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German Pages 212 Year 2019
Karl-Heinrich Bette Sporthelden
Edition transcript | Band 3
Karl-Heinrich Bette ist Professor für Sportwissenschaft an der Technischen Universität Darmstadt. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Sportsoziologie, der Soziologie des Körpers und der neueren soziologischen Systemtheorie.
Karl-Heinrich Bette
Sporthelden Spitzensport in postheroischen Zeiten
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Inhalt
Einleitung | 7
1 Spitzensport als Heldensystem | 37 2 Heldentypologie | 57 3 Heldengeschichten | 77 4 Mentoren und Gefährten | 89 5 Krisenbewältigung und Noterzeugung | 105 6 Heldenreise und Heldenpreisung | 121 7 Stellvertretung und Repräsentation | 131 8 Medialisierung und Inszenierung | 155 9 Memorierung und Sakralisierung | 169
Schlussbetrachtungen | 179
Siglen | 193
Abbildungsverzeichnis | 195
Literatur | 197
Einleitung
Der Spitzensport ist mit seiner Dauerproduktion von Siegen und Niederlagen, von spektakulären Rekorden, nervenzehrender Spannung und virtuoser Körperlichkeit wie kein anderer Sozialbereich geeignet, Helden zu erzeugen. Diese spezifische Kompetenz hat sich in der kommunikativen Landschaft der modernen Gesellschaft entsprechend niedergeschlagen. Die häufige und explizite Rede von Helden und Heldentum findet man heute meist nur noch in der Kommentierung und Bewertung sportlicher Ereignisse und Akteure. Einzelne Athleten oder Mannschaften wachsen in Wettkampfsituationen über sich hinaus, verzaubern das Publikum mit außeralltäglichen physischen, psychischen und technisch-taktischen Leistungen und erhalten hierfür den öffentlichen Ritterschlag zum Helden. Falls ein entsprechender Überraschungseffekt vorliegt, werden die Taten der Sportler und Sportlerinnen sogar als »Wunder« wahrgenommen und in »Sommer-« und »Wintermärchen« memoriert und nacherzählt. Der sportbezogene Heldendiskurs entsteht dabei nicht aus dem Nichts. Er greift vielmehr auf Deutungsmuster, Semantiken und Narrationen zurück, die Beobachter seit der Zeit des magisch-religiösen Denkens nutzen, um herausragende Einzel- und Kollektivleistungen zu beschreiben, zu würdigen oder in Zeiten von Not und Krise herbeizuwünschen. Im Gegensatz zu den fiktiven Figuren, die in antiken Mythen, Sagen, Epen und Dramen sowie in modernen Romanen, Fantasy- und Science-Fiction-Filmen oder Comics zur heroischen Tat schreiten, sind die Helden des Sports Menschen aus Fleisch und Blut, die ihre Bewährungsproben im Rahmen formal organisierter Konkurrenzen vor einem physisch anwesenden und medial zugeschalteten Publikum erbringen, um ein profanes Gut, den sportlichen Sieg, zu erringen. Auch wenn es im sportlichen Wettstreit nicht um die Bewältigung gesellschaftsbedrohender Krisen, die Bekämpfung und Linderung von Krankheiten oder
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den Umgang mit Katastrophen, Unfällen und Terroranschlägen geht, exponieren sportliche Wettbewerbe in einzigartiger Weise Personen oder Personenkollektive, die das Erwartungsmuster von leistungsorientierten, hart an sich arbeitenden, risikobereiten, mutigen und opfer- und verausgabungswilligen Akteuren öffentlich inkarnieren und mit Leben füllen. Die monopolähnliche Verwendung der Heldenrhetorik zugunsten des Sports und seiner Hauptprotagonisten verweist nicht nur auf die spezifischen Möglichkeiten dieses Sozialbereichs, einzelne Personen oder Mannschaften als Besonderheiten auszuzeichnen und die Bewunderung und Verehrung eines Massenpublikums mit Hilfe moderner Verbreitungsmedien zu mobilisieren; sie deutet auch auf Umbauprozesse in der Wahrnehmung des Helden in der Gegenwartsgesellschaft hin. Im wissenschaftlichen Diskurs werden Postheroismen bereits in vielen Bereichen vermutet und durchaus kontrovers bewertet und diskutiert. Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler (2015) spricht in einer militärhistorisch angelegten Gegenwartsdiagnose pauschal von der Existenz einer »postheroischen Gesellschaft«, der die Idee von Heldentum, Ehre und Aufopferung für eine nationale Sache abhanden gekommen sei. Aufgrund einer Präferenz für Frieden und gewaltfreie Konfliktlösungen und der Ausprägung korrespondierender Mentalitäten wäre eine solche Gesellschaft auf die Konfrontation mit ideologisch motivierten, religiös aufgeladenen und gewaltbereiten heroischen Gemeinschaften nur unzureichend vorbereitet. Demgegenüber sieht der Soziologe Dirk Baecker (1994: 18f., 2015) in Anlehnung an die Ausführungen von Charles Handy (1989) die Notwendigkeit eines »postheroischen Managements« und einer »postheroischen Führung« auf der Ebene von Unternehmen heraufziehen, um den Problemen einer globalisierten Ökonomie mit flachen Hierarchien und dynamisch-integrativen Führungsstilen begegnen zu können. Mit der alleinigen »Verfügung über Kapitalvermögen« und der »Inszenierung entsprechender Risikobereitschaften und Verantwortungen« oder der Zurschaustellung »grandioser Gesten« könne man als Unternehmensführer heute weder Mitarbeiter motivieren noch am Markt erfolgreich reüssieren. Martin Dornes (2012: 320ff., 350), ein im Schnittpunkt von Soziologie und Psychologie arbeitender Psychotherapeut, geht im Rahmen einer Analyse gegenwärtiger Sozialisationsbedingungen von der Entstehung »postheroischer Persönlichkeitstypen« aus. Die modernen zuwendungsorientierten demokratischen Erziehungsstile der Elterngeneration hätten im psychischen Haushalt des spätmodernen Subjekts
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ambivalente Wirkungen hervorgerufen. Eigene Impulse würden zwar nicht mehr heroisch unterdrückt, sondern flexibel ausgelebt. In einer pluralen Gesellschaft, die keinen festen Halt in einer verbindlichen Sozialordnung mehr geben könne, seien innere Freiheit und Beweglichkeit aber um den Preis einer größeren Labilisierung und Verletzlichkeit der Psyche gesteigert worden. Das »psychische Formierungspotential« hätte hierdurch eine nachhaltige Schwächung erfahren. Postheroische Wandlungsprozesse, die sogar in einem expliziten Verbot des Heroischen kulminieren, werden zudem schon seit längerem in der virtuellen Realität von Filmen und Comic-Heften theatralisch zum Ausdruck gebracht. Die Superhelden sind nach der »Marvel-Revolution« Anfang der 1960er Jahre um Stan Lee, Jack Kirby, Steve Ditko und Bill Everett nicht mehr die geradlinig-aufrichtigen Retter, die das klar definierte Böse auf der Grundlage einer fest implementierten und unhinterfragten Wertebasis bekämpfen und für ihren selbstlosen Einsatz mit der Bewunderung und dem Dank der Hilfsbedürftigen rechnen können. Sie haben Schwächen wie Normalsterbliche, zweifeln an sich selbst, sind psychisch fragil, weisen Moraldefizite auf, verstecken sich vor der Öffentlichkeit oder werden im Rahmen eines staatlich verordneten »Superhero Relocation Program« dazu verurteilt, ihre Superheldenidentität zu verbergen und eine banale Vorstadtexistenz ohne die übliche »Heldenarbeit« zu führen. Sie dürfen ihre Superkräfte nicht mehr einsetzen, da die Kollateralschäden ihrer heroischen Taten Animositäten und Abwehrhaltungen bei ihren Zeitgenossen hervorgerufen haben.1 Aufgrund von sozialer Ausgrenzung und Stigmatisierung werden einige von ihnen zu Alkoho1 | Siehe hierzu exemplarisch den Animationsfilm »The Incredibles« (2004) und den Superheldenfilm »Hancock« (2008). Einen Einblick in die gegenwärtige akademische Superheldendiskussion geben Haslem et al. (2007), Don LoCicero (2008) und die auf der Basis einer Ausstellung von der Bibliothèque nationale de France (2007) unter dem Titel »Héros d’Achille à Zidane« herausgegebenen Texte. Lawrence/Jewett (2002) analysierten den »Mythos des amerikanischen Superhelden«. Siehe außerdem die zahlreichen Beiträge, die unter dem Titel »Superhelden. Zur Ästhetisierung und Politisierung menschlicher Außerordentlichkeit« in: Kritische Berichte. Zeitschrift für Kunst- und Kulturwissenschaft (2011, Jg. 39, Heft 1) publiziert wurden. Nerlich (2013) analysierte »Geschichte, Wesen und Ästhetik« von Superhelden. Auf die Bedeutung der Superhelden als »Vergrößerungsgläser der populären Kultur« ging Darth (2016) ein.
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likern, entgleisen aufgrund ihres verordneten Nichtstuns in ihrer heroischen Körperlichkeit, drücken sich im Gossenslang aus und verachten Kinder ebenso wie Erwachsene. Heroismus erscheint in diesem fiktiven Universum der Übermenschen und Extraterrestrischen nicht nur als eine überholte Daseinsform, sondern als eine Gefahr für die Allgemeinheit, die das Mittelmäßige feiert und das Außergewöhnliche nicht mehr zu würdigen weiß. Die Rede vom Bedeutungsverlust des Heroischen in der Moderne und von der Entstehung postheroischer Dispositionen und Mentalitäten ist jenseits der genannten militärhistorischen, ökonomischen, sozialisationstheoretischen und populärkulturellen Einsichten und Begründungen inhaltlich zu präzisieren, da real existierende Personen auch in komplexen Gesellschaften den Status außeralltäglicher Sozialfiguren erreichen können, wenn sie soziale Erwartungen übererfüllen, dadurch geschätzte gesellschaftliche Werte in ihrem Handeln konkret sichtbar machen und hierfür durch Beobachter und Leistungsbeglaubiger eine entsprechende Würdigung erfahren. So haben Personen in der Politik, wie Winston Churchill, Charles de Gaulle, Konrad Adenauer, John F. Kennedy, Mahatma Gandhi, Martin Luther King oder Nelson Mandela gezeigt haben, durchaus heroische Narrationen zu Lebzeiten und posthum auf sich ziehen können, weil sie entweder kollektiv bindende Entscheidungen erfolgreich im Medium der Macht einsetzten, um ihre politischen Ziele zu erreichen und Krisen abzuwenden, oder gegen bestehende Machtverhältnisse erfolgreich protestierten und Massen für ihre Sache zu mobilisieren verstanden. Die einen glänzten in der Anti-Hitler-Koalition und in der Wiederversöhnung mit einem ehemaligen Kriegsgegner, ermöglichten die Westbindung einer Nation, verhielten sich geschickt in Verhandlungen und holten die letzten Kriegsgefangenen nach Hause; die anderen handelten für das Gemeinwesen Vorteile aus, zeigten Rückgrat in politischen Großmachtkonfrontationen oder saßen Jahrzehnte für ihre Überzeugungen und ihr Engagement im Gefängnis und setzten dennoch ohne Hass und Ressentiment politische und pazifistische Reformprogramme mit vormaligen Gegnern durch. Manche bezahlten ihren Einsatz für das Gemeinwohl mit dem Leben. Einen Volksheldenstatus erhielten auch jene Akteure, die sich im Kontext politischen Handelns als Sozialfiguren der Auflehnung, Befreiung und nationalen Vereinigung profilieren konnten. Zu nennen wären in diesem Zusammenhang histo-
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rische Figuren wie Simón Bolívar für Bolivien, Giuseppe Garibaldi für Italien oder José Rizal für die Philippinen.2 Skandale haben in den letzten Jahren allerdings immer wieder zu desillusionierenden Erfahrungen mit der politischen Prominenz geführt. Für den Fall der Bundesrepublik Deutschland denke man nur an die zahlreichen Schwarzgeld- und Parteispendenaffären, in die selbst diejenigen verstrickt waren, die sich vorher einen durchaus guten Namen bei der Wiedervereinigung zweier Staaten erworben hatten. In anderen Ländern haben sich gewählte Volksvertreter unter fingierter Gemeinwohlorientierung illegitim bereichert. Auch Wortbrüche und programmatische Kehrtwendungen nach Wahlen, die eine Disparität zwischen Reden und Tun offenbaren, sind nicht dazu angetan, Vertrauen in die Glaubwürdigkeit von Politikern zu schaffen. Außeralltägliche Kompetenzen zu beweisen ist in demokratisch verfassten Nationalstaaten ohnehin schwierig, da mit den Wählern ein Prinzipal über den Politikern lauert, der offene Worte und handlungskräftige Entscheidungen häufig nur dann belohnt, wenn eigene Interessen hierdurch nicht allzu stark tangiert werden. Opportunistische Verhaltensweisen vor anstehenden Wahlen zur Beruhigung und Beeinflussung der eigenen Klientel sind dadurch zur Regel geworden. In der Politik fällt es einzelnen Akteuren auch deshalb schwer, individuelle Duftmarken zu setzen und heroische Handlungsspuren zu hinterlassen, weil die Parteien sie in eine straffe Gremien- und Proporzlandschaft einbinden, in der es oft nicht nach Leistung, sondern nach regionaler Herkunft, Geschlecht, Religionszugehörigkeit, Parteidisziplin und bewiesener Loyalität geht. Nicht umsonst werden viele Politiker abschätzig als »Parteisoldaten« bezeichnet, also als Figuren dargestellt, die im Gleichschritt marschieren und ihre individuellen Handlungsleistungen als Befehlsempfänger übergeordneter Instanzen erbringen. Selbst das an der Hierarchiespitze eines Staates mit Weisungsbefugnis nach unten stehende politische Personen- und Figurentableau kann eigene Programmideen oft nicht punktgenau umsetzen, da die Demokratie als ein auf Kompromisse ausgerichtetes Entscheidungsfindungsprinzip Sollbruchstellen vorsieht und unhintergehbare Gestaltungsgrenzen setzt. So werden die in Gesetzesform gegossenen Ergebnisse politischen Handelns immer wieder durch übergeordnete Instanzen, Verfassungsgerichte oder anderweitige Institutionen überprüft (Willke 2016: 34) und verworfen. In 2 | Vgl. Dahm (1989), Rehrmann (2009), Palli (2016).
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nicht wenigen Fällen mussten Gesetze überarbeitet, revidiert oder gänzlich zurückgenommen werden, was die betreffenden Politiker in der Regel als unerwünschte Intervention wahrnahmen, und nicht als strukturell vorgesehene Kontrolle im Rahmen der grundgesetzlich verankerten Gewaltenteilung. Reputationsverluste haben nationale Politiker insgesamt hinzunehmen, weil der Umgang mit der Dynamik einer funktional differenzierten Gesellschaft unbarmherzig Wissens- und Kompetenzdefizite aufzeigt, die politische Akteure auch durch eine Ressortspezialisierung nicht auffangen können. Jeder sichtbare Rückgriff auf externe Experten und deren Sonderwissen reduziert die Möglichkeit, dass Handlungseffekte, die das Wahlpublikum als heroisch attribuieren könnte, ausschließlich den politischen Auftraggebern zugeschrieben werden. Kluges Management des eigenen Ressorts beziehungsweise Ministeriums wird wertgeschätzt, aber nicht prinzipiell im Heldenschema beobachtet. Als äußere Limitierungen für das Erreichen eines Heldenstatus im Kontext politischen Handelns treten, last but not least, die Fremdinteressen externer Staaten bei der Bewältigung globaler Krisen wie Überbevölkerung, Migration, Klimawandel, Übermilitarisierung, Weltwirtschaft und Terrorismus in Erscheinung. Sie stehen dem Steuerungs- und Gestaltungswillen nationaler Politikakteure oft diametral entgegen und verhindern, dass sich anschließend individuell attribuierbare Heldengeschichten erzählen lassen.3 Politiker, die die eigene Herkunftsnation mit einem heroischen Tigersprung verändern wollten, haben ihre vollmundigen Wahlversprechen oft nicht einhalten können, weil sie nach Bekanntschaft mit der Realität unsanft im Inkrementalismus des politischen Tagesgeschäfts landeten. Auch die Religion ist im Medium des Glaubens prinzipiell heldenfähig. Ihre Heroen findet man traditionellerweise in den Reihen der Religionsstifter, Apostel, Missionare, Täufer, Propheten und deren Nachfolger und Repräsentanten. Nicht wenige religiöse Gemeinschaften haben aus Gründen moralischer Erbauung und Vorbildwirkung ausgeklügelte Heldenhierarchien geschaffen und genaue Zutrittsregeln und Verfahrensabläufe für die Zugehörigkeit zum eigenen Heldenkader definiert. Wer sein Leben für den eigenen Glauben opferte, landete im religiösen Heldenranking in der Sonderkategorie der Märtyrer. Und wer seine Mitmenschen 3 | Zu den Gestaltungsgrenzen politischer Akteure und zur Empfehlung postheroischer Copingstrategien vgl. Schimank (2011).
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durch spektakuläre Wohltaten beeindruckte oder gar »Wunder« bewirkte, indem er Kranke heilte, scheinbar Naturgesetze außer Kraft setzte, Visionen und ekstatische Rauschzustände vorweisen konnte, spontane Wundmerkmale aufwies oder den Glauben mit der Waffe in der Hand gegen Andersgläubige verteidigte, wurde nach seinem Tode selig gesprochen oder in den Adelsstand der Heiligen aufgenommen. Heroische Taten und Wunder werden dann verfahrensmäßig von einer kirchlichen Kongregation bewertet und nach erfolgreicher Evaluation öffentlich vom Papst mitgeteilt und textförmig in Legenden festgehalten, um in Messen von der Kanzel verkündigt oder in religiösen Organisationen, beispielsweise Klöstern, als Motivationshilfe verbreitet zu werden.4 Religionshelden sind aber im Gefolge der gesellschaftlichen Modernisierung, insbesondere nach der Entzauberung religiöser Weltdeutungen durch die Wissenschaft und in Folge der negativen Erfahrungen mit religiös motivierten Kriegen und Auseinandersetzungen, auch nicht mehr das, was sie in der vormodernen Gesellschaft einmal waren. Wenn Religion, wie Karl Marx 1844 in der Einleitung zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie bemerkte, »Opium des Volkes« sei, kann es mit den Helden der Religion zumindest aus der Sicht dieses soziologischen Theoretikers nicht weit her sein. Zudem haben die in den letzten Jahren an die Öffentlichkeit gedrungenen Missbrauchsfälle von Priestern gegenüber Kindern und Jugendlichen mit nachfolgenden Vertuschungs- und Verheimlichungsaktionen übergeordneter Instanzen das Vertrauen in die traditionellen Amtskirchen nachhaltig erschüttert. Wenn die Kluft zwischen religiösem Anspruch und profaner Lebenswirklichkeit sichtbar auseinanderdriftet und sich der Eindruck in der Öffentlichkeit festsetzt, dass der Alltag vieler Priester jenseits der Kanzel offensichtlich nicht ohne Verstöße gegen religiöse und andere gesellschaftliche Normen auskommt, schnellen die Austrittsquoten von Kirchenmitgliedern in die Höhe und der Lobklatsch gegenüber Amtsinhabern wird allmählich durch Schimpfklatsch über Verfehlungen und Fehltritte verdrängt.5 Heroische Narrative im Kontext religiöser Kommunikation haben unter diesen Bedingungen nur begrenzte Karrierechancen.
4 | Vgl. Bienfait (2006, 2008) mit ihrer Analyse katholischer Kanonisierungsprozesse. 5 | Zur Differenzierung dieser Klatschtypen siehe Elias/Scotson (1990: 166ff.).
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Ein ähnlicher Bedeutungsverlust von Heldenfiguren ist gegenwärtig in der Wirtschaft zu beobachten. Hier sind es erfolgreiche Unternehmer, Konzernführer und Manager, die prinzipiell im Heldenhimmel landen könnten. Aber die Heroen des Gelderwerbs, der Bedürfnisbefriedigung und Unternehmenssteuerung fallen im Zeitalter der Globalisierung eher dadurch auf, dass sie den »shareholder value« ihrer Firmen zu steigern trachten und Arbeitsplätze trotz hoher Rendite abbauen oder ins Ausland verlegen. Wenn zudem Manager in Zusammenarbeit mit Aufsichtsräten eine eklatante Selbstbedienungsmentalität zu Lasten der Aktionäre kultivieren, sich bei Firmenzusammenschlüssen wechselseitig »goldene Handschläge« verabreichen oder sogar nach wirtschaftlichen Misserfolgen hohe Boni einstreichen, sind dies keine Maßnahmen, die bei der eigenen Belegschaft und in der Öffentlichkeit als heroisch gewürdigt werden. Die Aufgabe, das wirtschaftlich Mögliche unter den Konkurrenzbedingungen einer weltweit ausgreifenden Ökonomie zu steigern, führt in vielen Branchen zu Handlungsstrategien, die einer ambivalenten Einschätzung des wirtschaftlichen Führungspersonals Vorschub leisten. Die in den letzten Jahren aufgekommene Rede von einem »postheroischen Management« und einer »postheroischen Führung« deutet darauf hin, dass die Implementation flacher Hierarchien und netzwerkbasierter Führungsstile in Unternehmen traditionell agierende, allmächtig von oben nach unten durchgreifende Führungspersönlichkeiten nachhaltig verdrängt und entheroisiert hat. Die Wissenschaft als ein weiteres Funktionssystem der modernen Gesellschaft ist ebenfalls nicht generell heldenaversiv, sondern lässt heroische Attributionen im Medium intersubjektiver Wahrheit durchaus zu, beispielsweise wenn Forschende mit Hilfe bordeigener Mittel – sprich: wissenschaftlicher Theorien und Methoden – in einer nachvollziehbaren Weise Erkenntnisgewinne produziert haben. Artikel und Bücher sind dann jene in Schriftform abgelegten kommunikativen Akte, mit denen die Wissenschaft ihre Selbstorganisation und Selbstbeobachtung auf Dauer stellt. Publikationen führen zu Publikationen, die wiederum Folgepublikationen anregen. Und Zitationen zeigen, wie die diversen Kommunikationsketten verlaufen und das Wissenschaftssystem Reputation als Zweitcodierung zuordnet. Der binäre Code der Wissenschaft ermöglicht dabei zwei Anschlusskommunikationen: Entweder werden die Aussagen einer Publikation von späteren Analysen als wahr eingestuft und dann der eigenen Beweisführung oder empirischen Überprüfung
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zugrundegelegt; oder eine Publikation wird als Irrtum wahrgenommen und nur noch dann zitiert, wenn man ein illustratives Belegbeispiel für wissenschaftliche Fehlinterpretationen und Sackgassen benötigt oder Paradigmenwechsel im historischen Verlauf der wissenschaftlichen Forschung beschreibt. Wissenschaftler werden dadurch untereinander in ein Konkurrenzverhältnis versetzt, wer zu welchem Thema wann und an welchem Publikationsort intersubjektiv anschlussfähige Erkenntnisse publizierte und damit zum Wissenschaftsdiskurs beigetragen hat. Um Streitigkeiten über Pioniergewinne aus der Welt zu schaffen, gibt es das Instrument der präzisen Zitation, in der eine Verbindung zwischen Person, Inhalt, Publikationszeit und Veröffentlichungsorgan hergestellt wird. Die Scientific Community schätzt jene Akteure hoch ein, die als Grundlagenforscher dabei helfen, die belebte und unbelebte Welt neu zu erklären, oder die als Anwender Pioniergewinne bei der Neuentwicklung von Medikamenten oder technischen Geräten erzielen. Wissenschaftler bevölkern den Heldenkosmos dann als Nobelpreisträger, namhafte und publikationsstarke Theoretiker, gefeierte Erfinder, wagemutige Entdecker oder als Operateure, die riskante Eingriffe »auf Messers Schneide« durchführten. Von den Helden der Wissenschaft und ihrer Arbeit bekommt das breite Publikum aber nicht viel mit, weil wissenschaftliche Leistungen jenseits der Öffentlichkeit in Studierzimmern, Bibliotheken, Laboren, OP-Sälen oder in fernen Regionen erbracht werden, oft in einer Welt der reinen Abstraktion angesiedelt sind und – wenn überhaupt – meist erst nach Jahren der Leistungserbringung durch Sonderkomitees in langen und durchaus kontroversen Evaluierungsprozessen auf Vorschlag oder Selbstantrag gewürdigt werden.6 Lediglich Insider sind in der Lage, wissenschaftliche Leistungen inhaltlich angemessen einzuschätzen. Erschwerend bei der Würdigung von Wissenschaftshelden kommt hinzu, dass sich viele wissenschaftliche Erkenntnisse einer plakativen Umsetzung in die Sprache der Bilder widersetzen. Wer aber in einer medienorientierten Gesellschaft mit seinen Leistungen nicht gesehen wird und »newsworthiness« beweist, hat geringe Chancen, heroische Narrationen auf sich zu ziehen und in den Heldenhimmel aufgenommen zu werden. Wissenschaftler kommen deshalb in der Regel nicht über den Status einer sektoralen Prominenz hinaus. Nur Fachleute kennen die Namen 6 | Zur sozialen Konstruktion von Nobelpreisträgern siehe Zuckerman (1977). Die darauf aufbauende Ökonomie von Ruhm und Prestige beschreibt English (2005).
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der letzten Nobelpreisträger in Medizin, Physik und Chemie oder sind in der Lage, die Träger der alle vier Jahre verliehenen Fieldsmedaille oder der Leibniz-Laureaten zu benennen. Letztlich hat auch das traditionelle Heldenrefugium der Nationalstaaten einen enormen Reputationsverlust hinnehmen müssen: Das im Kontext der Politik angesiedelte Militärsystem mit seinen soldatischen Akteuren. Spätestens nach den kriegerischen Auseinandersetzungen des letzten Jahrhunderts besitzen Militärhelden in vielen Ländern keinen sonderlich hohen Status mehr. Militärische Leistungen haben schließlich nicht mit der »Leichtigkeit des Seins«, sondern mit Tod und Zerstörung zu tun. Das Ende nationalistischer Erzählungen in Deutschland führte deshalb zu einem Ende heroischer Narrationen, die mit Begriffen wie Ehre, Tod und Aufopferung für Volk und Vaterland Millionen begeistert, aber letztlich in den Untergang getrieben hatten. In Zeiten pazifistischer Grundstimmungen weisen militärische Heroismen auf die Konsequenzen eines bellizistischen Seins hin, das die Majorität der Gesellschaftsmitglieder strikt ablehnt. Zusätzlich haben die Erfahrungen mit den Kollateralschäden einer asymmetrischen Kriegsführung weitverbreitete Desillusionierungseffekte selbst in jenen Nationen hervorgerufen, die als Siegermächte des Zweiten Weltkriegs in postkoloniale Konflikte oder Stellvertreter- und Sezessionskriege verstrickt waren. Auseinandersetzungen mit militärisch Schwächeren, die auf einen zermürbenden Klein- und Partisanenkrieg setzen und sich hierdurch der direkten Konfrontation und der offenen Feldschlacht mit dem militärisch Stärkeren entziehen, zwingen die letzteren nämlich dazu, auf traditionelle Formen der militärischen Kriegsführung zu verzichten und sich der Kampfesweise der Schwächeren um den Preis der Verrohung der eigenen Soldaten anzupassen – und dies in einer Welt, in der über bekannt gewordene militärische Entgleisungen im Herkunftsland der Soldaten medial berichtet und gerichtet wird (Heuser 2013). Um eine schlechte Presse zu vermeiden, ist deshalb, wie Mazzetti (2013) bemerkte, an die Stelle der offiziell verkündeten Auseinandersetzung zwischen Staaten der von Geheimdienstlern und Söldnern getragene »geheime Krieg« getreten, der unterhalb der Schwelle des offiziell Bekannten und Verkündeten stattfindet. Moderne Massenvernichtungs- und Distanzwaffen haben zudem das Töten und Zerstören weitgehend entpersonalisiert. Die Entwicklung der Militärtechnologie hat den Soldatenkörper – wie der riskante Einsatz von Sondereinheiten zeigt – zwar keineswegs völlig ins Irrelevante verdrängt,
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wohl aber als konfliktentscheidende und potentiell heroische Größe stark beschnitten. Um die Verluste der eigenen Soldaten kleinzuhalten und die Akzeptanz der eigenen Bevölkerung in den asymmetrischen Kriegen des 21. Jahrhunderts nicht überzustrapazieren, ist der riskante persönliche Einsatz der Soldaten vor Ort immer mehr durch das Drücken von Knöpfen und das Dirigieren von Tötungsmaschinen auf entfernt liegenden Bildschirmen ersetzt worden. Drohnen- und Cyberkrieger, die ihr zerstörerisches Kriegshandwerk aus der Vogelperspektive mit lasergelenkten Raketen verrichten, werden in der Regel nicht als Kriegshelden gefeiert und mit den ansonsten üblichen Ehrenmedaillen dekoriert, weil sie ihr Leben im Einsatz nicht unmittelbar aufs Spiel setzen. Wo Maschinen Menschen in der Kriegsführung substituieren und der Staat sich durch die Inanspruchnahme privater Sicherheitsfirmen immer mehr aus dem Kampfeinsatz zurückzieht und das Ziel insgesamt darin besteht, das Gefechtsfeld vom personenbasierten Einsatz auf Digitalisierung und Robotisierung umzustellen, fällt es schwer, den regulären Soldaten einen öffentlich akzeptierten heroischen Status zu verleihen. Und wenn sogar die Guten auf schädigende oder gar todbringende Mittel zurückgreifen müssen, um Vorstellungen von Moralität und Zivilgesellschaft durchzusetzen, fällt auch auf das Heroische dieser Taten ein dauerhaft dunkler Schatten. Selbst die im öffentlichen Diskurs des Öfteren genannten »Helden des Alltags«, die ungeplant und spontan Menschenleben retten oder durch andere prosoziale Aktionen auffallen, lösen nur ein punktuelles Interesse aus, weil die Ursachen für die gezeigten Hilfs- und Rettungsmaßnahmen entweder auf strukturelle Defizite des Wohlfahrtsstaates hinweisen oder in Gestalt unerwünschter, plötzlich hereingebrochener Unfälle und Katastrophen virulent geworden sind. So führte der Angriff auf das Worldtrade Center in den USA zu einer Wiederkehr der öffentlichen Heldenrhetorik. Feuerwehrleute, Polizisten, Passanten und Journalisten hatten Kopf und Kragen riskiert, um Menschen aus den beiden brennenden und einstürzenden Hochhäusern zu retten oder darüber hautnah zu berichten. Sie wurden anschließend für ihren Einsatz und ihre Opferbereitschaft explizit als Helden oder Heldinnen gefeiert – ebenso wie die Passagiere eines gekaperten Flugzeuges, die ihre Maschine zum Absturz brachten, um die gezielte Umfunktionierung ihres Fluggeräts in eine Lenkwaffe zu verhindern. In der Kategorie der Alltagshelden tauchen weiterhin auch jene Personen auf, die im Nationalsozialismus oder in anderen totalitären
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politischen Systemen Zivilcourage und Hilfsbereitschaft für unbekannte Verfolgte und Todgeweihte zeigten und diese trotz eigener Lebensgefahr zu retten versuchten. Aber selbst Situationen dieser Art oder großformatige Ereignisse wie Terroranschläge, Erdbeben und Sturmfluten mit nachfolgenden Hilfsaktionen können einzelne Alltagshelden in der Hierarchie der Aufmerksamkeit nicht dauerhaft nach oben katapultieren. Im typischen »issue attention cycle« (Downs 1972) der Medien verschwinden sie nach einem kurzen Auf blitzen schnell wieder im Orkus des Vergessens. Helden sind, wie die genannten Beispiele verdeutlichen, Sozialfiguren, an die außeralltägliche Erwartungen und Hoffnungen adressiert werden. In Krisen- und Notzeiten, die in den einzelnen gesellschaftlichen Sozialbereichen unterschiedlich ausfallen und dadurch entsprechend konturierte Retterprofile erforderlich machen, ist der Ruf nach Heldentaten besonders laut zu vernehmen. Heldentum entsteht dann in jenen seltenen Momenten, in denen individuelle Akteure die symbolisch generalisierten Steuerungs- und Hilfsmedien gesellschaftlicher Funktionssysteme nutzen, um Probleme und Krisen zu bereinigen, und hierfür die Anerkennung und Wertschätzung durch Beobachter und Beglaubiger auf sich ziehen.7 Helden sind sozial konstruiert, weil das Milieu, in dem sie Grenzen überschreiten und sich durch außeralltägliche Leistungen profilieren, sozialen Konstruktionsprinzipien und Regeln gehorcht. Der soziale Kontext bestimmt demnach in maßgeblicher Weise, wer für welche Leistungen als heroisch ausgeflaggt wird. Konsequenterweise werden in der Sozialfigur des Helden sowohl Ansprüche gegenüber Personen geltend gemacht als auch Handlungs- und Belohnungsofferten unterbreitet. Helden, die systemische Werte in ihrem Handeln sichtbar und erlebbar machen, sind weniger in ihrer physisch-organischen Existenz und psychischen Motivlage relevant; sie erlangen ihre Bedeutung vielmehr als Thema gesellschaftlicher Kommunikation – und dies nicht erst nach ihrem Ableben. Die physischen, psychischen und technisch-taktischen Fähigkeiten von Personen werden dadurch nicht abgewertet, sondern einem sozialen Kontext zugeordnet, der außeralltägliches Handeln anregt, ermöglicht, belohnt, aber auch demotivieren kann.8 In Ergänzung einer Denkofferte von Er7 | Zur Theorie symbolisch generalisierter Steuerungsmedien siehe Luhmann (1975a). 8 | Zur Verortung des Menschen als Umwelt sozialer Systeme siehe Luhmann (1984: 15ff.).
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ving Goffman (1986: 8), der in seiner Studie über Interaktionsrituale von »Situationen und ihre(n) Menschen« sprach, ist festzuhalten, dass auf der Mesoebene angesiedelte organisierte Sozialsysteme Situationen auf der Mikroebene des Geschehens oftmals präfigurieren. Dies gilt auch für die Auslösung und Bewertung außeralltäglichen Handelns. Wenn es zutrifft, dass Heldenfiguren in erster Linie soziale Konstruktionen sind, in denen soziale Systeme, vornehmlich Organisationen, nicht nur Leistungserwartungen gegenüber Personen zum Ausdruck bringen, sondern diesen auch die Möglichkeit verschaffen, sich in funktionsspezifischen Rollen als Übererfüller zu bewähren und sichtbar zu machen, dann sind in einer differenzierten Gesellschaft gleichzeitig ablaufende Auf- und Abwärtsbewegungen in der Heldennachfrage erwartbar. So kann das Heroische an Bedeutung verlieren und sogar kontraproduktive Wirkungen hervorrufen, wenn krisen- und notminimierende Interventionen und Wandlungsprozesse den Bedarf an supererogatorischen9 personalen Leistungen in den gesellschaftlichen Funktionsbereichen reduziert haben. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn organisatorische Netzwerke Probleme professionell-arbeitsteilig kleinarbeiten, technologische Innovationen den außeralltäglichen Einsatz von Personen überflüssig machen, der Held sein erworbenes Charisma durch Normbrüche und Entgleisungen selbst denunziert und skandalisiert und der Neubeginn nach einem anderen, weniger heroischen Personenprofil verlangt. Organisationen erzeugen Deheroisierungseffekte, wenn Entscheidungen über Programme und formalisierte Kommunikationswege zustande kommen, und weniger über qualifizierte Personen mit breiten Entscheidungsbefugnissen. In Bürokratien dominieren traditionellerweise heldenaversive Sozialfiguren, da die dortigen Entscheidungen auf den Gleisen vorgegebener Arbeitspläne erfolgen. Handlungsfreiräume mit Gestaltungsmöglichkeiten für die abhängig beschäftigten Mitglieder dieser Einrichtungen sind nur begrenzt vorhanden. Heroismus ist deshalb in der Welt der Angestellten und der penibel festgelegten Dienstvorschriften weder vorgesehen noch
9 | Zur Theorie eines supererogatorischen, jenseits von Pflichten und Rollenobligationen angesiedelten Handelns in der Moral- und Ethikphilosophie siehe die Arbeiten von Urmson (1958), McConell (1980), Pybus (1982) und McGoldrick (1984).
