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German Pages 230 [232] Year 1994
Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft
Herausgegeben von Peter Eisenberg und Helmuth Kiesel
Clemens Knobloch
Sprache und Sprechtätigkeit Sprachpsychologische Konzepte
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1994
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Knobloch, Clemens: Sprache und Sprechtätigkeit : sprachpsychologische Konzepte / Clemens Knobloch. - Tübingen : Niemeyer, 1994 (Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft ; 52) NE : GT ISBN 3-484-22052-x
ISSN 0344-6735
© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1994 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt Einband: Hugo Nädele, Nehren
Inhalt
0.
Einleitung
9
Zum Αφαία (9) II Zwischen Psychologie und Linguistik: verminies Gelände (10) II problemorientiert statt ergebnisorientiert (12) II wie viel grammatische Theorie braucht die Sprachpsychologie? (13) H Einfährungen (15) II Experimente, heuristisch (16) II Was alles fehlt (17) H Vor-Urteile (17)
1.
Gesagt - getan? Ist Sprechen eine Form des Handelns?
19
Sßrechhandlungen oder: was die Spatzen von den Dächern pfeifen (19) II empraktische Äußerungen (20) II Handlung und Zurechnung (22) II Sprechhandlung, soziologisch (23) II was vom Sprechen kommandiert wird, und wer es selbst kommandiert (26) II das sprachliche (und das andere) Handeln (27) II vom Mittel zum Selbstzweck (28) II Referentialisierung und Aherisierung (30) II Strukturen sind Routineoperationen des Sprechens (30) II noch einmal: Sprechen wird als Handeln zugerechnet (31)
2.
Einige Teilhandlungen des Sprechens und die Probleme ihrer Isolierung
35
Aktionale Untergrenzen des Sprechens (35) U Steuerungseffekte im Hörerbewußtsein (37) II nominative Teilhandlungen: Indikation und Konzeptualisierung (37) II Prädikation (38) II Techniken der Nomination (39) II "doppelte Gliederung", aktional (41) II Bedeutung vs. Zuordnung in actu (43) II Komposition und Dekomponierbarkeit (43) II Sachverhalt - Bedeutung - Repräsentation (45) II Sprecher-, Hörer-, Sachbezug (48) II Sprach- und Redeverstehen (49)
3.
Grundbegriffe der Tätigkeitsanalyse
52
Terminologische Konventionen (52) H bewegliche Ebenen (53) II Interiorisierung (54) II Leitebenen (56) II vom Blatt sprechen (56) II variable Bündigkeit des Gesprochenen (57) II Intention vs. Orientierungsgrundlage (58) II Ausführung vs. Produkt (59) II aktionale Mikrostruktur des Sprechens (60) II die Ausführung bleibt "bewußtseintfemd" (61)
4.
Gründungsmythen: eine Notiz zur Geschichte der Psycholinguistik
62
Der Gründungsmythos (62) H unerwartete Entwicklungen (62) II die Beziehung zwischen Linguistik und Psychologie: Leidenschaft und Entfremdung (63) H der Satz als Maß aller Dinge (64) II Ableitungskomplexität: verlassenes Gelände (65) H perzeptive Strategien (65) II experimentelle Neuerungen: on line (66) H professionelle Präferenzen (68) II ein kognitives Trauerspiel: Chomsky gegen Piaget (69) II noch ein Mythos (70) II interne oder externe Grammatik? (71) II Quellen der Tätigkeitstheorie (73) H drei Bücher von 1934 (74)
5.
Grammatik und Grammatikalisierung
76
Lesarten von "Grammatikalisierung" (76) II Protosyntax der Beziehbarkeiten (77) II partes orationis: geordnete Beziehbarkeiten (79) II die Syntax als Nothelfer (81) II Fundament oder Ornament der Sprachverarbeitung? (82) II eine spitzfindige Kontroverse (83) II grammatische Schemata (85) II Synsemantien und Distinktoren (87) II opportunistische Strategien (88) II eine Spekulation (89) II Grammatik reduziert die Abhängigkeit vom Weltwissen (89) II Effekte der Erwartungsbildung (91) II der "Stoff" der Grammatikalisierung (93) 6.
Sätze
96
Wort oder Satz? (96) II Affen und Römer (97) II eine Definition (99) II lexikalische und strukturelle Steuerungen (99) II der Satz des Psychologen und der Satz des Grammatikers (100) II unmethodische Philologie (101) II der Handlungskern des Satzes (102) II das Verb als "Zentralorgan" des Satzes? (103) II Feldzeichen und formalisierte Symbolwerte (105) II kritische Punkte (106) II untere Grenzfälle des Satzes (108) 7.
Nomination
Ill
Ωφηϊιίοη und Vorgeschichte (111) II "referentielle Kommunikation" (112) II eine folgenreiche Versuchsanordnung (112) II Nomination schafft (diskursive) Objekte (114) II Identifikation, Charakterisierung, Bewertung (114) II Diskrimination durch Deskription (115) II Objekte ohne Standardnamen (116) H komplexe Nominationen (118) II jenseits des Experiments (120) II Nomination in Rundfunknachrichten (121) II common ground, geteiltes Wissen (122) II Skizzen, nicht Abbilder (124) 8.
Das innere Lexikon: Semantik
127
Ein bonmot (127) II Worterkennung und Wortverarbeitung (127) II Lexikon und Enzyklopädie (129) II erwartete Sinnkonstanz (130) H interne Organisation (132) II ein elementares Modell (134) II Wasser! (134) II Gedächtnis (135) II eine mehrsitzige Semantik (136) II semantisches Differential (137) II feste oder fallweise Ordnung? (138) II Tiger, Vegetarier, Semantiker (139) II "notwendig falsche" Sätze (139) II Identifikation und Charakterisierung durch lexikalische Konzepte (141) II Basiskategorien und sekundäre Konzepte (141) H konzeptuell und/oder instrumenteil? (143) II ein Experiment zur Integration lexikalischen, grammatischen, pragmatischen Wissens (144) 9.
Das Experiment
146
Eine Glaubensfrage (146) II Reduktion der Faktoren und Multiplikation der Daten (147) II Grenzen der Beobachtung (148) II der experimentelle "task" (149) II "Monitoring" (149) II geteilte Aufmerksamkeit (150) II on-line, off-line (151) II "Shadowing" und "Gating" (152) II Gedächtnisbefunde (153) II Bewerten und Ordnen (156) II Assoziation (157) II experimentelle Morphologie (159) 10.
Automatisch vs. bewußt: word recognition
164
Verbindungslinien zum Experiment (164) II Aufmerksamkeitsbedarf (164) II Normalnull (165) II Worterkennung (165) II das sinnvolle Wort (166) II Erwartungseffekte (167) II Signale und Symbole (168) II Ortung und Ordnung (169) II Logogen-Modelle (169) II Autonomisten und Interaktionisten (170) II das Kohortenmodell (171) H Logogenprobleme und Kohortenprobleme (172) II cross modaI priming (174) II Einwände (176)
11.
Verstehen
179
Lesarten von "Verstehen" (179) II Bedeutung und Sinn (180) // Schleiermacher als Pionier (181) II vorsprachliches, perzeptives "Verstehen" (181) II Sinn als Leitebene (182) II Verstehen als Gradphänomen (182) II stare pro (183) II Verstehenskontrolle (184) II der Unterbau der sprachlos eingespielten Kooperation (185) II vom Wortlaut zur sinngebenden Konstellation (und zurück) (186) II die Entbindung des Satzsinnes aus den Fesseln der Situation (187) II Funktionsverschiedenheit (188) II Versetzungen (192) II Text und Wissen (194) II Plausibilitäten (196) II Paradoxien der Symbolverarbeitung (196) II Zugewinn an Reflexivität (197) II noch einmal: Autonomisten vs. Interaktionisten (198) U Rückzugsgefechte (199)
12.
Sprache und Bewußtsein
203
Tradition des Themas (203) II Ausdräckbarkeit (204) II motorische Grundlage des Bewußtseins (206) II soziale Handlung und innere Handlung (206) II Motorik und Symbolik (207) II Differenzierungsprobleme (209) II Selbstbezüge des Sprechens (211) II Paradoxien der Repräsentation (212) II deklarierbares Wissen (214) II Paradoxien der Intention (216)
13.
Literatur
218
14.
Index
226
0. Einleitung
Zu Beginn einige Bemerkungen über den Aufbau des vorliegenden Textes: Die Kap. 1-3 elaborieren die inzwischen allzu selbstverständliche Handlungsmetapher des Sprechens aus sprachpsychologischer Perspektive. Das erste Kapitel zentriert den Kontrast zur soziologischen und kommunikationswissenschaftlichen Handlungstheorie des Sprechens, das zweite gibt eine Reihe von Andeutungen, wie man das gewöhnliche Sprechen analytisch in ein System von elementaren Teilhandlungen auseinanderlegen könnte. Das dritte Kapitel schließlich differenziert die analytische Begrifflichkeit für eine aktionale Feinanalyse der Sprachverwendung. Wer systematische und begriffliche Präliminarien verabscheut, der kann mit Kap. 4 beginnen, das die Gründungsmythen der neueren Psycholinguistik und der »kognitiven Wende« kritisch unter die Lupe nimmt. Mitten in die umstrittenen Kerngebiete der neueren Sprachpsychologie führen dann die (eng zusammengehörigen) Kap. 5 und 6. Kap. 5 entfaltet die prozessuale Perspektive einer fortschreitenden »Grammatikalisierung« des Sprechens im Spracherwerb, Kap. 6 versucht dann, das traditionelle Strukturformat des Satzes auf diese prozessuale Perspektive zu beziehen. Ähnlich eng hängen die Kap. 7-10 zusammen. Ihre Gemeinsamkeit rührt daher, daß sie sich ganz überwiegend auf das strukturell anrüchige, prozessual aber höchst reale und bewußtseinsnahe Format des (autosemantischen) Wortes beziehen. Das tun sie freilich auf sehr unterschiedliche Weise. Kap. 7 nimmt den Weg über die nominative Teilhandlung des Sprechens zur Nennfunktion der (substantivischen) Wörter und zum »Standardnamen« für Erfahrungsgegenstände. Von da führt der Weg zu einigen Ressourcen und Optionen der strukturell komplexen, elaborierten Nomination. Den Ausgangspunkt der Darstellung bildet die Versuchsanordnung der »referentiellen Kommunikation«, die es erlaubt, nominative Teilhandlungen des Sprechens zu isolieren. Kap. 8 diskutiert, äußerst fragmentarisch, eine Reihe von Problemen, die mit dem psycholinguistischen Konzept des »Inneren Lexikons« zusammenhängen — ein Konzept, von dem Hans Hörmann sagt, es sei gleichermaßen unmöglich, mit ihm auszukommen wie ohne es.
10
In jeder experimentellen Disziplin ist die strikte Determinierung der untersuchten Prozesse conditio sine qua non. Vorgänge von hoher innerer Variabilität, die heute so und morgen anders ablaufen können, entziehen sich tendenziell der experimentellen Analyse. Nun ist aber aus der Primärerfahrung der Kommunikationsteilnehmer relativ sicher, daß Redeverarbeitung nur partiell und in den elementaren Schichten der »Bündigkeit« relativ strikt determiniert ist. Aktional, vom sozial-kommunikativen Handlungssinn her gibt es bis hinunter zu den alltäglichen Ritualen (Begrüßung, Entschuldigung etc.) kaum eine Äußerung, die nicht auf viele Weisen »verstanden« und ausgefolgert werden könnte. In den Kap. 9 und 10 wird versucht, die prekäre Gemengelage von relativ automatischen Teilprozessen und bewußt verfugbaren Ressourcen im Sprechen und Verstehen ein wenig zu entmischen, einmal methodisch vom Experiment her und einmal sachlich vom Problem der Worterkennung. Kap. 11 behandelt dann explizit das Redeverstehen und ist insofern ein Kernstück des Buches, ein Versuch der problemorientierten Zusammenfassung bisheriger Befunde. Kap. 12 steht unter dem recht pauschalen Thema »Sprache und Bewußtsein« und entwickelt eine Reihe von Vorschlägen, wie ein solches Thema kleingearbeitet weiden kann. Da der vorliegende Text alles andere als eine gewöhnliche »Einführung in die Psycholinguistik« ist, bedarf er nach seiner Anlage und Ausführung eines kurzen einleitenden Kommentars. Einführungen haben (wie Lehrbücher) gewöhnlich die Funktion, den Leser für die Theorien, Ergebnisse und Methoden eines Faches oder einer Schule zu sozialisieren. Sie geben einen Überblick über das, was in der jew. Forschergruppe als gesichert gilt und zeichnen vor, wie man von diesen Beständen zu sinnvollen Fragestellungen und zu weiterem und besserem Wissen gelangen kann. Nun ist aber auf den ersten Blick die Lage mehr als unübersichtlich im Grenzgebiet zwischen Linguistik und Psychologie. Gearbeitet wild mit einer Vielzahl von exklusiven Etiketten: Psycholinguistik, Sprachpsychologie, Psychologie der Sprache. Namentlich den Gebrauch des Beiwortes »kognitiv« kann man nur noch inflationär nennen. Es indiziert keineswegs gemeinsame Überzeugungen, eher im Gegenteil. Ähnlich wie bei substanzarmen, aber konsensfahigen Wertwörtern in der Politik scheint es auch in der Linguistik zuerst um Teilhabe an der Aura von »kognitiv« und um die Zurückweisung der Ansprüche anderer auf diesen Begriff zu gehen. Jeder versucht seine Überzeugungen unter dem (ungeschützten) Markennamen »kognitiv« an den Mann zu bringen. Vermutlich erwartet man davon Anschluß an den Computer- und KI-Komplex, der seinerseits für technologisch greifbaren und anerkannten Erkenntnisfortschritt (und ergo auch potentiell für geldwerte Vorteile) steht. Erkennbare sachliche Implikationen gibt es darüber hinaus kaum, be-
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stenfalls den Anspruch, Sprachbeschreibungen auf Ablauf, Organisation und Repräsentation mentaler Prozesse oder Strukturen zu beziehen. Das freilich läßt sich kaum vermeiden, will man »Sprache« nicht vollkommen verdinglichen und gegen den Gebrauch absetzen, den Sprecher und Hörer von ihr machen. Auf der anderen Seite gibt es etwa in der Generativen Schule (vgl. zur Einführung Fanselow & Felix 1987) den Anspruch, das allen Sprachen zugrundeliegende implizite Wissen zu explizieren, ohne dabei auf die Kontingenzen der Gebrauchsprozesse Rücksicht zu nehmen. Und gerade diese Schule schlägt die gesamte Linguistik der »kognitiven Psychologie« zu. Solchen eher >statischen< Hypothesen über die Struktur allgemeiner (und speziell sprachlicher) Wissenssysteme opponiert die Tendenz, gerade umgekehrt für die Dynamik der Sprech- und Verstehensprozesse Anleihen bei der (traditionell prozeßorientierten) Psychologie zu machen.1 Man kann etwa (vgl. z.B. Langacker 1987a, Dik 1989) versuchen, gleichsam hinter der manifesten Vielfalt ausdrucksseitiger und kategorialer Ordnungen in den Einzelsprachen so etwas wie kognitive Invarianzen aufzufinden, welche das Sprechen mit den übrigen psychischen Funktionssystemen (Wahrnehmung, Gedächtnis, Aktion etc.) verbinden. Ein Graben innerhalb der »kognitiven Linguistik« trennt die Vertreter der Annahme, die sprachlichen Kenntnissysteme seien hochgradig spezifisch, geschlossen und autonom (oder »modular«; vgl. Schwarz 1992:44-54) von den Vertretern der Kontinuität oder Gleichartigkeit zwischen Sprache und dem Rest der kognitiven Prozesse. Den einen geht es um implizite sprachliche Wissenssysteme, die theoretisch expliziert werden sollen, den anderen geht es um die Prozeß- und Organisationslogik des Sprechens und Verstehens. Beide betrachten die jew. andere Seite als sekundär oder kontingent. Eine weitere Linie trennt die (auf maschinelle Implementierbarkeit verpflichteten) Künstliche-Intelligenz-Forscher von den eher biologisch, neurologisch oder auch philosophisch legitimierten Modellen (etwa der radikalen Konstruktivisten; vgl. Varela 1990). Eine weitere (und relativ rezente) Grenzlinie konfrontiert die Vertreter einer Symbolverarbeitungstheorie (für die sprachliche Repräsentation aus diskreten, semantisch festen Symbolen, formalen Verknüpfungsregeln und geordneten Entsprechungen zwischen Syntaktizität nach innen und Repräsentativität nach außen besteht) mit den Anhängern subsymbolisch-konnektionistischer Netzwerke, in denen Ordnungen strikt aktualistisch als Muster von spreading activation aufgebaut werden (vgl. Goschke & Koppelberg 1990). Symbolisierung ist für die letzteren eher eine emergente und globale Augenblicksleistung und nicht das Ergebnis fest Hinter dieser Opposition lauert ein altes philosophisches Huhn-Ei-Dilemma: gibt es einen Primat des Wissens Uber das Tun bzw. Können oder ist umgekehrt Wissen nicht mehr als die abgelagerte Erfahrung des Tuns? Hierzu vgl. man Aebli (1980/81).
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gespeicherter Zuordnung und formaler Zusammenstellung (vgl. für einen Vermittlungsversuch Scheerer 1993 a,b). Die Liste der trennenden Gräben ließe sich beliebig verlängern. Beinahe noch tiefer ist die Kluft, die rein experimentell arbeitende Psycholinguisten von den psychologisch argumentierenden Linguisten trennt, die bloß allgemeine Beobachtungen und psychologische Theorien (sowie natürlich die Experimente der anderen!) für sich ins Feld führen können. Hier gibt es nur spärliche Kommunikation. Der Autor des vorliegenden Textes ist keiner Schule zugehörig, sondern gewissermaßen ein Außenseiter der Disziplin. Darum ist der Text an keiner Stelle auf die gesicherten Bestände< irgend einer Schule gebaut. Es gibt m.E. in der Psycholinguistik keine solchen gesicherten Beständen Wer die Geschichte der Disziplin auch nur beiläufig verfolgt hat, der weiß, daß die gesicherten Bestände< aus den Lehrbüchern der 70er Jahre heute das Papier nicht mehr wert sind, auf dem man sie gedruckt hat. Die Halbwertzeit der rasch wechselnden Paradigmen, Modelle und experimentellen Techniken hat sich seitdem eher noch verkürzt. Es gibt keinen Grund anzunehmen, daß das >Wissen< der gegenwärtigen Psycholinguistik beständiger oder ergiebiger sein könnte als das der 70er Jahre. Soweit sich die psycholinguistische Forschung an linguistische Theorien und Modelle gebunden hat, ist ihr bei jeder der (nicht eben seltenen) Revisionen dieser Theorien der Teppich unter den Füßen weggezogen worden (vgl. Johnson-Laird 1983:268). Auf die Frage, wieviel linguistische bzw. grammatische Theorie man in der Psycholinguistik braucht, gibt es keine befriedigende Antwort Es dürfte aber eine sinnvolle (wenngleich selten befolgte) Maxime sein, Prozeß- und Aktionsmodelle der Sprachverarbeitung so zu konstruieren, daß sie nicht nur mit einer linguistischen Theorie kompatibel sind. Nur zu bereitwillig hat sich die Psycholinguistik über den Tisch ziehen lassen und einer hochangesehenen linguistischen Theorie Legitimation sdienste geleistet. O'Connell (1988), auch ein psycholinguistischer Außenseiter, sprach in diesem Zusammenhang jüngst gar von der »Dekadenz« des Faches. Wer aus diesem Kreis heraustreten will, der kann nur problemorientiert einfuhren, nicht ergebnisorientiert. Kontroversen werden in diesem Text weder geglättet noch entschieden, sondern stehengelassen (und vielleicht auf Ursachen in der Axiomatik der Forscher zurückgeführt). Wenn also gemeinhin Einführungen den Novizen den Eindruck vermitteln sollen, auf festem Grund zu gehen, so dürfte das Ergebnis dieses Büchleins eher eine (hoffentlich produktive) Verunsicherung sein. Die Tätigkeitsmetapher, derer ich mich zur Darstellung und Verklammerung der Probleme bediene, ist keine Theorie, sondern nur eine durchgehaltene Perspektive auf die Phänomene des Sprechens und Verstehens. Das
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Sprechen steht (mit Bühler zu sprechen) als (mehrfach zeichenvermittelte) Handlung unter anderen Handlungen, geprägt u.a. durch die Strukturgesetze des »eigensinnigen Organon« Sprache. Grammatik und Lexik der Einzelsprache bilden gewissermaßen eine historisch objektive Dimension des Sprechens und finden sich nur »an« diesem, obwohl es auch so scheint, als seien sie jedem einzelnen Sprechakt »im« Individuum vorausgesetzt, und obwohl sie die Grammatiker den objektivierten Ergebnissen des Sprechens (den Texten) ablesen.2 Höchst prekär ist immer das Verhältnis der Psycholinguistik zu den grammatischen Theorien, die sie vorfindet (und die sie ihrerseits vorfinden als potentielles Legitimationsmittel). Die Tätigkeitsmetapher indizien, daß ein aktionales Verständnis aller am Sprechen und Verstehen beteilgten Teilprozesses die Darstellung leitet Aus der Perspektive einer (psychologischen) Theorie des Sprechens und Verstehens, der sich der vorliegende Text verbunden fühlt, bilden die in Lexikon und Grammatik der Einzelsprache gebundenen Kenntnisse und Fähigkeiten nur eine für die Organisation und Integration der relevanten Teilhandlungen bedeutsame Schicht. Daneben gibt es operative Ordnungen, die Sprechen und Verstehen überhaupt (unabhängig von der Einzelsprache) kennzeichnen und es mit allgemein menschlichen Fähigkeiten zur Koordination und Koorientierung in einer geteilten Sozialwelt verknüpfen. Daß Sprachen, angeboren oder nicht, primär nur in koaktionalen Orientierungs- und Austauschformaten erworben werden können, zeigen die Studien von Bruner (1987). Die allgemeinen darstellungstechnischen Prozeduren, die in der einzelsprachlichen Grammatik und Lexik teils vorausgesetzt und teils ausgestaltet werden, untersucht hierzulande besonders die psychologische Universalienforschung. Aus dem Kölner Universalienprojekt Hansjakob Seilers liegt inzwischen eine umfangreiche Monographienreihe vor, deren Substanz aber von der etablierten Psycholinguistik bisher kaum zur Kenntnis genommen wird. Schließlich gibt es im gewöhnlichen Sprechen und Verstehen aber auch noch eine operative Schicht, die gleichsam unterhalb der Einzelsprache angreift und die eher textuellen Traditionen, Erwartungen und Wissensbestände umgreift (zu den sprachlichen Wissenssystemen ausführlich Coseriu 1988). Es ist immer verführerisch zu glauben, der Sprecher täte, wenn er >Sätze< hervorbringt und verarbeitet, etwas ähnliches wie der Grammatiker, wenn dieser mit seinen Mitteln, Interessen und Theorien Sprache analysiert. Suggestiv war und ist die Formel, der Grammatiker mache nur explizit, was der Sprecher (der hier immer auch als Hörer gemeint ist) implizit wisse. Aber wenn man sich darauf einigt, daß Analyseverfahren selbst Handlungen und
Nicht nur als allgemeine Redefähigkeit, sondern als Fähigkeit, die Schemata der Einzelsprache sachgerecht zu verwenden; über »Kompetenz« vgl. Coseriu (1988).
