Adel vnd andere ehrliche Leut der Lateinischen Sprach vnerfaren“, ebd., fol. B2r. 341 Ebd., fol. B2r. 342 Beispielsweise werden die lateinischen Verse „Hanc citharam, à Lembi quae forma halieutica fertur// Vendicat et proproam Musa latina sibi“ (ebd., fol. D5v–D6v) übersetzt in (ebd., fol. D5v f.):
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Eine Generation vor Held machte sich der Jurist Wolfgang Hunger erstmals daran, Alciatos Embleme für ein deutsches Publikum zu erschließen.343 Dass seine Übersetzung, 1542 in Paris bei Christian Wechel gedruckt, hier zum Vergleich mit den Schriften aus dem Jobin-Kreis herangezogen wird, ist nicht zuletzt deshalb gut begründet, weil sein Sohn Wolfgang Hunger unter anderem mit der Der Hofleut Wecker (1582), einer Übersetzung von Antonio de Guevaras Relox de príncipes (1529),344 bei Jobin in Erscheinung trat und sogar die lateinische sprachtheoretische Schrift Linguae Germanicae Vindicatio seines Vaters posthum, 1586, bei Jobin herausbrachte.345 Die nur konsequente Vermutung, dass sich das große Interesse des älteren Hunger an der gelehrten Erschließung der deutschen Sprache auch in seiner Alciato-Übersetzung niederschlagen könnte, findet sich in der Tat bestätigt. Hungers Anliegen ist ein zutiefst pädagogisches, jedoch weniger hinsichtlich moralischer Unterweisung, sondern in Bezug auf Sprachdidaxe und Sprachvergleich. Biographisch lässt sich dieses insofern verankern, als Hunger selbst, bevor er in seine bairische Heimat zurückkehrte – 1540 wurde er an die Universität Ingolstadt berufen, ab 1552 bis zu seinem Tod 1555 war er bischöflicher Rat in Freising –,346 lange Jahre in Frankreich u. a. als Erzieher wirkte. Seinen eigenen Angaben zufolge wollte er, als er die französische AlciatoAusgabe Jean Le Fèvres kennenlernte, im Deutschen Ähnliches leisten, und zwar auch, um mittels der Übersetzungsübung an der eigenen Sprachkompetenz unter den Auspizien der Latinität zu arbeiten, seinen Stil zu bessern, und das latinisierte Deutsch in letzter Konsequenz auch in sein juridisches Fachschrifttum zu implementieren:347 eine klare Frontstellung gegenüber dem zeitgenössisch in Kanzleien bzw. an Höfen praktizierten Verwaltungsdeutsch, das eben nicht auf den Stilprinzipien der Latinität fuße.348 Das französische Emblembuch dient hierbei als Vorbild für das deutsche Projekt, allerdings nur strukturell: Hunger
Diß Laut so hat ein Schiffleins gstalt Das d Fischer brauchen manigfalt Welche die Studenten so glehrt Fr eigen halten on gwehrt. 343 Vermutlich hatte er bei Alciato selbst in Bourges studiert, vgl. Klecker: Intermediales Übersetzen?, S. 380. 344 Vgl. zu den Straßburger Guevara-Übersetzungen ausführlicher Brockstieger: Spielarten moralistischer Prosa im 16. Jahrhundert. 345 Vgl. hierzu Kap. 2.1.1. 346 Vgl. Drysdall: Defence, S. 137. 347 Vgl. Andrea Alciato: Emblematum libellus […]. Übers. von Wofgang Hunger. Paris: Christian Wechel 1542, S. 4 f. Vgl. auch Drysdall: Defence, S. 138 f. 348 Zur Konkurenz mit der Kanzleisprache vgl. Alciato, Hunger: Emblematum libellus, S. 9 f. und Drysdall: Defence, S. 140.
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übersetzt aus dem Lateinischen, verspricht sich aber vom direkten Vergleich mit der französischen Übersetzung unmittelbaren Gewinn für seine Sprachkom petenz, sowohl im Deutschen, das ihm während seines Frankreich-Aufenthalts zunehmend fremd geworden war, als auch im Französischen: [V]idebar vel in primis operae pretium facturus, si ad faciliorem mihi acquirendam copiam, cultúmque lautiorem linguae nostratis Germanicae, in quam planè hospes è Galliis redie ram, succisivae aliquid operae collocarem. […] Porrò dum interim etiam Gallicanae linguae qualemcunque cognitionem, quoad fieri posset, alere ac conservare cupio […].349
Diese über die Juxtaposition dreier Sprachen erzielte didaktische Dynamik plante Hunger auch in Form einer dreisprachigen, für den Sprachunterricht gedachten Alciato-Ausgabe umzusetzen, was aber offenbar am Drucker scheiterte. Dass sich Wechel für separate Ausgaben – die lateinisch-französische mit Le Fèvres Übersetzungen von 1536, 1540 und 1542350 sowie die lateinisch-deutsche von Hunger – entschied, scheint auch mit seinem fundierten Verständnis von der Emblematik als intermedial-kombinatorischer Kunstform zusammenzuhängen:351 Die mehrsprachigen Textanteile hätten nicht auf die der pictura gegenüberliegende Seite gepasst, was die emblematische Struktur gestört hätte, außerdem sei nicht bei jedem Leser das Interesse an beiden Sprachen gleichermaßen hoch – wer also zu Studienzwecken den direkten Vergleich suche, könne einfach die beiden Aus gaben nebeneinander legen.352
349 Alciato, Hunger: Emblematum libellus, S. 4 f. 350 Vgl. Drysdall: Defence, S. 159, Anm. 7. 351 Zu dieser Deutung vgl. ebd., S. 139. 352 Vgl. Alciato, Hunger: Emblematum libellus, S. 2. Hunger hatte außerdem einen Kommentar zu seiner Ausgabe angedacht, der nie veröffentlicht wurde, angeblich auch aus Furcht vor Angriffen gelehrter Gegner (vgl. ebd., S. 11 f.) – womit er die kurz darauf einsetzende Mode der Alciato-Kommentare, u. a. von Barthelémy Aneau, gewissermaßen antizipiert hätte, vgl. Drysdall: Defence, S. 141 f. Die Zusammenarbeit zwischen Drucker, Autor und Künstler scheint im vorliegenden Fall prinzipiell recht konfliktuös gewesen zu sein: Auch die vom Drucker bei Hunger angeforderten Beschreibungen der Illustrationen des Alciato-Supplements – gedacht als Vorlage für den Holzschneider, die Hunger zähneknirschend lieferte (vgl. Alciato, Hunger: Emblematum libellus, S. 6) – wurden ebenso wenig in die Tat umgesetzt, wie generell die zusätzlichen Alciato-Embleme keinen Eingang mehr in die Hunger-Ausgabe fanden, vgl. Drysdall: Defence, S. 141. Der Drucker Wechel wiederum schiebt dieses Versäumnis in seiner Vorrede auf das Versagen des Künstlers: „Quòd autem accessionem illam non poenitendam Emblematum, quibus auctiorem proditurum librum profitetur idem autor, sis desideraturus, fecit hoc insignis perfidia sculptoris, cuius fidei typos depictos concredideramus“, Alciato, Hunger: Emblematum libellus, S. 2.
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Eindeutig liegt also Hungers Fokus auf den sprachlichen Bestandteilen des Emblems:353 Im Zentrum seiner konzeptuellen wie praktischen Bemühungen steht die Qualität der vernakularen Verse, die im Vergleich mit der lateinischen Vorlage bestehen müssen. Sie repräsentieren dabei jedoch nicht eine eigene Domäne, wie dies in Holtzwarts Emblematum Tyrocinia der Fall ist, sondern sie werden an das Lateinische herangeschrieben. So handelt es sich von vorneherein um einen paragone unter schiefen Bedingungen, macht doch Hunger in seiner Vorrede mehr als deutlich, dass weder das Deutsche noch das Französische, ja sogar nicht einmal das Italienische an das Niveau des Lateinischen herankämen.354 Zum besseren Vergleich der deutschen und französischen Verse habe er dieselbe Art von Versen verwendet: „[E]odem rhythmorum genere uti libuit, quo evidentiùs nostra lingua cum Gallica tanquàm committeretur.“355 Hunger gießt die lateinischen Hexameter in die gängigen Achtsilbler – „pro recepto nostris more octonas syllabas observavi“356 –, zumeist nach dem Reimschema a-b-a-b-b-c-b-c, wobei er im Gegensatz zu Held die lateinischen Distichen bei weitem nicht so stark erweiternd übersetzt, ja sogar zuweilen sogar kürzt.357 Die deutschen Verse und Versausgänge hält Hunger wegen der Tendenz des Deutschen zu ‚harten‘ einsilbigen Wörtern für ‚rauh‘, was ihnen einen Nachteil gegenüber den französischen verschaffe, bei denen männliche und weibliche ‚Reime‘, also Versausgänge, von Natur aus gern alternieren und somit einen weicheren Eindruck vermitteln:
353 Klecker hebt stattdessen bei ihrer Analyse der Embleme die starke Aussagekraft der pic turae hervor, ein Gegensatz, der dem Emblembuch zusätzliche Spannung verleihe, vgl. Klecker: Intermediales Übersetzen?, S. 379–391. Vgl. ähnlich auch Höpel: Emblem, S. 54–46, die auf das Konzept der Bilderschrift abhebt und damit die entsprechende Aussage aus der Widmung – „[o]n gschrift redt doch ein solich bild“, Alciato, Hunger: Emblematum libellus, S. 17 – ins Zentrum ihrer Überlegungen stellt. 354 Die Forschung hat in den deutschen Texten einen geringeren Anspielungsreichtum mit weniger intellektuellem Reiz festgestellt, vgl. Daly: The Emblem, S. 514–521; Daly: Intertextuality. 355 Alciato, Hunger: Emblematum libellus, S. 9. 356 Ebd. 357 So lautet Hungers Übersetzung des bereits oben im Zusammenhang mit Helds Übersetzung behandelten Emblems „Foedera“ (ebd., S. 20 f.): So du Furst yetz zu dieser zeyt Machst newe bundnuß, schenck ich dier Ein lautten, merck was die bedeyt, Vnd nim sy gnediklich von mier. Ein lautte hallt mit grosser zier, Soll nicht wo nur ein saytt abschnolt: Ein steter bund schreckt alle thier, Gilt nicht, wo nur ein bundhnoß solt.
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Nostri autem rhythmi praeter monosyllaborum asperitatem, quibus lingua Germanica plena est, Gallicanorum suavitati ideò quoque meritò cedunt, quòd ubique pro recepto nostris more octonas syllabas observavi, quum Galli magna licentia nescio quos masculos à foemellis segregent, ut taceam reliqua, quibus in hoc genere nobis sunt foeliciores.358
Wenn Hunger also zum Vergleich der beiden Sprachen hinsichtlich der Oppositionen „uberta[s], inopia[ ], suavita[s], rudita[s], mollitie[s] aut asperita[s]“359 aufruft, ist klar, dass das Deutsche aufgrund seiner natürlichen Beschaffenheit den Kürzeren ziehen muss. Ist das Deutsche also im direkten paragone mit den romanischen Sprachen, namentlich dem Französischen, der Verlierer, müssen wiederum alle Vernakularsprachen selbst hinter dem Lateinischen zurückstehen: „Praetereà nihil obscurè hîc perspicitur, quàm frigidi et insuaves sint cuiusvis linguae rhythmi, ad tersissimas Musas Latinorum: etsi his Itali iam multis ab annis magno fastu et subercilio Thuscanas suas Camoenas non modò aequare, verùm etiam, si diis placet, anteponere adfectent.“360 Den humanistischen Bemühungen um das Toskanische durch Bembo und andere erteilt Hunger damit eine klare Absage. Für das Deutsche folgt daraus, dass es sich über die Übersetzungsexerzitien, denen sich auch Hunger unterwirft, und durch die sich dabei einstellende befruchtende Wirkung des Lateinischen stetig zu bessern und damit den Abstand zumal zum Französischen beständig zu verringern vermag, dass es sich jedoch dem Latei nischen lediglich asymptotisch annähern kann. Deckungsgleiche imitatio oder gar aemulatio des Lateinischen im Medium des Deutschen ist unmöglich. Wenngleich Hunger mit der Übersetzung der Emblemtexte und der damit verbundenen Veredelung der deutschen Sprache also durchaus ein sprachpatriotisches Projekt verfolgt, ist doch der Status der deutschen Verse als ein subalterner definiert. Einschränkend sei konzediert, dass Hunger an anderer Stelle, wenn es weniger um Versifikation und Prosodie und mehr um die Sprachgeschichte des Deutschen geht, eine selbstbewusstere Haltung zumal gegenüber dem Französischen einnimmt: In seiner posthum bei Jobin gedruckten Linguae Germanicae Vindicatio (1586) verteidigt er das Deutsche geradezu gegen die Ansprüche des Französischen. Die Schattenseite des Deutschen in Form seiner Sperrigkeit auf dem Feld der Verssprache will er in seiner Alciato-Übersetzung so gut es geht glätten, aber keinesfalls beheben.361 Held und Hunger sind beide kaum um eine Akkulturierung der Emblematik in den Wissens- und Sprachraum des Deutschen bemüht. Im Gegenteil: Hunger
358 Ebd., S. 9. 359 Ebd. 360 Ebd. 361 Vgl. Kap. 2.1.1.
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versucht, den deutschen Sprachgebrauch an die lateinische Stilistik heranzuführen, wohlwissend, dass ihr jener nie ebenbürtig sein kann. Die (lautlichen) Eigenheiten des Deutschen werden als Mangel wahrgenommen. Indem sich dagegen Holtzwart mit seinen Emblematum Tyrocinia erstmals in der Geschichte der deutschsprachigen Emblematik von der Autorität Alciatos löst und zugleich von der reinen Übersetzungstätigkeit zur selbständigen, aus den verschiedensten Traditionen wie Quellen schöpfenden Konstruktion eines eigenen Emblembuchs übergeht, ist er auch in den Stand gesetzt, ‚das Eigene‘ des Deutschen in den Raum emblematischen Denkens zu integrieren. Die deutschen Embleme erscheinen bei Holtzwart eben nicht als Derivate der lateinischen, was in nicht unerheblichem Maße daran liegt, dass sie den ihnen eigenen Sinn ebenfalls – bzw. in einigen Fällen sogar besser als ihre lateinischen Pendants – in der Kombination von Bild und Text entfalten. Das bildkünstlerische Element ist also unabdingbar für die Demonstration der Potenz von Holtzwarts deutschen Emblemen, was aufgrund der starken Affinität Jobins zu Holzschneiderei und Malerei nicht überrascht: Wie sich Jobin und seine Mitarbeiter unter anderem in praxi über andere künstlerische Formen wie die Bilderbibel oder das Portraitbuch an emblematische Strukturen herantasten, so kommt auch bei der diskursiven Ausarbeitung der Emblematik in Fischarts Vorrede zu Holtzwarts Emblematum Tyrocinia der bildenen Kunst eine tragende Rolle zu. An ihrer Herleitung aus der Bild- und Handwerkskunst wird auch das Bemühen erkennbar, die Emblematik als neue und vor allem eigenständige Kunstform zu erfassen und sie nicht nur auf ihre sprachliche Ausdrucksseite zu reduzieren. Zwar berücksichtigen auch Held und Hunger die visuelle Seite des Emblems und rechnen sogar mit einem entsprechenden Fachpublikum für ihre Bücher, was sich vor allem in der Art ihrer Übersetzung des Alciato-Titels nieder schlägt: Held setzt für „Liber Emblematum“ „Kunstbuch […] allen liebhabern der freyen Knst/ auch Malern/ Goldschmiden/ Seidenstickern vnd Bildhauwern/ jetzund zu sonderm nutz vnd gebrauch verteutscht“362, Hunger wiederum nennt ihn „buechle der verschroten werck“ und spricht mit Alciato in der Widmung an Konrad Peutinger von der [b]erumbter kunstler bossen vil, Welich mag brauchen yederman, Wo man was sol haymlich uerstan. In klayd, teppich, tisch, oder schilt On gschrift redt doch ein solich bild.363
362 Alciato, Held: Liber Emblematum […] Kunstbuch, Titel. 363 Alciato, Hunger: Emblematum libellus, S. 17.
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Doch ist es Fischarts und Holtzwarts Verdienst, die Entscheidung für eine bestimmte Terminologie mit einer Ursprungserzählung zu motivieren, dabei sinnvoll das bildkünstlerische Element als notwendiges Merkmal der Emblematik in den gattungshistorischen Entwurf zu integrieren und über diese Operationen auch das vernakulare Moment als konstitutiv für die Gattungskonzeption zu profilieren. Die neue Gattung der Emblematik schält sich in Fischarts Entwurf aus verschiedenen, besonders auch den germanischen Traditionslinien heraus, was Holtzwart wiederum auf der Ebene seiner Embleme abbildet. Über den ‚unorthodoxen‘ Rekurs auf die Domäne des Deutschen und damit auf ‚die andere Tradition‘ – sowie über die Sinn konstituierende Kombination von Bild- und Textkunst – lassen sie die Emblematik als echte Neuheit im Gattungsspektrum erscheinen und schreiben ihr zugleich die Würde des hohen Alters zu.
3.2.4 Enzyklopädische Amalgame: Nikolaus Reusners Aureolorum Emblematum Liber (1587) im Kontext Mathias Holtzwarts anspruchsvollem Versuch, die Emblematik auf vernakulare Füße zu stellen, sollte keine weitere Auflage beschieden sein. Allerdings gehen seine Emblematum Tyrocinia in modifizierter Art und Weise in Nikolaus Reusners zweisprachigem Emblembuch Aureolorum Emblematum Liber (1587) auf, das sechs Jahre später erstmals bei Bernhard Jobin herauskam und eine weitere Ausgabe im Jahre 1591 erlebte. Die Umorganisation der Holtzwart’schen Embleme durch Reusner erfolgt unter den Vorzeichen des neulateinischen Humanismus, geht dabei jedoch, wie zu zeigen sein wird, eine merkwürdige Wahlverwandtschaft mit Elementen der volkssprachigen Kultur ein. Zum besseren Verständnis der dabei greifenden Verfahren lohnt der Blick auf das gelehrte Profil und die personellen Vernetzungen Reusners, der zu diesem Zeitpunkt produktives Mitglied der humanistischen Gelehrtenrepublik war und sich im Umkreis des berühmten Druckerverlegers Sigmund Feyerabend in Frankfurt am Main bereits mit emblematischen Arbeiten hervorgetan hatte. 3.2.4.1 Nikolaus Reusners emblematische Vorarbeiten in Frankfurt und Straßburg Der Rechtsgelehrte Reusner war seit 1572 Rektor des Gymnasium illustre in Lauingen, bevor er nach seiner Promotion zum Doktor beider Rechte in Basel im Jahr 1583 als Jura-Professor an die Straßburger Akademie berufen wurde. Seine Straßburger Zeit, in die auch die Zusammenarbeit mit Jobin fiel, endete 1588 mit dem
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Ruf an die Universität in Jena, wo er zusätzlich zu seiner Professur mit hohen juristischen Ämtern ausgestattet wurde. Sein reichhaltiges Werk umfasst – neben den oben diskutierten Portraitbüchern – Schriften jedweder Couleur, von juristischen Fachpublikationen über naturwissenschaftliche Abhandlungen und politische Stellungnahmen hin zu poetischen und philosophischen Unternehmungen. Aufgrund seiner Verdienste wurde er zum Poeta laureatus gekrönt und in den Erbadel erhoben.364 Sein erstes Werk, das ihn auf emblematische Bahnen führte,365 war die 1580 bei Johann Spies, dem Drucker des Faust-Buchs, in Verlegung Sigmund Feyerabends herausgebrachte lateinische Picta Poesis Ovidiana. Zwar ordnet sich Reusner mit diesem Buch, anders als es bei illustrierten Ovid-Ausgaben vor ihm der Fall war, laut Bodo Guthmüller qua an Aeneas gemahnenden Titel „ausdrücklich in die Tradition der Emblematik ein“366, doch ist eine solche Kategorisierung nicht so eindeutig, wie sie klingt. Reusner versammelt hier Auszüge aus dem Originaltext sowie die Epigramme verschiedener antiker Autoren und neulateinischer Ovid-Bearbeiter, darunter auch seine eigenen sowie, in einem solchen Umfang, dass es ihm sogar einen Hinweis auf dem Titelblatt wert ist, diejenigen des italienischen Humanisten Fausto Sabeo,367 ordnet sie thematisch an und dann in Gruppen einem passenden Holzschnitt zu. Reusners Bruder Elias gebraucht in seiner Vorrede zur Charakterisierung dieser Kunstform den Terminus des Emblems und spricht von den „Agalmata, sive Emblemata, ad P. Ovidii Nasonis Metamorphosin artificiosè efficta: et Fausti Sabaei aliorumque illustrium Poetarum Epigrammatis illustrata“368. Die Zielsetzung des Buches ist eine dreifache, nämlich die Förderung der Sitten, der Gelehrsamkeit und der (lateinischen) Sprache, handle es sich bei Ovids Metamorphosen doch gleichsam um ein „Chronicon […] veteris historiae Graecae, et Romanae“ sowie um einen „amplissimus thesaurus eruditionis, sapientiaeque
364 Einen Überblick über die Biographie bietet Michael Schilling: Nachwort. In: Nikolaus Reusner: Emblemata Partim Ethica, Et Physica: Partim vero Historica & Hieroglyphica (Frankfurt am Main 1581). Ndr. mit einem Nachwort und Register von Michael Schilling. Hildesheim u. a. 1990 (Emblematisches Kabinett o. N.), S. 1*–16*, hier S. 1* f. 365 Mario Praz nennt nur seine Emblemata partim ethica, et physica (1581), den Aureolorum Emblematum Liber (1587) und die Symbola Imperatoriorum (1588, bei Spies in Frankfurt) als Emblembücher im eigentlichen Sinne, vgl. Praz: Studies, S. 469 f. 366 Bodo Guthmüller: Picta Poesis Ovidiana. In: Renatae Litterae. Studien zum Nachleben der Antike und zur europäischen Renaissance. August Buck zum 60. Geburtstag. Hg. von Klaus Heitmann, Eckhart Schroeder. Frankfurt a. M. 1973, S. 167–188, hier S. 186. 367 Vgl. Nikolaus Reusner: Picta Poesis Ovidiana […]. Frankfurt a. M.: Johann Spies (Drucker), Sigmund Feyerabend (Verleger) 1580, Titel. Eine Liste aller Poeten findet sich in ebd., fol. 4r–4v. 368 Ebd., fol. 2v.
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universae“, dessen Lektüre „non solùm ad informandos mores: verùm etiam ad multiplicem doctrinam, eloquentiamque comparandam“369 tauglich sei. Das Buch seines Bruders möge außerdem nicht nur wegen des ertragreichen Inhalts und der Qualität der lateinischen Epigramme, sondern gerade auch aufgrund des künstlerischen Zusammenspiels von Bild und Text geschätzt werden: „non solùm ob Poesin, sed et Picturam, et utriusque artificium […].“370 Dieses funktioniert allerdings noch nicht im bekannten emblematischen Dreischritt vom Motto über die pictura hin zur subscriptio. Auch wenn der Nutzen, der aus der Lektüre gewonnen werden soll, klar definiert ist, orientiert sich der Gesamtaufbau des Buchs an dem der Vorlage Ovids, bleiben die Epigramme stark in der Narration verhaftet, ähneln die Bildüberschriften Kapitelbezeichnungen und dienen die Holzschnitte der Illustration des erzählten Sachverhalts, wie beispielhaft an der Semele-Episode (vgl. Abb. 21a und 21b) zu sehen ist. Es ist die erzählende Literatur Ovids, die über ihre episodische Struktur einen Ordnungsanker für die Gliederung der Picta Poesis Ovidiana bereithält: Noch liegt der quasi-emblematische Fokus auf der Aussagekraft der mythologischen Beispielerzählung, die in der ‚eigentlichen‘ Emblematik keineswegs aufgegeben, jedoch vielmehr anderen sinnstiftenden Elementen an die Seite gestellt ist: historischen Exempeln im engeren Sinne, Sprichwörtern, Sentenzen und, nicht zu vergessen, verrätselten Darstellungen in der pictura, die, stets aufs Neue anders kombiniert, zu neuer Bedeutung geführt werden können. Die Geburt der Emblematik aus der Narration, wie sie die Picta Poesis Ovidiana vorführt,371 ist ein Beitrag zur praktisch präsenten sowie theoretisch geführten Gattungsdiskussion in der Formierungsphase der noch jungen Kunstform und wird auch für den Aureolorum Emblematum Liber nochmals eine gewisse Rolle spielen. Reusner koppelt zudem seinen künstlerischen Anspruch an den gelehrt-enzyklopädischen: Er inszeniert sich als kenntnisreicher Mythograph, der aus dem vollen Reservoir der antiken wie zeitgenössischen Ovid-Rezeption schöpft und, indem er seine eigenen Epigramme in den Chor der Autoritäten einreiht, sich selbst der humanistischen Elite zuschreibt. Einen anderen Zugang zur Bild-Text-Kunst wählt Reusner in seinen ebenfalls ausschließlich lateinischen Emblemata Partim Ethica, Et Physica: Partim vero Historica & Hieroglyphica, die 1581 im Verlag Sigmund Feyerabend beim Drucker Johann Feyerabend veröffentlicht werden und in die auch einige Holz-
369 Ebd. 370 Ebd. 371 Ähnlich auch die Aesopi Phrygis Fabulae, Elegantissimis Eiconibus […] adumbrantes […] (1566) des Johannes Posthius.
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schnitte sowie Epigramme aus der Picta Poesis Ovidiana eingehen.372 Das Bildmaterial stammt ausschließlich von Virgil Solis und Jost Amman.373 Herausgeber ist ein zweiter Bruder Reusners, Jeremias Reusner, auf den die Textauswahl und -anordnung zurückgeht, wobei davon auszugehen ist, dass die Holzschnitte erst im Nachhinein die textuelle Konzeption zu vervollständigen halfen.374 Der erste Teil besteht aus vier Büchern an Emblemata, der zweite Teil aus Reusners Emble mata Sacra, der vierte aus drei Büchern von Stemmata, also Epigrammen auf Devisen und Wappen von Adligen, höhergestellten Persönlichkeiten des öffent lichen Lebens sowie Gelehrten, der fünfte aus den Empfehlungen des Hieronymus Wolf und Paulus Manutius zu den für kanonisch zu haltenden antiken Poeten, der sechste aus Briefen von Humanistenkollegen an Nikolaus Reusner. Zuletzt findet sich im Anhang eine nach Wissensgebieten geordnete Darstellung der Werke Reusners. Eingeleitet wird das Konvolut von der Widmungsepistel Jeremias Reusners an Adam von Dietrichstein, von Lobgedichten berühmter Humanisten sowie von einem Epigramm des Johannes Posthius auf den großen Frankfurter Juristen Johannes Fichard, der in die Produktion des Buchs aktiv involviert war.375 Beim Inhalt des vierten Buchs der Emblemata sowie bei den Stemmata handelt es sich um sogenannte Emblemata nuda, also um Motti und Epigramme ohne Holzschnitte. Die Embleme sind, zumal im ersten Teil, nicht streng geordnet. Ein klarer Schwerpunkt liegt, anders als in der Picta Poesis Ovidiana, auf der Sittenlehre, eine Tendenz, die Jeremias Reusner in seiner Vorrede auch programmatisch festhält.376 Er hebt ganz im Sinne des bereits zum Topos verfestigten Verweises auf Horaz und die ut pictura poesis-Lehre darauf ab, dass sich die beiden deutschen (!)
372 Vgl. Arthur Henkel, Albrecht Schöne (Hg.): Emblemata. Handbuch zur Sinnbildkunst des XVI. und XVII. Jahrhunderts. Taschenausgabe. Stuttgart, Weimar 1996, S. L. 373 Neben der Picta Poesis Ovidiana lassen sich u. a. folgende Quellen identifizieren: Jost Ammans Neuwe Biblische Figuren (1571), Alciato, Georg Schallers und Jost Ammans Thierbuch (1579), Johannes Posthiusʼ Aesopi Phrygis Fabulae, Elegantissimis Eiconibus […] adumbrantes […] (1566), vgl. Schilling: Nachwort, S. 5*–7*. 374 Vgl. Schilling: Nachwort, S. 7* f. 375 Detailliertere Informationen zur Feingliederung der einzelnen Teile finden sich ebd., S. 2*– 5*. Zur nicht endgültig geklärten Rolle des Johannes Fichard vgl. ebd., S. 5*, 8*. Dass es sich hier um eine Widmung an Johann Fischart handeln soll, ist ein Missverständnis. Zum Gedicht auf Fichard vgl. Nikolaus Reusner: Emblemata Partim Ethica, Et Physica: Partim vero Historica & Hieroglyphica (Frankfurt a. M. 1581). Ndr. mit einem Nachwort und Register von Michael Schilling. Hildesheim u. a. 1990 (Emblematisches Kabinett o. N.), fol. B4r. 376 Zur Ordnung der Embleme vgl. Schilling: Nachwort, S. 3*. Die christliche Auslegung der antiken Mythologie, Geschichte und der Natur sowie die Kunst sind weitere zentrale Themen, vgl. ebd.
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Kunstformen von Dichtung und Bildkunst in der Emblematik verschränken, sich – ganz im Sinne des idealtypischen Emblemaufbaus – gegenseitig beleuchten und in diesem Verbund sprachliche wie moralische Unterweisung transportieren: [D]ici potest, Poesin esse picturam loquentem: picturam autem mutam poesin. Ex hoc genere sunt Emblemata: in quibus […] artes illae germanae quodammodò, et cognatae, […] copulataeque sunt: […] quarum una interpretatur alteram: et […] optimam et vivendi, et dicendi rationem demonstrat.377
Diesem Auftrag gemäß finden sich nun auch Sentenzen in den Motti. Dass das gesamte Buch daneben den Zweck hat, Reusners Status als wichtiges Mitglied der respublica litteraria zu definieren und zu fördern, zeigt nicht nur die im Anhang abgedruckte Briefkorrespondenz, sondern auch die Tatsache, dass alle Embleme, nicht nur diejenigen, die Devisen verarbeiten und bei denen es deshalb naheliegt, als vierten Bestandteil eine Widmung enthalten.378 Zugleich inszeniert sich Reusner als Kenner zeitgenössischer Emblematiker – Andrea Alciato, Johannes Sambucus, Théodore de Bèze und andere nennt sein Bruder in der Vorrede379 –, die er mit seinem eigenen Buch zu aemulieren gedenkt.380 Auch wenn dieses Selbstverständnis auf die Vorstellung von der Emblematik als bereits verfestigter Gattung hinweist, finden sich doch Indizien dafür, dass die Aushandlungen über ihre Formen und Funktionen in vollem Gange sind.381 So wird hier noch verstärkt mit exemplarischen Darstellungen in der pictura gearbeitet – was durchaus der in der Picta Poesis Ovididana beobachteten Narrativität der frühen Quasi-Emblematik entspricht –, weniger mit allegorischen oder gar symbolischen.382 Zudem wird über die Widmungen die schon in der Theorie des sechzehnten Jahrhunderts geforderte Differenzierung zwischen dem Emblem, das eine allgemein oder situativ verbindliche Wahrheit zu vermitteln habe, und der Devise bzw. der Imprese aufgehoben, auch wenn letztere historisch betrachtet für die Genese der Emblematik keine unwichtige Rolle spielen, ja auch von Fischart in seiner Vorrede zu Holtzwarts Emblembuch in diesem Zusammenhang gesehen werden und diejenigen Werke, die als
377 Reusner: Emblemata, fol. A3v. 378 Vgl. Schilling: Nachwort, S. 8* f., 14*. 379 Zu weiteren Reusner bekannten Emblematikern vgl. Schilling: Nachwort, S. 9* f. 380 So die Aussage der Vorrede: „Fuit verò […] non infelix […] aut imperitus imitator, atque aemulus“, Reusner: Emblemata, fol. A4r. Zu einem in diesem Sinne programmatischen Emblem vgl. Schilling: Nachwort, S. 10* – hier werden noch weitere aemulative Verfahren skizziert. 381 Vgl. Schilling: Nachwort, S. 11*. 382 Vgl. zum Neben- und Ineinander allegorischer und exemplarischer Verfahren ebd., S. 9*.
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erste im deutschsprachigen Raum heute als Emblembücher gelten, heraldische sind.383 Mit seinen lateinischen Emblembüchern positioniert sich Reusner klar im Feld der elaborierten, neulateinischen, von der italienischen Renaissancephilosophie beeinflussten Emblematik. Diesen gelehrten Anspruch verfolgt er auch in den ersten Schriften, die er bei Jobin herausbringt. 1584 veröffentlichte Jobin den Ianuarius, Sive Fastorum Sacrorum Et Historicorum Liber Primus […], wobei wieder Reusners Bruder Elias die Widmungsepistel, gerichtet an Ludwig, Herzog von Württemberg und Mömpelgard, beisteuert. In der Nachfolge der Fasti Ovids handelt es sich hier um einen poetischen Kalender für den Monat Januar, der neben Gedichten auf Festtage von Heiligen oder aus dem Kirchenjahr auch solche auf Herrscher, Gelehrte, Dichter und deren Geburts- oder Sterbetage enthält und diese aus dem Reservoir der antiken wie neulateinischen Poesie zusammenstellt.384 Einen ähnlichen Sammlungscharakter besitzen die ein Jahr später ebenfalls bei Jobin gedruckten De Italia, Regione Europae Nobilissima Libri Duo, in denen das geographische, topographische, historische und poetische Wissen über die Wiege des Humanismus geordnet ist. Als wichtigste Quelle dient Reusner hierfür die 1566 von Wilhelm Kyriander ins Lateinische übersetzte Descrizione d’Italia (1550) des Leandro Alberti.385 Reusner arbeitet sich in bester topischer Manier vom Allgemeinen zum Besonderen vor, so anfangs vom Lob Italiens – in Prosaoder Versform, d. h. meist in Distichen, aus eigener Feder sowie kompiliert aus verschiedenen antiken wie zeitgenössischen lateinischen Poeten386 – über die Darstellung der Frühgeschichte hin zur geographischen Gestalt, der Einteilung in Provinzen und der Beschreibung einzelner Städte und Monumente.387 Das Schema bleibt dabei gleich: Einem kurzen Abriss über den Gegenstand, beispielsweise der Vorstellung der Stadt Cremona, folgen Preisgedichte der laus
383 Vgl. ebd., S. 12*. Dass es sich dabei um ein echtes Interesse Reusners gehandelt haben muss, zeigen seine ausschließlich den Devisen gewidmeten späteren Werke, nämlich die in Frankfurt gedruckten Symbola Imperatoriorum (1588) sowie der Symbolorum Heroicorum Liber Singularis (1608). 384 Zumeist handelt es sich um Epigramme bestehend aus Distichen, es finden sich aber auch Prosaelogien, vgl. beispielsweise Nikolaus Reusner: Ianuarius, Sive Fastorum Sacrorum Et Historicorum Liber Primus […]. Hg. von Elias Reusner. Straßburg: Bernhard Jobin 1584, fol. 26v. 385 Vgl. Nikolaus Reusner: De Italia, Regione Europae Nobilissima Libri Duo […]. Straßburg: Bernhard Jobin 1585, fol. α3v. 386 Vgl. zum Lob Italiens ebd., S. 1–8. 387 Zu seiner Methode vgl. ebd., fol. α4r f.
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urbis-Tradition, im Falle Cremonas Reusners selbst, Martials, Julius Caesar Scaligers und anderer.388 Auch mit De Italia verfolgt Reusner einen enzyklopädischen Anspruch, d. h. es geht ihm, so lässt er in seiner Widmungsvorrede verlauten, um Konservierung und Ausstellung ganz besonders des historischen Wissens.389 Dessen besonderer Wert bestehe in der Vorzüglichkeit Italiens, gehe doch hier die Schönheit von Bildkunst, Architektur und Sprache mit derjenigen der Sitten eine ideale Verbindung ein.390 Die Sammlung von enzyklopädischem und besonders ethischem Wissen in der Kombination von Textrezeption und Anschauung, wie sie für die Emblematik konstitutiv ist, ist auch in diesem Buch verwirklicht: Einerseits soll es der Vorbereitung zukünftiger Italienreisen, zumal derjenigen der adligen Jugend,391 dienen und somit den Augenschein antizipieren, andererseits auch während der Lektüre in der Imagination die Italienbilder wachrufen, die die sprachlichen descriptiones ekphrastisch liefern.392 An der Stelle sentenzhafter Lebenslehren oder Handlungsanweisungen steht hier die topische Ordnung Italiens, die in sich die humanistische Spielart der Kalokagathie – nämlich die Konvergenz von Schönheit in der Kunst und den Sitten – enthält, nicht zuletzt weil in ihrer natürlichen wie kulturellen Landschaft die memoria der Antike physisch eingeschrieben ist. Sowohl an den (quasi-)emblematischen Werken Reusners, die dem Aureolorum Emblematum Liber vorangehen und dem Umkreis der Offizin Sigmund Feyera bends entstammen, als auch an seinen weiteren bei Jobin gedruckten Schriften ist also abzulesen, dass Reusner zutiefst in der vom italienischen Renaissancehumanismus geprägten neulateinischen Gelehrtenkultur verankert ist. Emblematische Denkstrukturen entfalten sich in seinen Texten aus den Ordnungen der Narration, der Enzyklopädik, der Portraitkunst, der Wappen-, Impresen- und Devisenkunst sowie, doch dies erscheint eher sekundär, der Didaktik. Diese gelehrten Anliegen gehen in seinem zweisprachigen Aureolorum Emblematum Liber insofern eine besonders spannungsvolle Symbiose ein, als sie dort zu entsprechenden vernakularen Traditionsbeständen in Beziehung gesetzt werden. Diese spe-
388 Vgl. ebd., S. 173–181. 389 Vgl. ebd., fol. α2v. 390 Vgl. ebd., fol. α3v. 391 Vgl. ebd., fol. α8r. Es scheint, als hätte Reusner das Werk Albertis bzw. Kyrianders für zu umfangreich und reiseuntauglich gehalten und sich deshalb um eine verkürzte Version bemüht, vgl. ebd., fol. α4r f. Allerdings ist auch De Italia mit etwa 450 Seiten nicht gerade knapp gehalten. 392 Reusner spricht explizit vom Wert des Buches – seiner Hauptquelle, aber, so darf gefolgert werden, auch seines eigenen Buchs – für die Daheimgebliebenen, vgl. ebd., fol. α4r.
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zifische Dynamik resultiert nicht zuletzt daraus, dass es sich beim Aureolorum Emblematum Liber in weiten Teilen um eine Umarbeitung von Holtzwarts Emblematum Tyrocinia handelt.393 3.2.4.2 Der Aureolorum Emblematum Liber (1587) zwischen Johann Christoph Artopoeusʼ Ismenius-Übersetzung (1573), Johann Fischarts Ehzuchtbüchlin (1578) und Mathias Holtzwarts Emblematum Tyrocinia (1581) Über die Entstehung von Reusners zweisprachigem Aureolorum Emblematum Liber ist, wie auch im Falle von Holtzwarts Emblembuch, nichts bekannt, fehlen doch außerliterarische Quellen, die darüber Aufschluss geben könnten. Allerdings befinden wir uns in der glücklichen Lage, dass es sich bei dem Exemplar der Emblematum Tyrocinia, das sich im Besitz der Bayerischen Staatsbibliothek in München befindet,394 um das Handexemplar Reusners handelt, das ihm als Ausgangspunkt für seine Umarbeitung des Werks gedient haben muss.395 Unter den längeren lateinischen Epigrammen Holtzwarts, bei Bedarf auch unter den deutschen subscriptiones, sind in Tinte lateinische, optisch deutlich voneinander abgesetzte Monodistichen eingetragen, die als Umwandlungen von Holtzwarts Epigrammen in die Kurzform zu verstehen sind, die dabei auf semantischer wie sprachlicher Ebene Alternativen durchspielen und im Wortlaut mit nicht wenigen Distichen aus Reusners gedrucktem Emblembuch übereinstimmen. Aus seinen handschriftlichen Entwürfen hat Reusner also, so ist der Arbeitsprozess zu verstehen, passende ausgesucht, andere verworfen. Wurden mehrere seiner Distichen unter ein und demselben Holtzwart-Emblem für gut befunden, wurde der Holzschnitt im Aureolorum Emblematum Liber einfach doppelt oder sogar mehrfach verwendet. Viele dieser handschriftlichen Einträge sind auffällig intakt – so, als könnte auch ein beliebiger Leser die Distichen aus Reusners Buch in das Holtzwarts rückübertragen und weitere hinzugefügt haben. Andere hingegen weisen, wie beispielsweise in Abb. 22 zu sehen ist, Streichungen und Ergänzungen auf,
393 Vgl. die Kurzbeschreibung bei Henkel, Schöne (Hg.): Emblemata, S. XLVII f. 394 Vgl. Holtzwart: Emblematum Tyrocinia 1581, BSB München, Res/L.eleg. m. 450 i. 395 Lailach äußert sich zur Frage nach dem Besitzer des Exemplars eher zögerlich – es stamme „allem Anschein nach aus dem Besitz Reusners“, Lailach: „Der Gelehrten Symbola“, S. 125 –, baut dann aber doch seine Kurzinterpretation des Umarbeitungsprozesses auf diesem Befund auf, vgl. ebd., S. 125–128. Klecker und Schreiner übernehmen diese Meinung, sind dabei aber ebenfalls vorsichtig: Aufgrund des ‚Überschusses‘ der handschriftlichen Distichen im Vergleich zum Druck „may [one] assume that these are not mere copies of the print, but drafts from which Reusner chose the best ones for publication“, Klecker, Schreiner: How to Gild Emblems, S. 161.