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notwendig.10 Die Anmeldung eines Autos beim Straßenverkehrsamt oder die Bearbeitung einer Einkommenssteuererklärung beim Finanzamt läuft routinemäßig ab und erfordert keine außeralltägliche Kompetenz aufseiten der Sachbearbeiter. Deheroisierungswirkungen treten typischerweise in gesellschaftlichen Sozialbereichen auf, die das Außeralltägliche auf der Ebene von Person und Körper aus Funktionsüberlegungen marginalisieren. Dies zeigt sich nicht nur im Arbeitsalltag von Bürokratien oder in der personen- und muskelverdrängenden Nutzung von Hightech-Waffen beim Militär. Besonders deutlich wird dies in Industriebetrieben, in denen die menschliche Arbeitskraft durch Automatisierung, Digitalisierung und Robotisierung aus Kosten- und Effektivitätsgründen nahezu vollständig ersetzt wurde. Im Zeitalter künstlicher Körper, die ihre Leistungen schweiß- und ermüdungsfrei in immergleichen Bewegungsvollzügen erbringen und untereinander sogar kommunizieren, sind die »Helden der Arbeit« nicht mehr Menschen wie Alexei Stachanow11, sondern Maschinen, die rund um die Uhr Produkte herstellen, nie krank werden, ohne Urlaubsgeld und Rentenansprüche auskommen und bei Arbeitgebern auch keine Mitsprache durch Arbeitsverweigerung einfordern. Gesellschaftliche Wandlungsprozesse, die das Außergewöhnliche auf der personalen Ebene durch Bürokratisierung, Formalisierung, Professionalisierung und Technisierung verdrängen oder sogar überflüssig machen, erhöhen die Ausdifferenzierungschance von Sozialbereichen, in denen individuelle Akteure oder Gruppen gezielt die Aufgabe zugewiesen bekommen, mit körperlichen Kompetenzen und psychischen Fähigkeiten Tatkraft zu beweisen und den alles entscheidenden Unterschied auszumachen.12 In diesen sozialen Enklaven wird das Verdrängte nicht 10 | Zur Sozialfigur des Angestellten und seines Arbeitsumfeldes siehe Lederer (1912), Kracauer (1930), Braun (1964) und Schluchter (1984). Vgl. hierzu auch die Ausführungen von Weber (1980: 142ff.) zur »Veralltäglichung des Charisma«. 11 | Alexei Stachanow wurde 1970 in der Sowjetunion als »Held der sozialistischen Arbeit« ausgezeichnet und prämiert, weil er 1937 Arbeitsnormen bei der Kohleförderung dramatisch übererfüllt hatte und dadurch in der Stalin-Zeit zum Vorbild der sog. Stachanow-Bewegung geworden war. 12 | Hier wird keine Kompensationstheorie in dem Sinne formuliert, dass Verdrängungen und Exklusionen in einem Bereich notwendigerweise durch andere Bereiche aufgefangen und gegengesteuert werden müssten, um das Verhältnis
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im Verhältnis Eins zu Eins in das Gegenwärtige der Gesellschaft hineinkopiert. Im Sinne einer Inklusion des Exkludierten handelt es sich vielmehr um Konzepte, die das Marginalisierte und Überflüssig-Gewordene selektiv im Rahmen einer eigenständigen systemischen Programmatik aufgreifen, bearbeiten und neuartig in Szene setzen.13 Im Kontext einer gesellschaftlichen Dynamik, die moderne Subjekte nachhaltig mit der Erwartung konfrontiert, sich zu individualisieren und einzigartig zu sein, sind reaktive Heroisierungsprozesse per se erwartbar.14 Denn nichts individualisiert mehr als eine Tat, die Beobachter als außeralltäglich, spektakulär und opferbereit, eben heroisch, wahrnehmen und beglaubigen. Die Verdrängung oder Exkludierung des Heroischen bedeutet demnach nicht, dass das Heroische gänzlich und ein für allemal aus der Gesellschaft verschwindet. Es kann vielmehr simultan zu den nach wie vor ablaufenden Prozessen der Deheroisierung an anderen Stellen und in anderer Gestalt auftauchen und dadurch wiederum eine gesellschaftliche Relevanz erlangen, und zwar real und auch fiktional.15 Zu einer Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen im Verhältnis von Heroisierung und Deheroisierung kommt es besonders dann, wenn der Bedeutungsverlust des Heroischen im gesellschaftlichen Diskurs kommunikativ beobachtet und als Beweis von Gesellschaft und personaler Umwelt in einem imaginären Gleichgewichtszustand zu halten. Kompensationstheorien arbeiten mit Konstanzunterstellungen. Dies ist hier nicht der Fall. Es handelt sich vielmehr um Verarbeitungs- und Wirkungsannahmen im Verhältnis von Individuum und Gesellschaft. Die Zurichtung von Menschen durch die Organisationsgesellschaft begünstigt, so die Annahme, die Ausdifferenzierung von Sozialbereichen, die aus der Bearbeitung der Folgen dieser Zurichtung und auf der Grundlage der neuartigen Möglichkeitsräume eigene Sinnperspektiven ableiten. Zur Asymmetrie im Verhältnis von Person und Organisation siehe Coleman (1986). 13 | Vgl. allgemein Luhmann (1995). Zur Modellierung einer Inklusion des Exkludierten als Wiederkehr des ausgeschlossenen Dritten siehe Bette (1989: 231ff.). 14 | Zum Zusammenhang von gesellschaftlicher Differenzierung und Individualisierung siehe Luhmann (1987a). Sportbezogene Beispiele und Begründungen für die Suche nach Einzigartigkeit und die »Paradoxie der Individualität« finden sich bei Bette (1999: 147ff., 2004: 49ff.). 15 | Zur Kommentierung US-amerikanischer Gesellschaftsverhältnisse in den ab 1938 entstandenen Superheldenfiguren siehe den dreiteiligen Film »Superhe roes: A Never-Ending Battle«, USA 2013.
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für die Verdrängung von Subjekt und Körper, für die »Degeneration« traditioneller Geschlechtsrollen, die Eliminierung von Abenteuer, Risiko und Spannung sowie für die Heraufkunft von Langeweile, Leere, Routine und Anonymität kritisiert wird. Sozialbereiche, die Menschen mit Vorsatz in künstlich erzeugte Krisen-, Not- und Bewährungssituationen hineinversetzen und zugleich Beobachter- und Beglaubigerbedürfnisse anregen und dauerhaft zu befriedigen verstehen, sind in besonderer Weise geeignet, Sonderformen der Heroik in postheroischen Zeiten hervorzubringen und mit Hilfe der Massenmedien gesellschaftsweit zu verbreiten. Vor dem Hintergrund postheroischer Entwicklungen in Politik, Wirtschaft, Religion, Wissenschaft und Militär konnte der Spitzensport im letzten Jahrhundert zum zentralen Heldensystem der modernen Gesellschaft aufsteigen. Der Spitzensport ist ein Sozialbereich, der real existierende Figuren der Außeralltäglichkeit noch in einer unterhaltsamen und sozial harmlosen Weise hervorbringen kann. Für Millionen von Menschen ist er aufgrund dieser Kompetenz zu einem wichtigen Lebensbegleiter geworden, dessen Fehlen als gravierender Verlust gewertet würde. Dadurch, dass er einem unterhaltungs- und spaßorientierten Publikum die Möglichkeit verschafft, an individuellen oder auch kleingruppenbasierten Strategien zur Bewältigung artifizieller Krisen- und Bewährungssituationen teilzuhaben, ohne hierfür selbst Leistungen erbringen zu müssen, konnte er einen gesellschaftlichen Sonderstatus erlangen und sich zu einem Teilsystem der Weltgesellschaft ausdifferenzieren. Die Marginalisierung traditioneller Heldenfiguren hat offensichtlich eine Lücke hinterlassen, in die der Sport mit seiner Personen- und Körperorientierung, seiner Sichtbarkeit und Theatralität, seinen agonalen Konfliktinszenierungen, der Serialität seiner Ereignisse und seinen Stellvertretungsofferten mit Erfolg hineinstoßen konnte – wohl auch deshalb, weil virtuelle Roman-, Film-, Fantasy- oder Comic-Helden, die ansonsten viele Menschen mit ihren Aktionen in postheroischen Zeiten unterhalten und begeistern, diese Leerstelle nicht beliebig füllen können. Personen, die ihre Heldentaten wie im Sport mit motivationaler Ausdauer und hoher Körperkompetenz nach klar definierten Leistungskriterien vor einem erlebnisorientierten Publikum in Echtzeit in einer Welt des »Als ob« erbringen, dabei auch Funktionsinteressen von Wirtschaft, Politik und Massenmedien mitbefriedigen, Spaß und unbedenkliche Formen des Spannungserlebens für das Publikum ermöglichen und anschließend eventuell noch für Selfies, Autogramme und öffentliche Auftritte zur
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Verfügung stehen, sind aufgrund ihrer lebensweltnahen Einbettung offensichtlich besser für heroische Narrationen geeignet, als Personen, die als Schauspieler auf der Leinwand oder im Theater in Rollen schlüpfen und andere Personen in wiederkehrenden, immer gleichen Handlungsplots spielen, ohne für die Konsequenzen ihrer Handlungen im realen Leben geradestehen zu müssen. Gleiches gilt für fiktionale Helden, die Probleme mit Superkräften in einer imaginierten Realität bereinigen, aber definitiv verschwinden, wenn Leser ihre Bücher, Comic-Hefte und Schmöker zuschlagen oder Zuschauer ihre Fernsehapparate, Videorekorder oder Smartphones ausschalten. Menschen aus Fleisch und Blut sind anschlussfähiger an die Alltagsontologie der Zuschauer, weil diese selbst aus Fleisch und Blut bestehen. Der Spitzensport greift mit seinem Heldenkonzept Wirkungen auf, die der Prozess der funktionalen Differenzierung in sozialer, somatischer und psychischer Hinsicht hervorgerufen hat. Und er tut dies höchst modern. Siegescode, Leistungskonkurrenz, spezialisierte Athleten- und Trainerrolle, Organisationsbildung, Technisierung, Medialisierung, Kommerzialisierung, Verwissenschaftlichung und Professionalisierung sind nur einige der diesbezüglich unzweideutigen Merkmale. Er ist, so gesehen, ein »Parasit« (Serres 1981), der Externalitäten eigensinnig bearbeitet, die sich im personalen Erleben und Handeln nach dem Wechsel der Gesellschaft von Stratifikation auf funktionale Differenzierung ergeben haben.16 Aus der weltweit gestiegenen Nachfrage nach spannenden, heroischen, affektiv aufgeladenen, gemeinschaftsstiftenden, personen- und körperorientierten Sportleistungen durch ein interessiertes Massenpu blikum lässt sich in einem instruktiven Umkehrschluss ableiten, wie weit Prozesse der Technisierung, Routinisierung, Entzauberung und Entmythologisierung der Lebenswelt bereits fortgeschritten sind und wie sehr die auf der Ebene des humanen Erlebens virulent gewordenen Kollateralwirkungen des gesellschaftlichen Wandels in Gestalt von Körperdistanzierung, Subjektabwertung, Gemeinschaftsverlust, Erwartungsüberlastung, Beschleunigung und biografischer Diskontinuität den Alltag 16 | Vgl. Bette (2010: 87ff.). Zu den Publikumsinteressen am Leistungssport siehe ders. (1989: 174ff.), Bette/Schimank (1995a: 57ff., 1995b). Zur Verschränkung von »erster« und »zweiter« Moderne im Sport im Sinne einer Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen siehe dies. (2000). Zur Heldeninszenierung im zeitgenössischen Abenteuer- und Risikosport vgl. Bette (2003: 26ff., 2004) und Stern (2003).
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prägen. Der Spitzensport gibt seinem Publikum das Versprechen, dass alternative Erlebnis- und Handlungsmöglichkeiten jenseits der üblichen Routine und organisatorischen Zurichtung von Person, Körper und Gemeinschaft existieren und im Mahlwerk funktionaler Differenzierungsprozesse noch nicht zerrieben worden sind. Er kommentiert insofern mit seinen Themen, Ereignissen und Heldeninszenierungen in einer klammheimlich-kritischen Weise die ausgeprägte Ambivalenz der Moderne. Die im Sport befriedigten Bedürfnisse nach einem intensiven Erleben, nach Außeralltäglichkeit, Abenteuer, Rausch, Risiko, Verausgabung, Wiederverzauberung, Stellvertretung und Heldenverehrung deuten auf einen gesellschaftlich modellierten Alltag hin, in dem vergleichbare Interessen in dieser Kompaktheit und Mischung offensichtlich nicht befriedigt werden. Es ist daher kein Zufall, dass Pierre de Coubertin, der Begründer der Olympischen Spiele der Neuzeit, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Krisen- und Dekadenzsymptome17 wahrgenommenen Auswirkungen des gesellschaftlichen Modernisierungsprozesses explizit als Abstoßpunkte in Anspruch genommen hatte, um im Rückgriff auf antike Heldenvorbilder seine Idee von einer olympischen »Muskel- und Athletenreligion« zu entwickeln und der unterstellten »Verweichlichung« und »Degeneration« seiner männlichen Zeitgenossen die idealisierten Qualitäten seiner physisch vollkommenen, autonom handelnden, mutigen, opferwilligen, ritterlichen, wettbewerbsorientierten und fairen olympischen Heroen entgegenzusetzen.18
17 | George M. Beard (1869, 1880, 1881) hatte das moderne Nervenleiden und die damit verbundenen Degenerationsbefürchtungen unter dem Begriff der »Neurasthenie« weltweit bekannt gemacht. Die einseitigen Überbeanspruchungen durch den gesellschaftlichen Wandel würden, so Beard, unweigerlich zu Dysbalancen im menschlichen Nervenhaushalt führen und dort Angst- und Ermüdungszustände sowie Schlafstörungen, Verdauungsprobleme, Impotenz, Kopfschmerzen und Nervosität hervorrufen. Als Auslöser sah er die Veränderungen an, die bei Männern durch die wirtschaftliche Konkurrenz, die Erosion religiöser Sinndeutungen, die Heraufkunft der Dampfmaschine, die Massenpresse, den Telegrafen, den wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt und die Frauenemanzipation hervorgerufen worden waren. 18 | Zum Zusammenhang von Modernisierungskritik und Olympismus siehe Alkemeyer (1996a: 41ff.).
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Die Adoration von Sportlern als Helden fällt leicht, weil diese ihre außergewöhnlichen Taten mit Hilfe ihrer Körper und der von ihnen genutzten Gerätschaften in konkrete Formen prägen und insofern sichtbare Handlungsspuren in einer Welt hinterlassen, in der optische Äquivalente für ablaufende gesellschaftliche Komplexität in zunehmendem Maße fehlen. Sportler erscheinen mit ihrer physischen Präsenz als Garanten für eine Wirklichkeit, die im Begriff ist, sich in steuerungsrelevanten Bereichen in die Nanowelt der Mikrochips und Glasfaserleitungen zu verflüchtigen. Sie stehen für Sichtbarkeit, Lebendigkeit und ein intensives Leben, für ein Abweichen von der Routine und Langeweile des modernen Alltags. Indem sie die Grenzen des Üblichen auch als Stellvertreter für überindividuelle Sozialkategorien sprengen und den Mut haben, sich zu exponieren, erzeugen sie eine Beliebtheit, die beim interessierten Publikum durch alle Schichten und Alterskohorten geht. Nicht selten werden die Größen des Sports deshalb als Heilsbringer gefeiert und verehrt. Sportliches Heldentum ist dabei nicht exakt planbar, sondern ergibt sich situativ im Rahmen der Konstellationsstruktur sportlicher Wettkämpfe. Ein Torwart, der die gegnerische Mannschaft durch seine gekonnten Paraden zur Verzweiflung bringt, ein Sprinter, der einen Fabelweltrekord läuft, oder eine Mannschaft, die bei einem hochrangigen Turnier einen uneinholbar erschienenen Rückstand durch eigene Anstrengungen aufholt und am Ende siegreich das Spielfeld verlässt, zeigen dem Publikum, dass sich personale Leistungsbereitschaft und kollektive Anstrengungen nicht nur lohnen, sondern auch eine unmittelbare soziale Würdigung erhalten. In solchen Augenblicken erlangen die betreffenden Sportler charismatische Qualitäten. Dabei müssen die Athleten nicht einmal siegreich sein, um einen Heldenstatus zu erreichen. Der Erfolg im Sport ist für Zuschauer und Anhänger eine beobachtungsrelative Größe. Wettkämpfe zeigen immer wieder, dass bereits das überraschende Vorrücken sportlicher »Nobodies« in die Zwischen- und Endrunde eines internationalen Wettbewerbs von der eigenen Zuschauerklientel als symbolischer Erfolg wahrgenommen wird. Heldenverehrung kann also auch gegenüber denen gezeigt werden, die nicht die ersten Plätze erreicht haben. Helden können demnach auf beiden Seiten des sportlichen Codes von Sieg und Niederlage andocken. Präferiert werden jene Akteure, die den positiven Wert besonders effektiv bedienen: Sportler, die Siege erringen und Erfolge akkumulieren. Heldenfähig sind prinzipiell aber auch jene Sportler, die sich bemühen, es aber letztlich nicht bis an die Hie-
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rarchiespitze geschafft haben. Wer alles gibt, sich bis zum Letzten verausgabt, kann beim Publikum den Funken zum Zünden bringen, selbst wenn er am Ende verliert. Dazu trägt die in solchen Momenten erlebbare Ästhetisierung des Kampfes bei; wenn der Zuschauer zum Beispiel den unbändigen Willen spürt, mit dem sich eine Sportspielmannschaft der drohenden Niederlage entgegenstemmt. Dann sind nicht schöne Spielzüge zu bewundern, sondern der kraftvolle Einsatz ist es, der begeistert. Der Sport symbolisiert in solchen Augenblicken, manchmal geradezu mit existentialistischem Pathos, das Nicht-Aufgeben derjenigen, die sich, wenn auch letztlich erfolglos, gegen den Lauf der Dinge stemmen. Erleichtert wird die weltweite Karriere der Sporthelden als prägende Sozialfiguren der Gegenwart durch die Expansion und Konkurrenz der Massenmedien und die Entstehung der »leisure society«, der Freizeitgesellschaft.19 Immer mehr Menschen können aufgrund des gestiegenen Wohlstands, höherer Freizeitbudgets und technischer Errungenschaften an den Erlebnisofferten des Sports teilnehmen. Und nachdem die Jenseitsversprechen der Religion nach dem »Tode Gottes« und der »Umkehr aller Werte« (Nietzsche) viele Menschen nicht mehr in ihren Bann zu schlagen vermögen, ist der Spitzensport als spaß- und unterhaltungsorientierter Repräsentant des Diesseits mit seinen Sozialfiguren in das Zentrum einer komplexen Akteurkonstellation hineinkatapultiert worden. Sporthelden konnten aufgrund ihrer Akzeptanz und Bekanntheit in der modernen Gesellschaft zu polykontexturalen, omnipräsenten Größen avancieren. Sie sind die profanen Götter der Neuzeit, die nicht nur für die Attraktivität des Spitzensports eine große Bedeutung haben. In einer differenzierten Gesellschaft sind sie auch der Kitt, der spezifische Interessenverschränkungen und kommunikative Allianzen zwischen den einzelnen gesellschaftlichen Teilsystemen ermöglicht – und zwar trotz strukturell begründeter Orientierungsunterschiede. Sporthelden eignen sich als Identifikationsfiguren, Stellvertreter und Sehnsuchtsbefriediger für das Publikum, als Unterhaltungsthemen, Aufmerksamkeits- und Quotenbeschaffer für die Massenmedien, als Loyalitätserzeuger und Legitimationsproduzenten für die Politik und als Werbeträger und Markenbotschafter für die Wirtschaft. Letzteres gelingt, weil die Heroen des Sports Objekte 19 | Zur Bedeutung der Massenmedien und zur Inszenierung des Heroischen im Sport durch die modernen Verbreitungsmedien siehe detailliert Kapitel 8.
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sinnhaft aufrüsten. Erfolgreiche Athleten bereichern dann das Unbelebte der Objektwelt durch ihre Präsenz und suggerieren in einem sublimen Umkehrschluss, dass Menschen von dem Kauf und der Nutzung der beworbenen Objekte für ihr Leben profitieren könnten. Wenn die Werbung Objekte sinnhaft und symbolisch auflädt, können diese neue Ordnungsund Sinnstiftungsfunktionen übernehmen. Dann heißt es: Nicht Menschen rekrutieren Waren, sondern die Waren suchen sich mit Hilfe exemplarischer Personen ihre Menschen aus. All dies funktioniert, weil der Spitzensport seinen Leistungsträgern ein Gesicht und einen Namen gibt und seine Akteure nicht in Anonymität und Abstraktion versinken lässt. Hierdurch werden all jene Sozialbereiche angezogen, die an Personen, Gesichtern, Bildern, O-Tönen, Spannung und Real-life-Events in besonderer Weise interessiert sind. So ist es nicht überraschend, dass die Heroen des Sports maßgeblich daran beteiligt sind, wenn innerhalb und außerhalb der Stadien »Erregungsgemeinschaften« (Sloterdijk 1998: 29ff.) entstehen. Nationale und internationale Sporthelden konnten auf dieser Grundlage für breite Massen den Status »parasozialer« Figuren (Horton/Wohl 1956) erreichen. Kinder und Jugendliche eifern ihren Vorbildern nach, geben sich spielerisch ihre Namen, kaufen deren Sportkleidung und imaginieren sich in ihre Helden hinein, um mit ihnen eins zu werden und an ihrer Berühmtheit teilzuhaben. Erwachsene integrieren ihre Idole als wichtige Bezugspersonen in die Fernsehfamilie, diskutieren über sie am Arbeitsplatz oder Stammtisch, beobachten sie im Stadion, lesen und hören von ihren biografischen Wendungen, und tun all dies, ohne ihre Referenzpersonen jemals persönlich kennengelernt zu haben. Sporthelden können so inspirierende Wirkungen auslösen und Halt in einer als haltlos empfundenen Gesellschaft geben. Sie werden deshalb häufig sowohl für sportliche als auch für außersportliche Ziele eingespannt: für die Nachwuchsrekrutierung in Vereinen und Verbänden; für die Umsetzung erzieherischer Programme in der Sozialarbeit oder auch für Anti-Drogen-Maßnahmen in Schule oder Betrieb. Nicht wenige erfolgreiche Athleten betätigen sich nach ihrer Sportkarriere als Kommentatoren in den Medien oder als Inspirationsredner in der Wirtschaft. Die multifunktionale Verwendbarkeit außergewöhnlicher Leistungsträger hat zu einer Dauerpräsenz bekannter Sportgrößen im öffentlichen Raum geführt. Die Helden des Sports tauchen nicht nur in Stadien, Hallen oder auf Rennstrecken als maßgebliche Gestalter des Geschehens auf; sie
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begegnen dem Publikum in Nachrichten- und Unterhaltungssendungen, in Biopics, Quizsendungen, Talkshows, Werbefilmen oder in Porträtform auf haushohen Plakat- und Videowänden. Weil die bekannten Figuren des Sports in den publikumswirksamen Disziplinen im Zentrum einer weltweiten Aufmerksamkeit und Nachfrage stehen und Prominentenstatus erreicht haben, treten Beobachter ihnen gegenüber häufig nicht mit einer affektiven Neutralität auf, sondern zeigen im sozialen Nahkontakt vormoderne Demuts- und Unterwürfigkeitshaltungen. In der Nachfrage nach Selfies und Autogrammen durch Publikumsakteure zeigt sich nicht nur das Begehren, am Ruhm der Athleten parasozial teilzuhaben und Spuren der Prominenz mit nach Hause zu nehmen, sondern auch die unausgesprochene Akzeptanz einer Reputationshierarchie, die nicht auf Herkunft, Religion oder Ideologie begründet ist, sondern auf Leistung. Die bisherigen Ausführungen zur Sozialfigur des Sporthelden haben gezeigt, dass die vorliegende Untersuchung nicht mit einem erkenntnistheoretischen Zweifel begonnen hat. Und sie wird auch nicht mit einem solchen enden. Die Frage, ob Ausnahmesportler auf der letzten Ebene des Seins Helden seien oder ob diese Attribution in einem anti-heroischen Reflex verneint werden müsste, ist soziologisch irrelevant und muss deshalb nicht beantwortet werden. Die Soziologie hat nicht die Aufgabe, »von oben herab« zu dekretieren, was einen Sporthelden oder eine Sportheldin auf der letzten Ebene des Seins ausmacht oder wann von einem Helden oder einer Heldin gesprochen werden sollte. Diese Zurückhaltung verweist keineswegs bloß auf das Bemühen, die Schwierigkeit einer definitorischen Eingrenzung zur Tugend zu stilisieren, also das Nicht-definierenKönnen als ein Nicht-definieren-Wollen auszugeben. Damit soll vielmehr dem elementaren Tatbestand Rechnung getragen werden, dass alles – jedes Ereignis, jeder Vorgang, jedes Ding, jede Zuschreibung – in dem Moment, wo es zum Gegenstand sozialer Kommunikation wird, den Charakter eines sozialen Konstrukts erhält. In eben diesem Sinne sprechen die beiden Soziologen Peter Berger und Thomas Luckmann von der »sozialen Konstruktion der Wirklichkeit« (1966). Etwas als etwas Bestimmtes zu definieren, ist keine passive Aufnahme eines irgendwie gearteten Eindrucks, den jenes Etwas, Kantisch gesprochen, als »Ding an sich« macht: kein objektiver Beobachtungssatz, wie ihn sich ein naiver erkenntnistheoretischer Positivismus vorstellt. Definieren ist vielmehr ein aktives Geschehen des Konstruierens von Sinn im Modus der Unterscheidung. Sinn aber begründet Verweisungszusammenhänge. Wenn es der Soziolo-
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gie, in Max Webers berühmter Formulierung, um eine Erklärung sozialer Sachverhalte durch »deutendes Verstehen« geht, muss sie sich jedenfalls schon in ihren Definitionen der jeweiligen Untersuchungsgegenstände darauf einlassen, wie Akteure Realität konstruieren und Beobachter diese Realitätsversionen beurteilen und kategorisieren. Als Startpunkt für eine soziologische Analyse reicht die leicht überprüf bare soziale Tatsache aus, dass Sportler, wenn sie in Wettkämpfen über sich selbst hinauswachsen und Beobachter ihre Leistungen als außeralltäglich und bewunderungswürdig beglaubigt haben, im Rahmen der gesellschaftlichen Kommunikation explizit und regelmäßig als »Helden« bezeichnet und als solche verehrt, prämiert und in Sprachspielen gefeiert, aber auch persifliert und ironisiert werden. Die Beispiele hierfür sind Legion. Einige wenige aus den letzten Jahren sollen zur Illustration beigefügt werden: Als Dirk Nowitzki mit den Dallas Mavericks erstmals die NBA-Meisterschaft gewonnen hatte, wurde er in einer überregionalen Zeitung, nämlich der Süddeutschen Zeitung, überschwänglich als »Dirkules, der deutsche Superheld« bezeichnet. Eine vergleichbare Nobilitierung erfuhr Sebastian Vettel nach seinem zweiten Weltmeistertitel in der Formel 1. Der Express aus Köln schrieb: »Echter Heldenstatus. Vettel beliebter als Superman«. Gleichzeitig druckte die Zeitung ein Foto ab, auf dem Vettel ein Ortsschild in die Höhe hielt, auf dem der Name seiner Heimatstadt Heppenheim durch »Vettelheim« ersetzt worden war. Einige Jahre zuvor tröstete die Bild-Zeitung die Zuschauer und Spieler der deutschen Fußball-Nationalmannschaft am Tag nach der Halbfinal-Niederlage gegen Italien bei der WM 2006 mit der Überschrift: »Ihr seid trotzdem Helden! Wir weinen mit Euch!« Die Rhein-Neckar-Zeitung kommentierte den Sieg der spanischen Equipe bei der FIFA-WM 2010 ebenfalls mit heroischen Untertönen: »Spanien jubelte mit seinen Helden. 25 Millionen Menschen feierten den neuen Weltmeister am Montagabend«. Die herausragenden defensiven Qualitäten des spanischen Torhüters wurden mit den Worten geadelt: »Die übersinnlichen Kräfte des ›heiligen‹ Iker! Torhüter Casillas wird in Spanien als Nationalheld gefeiert!« Nach dem Weltmeisterschaftssieg der deutschen Fußball-Nationalmannschaft in Brasilien überschlugen sich die nationalen Medien mit ihrer Heldenrhetorik. »Die WM-Helden kommen zum Feiern« hieß es im rbb Rundfunk Berlin. Die Augsburger Allgemeine schrieb über den »Party-Marathon der WM-Helden!« Die Hannoversche Allgemeine Zeitung wies ebenfalls auf die Feierkultur der Spieler hin und entdeckte ein situatives Helden-
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kartell zwischen Sport und Musik: »Rihanna feiert wild und dreckig mit deutschen WM-Helden«. Die Tageszeitung München ging in ihrer Titelgeschichte auf den maßgeblichen Torschützen der deutschen Equipe ein: »Das Maracanã-Märchen. Mario Götze: Vom Bankdrücker zum WM-Helden«. Die Rhein-Neckar-Zeitung kommentierte die Rückkehr von »Team Deutschland« nach den Olympischen Winterspielen in Pyeongchang mit den Worten: »Die Olympiahelden sind zurück!« Auch internationale Sportler werden regelmäßig mit heroischen Attributionen belegt. Nachdem der Quarterback Nick Foles als Ersatzmann im 52. Super Bowl durch fulminante Pässe maßgeblich zum Sieg der Philadelphia Eagles beigetragen hatte und hierfür als »Most valuable Player« ausgezeichnet worden war, wies die Frankfurter Allgemeine Zeitung in ihrer Berichterstattung auf den vormaligen Underdog-Status des Spielers und dessen Verwandlung in eine exemplarische Sozialfigur mit den Worten hin: »Und plötzlich ein Held«. Die nach Olympischen Spielen oder Weltmeisterschaften publizierten Bücher oder die in Reminiszenzen schwelgenden Rückblicke auf vergangene Taten und Zeiten weisen ebenfalls in aller Regelmäßigkeit in Überschriften und Unterkapiteln explizit auf den Helden- und Legendenstatus der beteiligten Akteure hin.20 Dass die Medien den Heldenbegriff als Standardnarrativ auch auf Sportler anwenden, die in weniger bedeutsamen Wettkämpfen durch mehr oder weniger hochstehende Leistungen auffallen, lässt sich ebenfalls mit zahlreichen Beispielen belegen. Hier gibt es dann den Helden, der »aus dem Nichts kam«, sich »von unten nach oben« hochkämpfte, den eigenen Verein oder die eigene Nation stolz machte, im Rahmen von Auf- und Abstiegswettbewerben außeralltägliche Retter- und Märtyrerqualitäten für die eigene Mannschaft zeigte oder aber auch tragisch abstürzte und öffentlich versagte.21 Damit wird insgesamt deutlich: Das An- und Abschwellen der Heldenrhetorik findet in der Regel im Rhythmus sportlicher Ereignisse und anschließender Würdigungen und Rückblicke statt. Die Serialität der Wettkämpfe sorgt in Radio, Printmedien und Fernsehen für eine permanente Produktion von Heldengeschichten, die in Überschriften angedeutet, in Berichten und Kommentaren erzählt sowie in Bildern und Filmsequenzen gezeigt und illustriert werden. Gleichzeitig finden in den 20 | Siehe exemplarisch Bertram (2004) und Theisen (2015). 21 | Vgl. hierzu die zahlreichen Beispiele in den Kapiteln 2 und 8.
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Herkunftmilieus der Sportler zahlreiche Huldigungen statt, die darauf hinweisen, dass die Heldenverehrung nicht nur in den Wettkampfräumen des Sports, in der medialen Berichterstattung, in Sponsorenanzeigen oder in politischen Lobreden zu beobachten ist, sondern auch in privaten und öffentlichen Räumen zelebriert wird. Auto-Corsi, Konfettiparaden und öffentliche Würdigungen in den Heimatländern und -orten der Athleten zeugen davon, dass die exemplarischen Sozialfiguren des Sports eine hohe Wertschätzung genießen, die sie in nicht wenigen Fällen auch pekuniär in astronomische Höhen umsetzen können. Die sozialen Bedingungen im Hochleistungssport zu durchleuchten, die Personen oder Personenkollektive in postheroischen Zeiten als Helden ausweisen und in Szene setzen, und die Akteure im Rahmen einer Beobachtung zweiter Ordnung anzusprechen, die an der Heldenproduktion, -verehrung, -beglaubigung und -nutzung beteiligt sind, ist eine genuin soziologische Aufgabe.22 Die Athletenbiografie verliert durch diese Vorgehensweise jenen Nimbus an Selbsterschaffung und Selbstbestimmung, der in den populären Lebensberichten erfolgreicher Spitzensportler immer wieder anzutreffen ist. Die Einschätzung, es letztlich durch eigene Anstrengungen und Entscheidungen zu einer allseits geschätzten Sportberühmtheit geschafft zu haben, wird von einer soziologischen Betrachtung relativiert, die Leistungen und Erfolge ebenso wie Verfehlungen anders zurechnet. Sporthelden verweisen mit ihren besonderen Leistungen eben nicht nur auf sich selbst, etwa besondere psychische Kompetenzen, physisch-organische Ressourcen und technisch-taktische Fähigkeiten. Im Umkehrschluss kommentieren sie nonverbal und bildgewaltig auch die Bedeutungsverluste des Heroischen jenseits des Sports, die ihre Außeralltäglichkeit erst zum Leuchten bringen. Vor allem aber machen sie auf die systemische Rahmung aufmerksam, die das Heroische in postheroischen Zeiten bewusst ermöglicht und gesellschaftlich verfügbar macht. Der Spitzensport betreibt schließlich in seinen unterschiedlichen disziplinären Ausprägungen einen großen organisatorischen Aufwand an Menschen, Material und Kapital, um für ein Massenpublikum Wettkämpfe zu installieren und durchzuführen, in denen herausragende Leistungen präzise an einzelne Personen oder Personenkollektive adressiert werden. 22 | Zur Beobachtung von Beobachtern im Kontext von Sport und Sportwissenschaft siehe allgemein Bette (1999: 243ff.).