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problembezogen organisiert sind, dann könnte die Differenz nicht größer sein: Was für den Grammatiker das Problem (die Eigenlogik der Darstellungsmittel), ist für den Sprecher die Lösung vieler Probleme (der Darstellungsprobleme nämlich). Der Sprecher löst alle sprachlichen Daten hin zum fallweise Dargestellten auf. Nur das interessiert ihn wirklich, nicht der Code als solcher. Umgekehrt interessiert sich der Grammatiker für das fallweise Dargestellte durchaus nicht. Es ist ihm bestenfalls Prüfmittel für das Verständnis der sprachlichen Darstellungsmittel selbst Aus dieser Lage heraus habe ich jegliche Anlehnung an grammatische Theorien unterlassen. Wo grammatische Begriffe und Theorien vorkommen, sind es meist die traditionellen, und sie beziehen sich immer nur deskriptiv auf sprachliche Gebilde und Strukturen, nie auf die Prozesse, in denen (u.a. und ganz beiläufig) auch sprachliche Strukturem hervorgebracht und verarbeitet weiden. Auf die in der Generativen Linguistik gängige Disjunktion, nach welcher wir auf der einen Seite Sprache »haben« oder »kennen« und sie auf der anderen Seite auch noch in der Kommunikation »anwenden«, habe ich mich nicht eingelassen. Wie bei anderen stark binnennormierten sozialen Handlungssystemen beruht auch unsere »Kenntnis« der Sprache auf dem system-, sach- und erwartungsgerecht gekonnten Sprechen. Die Disjunktion von angeborenem »Wissen« und kontingenter »Anwendung« stellt die Verhältnisse auf den Kopf.3 Angesichts der zahlreichen Eigenheiten des folgenden Textes möchte man dem Leser beinahe den paradoxen Rat geben, doch erst einmal eines der sprachpsychologischen Lehrbücher zu lesen und sich mit der Vielfalt der psycholinguistischen Schulen vertraut zu machen. Es erscheinen auch zunehmend Bücher, die skeptische und geschichtsbewußte Untertöne enthalten und nicht mehr blind ein Paradigma für das allein seligmachende erklären. Zu empfehlen sind die Arbeiten Hörmanns (1976,1981), der um den Begriff der »Sinnkonstanz« Elemente einer Theorie des Meinens und Verstehens baut (und der grammatische Formalisierungen mit der gebotenen Vorsicht behandelt). Die aktive Konstruktion und Erwartung sinnvoller Mitteilungen tritt an die Stelle
Es ist dies allerdings — das darf man nicht vergessen — die weithin herrschende Ansicht. »Sprache« gilt als eine Art von hochspezifischem Wissen, das im tatsächlichen Sprechen (mit seinen Kontingenzen) immer nur verbunden mit anderen Formen und Sphären des Wissens zum Zuge kommt. Was dem Grammatiker zur Zierde gereicht: daß er nämlich den genuin sprachlichen Teil seiner Verhaltenszeugnisse isoliert, das wird auch dem einfachen Sprachbenutzer eingeschrieben, obwohl der von einer solchen Trennung naturgemäß wenig profitiert. Am Ende läuft dieser Disput auf eine ScheinKontroverse hinaus: auf die Frage nämlich, ob das (implizite) Sprachwissen ein Produkt der Sprechtätigkeit ist, des tatsächlichen Sprechens also, oder ob umgekehrt die Sprechtätigkeit als eine »Manifestation« des Sprachwissens angesehen wird. Der HuhnEi-Charakter dieser Kontroverse ist offenkundig, aber sie wird darum nicht gegenstandslos.
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einer bloßen Dechiffnerung des sprachlichen Code. Informationsgehalt, grammatische Strukturierung und Aktionsraum des Sprechens sind verschiedene Ressourcen, die bei der Konstruktion von Sinn angezapft werden. Sprecher und Hörer kooperieren im Blick auf eine >erfolgreiche< Sinngebung, der Sprecher per Hörer- und der Hörer per Sprecherkalkül (und beide per Situationskalkül). Eine andere Einführung, die konventionelle Bahnen verläßt, ist die von McNeill (1987). Er versteht das Sprechen als Synthese aus individueller und >innerer< Erfahrung und sozial konstituierter und eigengeregelter sprachlicher Ausdrucksform. Beide Sphären ordnen und konturieren sich aneinander. McNeill bezieht einen Gutteil seiner Evidenz aus dem Vergleich sozial weniger institutionalisierter »language of gesture« mit den natürlichen Sprachen,4 und er sucht Anschluß an das Denken der kulturhistorischen Schule L.S. Wygotskis. Eine stärkere Berücksichtigung der sozial-interaktionalen und der intersubjektiven Parameter des Sprechens befürwortet von jeher die Gruppe um Rommetveit (1979). Immer zu empfehlen sind naturgemäß die >Klassikerdarstellungs-stark< apostrophiert wie die natürlichen Sprachen.
16 Das Bekenntnis zum Experiment als einziger Prüf- und Verifikationsinstanz eint sogar die Anhänger verfeindeter Schulen gegen jede Kritik von außen. Gleichwohl wäre für jeden, der die Praxis der letzten 20 Jahre verfolgt hat, etwas mehr Skepsis wohl am Platze. Der Kritik verfällt nicht das Experiment selbst, sondern die naive Art und Weise, wie es auf Theorien und Hypothesen bezogen wird. Gemessen am methodologischen Standard der Humanwissenschaften fehlt in der Psycholinguistik völlig das Bewußtsein davon, daß man mit einem strengen experimentellen Setting keineswegs den Wust der Interpretationsprobleme vom Halse hat — im Gegenteil: man hat ihn nur besser versteckt. Jedes Experiment beantwortet eine Frage. Es muß aber nicht die sein, die in der Hypothese formuliert ist (oder nicht nur sie). Jedes Experiment erzeugt Befunde, die höchst problematisch und extrem interpretationsbedürftig sind. Die Naivität steckt in der Annahme: die dem Versuch vorausgesetzte Hypothese sei die Interpretation seiner Ergebnisse. Dabei wissen wir auch bis heute so gut wie nichts darüber, wie der zusätzliche (über die >ethologische< Praxis des Sprechens und Verstehens hinausgehende) »task« des Experimentators in Ablauf und Organisation der Operationen umstrukturierend eingreift, die das >normale< Sprechen ausmachen. Gleichwohl wird man rasch als Nestbeschmutzer hinausgeworfen, wenn man allgemeine und kritische Bemerkungen über die experimentelle Praxis wagt. Der furor experìmenti steigert sich leicht zu einem allgemeinen Denkverbot in dieser Sache. Das ist von der sozialreputativen Logik der experimentellen Wissenschaften her auch verständlich. Wer den Experimentatoren zeigt, daß sie ihre interpretative Basis nur wie eine Leiche im Keller versteckt haben, der kratzt am Lack der höheren Reputation exakter Wissenschaften. Hier soll aber durchaus nicht der Weg zurück zur Spekulation gewiesen werden, Ziel ist vielmehr ein besseres Verständnis der Vermittlungen zwischen Vorverständnis, Theorie, Heuristik, Problemerzeugung und Experiment. Es ist einfach ein Mißverständnis, daß Experimente eine Hypothese bestätigen könnten. Die Hypothese ist eine Interpretation der Ergebnisse des Experiments. Ich kenne aber keinen experimentellen Befund, der nicht eine Vielzahl von Interpretationen zuließe. Wenn es um den Nimbus der harten Tatsachen geht, den die experimentelle Praxis ihren Befunden durch Messen, Zählen und Rechnen gern verleiht, dann lohnt es m.E., an seiner Destruktion mitzuwirken. Nach meiner Überzeugung dient das Experiment der geordneten Erzeugung (nicht aber per se der Lösung) theoretischer Probleme. Es ist ein Schritt auf dem Weg zur Theorie, nicht der Schritt heraus aus der Theorie in eine verifizierende Wirklichkeit^ Es ergänzt, korrigiert und kontrolliert das Vorverständnis vom Gegenstand und dessen Primärbeschreibung.
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Die Liste dessen, was fehlt und vernachlässigt ist im folgenden Text, wäre selbst ein neues Buch. Die Schwerpunktsetzungen (z.B. um den Problemkreis der Nomination, der Grammatikalisierung und des Verstehens) reflektieren keine Urteile über >wichtig< oder >unwichtigOrt< des primären Spracherwerbs liegt eben in der Abstimmung und Koordination des sozialen Verhaltens. Das Sprechen steht insofern unter den menschlichen Handlungen, als mit seinen Mitteln andere als sprachliche Handlungen ausgelöst, ausgerichtet und gesteuert weiden können. Und das gilt nicht nur für Kinder. Mit dem Imperativ haben nahezu alle Sprachen sogar eine grammatische Form, die auf Handlungsaufforderungen spezialisiert ist. Freilich ist die Funktion der Handlungsauf-
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forderung nicht an (eine) bestimmte grammatische Form gebunden.5 Wenn Sie in der Straßenbahn (1)
Bahnhof
oder beim Metzger (2) ein Pfìind Bratwurst
oder in der Klasse zu einem Schüler (3) Ja bitte!
sagen, so sind all das Aufforderungen zu bestimmten Handlungen. Das soziale >Gelingen< dieser Handlungen ist jeweils von dem Vorliegen bestimmter Bedingungen abhängig, was leicht ersichtlich wird, wenn man die Anlässe der obigen Beispieläußerungen vertauscht (und etwa beim Metzger »Geradeaus« sagt). Man kann an dieser Stelle schon erkennen, was uns noch intensiv beschäftigen wird: daß die Beziehungen zwischen der grammatischen Form von Äußerungen und ihrer Handlungsfunktion alles andere als klar, eindeutig oder auch nur berechenbar sind. Es scheint so, als würden empraktische Äußerungen (so nennt Bühler (1934) Äußerungen, die in praktische Aktionszusammenhänge eingebettet sind, diese steuern und von daher interpretiert werden) gleichsam als Figuren vor einem interaktionalen Grund geäußert und interpretiert. Und es scheint vor allem so, als wäre diese aktionale Figur-Grund-Beziehung die Standard-, Norm- und Ausgangslage des frühkindlichen Sprechens, von der aus die sprachlichen Fortschritte (hin zum >verselbständigten< Sprechhandeln im planenden, erzählenden entwickelnden Sprechen) beurteilt werden müssen: die Ontogenese des Sprechens beinhaltet die allmähliche Emanzipation der Rede und des Sprachverständnisses von den aktionalen und situationalen Stützen, die es anfänglich tragen (Lurija 1982). Der interaktionale Hintergrund des Sprechens wird zunehmend entbehrlich, oder anders gesagt: das Sprechen produziert zunehmend die Bedingungen seiner eigenen Verständlichkeit ebenfalls sprachlich mit. Es rekurriert systematisch auf das geteilte Alltagswissen der Sprachbenutzer und setzt es als allgemeinen Hintergrund seiner selbst voraus. Um zu der wohl prominentesten Handlungstheorie des Sprachgebrauchs (der Searleschen nämlich; vgl. Searle 1971) vorzustoßen, wollen wir unser
In diesem Sinne hat schon Wegener (1885) von der »Imperativischen« Natur aller Sprachmittel und allen Sprechens gesprochen: da wir sprechend unsere Mitmenschen immer zu bestimmten inneren (und oft auch zu bestimmten äußeren) Handlungen auffordern und veranlassen.
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banales Ausgangsbeispiel leicht variieren. Wir postulieren nun zwei erwachsene Menschen, die sich auf der Straße begegnen, und der eine sagt: (4) Hätten Sie wohl die Freundlichkeit, mich ein wenig auf den Ann zu nehmen?
Wir mericen nun gleich, daß der geäußerte Satz jetzt grammatisch untadelig ist und daß er die eindeutige Form einer höflichen Bitte hat Gleichwohl bleiben Zweifel über den Aktionssinn. Aus unserer Lebenserfahrung wissen wir, daß Erwachsene sich nicht auf den Arm nehmen »lassen« (und daß Handlungen, die man übertragen mit »jemanden auf den Arm nehmen« bezeichnet, keinesfalls gewöhnlicherweise erbeten, sondern in der Regel mit leichtem Vorwurf zurückgewiesen werden). Für Searles (1971) Sprechakttheorie handelt ein Sprecher gleichzeitig auf verschiedenen Ebenen: er äußert sprachliche Ausdrücke, bezieht sich mit ihnen auf außersprachliche Sachverhalte (Referenzakt), prädiziert von diesen etwas (Prädikationsakt) und schließt Referenz- und Prädikationsakte zu propositionalen Handlungen zusammen, deren grammatisches Strukturäquivalent gewöhnlich Sätze sind. Und (das ist die entscheidende Ebene) mit der regelgeleiteten Äußerung von Sätzen kann der Sprecher, wenn er bestimmte allgemeine und besondere Glückens- oder Erfolgsbedingungen berücksichtigt, sog. illokutive Akte vollziehen. Mit einer Äußerung vom Typ (4) vollzieht man gewöhnlich den illokutiven Akt des »Bittens«, mit einer Äußerung wie (5) Morgen werde ich bestimmt Deinen Rasen mähen
vollzieht man den illokutiven Akt des »Versprechens« etc. Wir können jetzt etwas genauer sagen, warum (4) in der gegebenen Situation illokutiv problematisch ist: der Hörer kann, obwohl die sprachliche Form der Bitte realisiert ist, nur Handlungen identifizieren, die in der gegebenen Sozialbeziehung nicht erbeten weiden dürfen. Searles Handlungstheorie hat eine reiche Forschung ausgelöst, aber auch viel Kritik auf sich gezogen. Nicht immer sind im sprachlichen Verkehr die Handlungsbedeutungen der geäußerten Sätze so klar mit den Formen verbunden (bzw. überhaupt so klar) wie in den Buchbeispielen. Oft werden Sprecher und Hörer der gleichen Äußerung ganz verschiedenen Handlungssinn zuschreiben und je weniger festgelegt ein grammatisches Satzformat für Handlungssinn ist (der Imperativ ist sehr festgelegt für Aufforderung, der Aussagesatz kommt in allen illokutiven Sätteln vor), desto schwerer fällt die nichttriviale Zuordnung einer Illokution zu bestimmten Äußerungsvorkommen. Wer Alltagsgespräche analysiert, der stellt auch rasch fest, daß die reinliche Gliederung des Gesprochenen in individuelle Akte mit den Kooperationszwängen und sozialen Schematisierungen des Sprechens kaum zu verein-
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baren ist. Die Mehrzahl der Gesprächsbeiträge läßt sich eher als »Zug« in einem sozialen Schema denn als individueller Akt zurechnen. In der gesamten Sprechökonomie einer Gesellschaft sind es eher glückliche Inseln, an denen angebbare institutionelle Bedingungen und angebbare sprachliche Eigenschaften von Sätzen zu fest typisierten »ülokutionen« sich verbinden. Zum Alltagswissen der Sprachbenutzer gehört auch, daß beim Handlungssinn einer Äußerung der jew. Hörer ein gewichtiges Wort mitredet. Ob eine Äußerung eine »Beleidigung«, ein »Vorwurf« oder nur eine schlichte »Feststellung« ist, das muß oft genug erst sozial ausgehandelt werden. Die Verteilung von Definitionsmacht ist selbst ein soziales Faktum, das in der Sprechakttheorie einfach neutralisiert und ausgeschaltet wird. Man muß nicht Konversation bei Hofe studieren, um zu wissen, daß ein vordergründiges Kompliment oder eine Schmeichelei gleichzeitig eine tödliche Beleidigung transportieren kann (vgl. zu diesem Komplex auch Knobloch 1988). Dennoch hat die Sprechakttheorie einen wichtigen Punkt getroffen und theoretisiert. Es ist aber nicht der, den sie angezielt hat. Ihre Ebene ist nämlich der Handlungssinn, der sozial so weit zu Anhaltspunkten auskristallisiert ist, daß er als Sprecherabsicht gleichsam offiziell personal dem Sprecher zugerechnet weiden kann. Anders gesagt: wenn Sie mit einer Schmeichelei jemanden beleidigen wollen, dann müssen Sie so formulieren, daß nur die Schmeichelei auf der Ebene einer persönlich zurechenbaren Absicht in Ihrer Äußerung indiziert ist, nicht die Beleidigung. Sonst nämlich wird der Adressat Sie zum Duell fordern. Auch gibt es Gesprächsschemata mit so viel >SelbstlaufGesicht zu wahrenWerkzeugs< das, was man mit ihm machen kann, aber doch nur auf eine sehr allgemeine Weise. Es macht einen großen Unterschied, ob man von einer Theorie der sozialen Interaktion oder des sozialen Austausches an das Sprechen herangeht (wie etwa Bourdieu 1990) oder ob man von der Organisation der Sprachen her das Sprechhandeln untersucht (diese Probleme werden uns begleiten, so daß ich sie vorerst nur grob skizziere). Das Universum der sozialen Handlungen, die in sprachlichen Formen ablaufen, ist ungleich reicher und vielfältiger als das Form- und Strukturrepertoire der Sprachen. Wenn man mit diesem letzteren beginnt (wie es die linguistische Pragmatik tut), dann kommt man zu den >HandlungstypenDiskurs< utopisch besetzt bzw. überhöht. Die linguistische Pragmatik blendet diese Fragen mehrheitlich aus. Anders und etwas freundlicher formuliert: Sie unterstellt im allgemeinen die institutionelle Gleichheit ihrer Sprecher und formuliert die Bedingungen sprachlichen Handelns so weit und so gut, wie das von den sprachlichen Formen her möglich ist. Die Sprache selbst (das ist die Kehrseite des soziologischen Befundes) ist durchaus indifferent gegenüber den Tatsachen der Gesellschaftsordnung. Natürlich nur die Sprache (als ein System von Darstellungstechniken), nicht das Sprechen, das (wie jeder weiß) den Machtund Statusdifferenzen in praxi allenthalben Ausdruck gibt. Auch lemen wir soziale Ordnung praktisch recht weitgehend über die Differenzierung des Sprachverhaltens, und so scheint uns (und vielen Philosophen) auf den ersten Blick die soziale Ordnung etwas zutiefst Sprachliches zu sein. Nolens volens hat jedes tatsächliche (d.i. hier: nichtmonologische) Sprechen die aktionale Komponente, daß es gleichzeitig die Anknüpfung (Neudefinition oder Reaktualisierung) einer sozialen Beziehung zwischen Sprecher und Angesprochenem ist. Es ist dies eine zwangsläufige aktionale Kom-
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ponente jeden Sprechens und gleichzeitig ein Beispiel dafür, daß gerade die allgemeinen Bedingungen der Kommunikation nicht konsistent strukturell repräsentiert sind. Das verbale Anknüpfen sozialer Beziehungen unterliegt sehr diffizilen rituellen Ordnungen in der Ebene des Sprechens (man denke an Begrüßungsrituale mit ihren unzähligen Optionen für den Ausdruck von Nähe und Distanz). Aber mit der Einleitungsphase der sozialen Beziehung ist es keineswegs getan. Wir alle haben ein sehr hochorganisiertes (und gleichwohl kaum bewußtes) »Wissen«6 über das, was verbal zulässig oder normgerecht ist in einer best. Sozialbeziehung, und auf Verletzungen dieser Ordnung reagieren wir sehr empfindlich (viel empfindlicher als auf kleine grammatische Entgleisungen). Wen man um was bitten kann, wem man was erzählen kann, soll oder gar muß, wann man eine Antwort auf eine Frage verweigern kann, wem gegenüber der Ausdruck von Affekten gestattet bzw. geboten ist — all das sind Dinge, mit denen man die Pointe der Soziologen illustrieren kann: daß jedes Sprechen eine Sozialbeziehung aktualisiert, die für »Handlungen« dann den entscheidenden Rahmen abgibt. Vielfach besteht die vorherrschende oder wahrgenommene Realität solcher sozialer Beziehungen aber auch nur in den sprachlichen Interaktionsformen, in denen sie >ausgeführt< werden. Insofern bleibt ihre soziale Realität immer prekär (und letztlich daran gebunden, daß bei ihrer Mißachtung auch nichtsprachliche Sanktionsmittel zur Verfügung stehen: Staatsgewalt, Wirtschaftsmacht, Definitionsmacht mit sozialen Folgen in weniger gravierenden Fällen etc.). Mit Bourdieu zu sprechen: symbolische Ordnungen wie die des Sprechens sind in ihrem Bestand und ihrer Stabilität sehr weitgehend davon abhängig, daß sie von den Akteuren (nicht unbedingt explizit, aber in praxi) anerkannt werden. Erzwungen werden kann ihre Anerkennung nur mit Mitteln, die selbst weit mehr als >nur< symbolisch sind. Es besteht zwar kein Zweifel, daß bei der psychischen Organisation und Steuerung des Sprechens (und Verstehens) die oben umrissenen sozialen Faktoren eine erhebliche Rolle spielen, und zwar in allen Ebenen: von der bewußten, absichtsgetragenen Sprechplanung bis herunter zu den Routinen und Automatismen des Sprecherwechsels, der Themeninitiierung und -ratifizierung, der Wort- und Schemawahl. Wie indessen diese Steuerungen wirken, darüber wissen wir so gut wie nichts. Wir können Normen, Strategien und Techniken des verbalen Handelns aus der Beobachtung heraus empirisch beschreiben, aber keiner von uns weiß, wie das, was wir mangels besserer Namen als »Absicht« oder »Intention« bezeichnen, in einen tatsächlichen verbalen Äußerungsakt »umgesetzt« wird (wenn das überhaupt ein angemessenes Bild für das ist, was beim Sprechen vonstattengeht). Das HilfsSchwierigkeiten mit dem Charakter von »Wissen« werden wir noch oft haben!