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von denen in der Tat darauf geschlossen werden kann, dass hier die produzierende Hand des Dichters Reusner am Werke gewesen sein muss. Diese Lektürespuren lassen durchaus Rückschlüsse auf die Leitprinzipien von Reusners Umarbeitung zu. So ist im Falle des Holtzwart’schen Emblems VIII (vgl. Abb. 23a und 23b) zu beobachten,396 wie eine Wortgruppe aus einem handschriftlichen Zusatz in das Motto eines Folgeemblems Reusners umgewandelt wurde, dessen subscriptio wiederum ebenfalls handschriftlich vorkonzipiert ist. Die Botschaften der beiden Embleme in Vorlage und Umarbeitung entsprechen sich hier, nehmen doch beide die Rolle der Wissenschaft als Schutz gegen den Unbill des Lebens in den Blick. Ein weiteres handschriftliches Distichon, das mit dem Hinweis auf den Blitzstrahl Jupiters stärker auf die pictura Bezug nimmt, als dies Holtzwarts eigene Verse tun, wird zur Basis eines weiteren Reusner-Emblems mit identischem Holzschnitt, das die Aussage über das Motto „In Aulum“ auf das richtige Verhalten bei Hofe hin verengt (vgl. Abb. 24a und 24b). Reusner scheint also bei seiner Lektüre der Emblematum Tyrocinia die semantische Diskrepanz zwischen Abbildung und Text erkannt zu haben und daraufhin Distichen konzipiert zu haben, die beiden Elementen gerecht werden, die also die Dopplung und Verunklarung des emblematischen Sinns bei Holtzwart über eine Aufspaltung in zwei separate Embleme rückgängig machen. Die immer wieder festgestellten Inkohärenzen zwischen lateinischem Text, deutschem Text und dem Bildmaterial in Holtzwarts Emblembuch, die, wie oben gezeigt worden ist, einerseits als Indizien für die Instabilität der Gattung in ihrer Frühzeit, andererseits aber auch als sprachpolitische Gesten aufzufassen sind, werden von Reusner hier beseitigt. Solche Verfahren, für die noch viele weitere Beispiele anzuführen wären,397 entsprechen – verbunden mit der Tatsache, dass Reusner Holtzwarts
396 Der skizzierte Transformationsprozess ist in der Abbildung durch schwarze Kästchen markiert, vgl. Abb. 23a, 23b, 24a, 24b. 397 Ein einschlägiger Fall ist auch der des oben diskutierten Holtzwart-Emblems XXIX („Fortunae non nimium credendum“ bzw. „Dreyerley Glück bey den altenn“, Holtzwart: Emblematum Tyrocinia [1581] 1968, S. 76 f.). Reusner setzt die pictura mit den drei Fortuna-Figuren nicht nur in der deutschen subscriptio um, wie dies bei Holtzwart der Fall ist, dessen lateinischer Text sich des alternativen Bildes vom zerbrochenen Glas bedient, sondern auch in der lateinischen (Nikolaus Reusner: Aureolorum Emblematum Liber […]. Straßburg: Bernhard Jobin 1587, fol. D6r): Fors triplex: insana, et caeca, et surda: nec audit Quod decet, aut cernit, sec sapit ipsa bonum. Glck dreyerley/ nach alter sag/ Blind/ Taub/ Vnsinnig/ thut was mag. Klecker und Schreiner beobachten bei Reusner außerdem gewisse Veränderungen im lateinischen Stil, eine Neigung zu lateinischen Proverbien in den Motti, einen kohärenteren Einsatz der mythologischen Allusionen und eine eindeutigere Verwendung von Referenzen auf antike
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längere, zuweilen narrative Epigramme auf ein präzises Monodistichon herunterbricht – den in Reusners Widmungsvorrede an den jungen Prinzen Ulrich von Dänemark genannten Kompositionsprinzipien von brevitas und perspicuitas.398 Reusners Hebel ist also die angemessene Implementierung der lateinischen Sprache: Er kondensiert Holtzwarts lateinische Epigramme, ignoriert dabei die deutschen subscriptiones und macht seine lateinischen Distichen zum konzeptionellen Dreh- und Angelpunkt seines Emblembuchs. Während Holtzwarts deutsche Texte gegenüber den lateinischen eigenständige semantische Einheiten mit hohem Anspruch bilden, sind die paarigen Verse in Reusners Buch nicht nur optisch, sondern auch sprachlich nachgeordnet und tatsächlich als Übersetzungen der lateinischen Verse anzusehen. Reusners Handschrift bezeugt den Primat des Lateinischen; wann und auf welchem Weg die deutschen Verse ihren Weg in die Ausgabe fanden, ist nicht mehr nachvollziehbar. Es ist anzunehmen, dass die Zweisprachigkeit auf eine Anregung Jobins oder Fischarts zurückgeht, die möglicherweise nur ungern hinter den in Holtzwarts Buch erreichten Stand zurückfallen wollten. Dennoch bleibt in Reusners Buch eine auf der neulateinischen Humanistenkultur fußende, gelehrte Achse eingezogen, die nicht zuletzt durch die auch hier zwar nicht vollständig durchgeführten, aber dennoch hin und wieder präsenten Einzelwidmungen der Embleme an Persönlichkeiten aus Adels- und Humanistenkreisen augenfällig ist. Zu diesem Befund passt, dass die besondere metapoetische, den Status des Deutschen reflektierende Aussagekraft einzelner Embleme völlig ausradiert ist. Das argumentative Gebäude des diesbezüglich hochrelevanten Eingangsemblems der Holtzwart’schen Sammlung, das sich als Plädoyer für eine selbstbewusste ‚Poetik des Niederen‘ und als Selbstreflexion von Holtzwarts Dichtkunst und Autorschaft erwiesen hat, ist eingerissen: Es dient nun der Darstellung der allgemein gültigen Verschränkung von Kunstfertigkeit und Begabung in den schönen Künsten, repräsentiert durch Efeu und Lorbeer. „Naturà et arte“ heißt es im Motto, die subscriptiones lauten: „Cur hedera et laurus sacris est sacra Poëtis?// Artem hac, ingenii vim notat illa boni.“ Bzw. „Durch Kunst vnd Art/ was schn ist/ grnt/ // Ebhew vnd Lorbr drumb Poeten krnt.“399 Bei genauerem Hinsehen sind in der Tat zwei verschiedene Pflanzen in der pictura identifizierbar – was für Holtzwarts Emblem keinerlei Rolle gespielt hat –, wobei hier im Gegen-
oder humanistische Text- und Wissensbestände, vgl. Klecker, Schreiner: How to Gild Emblems, S. 161–166. 398 Vgl. Reusner: Aureolorum Emblematum Liber 1587, fol. (:)2r. 399 Ebd., fol. A6v.
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zug die Anwesenheit der Hütte und des Dudelsackspielers völlig übergangen wird.400 Auch der assoziative Spielraum von Holtzwarts Emblem VII, das in der pictura Narren und Esel zeigt, wie sie gemeinsam einen Baumstamm ziehen, ist reduziert. Erlaubt Holtzwarts Emblem eine Lektüre hin auf den sprachlichen wie epistemologischen Werts der volkssprachlichen Satirendichtung, ist dies bei Reusner so nicht mehr möglich, bedingt durch die explizite Nennung des Esels, seine klare Identifizierung mit dem ‚wilden Tier‘ und die derogative Ausdeutung des NarrEsel-Gespanns, das nun eindeutig die Absenz von Rede und Verstand bezeichnet: „Si Ratio, si non Oratio suppetit aequè:// Caeterà par brutis iam sit asellus homo“ bzw. „Red vnd Vernunfft dem Menschen nimm/ // Zum Esel spann/ zeucht gleich mit jhm.“401 Auch wenn die Emblematum Tyrocinia das Fundament des Aureolorum Emblematum Liber bilden – der heilsgeschichtliche Bogen ist grundsätzlich beibehalten, außerdem in weiten Teilen auch die Reihenfolge der Embleme –, sind sie also vielfältigen Transformationen unterworfen. Die Einhegung der bei Holtzwart noch so prominenten volkssprachigen Elemente durch den gelehrten, von seiner neulateinischen Sozialisation herrührenden Anspruch Reusners wird dabei durch die Einspeisung weiterer emblematischer Momente zusätzlich in Schwingung versetzt. Erstens ist eine gewisse Enzyklopädisierung des Buchs zu beobachten, ein Zug, der auch die anderen, oben diskutierten (quasi-)emblematischen Arbeiten Reusners prägt. Der Aureolorum Emblematum Liber wird eingeleitet von einem (emblematischen) Katalog von Herrscher- und Kardinaltugenden402 und beschlossen von einem Anhang mit numerisch dominierten, allegorischen „Agalmata“403. Diese setzen sich zusammen aus deutsch-lateinischen, emblematischen „Symbola“ der zwölf Monate (mit Holzschnitten) sowie aus fast ausschließlich lateinischen, zumeist distichischen Epigrammen Reusners und anderer Humanisten auf die freien Künste, die höheren Fakultäten, die neun Musen, die drei Grazien, die drei christlichen und vier ‚moralischen‘ Tugenden sowie zuletzt die sieben Planeten. Da auch in diesem letzten Teil von „Icones“404 die Rede ist, darf
400 Es handelt sich hier um einen der wenigen Fälle, in denen die pictura eines Holtzwart-Emblems nicht durch Reusner verklart worden ist. 401 Reusner: Aureolorum Emblematum Liber, fol. B1v. 402 Vgl. Reusner: Aureolorum Emblematum Liber 1587, fol. A1r–A6r. 403 Ebd., fol. I1r. 404 Ebd., fol. K7r.
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davon ausgegangen werden, dass die ‚nackten Embleme‘ ursprünglich mit Holzschnitten geplant waren. Zweitens aber, und dies muss vor diesem Hintergrund gelehrter poetischer wie epistemischer Enzyklopädik überraschen, ist dem Werk zugleich eine gewisse Didaktisierung und Pädagogisierung anzusehen, was als Strukturmoment des Vernakularen gelesen werden kann. Es manifestiert sich auf augenfällige Art und Weise in der Aufblähung derjenigen Abschnitte, die sich der Liebes- und Ehelehre widmen, bekanntlich ein beliebtes Thema der protestantischen Traktatliteratur, auch derjenigen, die bei Jobin publiziert wurde.405 Während in den Emblematum Tyrocinia insgesamt etwa acht Embleme diesem Themenkreis zuzuordnen sind, sind es im Aureolorum Emblematum Liber ungefähr 23, die zudem teils sehr spezifische Handlungsanweisungen enthalten. Auf thematischer wie struktureller Ebene gehen in Reusners Werk also die Erfordernisse der gelehrten Humanistenkultur mit denjenigen der protestantischen, autochthon fundierten Morallehre eine Wahlverwandtschaft ein, die in der Zweisprachigkeit ihre besondere Form erhält. Näheren Aufschluss über die innere Dynamik dieser Pendelbewegung zwischen dem Lateinischen, dem Deutschen und den ihnen zugeschriebenen epistemischen Domänen geben die Quellen, die Reusner neben Holtzwarts Emblembuch verarbeitet. Sie gewähren über die bereits sehr aussagekräftigen handschriftlichen Einträge Reusners in sein Handexemplar der Emblematum Tyrocinia hinaus Einblicke in die ‚intellektuelle‘ Arbeit der Offizin, deren konstellatorischer Charakter im Sinne einer Zirkulation von Ideen, Texten und Personen hier mehr als offensichtlich wird. Denn Reusner stützt sich weiterhin auf Werke, die, aus der Offizin Jobin stammend, selbst in einem intrikaten Spannungsverhältnis zwischen vernakularer und renaissancehumanistischer Kultur stehen: auf Fischarts Ehzuchtbüchlin (erstmals 1578) sowie den byzantinischen, damals für antik gehaltenen Ismenius-Roman des Eustathios Makrembolites, der 1573 in einer Übersetzung des Johannes Artopoeus und mit einer Vorrede Johann Fischarts herauskam. Da Artopoeus das eigentlich griechische Werk aus einer italienischen Übersetzung ins Deutsche übertrug und Reusner selbst wiederum höchstwahrscheinlich des Italienischen nicht mächtig war,406 ist recht wahrscheinlich, dass Reusner tatsächlich mit dem deutschen Ismenius-Text arbeitete, der qua Artopoeusʼ Übersetzung und Fischarts exegetischer Vorrede
405 Vgl. Kap. 2.2. 406 Ich schließe diesen Umstand aus der Tatsache, dass er sich für seine bei Jobin gedruckte Schrift De Italia explizit auf die lateinische Übersetzung von Leandro Albertis italienischer Descrizione dʼItalia (1550) und nicht auf das volkssprachliche Original bezieht, siehe oben.
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bereits eine Anpassung an den deutschen Sprach- und Kulturraum erfahren hatte.407 Allerdings findet sich auch im zweiten, kompilatorischen Teil des Ehzuchtbüchlin von 1578 – dem „Zusatz aus noch viler anderer Erleuchten vnd Hochgelehrter Personen Bücheren“408 – ein kurzer exemplarisch eingesetzter Abriss über die Handlung des Ismenius Oder/ Ein vorbild Stter Liebe.409 Die Lehre aus dem erotischen Liebes- und Abenteurroman, dessen Handlung in die Ehe mündet, fällt hier knapp aus: Derhalben soll man sich befleissen, eyne vorbedachtsame, vnd weder ein schnell anplatzende noch eyne hinfllige liebe zur vnd inn die Eh zuspringen. Dan was bald anfllt, fllt bald ab Vnd Junge lieb ist farend hab.410
Eine ähnliche Zuspitzung und Verengung der byzantinisch-neuplatonischen Synkretismen des Romans hin auf die protestantische Ehelehre ist bereits in Fischarts Vorrede zur Artopoeus-Übersetzung des Ismenius zu sehen. Hier gestattet er der körperlichen Liebe ausschließlich im Ehekontext ihre Existenzberechtigung zu, liest er den Roman als ein (protestantisches) Lehrstück von Strafe und Vergebung – denn im am Ende von den Göttern und den Eltern legitimierten Ehebund werden alle Sünden verziehen – und ordnet so den hochkomplexen Roman im Aussagewert der Ehetraktatliteratur bei.411 Aus Fischarts Lektüre können demgemäß folgende Faustregeln gewonnen werden:
407 Vgl. zur Übersetzung des Ismenius-Romans Brockstieger: Aemulatio und Intermedialität. 408 Johann Fischart: Das Philosophisch Ehzuchtbüchlin […] [1578]. In: Johann Fischarts Werke. Hg. von Adolf Hauffen. 3 Bde. Stuttgart 1893–1895 (Deutsche National-Litteratur 18), Bd. 3, S. 115–332, S. 181. Dieser Abschnitt schließt sich an die Übertragung von Plutarchs Ehebrief Γάμικα παραγγέλματα an und geht der Übersetzung von Plutarchs Erziehungsratgebers Περì παίδων ἀγωγῆς sowie von Erasmusʼ Coniugium aus den Colloquia familiara voran. Die wichtigsten Quellen für diesen Teil sind Conrad Gesners Historia animalium, Stobaiosʼ Florilegium in der Übersetzung Georg Fröhlics (1551) und Christian Egenolffs Sprichwörtersammlung (Ausgabe von 1565), vgl. Hauffen: Johann Fischart, Bd. 1, S. 282–290, hier besonders S. 287; Adolf Hauffen: Die Quellen von Fischarts Ehezuchtbüchlein. In: ZfdPh 27 (1895), S. 308–350. Ab der zweiten Ausgabe von 1591 ist dem Ehzuchbüchlin außerdem im Anhang die Schrift Missive/ oder Sendbrieffe beigegeben. Hierbei handelt es sich um die Übersetzung des 55. Kapitels des ersten Buchs von Antonio de Guevaras Epístolas familiares aus der Feder des Johann Beat Graß, die davor als eigenständige Publikation erschien, vgl. Brockstieger: Spielarten. 409 Vgl. Fischart: Philosophisch Ehzuchtbüchlin, S. 231–233 bzw. 238. 410 Ebd., S. 233. 411 Vgl. Eustathios Makrembolites: Ismenius Oder/ Ein vorbild Stter Liebe […]. Übers. von
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Vnd wer sein übelthat erkennt Dem reichet Gott bereyt die hnd. […] Vnd wer da fest besteht vnd traut/ Führt/ wie an saget/ heim die Braut.412
Dennoch bleibt die philosophische Dimension des Romans in der Artopoeus-Übersetzung selbst erhalten und wird so auch für die ‚Goldenen Embleme‘ relevant, für die Reusner – neben Holtzwarts Emblematum Tyrocinia, versteht sich – sowohl auf die Romanvorlage als auch, und hier nicht nur im Falles des Ismenius-Stoffes, auf das Ehzuchtbüchlin zurückgreift. Im Folgenden wird zu zeigen sein, wie die beiden Prosagattungen Roman und Traktat in die Emblematik eingemeindet werden und so Gelehrsamkeit und Volkssprachlichkeit zu fusionieren helfen. Der Ismenius-Roman arbeitet insofern einer emblematischen Struktur entgegen, als seine Narration besonders in der ersten Hälfte in streckenweise hochgradig repetitiven Episoden fortschreitet, eine Tendenz, die bereits im Falle von Reusners Picta Poesis Ovidiana beobachtet worden ist. Einen großen Teil der Erzählung nehmen hier die Gespräche zwischen dem Protagonisten Ismenius und seinem Mentor Cratisthenes im Garten ihres Gastgebers Sosthenes ein. Dort begegnen sie ganz in der Tradition des spätantiken Romans in einem hochartifiziellen Setting lustwandelnd zahlreichen Kunstwerken, die ekphrastisch beschrieben und von Cratisthenes für seinen unwissenden Schüler ausgedeutet werden. Von zentraler, mitunter poetologischer Bedeutung ist die Exegese einer Eros-Darstellung, aber auch die der Allegorien der zwölf Jahreszeiten und der Tugenden. Ich habe an anderer Stelle nachgewiesen,413 dass der Protagonist hier anhand der Kunstwerke in den Geheimnisraum neuplatonischen Wissens, in die Mysterien der Liebe und der schönen Künste initiiert wird, was zum Ausgangspunkt der gattungspoetologischen Reflexionsbewegung des Romans gemacht wird. Besonders relevant für das richtige Verständnis der Transformation des Romans in den Aureolorum Emblematum Liber ist nun die Tatsache, dass die Ekphrasen und Ausdeutungen der Tugend- und Jahreszeitenallegorien allesamt – mit Ausnahme der Eros-Figur – mit Holzschnitten Stimmers illustriert sind, die in identischer An- und Zuordnung und, wie zu zeigen sein wird, mit konstanter Bedeutung in Reusners Emblembuch übernommen werden:414 zum einen in den am Anfang des Buchs positionierten Tugendenkatalog, zum anderen in
Johann Christoph Artopoeus. Straßburg: Bernhard Jobin 1573, fol. 04r–08r. Vgl. zu Fischarts Vorrede auch Brockstieger: Aemulatio und Intermedialität, S. 168 f. 412 Ebd., fol. 06r. 413 Vgl. Brockstieger: Aemulatio und Intermedialität, S. 171–181. 414 Die Affinität Reusners zum Neuplatonismus wird auch andernorts in seinem Werk deutlich,
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den Anhang, und zwar in Form der deutlich als Übernahmen gekennzeichneten „Symbola XII. Anni Temporum Ex Eustachio“415. Die vier Tugenden wiederum sind ebenfalls und mit den identischen Holzschnitten in Fischarts Ehzuchtbüchlin vorhanden, direkt im Anschluss an Darstellung und Ausdeutung der IsmeniusHandlung, während die Monatsbilder hier fehlen.416 Darüber hinaus finden sich mit Ausnahme einer Schiffsdarstellung417 alle anderen Holzschnitte des Romans, mit denen viele, jedoch nicht alle Kapitelanfänge des Romans versehen sind, in Reusners Emblembuch wieder, und dies zumeist mehrfach und dabei je unterschiedlich semantisiert. Ihre variable Einsetzbarkeit ist dadurch präfiguriert, dass ein und derselbe Holzschnitt bereits im Ismenius-Text selbst an mehreren Stellen zu finden ist und so der Zusammenhang zwischen Illustration, Kapitelüberschrift und -inhalt allenfalls als lose zu bezeichnen ist. Beispielsweise eröffnet und beschließt derselbe Holzschnitt mit der Darstellung eines Triumphwagens den Roman: Einmal illustriert er den Anfang des ersten Kapitels418, das die Diasia-Feiern zu Ehren des Jupiter thematisiert, bei denen der Protagonist Ismenius zum „verwser“419 des Gottes ernannt und in einem rituellen Umzug in die Nachbarstadt geführt wird, einmal leitet er den letzten Abschnitt ein, der die Jungfernprobe der Ismene und die Hochzeitsprozession zum Inhalt hat.420 Während bereits der Ismenius-Roman im Medium des Holzschnitts das religiöse Ritual in den Triumph der in der Ehe gebändigten Liebe übersetzt und damit seine eigene Teleologie veranschaulicht, transformieren Reusners ‚Goldene Embleme‘ das Szenario in die Darstellung
vgl. Walther Ludwig: Ficino in Württemberg – Ein Gedicht von Nikolaus Reusner. In: Humanistica Lovaniensia 41 (1992), S. 332–336. 415 Reusner: Aureolorum Emblematum Liber, fol. I2r. 416 Die Holzschnitte der Monatsbilder haben stattdessen, und dies schon weit vor Erscheinen des Ehzuchtbüchlin sowie der ‚Goldenen Embleme‘, 1574 Eingang in die erweiterte Fassung von Aller Praktik Großmutter gefunden. Reusner streicht diese Konnotation jedoch durch, wenn er die Quellenangabe „Ex Eustachio“ setzt. 417 Vgl. Eustathios Makrembolites, Artopoeus: Ismenius, fol. 109v. Allerdings ist dieser Holzschnitt, der im Roman die wilde Seefahrt des Paares illustriert, im Ehzuchtbüchlin mit emblemhaftem Sinn versehen, indem er pictura-artig die Allegorie vom „Ehschiff der Haushaltung“ (Fischart: Philosophisch Ehzuchtbüchlin, S. 118) unterstreicht. 418 Die Unterabschnitte der einzelnen Bücher sind nicht mit einer einheitlichen Terminologie belegt, sie heißen „stuck[ ]“ (ebd., fol. 1r) oder auch „Abtheilung“ (ebd., fol. 3v). Zuletzt fehlen sogar die Kapitelüberschriften, nurmehr die kurzen Inhaltsangaben markieren den Beginn eines neuen Abschnitts, vgl. beispielsweise ebd., fol. 185v. 419 Ebd., fol. 1r. 420 Vgl. ebd., fol. 185v.
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einer weiteren Tugend, nämlich der der „mens bona“ bzw. „mens hilaris“421, die dem Fürsten eine erfolgreiche Herrschaft sichert (vgl. Abb. 25), erschließen sie also der Vorstellung des öffentlich demonstrierten Glücks eine neue Domäne und Begründung.422 Zwar hat die Mehrfachverwendung der Bildstöcke auch prak tische Gründe, doch generiert, wie zu zeigen sein wird, ihre Implementierung im Ismenius, im Aureolorum Emblematum Liber und auch im Ehzuchtbüchlein vor dem Hintergrund der auf einen Ehebund zulaufenden Romanhandlung sowie der Lehren von Fischarts Ehetraktat ihren eigenen, intertextuell verankerten Sinn. Diejenigen Holzschnitte des Ismenius-Romans, die nicht mit offeneren Sujets versehen sind und als Kapitelillustrationen fungieren, sondern die die Ekphrasen der Bildwerke im Garten des Sosthenes ins Bild setzen, sind zugleich in eine emblemartige Textstruktur eingebettet. Wie am Beispiel der Frühlings- und Maiendarstellung zu sehen ist (vgl. Abb. 27a und 27b), ist der Holzschnitt mottoartig mit „Die dritte gezeit deß Jars“423 überschrieben, was Reusners Emblem als „III. Florilegium“424 (vgl. Abb. 28) abbildet. Unter dem dann folgenden Holzschnitt, der eine von Blumen umgebene, bekränzte Männerfigur zeigt, deren Gewand ebenfalls mit Blüten geschmückt ist, hebt die Stimme des Ich-Erzählers im Ismenius zur Ekphrase an, die mit dem Holzschnitt exakt übereinstimmt: Nachdem mich nun Cratisthenes der sach [der Darstellung der zweiten Jahreszeit, Anm. S. B.] berichtet/ sahe ich einen schnen ebnen Plan der Wiessen/ mit zartem außsprüssigen grßlein bedecket/ in welchem auch mancherley Rßlein vnd Blümlein eingemischt waren. Mitten in derselbigen aber gieng ein Mann mit gemchlichen triten/ dessen ansehenliche Person erwieß/ daß er freundtlich/ lieblich/ gewaltig/mildt vnd reich were: [Es folgt die Beschreibung seines Gesichts, seines langen, lockigen Haars, seines Kranzes, seines Kleids, der Tatsache, dass er Blüten streut, Anm. S. B.] Wiewol der aber aller ding lieblich gezieret/ ging er doch blosses fß: gleichwol nit vnordentlich/ dan sie vor weisse vnd schne so hell in dem Graß durchschienen/ als ob es Spiegel gewesen weren: In welchen man auch den grossen fleiß hette mgen spüren/ so der kunstreiche Maler in disser Figur vorgewend vnd gebraucht hatte.425
421 Reusner: Aureolorum Emblematum Liber, fol. C1r (Emblem XXXIII). Das Motto heißt „Mens bona regnum possidet“, die subscriptiones lauten „Mens hilaris, rectè, sine fine triumphat, agendo:// Poßidet et regum mens bona, semper ovans“ bzw. „Lebhertz frlich/ vnd guter muth/ // Triumphirt stets/ Reich besitzt vnd Gut“ (ebd.). 422 Der Triumphzug wird zeitgenössisch auch mit der Wechselhaftigkeit des Glücks konnotiert, vgl. Henkel, Schöne (Hg.): Emblemata, Sp. 1518. 423 Eustathios Makrembolites, Artopoeus: Ismenius, fol. 57r f. 424 Reusner: Aureolorum Emblematum Liber, fol. I3r. 425 Eustathios Makrembolites, Artopoeus: Ismenius, fol. 57r f.
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Unter dieser sprachlichen pictura folgt gleichsam die subscriptio, nämlich die optisch abgesetzte und mit einer Zwischenüberschrift bezeichnete „Außlegung der Dritten Figur“: Als ich nun fast begirig war solche bedeitunge zwissen/ wante ich mich zm Cratisthene: vnn bate denselben/ daß er mir doch solches außlegen wollte: Darauff beschied er mich: Durch disse vorgemalte figur/ welche so visirlich vnd seltzam mit Blmen vnd Bltteren gezieret ist/ würd bedeutet die gezeit deß Meyen/ in welcher die brunst der liebden vnd frlichen Persone sich mehr/ als sonst in keiner gezeit deß Jars ereignet.426
Reusner wiederum setzt in seiner deutschsprachigen subscriptio diese Deutung fast im Wortlaut um (vgl. Abb. 28), was an den beinahe identischen Vokabeln „brunst der liebden“ und „Liebsbrunst“ zu sehen ist: „Liebsbrunst im Meyen sich rrt ohn maß/ // Blmlein/ als Stern/ Ziert Laub vnd Graß.“427 Auch das lateinische Distichon nimmt auf diesen topischen Zusammenhang von Frühlingsund Liebeserwachen Bezug.428 In dieser optischen Organisation folgt Artopoeus durchaus seiner italienischen Vorlage, die allerdings keine Illustrationen kennt, wie an Abb. 29 zu erkennen ist (hier ist die Auslegung der dritten Jahreszeit und die Ekphrase der vierten aus Lelio Caranis Ausgabe aufgenommen). Auch im Falle der Tugendallegorien aus Reusners Emblembuch lassen sich, wenngleich sie, anders als die Jahreszeiten, nicht als direkte Zitate gekennzeichnet sind, ähnliche Übereinstimmungen erkennen. So liefert beispielsweise die Ekphrase der Temperantia-Figur im Ismenius eine bis in die Details der Körperhaltung, Haartracht und Kleidung hinein passgenaue Beschreibung des inserierten Holzschnitts, der wiederum mit dem entsprechenden Holzschnitt des Temperantia-Emblems bei Reusner identisch ist (vgl. Abb. 30a, 30b und 31): DJe dritte Jungfraw/ welche den andern volget/ beschien hchster langmutigkeit […] z sein […]. Dieweil sie auff jhrem haupt nit von Golde/ wie die erste [die Figur der Prudentia, Anm. S. B.]/ sonder von aller art Blttern vnnd Blmen/ außgenommen die rosen/ ein Krantz het: an welchem ich zweiffel: ob es der Maler vergessen/ oder es die andere farben/ welche mancherley waren/ nicht hetten erleiden mgen/ daß die Rosen sich neben einmischeten.429
426 Ebd., fol. 57v f. 427 Reusner: Aureolorum Emblematum Liber, fol. I3r. 428 Vgl. ebd. 429 Eustathios Makrembolites, Artopoeus: Ismenius, fol. 19v.
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Ekphrase und Auslegung der Allegorie sind hier wie auch in der italienischen Vorlage und im griechischen Original voneinander getrennt,430 werden doch erst alle vier Figuren – der Prudentia, Fortitudo, Temperantia, Iustitia – beschrieben, dann gedeutet (vgl. Abb. 32). Die Tugend der Ausgeglichenheit wird einerseits an der Abwesenheit der erotisch konnotierten Rosen, andererseits aber auch an der diffizilen Komposition der Figur, an ihrer Haltung und dem Faltenwurf ihres Gewandes festgemacht: Gleicher weiß war auch verstndtlich verzeichnet/ wie sie mit der lincken hand das dünne gewandt über den schenckeln zsammen hielte/ auß vrsach/dieweil es anzsehen war/ als ob es der Sturmwind jren ins gesicht also starck bliese/ daß auch das meiste theil vom gewandt jhren vmb die ferssen hinden her verwirret anlage. Derhalben wann der wind von newem sie anblisse/ vervrsacht er daß die Jungfraw auß gedultmt sich erzeiget/ als schlüge sie den rechten über den lincken/ vnnd ein theil deß schenckels sich dem andern bertrge: Darmit sie also das Gewand zwischen den beinen vmbwunde vnnd verwickelt/ das man auch/ wiewol die kleydung uberauß rein/ die schne jres Leibs nicht kmmlich schawen mochte.431
Auch wenn in letzter Instanz die Semantik der fehlenden Rosen zum ‚Leitmotiv‘ der Deutung gemacht wird – „die Rosen […] seind von Natur geyler vnnd hinfelliger dann alles ander gewchs der blmen/ vnd mgen hierin der mssigkeit nit zugemessen werden“432, heißt es gegen Ende der „Außlegung der Figur Temperantiae“433 – wird doch der Hebel der Exegese hier nicht nur an den Attributen wie dem Blumenkranz, sondern auch an der Dynamik der Figur angesetzt, an der Art und Weise also, wie ihre Gliedmaßen mit dem Stoff des Gewandes interagieren und so eine Bewegung erzeugen, die auf den Akt des keuschen Verhüllens schließen lassen. Obwohl die Schilderung ähnlich auch im griechischen Original vorhanden ist,434 so ist sie in ihrer italienisch- und deutschsprachigen Spielart in Kombination mit dem Holzschnitt doch auch als Referenz auf die moderne Renaissancekunst zu lesen, die in der Lage ist, über die dreidimensionale Darstellung Semantik zu generieren. Hinter der deutschen Übersetzung, die diese Passage an den, so muss angenommen werden, eingangs dafür angefertigten Holzschnitt koppelt, verbirgt sich also auch ein Lob des Künstlers Stimmer, der qua seiner Kunstfertigkeit die beschriebene Dynamik der Figur ins Bild zu setzen
430 Vgl. Eustathios Makrembolites: Hysmine und Hysminias. Eingeleitet, übers. und erläutert von Karl Plepelits. Stuttgart 1989 (Bibliothek der griechischen Literatur 29), S. 90–93. 431 Eustathios Makrembolites, Artopoeus: Ismenius, fol. 20v. 432 Ebd., fol. 24r. 433 Ebd., fol. 23v. 434 Vgl. Eustathios Makrembolites: Hysmine, S. 91.
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vermag und so die Erkenntnisbewegung der Allegorese über die Ergänzung der quasi-pictura zu vervollkommnen hilft. Stimmer erweist sich hier als den Meistern der italienischen Renaissancekunst mit ihren elaborierten Körperdarstellungen ebenbürtig, eine Tatsache, die Jobin andernorts programmatisch festhält.435 Dieser weite Anspielungsraum des Ismenius-Romans muss sich also dem informierten zeitgenössischen Leser eröffnen, begegnet er bei der Lektüre von Reusners Aureolorum Emblematum Liber dem Temperantia-Emblem. Die Oberflächensemantik ist hier allerdings auf den Rosenaspekt reduziert: Virtutum decus omne Modestia: florea serta Fronte gerit: Veneris flos tamen unus abest. Allr Tugend Zier Messigung Glantz/ Aussr Venus Ros/ tregt allr Blm Krntz.436
Es spricht viel, u. a. die oben nachgewiesene wörtliche Übereinstimmung, dafür, dass Reusner nicht nur im Falle der Monatsbilder, die im Ehzuchtbüchlin nicht vorhanden sind, sondern auch in dem der vier Tugenden direkt auf den Ismenius-Roman zurückgreift. Während Reusners Allegorien mit Ausnahme der Temperantia und ihres erotisch konnotierten Rosenmotivs auf eine abstraktere Dimension der Tugenden abheben und den Liebesaspekt außen vor lassen, ist ihre Bedeutung im Ehzuchtbüchlein nämlich stets zusätzlich und in letzter Instanz auf die Praxis des Ehelebens hin gewendet. Die Fortitudo-Darstellung wird in den ‚Goldenen Emblemen‘ Reusners dementsprechend von folgender Feststellung in der subscriptio begleitet: „Haupt/ gmt/ hertz/ Hand Strck wol verwart/ // Helm/ schild/ gurt/ Spieß drumm tregt sie hart.“437 Fischart wiederum spitzt sie im Ehzuchtbüchlin auf das richtige Verhalten in der Ehe zu: Also [gemeint ist die Rüstung, Anm. S. B.] sei es auch mit eym Menschen geschaffen, der jnnerlich mit standmut ist gerüstet, mit frudigem sinn behelmet, mit vnerschrockenem Hertzen beharnischt […]. Wo bedarf man aber mehr solche Standhaftigkeyt vnd Frudmutigkeyt, dan inn der Ehe? Da man das Saur oft mus versüsen Vnd das Süs mit dem Sauren büsen? Da ist warlich bei so mancherley kreuz vonnöten […].438
435 Vgl. Kap. 3.1.1. 436 Reusner: Aureolorum Emblematum Liber, fol. A5r. Vgl. Abb. 31. 437 Ebd., fol. A4v. 438 Fischart: Philosophisch Ehzuchtbüchlin, S. 236 f.
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Fischart verleiht also den vier Kardinaltugenden im Ehzuchtbüchlin eine situativdidaktische Wendung, während sich der Ismenius-Roman und Reusner im Fahrwasser der allgemeinen Lebenslehre bewegen. Doch nicht nur am Gehalt der Allegorie, auch an ihrer Form legt Fischart im Ehzuchtbüchlin Hand an. Zwar imitieren die entsprechenden Passagen mit Holzschnitt, Ekphrase und Auslegung in Prosa und Vers (!) ebenfalls die quasi-emblematische Struktur des Romans, die erst Reusner de facto als Emblem umsetzt, und orientieren sich die Bildbeschreibungen stark an denen im Ismenius, doch lassen sich auch signifikante Unterschiede erkennen. Die bereits oben besprochene Temperantia-Statue stellt Fischart im Ehzuchtbüchlin folgendermaßen vor: Was dan die Msigung berürt, hat man sie ganz schlecht vnd eynfaltig in Jungfrauen gestalt angebildet, beydes an kleidern vnd geberden, auf dem Haupt mit eim kranz von allerhand Blumen, ausserhalb der Rosen, dieweil dieselben der Veneri verwandt sint vnd war solcher kranz mit jrem eygenen Haar vmbflochten, wie die Brut des Landes pflegten, auch hett sie die Recht Hand auff die Brust gelegt vnd mit der Lincken hielte sie das weisse dünne gewand an sich wider das stürmend anwhen der Wind, schrencket auch zum behelff darwider die füß, welche sonderlich vor andern Tugenden beschucht waren.439
Hier wird explizit die einfache Figurenzeichnung betont, die weit hinter den elaborierten Ausführungen im Ismenius-Roman zurückstehen will. Der künstlerische Aspekt der Bild-Text-Kunst rückt also, so ließe sich überspitzt formulieren, zugunsten ihrer ehepädagogischen Komponente in den Hintergrund. Diese Anpassung der im Ismenius noch philosophisch kodierten Bildlichkeit an die Erfordernisse eines Ehetraktats wird sogar programmatisch festgehalten: „Darumb die gedachte vir Haupt Tugenden billich inn eyner Haußhaltung nicht an den Wnden alleyn, sonder inn der Ehvermlten hertzen sollten vor- und eingebildet stehen […].“440 Dieser Grundsatz bildet gleichsam Fischarts Deutung der gesamten Romanhandlung (in seiner Vorrede zur Ismenius-Übersetzung) ab, nach der Ismenius am Ende im wahrsten Sinne ‚zur Vernunft‘ gekommen ist. In seiner byzantinisch-neuplatonischen Lesart hingegen, die auch Reusner bewusst hält, stellt der Roman eine komplexe Dialektik von geistiger und körperlicher Liebe vor, die durchaus auch als Dialektik von Wort- und Bildkunst zu verstehen ist.441 Fischart befördert in seinem Ehzuchtbüchlin also die ismenischen Bild-
439 Ebd., S. 237. 440 Ebd., S. 238. 441 Der Roman arbeitet seine immanente Gattungspoetik aus der Auseinandersetzung mit der bildenden Kunst heraus, vgl. Brockstieger: Aemulatio und Intermedialität.
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Text-Referenzen auf ein anderes, weniger komplexes Niveau, richtet sie auf die Ehelehre aus und reduziert ihren bildkünstlerischen Anspruch. Zwar muss Reusner, auch wenn er im Falle der prominenten Monats- und Tugendallegorien primär auf den Roman selbst und nicht auf dessen Modifizierung im Ehzuchtbüchlin zurückgreift, die Bildwerke in die Kurzform des Emblems umarbeiten, sie dadurch ihrer ursprünglichen narratologischen Funktion wie textuellen Umgebung entreißen und ihre Bedeutung notgedrungen simplifizierend auf die epigrammatische Kürze hin zuspitzen. Jedoch fungieren die Holzschnitte, der explizite Quellenhinweis im Falle der Monatsbilder wie auch die sprachlich-semantischen Übereinstimmungen in den subscriptiones gleichsam als intertextuelle Fenster, über die der Leser in den Geheimnisraum der hochgradig verrätselten und im neuplatonischen Sinne zu interpretierenden Bildzeichen des Ismenius-Romans blicken kann. Druckbild und Textorganisation der frühneuzeitlichen Ismenius-Ausgaben arbeiten, wie gezeigt worden ist, selbst mit emblemähnlichen Strukturen und liefern das Gerüst für deren Transformation. Im Falle der Eros-Figur, die von der Umarbeitung, vermutlich aufgrund ihrer Komplexität und ihrer Konzeption hin auf die poetologische Reflexionsbewegung des Romans,442 ausgeschlossen ist, wäre sogar nicht einmal der Schritt von der Prosa- zur Versform nötig gewesen, nennt doch der Roman selbst schon die Verß vnnd Reimen/ so über dem Knaben geschrieben stehen: die also lauten. Das Knblein welchs in hnden hlt Das feur vnd sich bewaffnet stellt/ Mit Bogen auff dem blossen rucken Vnd pfleilen dies zr seiten schmucken/ Vnd hat beflügelt füß vnd hnd: Das wird Amor/ die Lieb genennt.443
442 Das Amor-Bildnis im Aureolorum Emblematum Liber ist mit den Attributen Fackel, Augenbinde, Pfeil und Bogen, Nacktheit und auch Flügeln ausgestattet, die sich aber am Rücken befinden, vgl. Reusner: Aureolorum Emblematum Liber, fol. [G]5v. 443 Eustathios Makrembolites, Artopoeus: Ismenius, fol. 26v. Die italienische Ausgabe zitiert aus dem griechischen Original und übersetzt im Anschluss (Eustathios Makrembolites: Gli Amori d’Ismenio […]. Übers. von Lelio Carani. Venedig: Gebr. Guerra 1560, fol. 20r): Ἔρως τὸ μειράκιον ὅπλα πῦρ φέρων τόξων πλερῶν γύμνωσιν ἰχθύων ζέλος. I quali cosi possono nella nostra lingua recare: Questo garzon’ è Amor, c’ha in mano il fuoco, L’arco a le spalle, e le saette a’ fianchi; E sugli homeri ignudi ha due grand’ale.
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Mit der neuplatonischen Epistemik des quasi-spätantiken Ismenius-Romans integriert Reusner zugleich das Wissen der im Renaissancehumanismus wiederentdeckten und vieldiskutierten Hieroglyphik in sein Emblembuch: Als der Protagonist des Romans auf die Tugenddarstellungen im Garten trifft, kommt er zu der Einschätzung, dass man diese „Kunst vnnd verstandes halben wol den besten vnnd verrufftesten Egyptischen Malern [..] zschreiben“444 könne. Der italie nische Übersetzer Lelio Carani wiederum sieht im Sujet des Textes eine Möglichkeit, „un desiderio Platonico“445 in der Brust seines Gönners wachzurufen. Der philosophische Anspruch mündet im Ismenius-Roman in einer immanent über den Handlungsverlauf begründeten Romanpoetik, die die erzählende Gattung über die Differenz zur bildenden Kunst herauspräpariert und ihren Wert an die Konvergenz von Tugend und Liebe im narrativen Telos des Ehebundes bindet. Diese komplexe Ehe- und Liebeskonzeption des Romans muss beim Blick auf die stark ehedidaktischen Elemente in Reusners Emblembuch mitbedacht werden, die auf den ersten Blick unterkomplex erscheinen mögen und, wie oben erläutert worden ist, als Momente der Vernakularisierung der Emblematik gesehen werden können. Und in der Tat gehen etliche von Reusners Emblemen außerhalb des Ismenius-Stoffes auf Passagen in Fischarts Ehzuchtbüchlin zurück. Ob dieser Umstand auf ein bewusst vertretenes, ‚niedrigeres‘ Niveau einer solchen Emblematik hindeutet, wie es die oben besprochene Passage zur TemperantiaFigur nahelegt, oder ob sie einen gewissen konzeptionellen Anpruch nach außen trägt, soll anhand einiger Beispiele diskutiert werden. Auch im Ehzuchtbüchlin findet sich eine spezifische Organisationsmethode von Text und Bild, die einer emblematischen Lesart entgegenarbeitet. In der Erstausgabe von 1578 sind insgesamt 30 Holzschnitte Stimmers eingefügt, und dies vor allem im ersten Teil, der amplifizierenden Übertragung von Plutarchs Ehelehre, sowie im zweiten, von Fischart kompilierten Teil.446 Der dritte, Plutarchs Erziehungsratgeber, wird noch von einem Holzschnitt eingeleitet,447 bleibt dann aber, ebenso wie die Erasmus-Übersetzung im vierten Teil, unillustriert. In den Plutarch-Kapiteln – Fischart greift dabei auf die lateinische Übersetzung Wilhelm
444 Eustathios Makrembolites, Artopoeus: Ismenius, fol. 16v. 445 Eustathios Makrembolites, Carani: Gli Amori d’Ismenio, fol. 3v. 446 Neben den genannten Holzschnitten aus dem Ismenius-Roman hatte Stimmer einige auch für die Straßburger deutsche Ausgabe der Historia de gentibus septentrionalibus des Olaus Magnus (1567), gedruckt bei Theodosius Rihel, angefertigt, die wiederum Gesner als Quelle diente, auf den Fischart im zweiten Teil des Ehzuchtbüchlin stets zurückgreift, vgl. Hauffen: Johann Fischart, Bd. 1, S. 289. 447 Vgl. Fischart: Philosophisch Ehzuchtbüchlin, S. 275.
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Xylanders aus dem Jahr 1572 zurück448 – übersetzt Fischart gewohnt amplifizierend, d. h. er fügt dem Prosatext versifizierte, die in der Vorlage genannten Aspekte diskutierende sowie ausweitende Ergänzungen hinzu und konkretisiert so zugleich die spezifisch ehedidaktische Dimension.449 Plutarchs Ehebrief formuliert das sich in der Harmonie der ehelichen Kommunikation manifestierende häusliche Glück folgendermaßen: „[Q]uando etiam prisci Mercurium iuxta Venerem collocabant, ut ostenderent matrimonii voluptatem maximè orationis indigere: itemque Suadam et Gratias, ut docerent coniuges invicem quae vellent impetrare debere persuadendo, non pugnando, aut rixando.“450 Bei Fischart liest sich die Passage folgendermaßen: Dannenher die Alten das Bild der Gesprchkünstlichen Mercurij vil vnd oft neben die Libmchtige Venus pflegten zusetzen, anzuzaigen Das die ergezlichkeit der Ehe Fürnmlich inn der Red vnd gesprchsamkait stehe Vnd das kein Ehe Nimmer mit lust abgehe, Sie wird dan vnterhalten stt Mit guter vnd mit kluger Red. Sie stelleten auch zu diesen zweien bilderen noch hinzu die Bildnussen der Anmütigen Göttinnen, der Gnadseligkaiten oder Gratien vnd der Sanft sprchsamen Begüterin oder Suadela, zubedeuten das die Eheleut dises, so sie von ainander begeren, holdseliglich mit freuntlichen gütigen Worten, nicht mit palgen, pochen, tratzen vnd zancken fordern vnd erlangen sollen.451
Die Konvergenz von Liebe und Rede (‚inscriptio‘) wird allegorisch durch die entsprechenden Götterfiguren dargestellt (‚pictura‘) und von Fischart in Versen ausgedeutet (‚subscriptio‘). Begleitet wird die Passage von einem Holzschnitt Stimmers, der im Vordergrund Merkur und Venus zeigt, die sich die Hand reichen, während im Hintergrund der Ehegöttin Juno ein Opferfeuer geschürt wird.452 Diese gleichsam emblematische Struktur greift Reusner in seinen ‚Goldenen Emblemen‘
448 Vgl. die Begründung bei Hauffen: Johann Fischart, Bd. 1, S. 283 f. 449 Zur didaktisierenden Dimension von Fischarts Übersetzungstätigkeit vgl. Wilfried Kettler: Trewlich ins Teütsch gebracht. Lateinisch-deutsches Übersetzungsschrifttum im Umkreis des schweizerischen Humanismus. Bern u. a. 2002, S. 371. 450 Plutarch: Coniugalia praecepta. In: Plutarch: Moralia […]. Übers. von Wilhelm Xylander. Venedig: Hieronymus Scotus 1572, S. 80–84, hier S. 80. 451 Fischart: Philosophisch Ehzuchtbüchlin, S. 126 f. 452 Vgl. zu dieser Passage auch Brockstieger: Spielarten, S. 136–138. Derselbe Holzschnitt findet in einer weiteren Passage des ersten Ehzuchtbüchlin-Teils Verwendung, als wieder die Rede auf die Gratien kommt, vgl. Fischart: Philosophisch Ehzuchtbüchlin, S. 149.