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Vorarbeiten zur Soziologie des Heroischen im Sport und zur Sportheldenverehrung entstanden im Rahmen zahlreicher Untersuchungen, die der Autor vor Jahren zusammen mit Uwe Schimank über Publikumsinteressen am Hochleistungssport und zur Soziologie von Sportevents im Kontext der ersten und zweiten Moderne durchgeführt hat (Bette/Schimank 1995a: 57ff., 1995b, 2000). Eine erste Vertiefung der Sportheldenthematik konnte der Autor einige Zeit später präsentieren (Bette 2007, 2011: 47ff.). Die vorliegende Analyse baut auf diesen Ideen auf und erweitert sie um wichtige Einsichten. Die einzelnen Kapitel stützen die Annahme, dass sich der Spitzensport mit seinen real existierenden Akteuren im Verlauf der soziokulturellen Evolution als das Heldenreservat der modernen Weltgesellschaft ausdifferenzieren konnte und damit in einer eigensinnigen Art und Weise auf personale Ressourcen zurückgreift, die in anderen Sozialbereichen gravierende Bedeutungsverluste hinnehmen mussten. Damit wird der modischen Diagnose widersprochen, dass die Gegenwartsgesellschaft pauschal und allumfassend als »postheroisch« anzusehen sei und die Sozialfigur des Helden lediglich in den fiktiven Produkten der Kulturindustrie oder in Gestalt von Alltagshelden überlebt hätte. Um die Bedeutung des Spitzensports mit seinen mythen- und legendenfähigen Themen und Figuren, seinen öffentlichen Inszenierungen, Ritualen und Ereignissen vor dem Hintergrund der gegenwärtig ablaufenden Heroismusdebatte herauszuarbeiten, beschreibt das erste Kapitel detailliert die internen Bedingungen, die diesen personen- und körperorientierten Sozialbereich zum zentralen Heldensystem der modernen Gesellschaft avancieren ließen. Warum, so die zu beantwortende Frage, sind es die Erbringer sportlicher Leistungen, die immer wieder als »Helden« bezeichnet und gewürdigt werden? Welche sportinternen Arrangements haben den Spitzensport dazu prädestiniert, heroische Attributionen auf sich zu ziehen? Schließlich kann eine außeralltägliche Übererfüllung sozialer Handlungserwartungen prinzipiell auch in anderen Sozialbereichen stattfinden. Das zweite Kapitel diskutiert die unterschiedlichen Ausprägungen sportiven Heldentums und erstellt eine exemplarische Heldentypologie. Das dritte Kapitel beleuchtet die typischen Heldengeschichten und Metamorphosen, die in der Dramatik sportlicher Wettkämpfe entstehen und auf der Grundlage der biografischen Wendungen der Heroen immer wieder neu erzählt und kommentiert werden. Das vierte Kapitel befasst sich mit jenen Sozialfiguren, die den Helden
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bei der Durchführung ihrer Mission als Mentoren und Gefährten mit Rat und Tat zur Seite stehen. Das fünfte Kapitel zeigt detailliert, wie der organisierte Sport das Heroische immer wieder neu hervorbringt. Der sportliche Wettkampf erscheint im Lichte dieser Ausführungen als eine sozial konstruierte Situation, in der einzelne Personen oder Personenkollektive in postheroischen Zeiten vor den Augen anwesender oder medial zugeschalteter Dritter die Chance erhalten, künstlich erzeugte Krisen zu bewältigen und eine sozial erwünschte und durch Regeln kontrollierte Not beim sportlichen Gegner zu erzeugen. Das sechste Kapitel thematisiert die prototypischen Stationen, die Athleten auf ihren Reisen immer wieder neu zu absolvieren haben, um durch die Bewältigung von Prüfungen und Herausforderungen ein heroisches Format zu erreichen. In diesem Zusammenhang werden auch die Rituale der Sportheldenpreisung, die nach der Rückkehr erfolgreicher Athleten im Entsendemilieu typischerweise stattfinden, eine analytische Würdigung erfahren. Das siebte Kapitel schließt an diese Ausführungen an und richtet die Aufmerksamkeit auf die besonderen Beziehungen zwischen Sporthelden und Publikum. Denn offensichtlich findet im Verhältnis von Athleten und Publikum ein Austausch zwischen Leistungserbringern und Leistungsbewunderern statt, der mit Stellvertretung, Repräsentation und symbolischen Selbstergänzungsphantasien zu tun hat. Das achte Kapitel unterzieht den Zusammenhang von Medienentwicklung und Sportheldenverehrung einer genaueren Betrachtung. Die gesteigerte Verwendung des Heldenbegriffs im öffentlichen Diskurs verweist schließlich nicht nur auf die Besonderheiten des Spitzensports, exemplarische Sozialfiguren in einsehbaren Räumen theatralisch sichtbar zu machen, sondern deutet auch auf die Logik der Massenmedien und den Wettbewerb der Medienorganisationen untereinander hin. Medienakteure spielen die Karte der Heldeninszenierung immer wieder neu aus, um die Aufmerksamkeit und Gunst des Publikums in eigener Sache auf sich zu lenken. Das neunte Kapitel beleuchtet die Strategien der Memorierung und Sakralisierung des Heroischen im Sport. Ohne technische Speicher- und Verbreitungstechnologien sowie Erinnerungs- und Bewahrungsorganisationen ginge das Wissen über die Helden des Sports und ihre Taten schnell verloren, da körperbasierte Handlungen im Moment ihres Geschehens entstehen und schnell wieder verschwinden. Dabei zeigt sich, dass der Zutritt zum offiziellen Heldenhimmel in den »Sports Halls of Fame« strengen formalen Zugangs- und Überprüfungskriterien unterliegt – durchaus ähnlich den Kanonisie-
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rungsprozessen von Seligen und Heiligen in der katholischen Amtskirche. Das letzte Kapitel führt die verschiedenen Argumentationsstränge in einer Schlussbetrachtung zusammen und diskutiert die Rolle der Sporthelden in postheroischen Zeiten. In diesem Zusammenhang wird abzuklären sein, ob Sportheldennarrationen im Zeitalter der Totalisierung des Spitzensports und der Entfesselung der sportlichen Siegeslogik durch Publikum, Massenmedien, Politik und Wirtschaft nicht in Gefahr stehen, Bedeutungsverluste zu erleiden und durch inflationären Gebrauch zu wenig gehaltvollen Sprachfloskeln zu verkommen. Die Sozialfigur des Sporthelden könnte dann ein frühes Beispiel für die Trivialisierung und Banalisierung des Heldenbegriffs sein, bei der jeder Sieger oder der in künstlichen Wettkampfkrisen und Notlagen erfolgreiche Sportler gleich reflexionsfrei zum Helden hochstilisiert wird. Die genannten Themenschwerpunkte deuten darauf hin, dass es auf den nächsten Seiten nicht darum gehen wird, dem national und international breit aufgestellten und stetig anwachsenden Genre der anhimmelnden Sportheldenliteratur eine weitere Publikation hinzuzufügen. Die in diesen Hagiographien routinemäßig anzutreffende Bezeichnung erfolgreicher Sportler als Helden macht das Heroische vornehmlich an den biografischen Wendungen und Leistungskurven einzelner Personen sowie an erreichten Rekorden, Titeln und erzählbaren Anekdoten fest. Die Beschreibung der Sportheroik droht dadurch in der Falle der reinen Glorifizierung, Subjektanbetung und Medaillenzählerei zu enden. Narrative Schwerpunktsetzungen dieser Art sind verständlich, weil die Autoren in ihren Darstellungen der Personalisierungsofferte des Spitzensports sowie dem chronologischen Ablauf und der symbolischen Wertigkeit sportlicher Wettkämpfe ungebrochen Folge leisten und Respekt zollen. Die Literatur, die unmittelbar nach den Weltereignissen des Sports zu den dort entstandenen Helden und Legenden angeboten wird, folgt deshalb meist auch den Gestaltungsprinzipien der klassischen Moderne. Das Vergangene wird in Form von Texten und Bildern in der Abfolge des Geschehens repräsentiert. Geschlossene, mit Anfang und Ende ausgestattete Wettkampfepisoden oder Sportkarrieren werden in einer korrespondierenden Weise beschrieben und gewürdigt. Soziologisch wäre eine derartige Vorgehensweise unbefriedigend, da eine Analyse, die mit dem Anspruch auftritt, die Sozialfigur des Sporthelden in postheroischen Zeiten zu durchleuchten und die im Spitzensport vorfindbare Heroisierungspraxis auf ihre soziale Konstruiertheit hin zu befragen, zunächst auf Distanz zu
Einleitung
einzelnen Personen und sportlichen Ereignissen zu gehen hat und gut daran tut, sich nicht bruchlos den Deutungsofferten jener Akteure anzuschließen, die das Geschehen im Spitzensport mit einer bisweilen überschäumenden Heldenrhetorik und Theatralik kommentieren. Wenn im Folgenden Sportler- und Mannschaftsnamen im Kontext konkreter Sportereignisse genannt werden, erfolgt dies konsequenterweise nicht mit Verehrungs- und Huldigungsabsichten. Vielmehr sollen überindividuell ausgerichtete Aussagen durch anschauliche Belegbeispiele und Kontextinformationen eine nachvollziehbare Konkretisierung erfahren. Ein Sozialbereich wie der Leistungssport, der darauf spezialisiert ist, einzelne Personen und Mannschaften in ihren Fähigkeiten öffentlich sichtbar zu machen, könnte als Heldenreservat nicht mit der nötigen Tiefenschärfe analysiert werden, wenn generell und apodiktisch auf Beispiele für die Inszenierung und Zurschaustellung personaler Außeralltäglichkeit verzichtet würde. Es ist deshalb wichtig und unerlässlich, an ausgewählten Stellen vom Allgemeinen und Überindividuellen auf konkrete Personen und Ereignisse in den Lebenswelten des Sports rückzuschließen. Abstraktion, Generalisierung und inkongruente Deutung helfen dabei, auf Distanz zu bleiben und nicht im Ereignis- und Anekdotenreichtum des Untersuchungsfeldes verlorenzugehen oder gar in der Analyse des Heroischen selbst auf Heldenverehrung umzuschalten.
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Die Heldenfähigkeit von Athleten und Athletinnen ist das Ergebnis spezifischer Arrangements, die sich im Gefolge der Ausdifferenzierung des Spitzensports vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Modernisierungsprozesses ergeben haben. Die korporativen Akteure des Sports haben auf dieser Grundlage ein Opportunitätsmilieu für die Epiphanie und Apotheose von Helden geschaffen, das sich so weder in Wirtschaft, Politik und Religion noch in Wissenschaft, Kunst, Militär oder Erziehung in vergleichbarer Weise finden lässt. Indem die Sportverbände durch ihre Medaillen-, Titel- und Rekordvergabe einen selektiven Zugang zu hochgeschätzten, individualisierungsgeeigneten Erfolgssymbolen offerieren, ist der Spitzensport zu einer Inklusionsadresse für Akteure geworden, die ihre Performanz bis ins Spektakuläre und Außeralltägliche zu steigern bereit sind. Die folgenden Bedingungen haben dazu geführt, dass heroisch attribuierbare Momente im Spitzensport erwartbar sind und entsprechende Narrationen in postheroischen Zeiten nicht zufällig Bezug auf spitzensportliche Akteure und Ereignisse nehmen. Sportliche Wettkämpfe sind gesellschaftlich in besonderer Weise heldenfähig, weil sie, erstens, Möglichkeiten der körper- und personenorientierten Leistungsindividualisierung eröffnen. Leistung ist dabei keine hinreichende, sondern eine notwendige Bedingung der Möglichkeit sportiven Heldentums. Menschen erhalten die Chance, sich auf der Grundlage kodifizierter Bewertungsmaßstäbe von anderen abzusetzen und Einzigartigkeit zu erringen. Bei aller logistischen Unterstützung durch Eltern, Trainer, Freunde, Betreuer, Verbände sowie politische und wirtschaftliche Sponsoren ist es schließlich immer noch der einzelne Athlet, der ein sportliches Ergebnis erzielt oder an der gestellten Aufgabe scheitert. Die im Sport erbrachten Leistungen werden explizit Personen zugeschrieben und im Rahmen von Belobigungs- und Huldigungsritua-
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len öffentlich prämiert. Der Spitzensport ist vor diesem Hintergrund als ein Sozialsystem zu verstehen, welches es dem modernen Subjekt ermöglicht, über sich als Person hinauszuwachsen und in einem Akt der Selbsttranszendierung eigener Könnenspotentiale von außen Bestätigung zu finden. Man beweist schließlich nicht nur sich selbst, zu welchen Leistungen man fähig ist, sondern zeigt auch den anderen, was in einem drinsteckt. So durchläuft ein Sportler schneller eine bestimmte Raumstrecke als seine Gegner, springt höher über eine Latte als die Konkurrenz, dreht mehr und gekonnter Pirouetten auf dem Eis und synchronisiert seinen Körper perfekter mit Musik und Gerät als die Mitstreiter, oder beweist Einzigartigkeit in der Beherrschung technischer Artefakte oder in der Erzielung von Penetrationsgewinnen, indem er einen Ball in den »heiligen« Raum des gegnerischen Tores oder Korbes schießt oder wirft. Die auf der Leistungsindividualisierung auf bauende Möglichkeit der Selbstheroisierung durch extraordinäres, persönlich zurechenbares Können erfolgt im sportlichen Wettkampf nicht auf der Grundlage abstrakter kommunikativer Fähigkeiten im Umgang mit Geld, Macht, Glauben oder Wahrheit, sondern in Anwendung physischer, psychischer und technischtaktischer Kompetenzen. Bei einem Hürdenlauf, einem Fußballspiel oder einer Turnübung geht es nicht um die Zurschaustellung diskursiver Fähigkeiten im Medium von Sprache oder Schrift, sondern um das Vorführen von Körperkompetenz in Gestalt demonstrierter Schnelligkeit, Kraft, Ausdauer, Beweglichkeit und Koordination. Hinzu kommen psychische und soziale Fähigkeiten, sich per Bewusstsein und Wahrnehmung auf Wettkampfsituationen einzustellen und sich mit anderen so zu koordinieren, dass Erfolge erwartbar werden. Sporthelden setzen sich dadurch deutlich von Wissenschafts-, Wirtschafts-, Politik- oder Religionsakteuren ab. Die Außeralltäglichen der Wahrheitssuche, des Gelderwerbs, der Bedürfnisbefriedigung, des Machteinsatzes und der Glaubensverkündigung müssen in den abstrakten Medien ihrer Sozialbereiche Einzigartigkeit erkämpfen und beweisen. Athleten hingegen können sich singularisieren, indem sie ihre Muskeln gekonnt zum Einsatz bringen und entsprechende psychische Ressourcen mobilisieren. Sporthelden sind, auch wenn die Massenmedien ihnen immer häufiger eine verbale Kommentierung ihrer Leistungen vor laufenden Kameras und Mikrofonen abverlangen, primär Helden des Körpers, der Psyche, der Sachbeherrschung sowie der koordinierten Arbeitsteilung auf Gruppenbasis.
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Der Spitzensport zeigt sich im Lichte dieser Ausführungen als ein Sozialbereich, der über strukturelle Kopplungen vornehmlich psychische und korporale Leistungen in Anspruch nimmt, um diese zu steigern und in einem Konkurrenzverhältnis abzugleichen. Die in anderen Funktionsbereichen durchaus noch bedeutsamen Prinzipien des Statuserwerbs und der Positionszuteilung wie Alter, Herkunft, Nationalität, Reichtum, Schönheit, Rasse, Geschlecht, Ideologie oder Religionszugehörigkeit spielen bei der Rangvergabe im Spitzensport explizit keine Rolle. Soziale Anerkennung erfolgt nicht per Ahnenreihe, sondern vornehmlich auf der Grundlage psychischer und korporaler Eigenleistungen, die im Rahmen sportlicher Konkurrenzen zu erbringen sind. Im Kontrast zu dem sich verbreitenden zeitgenössischen Individualismus des Sich-Auslebens inkarnieren Sportler damit das zentrale Zuteilungsprinzip der modernen Gesellschaft. Anders als beispielsweise die vom Volk verehrten Mitglieder von Herrschaftshäusern erringen Sporthelden, ebenso wie die ob ihres Mutes bewunderte Lebensretter oder auch ihre Fans verzückende Künstler, Publikumsbegeisterung durch individuelle oder kollektive Leistung und nicht qua askriptiver Merkmale. Während Könige durch ihren öffentlich zelebrierten »standesgemäßen« Lebenswandel beeindrucken, also durch Konformität mit festgelegten Normen glänzen, haben Sporthelden durch außergewöhnliche psychische und korporale Taten »etwas aus sich gemacht«. Sie haben erreicht, wovon andere nur träumen können (Bette/ Schimank 1995a: 63). Die im Wettkampf eingesetzten Messgeräte und -verfahren sichern den erreichten individuellen Status legitimatorisch ab und verschaffen Akzeptanz und Plausibilität. Zielkameras, Uhren, Transponder oder »Hawk eyes« helfen im Moment der Entscheidungsfindung, um in Situationen, in denen das menschliche Auge versagen würde, final über eine überlegene oder unterlegene Leistungserbringung urteilen zu können. Damit bietet der Spitzensport insgesamt etwas Besonderes: Während Menschen in Organisationen hinter den Kulissen verschwinden, um dort ihre Arbeitsleistungen in unüberschaubaren Handlungs- und Wirkungsketten zu verrichten, offeriert der Sport den genau umgekehrten Effekt. Einzelne Personen oder Gruppen dürfen sich im Rahmen organisierter Wettbewerbe vor den Augen zuschauender Dritter in ihren Leistungsfähigkeiten präsentieren und erhalten strukturell die Chance, ihre Handlungsbeiträge bis ins Heroische zu steigern. Der Sport setzt durch dieses Arrangement der Anonymitäts- und Nichtigkeitserfahrung des Einzelnen
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in der modernen Organisationsgesellschaft die Idee von der Autonomie des Subjekts durch Leistungsindividualisierung entgegen. Er stellt den individuellen Akteuren ein Opportunitätsmilieu zur Verfügung, in dem diese sich in der Öffentlichkeit den Status exemplarischer Sozialfiguren erarbeiten können. Die regelmäßig stattfindenden Wettkampfserien, die Sportverbände installiert haben, um am Ende eines langen Spannungsbogens einen nationalen oder internationalen Meister zu küren, bieten entsprechende Profilierungsmöglichkeiten. Die Organisationen, die dies ermöglichen und tragen, bleiben bei aller Inszenierung und Eventisierung typischerweise im Hintergrund. Im Spitzensport werden Leistungen und Erfolge dem Können und den Trainingsaufwendungen der Sportler zugeschrieben, und nicht dem Wirken anonymer Mächte oder technischer Infrastruktursysteme. Im Wettkampf treten real existierende Menschen mit ihren antrainierten Fähigkeiten und Fertigkeiten und den ihnen gegebenen Talenten gegeneinander an, keine korporativen Akteure wie Unternehmen oder Behörden – auch wenn sie diese bisweilen symbolisch repräsentieren. Sporthelden stellen deshalb eine Sonderkategorie der Prominenz dar: Sie glänzen durch Leistungen, die sie selbst erbracht und in vielen Jahren hart erarbeitet haben. Sie setzen sich durch die enge Kopplung von Erfolg, Ruhm, und Leistung von jenen Sozialfiguren ab, die seit geraumer Zeit den öffentlichen Diskurs in den Medien bestimmen und deren Reputation nicht auf Leistung, sondern auf psychischen Auffälligkeiten, medialer Präsenz oder der Bereitschaft beruht, das Private völlig ungehemmt öffentlich zu machen. Der sportliche Wettbewerb ist, zweitens, heldenfähig, weil er als Kampf zwischen formal Gleichen durchgeführt wird – oft im Rahmen eines Zweikampfes mit Duellcharakter. Die körpernahen Auseinandersetzungen im Boxen, Ringen, Fechten, Judo, Taekwondo oder Karate, aber auch die in kurzer Raumdistanz durchgeführten Rückschlagspiele wie Tennis, Tischtennis oder Badminton zeigen den Kampfcharakter sportlicher Wettbewerbe in einer sehr expliziten Weise. Der eine schaut dem anderen in die Augen, taxiert dessen Bewegungen und Verhalten auf Schwachstellen und versucht das Raum- und Körperterritorium seines Gegenübers durch Schläge, Griffe, Tritte, Stiche oder Ballkontakte zu durchdringen, um diesen zu schultern, auszuknocken oder um knappe Wertungspunkte für sich zu verbuchen. Sportspiele wie Fußball, Handball, Volleyball und Basketball finden in einer Kampfdyade auf Gruppenbasis statt – immer auch auf der Grundlage des Prinzips der formalen
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Symmetrie. Schwimm- und Laufwettbewerbe oder die Rennen der Formel 1 unterliegen ebenfalls der Idee, Statusungleichheit in einer künstlichen Konfliktsituation auf der Grundlage formaler Egalität herzustellen. Unterschiedliche Gewichtsklassen, Geschlechtertrennungen und Altersstufeneinteilungen sorgen dafür, dass allzu große Ungleichheiten zwischen den Akteuren dieses handlungsleitende Sinnprinzip nicht klammheimlich sabotieren. Es geht darum, unter den Bedingungen formaler Chancengleichheit besser zu sein als die Konkurrenten. Genau diese Kautel unterscheidet sportliche Wettkämpfe von der Konkurrenz zwischen Unternehmen auf dem Markt, wo jeweils Chancengleichheit gerade keine Ausgangsvoraussetzung sein muss. Ein Monopol macht im Sport, ganz im Gegensatz zur Machtposition eines Unternehmens, wenig Sinn, weil unumschränkte Dominanz Konkurrenz verdrängt und Langeweile beim Publikum erzeugt. Die Gleichheitsidee, von der Norbert Bolz (2009: 763) mit Blick auf die Demokratie annimmt, dass sie »jede Größe verleugnet und das Heroische verachtet«, verhindert im Wettkampfsport nicht das Außeralltägliche, sondern ist ganz im Gegenteil eine Grundvoraussetzung für die Epiphanie und Akzeptanz des Heroischen. Die Idee der formalen Gleichheit hat der Sport demnach sehr viel deutlicher und prägnanter aufgegriffen und umgesetzt als Wirtschaft, Politik oder Wissenschaft. Auch militärische Auseinandersetzungen werden nicht auf der Grundlage einer freiwillig im Vorfeld der Auseinandersetzung hergestellten Gleichheit ausgekämpft, um anschließend fair zwischen Siegern und Besiegten zu differenzieren, sondern fußen auf der genau gegenteiligen Absicht, nämlich durch die Herstellung ungleicher Voraussetzungen und den Einsatz ungleicher Mittel den Kampf für sich zu entscheiden. Aufrüstung und Einsatz neuester Technologien zu eigenen Gunsten gelten nicht als unfaire Verletzung von Gleichheitsnormen, sondern sind Ausdruck militärischer Schläue und Gewieftheit. Das Wettkampfgeschehen zwischen den Sportlern vollzieht sich demgegenüber nach vorab fixierten und institutionell abgesicherten Gleichheitsprinzipien. Weder Sportler noch Zuschauer können diese ändern. Die Regeln bevorzugen keinen der Teilnehmer. Gleichheit wird im Sport allerdings unbarmherzig eingesetzt, um Ungleichheit in der Rangverteilung zu erzielen. Im Kontext des Sports meint Gleichheit damit nicht Gleichheit im Sinne eines verfassungsrechtlichen Grundsatzes. In der im Sport stabilisierten Gleichheitsideee geht es vielmehr um kommunikativ geltende und ausgehandelte Bedingungen, die den Wettkampf als
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soziales System kennzeichnen und sowohl ein Miteinander als auch ein Gegeneinander gleichzeitig ermöglichen. Durch die Idee der formalen Gleichheit der Akteure erfolgt im Sport ein Rückgriff auf eine vormoderne Konkurrenz- und Kampfkonfiguration, die der Politikwissenschaftler Herfried Münkler (2015: 148) in seiner Theorie der postheroischen Gesellschaft als unverzichtbare Voraussetzung für die Emergenz des Heroischen bezeichnet hat, die »Symmetrie der Einzelkämpfer«. Nur im Austragen eines regelgerechten Kampfes könne der Sieger, so Münkler, für sich in Anspruch nehmen, »er sei der ›bessere Mann‹ gewesen«. Diese in den modernen Kriegen auf breiter Basis durch Technologieentwicklung weitgehend eliminierte archaische Grundkonstellation der Konfliktaustragung hat der Sport seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in seinem Wettkampfkonzept aufgegriffen, zivilisiert und im Sinne einer Inklusion des Exkludierten weiterentwickelt und gesellschaftlich verfügbar gemacht – mit entsprechender Resonanz und Nachfrage. Dass der Heldenbegriff in der Bestätigungs- und Beglaubigungsrhetorik der Massenmedien und in den Huldigungsritualen des Publikums vornehmlich in der Beschreibung und Verehrung sportlicher Akteure auftaucht und als Sporthelden bezeichnete Athleten oder Mannschaften durch die strukturell abgesicherte Symmetrieidee gesellschaftlich besonders anschlussfähig sind, ist vor diesem Hintergrund nicht überraschend. Nur auf der Grundlage des Sinnprinzips der formalen Chancengleichheit und Ergebnisoffenheit macht es schließlich Sinn, Geld in Sportwetten auf die eine oder andere Partei zu setzen, um pekuniär an einer physisch-organischen, psychischen oder technisch-taktischen Leistung zu partizipieren, die man selbst nicht erbracht hat. Dabei sei die Heldenepik, wie Münkler (ebd.) bemerkte, »nicht nur der Thesaurus des Heroischen, sondern auch der Konservator der Regelbindung«. Tatsächlich sind in der Sozialfigur des Sporthelden dominante Sinnprinzipien des Sports als normative Handlungsmaxime implizit eingespeichert: Leistung, Erfolgsorientierung, formale Gleichheit, Ergebnisoffenheit und Regelakzeptanz. Als heroisch werden Athletenleistungen, drittens, auch deshalb wahrgenommen, weil die durch politisch-militärische Nationalismen instrumentalisierte und denunzierte Idee von Opfer, Ehre und Verausgabung für überindividuelle Instanzen sportlichen Wettbewerben in einem entschärften und anders codierten Sinne durchaus inhärent ist und entsprechend erbrachte Leistungen für Verein, Nation, Mannschaft, Geschlecht, Ethnie oder Herkunftsmilieu sowohl von den organisatorischen Trägern
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des Sports als auch vom Publikum und von Medienakteuren durchaus erwartet und honoriert werden. So erhielt Bert Trautmann in Großbritannien im Jahre 1956 als Torhüter durch ein von ihm in einem Fußballspiel erbrachtes Körperopfer einen Legendenstatus. Als deutscher Fallschirmjäger war Trautmann Ende des 2. Weltkrieges in englische Kriegsgefangenschaft geraten. Nach seiner Entlassung als POW (Prisoner of War) kehrte er nicht nach Deutschland zurück, sondern blieb in England und wurde aufgrund seiner überragenden defensiven Qualitäten von Manchester City als Torhüter engagiert. Anfängliche Animositäten ihm gegenüber konnte er durch sportliche Leistungen entschärfen. Im englischen Pokalfinale 1956 brach er sich bei der Verteidigung seines Tores das Genick, und spielte trotzdem weiter. Sein Verzicht, das »Feld der Ehre« sowie die eigene Mannschaft in einer Situation der höchsten sportiven Bedrängnis vorzeitig zu verlassen, bescherte ihm zeitlebens und posthum die Hochachtung und Verehrung englischer Fußballfans. Das Opfer hatte ihn in besonderer Weise individualisiert. »Traut the Kraut« hatte im wahrsten Sinne des Wortes Kopf und Kragen riskiert und nicht nur ein typisch männliches, gesundheitsaversives Körperethos in einer symmetrischen Konkurrenzkonstellation vorgelebt, sondern auch Loyalität und Kampfgeist zugunsten seiner ehemaligen Kriegsgegner bewiesen und bezeugt. Als der deutsche Kunstturner Andreas Toba bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro sich bei seiner ersten Übung im Bodenturnen mit einem Kreuzbandriss verletzte und trotz Schmerzen und Bewegungsbehinderung seine zweite Übung am Seitpferd durchturnte, um seinen Mannschaftskollegen, seiner »Familie«, die Qualifikation für das Teamfinale zu sichern, ernannte ihn der Deutsche Olympische Sportbund in den neuen Social Media unter Rückgriff auf die gesellschaftlich verfügbare Heldenrhetorik spontan und lautmalerisch zum »Hero de Janeiro«. Alle deutschen Sendeanstalten widmeten ihm eigene Beiträge. Das Zweite Deutsche Fernsehen bezeichnete Toba explizit als »Olympiahelden«.1 Eine vergleichbare Situation hatte sich einige Jahrzehnte zuvor ergeben. Bei den Olympischen Spielen 1968 erhielt der deutsche Kunstturner Willi Jaschek den informellen Ehrentitel »Held von Mexiko«, nachdem er sich bei der ersten Übung, dem Bodenturnen, einen Achillessehnenriss zugezogen hatte, dennoch aber weiterturnte und dadurch seiner Mannschaft den ach1 | Zur Sozialfigur des Märtyrers im Sport vgl. Kapitel 2.
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ten Platz sicherte. Franz Beckenbauer erhielt eine globale Aufmerksamkeit, als er 1970 bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Mexiko im Halbfinale Deutschland gegen Italien trotz einer ausgerenkten Schulter antrat und seinen lädierten Arm in einer vor der Brust festgezurrten Schlinge durch den Raum und die konfrontativen Begegnungen mit seinen Gegnern trug. Als bei den Olympischen Spielen in Atlanta 1996 die amerikanische Turnerin Kerri Strug trotz eines angebrochenen Knöchels humpelnd zum Pferdsprung anlief, um der eigenen Mannschaft den ersten Olympiasieg in der Mannschaftswertung zu bescheren, und nach der Landung zusammenbrach und von ihrem Trainer mit schmerzverzerrtem Gesicht aus der Halle getragen wurde, feierte ganz Amerika diesen Sprung als heroischen Opfergang für die eigene Nation. Alle maßgeblichen nationalen Talkmaster luden sie anschließend in ihre Sendungen ein, um ihre Helden- und Opfergeschichte zu erzählen und öffentlich kundzutun. Der Beweis der heroischen Könnerschaft in den symmetriegeprägten agonalen Situationen sportlicher Wettkämpfe gelingt den Athleten, viertens, weil der Spitzensport ein Sozialbereich ist, der auf die Erzeugung eindeutiger Ergebnisse spezialisiert ist. Was in den Sportarenen gezeigt wird, ist eine auf Wettbewerb und Gegnerschaft reduzierte Wirklichkeit, die ihre Dynamik und Programmatik exakt bewertet. Es geht immer um Gewinnen oder Verlieren. Tertium non datur! Einzelne Personen oder Mannschaften treten gegeneinander an, um sich in ihren Leistungen anhand vorab definierter Kriterien komparativ zu messen. Die in den diversen Sportarten verwendeten Messverfahren für die Rangskalierung und Hierarchisierung der Athleten und Athletinnen erzeugen nicht nur Plausibilität und Legitimität nach innen für das sporttypische Meritokratieprinzip; sie liefern auch die evaluativen Abstoßpunkte, auf die externe Beobachter zurückgreifen können, um Leistungen der angetretenen Akteure als unterdurchschnittlich, durchschnittlich oder potentiell bewunderungswürdig einzuordnen und zu beglaubigen. Der Spitzensport hat demnach Verfahren entwickelt, um Außeralltäglichkeit mit bordeigenen Mitteln präzise erkennbar zu machen. Wer die 100m im Rahmen eines olympischen Endlaufs eine halbe Sekunde schneller lief als die Konkurrenten und seine Geschwindigkeit dabei noch auf den letzten Metern demonstrativ drosselte, darf sich anschließend mit Recht als situativer Gewinner und einzigartige Person feiern lassen. Selbst in Sportarten, die Athletenleistungen nicht auf der Grundlage von Zentimeter, Gramm und Sekunde evaluieren (Beispiel: kompositorische Sportarten wie Rhyth-
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mische Sportgymnastik, Eiskunstlauf oder Turnen), dienen kodifizierte Bewertungsvorschriften, Ausführungsbestimmungen für einzelne Bewegungselemente und Schiedsrichterkontrollverfahren dem Ziel, Leistungsunterschiede in einer nachvollziehbaren Weise eindeutig sichtbar und plausibel zu machen und an Personen zu adressieren. Indem der organisierte Sport sowohl den Athleten als auch dem Publikum, den Massenmedien sowie den politischen und wirtschaftlichen Sponsoren mit seiner Messorientierung, seinen Statistiken und seiner stetig wachsenden Datenflut permanent neue Anhaltspunkte zur präzisen Einschätzung individueller oder kollektiv erbrachter Leistungen liefert, macht er es möglich, dass sich bereits aus der Extrapolation von Zahlen Heldengeschichten ableiten lassen. Torschuss-Statistiken, Knockoutsiege sowie Medaillen- und Meisterschaftsquoten helfen dabei, Reputationshierarchien aufzustellen und zu legitimieren. Der Sport zeigt sich mit seinem Bestreben, Leistungsunterschiede in einer Sondersphäre des Sozialen präzise zu messen und zu personalisieren, nicht nur als eine Welt der Muskeln und der psychischen Verausgabung, sondern auch als ein selbstreferentielles Universum der Zahlen und Tabellen, in der individuelle und kollektive Meriten penibel festgehalten, bewertet und hierarchisiert werden. Gegenüber Politikern, deren Individualleistungen im Waschgang demokratischer Entscheidungsprozesse oft verloren gehen und meist erst – wenn überhaupt – nach Jahren gewürdigt werden, steht der Handlungsoutput von Sportlern durch seine Einbettung in ein messund zahlenorientiertes Sozialsystem für unmittelbare Eindeutigkeit, Konkretheit und Leistungsgerechtigkeit. Die Angabe, wieviele Medaillen ein Fachverband gewonnen hat oder welchen Tabellenstand eine Vereinsmannschaft erreichen konnte, ist damit funktional äquivalent zur Angabe von Preisen im Wirtschaftssystem, von Noten in Schulen und von Drittmitteln in Universitäten. Zahlen suggerieren Eindeutigkeit und fordern zum Handeln auf: um billiger einzukaufen, mehr Zuschauer zu inkludieren, bessere Notendurchschnitte zu erreichen, mehr Forschungsgelder zu akquirieren und höhere Unterstützungszahlungen durch politische und wirtschaftliche Sponsoren zu erhalten. Berufsgruppen können diese Zahlen sowohl zum Zwecke der Selbstanpreisung als auch als Abstoßpunkte für eigene Korrekturarbeiten und Professionalisierungsansprüche nutzen: um defizitäre Situationen auszugleichen oder um sportliche Rangplätze und Heldenquoten in der globalen Konkurrenz zum Wohle von Verein, Sponsor oder Vaterland zu verbessern.
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Der Spitzensport bietet seinen Haupthandlungsträgern und Bezugsgruppen, fünftens, eine Ressource an, die andere Sozialbereiche in vergleichbarer Weise nicht zur Verfügung stellen. Während die maßgeblichen Sozialfiguren von Politik, Wirtschaft, Religion oder Wissenschaft ihre systemspezifischen Handlungen hinter verschlossenen Türen, in Laboren, Sitzungssälen, Computerterminals, Fabrikhallen oder Kirchen abwickeln, finden sportliche Wettkämpfe in Sonderräumen statt, die bewusst auf Beobachtbarkeit und Öffentlichkeit hin angelegt sind. Stadien, Sporthallen, Arenen, aber auch Laufstrecken und Rennpisten sind bühnenähnliche Orte, die das Handeln der Wenigen den Blicken der Vielen aussetzen. Dort, wo die direkte Teilhabe der Zuschauer durch die räumliche Dispersion des Wettkampfgeschehens nicht möglich ist (Marathonlauf, Formel-1-Rennen, Ocean Race etc.), sorgen mediale Übermittlungstechniken für eine reale Simulation von räumlich-direkter Co-Präsenz von Publikum und Geschehen. Kameras, Mikrofone, Satellitenübertragungen und Internetverbindungen stellen eine Sichtbarkeit der Akteure für die in den Sonderräumen des Sports nicht anwesenden Zuschauer her. In einer Gesellschaft, in der Eindeutigkeiten und Gewissheiten zerfließen, ist der Sport durch die Einrichtung von Sonderräumen, die bewusst hergestellte Beobachtbarkeit seiner Akteure und die Nachvollziehbarkeit der im Wettkampf erbrachten Leistungen, Entscheidungen, Schicksale und Metamorphosen zu einer wichtigen Quelle von Gewissheitserfahrungen geworden, die andere Sozialbereiche aufgrund ihrer Spezialisierung, Funktionsausrichtung und Abstraktheit in vergleichbarer Weise nicht zu vermitteln vermögen. Erst vor dem Hintergrund der Intransparenz vieler Funktionssysteme wird die Beobachtbarkeit sportlicher Wettkampfräume zu einem zeitgemäßen Faszinosum. Was auch immer hinter den Kulissen der Vereine oder Verbände abläuft, auf dem Spielfeld entscheidet sich vor den Augen des Publikums, wer die bessere oder schlechtere Mannschaft ist. Die relevante Interaktion der Konkurrenten darf nur in der Öffentlichkeit sportlicher Sonderräume stattfinden. Ansonsten würde sie, ähnlich wie bei geheimen Absprachen zwischen konkurrierenden Wirtschaftsunternehmen jenseits des offiziellen Marktes, blockiert und sanktioniert. Die Zuschauer können als eingeschlossene ausgeschlossene Dritte an dem Prozess der Entscheidungsfindung in den Sonderräumen des Sports unmittelbar teilhaben, was in Politik, Wissenschaft oder Wirtschaft in vergleichbarer Weise nicht möglich ist. Was lernt man schon von der Komplexität der Wirtschaft, wenn man die Zahlenspiele an der
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Börse verfolgt? Und welche Einblicke gewährt die Politik, wenn man die Parlamentsdebatten im Fernsehen oder im Bundestag zu sehen bekommt? Auch die Entscheidung zwischen Wahrheit oder Nichtwahrheit in der Wissenschaft ist nur durch die zeitintensive und voraussetzungsvolle Lektüre von Publikationen, also in einer schrift- oder zahlenförmig abgelegten Kommunikation, möglich. Und die Leitunterscheidung von Immanenz und Transzendenz sowie von sakral und profan im Kontext religiöser Kommunikation wird nicht über die gleichzeitige Anwesenheit von Gott und religiöser Gefolgschaft, sondern über Glauben und die Simulation göttlicher Anwesenheit reguliert. Eine wichtige Ressource des Spitzensports ist demgegenüber die Synchronizität von Athletenhandeln und Zuschauererleben.2 Einem Sozialbereich, an dem Zuschauer – auch mit Hilfe der Medien – an den entscheidenden Handlungen im Moment des Geschehens mit eigenen Augen und Ohren partizipieren können, weil sich die dort agierenden Personen durch physische Eigenbewegungen oder die souveräne Handhabung von Maschinen oder anderweitigen Gerätschaften sichtbar machen, wird ein ungleich höherer Realitätswert zugeschrieben als jenen Sozialbereichen, die durch Abstraktion geprägt sind und die ihr systemspezifisches Handeln nach außen abschotten und nicht in öffentlich beobachtbaren Sonderräumen monopolisieren können. Die großen gesellschaftlichen Funktionsbereiche haben nämlich im Verlauf ihrer Ausdifferenzierung auf die räumliche Repräsentation ihrer Mediencodes verzichten müssen. Geld gibt es nicht nur in den vier Wänden von Banken. Macht als symbolisch generalisiertes Steuerungsmedium der Politik zeigt sich nicht allein in den Räumen des Parlaments. Und Gott soll nach Auskunft dogmatischer Texte nicht nur in den Räumen einer Kirche präsent sein. Möglichkeiten eines unmittelbaren, sinnlich abgestützten Begleitverstehens außerhalb des Sports sind insofern rar. Die im Sport über die Gleichzeitigkeit von Athletenhandeln und Zuschauererleben erzielten Evidenzgefühle setzen sich somit wohltuend von den permanenten Unbeobachtbarkeiten in der Restgesellschaft ab. Was ist der 3:1-Sieg bei einem Fußballspiel gegenüber dem Ausgang einer politischen Wahl, bei der noch nach Wochen oder Monaten darüber 2 | Die Differenz zwischen Erleben und Handeln betrifft nicht nur das Verhältnis von Athleten und Sportpublikum. In Sportspielen werden auch diejenigen, die nicht direkt am Ball aktiv involviert sind, zu Akteuren, die das Handeln der Mitspieler und Gegner als Beobachter erleben.