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weise (bzw. Hilflose) und Metaphorische an allen einschlägigen Modellen und Theorien kann man sich nicht nachdrücklich genug klarmachen. Die sprachsoziologische Frage lautet: Was kommandieren die Zeichen und Symbole des Sprechverkehrs in actu? Die sprachpsychologische Frage lautet dagegen: Wie kommandieren die Sprecher sprechend die Zeichen und Symbole der Sprache? In der Sache gibt es gewiß ein Kontinuum mit fließenden Übergängen. Was wechselt, ist allein die wissenschaftliche Zurechnung. Die erfolgt soziologisch auf das Kommunikationsgeschehen selbst, als einen von den jew. Sprechern abgesetzten Zusammenhang, und sie erfolgt psychologisch auf die Person, auf das Fähigkeitssystem des Sprechenden. Gewiß läuft einiges an Steuerung über eine Arbeitsrepräsentation der jeweils akuten äußeren Bedingungen des Sprechens. Vor einem Hörsaal oder einem geöffneten Mikrophon unterliegt das Sprechen anderen Steuerungen als beim informellen Austausch zwischen Freunden. Aber der einzige Satz von Steuerungen, der einigermaßen homogen und gleichmäßig in allen Sprechvorgängen wirkt, das sind die sprachlichen Steuerungen selbst. Das heißt freilich nicht, daß man bei diesen einigermaßen wüßte, wie sie angreifen und funktionieren. Aber es gibt eine lange Tradition der Modellbildung über den Zusammenhang von Sprachstruktur und Sprechprozeß. Es wird also in den folgenden Kapiteln um die Frage gehen, ob es Teilhandlungen und Funktionen des Sprechens gibt, die sich auf die Strukturformate der Morphologie, der Syntax, des Lexikons in einer Weise beziehen lassen, die beides verständlicher macht: den aktionalen Aufbau des Sprechens und die Strukturmittel, über die das Gesprochene mitorganisiert wird. Zu diesem Zweck müssen wir davon absehen, daß jedes Sprechen z.B. eben auch soziale Beziehungen aktualisiert und realisiert, daß es den Status des Sprechers mitdarstellt und vieles andere mehr. Wider besseres Wissen machen wir die Annahme, das Sprechen sei eine Aktivitätsform eigenen Rechts (de facto steht es fast allen Aktivitätsformen als Werkzeug und Medium zur Verfügung und wirkt gerade aus dieser Indifferenz gegenüber bestimmten Tätigkeiten heraus eigenständig). Wir werden sehen, daß uns die Tatsachen wenigstens in dem Punkt rechtgeben (indem sie unsere Idealisierung als verständig bestätigen), daß die Verselbständigung des Sprechens als Sprechtätigkeit, seine allmähliche Emanzipation von der (instrumentellen und medialen) Einbettung in andere Handlungen, ein wesentliches Kennzeichen des Spracherwerbs ist. Ein Blick ins Kinderzimmer belehrt darüber, daß das Sprechen der Vorschulkinder derart mit ihrem gesamten Aktivitätsprozeß verwoben ist, daß die Abtrennung eines »sprachlichen« Trakts aus der Gesamttätigkeit nur einen inhomogenen und an sich unverständlichen Wortsalat ergibt Für die Spracherwerbsforscher ist diese Schwierigkeit sehr real, können sie sich doch (obwohl gerade das viele tun) nie auf verbales Material allein stützen, wenn sie von
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»Semantik« handeln. Die Disziplinierung des Sprechens bis zu dem (für uns selbstverständlichen) Punkt, daß Kinder beispielsweise eine erlebte Geschichte so exponieren, anordnen und durchgestalten, daß sie auch für einen verständlich ist, der nicht dabei war, ist weithin erst ein Ergebnis von Unterricht und Schriftsprache. Auch kann man schon hier am Rande vermerken, daß es eine ganze Palette von sozialen Aktionsformen gibt, die überhaupt erst zugänglich wird durch die Beherrschung des Sprachmediums (was aber natürlich nicht heißt, daß sie in den terms der Sprache beschrieben oder verstanden werden könnte, s.o.). Man kann sich aber das Verhältnis des Sprechens zu anderen Formen des sozialen Handelns so vorstellen, daß der sympraktische Modus des Einschaltens verbaler >Zusatzorientierungen< am einen Ende des Kontinuums liegt, während am anderen Ende Tätigkeitsformen liegen, deren wesentliche Parameter zur Binnenlogik der verbalen Darstellung gehören, anders gesagt: die ganz im Medium der verbalen Darstellung organisiert sind: Erzählen, Argumentieren, einen Brief schreiben etc. Aber (und das darf man nicht vergessen, auch wenn wir es weiter nicht berücksichtigen werden) auch die rein verbalen Formen dienen als Vehikel diverser sozialer Beziehungen. Argumentationen von Politikern im Wahlkampf, von Wissenschaftlern gegenüber Experten und Laien, gegenüber Freunden zur Rechtfertigung von Handlungen etc. haben neben den allgemeinen Maximen fürs Argumentieren noch eine je eigene Beziehungslogik. In jedem Falle scheint aber für die Sprachbenutzer auch das Verstehen der sozialen Beziehung an den Sprachformen zu haften, scheint ein Aspekt der Sprachkenntnis zu sein. Denn allenthalben führt beim Sprechen der Weg von der Bedeutung der sprachlichen Formen zu den nicht- und außersprachlichen Aspekten der Kommunikation. Daran wird zu denken sein. Was das sprachliche Handeln vor anderen Formen der Aktivität auszeichnet, ist zunächst der Umstand, daß es über geteilte >eigensinnige< Symbole und Darstellungsschemata läuft und seinen weiteren Erfolg als Handlung an die allgemeine Voraussetzung des Verstehens der Darstellung bindet (vgl. hierzu Kap. 11). Selbstverständlich gibt es auch ein Handlungsverstehen, und manches kooperative Schema läuft auch ohne verbale Phasen einigermaßen koordiniert ab. Der Verkehrspolizist auf der Kreuzung versieht sein Geschäft mit konventionalisierten Armbewegungen, und um die Aktionsfolge »Banküberfall« in Gang zu setzen, ist eine Pistole viel effizienter als viele Worte. Viele Verhaltensweisen haben die Eigenschaft, ihren Handlungssinn allgemeinverständlich mitdarzustellen, aber Sprechhandlungen stellen auch etwas dar, was sie selbst nicht sind. Was ich gestern getan habe, kann ich verbal verfügbar machen, ohne daß ich etwa meine Handlungen pantomimisch andeuten oder wiederholen müßte.
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>Eigensinnig< ist das Sprechhandeln auch dann, daß die Sprache ihre eigenen Regularitäten auf allen Ebenen des Sprechprodukts zur Geltung bringt: phonologisch, morphologisch, syntaktisch, lexikalisch semantisch und satzsemantisch. Neben den aus der sozialen Beziehung herrührenden Anforderungen an das Sprechen und das Gesprochene steht ein ganzes System von Anforderungen, die wir »der« Sprache zurechnen und im allgemeinen mehr oder weniger gut erfüllen, ohne uns dabei viel zu denken und ohne viel Aufmerksamkeit darauf zu verwenden. Auch wenn es natürlich den sehr bewußt gewählten Ausdruck und die feinsinnig überlegte Satzkonstruktion gibt, so sind doch beim unbeschwerten Sprechen der Muttersprache Grammatikalisierung und Wortwahl weitgehend »automatisch«. Was das heißt, wird uns noch im Detail beschäftigen. In der linguistisch geprägten Sprachpsychologie ist man meist von »der Sprache« (langue) als einem Regelsystem ausgegangen und hat das Sprechen (parole) als Umsetzung, Aktualisierung, Verwendung dieses Regelsystems verstanden wissen wollen. Der allgemein anerkannte abstrakte, virtuelle und sozial-normative Charakter der Sprache erzeugt das Sprechen als sein Gegenteil: als konkrete, reale und individuelle Handlung (parole), die auch nichtsprachlichen Determinationen unterliegt. Daher ist immer wieder als Ergänzung der langue-Linguistik eine Linguistik des Sprechens, der parole, gefordert (und auch partiell realisiert) worden.7 Dabei muß man dann, aus dem Verständnis und aus dem (vermeintlichen) Primat der Sprache (langue) heraus deren Einheiten und Schemata fallweise »aktualisieren« (Bally) oder instantiieren. Es spricht aber einiges dafür, daß man mit dieser Optik allein nicht zu einer vernünftigen Theorie des Sprechens kommen kann. Drei Argumente scheinen mir wichtig zu sein: 1. Es sind nicht die abstrakten Einheiten der Sprache selbst, die beim Sprechen »aktualisiert« wenden; wir »aktualisieren« vielmehr mit Hilfe dieser Einheiten und Schemata das jeweils »Gemeinte«, das im Verweisungsraum der Rede liegt und ergo selbst außersprachlich ist 2. Das Verhältnis von abstrakt-struktureller Ordnung und tatsächlicher Sprechhandlung kann mit besserem Recht umgekehrt werden, so daß nicht das Sprechen als »subjektive Seite< der Sprache erscheint, sondern (in der Formulierung Coserius) umgekehrt die Sprache als das historisch-objektive Moment des Sprechens. Anders gesagt: das Sprechen »realisiert« nicht die Sprache, sondern die Sprache »erscheint« im Sprechen (und nur im Sprechen) als eine von dessen Ordnungen. Was Linguisten als »die Sprache« hypo-
Am interessantesten vermutlich von Bally (1965 [1932]), dessen Arbeiten leider im Schatten des Meisters Saussure nicht so bekannt geworden sind, wie sie es eigentlich verdienten; vgl. zu diesem Komplex Coseriu (1988:33ff), Knobloch (1988a).
29 stasieren, das sind für den Sprecher die objektivierbaren Techniken des Sprechens. 3. Die Frage nach der aktíonalen Realisierung der Sprachstrukturen verbindet unvermittelt zwei inkompatible Größen. Sprachstrukturen werden den Sprechprodukten, den fertig vorliegenden Sätzen, Texten abgelesen. Das heißt aber nicht, daß die >gleichen< Strukturen auch in der Hervorbringung der Sätze und Texte eine Rolle spielen. Was strukturell fein gegliedert zu sein scheint, kann prozessual eine pauschale Routine sein und umgekehrt. Sprachpsychologisch könnte es sinnvoller sein, nach den Restriktionen zu fragen, die von der Prozeßlogik des Sprechens ausgehen. Vielleicht besteht ja ein Vorzug der multiplen Strukturierung natürlicher Sprachen darin, daß nur so die >Abbildungsverhältnisse< zwischen Strukturen und Prozessen hochvariabel gehalten werden können. Lernbarkeit, Automatisierbarkeit, spontane Generalisierung, Plastizität der Darstellungsleistung sind Eigenschaften, die zur Prozeßlogik des Sprechens gehören. Restringieren sie die Formate möglicher Sprachstrukturen? Aus der Frage nach der »Realisierung« oder »Aktualisierung« sprachstruktureller (morphologischer, syntaktischer, semantischer) Ordnungsvorgaben im Sprechen machen wir durch Perspektivenwechsel eine ganz andere Frage: Wie gelingt es dem Sprechen, die vorgefundenen Muster und Einheiten der Sprache so in sich einzubauen, daß mit ihrer Hilfe ein differenzierter Apparat von sprachlichen Teilhandlungen aufgebaut werden kann? Wir vermuten, daß den Strukturen der Sprache(n) nicht en détail, aber insgesamt ein Ensemble von Teilhandlungen und Dimensionen des Sprechens korrespondiert. 8 Das ist durchaus kein Angriff auf die Autonomie der Sprachstruktur gegenüber dem Sprechen, im Gegenteil. Nur weil die strukturellen Ordnungen autonome Verkörperungen der Teilhandlungen des Sprechens sind, muß das Sprechen sie unweigerlich aufbauen und ausführen, wenn es »richtig« vonstattengeht. Die Sprachrichtigkeit, die die Welt der Grammatiker bildet, ist der direkte Reflex dieser Autonomie. Nur ein System mit Binnenkriterien für zugelassene Einheiten und Operationssequenzen ist hinreichend abgesetzt gegen die Kontingenzen des Einzelfalls und aus sich heraus lernbar. Das ändert aber nichts daran, daß es aus dem Gebrauch heraus verstanden werden muß, den die Sprecher von ihm machen. Systemtheoretisch gesprochen ist die Autonomie ein Reflex der notwendig selbstreferentiellen Systembildung. Nur in und mit den selbstproduzierten Einheiten und Operationen kann Systematik aufgebaut werden. Die aber ist kein Selbstzweck, kein Glasperlenspiel. Mit ihrer Hilfe werden die Welten
Wie es der funküonalistischen Tradition in Linguistik und Sprachpsychologie vorschwebt; vgl. Seiler u.a. (1978(1), Coseriu (1988), BOhler (1934).
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und Umwelten des Sprechens, die Diskurse, aufgebaut. Nur für den Grammatiker endet das Sprechen bei der Autonomie der Sprache. Sprechhandlungen leben davon, daß in ihrem Vollzug die Autonomie zugunsten dessen verschwindet, was kommunikativ >erreicht< weiden kann. Pragmatisch bestimmt Schlieben-Lange (1983) die wesentlichen Dimensionen des Sprechens als »Referentialisierung« und »Alterisierung«. Das Sprechen muß Gegenstände und Sachverhalte des sozial geteilten Wissens erreichen und aufbauen können, und es muß im gleichen Zuge die soziale Beziehung zwischen Sprecher und Hörer entwerfen und in Rechnung stellen. Diese beiden Dimensionen des Sprechens als Handeln sind heteronom gegenüber der Autonomie des Sprachsystems, und das ganz unabhängig davon, ob man die Diskurswelten der sprachlichen Kommunikation als externe Ermöglichungszusammenhänge oder als bloße Projektionen des Sprechens ansieht. Für den Sprachlerner kommt das ohnehin auf das gleiche hinaus. Was er vorfindet, das ist der System-Umwelt-Zusammenhang der kommunikativen Praxis. Von diesem Zusammenhang ausgehend muß er sich nach beiden Seiten vorarbeiten: zum autonomen System der Mittel und zu den Umfeldern seiner Verwendung. Wesentlich feinkörniger ist das System aktionaler Dimensionen, Programme und Operationen, das Seilers UNITYP-Gruppe zu Zwecken der vergleichenden Universalienforschung entworfen und erprobt hat. Bearbeitet sind z.B. die Dimensionen der Apprehension (sprachliches Erfassen und Konzeptualisieren von Gegenständen), der Partizipation (sprachliches Erfassen von Sachverhalten), der Determination und der Possession.9 Feinkörniger ist dieses Programm insofern, als es die Teilhandlungen des Sprechens strukturell bis ins morphosyntaktische und kategoriale Detail, aktional bis zu den routinemäßigen Lexikalisierungs- und Grammatikalisierungsoperationen herunterarbeitet Die Dimensionen des Sprechens gelten als universal. Ihnen zugeordnet sind Kontinua von strukturell und kategorial spezifizierten Programmen und Operationen, aus denen die Einzelsprachen unterschiedliche (und einander auch bedingende) Auswahlen treffen. Aktional handelt es sich hier vor allem um die konstitutiven Routineoperationen des Sprechens, die der Sprecher gar nicht mit bestimmten Absichten verbindet. Natürlich kann man Worte, Konstruktionen, gar Morpheme sehr bewußt und auf eine kalkulierte Wirkung hin auswählen, aber gewöhnlich tun wir doch das Gegenteil davon. Die Routinen des Sprechens stehen uns ohne Mühe zur Verfügung, und sie passen sich (geschmeidig oder indifferent) den
Man vergleiche hierzu die Language Universal Series des Narr Verlages, in der die Ergebnisse des UNITYP-Projektes publiziert sind.
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sozial-kommunikativen Zwecken und Verpflichtungen an, die wir sprechend abarbeiten. Es sind genau diese allzeit verfügbaren, in sich geordneten Routineoperationen des Sprechens (und Verstehens), für deren Eigenschaften sich die Sprachpsychologie interessiert. Mit ihrer Hilfe werden die Bezüge des Sprechens indiziert, konzeptualisiert, determiniert, werden Bezugnahmen zu >Sachverhalten< verkettet und zu geordneten Abfolgen organisiert (»reference tracking«) und vieles andere mehr. Wie funktioniert der geordnete Zugriff auf einen Wortvorrat von vielen Tausend Elementen (falls »Wort« die richtige Einheit und »Vorrat« die passende Metapher sein sollte!)? Wie gelingt es dem Sprecher, eine Unzahl elementarer Sprechoperationen im Einklang mit den grammatischen Gebildenormen seiner Sprache zu verknüpfen? Das deskriptive Instrumentarium der »Handlung« reicht von den gewußten und geplanten Aktivitäten des Sprechers bis herunter zu den hochgradig unbewußten, gar nicht bewußtseinsfahigen Routinen der Artikulation. Sprechhandlungen gleichen darin Eisbergen, daß nur ein variabler, aber kleiner Teil von ihnen oberhalb der Bewußtseinsschwelle erfahrbar ist Der weitaus größte Teil bleibt >unter Wasserweil er etwas erreichen will< (Um-zu-Motiv) oder >weil er eine schwere
32 Jugend hatte< (Weil-Motiv). Die >schwere Jugend< wirkt auf sein Handeln, sie kann auch möglicherweise zur Rechtfertigung herangezogen werden, aber sie ist nicht intentionsfähig. Mit diesen Bemerkungen sind wir wohlgemerkt mitten in der alltäglichen Praxis der Zurechnung und nicht in einer wissenschaftlichen Theorie des Handelns. Dennoch läßt sich schon jetzt konstatieren, daß es weiser sein könnte zu sagen: Sprechen wird als Handeln zugerechnet und nicht einfach Sprechen ist eine Form des Handelns.10 Der Handlungssinn des Sprechens ist notorisch prekär und bedarf der sozialen Aushandlung. Auch darum scheitert jedes Sprechhandlungsmodell, das allein die (konventionellen) Intentionen des Sprechers als Quelle des Handlungssinnes anerkennt (hierzu Knobloch 1988) oder eben diesen Handlungssinn als eine konstante, feste Größe behandelt. Max Webers klassische Definition des sozialen Handelns, wonach dieses 1. dem subjektiv gemeinten Sinn des Handelnden nach auf das Verhalten anderer bezogen, 2. durch diese seine sinnhafte Bezogenheit in seinem Verlauf mitbestimmt und also 3. aus diesem (subjektiv) gemeinten Sinn heraus verständlich erklärbar ist (Weber 1973:99)
trifft auf den ersten Blick für das Sprechen gewiß zu, stellt aber doch wohl zu viel auf die intentionalen Paramter des Handelns. Was diese Definition abgrenzt, das sind jedoch durchaus auch psychologisch zentrale Merkmale des Sprechens. Man könnte geradezu vermuten, das Sprechen habe Weber als prototypisch soziales Handeln bei der Formulierung vorgeschwebt. Als Psychologen haben wir freilich das Recht, elaboriate Intentionen für eine voraussetzungsreiche, späte und unwahrscheinliche Sache zu halten, die den faktischen Wirkungen des Verhaltens nachwächst (und viel einfacher und schematischer bleibt als diese), aber in einem elementaren Sinne gehört das »Gerichtet-Sein« auf andere zur Tiefenarchitektonik des Sprechens. Indessen ruht unser Interesse am anderen Pol der Sache: an den Ordnungen nämlich, die der sprachliche Code den gerichteten Handlungen dauerhaft auferlegt, an den Ordnungen, in denen alle intentionalen (und sonstigen) Parameter des Sprechens abgearbeitet werden müssen. Und an dieser Stelle verschiebt sich das Zurechnungsproblem gegenüber dem alltäglichen Handlungsbegriff ganz entscheidend: Für die Bedeutung der Wörter und Konstruktionen kann der Sprecher nicht verantwortlich gemacht werden. Sie ist eine gesellschaftliche Vorgabe, an die er sich (in den Grenzen system- und normmöglicher Innovation) halten muß. Ein Wort richtig gebrauchen, heißt, es wie die anderen gebrauchen. Selbst die Abweichung braucht Auch in den sprachbezogenen Disziplinen spiegelt sich die Zurechnungsproblematik. Linguisten rechnen »Bedeutung« auf das Sprachsystem zu, Psychologen auf die KonzepUialisierungen des Sprechers, Soziologen auf ein konventionalisieites Handlungssystem.
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den anerkannt normgemäßen Gebrauch als Folie ihrer selbst. Die Sprachpsychologie interessiert sich (paradox gesprochen) für die Parameter und Operationen des Sprechens, die nicht dem Sprecher, sondern der Sprache als einer anonymisierten Instanz zugerechnet werden — um sie dann doch dem Sprecher zuzurechnen. Diese offenkundige Inkongruenz steht am Anfang des sprachpsychologischen Unternehmens: Den Sinn des Gesagten rechnen wir jedem Sprecher als »gemeinten Sinn« zu, wir halten ihn dafür verantwortlich.1! Für das gesamte Material aber, dessen er sich bedient: Lexeme, Konstruktionen, morphosyntaktische Baumuster, Halbfabrikate gilt im Alltag ein völlig anderer Zurechnungsmodus. Sie sind der Disposition des Sprechers entzogen und gehören zur Sprache im Sinne von la langue. Die freilich gibt es auch nicht außerhalb des sprechenden Individuums, werden die Psychologisten erwidern. Denen wiederum fallen gleich die Soziologisten ins Wort mit dem Einwand: Es gibt sie natürlich doch als Gesamtheit der Invarianzen und Restriktionen des Sprechens in der Sprachgemeinschaft, und das ist eine sehr mächtige Realität. Diesen Differenzierungsgewinn aus der alltäglichen Zurechnungspraxis sollte man auch in der Sprachpsychologie nicht ohne Not aufgeben. Er verweist darauf, daß jedes geordnete Sprechen darin unmittelbar sozial ist, daß es extern vergegenständlichte Ordnungen in sich einbaut. Wie sich die Fähigkeit des Klavierspielens nur in Umwelten entwickeln kann, in denen es Klaviere gibt, so gedeiht die Sprachfähigkeit nur in einer sprechenden Umwelt. Psycholinguisten neigen aber dazu, im Inneren des Sprechers nach der fix und fertigen Sprache zu suchen! Möglicherweise ist diese Suche ebenso vergebens wie die Suche nach einem Klavier im Kopf des Klavierspielers. Wir brauchen ein handlungstheoretisches Instrumentarium, das es uns gestattet, den prekären interpersonalen Zurechnungsstatus im Blick zu behalten (ohne daß wir uns in sozialpsychologische Detailanalysen verlieren). Die elementare Intentionalität des Sprechens im Sinne der oben zitierten Definition Webers können wir als Fakt anerkennen, aber wir können nicht mithilfe der jew. bestimmten Intention die Struktur der Handlung >erklärennur< in die Sozialwelt verändernd ein. Es ändert an den Sachen nichts. Es operiert sozusagen auf der Kognition des Verstehenden, und ist daher in mancher Hinsicht riskanter und unsicherer (wie alle symbolischen Intergrationen): Wir wissen nicht, ob der andere uns so versteht, wie wir es »gemeint« haben, und wir wissen auch nicht, ob er auf die Identifikation unserer Absicht so reagieren wird, wie wir es vorwegnehmen. Wir wissen nicht, ob und wie unserer Sprechhandlung in die Erwartungen des Hörers paßt (und ob wir seine Erwartungen richtig erwarten). Das Sprechen muß mit allen Unsicherheiten der Sozialwelt rechnen und bleibt auf das Entgegenkommen der anderen angewiesen. Gleichwohl ist es hochgradig routinisiert, und wir verlassen uns beinahe blind darauf, daß es funktioniert. Ob wir uns dabei selbst etwas vormachen, wie skeptische Kommunikationswissenschaftler immer wieder argwöhnen, tut zunächst nichts zur Sache. In der Ebene der Primärerfahrung erleben wir gleichermaßen problemloses Verstehen, auflösbare und ausweglose Mißverständnisse. Das Nebeneinander dieser Erlebnisse bestätigt vortheoretisch unser prinzipielles Vertrauen in die >Funktionsfähigkeit< der sprachlichen Kommunikation. Um Letztfragen nach der Möglichkeit von Verständigung brauchen wir uns hier nicht zu kümmern. Die Logik der Sozialdimension des Handelns ist in diesem Punkt anders als die Logik der Sachdimension. Es gibt aber auch im Sprechen >sachähnliche< Ordnungen und Vorgaben, eben die Gebilderegeln des sprachlichen Organon selbst, über deren >Eigensinn< der Sinn des Gesprochenen vermittelt wird (Grammatik und Lexikon). Sie sind >technisch< und routinisierbar, liefern die vorfabrizierten Einheiten und Bahnungen, in denen das Sprechen sach- und normgerecht verlaufen kann. Ob den versachlichten Ordnungen und Vorgaben, in denen alle sprachlichen Handlungen verlaufen, auch aktional etwas entspricht, werden wir in den folgenden Kapiteln prüfen. Was wir bestimmen wollen mit Hilfe des skizzierten Handlungskonzeptes, das sind Nahtstellen zwischen strukturellen und aktionalen Formaten der Sprechhandlung. Wenn nicht alles täuscht, dann haben wir damit gleichzeitig die Punkte, mit denen die Linien beginnen, die das Sprechen zum vollen Aktionssinn einer zurechenbaren sprachlichen Handlung bündelt.