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auf. Er spaltet den ehediaktischen Lehrsatz in seine positive (Emblem XL, vgl. Abb. 26) und seine negative (Emblem XLII, mit identischem Holzschnitt) Seite auf. So heben die Texte des Emblems XL auf die Vorzüge süßer Rede ab: „Blanditia, non imperio sit dulcis Venus“ bzw. „Mercurius, Suadela, Venus, Charis in sidet uno// En thalamo: blanda voce fovetur amor“ und „Mercurius bht Venus Bett/ // Holdselig Red Ehelieb halt stett“.453 Diejenigen des Emblems XLII betonen stattdessen die Gefahr des Streits: „Coniugii φίλτρον concordia“ bzw. „Iuno sacrum sine felle, sacris praefecta maritis,// Dulce fovet: placitus sit sine felle torus“ und „Ehetrtin Juno kein Gall liebt/ // Holdselig Ehe kein Gifftzorn giebt“.454 Reusners Embleme bauen also auf der textuellen Faktur der Ehzuchtbüchlin-Passage auf, holen aber in der partiellen Rückübersetzung des lehrreichen Inhalts in die lateinische Sprache die Dignität der antiken Quelle, wenn auch in transfomierter Form, wieder in die emblematische Bewegung herein. Noch umfangreicher fallen Fischarts Erweiterungen des Plutarch aus, als die Rede auf eine Venusdarstellung des Phidias kommt, bei der der Fuß der Göttin auf einer Schildkröte ruht, was Häuslichkeit und Verschwiegenheit der Ehefrau vermitteln soll. Wieder ist ein Holzschnitt Stimmers inseriert. Die relativ kurze Passage bei Plutarch455 bläht Fischart auf über 400 Verse auf.456 Die Vokabel „testud[o]“457 des Orginals übersetzt er mit „Schneckenhaus oder […] Schiltkrottschalen“458. Der an Plutarch angelehnten, erweiterten Ausdeutung des Bildes schließt sich erst eine Exegese des Scheckenhauses an,459 dann die des Schildkrötenpanzers in Form einer Reihe von vier zeitgenössisch beliebten, äsopischen Fabelerzählungen,460 die die Begegnungen der Schildkröte mit dem Adler, den Fröschen, dem Hasen und Jupiter zum Thema haben und aus denen Lehren für das richtige Verhalten einer guten Ehefrau gezogen werden.461 Die zoologischen Detailbeob-
453 Reusner: Aureolorum Emblematum Liber, fol. C4v. 454 Ebd., fol. C5v. 455 Vgl. Plutarch: Coniugalia praecepta, S. 82. 456 Vgl. Hauffen: Johann Fischart, Bd. 1, S. 285 f. 457 Plutarch: Coniugalia praecepta, S. 82. 458 Fischart: Philosophisch Ehzuchtbüchlin, S. 154. 459 Vgl. ebd., S. 154–157. 460 Vgl. Hauffen: Johann Fischart, Bd. 1, S. 286. Die konkrete Vorlage ist nicht bekannt. Laut Hauffen kann es sich nicht um die Waldis-Ausgabe gehandelt haben (dieser operiert mit der Schnecke statt der Schildkröte), die maßgeblich zur Verbreitung der äsopischen Fabeln im sechzehnten Jahrhundert beigetragen hat, vgl. Adolf Hauffen: Einleitung. In: Johann Fischarts Werke. Hg. von Adolf Hauffen. 3 Bde. Stuttgart 1893–1895 (Deutsche National-Litteratur 18), Bd. 3, S. I–LXX, hier S. LV. 461 Vgl. Fischart: Philosophisch Ehzuchtbüchlin, S. 157–166.
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achtungen stammen hierbei aus Conrad Gesners Historia Animalium, die Fischart in besonderem Maße auch für den zweiten Teil des Ehzuchtbüchlins heranzieht.462 Die semantische Aufspaltung von ‚testudo‘ in ‚Schildkröte‘ und ‚Schnecke‘ ist auch in Holtzwarts Emblembuch zu beobachten, wo in Emblem XXVII, wie oben ausgeführt worden ist, diese Differenz zugleich zur besonderen Markierung der deutschen subscriptio verwendet wird. Auch spielen Schnecke und Schildkröte im Ehekapitel der Geschichtklitterung keine unwesentliche Rolle.463 Im Ehzuchtbüchlin wird also die von Plutarch vorgegebene Semantik der Venus-SchildkrötenKonfiguration durch die Einspeisung Äsops und Gesners aufgefächert, wird also qua Hinzuziehen weiterer Quellen im Medium der Fischart’schen Reimpaarverse, die gleichsam eine Kommentarfunktion erfüllen, der Plutarch-Text mit einem Surplus versehen, nimmt also die vernakulare Ausarbeitung der Vorlage komplexere semantische und sprachliche Formen an. Die Forschung hat festgestellt, dass im Ehzuchtbüchlin und hier ganz besonders im kompilierenden zweiten Teil vor allem die antiken, aber auch die zeitgenössischen Quellen ent- und rekontextualisiert werden, dass in der Übersetzung des „antiken oikos“ „auf den bürgerlichen Haushalt“ „[d]er alte Text […] im neuen zu verschwinden [hat].“464 In den Plutarch-Passagen wird der alte Text nicht durch Fragmentierung unsichtbar gemacht. Die Potenz des Deutschen erweist sich hier vielmehr in der Überlagerung des antiken Haupttextes durch eine komplexe Melange aus Quellen verschiedenster Provenienz, die eine Steigerung seiner Sprache und seiner Epistemik zur Folge hat. Auf diesen Mehrwert des deutschen Textes greift Reusner in seinem Emblem XLIII zurück (vgl. Abb. 33), das mit dem Motto „Custos domus uxor“465 ebenfalls die Häuslichkeit der Ehefrau unterstreicht. Der Holzschnitt ist identisch mit demjenigen des Ehzuchtbüchlin, die lateinische subscriptio – „Orta Venus spuma concham pede sustinet: uxor// Cochlea grata viro sic domiporta placet.“466 – variiert mit ‚concha‘ und ‚cochlea‘ die Schneckenhausvokabel, die deutsche führt sowohl Schnecke als auch Schildkröte an – ein deutliches Indiz, dass Reusners Emblem direkt auf dem Ehzuchtbüchlin basiert: „Fraw Venus steht auff Schilt-
462 Vgl. Hauffen: Einleitung 1895, S. LVIII. 463 Vgl. dazu auch Holenstein: Der Ehediskurs. 464 Jan-Dirk Müller: Texte aus Texten. Zu intertextuellen Verfahren in frühneuzeitlicher Literatur, am Beispiel von Fischarts Ehzuchtbüchlein und Geschichtklitterung. In: Intertextualität in der Frühen Neuzeit. Studien zu ihren theoretischen und praktischen Perspektiven. Hg. von Wilhelm Kühlmann, Wolfgang Neuber. Frankfurt a. M. u. a. 1994 (Frühneuzeit-Studien 2), S. 63–109, hier S. 78. 465 Reusner: Aureolorum Emblematum Liber, fol. C6r. 466 Ebd.
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krotnhauß/ // Haußschneck Ehefrau/ gdenckt nimmer drauß.“467 Damit integriert Reusner die bei Fischart sichtbare Vorstellung vom Potential des Deutschen, das das antike Erbe zu integrieren und ihm eine neue Form zu geben vermag. Dennoch ließe sich überspitzt formulieren, dass er durch die lateinische Seite seines Emblems wiederum das vernakulare Element an seine Wurzeln gemahnt und die ostentativ zur Schau gestellte, quantitative wie qualitative Steigerungs bewegung bei Fischart bremst bzw. im Parallelismus von deutscher und lateinischer subscriptio rückgängig macht. In den beiden bisher diskutierten Beispielen ist die aemulative Dynamik des Ehzuchtbüchlin nicht nur auf Sprache und Wissen beschränkt, sondern schließt sie die Bildkunst mit ein. Während Plutarch lediglich die Kunstwerke einmal ‚der Alten‘, einmal des Phidias ekphrastisch erwähnt, setzt Stimmer diese mit seinen Illustrationen um. Die antike Kunst wird in Stimmers Renaissancekunst zum Leben erweckt, eben nicht antiquarisch thesauriert, sondern im Medium des modernen Holzschnitts in das amplifizierende Gefüge der Fischart-Schrift eingepasst – Ähnliches ist oben bereits im Fall der im Ismenius-Roman ekphrastisch beschriebenen und in diesem Sinne von Stimmer gekonnt umgesetzten Figurenzeichnung der Temperantia-Allegorie festgestellt worden. Im Ehzuchtbüchlin repräsentieren Bild und Text eine neue Kunst, die zwar auf der Antike fußt, diese aber aktualisiert und transfomiert. Diese neuen, modernen Sprach- und Bild-Formen sind es, die Reusner auch in seinen Aureolorum Emblematum Liber, wiederum modifizierend, einspeist, wenngleich nur noch ihre Spuren sichtbar sind. Die Transformation des Quellenmaterials nicht durch aufblähende Steigerung, sondern durch Zerschneiden, Paraphrasieren und Neukombinieren ist im bereits mehrfach erwähnten zweiten, kompilierenden Teil des Ehzuchtbüchlin zu beobachten, der auf dieser Grundlage ebenfalls jene der Emblematik ähn lichen Strukturen aufweist, auf denen Reusner dann aufzubauen vermag. Aus dem Exempel des Königs Candaules,468 der Frau und Reich an Gyges verliert, folgert Fischart: „Sehet hie, wie gefrlich es sei, die heymlichkeiten der Eh zuoffenbaren vnd bse geselschaft inn ein haus zu füren.“469 Eben diese Einsicht wird in zwei sich anschließenden Sprichwörtern wiederholt470 und in einem Holzschnitt abgebildet, der zwei Männer zeigt, wie sie eine nackte Frau in ihrem Schlafzimmer beobachten. Eben diese Kombination von Bild und Exempel über-
467 Ebd. 468 Es stammt wohl aus dem „Candaules“-Eintrag aus dem Dictionarium historicum ac poeticum des Carolus Stephanus (1553), vgl. Fischart: Philosophisch Ehzuchtbüchlin, S. 189. 469 Ebd., S. 190. 470 Vgl. ebd.
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nimmt Reusner für sein Emblem XLIV (vgl. Abb. 34) mit dem Motto „Coniugii arcana non revelanda“, dessen deutsche subscriptio eine frappierende Ähnlichkeit mit Fischarts Merksatz aufweist: „Heimlich Ehesachn nicht offenbahr/ // Candauls Ehebeth sicht Gigas mitt gfahr.“471 Auch das Emblem XXXIX mit dem Motto „Coniugii sit castus amor“472, das über die pictura mit dem von Tauben gezogenen Wagen der Venus die Lehre transportiert, dass „Venus die Taubn ziehen im Wagn/ // Holdselig Lieb Eheleut nicht klagn“473, referiert auf die entsprechende Passage im zweiten Teil des Ehzuchtbüchlin, in der Fischart, ausgehend von einer entsprechenden Stelle in Gesners Tierbuch474 und der Einsicht, „das ein Weibsbild soll aufrechtes, einfaltiges, reynes vnd keusches gemüts, herzens, lebens vnd wandels sein“475, in einem über 40 Reimpaarverse langen Gedicht das Verhalten der Tauben mit dem ehelichen Zusammenleben abgleicht. Auch wenn letztlich am Ende eines jeden Exempels, sei es im Plutarch-Text oder im kompilatorischen Abschnitt, ein ‚Ehegesetz‘ steht – Fischart schließt sein ‚Taubengedicht‘ mit den Worten „Aber diß ist gnug angewisen// Eim Weib, welchs ist Ehrgeflissen“476 –, so spielt Fischart doch im gesamten Ehzuchtbüchlin sämtliche denkbaren Quellen emblematischen Denkens und Schreibens durch: Kunstwerke, die Tierwelt in Form von Fabeln und naturwissenschaftlichen Wissensbeständen, antike Geschichte und Philosophie und vieles mehr. Diese werden nicht als zu enträtselnde Geheimnisse in der Schwebe gehalten, sondern auf Morallehren herunterreduziert. In noch stärker simplifizierter Form finden sie dann Eingang in Reusners ‚Goldene Embleme‘. Dennoch halten sie über die deutlichen textuellen und vor allem bildlichen Bezüge das Fischart’sche Programm einer Schreib- und Übersetzungstechnik präsent, die gerade die Potenz und Autonomie des Deutschen unter Beweis stellt – wie sie von Jobin in der Vorrede zum Ehzuchtbüchlin formuliert wird.477
471 Reusner: Aureolorum Emblematum Liber, fol. C6v. 472 Ebd., fol. C4r. 473 Ebd. 474 Vgl. Hauffen: Einleitung 1895, S. LVIII. 475 Fischart: Philosophisch Ehzuchtbüchlin, S. 182. 476 Ebd., S. 183. 477 Zum close reading sowie einer eingehenderen Interpretation dieser Vorrede vgl. Sylvia Brockstieger: Das Deutsche im Wettstreit der Sprachen. Sprachreflexion bei Johann Fischart und Bernhard Jobin (ca. 1578). In: Imprimeurs et libraires de la Renaissance: Le travail de la langue. Sprachpolitik der Drucker, Verleger und Buchhändler der Renaissance. Hg. von Elsa Kammerer, Jan-Dirk Müller. Genf 2015 (De lingua et linguis 1), S. 524–538 und S. 564. Vgl. zusammenfassend auch Kettler: Trewlich ins Teütsch gebracht, S. 353–362.
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Dort wendet sich Jobin gegen all jene selbsternannten Verwalter der griechischen und römischen Gelehrsamkeit, die sich gegen Übersetzungen ins Deutsche und, damit verbunden, gegen eine Öffnung und Diffusion des humanistischen Wissens wenden. In seinen Augen spricht vor allem die Blüte von „Warheyt vnd Himlischer Weißheyt“478 im gegenwärtigen Deutschland – gemeint ist die Reformation – sowie der Status des Deutschen als ‚reiner‘, „vnvermengte[r]“ Sprache – eine klare Polemik gegen die „gebettelte[n] vnd gespttelte[n]“479 romanischen Volkssprachen – dafür, philosophische Reflexion und Begriffsbildung im Medium des Deutschen zu betreiben. Die Pflege und Ausgestaltung des Deutschen qua Übersetzertätigkeit, also der ‚Ausbau der Hütten‘, wie er bereits oben im Kontext der Emblempoetik Holtzwarts diskutiert worden ist, ist dabei oberste patriotische Aufgabe.480 Indem Fischart vorführt, dass ein solches Übersetzen nicht imitiert, sondern aufbläht, zerschneidet, neukombiniert, kontextualisiert und interpretiert,481 damit also in sprachlicher wie epistemischer Hinsicht aemuliert, stellt er die Relevanz des zeitgenössischen kulturellen Gefüges sowie das Potential des Deutschen aus, das dieselben Autoritäten wie der lateinische Renaissancehumanismus in den Blick nimmt, diese aber selbstbewusst überschreitet und appropriiert. Die Holzschnitte und textuellen Übernahmen aus dem Ehzuchtbüchlin fungieren in Reusners Emblembuch ebenso als Fenster in diese Domäne des Vernakularen, wie sie im Falle der Ismenius-Zitate den Geheimnisraum neuplatonisch fundierter Liebeskonzeptionen eröffnen. Bindeglied zwischen beiden Bereichen ist einerseits die bereits erfolgte Akkulturierung der Ismenius-Quelle an die protestantisch-bürgerliche Lebenswelt, besonders durch Fischarts Vorrede, andererseits die Aufnahme des Ismenius-Exzerpts in das Ehzuchtbüchlin. An diesen textuellen Brücken wird offenbar, dass Reusner die Gelehrsamkeit in epistemischem Inhalt und sprachlicher (lateinischer) Form mit den Erfordernissen der vernakularen Kultur – im Sinne der klaren, sentenzhaften Moraldidaxe – und dem Anspruch an die deutsche Sprache fusioniert. Letzterer ist jedoch angesichts der recht ‚holprigen‘ deutschsprachigen subscriptiones nur noch als Allusion an die Ehzuchtbüchlin-Zitate präsent. Das spannungsreiche Ineinander des lateinischen und deutschen Wissensund Sprachraums im Aureolorum Emblematum Liber unter den dezidierten Vorzeichen der neulateinischen Humanistenkultur, das sich erst im genauen Quel-
478 Fischart: Philosophisch Ehzuchtbüchlin, S. 122. 479 Ebd., S. 118. 480 Vgl. ebd., S. 123. 481 Vgl. mehr zu den Prinzipien und Tendenzen von Fischarts Übersetzungstätigkeit in Kap. 4.1.1.
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lenstudium offenbart, steht gewissermaßen dem intrikaten Gegeneinander der Parteiungen in den Emblematum Tyrocinia gegenüber, in denen die Eigenheiten des jeweiligen Sprach- und Denksystems deutlicher ausgestellt und gegeneinandergeführt werden. Dies wird sichtbar an den Vers- und Strophenparodien, an den Inkohärenzen zwischen den subscriptiones und den Sprichwörtern, den Allusionen an das vernakulare Literatursystem und natürlich an der offensiven Programmatik in Holtzwarts Eingangsemblem und in Fischarts Vorrede. Diese haben für Holtzwarts Emblembuch dieselbe programmatisch-rahmende Funktion wie in Reusners Buch die enzyklopädische Einklammerung der didaktischen Aspekte durch den Makro-Aufbau des Werks und dessen Einbettung in die zeitgenössische Gelehrtenrepublik durch die zahlreichen Widmungen. In der Weiterverarbeitung der Emblematum Tyrocinia nivelliert Reusner die offensichtlichen Widersprüche und erweist die Bedeutung der vernakularen Kultur und Sprache weniger in der beinahe aporetischen Ausstellung der Differenzen zum humanistischen System, wie es Holtzwart tut, sondern in ihrer wechselseitigen Integration, die jedoch unter dem klar leuchtenden Leitstern der Neulatinität vonstatten geht. Die ‚Goldenen Embleme‘ präsentieren sich als enzyklopädisches Amalgam, das Bestände des humanistischen Bücherwissens und des vernakularkulturellen Horizonts miteinander vereint, wobei letzterer ebenfalls auf der Basis einer mehrfach transponierten Antike ruht. In diesem Sinne stellen Holtzwarts und Reusners Emblembücher zwei verschiedene Versuchsanordnungen dar, in denen mit den antiken und autochthonen Traditionsbestandteilen auf unterschiedliche Art und Weise experimentiert wird. Ganz im Sinne einer ergebnisoffen funktionierenden Konstellation in einer Zeit der Optionen und ihrer noch nicht erfolgten diskursiven Schließung bietet die Offizin beide Varianten ihren Lesern dar, ohne, so ist zu vermuten, eine deutliche Präferenz auszusprechen.
3.3 Zwischenfazit: Bild und Text in der Formierungsphase der Emblematik Die friedvolle Amalgamierung von Wissens- und Sprachbeständen aus griechischer und lateinischer Antike sowie deutscher Sprache und Kultur in Reusners Aureolorum Emblematum Liber macht deutlich, dass der agonale Gestus gegenüber dem neulateinischen Humanismus auch darin bestehen kann, die Vereinbarkeit der Traditionen zu inszenieren und die Auschlusstrategien der Elite damit Lügen zu strafen – nichts anderes führt Fischart auch in seiner übersetzerischen Praxis im Ehzuchtbüchlin vor. Die bereits selbst auf einer transfomierten Antike beruhenden vernakularen Elemente markieren dabei jedoch ein klares ‚episte-
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misches Surplus‘, das sich in der Anwendung solcher integrativer Verfahren unweigerlich einstellen muss. Reusners Embleme balancieren die konfliktuöse aemulatio in Holtzwarts Emblembuch gewissermaßen aus, in dem viel stärker, auch von Fischart in seiner Vorrede, die autochthonen Sprach-, Kunst- und Literaturtraditionen betont werden. Gemäß dieser ‚doppelten aemulatio‘ sind auch Stimmers Holzsschnitte gleichermaßen Repräsentanten der deutschen Kunst nach Jobins Entwurf in den Accuratae Effigies, wie sie erfolgreiche Imitationen rinascimentaler Muster darstellen. So changieren die paratextuellen Reflexionen über den Status der deutschen Kunst zwischen Wiedergeburts- bzw. Sonnenaufgangsmetaphorik, novitas-Konzepten und Kontiuitätsbehauptungen sowie Vorstellungen von nationaler Suprematie oder Ebenbürtigkeit. Damit adaptieren und entkräften sie Denkmuster und Zeitkonzeptionen der von Italien dominierten Renaissance. In dieser Dynamik bildet die Antike den gemeinsamen Referenzpunkt, der mit den Errungenschaften der deutschen Vergangenheit und Gegenwart abgeglichen wird und zu diesem Zwecke zahlreichen Transformationen und Aktualisierungen unterworfen wird, um letztlich als Argument im Agon der europäischen Renaissancen eingesetzt zu werden. In den Medien des Portraitbuchs und der Bilderbibel ist in die kunstgeschichtliche und kunsttheoretische Reflexion immer auch die didaktische Komponente eingeflochten, die im Falle der ‚großen Männer‘ zugleich mit einer kulturellen Selbst-Verortung in der nationalen Vergangenheit einhergeht. Die ‚ästhetische‘ Qualität des Bildes und sein sittlicher Wert werden beispielsweise im Contrafacturbuch und besonders in der Bilderbibel aufs Engste miteinander verknüpft, und so ist es nur ein kleiner Schritt von der Exemplarität des Dargestellten hin zu seiner Emblematisierung, also zur Vermittlung von Wahrheit und Erkenntnis im potentiell geheimnisvollen Bild. Qua dieser Konzeptualisierungen ist von der bildkünstlerischen Seite her gesehen die Qualität einer modernen deutschen Emblematik in Form und Funktion gesichert, die Fischart in seiner Vorrede zu den Emblematum Tyrocinia dann mit einer entsprechenden Geschichte ausstaffiert. In seiner Archäologie der Emblematik bringt Fischart zugleich die Bedeutung der deutschen Kunst für Kunsthandwerk und Architektur in Anschlag, ganz ähnlich den Überlegungen Jobins in der Vorrede zu den Accuratae Effigies. Die Offizin Jobin hat sich mit Holtzwarts Emblembuch erstmals vom imitativen Verhältnis zu Alciato gelöst und sich an einer Neukonzeption der Kunstform für den deutschen Kulturraum versucht. Der Konzeptualisierungsdruck ist groß und die Erfolgschancen für das Erringen der Deutungshoheit sind insofern nicht gering, als sich die Gattung noch immer in ihrer Formierungs- und Diskursivierungsphase befindet. Mit der anspruchsvollen deutschen Bildkunst ‚im Rücken‘ präpariert die Offizin sie auf gleichsam laboratorische Art und Weise aus
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den verschiedensten Gattungs-, Traditions- und Sprachzusammenhängen heraus und erprobt dabei immer wieder aufs Neue die semantischen Potentiale piktorial-textueller Kombinationsformen. Reimpaarverse, Distichen, Sprichwörter, Narrationen und Traktate werden zu Text- und Wissensspendern und in die oben beschriebenen agonalen Dynamiken eingespeist. Dabei kristallisiert sich meines Erachtens, und dies nicht nur in der Offizin Jobin, besonders der Erzähltext als literarischer Experimentierraum heraus, da er einerseits als Geber-, andererseits als Nehmermedium für die Emblematik fungiert. Die Allegorien und Rätselbilder der Gartenanlagen des Ismenius-Romans präfigurieren ganz buchstäblich Reusners Embleme. In Holtzwarts bei Josias Rihel gedrucktem Erstling Lustgart Newer deuttscher Poëteri (1568) wiederum werden Alciato-Embleme ekphrastisch anzitiert und solche der Emblematum Tyrocinia vorkonzipiert.482 Auch hier wandert der Protagonist im Zwiegespräch mit einer Muse durch allegorisch-emblematische Gartenlandschaften, wird über Morallehren informiert und dabei über die Geschichte des Herzogtums Württemberg in Kenntnis gesetzt.483 Eine Generation früher, in Wickrams Irr reitend Pilger (1555), findet sich das Motiv ebenfalls, allerdings ohne den neuplatonischen ‚Überbau‘ der für die Jobin-Konstellation relevanten Texte. Der poetologisch-kunsttheoretische Impetus dieser ekphrastisch imprägnierten Gärten wird außerdem noch lange seine Wirkung entfalten, so auch in der poetischen Programmdichtung des Pegnesische[n] Schäfergedicht[s] (1644) von Georg Philipp Harsdörffer und Johann Klaj. Die Verknüpfung von Bild und Narration scheint besonders für die Früh- und Konstituierungsphase der Emblematik konstitutiv zu sein, und so bedienen sich auch Jobin und seine Mitarbeiter dieser Reflexionsmedien, um über sie eine elaborierte, gleichermaßen auf autochthonen wie auf antiken und humanistischen Traditionen fußende deutsche Emblempoetik herauszufeilen. Doch wie immer weiß Fischart sowohl die Mode der emblematisch-allegorischen Erzählungen wie auch die eigentliche Emblematik und Hieroglyphik in seiner Geschichtklitterung zu karikieren, über „das Ausstellen der Kontingenz des Bilddiskurses“484 beispielsweise in seinem Hieroglyphenkatalog.485 Im Falle von Gargantuas Grablege486 unterzieht er die Vorstellungen „natürliche[r] Semio
482 Möglicherweise sind die lateinischen Epigramme zu den Emblematum Tyrocinia zeitgleich entstanden, vgl. oben Kap 3.2.2. 483 Vgl. Holtzwart: Lustgart. 484 Bulang: Enzyklopädische Dichtungen, S. 432. 485 Vgl. Fischart: Geschichtklitterung, S. 177 f. 486 Vgl. ebd., S. 44–54.
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sen“487 einer Revision und spitzt diese Operationen auf das Sprachspiel hin zu.488 Auch die Satirisierung ist eine Spielart der Transformation und Eingemeindung gelehrten Wissens in vernakulare Diskurszusammenhänge, eine Form der Weiterschreibung seiner Grenzen, wie sie Jobin, Holtzwart, Reusner und Fischart auch in ihren Portrait- und Emblembüchern auf vielfältige und ernsthafte Art und Weise vollziehen.
487 Bulang: Enzyklopädische Dichtungen, S. 432. 488 Vgl. generell zum Umgang mit hermetischen Traditionen in der Geschichtklitterung Tobias Bulang: Zur poetischen Funktionalisierung hermetischen Wissens in Fischarts Geschichtklitterung. In: Erzählen und Episteme. Literatur im 16. Jahrhundert. Hg. von Beate Kellner, Jan-Dirk Müller, Peter Strohschneider. Berlin, New York 2011 (Frühe Neuzeit 136), S. 41–67.
4 Sprach- und Textorganisation in Fischarts replizierendem Schreiben (Übersetzung und konfessionelle Polemik) Die von kulturpatriotischen Motiven geprägte Transgression renaissancehumanistischer Denkformen bei gleichzeitiger Sichtbarhaltung ihrer normativen Voraussetzungen prägt nicht nur Bild und Kunst, sondern auch jene Strategien der Textorganisation und der Sprachverwendung bei Fischart, die als charakteristisch gelten dürfen und die allesamt auf die Herstellung eines elaborierten deutschen Texts abzielen. Sie fußen auf humanistischen und rhetorischen Prinzipien der Textproduktion, treiben aber deren Grenzen weiter und überschreiten sie. Beispielhaft lässt sich hier beobachten, wie die deutsche Sprache an die ‚Systemeigenschaften‘ des rinascimentalen Diskurses herangeführt wird, sich aber gleichermaßen von ihnen abzusetzen vermag, indem sie in ihrer spezifischen artistischen Faktur die Regeln humanistischer Sprachbeherrschung aemuliert. Diese Schreibstrategien sind an das ‚replizierende‘ Schreiben gebunden, wie es für die Literatur der Frühen Neuzeit konstitutiv ist, die bekanntlich hochgradig intertextuell organisiert ist.1 Neue Texte entstehen immer in Auseinandersetzung mit bereits vorhandenen, sie reagieren und antworten auf Autoritäten, zu denen sie sich affirmierend oder kontrastierend verhalten: Im Paradigma des Renaissancehumanismus sind die antiken Texte Gegenstand von imitativen und aemulativen Bearbeitungsprozessen – auch das humanistisch informierte Übersetzen als Sonderform dieses literarischen Verhaltens spielt hier eine große Rolle –, und in der ‚Schreibweise‘2 der (konfessionellen) Polemik werden zentrale Texte aus dem Traditionsbestand der Gegenseite oder die Publikationen unmittelbarer theologischer Gegner einer kritischen Reflexion unterzogen. Beide ‚replizierenden‘ Schreibverfahren, die auf vielfältige Weise ineinandergreifen, wirken als Motoren der Literatursprachenentwicklung und als wichtige Multiplikatoren im Standardisierungsprozess. Fischart schreibt sich in diese Dynamik ein, geht aber zugleich weit darüber hinaus. Durch sein innovativ-aemulatives Sprachverhalten produziert er widerständige Momente, was sich längerfristig betrachtet als wenig
1 Vgl. zum Intertextualitätsbegriff und zu den entsprechenden Modifikationen mit Blick auf seine Anwendung auf die Literatur der Frühen Neuzeit Wilhelm Kühlmann, Wolfgang Neuber (Hg): Intertextualität in der Frühen Neuzeit. Studien zu ihren theoretischen und praktischen Perspektiven. Frankfurt a. M. u. a. 1994 (Frühneuzeit-Studien 2). 2 Vgl. zur Begriffsklärung Kapitel 4.1.1. http://doi.org.de/10.1515/9783110613131-004
Imitatio und aemulatio
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erfolgreiche Sackgasse herausstellen sollte. Zugleich reflektiert er – und dies mag es tatsächlich rechtfertigen, ihn als ‚Späthumanisten‘ zu titulieren – in komplexen metapoetischen Operationen über die Möglichkeiten und die Grenzen humanistischen Schreibens. Die literarische Praxis in Form der Übersetzung sowie im Modus der Polemik und ihre poetologische Reflexion sind mithin untrennbar miteinander verbunden.
4.1 Imitatio und aemulatio 4.1.1 Zum Verhältnis von Nachahmungspoetik, Übersetzung und Polemik Humanistischer Textproduktion ist der Gestus der Spracharbeit inhärent. Nicht umsonst sind es vornehmlich die Humanisten, denen neben den Druckern die Standardisierungstendenzen im Sprachinventar des Deutschen seit Luther vornehmlich zugeschrieben werden.3 Die humanistische Beschäftigung mit der antiken Rhetorik wirkte sich auf die Faktur von anspruchsvollen Prosatexten aus, und humanistische Grammatiken reflektierten über korrekte Orthographie. Teilweise heute noch geläufige Fremdwörter und Fachtermini sind oft gelehrthumanistischen Ursprungs, im Bereich der Morphologie (Flexion und Wortbildung) bildeten sich bestimmte Standards der Gelehrtensprache heraus, und auch gewisse syntaktische Muster sind auf die rege Übersetzungspraxis und die nachahmende Beschäftigung mit der antiken Literatur zurückzuführen.4 Auch Fischarts Sprache ist von solchen auf den Vorgaben des Lateinischen fußenden Strukturen beeinflusst, „obwohl er wie Luther nach […] einer der deutschen Sprache gemäßen Syntax strebt[ ]“5 und, wie in diesem Kapitel zu zeigen sein
3 Zum Zusammenhang von frühheuzeitlicher Druckkultur und Sprachausgleich vgl. Kap. 1.2; Kap. 4.1.1. 4 Vgl. Joachim Knape: Das Deutsch der Humanisten. In: Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung. 2., vollst. neu bearb. und erw. Auflage. Bd. 2. Hg. von Werner Besch u. a. Berlin, New York 2000 (HSK 2.2), S. 1673–1681, hier S. 1674–1679. Bei der Analyse der Drucke wiederum ist meist nicht zu entscheiden, welche orthographischen Setzungen von den (humanistischen) Autoren und welche von den Druckern verantwortet worden sind, vgl. ebd., S. 1676. Vgl. zur Bedeutung der Antikenübersetzung für die Poetik den Band Regina Toepfer, Klaus Kipf, Jörg Robert: Humanistische Antikenübersetzung und frühneuzeitliche Poetik in Deutschland (1450–1620). Berlin, Boston 2017 (Frühe Neuzeit 211). 5 Spengler: Johann Fischart, S. 235. Spengler hat die für die Sprache der Humanisten charakteristischen, syntaktischen wie rhetorischen Strukturen bei Fischart ausführlich dargestellt, vgl. ebd., S. 235–244.
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wird, eben jene sprachnormierenden Züge der Zeit durch überbordende Sprachartistik hinter sich lässt. Die Orientierung an den Eigenheiten des Deutschen gepaart mit Fischarts individueller Sprachkunst stellt ein hochgradig aemulatives Surplus dar, das über das Sprachverhalten der lateinischen Humanistenkultur hinausgeht, wenngleich es nie den Kontakt dazu verliert. Auf ähnliche Weise überbietet Fischart die Gepflogenheiten der zeitgenössischen Übersetzungspraxis, die sich zwischen „Interlinear- oder Analogübersetzung“ und „Sinnübersetzung“6 bewegt und damit auch einen gewissen Einfluss auf die weitere Entwicklung des deutschen Satzbaus ausgeübt hat.7 Auch wenn sich in Fischarts Texten streckenweise starke Anlehnungen an Wortbestand und Syntax der Vorlage beobachten lassen,8 so orientiert sich sein Übersetzungsstil doch deutlich an dem schon länger gebräuchlichen und bereits umfangreich theoretisierten Sinn-Prinzip.9 Die (humanistisch informierten) Diskussionen über die richtige Weise der interpretatio sind seit den entsprechenden Theoretisierungen im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert in den imitatio-Diskurs integriert und arbeiten sich am Differenzproblem ab.10 Dabei ist Übersetzung vor allem als Übertragung des antiken Sprach- und Wissenssystems in die zeitgenössische Welt des Renaissancehumanismus zu verstehen.11 Fischart testet auch hier die Grenzen
6 Knape: Das Deutsch, S. 1678. 7 Vgl. ebd., S. 1678 f. 8 Vgl. die Übersicht mit Beispielen aus dem Podagrammisch Trostbüchlein bei Spengler: Johann Fischart, S. 262–272. 9 Vgl. ebd., S. 259 f. 10 Zum Zusammenhang von imitatio-Debatte und Übersetzungstheorie vgl. im Überblick Theo Hermans: Concepts and theories of translation in the European Renaissance. In: Übersetzung – Translation – Traduction. Ein internationales Handbuch zur Übersetzungsforschung. An International Encyclopedia of Translation Studies. Encyclopédie internationale de la recherche sur la traduction. Bd. 2. Hg. von Harald Kittel u. a. Berlin 2008 (HSK 26.2), S. 1420–1428, hier S. 1421 und 1426. Zu Übersetzung und Patriotismus vgl. Paola Mildonian: Translation and national culture in the European Renaissance. In: Übersetzung – Translation – Traduction. Ein internationales Handbuch zur Übersetzungsforschung. An International Encyclopedia of Translation Studies. Encyclopédie internationale de la recherche sur la traduction. Bd. 2. Hg. von Harald Kittel u. a. Berlin 2008 (HSK 26.2), S. 1397–1410. 11 Zum Verhältnis von imitatio- und Übersetzungstheorie in der französischen Renaissance vgl. Terence Cave: The Cornucopian Text. Problems of Writing in the French Renaissance. Oxford 1979, S. 53–77. Einen Überblick über die humanistischen Übersetzungstheorien unter dem Vorzeichen des Problems der ‚historischen Differenz‘ bietet Jan-Dirk Müller: Übersetzung in der Frühen Neuzeit. Zwischen Perfektionsideal und einzelsprachlicher Differenzierung. In: Übersetzung und Transformation. Hg. von Hartmut Böhme, Christof Rapp, Wolfgang Rösler. Berlin, New York 2007 (Transformationen der Antike 1), S. 81–104. Zu eben diesem Verhältnis von „Übersetzung und Transformation“ vgl. auch die weiteren Beiträge in diesem Sammelband.
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des Sinn-Paradigmas aus, indem er seine Vorlagen über zahlreiche Zusätze, seine berühmten ‚Mentzerkletten‘, also Kommentare, Digressionen, Wortreihen, Verseinschübe etc. anschwellen lässt.12 So wird imitatio durch die Annäherung an den Prätext insinuiert und zugleich unterlaufen. In der Vorrede des pseudonymen „Huldrich Elle Poscleros“ zur Geschichtklitterung nimmt Fischart zum Übersetzungsdiskurs seiner Zeit Stellung: Er wehrt sich gegen „Wort und Ordnung“13, also gegen das Wort-Prinzip sowie offenbar gegen geltende Gesetze der Rhetorik, und pocht stattdessen auf den „verstand“14 als Leitkategorie. Scholastisch anmutender Formalismus, so ist wohl die Anspielung auf den zumal im Mittelalter stark rezipierten Grammatiker Aelius Donatus zu verstehen, ist zu vermeiden: Sonst so viel den Dollmetschen belangt, hab ichs (eben gründlich die Ursach zuentdecken) darumb zu vertiern fürgenommen weil ich gesehen, wie bereit etliche solche arbeit unterstanden, doch ohn Minerve erlaubnus und mit darzu ungemachenem und ungebachenem Ingenio unnd genio, zimlich schläfferig, ohn einig gratiam, wie man den Donat exponiert, unbegreifflich wider deß Authors meinung, undeitlich und unteutschlich getractiert. Derwegen da man ihn je wolt Teutsch haben, hab ich ihn eben so mehr inn Teutsch wellen verkleiden, alß daß ich einen ungeschickteren Schneider müst druber leiden: Doch bin ich an die Wort und Ordnung ungebunden gewesen: unnd mich begnügt, wann ich den verstand erfolget: auch hab ich ihn etwan, wann er auß der Küheweyd gangen, castriert, und billich vertiert, das ist, umbgewand.15
Der gezielte Einsatz der Verkleidungsmetapher suggeriert eine im Übersetzungsprozess implementierte Verhandlung von Sinn. Eine mögliche Verrätselung läuft eigentlich rhetorischen Idealen wie der perspicuitas entgegen – wie auch Fischarts überbordende Sprachartistik ständig gegen weitere Vorgaben wie beispielsweise die brevitas verstößt – und vermag offenbar doch eine ‚Deutlichkeit‘ in der Sprache und eine Klarheit im Inhalt zu erreichen, die der Konkurrenz nicht gegeben ist. Dieser vorgeblich antirhetorische Modus der Sprachbehandlung, der auf hermetische Sprachvorstellungen verweist,16 eröffnet eine Tiefendimension
12 Vgl. zur Übersetzungstheorie und -praxis im Ehzuchtbüchlin Kap. 3.2.4.2. 13 Fischart: Geschichtklitterung, S. 18. Im Folgenden wird nach dieser Ausgabe, der der (letzte) Druck aus dem Jahr 1590 zugrunde liegt, zitiert, da für die Thesenbildung dieses Kapitels eine vergleichende Detailanalyse der verschiedenen Auflagen nicht nötig ist. Vgl. alternativ die Ausgabe Johann Fischart: Geschichtklitterung (Gargantua). Synoptischer Abdruck der Bearbeitungen von 1575, 1582 und 1590. Hg. von Albert Alsleben. Halle a. d. Saale 1891. 14 Fischart: Geschichtklitterung. 15 Ebd., S. 17 f. 16 Vgl. Kap. 2.1.1.
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des Deutschen: Es wird zum ‚Wirkraum‘ geheimen Wissens. Jedoch, auch dieses Programm17 ist, wie so oft in Fischarts Roman, so ernst nicht zu nehmen, darauf deutet schon die komisierende Volte der Kastrationsarbeit hin – gerade in der Geschichtklitterung ist Sinn immer disponibel.18 Dennoch verhält sich ein solch freies, das Wort-Prinzip hinter sich lassendes, die Grenzen des Sinn-Prinzips sprengendes, da den Sinn verdunkelndes oder ihn ganz infrage stellendes Übersetzen gegenüber der Vorlage sowie gegenüber dem translatorischen Usus der Zeit hochgradig aemulativ und sticht unter den elaboriertesten humanistischen Bemühungen heraus: „Imitatio – adopting an earlier author’s theme or text as a basis for one’s own embellishment – has become reinterpreted through a process of gradual accretion.“19 Nicht selten gehen Übersetzungstätigkeit und der konfessionell motivierte Angriff, zumal in Fischarts Fall, Hand in Hand. Für den Bereich des polemischen Schreibens20 hat die Forschung betont, dass die (konfessionelle) Polemik in ihrer ‚replizierenden‘ Struktur von Rede und Gegenrede nicht nur als „ein integrales und wirkungsvolles Mittel theologischer Wahrheitsfindung“21 anzusehen, sondern auch als Faktor für die Literatursprachenentwicklung nicht zu unterschätzen sei.22 So verdankt sich beispielsweise die Profilierung des Oberdeutschen als Literatur- und Kanzleisprache in hohem Maße den jesuitischen literarischen
17 Zum (ernsthaften) Zusammenhang zwischen der Nobilitierung des Deutschen über ihren Anschluss an hermetische Denk- und Schreibräume und zu den damit verbundenen emblematischen Schreibstrukturen vgl. Kap. 3.2.2. 18 Zur zusätzlichen Reduzierung der hermeneutischen Dimension des Rabelais-Textes bei Fischart vgl. die entsprechende Diskussion unten zur Poetik des Rausches in Kap. 4.3. 19 Florence M. Weinberg: Gargantua in a Convex Mirror. Fischart’s View of Rabelais. New York u. a. 1986 (Studies in the Humanities. Literature – Politics – Society 2), S. 15. Zu Fischarts Übersetzungstendenzen vgl. auch Elsa Kammerer: Le bœuf, le singe et le grillon. Johann Fischart dans les marges de Rabelais („Geschichtklitterung“, 1575–1590). In: „Fedeli, diligenti, chiari e dotti“. Traduttori e traduzione nel Rinascimento. Hg. von Elisa Gregori. Padua 2016 (Romanistica Patavina 8), S. 369–392. 20 Vgl. dazu auch Sylvia Brockstieger: Imitatio und aemulatio in konfessionspolemischen Schriften am Ende des 16. Jahrhunderts. In: Akten des XII. Germanistenkongresses der IVG Warschau 2010. Vielheit und Einheit der Germanistik weltweit. Bd. 16. Hg. von Franciszek Grucza u. a. Frankfurt a. M. u. a. 2012, S. 373–377. 21 Jens Haustein: Literarisierungsstrategien im kontroverstheologischen Schrifttum der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, in: Mediävistische Komparatistik. Festschrift für Franz Josef Worstbrock zum 60. Geburtstag. Hg. von Wolfgang Harms, Jan-Dirk Müller in Verb. mit Susanne Köbele, Bruno Quast. Stuttgart, Leipzig, S. 333–346, hier S. 344. 22 Vgl. beispielsweise ebd., S. 334–336; Kai Bremer: Religionsstreitigkeiten. Volkssprachliche Kontroversen zwischen altgläubigen und evangelischen Theologen im 16. Jahrhundert. Tübingen 2005 (Frühe Neuzeit 104), S. 5.