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diskutiert wird, wer als Gewinner zu betrachten sei und wer mit wem Koalitionsverhandlungen übernehmen solle? Politische Parteitage oder Parlamentssitzungen sind häufig nur noch symbolische Inszenierungen für das Verkünden von Ergebnissen, die bereits feststehen, weil sie vorher unter Ausschluss der Öffentlichkeit an anderen Orten ausgehandelt wurden. Der Wettkampf als Kernsituation des Spitzensports ist demgegenüber keine geheime, unpersönliche Operation auf abstrakten Märkten oder in virtuellen Foren, sondern arrangiert ein Zusammentreffen zwischen Personen und Gruppen auf der untersten Ebene der Systembildung. Sportler sind eingefangen in die Raum-Zeit- und Sozialkoordinaten des Wettkampfes. Marktteilnehmer können hingegen physisch getrennt voneinander handeln. Kaufen und Verkaufen von Gütern oder Dienstleistungen setzen nicht die Räumlichkeit eines bestimmten Ortes voraus. Die Entscheidung zwischen Gewinn oder Verlust im spitzensportlichen Wettkampf findet demgegenüber direkt auf der Interaktionsebene von Personen oder Kleingruppen in den Sonderräumen des Sports statt. In einer immer intransparenter und komplexer werdenden Welt ist der sportliche Wettkampf ein ereignisdichter Mikrokosmos, der dem Publikum einen überschaubaren Rezeptionskontext für das Handeln von Personen oder Gruppen zur Verfügung stellt. Dieses Spezifikum ist eine wichtige Bedingung für die Entstehung und Weiterverwendung heroischer Narrationen. Eben weil ein Großteil der systemrelevanten Operationen im Leistungssport auf der Basis gemeinsamer Anwesenheit stattfindet und insofern bewusst beobachtbar ist, können andere Sozialsysteme wie Medien, Wirtschaft und Politik und auch die unorganisierte Kollektivität des Publikums unmittelbar an diesen Ereignissen teilhaben und eigene Weiterverwendungen organisieren. Das Fernsehen als Leitmedium der Massenmedien profitiert hiervon in besonderer Weise. Wettkämpfe decken den Bildbedarf des Fernsehens perfekt ab, ganz im Gegensatz zu vielen wissenschaftlichen Disziplinen, deren Themen oft nur bedingt bildfähig sind. Wie man als Soziologe weiß: Eine Gesellschaft kann man nicht in einem Bild ablichten oder filmen. Auch transintentionale Akteurverstrickungen lassen sich nicht unmittelbar und präzise visuell erfassen. In einem instruktiven Umkehrschluss wird deutlich, dass die Heldenfähigkeit des Spitzensports nachhaltig von dem Bedeutungsverlust öffentlich beobachtbarer Interaktionssituationen in der modernen Gesellschaft profitiert. Der Grund: Abstrakte Organisationen, die nicht mehr eine
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gemeinsame Anwesenheit aller Mitglieder in einer Situation erfordern und Menschen »nur noch« in Mitgliedschaftsrollen inkludieren, haben sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts als neuartige Systemtypen zwischen Interaktion und Gesellschaft geschoben.3 Die moderne Gesellschaft hat hierdurch eine von versammelten Menschen unabhängige Qualität gewonnen – mit der Konsequenz, dass der einzelne Akteur seine unmittelbare Lebenswelt als abgekoppelt von der Gesellschaft erlebt, sich selbst immer mehr als entfremdet wahrnimmt und die Gesellschaft am Raster von Interaktions- und Intimerwartungen zu kritisieren beginnt. Schließlich werden immer mehr Leistungen in Situationen jenseits des eigenen Handelns und Erlebens erbracht. Anfang und Ende von Handlungsketten entziehen sich dadurch immer mehr der eigenen Wahrnehmung. Der zuschauerorientierte Spitzensport hingegen ist bewusst interaktionsnah komponiert. Individuell oder kollektiv erbrachte Athletenleistungen werden in Sonderräumen erarbeitet und dadurch für Außenstehende erlebbar. Mit der Einrichtung öffentlichkeitsorientierter und interaktionsbasierter Sporträume wird eine wichtige Voraussetzung für eine breite Heldenverehrung erfüllt: Helden müssen nicht nur besondere Leistungen, Heldentaten, erbringen; sie brauchen vielmehr auch Beobachter, typischerweise Zuschauer, die ihr spezifisches Handeln mitbekommen und im Rahmen vorhandener Situations- und Bewertungsdefinitionen erleben und beglaubigen. Die beobachtenden Zuschauer halten die sportlichen Leistungen nicht einfach nur nüchtern fest, bilanzieren sie als gekonnt oder nicht gekonnt, sondern feiern, loben, ermutigen und verehren die Leistungserbringer enthusiastisch als außergewöhnliche Sozialfiguren. Im Falle von Minderleistungen drücken sie allerdings auch ihren Unmut und ihre Enttäuschung, manchmal sogar auch ihren Hass aus. Selbst in der Ablehnung bringen sie ihre Bewertungsstandards für das Außergewöhnliche zum Ausdruck. Ohne Jünger, Fans, Bewunderer, Leistungsbewerter und Berichterstatter gibt es keine Helden. Heldentum ist eine soziale Konstruktion, die sich aus dem Zusammenspiel zwischen Akteur und Beobachter ergibt. Es verweist nicht auf Wesensmerkmale einer spezifischen Handlung, sondern auf Leistungen, die Beobachter in ihrem jeweiligen Erwartungshorizont als außergewöhnlich definieren. Wer einsam großartige Taten vollbringt, also nicht beobachtet wird, oder darauf verzichtet, über die Formen und Effekte seines Handelns zu kom3 | Siehe Luhmann (1975b: 9ff.,1984: 551ff., 1997: 813ff., 2017: 19ff.).
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munizieren, wird nie in den Pantheon der nationalen und internationalen Helden aufgenommen werden können. Der Schlüssel für das analytische Verstehen der Heldenverehrung ist demnach nicht allein die besondere Tat des Athleten oder der Athletin, sondern die Bewertung dieser Tat durch ein bewunderungsbereites und durch ein starkes Identifikationsbegehren geprägtes Publikum. Das Pu blikum als unorganisierte Kollektivität ist der oberste Prinzipal des Heldengeschehens. Die Zuschauer als wesentliche Leistungsbeglaubiger lieben an den Spitzensportlern, was sie sich selbst nicht zumuten (Bette et al. 2002: 25). So wie im Zoo vornehmlich jene Tiere vorgeführt werden, die auf freier Wildbahn gar nicht mehr oder zumindest selten vorkommen, lebt sich das Publikum im Spitzensport in der Beobachtung der letzten wirklichen Leistungsindividualisten aus. Es eignet sich gleichsam im visuellen Genuss an, was durch Zivilisierung und Modernisierung verdrängt worden ist. Der Heroismus der Spitzensportler wirkt in einer hochtechnisierten Welt, in der immer mehr Arbeitsvollzüge von Maschinen erledigt werden und bürokratische Entscheidungsprozesse ohne außeralltägliche Leistungen der Sachbearbeiter auskommen, geradezu altmodisch, kann aber nur so die Zuschauer fesseln und Heldenattributionen auslösen. In Anwendung dieser Perspektive ist der Begriff des Sporthelden das semantische Korrelat für eine Sozialfigur, deren Handlungsoutput von Beobachtern als exzeptionell und einzigartig gewürdigt wird. Die Bezeichnung als Held oder Heldin ist somit ein Akt der sozialen Anerkennung und Wertschätzung, der gesellschaftlich geschätzte Sinnprinzipien zum Ausdruck bringt. Der eine hat etwas erbracht, was der andere würdigt. Dies setzt eine Beobachtung und Bewertung anhand von Leistungsstandards voraus. Der Sport reguliert durch seine bordeigene Messorientierung und Rankinglust sowie sein Regelwerk, wer als außeralltägliche Besonderheit angesehen werden kann. Bestehende Rekordmarken helfen bei der Einordnung personaler oder kollektiver Leistungen. In Weiterführung dieser Idee profitiert die Heldenfähigkeit des Spitzensports, sechstens, von dem relativ voraussetzungslosen Inklusionsmodus, mit dem das Publikum auf den Spitzensport zugreift: Wahrnehmung und organische Empathie reichen bereits aus, um an Sportentscheidungen teilhaben zu können. Im Ringen um sportliche Rangplätze werden unmittelbar wahrnehmbare Körper zum Sprechen gebracht. Das Leisten findet nicht in räumlich und zeitlich weit verzweigten, unüberschaubaren und ausfasernden Handlungszusammenhängen statt. Der Zuschauer
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muss auch nicht in Psychen hineinschauen und komplizierte Intentionen enträtseln. Die situativen Absichten der Athleten sind weitgehend trivial und jedem Beteiligten und Beobachter bekannt. Allenfalls gibt es in manchen Sportarten gelegentliche Strategieentscheidungen, Finten und Taktiken, die sich nicht sogleich enthüllen – wohl aber immer noch im Laufe eines Wettkampfes. Sportliches Handeln weist wenig Doppelbödigkeit auf und ist daher bei aller Strategie und Taktik relativ anspruchslos beobachtbar. Intellektuelle Kennerschaft und spezifische Kompetenzen aufseiten der Zuschauer werden nicht vorausgesetzt. Der Zuschauer muss den Athletenkörper in dessen Bewegungsabläufen lediglich signalhaft wahrnehmen und »lesen« können und das Skript der jeweiligen Sportart in etwa kennen – und ist hierbei von einem tieferen Zwang zur Reflexion entlastet. Die Ästhetik des reinen visuellen Nachvollziehens opponiert explizit gegen die »Verkopfung« des modernen Menschen. Der Sport stilisiert sich auf der Vorderbühne als Sinnwelt des schnellen Verstehens jenseits der Labyrinthe gesellschaftlicher Abstraktion und Komplexität. Da Wettkämpfe letztlich nonverbal ablaufende Auseinandersetzungen zwischen real existierenden Körpern oder diversen Mensch-MaschineSystemen sind, kann der Spitzensport problemlos ein Weltpublikum ansprechen und unterhalten. Wichtige Entscheidungen fallen oft erst in den letzten Sekunden einer Spielzeit oder auf den letzten Metern eines Rennens. Das Publikum wird so auf eine unterhaltsame Weise elektrisiert. Es hat an einem dynamischen sozialen Geschehen teil, in dem vorhandene Sprachbarrieren keine Rolle spielen. Der Nachvollzug von Körperbewegungen reicht dem Publikum oft schon aus, um den Übergang vom Alltäglichen zum Heroischen zu bemerken und außergewöhnliche Leistungen individuell zu attribuieren. Der mit der Brust unter widrigen Umständen angenommene Ball, den ein Stürmer am Torhüter vorbei ins gegnerische Tor schießt, schafft eine Evidenz, die gegen Kritik immun ist. Gleiches gilt für den urplötzlich im Gesicht des Gegners landenden Fersendrehschlag eines Taekwondokämpfers, das spritzfreie Eintauchen zweier Körper im Synchronspringen vom 10m-Turm oder die am Ende einer Spielzeit blitzschnell ablaufende Ballstaffette im Handball, die eine Meisterschaft in der letzten Sekunde der Spielzeit entscheidet. Der Zusammenhang von Ursache und Wirkung lässt sich, bei allen legalen und illegalen Aktivitäten auf der »Hinterbühne« des Sports, in den Interaktionssituationen des Wettkampfes im Moment des Geschehens in einem mittleren Bereich direkt beobachten, weil
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der Sport ein personen- und körperorientierter Sozialbereich ist. Körperhandlungen lassen sich als Informationen und Mitteilungen lesen. Dies eröffnet dem Sportpublikum die Möglichkeit, in der Beobachtung des Geschehens unmittelbar positive und negative Gefühle auszudrücken. Zuschauer können sich über die Athleten erheben, Entscheidungen und Laufwege kritisieren; sie können vorschnelle Urteile fällen, Leistungen verdammen und verfluchen, aber diese auch in der Gleichzeitigkeit von Erleben und Handeln in den Himmel erheben. Die Heldenfähigkeit des Spitzensports ist, siebtens, Resultat des Umstandes, dass das Handeln der Athleten einer dauerhaft gültigen Logik unterliegt, dem Code von Sieg und Niederlage (Bette 1989: 171ff.). Im Rahmen dieser binären Logik produziert der Spitzensport Ereignisse und Entscheidungen am laufenden Band. Dieser sich in Zahlen und korrespondierenden Hierarchien niederschlagende Grundantagonismus ist der Motor, der die Sportakteure mit Handlungsmotiven ausrüstet und dauerhaft für eine kreative Unruhe und Dynamik sorgt. Mindestens zwei Parteien treten in einer Nullsummenkonstellation an, um vor den Augen Dritter um den sportlichen Sieg zu streiten. Wettkämpfe stellen eine Akteurkonstellation wechselseitiger Beobachtung dar. Jede Seite verfolgt in dieser klassischen Ego-Alter-Beziehung das Ziel, durch die eigene Handlungswahl die Handlungswahl des anderen so zu beeinflussen oder zu blockieren, dass am Ende ein Sieg zu eigenen Gunsten herauskommt. Dieser ist per definitionem ein knappes Gut, das nur wenige temporär oder auf Dauer für sich verbuchen können. Auch wenn die offizielle olympische Rhetorik nach wie vor weismacht, dass ein Dabeisein alles wäre, gilt bei jedem Wettkampf: Der Zweite ist bereits der erste Verlierer. Obwohl zweite oder dritte Plätze noch als Erfolge gefeiert werden können, gilt das kollektive Mitleid bereits denjenigen, die den »undankbaren vierten Platz« errungen haben. Das Gedächtnis des Spitzensports speichert vor allem die Namen und Leistungen der Sieger ab. Die dauerhaften Verlierer werden als anonyme Masse derjenigen memoriert, die es versucht, aber nicht geschafft haben. Das Publikum weiß durch die Ausrichtung des Spitzensports auf den Sieg/Niederlage-Code, worauf es sich als Handlungsrahmen einzustellen hat. Das Miteinander der Athleten ist immer ein bewusstes Gegeneinander – egal, ob es sich um einen 100m-Lauf, ein Reitturnier oder ein Fußballspiel handelt. Die im Sieg/Niederlage-Code eingespeicherte Rekordlogik stellt das Streben der Akteure nach außeralltäglichen Leistungen
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zudem strukturell auf Dauer. Jede Rekordmarke fordert zur Überbietung heraus und macht diejenigen sichtbar, die den Wettkampfraum als Gewinner oder Verlierer verlassen. Der Spitzensport bietet demnach Profilierungsmöglichkeiten in der Gleichzeitigkeit von Konformität und Abweichung. Im Rekordstreben manifestiert sich der Wille, vom Üblichen und bereits Erreichten abzuweichen – aber immer auf der Grundlage eines allgemein akzeptierten Ordnungsschemas. Da sich niemand lange auf den Lorbeeren früherer Tage ausruhen kann, wird jeder Athlet gezwungen, seine einmal erworbene Reputation immer wieder neu zu bestätigen. Die Heldenfähigkeit des Spitzensports profitiert, achtens, von der Spannungsträchtigkeit sportlicher Wettkämpfe für das Publikum (Bette 1989: 174ff.). Die sportspezifische Spannung stellt gegenüber den spannungsgenerierenden Wettbewerbs- und Konkurrenzsituationen in anderen Sozialbereichen etwas Besonderes dar. Auch in Wirtschaft, Politik oder Wissenschaft gibt es »Wettkämpfe«, die für alle Beteiligten spannend sein können. Die Rationalität eines wissenschaftlichen Wettbewerbs ist auf die Differenz von Wahrheit/Nichtwahrheit ausgerichtet. In politischen Wahlen geht es um die Zuteilung von Regierung und Opposition. In den Konkurrenzsituationen von Wirtschaftsunternehmen stehen Gesichtspunkte von Profit und Nonprofit im Vordergrund. Im Sport geht es nicht um ähnlich existentiell wichtige Aspekte für die Steuerung komplexer Gesellschaften, sondern »nur« um ein Unbedenklichkeit signalisierendes Erleben: Spannung in einer Welt des »Als ob«. Über die Generierung dieser Erlebnisressource ist der Sport zum Unterhaltungsfaktor geworden. Selbst der als schmerzhaft wahrgenommene Abstieg der eigenen Fußballmannschaft aus der Bundesliga, der bei überidentifizierten Fans tiefe Emotionen hervorrufen kann, ist nicht vergleichbar mit dem Verlust des Arbeitsplatzes oder einer gescheiterten Ehe mit Kindesentzug und anschließenden Unterhaltszahlungen. Spannung ist das Erlebniskorrelat sowohl des Sieg/Niederlage-Codes als auch der Ergebnisoffenheit sportlicher Konkurrenzen und der formalen Gleichheit der Akteure. Spannung entsteht durch das Abschieben des Wettkampfausgangs in die Zukunft, die als prinzipiell offen, und nicht als geschlossen gedacht wird. Die im Wettkampf erzeugte Ungewissheit fixiert sich häufig auf bestimmte Personen beziehungsweise auf Körper und durchlebt deren Schicksal in allen Höhen und Tiefen – sowohl in der Kurzlebigkeit eines einzelnen Wettkampfes als auch in der Langperspektive einer Karriere.
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Im Gegensatz zur virtuellen Film- und Buchrealität, die Regisseure und Autoren exakt vorherplanen, ist der sportliche Wettkampf ein Real-life-Event, bei dem man am Anfang nicht genau weiß, was am Ende herauskommt. Weder Sportler noch Zuschauer haben einen Wissensvorsprung. Handlungsresultate werden immer wieder neu hergestellt. Niemand weiß im Vorfeld eines regulär ausgetragenen Wettkampfes, wie die Handlungen der Sportler sich entfalten werden, weil die beteiligten Akteure kämpferisch-situativ bemüht sind, die Entfaltungschancen der jeweils anderen Seite zu beschneiden. Außeralltägliches kann deshalb im Sport alltäglich passieren. Das Warten auf das Spektakuläre, Spannende, Überraschende und Besondere ist ein Teil des Faszinosums Spitzensport. Spitzensport als Heldensystem: Voraussetzungen • Ermöglichung einer körper- und personenbasierten Leistungsindividualisierung und Selbstheroisierung • formale Symmetrie der Kontrahenten in Interaktionssituationen • Opfer- und Verausgabungsbereitschaft der Akteure für überindividuelle Sozialkategorien • Statuszuweisung, Prämierung und Hierarchisierung der Sportler durch präzise Leistungsmessung • Sichtbarkeit der Athleten durch Ausdifferenzierung beobachtungsorientierter Sonderräume; räumliche Repräsentation des Sieg/Niederlage-Codes • Gleichzeitigkeit von Athletenhandeln und Zuschauererleben; Ermöglichung von Synchronizitäts- und Kausalitätserfahrungen aufseiten des Publikums • Wahrnehmung und organische Empathie als dominante Modi für die Inklusion des Sportpublikums; sprachunabhängige Teilhabe des Publikums • leichte Verstehbarkeit sportlichen Handelns im Rahmen sportartspezifischer Regeln und Rollen • Spannung als Erlebniskorrelat des Sieg/Niederlage-Codes • Konsequenzlosigkeit sportlicher Wettkämpfe für das außersportliche Leben der Zuschauer Abb. 1: Spitzensport als Heldensystem: Voraussetzungen
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Die Serialität sportlicher Ereignisse sorgt für eine Temporalisierung dieser Erwartung. Durch die Installierung wiederkehrender Wettkampfserien und -episoden im Rahmen einer eigenen Systemzeit verschafft der Spitzensport dem Publikum die Aussicht auf ergebnisoffene, rauschhafte Gegenwartserlebnisse. Er gibt den Zuschauern durch Strukturbildung das Versprechen auf eine Wiederkehr des positiv Besetzten. Das Publikum darf davon ausgehen, dass spannende, spaßorientierte und außeralltägliche Erlebnisse im Rahmen des bereits Bekannten und Tradierten auch in zukünftigen Gegenwarten zur Verfügung stehen werden. Die Serialität von Wettkämpfen ist somit nicht nur eine Vorkehrung, mit der der Spitzensport sich selbst als Sozialbereich durch die Produktion systemspezifischer Ereignisse perpetuiert. Sie ist – in Ergänzung hierzu – auch eine Maßnahme, um das Sportpublikum sowie publikumsinteressierte Bezugsgruppen in Wirtschaft, Politik und Massenmedien dauerhaft durch Spannungsofferten an sich zu binden. In Situationen, die von der Idee der formalen Gleichheit, der Verausgabungs- und Opferbereitschaft der Akteure und der Prozess- und Ergebnisoffenheit des Wettkampfes leben und in denen Kontrahenten oft körpernah aufeinandertreffen, kommt der organisierte Sport nicht umhin, normative Sicherungen einzubauen (Bette 1989: 189ff.). Strukturelle Mechanismen dieser Art bieten nicht nur einen Schutz gegenüber externen Anforderungen oder Interventionen, sondern bauen auch eine Schwelle der Indifferenz nach innen auf. Sie kontrollieren das Persönlichkeitsund Motivpotential der Beteiligten, immunisieren deren überschüssige Handlungsoptionen und sind Wellenbrecher gegenüber der Subjektivität und Spontaneität der beteiligten Akteure. Durch das Fairness-Gebot, abstützende Regeln und die Anwesenheit neutraler Dritter in Gestalt von Schiedsrichtern wird die Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation und des gemeinsamen Handelns unter den künstlich hergestellten Kontingenzbedingungen des sportlichen Wettkampfes in die Wahrscheinlichkeit eines symmetrischen Miteinander transformiert. Im Zeitalter weitverbreiteter Dopingpraktiken, die typischerweise in den Tiefen des Körpers platziert werden, um sich so einer Kontrolle von außen zu entziehen, stößt das Steuerungsmandat der Schiedsrichter allerdings an seine Grenze. Es muss durch weltweit installierte Kontroll- und Supervisionsorganisationen ergänzt werden, um die Dopingdevianz auf der Grundlage naturwissenschaftlicher Technologien sanktionierbar zu bekämpfen. Vorkehrungen mit anders justierten Gegenmaßnahmen sind zu treffen,
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wenn Wettkämpfe gegen Korruption und Wettbetrug zu schützen sind. Auch in diesen Fällen gilt: Ohne normative Sicherungen bliebe die Emergenz des Heroischen im Spitzensport unwahrscheinlich.
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Wo ein zähes Ringen um Sieg oder Niederlage stattfindet, Räume erobert und verteidigt werden, wo erbitterte Angriffs- und Abwehrschlachten geschlagen, Punkte gesammelt, Revanchen für vorhergehende Niederlagen und Enttäuschungen genommen werden und eigene Erfolgsstrategien im Auf und Ab des Wettkampfes dramatisch scheitern können, wird der Boden für die unterschiedlichsten Heldengestalten strukturell bereitet. Die Heldentruppe des Sports ist insofern keine homogene Einheit; sie zeigt sich vielmehr als ein hochdifferenziertes Gebilde, das sich aus den Besonderheiten der einzelnen Sportarten, der Wirkungsdauer von Sportergebnissen, den Präsentationsleistungen und Funktionen der Athleten und den beim Publikum hervorgerufenen Gefühlen und Leidenschaften ergibt. Um die Koordinaten zu bestimmen, in denen das heroische Themenund Figureninventar des Spitzensports angesiedelt ist, empfiehlt es sich zunächst, das Heldenuniversum in räumlicher Hinsicht zwischen zwei Eckpunkten anzusiedeln: den »local heroes« einerseits und den »globalen Sporthelden« andererseits – mit regional und national bekannten und verehrten Größen dazwischen. Die globalen Sporthelden wurden erst möglich durch die Entwicklung des Sports zu einem Teilsystem der Weltgesellschaft sowie durch die technischen Innovationen auf dem Gebiet der Massenkommunikation, die zu einer Aufhebung der räumlichen Beschränkungen sportiven Handelns und zu einem Wechsel von einer lokal basierten Öffentlichkeit hin zu einer medial ermöglichten Weltöffentlichkeit führten, an der prinzipiell alle kommunikativ erreichbaren Mitglieder der Gesellschaft teilhaben können. Wichtig für die globale Vergleichbarkeit sportlicher Leistungen und die Zuweisung etwaiger Heldenrollen war die Etablierung nationaler und supranationaler Verbände, die Regeln vereinheitlichten, wiederkehrende Wettkampfereignisse schufen und ein
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Gedächtnis für individuell und kollektiv erbrachte Leistungen entwickelten und auf Dauer stellten. In zeitlicher Hinsicht macht es Sinn, zwischen Kurzzeit- und Langzeithelden zu unterscheiden und somit auf die unterschiedliche Entstehungs- und Wirkungsdauer heroischer Taten abzuheben. Erstere glänzen durch Augenblickserfolge, die sie aber aufgrund von Körper- und Motivationsgrenzen oder Verletzungen nicht dauerhaft reproduzieren können. Bob Beamon sprang bei den Olympischen Spielen 1968 in Mexico City völlig unerwartet, eben »beamonesque«, mit 8.90m einen neuen Fabelweltrekord im Weitsprung. Er überbot den bisherigen Weltrekord um 55cm und übersprang dabei die an der Weitsprunggrube installierten Messeinrichtungen. Nur durch Zufall war eine Kamera auf das damalige Geschehen gerichtet und hielt das Ereignis in Bild- und Filmformat fest. In der Sprache der Musikszene formuliert war dieser einzigartige Sprung ein »one-hit-wonder«, aber dennoch eine Leistung, die bis heute als außeralltäglich-phänomenal memoriert wird. Die fulminante und erst 1991 durch Mike Powell bei den Weltmeisterschaften der Leichtathletik in Tokyo um 5cm übertroffene Weite machte Beamon nicht nur zu einem Helden seiner Sportart; sie wurde für ihn auch zu einem Fluch, weil er sie nie wieder auch nur annäherungsweise zu erreichen vermochte. In die Kategorie der Kurzzeithelden fallen auch jene Sportler, die den Zufall zu nutzen wussten oder bei wichtigen Wettkämpfen unabsichtlich auf Rangplätze vorstoßen konnten, die ihnen aufgrund ihrer Minderleistungen ansonsten verschlossen geblieben wären. Bei den Olympischen Winterspielen 2002 in Salt Lake City gewann der australische Shorttracker Steven Bradbury nur deshalb völlig überraschend die Goldmedaille, weil alle besseren Gegner sowohl im Halbfinale als auch im Finale reihenweise vor ihm gestürzt waren. Bradbury konnte die Ziellinie als Erster überqueren, ohne durch bessere Konkurrenten daran gehindert zu werden. Er wurde in seiner Heimat als erster australischer Goldmedaillengewinner der olympischen Winterspiele als ein Sportler gefeiert, der ohne eigene Schuld vom Scheitern seiner Mitkonkurrenten profitiert hatte. An ihm haftet seitdem dennoch der Makel, die höchste olympische Medaille lediglich als »Parasit« (Serres 1981) des Missgeschicks seiner Mitstreiter gewonnen zu haben. Vielleicht war Bradbury aber auch nur cleverer als seine Mitstreiter, die in den Rennen alles auf eine Karte gesetzt hatten und mit dieser Strategie gescheitert waren. Die Kurzzeithelden sind, wie diese Beispiele signalisieren, die Sternschnuppen am Heldenhimmel. Sie
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begeistern durch eine kurzfristig hohe Lichtabgabe, ziehen aber schnell vorüber und erreichen dadurch nicht die dauerhafte Helligkeit jener Fixsterne, die noch spätere Generationen begeistert und fasziniert. In der Heldenliga stehen deshalb die Langzeithelden an oberster Stelle. Jede größere Sportnation und jede Sportart verfügt über entsprechende Figuren, die ihr Publikum über Jahre durch hochstehende Leistungen begeisterten, zahlreiche Titel in Serie gewannen, die Konkurrenz dominierten und die Ergebnisoffenheit sportlicher Wettkämpfe zeitweise durch ihre überragende Kompetenz sogar außer Kraft setzten. Man denke nur an die langjährigen Erfolgsserien von Pelé, Eddy Merckx, Carl Lewis, Billie Jean King, Martina Navratilova, Steffi Graf, Boris Becker, Michael Jordan oder Usain Bold. Im Autorennsport waren es Rudolf Carraciola, Juan Manuel Fangio, Wolfgang Graf Berghe von Trips, Alain Prost, Jackie Stewart, Gilles Villeneuve, Jochen Mass, Ayrton Senna oder Michael Schumacher, die die Massen auf den Rennstrecken der Welt und im öffentlichen Diskurs dauerhaft elektrisierten. Im Boxen konnten sich Max Schmeling, Joe Louis, Jake LaMotta, Sugar Ray Robinson, Rocky Marciano, Archie Moore, Sonny Liston, George Foreman, Muhammad Ali und Floyd Mayweather eine dauerhafte Mitgliedschaft im Heldenhimmel sichern. Im kollektiven Gedächtnis sind es vornehmlich die Langzeithelden, die mit Hilfe der Massenmedien memoriert und bei gegebenen Anlässen revitalisiert werden – auch wenn sie bereits verstorben sind. Durch ihre medial verbreiteten Leistungen erregten sie eine globale Aufmerksamkeit und konnten dadurch eine »Weltbedeutsamkeit« (Stichweh 2008: 36) erlangen. Eine Endzeitstimmung kommt typischerweise auf, wenn Langzeithelden im Begriff sind, sich aus dem Sport zurückzuziehen und für parasoziale Nahbeziehungen nicht mehr unmittelbar zur Verfügung zu stehen. Verlustängste entstanden beispielsweise bei nicht wenigen Zuschauern, als der »Gott des Basketballs«, Michael Jordan, genannt »Air«, seine letzte Saison spielte. Die Einschätzung, einen Sportler zukünftig nicht mehr spielen sehen zu können, der die Schwerkraft scheinbar außer Kraft setzen konnte, trieb die Zuschauerzahlen in die Höhe und ließ vorauseilende Trauergefühle beim Publikum entstehen. Unter der Überschrift »Es wird schmerzhaft werden. Basketball ohne Michael Jordan – Amerika fürchtet sich« schrieb der Sportjournalist Gerhard Waldherr über die letzten Spiele von Michael Jordan mit den Chicago Bulls: »Seit Monaten geht das so, und tagtäglich steht es in der Zeitung. Als ob es nichts Wichtigeres gäbe.
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In Phoenix wurde ihr Bus bis auf das Rollfeld des Flughafens verfolgt, fünfzehn Autos bildeten eine Schlange, an der Spitze ein Chevette. In Indianapolis standen so viele Menschen vor dem Canterbury Hotel, um sie fünf Schritte zu den wartenden Limousinen schlendern zu sehen, dass die Polizei eine Stunde lang die Straße sperren musste. In Los Angeles saß bei ihrem Gastspiel halb Hollywood auf den besten Plätzen, während auf dem concourse hinter den Tribünen Repliken ihrer Trikots verkauft wurden, ärmellose Hemdchen aus Kunststoff für 220 Dollars. In Atlanta kamen zu einem Spiel 62.046 Zuschauer, etwa 8.000 davon konnten noch nicht mal das Spielfeld sehen. [...] Und selbst die hartgesottenen Profis aus Chicago, gestählt in unzähligen Nervenschlachten, große, kräftige Recken allesamt, wurden von Sentimentalität gepackt.«1 Vergleichbare Nostalgie-, Trauer- und Voyeurismusreaktionen des Publikums auf das annoncierte und inszenierte Karriereende international bekannter Langzeithelden lassen sich in vielen anderen Sportarten beobachten, so beispielsweise als Eddy Merckx mit dem Radrennsport aufhörte, der mehrfache Stanleycupsieger, der kanadische Eishockeyprofi Wayne Gretzky, seine Karriere beendete, die Tennisspielerin Martina Navratilova aus dem Tenniszirkus ausschied oder Usain Bolt, der jamaikanische Sprinter, seine letzten Rennen bestritt. In sachlicher Hinsicht beruhen die Differenzen in der Heldenriege vornehmlich auf Unterschieden, die durch die Anforderungsprofile der Sportarten in den Wettkampf hineinkommen. Hochspringer glänzen nicht durch mehrwöchige Verausgabungen, sondern fallen als schnellkräftige Überwinder großer Höhen auf. Turner setzen sich mit Körper, Gerät und Schwerkraft auseinander und zeigen eine beeindruckende Akrobatik und Risikobereitschaft. Rhythmische Sportgymnastinnen müssen ihre Körper mit Musik, Gerät und Raum in Einklang bringen und in der Gruppengymnastik ausgeprägte Synchronisierungsfähigkeiten beweisen. Ein 100m-Sprinter kann sich bei entsprechender Kompetenz als Held der Geschwindigkeit feiern lassen. Spitzenzehnkämpfer brillieren durch außeralltägliche Mehrfachkompetenzen im Laufen, Springen, Werfen und Stoßen. Und der Formel-1-Held steht für Schnelligkeit, Modernität und eine gelungene Symbiose von Mensch und Maschine. Er repräsentiert Individualität, Leistungs- und Risikobereitschaft sowie
1 | Siehe FAZ (28.5.1998: 65).
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Durchsetzungswillen; manchmal steht er allerdings auch für kalkulierte Unfairness, Ellenbogenmentalität und radikale Selbstbezüglichkeit. Unterschiede im Heldenrepertoire des Sports ergeben sich in sachlicher Hinsicht weiterhin durch den Körperhabitus und die performativen Qualitäten der Sportler und Sportlerinnen, die sich in entsprechenden Spitznamen niederschlagen können. Dass Franz Beckenbauer von den Fans zum »Kaiser« geadelt wurde, hatte damit zu tun, dass er durch Führungsqualitäten, Übersicht und einen ausgeprägten Bewegungsminimalismus im Bereich des Oberkörpers glänzte. Außerdem hielt er sich als »Libero« souverän aus Zweikämpfen heraus und vermied hierdurch harte und verletzungsträchtige Konfrontationen. In einer Sportdisziplin, die durch Rollenspezialisierung einen hohen internen Koordinationsbedarf aufweist, war er derjenige, der auch in Situationen der Bedrängnis zu führen wusste und die Abstimmungsdefizite und Reibungen zwischen den einzelnen Spezialisten durch ein beherztes Eigenhandeln gegenzusteuern verstand. Demgegenüber gibt es auch Helden des Kampfes, der zähen Auseinandersetzungen, wie sie besonders in Sportarten erwartbar sind, in denen die Sportlerkörper im Wettkampf hart aufeinanderprallen. Wer diesen Konfrontationen nicht aus dem Wege geht, sondern diese aufgrund seiner Position vielmehr bewusst aufsucht, wird häufig mit dem Namen von Tieren belegt, die für ein schneidiges Auftreten gezüchtet wurden. In der Heldenmetaphorik des Fußballs war Berti Vogts der »Terrier«, der die Gegner durch seine Verbissenheit zur Verzweiflung brachte. Wayne Rooney wurde durch seine kompromisslose Härte und seine hohe Konfliktbereitschaft und Treffsicherheit im Angriff zum Helden der englischen Arbeiterklasse. Mit seinen »mannhaften« Qualitäten fiel er nicht nur auf dem Spielfeld auf, sondern auch in außersportlichen Situationen. Besondere Heldenchancen besitzen in sozialer Hinsicht diejenigen Athleten oder Athletinnen, die aufgrund ihrer Position und Rolle über die Reinheit und Heiligkeit von Sporträumen zu wachen haben. Wenn ein Handballtorwart bei einer Weltmeisterschaft die Siebenmeterwürfe der Gegner in Serie abwehrt und damit der eigenen Mannschaft zum Sieg verhilft, ist dies traditionellerweise der Stoff, aus dem Helden, sprich »Hexer«, sind. Gleiches gilt für die erfolgreichen Torwartfiguren des Fußballs wie Toni Turek, Bert Trautmann, Lev Yashin, Dino Zoff, Sepp Maier, Fabien Barthes, Gianluigi Buffon, Iker Casillas und viele andere mehr. Oliver Kahn wurde im öffentlichen Diskurs mit dem Titel des »Titanen« geadelt, weil er sein Tor mit Kampfsportqualitäten ohne Rücksicht auf
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eigene oder fremde Verluste verteidigte, den Gegnern offensiv als menschliches Bollwerk entgegensprang und sich auch nicht scheute, die eigenen Verteidiger mit einer entsprechenden Gestik, Mimik und Rhetorik öffentlich für ihre Versäumnisse in der Defensivarbeit anzuschnauzen und zu rüffeln. Torwartfiguren bewähren sich, wenn sie gekonnt die Bälle des Gegners durch eigene Glanztaten abwehren oder in Besitz nehmen, als Abwehrhelden, als »Hüter des Hauses«. Das eigene Publikum ehrt und belohnt sie insbesondere dann mit entsprechenden Huldigungsgesten und -ritualen, wenn sie die Penetrations- und Befleckungsversuche des Gegners mit gekonnten Paraden in symbolisch wichtigen Spielen erfolgreich vereiteln und so die Schande der Niederlage und der Torraumbesudelung abwenden konnten. Nobby Stiles, ein Fußballspieler von Manchester United, war in den 1960er Jahren einer der weltbesten Verteidiger. Er ging in die Annalen seiner Sportart und in die »Hall of Fame« des englischen Fußballs als der kurzsichtige, zahnlose »Knochenbrecher« ein, der durch seine berühmt-berüchtigten Grätschen selbst den virtuosesten Gegnern das Leben schwer machte. Auch er wurde zu einem Helden der englischen Arbeiterklasse. Dem Verteidigerheld steht die Sozialfigur des Eroberers oder Angreifers gegenüber. Dieser attackiert Gegner, besetzt und erobert heilige Räume, indem er die Defensivsysteme der Konkurrenz mit Raffinesse austrickst oder durch Schnelligkeit überrennt. In Mannschaftssportarten wie dem Fußball sind die Erobererhelden die Vollstrecker, die am Ende einer langen Handlungskette stehen und deshalb in besonderer Weise Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Während die eigenen Mitspieler als Vorbereiter der Heldentat schnell in Vergessenheit geraten, weil in der Regel nur die letzte Vorbereitungsstation noch memoriert wird, heimsen die Erobererhelden, Vollstrecker und »Knipser« wie Arthur Friedenreich, Ferenc Puskás, Pelé, Uwe Seeler, Eusébio, Alfredo di Stefano, George Best, Diego Maradona, Raúl, Ronaldinho, Gerd Müller, Robert Lewandowski, Neymar, Cristiano Ronaldo, Lionel Messi, Pierre-Emerick Aubameyang oder Harry Kane den Ruhm ein. Sie haben das Privileg oder das Glück, im richtigen Augenblick die Entscheidung mit Fuß oder Kopf herbeiführen zu können. Wenn die anderen zögerlich sind und sich nicht aus der Deckung ihrer Positionen heraustrauen, wagt der Erobererheld den Sprung ins Ungewisse und trägt anschließend die Konsequenzen seiner Risikoübernahme.