2. Einige Teilhandlungen des Sprechens und die Probleme ihrer Isolierung
Hauptthema des folgenden Abschnittes ist eine formlose Darstellung und Analyse einiger elementarer Teilhandlungen, die wir in ausgewachsenen sprachlichen Kommunikationsprozessen nolens volens ausführen. Gedacht ist nicht an eine vollständige Theorie oder eine detaillierte Elaboration von sprachlichen Teilhandlungen. Am Beispiel von Nomination, Prädikation und (kognitiver) Konzeptualisierung soll lediglich gezeigt werden, welche Abgrenzungs- und Bestimmungsprobleme jede weitergehende aktionale Analyse des Sprechens gewärtigen muß. Von ausgewachsenen Sprachkommunikationen sprechen wir deshalb, weil es auch unter aktionalen Gesichtspunkten Untergrenzen für den Einsatz der sprachlichen Techniken gibt. Wer z.B. »Aua!« oder »Mist!« brüllt, weil er mit dem Hammer den Daumen getroffen hat, nimmt dabei auf hörerseitige Kommunikationsbedingungen wenig oder gar keine Rücksicht, und er stellt auch nicht eigentlich etwas dar mit den Mitteln der Sprache. Ein in der Mensa gemurmeltes »Hallo« ist eine rituelle Verpflichtung, die möglicherweise minutiös ausgewertet und vielleicht sogar überinterpretiert wird, aber auch sie stellt nicht eigentlich sprachlich dar. Solche Äußerungen nutzen nicht die spezifischen Darstellungsmöglichkeiten von Lexikon und Grammatik und werden daher für zu leicht befunden. Sie mögen einen Indikation s wert für bestimmte typische Situationen haben, zu denen sie (als möglicherweise definierende Bestandteile) gehören. Aber sie sind keine Repräsentation dieser Situationen im engen Sinne des Wortes. Man sieht indes, daß an der Untergrenze der sprachlichen Verständigung das Herstellen, Anknüpfen oder Aktualisieren einer sozialen Beziehung zwischen Sprecher und Angesprochenem steht. Genuine Monologe (die des Theaters sind natürlich für den Zuschauer und aktualisieren damit auch eine hoch typisierte Beziehung!) können wir vernachlässigen. Sie setzen den Dialog in der Regel voraus. Diejenigen Formen des nichtdialogischen Sprechens, die der Planung, Regulierung und Steuerung des eigenen Verhaltens dienen (und die meist die Form des »inneren Sprechens« haben), vernachlässigen wir einstweilen ebenfalls (vgl. Kap. 12). Kopräsenz allein begründet in unserer
36 Gesellschaft keine soziale Beziehung. Wenn man im Eisenbahnabteil mit den Mitreisenden eine Plauderei anfangen will, dann muß man erkunden, ob diese die Gesprächabsicht zu ratifizieren bereit sind Auf der nächst höheren Stufe nehmen wir an, daß nicht nur eine soziale Beziehung zwischen Sprecher und Hörer hergestellt ist, sondern daß es auch eine augenscheinliche, habituelle oder durch den (sozialen) Ort des Sprechereignisses vorbestimmte Koordinationsaufgabe gibt, die durch den Sprechakt partiell gelöst oder einer Lösung nähergebracht wird. Das ist das sogenannte empraktische Sprechen, das Bühler (1934:154fï) minutiös analysiert hat. Man mag es sich veranschaulichen durch das laufende Ineinandergreifen von sprachlichen und nichtsprachlichen Teilhandlungen bei einer Verkaufstransaktion. Jeder Zug ist hier nur sinnvoll im Hinblick auf das geteilte und vorausgesetzte übergeordnete Koordinationsziel, und es kommt als Aufgabe, die aktional bewältigt werden muß, hinzu: daß der Sprechakt für den Hörer auf das vorausgesetzte Aktionsschema als relevanter Beitrag zu diesem beziehbar sein muß. Das Sprechen ist hier deutlich ein Mittel zum Zweck. Es bewegt ein soziales Gefüge, das selbst alles andere als sprachlicher Natur ist. Mag sein, daß die Gesamtheit aller gesellschaftlichen Tausch- und Marktvorgänge per sprachlichem Handeln abgewickelt wird. Daraus wird keiner folgern, der Warentausch sei eine wesentlich sprachliche Tätigkeit. Wir finden das Sprechen vermittelnd in den Fugen aller sozialen Beziehungen und Systeme. Seine Bedeutung in ihnen (oder umgekehrt die Angewiesenheit der Systeme auf das Sprechen) ist hochvariabel, und das nicht nur quantitativ. Der soziale Gebrauchswert des Sprechens ist im Prinzip unbegrenzt (und sprachpsychologisch gar nicht zu bewältigen). Soziale Zusammenhänge, die ganz oder teilweise sprachlich abgewickelt werden, binden sich an Konditionen von Relevanz und Verständlichkeit. Zu lemen ist aus alledem, daß Sprechen im Kem nicht der Austausch tief-innerlicher Vorstellungen zwischen beziehungslosen Monaden ist. Sprechen findet statt auf der Basis von Beziehungen, die auch anderweitig sozial koordiniert sind, es fängt keineswegs >bei null< an, sondern hat eine Grundlage im stummen Ineinandergreifen unseres Verhaltens in Gemeinschaftshandlungen.12
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Zum Konzept der »Gemeinschaftshandlung« vergleiche man Ungeheuer (1987:34fF und öfter). Vom oben bereits erwähnten Max Weberschen Ausdruck der »sozialen Handlung« unterscheidet er sich dadurch, daß keine intentionale Zurechnung auf ein Individuum vorgenommen wird. Eine Gemeinschaftshandlung ist eher ein Schema, das Sprecher initiieren können, ein System ineinandergreifender Verhaltensweisen. Auch thematisch organisierte Kommunikation ist eine Gemeinschaftshandlung. Ganz ähnlich wie die Beiträge zum empraktischen Sprechen auf die Koordinationsaufgabe beziehbar sein müssen, stiftet dann die Bezichbarkeit auf ein ratifiziertes Thema die Relevanz der Redebeiträge.
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Eine generelle Besonderheit des sprachlichen Handelns besteht darin, daß es seinen »Ort« im Bewußtsein des Hörers hat. Da wird es bündig (oder eben nicht). Es bildet immer einen Versuch, die Bewußtseinsvorgänge des Hörers (oder seine manifesten Handlungen über diese) zu steuern und zu beeinflussen (Wegener 1885), und es bindet dessen Aufmerksamkeit. Um überhaupt ein bestimmtes Handlungsziel im Bewußtsein des Hörers zu erreichen, muß die Handlung zuerst das allgemeine Handlungsziel der Verständigung absichern. Wer eine Aufforderung nicht versteht (weil sie undeutlich, in einer fremden Sprache oder ungenau formuliert ist), der kann sich gar nicht überlegen, ob er ihr nachkommen will oder nicht. Das ist banal und läuft im praktischen Sprechverkehr einfach mit Je weniger aber der praktische und externe Zweck der Verständigung dominiert, der einfach im Weiterlaufen der sozialen Handlung besteht (der problemlose Fortgang der Handlung ist im empraktischen Sprechen das einzige Maß der Verständigung), desto mehr kann das »Verstandenwerden« zu einem eigenständigen und obersten Handlungsziel avancieren. 13 Im laufenden Kapitel handelt es sich zuerst um die Teilhandlungen, die den Hörer mit den Mitteln der Sprache auf >etwas< beziehen oder orientieren. Diese Teilhandlungen nennen wir nominativ. Wenn sie gelingen, dann lenken sie den Hörer mindestens indikativ, meist aber auch konzeptualisierend auf etwas >Gemeintesstelliggleiche Bedeutung< verbinden müssen, ist jedenfalls keine Analyse in diesem Sinne, sondern verhindert sie nur. Wir werden reichlich Gelegenheit haben, auf diese Fragen zurückzukommen, und betrachten einstweilen eine hinreichend triviale, aber mehr als empraktische, nämlich eine erzählende Sprechsituation, in der einer dem anderen >etwas< berichtet, was dieser noch nicht weiß: (2)
Ich hab heute in der Bibliothek den Helmut getroffen. Der hat seinen Job verloren. Kam gerade vom Arbeitsamt und war ganz geknickt. (21) Helmut ist arbeitslos! Ich hab ihn heute getroffen, in der Bibliothek. Da kam er gerade vom Arbeitsamt.
Sichtbar ist auf den ersten Blick, daß in dieser sprachlichen Handlung auf Gegenstände und Sachverhalte Bezug genommen wird. Teils handelt es sich um >GrößenPerson< zu sein braucht). Die Bezugnahme mit »Ich« ist die einzige, die unter praktisch allen Voraussetzungen nicht scheitern kann. »Du« beispielsweise individuiert seinen Bezug bei Anwesenheit mehrerer nur durch zusätzliche Zuwendung, Zeigegeste o.ä., und wer ohne helfenden Kontext und ohne kommunikative Vorbereitung mit »Wir« anfängt, der riskiert die Rückfrage: (3) Wer ist »Wir«?
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Spezifiziert wird durch diesen Typ der Bezugnahme nur eine Rolle im sprechrollendeiktischen System (und implizit gibt es vielleicht in den ersten beiden Personen die Charakterisierung als »sprachfähig«, aber natürlich kann man auch Katzen und Kleinstkinder oder das Schicksal ansprechen). Die Technik der Bezugnahme ist zeigend und unterscheidend. Sie ist grammatisch darin, daß sie mit Hilfe eines geschlossenen Satzes von Optionen erfolgt, die eben lediglich differenziert werden müssen: Alle Bezugnahmen, die nicht als »erste« oder »zweite« Person gekennzeichnet sind, gehören zwangsläufig zur »dritten«.15 Grundsätzlich anders, nämlich wasbestimmt verfährt ein Sprecher, wenn er zur Bezugnahme gewöhnliche Lexeme wie »Hund, Schaffner, Straßenbahn [...]« benutzt. Die charakterisieren das nominatum, indem sie es einer bestimmten Klasse von Gegenständen zuordnen. Wasbestimmte Lexeme aber geben für sich genommen nur typisierte Sachen und Sachverhalte, und damit sie auf définit bekannt Gesetztes verweisen, bedarf es zusätzlicher Techniken. Z.B. Artikelwörter/Determinantien (»Diese Straßenbahn«), Genitivattribute, die das Nominatum zu einem anderen in Beziehung setzen (»Der Hund meiner Eltern«), situierende Angaben (»der Schaffner im letzten Wagen«) etc. Situatives, allgemeines oder diskursives Vorwissen wird grundsätzlich und immer als Ressource der Bezugnahmen verwendet. Oben unter (2) z.B. wird die Annahme gemacht, der Hörer wisse schon, um welche Bibliothek es geht. 16 Jede solche Anweisung auf Vorwissen kann natürlich scheitern, auch die durch Eigennamen (»Welcher Helmut?«), welche im übrigen die individuierende »Als-bekannt-Setzung« schon in ihre Technik integriert haben. Die Bezugnahmen per »Job« und »Arbeitsamt« in obigem Beispiel sind etwas anders. Hier geht es nur um Typisierungen. Der Hörer braucht nicht zu wissen (und er bekommt es auch nicht gesagt), was für einen Job H. verloren hat und ob es das Arbeitsamt Bonn Innenstadt oder welches auch immer war. »Einen Job haben« und »zum Arbeitsamt gehen« sind Instanzen von Handlungsschemata, und diese sind bekannt, so daß hier der Sprecher z.B. den best. Artikel gebrauchen kann, ohne daß der Hörer ein bestimmtes Arbeitsamt identifizieren muß oder soll. Die nominativen Teilhandlungen bilden eine wichtige Schicht im aktionalen Aufbau der Rede. Wir werden sie im 7. Kapitel genauer untersuchen und lassen es daher einstweilen mit den wenigen Bemerkungen bewenden. Klar dürfte aber auch sein, daß eine Kette von unterschiedlichen nominativen Akten 15
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Aus diesem Grunde sagen manche Grammatiker, lexikalische Substantive seien »dritte Person«. Aber eine Klassifizierung nach »Person« ist nur da sinnvoll, wo es mehrere Optionen gibt. Eine Sprache, die nur einen Kasus hat, hat gar keine Kasus. Jedes wasbestimmte Lexem macht darüber hinaus die Vorannahme, der Hörer verfüge über das idenüfikationsrelevante Minimum an Sachwissen, das zur Verwendung des Lexems gehört
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keinen vollgültigen Redebeitrag bildet. Erst wenn diese Nominationen zueinander in bestimmtere Beziehungen gesetzt werden, entstehen die Phänomene, die Grammatiker gewöhnlich mit der Satzform identifizieren und die grammatisch durch Verben und/oder andere »stellige« prädikative Ausdrücke repräsentiert sind (vgl. Seiler & Premper 1991). Mehrstellige Vollverben z.B. verbinden >ihre< Nominationen und ordnen sie zu einer Konstellation, die im Zusammenspiel zwischen der lexikalischen Bedeutung des Verbs, den Nominationen (Argumenten, prädikatenlogisch gesprochen) und bestimmten grammatischen Zeichen (Konstituentenfolge, Kasus, Präpositionen) zustandekommt. Unter aktionalen Gesichtspunkten gibt es auch so etwas wie eine doppelte Gliederung in der Sprache. Dominant nominative Elemente existieren einmal kategorial als Wortklasse (Substantive, einschließlich substantivischer Pronomina) und einmal satzsyntaktisch als Term- oder Argumentposition (typisch: die des Subjekts); ebenso auch die prädikativen Teilhandlungen: kategorial als >stellige< Prädikatswörter und satzsyntaktisch als Strukturposition für Prädikate. Das hält die Technik des Sprechens so beweglich, daß auch (nominalisierte) Sätze oder Prädikatswörter in Term- bzw. Argumentpositionen schlüpfen können und vice versa (vgl. Lehmann 1982a). Auch Sätze haben einen nominativen Aspekt, der bisweilen als Proposition oder als Ereignisnomination bezeichnet wird: Außer der Prädikation über dem syntaktisch ausgerückten Subjektsterm enthält ein Satz wie (4)
Karl schenkt Otto ein Buch
noch so etwas wie die Bezeichnung eines komplexen Ereignisses oder Sachverhalts, die beim Sprechen auf ganz verschiedene Weisen kommunikativ aktualisiert werden kann. In der herkömmlichen grammatischen Satzanalyse verbinden sich immer nominative und kommunikative Gliederungsgesichtspunkte, die in der Tat auch beide in der Satzstruktur vergegenständlicht sind. Auch darauf wird (in den Kap. 5 und 6) zurückzukommen sein. Nicht leicht zu fassen ist die Tatsache, daß alle sprachlichen Teilhandlungen, was immer sie sonst noch sein mögen, auch kognitive Konzeptualisierungen für den Hörer sind. Viel Gewicht sollte man dabei auf die Phrase »für den Hörer« legen. Alles Sprechen involviert »Alterisierung« (Schlieben-Lange 1983). Daß Sprechen eine >kognitive< Aktivität ist, bleibt ein Gemeinplatz, aber jede Feststellung, die weiter geht, ist kaum noch konsensfähig unter Sprachpsychologen. M.E. liegt die Quelle der meisten Ungereimtheiten hier in dem Umstand, daß Mehrfachbezüge nicht sauber getrennt werden. Einmal sind die verwendeten Sprachzeichen selbst qua Repräsentations- und Darstellungsfunktion kognitive Einheiten. Sie haben einen Eigenwert oder eine Eigenbedeutung, mit deren Hilfe sie ihr Darstellungsgeschäft abwickeln. Beim
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jeweiligen Sprechen kommt aber hinzu, daß die fallweise verwendeten Sprachzeichen auch für einen Komplex von kognitiven Schematisierungen stehen, der nicht mit ihrer Eigenbedeutung identisch ist, sondern von dieser eben nur fallweise für die Kommunikation mitorganisiert wird. In diesem Sinne sind die Sprachzeichen nicht nur kognitive Einheiten, sie repräsentieren in actu andere kognitive Einheiten. Und diese beiden Ebenen — das ist die Pointe unserer Ausführungen — sind nicht nach den gleichen Gesichtspunkten geordnet. Für die repräsentierende Seite des sprachlichen Darstellungszusammenhangs gelten die bekannten Möglichkeiten der strukturellen Segmentierung nach Phonemen, Morphemen, (Rede-)Wörtern, Syntagmen. Für die repräsentierte Seite, für den sprachlich vermittelten und organisierten Sinn, gelten sie nicht. Hier gibt es vielmehr alle denkbaren Formen und Formate der Zuordnung in actu: von der globalen Symbolisierung durch einfache oder strukturell komplexe Darstellungsmittel über partielle Kompositionalität (bei der ein Teil der Gliederungen des Repräsentierten strukturellen Einschnitten in der Ebene des Repräsentierten entspricht) bis hin zur vollen Kompositionalität der Symbolverarbeitungstheorie. 17 Deren Dogmen geraten in letzter Zeit zunehmend unter Beschüß. Es sind namentlich Psychologen und Kommunikationswissen schaftler, die ihre Dekonstruktion besorgen. Feilke (im Druck) zeigt, daß die common sense-Kompetenz der Sprecher global mit den Routinen des Sprechens verbunden ist, daß die Fähigkeit zur angemessenen Verwendung sprachlicher Wendungen vom alltäglichen Weltwissen der Sprachbenutzer nicht als »Sprachkompetenz« säuberlich abgetrennt werden kann. Scheerer (1993 a,b) hält das wirklich kompositionsfähige und semantisch relativ stabile Symbol eher für einen Abkömmling der Schrift mit ihrer optisch gesicherten (und jederzeit separat adressierbaren) Dauer und ihrer höheren Vergegenständlichung. Das Sprechen hingegen hält er nach seinem Darstellungwert für viel variabler und ergo besser darstellbar mit den variablen »Korngrößen« subsymbolischer Repräsentation (wie sie den Theoretikern konnektionistischer Netzwerke vorschweben). Statt bis ins Feinste geordneter Entsprechungen zwischen der Struktur der Darstellung und der Struktur des Dargestellten könnte es im Sprechen eher Verhältnisse der einfachen Kovarianz (Scheerer 1993a:34) und der sozial-kognitiven »Komplexergänzung« (Otto Selz) zwischen Sinn und Formulierung geben. Nehmen wir zur Illustration des Problems einen relativ unstrittigen Fall, eine Redensart wie Nach dem Ideal der letzteren (auch Frege-Prinzip geheißen, nach dem großen SprachLogiker) ist der Sinn strukturell komplexer Symbolanordnungen ein berechenbares Produkt der Zusammensetzung einfacher Symbole mit relativ stabilem Eigenweit.
42 (S) Das hältste im Kopp nich aus!
Wer partout möchte, der kann in dieser Äußerung eine (klitische) Bezugnahme auf den Angesprochenen und gar eine (pertinente) auf dessen Kopf ausmachen. Zum phraseologischen Sinn der Redensart führt aber keine denkbare Kombination der aktionalen oder semantischen Elemente, in die sie ausdrucksseitig dekomponiert werden kann. Vielmehr muß man anerkennen, daß es einen Typ von (ärgerlich-erwartungswidriger) Situation gibt, der von solchen Äußerungen verbal kommentiert und komplettiert wird. Die nicht-kompositionelle Pointe dieses Beispiels liegt darin, daß ähnlich pauschale Bezüge auch in der engeren Sphäre der sprachlichen Darstellung keine Seltenheit sind. Hernach müßte also das strikte Kompositionalitätsprinzip für die Zwecke der Sprachpsychologie wenigstens modifiziert werden: Die strukturellen Einheiten (bis herunter zum Morphem und zum Phonem) sind Einheiten der prinzipiellen (nicht der fallweisen) Dckomponierbarkeit von semantischen Sinneffekten. Die kompositorischen Bausteine des Sprechens, der sprachlichen Darstellung, haben dagegen variable, strukturell nicht fixierte Formate. Diese Erkenntnis bedroht wohlgemerkt emsthaft das ganze Unternehmen einer aktionalen Analyse des Sprechens, insofern diese nämlich von einem (relativ) konstanten Beitrag struktureller Vorgaben zu den Teilhandlungen des Sprechens ausgeht. Wenn aber Kompositionalität für das Sprechen nur begrenzt oder gar nicht angenommen werden kann, dann ist der Beitrag sprachsystemischer Strukturvorgaben ebenfalls variabel und grundsätzlich nicht vorhersagbar. Dieser Einwand ist sehr emstzunehmen. Man entschärft ihn ein wenig mit der Hypothese, daß die (semantischen) Strukturelemente, bis zu denen dekomponiert werden kann, grundsätzlich auch für Kompositionszwecke zur Verfügung stehen können, und dann, je nach Feldpotential, einen oder mehrere prototypische Aktions- bzw. Operationswerte haben. Man wäre dann jedenfalls nicht genötigt, immer den gleichen oder gleichartigen Beitrag zum Gesamtsinn zu unterstellen, wenn man auf ein bestimmtes Struktursegment (Syntagma, Wort, Morphem, grammatisches Zeichen) stößt. Vielleicht kann man sich das Verhältnis des Sprechens zu seinen darstellungstechnischen Teilhandlungen hilfsweise vorstellen wie eine Projektion oder eine variabel geordnete Figur-Grund-Beziehung, bei der die strukturellen Einheiten aktional auf- oder abgeblendet, auch unterschiedlich schattiert sein können. Festgelegt sind die kleinstmöglichen, nicht aber die fallweise wirklich aktiven Einheiten des Darstellungsverhältnisses. Daraus folgt, daß es einen beträchtlichen Unterschied macht, ob man die darstellungstechnischen Struktureinheiten des Sprachsystems als »kognitive« Einheiten untersucht oder aber deren fallweise Konzeptualisierungsleistung in
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der Rede. Beide Ordnungen kommen nicht zur Deckung, und es besteht die Gefahr, mit der pauschalen Gleichsetzung von »Sprache« und »Kognition« eine sprachpsychologisch entscheidende Differenzierung zu verlieren. Phänologisch scheinen uns die wasbestimmten Konzeptualisierungen des Lexikons teils als >natürliche< Bezeichnungen den Erfahrungsgegenständen unserer Umwelt zuzugehören: Was ich da sehe, »ist« eine Katze, ein Tisch, ein Baum usw.; teils stehen sie für typisierte Formen und Bestände unseres Wissens, das wir im gesellschaftlichen Leben angesammelt haben.18 »Nur der Gebrauch autosemantischer Wörter hängt mit dem Bewußtsein ihres Sinnes zusammen«, schreibt Kaznelson (1974:140). Der Sprecher kann diesen Sinn angeben, paraphrasieren, exemplifizieren. Ganz anders verhält es sich mit den kategorialen und grammatischen Eigenschaften der Rede, die nach dieser Seite für den Sprecher >keinen Sinn habenWie soll ich wissen, was er meint, ich sehe ja nur seine ZeichenWie soll er wissen, was er meint, er hat ja auch nur seine Zeichens« (Wittgenstein 1971, Nr. 504). Wie unabhängig die nominaliv-prädikative Basistruklur der sprachlichen Darstellung vom sozialen Handlungswert des Sprcchcns ist, zeigen die empraklischen Sprachspiele z.B. des Kaufens, wo jede Nennung (»Ein Pfund Schweinebraten«) als Aufforderung verstanden wird, eine bestimmte Transaktion einzuleiten. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, daß frühkindliche Ein- und Zweiwortäußerungen von den erwachsenen Hörem sehr gern auf die nominativ-prädikative Basisstruktur des Sprechens gebracht werden. Selbst vordergründig einfache Nominalionen baut der gerne nach diesem Muster aus. Wer wird nicht Apfel\ oder Katze\ paraphrasieren als »Das ist ein Apfel bzw. eine Katze« oder aber als Aufforderung zu einer Handlung, in der das nominatum eine Rolle spielt.