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Unternehmungen, in der sprachliche sowie konfessionelle Differenzierung und ‚Regionalisierung‘ aufs Engste ineinandergreifen.23 In der polemischen Kommunikation entfalten sich außerdem, beispielsweise über „Metaphernketten“24, immer komplexer gebaute sprachliche Gebilde, was nach Haustein „Literarisierungsstrategien“ zuzuschreiben sei, also der aktiven Spracharbeit mittels des Spiels mit Sprichwörtern, mit Neologismen oder Paronomasien.25 Die Produktivität literarischer Polemiken beschränkt sich allerdings nicht auf die Wort- und Wortgruppenebene, sondern ergibt sich zuweilen auch aus der spezifischen Art der Textorganisation, die den humanistischen Formen der literarischen Bezugnahme in Form von imitatio und aemulatio entspricht.26 Dem polemischen wie dem imitativ-aemulativen Schreiben ist ein Werturteil inhärent: Es wird ein Standpunkt eingenommen, sei es zu einem anderen Verfasser, einem Gegenstand oder einem Text; die Haltung, die dabei eingenommen wird, fällt entsprechend mehr oder weniger agonal aus. Beide Konzepte lassen sich folglich als strukturähnliche, jedoch gegenläufige Positionierungen zu ihrem Gegenstand begreifen, die sich in entsprechend strukturähnlichen Schreibverfahren niederschlagen. Gestützt wird eine solch relationale Konzeptualisierung des Begriffs durch die Tatsache, dass ‚Polemik‘ mit Hermann Stauffer entweder als „Verfahrensweise“ bzw. als „Methode der Auseinandersetzung“, als „literarische[r] Typus öffentlichen Streitens insbesondere seit der Frühneuzeit“ oder auch als ein unspezifischer „Sammelbegriff für heterogene inhaltliche Kontroversen“27 zu verstehen ist. Anküpfend an Stauffers „Verfahrensweise“ vermag Polemik auch als „Schreibweise“ nach Klaus Hempfer zu bezeichnen sein, also „als ‚normierter Prädikator‘ zur Unterscheidung transhistorischer Invarianten von historischen Textgruppen“28, der sich über beliebige Gattungen und deren historische Ausformungen legen kann. Vorgeschlagen sei außerdem der Begriff der ‚Schreibhaltung‘, was das Sich-Verhalten des Verfassers zu seinen Gegenständen noch
23 Vgl. grundsätzlich Breuer: Oberdeutsche Literatur, S. 44–90. Vgl. dazu auch Bremer: Reli gionsstreitigkeiten, S. 5. 24 Haustein: Literarisierungsstrategien, S. 341. 25 Vgl. ebd., S. 336. 26 Möglicherwiese liegt in dieser Wesensverwandtschaft auch der Grund für die Blüte gelehrter Polemik in der Frühen Neuzeit. Vgl. allgemein zur Polemik in der Frühen Neuzeit Kai Bremer, Carlos Spoerhase (Hg.): „Theologisch-polemisch-poetische Sachen“. Gelehrte Polemik im 18. Jahrhundert. Frankfurt a. M. 2015 (als: Zeitsprünge. Forschungen zur Frühen Neuzeit 19, H. 1–4); Kai Bremer, Carlos Spoerhase (Hg.): Gelehrte Polemik: Intellektuelle Konfliktverschärfungen um 1700. Frankfurt a. M. 2011 (als: Zeitsprünge. Forschungen zur Frühen Neuzeit 15, H. 2/3). 27 Hermann Stauffer: Art. ‚Polemik‘. In: HWRh 6 (2003), Sp. 1403–1415, hier Sp. 1403. 28 Klaus W. Hempfer: Art. ‚Schreibweise2‘. In: RLW 3 (2003), S. 391–393, hier S. 392.
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stärker betont. Anders als im Fall der Satire, die zwar ebenfalls als Schreibweise oder Schreibhaltung gefasst werden kann, aber gerade im Falle der römischen Verssatire sowie der Menippeia starke generische Marker ausgeprägt hat, handelt es sich im Falle der Polemik zu keinem Zeitpunkt der Literaturgeschichte um eine etablierte Gattung mit eigenen tradierten Konventionen.29 Zwar mag ein gewisser generischer Zug in Richtung der Streitschrift, des Pasquills oder der Invektive – sofern man diese als Gattung verstehen möchte30 – vorliegen, doch können diesen über die besonders starke rhetorische Durcharbeitung hinaus kaum harte generische Parameter zugeschrieben werden. Die Affinität der Polemik zu intensiver Rhetorik ist offensichtlich und doch nicht konzeptuell, über Stiluntersuchungen hinaus, erschlossen, zumal sich keinerlei entsprechende Kodifizierung in den Taxonomien rhetorischer Regelwerke findet, sieht man von der dem genus demonstrativum zugehörigen vituperatio, der Tadelrede, ab. Der Aspekt der Schmährede, also des direkten Angriffs ad personam, der sich besonders im Pasquill entfaltet, gewinnt seit den großen Aus einandersetzungen unter den Humanisten – zu nennen wären, unter vielen, die berühmten Kontroversen zwischen Poggio Bracciolini und Lorenzo Valla – für das frühneuzeitliche Verständnis von Polemik an Bedeutung.31 Die ad personam-Perspektiven von Nachahmungspoetik auf der einen und Polemik auf der anderen Seite finden ihren gemeinsamen Fluchtpunkt in ihren moralischen Implikationen. Während imitatio und aemulatio im Kern immer auch auf den guten Menschen, den vir bonus (Quintilian), hinter dem guten Redner, dem orator perfectus (Cicero), zielen,32 also Sprache, Stil und Tugend auf Engste im poetologischen Programm miteinander verquickt sind, geht es der Polemik oftmals darum, über
29 ‚Polemik‘ wie auch ‚Satire‘ sind also als gattungsübergreifende Kommunikationsmodi zu verstehen. Zum alternativen Begriff der Schreibart im Zusammenhang mit der Satire vgl. beispielsweise Ulrich Gaier: Satire. Studien zu Neithart, Wittenwiler, Brant und zur satirischen Schreibart. Tübingen 1967; Jürgen Brummack: Zu Begriff und Theorie der Satire. In: DVjs 45 (1971), S. 275–377, hier S. 275. Zu den antiken ‚Gattungen‘ der Satire und ihrem Nachwirken in der Frühen Neuzeit vgl. beispielsweise Stefan Trappen: Grimmelshausen und die menippeische Satire. Eine Studie zu den historischen Voraussetzungen der Prosasatire im Barock. Tübingen 1994 (Studien zur deutschen Literatur 132), S. 118 f. und 134 f. 30 Zur Funktion der Invektive für die Humanistenkultur vgl. Uwe Neumann: Art. ‚Invektive‘. In: HWRh 4 (1998), Sp. 549–561, besonders Sp. 550. Zur Geschichte der Invektive seit der Antike und zu ihrer Rhetorik vgl. Severin Koster: Die Invektive in der griechischen und römischen Literatur. Meisenheim 1980 (Beiträge zur klassischen Philologie 99). 31 Vgl. auch den Leipziger Sonderforschungsbereich 1285 „Invektivität. Konstellationen und Dynamiken der Herabsetzung“ (https://tu-dresden.de/gsw/sfb1285, aufgerufen am 24. Jun 2018). 32 Vgl. zum Zusammehang von imitatio auctorum und imitatio morum Nicola Kaminski, Dina De Rentiis: Art. ‚Imitatio‘. In: HWRh 4 (1998), Sp. 235–303.
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die Fehlerhaftigkeit der Argumentführung und der sprachlichen Ausgestaltung letztlich die moralische Defizienz des Gegners auszustellen und dadurch die eigene Position umso heller erstrahlen zu lassen. Während also die Nachahmungspoetik im engeren Sinne einen Autor als Autorität und Vorbild setzt, dessen Sprachbeherrschung nachgeeifert wird, greift das humanistisch informierte polemische Schreiben an Argumentationsfiguren, sprachlichen Verfahren und texttektonischen Mustern der Gegenseite an. Auf dem Feld der religiösen Auseinandersetzungen wird diese Strategie besonders evident: Gerade am Ende des sechzehnten Jahrhunderts, einer Zeit, in der der „Abgrenzungsdruck“33 zwischen den Konfessionen enorm und das Bedürfnis nach Selbstvergewisserung hoch ist, ist es den Kontroversliteraten ein Anliegen, über die Autorität ihrer Texte zugleich die ihrer theologischen Positionen zu steigern. In der ‚dialogischen‘ Auseinandersetzung mit dem epistemischen wie textuellen Universum der Gegenseite, in der kritischen Bearbeitung und Überbietung der ebenfalls autoritativ aufgeladenen gegnerischen Positionen und Schriften greift unterhalb des gelehrt-humanistischen Diskurses eine Sprachdynamik, die sich dessen Prinzipien über die strukturanaloge Art der textuellen Bezugnahme zu eigen macht. Texte des gegnerischen Lagers werden (vorgeblich) nachgeahmt und zugleich verzerrt, zerstückelt oder ins Lächerliche gezogen. Auch solche Verfahrensweisen sind als Formen der Überbietung deutbar: als destruktive aemulatio, deren Überbietungsgestus sich nicht in der Anerkennung der sprachlichen wie inhaltlichen Qualität der Vorlage erfüllt, sondern in der Abwertung, De-Autorisierung und Parodie.34 Die Autorität der Gegenseite ist hier von vorneherein als eine Als-ob-Autorität zu verstehen, die lediglich inthronisiert wird, um sie umgehend wieder abzusetzen.35
33 Oelke: Konfessionelle Bildpropaganda, S. 154. Vgl. dazu auch Haustein: Literarisierungsstrategien, S. 336. 34 Vgl. zu dieser These auch Brockstieger: imitatio. Zum Begriff der Parodie vgl. Theodor Verweyen, Gunther Witting: Parodie, Palinodie, Kontradiktion, Kontrafaktur – Elementare Adaptionsformen im Rahmen der Intertextualitätsdiskussion. In: Dialogizität. Hg. von Renate Lachmann. München 1982 (Theorie und Geschichte der Literatur und der schönen Künste. Texte und Abhandlungen. Reihe A: Hermeneutik – Semiotik – Rhetorik 1), S. 202–236. 35 Mit erstens invektivischem Personenbezug, zweitens ethischer Dimension und drittens Adaptation literarischer und rhetorischer Muster, die längst nicht in allen Fällen mit klar definierten termini technici wie ‚Parodie‘ eindeutig beschreibbar ist, sind auch potentielle Kriterien für die Bestimmung von Polemik als gattungsübergreifender Schreibweise identifiziert. Sie erhellen, dass wir es im Falle literarischer Polemik mit hochartifziellen Verfahren zu tun haben, die mit Fug und Recht als ars gelten dürfen.
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Sprach- und Textorganisation in Fischarts replizierendem Schreiben
4.1.2 Binenkorb Deß Heyl. Rmischen Imenschwarms (ab 1579) Dieser Befund trifft grundsätzlich für weite Teile der Streitschriftenliteratur zu, doch erweist sich Fischart als Meister seiner Zunft.36 Für ihn ist charakteristisch, dass besonders (aber nicht nur) dort, wo Übersetzung und Polemik fusionieren, der doppelte Leitstern humanistischer Textorganisation aufgerufen und zum Gegenstand der poetologischen Reflexion gemacht wird. So verquicken sich in Fischarts Übertragung des niederländischen De Biënkorf Der H. Roomsche Kercke (1569) des Philipp van Marnix, die unter dem Titel Binenkorb Deß Heyl. Rmischen Imenschwarms von 1579 bis 1588 in vier stetig anschwellenden Auflagen erschien,37 Sprachreflexion, Metapoetik und konfessionspolemischer Angriff. Auf dem Titelblatt gibt Fischart – unter der Maske des „Jesuwalt Pickhart“ – vor, der Hauptgrund für seine Übersetzung der Marnix-Schrift vom Niederdeutschen in das „gut preyt Frnckisch hoch Teutsch“38 sei seine Dienstbereitschaft gegenüber einem seiner liebsten Gegner im konfessionspolemischen Wortgefecht, dem Franziskanerpater Johannes Nas.39 Dieser habe sich in einer Schrift über die Unverständlichkeit einer ersten deutschen, anonym erschienenen Übersetzung des Marnix-Textes beklagt:40
36 Zu den Textverarbeitungsstrategien verschiedener konfessionspolemischer Streitschriften, z. B. eines Erasmus Alberus und eines Hieronymus Rauscher, im Vergleich zu Fischart vgl. beispielsweise Sylvia Brockstieger: Literatursatire, S. 21–72. 37 Die Ausgabe von 1580 – [Johann Fischart] Jesuwalt Pickhart: Binenkorb Deß Heyl. Rmischen Imenschwarms […]. Christlingen [Straßburg: Bernhard Jobin] 1580 –, aus der im Folgenden zitiert wird, ist mit der Erstausgabe aus dem Jahr 1579 bis auf kleinere Korrekturen identisch. Größere Umarbeiten sind dann für die dritte Ausgabe 1581 erfolgt, da in der Zwischenzeit eine weitere Streitschrift von Johannes Nas erschienen war. An der dritten Ausgabe orientiert sich dann auch die vierte von ca. 1582 (gedruckt erst 1588) weitestgehend. Vgl. hierzu und auch zu Fischarts ‚Übersetzungsstil‘ – zuweilen werden die niederländischen und französischen Spezifika wie Ortsnamen o. ä. durch deutsche ersetzt – Hauffen: Johann Fischart, Bd. 2, S. 112–118. Vgl. auch die Ausgabe Johann Fischart: Bienenkorb […]. Hg. von Josua Eiselein. St. Gallen 1847. 38 [Fischart:] Binenkorb, Titel. 39 Gegen ihn richten sich etliche Streitschriften Fischarts. Zur ersten großen Auseinandersetzung zwischen den beiden zu Beginn der 1570er Jahre vgl. Oelke: Konfessionelle Bildpropaganda; Brockstieger: Literatursatire. 40 Es handelt sich um den anonymen Bienkorb Der Heilig Römischer Kirchen (1576), gegen den Nas mit seiner Widereinwarnung an alle frommen teutschen (1577) Stellung bezieht, vgl. Hauffen: Johann Fischart, Bd. 2, S. 111 f.
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Unlangst han klagt mein Frater Naß Inn offnem truck/ wie ich selbs laß. Es sei eyn Rmischer Binkorb truckt (Deß honig er sonst vil het gschluckt) Aber der sei im nit bekantlich/ Weil das Teutsch ist so vnuerstndlich/ Das er nicht wiß/ ob es Teutsch sei/ Oder eyn Kuderwelcher Prei. Nun ists nit on/ er ist außgangen Auff Nider Teutsch/ vnd wol abgangen: Welchs Teutsch die Nas nit schmacken mag. Deßhalb/ damit er fuhr keyn klag/ Will ichs im zu lieb teutschen thun Auff gut preyt Frnckisch hoch Teutsch nun […].41
In seiner Vorrede nennt Fischart patriotische und glaubenspolitische Motive zuerst: Er habe den „Binenkorb“ „zufrderst dem Vatterland zu dienst/ der Kirchen zu frommen/ vnd dem […] Frater Nasen zu Ehren“ ins „verstndlich Teutsch“ übersetzt.42 Er stilisiert sich hier zum Experten auf dem Gebiet der Übersetzung und der Spracharbeit, die auf seiner Kenntnis einer allgemein gültigen Sprachnorm basiert, dem ‚fränkischen Hochdeutsch‘.43 Aus dieser Position heraus vermag er dann auch ein Urteil über die richtigen Wege zur Textkonstitution, also zum sinnvollen Umgang mit dem imitatio-Paradigma, zu fällen. Marnixʼ calvinistisch geprägte Schrift gibt vor, aus der Warte eines treuen Katholiken verfasst zu sein, der sich um den Zustand seiner römischen Kirche, zumal in den Niederlanden, sorgt und nun zur Sicherung der Fundamente des katholischen Glaubens einen Sendbrief des Gegenreformators Gentian Hervet in kommentierter Form herausgibt44 – diese Maske zieht sich eingangs auch der Übersetzer Fischart über, wobei sie aber durch die ‚Mentzerkletten‘ schnell gelüftet wird. Ein solches Buch muss zur Aufarbeitung der katholischen Tradition intensive Quellenarbeit betreiben, wodurch der Name ‚Bienenkorb‘ begründet ist, so Marnixʼ Vorrede (in Fischarts Übersetzung):
41 [Fischart:] Binenkorb, Titel. 42 Ebd., fol. 3r. 43 In Anbetracht der Konnotationen des Fränkischen in Bezug auf die oberrheinische Kultur und alemannische Sprache (vgl. Kap. 2.1.1) soll es sich wohl um das Alemannische handeln, das hier mit dem Gestus einer Allgemeinsprache auftritt; Virgil Moser dagegen sieht, weil er keinerlei Quellen nachweisen konnte, in der Stelle lediglich eine Spitze gegen den ‚Ostfranken‘ Nas, „die Stelle hat also mit Fischarts Sprache überhaupt nichts zu tun“, Moser: Über Sprache und Orthographie, S. 531. 44 Vgl. zum Programm des Philipp Marnix alias Isaak Robetus seine Vorrede (in Fischarts Übersetzung) [Fischart:] Binenkorb, fol. 3v–7v. Der Binenkorb ist in sechs Hauptteile gegliedert, die den Argumentationsgang Hervets nachvollziehen, vgl. Hauffen: Johann Fischart, Bd. 2, S. 109 f. Der siebte Abschnitt liefert, bei Marnix wie bei Fischart, eine ausführliche allegorische Darstellung des Bienenstaates. So werden beispielsweise die Bienenarten mit den Hierarchien der katho lischen Kirche kurzgeschlossen, vgl. [Fischart:] Binenkorb, fol. 237r–239r.
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Vnd demnach solch Wercklin von vilerley mancherhand Blümlin zusammen geraffft vnd gesammelt ist/ hab ich dasselbige den Binenkorb der Rmischen Kirchen/ genannt: Damit anzuzeygen/ das zu gleicher weiß/ wie eyn Ime auß eynerley Blum alleyn nicht iren honig holet/ sonder auß vilen vnterscheydenen/ also bestaht die Rm. Kirch auch nit auff eyner hand Schrifft/ Bibel/ Concily oder Decretenbuch: Dan sie raffet auß eym jglichen das jenig/ was ir am besten zu paß kommt vnd dienet.45
Die katholische Lehre, so Marnix-Fischarts Kritik, setzt sich aus unzähligen Bestandteilen zusammen und orientiert sich gerade nicht an der aus protestantischer Sicht einzig wahren Instanz, der Heiligen Schrift. An der Stelle eines Textes stehen viele Texte, darunter etliche jüdischer und heidnischer Provenienz, was ihre Autorität zusätzlich schmälert: „Darumb genügt vns/ wan man nur hierauß klrlich sehen mag/ wie sie jre heyligkeyt vnn Ceremonien/ so wol von den Heyden/ als von den Juden vnn alten ketzern geschpfft habe: vnd diß alles so künstlich vntereynander gebrauet/ das es eyn sehr lieblicher getranck worden […].“46 Dieses kompilierend-eklektische Schreibverfahren der katholischen Seite ist dabei mit dem zentralen humanistischen Verfahren der Textherstellung schlechthin identifizierbar, der imitatio. Seit der Antike wird zu ihrer Illustration das Bienengleichnis aufgerufen, das Florilegium hat dieses Formprinzip gar in Gestalt einer Gattung konserviert.47 Das blütenlesende Schreiben ist aus protestantischer Warte für die Domäne der Theologie gänzlich ungeeignet. Das Bild des Bienenkorbs als Kristallisationspunkt der Blütenlese dient dazu, die Fehler des gegnerischen Schreib- und Wissenssystems auszustellen: Der textuelle Flickenteppich der katholischen Tradition korrespondiert mit ihrer epistemischen Inkohärenz, während die protestantische Seite mit ihrer exklusiven Orientierung an der Heiligen Schrift, also einem – nach dem sola scriptura-Prinzip – einzigen, intakten Text, an dessen Autorität zudem kein Zweifel besteht, die Wahrheit vertritt. Doch ist der ‚Bienenkorb‘ doppelt semantisiert und damit auch Medium der poetologischen Selbstbeschreibung der Polemik. So heißt es in Fischarts Vorrede über seine Vorlage, sie habe „auß den lieblichsten Blümlein vnn Krutlin der Rm. Bücher/ den innersten krfftigsten Safft und kern […] darinn zusammen getragen“48. Die Binenkorb-Schrift imitiert in Aufbau und Methode also die (unterstellte) florilegische Struktur des katholischen Text- und Wissensuniversums.
45 [Fischart:] Binenkorb 1580, fol. 6r f. 46 Ebd., fol. 58r. 47 Vgl. Jürgen von Stackelberg: Das Bienengleichnis. Ein Beitrag zur Geschichte der literarischen Imitatio. In: RF 68 (1956), S. 271–293. 48 [Fischart:] Binenkorb, fol. 2v.
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Indem sie in diesem imitativ-schöpferischen Akt diese ihre Vorlage, ihr Feindbild also, de-autorisiert, nämlich indem sie es in der Parodie geradezu erst hervorbringt, ist eine solche Form der polemischen imitatio subversiv. Der Effekt der Entzauberung von Autorität durch den spielerischen Umgang mit jenen Techniken, die Autorität gemeinhin zementieren, zeugt davon, wie sehr Fischart und Marnix das Rahmenwerk humanistischen Denkens und Schreibens dehnen. Das humanistische Schreibverfahren erweist sich (in protestantischer Lesart) für die Wissenskonstitution im Bereich der Glaubenslehre als wenig tauglich, für die epistemische Fundierung ihrer Kritik jedoch als höchst produktiv.49 Indem Fischart seine Übersetzung zudem mit seinen berühmten anschwellenden Zusätzen, den „Mentzerkletten“50, ausstaffiert, vereindeutigt er den streckenweise ironischen, (vorgeblich) pro-katholischen Ton des Marnix. Denn in ihnen, wie auch in seiner Vorrede, identifiziert Fischart die zu lesenden Blüten eindeutig als Saufutter und Unkraut: [D]er Suiten Sumelck/ Schweinbrot/ Subonen/ Suprtzel/ Ferckensfenchel vnn Subast: der Magister nostrischen Teufelsgeheym/ Eselshub/ klapperrosen/ Naterzünglin/ Lewenzn/ Wolffshertz vnd Teuffelsbiß: der Trientischen Krottendill/ Fellriß/ Blutling oder Herodis stamm: Canisischen hundsdorn/ allerley Rmischer Binsaugnesseln/ Hummelkl/ Mnchspfeffer“51
In Modus dieser ‚negativen imitatio‘ der Unkraut-Lese, die sich von den autoritativen Vorgaben der Vorlage abkoppelt, vermag Fischart dann all die Geschütze seiner Sprachgewalt aufzufahren, also die assoziativ aufgebauten Wortreihen, die Neologismen etc., von denen unten noch die Rede sein wird. Subversive imitatio begründet und ermöglicht gleichsam einen Sprachraum, in dem der Sprache kaum Grenzen gesetzt sind.
4.1.3 Uncaluinisch Gegen Ba[d]stblein (1589) Auch das von Fischart vermutlich in Kooperation mit einem weiteren, unbe kannten Autor für die Offizin Jobin verfasste Uncaluinisch Gegen Ba[d]stblein (1589) setzt sich, das verheißt bereits der Titel, imitativ-pejorisierend mit einer katholischen Textvorlage auseinander, allerdings diesmal nicht mit dem Gesamt der Tradition, sondern mit einer einzigen konfessionspolemischen Schrift, dem
49 Vgl. zum Konzept der subversiven imitatio auch Brockstieger: imitatio, S. 365 f. 50 [Fischart:] Binenkorb, Titel. 51 Ebd., fol. 2r.
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in München bei Adam Berg gedruckten Caluinisch Badstbl (1587) des Johan Baptista Badweyler alias Johann Baptist Fickler.52 Der Katholik Fickler bringt darin das Argument der epistemischen wie praktischen Desintegration für die protestantische Seite in Anschlag: Als im Jahr 1587 ein Feldzug von deutschschweizerischen Truppen des Pfalzgrafen Johann Casimir zur Unterstützung des calvinistischen Thronprätendenten Heinrich von Navarra in Frankreich scheiterte, erklärte sich Fickler dies eindeutig mit der Uneinigkeit der Calvinisten. Diese Deutung entspricht durchaus den historischen Umständen, hatten doch Abstimmungsprobleme u. a. zwischen dem pfalzgräflichen Oberbefehlshaber Fabian von Dohna und seinem navarrischen Pendant sowie Zerwürfnisse zwischen den deutschen und französischen Einheiten maßgeblich zur Niederlage beigetragen.53 Ficklers Schrift hat das Ziel, diese Differenzen auszustellen und nachzuweisen, wie sehr jede der beiden Parteien auf Kosten der anderen den „Schandfleck“ der Niederlage abzuwaschen versucht: Ein kurtzer doch außfrlicher vnnd lustiger warhafftiger Bericht/ was massen die Casimirische/ Schweitzerische/ vnd Nauarrische/ Teutsche vnnd Frantzsische Caluinisten den grossen Schandfleck/ welchen sie im Frantzsischen Krieg/ Anno 87. daruon getragen/ gern wollten abwaschen: In dem je einer die schuld auff den andern wirfft […].54
Zu diesem Zweck greift Fickler auf entsprechende, bereits im Umlauf befindliche Drucke zurück, nämlich auf die divergierenden Berichte der beiden Befehlshaber sowie auf ein Gebet, das in allen Schweizer reformierten Kirchen zum Gelingen des Zugs gesprochen worden sei.55 Er montiert diese Texte aneinander, kommentiert sie über Vorrede und Marginalglossen und vollzieht so im Bild des dreieckigen Caluinisch Badstbl gleichermaßen die Anordnung seiner Quellen sowie die schnell getaktete Druckpraxis der gegnerischen Partei nach, die ihm die Texte im Angesicht der militärischen Niederlage ja erst verfügbar gemacht hat:56 In einer
52 Zu Fickler und seinen Werken vgl. Jan-Dirk Müller: Art. ‚Fickler, Johann Baptist‘. In: VL16 2 (2012), Sp. 334–343. Zu Fickler grundlegend vgl. Josef Steinruck: Johann Baptist Fickler. Ein Laie im Dienste der Gegenreformation. Münster 1965 (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte 89). 53 Zu den historischen Hintergründen und zum Verlauf des besagten Feldzuges vgl. Simone Loleit: Wahrheit, Lüge, Fiktion: Das Bad in der deutschsprachigen Literatur des 16. Jahrhunderts. Bielefeld 2008, S. 326 f. 54 [Johann Baptist Fickler] Johan Baptista Badweyler: Caluinisch Badstbl […]. [München: Adam Berg 1587], Titel. 55 Vgl. ebd., fol. A3r. 56 Über die (gedruckten) Gebete der Schweizer „Predicanten“ heißt es: „[W]ann sie zuuor gewißt hetten/ was sie jetzo wissen/ hetten sie gewißlich ihr Gebett nit drucken lassen/ vnd wann es in offentlichen Truck nit kommen/ so drfften sie jetzo jhren eignen Truck nit vndertrucken“,
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Ecke sitzen die Schweizer Prediger in der Wanne, in den anderen zwei Ecken je die beiden Feldherrn, die sich reinzuwaschen trachten bzw. einander mit ihrem dreckigen Badewasser begießen: Im andern Eckh stehet des Herren Fabians von Dhona Badwanne/ in welcher er sich seuberlich wascht/ vnd andere seiner Spieß vnd Glaubensgenossen kratzt/ es mcht das Blutt heraber rinnen. Im dritten Eckh stehet auch ein Badwanne/ in welcher ein Nauarischer Patron sitzt/ der sich gleichwol mit Namen nit nennnen wllen/ dieser seubert vnd wascht an den Nauarischen Frantzosen/ vnd was er abwascht/ das geust er dem Herren Fabian sampt seinen Schweitzern vnd Casimirischen Teutschen ins Angesicht.57
Das vierte Eck wäre eigentlich für die „Predicanten“ und deren „Gratias betten/ oder Te Deum laudimus singen“58 vorgesehen, aber nach Fickler muss es zwangsläufig fehlen, da der zu besingende Sieg ja nicht eingetreten ist. Beim ‚Badezimmer‘ handelt es sich also nicht nur um eine Metapher, die das umfassende Fehlverhalten der protestantischen Partei im Kontext des Frankreichfeldzuges illustriert, sondern auch und vor allem um ein metapoetisches Bild, das die ‚Architektur‘ der Schrift reflektiert. In diesem Sinne greifen es Fischart und sein Co-Autor nun im Uncaluinisch Gegen Ba[d]stüblein (1589) mit dem Ziel auf, es in Form einer „Außeckung des vngeformten/ dreieckichten/ außkommenen Caluinischen Badstübels“59 zu korrigieren. Unter dem Pseudonym Georg Goldrich Saltzwasser von Badborn, der als Autor der Gesamtschrift auf dem Titelblatt firmiert,60 ahmen sie die argumentative wie artistische Faktur ihrer Vorlage nach, um sie gleichzeitig zu bessern. Diesen aemulativen Hebel setzt Fischart bereits auf inhaltlicher Ebene an: Ausführlich vergleicht er in einem ersten großen Abschnitt in Reimpaarversen unter der Maske des „B. G. Mercurianus“61 die Vorgänge in Frankreich mit dem Untergang der Armada und führt so den Beweis, dass die katholische Niederlage die protestantische in sämtlichen Dimensionen – Ausmaß
ebd., fol. A2r. Zum Aufbau der Schrift und zu Ficklers polemischer Strategie der Kommentierung und Glossierung vgl. genauer Loleit: Wahrheit, S. 226–334. 57 Ebd. 58 Ebd. 59 [Johann Fischart u. a.] Georg Goldrich Saltzwasser: Uncaluinisch Gegen Ba[d]stblein […]. [Straßburg: Bernhard Jobin] 1589, Titel. 60 Ebd. 61 Ebd., fol. C2r. Dass es sich hierbei um Fischart handelt, steht außer Frage – vgl. auch ganz selbstverständlich Hauffen: Johann Fischart, Bd. 2, S. 65 –, zieht man auch sein Pseudonym Ba[ptist] Guisart im Gantz gedenckwürdige[n] und Eygentliche[n] Verzeichnuß (1588) in Betracht, einer Kompilation von über den Untergang der Armada berichtenden Texten (vgl. Kap. 2.2), vgl. hierzu Hauffen: Johann Fischart, Bd. 2, S. 57–63.
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der Verluste, der Kosten, der politischen Implikationen etc. – übertreffe.62 Anders als im Falle des spanischen Angriffs seien die calvinistischen Anstrengungen zudem auf die Verteidigung von Religion und Krone abgestellt gewesen: Dort wollten sie sich alein wehren/ Wider den/ der sie wolt zerstren: Hie nanten sie sich Conqueranten Zu Conquirierung frembder Landen. Dort haben sie sich nur beflissen Zu erwehren ein frey gewissen/ Hie wolt der Bapst durch Spanisch gwalt Sein lehr eintringen also bald. Dort nam man vor/ das man erwehr Eim Knig seine Kron vnd Ehr/ Hie wolt man einer Knigin Die Kron vom Haupt gleich reissen hin/ Auff daß man des Bapsts Bull thu gnug Der solchs Reich verschenckt ohn fug […].63
Das bellum iustum der Protestanten ist Fischarts bestes Argument gegen Ficklers Vorstellung von der calvinistischen Niederlage als Strafe Gottes, die bereits durch die Tatsache der spanischen Katastrophe widerlegt ist: Weil aber dir ist so erquicklich/ Wans andern Leuten geht unglcklich. Vnd schließt darauß/ daß diese all/ Welchen begegnet ein vnfall Darumb fhren ein bse sach/ Wolan nun auch die Rechnung mach.64
Mit der argumentativ-inhaltlichen Besserung geht die textuelle einher. So ist im Anschluss an den in Reimpaarversen verfassten Hauptteil das „Der genanten Caluinisten Te Devm Laudamvs“ ergänzt, verfasst von einem „A. Z. L.“ 65, das bei Fickler fehlt. War bei Fickler die Abwesenheit der vierten Ecke eigentlich gewollt und polemisch motiviert, legt ihm „A. Z. L.“ dies als konzeptuelle Defizienz aus und rühmt sich, den Fehler behoben zu haben:
62 Vgl. [Fischart u. a.:] Uncaluinisch Gegen Ba[d]stblein, fol. A4r–B1v. 63 Ebd., fol. B1r f. 64 Ebd., fol. A2v. 65 Ebd., fol. C2r f. Hierbei wird es sich nicht um Fischart handeln, vgl. Hauffen: Johann Fischart, Bd. 2, S. 67. Hauffen vermutet dahinter Lazarus Zetzner („Argentoratensis Zetzner Lazarus“), vgl. ebd.
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Das Badstblein der Caluinisten Ein Jesuuiter hat mit listen Gedicht/ vnd gsetzt in ein Dreyangel Am vierden Eck war dieser mangel/ Daß er niemand kundt darein bringen Te Deum laudamus zusingen. Gott sey gelobt die Stub ist gemacht/ Vnd gar fein in die gvier gebracht.66
Das ergänzte Gotteslob ist also zugleich ein Lob der eigenen polemisch-kritischen Textarbeit, werden doch nun die Jesuiten aufgerufen, in der vierten Ecke Platz zu nehmen, um dort auf „ewig“ „[i]m Kot vnd Schlamm“ 67 auszuharren – im „Suit risch Subad“68, das sich die Jesuiten selbst bereiten und dessen Existenz die beiden Autoren durch ihre spezifische literarische Tätigkeit offenlegen.69 Komplettiert wird die Korrekturarbeit auf der Ebene der dispositio dadurch, dass am Ende der Gesamtschrift noch einmal der Text des Schweizer Gebets abgedruckt wird, diesmal unentstellt und gereinigt von den kommentierenden „Schandglossen“ Ficklers.70 Im gesamten Text umspielen die Autoren, hier besonders Fischart, kunstvoll das metaphorische Angebot der Vorlage. Durch die entsprechende Metonymisierung – für eine Seeschlacht erscheint der Bildbereich des Wassers, der Taufe und des Badens angemessener als für einen Feldzug zu Lande – erzielt Fischart eine Motivierung seiner Bildersprache, die Fickler fehlt. Fischarts Text wird gleichsam zum Purgatorium seiner Vorlage: Von Badenfart der Spanischen Armada gehn Niderbaden zum Weiwasser in Engellndischen Mr vnnd Abgrund vorgenommen. HIeher du Badweiler Papist Mit deim Badstblein kalt und wst/ Welchs gzimmert hast im Schweitzerland/ Vnd darnach erst gehn München gsandt. […] Hierher/ sag ich/ kom du Badweiler. Vnd andre dems fugs Lästermeuler. Vnd lese hie in dem Tractat/ Von dem Spanischen Wasserbad.71
66 [Fischart u. a.:] Uncaluinisch Gegen Ba[d]stblein, fol. C2r. 67 Ebd., fol. C2r f. 68 Ebd., fol. A2r. 69 Es handelt sich gerade nicht um ein Preislied auf die Niederlage der Katholiken. 70 Vgl. ebd., fol. C3r–C4r, direktes Zitat auf C3r. Loleit erkennt hier ebenfalls eine Überbietung der polemischen Technik Ficklers, vgl. Loleit: Wahrheit, S. 341 f. 71 Ebd., fol. A2r.
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In typisch Fischart’scher Manier wird das Bad zur schier unerschöpflichen Quelle immer neuer Wortbildungen und -kombinationen, Assoziationen und Konnotationen. Während Fickler das Bild des Badstübleins lediglich zur Beschreibung seiner Textorganisation heranzieht und mit der polemischen Pointe des Reinwaschens belegt, ist es für Fischart Ausgangspunkt überbordender Metaphorik und ständiger Über- und Ausdehnung der Bildbereiche.72 So erfährt beispielsweise auch die althergebrachte Schiffsmetapher eine Umdeutung, indem das (sinkende) Schiff zum Bild des (gescheiterten) Ansinnens der spanisch-katholischen Seite aufgebaut und zugleich an die Vorstellung einer missglückten Argonautenfahrt gekoppelt wird: Sie han sich selbst beredt/ bethrt/ Wo man den Namen Spanier hrt/ So wird man auß der Insel fliehen/ Vnd sie gleich darein lassen ziehen: Aber diß Schiff/ das het ein loch Durch welchs das Wasser hinein brach […] Man hat sie glehrt/ als sie sich preißten/ Wie sie Argonautae sich beweißten/ […] Also war ihr Landgeitz erfllt/ Also ihr Spanisch Cholera gstillt: Also hat jhren Blutverguß Gar abgeschwempt ein Wasserfluß/ Vnd jhre Newe Baderfindung Hat jhnen gwehrt vil Blutverschwendung.73
Fischart begnügt sich jedoch nicht damit, Ficklers Fertigkeiten im Bereich der Textorganisation und der ‚Blumen der Rede‘ en praxi zu aemulieren, er polemisiert offen gegen Ficklers schlechten Stil. Stein des Anstoßes ist das Lied, das Fickler in der letzten Glosse zum Gebet der Schweizer (als Zitat) anstimmt und das den am Ende des Gebets formulierten Lobpreis Gottes karikiert und dabei den Tod der Calvinisten, aufgespießt auf Stecken, imaginiert: Freylich habt jhr da grosse Freud angericht/ zwo Genß die haben gesungen/ lustig in einem Bach/ Ein alte sampt der jungen/ deß ich von herzen lach/ gar lieblich sie da sangen/ wie d Schweitzer auff Stecken prangen/ Iuha vvida vva, die mann vorreitten sach Ewer Lefftzgen Opffer haben wier noch nicht gesehen/ villeicht rewets euch das jr so lang vnd fleissig gebett habt.74
72 Vgl. dazu auch Loleit: Wahrheit, S. 336 f. 73 [Fischart u. a.:] Uncaluinisch Gegen Ba[d]stblein, fol. B4r f. 74 [Fickler:] Caluinisch Badstbl, fol. B3r.
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Fischarts Replik fällt eindeutig aus. Er spricht Fickler folgendermaßen an: Weil es den Teutschen ging so leidig In Franckreich/ alß sie trennten sich/ Daß du ein Lied anfngst fr dich In mittelm deim Gebett glossieren/ Welchs wie ein Esel ein Marckt thut zieren/ Vnd bist darinn wol also fro Wie die drei Gnß im Haberstro.75
Fischart spannt das Lied Ficklers mit dem bekannten Volkslied von den drei Gänsen im Haferstroh zusammen, einer Parodie von In dulci jubilo,76 wodurch er auch den Text Ficklers als parodistisch-replizierenden charakterisiert. Allerdings hält er ihn nicht für gelungen: Das Lied stehe in der Glosse wie ein Esel inmitten eines Marktes; der Sänger Fickler wird mit den singenden Gänsen identifiziert. Indem die Gänse gegenbildlich auf den Schwan als Sinnbild des Dichters referieren, der Esel wiederum auf das Dichterross Pegasus, wird Fischarts negatives Kunsturteil über das Machwerk seines Gegners mehr als deutlich. Auf der anderen Seite versteckt sich hinter dieser polemischen Volte auch eine poetologische Aussage über die eigene Arbeit, denn der Esel markiert die satirische Schreibweise und ist damit in Fischarts Denkuniversum durchaus positiv konnotiert, wie wir beispielsweise aus der Vorrede zum Eulenspiegel Reimensweiß (ca. 1572) wissen. Dort führt Fischart den Esel als dem Pegasus überlegen ein und profiliert den Eigenwert der ‚niederen‘, satirischen Literatur: NVn hab ich guter Eulenspiegel Bekommen auch Poetisch flgel/ Wie Pegasus/ welchs war ein pferd: Souiel ist auch mein Esel wert.77
Damit ist die unernste Rezeptionshaltung definiert, die der Leser einnehmen sollte, wenn Fischart zur imitatio des ‚Meisters‘ Fickler aufruft:
75 [Fischart u. a.:] Uncaluinisch Gegen Ba[d]stblein 1598, fol. B2v. 76 Nachweis mit dem Hinweis auf die Verwendung des Lieds in der Geschichtklitterung bei Charles A. Williams: Weiteres zu Fischarts Liedern. In: PBB 37 (1912), S. 262–272, hier S. 270; Charles A. Williams: Zur Liederpoesie in Fischarts Gargantua. In: PBB 35 (1909), S. 395–464, S. 447. 77 Johann Fischart: Eulenspiegel reimenweis [ca. 1572]. In: Johann Fischart: Sämtliche Werke. Bd. 2. Hg. von Ulrich Seelbach und W. Eckehart Spengler. Stuttgart-Bad Cannstatt 2002 (Berliner Ausgaben), V. 1–4. Vgl. hierzu Müller: Fischarts Gegenkanon, S. 290 f.
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Auff daß aber du Gbettglossierer Vnd du mein Leiren Melodierer Habst deinen Badmut nicht allein/ So wollen wir dir zustimmen fein/ Vnd als dein Jnger dirs nachmachen/ Wer Lacht/ der mag deß Meisters lachen [.]78
Nach dieser deutlichen Allusion an die Nachahmungspoetik folgt ein Lied Fischarts, das, u. a. indem es die Phrase „Iuha vvida vva“79 verarbeitet, auf Ficklers Lied aufbaut, dieses in satirischer Absicht travestiert und damit überbietet – auch indem es die defiziente ‚Eselshaftigkeit‘ des Vorbilds literarisch produktiv umsetzt. Es ist zudem nicht nur nach formalen Kriterien richtiger – es handelt sich nicht zuletzt um eine vollständige Strophe und nicht nur um ein Zitat –, sondern verhandelt auch den richtigen Anlass, nämlich den Untergang der Armada. Gleiches mit Gleichem zu vergelten, also den Feind mit seinen eigenen Waffen zu schlagen, ist eine beliebte Denk- und Argumentationsfigur der konfessionellen Polemik.80 Diese wird hier nun auf die Prinzipien traditioneller humanistischer Textproduktion gewendet: Die Schein-imitatio einer vom Gegner ins Feld geführten poetischen Gattung, dem Lied, hat deren formale wie inhaltliche Verbesserung zur Folge; eine solche satirisch-travestierende aemulatio wird unter den Vorzeichen der Polemik zu einem subversiven Kampfmittel.81 Im selten
78 [Fischart u. a.:] Uncaluinisch Gegen Ba[d]stblein, fol. B2v. 79 Ebd., fol. B3r. Der vollständige Liedtext lautet (ebd.): Die Dauchenten die sungen Lustig in einem Bach/ Weil es so wol ist glungen Den Spanier in der Lach/ Gar lieblich sie da sungen/ Wie Mrkrebs Spanier fungen/ Ey daß ich deß nicht Lach/ Badweiler sing mir nach Iuha vvida vva, Die man da schwimmer sah/ etc. 80 Vgl. u. a. Loleit: Wahrheit, S. 340 f. 81 Anders Loleit: Wahrheit, S. 335: „Diese Überbietung ist jedoch keinesfalls als Wettstreit im Sinne der aemulatio aufzufassen. Einzig und allein mit seiner Liedparodie greift Fischart auf ein traditionelles Mittel des Dichterwettstreits zurück.“ Loleit sieht die Stelle ebenfalls dadurch abgeschwächt, dass Ficklers Lied nicht von ihm stamme, sondern ein „Liedchen[ ] ohne jeden künstlerischen Anspruch“ (ebd.) sei, weshalb es sich hier nicht um eine echte Auseinandersetzung um Sprache und Stil handeln könne, vgl. ebd. Genau in diesem Befund besteht jedoch meines Erachtens die subversive Komponente jener spezifischen ‚aemulatio unter polemischen
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abgeschlossenen Textuniversum von polemischer Rede und Gegenrede vermag der Schüler selbst wiederum zum Lehrer werden, der Lehrer zum Schüler: „Nun hast dein Lied/ mein sauber Gast// Welchs du vns selber glehret hast/ // Diß magstu nach deim Bad wol singen“82. Im direkten Anschluss an diese Passage bietet Fischart noch ein „Requiem“ auf die Verstorbenen, um mit der Geste, den Gegner nicht gleich zur Hölle zu wünschen, sondern ihm zumindest die Möglichkeit zur Läuterung zuzugestehen, zugleich die eigene (moralische) Überlegenheit zu demonstrieren.83 Genau das gegenteilige Verhalten, nämlich angesichts der hohen Verluste Jubellieder anzustimmen, hat Fischart zuvor an Fickler kritisiert.84 Während also im Binenkorb die Reflexion über die Grenzen und Möglichkeiten von florilegischer imitatio im theologischen und konfessionspolemischen Schrifttum im Vordergrund steht, ist es im Uncaluinisch Gegen Ba[d]stblein die aemulatio, die den umfassenden Überbietungsgestus aus dem Bereich des religiösen (und politischen) Wissens auf alle Ebenen der rhetorisch fundierten Textkonstitution hin ausweitet: Fischarts Text weist explizit wie implizit nach, dass er mit der Seeschlacht der Armada den richtigen Gegenstand mit der korrekten Begründung darstellt (inventio), die Gesamtarchitektur des viereckigen Bades vervollständigt (dispositio) und dabei sowohl das Potential der sprachlichen Bilder
Vorzeichen‘. Lieddichtung ist eine Form der Dichtung, die Fischart ernst nimmt, und auch an anderer Stelle, z. B. in der Truncken Litanei, zum Gegenstand metapoetischer Reflexion macht (vgl. unten Kap. 4.3). 82 [Fischart:] Uncaluinisch Gegen Ba[d]stblein, fol. B3r. 83 Vgl. ebd., fol. B3v. Der Text des Requiems lautet (ebd., fol. B3r): Gott hat den Sieg vns gunt/ Wer vns auch den vergunt/ Zu grund geht ewer Bund Die Liga hat ein Wund/ Die Spanier gehen zu grund/ Deß gibt das Mr vrkund/ Mit seinem tieffen schlund Der die Bluthund verschlundt/ O Nicolàè in vndis Helff jhnen in profundis/ O lang Christoffs schenckel Helff jhn auß disem Trnckel. 84 Das Motiv ist die Furcht vor Gottes Strafe (ebd., fol. B2v): Wann dein Feind fllt/ soll darumb nit Sich vberheben dein Gemt/ Auff daß der Herr nit wend von jhm/ Vnd vber dich schtt seinen Grimm.