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Sportler, die in der Öffentlichkeit in besonderer Weise als Helden gefeiert werden, treten häufig auch als Gerechtigkeits- und Racheengel in Erscheinung. Da sportliche Wettkämpfe notwendigerweise Verlierer, also Ungleiche, erzeugen, sind Spezialisten für das Begleichen alter Rechnungen und für die Wiederherstellung sportlicher Ehrgefühle im Spitzensport erwartbar – insbesondere dann, wenn die Sportler in langen Wettkampfserien miteinander verbunden sind und als Mannschaften auf eine jahrzehntealte gemeinsame Konfliktgeschichte zurückblicken können. Im Sport kann dann eine archaische Emotion ausgelebt werden, die im zivilisierten Alltag durch die Monopolisierung der Gewalt in Händen des Staates und die Straforientierung der Rechtssprechung blockiert wird: Rache. Helden der Rache oder Revanche tilgen oftmals eine Schmach, beispielsweise eine als Demütigung oder Blamage wahrgenommene sportliche Niederlage. Auseinandersetzungen dieser Art lassen sich sowohl auf der Bühne inner- und zwischenstädtischer Konkurrenzen als auch auf der Ebene internationaler Wettbewerbe beobachten. Beispiele für den Bereich des Fußballspiels liefern die folgenden Mannschaften: Borussia Dortmund vs. Schalke 04, Real Madrid vs. FC Barcelona, Glasgow Rangers vs. Celtic Glasgow oder Karlsruhe vs. Stuttgart, Eintracht Frankfurt vs. SV Darmstadt 98. Für den Fall des internationalen Vergleichs denke man an die klassische Eishockey-Rivalität zwischen den USA und Kanada oder der Tschechoslowakei und der Sowjetunion, für das Hockey- und Cricketspiel an die Rivalität zwischen Indien und Pakistan, für den südamerikanischen Fußball an die Konkurrenz zwischen Brasilien, Argentinien und Uruguay. Gerechtigkeits- und Rachehelden dürfen ihr Handwerk im Sport allerdings nur in Gestalt regelgerechter Gewalt, technischer und taktischer Raffinesse oder überlegener physischer und psychischer Kompetenz verrichten. Exzesse, die aus dem Ruder laufen, sind im Sport nicht vorgesehen und werden, wenn sie passieren und entdeckt werden, entsprechend geahndet. Auch Konflikte und Asymmetrien, die außerhalb des Sports zu Auseinandersetzungen führen, haben Sportler immer wieder zu nationalen Helden werden lassen, weil sie als stellvertretende Rächer in Erscheinung traten. Als der DDR-Fußballer Jürgen Sparwasser bei der Fußball-WM 1974 im Spiel gegen die bundesrepublikanische Auswahl das 1:0 Siegtor erzielte, wurde er zu Hause zu einem Volkshelden. Eine ähnliche Situation entstand vier Jahre später, als der österreichische Fußballer Hans Krankl bei der FIFA-WM in Argentinien den amtierenden und als
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übermächtig wahrgenommenen Weltmeister Deutschland mit einem 3:2 aus dem Turnier schoss. Weil er den »Piefkes« in einem entscheidenden Spiel eine schmachvolle Niederlage beigebracht und damit die »Ehre der Nation« als Reaktion auf die verhöhnende und verspottende Berichterstattung im Vorfeld des Spiels durch eine deutsche Boulevardzeitung gerettet hatte, wird er bis heute in seiner Heimat als »Held von Cordoba« verehrt. Und als bundesdeutsche Fußballer bei der Fußball-WM 1974 im Endspiel gegen die holländische Nationalelf antraten, ging es nicht einfach nur um einen sportlichen Wettkampf, sondern um die Bewältigung nationaler Kränkungen und Inferioritätsgefühle im Verhältnis zwischen einem kleinen und einem großen Nachbarn, die durch eine wechselvolle Geschichte miteinander verstrickt waren. Helden zeigen sich im Sport nicht nur als Eroberer, Verteidiger und Rächer, sondern treten auch als Retter und Erlöser auf, was zu Mischungsverhältnissen eigener Art führt. So kann der Fußballstürmer als Eroberer oder der Torwart als Verteidigerheld zu einer Retter- und Erlöserfigur werden. Retterhelden befreien im Sport die eigenen Mitspieler sowie das zuschauende Publikum vom quälenden Druck des Wartens auf den Erfolg oder die Wende des Geschehens. Die Geburt dieser Heldenfigur erfolgt meist durch eine überraschende Aktion, die eine nahende Katastrophe abwendet oder eine bereits eingetretene Krise schlagartig löst: durch einen spielentscheidenden Torschuss, den niemand erwartet hat, durch einen präzisen Korbwurf in der letzten Spielsekunde oder den erfolgreichen Schluss-Spurt am Ende einer 4x100m-Staffel. Retter ist auch derjenige, der die Fehler und Missgeschicke seiner Mannschaftskameraden ausbügelt und damit Mannschaftsdienlichkeit beweist. Er wird dann vom eigenen Publikum entsprechend belohnt. Beifall brandet auf, wenn der »Ausputzer« den durchgepreschten Angreifer kurz vor dem Torschuss seines Balles beraubt. Erlöserhelden retten entweder einen Vorsprung über die Zeit, schaffen ein begehrtes Unentschieden oder führen durch beherztes Handeln zum ruhmreichen Sieg – so beispielsweise der Fußballspieler Oliver Neuville, als er bei der FIFA-WM 2006 im Spiel Deutschland gegen Polen in der Nachspielzeit das 1:0 Siegtor schoss und damit Fußballdeutschland flächendeckend erlöste und einen entsprechenden Freudentaumel in privaten und öffentlichen Räumen auslöste. Als Mario Götze acht Jahre später bei der Fußballweltmeisterschaft 2014 im Endspiel gegen Argentinien als eingewechselter Spieler in der Verlängerung den
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1:0 Siegtreffer für Deutschland erzielte, war ein Retter- und Erlöserheld geboren worden. Sechzig Jahre zuvor machte das Siegtor bei der Fußball-WM 1954 in Bern im Spiel Deutschland gegen Ungarn den Fußballspieler Helmut Rahn zu einem nationalen Helden. Der berühmte Ausruf des Reporters Herbert Zimmermann nach dem Abpfiff – »Aus, aus, aus! Das Spiel ist aus! Deutschland ist Weltmeister!« – drückte die überschäumende Freude desjenigen aus, der als Radio-Kommentator dabei war, als die Mannschaft des eigenen Herkunftslandes nach einem verlorenen Weltkrieg und einer damit einhergehenden weltweiten Ächtung nach zwei Treffern der gegnerischen Mannschaft wie Phönix aus der Asche emporstieg, den Ausgleich schaffte, anschließend sogar in Führung ging und den Sieg erfolgreich über die Zeit rettete. Toni Turek, der Abwehrheld im deutschen Tor, wurde von Zimmermann sogar als »Fußballgott« nobilitiert, was spätere Proteste der katholischen Kirche hervorrief. Bis heute werden die Spieler des deutschen WM-Kaders 1954 als »Helden von Bern« gefeiert. Ihr Erfolg wird aufgrund des unerwartet positiven Ausgangs unter der Kategorie des »Wunders« diskutiert. Als Roberto Firmino in der Bundesliga-Saison 2011/12 mit zwei Toren kurz vor Saisonende der TSG Hoffenheim den Weg bahnte, in der Bundesliga zu bleiben, war »Brasiliens Zaubermaus« der »gefeierte Held«.2 Der irische Fußballspieler Robert Brady wurde in seiner Herkunftsnation zu einem Volkshelden, nachdem er bei der Fußball-Europameisterschaft 2016 kurz vor Abpfiff das überraschende Siegtor im Vorrundenspiel gegen Italien geschossen und damit seiner Mannschaft den Einzug in die K.o.-Runde gesichert hatte. In Wikipedia, der freien Enzyklopädie, wurde er am gleichen Tag im Überschwang der Gefühle kurzzeitig als Wiedergeburt von Jesus Christus, als Messias und Erlöser, gefeiert: »He is the closest thing to god that we have on earth and is known for never having to buy a drink in Ireland after he scored a f**** belter (= Wahnsinnstor, KHB) against Italy«. Eine ähnliche Nobilitierung erfuhr im gleichen Wettbewerb die isländische Nationalmannschaft, nachdem der Einwechselspieler Arnor Trautlason in der vierten Minute der Nachspielzeit das entscheidende Siegtor im Vorrundenspiel gegen Österreich erzielte und damit bei den eigenen Fans kollektive Glücksmomente auslöste. Die Heldenverehrung erreichte ihren Höhepunkt, nachdem die Isländer im nächsten Spiel die favorisierte englische Mannschaft 2 | Siehe RNZ (24.5.2013).
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aus dem Turnier warfen. Der Kleine hatte unerwartet den Großen besiegt und wurde hierfür frenetisch gefeiert. Damit wird insgesamt deutlich: »Wunder« im Sport, die durch »Erlöser« oder »Retterhelden« hervorgerufen werden, haben den Bezug zur Transzendenz verloren. Trotz aller Beschwörungen, Anrufungsgesten oder Dankesrituale vonseiten religiös gestimmter Athleten, Trainer oder Zuschauer sind Wunder im Sport entsakralisierte Ergebniszuschreibungen. Sie legen nicht Zeugnis ab von der Anwesenheit Gottes, denn dieser hatte, soweit man weiß, beispielsweise beim Endspiel während der Fußball-WM 1978 die Hand nicht direkt im Spiel; es war vielmehr der argentinische Spieler Diego Armando Maradona, der seine Hand verdeckt eingesetzt hatte, um in einem Kopf ballduell ein illegitimes Tor gegen England zu erzielen. Nicht der religiöse Glauben und transzendente Figuren erzeugen somit im Sport »Wunder«. Es sind vielmehr besondere psychische und physisch-organische Athletenpotentiale, überlegene Taktiken, ausgeklügelte Techniken, ressourcenintensive Logistikvorkehrungen, entbehrungsreiche Trainingsmaßnahmen, versteckte Fouls oder die klammheimliche Nutzung verbotener Dopingmittel und unerlaubte Bestechungspraktiken, die »Wunder« im Sport möglich machen. Auf dem Bildschirm der Sportzuschauer erscheint ein »Wunder« als eine unerwartete Metamorphose, als ein Gestaltswitch, der die Welt schlagartig in ein Vorher und ein Nachher aufteilt. Im Sport ist es nicht das Wasser, das plötzlich zu Wein wurde; und es sind auch nicht Tote, die durch übermächtige göttliche Kräfte plötzlich wieder ins Leben zurückkehren. Es sind vielmehr einzelne Athleten oder Mannschaften, die in wichtigen Wettkämpfen Leistungen erbringen, die vielleicht erhofft, aber nicht punktgenau erwartet werden konnten. »Wunder« dieser Art lösen bei denen, die dabei waren, Gefühle des Wohlgefallens, der Euphorie, Ekstase, Dankbarkeit und des Glücks aus. Häufig tritt die alles entscheidende Tat eines Helden als ein körperlicher Opfergang für eine überindividuelle Kategorie wie Verein, Verband, Nation, Ethnie oder Geschlecht in Erscheinung. Eroberer-, Verteidiger-, Rächer-, Retter- und Erlöserhelden transformieren sich dann in profane Märtyrer. Die Möglichkeiten, die Wettkämpfe bieten, um sich aus Gründen der Ehre, des Ruhmes und des Erfolgs für übergeordnete Instanzen zu verausgaben und dadurch Zeugnis für eine höhere Sache abzulegen, haben den Sport in besonderer Weise heldenfähig gemacht. Er ermöglicht ein Leiden, das für Maßnahmen der Selbstheroisierung nutzbar ist. Als
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bedeutsam erweist sich in diesem Zusammenhang der Umstand, dass der Zuschauer als eingeschlossener ausgeschlossener Dritter im Moment des Geschehens die Chance erhält, den Opfergang des Athleten im Modus einfacher Wahrnehmung in Echtzeit miterleben zu können. Ein heroisches Format wurde dem deutschen Springreiter Hans Günter Winkler zugesprochen, nachdem er 1956 bei den Olympischen Reiterspielen in Stockholm trotz einer Leistenverletzung und entsprechender Schmerzen angetreten war und den Parcours auf der »Wunderstute« Halla fehlerfrei überwunden hatte, um so die Einzelwertung zu gewinnen und der eigenen Mannschaft die Goldmedaille zu sichern. Wie sehr eigene Fans und beglaubigungsorientierte Medienvertreter hingebungsvoll erbrachte und zelebrierte Körperopfer schätzen, zeigen neuere Reaktionen auf die Hingabebereitschaft von Sportlern und Sportlerinnen. Der Sportjournalist Alex Westhoff berichtete voller Hochachtung über den »unbeugsamen« Fußballspieler Aytac Sulu: »Bei den Darmstädter Fans genießt Sulu Kultstatus. Spätestens als sein Gesicht in der vergangenen Zweitligasaison nach einem Zusammenprall mit dem eigenen Torwart quasi in Trümmern lag, vier Knochen gebrochen waren – und Sulu sich nach zwei Spielen mit einer martialisch wirkenden schwarzen Gesichtsmaske wieder einsatzbereit meldete. Just die nächste Partie beendete er als Darmstädter Schmerzensmann mit Maske im Gesicht, Turban um den Kopf und blutgetränktem Trikot. Auf St. Pauli zog er sich einen nach einem Crash wackelig gewordenen Zahn und übergab ihn dem verdutzten Betreuer.«3 Ein ähnliches Körperopfer in Gestalt einer klaffenden Platzwunde unterhalb des Auges erbrachte Sebastian Schweinsteiger im Endspiel um die Fußballweltmeisterschaft 2014, und erhielt hierfür entsprechende Respektreaktionen des heimischen Publikums ob seines unermüdlichen Kampfgeistes und seiner Aufopferungsbereitschaft für die eigene Mannschaft. Sportler können, wie diese Beispiele zeigen, zu Märtyrerhelden werden, wenn sie sich sichtbar der Sache des Sports mit Haut und Haaren hingeben und ihr Engagement für überindividuelle Instanzen wie Verein, Mannschaft oder Nation durch entsprechende Opfergaben heiligen und beweisen. Sie erwerben ihren Status dann durch einen spezifischen Tauschakt: Verehrung und Anerkennung gegen ein meist physisches Opfer. Die Opfererbringung ist nicht religiös motiviert, um Göttern zu huldigen oder um diese gnädig zu stimmen. Sie erfolgt auch nicht, um 3 | Siehe FAZ (13.2.2016: 34).
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religionsfeindlichen Widerruferwartungen zu widerstehen oder Glaubensgebote unter Verfolgungsbedingungen einzuhalten. Opferfähig ist in besonderer Weise die Materialitätsbasis des Sports, der Sportlerkörper. Körperschäden und Blessuren legen dann Zeugnis ab über Hingabebereitschaft und Passion. Wunden und Verletzungen, die man sich im sportlichen Wettkampf zuzieht oder zugefügt bekommt, werden deshalb nicht verheimlicht, sondern als »Ehrenzeichen« vorgeführt. Sie belegen in einer sehr eindeutigen Weise, dass man das Äußerste zu geben bereit war, und erntet hierfür vom Publikum Dankbarkeit und Respekt. Das in einem sportlichen Wettkampf unter erschwerten Bedingungen erbrachte Körperopfer demonstriert eine Distanz zur Welt der reinen Egoismen und Wehleidigkeiten. In der Rolle des Märtyrers verwandelt das Opfer den Sportler in eine Sozialfigur des selbstlosen Gebens, der sich für seine Mannschaft oder Anhänger hingibt, trotz aller Schmerzen und Widrigkeiten am Siegescode festhält, seinen unbeugsamen Willen zur Erfolgsbeschaffung und Niederlagevermeidung demonstriert und für seine Indifferenz zum eigenen Körper vom Publikum mit Achtungserweisen belohnt wird. Sportler, die revolutionäre Techniken hervorbrachten und damit richtungsweisende und namensgebende Neuerungen in ihre Sportarten einführten, werden als Erfinderhelden gefeiert. In dieser Heldenkategorie tauchen »kreative Erneuerer und Zerstörer« wie beispielsweise Bernhard Kempa, der Erfinder des »Kempa-Tricks« im Handball, oder Dick Fosbury auf, der bei den Olympischen Spielen 1968 in Mexico City mit dem sogenannten »Fosbury-Flop« stilprägend die Goldmedaille im Hochsprung gewann und alle Straddle-Springer schlagartig und chancenlos auf die hinteren Ränge verwies.4 Auch der schwedische Skispringer Jan Böklöv konnte sich als Erfinder der V-Technik in die Annalen seiner Sportart einschreiben. Obwohl die Kampfrichter seinen von der Parallelstellung der Beine abweichenden Flugstil anfänglich mit Punkteabzügen bestraft hatten, setzte sich der von ihm zufällig durch einen Trainingsfehler erfundene V-Stil nach seiner ersten Präsentation im Jahre 1988 allmählich durch und ist heute die Standardtechnik im internationalen Skispringen. Athleten wie Fosbury, Kempa, Böklöv oder die in kompositorischen 4 | Der Kempa-Trick besteht darin, dass ein Rückraumspieler einen Außenspieler in der Luft anspielt, um diesen ohne Bodenkontakt und Verteidiger zum Wurf kommen zu lassen.
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Sportarten anzutreffenden Erfinder neuer Bewegungs- und Flugelemente (Turnen: Katchev-Grätsche, Gienger- und Kovàcs-Salto, Bretschneiderund Miyachi-Flugelemente oder Tsukahara-Abgang am Reck) ähneln jenen Akteuren innerhalb der Wissenschaft, die sich, wie Thomas S. Kuhn (1962) in seiner Analyse der Wissenschaftsentwicklung bemerkte, aus der »normal science« ihrer Zeit absetzen und einen Paradigmenwechsel zugunsten einer »revolutionary science« auf den Weg bringen. Meist ist die vorgenommene Innovation inkommensurabel mit all jenen Techniken, die vorher über Jahrzehnte als »normal« und nicht mehr steigerbar galten. Innovatoren stoßen deshalb zunächst auf Skepsis. Sie treffen auf die ablehnende Haltung derjenigen, die bislang mit dem Althergebrachten gut gefahren sind und am Status quo festhalten, weil sie etwas zu verlieren haben. Die Anfeindung weicht erst dann in den einzelnen Sportarten einer allmählichen Akzeptanz, wenn das Neue alle Bewährungsproben überstanden und sich gegenüber dem Alten als besser und funktionstauglicher erwiesen hat oder von Punktrichtern aufgrund höherer Schwierigkeitsgrade höher bewertet wurde. Athleten, die nicht nur sportlich Außerordentliches leisten, sondern auch durch Zivilcourage in außersportlichen Situationen glänzen, können den Status transversaler Helden erreichen. Sie setzen ihre sportlich erworbene Reputation für außersportliche Zwecke ein und riskieren hierfür Leib, Leben oder berufliche Karriere. Für ihren Mut und ihre Risikobereitschaft werden sie später oft als Volkshelden verehrt und gehen in das kollektive Gedächtnis ihrer Sportart und Nation ein. In diese Kategorie exemplarischer Sozialfiguren gehört beispielsweise Emil Zatopek, der als »tschechische Lokomotive« alle Langstreckenwettbewerbe bei den Olympischen Spielen 1952 (Marathon, 10.000m, 5.000m) in Helsinki gewann, sich für den Prager Frühling einsetzte und den sowjetischen Besatzern 1968 auf dem Prager Wenzels Platz mutig entgegentrat und hierfür von den kommunistischen Machthabern nach Niederschlagung des Aufstandes beruflich abgestraft wurde. Auch Muhammad Ali, der nach seinem Olympiasieg im Halbschwergewicht in Rom 1960 und nach Erringung der Weltmeisterschaft im Schwergewichtsboxen im Jahre 1964 drei Jahre später den Wehrdienst verweigerte und gegen den Vietnamkrieg protestierte, dafür eine später aufgehobene fünfjährige Gefängnisstrafe erhielt, seinen Titel verlor und ein mehrjähriges Boxverbot auferlegt bekam, wurde durch sein heroisches Nein und sein Engagement für die Bürgerrechte zu einer nationalen Ikone. Ali war der erste Sportler,
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der sich selbst als Star inszenierte. Als er am 10. Juni 2016 in Louisville, Kentucky, nach einem jahrzehntelangen Kampf gegen die Parkinsonkrankheit zu Grabe getragen wurde, folgten Tausende seinem Sarg und Bill Clinton, vormaliger Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, hielt eine bewegende Trauerrede, in der er die transversalen Wirkungen dieses Sportlers würdigte. Eine weitere Heldenfigur, die in der Dynamik sportlicher Wettkämpfe geboren und theatralisch zur Aufführung gebracht wird, ist der tragische Held. Er taucht in verschiedenen Schattierungen im Sport auf. Zunächst personalisiert er die Kluft zwischen Absicht und Erfolg, zwischen dem erwarteten und dem situativen sportlichen Können eines Subjekts. Der tragische Held ist die Verkörperung derjenigen, die im Sport auf der Strecke bleiben, weil sie in wichtigen Entscheidungs- und Notsituationen vor den Augen des Publikums dramatisch scheitern, ein eklatantes Fehlverhalten in Gestalt von Normbrüchen zeigen oder aufgrund von Verletzungen die von ihnen erwarteten Leistungen nicht abrufen können. Der tragische Held ist der klassische Erwartungsenttäuscher. Er zerstört den imaginierten Austausch zwischen Athlet und Publikum durch sportliche Minder- oder moralische Fehlleistungen. Im Fußball ist es typischerweise der Spieler, der bei einer Welt- oder Europameisterschaft nach einer aufreibenden Verlängerung den alles entscheidenden Elfmeter verschießt und damit sich selbst, seine Mannschaft und seine Anhänger in eine kurzzeitige Depression hineinkatapultiert. Der tragische Sportheld weiß, dass er an seinem Schicksal maßgeblich beteiligt ist. Der Kopfstoß von Zinedine Zidane im letzten Spiel seiner Karriere bei der Fußball-WM 2006 hatte eine tragische Note, weil ein kurzfristiger Kontrollverlust nicht nur ihm einen unrühmlichen und vorzeitigen Abgang verschaffte, sondern ebenso der eigenen Mannschaft einen großen Schaden zufügte. Gemildert wurde die Negativzuschreibung des Fouls später durch das Wissen über die Entstehung des Fehlverhaltens, die gezielte sexistische Verbalprovokation durch einen gegnerischen Spieler. Auch Fußballer, die in einem wichtigen Spiel durch den reflexhaften Einsatz ihrer Arme einen Elfmeter verursachen und so dazu beitragen, dass die eigene Mannschaft vorzeitig ein Turnier zu verlassen hat, gehören in die Kategorie der tragischen Helden. Der chinesische 110m-Hürdensprinter Liu Xiang schockierte bei den Olympischen Spielen in Peking viele Landsleute und brachte diese öffentlich und privat zum Weinen, als er den Endlauf wegen einer Verletzung nicht beenden konnte und so die sicher erwartete Goldmedaille
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für China verpasste. Vier Jahre später konnte Xiang ebenfalls nicht die von ihm erwarteten Leistungen bei den Olympischen Spielen in London abrufen und flog wiederum als tragischer Held nach Hause. Die oft im Bruchteil einer Sekunde vollzogene Transformation von einem Hoffnungsträger und möglichen Retter und Erlöser in eine Sozialfigur der Niederlage und des Scheiterns hinterlässt entsprechende Spuren im Körperhabitus der betreffenden Akteure. Der tragische Held mutiert durch eigenes Versagen oder unglückliche Umstände zum leidenden Menschen. Die Körperspannung geht verloren. Der Einzelne sackt in sich zusammen, gibt sich seinen Schuldgefühlen hin, weint und muss getröstet werden. Da das individuelle Misslingen oft auch ein Scheitern der eigenen Mannschaft und der mitfiebernden Zuschauer nach sich zieht, entsteht eine sich wechselseitig verstärkende Trauer- und Enttäuschungsspirale im Verhältnis von Athlet und mitleidendem Publikum. Tragische Helden der beschriebenen Art gehören in die Kategorie der Antihelden. Weil sie sportlich nicht die Leistungen erbracht haben, die das Publikum von ihnen erwartete, vermitteln sie diesem häufig Gefühle der Kränkung, Scham und Trauer. Tragische Helden können bisweilen sogar Wut und Hass aufseiten des Publikums auslösen. Der Identifikationsmechanismus zwischen Sportler und Fan kippt in solchen Fällen ins Negative und Aggressive um. Die nicht zu Erfolgen und Ehren gekommenen Athleten müssen sich dann durch die Hintertür nach Hause schleichen, weil an der Vordertür die Fans mit ihrer Empörung und Verachtung lauern. Die ungarischen Verlierer bei der Fußball-WM 1954 beispielsweise hatten gravierende soziale Diffamierungen und Stigmatisierungen nach dem Endspiel gegen Deutschland zu ertragen. Die Niederlage empfanden viele Ungarn als nationale Schande. Die tragischen Helden des Endspiels wurden zu Sündenböcken und mussten zeitlebens mit dem Makel des Misserfolgs leben. In Kolumbien kann ein verschossener Elfmeter bei einer Fußball-Weltmeisterschaft sogar zum Tod durch Lynchjustiz führen, insbesondere wenn die Wettmafia durch eine sportliche Fehlleistung Geld verloren hat. Eine Sonderform des tragischen Heldentums, die eine Missachtung durch das heimische Publikum blockiert und vielmehr Achtungserweise hervorruft, kann dadurch zustande kommen, dass ein Sportler einen Regelverstoß mit anschließender Bestrafung als eine Art Opfergabe für die eigene Mannschaft erbringt und hierdurch selbst dazu beiträgt, seine sportlichen Ambitionen öffentlich zu sabotieren. So geschehen bei der
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Fußball-WM 2002 in Japan/Korea, als der langjährige Kapitän der deutschen Nationalmannschaft, Michael Ballack, ein taktisches, mit einer Gelben Karte geahndetes Foul beging, dadurch ein wahrscheinliches Tor der gegnerischen Mannschaft verhinderte, seiner Mannschaft so die Finalteilnahme sicherte, aber an dem Endspiel aufgrund der gegen ihn verhängten Sperre nicht teilnehmen konnte. Die Tragik des Geschehens, sich selbst durch ein Foul aus dem Endspiel geschossen, aber hierdurch einer »höheren« Sache gedient zu haben, rief beim heimischen Publikum große Resonanz hervor. Das Fehlverhalten wird bis heute von Fußballfans als freiwillig erbrachte Opfergabe wahrgenommen und entsprechend gewürdigt. In die Kategorie der tragischen Helden fallen auch jene Sportler, die die selbstgesetzten Sauberkeitserwartungen des organisierten Sports enttäuschten und durch entdecktes Doping aus dem Heldenhimmel herausfielen (Beispiel: Ben Johnson, Lance Armstrong, Jan Ullrich, Marion Jones). Sie erhielten ein mehrjähriges oder sogar lebenslanges Startverbot. Titel, Trikots und Medaillen wurden ihnen entzogen. Eingenommene Preis- und Sponsorengelder mussten bei entsprechenden Verträgen zurückgezahlt werden. In der Öffentlichkeit werden die erwischten Athleten als »gefallene Helden«, als »Dopingsünder« stigmatisiert. Die Verbände tilgen Namen und sportliche Leistungen aus ihren Rekordlisten – falls der Nachweis der Devianz zum Zeitpunkt der Leistungserbringung gelingt. Damit wird den Sportlern die Ehre, die ihnen zuvor durch Siegerehrungen zugewiesen wurde, offiziell wieder entzogen, und zwar öffentlich unter Nennung von Namen und Vergehen. Während Ehrungen darauf abzielen, einen Wertekonsens innerhalb von Gruppen jenseits von Recht und Moral herbeizuführen und zu stabilisieren (Simmel 1983 [1908]: 326f., 403f.; Vogt 1997a: 338ff.), haben Entehrungen die Funktion, den Wertekonsens durch Markierung von Normverstößen sichtbar zu machen und zu bestätigen. Der Ehrentzug läuft dabei auf den Schienen formaler Entscheidungsprozesse. Ein Doper wird nicht einfach aus dem Verkehr gezogen; der Bestrafung werden vielmehr zahlreiche Verfahrensschritte vorgeschaltet. Weiterhin ergänzen Athleten in sozialer Hinsicht bisweilen als Rowdyhelden das heroische Figurentableau des Sports. John McEnroe, ein Weltklasse-Tennisspieler der 1980er Jahre, und der Basketball-Verteidiger und Rebounder Dennis Rodman fielen nicht nur durch herausragende, unorthodox erbrachte sportliche Leistungen auf; sie glänzten gleichzeitig auch
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durch schlechtes Benehmen auf dem Platz und jenseits des Feldes, und erarbeiteten sich so ein Bad-guy-Image, das durch die Medien verbreitet und durch Sponsoren vergoldet wurde. Indem sie Tabus verletzten und gutbürgerliche Sitten über den Haufen warfen, und gleichzeitig mit die besten Athleten in ihren Sportarten waren, lieferten sie permanent Neuigkeiten und passten so in das Aufmerksamkeitsschema der Massenmedien, insbesondere der Boulevardpresse, hinein. Rodman beleidigte seine Gegner, kultivierte das versteckte Foul, wurde deshalb regelmäßig vom Platz gestellt, musste hohe Geldstrafen zahlen, fiel durch exzessive Feieraktivitäten auf, färbte sich die Haare rot, durchlöcherte sein Gesicht mit zahlreichen Piercings, ließ sich bunte Tattoos stechen, wurde des Öfteren alkoholisiert am Steuer exklusiver Autos erwischt, trat als Wrestler in Erscheinung und versuchte sich in zahlreichen B-Movies als Schauspieler.5 Ein rotzig-frech auftretender Rabauke wie John McEnroe hinterfragte lautstark die Entscheidungen der Schiedsrichter, störte die Konzentration seiner Mitspieler, schoss mit Tennisbällen nach Balljungen, machte sportliche Zeremonien durch mimische Entgleisungen lächerlich, beleidigte Sportjournalisten und verstieß so insgesamt gegen den Kodex der guten Sportsitten. Rowdyhelden wie Rodman, McEnroe und andere Rüpel des Sports rufen durch ihr Handeln bei anders sozialisierten Athleten und Zuschauern Gefühle des Fremdschämens hervor – und zwar trotz sportlicher Spitzenleistungen. Da eine im Wutmodus vorgebrachte Regeldevianz mehr individualisiert als Regelkonformität, werden Rowdyhelden aufgrund ihrer Entgleisungen und Gefühlsausbrüche in nicht wenigen Fällen von Sportartikelfirmen als Marken gesponsert und nach ihren Karrieren in Hollywoodfilmen nobilitiert.6 Welche Heldenfiguren den Sport auch immer bevölkern, sie müssen sich als Formen bzw. Gestalten im Medium der psychischen, physischorganischen, sozialen und taktischen Leistung profilieren. Die Mitkonkurrenten, die es nicht bis auf das Siegerpodest schaffen, sind dadurch unverzichtbare Bedingungen der Möglichkeit sportiver Prominenz. Helden sind, im Sinne von Michel Serres (1981), die Parasiten der Verlierer. Ebenso wie Sterne nachts einen dunklen Hintergrund brauchen, um zu 5 | Siehe exemplarisch die Auftritte von Rodman in den Filmen »Double Team« (1997), »Simon Sez« (1999), »Cutaway« (2000) und in Hulk Hogans »Celebrity Championship Wrestling«-Show (2008). 6 | Siehe hierzu den Spielfilm »Borg/McEnroe« aus dem Jahre 2017.
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strahlen und bemerkt zu werden, brauchen Sporthelden Konkurrenten, die sie überbieten und von denen sie sich leistungsmäßig absetzen können. Ohne sportliche Minderleister, die eine Differenz markieren, können Beobachter exemplarische Sozialfiguren nicht erkennen. Auf das olympische Motto des »Dabeisein ist alles« fällt angesichts dieser Notwendigkeit ein neues Licht. Um sich auf Dauer als ein Heldensystem zu halten, braucht der Sport eine Legitimationsrhetorik für diejenigen, die die Helden durch ihre Mittelmäßigkeit und ihr Scheitern erst sichtbar machen und zum Leuchten bringen. Das Verhältnis von Medium und Form ist eindeutig: Ohne Verlierer keine Helden! In seltenen Situationen können allerdings auch die Verlierer die Parasiten der Gewinner sein und eine Sonderform des Heldentums ausprägen, die Gilde der tapferen Versager. Auch sie gehören in die Kategorie der Antihelden. Der Zusammenhang zwischen Anerkennung und Leistung funktioniert dann genau umgekehrt: Die Träger sportlicher Spitzenleistungen fungieren unfreiwillig als Hintergrund für die Profilierung der sportlich Minderbegabten, logistisch Benachteiligten oder Schlechttrainierten: Schwimmer, die im Vorlauf kaum das Ziel erreichen, weil sie gegen das Ertrinken anzukämpfen haben; Skispringer, die in erwartbarer Regelmäßigkeit Bruchlandungen hinlegen oder weit abgeschlagen hinter der Spitze landen (Beispiel: Eddie the Eagle); Marathonläufer, die nach Stunden der auszehrenden Selbstkasteiung im Halbkoma das Ziel erreichen oder jamaikanische Bobsportler, die sich mutig in den Eiskanal stürzen, ohne über größere Vorerfahrungen zu verfügen. Bei den Wettkämpfen während der Olympischen Winterspiele in Nagano wurde der indische Rodlernovize Shiva Keshavan Titelheld zahlreicher Humantouch-Stories, die seinen Mut zur sportlichen Minderleistung solange feierten, bis die Spitzenkönner des Rodelns an den Start gingen und die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zogen. Bei den Winterspielen in Pyeongchang landete der von der Südseeinsel Tonga stammende Pita Taufatofua im Skilanglauf auf den letzten Plätzen. Er war bereits bei den Olympischen Sommerspielen in Rio de Janeiro als Taekwondo-Kämpfer an den Start gegangen und dort ohne Siegchancen frühzeitig aus dem Turnier ausgeschieden. In der Regel bekommt man die tapferen Versager nur bei Olympischen Spielen zu sehen, weil sie dort trotz ihrer mangelhaften Leistungen aufgrund von Länderquoten und humanitären Überlegungen mitmachen dürfen. Publikum und Journalisten feiern diese Antihelden bisweilen frenetisch. Sogar spätere Filme (»Cool runnings«, USA
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1993; »Eddie the Eagle. Alles ist möglich«, GB/USA 2016) thematisieren ihren Mut und ihre Taten. In den Filmen werden nicht Hochstapler entlarvt, die falsche Leistungen vorgaben, sondern engagierte Laien bewundert, die sich in Wettkämpfe hineinwagten, in denen sie aufgrund ihrer Fähigkeiten eher nichts zu suchen hatten. Die sportliche Minderleistung ist demnach kurzfristig aufmerksam keitsträchtig, wenn sie dort auftritt, wo hochstehende Leistungen erwartet werden, aber olympische Inklusionsregeln auch die Leistungsschwachen zulassen. Die Mitglieder der »Gilde der tapferen Versager« erweisen sich mit ihrer reduzierten Leistungsperformanz allerdings nicht als die Glücksbeendiger der Besseren. Der US-amerikanische Regisseur Wayne Kramer hat eine derartige Negativwirkung vor einigen Jahren in seinem Film »The Cooler« (USA 2004, Schauspieler William H. Macy) in einem außersportlichen Kontext dargestellt. »Eddie the Eagle« war nicht der professionelle Pechvogel und Unglücksrabe Bernie Lootz, der die Glückssträhnen der Gewinnerhelden in Las Vegas gezielt durch seine Anwesenheit beendete und den Casinos so Geld sparen half; er war nicht der personifizierte Verlierer, der andere bewusst in den Sog seines Dauerpechs hineinzog und das Fatum der glücklichen Gewinner durch seine unauffällige Präsenz und resignative Negativaura ins Gegenteil umbog, der Unglück brachte und durch seinen traurigen Körperhabitus bereits die kommende Niederlage der anderen ankündigte. »Eddy the Eagle« wird vielmehr heute als derjenige Athlet memoriert, der seinen Traum vom Höhen- und Weitenflug trotz mangelnder Kompetenz und verbandlicher Unterstützung realisierte. Durch sein linkisches, aber selbstbewusstes und anfeindungsresistentes Auf bäumen gegenüber dominanten Leistungserwartungen bringt er bis heute auch diejenigen dazu, im Sport mit- und weiterzumachen, deren Talent für eine leistungsbasierte Heroisierung nicht ausreicht.