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hat seinen schlichten Grund in der Tatsache, daß die Darstellungsleistungen mit den Strukturen und Einheiten der Sprache tendenziell fester verbunden sind als die sozial-aktionalen Potentiale. Wenn ich sage: (6) Es zieht
kann ich damit: a) den Hörer auffordern, das sprichwörtliche Fenster zu schließen; b) meiner Erleichterung Ausdruck geben, daß an einem schwülen Tag endlich ein Lüftchen aufkommt; c) dem Vermieter klarmachen, daß er endlich mal die Fenster neu abdichten lassen sollte uvam. Was ich jeweils tue, ergibt sich nicht aus dem Sprachgebilde selbst, sondern aus seiner fallweisen Einpassung in die sonstigen Umstände des Sprechens, wohingegen die Feststellung selbst, die Darstellung des Sachverhalts, relativ stabil erscheint. Der eingeschlagene Weg lenkt also unsere primäre Aufmerksamkeit zwangsläufig auf die darstellungstechnischen Teilhandlungen des Sprechens und auf die darstellungstechnischen Potentiale des Sprachbaus. Es ist eine alte Streitfrage in der Linguistik, ob und inwieweit aktionale und pragmatische Parameter des Sprechens (Illokution, Thema-Rhema-Gliederung, Focussierung etc.) mit den grammatischen Strukturformaten des Sprachbaus regelhaft verbunden werden können — sei es von der Strukturseite her als geordnete Potentiale, sei es von der aktionalen Seite her als regelhafte Selektion bestimmter Formate im Dienste bestimmter pragmatischer Zwecke (Man vergleiche hierzu die von Inger Rosengren hrsg. Projektreihe Sprache und Pragmatik). Ich bezweifle beides, weil jede regelhafte Zuordnung von einer Seite aus den (m.E. konstitutiven) Paß- oder Figur-Grund-Mechanismus der Sprechhandlung tendenziell außer Kraft setzen würde: Jedes sprachliche Aktualwerk (Bühler) bekommt seinen Aktionssinn vor dem Hintergrund der übrigen Sprechumstände fallweise erteilt. Aber das ist ein weites Feld. Doch zurück zu den kognitiven Teilhandlung unseres Sprechbeispiels. Der kleine Exkurs sollte die Feststellung vorbereiten, daß in vielen (wenn nicht in den meisten) Fällen das Epitheton kognitiv nichts anderes bedeutet als eben: auf die darstellungstechnische Dimension der Sprache bzw. des Sprechens bezogen, auf die Frage: wie wird in der Sprache bzw. im Sprechen das Darzustellende aufgefaßt, konzeptualisiert, vor- oder nachgeformt? Das ist eine konventionelle Beschränkung, da naturgemäß auch die eher interpersonalen Parameter in irgend einer Form >kognitiv< repräsentiert sein müssen. Aber da gilt wiederum, daß wir von den Formaten und Wirkungsweisen solcher Repräsentationen so gut wie nichts wissen. Ausgenommen freilich die Erkenntnisse der Soziolinguistik über die Selektion von Wort, Stil, Register etc. nach der jew. Repräsentation der sozialen Distanz zwischen Sprecher und Angesprochenem. Aber da werden die sozialen Beziehungen gleichsam konstant
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gesetzt und die sprachliche Registerselektion als hiervon abhängig, über die kognitive Repräsentation wird dabei wenig gesagt. Die Grammatik (und mit ihr die Sprachpsychologie) schleppt den Umstand durch die Geschichte, daß >Form für Erkenntnis< zu sein immer als die vornehmste Eigenschaft der Sprache(n) galt. Die >Form des Handelns und der sozialen Beziehung< ist dagegen immer zurückgetreten, außer in der rhetorischen Tradition (vgl. Silverstein 1979). Im allgemeinen war die Grammatik der Logik und der Erkenntnistheorie verschwistert In jedem Falle haben wir unter dem Stichwort »Kognition« jeweils anzugeben, ob wir von den hochabstrakten und begrenzten (aber unbegrenzt aufnahmefähigen) Einheiten und Schemata der symbolischen Darstellungstechnik handeln, vom unbegrenzten (und unbegrenzt detaillierbaren) Wissen, das jeweils dargestellt wird oder von der fallweisen Beziehung zwischen beiden Seiten, die jeder (oder beinahe jeder) Sprechakt herstellt Niemand wird emsthaft abstreiten, daß wir über einen Großteil unseres (expliziten!) Wissens nur über die Mechanismen der sprachlichen Darstellung verfügen können. Auch ist es durchaus möglich, daß diese (sozial-kommunikative und individuell-kognitive) Verfügungsweise dem Wissen ihre Formen ganz oder teilweise aufprägt. Schließlich ist es auch im einzelnen notorisch schwierig, zwischen der Bedeutung eines Wortes oder Schemas und dem transportierten Wissen eine klare Grenze zu ziehen, weil ja nur die umfassende »Anschlußfähigkeit« des Wissens an das sprachliche Symbolsystem (und des Symbolsystems für das Wissen) das Wissen verfügbar hält. Dennoch ist »die« Sprache nur in actu, als Intrument, mit unserem Wissen verbunden. Die Wortbedeutungen sind an sich so wenig »Begriffe« (d.i. unmittelbare Kognitionseinheiten) wie die Sätze Urteile sind. 22 Um das Wort »Vogel« oder »Huhn« richtig zu gebrauchen, müssen wir keine Omithologen sein, die dem Nominatum im System der Lebewesen einen Platz anweisen können. Die lexikalische Bedeutung ist durch ein identifkationsrelevantes Minimum mit unserem Wissen über die Sachen verknüpft. Keinesfalls wäre die Annahme sinnvoll, die Bedeutung des Wortes »Wetter« bestünde in einer Aggregation all dessen, was ich über das Wetter weiß (Hierzu Näheres im Lexikon-Kapitel 8).
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Manche Kognitionspsychologen (z.B. Hoffmann 1986) nehmen nach wie vor die Wortbedeutungen unmittelbar für Begriffe und schließen diese dann auch noch unmittelbar an die (phylogenetisch elementaren) praküschen Schematisierungen des Verhaltens gegenüber einer abstrahierten Reizkonstellation an. Dabei ist nichts so evident wie der Umstand, daß ich von einer Konstellation, auf die ich mit gleichförmigem Verhalten reagiere, gerade keinen Begriff habe. Alle symbolischen Schematisierung setzen die Freiheit von unmittelbarem Rcaktionsdruck und die Freiheit zum Wechsel der Hinsicht voraus. Ein Blick über die Fachgrenze ins Terrain der Ethologen möchte hier Wunder wirken.
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Für den »kognitiven« Aspekt des Sprechens folgt hieraus zweierlei. Einmal daß die gewöhnliche Benennung der Dinge unserem Wissen Uber sie nichts wesentliches hinzufügt, außer eben, daß sie in der Lage ist, es aufzurufen, zu aktivieren, verfügbar zu machen. Aber indem wir uns nicht bloß nominativ, sondern auch prädikativ zu den Dingen und Wissensbeständen in (sprachliche) Verbindung setzen, können wir per sprachliche Darstellung grenzenlos Wissen (über unsere primäre Sacherfahrung hinaus) an die vorhandenen Bestände anlagern. Wenn z.B. der unter (1) genannte »Helmut« das nächste Mal aufgerufen wird, dann weiß ich (episodisch), daß er jetzt arbeitslos ist und daß es ihm nicht gut geht. Wenn ich höre: (7) Der Walfisch ist ein Säugetier
dann weiß ich künftig (epistemisch, systematisch), daß das so benamste Tier nicht unter die begriffliche Rubrik gehört, die ihm die Alltagssprache mitgibt. Aber um den Satz überhaupt verstehen zu können, muß ich schon vorher über das identifikationsrelevante Minimum verfügen. Man kann darüber streiten, ob Sachwissen die Wortbedeutung wesentlich verändert oder ob sie nur das reorganisiert, was mit der Wortbedeutung verbunden werden kann. Ist es Teil der resp. Wortbedeutungen von »Tomate« und »Kartoffel«, daß beide Nachtschattengewächse sind? Kognitiv ist aber (wie beinahe alles beim Sprechen außer der sensomotorischen Artikulation) auch diejenige Folge von Teilhandlungen, die das Darzustellende so auf die Einheiten und Schemata des Code bringt, daß es der Hörer (für die Zwecke der Kommunikation hinreichend genau) rekonstruieren kann. Wenn alle relevanten Akteure um das zerbeulte Auto herumstehen, genügt der (deiktisch unterstützte) Satz: (8) Er hat es getan w e n n nicht, ist (81) Karl hat den Wagen zu Klump gefahren
vielleicht angemessener. Ohne Zweifel beziehen sich beide Sätze situativ auf den gleichen Sachverhalt, auf die gleiche >mentale Repräsentation< im Kopf des Sprechers. Ohne Zweifel haben aber beide Sätze nicht die gleiche Bedeutung. Ohne Zweifel ist die Art und Technik der Repräsentation jeweils unterschiedlich: einmal nur mit Pro-Wörtern, die aus der perzeptiven Situation >ausgefüllt< werden müssen, und einmal mit wasbestimmten Lexemen, die sich indexikalisch und charakterisierend auf den Sachverhalt und seine Komponenten beziehen lassen. Das Satzschema ist beide Male das gleiche. Es besteht aus einem Handlungsverb, einer Subjekts- und einer Objektsposition.
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Der wasbestimmte Satz (8') verhält sich stärker aktiv gliedernd gegenüber der Aussagegrundlage (Gomperz 1908), die schon darum nicht mit der Satzbedeutung zusammenfallen kann, weil man sich mit unendlich vielen Sätzen auf sie beziehen kann, z.B.: (9)
Der andere hatte Vorfahrt; Gott sei dank ist niemand zu Schaden gekommen; der Wagen war eh alt; Karl hat ne Ampel abersehen [...]
Sätze, die sich solchermaßen auf (perzeptive) Sachverhalte beziehen, gliedern aktiv und perspektivierend einen >Sinnverhalt< aus der Sache aus und orientieren den Hörer auf diesen hin. Natürlich haben aber nicht alle Sätze eine perzeptive Situation als Aussagegrundlage. Man kann aber vermuten, daß wir das Konstruieren nicht perzeptiv außengestützter Sinnverhalte auf der Basis der perzeptiven lemen. Umgekehrt gehört es oft zum Bedeutungsverstehen bei Sätzen, daß wir uns eine Situation imaginieren können, in der der Satz hätte sinnvoll geäußert werden können oder auf die er bezogen werden könnte (vgl. Hörmann 1981). Indessen gibt es eine Vielzahl von Sätzen, die ganz ohne Stützen und Bezüge in irgend einer Anschauung auskommen müssen und ihren Sinn nur aus sich selbst heraus und aus dem Bezug auf unser Weltwissen erwerben (die Sätze z.B., die man hier lesen kann). Eine zentrale Besonderheit aller im engen Sinne sprachlichen Codierungsmechanismen ist ihre verblüffende Leichtigkeit und Aufwandslosigkeit. Mit unserer limitierten und hochselektiven Aufmerksamkeit sind wir bei der Sache, nicht bei der sprachlichen Codierung. Die Selektion von Satzschema, Konstruktionen, Lexemen, die Veränderung, Anordnung, Bildung von Wörtern, die Artikulation, all das >geschieht< (anders kann man das kaum nennen) parallel und gleichzeitig und anscheinend ohne unsere Aufmerksamkeit übermäßig zu strapazieren. Es ist also damit zu rechnen, daß wir, sprechend, nicht bloß in der sozialen, illokutiven, interaktiven Sphäre, sondern auch bei der im engen Sinne sprachlichen Codierung viele Dinge gleichzeitig >tunspieltetwas< für einen Hörer ausdrückt. Man kann es, wie die Grammatiker in der Regel tun, als geordnete Abbildung des Dargestellten werten und darf doch dabei nicht aus den
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Augen verlieren, daß hier einer etwas für den anderen darstellt. Das kritische Potential liegt hier in der Fähigkeit jeder Grammatik, eine Bedeutungsschicht (von variabler >Dickevon oben< kommen, aus gleichsam abgesackten, generalisierten und zielindifferent gewordenen Handlungen, die sich gegebenenfalls wieder in zielfähige und zielbewußte Teilhandlungen rückverwandeln lassen. Das erste, was man sich restlos klarmachen muß, ist, daß es sich hier nicht um eine Klassifikation von Verhaltensweisen handelt, die an sich der einen oder anderen Ordnungen zuzuschlagen wären, klassifiziert wird hier vielmehr nur der psychologische Status von Verhaltenselementen, und der ist keineswegs konstant. Ein Kleinkind lemt >Gehen< als Handlung, aber alsbald sakken wohlgelemte sensomotorische Fähigkeiten auf die Operationsebene. Sie werden umfassend verfügbar und können in alle möglichen Handlungen vermittelnd eintreten. Das Autofahren scheint für einen Anfänger aus einer Fülle von Handlungen wie >KuppelnSchaltenBlinken< verwirrend zusammengebaut zu sein, ein routinierter Fahrer koordiniert alle diese Teilhandlungen (Operationen) automatisch und kann währenddessen ein Gespräch führen, das viel bewußte Aufmerksamkeit verbraucht. Er ist eingestellt auf die bewußte Kontrolle des Autofahrens, d.h. die Aufmerksamkeit lauert auf eine jede Störung des gewohnten Ablaufs, um gegebenenfalls sofort massiv da eingesetzt werden zu können, wo eine solche Irritation auftritt. Solange das nicht der Fall ist, bleibt sie frei und kann anderweitig eingesetzt werden. Die Grammatikalisierung und Lexikalisierung einer Nachricht besteht im beiläufig-alltäglichen Sprechen nur aus einer Reihe von beinahe bewußtlosen Operationen, für einen Lyriker ist sie eine hochbewußte und in sich hoch sinnvolle Tätigkeit, in der aber auch nichts dem operationalen Zufall überlassen werden darf. Die Automatisierung von Einsatz und Kontrolle bestimmter Handlungen (die dann eben zu Operationen absinken) setzt Aufmerksamkeit und Bewußtsein, zwei ausgesprochen knappe Güter, >nach oben< frei, aber eben nicht unwiderruflich und starr, sondern gewissermaßen auf Widerruf. Gegebenenfalls kann die bewußte Aufmerksamkeit in eine Ebene gelenkt oder gesenkt werden, die gewöhnlich >einfach läufthängt< unsere ganze bewußte Aufmerksamkeit buchstäblich an einer Stelle, die sonst von einer quasi-automatischen Operation gefüllt wird. Es ist dies die Rückverwandlung einer problematisch gewordenen Operation in eine Handlung. Denn mit einem Male ist es ein eigenständiges Ziel, den verlorengegangenen Namen zu finden. Sehr mühsam und aufwendig ist es u.U., tief abgesunkene (oder von vornherein automatische) Operationen anzuheben und sie der bewußten Kontrolle zu unterstellen. Man denke an Leistungssportlerinnen, Schauspielerinnen oder Tänzerinnen, die aus unzähligen Bewegungsautomatismen bewußt einsetzbare Figuren und Kombinationen im wahrsten Sinne des Wortes herausarbeiten müssen, die
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dann aber wieder >wie von alleine< laufen (oder jedenfalls so aussehen sollten). Lichtenberg hat in eines seiner Sudelbücher (Heft H, Nr. 32) notiert: Der Mensch kann gehen, pfeifen, oder auch Hundert zählen und noch an etwas anderes zugleich denken, und, was das Merkwürdigste ist, ohne von allen dreien etwas zu wissen, da doch jedes ganz eigne Regeln und Vorsicht erfordert.
Woraus erhellt, daß der spitzfindige Mann den seltsamen Zusammenhang von Automatisierung, Kapazitätserhöhung, Aufmerksamkeitsverlust und >Freisetzung< von Bewußtsein schon recht genau gesehen hat. Handlungen, so hatten wir gesagt, sind sinnvoll in Bezug auf den Tätigkeitszusammenhang, dem sie angehören und den sie bilden. Umgekehrt kann man auch sagen: Handlungen, die alle ihre Sinnbezüge in sich selbst hineinnehmen, werden eo ipso zu Tätigkeiten. Wenn man nun an unsere aktionale Analyse des Sprechens zurückdenkt, so wird deutlich, daß z.B. im Hinblick auf die jew. zu (re-)aktualisierende Sozialbeziehung das Sprechen gewöhnlich in die Ebene der Handlung gehört, auch im Hinblick auf einen sympraktischen Zusammenhang, in den sprechend und regulierend eingegriffen wird. Die entscheidenden Sinnbezüge liegen hier außerhalb des Sprechens selbst. In dem Maße aber, als das Sprechen zu einer selbstgenügsamen Aktivität wird, die alle relevanten Sinnbezüge in sich entwickelt und repräsentiert, kann man auch von Sprechtätigkeit reden. Es versteht sich aber, daß die Systeme der Sprechtätigkeit aus dem primären Sprechhandeln erst allmählich herausgearbeitet werden müssen. Anders gesagt: Sprechen wird in der Handlungsebene erworben und zeigt dann rasch eine doppelte Evolution: auf der Mittelebene >sinkt< es in die Sphäre der Operation und auf der Zielebene >steigt< es zur relativ eigenständigen Tätigkeit. Dabei entfaltet sich die operationale Struktur der Codierungsprozesse in doppelter Weise, teils durch einfache Anpassungsund Imitationsprozesse, teils durch das Absinken bewußter oder bewußtseinsnaher Teilhandlungen. So ist etwa die Übernahme dialektaler Eigenheiten der Aussprache und Grammatik sicher tief operational und imitatorisch bedingt, während die Wortwahl zum großen Teil auf automatisierte Teilhandlungen zurückführt. Wer paradoxe Formulierungen liebt, der könnte die Behauptung aufstellen: So recht zur Tätigkeit emanzipiert sich das Sprechen erst im Medium der Schrift, im Schreiben. Da fehlt zum einen der unmittelbar koaktionale Raum für die laufende Außenorientierung, zum anderen sind die lexikalischen und grammatischen Mittel der Darstellung zu säuberlich segmentierten optischen Konstanten vergegenständlicht (vgl. Scheerer 1993 a,b). Die Kommunikations- bzw. Darstellungsabsicht muß motivational selbsttragend sein, den Anlaß
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entbehren können, und die Mittel müssen sich hinreichend von den konkreten Zwecken des Sprechens abgesetzt und äußerlich verselbständigt haben. Aber wir müssen noch einmal ansetzen. Wenn Handlungen ihren Sinn mit Bezug auf die übergeordnete Tätigkeitsebene bekommen, so haben sie doch auch an sich eine Bedeutung. Als Bedeutung soll also (ganz parallel zu den obigen Bemerkungen über die Differenz von Sprach- und Redeverstehen; vgl. auch Kap. 11) das relativ konstante, der Handlung unabhängig von ihren wechselnden Sinnbezügen zukommende semantische Potential bezeichnet werden. Operationen sind eher synsemantische Einheiten. Sie haben an sich keine definite Bedeutung, können aber (da ja hier vom psychologischen Status und nicht von festen Eigenschaften des Verhaltens die Rede ist) auf die Ebene der Bedeutung gehoben werden. Sie nehmen direkt teil an der Konstitution der Handlungsbedeutung und indirekt über diese an der Ebene des Sinnes. Das klingt alles so, als wäre es maßgeschneidert für die Verhältnisse des Sprechens. Das terminologische Gerüst soll aber gerade dem Umstand Rechnung tragen, daß Verständigung eben nicht erst mit dem Sprechen beginnt, sondern im sprachlosen Ineinandergreifen der Handlungskoordination seine Basis hat. Das Begriffsinstrumentarium suggeriert eine begrenzte Homologie: nicht nur die Handlungsformigkeit des Sprechens, sondern auch die »Sprachmäßigkeit« (Gehlen 1974:46ff) des Handelns und Verhaltens, das jederzeit auch sich selbst so symbolisiert, daß wir es interpretieren und sinnvoll darauf reagieren können. In unserer perzeptiven (und sozioperzeptiven) Praxis deuten wir in actu erlebtes und in Spuren vergegenständlichtes Handeln ganz ähnlich in der Ebene von Bedeutung und gemeintem Sinn als wäre es sprachlich und an uns gerichtet (vgl. Kap. 11). Natürlich kann auch nichtsprachliches Handeln auf vielfache Weise Ausdruckswerte übernehmen (Gestimmtheit, Selbstbild des Handelnden etc.), Steuerungen evozieren und in gewissen Grenzen auch darstellen. Jedoch sind die Darstellungspotenzen (gesteigert etwa in der Pantomime) auf Ähnlichkeit, Nachbildung, feste Assoziation beschränkt. Handlungen stellen mühelos dar, was sie sind oder nachahmen, aber Sprechen ist gleichsam hauptberufliches Darstellen. Wir identifizieren Handlungen mühelos an markanten Bewegungsfiguren, die ihnen zugeordnet sind oder auch an typischen Konstellationen, in denen sie stattfinden. Aber nur das Sprechen bezieht uns mühelos auf Gegenstände und Sachverhalte< überhaupt. Beobachten kann man in vielen menschlichen Handlungsfeldern, daß ursprünglich äußere Stützen und Steuerungen des Verhaltens abgestoßen und nach innen genommen werden. Zum Lernen der Rechenoperationen braucht man erst zählbare Objekte, und dann lernt man nach und nach das Kopfrechnen. Etwas >auswendig< können, heißt: alle Außenstützen abgebrochen und nach innen genommen haben. Es gibt gute Gründe für die Annahme, daß das
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von vornherein stark innengesteuerte Sprechen uns bei der Aneignung, Interiorisierung und Innensteuerung vieler komplexer Handlungen unentbehrlich ist. Es gibt aber ebenso viele gute Gründe für die Annahme, daß das Sprechen selbst erst allmählich und schrittweise die Außenstützen ablegt, die es in unserer phänomenalen Aktions- und Wahmehmungswelt halten. Am Ende ist das Sprechen Ergebnis und Mittel der Interiorisierung. Eine verblüffende Eigenschaft der Sprachelemente ist, daß sie uns jederzeit willkürlich verfügbar sind. Wenn uns ein an sich vertrautes Wort oder ein Name nicht einfällt bzw. >auf der Zunge liegtAbweichung< vom Notenbild. Die zweite Stufe der Routine erreicht man im Klavierbeispiel dann, wenn es gelingt, die Außensteuerung durch eine komplette Innenrepräsentation abzulösen. Wer auswendig spielt, kontrolliert die Spielmotorik von einer Hörrepräsentation her (die gewiß auch schon beim Vom-Blatt-Spielen beteiligt ist, aber nur als Kontrollinstanz). Bei der Routinisierung werden die jew. überschauten Einheiten und >Bögen< der Steuerung immer größer. Bedarf anfangs ein Ton, eine Figur, ein Akkord, ein Takt der separierenden Aufmerksamkeit, so sind es bald größere Einheiten aus Melodik und Akkordik, die en bloc eingesetzt werden. Wir sprechen im allgemeinen nicht vom Blatt (Vorlesungen sind da nicht repräsentativ), woraus noch einmal erhellt, daß die lexikalisch-grammatische Codierung des Sprechens von Anfang an innengesteuert ist, oder genauer: von dem >Augenblick< an, da im Sprechen nicht bloß imitierte Versatzstücke wiederholt werden, sondern nach Analogie und qua Schemaübertragung codiert wird. Mit den Besonderheiten des >Vom-Blatt-Sprechens< befaßt sich die
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psychologische Leseforschung. Sprechen und Schreiben unterscheiden sich im Normalfall hochgradig nach ihrer Zuspitzung auf Leitebenen. Im Sprechen ist es typisch der Beitrag zu einem koaktionalen Schema (Frage-Antwort, Thema-Beitrag etc.), durch den die Ausführung gesteuert wird. Das Schreiben ist weit stärker an der relativ autonomen Vorgabe textueller und sprachstruktureller Formschemata ausgerichtet. Bei den rezeptiven Vorgängen, in Sprachwahmehmung und Sprachverstehen, bezeichnen wir als Leitebene den (gleichfalls hochvariablen) >Ortflache< Interpretation des Gelesenen erzeugen müssen. Fest steht, daß die Fäden der Rezeption freiwillig nicht an den Punkten zusammenlaufen, an denen der Grammatiker interessiert ist. Die Sprache ist im Sprechen transparent, sie ist ein Fenster zum jeweils gemeinten und rekonstruierten Sinn. Nur wenn das Fenster trübe, fleckig oder zerbrochen ist, fassen wir es selbst ins Auge, anstatt hindurchzusehen: (1) Was meinst Du mit xyz? Den Ausdruck kenn ich nicht Das kann man so nicht sagen, xyz bedeutet für mich aber [...]