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voll ausschöpft als auch die Poetik der inserierten Lieddichtung besser durchführt (elocutio). Zugleich geriert sich der Sprecher nicht nur als guter Rhetoriker, sondern auch, und damit dem tradierten Ideal entsprechend, als vir bonus, der seinem Gegner gegenüber eine faire Haltung einnimmt und zugleich die theologische Wahrheit für sich beanspruchen kann. In beiden Fällen hat die Applikation und Reflexion der Leitprinzipien humanistischer Textproduktion eine satirischsubversive Stoßrichtung, die es erlaubt, über das auf Autoritäten basierende System eben jene Autoritäten anzugreifen und auszuhebeln. In diesem, durchaus als späthumanistisch zu verstehenden Sinne ist das imitativ-aemulative Paradigma Gegenstand ständiger Dehnung, Aushandlung und Umdeutung, Faktoren, die ihre besondere Schlagkraft gerade dann entfalten, wenn sie mit poetischer Produktivität – wie im Fall der ‚Gänselieder‘ – und überbordender Sprachkunst – man denke an die elaborierten Variationen über das Wasser- und Badebild sowie die ‚Mentzerkletten‘ – einhergehen. Der sprachproduktive Aspekt (humanistisch geleiteter) Übersetzung und konfessioneller Polemik wird auf diese Weise intensiviert und mit einem metapoetischen Surplus versehen. Fischart bildet also im Zuge seiner Arbeit an der deutschen Sprache nicht nur einen spielerischen Umgang mit (antiken) Texten aus, sondern auch mit den etablierten Regeln ihrer Rezeption.
4.1.4 Etlich Sonnet (1575) Fischarts Spiel auf der Klaviatur der Nachahmungpoetik im Dienste der Polemik erstreckt sich auch auf eine Gattung, die trotz ihrer noch verhältnismäßig jungen Geschichte im europäischen sechzehnten Jahrhundert bereits eine besondere Strahlkraft entwickelt hat: das Sonett. Während die Sonettpoesie in Frankreich und England blühte, waren die vor-opitzischen deutschsprachigen Unternehmungen, in deren Kontext im Folgenden auch Fischarts Sonettexperimente zu sehen sind, mit Ausnahme des komplexen Werks Georg Rodolf Weckherlins noch vereinzelt und gerade, was das Form- und Themeninventar angeht, in sich wenig ausdifferenziert. Dennoch lassen sich an ihnen zentrale Aspekte des imitativen und aemulativen Schreibens in der Vernakularsprache erörtern, ist doch für das Sonett ist die Berufung auf Autoritäten, besonders Petrarca, nachgerade konstitutiv. Auch für das verspätete deutsche Sonett gilt, was Ulrich Schulz-Buschhaus für die Sonettpoesie Italiens, Frankreichs und Spaniens festgestellt hat, nämlich „daß in kaum einem Gedicht – und insbesondere in kaum einem Sonett – des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts ein Autor allein spricht. So gut wie immer erhebt der Dichter eine Stimme, die den Klang anderer Stimmen wieder-
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holt, verstärkt oder dämpft.“85 Was sich auf den ersten Blick wie ein Gemeinplatz der Intertextualitätstheorie anhört, hat weitreichende Konsequenzen für den nachahmungspoetologischen Zusammenhang des Petrarkismus in Deutschland. Einerseits bezogen sich die deutschen Sonettisten, direkt und explizit beispielsweise mittels zahlreicher Petrarca-Übertragungen, immer wieder ostentativ auf die Autorität des ‚Originalautors‘ und inszenierten sich so als seine direkten Gefolgsleute; andererseits hatte sich, als die deutsche Sonettdichtung in der Volkssprache einsetzte, der Petrarkismus längst zum gesamteuropäischen System verfestigt,86 wurden die poetischen Charakteristika von Petrarcas Sonetten in vielfach übersetzter, transformierter und zugleich topisch geordneter Weise tradiert, gelangten diese entweder direkt aus Italien oder vermittelt über Frankreich und England in den deutschsprachigen Raum und gingen dort vielfache Allianzen mit Traditionen anderer Gattungen ein.87 Die Folge ist, um bei Begriffsangeboten der Intertextualitätstheore zu bleiben, ein komplexes Ineinander von Autor-, Einzeltext- und Systemreferenz.88 Thomas Borgstedt unterscheidet vom „rein intertextuell bestimmt[en]“ Petrarkismus, der sich in Anlehnungen an und schwachen Bezugnahmen auf den Canzoniere erschöpfe, den „poetologischen“ bzw. „theoretisch reflektiert[en] Petrarkismus“89 und setzt die Geburtstunde des zweiten Typus im Jahr 1525 an, als Pietro Bembo in seinen Prose della volgar lingua Petrarca als nachahmenswürdigen Musterautor für die Dichtung in der Volkssprache empfahl.90 In der
85 Ulrich Schulz-Buschhaus: Emphase und Geometrie. Notizen zu Opitzʼ Sonettistik im Kontext des europäischen ‚Petrarkismus‘. In: Martin Opitz (1597–1639). Nachahmungspoetik und Lebenswelt. Hg. von Thomas Borgstedt, Walter Schmitz. Tübingen 2002 (Frühe Neuzeit 63), S. 73–87, hier S. 73. 86 Vgl. William J. Kennedy: European beginnings and transmissions: Dante, Petrarch and the sonnet sequence. In: The Cambridge Companion to the Sonnet. Hg. von Anthony D. Cousins, Peter Howarth. Cambridge 2011, S. 84–104. 87 Vgl. zum Zusammenhang von Nachahmungsdiskurs und Sonnetistik pointiert Thomas Borgstedt: Nachahmung und Nützlichkeit: Renaissancediskurse, Poeterey und Monumentsonette. In: Martin Opitz (1597–1639). Nachahmungspoetik und Lebenswelt. Hg. von Thomas Borgstedt, Walter Schmitz. Tübingen 2002 (Frühe Neuzeit 63), S. 53–72. 88 Vgl. zu den Begrifflichkeiten Manfred Pfister: Zur Systemreferenz. In: Intertextualität. Formen, Funktionen, anglistische Fallstudien. Hg. von Ulrich Broich, Manfred Pfister. Tübingen 1985 (Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft 35), S. 52–58; Ulrich Broich: Zur Einzeltextreferenz. In: Intertextualität. Formen, Funktionen, anglistische Fallstudien. Hg. von Ulrich Broich, Manfred Pfister. Tübingen 1985 (Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft 35), S. 48–52. 89 Thomas Borgstedt: Topik des Sonetts. Gattungstheorie und Gattungsgeschichte. Tübingen 2009 (Frühe Neuzeit 138), S. 270 f. 90 Borgstedt: Topik, S. 270 f.
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Folge entwickelte sich die Sonettistik im europäischen Konzert der Sprachen und Literaturen des sechzehnten Jahrhunderts zur Paradedisziplin schlechthin, um den Wert der eigenen Muttersprache unter Beweis zu stellen. Als der Petrarkismus nach Deutschland kam, hatte er bereits den sogenannten Antipetrarkismus im Gepäck, der sich in der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts um Dichter wie Francesco Berni etabliert hatte. Als Gegenfigur zu petrarkistischen Bezugnahmen eignet ihm eine gewisse Affinität zum polemischen und satirischen Schreiben und wird in diesem Zusammenhang für Fischarts Sonnete, wie zu zeigen sein wird, besonders relevant. Die Forschung hat große Mühen darauf angewendet, das Phänomen des Antipetrarkismus abzustecken und begrifflich zu erfassen. Mit Borgstedt lässt sich zwischen zwei Spielarten des Antipetrarkismus unterscheiden, der „ideologischen“ im Sinne einer „Gegenakzentuierung zur orthodoxen petrarkistischen Tradition“ und einer „poetologischen“ im Sinne einer „dezidiert parodistische[n] Auseinandersetzung[ ] mit der petrarkistischen Tradition“91. Doch auch schon leichte Abweichungen vom ‚reinen Petrarkismus‘ können antipetrakistische Tendenzen aufweisen: Mit Gerhard Regn und im Anschluss an Klaus Hempfer lässt sich ein „definitorisches Zentrum“ des „Petrarkismus als System“92 ausmachen; dieser besteht thematisch-inhaltlich in der petrarkischen Liebeskonzeption, der paradoxalen „Schmerzliebe“ zu einer Dame als „Repräsentantin einer zugleich ästhetischen wie ethischen Vollkommenheit“93, sowie formal in einem bestimmten Themen-, Motiv-, Figuren- und metrischem Repertoire, beispielsweise in den bekannten antithetisch-oxymoralen Kippfiguren der Liebesklage oder dem topischen Schönheitspreis. Nun wird weder in jedem einzelnen Gedicht im Canzoniere noch in jedem petrarkistischen Gedicht das gesamte Repertoire umgesetzt; zudem ist das Prinzip der variatio dem petrarkistischen System von vorneherein eingeschrieben, erweist sich doch hierin nicht nur die imitative, sondern auch die aemulative Kompetenz des Sonettdichters.94 Je nach Dichte der petrarkistischen Elemente ist also eine Bewegung des Gedichts vom Zentrum des Systems hin zur Peripherie auszumachen. Und je stärker solche ‚zentrifugalen Kräfte‘ ausgeprägt sind, desto eher lagern sich fremde Elemente an, bis hin zum Umschlag.95
91 Borgstedt: Topik, S. 298. 92 Gerhard Regn: Art. ‚Petrarkismus‘. In: HWRh 6 (2003), Sp. 911–921, hier Sp. 915. 93 Ebd., Sp. 912. 94 Vgl. ebd., Sp. 914. 95 Für solche Fälle, vor allem wenn sich die hedonistische Liebesvorstellung Bahn bricht, hat Schulz-Buschhaus den Begriff des A-Petrarkismus vorgeschlagen, im Gegensatz zu klar markierten, auf das Formenspiel fokussierten parodistischen Verfahren, die er als antipetrarkistisch begreift, vgl. Regn: Art. ‚Petrarkismus‘, Sp. 915. Die Differenzierung zwischen A- und Antipetrar-
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Das terminologische Ringen um die formalen wie inhaltlichen Distanzierungsgesten, die das System über beständige aemulative Bezugnahmen auf den Musterautor Petrarca schon bald entwickelte und dabei stets im Sinne der variatio in sich integrierte, offenbart die Schwierigkeiten, die sich einstellen, sobald es um die adäquate Bewertung dieser Verfahren geht. Das beständige Pendeln von imitatio und aemulatio zwischen Identität und Differenz,96 zwischen Verehrung und Wetteifer erschwert den Versuch, eine klare Trennlinie zwischen systemkonformen und systemüberschreitenden, ja gar systemnegierenden Techniken zu ziehen.97 Auch die im engsten Sinne antipetrarkistischen Verfahren wie die Parodie scheinen sich nach ihrem Aufkommen in Italien in der ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts schnell verfestigt zu haben und vom System absorbiert worden zu sein, sind sie doch gewissermaßen Zeugen für absolute Systembeherrschung durch den sprachmächtigen Dichter. Entsprechend können die ersten deutschen Sonettdichter, darunter auch Fischart, auf Petrarkisches, Petrarkistisches und Antipetrarkistisches gleichermaßen affirmierend wie kritisch zurückgreifen. Dass dabei die Quantität, also die Menge der Bezugnahmen, ein Indiz für Systemtreue oder -abweichung sein könnte – beispielsweise, wenn wie bei Giambattista Marino die Petrarkismen nur noch in Form von Zitaten anwesend und mitunter deswegen, wie Regn annimmt, entwertet sind98 –, ist eher ein schwaches Argument. Vielmehr ist die Qualität der differenten Bezugnahmen, also ihr SichVerhalten zum petrarkistischen Diskurs ausschlaggebend. Im Folgenden wird nun darzulegen sein, wie die ersten deutschen Sonettdichter das dem Sonett in der Nachfolge Petrarcas eingeschriebene prekäre Verhält nis zum Musterautor einerseits und zum petrarkistischen System andererseits zu nutzen wissen, um außerliterarische Zwecke zu erfüllen: Polemisch-parodistische Gesten im textinternen Kommunikationsraum – in Form antipetrarkistischer Elemente – und im textexternen Kommunikationsraum können sich, jedenfalls im Falle Fischarts, überkreuzen. Die ersten deutschen Sonettexperimente vor Opitz speisen sich aus zwei Quellen, dem petrarkistischen Sonett und dem konfessionspolemischen Schrifttum: Während Sebastian Froe im Jahr 1573 und Ernst Schwabe von der Heyde um 1616 die ersten von der Pléiade bzw. der niederländischen Poesie beeinflussten
kismus entspricht im Kern derjenigen zwischen ideologischem und poetologischem Antipetrarkismus bei Borgstedt, vgl. Borgstedt: Topik, S. 298. Zur weiteren Diskussion des Antipetrarkismus-Begriffs vgl. Borgstedt: Topik, S. 297–306. 96 Vgl. Regn: Art. ‚Petrarkismus‘, Sp. 915. 97 Vgl. ebd., Sp. 918. 98 Vgl. ebd.
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petrarkistischen Sonette übersetzten, handelt es sich bei der ersten Sonettübersetzung in die deutsche Sprache überhaupt um ein antipäpstliches Streitgedicht. Der Augsburger Arzt Christoph Wirsung übertrug 1556 die Apologen des Sieneser Dissidenten Bernhard von Ochino aus dem Italienischen. Den fazetienhaften Kurzerzählungen vorangestellt ist ein Sonett, das Wirsung unter dem Titel Zuo dem Bastardischen Christenthumb wiedergibt. Die Endecasillabi der Vorlage überträgt er dabei in die üblichen deutschen Vierheber. Das Gedicht entbehrt zwar jeglicher direkter Anspielung auf das petrarkistische Motivrepertoire und verschafft in groben Strichen dem reformatorischen Anliegen Gehör, entwickelt seine polemische Kraft aber indirekt doch aus der in der Sonettradition bekannten, antithetischen Argumentationsstruktur und arbeitet zudem mit starken Farbkontrasten: O zeit für andere torecht toll/ O welt on witz/ blind/ viehisch/ vnd Die gantz vund gar in finstern schlund Versenckt/ verstrickt/ vnd mangels voll. Du ligst ye vergraben wol Im Chaos/ da kein end noch grund Der jrthumb/ gstanck/ kot/ ungesund/ Da all Gottlosigkeit sein soll. So gschicht dem der den brunnen klar Der warheit last/ vnd suocht erstert Cisternen,/die on safft vnd leer Liebt schwartzen nebel/ tuncklen gfar Der luog: das er das hell liecht werdt Der warheit nit kan dulden mehr.99
Dieses kommunikative Muster, nämlich dass das Sonett von einem konfessionspolemischem Kotext begleitet und in den konfessionspolemischen Kontext eingebettet ist, findet sich auch bei jenen ersten Sonetten in deutscher Sprache wieder, die keine Übersetzung sind, nämlich bei den Etlich Sonnet (1575) aus der Feder Johann Fischarts. Diese gingen noch dem ersten deutschen AlexandrinerSonett des Paul Schede Melissus voraus, das wohl 1579 entstand, aber erst 1624 in Zincgrefs Teutschen Poemata bekannt wurde.100 Fischarts sieben Sonette gelten nicht nur als die ersten eigenständigen Sonette in deutscher Sprache, sondern bilden zugleich den ersten überlieferten deutschen Sonettzyklus.
99 Bernhard von Ochino: Apologi […]. Übers. von Christoph Wirsung. [O. O.] 1556, fol. A1v. 100 Vgl. Aurnhammer: Spottsonette, S. 159.
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Er findet sich erstmals im Anhang des Offenlich[en] […] Ausschreiben, der deutschen Übersetzung des französischen hugenottischen Pamphlets und Publikationsschlagers Discours merveilleux de la vie, actions et deportements de la royne Catharine de Mediceis aus demselben Jahr.101 Möglicherweise war Fischart, der die Sonette mit seinem bekannten Pseudonym Huldrich Wisart zeichnete, auch an der Übersetzung des Traktats durch den pseudonymen Emericus Lebusius beteiligt. Die Sonette richten sich gegen die Herrschaft der Katharina von Medici, die nach dem Tod ihre Mannes Heinrichs II. etwa 30 Jahre lang die französische Politik dominierte. In den Augen der hugenottischen Partei trug die landfremde Italienerin die Verantwortung für die Bartholomäusnacht vom 23. auf den 24. August 1572, und dementsprechend erklärt der anonyme Verfasser des Discours merveilleux Katharina zur „unfranzösischen Bestie“102, deren Tyrannei nach Jahren der machiavellistischen Verstellung nun in der Katastrophe augenfällig geworden sei. Fischarts Sonette atmen den Geist des Offenlich[en] […] Ausschreiben, bauen aber daneben auf einer anderen, zwei Dialoge umfassenden hugenottischen Streitschrift mit dem Titel Reveil-matin (1574) auf, deren ersten Dialog Fischart, wieder als Huldrich Wisart, mindestens anteilig übersetzte – als Übersetzer firmiert wieder Emericus Lebusius – und 1575 unter dem Titel Reveille Matin, Oder Wacht frü auf herausbrachte. Hier experimentiert Fischart mit möglichen deutschen Entsprechungen, beispielsweise Kreuzreimstrophen, für die französischen Verseinlagen, überträgt aber ein inseriertes Spottsonett auf Katharina aus der Feder Pierre de Ronsards erstaunlicherweise nicht in Verse, sondern in Prosa – laut Aurnhammer eine „ästhetische Dissonanz“103, die kennzeichnend für die Formierungsphase der volkssprachlichen Poesie sei. Ein weiterer Prätext für die Etlich Sonnet ist ein sieben Gedichte umfassenden, französischer, anonym erschienener und ebenfalls gegen Katharina gerichteter Sonettzyklus vom Juli 1575. Aurnhammer hat auf der Basis von Analysen der Reimvariationen, mit denen Fischart in Abgrenzung zu französischen und italienischen Mustern experimentiert, die innere Dynamik des Zyklus herausgearbeitet und zeigen können, dass Fischarts sieben Sonette einer komplexen, dialektischen Argumentstruktur folgen, die im letzten Sonett „in einem geharnischten Aufruf zum Kampf kulminieren.“104 Die „gegliederte[ ] induktive[ ] Beweisführung“ stelle
101 Vgl. zum politischen Kontext und dem Inhalt der Spottsonette auch kurz Kap. 2.2; Blum: „Darum gott alles recht erschuf“. 102 Aurnhammer: Spottsonette, S. 146. 103 Ebd., S. 148. 104 Ebd., S. 154.
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hierbei eine Neuerung gegenüber dem „Reihungsprinzip der traditionellen Reimpaarsatire“105 dar. Fischart tauscht die Autorität des humanistischen Musterautors Petrarca und des petrarkistischen Systems durch die des zeitgenössischen, hier vornehmlich in Versen verfassten hugenottischen Pamphletschrifttums aus, an dem er sich für seine Argumentationsführung, seine Bildlichkeit und Motivstruktur orientiert. Dies überrascht erst einmal nicht, geht er doch mit den Bestandteilen der Tradition stets spielerisch um und versteht er Literatur auch, wenn nicht sogar primär als Kampfmittel, sei es im Bereich der politisch-polemischen Publizistik oder auf dem weiten Feld des Satirenschrifttums – die metapoetisch gedachte Überblendung von Kampfes- und Schreibtätigkeit, beispielsweise in der Geschichtklitterung, weist darauf hin.106 Dennoch bleiben Allusionen an die überlieferten anti-petrarkistischen bzw. parodistischen Techniken erhalten: Im Kampf gegen die politische Autorität werden, überspitzt formuliert, gattungsgeschichtlich überlieferten Mittel der Auflehnung gegen eine literarische Autorität in Anschlag gebracht. So variiert das erste Sonett den petrarkistischen Schönheits- und Frauenpreis: I. IN dem Hauß/ spricht man/ stehts nicht wol Vnd muß gewiß was böß gemanen/ Wann die Henn kreht vber den Hanen/ Da sie doch dafür gachsen soll Zu leuchtern jhren Eyerstoll: Also wie viel mehr muß es hön In einem Regiment dann stehn: Welchs grösser ist vnd sorgen voll: Wann die Henn will die Hanen führen: Da muß sie die gewiß verführen: Dann es ist wider die Natur Daß das schwächer das stärcker führt Das vnzierlichst das zierlichst ziert: Welch vngleicheit dient zur auffruhr.107
In der Invektive ad personam der Katharina von Medici ist die Invektive gegen die petrarkistische Dame mitgedacht, textexterner und text- bzw. gattungsinterner
105 Ebd., S. 154. 106 Vgl. Kap. 4.4. 107 Fischart: Etlich Sonnet, S. 155.
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Kommunikationsraum, synchrone und diachrone intertextuelle Achse werden zur Deckung gebracht. Das Lob der Frau, das seinen Reiz gerade aus der erhabenen Position und Unerreichbarkeit der Frau bezieht, ist pervertiert und mithilfe der Bildlichkeiten aus der Pamphletliteratur zu Fall gebracht. Das Nationalsymbol des gallischen Hahns, der, wie es das siebte Sonett vorführt, potentiell „Hanen muth“108 hat und positiv besetzt ist, wird in seiner weiblichen Variante, der Henne, zum Ausweis der bestialischen Natur Katharinas: Ihr wird jegliche menschliche Qualität abgesprochen. Im misogynen Ton, der die Frau auf ihre Gebärfähigkeit reduziert und das Entleeren ihrer Eierstöcke ins Zentrum ihrer Berufung stellt, wird die petrarkistische Herrschaft der Dame über Herz und Leben des Liebenden in die Kritik an weiblicher Regentschaft im politischen Feld überspielt – womit eine intensiv geführte staatsrechtliche Diskussion der Zeit, unter französischen Protestanten als Querelle des femmes bezeichnet,109 berührt ist. Es handelt sich um eine im besten Sinne antipetrarkistische Operation: Die Degradation der gattungsinternen Autorität – der Dame wie Petrarcas – wird nicht im literarischen System ausgehandelt, sondern soll sich im politischen Handeln erfüllen. Das erste Sonett lässt offen, ob durch die Umkehrung und Diffamierung der petrarkistischen Liebenskonzeption und ihrer Herrschaftsstruktur diese ebenfalls Gegenstand der Polemik ist oder doch nur das künstlerisch-spielerische Mittel darstellt, mit dessen Hilfe das eigentliche Ziel, nämlich der Katholizismus und seine weltlichen Vertreter in Frankreich, angegriffen wird. Das siebte Sonett hält mögliche Antworten bereit: VII. Sonder die frechlich vnderstahn Sich wider gsatz vnd ohn all wal Zustecken in geschäfft vberal/ Den/ sag ich/ soll man widerstahn/ Weil jhn der gewalt nicht zu will stehn: Darumb nur jr Frantzosen dran/ Erweist das Hanen muth jr han: So wird euch alles glück zugahn/ Erweist/ das jhr von Teutschen kommen/ Von Francken frey/ den alten frommen. Dann so kein frembden Han jhr duldet/ Der euch hersch/ wann er euch nicht huldet/ Wie solt jr nicht die Henn verdammen So frembd/ die Hanen hetzt zusammen/
108 Ebd., S. 158. 109 Vgl. Aurnhammer: Spottsonette, S. 153.
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Daß sie einander selbs erlamen/ Vnd gar außrotten jhren Stammen/ Derhalben dran ins Herren namen/ Sechst ob man ein wild henn mag zamen/ Vnd jhren grimmigen Eyersamen.110
Hier evoziert Fischart die gemeinsame fränkische Vergangenheit, wobei die französische als Derivat der deutschen Kultur erscheint, und ruft ab dem siebten Vers zum Kampf der Franzosen gegen die Fremdherrschaft auf.111 Der Aufstand der autochthonen Kultur gegen die Fremdbestimmung ist unbedingt auch poetologisch zu lesen, denn nicht umsonst bricht sich ab dieser Evokation die Reimhäufung immer stärker Bahn, wird die Sonettform in Richtung eines ‚geschwänzten Sonetts‘ mit neunzehn Zeilen112 überschritten, nehmen die deutschen Verse, die ganz im Einklang mit der autochthonen Tradition ab den Terzetten urplötzlich paargereimt sind,113 eine überbordende Eigendynamik an – und dies passiert nur hier, programmatisch am Ende des Zyklus. Der emphatischen Behauptung von der Einheit mit der französischen Kultur ist zugleich ein klarer Distanzierungsgestus eingeschrieben, der sich auch auf die Formvorgaben der Sonettistik romanischer Provenienz bezieht. Im Angesicht der dringlichen Erfordernisse der Zeit formuliert Fischart eine doppelte aemulatio: Das System der calvinistischen Streitschriftenliteratur, wenn auch nicht mit einem einzigen Musterautor ausgestattet, löst als literarisch-poetische Autorität das selbstreferentiell funktionierende System der petrarkistischen Sonettistik in Form und Inhalt ab – als besondere Pointe mag dabei gelten, dass es sich bei der in der antipetrarkistischen Wutrede entthronten französischen Königin Katharina ja eigentlich um eine Landsmännin Petrarcas handelt. Als Motor der produktiven Auseinandersetzung mit dem Motiv- und Formenrepertoire der hugenottischen Streitschriftenliteratur speist Fischart wiederum die Kategorie des Eigenen, die des autochthonen Sprach- und Formmaterials mit ein und distanziert damit nicht nur die Vorgaben der romanischen Sonettistik, sondern auch das gerade erst neu gewonnene Vorbild der Pamphletistik mit deutlichem Autonomiebewusstsein. Fischart sprengt die bereits relativ festen nachahmungspoetischen Konventionen der Gattung Sonett und praktiziert einen umfassenden Anti-Petrarkismus: In der variierenden Nachahmung gewisser Systemelemente wie des (verkehrten) Frauenlobs oder des Reimschemas de-autorisiert er die Systemvorgaben der Gattung und
110 Fischart: Etlich Sonnet, S. 158. 111 Vgl. hierzu auch oben, Kap. 2.2. 112 Vgl. Aurnhammer: Spottsonette, S. 153. 113 Vgl. ebd.
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stellt zugleich die Dominanz der französischen Literatur als solcher grundlegend infrage. Über die satirisch-parodistische aemulatio der Gattungsvorgaben des Sonetts und deren Einbettung in den konfessionspolemischen Kommunikationszusammenhang zielt Fischart also auf eine zweifache Entmachtung von Autorität, eine innerliterarische und eine außerliterarisch-politische, und erprobt einmal mehr die Möglichkeiten und Grenzen der Nachahmungspoetik unter den Vorzeichen des replizierenden, polemischen Schreibens.
4.2 Cornucopia: Geschichtklitterung (ab 1575), Jesuiterhütlein (1580) Die im siebten der Etlich Sonnet ersichtliche Eigendynamik von deutscher Versform und deutschen Reimen, die sich nicht um die Grenzen der imitatio schert, macht deutlich, dass die Sprachkunst Fischarts, seine Sprachspielereien und etymologischen Experimente114 sowie seine makkaronisierenden Sprachhybride vor allem darauf abgestellt sind, die copia des Deutschen zu beweisen und weiter zu mehren. In Abgrenzung zu den Standardisierungstendenzen seiner Zeit betont Fischart, trotz aller Präferenz für das Alemannische,115 geradezu den Variantenreichtum der deutschen Sprache, und zwar in diachroner wie in synchroner Perspektive: In der Geschichtklitterung flicht er niederdeutsche Passagen ein – „dat dir hundert tusend Tüffel in de Liff fahren“116 –, reflektiert er über die sächsische Aussprache – „Es solt einer noch nicht wöllen Peter heissen, weil ihn die Sachssen Bitter nennen“117 – und wartet er sogar mit einem Gedicht in fingiertem Althochdeutsch auf.118 So ist „F[ischarts] Wortgut […] nicht nur ein Spiegel der Sprache und der westmitteldeutschen Sprachgemeinschaft seiner Zeit, sondern ein Neben- und Gegeneinander volkstümlich-umgangssprachiger und humanisti-
114 Zum Verhältnis von Sprachspiel und Etymologie in der Frühen Neuzeit vgl. Harms: Funktionen. Zu diesem Problem bei Fischart vgl. Fuß: Von den Zeichen der Welt; Schank: Etymologie. Zu Fischarts Sprachtechniken vgl. auch Hans-Jürgen Bachorski: Irrsinn und Kolportage. Studien zum Ring, zum Lalebuch und zur Geschichtklitterung. Trier 2006 (Literatur – Imagination – Realität. Anglistische, germanistische, romanistische Studien 39), S. 460–466. Zum Etymologisieren vgl. ebd., S. 467–470. Zu Fischarts divergierenden Sprachauffassungen vgl. auch Kap. 2.1. 115 Vgl. Kap. 1.2 und Kap. 4.1.1 (zum Einfluss der Humanisten und Drucker) und Kap. 2.1 (zu den Sprachauffassungen Fischarts). 116 Fischart: Geschichtklitterung, S. 133. 117 Ebd., S. 311. 118 Vgl. ebd., S. 45. Vgl. zur ‚Althochdeutsch‘-Passage auch Bachorski: Irrsinn, S. 403–406. Zu den Regionalismen vgl. auch ebd., S. 406 f.
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scher, gelehrter Sprachformen“119. Wie im Falle des allgemeinen humanistischen Wortschatzes sind auch einige Neologismen Fischarts in den Sprachgebrauch eingegangen, jedoch erscheint seine Sprache gemeinhin als unbezwingbares Konglomerat verschiedener vernakularer und klassischer Sprachen, synchroner wie diachroner Varianten des Deutschen und eigener Neubildungen und Kontaminationen,120 das quer zu sämtlichen Standards jedweder Sprache liegt. Die von Fischart gepflegten Neukombinationen einzelner Morpheme oder die minimalen Abweichungen im Konsonanten- und Vokalbestand eines Wortes können nicht nur die Variabilität der deutschen Sprache ausstellen, sondern zudem Konnotationen aktivieren und neue semantische Dimensionen eröffnen. Jeder Laut hat potentiell Bedeutung, und so schwankt in der Vorrede des „Huldrich Elle Poscleros“ zur Geschichklitterung durch den geschickten Einsatz von „Graphemspiele[n]“, „durch eingefügte Buchstaben“ und „durch das Spiel mit Homonymien/Homophonien“121 die Anrede des Publikums zwischen captatio benevolentiae und Beschimpfung: An alle Klugkröpffige Nebelverkappte NebelNebuloner, Witzersauffte Gurgelhandthirer und ungepalirte Sinnversauerte Windmüllerische Dürstaller oder Pantagruelisten. GRoßmächtige, Hoch und Wolgevexirte tieff und außgelärte, eitele, orenfeste, orenfeißte, allerbefeistete, ährenhaffte und hafftären, orenhafen, unnd hafenoren oder hasenasinorige insbesondere liebe Herrn, gönner und freund.122
Die Mehrung des Sinns über die Mehrung der Sprache im Spannungsfeld von Sprachspiel und (Pseudo-)Etymologie ist charakteristisch für Fischarts Sprache und dient nicht selten satirischen und polemischen Zwecken: Berühmt ist die Verknüpfung von „Jesuiter“ und „Jesu Wider“, die über eine geringe Modifikation im Lautbild die ‚wahre‘ Bedeutung des Wortes – in konfessionspolemischen Sinne, versteht sich – offenlegt.123
119 W. Eckehart Spengler: Wortschätze herausragender Persönlichkeiten I. Vocabularies of famous personalities I: Literatur/Literature. Johann Fischart. In: Lexikologie/Lexicology. Ein internationales Handbuch zur Natur und Struktur von Wörtern und Wortschätzen/An international handbook on the nature and structure of words and vocabularies. Bd. 2. Hg. von D. Alan Cruse u. a. Berlin, New York 2005 (HSK 21.2), S. 1479–1488, hier S. 1479. Zum hohen Ansehen der Mundarten bei Fischart vgl. auch Spengler: Johann Fischart, S. 256. 120 Vgl. Spengler: Wortschätze. Johann Fischart, S. 1480 f. 121 Bachorski: Irrsinn, S. 463. 122 Fischart: Geschichtklitterung, S. 7. Vgl. dazu auch Bachorski: Irrsinn, S. 462 f. 123 Johann Fischart: Die Wunderlichst Unerhrtest Legend […] [1580]. In: Johann Fischarts Werke. Hg. von Adolf Hauffen. 3 Bde. Stuttgart: Deutsche Verlagsgesellschaft 1893–1895 (Deutsche National-Litteratur 18), Bd. 1, S. 228–262, V. 499–558.
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Selbst ein ostentativ einfach gestalteter Text wie die Versdichtung vom Ritter Stauffenberg (1588)124 – sie stammt vom Straßburger Organisten Bernhard Schmidt, wird jedoch von einer von Jobin unterschriebenen, möglicherweise von Fischart stammenden Prosavorrede125 sowie einem gereimten „Eingang zu folgender History“ von Fischart eingeleitet und so in das eigene Programm ‚eingemeindet‘126 –, die laut dem „Eingang“ mehr Wert auf Inhalt denn auf Form legt – „Ob schon die Reimen nicht seind gstaltig,// So wißt ihr: Warheit laut einfaltig“127 – und sich an einer alten, autochthonen, ‚abseitigen‘ Schreibweise orientiert,128 bedarf offenbar dennoch der Legitimation über das Wortspiel. Hier umkreist Fischart in seinem „Eingang“ die Konzepte ‚Mut‘ und ‚Muse‘ in vielfältigen Klangvarianten, wobei ersterem, den Sitten, als Quelle der Dichtung der Vorzug gegeben wird: O du Mutsamkeyt! Die sonst wirdst fr die Musam bschreyt Vnd sonst auch heyßt die Mhsamkeyt, Weil Mut zur Mh die Ban bereyt […].129
Obgleich hier die Rolle der Sprache diskursiv in den Hintergrund gedrängt ist und dem Inhalt die größere Bedeutung für die Dichtung zugemessen wird, zeigt doch das Wort- und Klangspiel gleichsam im performativen Selbstwiderspruch, dass sinn- sowie sprachpotenzierende Artistik selbst unter den Vorzeichen einer gegenteiligen Programmatik eine zentrale Ingredienz des Sprachprogramms Fischarts darstellt. Dabei ist Fischarts ‚copiose‘ Spracharbeit tief im humanistischen Diskurs verankert: Auch die ‚copia verborum‘, aus der sich der eigentliche Stil der Geschichtklitterung ergibt, wäre dann schon Resultat der humanistischen Erziehung und ihre parodistische Übersteigerung in einem, war doch das Lernen am Gymnasium des Johannes Sturm vor allem ein Versuch, ‚ciceronianische Eloquentia‘ durch extensives Wortsammeln zu erreichen.130
124 Vgl. grundlegend zum Ritter Stauffenberg Müller: Fischarts Gegenkanon, S. 309–316. Vgl. auch oben, Kap. 2.1.2. 125 Vgl. so Hauffen: Einleitung 1893, S. LIV. 126 Zur Verfasserfrage vgl. Müller: Viele neue Homere, S. 246. Vgl. auch Alois Knauer: Fischarts und Bernhard Schmidts Anteil an der Dichtung ‚Peter von Stauffenberg‘ 1588. Hg. von Adolf Hauffen. Reichenberg 1925 (Prager deutsche Studien 31). 127 [Schmidt:] Erneuwerte Beschreibung, V. 755 f. 128 Vgl. Müller: Fischarts Gegenkanon, S. 310, 315. 129 [Schmidt:] Erneuwerte Beschreibung, V. 85–88. Vgl. Müller: Fischarts Gegenkanon, S. 315 f. 130 Bachorski: Irrsinn, S. 270. Zu Fischarts humanistischer Ausbildung vgl. die Einleitung, Kap. 1.3. Zu Wortsammeln und accumulatio als rhetorischer Technik vgl. Mario S. Celentano, Stephan Zimmermann: Art. ‚Accumulatio‘. In: HWRh 1 (1992), Sp. 36–39.
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Das „Wortsammeln“ als humanistische Kernkompetenz stellt Fischart zugleich satirisierend wie affirmierend aus: Lange Wortlisten finden sich sowohl in der Geschichtklitterung, dort auch graphisch abgesetzt,131 wie auch, gleichsam per definitionem, im Catalogus Catalogorum perpetuo durabilis (1590).132 Hier korrespondiert überbordende Fülle von Sprache im Allgemeinen und von Buchtiteln im Besonderen mit einer Entgrenzung des Wissens, eine Dynamik, die die humanistische Organisation von Text und Welt qua ihrer Bändigung in Katalogen und Listen – eine Praxis, der Fischart außerhalb der Geschichtklitterung durchaus selbst nachgeht – satirisch überbietet.133 Der Verlust der epistemischen wie sprachlichen Ordnung in der phantastisch-imaginären Bibliothek des Catalogus stellt dabei auch entgrenzende Potential von Sprache an sich aus.134 Vor dem Hintergrund dieses augenfälligen Beispiels wird deutlich, dass in Fischarts Werk auch die Vorstellung von der copia verborum als Ursprung und
131 Vgl. beispielsweise die Spielekataloge, vgl. Fischart: Geschichtklitterung, S. 239–249. Zu den Spielekatalogen bei Rabelais und Fischart vgl. Martin Krickl: Die Listen Rabelais und Fischarts. Annäherungen an eine arabeske Textstruktur. Diplomarbeit Universität Wien 2011 (http://othes. univie.ac.at/15526/, zuletzt aufgerufen am 30. Juni 2018), S. 136–160; Tobias Bulang: Spiele in Johann Fischarts Geschichtklitterung. In: Literatur und Spiel. Zur Poetologie literarischer Spielszenen. Hg. von Bernhard Jahn, Michael Schilling. Stuttgart 2010, S. 45–69, besonders S. 52–56 (zu den Katalogen in der Geschichtklitterung im allgemeinen); Heinrich A. Rausch: Das Spielverzeichnis im 25. Kapitel von Fischarts „Geschichtklitterung“ (Gargantua). Diss. Straßburg 1908. 132 Zum Verhältnis zwischen der Rabelais-Vorlage und Fischarts Catalogus vgl. Michael Schilling: Einleitung. In: Johann Fischart: Catalogus Catalogorum perpetuo durabilis (1590). Mit Einleitung und Erläuterungen hg. von Michael Schilling. Tübingen 1993, S. IX–XXXV, hier S. XIV–XIX; Krickl: Listen, S. 161–205. Zur Aufschlüsselung der Bücherlisten vgl. Seelbach: Ludus lectoris, S. 231–265. Zu frühneuzeitlichen ‚universalbibliothekarischen Projekten‘ vgl. grundlegend Jan-Dirk Müller: Universalbibliothek und Gedächtnis. Aporien frühneuzeitlicher Wissenskodifikation bei Conrad Gesner (Mit einem Ausblick auf Antonio Possevino, Theodor Zwinger und Johann Fischart). In: Erkennen und Erinnern in Kunst und Literatur. Hg. von Dietmar Peil u. a. Tübingen 1998, S. 285–309; Helmut Zedelmaier: Bibliotheca universalis und Bibliotheca selecta. Das Problem der Ordnung des gelehrten Wissens in der frühen Neuzeit. Köln u. a. 1992 (= Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte 33). Zu imaginären Bibliotheken der Frühen Neuzeit vgl. Dirk Werle: Copia librorum. Problemgeschichte imaginierter Bibliotheken 1580–1630. Tübingen 2007 (Frühe Neuzeit 119). 133 Zu Fischarts Arbeitsmethoden, der Benutzung von Wörterbüchern u. a. vgl. Hauffen: Johann Fischart, Bd. 1, S. 205–207. 134 Damit sei Erich Kleinschmidt widersprochen, der zurecht feststellt, dass „[d]er Übergang zwischen affirmativer und destruktiver Sprachfunktion, zwischen thetischer Signifikanz und deren Transformation […] de[n] Text […] als ‚kryptischen Raum‘ […] interessant macht“, dass aber diese „Provokation und sogar Schockerfahrung […] frühneuzeitlich aber noch keinem artistischen Selbstzweck [dienen], sondern […] die Rätselhaftigkeit der Welt [verinnerlichen]“, Erich Kleinschmidt: Die konstruierte Bibliothek. Zu Fischarts Catalogus catalogorum (1590). In: Études germaniques 50 (1995), S. 541–555, hier S. 552.
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Instrument rhetorischer Brillanz, wie sie von Erasmus in seiner wirkmächtigen Schrift De utraque verborum et rerum copia (1512) entwickelt wurde, bis an ihre Grenzen ausgetestet wird: Fischarts Sprache arbeitet gleichsam mit den Lizenzen des copia-Konzeptes,135 changiert zwischen rhetorischer Durcharbeitung und einer gewissen antirhetorischen Unordnung, die im Sinne eines aemulativen Gestus jedoch auf ein stark ausgeprägtes rhetorisches Bewusstsein schließen lässt.136 Das rhetorische Mittel der amplificatio, das die Verfügungsgewalt des Redners über die copia verborum ausstellt,137 ist das Leitprinzip von Fischarts Spracharbeit, die unter diesen Vorzeichen ihre die Rhetorik transgredierenden Züge ausbildet. Dabei sind auch hier die Grenzen permeabel, weiß doch die Renaissance auf unterschiedlichste Art und Weise rhetorische Ordnung, Stegreif und Inspiration zu verrechnen138 und kennt doch bereits die Antike, so beispielsweise Quintilian, die Explosion der copia im akuten Sprechmoment.139 Allerdings wird an verschiedener Stelle auch vor einer ‚leeren‘ copia der Worthülsen ohne Bedeutung gewarnt.140 Fischart setzt an diesem Tabu an und macht es sich zunutze: Dient seine Sprachartistik einerseits der Potenzierung und Reflexion von Sinn, verweist sie doch andererseits oft genug nur auf sich selbst zurück. So vermag auch die ‚copiose‘ Sprachoberfläche metapoetisch semantisiert zu werden.141
135 Vgl. Jean-Claude Margolin: Art. ‚Copia‘. In: HWRh 1 (1992), Sp. 385–394. 136 So schließt sich auch Beate Kellner Rainer Warnings Auffassung an, „daß [bei Rabelais, Anm. S. B.] das historisch gültige Prinzip des aptum im Verhältnis von res und verba nicht gewahrt ist, daß Rabelais mithin die gewohnte Hierarchie, nach der die Wörter sich den Dingen im Sinne funktionaler Aussagen anzupassen haben, umkehrt“, und konstatiert, dass „Fischart […] diese Subversion fortführt und auf die Spitze treibt“, Kellner: Fischarts Geschichtklitterung, S. 161. Der Verweis bezieht sich auf Rainer Warning: Konterdiskursivität bei Rabelais. In: Erzählen und Episteme. Literatur im 16. Jahrhundert. Hg. von Beate Kellner, Jan-Dirk Müller, Peter Strohschneider. Berlin, New York 2011 (Frühe Neuzeit 136), S. 21–39. Zur Bindung Fischarts an die (lateinische) Rhetorik vgl. Spengler: Johann Fischart, S. 236. 137 Zum Verhältnis von amplificatio und copia in der Rhetorik-Theorie der Renaissance vgl. Cave: Cornucopian Text, S. 8 f. 138 So ganz besonders prominent im Werk des Erasmus, vgl. ebd., S. 127 und S. 144–147. Zum Problem der Improvisation in der Renaissance vgl. ebd., S. 134–141, zur göttlichen Inspiration vgl. ebd., S. 141–156. 139 Vgl. ebd., S. 129 f., S. 132–134: In einem Moment der Stegreif-Rede kann es geschehen, dass „copia erupts like a magic firework display […]. At such a moment, the energeia of speech becomes visible as a mode of enargeia“, ebd., S. 130. 140 So beispielsweise in Erasmusʼ De ratione studii, vgl. ebd., S. 20 f. Zu inopia und loquacitas als der copia entgegengesetzte Konzepte vgl. ebd., S. 5. Einen Überblick über die erasmische copiaLehre bietet auch Krickl: Listen, S. 38–41. 141 Vgl. auch die entsprechenden Überlegungen zur poetologischen Deutung der Truncken Litanei in Kap. 4.3.