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Heldengeschichten handeln typischerweise von Verwandlungen und den Konsequenzen, die sich hieraus für die beteiligten Personen ergeben. Damit ist ein zentraler Topos benannt, den man bereits in den griechischen und römischen Sagen der Antike nachlesen kann. Wie bewährt sich der Einzelne in riskanten und gefährlichen Situationen und welche Transformationen erfährt er auf seiner Abenteuerreise? Die von Homer in der Ilias und Odyssee und von Vergil in der Aeneis beschriebenen Helden besaßen übermenschliche Fähigkeiten, die sie sich nicht aufgrund langjähriger Trainingsanstrengungen angeeignet hatten, sondern die ihnen durch Götter vermittelt worden waren. Der Wille nach Ruhm und Ehre war der Motor, der sie mit Zorn und List zu höchsten Leistungen antrieb, manchmal aber auch ins Verderben riss. Unter den Bedingungen des Lebens in modernen Gesellschaften bekommen Verwandlungs- und Entwicklungsgeschichten völlig neue Konturen. In Zeiten, in denen die traditionellen Sinninstanzen Religion, Beruf und Familie an Bedeutung verloren haben und die Suche nach außerweltlichen Heilsgewissheiten für viele Menschen nicht mehr im Mittelpunkt der individuellen Lebensführung steht, geht es in den zeitgenössischen Heldengeschichten nicht mehr um die Auseinandersetzung zwischen Göttern und Sterblichen, sondern um die Verlockungen, Widerstände, Ambiguitäten und Gefahren, mit denen Menschen bei ihrem Navigieren durch das Labyrinth funktional differenzierter Gesellschaften zu rechnen haben. Der Spitzensport ist für das Erzählen solcher Metamorphosen in besonderer Weise geeignet. Er ist schließlich ein Sozialbereich, der auf die Veränderung von Personen spezialisiert ist. So zielen alle Fördermaßnahmen der Sportverbände darauf ab, Menschen in ihren psychischen, physisch-organischen, sozialen und technisch-taktischen Kompetenzen weiterzuentwickeln. Den Trainern fällt in diesem Zusammenhang die
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Aufgabe zu, Athleten durch ein mehrjähriges Üben von einem Ausgangszustand in leistungsmäßig bessere Folgezustände hineinzuverändern. Die Personenentwicklung wird dann in Wettkämpfen als den Vollzugssituationen des Spitzensports komparativ mit den Personenveränderungsmaßnahmen anderer Länder, Vereine oder anderweitiger Ermöglichungs- und Entsendeinstanzen abgeglichen, um einzelne Athleten oder Mannschaften zu profilieren und sportartspezifische Meritokratien zu begründen. Der zeitgenössische Leistungssport hat auf dieser Basis weltweit unbarmherzige Konkurrenzverhältnisse institutionalisiert und ist zu einer akzeptierten und stark nachgefragten gesellschaftlichen Enklave geworden, in der die Bewährung einzelner Personen oder Gruppen in kontingenten Wettkampfepisoden vor den Augen Dritter dramatisch zur Aufführung und Entscheidung gebracht wird.1 Die gewollte Rivalität zwischen Sportlern und Sportmannschaften um knappe Rangplätze führt zu extrem zugespitzten Situationen und schafft tragische Grundkonstellationen, die archetypische Verwandlungen und entsprechende Narrative erwartbar machen. Drei Heldengeschichten werden auf der Grundlage der biografischen Verlaufsfiguren der Athleten und Athletinnen immer wieder neu erzählt. So kann das Publikum in Geburts- und Aufstiegsgeschichten daran teilhaben, wie Arme durch sportliche Erfolge und daran geknüpfte Belohnungen märchenhaft reich werden, Unbekannte sich aufgrund besonderer Leistungen in Superstars und Idole transformieren, Unansehnliche durch Erfolge ansehnlich werden, sozial Benachteiligte ihr Herkunftsmilieu abstreifen und zur privilegierten und allseits gefeierten Prominenz aufsteigen, Balljungen zu Meisterspielern werden, mitleidig belächelte Underdogs ihren Unterlegenheitsstatus ablegen und zur sportlichen Upperclass aufsteigen, Bolzplatzspieler einen nationalen Heldenstatus erreichen, Schwache durch hartes Training erstarken oder international unerfahrene Mannschaften sich in erfolgreiche Solidargemeinschaften hineinverändern, die bei sportlichen Weltereignissen bis in die vorderen Ränge vorstoßen oder auch Größe in der Niederlage zeigen. Eine derartige positive Verwandlungsgeschichte hat in der Bundesrepublik im Jahre 2006 einen 1 | Zum »erzählten Sport« vgl. die Analysen von Gebauer (1989), Alkemeyer (1996b), Boschert (1996) und Zimmermann (1996). Zur Ästhetisierung und Theatralisierung nicht-künstlerischer Aufführungen am Beispiel von Sportwettkämpfen siehe Fischer-Lichte (2004: 341ff.).
Heldengeschichten
Begeisterungstaumel für die eigene Nation hervorgerufen, den viele nicht mehr für möglich gehalten hatten. Die Identifikation mit den Helden des Fußballs führte zu einer Identifikation mit der Nationalgesellschaft und ihren Symbolen, zu einem Schulterschluss mit einer »imagined community« (Anderson 1983), für die die Sporthelden stellvertretend erfolgreich waren. Vergleichbare Geschichten von Anfängern oder Newcomern, die sich unerwartet für hochrangige Wettbewerbe qualifizieren konnten und dort überraschenderweise erfolgreich waren, werden im Sport immer wieder neu erzählt. David-Nationalmannschaften, die sich beispielsweise bei Fußballeuropa- oder -weltmeisterschaften gegen zahlreiche GoliathKollektive durchsetzen konnten und ihre Herkunftsländer in der Weltöffentlichkeit positiv bekannt machten, wurden nach ihrer Rückkehr, obwohl final nicht siegreich, in ihren Heimatländern als erfolgreich Gescheiterte begeistert bejubelt und gefeiert. Neben der Heldengeburt und der Heldenwerdung durch die positive Veränderung von Personen oder Gruppen sind es die Rückverwandlungen der Sporthelden in Nicht- oder Antihelden, die in den Heldengeschichten des Sports immer wieder thematisiert werden. Diese zweite Form der Heldenvita erzählt vom Straucheln, Fallen und Scheitern der Akteure. Im Mittelpunkt stehen Sportler oder Mannschaften, die den hohen Erfolgserwartungen nicht entsprechen konnten, unter dem Druck der Verhältnisse kollabierten und öffentlich Abschied von ihrer bisherigen Identität als Gewinner nehmen mussten. Andere Abstiegs- und Rückverwandlungsgeschichten erzählen von Sportlern, die falsche Freunde hatten, ihr Geld fehlinvestierten, Pleite gingen, in dubiose Geschäfte verwickelt waren, mit der Justiz aneinander gerieten, ihre automobilen Statussymbole nach durchzechter Nacht an die Wand fuhren, durch sexuelle Kontakte in Besenkammern Schlagzeilen machten oder ihre vormals glänzende und gutdotierte Profikarriere als Pächter von Lotto-Annahmestellen beenden mussten. Die in diesen Abstiegsgeschichten beschriebenen biografischen Wendungen thematisieren die Schattenseiten des sportlichen Erfolgs, die Rückverwandlung der Sieger in situative oder sogar permanente Verlierer.
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Metamorphosen
Geburt und Aufstieg als positive Transformation
Arme werden durch sportliche Erfolge reich; Schwache werden durch Training stark und unüberwindlich; Unbekannte werden berühmt; Unansehnliche werden ansehnlich.
Abstieg und negative Rückverwandlung
Reiche werden arm; Starke mutieren zu Schwachen; Schöne werden unansehnlich; Berühmte fallen zurück in den Status der Unbekanntheit; Beliebte machen sich unbeliebt; Zivilisierte benehmen sich unzivilisiert; Normtreue werden in ihrer Devianz erwischt und aus dem Heldenhimmel verbannt.
Wiederauferstehung und Läuterung
Positive Rückverwandlung durch Überwindung von Durststrecken und Leidenszeiten; glorreiche Rückkehr auf der Grundlage harter und entbehrungsreicher Anstrengungen
Abb. 2: Heldengeschichten und Metamorphosen Aufschlussreich sind in diesem Zusammenhang die vielen Geschichten, die bis heute über ehemalige Größen des Sports erzählt werden, und die von Mord, Totschlag, Alkohol- und Drogenexzessen, dramatischen Scheidungen, langjährigen Gefängnisaufenthalten, heimlichen Mafiakontakten und transformierten Körpern und Psychen handeln. Nicht alle Sporthelden schaffen es, das Gleichgewicht zwischen sportlicher Disziplin und außersportlichem Vergnügen zu halten. Nicht wenige verlieren die Balance, stürzen ab und geraten in eine Abwärtsspirale hinein, aus der sie alleine nicht mehr herauskommen. Zwei prototypische Narrationen dieser Art, die weltweit für Aufsehen sorgten, sollen kurz vorgestellt werden. Der argentinische Fußballspieler Diego Armando Maradona erscheint in den Heldengeschichten des Sports als der eigensinnige, spontane Fußballspieler, der sich ausgeklügelten Taktiksystemen zeitlebens widersetzte, aber dennoch bereits mit sechzehn Jahren in der ersten Liga seines Landes spielte und zahlreiche nationale und internationale Meistertitel gewann (Archetti 2001). Er stammte aus einer armen, kinderreichen Familie und machte schon als Jugendlicher durch Spielwitz und akrobatische Ballbehandlung auf sich aufmerksam – mit der Konsequenz, dass er schon sehr früh als fußballerische Ausnahmeerscheinung mit Genieunterstellung wahrgenommen wurde. Maradona war in der Lage,
Heldengeschichten
die Massen von einem Augenblick zum anderen durch schnelle Tempowechsel, lange Dribblings, überraschende Körpertäuschungen, präzise Torschüsse und die »Hand Gottes« zu verzaubern. Seine Karriere war mit Skandalen durchsetzt und erhielt dadurch melodramatische Qualitäten. Die Höhen und Tiefen wechselten einander immer schneller ab. Am Ende seiner Fußballer-Lauf bahn erschien Maradona als das einzigartige, selbstzerstörerische Genie, dem es nicht gelang, Bodenhaftung zu behalten und sein Talent vollends zur Entfaltung zu bringen. In Argentinien und Italien wurde er zu einem Volksidol, zu einem »Fußballgott«, dem seine Entgleisungen bis heute vergeben werden, weil er sich in seinen Stärken und Schwächen jeweils als dramatischer Übererfüller zeigte. Die Metamorphosen, die Maradona durchlebte, transformierten nicht nur seine Karriere und Psyche, sondern veränderten auch seinen Heldenkörper in eine schwergewichtige und erbarmungswürdige Masse. Aber selbst im Zustand der körperlichen Unförmigkeit und psychischen Auffälligkeit konnte er geniale Bewegungen zeigen, die von früherer Größe zeugten. Eine andere Geschichte vom Scheitern eines Sporthelden erzählt die Karriere des ehemaligen Boxweltmeister Mike Tyson. Aufgewachsen auf den Straßen New Yorks und gestählt im urbanen Überlebenskampf fand »Iron Mike« in frühen Jahren, so seine Aufstiegsgeschichte, einen väterlichen Freund, der ihn zeitweilig zivilisierte und zur Weltmeisterschaft in der Königsklasse des Boxens führte. Tyson war der allseits gefürchtete Pitbull im Boxring, der archaische Krieger, der nur wenige Minuten brauchte, um seine Gegner auszuknocken und öffentlich zu demütigen. Bis 1989 blieb er in 37 Kämpfen ungeschlagen. Mit 20 Jahren war er der jüngste Schwergewichtsweltmeister aller Zeiten. Nach dem Wechsel zu anderen Promotern und dem Tod seines väterlichen Förderers begann dann, so die Geschichte, der langsame Abstieg vom gefeierten Boxidol zum Schläger, Vergewaltiger, Geldverschwender, Ohrenbeißer und Verlierer (Jefferson 1997). In der öffentlichen Meinung erscheint Tyson als der böse, schwarze, hypermaskuline Mann, der den Verheißungen und Sirenengesängen des Boxsports erlag, mehrere Jahre im Gefängnis saß und in der Gosse und Schuldenfalle zu enden drohte. Helden haben, so die Pointe, auch Prüfungen zu bestehen, um Held zu bleiben. Und nicht alle Athleten verfügen offensichtlich über die entsprechenden Handlungskompetenzen, um den einmal errungenen Status dauerhaft zu erhalten. In den letzten Jahren sorgt die Dopingproblematik immer wieder dafür, dass etablierte Sporthelden in der Öffentlichkeit dramatisch scheitern
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und ungewollte Metamorphosen erleben. Gefeierte und allseits bewunderte Athleten verwandeln sich dann in Dopingsünder, für die man aufgrund ihrer hartnäckigen Lügen und jahrelangen Täuschungen häufig nur noch Mitleid übrig haben kann. Wer sich illegitimer Mittel bedient, um in den Heldenhimmel zu kommen, kann mit Hilfe entsprechender Kontroll- und Degradierungszeremonien aus demselben auch wieder entfernt werden.2 Dopingkontrolleure erhalten damit den Status professioneller Heldentöter, die mit Hilfe naturwissenschaftlicher Testverfahren in die Tiefen der Heldenkörper hineinschauen, um Devianzen für justitiable Sanktionierungen festzustellen. Man denke nur an die zahlreichen Radprofis oder Leichtathleten, die in den letzten Jahren mit weltweiter Medienresonanz aus dem Verkehr gezogen wurden. Der sportliche Wettkampf beruht schließlich auf selbstgesetzten Sinnprinzipien, die nicht ohne Konsequenzen unterlaufen werden können. Wer die Idee der Ergebnisoffenheit, der formalen Gleichheit der Akteure, der Leistungsgerechtigkeit und des Fairplay hintertreibt, sich illegitime Vorteile verschafft und hierbei erwischt wird, erzeugt Misstrauen und sabotiert die Glaubwürdigkeitsbasis des Spitzensports. Doping, Wettbetrug und Korruption zeigen mit erdrückender Eindeutigkeit, wie gefeierte Helden sich trotz vormaliger Erfolge von heute auf morgen in Sünder und Schurken verwandeln können. In der Transformation von Sporthelden in tragische Helden oder Schurken bekommt das Publikum wichtige Inhalte des gutbürgerlichen Erziehungsprogramms zu sehen, nämlich die an Heranwachsende gerichtete Forderung, die allgemein akzeptierten sozialen Regeln einzuhalten, sich permanent zu bemühen, an die Zukunft zu denken und sich nicht für die falschen Ziele zu verausgaben. Diese aus dem Versagen von Sportlern abgeleiteten impliziten Geschichten von einer »richtigen« Lebensführung haben neben ihrer Anleitungs- und Vorbildfunktion auch die Aufgabe, das Aufkommen sozialer Neidgefühle durch das Erzählen der negativen Konsequenzen des Erfolgs zu reduzieren, und zwar in einer Gesellschaft, die nach wie vor von starker sozialer Ungleichheit geprägt ist. Indem man die bedenklichen Seiten des sozialen Aufstiegs drastisch schildert, erklingt klammheimlich das Hohelied sozialer Normalität. Wenn Helden bei ihren Normbrüchen erwischt werden, können die Nichthelden sich zufrieden zurücklehnen und ihre Durchschnittlichkeit und Normtreue feiern. Zudem ist davon auszugehen, dass die Geschich2 | Vgl. hierzu unsere Ausführungen zum tragischen Helden in Kapitel 2.
Heldengeschichten
ten vom Abstieg bisweilen beim Publikum auch dazu verwendet werden, Trost in der eigenen Existenz zu finden. Eigenständige Zweige des Journalismus, die Paparazzi und Enthüllungsjournalisten, sind inzwischen im Sport darauf spezialisiert, Helden zu entlarven, um der breiten Mehrheit Gefühle der Zufriedenheit in ihrer Durchschnittsexistenz zu vermitteln. Man erwischt die Außeralltäglichen in Alltagssituationen oder in flagranti und zeigt dem Publikum mit voyeuristischen Bildern die Differenz zwischen Vorder- und Hinterbühne. Eine dritte Kategorie der Heldenvita ergänzt die Darstellungen vom Auf- und Abstieg bekannter Sportgrößen. Es handelt sich hierbei um Geschichten von der Wiederkehr und Läuterung vormaliger Sporthelden. Die Grundstruktur dieser sportlichen Comeback-Erzählungen knüpft an die Berichte vom Misserfolg und Scheitern der Helden direkt an, nutzt diese Beschreibung aber als Ausgangspunkt für die Darstellung einer positiven Rückveränderung. Einzelne Sportler, aber auch ganze Mannschaften ziehen sich am eigenen Schopf oder auch mit fremder Hilfe aus dem Sumpf ihrer Niederlagen und negativen Verstrickungen heraus. Indem sie hart arbeiten und sich auf ihre frühere Leistungsfähigkeit besinnen, überwinden sie den symbolischen Tod der sportlichen Niederlage oder des zivilen Scheiterns. Sie verwandeln sich zurück in Helden und werden durch diese Transformation wieder verehrungswürdig. Ulrike Meyfarth und Franziska van Almsick beispielsweise wurden im Teenageralter Hochsprung-Olympiasiegerin bzw. Schwimm-Weltmeisterin und hatten anschließend lange Durststrecken in ihren Karrieren zu überwinden, die von der Häme der zuvor noch verehrungsbereiten Boulevardpresse (»Franziska van Speck«) und einiger Funktionäre begleitet wurden. Beide Sportlerinnen kehrten nach Jahren sportlicher Minderleistungen erfolgreich auf die Wettkampf bühne zurück und erreichten in ihren Disziplinen einen Kultstatus. Eine Wiederauferstehungsgeschichte der besonderen Art erzählte vor einigen Jahren auch »Gentleman« Henry Maske, der nach zehnjähriger Pause mit 42 Jahren noch einmal für einen einzigen Boxkampf gegen seinen damaligen Gegner, Virgil Hill, in den Ring stieg, um die Schmach der Niederlage im letzten Kampf seiner Profikarriere zeitversetzt zu tilgen. Der organisierte Sport hat inzwischen für die Wiederkehr vormals erfolgreicher Sportler ein eigenes Belohnungs- und Huldigungsritual eingerichtet. Bei den alljährlich stattfindenden Laureus-Ehrungen in Monaco wird für das »Comeback des Jahres« ein Preis verliehen. In den Geschichten von der wettkampf basierten Wiederkehr
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vormaliger Sporthelden ist eine narrative Strategie erkennbar, die Autoren oder Regisseure in Romanen, Filmen und Comics häufig verwenden, um die Wiederauferstehung außeralltäglicher Sozialfiguren zu inszenieren. Gemeint ist das Prinzip der dramatischen Erwartungsumkehr. Der Held hat seine Tracht Prügel bekommen, wurde erniedrigt, in den Ringstaub getreten, hämisch verlacht und durch dominante Gegner vorgeführt. Die Konkurrenten und deren Anhänger und Sympathisanten triumphieren und glauben, dauerhafte Gewinner der Konfrontation zu sein. Dann aber erfolgt die triumphale Wiederkehr des Helden, der sich mit einem letzten Willens- und Kraftaufwand gegen die drohende Niederlage stemmt und die Gegner spektakulär niederringt. Die Überhöhung des Helden als Antwort auf seine vormalige Niederlage und Erniedrigung greift auf einen Spannungsbogen zurück, der im traditionellen Wettkampfsport durch den Sieg/Niederlage-Code fest eingespeichert ist. Die wohl spektakulärste Comebackgeschichte des internationalen Sports wird bis heute auf der Grundlage der biografischen Wendungen in der sportlichen und außersportlichen Karriere des US-amerikanischen Boxers Muhammad Ali erzählt.3 Nach seinem Sieg im Halbschwergewicht bei den Olympischen Spielen 1960 in Rom hatte Ali noch unter seinem Geburtsnamen Cassius Clay vier Jahre später überraschend den Weltmeistertitel im Schwergewichtsboxen gegen Sonny Liston gewonnen. Er änderte seinen Namen, wurde Muslim, verweigerte im Jahre 1967 aus pazifistischen Gründen den Wehrdienst in Vietnam und verlor hierdurch Weltmeistertitel und Boxlizenz. Es dauerte drei Jahre, bis der Oberste Gerichtshof der USA dieses Urteil aufhob und den Entzug seiner Boxlizenz für unrechtmäßig erklärte. Die Wiederauferstehung Alis nach der jahrelangen Verbannung aus dem Boxring wird bis heute von denen, die physisch oder medial dabei waren, als »magisches«, »mythisches« und »episches« Ereignis beschrieben. Alle Bestandteile einer erfolgreichen, aber überraschenden heroischen Rückverwandlung, die ein im Profiboxsport lange Zeit für besiegte Weltmeister geltendes Gesetz (»They never come back«) auf den Kopf stellte, waren gegeben. Ende Oktober 1974 trat Ali beim »Rumble in the Jungle« in Kinshasa (Zaire) gegen den damals amtierenden, sieben Jahre jüngeren Weltmeister George Foreman an, der einen Großteil seiner Kämpfe durch K.o. in den ersten Runden gewonnen hatte. Ali schlug den von seinen präzisen Schlagserien und seinem Aus3 | Vgl. Mailer (1975), Oates (1987), Reemtsma (1997), Remnick (1998).
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pendeln der gegnerischen Schläge in den Ringseilen völlig erschöpften Foreman in der achten Runde K.o. und wurde so sieben Jahre nach der Titelaberkennung vor einem weltweit zugeschalteten Publikum wieder Weltmeister im Schwergewichtsboxen. Ali beeindruckte seine Zuschauer nicht nur durch eine elaborierte Fuß- und Schlagtechnik und eine boxeruntypische, von einem Wrestler abgeschaute Trash-talk-Kompetenz. Er absolvierte nahezu alle Kämpfe mit einer beeindruckenden körperlichen Leichtigkeit, die sich auch darin zeigte, dass er den Ort seiner Individualität, sein Gesicht, im Kampf immer vor schweren Verletzungen und Deformationen zu schützen wusste – ganz im Gegensatz zu Boxern wie Rocky Marciano und Jake LaMotta (»Raging Bull«), die den Ring nicht ohne Platzwunden an den Augenbrauen oder anderweitige Kampfspuren im Gesicht verließen. Ali war ein Boxer, der das Unzivilisierte des Schlagens und des Geschlagenwerdens, des Gebens und des Nehmens, zivilisiert präsentierte. Selbst die eloquenten Beleidigungsrituale gegenüber seinen Gegnern in Pressekonferenzen oder beim Auswiegen vollzog er mit einem schelmischen Augenzwinkern und Lachen. In den Läuterungs- und Wiederauferstehungsgeschichten von Sporthelden ist, wie diese Beispiele aus der nationalen und internationalen Sportszene zeigen, eine wichtige Botschaft eingespeichert, die auf Breitenwirkung und Nachvollzug ausgerichtet ist: dass es sich auch nach einer Niederlage lohnt, aufzustehen, den Herausforderungen gezielt ins Auge zu blicken, sich intensiv vorzubereiten und kämpferisch weiterzumachen. Das in der Logik des Sports als Gegenpol zum angestrebten Sieg strukturell angelegte Scheitern wird damit nicht als gesamtbiografisches Unglück gedeutet, sondern als ein Ereignis genutzt, um einen erfolgreichen Neuanfang auf den Weg zu bringen. In diesem gegen eine vorzeitige Selbstaufgabe gerichteten Diskurs wird die Zeitdimension erzählerisch mit der Idee von der Selbstermächtigung des modernen Subjekts verknüpft. Der in diesem Narrativ zum Vorschein kommende heimliche Lehrplan greift die Erfahrung auf, dass die Gestaltbarkeit des eigenen Lebensweges unter dem Einfluss des gesellschaftlichen Modernisierungsprozesses eine neue, riskante Qualität bekommen hat. Der sozialstrukturelle Übergang von einer stratifizierten zu einer funktional differenzierten Sozialmatrix erhöhte das Komplexitätsniveau der Gesellschaft und steigerte den »variety pool« biografischer Entscheidungen. Während Standesherkunft und Religion noch in der Vormoderne eine einheitliche Weltsicht garantierten, diskrepante Erfahrungen abfederten und so das Auseinanderdriften di-
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vergierender Handlungsorientierungen verhinderten, haben die Lebensverhältnisse unter dem Einfluss der gesellschaftlichen Modernisierung eine erhebliche Veränderung erfahren. Die Menschen werden seitdem strukturell genötigt, Karriere zu machen. Hierzu gehört es, nach Niederlagen aufzustehen, da es nicht mehr möglich ist, auf Herkunft und Stand alleine zu rekurrieren, um das Leben zu gestalten. Die gesellschaftliche Polykontexturalität erzwingt gleichsam ein Rollenmanagement, das sowohl die Widersprüchlichkeiten als auch die Freiheiten abzugleichen hat, die sich aus der Teilhabe an einer Vielzahl unterschiedlicher Lebenssphären ergeben haben. Das moderne Subjekt besitzt zwar mehr Handlungsoptionen, hat sich aber gleichzeitig auf die erhöhte Riskanz biografischer Entscheidungen einzustellen, und damit auch auf die Möglichkeit von Niederlagen und prekären Wendungen. Gerade für das Leben in der Gegenwartsgesellschaft gilt: Je mehr der einzelne Akteur lernen muss, sich durch das Labyrinth funktional spezifizierter Teilsysteme zu bewegen, um selektive Anschlüsse herzustellen und interne Widersprüche auszutarieren, desto schwieriger wird es für ihn, einen souveränen Umgang mit den Möglichkeiten und Grenzen einer biografischen Selbststeuerung zu finden.4 Exemplarische Sozialfiguren, die, wie die oben beschriebenen Athleten, in ihren Karrieren in nachvollziehbarer Weise gezeigt haben, dass eine Wiederkehr auch nach Niederlagen, Schmähungen und Herabwürdigungen möglich ist, werden vom Publikum bewundert und als Identitätsstützen verehrt. In Sportfilmen, Erzählungen, Sportmuseen und in den »Sports Halls of Fame« der einzelnen Disziplinen erfahren die biografischen Wendungen dieser Akteure dann auch eine volkspädagogische Vereinnahmung und Würdigung. Erinnert werden die Helden des Sports insbesondere dann, wenn ihre Leistungen und biografischen Wendungen Begleit- und Hintergrundgeschichten erzählen, die eine Sinn- und Verstehensgemeinschaft zwischen Athlet und Publikum herzustellen vermögen. Die Heldentaten werden dann durch das Einblenden individueller, wirtschaftlicher und politischer Handlungsmöglichkeiten oder -restriktionen kontextualisiert. So verhalfen die »Helden von Bern« (1954) der jungen Bundesrepublik zu einem frühen und überraschenden Ruhm und vermittelten der damaligen Aufbaugeneration das Gefühl, wieder wer zu sein. Die Situation im Nach4 | Zu den biografischen Risiken von Hochleistungssportlern siehe Bette et al. (2002: 340ff.).
Heldengeschichten
kriegsdeutschland war der Resonanzboden, der den Gewinn des Endspiels in Bern veredelte. Die im Finale gegen die Niederlande errungene Weltmeisterschaft der spanischen Fußball-Nationalmannschaft im Jahre 2010 bekam durch die schwere Wirtschaftskrise in Spanien eine besondere Bedeutung. Der Titel brachte den Nationalstolz in Zeiten der Not zum Erblühen und wurde deshalb auch im öffentlichen Raum entsprechend euphorisch gefeiert. Der Schwergewichtsboxer Max Schmeling wird heute immer noch positiv memoriert, obwohl er seine wichtigsten Kämpfe bereits in den 1920er und 1930er Jahren absolviert hatte. Er erinnert mit seinem Werdegang an die dunklen Zeiten des Nationalsozialismus und bleibt als jemand im kollektiven Gedächtnis haften, der zwar mitmachte, dennoch aber Verfolgten und einem ehemaligen Gegner wie Joe Louis in Zeiten der Not half.5 Wilma Rudolph, die »schwarze Gazelle« aus den USA, ging in die Geschichte der Leichtathletik ein, weil sie in ihrer frühen Kindheit eine Kinderlähmung und andere schwere Krankheiten überwand, und dennoch bei den Olympischen Spielen in Rom 1960 mit grazilen Schritten mehrfache Olympiasiegerin über 100m, 200m und in der 4x100m-Staffel wurde. Nach ihren Olympiasiegen und Weltrekorden opponierte sie gegen die Rassentrennung in den USA und wurde hierdurch zu einer Ikone der Bürgerrechtsbewegung. Matthias Steiner, der deutsche Olympiasieger im Superschwergewicht von Peking, erregte in seiner medial nicht sehr bedeutsamen Disziplin weltweites Aufsehen, weil er im Moment seines olympischen Erfolgs das Foto seiner Gattin hochhielt, die zuvor bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Michael Phelps, der bislang erfolgreichste Schwimmer und Olympionike aller Zeiten, bereicherte die kommunikative Landschaft nach seinen ersten Siegen mit Geschichten über Depression, Drogensucht, Fehlverhalten im Straßenverkehr und langen Trainingspausen, bevor er in einer weiteren Karrierephase wieder zum gefeierten Olympiahelden aufsteigen konnte. Insgesamt ist bezüglich der spitzensportlichen Heldennarrationen festzuhalten, dass es sich bei der Nennung von Aufstiegs-, Abstiegs- und Comebackgeschichten um idealtypische Rekonstruktionen handelt, die an den biografischen Verlaufsmöglichkeiten entlanggearbeitet wurden, die der Sieg/Niederlage-Code vorsieht. Der einzelne Athlet muss diese Transformationen nicht notwendigerweise allesamt als Einzelperson 5 | Den Werdegang von Schmeling interpretieren Alkemeyer/Junghanns (2009) vor dem Hintergrund der damaligen Zeitumstände.
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durchleben. Auch wenn komplexe biografische Wendungen im Spitzensport immer wieder passieren und medial berichtet werden, können einzelne Sportler nach einem Karrierehoch, etwa nach einer überraschend gewonnenen internationalen Meisterschaft, auch mit dem Sport aufhören oder sich auf einem mittleren Niveau der Leistungspyramide dauerhaft einrichten, ohne jemals das tiefe Tal des Heldenabstiegs zu durchwandern. Karrieren müssen also nicht mit einem krachenden Absturz enden. Sie können, wie Zygmunt Bauman (1994: 127) in Bezug auf den Niedergang von Idolen festhielt, eher »verblassen, sich erschöpfen und sich verflüchtigen« und dadurch nach und nach aus dem Blick geraten. Ebenso müssen Comebackversuche nicht notwendigerweise unternommen oder gar erfolgreich abgeschlossen werden. Björn Borg, ein weltweit bekannter und geschätzter schwedischer Tennisspieler, der Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre mehrfach Wimbledon- und Grand-Slam-Turniere gewonnen hatte und als Gegner von John McEnroe in die Geschichte seiner Sportart einging, erklärte bereits in jungen Jahren seinen Rücktritt und scheiterte anschließend mehrfach dramatisch mit seinen diversen Comebackversuchen. Erst als Spieler auf der Seniorentour konnte er unter den dort herrschenden reduzierten Leistungsbedingungen an alte sportliche Erfolge anknüpfen. Mischungsverhältnisse zwischen den genannten Heldennarrationen und Mehrfachabläufe der genannten Heldengeschichten werden ebenfalls analytisch nicht ausgeschlossen. Nicht wenige Athleten stürzen schließlich nicht nur einmal ab, sondern handeln sich nach einem erfolgreichen Comeback sekundäre oder tertiäre Niederlagen ein. Wer den richtigen Zeitpunkt verpasst, als öffentlich wahrgenommener und geschätzter Held auf dem Zenit seiner Leistungsfähigkeit aufzuhören, geht zudem das Risiko ein, von den Trägern des organisierten Sports unfreiwillig aussortiert zu werden, um dann möglicherweise als tragischer Held zu enden. Aber auch darüber lassen sich dann entsprechende Geschichten erzählen.
4 Mentoren und Gefährten
Häufig können Helden bei ihrem Aufstieg oder auf dem Wege ihrer Rehabilitierung und des Comeback auf fremde, überraschende Hilfe von außen zurückgreifen. In den Mythen der Antike sind es Zauberer, Priester, Orakeldeuter, Weise, Fährmänner oder menschenfreundliche Götter, die den späteren Heros unterstützen und ihm dabei helfen, seinen Weg zu finden und seine Mission zu erfüllen. Sie warnen vor lauernden Gefahren, vermitteln geheimes Zukunftswissen, verleihen magische Körperkräfte oder verschenken Gerätschaften mit wundersamen Wirkungen. In der Nibelungensage konnte sich Siegfried auf eine unsichtbar machende Tarnkappe verlassen, die er von Alberich, dem kleinwüchsigen Bewacher des Nibelungenhorts errungen hatte. In handgreiflichen Auseinandersetzungen half ihm Balmung, sein Wunderschwert, Widersacher aus dem Weg zu räumen. In den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm schenkte ein Tischlermeister seinem Lehrling einen »Knüppel aus dem Sack«, mit dem dieser einen Wirt verdreschen konnte, der seinen beiden Brüdern den Goldesel und »Tischlein, deck dich!« geraubt hatte. In funktional differenzierten Gesellschaften, die das magisch-mythische Denken im Verlauf des Modernisierungsprozesses durch Aufklärung, Religionskritik, Rationalisierung und Verwissenschaftlichung zurückgedrängt haben, leben heldenunterstützende Sozialfiguren, die ein vergleichbares Leistungsprofil anzubieten haben, vornehmlich in den imaginierten Welten der Populärkultur. Im Rückgriff auf antike und mittelalterliche Vorbilder greifen Fantasyfilme, Comics und Science-Fiction-Erzählungen auf die Idee des Ratgebers und Helfers zurück und übersetzen sie in wortund bildgewaltige Epen. In den von Joseph Campbell (1949) stark inspirierten Star-Wars-Episoden des Filmemachers Georg Lucas waren es Yoda und Obi-Wan, zwei Jedi-Meister, die Luke Skywalker lehrreiche Lektionen erteilten, ihn spirituell erleuchteten und auf höhere Aufgaben und spätere
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Auseinandersetzungen vorbereiteten.1 In den Hobbit-Geschichten des J. R. R. Tolkien war es Gandalf der Graue, der Frodo Beutlin in der heimeligen Beschaulichkeit des Auenlandes aufsuchte und ihn als Retterheld auf eine lebensgefährliche Reise nach Mordor schickte. Die auf dem Weg lauernden Dämonen und Kreaturen der Dunkelheit und des Bösen bekämpften beide mit magischen Kräften und weiteren Helfer- und Gefährtenfiguren. In den Imaginationen von J. K. Rowling fand Harry Potter in Albus Dumbledore, dem Schuldirektor von Hogwarts und dem Anführer des Phönixordens, einen wichtigen Ratgeber und Unterstützer. Helden, so die Botschaft, brauchen Gefährten und Mentoren, um ihre Kräfte zu entfalten und ihre Mission zu erfüllen. Zur Erinnerung: Bei Homer war »Mentor« der Freund des Odysseus, dem dieser seinen Hausstand anvertraute, als er gegen Troja in den Krieg zog. Mentor half und beriet Penelope und Telemachos, Frau und Sohn des Odysseus, vor allem auch bei der Abwehr der Freier, die Penelope den Hof machten und dabei waren, die Ressourcen des Hauses rücksichtslos aufzubrauchen. Die Sozialfigur des Helfers und Mentors ist auch im Sport fester Bestandteil von Heldennarrationen, um die Biografien außeralltäglicher Leistungsträger zu erklären und zu plausibilisieren. Häufig sind es zunächst Mitglieder des familialen Herkunftsmilieus, die frühzeitig die besonderen Motivations- und Bewegungskompetenzen beim eigenen Nachwuchs bemerken und fördern. Als imaginierte Helfer kommen zusätzlich Vorbilder der frühen Kindheit und des Jugendalters in Gestalt bekannter Sportstars ins Spiel, denen junge Athleten imitierend nacheifern. Dies wird durch die immer ausgiebigere Sportberichterstattung verstärkt. Die bereits öffentlich als Sporthelden gefeierten und hofierten Athleten und Athletinnen erscheinen als das Konkrete und Begehrenswerte in einer für Kinder und Jugendliche immer abstrakter werdenden Welt, in der Ruhm und öffentliche Aufmerksamkeit als erstrebenswerte Güter hoch gehandelt werden. Im organisierten Leistungssport sind es ehrenamtliche Übungsleiter, hauptamtliche Trainer, Manager und Nachwuchsscouts, manchmal aber auch engagierte Lehrer, Sozialarbeiter oder zufällige Bekanntschaften, die als Ersthelfer und Mentoren schlummernde Talente am Strand, auf Straßen, Schulhöfen, Bolzplätzen oder in Turnund Sporthallen entdecken und fördern.
1 | Vgl. Lawrence/Jewett (2002: 5ff., 265ff.).
Mentoren und Gefähr ten
Mike Tyson, der spätere Weltmeister im Schwergewichtsboxen, traf in einer Besserungsanstalt für straffällig gewordene Jugendliche auf einen kleinen unscheinbaren irischen Boxtrainer, Bobby Stewart, der ihm mit überraschenden korporalen Wirkungstreffern die Überlegenheit eines disziplinierten Technik- und Bewegungstrainings gegenüber der Unzivilisiertheit und Verschlagenheit des urbanen Straßenkampfes vorführte und ihn hierdurch non-verbal nachhaltig beeindruckte und zum Nachvollzug inspirierte.2 Anschließend nahm Cus d’Amato, ein väterlicher Förderer und Wertevermittler, Tyson bis zu seinem Tode unter seine Fittiche. Muhammad Ali wurde u.a. durch seinen Trainer Angelo Dundee geformt. Der nordirische Fußballspieler George Best fand in Matt Busby, dem Manager von Manchester United, einen Mentor, der ihn in den ersten Profijahren erfolgreich durch die Klippen des Fußballgeschäfts und der exzessiven öffentlichen Nachfrage leitete.3 Michael Schumacher, mehrfacher Formel-1-Weltmeister, hatte Willi Weber als Mentor, väterlichen Freund und Manager. Andre Agassi wurde mit Hilfe von Brad Gilbert zu einem Weltklasse-Tennisspieler. Holger Geschwindner, ehemaliger Basketball-Nationalspieler und Kapitän des bundesrepublikanischen Basketballteams bei den Olympischen Spielen 1972 in München, entdeckte und förderte über viele Jahre als Individualtrainer den späteren Überflieger der NBA, Dirk Nowitzki, mit unkonventionellen Trainingsmethoden. Nach den Erfahrungen der Jahre 1954 und 2006 könnte man mit Blick auf die deutsche Fußball-Nationalmannschaft von einem Sepp-Herberger- bzw. Jürgen-Klinsmann-Effekt sportiven Mentorentums reden. Der Erstgenannte war der unumstrittene »Chef«, der sich für seine Mannen ins Zeug legte, auch bereit war, beim alles entscheidenden Weltmeisterschaftsturnier im ersten Spiel gegen Ungarn gezielt eine strategische Niederlage durch eine minderqualifizierte Mannschaftsaufstellung einzustecken, und insgesamt aus einem zusammengewürfelten Haufen eine schlagkräftige Mannschaft formte, die im Endspiel um die Fußball-Weltmeisterschaft mit Hilfe der regentauglichen »Wunderschuhe« von Adi 2 | Siehe hierzu die Interviewpassagen von Mike Tyson in dem Dokumentarfilm des US-amerikanischen Regisseurs James Toback unter dem Titel »Tyson. Der Mann. Der Mythos. Die Wahrheit«, USA 2008. Bobby Stewart war ein ehemaliger Boxer, der 1974 das »National Golden Gloves Tournament« gewonnen hatte. 3 | Den späteren sozialen Absturz seines Schützlings konnte Busby nicht verhindern.