Das Scheitern einer Sinnerwartung (jedes Sprechen wird unter generalisierter Sinnerwartung >bearbeitetBedeutung< befragt. Ansonsten ist die Bündigkeit des Verstehens eine aufgaben- und fähigkeitsspezifische Variable. Es ist z.B. gar nicht so einfach zu sagen, was es heißt, ein Wort ohne Kontext zu verstehen, z.B. in einer experimentellen Präsentation. Wir kennen es und wüßten es gegebenenfalls richtig anzuwenden, vielleicht können wir es auf Befragen auch definieren, aber es fehlen Felder und Kontexte, in denen Wörter gewöhnlich funktionieren. Vielleicht ist der Vergleich ein wenig überzogen, aber instruktiv ist er gewiß: Worterkennung und Wortfunktion in der Rede verhalten sich zueinander wie eine Schachfigur außerhalb des Ensembles und außerhalb einer Spielkonstellation zu einem wirklichen Zug. Einen Spielzug verstehen involviert u.U. ganz andere und viel weitergehende Prozesse als die ab-
58 strakten Bewegungsmöglichkeiten der Figur in Form einer Regel angeben zu können. Komplementär zum Begriff der »Leitebene« wird der Begriff »Orientierungsgrundlage« verwendet. Wir gehen davon aus, daß Handlungen, auch Sprechhandlungen, jeweils Probleme lösen und auf der Basis allgemeiner (problemiibergreifender) und besonderer (in der jew. Sprechkonstellation liegender) Parameter orientiert werden müssen. Lexikalisch-grammatische Codierung ist natürlich ganz allgemein und darum nicht fallweise orientierungsbedürftig. Wir wollen aber da von der Orientierungsgrundlage des Sprechens >sprechenIntention< gar nicht herauszukristallisieren. Die Orientierungsgrundlage solcher Sprechhandlungen involviert keine explizite Entscheidung zwischen Handlungszielen. Aber natürlich braucht das Sprechen auch dann eine Planungsbasis, wenn von eigentlichen Intentionen keine Rede sein kann. Der Ausdruck »Orientierungsgrundlage« ist epistemologisch weniger belastet als »Intention«, läßt aber für diese letztere als einen besonderen Fall der Aktionsbasis durchaus Raum (vgl. hierzu auch Kap. 12). Weiterhin wird in der Theorie der Tätigkeit noch zwischen der Planung, Ausführung und Kontrolle von Handlungen unterschieden. Hier fällt vor allem auf, daß lange und komplexe Handlungsfolgen oft sprachlich vorausgeplant werden, daß aber das Sprechen selbst kaum explizite Planungsphasen kennt, die bewußtseinszugänglich oder bewußtseinsnah wären. Wir setzen uns nicht hin und überlegen, was Subjekt, was Verb und was Attribut wird, wir fangen einfach an zu sprechen. Das betrifft die grammatischen Parameter vollständig und die inhaltlichen zum Teil. Natürlich überlegen wir bei komplexeren Sprechanlässen vorher, was wir alles sagen wollen, aber es ist doch erstaunlich, wie unvorbereitet wir z.B. ziemlich komplizierte Ereignisse aus der Erinnerung erzählen können. Phänographisch gibt ein Wort das andere,
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und wenn sich eine Sprechabsicht verdichtet, dann fangen wir auch schon an. Die Routinen der Grammatikalisierung und Lexikalisierung sitzen so tief, daß man sie selbst kaum ins Bewußtsein heben kann. Ihre Kontrolle hat eine seltsame, für das Sprechen hoch charakteristische Form. Wir können ein Wort oder eine Konstruktion, nachdem sie >aufgetaucht< sind, verwerfen, wir erkennen sie als falsch, unpassend, stilistisch schlecht (oft auch erst an der Reaktion des Hörers). Es ist aber geradezu notorisch, daß explizites Wissen über Grammatik das Sprechen so gut wie nicht verändert. Die grammatische Fertigkeit sitzt so tief, daß explizites Wissen sie selbst nicht erreicht (das gilt freilich in vielen Bereichen menschlichen Tuns!), sondern bestenfalls erst die Produkte dieser Fertigkeit beurteilen und kritisieren kann. Einen wirklichen >Vorteil< vor dem grammatisch unbedarften Sprecher erreicht der regel- und modellbewußte Grammatiker auf keinen Fall. Die Kontrolltätigkeit reicht an die faktischen Produktionsmechanismen nicht heran, sie kann nur deren Ergebnis beurteilen und gegebenenfalls eine Revision in Gang setzen. Ungemein instruktiv ist in diesem Zusammenhang wiederum das sog. »tip-of-the-tongue«-Phänomen. Wenn uns ein Wort (sehr oft ein Name) auf der Zunge liegt, dann produzieren wir oft Ersatzeinfälle, die wir in dem Moment, da sie auftauchen, schon als falsch verwerfen können, wir haben aber nicht die geringste Kontrolle über das, was da der Wortfindungsmechanismus uns als Kandidaten tatsächlich vorlegt und wie er dabei vorgeht. Stark reduzierte explizite Planung und ein auf den ersten Blick merkwürdig >fremdes< Verhältnis zwischen Ausführung und Kontrolle sind also auf den ersten Blick die Auffälligkeiten des Sprechens, wenn man es unter diesem theoretischen >Dreischritt< betrachtet. Die Ergebnisse des Sprechens sind aktuell bewußt (oder doch sehr leicht ins Bewußtsein zu heben), aber der Konstruktionsmechanismus, der diese Ergebnisse hervorbringt, ist so tief und gründlich automatisiert, daß man ihn kaum (d.h. nur durch äußerste Anstrengung der Wissenschaft und vielleicht nicht einmal dadurch) über die Schwelle heben kann. Und das ist eben auch die große Schwierigkeit der Sprachpsychologen: die grammatische Planung und Ausführung des sprachlichen Handelns hinterläßt keine Spuren: Wir haben (abgesehen vom Produkt, der Redekette) nur höchst indirekte, schwer zu deutende Hinweise darauf, wie diese Prozesse vonstatten gehen könnten. Einmal verwendet man die linguistischen Analysen der Sprachgebilde und die grammatischen Theorien als Hinweise auf die Organisation der Sprechprozesse (also gewissermaßen das Tätigkeitsprodukt in den theoretischen Modellierungen seiner grammatischen Strukturaspekte), dann aber auch (experimentell induzierte und spontan auftretende) Störungen der Verbalisierung und der Sprachwahmehmung (zu den spontan
60 auftretenden Störungen gehört etwa das »tip-of-the-tongue«-Phänomen oder das Versprechen). Es ist klar, daß irgend ein praktisches Äquivalent der grammatischen Strukturrepräsentation bei der Steuerung des Sprechens beteiligt sein muß. Sehr unklar ist aber, ob es gerade die von der grammatischen Beschreibung bevorzugten Formate sein müssen, die bei der Grammatikalisierung des Sprechens eine Rolle spielen.25 Denn die stehen unter der (theoretisch völlig legitimen) Aufgabe, die Struktur- und Kombinationsregeln der Phonologie, Morphologie, Syntax als Binnenregeln, d.i. ausschließlich unter Berücksichtigung der jeweils modellierten Ebene (und ihrer Einheiten) möglichst geschlossen zu beschreiben.26 D.h. Grammatiker machen aus den Einheiten einer Ebene gem die Elemente eines geschlossenen Systems. Sprachpsychologen müssen aber von der Primärerfahrung ausgehen, daß die sprachlichen Codierungsprozesse von einer Leitebene her eingesetzt werden, die eben nicht grammatisch ist. Anders gesagt: im Sprechen stehen die Codierungsprozesse (automatisch und routiniert) im Dienste des aktionalen Aufbaus der Rede. Sie organisieren, charakterisieren und determinieren ein nominatum für den Hörer, ordnen es in eine modalisierte Sachverhaltsdarstellung, prädiziem etwas von ihm usw. Die moderne Psycholinguistik ist weithin eine Kompetenz- und keine Aktionstheorie. Sie stellt sich nur die Frage, wie Sprecher es zuwegebringen, grammatisch korrekte Sätze zu äußern oder die Grammatikalität von Sätzen beurteilen zu können. Sie glaubt, die Grammatikalität (und namentlich die Syntax) nicht bloß in der nachträglichen Zuwendung des Grammatikers zum Text von den übrigen aktionalen Parametern vollständig ablösen zu können, sondern auch in der Organisation des Sprechens selbst. Nichts anderes bezeichnet das Bild von der modularen Organisation der Grammatik (der Syntax) beim Sprechen und Verstehen. Wir interessieren uns dafür, wie die aktio-
Es gibt sogar Vertreter konneklionistischer Repräsentationstheorien, die der Meinung sind, ihre Netzwerke könnten erklären, »how the semantic productivity and systematicity of external linguistic behavior may result from internal processes that themselves do not consist of structured symbol systems« (Goschke & Koppelberg 1990:264). Sie sind ausdrücklich der Meinung, daß die Fähigkeit, einen strukturierten >output< zu erzeugen, nicht notwendig eine >ebenso< oder >analog< strukturierte Innenrepräsentation voraussetzt Hier gibt es natürlich Ausnahmen, die im Detail zu berücksichtigen wären, z.B. arbeiten die Stratifïkationsgrammatiker mit der psycholinguistisch nicht unplausiblen Hypothese, ein Stratum könne nur im Hinblick auf das benachbarte Stratum beschrieben werden, für das es codierungsrelevant ist. Anders gesagt: die Binnengesetzmäßigkeiten einer Strukturebene wie der phonologischen, morphologischen, syntaktischen ist relativ motiviert durch die benachbarten Ebenen, welche sie codieren bzw. von ihr codiert werden. Laut und Gedanke, die beiden >Außenränder< des Sprachlichen, wären demnach nur noch bedingt sprachlich: im Hinblick darauf, daß sie nach einer Seite ausgerichtet sind auf das System der sprachlichen Strukturebenen, das Laut und Gedanken verbindet. Funktionalisten behaupten den Primat der Funktion über die Struktur (genetisch und aktuell) etc.
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naie Mikrostruktur des Sprechens grammatisch codiert wird, wie nennende, zeigende, beziehende, prädizierende Aktionselemente vermittels ihrer grammatischen Eigenschaften zu den größeren Einheiten montiert werden, mit deren Hilfe sprachliche Handlungen ausgeführt werden (und die daneben hochkomplexe Formregularitäten aufweisen und vermittels dieser Regularitäten darstellen). Unter diesem Gesichtspunkt ist es weniger interessant, warum eine bestimmte Wortfolge geht und eine andere nicht, warum z.B. (2) *Er Arbeit zu finden bald hofft
kein Satz ist, aber (3) Er hofft, bald Arbeit zu finden
sehr wohl. Für die Organisation des Sprechens müssen die grammatischen Normen so fest sein, daß die Rede in ihnen entlastet laufen kann, und so frei, daß die differenzierten Aktionsbedürfnisse befriedigend codiert werden können. Nur in beiden Bezugssystemen ist ein Problem wie die Wort- und Konstituentenfolge sinnvoll zu bearbeiten. Es kann durchaus nicht die Frage sein, ob die Topologie des Satzes und der Wortgruppe grammatisch oder pragmatisch motiviert ist. Doch dazu an anderer Stelle mehr. In dem seltsam >fremden< Verhältnis der ausführenden Phase des Sprechens und Verstehens zur kontrollierenden nachträglichen Zuwendung haben wir den Sonderfall eines allgemeinen psychologischen Gesetzes: Innere Handlungen treten vorwiegend als Resultate ins Bewußtsein und nicht als Prozesse. Die Prozesse ihrer Ausführung werden doppelt gesteuert, durch die >ideelle Vorwegnahme< des Handlungsresultats und durch die Eigengesetzlichkeiten des Code. Das Bewußtsein haftet an der Kontrollphase der Handlung und nicht an ihrer Ausführung. Bewußt wird zuerst das, worauf die Kontrolle spontan oder bewußt gerichtet ist, beim sinnentnehmenden Lesen z.B. Druckfehler nur dann, wenn sie die Sinnentnahme stören, beim Korrekturlesen Sinn nur insoweit, als er zur Identifikation der Schriftbilder taugt bzw. benötigt wird.
4. Gründungsmythen: eine Notiz zur Geschichte der Psycholinguistik (und ihres Verhältnisses zur Linguistik)
Erzählt wird gewöhnlich eine Art von Griindungsmythos. Danach wurde die Psycholinguistik durch eine Reihe von Konferenzen des Social Science Research Council zu Beginn der 50er Jahre aus der Taufe gehoben. Solche Geschichten sind zwar zweifelsohne schmeichelhaft für die Gründerväter, aber sie sind nur selten wahr. Eine Gruppe von Lernpsychologen und (meist behavioristisch orientierten) Linguisten beschloß damals, sich stärker mit den Problemen des Sprachverhaltens zu befassen. Beteiligt waren u.a. Charles Osgood, J.B. Carrol und Th. Sebeok (vgl. Leont'ev 1971:85ff, Hörmann 1976:28ff). Aber natürlich hat es theoretische und experimentelle Sprachpsychologie auch vorher und auch unabhängig vom Kreis dieser Gründerväter gegeben. Der Anstoß zur Neugriindung und zur Neubenennung in den 50er Jahren kam vermutlich von der jungen Informationswissenschaft. Es dürfte kein Zufall sein, daß Lashley (1951) zu den meistdiskutierten Beiträgen der frühen Jahre gehört hat. In diesem Papier verbinden sich aufgeklärt behavioristische und informationstheoretische Motive mit der Frage nach den Bedingungen für ein Verhalten, das mit >alten< Mustern Neues hervorbringt. Schon wenige Jahre nach der »Gründung« setzen indessen unerwartete Entwicklungen ein, die dafür gesorgt haben, daß die Gründer ihres Kindes nicht recht froh werden konnten, Entwicklungen, die das Aussehen der mainstream-Psycholinguistik bis heute in einer Weise prägen, die den Urhebern der neuen Disziplin jedenfalls so nicht vorschwebte. Da ist einmal die Praxis und Theorie der maschinellen Informationsverarbeitung mit ihrem spektakulären Entwicklungstempo, mit ihrer Ausstrahlung in die gesamte humanwissenschaftliche Modellbildung. Durch ihr handfestes Interesse an der maschinellen »Machbarkeit« markierte sie die Wege, die beschritten, die rasch wieder aufgegeben und die gar nicht erst versucht wurden. Dann war da der rasante Siegeszug der generativen Grammatik, die dezidiert antibehavioristisch auftrat und den Anspruch erhob, implizites Wissen der Sprachbenutzer über ihre Sprache zu modellieren, zu beschreiben und zu erklären. Auch sie besetzte (ganz wie der Behaviorismus mit seiner Lerntheorie) unmittelbar psychologi-
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sches Terrain und wurde zum wichtigsten Ideenspender der jungen Psycholinguistik. Die wilde und leidenschaftliche Beziehung zwischen Psychologie und Linguistik, die in den Folgejahren ausbrach, führte zu einer völligen Entgrenzung der Themen und Methoden. Die Linguistik wurde »kognitive Wissenschaft«, d.i. Psychologie, und die Psychologen befaßten sich mit der psychischen Realität diverser Grammatiken. Die Beziehung mußte denn auch (aus Selbsterhaltungsgründen) bald wieder geschieden, die eng ineinander verschlungenen Disziplinen auf Distanz gebracht werden. In diesem Prozeß des Aussortierens linguistischer Verfahren, Modelle, Denkweisen auf der einen, psychologischer auf der anderen Seite befinden wir uns noch immer. Daß es entlang der theoretischen Bruchlinie von >Kompetenz< (=Linguistik) und >Performanz< (=Psychologie) nicht geht, dürfte sich herumgesprochen haben. Die >Kompetenz< (=Fähigkeit, die Grammatikalität von Sätzen zu beurteilen) ist ebenso ein integrierter Teil des Sprachvermögens (und damit Gegenstand der Psychologie) wie die Performanz (=empirisches Sprechen und Verstehen mit all seinen Beschränkungen und Kontingenzen) laufend die Strukturen reproduziert, die der Linguist von den Produkten des Sprechens abhebt und als deren Eigenordnungen beschreibt (vgl. Coseriu 1988 für eine ausführliche Analyse des Begriffspaares). Es ist aber zu fragen, ob die Folgen der entgrenzten Beziehung zwischen Psychologie und Linguistik abschreckend genug gewesen sind. In den neueren Lehrbüchern der generativen Grammatik (vgl. für viele Fanselow & Felix 1987) wird wieder, als sei seither nichts geschehen, die unmittelbare psychologische Realität, jetzt freilich der Module, Parameter und anderer linguistischer Theoriekomponenten als Anspruch formuliert Lemfahiger waren da offenbar die professionellen Psychologen. Sie entziehen sich zunehmend der linguistischen Umarmung und lernen, zwischen den grammatischen Beschreibungen und den aktionalen Parametern des Sprechprozesses zu unterscheiden. Für einen unparteiischen und lesenswerten Überblick vergleiche man hier Tanenhaus (1988). In jedem Falle beförderten die Anhänger Chomskys das rasche und zweifellos verdiente Ende der rein behavioristischen Erklärungsversuche des Sprechens und Verstehens, freilich um den Preis, daß nahezu alle emphatischen Behauptungen des Gegners einfach umgedreht wurden: von der alles erklärenden Lerntheorie kam man auf den möglichst weitgehend angeborenen Charakter der natürlichen Sprache und ihrer universalen Eigenschaften. Von der empirischen Text- und Korpusanalyse wollte man gar nichts mehr wissen und setzte ganz auf die Erforschung der Sprecherintuitionen (die fast immer offen oder heimlich die Intuitionen der Linguisten waren), und von den allgemeinen Prinzipien der kognitiven Apparatur verlegte man sich ganz auf die absolute
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Sonderstellung des Sprachvermögens in der geistigen Anatomie des Menschen. Es versteht sich, daß bei diesen einfachen Negationen so manches Kind mit dem Bade ausgeschüttet wurde. Während die Behavioristen zum Satz (und zur Syntax generell) kein besonders inniges Verhältnis hatten (das Wort lag ihnen als Steuergröße und Stimulusformat näher), drehte sich in der ersten generativen Phase der Psycholinguistik alles um den Satz. Die vordringliche Frage der damaligen Protagonisten lautete: Wie kommen die Sprecher in praxi auf die Strukturbeschreibungen, die die generative Grammatik den Sätzen zuordnete? Was sie denn eigentlich mit einer solchen Strukturbeschreibung anfangen sollten, wurde nicht gefragt. Das grammatische Modell sah vor, daß erst die syntaktische Struktur des Satzes (als analysierte) vorliegen müsse, damit dann semantisch interpretiert werden könne. Das schien genug. Über die unterschiedlichen Bedürfnisse von professionellen Syntaktikern und einfachen Sprachbenutzern wurde wenig reflektiert. Es läßt sich auch gar nicht ernsthaft bestreiten, daß dem, was der Syntaktiker als eigenständige Strukturierungsebene beschreibt, in der Praxis des Sprechers etwas entspricht Es braucht dies aber nur eine Praxis zu sein, die routinemäßig Beziehbarkeiten zwischen Wörtern und Ausdrücken aufsucht und herstellt und dabei im Zweifelsfalle neben kategorialen, textuellen, sachlichen und anderen Beziehbarkeiten auch spezifisch syntaktische Beziehungssignale auswertet. Dabei bleibt es fraglich (und kann auch ruhig fraglich bleiben), ob eine separate syntaktische Strukturrepräsentation überhaupt >erzeugt< werden muß, oder ob Syntax als Strukturwissenschaft nur einen prominenten Aspekt diskursiver Sinnrepräsentation (linguistisch durchaus angemessen) verselbständigt. Über die »derivational theory of complexity«, ihre Annahme, in der Zahl der Transformationen, die die Theorie einem Oberflächensatz zuschrieb, ein Maß für seine prozessuale Komplexität zu haben und über die damit verbundenen Entgleisungen ist hinreichend geschrieben worden (vgl. Tanenhaus 1987:7ff, Knobloch 1984:passim). Wichtiger für den Fortgang der Disziplin waren ohnehin die neuen experimentellen Verfahren, die entwickelt, erprobt und kritisiert wurden in den 60er Jahren. Da finden sich neben uninterpretierbaren Blindgängern wie der nachträglichen Lokalisierung eines Click-Geräuschs im dargebotenen Satz (und anderen off-line-Techniken) auch so interessante Komplexe wie Satzgedächtnis, Satz-Bild-Verifikation, Techniken zur zeitgenauen on-line-Untersuchung der Verfügbarkeit lexikalischer, phonologischer und semantischer Information (»monitoring«) und einige klassische Versuchsanordnungen zur Untersuchung des inneren Lexikons (on-line verwendbare Techniken wie priming, lexical decision und off-line Techniken wie das semantische Differential; zum Experiment vgl. Kap. 9).