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Sprach- und Textorganisation in Fischarts replizierendem Schreiben
Die humanistische Poetologie der Sprachfülle denkt immer auch den Ort ihrer Herkunft mit und bedient sich dabei der Bilder des thesaurus142 oder der cornucopia. Die Begriffe dienen dabei auch der generischen sowie metapoetischen (Selbst-)Beschreibung von Texten, werden sie doch sowohl für die antiken Autoren und ihre Schriften143 als auch für zeitgenössische Sammelwerke florilegischer Natur in Anschlag gebracht, reflektieren sie also das Problem der rhetorischen Textkonstitution. Dabei wohnt gerade Bild und Begriff der cornucopia, analog zu ihrem Resultat, der Vorstellung von der copia verborum, eine gewisse Ambiguität inne: Sie changiert zwischen Be- und Entgrenzung, ist es doch lediglich ein kleiner Schritt von der (rhetorischen) Beherrschung des Füllhorns hin zu pandorischer Exuberanz.144 Diese trangressive Seite der cornucopia greift die französische Renaissanceliteratur auf, wenn Autoren wie Ronsard, Michel de Montaigne und Rabelais sie an den Sexualitäts- und Nahrungsdiskurs koppeln, ein semantisches Feld, mit dem auch Fischart operiert und dessen poetologisches Potential im Zusammenhang mit Fischarts makkaronischer Poetik des Rausches noch genauer diskutiert wird.145 Vorerst sei lediglich auf eine entsprechende Schlüsselstelle in Fischarts Geschichtklitterung verwiesen, nämlich auf den Vergleich von Gargantuas aufwendig geschmücktem Hosenlatz mit dem Füllhorn: Und wirden gewiß es verglichen haben dem schönen, überhaufften, plumgezierten, fruchtgespickten, trauben behenckten, opsreichen horn der Geyß Amalthee, der Honigspinnen Melisse Schwester, oder dem Geschmuckten Plumenkrug der Göttin Ceres. Dann gleich wie solch horn unnd krug allzeit fruchtbar, plumreich, frisch und voll aller erquickung und freud war, also auch dieser unser Latz, nit auff den schein: Dann so lang weit und preit er war, so wol war er von innen proviandirt.146
Hier wird cornucopia einerseits als eingeführtes Attribut der Ceres aufgefasst, andererseits wird auf den Ursprungsmythos von der Ernährung des Säuglings Zeus durch die in eine behornte Ziege verwandelte Nymphe Amaltheia und deren honigtragende Schwester Melissa angespielt: Das fortan als Füllhorn dienende Horn der Amaltheia bricht bekanntlich ab bei dem Unterfangen, den kleinen Zeus gegen seinen Vater Kronos zu verteidigen. Sexuelle Potenz ‚untermauert‘ die artifizielle Oberfläche – die Passage ist ja Bestandteil umfangreicher Kleidungs-, Aus-
142 Zum Zusammenhang von copia und thesaurus vgl. Cave: Cornucopian Text, S. 6 f. 143 Vgl. ebd., S. 174–176. 144 Zur Büchse der Pandora als Nachtseite des Füllhorns vgl. ebd., S. 172. 145 Vgl. Kap. 4.3. Zu den poetologischen Körperdiskursen in der französischen Literatur vgl. Cave: Cornucopian Text, S. 149, S. 187–193. 146 Fischart: Geschichtklitterung, S. 164 f.
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stattungs- und Preziosenbeschreibungen –, die copia der Kunst wird also durch eine Körperfunktion fundiert. Der auf die entsprechende Poetik verweisenden Artistik der Mischung147 – von der „lustig eingemengt, eingelegt, eingestickt, eingeflickt, eingespickt, eingewunden, eingeflochten, eingeschenckt, undermischt und eingelatzt Goldarbeit“148 ist die Rede – wohnt damit das Potential zum Exzess inne, was durch die expandierende Wortreihe sogleich vorgeführt wird. In einem ähnlichen Kontext der Preziosenbeschreibung, nämlich im entsprechend reichhaltig ausgestalteten Kapitel zur Abtei Willigmuth und ihren Bewohnern, findet sich die zweite Referenz auf das Bild des Füllhorns in der Geschichtklitterung: „IN der mitte des untersten Hofes war ein herrlicher Pronnen von Alabaster: Und darauff die drey Gracie oder Gnadengöttin mit den Cornucopischen Zereshörnern des überflusses eins guten Jars: Unnd gaben Wasser auß Prüsten, mund, oren, augen unnd anderen öffnungen des Leibs.“149 Ikonographie und Ikonologie der drei Grazien sind komplex: Es eröffnen sich Konnotationen aus der emblematisch-allegorischen Tradition, aber auch eine Exegese im neuplatonischen Sinne liegt nahe.150 Während also einerseits auf eine Symbiose von körperlicher und geistiger Liebe angespielt ist, die im Rahmen der WilligmuthUtopie ihre Erfüllung finden kann, liegt mit den unmissverständlich sexuell-skatologischen Allusionen ein gewisses störendes Moment vor, wird doch der Zirkel der Liebe durch die aus allen Körperöffnungen gespeiste Wasserbewegung repräsentiert.151 Der Passage, die sich so auch bei Rabelais findet,152 wohnt jedoch insofern weniger Sprengkraft oder poetologische Relevanz inne, als sie trotz dieses beinahe komischen Elements tatsächlich auf die von den Bewohnern der Abtei praktizierte ganzheitlich-humanistische, Körper und Geist optimierende Lebensform abhebt. Den cornucopischen Schmuck (und Inhalt) von Gargantuas Hosenlatz hingegen kennt Rabelais nicht, was ihn umso relevanter für die poetologische Reflexion von Fischarts ‚copiosem‘ Schreiben macht.
147 Vgl. ihre Diskussion unten in Kap. 4.3; Kap. 4.4. 148 Fischart: Geschichtklitterung, S. 164. 149 Ebd., S. 417 f. 150 Vgl. Veronika Mertens: Die drei Grazien. Studien zu einem Bildmotiv in der Kunst der Neuzeit. Wiesbaden 1994 (Gratia 24), S. 48–145, S. 201–205, S. 285–286. Zu den neuplatonischen Deutungstraditionen im Zusammenhang von Gartenbeschreibungen vgl. Kap. 3.2.4.2. 151 Weinberg deutet die Grazien einerseits als Symbole für „abundance and natural charm of the life at Thélème“, andererseits repräsentierten sie die „three aspects of one goddess, Venus“, und damit „an earthly trinity, just as Venus embodies the earthly and earthy aspects of divine love, as amor mirrors caritas“, Weinberg: Gargantua, S. 165. 152 Vgl. Rabelais: Gargantua, S. 17.
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Die vom Mythos legitimierte Nähe von Füll- und Ziegenhorn macht sich Fischart in seiner konfessionspolemischen Schrift Die Wunderlichst Unerhrtest Legend/ vnd Beschreibung./ Des Abgeführten/ Quatirten/ Gevierten vnd Viereckechten Vierhrnigen Hütleins […], dem sogenannten Jesuiterhütlein (1580), zunutze.153 Es wird ein Höllenszenario imaginiert, in dem Luzifer und seine Gehilfen zuerst drei prächtige hornartige Hüte herstellen, um diese sodann in den drei Versuchungen Jesu zur Anwendung zu bringen, nämlich die ‚einhörnige‘ „Kuttenkapp“, also die Mönchskappe, den doppelt gehörnten „Bischoffshut“ Mitra und das „Trippel Ghürn“,154 d. h. die Papsttiara. Unter diesen Kopfbedeckungen, mit denen er Antiimitatio christlicher Ikonographie betreibt, vermag der Teufel seine eigentlichen Hörner zu verstecken.155 Die Herstellung dieser Hüte wird von Anfang an mit der aus der Konfessionspolemik bekannten Schreibmetapher des Nähens, Flickens und Webens begleitet.156 Analog zur ‚Textur‘ beispielsweise eines Traktats, also seinem topisch organisierten Argumentationsgang, werden bei der Produktion der Hüte klassische Argumente der Konfessionspolemik allegorisch verarbeitet und an ihren Ort gebracht:
153 Fischarts Quelle war ein 1576, dann 1578 erneut unter dem Titel La legende et description du Bonnet Carré erschienener französischer Text, der allerdings nur 212 Verse umfasst und lediglich die von Luzifer angeleitete Herstellung einer viereckigen Mütze als Quell aller Übel thematisiert; ein antijesuitischer Zug ist kaum zu erkennen, vgl. Hauffen: Einleitung 1893, S. XLIV. Einen Vergleich zwischen beiden Texten liefert Heinrich Kurz: Quelle von Fischarts ‚Jesuitenhütlein‘. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Litteraturen 34 (1863), S. 61–78. Vgl. darüber hinaus Anton Englert: Eine zweite Quelle zu Fischarts Jesuiterhütlein. In: Alemannia 20 (1892), S. 97–113. 154 [Fischart:] Die Wunderlichst Unerhrtest Legend, S. 234, S. 235, S. 239. 155 Der Teufel spricht ([Fischart:] Die Wunderlichst Unerhrtest Legend, S. 233): So will die Hrner ich wol bhalten, Aber auff Heylig Art sie Gstalten, […] Vnd gleichwol drunter fein Verstecken Vnser Hrner, die sie [die Menschen, Anm. S. B.] sonst schrecken. Dan on Hrner, wie jhr wohl secht, Kann Vnser Reich nit stehn Auffrecht, Wir müsen stts nach Vnserm Brauch Eyn Zell bei Gotts Kirch bauen auch. Also, weil Gotts Lamm Hrner führet, Vns als Trachen es auch gebüret; Vnd weil Gott heyßt des Heyls eyn Horn, Wollen wir Hrner sein voll Zorn. 156 Vgl. auch die Kleidungsmetaphorik in Heinrich Neumeisters 1590 bei Jobin gedrucktem Der Päbstische Betlermantel.
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Deßhalb, jr Gsellen, wacker dran, Greifft die Zweyhrnig Hauben an, Vernhet drein die Hoffart Geystlich, Durch die Nadel der Herschung Fleyschlich, Mit Fadem der Schaaf Schinderei, So wird’s eyn Toppel Cornut frei […].157
Am Ende des Jesuiterhütleins ruft der Sprecher folgerichtig seinen Kontrahenten, den ehemaligen Schneider und Franziskanerpater Nas, zur replizierenden Fortschreibung des Themas auf: Wollen wir diß, welchs hie nun wird Legentenweiß alleyn Tractiert, Comedyweiß auch führen ein. Darzu wll vns behülfflich sein/ Mein Meyster Naß mit Fadem recht Vnd eym par Totzend Schneiderknecht, Die Vns, wan das Spil soll geschehen, Darbei eyn Totzend Hütlein nhen.158
Das Schneidern als Schreibmetapher, die, wie zu sehen sein wird, mit dem copiaKonzept zusammengespannt wird, erfährt ihre umfangreichste Ausgestaltung, als Luzifer feststellt, dass Mönche, Bischöfe und der Papst mitsamt ihrem Kopfschmuck weder bei der Versuchung Jesu noch bei den Menschen verfangen wollten, und seinen letzten Trumpf aus dem Ärmel zieht:159 den Plan, einen viereckigen Hut herzustellen. Die vier Ecken des Hutes [s]oll[en] sein eyn Würffel, der nur gibt, Wie man jn schüttelt, knipst vnd vbt, Eitele Eß vnd Widerchristen.160
157 [Fischart:] Die Wunderlichst Unerhrtest Legend, S. 237. 158 Ebd., S. 261 f. 159 Vgl. ebd., S. 241–243, hier (ebd., S. 242 f.) auch zur Kartenspielmetaphorik: Hie kompt das Stichblatt nun herfür, Darauff ich setz mein Glück gar dürr. Ich hab vor das Eß, Sau und Dauß Der Schellen, Klee, Hert gworffen auß, Aber hie bhalt ich zu dem Stich Die Eycheln Sau […]. 160 Ebd.
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Sprach- und Textorganisation in Fischarts replizierendem Schreiben
Die Jesuiten wiederum bieten sich als Träger dieses Hutes an, sind sie doch selbst ursprünglich einmal vom Teufel benannt worden – die wahre etymologische Wurzel ihres Namens, das „Jesu Wider“161, leitet Luzifer wortreich von der homonymisch-phonologischen Verwandtschaft von antichristlicher Haltung und ‚Widder-Artigkeit‘ ab: Da sie doch Sau vnd Bocksart seind, Wie auß dem Namen wol erscheint; Welchen wir jhnen gaben sidher, Vnd nantens Suiten vnd Wider […] Sie nennen sich die Jesuiter, Da sie wol hießen Jesu zu Wider. Oder wie Jesus hat zumal/ Beyd Schaaf vnd Wider hie im Stall, Also seind sie die Wider drinn […]. Dan vnsre Herd der Nam162 nicht Zieret, Sonder vil besser jhr gebüret Der Herrlich Name Wider Christ, Der Alters halb berhümet ist. Aber weil der Nam Wider Christ Noch etlichen zuwider ist, Welche doch noch zugwinnen weren, So that den Namen ich verkehren, Vnd setzt das frderst recht darhinder, […] Macht Christ Wider vnd Jesu Wider […].163
Die quasi-adamitische Benennungsarbeit durch Luzifer und seine Gesellen setzt sich fort, als sie daran gehen, das Hütlein herzustellen. Die klimaktische Reihung der Hutarten, die schon bei der Beschreibung der Papsttiara einen ersten Höhepunkt erreicht hat, findet hier ihren Abschluss, nimmt doch die Produktion und Allegorese des Jesuiterhütleins ungleich mehr Raum ein.164 Es erscheint als „eyn Chornucopia// Der Schelmerei recht propria“165, wird mit der Büchse der Pandora verglichen166 und mit höchster Kunstfertigkeit – Luzifer spricht gar von seinem „Meysterstück“167 – reich ausgestaltet:
161 Ebd., S. 244. 162 „Christen, Christi Schaaf vnd Glider“ (ebd.), Anm. S. B. 163 Ebd. 164 Vgl. ebd., S. 234 (Mönchskappe), S. 237 (Mitra), S. 239 f. (Tiara), S. 250–258 (Jesuiterhütlein). 165 Ebd., S. 245. 166 Vgl. ebd., S. 246. 167 Ebd., S. 251.
Cornucopia: Geschichtklitterung (ab 1575), Jesuiterhütlein (1580)
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Den Leyst nanten sie Heuchelei, Den Steyn die Rmisch Lieferei, Den Triangel Papsts Fantasei, Die Nadel Rmisch Tyrannei […].168
Gemäß der physei-Sprachauffassung entspricht hier der Name des Hut-Bauteils, metonymisch gesehen, dem Wesen seines Trägers; in der Faktur der cornucopia und dem Akt der Namensgebung ist Sprache hier auf ihren Ursprung zurückgeworfen. Für die weitere preziöse Ausgestaltung des Hütleins öffnet Luzifer sodann seine „Schatzkammer voll Schelmerei“ und „Beelzebub“: [L]aß zusammen das rgst Geplünder, Nhts forn zur Spitzschlacht ins Spitz Ghürn, Als die Verschamt Hrnin Hurnstirn, Vernhet drein Abgtterei, Verblendung vnd Verzauberei […].169
Ähnlich dem cornucopischen Hosenlatz verweist auch hier die Artifizialität der Oberfläche auf sprachliche Strukturen, auf die copia der Worte und, aufgrund ihrer etymologisch motivierten Verknüpfung, auch der Dinge: Aus dem thesaurus der polemischen Topoi speist sich die Sprache des Textes. Die Produktion des Jesuiterhütleins und die damit verbundene Spracharbeit des Gestaltens und Benennens vollzieht also die im linearen Erzählprozess der „Legend“ sichtbare Negativargumentation nach: Die Rhetorik der Konfessionspolemik wird im Bild des topisch organisierten Füllhorns satirisch reflektiert und begründet. Die polemische Sprachreflexion im Medium der cornucopia wird noch um einen weiteren Aspekt erweitert: Bei der weiteren Ausarbeitung des Horns wird die bereits erwähnte pandorische ‚Nachtseite‘ ausgestellt, nun aber nicht im Sinne des exaltierten, die Gesetze der Rhetorik transgredierenden Schreibens, sondern im Sinne völlig falscher Sprachbeherrschung und -verwendung. Der Hilfsteufel Belial nimmt folgende Schmuck- und Füllelemente zur Hand: Allerhand Sophisterei, Verkehrt Heydnisch Philosophei, Sophistisch Griff, Rnck, Tück vnd Stück, Vnd Argument voll Zweiffelstrick, Vil Crocodylitates groß
168 Ebd., S. 253. 169 Ebd., S. 254.
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Vnd Syllogismos Cornutos […] Vnd andre vierfach Argument, Die eyn im Finstern bald han blendt, Auch weit gesuchte Fremd Außlegung, Neu Distinction vnd Zerlegung, Die Kunst, Fürtz für Gwürtz darzuschieben […] Die Warheyt an den Papst zubinden, Vnd jhn als eyn Ecksteyn zugründen, All sein Decret, Concilia Zuhalten für Euangelia, […] Vnd was er redt, sei Gottes Mund […].170
Scholastische Logik, sophistisch-persuasive Wortverdrehung, die Schrifttradition der katholischen Kirche, die päpstliche Lehrautorität – all diese Äußerungen verfehlter Sprachlichkeit werden hier der „[n]eue[n] Pandorae Büchs,// [der] […] Grundsupp alles Unglücks“171 beigegeben. Der katholischen copia (verborum) malorum lässt sich also nur beikommen, so das Argument der Fischart’schen Schrift, wenn ihr Ursprung, die cornucopia, gnadenlos offengelegt wird. Unter den Vorzeichen der Satire wird, nicht vom Horn der nährenden Nymphe Amaltheia sondern vom Teufelsgehörn ausgehend, ein alternativer Ursprungsmythos entworfen – bezeichnenderweise wird des Öfteren das Höllenfeuer mit der Schmiede des Vulcanus assoziiert.172 Sprachverhalten und Terminologie („Jesu Wider“) des Katholizismus sind des Teufels, dessen Benennungsarbeit das adamitische Narrativ des Christentums überschreibt. Das Bild des Füllhorns fungiert hier jedoch nicht nur als topischer Hort der teuflischen Worte und Dinge, sondern reflektiert auch die Mechanismen konfessionspolemischen Schreibens. Da dieses das Ziel hat, die Wahrheit ans Licht zu bringen und die Gegenseite zu entlarven, kann es nicht nur die eigenen Positionen vertreten, sondern muss ‚replizierend‘ Elemente der gegnerischen Theologie und religiösen Praxis auf- und angreifen. Dieses Prinzip der Negativierung des Diskurses setzt die ‚satanische Sprachgeschichte‘ ins Bild. Die rhetorische Darlegung der entsprechenden Argumente wiederum wird in der topischen Faktur der vier Hütlein, vor allem im sorgfältigen Schneidern und Zusammennähen der vier Ecken des cornucopischen Jesuiterhütleins, nachvollzogen. Das Füllhorn dient also, im Jesuiterhütlein wie in der Geschichtklitterung – und dort vor allem bei der Beschreibung von Gargantuas Hosenlatz –, einerseits
170 Ebd., S. 255 f. 171 Ebd., S. 260. 172 Vgl. beispielsweise ebd., S. 257.
Makkaronismen: Geschichtklitterung (ab 1575), besonders Truncken Litanei
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als Medium der Reflexion des Verhältnisses von Sprache und Sinn, andererseits als metapoetisches Bild, das mehrere Facetten von Fischarts Spracharbeit in sich zu vereinen vermag: Es illustriert die Poetik des Fischart’schen konfessionspolemischen Schreibens ebenso wie die Poetik der die Gesetze der Rhetorik dehnenden, die copia verborum stets steigernden Sprachentgrenzung – und überschreitet so auch die eigene, konventionelle rhetorisch-poetologische Semantik.
4. Makkaronismen: Geschichtklitterung (ab 1575), besonders Truncken Litanei Dass die copia verborum vor allem dann explodiert, wenn sprachmischende Verfahren zur Anwendung kommen, ist bereits mehrfach angeklungen. Mit diesen Makkaronisierungen schreibt sich Fischart erneut in einen bestehenden Diskurs ein: Makkaronische Literatur ist ein humanistisches Derivat und entspringt per definitionem der Domäne scherzhafter und satirischer Dichtung, ist integraler Bestandteil der Universitätssatire und wird durchaus auch zu konfessionspolemischen Zwecken eingesetzt.173 Sie dient der humanistischen Elite einerseits, beispielsweise in den Dunkelmännerbriefen (1515), zur Selbstvergewisserung und Abgrenzung gegenüber der mittelalterlich-scholastischen Tradition mit ihrem Küchenlatein, andererseits etabliert sie sich in der Nachfolge des Merlinus Coccaius (Teofilo Folengo) und anderer als spielerische Ausdrucksform gelehrter Sprachbeherrschung.174 Die von Folengo selbst vorgeschlagene etymologische Herleitung der makkaronischen Poesie aus der bekannten Nudel – Fischart selbst greift diese auf, indem er in der Geschichtklitterung „Merlin Coccai“ und seine „Nuttelversse[ ]“175 zitiert – denkt von Anfang an die bäuerliche Sphäre mit und steuert so ihre Wahrnehmung als niedere Kunstform.176 Der Humanismus vermag sich also im makkaronischen Schreiben selbst zu reflektieren und inner-
173 Vgl. Günter Hess: Deutsch-Lateinische Narrenzunft. Studien zum Verhältnis von Volkssprache und Latinität in der satirischen Literatur des 16. Jahrhunderts. München 1971 (MTU 41), S. 155–160 und 175–205. 174 Vgl. Hermann Wiegand: Art. ‚Makkaronische Dichtung‘. In: RLW 2 (2000), S. 527–530, hier S. 528. Vgl. Knape: Deutsch, S. 1679; Bachorski: Irrsinn, S. 471 f. Zur polemischen Distanzierung vom Küchenlatein vgl. Hess: Deutsch-Lateinische Narrenzunft, S. 53–55. 175 Fischart: Geschichtklitterung, S. 34. 176 „Ars Macaronica a macaronibus derivata, qui macarones sunt qoddam pulmentum, farina, caseo, butyro compaginatum, grossum, rude et rusticum“, Merlinus Coccaius: Apologetica in sui excusatione in opera Macaronico. Venedig: Jacopo Simbeni 1572, zit. nach Wiegand: Art. ‚Makkaronische Dichtung‘, S. 528.
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halb seines Rahmens eine systemparodierende Komponente zuzulassen. Dieses Potential weiß Fischart, wie zu zeigen sein wird, für seine ‚Poetik des Niederen‘ produktiv nutzbar zu machen. Im engeren Sinne bezeichnet der Begriff des Makkaronismus eine auf Morphemebene ansetzende Technik der Sprachmischung, wobei an die Stämme einer Leitsprache Flexionsendungen anderer Sprachen angehängt werden. Bleiben die Lexeme intakt, spricht man von pedantesker Dichtung, wenn auch im wissenschaftlichen Sprachgebrauch diese terminologische Differenzierung nicht immer vorgenommen wird.177 Entsprechend ist auch dieses Kapitel mit dem Plural „Makkaronismen“ überschrieben, um anzuzeigen, dass die in Fischarts Œvre allenthalben vorhandenen Sprachmischungen zwischen pedantesken und makkaronischen Techniken changieren: Lehnworthäufungen treten auf, Morpheme verschiedenster Provenienz werden verschraubt, Lexeme werden aus dem Reservoir der klassischen Sprachen sowie der zeitgenössischen Vernakularsprachen oder auch der Regiolekte geschöpft und in langen Wortlisten verquirlt.178 Die Funktionen dieser ‚makkaronisierenden‘ Schreibtechnik fallen unterschiedlich aus, je nach narrativem Zusammenhang. Es lassen sich zwei Stoßrichtungen unterscheiden: Zum einen markiert Fischarts Sprachmischung eine spielerische oder eine distanzierte-kritische Haltung zu den ‚Dingen‘, den res, die er verhandelt, zum anderen ist die Auseinandersetzung mit den verba und damit die Sprachreflexion selbst Zweck des Sprachspiels.179 Wenn also bastardisiertes Latein sowohl das mittelalterliche als auch das humanistische Wissenssystem beinahe ‚verabschiedet‘;180 wenn Mischbildungen die Bestände beispielsweise des pflanzenkundlich-alchemistischen Wissens181 anzitieren; wenn, wie im Falle des in mehreren Sprachen schreienden Neugeborenen Gargantua, „babylonisches Sprachgewirr“182 die auf Kohärenz bedachten Ursprachendiskurse aushebelt;183 oder wenn ein Zitat aus dem Werk
177 Vgl. Wiegand: Art. ‚Makkaronische Dichtung‘, S. 527. 178 Eine Zusammenstellung der makkaronischen Formen findet sich bei Spengler: Johann Fischart, S. 248–254. Vgl. zu Fischarts Makkaronismen auch Bachorski: Irrsinn, S. 470–473. 179 Vgl. Beate Kellner: Verabschiedung des Humanismus. Johann Fischarts ‚Geschichtklitterung‘. In: Humanismus in der deutschen Literatur des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit. XVIII. Anglo-German Colloquium Hofgeismar. Hg. von Nicola McLelland. Tübingen 2008, S. 155–181, hier S. 166. 180 Vgl. Kellner: Verabschiedung, S. 161 f. und 165 f. Vgl. Fischart: Geschichtklitterung, S. 221–227 (Gargantuas Erziehung in Paris, siehe auch Kap. 4.4). 181 Vgl. Bulang: Enzyklopädische Dichtungen, S. 447. 182 Bulang: Enzyklopädische Dichtungen, S. 411. Vgl. Fischart: Geschichtklitterung, S. 148 f. 183 Vgl. ebd., S. 409–415.
Makkaronismen: Geschichtklitterung (ab 1575), besonders Truncken Litanei
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des berühmten makkaronischen Dichters Teofilo Folengo eine Reflexion über die „allgemeine[ ] Bastardisierung der gesamten Weltbevölkerung“ und die „[g]enealogische confusio“184 nach sich zieht; wenn also im Medium der Sprachmischung eindeutige Positionen zum Beispiel der Sprachtheorie oder der Genealogie185 aufgegeben und Denkalternativen vorgeführt werden, dann ist dies ein Zeichen für Fischarts Skepsis gegenüber einer einheitlichen ‚Weltordnung‘,186 ein Bekenntnis zur Pluralisierung von Welt und Wissen – und damit auch ein Bekenntnis zu einer pluralisierten, ‚unreinen‘, entgrenzten Form der Sprache. Am dichtesten lässt sich diese Verschränkung der Vervielfältigung des Wissens und der Sprache in Fischarts Bücherverzeichnis Catalogus catalogorum (1590) beobachten. Fischarts Sprachmischungen reflektieren also Wissens- und Sprachordnungen sowie deren Grenzen und Möglichkeiten und machen sie so disponibel. Einerseits kritisiert Fischart in langen hybridsprachlichen Reihen von Homonymen und Quasi-Homonymen die etymologische Praxis seiner Zeit,187 andererseits praktiziert er sie bekanntlich selbst, oft zum Zwecke der konfessionellen Polemik, indem er in satirischer Weise über leichte Verschiebungen im Lautbestand das ‚wahre Wesen‘ der Dinge aufdeckt und dabei über solche Neologismen die copia verborum mehrt.188 In ähnlicher Weise spielt Fischart mit den kratylistischen Sprachauffassungen, wenn beispielsweise der Name des Protagonisten seiner Geschichtklitterung, Gargantua, unter Einbeziehung unterschiedlichster Morpheme verschiedenster (volks-)sprachlicher Provenienz breite Variation erfährt: „Gurgel Lantua“, „Gurgelgrossa“, „Gargantomännlein“, „Gurgelstrotza“ u. a.189 In der „sprachliche[n] Vervielfältigung des Einzeldings“190, in der copia derjenigen (hybriden) verba also, die eine einzige Sache bezeichnen, wird die grenzüberschreitende Potenz von ‚Sprache an sich‘, nicht nur des Deutschen, ausgestellt. Dennoch: All diese Mischungen sind in den primär deutschen Text eingelassen. Das Deutsche bleibt das Bezugssystem, wenngleich die Adaptation von fremdem
184 Bulang: Enzyklopädische Dichtungen, S. 413. Vgl. Fischart: Geschichtklitterung, S. 33 f. 185 Vgl. zu Fischarts Beschäftigung mit den Ursprachendebatten der Zeit und zu genealogischen Konzepten aus dem Umfeld der Offizin Kap. 2.1. 186 Vgl. Schilling: Einleitung, S. XXVI. Zum Zusammenhang von Fischarts skeptischer Haltung mit seinen Erzählstrategien vgl. Schilling: Skeptizistische Amplifikation. 187 Vgl. Bulang: Enzyklopädische Dichtungen, S. 425–428; Fischart: Geschichtklitterung, S. 176. 188 Vgl. oben das Kap. 4.2 zur copia und Bachorski: Irrsinn, S. 469, der hier auf die „außerordentlich souveräne Haltung gegenüber dem zeitgenössischen wissenschaftlichen Diskurs“ abhebt. 189 Vgl. die Übersicht bei Bulang: Enzyklopädische Dichtungen, S. 354. 190 Ebd., S. 355.
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Klang- und Laut-,191 Morphem- und Wortmaterial seine ästhetische, artistische und semantische Qualität zu steigern vermag. Die Hybridität von Sprache, ihre Destruktion und Rekonstruktion aus Bausteinen unterschiedlichster Herkunft, ist zentrales Merkmal vor allem der Poetik der Geschichtklitterung,192 trifft jedoch generell auf Fischarts Stil zu. Bulang hat dementsprechend vor dem Hintergrund der Beschäftigung Fischarts mit dem paracelsistischen Diskurs seiner Zeit die Metapher von Fischarts „Sprachalchemie“193 wörtlich genommen und das alchemische Prinzip des solve et coniugo in Fischarts Spracharbeit wirksam gesehen.194 Die Prinzipien der Kombination, der Überblendung und Mischung sind dementsprechend auch über poetologische Bilder in den Text eingespeist. Schon auf dem Titelblatt deutet der Holzschnitt mit der Unterschrift „Im Fischen Gilts Mischen“ auf „eine quasi-emblematische Struktur, in welcher der wiederholt verklausulierte Aspekt des Mischens sich gleichermaßen auf das (Ver)-mischen [sic!] verschiedener Themen, Kontexte, Stoffe, Stile, Gattungen und Sprachen in der Geschichtklitterung beziehen läßt.“195 Vom Mischen verschiedener Substanzen ist es nur noch ein kleiner Schritt hin zu der poetologischen Metapher der Geschichtklitterung schlechthin, der des Zechens und des Weingenusses. In seinem Prolog, den Fischart als „Ein und VorRitt“196 übersetzt, umkreist Rabelais dieses Thema und nutzt die „Zechgemeinschaft des Autors mit den Lesern“197 als Ausgangspunkt für die spielerische Refle-
191 So dienen Mischbildungen aus deutschen sowie französischen Elementen beim Tanz der Riesen der Steigerung der Klangqualität der Passage, befeuern sie also die copia der Klänge, die das Deutsche zu erzeugen vermag, zusätzlich: „[Sie] gumpeten: plumpeten: rammelten: hammelten, voltirten: Branlirten, gambadirten, Cinqpassirten: Capricollirten“, Fischart: Geschichtklitterung, S. 116. Vgl. zu dieser Passage besonders Bulang: Enzyklopädische Dichtungen, S. 385; Rüdiger Zymner: Manierismus. Zur poetischen Artistik bei Johann Fischart, Jean Paul und Arno Schmidt. Paderborn u. a. 1995, S. 126–128. Zu „Rhythmus und Klang“ in Fischarts Spracharbeit siehe außerdem auch Kellner: Verabschiedung, S. 160. 192 Vgl. auch Kellner: Fischarts Geschichtklitterung, S. 154. 193 Hess: Deutsch-Lateinische Narrenzunft, S. 226. 194 Vgl. Bulang: Enzyklopädische Dichtungen, S. 465. Zu Fischarts Auseinandersetzung mit den Sprachauffassungen seiner Zeit, u. a. aus dem Bereich von Paracelsismus und Alchemie, vgl. Kap. 2.1.1. 195 Kellner: Fischarts Geschichtklitterung, S. 154. 196 Fischart: Geschichtklitterung, S. 19. 197 Kellner: Fischarts Geschichtklitterung, S. 156. Zum ‚Leitmotiv‘ des Rauschs vgl. auch Kellner: Spiel mit gelehrtem Wissen, S. 240 f.; Bulang: Enzyklopädische Dichtungen, S. 389–394, S. 410; Beate Kellner: Literatur als Symposion. Zu François Rabelaisʼ „Gargantua“ und Johann Fischarts „Geschichtsklitterung“. In: Poetica 47 (2015), S. 195–221; Tobias Bulang: Die andere Enzyklopädie. Johann Fischarts Geschichtklitterung. In: Arcadia 48 (2013), S. 262–281.
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xion über die Möglichkeiten allegorischer Deutungen seines Textes: „Ausgehend vom Bild des Silen wird über mehrere Stufen die Vorstellung einer ‚silenischen Schreibweise‘ entwickelt, deren besonderes Charakteristikum es ist, gerade keine eindeutige Lesart vorgeben zu wollen und sich einer eindeutigen Lesart zu entziehen.“198 Fischart schließt, darin ist sich die Forschung einig, an diese vertiefte hermeneutische Reflexion des Rabelais-Prologs gerade nicht an, sondern reiht in seinem „Ein und VorRitt“ gleichsam auf der Oberfläche „Ausdrücke für Fresser und Säufer sowie Trinkgefäße“199 aneinander.200 Statt der semantischen Dimension von Sprache, für die Fischart an anderer Stelle der Geschichtklitterung durchaus das Potential des Deutschen nachweist, ist es die lexikalische, die Fischart hier exponiert: Dichtung in der Muttersprache, dem weingesättigten „MutterLallen“201 also, ist hochproduktiv und mehrt die copia verborum.202 Die schon bei Rabelais poetologisch semantisierten Bildfelder des Essens und vor allem des Trinkens sind also bei Fischart geradezu emphatisch auf die Formseite der Sprache fokussiert. Diese metapoetische Lesart geht weit über ältere Positionen der Forschung hinaus, die in den überbordenden Äußerungen von Körperlichkeit, von Nahrungsaufnahme, -verdauung und -ausscheidung sowie von Sexualität einen Beweis für Fischarts grobianisch-didaktische Grundausrichtung à la Friedrich Dedekind und Caspar Scheidt gesehen (und dabei auch Scheidt streckenweise missverstanden) oder diese als Äußerungen ‚des Grotesken‘ gedeutet hat.203
198 Kellner: Fischarts Geschichtklitterung, S. 157 f. Dementsprechend gibt auch das Orakel der „Dive Bouteille“ am Ende des fünften, von Fischart nicht übersetzten Buchs keine Antwort: „Mit dem Ertränken der Frage in Wein wird Panurge […] angesichts seiner drängenden Fragen auf sich selbst zurückgeworfen“, Kellner: Fischarts Geschichtklitterung, S. 158. Zu Rabelaisʼ bzw. Fischarts Prologen vgl. auch Weinberg: Gargantua, S. 25–39. Zum Wein „as allegory of the spirit of Wisdom“ bei Rabelais ebd., S. 33. 199 Kellner: Fischarts Geschichtklitterung, S. 159. 200 Vgl. ebd., S. 158 f.; Weinberg: Gargantua, S. 187. 201 Fischart: Geschichtklitterung, S. 5. 202 Vgl. ähnlich – jedoch negativ wertend – Florence Weinberg, die den Bildbereich des Weines im Sinne des Fischart’schen Programms von moralischer Unterweisung und Wortspielerei deutet und die Abwesenheit tieferer epistemologischer Bedeutung bedauert, vgl. Weinberg: Gargantua, S. 187: „The ‚Weinrausch‘, ‚furor‘ or ecstasy hence has little to do with whispering of divine wisdom, but with whisperings to Fischart by the Muse of promising word-plays“, ebd., S. 39. 203 Zur kritischen Reflexion der Grobianismus-Diskussion vgl. beispielsweise Bachorski: Irrsinn, S. 351 f.; Weinberg: Gargantua, S. 47. Weinberg kommt jedoch zu keinem schlüssigen Ergebnis, was die Funktionen der Körperlichkeit im Allgemeinen betrifft, vgl. ebd., S. 66 f. Zur Kritik an der Forschungstradition, die die moraldidaktische Deutung der Körperdarstellungen in den Vordergrund rückt, vgl. Kellner: Verabschiedung, S. 163, Anm. 36. Zum Grotesken vgl. beispielsweise Bachorski: Irrsinn, S. 370–382 und S. 480–482 (zur sprachlichen Seite des Grotesken). Zu älteren
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Erst in neuerer Zeit häufen sich die Versuche, gerade vor dem Hintergrund der Wissensökonomie des Textes die Körpersemantiken neu zu konturieren.204 In diesem Sinne ist es auch angebracht, das zentrale Bild des Rausches wieder in den Blick zu nehmen und jenes Kapitel neu zu lesen, das den Akt des Trinkens wie kein zweites ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt, die sogenannte „Truncken Litanei“.205 Es wird zu zeigen sein, dass hier die Sprachmischung als dominantes Strukturprinzip der Geschichtklitterung (und von Fischarts Stils im Allgemeinen) und die poetologische Metapher des Rauschs über kunstvolle Operationen so miteinander verschränkt werden, dass das (makkaronische) Sprachhybrid zum zentralen Merkmal erfolgreichen Schreibens in der deutschen Volkssprache aufgebaut wird. Die Truncken Litanei bildet keineswegs die aus dem Ruder gelaufenen, amorph-unsinnigen Äußerungen eines Zechgelages ab, sondern ist von einem starken Formzug geprägt, der eine implizite poetologische Argumentation verfolgt.206 Dies lässt sich an der graduellen Zunahme sprachmischender Formen
Auffassungen des Grotesken vgl. Heinrich Schneegans: Geschichte der grotesken Satire. Straßburg 1894, S. 356–428; Otto Wacker: Studien über die groteske Satire bei Fischart. Diss. Freiburg i. Br. 1927, besonders S. 33–80; Hugo Sommerhalder: Johann Fischarts Werk. Eine Einführung. Berlin 1960 (Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker. N. F. 4), S. 65–70. Zum Grotesken als „Stil der Entfremdung“ vgl. Christoph Mühlemann: Fischarts „Geschichtklitterung“ als manieristisches Kunstwerk. Verwirrtes Muster einer ver wirrten Welt. Bern, Frankfurt a. M. 1972 (Europäische Hochschulschriften. Reihe I: Deutsche Literatur und Germanistik 63), S. 96–106. Vgl. den kritischen Forschungsüberblick zu den Deutungstraditionen im Zeichen von Groteske, Grobianismus und Komik bei Kellner: Verabschiedung, S. 165, Anm. 44. Zu einem neuen Verständnis von Scheidts Dichtung im Zeichen eines spezifisch volkssprachlichen Renaissancehumanismus vgl. Anna Kathrin Beuler: Imitatio veterum – imitato modernorum. Kaspar Scheits ‚Fröhliche Heimfahrt‘ im Spannungsfeld von autochthoner literarischer Tradition und Renaissance-Humanismus. In: Daphnis. Zeitschrift für Mittlere Deutsche Literatur und Kultur der Frühen Neuzeit (1400–1750) 38 (2009), S. 527–554. 204 Zu verschiedenen Semantiken von Körper und Sexualität vgl. beispielsweise Bachorski: Irrsinn, S. 510–526; Kellner: Verabschiedung, S. 162–166; Kellner: Spiel, S. 229–242 (zum Zusammenhang von Körperlichkeit, Affektdiskurs und Sprachartistik). Zur Körpersemantik bei Fischart aus postmoderner Perspektive vgl. Nicola Kaminski: Gigantographie. Fischarts ‚Geschichtklitterung‘ zwischen Rabelais-imitatio und aemulatio mit des Gargantua vnnachzuthuniger stärck. In: Die Präsenz der Antike im Übergang vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit. Hg. von Ludger Grenzmann u. a. Göttingen 2004 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Philologisch-historische Klasse. Dritte F. 263), S. 273–304. 205 Vgl. Fischart: Geschichtklitterung, S. 117–145. 206 Die Truncken Litanei ist in dieser poetologischen Perspektive bisher kaum untersucht worden. Mehr Deskription denn Analyse findet sich bei Weinberg, S. 55–63, die sich dem Ver such eines tieferen Verständnisses entzieht: „Fischart has created a ‚museum‘ of tavern chatter, drinking songs, games and gross behavior typical of the Allemanic-German pub; he is not con-
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nachvollziehen. Schon zu Beginn der Passage bringt der intendierte Weingenuss lateinische Rede und Redegewandtheit hervor, und dies in der Nachfolge der antiken Autorität des Horaz: „Foecundi calices quem non fecere disertum? Das müßt ein ungeschlachter Wein sein, der eim nicht giset Latein ein.“207 Das Lob des Weines aus lateinisch-gelehrtem Reservoir wird jedoch sogleich mit einem Äquivalent aus deutscher Tradition kombiniert, vom Wein inspirierter lateinischer Rhetorik wird das deutsche Trinklied an die Seite gestellt. Die erste Strophe lautet: „[N]un biß mir recht wolkommen, du Edler Rebensafft: Ich hab gar wol vernommen, du pringst mir süsse krafft: Laßt mir mein gmüt nicht sincken, und sterckst das hertze mein, drumb wöllen wir dich trincken, unnd alle frölich sein“208. Im Anschluss wechseln sich lateinische und deutsche Sentenzen und Sprichwörter – sowie ihre quasi-etymologische Variation – ab, um Sinn und Zweck des Weingenusses zu beweisen: „Im trocknen wohnet nimmer kein Seel, wiewol man sagt Anima sicca sapientissima, ein Seel die im trockenen sitzt, hat witz. Aber umversio simplex vermag, Anima sapientissima siccissima, die klug Seel muß verdorren, erdursten, erseugern, verschmachten, außmergeln […].“209 Zu Beginn der Zecherei stehen also gleichsam alternative Ausdrucksformen, Lied, Sentenz und Sprichwort, zur Benennung derselben Sache in zwei verschiedenen Sprachen, dem ‚hohen‘ Latein und dem ‚niedrigen‘ Deutsch, zur Verfügung und gleichberechtigt nebeneinander.210 Poetische Produktion infolge des Weingenusses kann auf der Ebene lateinischer Rhetorik oder deutscher Liedpraxis wirksam sein. Die Lieder, die Fischart hier inseriert, streckenweise wortgetreu
cerned with symbolism but with demonstrating his erudition and linguistic ability“, Weinberg: Gargantua, S. 62. Bachorski betont, das Kapitel sei „thematisch […] geschlossen“ (Bachorski: Irrsinn, S. 476), und „die einzelnen sprachlichen Zeichen [sind] […] eng und überstrukturiert angeordnet“ (ebd., S. 474). Vgl. dagegen ältere Forschungsbeiträge, die dem Kapitel ‚Bedeutung‘ absprechen, beispielsweise Mühlemann: Fischarts „Geschichtklitterung“, S. 82: „Fischarts Spiel mit der Sprache [in der Truncken Litanei, Anm. S. B.] zielt darauf, ihr den ihr wesensmässig zugehörenden Bedeutungsgehalt zu rauben“, ebd. 207 Fischart: Geschichtklitterung, S. 118. Vgl. Horaz, Epistula I,5,19. In: Horaz: Epistulae. Epi stles. Book I. Hg. von Roland Mayer. Cambridge 1994. Das Horaz-Zitat findet sich auch bei Rabelais, vgl. François Rabelais: Gargantua. In: François Rabelais: Oeuvres complètes. Hg. und komm. von Mireille Huchon. Paris 1994, S. 1–205, hier S. 18. 208 Fischart: Geschichtklitterung, S. 118 f.; Nachweis bei Williams: Weiteres zu Fischarts Liedern, S. 267 f. 209 Fischart: Geschichtklitterung, S. 119. 210 In diesem etwa ersten Drittel des Kapitels begegnet dem Leser nur ein einziger Sprachhybrid, der aber dezidiert negativ konnotiert ist: nämlich die lehnwortschwangere Sprache der Juristerei: „Bub lang her, ich insinuir dir mein nomination inn dein Hertz, verstehst diß Dintenteutsch?“ (Ebd., S. 120).