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Dassler das Stadion in Bern überraschend als Sieger verließ. Klinsmann war ein ehemals erfolgreicher Fußballspieler, der in die Ferne ging und nach Jahren der Abwesenheit mit einer Reihe neuer Ideen und Konzepte nach Hause zurückkehrte, um dort gegen den starken Widerstand eines fußballerischen Establishments eine Mannschaft neu zu formen und aus dem Verliererlager zu befreien. Dass Trainer häufig als Mentoren fungieren und als solche auch wahrgenommen werden, hat damit zu tun, dass sie zu ihren Sportlern in einem sozial definierten Verweisungszusammenhang stehen. Die Athleten sollen in den typischen Vollzugssituationen des Systems, den Wettkämpfen, mit Gleichgesinnten um den sportlichen Sieg konkurrieren und möglichst erfolgreich sein. Den Trainern obliegt es, hierfür angemessene Unterstützungsleistungen zu mobilisieren.4 Um diese Funktion zu erfüllen, gestehen die Vereine und Verbände ihren Steuerungsakteuren zahlreiche Rechte zu. Trainer sind legitimiert, die physischen und psychischen Ressourcen ihrer Athleten sportartspezifisch auszuschöpfen und soziale Kontrolle zu exekutieren. In den höchsten Positionen haben sie das Recht, im Rahmen von Auswahlverfahren zu definieren, wer als Athlet antreten darf oder das Feld zu verlassen hat. In nicht wenigen Fällen reglementieren Trainer sogar minutiös den Tages- und Jahresablauf ihrer Schützlinge. Und durch positive und negative Sanktionen halten sie die Athleten beständig davon ab, in ihre Normalbiografie zurückzufallen (Bette et al. 2002: 315ff.). Trainer beeinflussen damit in besonderer Weise die Wirklichkeit des Spitzensports und damit auch die Möglichkeiten der Athleten, exemplarische Sozialfiguren zu werden. Sie bestimmen maßgeblich mit, was in diesem Sozialbereich als sinnvoll angesehen oder als systemunspezifisch verworfen wird. Trainer sind dabei aus mehreren Gründen darauf aus, dass die eigenen Athleten sportlich erfolgreich sind. Zunächst einmal ist ihnen eine Erfolgsorientierung als Rollenaufgabe normativ vorgegeben. Die von außen an sie adressierten Erfolgserwartungen konvergieren meist mit einer intrinsischen Erfolgsorientierung, die sie für sich selbst bereits entwickelt haben. Verschiedene institutionelle Mechanismen sorgen weiterhin über Anreize und Bestrafungen dafür, dass die Trainer sich zuverlässig dem Erfolgsdruck des Spitzensports unterwerfen und diesen an die Athleten weitergeben. Diejenigen, die keine Folgebereitschaft zeigen, werden als 4 | Zur Sozialfigur des Trainers im Hochleistungssport siehe Bette (1984b).
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Trainer rigoros eliminiert. Als wichtigste Strukturvorgabe ist dabei zweifellos die für viele Trainer vorherrschende zeitliche Befristung der Verträge. Als weitere Stimuli kommen diverse Arten von Prämien vonseiten des Vereins oder des Verbandes sowie auch der wirtschaftlichen und politischen Förderer hinzu. Nicht zu vergessen ist die Reputationssteigerung der Trainer durch Erfolge ihrer Athleten. Damit ist eine wechselseitige Abhängigkeit im Verhältnis von Trainer und Athlet fest zementiert. Der Athlet braucht die diversen Dienste seines Umfeldes, um erfolgreich sein zu können; und er bekommt sie, weil Trainer und Funktionäre diesen Erfolg nicht selbst herstellen, sondern an diesem nur parasitär teilhaben können. Es sind die Athleten, die sich im Wettkampf einzubringen und zu verausgaben haben. Um die Sportler zu motivieren, ihre psychischen und physischen Leistungsfähigkeiten auszuschöpfen und ihre taktischen und strategischen Kompetenzen zu verbessern, wird Kommunikation neben den vorhandenen Talentressourcen und der Trainingsqualität zu einem wichtigen Systemerfordernis. Im Sport werden Trainer insbesonders dann zu Mentoren, wenn sie ihren Schützlingen neue technische und taktische Einsichten vermitteln, vorhandene Selbstzweifel beseitigen und insgesamt dazu beitragen, dass der einzelne Sportler oder das Kollektiv die eigenen Möglichkeiten ausschöpft und nicht unnötig vergeudet. Durch die Internalisierung von Werten, Normen und Verhaltensweisen wirken sie auch dann, wenn sie räumlich nicht vor Ort sind. Häufig sind es auch Trainermentoren, die Athleten von der schiefen Bahn holen und sie durch Training und einen Milieuwechsel in einem positiven Sinne sozialisieren. Heroische Attributionen und Narrative im körper- und personenorientierten Sport betreffen insofern nicht Athleten allein, sondern auch die Mitglieder des assistierenden Umfeldes. Trainer, die den Abstieg der von ihnen betreuten Mannschaften in eine untere Spielklasse abwenden, einen Aufstieg in eine höhere Klasse schaffen oder hochrangige Titel mit ihren Mannschaften bei den Weltereignissen ihrer Disziplinen erringen, avancieren zu Helden ihrer Sportart und können einen eigenen Kult- und Legendenstatus erreichen. Sie werden deshalb auch häufig in die Ruhmeshallen ihrer Sportart aufgenommen und dort in einer Sonderkategorie als verehrungswürdige Personen memoriert. Im Kontext heroischer Narrationen taucht neben der Sozialfigur des Mentors immer wieder auch der Hinweis auf, dass Helden auf ihrem Werdegang und für ihre Metamorphosen Gefährten benötigen, die sie
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auf ihrem Weg zu großen Taten und zum späteren Ruhm begleiten und unterstützen. Batman hatte Robin und Batgirl. Luke Skywalker fand in Han Solo, Prinzessin Leia und in den Droiden R2-D2 und C-3PO verlässliche Gefährten.5 Frodo Beutlin konnte in der Tolkiensaga auf Sam, Pippin und Merry, tapfere, loyale, manchmal aber auch etwas linkische Unterstützer zählen. Hermine Granger und Ron Weasley standen Harry Potter als enge Freunde zur Seite. Der real existierende Sportheld wird ebenfalls auf unterschiedlich entfernten Umlauf bahnen von Satellitenfiguren umkreist, die ihm entweder als externe Spezialisten durch taktische Hinweise, neu konstruierte Sportgeräte, Serviceleistungen, treffsichere Gegneranalysen oder physiologische, psychologische und medizinische Anwendungen beistehen oder als interne Gefährten das heroische Handeln im Wettkampf unmittelbar begleiten und ermöglichen. Sie eröffnen Handlungs- und Darstellungsräume, in denen die Hauptprotagonisten des Geschehens sich in ihrer Exzellenz entfalten können. Zusätzlich kommen in den Stadien, Hallen und an den Wettkampfstrecken enthusiastisch gestimmte Fans oder Fangruppen zum Einsatz, die die Athleten begleiten und sich auf lautstarke Unterstützung, demonstrative Bewunderung und Heldenverehrung spezialisiert haben. Das Motto heißt: Wer stellvertretend für Verein, Region, Nation, Ethnie, Sponsor, Rennteam oder Geschlecht in den Wettkampf zieht, soll vom Entsendemilieu auch eine entsprechende Unterstützung erfahren. Die folgenden Beispiele verdeutlichen in knapper Skizze, dass die Sozialfigur des Gefährten integraler Bestandteil sportlicher Vorbereitungs- und Vollzugssituationen ist und in unterschiedlichen Gestalten im Spitzensport anzutreffen ist. Heldennarrationen sind immer auch Helferund Gefährtennarrationen. Typischerweise stehen die Gefährten, obwohl unverzichtbar, nicht im Rampenlicht des Geschehens, sondern erbringen ihre Leistungen in variabler Distanz im Schatten der Heroen. Das erste Beispiel stammt aus dem Pugilismus, dem Boxen, einer Disziplin, die auf den ersten Blick für eine Umwertung zivilisierter Werte steht: für Gewalt als legitimes Mittel, um einen Konflikt auszutragen und zu beenden. Boxen ist die einzige Sportart, in der man nicht bestraft wird und ins Gefängnis wandert, wenn man seinen Gegner im Ring durch gezielte Schläge schwer verletzt oder gar tötet. Allerdings wird das Unzivilisierte im Boxsport starken zivilisatorischen Regeln unterworfen. Wer beißt, 5 | Zur Analyse der »Star Wars«-Filme vgl. Galipeau (2001), Kenny (2003).
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tief schlägt, seine Knie, Ellenbogen einsetzt oder seinen Gegner mit dem Kopf rammt, fliegt raus, wird bestraft und verliert seine Lizenz. Auch ungleiche Paarungen werden durch den Kampfrichter schnell beendet. Boxen kann insofern als ein körperorientiertes Handeln angesehen werden, das eine Inklusion des Exkludierten vollzieht, eine Wiederkehr des Verdrängten unter den Bedingungen erreichter zivilisatorischer Standards. Zwei Helfer- und Gefährtenfiguren unterstützen die eigenen Schützlinge an den Ringseilen. Als legendärer »Cutman« stoppte Vasil »Chuck« Bodak in den Kampfpausen mit Schwamm, Wattestäbchen, Vaseline und einer Adrenalinsalbe Nasenbluten und Platzwunden, Cuts, an den Augenbrauen vieler Weltmeister und reduzierte mit Eisbeuteln Schwellungen in deren Gesichtern, um einen vorzeitigen und geschäftsschädigenden Abbruch der Kämpfe durch den Ringrichter und Ringarzt abzuwenden. Er leistete hierdurch eine ernsthafte Zivilisierungsarbeit ab. Er bewahrte den Profiboxsport durch seine Intervention davor, öffentlich als unzivilisiert, brutal und atavistisch gebrandmarkt zu werden. Denn Blut gilt im Sport generell als eine Körperflüssigkeit, die besonders im Gesicht, dem primären Sitz der Individualität des Menschen, nicht vorkommen darf. Blut, das aus Platzwunden austritt und die Wettkampfkleidung der Athleten besudelt, konterkariert in einer unerwünschten Weise den Anspruch des Boxens, eine noble Kunst der Selbstverteidigung zu sein. Außerdem stört es die Vermarktung des Boxers durch politische oder wirtschaftliche Sponsoren. Wer den Blutaustritt durch entsprechende Maßnahmen zu stoppen oder gar zu verhindern weiß, wird deshalb in der Boxszene geschätzt und stark nachgefragt. Bodak war auch der Schreiber jener Sprüche, mit denen Muhammad Ali seine Gegner in Pressekonferenzen oder beim Auswiegen geärgert und lächerlich gemacht hatte. Für seine Leistungen wurde er in eine Sonderkategorie der »World Boxing Hall of Fame« aufgenommen. Einen vergleichbaren Ruhm als bester Cutman Europas erreichte Dennie Mancini, der u.a. die deutschen Boxer Henry Maske, Axel Schulz und Sven Ottke in ihren Karrieren begleitete und betreute. Der zweite Spezialist an den Ringseilen, der »Cornerman«, gibt durch kurze Anweisungen (»Jetzt Du!«, »Deckung hoch!«) während des Kampfes und in den Rundenpausen Ratschläge zur boxerischen Angriffs-, Verteidigungs- und Konterführung. Als Sekundant des Boxers wirft er zudem das Handtuch in den Ring, wenn der Gegner mit gesundheitsbedrohenden Wirkungstreffern zu dominant geworden ist. Muham-
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mad Ali konnte sich während seiner gesamten Boxkarriere auf die Hilfe von Drew Bundini Brown und Angelo Dundee verlassen. Auch in anderen Sportarten sind Athleten auf kompetente und loyale Gefährten und Helfer angewiesen. Im Profi-Golfsport trägt der Caddy entgegen landläufiger Meinung nicht einfach nur die schwere Golftasche mit den diversen Schlägern und Nahrungsmitteln über den Platz oder hält den Golfschirm als Schutz vor Regen und Sonne über seinen Prinzipal. Er gibt vielmehr auch Rat bei der Auswahl der Schläger und interpretiert die Beschaffenheit und Lage von »Roughs«, »Fairways« und »Greens«. Er informiert den Spieler zudem über die Windverhältnisse vor Ort, nennt die zu überbrückenden Schlagdistanzen und klärt über die Hindernisse auf, die Golfplatzarchitekten in Gestalt von Sandbunkern, Wasserlöchern, Seen, Flussläufen, Meeresarmen und »breaks« auf dem Grün eingebaut oder integriert haben, um Kompetenzen und Inkompetenzen der Spieler sichtbar zu machen. Außerdem ist der Caddy ein sicherer Kenner der Golfetikette und Golfregeln. Finanziell profitiert er vom Ranglistenplatz des Spielers, den er begleitet und berät. Insgesamt entlastet der Caddy seine Bezugsperson davon, bestimmte Arbeitsschritte selbst vollziehen zu müssen. Er versetzt den Spieler dadurch in die Lage, seine Konzentration ausschließlich auf das sportlich Relevante richten zu können. In Disziplinen, in denen Athleten in Symbiose mit Maschinen als Geschosse durch den Raum rasen, um zwischen Gewinnern und Verlierern zu differenzieren, ist das Rollenprofil der Gefährten und Helfer technikaffin modelliert. Hier sind es weniger die Körper der Athleten, die eine Unterstützung erfahren, sondern die »Körper« der Maschinen, in denen die Athleten bewegt werden. In der Welt der motorerzeugten Höchstgeschwindigkeit gilt für die exemplarischen Sozialfiguren dieser Zunft: Ohne Teamchefs, Marketingprofis, Motorenentwickler, Reifenversteher, Karrosseriedesigner, Ingenieure, Testfahrer, IT-Fachleute, Telemetrietechniker, Rennstrategen und Sponsoren könnten die Helden der Formel 1 auf den Rennstrecken nicht erfolgreich sein. Bereits eine defekte Zündkerze oder eine vom Gegner in der ersten Kurve leicht touchierte Radaufhängung kann Weltmeisterschaftsambitionen schnell beenden – trotz fahrerischer Höchstkompetenz. Und gäbe es keine Boxencrew für den sekundenschnellen Reifenwechsel und die beschleunigte Betankung der Boliden, ginge in jedem Rennen wertvolle Zeit verloren. Der Boxenstopp hat sich deshalb in allen Rennställen der Formel 1 zu einer hohen, drillmäßig geübten Kunst entwickelt, die mit der Stoppuhr penibel über-
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wacht und medial während des Rennens auch dem Fernsehpublikum mitgeteilt wird. Der Motorsportexperte René Hofmann bemerkte hierzu: »Pro Rad sind drei Mechaniker im Einsatz. Einer löst das Rad, einer zieht es weg, einer setzt das neue auf. Zudem gibt es Spezialisten, die kon trollieren, ob sich vor den Kühlern in den Seitenkästen etwas verfangen hat, die bereitstehen, falls ein Flügel verstellt werden muss, oder die die anderen Autos in der Boxengasse im Auge behalten. Die Szene gleicht einem Wimmelbild. Bei Mercedes sind 19 Mann im Einsatz, bei Ferrari sogar 24.«6 Im Rallyesport benötigt der Fahrer die Anwesenheit und Kompetenz eines direkt neben ihm sitzenden Gefährten, der ihn per Bordfunk durch den Raum navigiert. Der Copilot ist der Souffleur des Rallyesports. Er unterstützt den Hauptakteur nicht, wie im Theater, durch leise und heimliche Ansagen, wenn dieser im Vollzug seines Vortrags steckengeblieben ist. Er ist vielmehr der Spezialist, der dem Fahrer durch Kurzinformationen dabei hilft, Raum, Auto und Geschwindigkeit optimal aufeinander abzustimmen. Nachdem sich das Fahren auf Sicht im Laufe der Rennsportgeschichte als ineffektiv erwiesen hatte, greifen Rallyefahrer im Sinne einer funktionierenden Arbeitsteilung auf Copiloten zurück, um im Raum nicht verlorenzugehen und die oft auf beiden Seiten mit Zuschauern umrahmten Straßen, Wege und Pisten kollisionsfrei mit Höchstgeschwindigkeit durchfahren zu können. Copiloten erwerben ihr Streckenwissen, indem sie vor dem Wettkampf die Routen abfahren und fahrrelevante Besonderheiten in Zeichen- und Symbolform in sogenannten »Gebetbüchern« festhalten. Um Konkurrenten nicht an ihren exklusiven Raumkenntnissen teilhaben zu lassen, bleiben die Inhalte ihres »Aufschriebs« geheim. Copiloten entlasten die Fahrer während der Fahrt davon, sich selbst im Rausch der Geschwindigkeit mit Wegdistanzen, Sprungkuppen, Tälern, Senken, Kehren, Kurvenwinkeln, Schikanen, Belagbeschaffenheit, Belagwechsel sowie mit Licht- und Schattenverhältnissen zu befassen. Sie geben außerdem Schalt-, Geschwindigkeits- und Bremsempfehlungen und informieren den Fahrer über Beschleunigungsund Driftmöglichkeiten. Copiloten sind zudem für das Abstempeln der Bordkarten zuständig und wachen auf den Rallye-Etappen über das Einhalten vorgegebener Abschnittszeiten. Walter Röhrl konnte während seiner Karriere auf die präzisen Ansagen von Christian Geistdörfer zählen. 6 | Siehe SZ (5.4.2013).
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Michèle Mouton wurde mit ihrer Beifahrerin Fabrizia Pons eine der erfolgreichsten Rallyefahrerinnen der Motorsportgeschichte. Im Bobsport ist der Pilot auf die Sozialfigur des Anschiebers angewiesen. Pushspezialisten, die selbst keine Steuerungsfunktion ausüben dürfen, haben im Zweier- und Viererbob schnellkräftig, groß und muskelstark zu sein, um die schweren Bobschlitten nach dem Start auf ein hohes Tempo zu beschleunigen. Das Maximalgewicht einschließlich Besatzung, Kufen und Ausrüstung liegt im Zweierbob/Männer bei 390 kg, im Viererbob/Männer bei 630 kg, im Frauenbob bei 340 kg. Die zulässigen Maximalmassen dürfen durch das Anbringen von Ballastmassen erreicht werden. Beim Antrieb des Bobs sind lediglich die Schubkraft der Mannschaft beim Start sowie die zwischen Start und Zieleinlauf wirkende Schwerkraft der Erde zugelassen. Wer oben als Pilot durch Anschieber nicht schnell genug auf den Weg gebracht wird, kann die verlorene Zeit auf der Strecke in der Regel nicht mehr einholen. Anschieber stammen deshalb meist als ehemalige Sprinter, Kugelstoßer oder Zehnkämpfer aus der Leichtathletik. In den USA und Kanada werden häufig auch vormalige American Footballspieler rekrutiert. Zweierbobs benötigen einen Anschieber, in Viererbobs müssen drei Anschieber das Gerät auch dann noch beschleunigen, wenn der Pilot seinen Platz für die Steuerung der vier Kufen bereits eingenommen hat. Ohne die Sprintfähigkeit der Anschieber hätten die vorne im Bob sitzenden Piloten keine Chance, sich auf die Filigranarbeit an den Steuerseilen zu konzentrieren und Spitzenzeiten im Eiskanal zu erreichen. Um die bestmöglichen Teams zusammenzustellen, haben sich die Anschieber harten Auswahlverfahren an schweren Testschlitten zu stellen, um von ihren Piloten in das Team geholt zu werden. Der Bobpilot André Lange konnte sich über Jahre auf seinen Anschieber Kevin Kuske verlassen. Die Pilotin Mariama Jamanka gewann mit ihrer Anschieberin Lisa Buckwitz bei den olympischen Winterspielen in Pyeongchang die Goldmedaille im Zweierbob der Frauen. Während Bobschlitten von hinten durch menschliche Muskelkraft angeschoben und beschleunigt werden, um möglichst schnell durch eine schmale Eisrinne dem Ziel entgegenzurasen, gibt es Sportarten, in denen sich die maßgeblichen Athleten als humane Anhängsel auf motorisierten Artefakten durch Helfer und Gefährten in die sportiven Situationen ihrer heroischen Bewährung und Sichtbarmachung hineinziehen lassen. Gemeint ist das als Antwort auf die Demokratisierung des Wellenreitens entstandene Tow-in-Surfing. Um sich von den Normalsurfern zu unter-
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scheiden, die zu Tausenden die herannahenden Wellen küstennah auf ihren Boards mit eigener Kraft ansteuern, sind es Jetskifahrer, die distinktionsorientierte Big-Wave-Surfer weit entfernt von den Küsten auf ihren motorisierten, ca. 250 kg schweren Wasserfahrzeugen an Leinen in Wellen hineinmanövrieren, die zu groß und zu schnell sind, um sie mit eigener Kraft anzupaddeln. Diesen Wellenverstehern und mutigen Navigationskünstlern fällt die zusätzliche Aufgabe zu, die abgesetzten Surfer in einer blitzschnellen und riskanten Aktion nach einem Wipeout oder nach dem perfekten Abritt einer Welle auf einem angehängten Schlitten aus dem Wasser zu retten und in Sicherheit zu bringen. Ohne die Pullin- und Pull-out-Kompetenzen der Jetskifahrer könnten Big-Wave-Surfer ihre spektakulären Ritte auf bis zu 30m hohen Wellenbergen nicht durchführen und sich anschließend als Helden feiern lassen. Im Fußball als eine funktional differenzierte Sportart geben interne Gefährten die Vorlagen, die der Held verwandelt. Sie halten ihm auch den Rücken frei, damit er sein Finalisierungsgeschäft besorgen kann. Fritz Walter hatte Helmut Rahn, den »Boss«, an seiner Seite. Franz Beckenbauer konnte sich als Libero auf seinen Vorstopper »Katsche« Schwarzenbeck, den »Putzer des Kaisers«, verlassen. Günter Netzer fand in »Hacki« Wimmer eine wichtige Satellitenfigur. Jenseits des Mannschaftsgefüges unterstützen zahlreiche Helfer die Fußballspieler in ihren Siegesbemühungen. Zeugwarte achten auf saubere und sponsorengerechte Trikots, Schuhwarte auf bodenangepasste Fußbekleidung. In den höheren Ligen werden die Athleten bei längeren Trainings- und Wettkampfaufenthalten zusätzlich von Medizinern, Physiotherapeuten, Köchen, Sportpsychologen, Fahrern und Sicherheitsleuten begleitet. Im Stadion demonstrieren Fahnenträger bei den Bundesligaspielen während des Abspielens der Vereins- und Regionalhymnen symbolische Ortsverbundenheit durch das Schwenken ihrer Fahnen. Vorsänger sitzen während des Spiels mit dem Rücken zum Geschehen auf Absperrzäunen und orchestrieren von oben die Schmährufe und Schlachtgesänge des eigenen Fanblocks. Trommler und Paukenschläger unterlegen diese Hilfsbemühungen mit lauten Rhythmen und zeigen der eigenen Mannschaft, dass sie nicht allein in den Kampf gezogen ist. Fangruppen und »Groundhopper« begleiten die Mannschaft lautstark bei ihren Auswärtsspielen.7 Dem Gegner wird hierdurch signalisiert, 7 | »Groundhopper« sind die Sammler von Erlebnissen, die sich im und um den Fußball herum ergeben. Sie reisen durch die Welt, besuchen Fußballspiele und
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dass er es nicht nur mit den Spielern unten auf dem Spielfeld, sondern auch mit den Fans auf den Zuschauerrängen zu tun hat. Im American Football umringt und schützt ein auf Verteidigung und Blocken spezialisiertes Figurenset den Hauptakteur des Spiels, den Quarterback, beim Angriff und verschafft ihm so Zeit und Raum, präzise Pässe zu werfen und Handlungskorridore für seine Mitspieler zu öffnen. Erst mit Hilfe seiner protektiven Mitspieler, der »Offensive Linemen«, kann er der Feldherr sein, der seine Mannschaftskameraden im Auftrag des Trainers mit den unterschiedlichen Angriffs- und Verteidigungsstrategien in das sportliche Getümmel schickt. Ohne seine vor ihm stehenden fünf Mitstreiter, nämlich seine zwei Guards, seine beiden Tackles und seinen Centerspieler, wäre er nicht in der Lage, die Rolle des Spielmachers zu übernehmen und eine drohende Niederlage der eigenen Mannschaft in einer fulminanten Aufholjagd abzuwenden und in einen grandiosen Sieg zu verwandeln. So geschehen im Februar 2017, als der Quarterback Tom Brady im Super-Bowl-Finale gegen die Atlanta Falcons in der Nachspielzeit in einer spektakulären Weise die maßgeblichen Siegpässe für die New England Patriots warf und damit zum umjubelten »All-AmericanHero« wurde. Ein Jahr später brillierte der als Ersatzmann ins Endspiel gekommene Quarterback der Philadelphia Eagles, Nick Foles, mit überraschenden Pässen und Spielzügen und sicherte so seiner Mannschaft den erstmaligen Gewinn des Super-Bowl-Pokals. In der medialen Kommentierung seiner herausragenden Leistung und bei den anschließenden Jubelfeiern in Philadelphia wurde er explizit als »Held« bezeichnet und entsprechend euphorisch gefeiert. Auch er hätte seine Leistung nicht ohne seine fünf kräftigen, fußschnellen und spielintelligenten »Offensive Linemen« erbringen können. Angespornt werden die Footballspieler vor, während und nach dem Wettkampf durch Cheerleader und Pom-Pom-Girls, die in diesem Männlichkeitsszenario mit akrobatischen Übungen, einstudierten Choreografien sowie mit der physisch-sexuellen Attraktivität ihrer durchtrainierten Körper die Leistungen der eigenen Mannschaft zu verbessern sowie den Stadien jenseits ihres Herkunftsmilieus und berichten über ihre Erfahrungen in Blogs und eigenen Publikationen. Einige Groundhopping-Geschichten lassen sich nachlesen in Schaller (2017). Wie sehr das Groundhopping bereits durchorganisiert ist, zeigt Leisner (2016) in seinem Anschriftenverzeichnis des Weltfußballs mit einer Auflistung von Stadien, Ligen und Mannschaften.
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Zuschauerbeifall anzuheizen trachten. Inzwischen hat sich das Cheerleading zu einer eigenen Sportart entwickelt, die auch mit Männerbeteiligung betrieben wird − mit eigenen Wettkämpfen und Meisterschaften. Die Unterstützer emanzipierten sich dadurch von ihrer rein dekorativen Assistenzrolle und wechselten in eine eigenständige Leistungsdisziplin über, die inzwischen sogar als olympische Sportart anerkannt wurde. Als zeitweiliger Gefährte und Unterstützer rekordorientierter Athleten tauchte ab Ende der 1970er Jahre die Sozialfigur des sogenannten »Hasen« auf den Mittel- und Langstrecken der Leichtathletik auf. Um bei den großen nationalen und internationalen Sportfesten in Zürich, Oslo, Rom, Köln, Koblenz oder Berlin Zuschauermassen mit dem Versprechen auf spektakuläre Weltrekorde in die Stadien zu locken, engagierten die Veranstalter Läufer, die in Unterdistanzen (Beispiel: 400m und 800m) ausgezeichnete Leistungen erbracht hatten, für längere Strecken (Beispiel: 1.500m und 3.000m) aber aufgrund fehlender Ausdauerhärte minderqualifiziert waren. Der Weltrekord sollte durch dieses Arrangement nicht dem Zufall überlassen bleiben, sondern gezielt und geplant erreicht werden. »Hasen« dienen den Rekordaspiranten gegen eine entsprechende Antritts- und Erfolgsprämie als läuferische Zugmaschinen, als menschliche, zweckrationale Metronome. Sie haben die Aufgabe, vorab abgesprochene Runden- und Streckenzeiten genau einzuhalten und die Spitzenläufer bei ihrem Tempolauf mitzunehmen. Sie werden dadurch zu reflexionsentlastenden und motivationsstiftenden Helfern. Sie versetzen die Rekordwilligen und -fähigen in die Lage, selbst keine Zwischenzeiten festhalten und hochrechnen zu müssen. Sie verausgaben sich in der Regel mit dem Wissen, ihre Geschwindigkeit kurz vor dem Zieleinlauf reduzieren zu dürfen. Nach Erfüllung ihrer Mission wird von den »Hasen« sogar erwartet, dass sie vorzeitig aus dem Rennen aussteigen, um den Rekordläufern nicht im Wege zu sein oder gar die Show zu stehlen. Als Unterstützer der reinen Rekordorientierung verhindern sie strategisch-taktische Rennen, die im Spurt oder durch zermürbende Angriffe während des Laufs entschieden werden. »Hasen« gehören typischerweise nicht zu jenen Sportakteuren, deren Namen offiziell memoriert werden. Als am 27. August 1980 der britische Mittelstreckenläufer Steve Ovett beim Internationalen Abendsportfest im Oberwerth-Stadion von Koblenz vor 14.000 Zuschauern einen Weltrekordversuch über 1.500m unternahm, erfolgte im unmittelbaren Vorfeld die spontane Suche nach einem geeigneten Tempomacher. Ein englischer Leichtathlet übernahm
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diese Rolle, trudelte nach 970m aus und ermöglichte so Ovett einen neuen Weltrekord (3:31,36 Minuten) und einigen anderen Läufern nationale Rekorde und persönliche Bestzeiten.8 »Hasen« werden inzwischen auch von Stadtmarathon-Veranstaltern engagiert, um Läufern die hochdotierte Verbesserung von Welt- und Streckenrekorden gegen ein vorher ausgehandeltes Entgeld zu ermöglichen und mediale Aufmerksamkeit auf das jeweilige Sportevent zu richten. »5.000 Euro bekommt ein Spitzen-›Hase‹ auf die Hand, weitere 5.000, wenn er bis Kilometer dreißig durchhält, und für jede weitere Anstrengung gibt es 500 Euro Kilometergeld.« (Reinsch 2015: 36) Eine Rollenumkehr zwischen dem »Jäger« und dem »Hasen« ist nicht vorgesehen, kann im Eifer des Laufens und mit Blick auf die ausgelobte Siegprämie aber passieren. So erstmals geschehen im Jahre 2001 beim Chicago Marathon, als der kenianische Läufer Ben Kimondiu als designierter »Hase« das Rennen vor Paul Tergat gewann. Eine vergleichbare Situation entstand 2003 beim Berlin Marathon: Sammy Korir, ein kenianischer Läufer, übernahm die Rolle des Tempomachers für seinen Landsmann und Trainingspartner Paul Tergat. Entgegen der Absprache stieg Korir nicht vorzeitig aus dem Rennen aus, sondern versuchte selbst in einem spontanen Entschluss, das Rennen zu gewinnen. Er überquerte die Ziellinie lediglich mit einer Sekunde Rückstand hinter Tergat, der den bestehenden Weltrekord um 43 Sekunden verbesserte. Der »Hase« wurde mit 2:04:56 Std der zweitschnellste Läufer auf der Marathonstrecke (Steffens/Wirz 2012: 144ff.). Ein professioneller Einsatz der Tempomacher als Assistenzfigur der Hauptläufer konnte erst erfolgen, nachdem beim XI. Olympischen Kongress 1981 in Baden-Baden der Amateurparagraf in den olympischen Disziplinen offiziell abgeschafft worden war und die Kommerzialisierung der Leichtathletik ihren Take-off erlebte. Tempomacher dürfen seitdem für Einladungswettkämpfe engagiert werden. Bei leichtathletischen Meisterschaften ist ihr Einsatz offiziell verboten, weil Startplätze begrenzt sind und Wettbewerbsverzerrungen zugunsten einzelner Läufer verhindert werden sollen. Eine weitere zweckrationale Verwendung findet die Sozialfigur des Tempomachers, wenn nationale Leichtathleten im Rahmen gezielt durchgeführter Veranstaltungen schwierig zu erreichende Qualifikationszeiten für internationale Meisterschaften unter optimalen Bedin8 | Siehe Hartmann (1980/81: 27ff.). Den Hinweis auf die Koblenzer Veranstaltung verdanke ich Birgit Friedmann-Bette.
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gungen zu erfüllen versuchen, ohne durch zeit- und energieabsorbierende Strategien und Taktiken der Konkurrenz gestört zu werden. In Folge der Demokratisierung des urbanen Langlaufs werden Tempomacher auch bei den großen Marathons für die Läufer im Mittelfeld sowie im Training eingesetzt (ebd.: 148). Männer dürfen sich inzwischen auch als »Hasen« in Frauenwettbewerben betätigen. Im Radrennsport zählen die sogenannten »Wasserträger« bei den großen Rundfahrten, die alljährlich in Frankreich, Spanien, Italien und Belgien stattfinden, zur Kategorie der Unterstützer und heldenumkreisenden Satellitenfiguren. Als »Domestiken« oder »Knechte« leisten sie die Kärrnerarbeit in den Teams. Sie tragen Wasserflaschen mit Elektrolyten zu den Spitzenfahrern, blocken Ausreißversuche der Gegner ab, helfen dabei, Fluchtgruppen einzuholen, attackieren die Konkurrenten, um deren Energieressourcen zu verschleißen, schonen die Kräfte ihrer Stars durch eine aufopfernde Führungsarbeit und ermöglichen den Spitzenfahrern des Teams in ihrem Windschatten die zeitweilige Existenz als »Reifenlutscher«. Bevor der Massensprint im Zielbereich beginnt, sind sie für eine effektive Sprintvorbereitung unverzichtbar. Im Falle einer kollabierenden Radtechnik gehört es zu ihren Aufgaben, den Spitzenfahrern ihre Rennmaschinen selbstlos zur Verfügung zu stellen, um einen Vorsprung zu halten oder einen allzu großen Rückstand gegenüber den Konkurrenten zu verhindern. Der belgische Radprofi Eddy Merckx, der während seiner Sportkarriere als »Kannibale« kompromisslos seinen Siegeswillen auf allen Etappen durchsetzte und keine Siege generös an Teamkollegen oder Gegner verschenkte, konnte sich während der 1960er und 1970er Jahre auf seinen »Meisterknecht« Jos Deschoenmaecker verlassen. Jan Ullrich hatte mit Udo Bölts und Rolf Aldag zwei erfahrene Profis an seiner Seite. Lance Armstrong wurde bei seinen zahlreichen Toursiegen von den beiden »Edeldomestiken« George Hincapie und José Luis Rubiera unterstützt. Treue Helfer und Gefährten wie die »Wasserträger« können im Peloton höchstens zu »stillen Helden« avancieren, da sie sich in den entscheidenden Augenblicken des Rennens in Folge einer Stallorder des Teamleiters zum Verschwinden bringen müssen und auf eine eigene Leistungsindividualisierung an der Spitze des Pelotons zum Wohle von Team, Spitzenfahrer oder Sprinter zu verzichten haben. Vergleichbare Situationen, in denen Gefährten und Helfer sich in ih ren eigenen Kompetenz- und Sichtbarkeitsansprüchen zurückzunehmen
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haben, um das Heroische ihrer Auftraggeber und Prinzipale zum Glänzen zu bringen, lassen sich nicht nur bei den großen Rundfahrten im Radsport finden, sondern prägen auch das Erscheinungsbild im Höhenbergsteigen. Das Heldentum, das bei der Bewältigung der höchsten oder am schwierigsten zu besteigenden Berge meist nur den Erstbezwingern zugestanden wird, kommt nicht ohne Inszenierung und Personalisierung aus. Heldentaten werden hier durchaus künstlich als das ausschließliche Handlungsergebnis einzelner Personen ausgeflaggt. Die soziale Organisation der Heldentat wird hingegen der Beobachtung und öffentlichen Würdigung entzogen. Die unmittelbaren personellen und logistischen Hilfestellungen werden aus den Heldennarrationen getilgt. Spuren der Hilfe und der Fremdfinanzierung tauchen höchstens als Werbelogos auf den Körpern und Ausrüstungsgegenständen der Abenteuerhelden auf. Die vielen Helfer hingegen, die im Höhenbergsteigen die Selbstermächtigungstat der Extremen in dünner Höhenluft und Eiseskälte erst ermöglichen, die als Packesel die Ausrüstung und den Proviant tragen, die Haken einschlagen, die Fixseile befestigen, die Sauerstoffdepots anlegen, die Basislager errichten und absichern, die Helikopter fliegen und die Hilfe für ein potentielles Misslingen organisieren, tauchen in der öffentlichen Würdigung des Gipfelerfolgs nicht auf. Zum 50. Jubiläum der Erstbesteigung des Mount Everest schrieb Ruth Hoffmann (GEO, April 2003: 54) über die Sherpa, das »Volk der Wegbereiter«: »Den Ruhm haben stets die angereisten Bergsteiger geerntet – so auch 1978, beim ersten Aufstieg ohne zusätzlichen Sauerstoff. Damals schleppten Sherpa Ausrüstung auf über 8.000 Meter Höhe. Ihre Namen sind unbekannt geblieben, die von Messner und Habeler wurden Legenden.« Nur wenn sich die Helfer und Gefährten der Extremen bei der Eroberung der Vertikale gegen den kommunikativen Tod wehren und nicht darauf verzichten, strategisch stehenzubleiben, um die Berghelden aus den entwickelten Industriegesellschaften im entscheidenden Moment vorbeiziehen zu lassen, sondern selbst mitgehen, um am Pioniergewinn teilzuhaben, werden sie in der kommunikativen Nachbeschau der Abenteuer- und Extremtat memoriert und als Helden gewürdigt – so geschehen am 29. Mai 1953, als dem Sherpa Tensing Norgay zusammen mit dem Neuseeländer Edmund Hillary die Erstbesteigung des Mount Everest gelang. Aus dem »stillen Helden« war ein weltbekannter Höhenbergsteiger geworden. In der öffentlichen, ethnozentrisch geprägten Wahrnehmung blieb Norgay allerdings immer nur der Gefährte seines Begleiters.