65 Die Experimente zum Satzgedächtnis (vgl. Tanenhaus 1988:8) sollten ursprünglich auch Parameter und Konstrukte der generativen Grammatik (Tiefenstrukturen, Transformationen) psychologisch validieren. So Schloß man aus dem raschen Vergessen von Wortlaut und grammatischen Strukturdetails voreilig und einfach auf die »Tiefenstruktur« als Gedächtnisformat, zumal der >Sinn< von Sätzen leicht behalten wurde und gut reproduziert werden konnte. Wenig später freilich demonstrierten die Versuche von Bransford und seinen Mitarbeitern, daß weder Tiefenstrukturen noch fix und fertige Satzbedeutungen überhaupt normalerweise als Blöcke einfach im Gedächtnis abgelegt werden, daß vielmehr Inferenzen, Verbindungen mit vorgängigem Wissen, standardisierte Schlußfolgerungen und sonstige aktive Verarbeitungen des »Input« eine wichtige Rolle spielen (vgl. Hörmann 1981:123ff) und von den Vpn durchaus nicht sauber von den zu memorierenden »Satzbedeutungen« geschieden werden können. Kurz: Man verstand, daß Sinnverstehen am Memorieren von Sätzen beteiligt ist und aus aktiven Verbindungen des Satzes und seiner Information mit vorgängigem Weltwissen besteht.27 Ein ganz ähnliches Schicksal ereilte die Versuche zur Satz-Bild-Verifikation, bei denen Vpn (z.B.) möglichst rasch entscheiden müssen, ob ein präsentierter Satz das gleichzeitig bildlich dargebotene Geschehen richtig wiedergibt oder nicht. Ursprünglich ersonnen, um die >Realität< namentlich der Passivtransformation in der Satzverarbeitung nachzuweisen, deuteten die Ergebnisse mehrheitlich darauf, daß die Leichtigkeit der Verifikation eher mit anderen Parametern korrelierte: mit der direkten Abbildung thematischer, aktiv-agentischer oder sonstwie »salienter« Größen in prominenten Positionen der funktionalen Satzgliederung z.B. Auch andere >Natürlichkeitsfaktoren< bei der sprachlichen Gliederung und Abbildung von Szenen, mit denen die Kollegen Grammatiker gar nicht erst gerechnet hatten, erwiesen sich als wirksam. Einen wirkungsmächtigen Rettungsversuch für das generative Satzmodell unternahmen Fodor, Bever & Garrett (1974). Als Verarbeitungseinheit der Satzwahrnehmung postulierten sie die »clause« (am ehesten mit Proposition zu übersetzen: Einheit aus Verb oder sonstigem Prädikatswort und seinen Argumenten). Das ist keine große Veränderung der Ausgangslage, war doch die »Tiefenstruktur« selbst auch nur eine syntaktisch verkappte propositionale Einheit. Hörer sollten nun diese »clauses« mit Hilfe von schnellen und effizienten »perzeptiven Strategien« montieren. Psychologisch real, so die Autoren,
Damit hat man immerhin die Position wieder erreicht, die den Herbartianischen und Wundtianischen Apperzeptionstheoretikem des 19. Jahrhunderts selbstverständlich war daß nämlich die Aneignung eines neuen Wissensstoffes nur auf der Basis aktiver, aufmerksamkeitsgesteuerter Aneignung und auf der Basis vorgängigen Wissens (»apperzeptive Masse«) Uberhaupt möglich ist
66 seien die Strukturen und Einheiten der generativen Grammatik, nicht aber die postulierten expliziten Analyse- und Erzeugungsprozeduren. An deren Stelle traten eben die eher globalen perzeptiven Strategien. Die bestanden im wesentlichen aus einer englischen Trivialgrammatik, die der ersten NP den Status >SubjektPrädikatObjekt< zuweisen und Propositionsgrenzen bestimmen sollte. Daß Hörer wissen müssen, was sie worauf in welchem Sinne beziehen, steht ganz außer Frage. Ob sie aber für diesen Zweck die gleichen Satzgliedrelationen (und die gleichen Indikatoren) auswerten wie der strukturhungrige Grammatiker, ist als Einwand keineswegs leichtzunehmen. Manche Linguisten meinen, Hörer bräuchten zu diesem Zwecke darüber hinaus die Tiefenkasus oder Theta-Rollen des Satzes (je nach Glaubensbekenntnis Agens, Patiens, Thema, Instrument, Receiver, Goal und einige mehr oder weniger), manche meinen, sie bräuchten nur diese, und wieder andere meinen, sie bräuchten keines von beiden, stützten sich vielmehr auf die Beziehbarkeiten im Rahmen einer laufenden Diskursrepräsentation, auf die im Wortartensystem vergegenständlichten Beziehungsanweisungen und bestenfalls im Zweifels- oder Konfliktfalle auf manifeste syntaktische Signale in der Oberfläche des Satzes. Aber zunächst einmal geriet die Verteidigungsposition unter heftigen Beschüß, die die Wortführer der generativen Schule in der Psycholinguistik bezogen hatten. Die »Clause«-Hypothese von der propositionsweisen Verarbeitung der Sätze hatte immerhin eine nachprüfbare Komponente: Wenn sie richtig war, dann mußte die (syntaktische oder strategische) Montage einer »clause« allen weiterfuhrenden (und namentlich den semandschen und diskursiven) Analysen zeitlich, sachlich und logisch vorausgehen. Gerettet wäre dann immerhin die generative Basishypothese, der Satz sei Mutter und Muster aller Dinge in der Sprachwahrnehmung. Bei dem theoretischen und methodologischen Umschwung der Psycholinguistik in den 70er und 80er Jahren konzentrierte man sich auf die mikrotemporalen Parameter der Sprachverarbeitung in Realzeit. »On line« hieß die neue Parole des Experiments und der Theorie. Maßgeblich beteiligt an dieser Neuorientierung war die Gruppe um Marslen-Wilson. Der hier zunächst wichtige Befund: Mit den Realzeit-Techniken des »shadowing« und des »monitoring« (vgl. Kap. 9) waren strukturabhängige Diskontinuitäten der Sprachverarbeitung nicht nachzuweisen (vgl. Marslen-Wilson & Tyler 1980). Übergänge und Punkte, die für die syntaktische Strukturbeschreibung relevant und wesentlich waren, blieben prozessual durchweg unauffällig. Hinweise darauf, daß syntaktische (oder pseudosyntaktische) Einheiten wie die »clause« erst montiert werden müßten, bevor die Interpretation weitergehen kann,
67 fanden sich nicht.28 Die erdrückende Übermacht grammatischer Strukturhypothesen wich allmählich der Einsicht, daß der Prozeß der Sprachverarbeitung eigene Regularitäten hat, die erst einmal erhoben werden müssen. Im Lichte der neuen Versuche erschien die Verarbeitung gesprochener Sprache als eine kontinuierlich von Wort zu Wort prozedierende, hochgradig interaktive Praxis, die zu jedem Zeitpunkt von den verschiedensten strukturellen, lexikalischen, diskursiven Informationen Gebrauch macht und sich nicht in das Schema einer strikten Abfolge von Strukturebenen zwingen läßt Inzwischen ist diese Ansicht weiter differenziert und dabei auch eingeschränkt worden. Man nimmt z.B. an (vgl. Marslen-Wilson 1989), daß es in der spoken word recognition eine autonome und relativ geschlossene Erstaktivierung von Wortkandidaten gibt (Kohortentheorie; vgl. auch Aitchison 1987 für eine einführende Darstellung), die allein auf dem lautlichen Input basiert. Die Experimente wurden >ethologischerEbene< überhaupt gibt, wurde zuerst aus der on-line-Perspektive fraglich.29 Es ist recht unwahrscheinlich, daß der Hörer syntaktische Informationen unabhängig von den Lexemen verarbeitet, an denen sie entweder kategorial oder morphosyntaktisch haften. Oder stärker noch: unabhängig von der Diskursbedeutung der Lexeme und Wortgruppen, mit denen sie verbunden sind. Was für den Syntaktiker eine verständige Abstraktion ist, muß ja nicht ipso facto auch für den Sprachbenutzer in der gleichen Ebene Aktionsparameter sein. Vielmehr ist die Annahme einer synkretischem (und keineswegs Sorten- oder ebenenreinen) Informationsverarbeitung 28
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Mit den Ansichten der Groppe um Marslen-Wilson zum Inneren Lexikon und zur Wortwahrnehmung beschäftigen wir uns in den Kap. 9 und 10. Umstritten ist diese Frage heute nicht weniger als vor 15 Jahren. Den gegenwärtigen Stand der Kontroversen kann man in verschiedenen Beitragen von Ellis (1985-87) nachlesen.
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durchaus im Einklang mit dem, was wir von anderen komplexen Steuerungen wissen. Derweil gingen auch die mehr an hardware oder software interessierten Theoretiker und Praktiker der artificial intelligence (AI) ihre eigenen Wege, die sie aber ebenfalls von Grammatiken des linguistisch vertrauten Typs rasch entfernten. Die von der generativen Grammatik postulierten Prozeduren erwiesen sich als zu prinzipiell, zu aufwendig, zu starr für jede Implementierung. Diese Dinge sind zu speziell, um hier im Detail präsentiert zu weiden. Fest steht jedoch, daß auch hier die zwangsläufige Bindung der Analyseautomaten (parser nennt man sie, wenn sie eine grammatische Strukturoepräsentation erzeugen sollen) an die lineare Abfolge der Redekette, die eben item für item abgearbeitet und >interpretiert< weiden muß, andere Formen von Syntax oder Syntaxersatz gebieterisch verlangte. Ein prominentes Beispiel für linear orientierte Analysesysteme sind die sog ATN-Grammatiken (=augmented transition network), die, darin den o.g. »perzeptiven Strategien« ähnlich, auf plausible Abfolgen eingestellt sind, die sie aber bei ausbleibender Bestätigung neu >durchgehen< und gegebenenfalls in mehreren Analyseschleifen prüfen können. Tanenhaus (1988:11) schreibt jedenfalls, daß in der Mitte der 70er Jahre die meisten Psycholinguisten das Tischtuch zwischen sich und der Linguistik zerschnitten und sich ganz überwiegend den Hauptströmungen der kognitiven Psychologie zugewandt hätten. Von nun an gibt es sicherlich deutliche Präferenzen der Theorie- und Modellbildung, die mit der professionellen Herkunft der Psycholinguisten zu tun haben: Die professionellen Linguisten neigen (naheliegender Weise) zu der Annahme eines autonomen und geschlossenen Sprachsystemes, das mit den übrigen kognitiven Subsystemen auf Input- und Outputebene interagiert, aber nicht prozessual und nicht innerhalb seiner spezifischen Mechanismen. Sie halten auch fest an der Annahme, das Sprachsystem ließe sich unabhängig von seiner Verwendung für andere kognitive und kommunikative >tasks< untersuchen. Die professionellen Psychologen dagegen sehen das alles ganz anders. Für sie ist die Grammatik nichts wirklich Besonderes. Sie versuchen, ihre Regelmäßigkeiten auf allgemeine Prinzipien der kognitiven Verarbeitung zu beziehen. Die Sprachstruktur ist für sie nicht mehr als ein Aspekt der Sprachverwendung (und keine Realität sui generis, die man gesondert untersuchen müßte). Solche Grundsatzkontroversen wollen wir natürlich hier nicht schlichten. Aber es lohnt, sie im Auge zu behalten und ihre durchsichtigen fachfremden Motive zu durchschauen. Der von den Linguisten postulierte Sonderstatus des Sprachsystems ist ja die einzige Legitimation, die dieser Gruppe Zutritt und Gewicht bei den kognitiven Psychologen verschafft. Umgekehrt dient die
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Position der Psychologen als eine Art Wellenbrecher gegen grammatische Überflutung, mit der man ja nicht die besten Erfahrungen machen konnte in den 60er Jahren. Denn wenn den Systemen der Sprachverwendung keinerlei strukturbedingte Besonderheiten anhaften, dann kann man auf die Mithilfe der Linguisten getrost verzichten. Alles löst sich dann letztlich ohnehin auf in die allgemeinen Prinzipien der kognitiven Verarbeitung. Beide Typen der Modellbildung spiegeln professionelle Verkrustungen und fachliche Eitelkeiten. Nach dem völligen Verwischen der Grenzen in den Sturm- und Drang-Zeiten der Psycholinguistik werden die Grenzen nun verbarrikadiert. Ob dabei mehr herauskommt, bleibt abzuwarten. Ein ebenso groteskes wie instruktives Beispiel für den Grad der Verranntheit, der zwischenzeitlich erreicht ist, bietet die sog. Debatte zwischen Chomsky und Piaget, die 1975 in Paris stattfand (Piatelli-Palmerini 1980) und seither durch die Lehrbücher geistert (vgl. Fanselow & Felix 1987 I:160ff). Selbst der Pappkamerad Piaget, der da zurechtgemacht wird, 30 kann, obwohl von der Substanz seines Denkens nicht viel übrigbleibt, nur durch einen sophistischen Taschenspielertrick niedergemacht werden: Fodors genialer Einwand, Piaget könne den Erwerb neuer Konzepte (etwa der Objektpermanenz) nicht erklären, weil ja >in Wirklichkeit< Kinder nur angeborene Hypothesen prüfen könnten, wird zustimmend zitiert, und dann folgt die nicht minder geniale Bemerkung, wenn man aus Erfahrung lernen könne, dann sei es schwer erklärlich, daß nicht auch Kaninchen und Hasen den Begriff der Objektpermanenz erwerben (ibid.: 168). Auf diesem Niveau hantieren die Autoren mit der ausgefeiltesten und empirisch wohl fundiertesten Theorie der kognitiven Entwicklung, die das Jahrhundert zu bieten hat. Nichts liegt mir ferner, als Piaget für sakrosankt zu erklären. Im Gegenteil fiat die seriöse Spracherwerbsforschung immer wieder auf die offenkundigen Mängel seiner Konzeption hingewiesen, z.B. auf die mangelnde Berücksichtigung sozial-kommunikativer Beziehungen als einer relativ eigenständigen wirksamen Realität (vgl. Bruner 1979, 1987, Nelson 1983, Karmiloff-Smith 30
Soweit ihnen bekannt sei, schreiben Fanselow & Felix (1987 1:161 Fußnote), habe sich Piaget anläßlich der fraglichen >Debatte< erstmals detailliert zu Fragen des Spracherwerbs geäußert. Hinmal mehr ist den Autoren Entscheidendes nicht bekannt. Le langage et la pensée chez l'enfant erschien zuerst 1923. Das für die Spracherwerbstheorie des >reifen< Piaget wichtigere Werk La formation du symbole chez l'enfant erschien 1945, kurz vor der Psychologie der Intelligenz. Es liegt seit Jahrzehnten in einer deutschen Studienausgabe vor (Piaget I97S). Noch in den 60er und 70er Jahren hat Piaget zu verschiedenen Fragen des Spracherwerbs publiziert, u.a. eine späte Replik auf die kritischen Einwände und Vorschläge, die Wygotski (1934/1964) zu seinen Spracherwerbsgedanken geäußert hatte. Von ganz ähnlicher Sorgfalt ist auch die Wiedergabe der Theorie Piagets. Eine nüchterne und kundige Darstellung der >Kontroverse< zwischen Piaget und Chomsky gibt Kegel (1987:191 ff und öfter). Auch Schwarz (1992:111 ff) ist eine brauchbare Darstellung. Zur Einführung in die Sprachauffassung der Piaget-Schule leistet Karmiloff-Smith (1979) gute Dienste.
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1979, Macnamara 1982). Auch gibt es viel Kritik daran, daß Piaget oft der kognitiven Organisation der Kinder zurechnet, was eigentlich deren kommunikativen Gewohnheiten geschuldet ist. Die mangelnde Vermittlung zwischen kommunikativem Austausch und kognitiver Entwicklung hat schon Wygotski in den 30er Jahren herausgestellt. Übrigens handelt es sich hier um eine Schwäche, die das generative Modell nur noch weiter potenziert! Wer jedoch hier auf die Einhaltung minimaler Standards der wissenschaftlichen Seriosität drängt, der verkennt den grundsätzlichen Charakter des Problems: Für Piaget ist die Sprachentwicklung eher ein Indikator der allgemeinen kognitiven Entwicklung, auf diese umfassend bezogen und ihr gegenüber eben nicht etwas ganz anderes und eigenständiges. 31 Im Sprachverhalten kommen die kognitiven Fähigkeiten der Individuen zum Ausdruck. Das Sprechen setzt die vorsprachlichen Symbolfähigkeiten des Kindes in seiner Ebene (in der Ebene kollektiver Zeichen) fort (vgl. Piaget 1975). Damit wird der Anspruch der Linguistik abgewiesen, allein auf der Basis ihres Gegenstandes selbst eigenständige >kognitive Psychologie< zu betreiben. Darum geht es. Um diesen Anspruch wird, wenn es sein muß, auch mit harten Bandagen gekämpft — und unter Hintanstellung aller wissenschaftlichen Standaids. An dieser Stelle kommt nämlich der zweite Gründungsmythos ins Spiel. Es ist der Mythos von der »kognitiven Wende« der 50er und 60er Jahre, und er wird von den Anhängern der generativen Schule eifrig kolportiert. Wir geben ihn in der Fassung von Schwarz (1992:1 Iff). Da heißt es, die Wissenschaftsgeschichte der Psychologie ließe sich für die letzten 100 Jahre »in zwei herausragende Paradigmen einteilen: das behavioristische und das kognitivistische (kognitive) Paradigma« (Schwarz 1992:11). Die künftigen Historiker werden, so wird prognostiziert, das 20. Jahrhundert in eine behavioristische und eine kognitive Hälfte teilen. Und zu den Helden der »kognitiven Wende« gehört, in der ersten Stunde bereits, Chomskys generative Linguistik: Die mentalistische Sprachtheorie, die mit Chomskys generativer Grammatik in den Vordergrund sprachwissenschaftlicher Arbeiten rückte, ist damit von ihrer Konzeption her ein Vorläufer der kognitivistischen Ansätze in der Linguistik. (Schwarz 1992:13)
Wie alle Mythen stiftet auch dieser eine Gruppenidentität über ein Feindbild. Wahr ist daran so gut wie nichts. Bestenfalls in der akademischen Psychologie der USA hat es so etwas wie eine Vorherrschaft der behavioristischen Karmiloff-Smith (1979) stellt heraus, daß es die Piaget-Schule versäumt hat, die Sprache selbst als einen eigenständigen Problemraum zu thematisieren, den das Kind (wie andere >sachliche< und quasi-sachliche Problemräume auch) handelnd für sich so weit strukturieren muß, daß er problemlos und entlastet beherrscht werden kann. Wenn man das zugesteht, dann wird auch verständlicher, warum Kinder in einem bestimmten Alter anfangen, grammatische Modelle und Analogien produktiv und eigenständig zu verwenden, obwohl es dafür eine kommunikative Notwendigkeit eigentlich nicht gibt (vgl. hierzu auch Kap. S).