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zitiert, umarbeitet, in rhythmisierte Prosasprache überführt oder paraphrasiert, entstammen der mittelalterlich-autochthonen Tradition, so beispielsweise das beliebte spätmittelalterliche Trinklied Neidharts Gefräß211 und viele andere.212 Dass es beim Zechen und, so lässt sich ergänzen, im Prozess des Dichtens bei den klaren, voneinander getrennten Sprachen und Formen nicht bleiben wird, das verrät das Lob der Weinkeller – Metamorphosen deuten sich an: „Ach ihr lieben Keller, die ihr auß fäßlicher vollmacht und vollmächtiger fäßlichkeit neue formen schaffet, und die naturen ändert, macht mich auß eim nichttrinckenden trincken, auß eim untrunckenen truncken.“213 Vorerst besteht diese Veränderung im Latein und Deutsch kombinierenden Schreiben darin, dass im weiteren Verlauf einige deutsche Lieder anzitiert werden, die offenbar seit Jahrhunderten beliebt und bekannt sind und in denen lateinisches und deutsches Wortmaterial auf pedanteske Weise verbunden ist. Zwei Schreiber singen folgendes Lied: Vinum quae pars, verstehst du das, ist auß Latin gezogen, ja nur gar wol, ich bin es voll, Ich bin ihm offt nachgezogen, inn dem Donat, der Reyflin hat, hab ich es offt gelesen, quod nomen sit, das fält mir nit, Man trinckt ihn auß den Gläsern, Vinum quä pars, unnd hast kein Glaß, so sauff mir auß dem etc. a.: Nims Glaß zu dir, declina mir, Vinum laß Gläßlin sincken, Nominatiff hoc winum, Ist mächtig gut zutrincken, welcher gesell, Jetz weiter wöll, Vinum auß declinieren, Pluraliter, den bring man her, Ein maß drey oder viere. Wer sind die uns diß Liedlin sungen, das haben gethan zwen Schreiber gut, ein alter und ein junger.214
Deutsche und lateinische Wörter und Teilsätze sind zwar miteinander verschränkt, jedoch in sich intakt, wenn auch der Weingenuss im Medium des Studentenliedes die Grenzen lateinischer Deklination und damit zugleich des als scholastisch begriffenen Grammatiksystems des Aelius Donatus sprengt.215 Das Spiel mit lateinischen Sprach- und Traditionselementen setzt sich im direkt angeschlossenen
211 Vgl. den Parallelabdruck von Neidharts Lied und Fischarts Umarbeitung in Eckhard Grunewald: Die Zecher- und Schlemmerliteratur des deutschen Spätmittelalters. Mit einem Anhang: „Der Minner und der Luderer“ – Edition. Diss. Köln 1976, S. 86–89, hier besonders S. 88. 212 Eine Aufstellung über das in der Truncken Litanei der Geschichtklitterung verwendete Liedgut, gesammelt aus handschriftlichen und gedruckten Quellen, liefert Williams: Liederpoesie; Williams: Weiteres zu Fischarts Liedern. Die ergänzende Identifizierung eines Lieds des Mönchs von Salzburg liefert Norbert Haas: Trinklieder des deutschen Spätmittelalters. Philologische Studien an Hand ausgewählter Beispiele. Göppingen 1991 (GAG 533), S. 91–93. 213 Fischart: Geschichtklitterung, S. 120. 214 Fischart: Geschichtklitterung, S. 128. Nachweis bei Williams: Liederpoesie, S. 446 f., der es zuerst im Katzipori vermutet. 215 Vgl. zur „Donat“-Anspielung an dieser Stelle Ute Nyssen: [Johann Fischart: Geschichtklitterung.] Glossar. Worterläuterungen zur Ausgabe letzter Hand von 1590 nach der Neuausgabe 1963. Düsseldorf 1964, S. 25.
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Lied fort, wobei hier größere syntaktische Einheiten aufeinander replizieren. Zugleich wird für den Grundsatz plädiert, dass Stärke aus Reinheit entstehe:216 Wolauff ihr Brüder allzumal. Quos sitis vexat plurima. Ich weiß ein Wirt klug überall, quod wina spectat optima. Sein wein mischt er nicht mit dem Safft, E Puteo qui sumitur, Ein jeder bleibt inn seiner krafft, E botris ut exprimitur. Herr Wirt bringt uns ein guten, im Keller quod est optimum.217
Das Alternieren der entsprechend in sich reinen Sprachen findet hier, so die lobende Zuschreibung des Erzählers, zugleich in einer wohlgeordneten musikalischen Form, der aus mittelalterlicher Tradition stammenden Solmisation statt:218 „Botz tausend Rasperment, das heißt wol solmisirt […].“219 Die ‚alten‘ Formen von lateinischer Deklination und Solmisation sowie die Vorstellung der Sprachreinheit220 werden also vorgeführt und im Weingenuss und der damit einhergehenden sprachkombinierenden Technik zugleich entgrenzt. Sodann wendet sich der Erzähler von der Solmisation ab und fordert einen modernen dreistimmigen Chorsatz ein: „[L]aß sehen ein Tricinium, ich will mit dem Gutteruff Bassieren, so Tenorier du mit deim Kranchhalß, unnd der vagier mit dem Lüllzagelzincken […].“221 Das Tricinium als Kompositionsform war seit dem sechzehnten Jahrhundert vor allem im protestantischen Deutschland en vogue.222 Es wird im folgenden allerdings nicht zum Vehikel von elaborierten künstlerischen Formen, sondern vom Lied von den „drei Gänß im Haberstro“223 – einer Parodie auf In dulci jubilo.224 Beim Volkslied handelt es sich also um eine Kunst, die die älteren mittelalterlichen Traditionen – hier vertreten durch scholastische Grammatik und solmisierendes Singen – einerseits in sich einzuschließen, andererseits satirisch zu brechen vermag, indem es zum Trägermedium sprach-
216 Dem entspricht die Kritik am fremd- und lehnwortgesättigten „Dintendeutsch“. 217 Fischart: Geschichtklitterung, S. 128. 218 Zur Solmisation vgl. Martin Ruhnke: Art. ‚Solmisation‘. In: 2MGG 8 [Sachteil] (1998), Sp. 1561–1569. 219 Fischart: Geschichtklitterung, S. 128 f. 220 Zum Reinheitsdiskurs bei Jobin und Fischart vgl. beispielsweise die Vorrede zum Philosophisch Ehzuchtbüchlin, vgl. Kap. 3.2.2. 221 Fischart: Geschichtklitterung, S. 129. Diese lateinischen Einsprengsel sind bei Rabelais nicht zu finden, vgl. Rabelais: Gargantua, S. 17–20. 222 Zum Tricinium vgl. Ludwig Finscher: Art. ‚Tricinium‘. In: 2MGG 8 [Sachteil] (1998), Sp. 653–660. 223 Fischart: Geschichtklitterung, S. 129. 224 Vgl. den Nachweis bei Williams: Liederpoesie, S. 91. Fischart setzt das Lied auch im Uncaluinisch Gegen Ba[d]stblein ein, vgl. oben Kap. 4.1.3.
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kombinierender Verfahren wird. In deren Licht wird die eigene Vergangenheit an die Gegenwart angeschlossen und zugleich reflektiert. Einheit und Reinheit in Sprache und Liedform werden im weiteren Verlauf der Truncken Litanei zunehmend aufgegeben,225 bastardisiert-makkaronisches Latein häuft sich: „Hie ligt er im Treck inn aller Saunamen. En iacet in trexis, qui modo palger erat“226 oder „Mein Knabatz bring uns ein Poetenseydle, Ede, bibe, lude, nach toden nulla wolustas: sauffts, spielts, hurts, seits nur nicht Lauterisch: Vivite, Winwite, laeti dum fata sinunt“227. Immer kurzatmiger werden lateinische Zitate aus antikem oder biblischem Traditionsbestand zerhackt und dann aneinandermontiert, ihre Überbleibsel in die deutsche Syntax integriert. Die im ganzen Kapitel nie ganz scharfen Trennlinien zwischen Prosa- und Verssprache werden in immer höherer Frequenz überschritten: Was morgen geschehe fuge quaerere, darnach sey dir nicht weh. Nun ist bibendum, nun pede libero zuträppelen tellus, unnd zu Läppelen häl us, wie man schreibet in Tabernaculis rusticorum, im Land zu Sachsen, ca: ubique, in altiquo muro, mit weissen Kolen, Sauff dich voll unnd leg dich nider, Steh frü auff, und füll dich wider, So vertreibt ein füll die ander, Schreibt der FronPrister Arslexander. Ecce wie bonum unnd iocundum wa die Brüder zusamen thun, und werffen den Abt zum Fenster auß. Dann alsdann completum est gaudio cor nostrum, So waschen wir unsern Schnabel im Wein, unnd lingua nostra in exultatione, und singen mit wonne […].“228
In den Zelten der Bauern, den „Tabernaculis rusticorum“, wird Horaz – „nunc est bibendum, nunc pede libero pulsanda tellus“229, wie es im Original heißt – korrumpiert und mit einem deutschen Regiolekt, dem Sächsischen, eingefärbt. Dieser Vorgang der Degradierung und Eingemeindung des Horaz in den deutschen Sprachraum ist positiv konnotiert, sind doch auch an anderen Stellen in den Werken Fischarts und seines Umfelds die ländlichen Behausungen, im Gegensatz zu den hohen Palästen, Orte und metaphorische Reflexionsräume einer autonomen ‚Poesie des Niederen‘;230 mit dem Bekenntnis zum Niederen löst
225 Ebenso löst sich die Truncken Litanei zunehmend von der französischen Vorlage, vgl. Rabelais: Gargantua, S. 19 f. 226 Fischart: Geschichtklitterung, S. 133. 227 Ebd., S. 134. 228 Ebd., S. 135. 229 Horaz: Carm. I, 37,1 f. In: Horaz: Carmina. Odes. Book I. Hg. von Roland Mayer. Cambridge 2012. Vgl. dazu auch Nyssen: Glossar, S. 84. 230 Zu einer diesbezüglich einschlägigen Passage in Jobins Vorrede zu Fischarts Ehzuchtbüchlin sowie einem entsprechenden Emblem in Holtzwarts Emblematum Tyrocinia vgl. Kap. 3.2.2.
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Fischart das zentrale poetologische Merkmal makkaronischer Dichtung ein und wertet es zugleich auf. Eine dem Horaz analoge Aktualisierung erfahren die in den Zechgesang integrierten lateinischen Psalm-Bruchstücke,231 indem sie zum Medium der konfessionellen Polemik werden. Die „lingua mea“ (Psalm 15,9)232 des individuellen Gottesdienstes wird über die „lingua nostra in exultatione“ (Psalm 125,2) zur Sprache der Trinker, die Deutsch und Latein auf produktive und moderne Art und Weise in sich zu vereinen vermag. Möglicherweise wird hier auch das sprachbildende Potential der konfessionellen Polemik reflektiert, deren praktische Relevanz oben ausgeführt worden ist. Mit der fortschreitenden Sprachmischung wird allerdings auch der Gesang zunehmend formlos: Nach Solmisation und Tricinium versucht sich der Wirt vergeblich an einer klaren, geordneten Komposition: „[D]er Wirt ein groben Baß zustimpt, so ist es jetz das allerbest: der Wirt ist völler dann die Gäst: im kropff fengt er zu dichten an: ein compositz kan niemand verstan: Er dunckt sich weiß und wol gelehrt: die noten wirft er wider die Erd: Dasselb ein halbe stund wol wehrt“233. Der „Haußknecht“ fegt letztendlich die Noten beiseite.234 Gleichsam als Höhepunkt des form- und sprachüberschreitenden Schreibens und als letztes Resultat des inspirierenden Zechens ereignet sich gegen Ende des Kapitels, als sich bereits die Zunge des Trinkers (und Erzählers) zu schälen beginnt, erstmals Sprachmischung nicht nur zwischen Deutsch und Latein, sondern auch zwischen Deutsch und den romanischen Vernakularsprachen: Mein Zung schelt sich, meine Entenschnaderet, meine steltzet, Landsman trinck, trinck mein Compan, Curasche, Boneschere. Allegremente, Io prinde à vostra Signoria, Hey las min gurr gut Disch: gut lansequenet: gut Reistres. Hie gut Win Dorleans, von Montflascon, von Arbois, da da da, das heisset Glockengossen das ist gestälet. O lachrima Christi, das schmackt dewinisch.235
231 Es handelt sich um Teilübersetzungen von „canticum graduum David ecce quam bonum et quam iucundum habitare fratres in unum“ (Psalm 132,1) und „tunc repletum est gaudio os nostrum et lingua nostra exultatione“ (Psalm 125,2). Vgl. auch Nyssen: Glossar, S. 84, hier aber mit fehlerhaften Psalmen-Nachweisen. 232 Es kann nicht mehr rekonstruiert werden, mit welchen Bibelausgaben Fischart prinzipiell gearbeitet hat (in diesem Fall der Vulgata). 233 Fischart: Geschichtklitterung, S. 139. 234 Vgl. ebd. 235 Ebd., S. 144. Im Wort „dewinisch“ vereinen sich Morpheme aus ‚divinus‘ und ‚vinum‘ und damit Vorstellungen vom Zusammenhang von göttlicher Inspiration und Weingenuss, wobei zugleich auf Rabelaisʼ (Wein-)Gut La Devinière angespielt ist, vgl. Nyssen: Glossar, S. 144.
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Der vor allem romanisch-deutsche Makkaronismus als Mittel zur Verständigung mit dem „Landsman“ hat die deutsch-lateinische „lingua nostra in exultatione“ abgelöst. Die Mixtur der Sprachen ist jedoch auch hier nicht völlig entgrenzt. Grundlage der rauschhaften Kommunikation ist und bleibt die gemeinsame deutsche Sprache, die durch ihren hybriden Charakter enorm potenziert ist und sich dadurch in letzter Konsequenz auch über die formalen Vorgaben der Dichtung – hier repräsentiert durch die Strophenform der Lieder oder die tradierten Kompositionsweisen – sowie die Regeln der Rhetorik – sie werden durch das Horazzitat zu Beginn des Kapitels in die poetologische Argumentation hereingeholt – hinwegsetzen kann: Solche Normen können buchstäblich, wie die Noten des Wirts, unter den Tisch gekehrt werden. Der schrittweise vorgenommenen und graduell zunehmenden Hybridisierung des Deutschen, wie sie in der Truncken Litanei vorgeführt wird, ist eine Zeitachse eingezogen: Das Zechen schreitet fort, und damit Inspiration und poetische Intensität. Erst werden Latein und Deutsch als alternative, aber gleichwertige Möglichkeiten zur Vermittlung ein und desselben Sachverhalts herangezogen, wie am Lob des Weines im Medium des Horazzitats und des deutschen Lieds deutlich geworden ist. Es folgen Sprachkontakt und -dialog, indem größere deutsche und lateinische syntaktische Einheiten im Medium der deutschen Lieder aufeinander replizieren. Sprachreinheit und Bindung an alte und neue Formen sind dabei Leitwerte, die zugleich ausgestellt und satirisch reflektiert werden. Der nächste Schritt besteht in der Hybridisierung von Einzelwörtern, in der Korruption von festen lateinischen Traditionsbestandteilen – den Antiken- und Bibelzitaten – und der Eingemeindung dieses lateinischen Erbes in den modernen deutschen Sprachraum. Gleichzeitig werden poetische Regeln hinfällig: Die Komposition des Wirts scheitert. Zu guter Letzt löst der deutsch-romanische Makkaronismus den deutsch-lateinischen ab. Der Zeitindex der Truncken Litanei, die Entwicklung von der poetisch-rhetorischen Begrenzung hin zur relativen Entgrenzung über verschiedenen Grade der Sprachkombination, -mischung und -makkaronisierung lässt auf eine entsprechende Wertung schließen, insofern mit zunehmendem Rausch auch das poetische Potential der jeweiligen Sprachstrategie gesteigert wäre. Fischart geht es aber auch darum, die Potenz des Deutschen in seiner universellen Einsetzbarkeit auszustellen: im (relativ) reinen, formgebundenen wie im gemischten, formloseren Modus. In jedem dieser ‚Aggregatzustände‘ erweisen sich Möglichkeitsreichtum, Stärke und letztlich Literaturfähigkeit der deutschen Sprache, und die verschiedenen Spielarten des sprachmischend-makkaronischen Schreibens fungieren als ihr Reflexionsmedium. Die bei Fischart, anders als bei Rabelais, vor allem auf die sprachliche Oberflächenstruktur abgestellte Metapher des Rausches erlangt, indem in ihrem Rahmen die transgressive Varianz von Sprache unter
Exkurs
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Beweis gestellt wird, eine metapoetische Bedeutung, die weit über den Topos der quasi-göttlichen Inspiration hinausgeht und die sich in dieser Form nur in Kombination mit einer entsprechenden poetologischen Lesart der Makkaronismen einstellt. Durch sie wird das humanistische Vorurteil gegen das ‚Küchenlatein‘ überwunden und zugleich eine semantische Tiefendimension der zeitgenössischen makkaronischen Praxis erschlossen: Nicht nur reflektiert diese die humanistisch-gelehrte Sprachkompetenz und testet sie die Grenzen des humanistischen Systems auf spielerische Weise gleichsam von innen heraus aus, auch fungiert sie als Vehikel sprachpatriotischer Argumentationen sowie aktiver Arbeit an der deutschen Volkssprache.236
4.4 Exkurs: Revision des humanistischen Erziehungsprogramms in der Geschichtklitterung (ab 1575) Fischarts produktiver Umgang mit dem renaissancehumanistischen Paradigma betrifft nicht nur die Oberfläche der Spracharbeit und Textorganisation, sondern zielt auch auf deren Basis und konzeptuellen Kern: das humanistische Erziehungsprogramm. In den berühmten Erziehungskapiteln der Geschichtklitterung wird, anders als bei Rabelais, nicht nur das scholastische, sondern auch das humanistische Denken einer kritischen Revision unterzogen, und zwar vor allem performativ, mit den Mitteln seiner Sprache – auch dies also eine Ausprägung von Fischarts Großprojekt der Weiterentwicklung des Humanismus unter den Auspizien der vernakularen Kultur. Die Ausbildung des Riesensohnes Gargantua nimmt in der Geschichtklitterung breiten Raum ein. Die ersten Stationen seines Bildungsganges verdanken sich noch vollständig einem mittelalterlichen Programm: Die Meister „Trubalt Holofernes“237 und „Gobelin vom Henckzigel“238 führen den Zögling in die scholastische Lehre ein. Ganz im Einklang mit der französischen Vorlage zieht Fischart diese Bildungsangebote und die Methoden ihrer Vermittlung ins Lächer-
236 Hess sieht in Fischarts Verfahren eher eine Selbst-Reflexion der frühneuzeitlichen Satiren tradition am Werk, deren anti-philologische Quasi-Destruktion durch „deutsch-lateinische Sprach-Unzucht“ sowie „schöpferische Sprachzerstörung“ hervorgerufen werde, Hess: DeutschLateinische Narrenzunft, S. 232–234: „Die Sprache wird Gegenstand der Sprache, und die Gesetze dieser sich verselbständigenden Sprache heben die Gesetze des satirischen Vorgangs auf“, ebd., S. 22. 237 Fischart: Geschichtklitterung, S. 202. 238 Ebd., S. 206.
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liche.239 Gargantua brütet nicht nur über den falschen Autoren, sondern dies auch noch hochgradig ineffizient.240 Erst als er an seinen neuen Lehrer „Ehrenbrecht Kundlob von Arbeitsteig“ bzw. „Ponocrates“241 überstellt wird, der mit ihm zum Studium nach Paris reist und ihm einen Purgiertrunk verabreicht, der die alten falschen Lehren herausschwemmen soll, eröffnet sich dem Schüler das Universum humanistischer Gelehrsamkeit. Die Ausbildung Gargantuas beschränkt sich allerdings nicht nur auf die buchgelehrten studia humanitatis im engeren Sinne, sondern ist allumfassend: „Es handelt sich um ein universales Erziehungsprogram, das in seinen gigantischen Dimensionen den körperlichen Maßen des Riesen Gargantua entspricht.“242 Der Tag ist nun ökonomisch durchorganisiert, kein Moment bleibt ungenutzt, so „daß er [Gargantua, Anm. S. B.] kein stündlin vergebens hinricht.“243 Gargantuas Ausbildung richtet sich auf Körper und Geist244 und hat höfische wie humanistische Bestandteile: Das Studium antiker Philosophen spielt ebenso eine Rolle wie Reitund Fechtunterricht. Beate Kellner hat gezeigt, wie Fischart über verschiedene Strategien wie (Pseudo-)Etymologien, „Verballhornungen“245 und assoziativ gestaltete Wortketten die bereits bei Rabelais angelegte ‚komische Übersteigerung‘ der humanistischen Erziehung durch „Verzerrung in gigantische Dimensionen“246 ad absurdum führt. Während Kellner aber von einer „Verabschiedung“ und „parodistischen Verunglimpfung des Humanismus“247 spricht, sei hier behauptet, dass Fischart den humanistischen Anker nie ganz lichtet: Er erweitert das humanistische Programm, experimentiert mit seinen Vorgaben, nimmt es zum Ausgangspunkt sprachspielerischer Experimente, hält dabei aber immer die Balance zwischen Ludismus und Affirmation. Besonders gut zu beobachten ist dies in den Passagen der Erziehungskapitel, denen in verdichteter Form eine metapoetische Perspektive eignet. Dies sei im Folgenden beispielhaft anhand dreier metapoeti-
239 Vgl. zusammenfassend Kellner: Verabschiedung, S. 158–161. 240 Vgl. beispielsweise Fischart: Geschichtklitterung, S. 205. Vgl. auch Kellner: Verabschiedung, S. 158 f. 241 Fischart: Geschichtklitterung, S. 210. 242 Kellner: Verabschiedung, S. 163. 243 Fischart: Geschichtklitterung, S. 251. Dieser Umstand folgt einer Empfehlung des Erasmus, vgl. Kellner: Verabschiedung, S. 164. 244 Auch hierin folgen Rabelais und Fischart humanistischen Forderungen, z. B. denen in Juan Luis Vivesʼ De disciplinis oder in Erasmusʼ Institutio principis Christiani, vgl. Kellner: Verabschiedung, S. 164. 245 Ebd., S. 166. 246 Ebd., S. 165. 247 Ebd., S. 167.
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scher Operationen aus dem 26. und 27. Kapitel – die dem Reglement des Unterrichts gewidmet sind – dargelegt: der Reflexion des dichterischen Prozesses, der Reflexion der literarischen Kultur und der Reflexion des satirisch-polemischen Schreibens. Ab und zu unternehmen der Schüler und sein Lehrer einen Ausflug in die Natur, doch selbst die Mußestunden werden bestmöglich genutzt: Unnd daselbs pliben sie als dann den gantzen Tag, unnd machten des besten dings gut geschirr, als man erdencken mag: rammelten, rolleten, luderten, trancken genug, spileten, sungen, jauchtzeten, kögelen, dantzeten, kälberten sich etwann auff einer schönen grünen Wisen […] triben Federspiel, […] angelten: fiengen Frösch, Krebseten, gruben Schnecken, [….] fiengen Ael, besahen die Binenkörb, […], machten Weidenflöten und Holderpfeiffen […]..248
Die körperbetonten, mitunter sexuell konnotierten Tätigkeiten an der frischen Luft und auf der grünen Wiese enthalten Marker, die auf literarisch-poetische Produktion im allgemeinen und Fischarts literarische Praxis im besonderen referieren: Das Singen und das Spiel auf Flöten alludieren auf das niedrige poetische Register, die „Rustica Musa“, die bei Fischart eine große Rolle spielt und eine besondere Dignität besitzt.249 Das Trinken ist eine wohlbekannte poetologische Metapher, bei Rabelais und bei Fischart, und ebenso wie Skatologie und Sexualität wichtiger Bestandteil von Fischarts Körperpoetik.250 Die Semantik der Schnecke wiederum beschäftigt Fischart wiederholt und wird beispielsweise im Ehekapitel der Geschichtklitterung, im Ehzuchtbüchlin und in Holtzwarts Emblematum Tyrocinia exploriert.251 Krebs und Aal sind gleichsam Fischarts Wappentiere: Sie kommen im berühmten Titelholzschnitt der Geschichtklitterung zur Darstellung. Dort reflektieren das Motto „Si laxes erepit: Si premas erumpit. Zu Luck entkriechts: Ein Truck entziechts“ sowie die subscriptio „Im Fischen Gilts Mischen“252 als Akrostichon auf Fischarts Namen (‚Johann Fischart genannt Mentzer‘) poetologische Grundsätze des Textes, nämlich zum einen das sprachmischende Schreiben, zum anderen die semantische und semiotische Offenheit Textes:253 Dem Fischenden, also dem Leser, entgleiten die Wassertiere immer, ob
248 Fischart: Geschichtklitterung, S. 282. 249 Vgl. die Ausführungen zu Holtzwarts Emblembuch und dort besonders zum ersten Emblem in Kap. 3.2.2. 250 Vgl. beispielsweise die Ausführungen zur Sprachmischung und zur Truncken Litanei in Kap. 4.3. Vgl. auch Bulang: Enzyklopädische Dichtungen, S. 384–394. 251 Vgl. Kap. 3.2.2. 252 Fischart: Geschichtklitterung, S. 5. 253 Vgl. Kellner: Fischart und Rabelais, S. 154–156.
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er nun viel Druck anwendet oder locker lässt. Die klangliche Nähe von „Luck“ (‚locker‘) und „Truck“ (‚Druck‘) zu ‚Lug‘ und ‚Trug‘254 mag einerseits auf die von Sinn entkoppelte Eigendynamik der Sprachoberfläche anspielen,255 andererseits auf das topische Telos der Satire, die Verwerflichkeit der Welt auszustellen. Der Bienenkorb wiederum alludiert auf Fischarts konfessionspolemischen Beitrag Binenkorb Deß Heyl. Rmischen Imenschwarms.256 Zwar erwähnt auch Rabelais das Trinken, Tanzen, Singen, Krebse- und Frö schesammeln,257 doch ist die Passage bei Fischart selbstreferentiell und damit doppelt poetologisch kodiert. Zumal aus der Perspektive der späten Ausgabe von 1590 entfaltet sich hier ein zwar nur punktuell ausgeführtes, aber doch deutlich intertextuell markiertes Panorama von Fischarts Werk. Der Zusammenhang von poetisch-literarischer Produktion und Bildungsarbeit ist also offensichtlich; und auch wenn es an dieser Stelle eine ‚andere‘ Erzeihung ist, die nicht am Schreibtisch, sondern in freier Naur stattfindet und die in ihren gigantischen Auswüchsen das Standardprogramm der studia humanitatis überschreitet, so werden letztere doch nicht verabschiedet, sondern lediglich mit einem Surplus versehen – und genau in diesem Überschuss besteht die Eigenheit der Fischart’schen Poetik, die die Grundlage humanistischer Textproduktion nie vergisst, aber sie stets dehnt und erweitert. In der Tatsache, dass Gargantuas Erziehung, auch in ihrer humanistischen Phase, auf so merkwürdige Weise zwischen Ökonomie und Exuberanz changiert, zwischen Reglementierung und Persiflage des Reglements hin- und herpendelt, verbirgt sich ebenfalls der metapoetische Hinweis auf den zentralen Grundsatz von Fischarts Spracharbeit, nämlich die Bewegung zwischen Referenz auf die Norm und ihrer Überschreitung. Dieses Prinzip wird auch in der Passage ersichtlich, die sich der Beschreibung der ländlichen Betätigungen unmittelbar anschließt. Hier wird der Konnex zwischen Erziehung und literarisch-poetischer Tätigkeit ungleich deutlicher auserzählt, während oben die poetologische Lesart der Stelle lediglich auf der Grundlage der Kenntnis von Fischarts Werk möglich war: Wiewol nun also derselb Tag ohn BFcher unnd Lectur hingieng, gieng er gleichwol nicht on Frucht ab: Dann sie erinnerten sich inn dieser lustigen Wisen, etlicher schöner Verß oder sprFch vom Feldbau, auß dem Vergilio, Hesiodo, Rustico, Politiano: Clemente Affrico:
254 Vgl. Frank-Rutger Hausmann: Differente Lachkulturen? – Rabelais und Fischart. In: Differente Lachkulturen? Fremde Komik und ihre Übersetzung. Hg. von Thorsten Unger, Brigitte Schultze, Horst Turk. Tübingen 1995, S. 31–46 (Forum modernes Theater 18), hier S. 43 f. 255 Vgl. zu den Sprachauffassungen Kap. 2.1. 256 Vgl. dazu Kap. 4.1.2. 257 Vgl. Rabelais: Gargantua, S. 72.
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machten unnd schriben inn ihre Schreibtäflin etliche kurtze lustige Epigrammata zu Latin, unnd übersetzten sie darnach inn Rondeo und Ballade gestalt auff Frantzösisch oder Teutsch, Reimeten umb die wett, dichteten Lieder, auff allerley melodei, erfunden neue bünd, neue däntz, neue sprüng, neue Passa repassa, neue hoppeltäntz, machten neue Wissartische Reimen von gemengten trey hüpffen und zwen schritten. Wann sie dann bancketierten und underzechten […].258
Im Aufenthalt in der Natur erinnern sich die Schüler an bereits Gelesenes und gehen dann selbst in die dichterische Produktion über. Motiviert wird dieser Schritt über die metonymische Brücke zwischen der „Wisen“ und der (poetischen) Landlebenliteratur, an die sich eine mehrfach ineinander verschränkte Folge an imitativ-aemulativen Operationen anschließt. Die bei Rabelais vorgegebene Reihe von Vergil, Hesiod und Angelo Poliziano erweitert Fischart noch durch den landwirtschaftlichen Trattato dell agricultura von Africus Clemens (1572), der unter dem Titel Siben Bücher von dem Feldbau und Ackerwerk 1580 in Straßburg in deutscher Übersetzung durch Jeremias Martius bei Jobin erschienen war. Fischart stellt der italienischen Autorität also eine aus der eigenen Offizin an die Seite und untermauert damit den deutschen Anspruch auf einen gleichberechtigten Renaissancehumanismus. Auf der Basis der Klassikerlektüre entstehen dann, sowohl bei Rabelais als auch bei Fischart, erst die lateinischen Epigramme, dann deren Übersetzungen bzw. Umarbeitungen in französische Rondeaus und Balladen, also in romanisches Formeninventar.259 Dies beschreibt ganz klar die literarischen Techniken der Humanisten: Übersetzung aus dem Lateinischen in die Volkssprache ist immer auch Akkulturierung, also Anpassung an die autochthonen Vorgaben. Die Antike ist, zumal über den Zwischenschritt der neugeschöpften Epigramme, eine vielfach vermittelte und transponierte. Die ‚Integrationsarbeit‘ der Romania kann nun für das deutschsprachige Projekt zum Vorbild werden: Fischart setzt „oder Teutsch“. Nun, mit dem Schritt ins Deutsche, nimmt die dichterische Produktion aber erst richtig Fahrt auf, was mitunter über die schnellgetaktete Parataxe markiert ist. Neues entsteht, die poetischen Formen werden multipliziert oder gar erst geprägt, und der Sprecher wird nicht müde, dies ostentativ zu wiederholen: „Reimeten umb die wett, dichteten Lieder, auff allerley melodei, erfunden neue bünd, neue däntz, neue sprüng, neue Passa repassa, neue hoppeltäntz, machten neue Wissartische Reimen von gemengten trey hüpffen und zwen schritten.“260
258 Fischart: Geschichtklitterung, S. 282 f. 259 Vgl. Rabelais: Gargantua, S. 73. 260 Fischart: Geschichtklitterung, S. 283.
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Die französischen Vorgaben sind obsolet. In diesem Rausch der Innovation ist es einerlei, dass es in Versen und Tänzen zuweilen holprig zugeht. Vielmehr sind diese unreglementierten Verse explizit Teil der neuen Dichtung und als „Wissartische Reime“261 klar Fischart zugeschrieben. Fischart und die Offizin Jobin sind also ein entscheidendes Moment in der poetischen Innovationsdynamik zwischen antiker, neulateinischer und romanischer Humanistenkultur sowie der deutschsprachigen Neuansätze. Entscheidend ist, dass sich das Neue, bisweilen Ungehobelte aus der klassischen, schulbuchartigen Praxis humanistischer Textproduktion herausentwickelt hat und in diese aemulative Dynamik eingeschrieben ist. Die literarischen Techniken sowie die pädagogischen Grundsätze des Humanismus sind, um in Fischarts Bild zu bleiben, der Boden, aus dem das Neue gewachsen ist. Die französische Literatur fungiert in diesem Vermittlungsprozess zwischen Tradition und Innovation, zwischen imitatio und weitgreifender, umfassender aemulatio gewissermaßen als Scharnierstelle. Und so formuliert diese Passage eine Fischart-Poetik in nuce und par excellence. Die Anbindung der pädagogischen Inhalte an das Programm der Offizin wird an zahlreichen Stellen offensichtlich – ein weiteres Argument dafür, dass Fischart Gargantuas Ausbildung bei aller Zuspitzung eine gewisse Dignität zuschreibt. Das gleichberechtigte Ineinander der technischen, praktischen Künste und der universitären Artes bzw. der Buchgelehrsamkeit muss zuerst einmal überraschen. Nach einer umfangreichen Aufzählung aller erdenklichen Handwerksberufe heißt es über Gargantua und seinen Lehrer: [D]a forscheten, ergründeten, unnd ersinnten sie eines jeden [Handwerks, Anm. S. B.] Kunstfertigkeit, fund unnd grund: und gerauet sie keine zeit, die sie damit zubrachten, wie Sant Augustin, da er einer Spinn ein halbe Stund hett zugesehen. Ferner giengen sie publicas Lectiones zuhören, die Solen Actus mit ihrer gegenwart zuehren, zu den Doctormalen, Magistrirungen, Promotionen, Gradationen, Degradationen, Disputationen, Quotlibeten, Comödien […].262
Im Anschluss ist dann nur noch von Vergnügungen die Rede. Wenngleich die Passage in die Farben akademischer Satire getaucht ist, entspricht die Engführung von Gelehrsamkeit und Handwerk ganz dem Programm der Offizin, die Errungenschaften der deutschen Kultur nicht nur auf dem Feld der litterae zu erweisen. Die Leistungen der Gegenwart, das naturkundliche, das alchemische und technische Wissen und ihre Ausformung in den technischen Künsten, haben gleicher-
261 Vgl. Nyssen: Glossar, S. 144. 262 Fischart: Geschichtklitterung, S. 275.
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maßen ihren Ort im Verlagsprogramm der Offizin. Natürlich sind auch sie in der Geschichtklitterung vor der Verballhornung nicht ganz gefeit: Die Entgrenzung der Alchemie263 beispielsweise ist ein Effekt der Verarbeitung, Amalgamisierung und Satirisierung des Wissens, wie sie Bulang für die Geschichtklitterung beschrieben hat.264 Dennoch ist das alle Artes umfassende pädagogische Programm, das sich so merkwürdig in der Schwebe zwischen Empfehlung und Satire befindet, über die zahlreichen Referenzen auf das Programm der Offizin auch (kultur-)pädagogisch im Sinne des Paragone der Kulturen aufgeladen. Die Anspielungen sind vielfältig, es seien hier nur wenige Beispiele genannt: So nimmt Gargantua die Psalmen und Kirchenlieder in den Mund, die bei Jobin gedruckt worden sind, namentlich Lobwassers Übersetzung des Hugenottenpsalters oder auch Fischarts eigene Psalmen- und Gesangbuchunternehmungen: „[D]a fieng er an […] mit etlichem schönen Lobwasserischen, Marotischen, Mentzerischen, Waldischen, Wisischen etc. Psalmen unnd lidern, zu lob Göttlicher mildgüte gemacht, danck zusagen […].“265 Auch vom Musizieren und Lautenspiel ist ausführlich die Rede.266 An anderer Stelle werden Bildkunst, Buchillustration und Architektur – im Bereich des Festungsbaus – ausgeführt, ein ausgewiesener Schwerpunkt der Offizin: „[Gargantua] übet […] sich inn wolgegründeten zierlichen Künsten, als mit malen, schnitzen, schnetzeln, [….] Kupfferstechen, etzen, formenschneiden, entwerfen, abreissen, Land unnd Stätt inn grund legen, Festungen stellen und auffreissen, Bildhauen, außstreichen, illuminieren.“267 Fischart reflektiert also in den Kapiteln zu Gargantuas humanistischer Erziehung die literarische Kultur seiner Zeit im Allgemeinen und seines Arbeitgebers, der Offizin seines Schwagers, im Besonderen. Der Breite ihrer literarischen Produktion, die die umfassende Exzellenz deutscher Kultur abbildet, entspricht die Breite des pädagogischen Curriculums, das in ähnlicher Weise die studia humanitatis im Kern in sich trägt und zugleich überschreitet, wie Fischarts Schreiben auf den Prinzipien humanistischer Textproduktion basiert und diese entgrenzt. Gargantuas Unterricht eignet allerdings noch eine weitere poetologische Komponente: Kampfesübungen nehmen breiten Raum ein, vereinzelt werden sogar das Schreiben und das Fechten enggeführt, zum Beispiel in Form des Vergleichs. So heißt es von Gargantuas Schreibübungen: „Da wußt er was mit dem
263 Vgl. Fischart: Geschichtklitterung, S. 273. 264 Vgl. Bulang: Enzylopädische Dichtungen, S. 372–382; Bulang: Satirische, dämonologische und wissensvermittelnde Schreibweisen. 265 Fischart: Geschichtklitterung, S. 255 f. 266 Ebd., S. 256 f. Vgl. zur Musik auch Kap. 2.2. 267 Fischart: Geschichtklitterung, S. 273.
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breiten theil, was mit fleche der Federn zumachen, wußt das recht vnnd Linck Eck der Feder, jhr Spitz vnd Schneid, wie die Fechter auff ihrn Wehrn (dann die von der Feder geben gute Fechter, und schirmen mit Federklingen unnd Lemmerkengeln manchen auß dem Land)“268. Direkt auf diese Passage zum Schreibunterricht folgt die lange zum Fechten, dem Turnier und der Kampfesausbildung. Gargantua schlägt sich so gut, „daß er in Schimpff unnd Ernst für den besten Riter Passiret.“269 An anderer Stelle wiederum führt die semantische Brücke in umgekehrte Richtung, vom Fechten zum Schreiben: [U]nser Cyrogargantua besucht die Fechtschulen unnd Fechtböden, da that er sein Schulrecht, hub auff, gieng ein mit Dusacken, darinn Blei gegossen war, im Bogen, im geschlossenen unnd einfachen sturtz, legert sich inn die Bastei, erzeygt sich inn allen Ritterlichen Wehren, wie sie vor Augen lagen, im Schwerd, Messer, Spieß, Stangen, Stänglin, Tolchen, Hallenbart, Rapier, Paratschwerd, Lederen Tusacken zum Platzmachen, Sträubt sich wider die Marxbrüder, die Franckfortische Meyster des langen Schwerdts, schrib mit Dinten, so sicht wie Blut, die Feder mußt ihm oben schweben, und solt es kosten sein junges Leben, er wagts inn Gotts Macht, schlug drauff daß der Beltz kracht, focht umb die höchst Blutrur, umb das Kräntzlin, umd die Schul, ein Glaß mit Wein, wie es der Gesell an ihn begert, trocken oder naß, scharff oder stumpff […].270
Der Kampf mit scharfen Waffen – verbunden mit allerhand weiteren Imaginationen der körperlichen Konfrontation – ist vor allem in den konfessionspolemischen Schriften Fischarts eine beliebte und eingeführte Metapher für den literarischen Schlagabtausch zwischen den Kontrahenten.271 Gargantuas breite Unterweisung in der Waffenführung legt also nahe, dass das satirisch-polemische ‚Aufspießen‘ der Gegner ein zentrales Moment von Fischarts Schreibprogramm ist, seien es nun religiöse Opponenten oder menschliche Schwächen. Indem Gargantuas Ausbildung lediglich Scheingefechte vorführt, reflektiert sie die mediale Verfasstheit des literarischen Kampfes, das ‚Als ob‘, gleich mit. Zugleich fügt sie der Auseinandersetzung mit dem Humanismus eine weitere, wichtige Kompenente für das tiefere Verständnis von Fischarts literarischer Programmatik hinzu.
268 Ebd., S. 257. 269 Ebd., S. 259. 270 Ebd., S. 275 f. 271 Vgl. Brockstieger: Literatursatire und konfessionelle Polemik.
Zwischenfazit
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4.5 Zwischenfazit: Revision und Transgression humanistischer Textherstellung Auf der Basis der Auseinandersetzung mit dem humanistischen Erziehungsideal, wie sie die Erziehungskapitel der Geschichtklitterung vorführen, kommen drei Konzepte und Denkfiguren, nach denen humanistische Textkonstitution funktioniert und in denen sie sich selbst bespiegelt, auch in Fischarts Schreiben zum Tragen: Das Paradigma von imitatio und aemulatio durchzieht die intertextuelle Dynamik von Rede und Gegenrede in Übersetzung und Polemik und wird unter den Vorzeichen konfessioneller Auseinandersetzungen u. a. über die Umarbeitung traditioneller Metaphorik, wie am Bienengleichnis zu sehen, subvertiert, angepasst und weiterentwickelt. Fischart präsentiert sich hier als Meister der rhetorischen Textorganisation und kann so den gegnerischen Text aus dessen eigenen Strukturen heraus aemulieren und zugleich destruieren. Über diese Assimilierung imitativer Textarbeit eröffnen sich Freiräume, in denen ein Sprachverhalten sichtbar wird, das gängige rhetorische Ordnungsschemata überschreitet. Die auf die Mehrung der copia verborum abzielende Sprachexpansion, die beispielsweise über lautliche Modifizierungen oder nicht enden wollende Wortlisten erzielt wird, setzt wiederum an rhetorischen Denkkategorien an, überdehnt diese und führt die Sprache dabei an die Grenze zur Anti-Rhetorizität heran. Ihre zentrale Reflexionsfigur, cornucopia, erfährt eine über ihre konventionelle Deutung hinausweisende semantische Weitung, indem sie zur Projektionsfläche potentiell exzessiver Sprachartistik – man denke an die dem Bild beigegebenen sexuellen sowie skatologischen Allusionen in der Geschichtklitterung – sowie topischer Argumentationsführung aufgebaut wird. Mit der ultima ratio sprachartistischer Verfahren, den Makkaronismen, wird ebenfalls eine literarische Praxis des Humanismus aufgegriffen und zur Ausformung einer ‚Poetik des Niederen‘ herangezogen. Indem sie in der Truncken Litanei an die zentrale poetologische Metapher des Rausches gekoppelt wird, gerät dieses wichtige Kapitel zum metapoetischen Reflexionsraum höherer Ordnung: Nicht nur werden hier sprachliche wie rhetorische Ordnungen und Formen an ihre Grenzen und über sie hinaus geführt, sondern werden Reinheit und Mischung, Beschränkung und Exuberanz zusammengedacht in einem umfassenden Plädoyer für den Möglichkeitsreichtum der deutschen Sprache, der sich nicht einem simplen ‚Entweder-Oder‘ erschöpft. Ein solches Sich-Verhalten zu den systemischen Vorgaben des Humanismus ist im besten Sinne als aemulativ zu bezeichnen: Überbietung heißt nicht Verabschiedung, sondern verbessernde Anpassung an ein verändertes, zunehmend komplexeres literarisches und kulturelles Umfeld. Dabei findet sich die Vorstellung von der artistischen Freiheit bei gleichzeitiger Sichtbarkeit der Konventionen, also die Dehnung der Norm bis hin zu ihrer
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Sprach- und Textorganisation in Fischarts replizierendem Schreiben
Überschreitung in der verästelten Diskussion um historisierende wie systematische Manierismus- und Stilbegriffe wieder, die hier nur kurz angerissen sei.272 So bestimmt beispielsweise Rüdiger Zymner Manierismus als „globale Schreibweise mit der Funktion, bei gewahrter konventioneller Basis [Hervorh. S. B.] poetische Artistik auf der Bedeutungsebene und/oder der Ausdrucksebene eines Textes vorzuführen und dadurch eine Rezipientenreaktion auf diese Artistik herauszufordern.“273 Auf ähnliche Weise konzipiert K. Ludwig Pfeiffer den Stilbegriff, wenn er ihn seit der französischen Renaissance nicht mehr primär auf die Ebene der elocutio bezogen sieht: „Er [der Begriff ‚Stil‘, Anm. S. B.] benennt nicht mehr sprachliche Normen, sondern die Wirkungen der Texte, die sich deren Überschreitung verdanken [,]“ und legt so „latente Spielräume von Systemen“274 offen. Auch Hans Ulrich Gumbrecht bezieht den „frühneuzeitliche[n] Stilbegriff“
272 Zum Verhältnis von Manierismus und Ästhetik aus literatur- und kunstwissenschaftlicher Perspektive vgl. den Sammelband Wolfgang Braungart (Hg.): Manier und Manierismus. Tübingen 2000. Keinesfalls sollte manieristische Sprache und Kunst als destruktive Gegen-Bewegung zum formstrengen (humanistischen) Diskurs gesehen werden, so beispielsweise (literaturwissenschaftlich) Mühlemann: Fischarts „Geschichtklitterung“, S. 121–130 und (kunstwissenschaftlich) Emil Maurer: Manierismus. Figura serpentinata und andere Figurenideale. Studien, Essays, Berichte. Zürich 2001. Maurer führt aus kunstgeschichtlicher Perspektive eine differenzierte Epochendiskussion (vgl. ebd., S. 9–17), referiert die terminologischen Angebote von „Antirinascimento“ bzw. „Counter-Renaissance“ (ebd., S. 10) und verfällt dann in das Destruktionsnarrativ: „Von der Hochrenaissance her gesehen, handelt es sich zunächst um Prozesse der Störung, der Zerlegung, der kritischen Spezialisierung. Die Normen, antikisch abgesegnet, verfallen dem Zweifel […]. […] In diesen Experimenten und Sophistereien ergeben sich vielerlei Abarten, Spielarten, Mischarten, […]. Aber das Laboratorium einer nunmehr entgrenzten, protheischen Phantasie gefällt sich rasch in Grenzüberschreitungen […]. Man braucht sich fortan weder an die Antike noch an die Natur zu halten. […] Sobald die Pandora-Büchse geöffnet ist, entsteigt ihr ein Pandämonium erstaunlicher Figurenbildungen“ (ebd., S. 15 f.). Zur Kritik einer solchen Sichtweise vgl. auch Zymner: Manierismus, S. 65; Zymner: Manierismus als Artistik. Systematische Aspekte einer ästhetischen Kategorie. In: Manier und Manierismus. Hg. von Wolfgang Braungart. Tübingen 2000 (Untersuchungen zur deutschen Literaturgeschichte 106), S. 1–14, hier S. 5. Zur Frage des Manierismus bei Fischart Tobias Bulang: Manierismus? Johann Fischarts Geschichtklitterung. In: Alterität als Leitkonzept für historisches Interpretieren. Hg. von Anja Becker, Jan Mohr. Berlin 2012 (Deutsche Literatur. Studien und Quellen ), S. 285–300. Zu Fischarts Stil vgl. Simona Leonardi: Pragmatische Konstellationen und stilistische Verfahren in Johann Fischarts „Geschichtklitterung“. In: Sprache – Literatur – Literatursprache. Linguistische Beiträge. Hg. von Anne Betten, Jürgen Schiewe. Berlin 2011 (Philologische Studien und Quellen 234), S. 269–287. 273 Zymner: Manierismus, S. 65. Zur Diskussion alternativer Manierismus-Begriffe ebd., S. 13–58; Zymner: Manierismus als Artistik, S. 2–11. 274 K. Ludwig Pfeiffer: Produktive Labilität. Funktionen des Stilbegriffs. In: Stil. Geschichten und Funktionen eines kulturwissenschaftlichen Diskurselements. Hg. von Hans U. Gumbrecht, K. Ludwig Pfeiffer. Frankfurt a. M. 1986, S. 685–725, hier S. 706, S. 710.
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auf „Freiräume sprachlicher Artistik“ „unter dem Vorzeichen von ‚imitatio‘ und ‚inventio‘“275. Diese historische, besonders auf die (romanische) Renaissanceliteratur bezogene Stilauffassung ist auf Rabelais, dem traditionell eine die humanistischen Ordnungsgebote überschreitende Sprachartistik bescheinigt wird,276 wie auch auf Fischart anzuwenden: Im beider Falle liegt die konzeptuelle Kopplung der je historisch zu fundierenden, nur auf der rinascimentalen Folie hinreichend explizierbaren Manierismus- und Stilbegriffe nahe. Fischarts ‚Individualstil‘ lässt jedoch den des Rabelais weit hinter sich: Die copia verborum ist ungezähmter. Die sprachliche Oberfläche wird zum Selbstzweck, ihre Artifizialität rückt zuungunsten von Narrativität und Sinnstiftung in den Vordergrund. Rinascimentale Mechanismen der Textorganisation und -konstitution werden zu den Methoden, ihre Sinnbilder zu Reflexionsmedien von Fischarts Literaturpolitik: Volkssprachiges polemisches und satirisches Schreiben unter den (modifizierten) Auspizien gelehrter Denk- und Textmuster ist von hohem patriotischen Interesse, das lehrt schon die Vorrede des Binenkorb. Die politisch hochrelevante vernakulare literarische Praxis der Konfessionspolemik partizipiert nach der kunstvollen ‚Eingemeindung‘ und Assimilierung renaissancehumanistischer Textualität – auch dies im Sinne einer anspruchsvollen ‚Poetik des Niederen‘ – ebenso am elaborierten sprachpolitischen Diskurs wie die Ausstellung und Reflexion des zwischen rhetorischer Be- und Entgrenzung pendelnden, umfassenden Möglichkeitsreichtums der deutschen Sprache.
275 Hans U. Gumbrecht: Schwindende Stabilität. Eine Geschichte des Stilbegriffs. In: Stil. Geschichten und Funktionen eines kulturwissenschaftlichen Diskurselements. Hg. von Hans U. Gumbrecht, K. Ludwig Pfeiffer. Frankfurt a. M. 1986, S. 726–788, hier S. 746. Eine Kurzdarstellung dieses Stilbegriffs findet sich, bezogen auf die französische Literatur der Renaissance, bei Helmut Pfeiffer: Stil und Differenz. Zur Poetik der französischen Renaissance. In: Stil. Geschichten und Funktionen eines kulturwissenschaftlichen Diskurselements. Hg. von Hans U. Gumbrecht, K. Ludwig Pfeiffer. Frankfurt a. M. 1986, S. 115–126, hier S. 115–126. 276 Vgl. auch den von Warning in diese Diskussion eingebrachten Begriff der Konterdiskursivität, Warning: Konterdiskursivität bei Rabelais.
5 Fazit: Spielarten der aemulatio zwischen Vergangenheit und Gegenwart1 In einem Dreischritt über mehrere Ebenen sind die Techniken, Strategien und Argumente hergeleitet worden, mit denen in der Offizin Jobin am ‚Deutschen‘, also an deutscher Sprache und Kultur, gearbeitet wird. Am Anfang stand die Identifizierung der diskursiven Ebenen, auf denen sich sprach- und kulturpatriotische Reflexion abspielt. Ganz im Sinne der noch nicht erfolgten ‚Schließung‘ der Debatten im sechzehnten Jahrhundert sind auch hier die Bedeutungsinhalte von ‚Nation‘, ‚Vaterland‘, ‚Stamm‘, ‚Volk‘ und mithin ‚deutscher Sprache‘ noch nicht gefestigt – so sind die Aushandlungen über das richtige Hochdeutsch ebenfalls noch in vollem Gange, ist ja der Standardisierungsprozess längst nicht abgeschlossen. Diese Dynamik kommentiert Fischart sogar ab und an über die Frontstellung des Alemannischen gegenüber dem Mitteldeutschen. Dem Experimentieren mit verschiedenen Ursprungs- und Vergangenheitsentwürfen für die einzelnen Kollektivkategorien einerseits und der vielfältigen Auseinandersetzung mit den soziopolitischen Ordnungsentwürfen der kulturellen Konkurrenz andererseits entspricht gleichsam auf der Formseite das Experimentieren mit verschiedenen Reflexions- und Ausdrucksformen diskursiver Rede. Die deutsche Sittenkultur ist dabei als Kern des nationalen wie patriotischen Denkens identifiziert worden. Ihre Offenlegung ist Ziel der historischen Imaginationen, ihre Umsetzung in den sozialen Kontexten von Stadt und Familie ist das Desiderat der Gegenwart. In dieser Akzentverschiebung im aemulatio-Konzept – von der sprachlichen Oberfläche hin zum Wesenskern2 – erkenne ich seine grundlegende Vernakularisierung. Durch eine solche Umlagerung der Gewichte wird die ‚Formseite‘ von aemulatio disponibel und öffnet sich für literarisch-poetische Umarbeitungen. Besonders relevant wird die postulierte Vernakularisierungsbewegung im Falle der Emblemkunst, der die epistemologische oder, verschärft formuliert, didaktische Komponente strukturimmanent ist. Auf ihrem Gebiet zeigt sich in hohem Maße die konstellatorische Kompetenz der Offizin: Mehrere Autoren, in deren Kreis Fischart beinahe eine untergeordnete Rolle spielt, schälen auf unterschiedliche, implizite oder explizite Weise die Züge dieser neuen Kunstform
1 Das Fazit beschränkt sich – mit Blick auf die Zwischenzusammenfassungen am Ende der Großkapitel – auf die zentralen Thesen. 2 Natürlich ist diese anthropologisch-moralische Komponente der imitatio und aemulatio seit jeher inhärent. Es findet hier jedoch eine Schwerpunktverschiebung statt. http://doi.org.de/10.1515/9783110613131-005
Fazit
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für den deutschen Sprach- und Kulturraum aus den verschiedensten antiken, renaissancehumanistischen oder autochthonen Traditionszusammenhängen heraus. Die Prozesse verlaufen hier keineswegs einheitlich, so dass sich in der Zusammenschau der Texte und der der Emblematik ähnlichen Gattungen ein durchaus spannungsvolles Gesamtbild ergibt. Aemulatio kann in diesen Zusammenhängen in der Füllung antiker oder rinascimentaler Muster durch indigene Episteme oder auch in der Verabschiedung und kompletten Ersetzung gängiger Modelle durch autochthone Erungenschaften bestehen. Emblem- wie auch Portraitkunst eignet die Qualität des Neuartigen, was sie besonders angreifbar im Kampf um Deutungshoheiten und Propriumsbehauptungen werden lässt. Auch wird sie, indem sie aus der Reflexion über die historische Tiefendimension der deutschen Kunst herauspräpariert wird, für den Drucker Jobin zum Ort der eigenen kunsthistoriographischen Konzepterprobung. In beiden Fällen – dem literarischen Experiment hinter der diskursiven Rede sowie der Konzeptualisierung einer deutschen Bild-Text-Kunst – ist zu beobachten, dass sich deutsche Sprache und Kunst in allen Stillagen bewährt: In der Domäne des Niederen und exklusiv Eigenen ebenso wie in der (modifizierenden) Nachempfindung hoher, eigentlich vom neulateinischen Humanismus dominierter Register. Dient das zweite Kapitel über den dominant konstellatorischen und intertextuellen Zugang mitunter der Kontextualisierung der literarischen Unternehmungen Fischarts sowie der Demonstration eines breiteren, über den engeren Bereich des Sprachpatriotismus hinausgehenden kultur- im Sinne von kunstpatriotischen Projekts, so beschreibt das dritte Kapitel, zu Fischart und seinem Stil zurückkehrend, vor dem Hintergrund der gewonnenen Einsichten Fischarts Strategien der Sprach- und Textkonstitution auf neue Art und Weise. Hier ist zu beobachten, dass sich die Tendenz der Umorganisation, ja der Pluralisierung des aemulatio-Konzeptes fortsetzt: Es wird gleichsam über seine unterschiedlichen Ausprägungen in der publizistischen Praxis disponibel und Gegenstand expliziter poetologischer Reflexion. Aemulatio ist, ähnlich den weiteren Prinzipien humanistischer Textherstellung wie imitatio, cornucopia/copia verborum und Makkaronismus, auf vielfältige Weise in Fischarts Texten präsent, wird aber stets überschritten und in metapoetischen Bildern wie dem Füllhorn, dem Bienengleichnis oder dem Trinkgelage reflektiert. Die Dehnung, Entgrenzung, semantische Umbesetzung und Pluralisierung zentraler humanistischer Denkkategorien bei gleichzeitiger Sichtbarhaltung ihrer Wurzeln kennzeichnet die Arbeit der Offizin Jobin ebenso wie Fischarts Sprachverhalten und ist als im eigentlichen Sinne späthumanistisch zu deklarieren: weniger also in Bezug auf den Zeitindex des Jahrhundertendes sondern auf den erreichten Grad an Reflexionsfähigkeit.
242
Fazit
Fischarts kritisch-distanzierte Bezugnahmen auf das antike wie humanistische Erbe setzen zugleich enorme sprachlich-poetische Potentiale frei. Vielleicht liegt in diesem paradoxalen Ton des ‚Zu Spät!‘ ein Grund für seine mangelnde Attraktivität bei den Nachgeborenen, steht er doch Opitzʼ Weckruf nach Neubeginn diametral entgegen.
6 Abbildungen
Abb. 1: Hertzog: Chronicon, Titel.
http://doi.org.de/10.1515/9783110613131-006
244
Abbildungen
Abb. 2a: Holtzwart: Emblematum Tyrocinia, fol. K8v.
Abb. 2b: Holtzwart: Emblematum Tyrocinia, fol. N4r.
Abbildungen
Abb. 3: Holtzwart: Emblematum Tyrocinia, fol. L2v.
Abb. 4: [Specklin,] Jobin: Von Straßburg/ der vralten Statt.
245
246
Abbildungen
Abb. 5: Panvinio, Fischart: Accuratae Effigies, fol. G1r.
Abb. 6: Nigrinus: Papistische Inquisition, S. 680.
Abbildungen
Abb. 7a: Reusner: Icones Sive Imagines Virorum Literis Illustrium, fol. B6r.
Abb. 7b: Reusner: Icones Sive Imagines Virorum Literis Illustrium, fol. B6v.
247
248
Abbildungen
Abb. 8a: Reusner: Contrafacturbuch, fol. A8r.
Abb. 8b: Reusner: Contrafacturbuch, fol. A8v.
Abbildungen
Abb. 9: [Stimmer, Fischart:] Der Barfüser Secten vnd Kuttenstreit.
Abb. 10: [Stimmer, Fischart:] Der Gorgonisch Meduse Kopf.
249
250
Abbildungen
Abb. 11: [Stimmer, Fischart:] Abzeichnus etlicher wolbedencklicher Bilder vom Römischen Abgotsdinst.
Abb. 12: [Stimmer,] Fischart: Eigentliche Fürbildung vnd Beschreibung.
Abbildungen
Abb. 13: Stimmer, Fischart: Neue Künstliche Figuren, fol. N1v.
Abb. 14: Stimmer, Fischart: Novae Sacrorum Bibliorum figurae, fol. G1v.
251
252
Abbildungen
Abb. 15: Holtzwart: Emblematum Tyrocinia, fol. G1r.
Abb. 16: Holtzwart: Emblematum Tyrocinia, fol. D1r.
Abbildungen
Abb. 17: Holtzwart: Emblematum Tyrocinia, fol. E3r.
Abb. 18: Holtzwart: Emblematum Tyrocinia, fol. E5r.
253
254
Abbildungen
Abb. 19: Holtzwart: Emblematum Tyrocinia, fol. B1r.
Abb. 20: Holtzwart: Emblematum Tyrocinia, fol. B7r.
Abbildungen
Abb. 21a: Reusner: Picta Poesis Ovidiana, fol. E3v.
Abb. 21b: Reusner: Picta Poesis Ovidiana, fol. E4r.
255
256
Abbildungen
Abb. 22: Holtzwart: Emblematum Tyrocinia, fol. C3v.
Abbildungen
Abb. 23a: Holtzwart: Emblematum Tyrocinia, fol. B8r.
Abb. 24a: Reusner: Aureolorum Emblematum Liber, fol. B2r.
Abb. 23b: Holtzwart: Emblematum Tyrocinia, fol. B8v.
Abb. 24b: Reusner: Aureolorum Emblematum Liber, fol. E8r.
257
258
Abbildungen
Abb. 25: Reusner: Aureolorum Emblematum Liber, fol. C1r.
Abb. 26: Reusner: Aureolorum Emblematum Liber, fol. C4v.
Abbildungen
Abb. 27a: Eustathios Makrembolites, Artopoeus: Ismenius, fol. 57r.
Abb. 27b: Eustathios Makrembolites, Artopoeus: Ismenius, fol. 57v.
259
260
Abbildungen
Abb. 28: Reusner: Aureolorum Emblematum Liber, fol. I3r.
Abb. 29: Eustathios Makrembolites, Carani: Gli Amori d’Ismenio, fol. 34r.
Abbildungen
Abb. 30a: Eustathios Makrembolites, Artopoeus: Ismenius, fol. 19v.
Abb. 30b: Eustathios Makrembolites, Artopoeus: Ismenius, fol. 23v.
261
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Abbildungen
Abb. 31: Reusner: Aureolorum Emblematum Liber, fol. A5r.
[…]
Abb. 32: Eustathios Makrembolites, Carani: Gli Amori d’Ismenio, fol. 15r und 17r.
Abbildungen
Abb. 33: Reusner: Aureolorum Emblematum Liber, fol. C6r.
Abb. 34: Reusner: Aureolorum Emblematum Liber, fol. C6v.
263
7 Literatur- und Abbildungsverzeichnis 7.1 Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Bernhard Hertzog: Chronicon Alsatiae […] Edelsasser Chronick […]: Bernhard Jobin 1592, Titel. Bayerische Staatsbibliothek München, 037/2 Gs 387, Bildnr. 5, urn:nbn:de:bvb:12-bsb11196934-2. Abb. 2a: Mathias Holtzwart: Emblematum Tyrocinia […]. Straßburg: Bernhard Jobin 1581, fol. K8V. Bayerische Staatsbibliothek München, Res/L.eleg. m. 450 i, Bildnr. 176, urn:nbn:de:bvb:12-bsb00028624-7. Abb. 2b: Mathias Holtzwart: Emblematum Tyrocinia […]. Straßburg: Bernhard Jobin 1581, fol. N4r. Bayerische Staatsbibliothek München, Res/L.eleg. m. 450 i, Bildnr. 215, urn:nbn:de:bvb:12-bsb00028624-7. Abb. 3: Mathias Holtzwart: Emblematum Tyrocinia […]. Straßburg: Bernhard Jobin 1581, fol. L2V. Bayerische Staatsbibliothek München, Res/L.eleg. m. 450 i, Bildnr. 180, urn:nbn:de:bvb:12-bsb00028624-7. Abb. 4: [Daniel Specklin,] Bernhard Jobin: Von Straßburg/ der vralten Statt […]. Straßburg: Bernhard Jobin ca. 1575, Einblattdruck. Bayerische Staatsbibliothek München, Einbl. II,1 c, Bildnr. 1, urn:nbn:de:bvb:12-bsb00101861-2. Abb. 5: Onofrio Panvinio, Johann Fischart: Accuratae Effigies Pontificum Maximorum, Numero XXVIII […] Eygenwissenliche vnnd wolgedenckwürdige Contrafeytungen/ oder Antlitzgestaltungen der Römischen Bäpst/ an der Zahl 28 […]. Straßburg: Bernhard Jobin 1573, fol. G1r. Bayerische Staatsbibliothek München, Res/2 J.can. u. 121#Beibd.3, Bildnr. 57, urn:nbn:de:bvb:12-bsb00090309-5. Abb. 6: Georg Nigrinus: Papistische Inquisition vnd gulden Flüs der Römischen Kirchen […]. Straßburg: Bernhard Jobin 1582, S. 680. Bayerische Staatsbibliothek München, 2 Polem. 138, Bildnr. 806, urn:nbn:de:bvb:12-bsb10149992-3. Abb. 7a: Nikolaus Reusner: Icones Sive Imagines Virorum Literis Illustrium […]. Straßburg: Bernhard Jobin 1587, fol. B6r. Bayerische Staatsbibliothek München, Res/Biogr. c. 272, Bildnr. 47, urn:nbn:de:bvb:12-bsb00087181-1. Abb. 7b: Nikolaus Reusner: Icones Sive Imagines Virorum Literis Illustrium […]. Straßburg: Bernhard Jobin 1587, fol. B6v. Bayerische Staatsbibliothek München, Res/Biogr. c. 272, Bildnr. 48, urn:nbn:de:bvb:12-bsb00087181-1. Abb. 8a: Christophorus [Nikolaus] Reusner: Contrafacturbuch. Ware vnd Lebendige Bildnussen etlicher weitberhmbten vnnd Hochgelerten Mnner in Teutschland […]. Straßburg: Bernhard Jobin 1587, fol. A8r. Bayerische Staatsbibliothek München, Res/Art. 1411 a, Bildnr. 35, urn:nbn:de:bvb:12-bsb00028338-8. Abb. 8b: Christophorus [Nikolaus] Reusner: Contrafacturbuch. Ware vnd Lebendige Bildnussen etlicher weitberhmbten vnnd Hochgelerten Mnner in Teutschland […]. Straßburg: Bernhard Jobin 1587, fol. A8v. Bayerische Staatsbibliothek München, Res/Art. 1411 a, Bildnr. 36, urn:nbn:de:bvb:12-bsb00028338-8.
Abbildungsverzeichnis
265
Abb. 9: [Tobias Stimmer, Johann Fischart:] Der Barfüser Secten vnd Kuttenstreit […]. Straßburg: Bernhard Jobin 1577, Einblattdruck. Bayerische Staatsbibliothek München, Einbl. XI,55, Bildnr. 1, urn:nbn:de:bvb:12-bsb00098913-2. Abb. 10: [Tobias Stimmer, Johann Fischart:] Der Gorgonisch Meduse Kopf […]. Straßburg: Bernhard Jobin 1577, Einblattdruck. Universitätsbibliothek Halle, Pon IIi 1635, 4°. Abb. 11: [Tobias Stimmer, Johann Fischart:] Abzeichnus etlicher wolbedencklicher Bilder vom Römischen Abgotsdinst. Straßburg: Bernhard Jobin 1576, Einblattdruck. Staatsbibliothek Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Handschriftenabteilung, Einbl. YA 2030 gr. Abb. 12: [Tobias Stimmer,] Johann Fischart: Eigentliche Fürbildung vnd Beschreibung des Newen Kunstreichen Astronomischen Vrwercks zu Straßburg im Mönster. Straßburg: Bernhard Jobin 1574, Einblattdruck. Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, H: N 180.2° Helmst. (2), Bildnr. 1, urn:nbn:de:gbv:23-drucke/n-180-2f-helmst-2s8. Abb. 13: Tobias Stimmer, Johann Fischart: Neue Künstliche Figuren Biblischer Historien […]. Basel: Thomas Guarin 1576, fol. N1v. Bayerische Staatsbibliothek München, Res/4 B.hist. 93. Abb. 14: Tobias Stimmer, Johann Fischart: Novae […] Sacrorum Bibliorum figurae […] Newe Biblische Figuren […]. Straßburg: Bernhard Jobin 1590, fol. G1v. Staatsbibliothek Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Bh 5573. Abb. 15: Mathias Holtzwart: Emblematum Tyrocinia […]. Straßburg: Bernhard Jobin 1581, fol. G1r. Bayerische Staatsbibliothek München, Res/L.eleg. m. 450 i, Bildnr. 113, urn:nbn:de:bvb:12-bsb00028624-7. Abb. 16: Mathias Holtzwart: Emblematum Tyrocinia […]. Straßburg: Bernhard Jobin 1581, fol. D1r. Bayerische Staatsbibliothek München, Res/L.eleg. m. 450 i, Bildnr. 67, urn:nbn:de:bvb:12-bsb00028624-7. Abb. 17: Mathias Holtzwart: Emblematum Tyrocinia […]. Straßburg: Bernhard Jobin 1581, fol. E3r. Bayerische Staatsbibliothek München, Res/L.eleg. m. 450 i, Bildnr. 87, urn:nbn:de:bvb:12-bsb00028624-7. Abb. 18. Mathias Holtzwart: Emblematum Tyrocinia […]. Straßburg: Bernhard Jobin 1581, fol. E5r. Bayerische Staatsbibliothek München, Res/L.eleg. m. 450 i, Bildnr. 89, urn:nbn:de:bvb:12-bsb00028624-7. Abb. 19: Mathias Holtzwart: Emblematum Tyrocinia […]. Straßburg: Bernhard Jobin 1581, fol. B1r. Bayerische Staatsbibliothek München, Res/L.eleg. m. 450 i, Bildnr. 35, urn:nbn:de:bvb:12-bsb00028624-7. Abb. 20: Mathias Holtzwart: Emblematum Tyrocinia […]. Straßburg: Bernhard Jobin 1581, fol. B7r. Bayerische Staatsbibliothek München, Res/L.eleg. m. 450 i, Bildnr. 47, urn:nbn:de:bvb:12-bsb00028624-7. Abb. 21a: Nikolaus Reusner: Picta Poesis Ovidiana […]. Frankfurt a. M.: Johann Spies (Drucker), Sigmund Feyerabend (Verleger) 1580, fol. E3v. Bayerische Staatsbibliothek München, Res/A. lat. a. 1327, Bildnr. 74, urn:nbn:de:bvb:12-bsb00027986-7. Abb. 21b: Nikolaus Reusner: Picta Poesis Ovidiana […]. Frankfurt a. M.: Johann Spies (Drucker), Sigmund Feyerabend (Verleger) 1580, fol. E4r. Bayerische Staatsbibliothek München, Res/A. lat. a. 1327, Bildnr. 75, urn:nbn:de:bvb:12-bsb00027986-7.
266
Literatur- und Abbildungsverzeichnis
Abb. 22: Mathias Holtzwart: Emblematum Tyrocinia […]. Straßburg: Bernhard Jobin 1581, fol. C3v. Bayerische Staatsbibliothek München, Res/L.eleg. m. 450 i, Bildnr. 56, urn:nbn:de:bvb:12-bsb00028624-7. Abb. 23a: Mathias Holtzwart: Emblematum Tyrocinia […]. Straßburg: Bernhard Jobin 1581, fol. B8r. Bayerische Staatsbibliothek München, Res/L.eleg. m. 450 i, Bildnr. 49, urn:nbn:de:bvb:12-bsb00028624-7. Abb. 23b: Mathias Holtzwart: Emblematum Tyrocinia […]. Straßburg: Bernhard Jobin 1581, fol. B8v. Bayerische Staatsbibliothek München, Res/L.eleg. m. 450 i, Bildnr. 50, urn:nbn:de:bvb:12-bsb00028624-7. Abb. 24a: Nikolaus Reusner: Aureolorum Emblematum Liber […]. Straßburg: Bernhard Jobin 1587, fol. B2r. Bayerische Staatsbibliothek München, Rar. 4593, Bildnr. 45, urn:nbn:de:bvb:12-bsb00071517-2. Abb. 24b: Nikolaus Reusner: Aureolorum Emblematum Liber […]. Straßburg: Bernhard Jobin 1587, fol. E8r. Bayerische Staatsbibliothek München, Rar. 4593, Bildnr. 105, urn:nbn:de:bvb:12-bsb00071517-2. Abb. 25: Nikolaus Reusner: Aureolorum Emblematum Liber […]. Straßburg: Bernhard Jobin 1587, fol. C1r. Bayerische Staatsbibliothek München, Rar. 4593, Bildnr. 59, urn:nbn:de:bvb:12-bsb00071517-2. Abb. 26: Nikolaus Reusner: Aureolorum Emblematum Liber […]. Straßburg: Bernhard Jobin 1587, fol. C4v. Bayerische Staatsbibliothek München, Rar. 4593, Bildnr. 66, urn:nbn:de:bvb:12-bsb00071517-2. Abb. 27a: Eustathios Makrembolites, Johann Christoph Artopoeus: Ismenius Oder/ Ein vorbild Stäter Liebe […]. Straßburg: Bernhard Jobin 1573, fol. 57r. Bayerische Staatsbibliothek München, A.gr. b. 1492, Bildnr. 137, urn:nbn:de:bvb:12-bsb10994233-7. Abb. 27b: Eustathios Makrembolites, Johann Christoph Artopoeus: Ismenius Oder/ Ein vorbild Stäter Liebe […]. Straßburg: Bernhard Jobin 1573, fol. 57v. Bayerische Staatsbibliothek München, A.gr. b. 1492, Bildnr. 138, urn:nbn:de:bvb:12-bsb10994233-7. Abb. 28: Nikolaus Reusner: Aureolorum Emblematum Liber […]. Straßburg: Bernhard Jobin 1587, fol. I3r. Bayerische Staatsbibliothek München, Rar. 4593, Bildnr. 159, urn:nbn:de:bvb:12-bsb00071517-2. Abb. 29: Eustathios Makrembolites, Lelio Carani: Gli Amori d’Ismenio […]. Venedig: Gebr. Guerra 1560, fol. 34r. Bayerische Staatsbibliothek München, A.gr. b. 1496, Bildnr. 71, urn:nbn:de:bvb:12-bsb10170141-0. Abb. 30a: Eustathios Makrembolites, Johann Christoph Artopoeus: Ismenius Oder/ Ein vorbild Stäter Liebe […]. Straßburg: Bernhard Jobin 1573, fol. 19v. Bayerische Staatsbibliothek München, A.gr. b. 1492, Bildnr. 62, urn:nbn:de:bvb:12-bsb10994233-7. Abb. 30b: Eustathios Makrembolites, Johann Christoph Artopoeus: Ismenius Oder/ Ein vorbild Stäter Liebe […]. Straßburg: Bernhard Jobin 1573, fol. 23v. Bayerische Staatsbibliothek München, A.gr. b. 1492, Bildnr. 70, urn:nbn:de:bvb:12-bsb10994233-7.
Abbildungsverzeichnis
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Abb. 31: Nikolaus Reusner: Aureolorum Emblematum Liber […]. Straßburg: Bernhard Jobin 1587, fol. A5r. Bayerische Staatsbibliothek München, Rar. 4593, Bildnr. 35, urn:nbn:de:bvb:12-bsb00071517-2. Abb. 32: Eustathios Makrembolites, Lelio Carani: Gli Amori d’Ismenio […]. Venedig: Gebr. Guerra 1560, fol. 15r f. und 17r f. Bayerische Staatsbibliothek München, A.gr. b. 1496, Bildnr. 33–37, urn:nbn:de:bvb:12-bsb10170141-0. Abb. 33: Nikolaus Reusner: Aureolorum Emblematum Liber […]. Straßburg: Bernhard Jobin 1587, fol. C6r. Bayerische Staatsbibliothek München, Rar. 4593, Bildnr. 69, urn:nbn:de:bvb:12-bsb00071517-2. Abb. 34: Nikolaus Reusner: Aureolorum Emblematum Liber […]. Straßburg: Bernhard Jobin 1587, fol. C6v. Bayerische Staatsbibliothek München, Rar. 4593, Bildnr. 70, urn:nbn:de:bvb:12-bsb00071517-2.
7.2 Literaturverzeichnis 7.2.1 Abkürzungsverzeichnis ADB
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HWRh HZ IASL 2 Killy
KF LiLi 2 MGG MTU
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8 Namensregister Aelius Donatus 179, 224 Äsop 137, 167, 168 Alberti, Leandro 149 f., 155 Alberti, Leon Battista 79 Alberus, Erasmus 184 Alciato, Andrea 27, 46, 103 f., 113–119, 127, 136–143, 147 f., 173 f. Alexander der Große 32, 79 Alexander V. (Papst) 84 Althamer, Andreas 32 Amman, Jost 34, 94, 106, 108, 147 Aneau, Barthélemy 118, 140 Anglicus, Richard 43 Apollonios von Rhodos 60 Apollonios von Tyana 61 Arcimboldo, Giuseppe 98 Ariovist 33 Aristoteles 79 Arminius 33 Artopoeus, Johann Christoph 58, 127, 133, 151, 155–165, 259, 261 Augustinus 109 Ausonius, Decimus Magnus 33 Bebel, Heinrich 30, 32, 119 Becanus, Johannes Goropius 41 f. Beham (Familie) 106 Beham, Hans Sebald 196 Bembo, Pietro 126, 142, 197 Beuther, Michael 79, 80, 100 Bèze, Théodore de 65, 89 f., 148 Bocchi, Achille 118 Bocksberger, Johann 106 Borgia, Cesare 79 Bovelles, Charles de 47 Borromeo, Federigo (Kardinal) 76 Bracciolini, Poggio 182 Brant, Sebastian 19, 117, 182 Brylinger, Nikolaus 15, 89 f. Bullinger, Heinrich 97 Burgkmair, Hans 92, 106 Calcagnini, Celio 118 Carani, Lelio 160, 164 f., 260, 262 Cäsar, Gaius Julius 55, 102, 47 Carolus, Johann 4, 22
Celtis, Konrad 5, 29 Christian II. von Dänemark (König) 77 Chyträus, David 55 Cicero (Marcus Tullius Cicero) 102, 120, 128, 182, 207 Cittolini, Alessandro 118 Clemens, Africus 233 Cochläus, Johannes 88 Cock, Hieronymus 93 Cousteau, Pierre 118 Cranach d. Ä., Lucas 92, 94, 106 Crusius, Johannes Paulus 114 Crusius, Paulus 114 Dasypodius, Konrad 99–101 Dedekind, Friedrich 221 Dietrichstein, Adam von 147 Dietterlin, Wendel 71 Dohna, Fabian von 188 Dürer, Albrecht 92, 94, 96, 106, 133 Egenolf III. von Rappoltstein (Graf) 22 Egenolff, Christian 119, 156 Erasmus von Rotterdam 119–121, 137, 156, 165, 209, 230 Eustathios Makrembolites 13, 155–161, 164 f., 259–262 Farnese, Alessandro (Kardinal) 82 Feyerabend, Sigmund 58, 106, 108 f., 137, 144–146, 150 Fichard, Johannes 147 Fickler, Johann Baptist 188–195 Fischart, Anna 21 Flacius Illyricus, Matthias 97 Flavius Josephus 22 Flötner, Peter 34 Folengo, Theofilo (Merlinus Coccaius) 217, 219 Franck, Sebastian 119 Franckenpoint, Anton de 97 Franz I. von Frankreich (König) 78 f. Friedrich I. Barbarossa (Kaiser) 79, 135 Friedrich I. von Württemberg (Herzog) 116 f. Friedrich II. von Dänemark und Norwegen (König) 91 Frischlin, Nicodemus 102
Namensregister
Frisius, Johannes 135 Froe, Sebastian 199 Frölich, Georg 156 Galle, Philipp 82 Geber (Abū Mūsā Dschābir ibn Hayyān) 43 Gentillet, Innocent 38, 67, 86, 95 Gesner, Conrad 156, 168, 170, 208 Giotto (di Bondone) 73, 83 Giovio, Paolo 74–83, 87–97, 118, 135 Glarean, Heinrich 47, 56 Gottfried von Bouillon 79 Gottsched, Johann Christoph 6 Graß, Johann Beat 127, 156 Gregor XIII. (Papst) 82 Grien, Hans Baldung 106 Guarin, Thomas 105, 114 Guevara, Antonio de 127 f., 139,156 Guldenmund, Hans 32 f. Gwalther, Rudolf 97 Habrecht, Isaak 100 Habrecht, Josias 100 Harsdörffer, Georg Philipp 174 Heinrich II. von Frankreich (König) 201 Heinrich IV. von Navarra (König) 188 Heinrich VIII. von England (König) 78 Heinrich, Nikolaus 85 Held, Jeremias 116, 118, 136–143 Hertzog, Anna 22 Hertzog, Bernhard 2, 55–57, 68, 243 Herold, Johann Basilius 104 Hervet, Gentian 185 Hesiod 232 f. Holbein, Hans (d. J.) 92, 94, 106 f. Holtzwart, Matthias 8, 32–40, 44, 53, 63 f.91, 95, 106–110, 115–144, 148–157, 168–175, 226, 231, 244 f., 252–254, 256 f. Homer 17, 19, 58–61, 207 Horaz (Quintus Horatius Flaccus) 108, 124, 147, 223, 226–228 Hunger, Wolfgang (d. Ä.) 46–49, 119, 136–143 Hunger, Wolfgang (d. J.) 46 Hupfuff, Matthias 14 Jobin, Tobias 4, 22 Johann IV. von Manderscheid (Bischof) 51 Johann Casimir von Pfalz-Simmern (Pfalzgraf) 188 f. Junius, Hadrianus 118
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Kargel, Sixtus 68 Karl der Große (Kaiser) 33, 55, 80 Karl V. (Kaiser) 33 Klaj, Johann 174 Klee, Georg 87 Kyriander, Wilhelm 149 f. Lafreri, Antonio 82 Lampsonius, Dominicus 94 Laonius, Johannes 89 Lasso, Orlando di 87 Lazius, Wolfgang 34, 40–44, 47–50, 56 Le Fèvre, Jean 139 f. Leonardo (Leonardo da Vinci) 79 Lichtenfels, Melchior von (Bischof) 85 Livius (Titus Livius Patavinus) 22, 61 Lobwasser, Ambrosius 68, 235 Lullus, Raimundus 43 Lupold von Bebenburg 28 Luther, Martin 25, 68 f., 75, 88, 97, 106, 137, 177 Machiavelli, Niccolò 67, 201 Manutius, Paulus 147 Marino, Giambattista 199 Marnix, Philipp van 184–187 Martial (Marcus Valerius Martialis) 150 Martius, Jeremias 233 Marot, Clément 65, 235 Maximilian I. (Kaiser) 78 Medici, Cosimo I. von (Herzog) 76, 78 Medici, Katharina von 65 f., 201 f. Melanchthon, Philipp 137 Merian, Matthäus (d. Ä.) 107 Messerschmid, Georg Friedrich 4 Micyllus, Jacob 33 Mieg, Carl 97 Montaigne, Michel de 210 Moscherosch, Johann Michael 4, 19 Murer, Christoph 22, 88 Müller, Theobald 76–80, 112 Münster, Sebastian 32 Nanni, Giovanni (Annius von Viterbo, PseudoBerosus) 32 f., 135 Nas, Johannes 97, 99, 184 f., 213 Neusidler, Melchior 68 Nigrinus (Schwarz), Georg 66 f., 86 f., 95, 246 Ochino, Bernhard von 200
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Namensregister
Opitz, Martin 1–6, 12 f., 17, 21, 65, 196 f., 199, 242 Ovid (Publius Ovidius Naso) 124, 145–149, 157, 255 Pacuvius, Marcus 122 Pantaleon, Heinrich 74–76, 89 f. Panvinio, Onofrio 74, 82–88, 92–95, 98, 246 Paracelsus (Theophrastus Bombast von Hohenheim) 43, 45 Paradin, Claude 118 Perna, Pietro 74, 76–81, 87–93, 105 Perrière, Guilleaume de la 118 Petrarca, Francesco 73, 75, 81, 196 f., 199, 202–204 Petri, Heinrich 76 Peutinger, Konrad 28, 56, 143 Philipp I. (d. J.) von Hanau-Münzenberg (Graf) 114 Pius V. (Papst) 82 Platina, Bartolomeo 82 Plutarch 61, 156, 165–170 Poliziano, Angelo (Agnolo Ambrogini) 233 Posthius, Johannes 146 f. Publilius Syrus 121 f. Quintilian (Marcus Fabius Quintilianus) 182, 209 Rabelais, François 16, 18, 46, 95, 180, 208–211, 220–225 Raffael (Raffaello Sanzio da Urbino) 83 Rauscher, Hieronymus 184 Rebenstock, Heinrich Peter 108 Reinhard I. von Hanau-Lichtenberg (Graf) 114 Reusner, Elias 145, 149 Reusner, Jeremias 147 Reusner, Nikolaus 8, 80–82, 87–93, 106–108, 114–116, 133, 144–175, 247 f., 255, 257 f., 260, 262 f. Rhenanus, Beatus 32, 54, 88 Rihel (Familie) 15, 21, 79 Rihel, Josias 34 f., 116, 174 Rihel, Theodosius 22 f., 26, 165 Rihel, Wendelin 106, 110 Rompler von Löwenhalt, Jesaias 19 Ronsard, Pierre de 201, 210 Rudolf II. (Kaiser) 51 Sabeo, Fausto 145
Sambucus, Johannes 117 f., 148 Scaliger, Julius Caesar 150 Schaller, Georg 147 Schede Melissus, Paul (Paul Schede Melissus) 200 Scheidt, Caspar 22, 221 f. Schmidt, Bernhard 59–62, 68, 97, 207 Schongauer, Martin 94 Schottelius, Justus Georg 48 Schwabe von der Heyde, Ernst 199 Schwarzenburg, Ottheinrich von 97 Schwendi, Lazarus von 97 Seyboldsdorf, Balthasar von 137 Seyboldsdorf, Werner von 137 Sigonio, Carlo 66 Simbeni, Jacopo 217 Sixtus V. (Papst) 51 Solis, Virgil 94, 106, 147 Spangenberg, Cyriacus 55, 57, 60 Spangenberg, Wolfhart 4 Specklin, Daniel 49, 71, 245 Spies, Johann 145 Stephanus, Carolus 169 Stimmer, Tobias 8, 22, 34, 36, 71–83, 86–88, 92–117, 120, 131, 136, 157, 161 f., 165–169, 173, 249–251 Stobaios, Johannes 130, 156 Stöer, Lorenz 133 Sturm, Jacob 97 Sturm, Johannes 207 Symeoni, Gabriele 118 Tillier, Johann Anton 91 Thilo, Valentin 77 Tizian (Tiziano Vecellio) 83 Totila 79 Toxites, Michael 41, 43 Urban VI. (Papst) 82 Valeriano, Pierio 118 Valla, Lorenzo 182 Varro, Marcus Terentius 74, 92 Vasari, Giorgio 73, 75, 83, 85, 93–95, 99 Velius, Caspar Ursinus 33 Vergil (Publius Vergilius Maro) 60, 123 f., 232 f. Vergilius, Polydorus 135 Vinciolo, Federico de 133 Vives, Juan Luis 88, 230
Namensregister
Waldis, Burkhard 32–40, 44, 167, 235 Waldkirch, Konrad 77–81 Waldner von Freundstein, Burkhard Wechel, Christian 139 f. Weckherlin, Georg Rodolf 5, 69, 196 Wickram, Georg 16–19, 174 Wimpfeling, Jakob 28 f.
Wirsung, Christoph 200 Wolf, Hieronymus 147 Wyriot, Nikolaus 100, 102 Xylander, Wilhelm 165 f. Zincgref, Julius Wilhelm 99, 200 Zwinger, Theodor 81, 208 Zwingli, Huldrych 88
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