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Psychologie gegeben. Skinners »Verbal Behavior«, mit dessen vernichtender Rezension der Drachentöter Chomsky dem kognitiven Paradigma Bahn gebrochen haben soll, war keineswegs ein typisches Produkt des linguistischen Behaviorismus, sondern das Werk eines Außenseiters. Schaut man sich die typischen Produkte der behavioristischen Linguistik der USA an, die der Bloomfield-Schule nämlich, dann wird das Verbindende zur generativen Linguistik ebenso deutlich wie das Trennende. Nimmt man die europäische Psychologie dazu, dann findet man die wesentlichen kognitionspsychologischen Schulen gerade in der ersten Jahrhunderthälfte (Otto Selz, Piaget, Bühler). Korrekt umreißt der Mythos freilich das Selbstverständnis derjenigen Forscher, die sich seit zwei Jahrzehnten unter dem terminologischen Dach der »Cognitive Science« mit Symbol- und Informationsverarbeitungssystemen befassen (vgl. Scheerer 1992). Insofern ist er eine wirksame Realität. Es versteht sich auch, daß es für Piaget in diesem Mythos keinen Platz gibt. Es wäre jedoch fatal, wenn man über der Mythenbildung den realen psychologischen Kern der Kontroverse aus den Augen verlieren würde. Es geht um die »Programmierung« der menschlichen Sprachfähigkeit: Reicht das Sprechen der Umgebung in Verbindung mit den allgemeinen Prinzipien der (spezifisch menschlichen) kognitiven Entwicklung oder ist ein sprachspezifisches System angeborener universalgrammatischer Prinzipien erforderlich, das dem Lernsystem gewissermaßen als »initial State« dient (so die Formulierung in Chomsky 1986:3)? Psychologisch folgenschwer ist vor allem die radikale >Verinnerlichung< der Ausgangslage im Mentalismus (auch das wohl eine Reaktionsbildung auf den Behaviorismus). Das Sprachsystem ist von vornherein ein inneres, ein mentales System Die Sprachgemeinschaft, in die das Individuum hineingeboren wird, ist die traditionelle Instanz, der die Sprache (als langue) zugerechnet wird, dem Individuum die (allgemeine, virtuelle) Sprachfähigkeit (faculté de langage) und die realisierte Rede (parole). Der mentalistische Sprachbegriff legt auch die langue zum größten Teil in das Individuum, während die Sprachgemeinschaft allein als Mittel in Betracht kommt, mit dessen Hilfe der Sprecher eine Reihe von mentalen Parametern fixiert. So wird paradoxerweise das Sprechen der Sprachgemeinschaft zu einem bloßen Epiphänomen gegenüber der eigendichen >mentalen< Realität der Sprache herabgedrückt. Die Kalamität dabei ist, daß alle linguistischen Daten, Feststellungen, Theorien, über die wir verfügen, sich auf dieses Epiphänomen beziehen, die linguistischen so gut wie die psycholinguistischen. Über die >mentale< Grammatik wissen wir dagegen nichts. Strukturiert nach bestimmten Prinzipien (womöglich auch nach universalgrammatischen) sind die Produkte, die »Aktualwerke« (Bühler), die das Sprechen hervorbringt. Ein Einwand gegen den Mentalismus der inneren oder I-Grammatik (vgl. Keller 1990:154ff) lautet daher
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stets, daß die praktische Fertigkeit keineswegs »so« strukturiert sein müsse wie ihr Produkt. Dem begegnen die Mentalisten mit dem Hinweis, es handele sich auch durchaus nicht um eine Performanztheorie, sondern um Kompetenz, um ein Wissen, das »richtig« und »falsch« unterscheiden könne an den Hervorbringungen des Sprechens. Aber — und das ist m.E. ein auch sprachpsychologisch zentraler Einwand, den Keller (1990:162ff) in anderem Zusammenhang formuliert — die Grammatikalitätsurteile des kompetenten Sprechers können sich nur darauf beziehen, ob Sätze konventionskonform gebildet sind. Und die Konvention ist ein Konstrukt, das keinem einzelnen Sprecher zugerechnet werden kann, sondern nur einer Sprachgemeinschaft. Selbst der radikale Mentalismus wird die Sprachgemeinschaft nicht wirklich los — und der Sprecher schon gar nicht. Die auf tradierte, konventionelle Weise sprechende Umgebung ist als »initial state« des Sprachvermögens vermutlich nicht weniger wichtig als die angeborene Disposition zum Spracherwerb. Aussichtsreicher scheinen demnach wenigsten in der Sprachpsychologie Ansätze, die das Sprechen zwischen >äußeren< und >inneren< Voraussetzungen in die Zange nehmen. Wer dem problemgeschichtlichen Hintergrund dieser kontroversen Konstellation zwischen psychologistisch >innerer< und soziologistisch >äußerer< Sprache nachspürt, der wird rasch fündig. Im 19. Jahrhundert versuchten die »Völkerpsychologen« um Steinthal, Lazarus und später Wundt eine Synthese beider Perspektiven, inspiriert u.a. von Herder und von Hegels Theorie des »objektiven Geistes«. Ihre Hauptgegener waren die Junggrammatiker, die mit der (psychologistischen) Ansicht antraten, »die Sprache« sei ein Konstrukt der Forscher, in Wirklichkeit gebe es nur »Individualsprachen«. In de Saussures »Cours« stehen Psychologismus und Soziologismus ohne eigentliche Vermittlung nebeneinander.32 Einen sprachtheoretisch wenig rezipierten Vermittlungsversuch (Ausnahme: Bühler) findet man bei Hans Freyer (1923), dem Begründer der Leipziger Soziologenschule. Der betont beides: die quasiobjektive Geltung der vorgefundenen, hervorgebrachten und resubjektivierten Zeichengebilde und deren Angewiesensein auf die individuellen Akte der Sinngebung. Die Zeichen sind nichts ohne die Individuen, die sie in ihre Kommunikations- und Orientierungsakte einbauen, aber die Individuen sind (und haben) auch nichts, wenn sie den geordneten Zeichenverkehr nicht in ihrer Umgebung vorfinden und sich in ihn ganz ebenso einschalten wie in eine Unzahl anderer >vorgetaner< kultureller Praktiken. Die Einheiten und Sche32
So heißt es einmal: »Die Sprache ist nicht eine Funktion der sprechenden Person; sie ist das Produkt, welches das Individuum in passiver Weise einregistriert.« (Saussure 1967:16) Und nur wenige Absätze weiter »Sie [die Sprache; CK] ist ein genau umschriebenes Objekt in der Gesamtheit der verschieden gearteten Tatsachen der menschlichen Rede. Man kann sie lokalisieren in demjenigen Teil des Kreislaufs [der parole; CK], wo ein Lautbild sich einer Vorstellung assoziiert.« (ibid.:17).
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mata des Sprechens werden als eine Art von gesellschaftlichen Halbfabrikaten konzipiert. Sie sind unerläßlich für die Kognitions- und Kommunikationsakte, die sie bahnen und ordnen (und die ohne sie weder Form noch Ausdruck hätten). Für den einzelnen, der die Formen vorfindet und aufnimmt, bedeuten Strukturen und Normen in allen Ebenen Entlastung: Über deren Aneignung gewinnt er die Fähigkeit, >alleine weiterzumachenraffinierten< Bewußtseinspsychologie. Sie ist aber auch ein Kind der wissenschaftlichen Umwälzungen im Gefolge der sowjetischen Oktoberrevolution. Wygotski, der allgemein als Kopf der »Kulturhistorischen Schule« der sowjetischen Psychologie gilt, 33 formt seine Position in den 20er Jahren an der kritischen Auseinandersetzung mit den Schulen der neuen Psychologie, mit Piaget, Bühler, Narziß Ach, den Sterns, mit Pawlow und Bechterew. 34 Die Psychologie verließ den zu eng gewordenen Innenraum der Bewußtseinserlebnisse, in dem sie sich bis dato aufgehalten hatte. Dem Bewußtsein mußte damit freilich ein neuer Platz zugewiesen werden. Der radikale Behaviorismus hat es völlig ausgewiesen, für ihn zählte nur das beobachtbare Verhalten, was da nicht zu sehen war, betrachtete er als nicht in der Welt. Für die Psychoanalyse wurde das Bewußtsein gewissermaßen die trügerische Oberfläche eines weitgehend unbewußten, gesellschaftlich eingedämmten Naturund Triebprozesses. Für die kulturhistorische Psychologie L.S. Wygotskis wurde Bewußtsein eine neue und höhere, eng mit der gesellschaftlichen Wechselwirkung der Individuen und der Sprache verbundene Ebene der Regulation von Handlungen. Die Sprachzeichen treten dabei zuerst als Mittel der sozialen Verhaltenskoordination, der wechselseitigen AufmerksamkeitssteueDie, nebenbei bemerkt, als »Activity Theory« in den letzten 10 Jahren eine ungeheuere Renaissance in der US-amerikanischen Psychologie und Pädagogik erlebt. Jerome Bruner gehört zu den einflußreichen Psychologen, die diese >Neuentdeckung< angeregt haben. Man darf vermuten, daß die Kulturhistorische Schule, geadelt durch die US-Psychologie, eines Tages über den Ozean auch wieder zu uns kommen wird. Einen Eindruck von diesen Auseinandersetzungen bietet die zweibändige deutschsprachige Ausgabe der »Ausgewählten Schriften« (Wygotski 1985-87).
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rung auf, werden aber bald auch zu (schließlich interiorisierten) Mitteln der Selbstorganisation höherer kognitiver Verhaltensweisen. Die Einheit spezifisch menschlicher Handlungs- und Bewußtseinsfähigkeiten bildet sich durch die Aneignung und >Einverleibung< kulturhistorischer Mittelsysteme. Es geht nicht mehr um das Bewußtsein allein (dessen Autonomie ist aufgelöst) oder das Verhalten allein, sondern um den vermittelten Zusammenhang beider. Es gibt bisweilen in der Wissenschaftsgeschichte seltsame Gleichzeitigkeiten. So erschien im Jahre 1934 nicht nur Wygotskis sprachpsychologisches Hauptwerk »Denken und Sprechen«, sondern auch in den USA (von Ch. Morris herausgegeben) ein Buch, das mit sehr ähnlichen Themen und Ansichten Geschichte machen sollte: George Herbert Meads »Mind, self, and society«. Beide Autoren haben einander nicht gekannt, und beide Autoren waren im Jahre des Erscheinens ihrer Bücher bereits unter der Erde. Mead denkt auf der Basis ganz anderer Traditionen als Wygotski. Zur Handlung ist er nicht von Marx her, sondern von der Philosophie des Pragmatismus und vom Behaviorismus her gekommen (und zur Kommunikation von der Wundtschen Analyse der Gebärdensprache). Auch er sucht aber das Bindeglied zwischen der besonderen gesellschaftlichen Organisationen des menschlichen Handelns und dem, was die traditionelle Psychologie das Bewußtsein nannte. In der Struktur der zeichenvermittelten Handlung findet Mead sowohl die Anatomie der gesellschaftlichen Kommunikation als auch die Grundlage für Bewußtsein und Identität der gesellschaftlichen Individuen. Im gleichen Jahr 1934 erschien im übrigen auch Bühlers (1934) »Sprachtheorie«, der einzige ernsthafte Syntheseversuch zwischen der neuen, in viele Richtungen auseinanderlaufenden Psychologie des ersten Jahrhundertdrittels und der modernen strukturalistischen Linguistik. Der umfassende Anspruch dieser Autoren ist der neueren Psycholinguistik abhanden gekommen, und damit auch das Bezugssystem der menschlichen Handlung, mit dessen Hilfe man sowohl die allgemeinen Parameter des Sprechens (als einer Form des Handelns) wie auch die besonderen, vom System der Sprache abhängigen, Eigenschaften der Sprechtätigkeit gegeneinander konturieren kann. Dagegen knüpft z.B. die generative Psycholinguistik ausdrücklich wieder an den >modularen< Traditionen der Vermögenspsychologie an, die die Praxis als Klammer und als Vermittler der einzelnen >Seelenvermögen< nicht kennt (oder für sekundär hält) und statt dessen jedes für sich nach seiner eigenen Logik konstruiert. Die Betätigung eines Vermögens ist nach dieser Logik sekundär, seine Struktur ist entscheidend. Natürlich können die obenstehenden Bemerkungen eine gründliche Beschäftigung mit der Geschichte der Sprachpsychologie nicht ersetzen. Wer sich nicht gerne mit Mythen abspeisen läßt, der muß die Mühe auf sich neh-
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men, dem Zusammenhang der älteren Sprachpsychologie mit der neueren Psycholinguistik nachzuspüren. Dabei behilflich sind Werke wie das von Hans Hörmann (1970, 1976). Für die letzten 20 Jahre sei neben Tanenhaus (1988) noch die launige Einführung zu Ellis (1985-87) erwähnt. Für die ältere Sprachpsychologie des ersten Jahrhundertdrittels vgl. man Knobloch (1984), für die des 19. Jahrhunderts Knobloch (1988b). Vieles bietet auch das monumentale und etwas umständliche Werk von Kainz (1940ff). Die beste Empfehlung bleibt jedoch die Lektüre der sprachpsychologischen »Klassiker«: Wegener, Wundt, Bühlen
5. Grammatik und Grammatikalisierung
Der Ausdruck »Grammatikalisiening« wird in verschiedenen Bedeutungen gebraucht. Einmal meint er den diachronen Prozeß der Desemantisierung, Formalisierung und Schematisierung semantischer oder lexikalischer Optionen zu geschlossen Systemen mit obligatorischer Spezifizierung (etwa der Übergang von einem fakultativen Demonstrativum zu einem obligatorischen Artikel). Im sprachpsychologischen Sinn meint »Grammatikalisierung« das Unterprogramm des Sprechens, das eine Nachricht im Einklang mit den grammatischen Form- und Abfolgeregeln einer Sprache linearisiert (ein Programm freilich, von dem keiner so recht weiß, wie es aussieht). Schließlich kann man den Ausdruck auch noch gebrauchen, um den Lernfortschritt des Kindes im Spracherwerb zu bezeichnen, der von vorgrammatischen Einwortäußerungen zur Hervorbringung grammatisch normkonformer >Sprachwerke< fuhrt. Die neuere Psycholinguistik ist ein (möglicherweise mißratenes oder ungewolltes) Kind der Grammatiktheorie, wohlgemerkt der Theorie, nicht etwa der deskriptiven Praxis, die traditionell von sich aus weder der Psychologie etwas zu bieten noch von ihr sehr viel zu übernehmen hat. Zwar steht auch die deskriptive Praxis in enger Beziehung zum psychologischen Problem des Lernens, aber diese Beziehung ist selten reflektiert worden, wohl weil man sich im Allgemeinen darauf verlassen konnte, daß die Benutzer einer Grammatik über hinreichende Erfahrung mit wenigstens einer natürlichen Sprache verfügen. Chomskys Programm, die Linguistik habe das implizite Wissen der Sprecher natürlicher Sprachen über ihre Sprache zu erforschen und es in Form einer expliziten Theorie darzustellen, hob diese stillschweigende Beziehung schlagartig ins Bewußtsein der Linguisten (und der Psychologen) und verschaffte ihr einen zentralen Platz in der Theorie. Beide Disziplinen behandeln Grammatik eher als fait accomplit und nicht so sehr als eine Aufgabe des Sprechens. Wir gehen hier, nicht nur der Abwechslung halber, einen anderen Weg, der zunächst in die Psycholinguistik (avant la lettre) des ersten Jahrhundertdrittels führt, und betrachten die Grammatikalsierung als einen Parameter in der Entwicklung des Sprachverhaltens. Wir fragen also nicht nach der >Realität< einer grammatischen Theorie, auch nicht nach der Rolle permanenten grammatischen Strukturwissens bei der Erzeugung und Verarbeitung von Äußerungen
77 (vgl. Schwarz 1992:134ff), sondern nach der Veränderung eines Verhaltens, dessen >Endzustand< (=das norm- und systemgemäße Sprechen der Erwachsenen) der grammatischen Deskription allererst das Material liefen. Aus den Untersuchungen der Stems (Stern & Stern 1928), der Bühlers (Bühler 1921) und Hildegard Hetzers (1926) zur fhihkindlichen Entwicklung ergab sich rasch und problemlos, was auch heute Konsens ist über die Phänographie des GrammatikeTwerbs: daß dieser sich nämlich über die Etappen der Einwortäußerung, der Zweiwortäußerung und der unflektierten Mehrwortäußerung vollzieht, und daß der Punkt, an dem das Kind mit eigenen morphosyntaktischen Generalisierungen anfängt, an den normwidrigen Bildungen relativ gut zu erkennen ist (während es bei normgemäßen Sequenzen immer fraglich bleibt, ob sie en bloc aus dem Gedächtnis repetiert oder analog neugebildet werden). 35 Offenbar kommen die Kinder vergleichsweise lange ohne eine systemisch organisierte Morphosyntax im Sprechen aus und lösen die Probleme der geordneten Beziehung der Wörter aufeinander auf der Basis einer Protosyntax, die viel mit sachlichen Beziehbarkeiten, mit vertrauten Szenen und Mustern, mit Sach- und Stoffhilfen zu tun hat. Natürlich kann man den relativen Erfolg dieser Protosyntax prima facie ebenso gut auf ein angeborenes >modulares< syntaktisches Programm zurückführen, das sich einfach ausfaltet, ein Programm, für welches die morphosyntaktischen Oberflächendetails ohnehin nicht so wichtig sind. Das ließe freilich unerklärt, warum diese Protosyntax auf den zweiten Blick eher den Eindruck einer >Synsemantik< macht, und ich vermute, daß das, was die Linguisten so unsachlich scharf als Syntax von der Semantik absetzen wollen, lediglich ein System distinktiver Beziehungssignale auf der Basis der immer mitlaufenden >Synsemantik< sein könnte. Es gibt auch Hinweise darauf, daß die (relative) Autonomie der Syntax erst ein recht spätes Entwicklungs- und Differenzierungsprodukt der kindlichen Sprachentwicklung bilden könnte, keinesfalls deren Ausgangspunkt, daß es sich eher um eine schrittweise Autonomisierung der Grammatik als um deren eigentliche Autonomie handelt. Zu diesem Fragenkomplex entwickelt das folgende Kapitel eine Reihe von (fragmentarischen) Hypothesen. In jedem Falle muß das Kind zunächst einmal lernen, seine verfügten Sprachelemente nicht jeweils sofort auf die Situation und auf das Gemeinte zu beziehen, sondern erst über den Umweg der Beziehung mehrerer Sprachelemente aufeinander. Es muß also lernen, die direkten Aktions-, Orientierungs-
Dieser Unterschied bleibt wichtig, auch wenn es natürlich richtig ist, daB auch jede einfache Nachahmung oder Wiederholung schon eine Neuerzeugung auf der Basis dessen ist, was der Lemer >kannverselbständigte< erlaubt die Syntax die Spezifizierung von Wort- und Sachbeziehungen nach allen Regeln der Sprachrichtigkeit, aber gegen jede sachliche Plausibilität Mit Hilfe einer >verselbständigten< Syntax können wir ebensogut den Vogel die Katze fressen lassen wie die Katze den Vogel, obwohl im Leben nur das eine vorkommt.36 Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, daß sich die Syntax erst >materialisiertSchlagenden< und einen >Geschlagenen< implizieren, wenn es aber die »Uhr« ist oder das »Herz«, dann entfallt der >Geschlagene< etc. Wir vermuten, daß sich der Kern des Wortartensystems auf die (Kap. 2ff) skizzierten Teilhandlungen der sprachlichen Darstellung beziehen lassen, daß die (autosemantischen) Wörter gewissermaßen als Formen für die Kombination von Teilhandlungen und deren Zusammenstellung zu Sinngehalten gelernt werden. Die Wörter unterscheiden sich in der Art und Weise, wie sie aktionale und kombinatorische Potentiale miteinander verbinden.38
Oft wird bei solchen kognitiven >Makrostrukturen< nicht hinreichend deutlich gemacht, ob sie sich auf eine Texttradition (Märchen, Nachricht etc.) oder auf die konstituiven Elemente einer Sach- oder Ereigniserfahrung (Urlaub, Restaurantbesuch etc.) beziehen sollen, Uber die man selbstverständlich auch sprechen kann, die aber an sich durchaus nicht >textuell< sind. Wortartentheorien mit einer solchen Tendenz findet man etwa im 19. Jahrhundert bei Gotzinger, in neuerer Zeit bei Manfred Sandmann und bei Eugenio Coseriu; vgl. die ausfuhrliche Dokumentation in Schaeder & Knobloch (1992). Ebenfalls einschlagig ist die Wortartentheorie von Kaznelson (1974:156ff). Auch Lehmann (1992) bezieht das System der Wortarten auf die Teilhandlungen des Sprechens. Er entwirft ein Konti-
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Kurz: Als virtualisierte Beziehungsanweisungen sind die partes oratioms gleichsam das Bindeglied zwischen der Protosyntax (die eine Synsemantik auf der Basis von Sach- und Sozialerfahrungen ist), und der >eigentlichen< Syntax, die auf der Grundlage kategorialer Beziehbarkeiten spezifizierend einsetzt Von den sachlichen Beziehbarkeiten (im Rahmen von Standardszenen, scripts, Schemata) ist nämlich in den partes orationis nichts übrig. Sie sind nur Beziehungsformen, die aber immer >an< einem lexikalisch spezifizierten Wort existieren, das in seiner fallweisen Verwendung (nicht notwendig auch in seinem abstrakten lexikalischen Wert) den sachlichen Beziehbarkeiten schon um einiges nähersteht.39 Die Wortarten rechnet Lehmann (1992:159) »zu den am stärksten grammatikalisierten und mithin am schwächsten funktionell motivierten sprachlichen Kategorien überhaupt.« Das ist mit anderen Worten die (nur scheinbar paradoxe) Lage, von der wir ausgehen. Daß die Ebene der sachlich-textuellen und thematischen Beziehbarkeiten in der Sprachverarbeitung eine Rolle spielt, ist in unzähligen Untersuchungen belegt (vgl.z.B. Hörmann 1981:123ff). Das gilt im Allgemeinen: grammatisch wohlintegrierte Abfolgen von Sätzen werden erst >verstandensachlichen< Anhaltspunkt, wer in Satz (2) wen über den grünen Klee lobt, so daß wir einmal wirklich in der Lage sind, in der fanatische Syntaktiker uns immer wähnen: daß wir nämlich eine wichtige semantische Frage allein auf der Basis syntaktischer Signale entscheiden müsnuum mit den Eckpunkten: [+zeitstabil, -t-referentiell, -relational] = typisch substantivisch bzw. [-zeitstabil, +prädikativ, +relalional] = typisch verbal. Wir sagen mit diesem Beispiel natürlich nicht, daß die kategorial fixierten Beziehbarkeiten die einzigen >reinen< syntaktischen Muster bilden. Sie bleiben im übrigen mit lexikalischem Gehalt behaftet. Das Schema Bestimmungswort — Grundwort (in dieser Reihenfolge!) in der deutschen Nominalkomposition ist ein Beispiel für ein weiteres, gegen lexikalische Inhalte hoch indifferentes Muster der Bildung von Komplexionen aus einzelnen Symbolen. Nach dieser Seite sind wir mit den Befürwortern einer >autonomen< Syntax durchaus einverstanden (vgl. z.B. Bock & Kroch 1989). Es handelt sich aber wohl, wie die von Sachplausibilität geleiteten Strategien des frühen Spracherwerbs belegen, um eine erworbene Indifferenz.
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sen. Wenn wir dagegen nicht schon per Erwartungsschema auf eine phantastische Geschichte eingestellt sind, dann werden wir den Satz (l1) The florist was eaten by the cake
wahrscheinlich eher als Versprecher abbuchen und stillschweigend die >richtigen< Verhältnisse herstellen. Eine psychologisch brauchbare Theorie dessen, was den partes orationis prozessual oder operativ entspricht, steckt noch in den Kinderschuhen. Es ist nachgerade verblüffend, daß auch die moderne kognitive Linguistik über die traditionelle Ontologisierung der Wortarten hinaus (Gegenstand, Eigenschaft, Tätigkeit/Prozeß) wenig anzubieten hat. Wo man den Wortarten bestimmte Typen kognitiver Konzeptualisierungen zugrundelegt (wie jüngst wieder Langacker 1987), da schimmern die alten quasi-ontologischen Gesichtspunkte noch allenthalben durch. Auch die experimentellen Sprachpsychologen ignorieren das Wortartenproblem und behandeln die partes orationis weithin als selbstverständliche, nicht weiter explikationsbedürftige Primitive. An den konzeptualistischen Lösungen ist nicht zuletzt der Umstand problematisch, daß man den dynamisch-relationalen Charakter der partes orationis vernachlässigt, ihre Verankerung in den Schematisierungs- und Detaillierungsbedürfnissen der kognitiv-kommunikativen Sprachakte (Nomination, Prädikation, Aktualisierung, Situierung etc.). Diktierten hingegen die jeweils repräsentierten Konzepte ihre kategoriale Repräsentation, dann wäre es um die erforderliche Plastizität der sprachlichen Darstellung schlecht bestellt. Zudem wäre das System der Redeteile gerade dann redundant und überflüssig, wenn es über die kognitve Charakteristik der »things meant« oder der Konzepte hinaus nichts bieten würde. Eher wird umgekehrt ein Schuh daraus: Weil das Kind für subtile kognitive Unterscheidungen weder ein Organ noch ein Motiv hat (ist ein Geräusch, ein Schmerz eine >Aktion< oder ein >Ding