5 Krisenbewältigung und Noterzeugung
Heldentum, das kollektive Werte und Gemeinschaftlichkeit vergegenwärtigt, gibt es nur als öffentliche Tat, die einer Gefahr oder Krise erfolgreich begegnet. So sind es auch tatsächliche oder antizipierte Not- und Krisensituationen, die Menschen im Sport zu Helden machen. Hier zeigt sich eine enge Verbindung zu jenen Personen, denen im öffentlichen Diskurs der Status eines Alltagshelden zugesprochen wird. In diese Sozialkategorie fallen Menschen, die ihr Leben in einer U-Bahnstation riskieren, um Gestürzte vor einem heranrasenden Zug zu retten, oder die ihr Leben als Lehrer oder Professoren an Schulen und Universitäten bei einem Amoklauf opfern, um den eigenen Studenten den Sprung aus dem Fenster zu ermöglichen. Auch Flugkapitäne, die ihre Maschinen nach einem Triebwerksausfall sicher auf dem Wasser landen und so das Leben ihrer Passagiere retten, werden gemeinhin als Helden bezeichnet. Nach dem Anschlag auf das Worldtrade-Center erhielten die toten und überlebenden Feuerwehrleute und Polizisten einen öffentlich ausgesprochenen und später in Erinnerungsplaketten namentlich festgehaltenen Heldenstatus, weil sie ihr Leben und ihre Gesundheit in die Waagschale geworfen hatten, um Menschen aus den zusammenstürzenden Gebäuden zu retten. Eine mediale und politische Heldenattribution bekam auch der Ticketkontrolleur, der bei einem Fußball-Freundschaftsspiel Terroristen daran gehindert hatte, das Stadion zu betreten und Bomben medienwirksam auf den Zuschauerrängen zu zünden. Ein Polizist wurde vom französischen Präsidenten in einem Staatsakt posthum als »Held der Nation« bezeichnet und dekoriert, weil dieser sich bei einem Attentat in einem Supermarkt freiwillig gegen eine Geisel austauschen ließ und diese generöse Tat mit seinem Leben bezahlte. In der Affäre um die National Security Agency (NSA) wurde einem US-amerikanischen Whistleblower von den Gegnern staatlicher Abhörpraktiken eine Heldenrolle zugesprochen, weil er durch
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seinen spektakulären Datenraub auf politischen Machtmissbrauch und die ausufernde Eigendynamik einer staatlichen Kontrollorganisation aufmerksam gemacht hatte. Im Sport war es ein russisches Ehepaar, das mit Hilfe eines investigativ arbeitenden deutschen Journalisten in einer Fernsehdokumentation auf staatlich angeleitete und unterstützte Dopingpraktiken im eigenen Land hingewiesen hatte. Hierdurch wurde eine Ereignislawine ausgelöst, die zu dem Teilnahmeverbot zahlreicher russischer Athleten bei den Weltereignissen des Sports und anderen internationalen Wettkämpfen führte. All diese Beispiele zeigen, dass Krisen und Notsituationen Differenzen zwischen denjenigen sichtbar machen, die couragiert Hilfe leisten oder auf Missstände hinweisen und sich dabei in ihrer sozialen, psychischen und physisch-organischen Existenz aufs Spiel setzen, und jenen, die wegsehen und ein helfendes Handeln in Abwägung von Eigenrisiko und Fremdnutzen bewusst unterlassen oder angesichts von Gefahren gar in eine katatonische Handlungsstarre verfallen. Notsituationen helfen demnach dabei, Helden zu erzeugen und sichtbar zu machen. Krisen machen nicht nur Entscheidungen und Wendungen in bedenklichen Situationen notwendig, wie der ursprüngliche griechische Begriff der »krisis« besagt; sie eröffnen Personen auch die Möglichkeit, unerwartete Verdienste zu erwerben und bestehende Handlungs- und Hilfsnormen supererogatorisch überzuerfüllen. Krisen können von den beteiligten Personen zudem genutzt werden, um ein altes Ich abzuwerfen und eine neue Identität zu erarbeiten. Not- und Krisensituationen haben im Wettkampfsport allerdings eine völlig andere Qualität und Bedeutung als in einem durch Naturkatastrophen, Terroranschläge, Unglücksfälle, Übermilitarisierung, Machtmissbrauch oder wohlfahrtsstaatliche Defizite tangierten Alltagsleben. Der Krisenbegriff bezeichnet im Kontext der sportbezogenen Heldendiskussion keine unerwünschte Störung, Bestandsgefährdung oder Dysfunktionalität, die es zu eliminieren gilt. Es geht auch nicht um die vielfach diskutierten Krisen des Sports, die durch das subversive und illegitime Sabotieren des sportlichen Siegescodes entstanden sind und der Integrität des Sports in Gestalt von Korruption, Wettbetrug oder Doping in den letzten Jahrzehnten massiven Schaden zufügt haben. Krisen im Wettkampfsport sind auf der basalen Ebene nicht das Ergebnis existentieller Nöte; sie werden vielmehr durch hierauf spezialisierte Organisationen künstlich hergestellt, um Athleten Bewährungsfelder für Leistungsindividualisierung und Selbstheroisierung anzubieten und Stellvertreter- und
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Amüsementbedürfnisse des Publikums zu befriedigen. Krisen sind insofern geplant, gewollt und dienen der Bestandserhaltung des Sports. Sie entstehen durch die bewusste Polarisierung der Athleten und die Umsetzung sportartspezifischer Regelwerke im Rahmen seriell erzeugter sozialer Situationen – ganz im Gegensatz zu dem nicht-seriellen Ereigniskontext, in dem die Helden des Alltags ihre Hilfs- und Rettungsmaßnahmen spontan, ungeplant und meist auch unvorbereitet erbringen.1 Durch Krisen erhält der Wettkampfsport Dramaqualitäten. Not und Krise sind im Sport demnach nicht etwas, was es um jeden Preis zu vermeiden gilt. Ganz im Gegenteil geht es im sportlichen Wettstreit immer auch darum, Notsituationen und kritische Ereignisse für die jeweils andere Seite bewusst herbeizuführen. Die Athleten und Athletinnen werden infolgedessen in ihren Rollenprofilen zweifach gefordert. Sie sollen einerseits die durch Gegnerkompetenz oder äußere Umstände erzeugten Krisen in einem Wettkampf abwenden und andererseits Not beim Gegner gezielt hervorrufen, um den sportlichen Sieg für sich zu verbuchen. Es gilt die Handlungspläne der Konkurrenz geschickt zu durchkreuzen und durch eigene Handlungspläne zu ersetzen. Sportler werden damit gleichzeitig zu Sozialfiguren der Krisenbewältigung und Noterzeugung. Allerdings zielt die Not, die man anderen im Sport durch strategische Maßnahmen und eigenes Können bereitet, nicht darauf ab, Menschenleben zu nehmen oder bewusst Schädigungen und Verletzungen herbeizuführen; sie ist eher eine Not, die erzeugt wird, um die eigenen Siegeschancen zu erhöhen und die der Konkurrenz zu minimieren. Der Sieg ist für den Gewinner ein Happy End, in der eine Krise einer positiven Lösung zugeführt wurde. Für den Verlierer ist er das sichtbare Ergebnis eines misslungenen Krisenbewältigungs- und Noterzeugungsversuchs. Hierfür erste Beispiele: Ein Sprinter, der eine Ziellinie zuerst durchläuft, stempelt die Konkurrenz unhintergehbar in der Öffentlichkeit als Verlierer ab. Ein Fußballer, der einem Gegner den Ball abjagt, mindert die Torchancen der Konkurrenzmannschaft. Das Ziel eines Ballwechsels im Tennis besteht darin, den gegnerischen Spieler so an- oder auszuspielen, 1 | Die Unkalkulierbarkeit und Nicht-Serialität der Alltagsheroik hat immer wieder individuelle Akteure dazu verleitet, Notsituationen selbst gezielt herbeizuführen, um sich anschließend als Ersthelfer und Retterhelden in Szene zu setzen. Nicht wenige Feuerwehrleute haben die Brände, die sie gelöscht haben, vorher selbst heimlich gelegt.
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dass dieser entweder überhaupt nicht oder nur fehlerhaft retournieren kann. Der erfolgreich durchgeführte Fußfeger im Judo hat die Funktion, den Gegner bewusst zu destabilisieren, um ihn anschließend aufs Kreuz zu legen und am Boden zu fixieren. Und der Aufwärtshaken zur Kinnspitze eines Boxers wird nicht durchgeführt, um eine gesellige Konversation zu beginnen, sondern um einen Wirkungstreffer beim Gegner zu landen. Das Sportpublikum hat in dieser Dyade das Privileg, die Athleten als dritte Partei dabei zu beobachten, wie sie mit den erwartbaren sportartspezifischen Schwierigkeiten sowie mit den Krisenbewältigungs- und Noterzeugungsstrategien der jeweils anderen Seite umgehen und diese durch geeignete Gegenmaßnahmen kontern. Die Zuschauer können hierbei neben dem Spannungserleben zusätzliche Erlebnisressourcen erschließen: In der Beobachtung der Krisenbewältigung und Noterzeugung der Sportler werden sie in die Lage versetzt, die eigenen Daseinsnöte kurzfristig auszublenden und einen Zustand der Selbst- und Seinsvergessenheit zu erreichen. Im Eifer des sportlichen Gefechts zählt in der Tat nur der Augenblick des Geschehens, und nicht die Problemsituation, die man als Zuschauer außerhalb des Stadions vielleicht selbst zu bewältigen hat. Dem Sportpublikum wird in diesem Zusammenhang auch die Möglichkeit eröffnet, sich selbst jenseits der im Alltag erwarteten affektiven Gefühlskontrolle in der eigenen Emotionalität und Körperlichkeit zu erleben. Dramafähige Krisen, die handlungskräftige Einzel- oder Kollektiventscheidungen erfordern und Metamorphosen auf der Ebene individueller Akteure öffentlich sichtbar und erwartbar machen, erzeugt der Leistungssport strukturell am laufenden Band in allen Dimensionen des menschlichen Erlebens und Handelns. In räumlicher Hinsicht sind es die vereisten Pisten im Skirennsport, die zahlreichen Hindernisse, die man Vielseitigkeitsreitern oder leichtathletischen Hürdenläufern in den Weg stellt, oder die »Schikanen« im Motorsport, die Veranstalter in die Fahrstrecken einbauen, um den Wettkampf für die Zuschauer interessant zu machen und für die Rennfahrer zu erschweren. Für den jährlich stattfindenden Grand Prix der Formel 1 in Monaco steuerte Nelson Piquet, ein ehemaliger brasilianischer Rennfahrer, den vielzitierten Vergleich bei, dass das Fahren von Formel-1-Boliden in Monaco angesichts der engen Straßen, der stäh-
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lernen Leitplanken, der fehlenden Auslauf- und Auffangzonen und des Straßentunnels wie »Hubschrauberfliegen im Wohnzimmer« sei.2 Folgt man der Denkfigur vom sportlichen Wettkampf als einer bewusst hergestellten Krisen- und Notsituation, erscheinen die großen Rundfahrten im Radsport wie die Tour de France, die spanische Vuelta oder der Giro d’Italia als Events, die darauf abzielen, Menschen künstlich in ein bewährungsgeeignetes und heldenermöglichendes Raumregime hineinzuversetzen. Wie der französische Semiologe Roland Barthes (1957: 110ff.) in seinen »Mythen des Alltags« mit Blick auf die »große Schleife«, die Tour de France, feststellte, werden Radsportler dadurch helden- und epenfähig, dass man sie in Situationen hineinbringt, in denen sie sich über mehrere Wochen nicht nur mit den Konkurrenten, sondern auch mit der »grausamen« Natur auseinanderzusetzen haben. Diese zeigt sich den Sportlern in Form von Hitze, Kälte, Müdigkeit und Ermattung oder tritt ihnen in Gestalt steiler Berge, gefährlicher Abfahrten, großer Raumdistanzen und rutschiger Kurven entgegen. Mit Verweis auf die in der Natur lauernden Widrigkeiten und Eigendynamiken wird der Mythos des menschlichen Kampfes gegen Kälte, Hitze, Berge, steile Aufstiege und rasante Abfahrten in den Räumen des Sports theatralisch immer wieder neu erzählt. Ermüdung, Schweiß, Dreck und völlige Verausgabung sind vormoderne Körperzustände, denen ausdauerorientierte Sportarten wieder Sinn zusprechen.3 Körperenergie bei der Durchquerung der Sporträume soll nicht eingespart, sondern demonstrativ vergeudet werden. Ein weiteres Beispiel aus der Welt des Radsports zeigt, wie sehr der organisierte Sport den in Anspruch genommenen realen Raum mit den dort vorfindbaren Herausforderungen und Erschwernissen nutzt und füllt, um den Athleten künstliche Schwierigkeiten zu bereiten, die diese ohne den Sport nicht zu bewältigen hätten, und wie sehr die auf die Erzeugung dramatischer Ereignisse spezialisierte Unterhaltungs- und Freizeitindustrie hiervon profitiert. Die »Königin der Radklassiker«, das Eintagesrennen von Paris nach Roubaix, verleiht denjenigen, die die 257,5 Kilometerstrecke siegreich beenden, eine lebenslange Reputation, weil die Fahrer im Verlauf des Rennens 52,5 Kilometer auf alten, grob gepflasterten und schwer zu befahrenden Feldwegen zu überwinden haben. Mensch und 2 | Zum Grandprix und zur Streckenführung in Monaco siehe Theil (1998: 168ff.). 3 | Vgl. die Reportagen von Londres (2011 [1924]) über das Leiden der frühen Tour-de-France-Fahrer.
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Material werden auf dem vormodernen Kopfsteinpflaster unbarmherzig durchgeschüttelt und durchgerüttelt. Nicht wenige Profis empfinden deshalb eine »Hassliebe zur Schinderei in der Hölle des Nordens«4. Der durchfahrene Sportraum erhält durch die auf der Strecke lauernden Erschwernisse den Status einer »via dolorosa«, einer mythisch aufgeladenen Qual- und Leidensstrecke. Während Technisierung und Motorisierung der Personenbeförderung zu einer Entkopplung von Körper, Raum und Fortbewegung (Bette 2004: 98) führten und eine geschwindigkeitsfähige Asphaltierung der Straßen zur Folge hatten, und die Evolution der modernen Kommunikationsmittel eine Entkopplung von Mensch, Raum und Kommunikation hervorrief, kommt es im sportlich genutzten Raum zu einer körperbasierten Revitalisierung der ansonsten bedeutungslos gewordenen Zwischenräume. Diese werden durch die sporttypischen Herausforderungen ihrer ursprünglichen Nutzungsfunktion enthoben, alternativ genutzt und künstlich re-auratisiert. In ihnen darf das sportive Subjekt Handlungskraft, Risikobereitschaft und Verausgabungsfähigkeit zeigen. Indem man die Namen der Leidensorte nennt und die Geschichten ihrer menschlichen Bewältigung mit Hilfe der Medien erzählt, erhalten die durchquerten Landschaften und Räume den Status liminaler, quasi-heiliger Räume, die der Sport gezielt für die Inszenierung heroischer Bewährungen in postheroischen Zeiten in Anspruch nimmt. Ähnliches gilt für die automobilen Langstrecken-Rallyes, die Ultra-Langläufe, den »Marathon des Sables« in der marokkanischen Wüste oder die weltumspannenden, mehrmonatigen Segelrennen. In der »Vendée Globe« oder dem »Ocean Race« ist es die unbarmherzige, ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten folgende Natur in Gestalt des Meeres und der dort lauernden Gefahren, die Sportler zu Helden macht oder auch zum finalen Scheitern bringt. Mit Hilfe miniaturisierter Kameras und Satellitenverbindungen können Zuschauer den Kampf der Segler mit Wellen, Eisbergen, Walen, Treibgut, Orkanstürmen, Fischerbooten, gebrochenen Masten und versagender Technik zeitgleich miterleben. Zusätzliche Informationen werden ihnen durch Onboard-Reporter mitgeteilt, die mit Interviewbefugnis die hartarbeitende Crew zum Sprechen bringen. Während der Bedarf der 4 | So ein Sportjournalist in der FAZ (11.4.2016: 32). Die Höllenrede bezieht sich auf die durchfahrenen Räume Nordfrankreichs, die im Ersten Weltkrieg als Schlachtfelder eine notorische Berühmtheit erlangten.
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Gesellschaftsmitglieder, Risiken einzugehen und körperliche Energie bei der Raumdurchquerung zu verschwenden, durch gesellschaftliche Modernisierungsprozesse nachhaltig reduziert wurde, feiern künstliche Verausgabungs-, Leidens- sowie Krisenbewältigungs- und Noterzeugungsexzesse in den Räumen des Sports eine bemerkenswerte Wiederkehr. In sozialer Hinsicht entstehen Krisen im Sport in erwartbarer und erwünschter Weise durch die Konkurrenz der Wettbewerber untereinander. Individuelle und kollektive Handlungen werden im Auf und Ab des Geschehens systematisch unter Entscheidungszwang gestellt. Der rahmengebende Siegescode des Sports überführt eine graduelle sachliche Leistungsdifferenz in eine soziale Polarisierung und etabliert eine scharfe Verknappung des sportlich positiv Bewerteten (Bette/Schimank 1995a: 29ff.). Eine Polarität wird vor den Augen eines zuschauenden Publikums in einem Showdown-Event zur Entscheidung gebracht. Sieger können immer nur wenige sein, auch wenn man die Möglichkeit von Zweit- und Drittplatzierungen sowie verschiedene Stufen von Wettkämpfen in Rechnung stellt. Der eine kann nur das gewinnen, was der andere verloren hat. Wer vorne liegt oder im Wettstreit zurückbleibt, seinen Vorteil erhalten will oder sich der drohenden Niederlage entgegenstemmt, steckt in einer sozialen Situation, die sportives Heldentum potentiell hervorbringen kann. Die Geschichten über jahrelange Rivalitäten zwischen Konkurrenten und entsprechende Krisenbewältigungs- und Noterzeugungsmaßnahmen sind das Salz in der Suppe heroischer Narrationen. Im Boxen waren es Jack Demsey und Gene Tunney, Joe Louis und Max Schmeling, Sugar Ray Robinson und Jake LaMotta, Joe Frazier und Muhammad Ali, Mike Tyson und Evander Holyfield oder Henry Maske und Graciano Rocchigiani, die das Sportpublikum über Jahre faszinierten. Im Tennis rissen Björn Borg und John McEnroe, Michael Stich und Boris Becker, Rafael Nadal und Roger Federer die Zuschauer zu den Hochzeiten ihrer Schaffenskraft von den Sitzen. In der Formel 1 beeindruckten Jim Clark und Graham Hill, Jochen Rindt und Jackie Stewart, Nicki Lauda und James Hunt, Alain Prost und Ayrton Senna, Lewis Hamilton und Sebastian Vettel ihr Publikum. Der Radrennsport wurde durch die legendären Duelle zwischen Fausto Coppi und Gino Bartali, Greg LeMond und Laurent Fignon oder Jan Ullrich und Lance Armstrong geprägt. In der internationalen Leichtathletik haben die Läufe von Kip Keino und Jim Ryan bei den Olympischen Spielen 1968, zwischen Sebastian Coe und Steve Ovett 1980
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in Moskau und von Mary Slaney und Zola Budd vier Jahre später in Los Angeles einen Legendenstatus erreicht. Der 100m-Endlauf 1988 bei den Olympischen Spielen in Seoul wurde durch die Rivalität zwischen Ben Johnson und Carl Lewis zu einem globalen Medienereignis. In den Spielsportarten sind es nicht nur die Mitglieder gegnerischer Mannschaften, die einem Sportler im Wettkampf mit Siegesambitionen entgegentreten, sondern auch die eigenen Teammitglieder, die einem Athleten in Gestalt eines Overcrowding-Effekts den Platz in der Mannschaftsaufstellung streitig machen und damit zu einem biografischen Risiko werden. Die Konkurrenz der beiden Nationaltorhüter Oliver Kahn und Jens Lehmann bei der FIFA-WM 2006 war wochenlang Thema in den deutschen Massenmedien. Trainer nutzen und schüren die Rivalität um knappe Mannschaftsplätze systematisch, um Athletenleistungen zu steigern. Der sportliche Wettkampf zeigt sich dadurch als ein künstlich hergestellter sozialer Konflikt, der durch seine antagonistische Grundstruktur den Charakter einer interindividuellen Bewährungsprobe besitzt. Die Gefahren, die in der Konkurrenz lauern, sind allerdings, bei aller wettkampfinternen Kontingenz, kalkulierbar, da Regeln das Geschehen strukturieren. Das soziale Gegeneinander ist immer auch ein Mitein ander, das sich bei einem Turnier über Wochen oder im Rahmen einer Ligasaison über Monate hinziehen kann.5 Die basalen Grundprinzipien des sportlichen Wettkampfes, die formale Gleichheit und die Ergebnisoffenheit der Konkurrenz, besitzen in sozialer Hinsicht noch ein weiteres Krisenpotential, das heroische Entfaltungschancen eröffnet: Jeder Wettkampf beginnt immer wieder neu. Athleten können sich deshalb nicht auf ihren einmal erworbenen Lorbeeren ausruhen, sondern haben sich permanent zu bewähren. Ein einmal erworbener Rang kann im Spitzensport nicht auf Dauer gestellt werden, sondern muss immer wieder neu verteidigt werden. Aus dieser Konstellation ergibt sich der Reiz sportlicher Wettkämpfe: dass diejenigen, die gestern gewonnen haben, sich heute und morgen wieder beweisen müssen. Der Wettkampfsport ist insofern indifferent gegenüber früher erbrachten Leistungen und hierauf beruhenden Statusansprüchen. Ein Fußballer, der das entscheidende Tor bei einer Weltmeisterschaft erzielte und von den Mitgliedern seiner Herkunftsnation entsprechend euphorisch als 5 | Vgl. hierzu die frühen Aussagen von Georg Simmel (1903) zum Verhältnis von Assoziation und Konkurrenz.
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Held bezeichnet und gefeiert wurde, kann sich, wenn seine Leistungen nicht mehr stimmen, in der Folgezeit schnell auf der Ersatzbank wiederfinden und hämische Kommentare auf sich ziehen. Verschärft wird die Krisen- und Bewährungssituation in sozialer Hinsicht dadurch, dass der Leistungssport mit Heraufkunft neuer Transportund Medientechnologien und infolge der Etablierung supranationaler Sportorganisationen Teil der Weltgesellschaft geworden ist. Was die Sportbewegung mit der Umsetzung ihres globalen Inklusionsversprechens als Erfolg feiert, erscheint im subjektiven Erleben des einzelnen Sportlers als potentielle Bedrohung eigener Karriereambitionen und Copingmöglichkeiten. Überall dort, wo Athleten aus vielen Ländern gegeneinander antreten und schärfste Konkurrenzbedingungen vorherrschen, wird der eine für den anderen zu einem Krisenerzeuger und Krisenverstärker. Je mehr also der Leistungssport die Qualität eines Teilsystems der Weltgesellschaft erreicht und je höher die soziale Dichte in einer Disziplin deshalb ausfällt, desto wahrscheinlicher wird es für den einzelnen Athleten, dass er in den durch Globalisierung verschärften künstlichen Wettbewerbssituationen des Sports scheitern wird. Trainingsmaßnahmen haben vor diesem Hintergrund nicht nur das Ziel, eigene Kompetenzen zu erhöhen, sondern die Krise eines möglichen und wahrscheinlichen Versagens im globalen Wettstreit abzuwenden. Krisensituationen entstehen im Sport in sozialer Hinsicht weiterhin durch die Existenz hierarchisch gestaffelter Leistungsklassen und Ligen, die Sportverbände eingerichtet haben, um den Wettkampfausgang offenzuhalten und allzu große Ungleichheiten zwischen den Athleten aufgrund von Leistungsfähigkeit, Geschlecht, Alter oder Gewicht zu reduzieren. Spannung als Erlebniskorrelat des Sieg/Niederlage-Codes entsteht schließlich nur, wenn Akteure in formal symmetrischen Situationen mit annähernd gleichen Voraussetzungen und Kompetenzen aufeinandertreffen und sich miteinander messen. Wer sich unter diesen Bedingungen mit Erfolg redlich bemüht hat, soll aus unteren Klassen aufsteigen können. Und wer leistungsmäßig nicht mithalten konnte, hat das Feld, sprich die Liga, zu verlassen und darf in der nächsten Saison einen Wiederaufstieg versuchen. Der Sport ist durch die bewusste Möglichkeit des Auf- und Abstiegs zu einer meritokratischen Enklave geworden, in der Helden und Heldenkollektive in erwartbarer Weise sowohl »geboren« als auch degradiert oder »getötet« werden können. Die Auf- und Abstiegskämpfe, die in den diversen Sportligen für spannende Fluktuationen von
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oben nach unten – und umgekehrt – sorgen, lassen immer wieder Krisensituationen und korrespondierende Bewältigungshandlungen entstehen. Einen Heldenstatus können dann jene Spieler erreichen, die den Abstieg in eine untere Liga durch eine aufopfernde Tat vermeiden helfen oder den Aufstieg in eine begehrte Liga durch entsprechende Wettkampferfolge ermöglichen. Beispiele für heroische Attributionen im Kontext von Auf- und Abstiegskämpfen gibt es alljährlich zuhauf. Als Alexander Frei, ein Fußballspieler im Sold von Borussia Dortmund, im viertletzten Bundesligaspiel der Saison 2006/ 2007 vor 81.000 Zuschauern mit zwei fulminanten Freistoßtoren gegen Eintracht Frankfurt erfolgreich war und damit der eigenen Mannschaft Luft im Abstiegskampf verschaffte, bezeichnete eine überregionale Zeitung ihn anschließend als »König von Dortmund« und als »Held des Dortmunder Dramas« (FAZ vom 30.4.2007). Der Begriff des »Aufstiegshelden« ist inzwischen sogar zu einem medialen Standardnarrativ geworden, um jene Spieler und Mannschaften zu bezeichnen, die sich aus einer unteren in eine obere Liga vorkämpfen konnten. So meldete die Zeitschrift »Der Westen« (21.5.2017): »Große Party auf dem Duisburger Rathausplatz: Tausende Fans feiern ihre Aufstiegshelden.« Als der VfB Stuttgart und Hannover 96 in der Saison 2016/17 die Rückkehr in die 1. Bundesliga schafften, wurden auch sie explizit als »Aufstiegshelden« gefeiert. Komplementär hierzu wären diejenigen Sportler, die ihren Mannschaften den Abstieg in eine ungeliebte untere Liga durch ihr Engagement ersparen, als »Abstiegsvermeidungshelden« oder »Ligaerhaltungshelden« zu würdigen. In Sportspielmannschaften als funktional differenzierte Gruppen entstehen Krisen in sozialer Hinsicht auch durch die mangelnde Kooperation der Spieler untereinander. Spielsysteme und taktische Varianten scheitern schließlich nicht nur an der überlegenen Kompetenz der Gegner, sondern auch an der Inkompetenz der eigenen Mitspieler, die Krisenerzeugungsstrategien der Gegner angemessen zu kontern und eigene Gegenmaßnahmen zielgerecht einzusetzen. Des Öfteren machen auch Fehlurteile von Schieds- und Kampfrichtern Krisen- und Notbekämpfungsmaßnahmen erforderlich. Wer das Heft des Handelns unter diesen Bedingungen in die Hand nimmt, die Koordinationsdefizite der Mitspieler, die Fehlentscheidungen von Kampf- und Schiedsrichtern oder auch die lärmend-gehässigen Störversuche des gegnerischen Publikums durch überlegene Führungskompetenz und beherztes Handeln ausgleicht und
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Coolness beweist, kann schnell einen situativen oder sogar dauerhaften Heldenstatus erlangen. In sachlicher Hinsicht sind Krisen im Sport strukturell erwartbar, weil Sportdisziplinen künstliche Limitierungen körperlicher Bewegungsabläufe und den Umgang mit Technikartefakten und Geräten vorsehen. Im Handball darf der Ball nicht mit den Füßen, sondern nur mit den Händen gespielt werden. Im Fußball gibt es hingegen ein Berührungstabu für die Hände, also für diejenigen Extremitäten, die einen Ball präziser umfassen, werfen und zuspielen könnten.6 Nur der Torwart hat das Privileg, den Ball in einem abgegrenzten Raum mit den Händen berühren und greifen zu dürfen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Ball nicht ankommt, steigt, wenn er nur mit den Füßen gespielt werden darf. Spieler, die den immanenten Kontingenz- und Krisengehalt eines Balles zu kontrollieren und zu beherrschen vermögen, den Ball also handeln und nicht von ihm gehandelt werden, reduzieren die Möglichkeit des Scheiterns und haben deshalb ein großes Heldenpotential. Auch der fünf Meter lange und unterschiedlich breite Schwebebalken im Frauenturnen, auf dem im Wettkampf turnerische, akrobatische und tänzerisch-gymnastische Elemente in Höchstpräzision vorzuführen sind, ist keine materiale Erfindung, die das Leben von Mädchen oder heranwachsenden Frauen erleichtern soll. Reck, Seitpferd und Barren sind ebenfalls Geräte, die für athletische Bewährungs- und Bewältigungsproben entwickelt wurden. Wer gefährliche Abstürze oder schmerzhafte Kollisionen mit den Geräten vermeiden möchte, hat in jahrelangen Trainingsprozessen entsprechende Copingstrategien zu erwerben. Weiterhin zeigt sich in sachlicher Hinsicht, dass der Athletenkörper die häufigste Ursache von Not- und Krisenerfahrungen darstellt. Der moderne Hochleistungssport repräsentiert schließlich dasjenige soziale Feld, in dem die Ausgestaltung und Veränderung der Körperlichkeit in extremer Weise betrieben wird – mit allen Randerscheinungen und Folgekosten. Mit immer mehr Aufwand sollen immer kleinere Leistungsverbesserungen erzielt werden. Der Anspruch gegenüber dem Körper wird ins Unwahrscheinliche getrieben, weil im Perfektionsideal des Spitzensports selbst keine inneren Stoppregeln eingebaut sind, mit dem bereits Erreichten zufrieden zu sein. Trotz aller kommunikativ angeleiteten 6 | Siehe hierzu die Ausführungen von Gunter Gebauer (2006: 27ff.) zur »Welt aus dem Fuß« im Rahmen seiner »Poetik des Fußballs«.
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Interventionsversuche von außen folgt der Körper unhintergehbar seiner eigenen Logik. Sportler werden älter und leistungsschwächer; sie können sich verletzen; sie können straucheln, fallen, mit anderen Sportlerkörpern kollidieren und das erwartete Bewegungsoptimum insgesamt verfehlen. Der Körper ist die Achillesferse des Systems. Die in den diversen Sportarten eingespeicherten Möglichkeiten des korporalen Scheiterns setzen die Sportler unter einen enormen Entscheidungs- und Notbewältigungsdruck, dem sie, wenn überhaupt, meist nur mit Hilfe eines assistierenden medizinischen und pharmakologischen Unterstützungsmilieus entsprechen können. In konfrontativen Sportarten wie dem Boxen kommt es zu einer Verschärfung der Situation: Hier ist der Athletenkörper nicht nur Träger des Handelns, sondern auch bewusstes Interventionsziel des Gegners. Wer sich im Boxring dem Kontrahenten stellt, muss nicht nur austeilen, sondern körperlich auch einstecken können. Als weitere Quelle der Krisenerfahrung tritt für Athleten und Athletinnen die Möglichkeit hinzu, nach jahrelangen Investitionen plötzlich oder allmählich die Motivation zu verlieren. Eine Psyche, die nicht mehr mitmacht, weil sie durch Ängste, übersteigerte Erfolgserwartungen, Verletzungserfahrungen oder die Öffentlichkeit des Rollenhandelns in den künstlichen Krisen des Spitzensports überfordert wird, kann ein Engagement abrupt beenden (Bette et al. 2002: 340ff.). Athleten, die dauerhaft an einer sportlichen Reputation interessiert sind, haben deshalb ihre Leistungsmotivation entsprechend lange zu erhalten. Wer seinen eigenen Leistungen aufgrund misslungener Motivierung permanent hinterherläuft, droht ansonsten als tragischer Held in die Annalen seiner Sportart einzugehen. In zeitlicher Hinsicht entstehen Krisen- und Notsituationen im Wettkampf zunächst einmal dadurch, dass die Konkurrenz als ein Mit- und Gegeneinander der Athleten in vielen Disziplinen einem engen temporalen Regime unterliegt oder sogar als »Kampf gegen die Uhr« stattfindet. Wer unter diesen restriktiven Bedingungen in der letzten Sekunde oder Minute einer Verlängerung das alles entscheidende Siegtor schießt und damit die zeitliche Begrenztheit der Konkurrenz und des Handelns für sich und die eigene Mannschaft zu nutzen wusste, hat große Chancen, als situativer Held das Stadion oder die Halle zu verlassen. Einzel- oder Mannschaftszeitrennen im Radrennsport haben, um in zeitlicher Hinsicht ein weiteres Beispiel für die künstliche Krisenqualität des Sports zu nennen, einen besonderen Charakter, weil strategischen und taktischen
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Dimensionen
sozial
Wettkampf als künstliche Krisen- und Notsituation Überführung einer graduellen sachlichen Leistungsdifferenz in eine soziale Polarisierung; Unbarmherzigkeit des Sieg/Niederlage-Codes; scharfe Verknappung des sportlich positiv Bewerteten; Konkurrenzverschärfung durch Globalisierung des Wettbewerbs sowie durch Auf- und Abstiegsmöglichkeiten in Ligasportarten; keine dauerhafte Statussicherheit nach Erfolg; permanenter Bewährungsdruck; Krisenhaftigkeit des Geschehens durch mangelnde Kooperation der Athleten untereinander in Mannschaftssportarten oder durch Fehlentscheidungen von Schieds-, Kampf- und Wertungsrichtern
zeitlich
Erfolgsdruck durch künstliche Begrenzung der Wettkampfdauer; Kampf gegen die Uhr; möglicher Kontrollverlust in beschleunigungs- und geschwindigkeitsorientierten Sportarten; Dehnung der Wettkampfdauer durch Extremisierung des Handelns; Expansion des Wettkampfkalenders durch Erhöhung der Wettkampffrequenz in Folge gesteigerter Publikumsnachfrage und fortschreitender Kommerzialisierung und Medialisierung
sachlich
Künstliche Einschränkung körperlicher Bewegungsabläufe; Berührungstabu für bestimmte Extremitäten: Hände im Fußball, Füße im Handball; Athletenkörper als Quelle individueller Not- und Krisenerfahrung durch Verletzung, Krankheit oder Alterung; Handlungserschwerung durch Umgang mit Sportgeräten; Gefahr kollabierender Techniken in geräteorientierten Sportarten; Motivationsverlust als Krisenerfahrungsanlass
räumlich
Gezielte Konfrontation der Athleten im Sportraum mit naturalen Elementen und künstlichen Hindernissen; Stadien, Hallen und Rennstrecken als Orte der individuellen und kollektiven Bewährung; Wettkampfraum als potentiell heldenerzeugendes Raumregime; sportartspezifische Ökonomie der Verausgabung und des Leidens in den Räumen des Sports
Abb. 3: Wettkampf als künstliche Krisen- und Notsituation
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Überlegungen im Rennen keine größere Bedeutung zukommt. Die Fahrer werden einzeln oder als Mannschaft nacheinander auf die Reise geschickt und müssen sich im Kampf gegen die verrinnende Zeit dauerhaft schinden, weil sie davon auszugehen haben, dass alle Mitkonkurrenten sich auf der Strecke ebenfalls nicht ausruhen werden. Da alle derselben unbarmherzigen Handlungslogik unterliegen, entsteht eine Situation, die auf Eskalation, Risikosteigerung und völlige Verausgabung ausgerichtet ist. Krisen, die es in zeitlicher Hinsicht zu bewältigen gilt, entstehen nicht nur als »Kampf gegen die Uhr«, sondern auch in Folge der auf eine permanente Schnelligkeitserhöhung ausgerichteten Sportlogik. Das olympische Motto heißt nicht umsonst »citius, altius, fortius«. Insbesondere die mit Hilfe technischer Geräte erzeugte Steigerung der Handlungsgeschwindigkeit erhöht bei den Athleten die Gefahr, die Kontrolle über den eigenen Körper und die sportlich genutzten Artefakte zu verlieren oder im durchlaufenen bzw. durchfahrenen Raum mit Konkurrenten und Objekten zu kollidieren. Auf den NASCAR-Superspeedways in den USA werden Stundengeschwindigkeiten von 340km/h erreicht – und dies im Nahkontakt der Autos untereinander. Die Abfahrtsrennen im Skisport wie die Streif in Kitzbühel sind deshalb berühmt-berüchtigt, weil die Athleten sich sehenden Auges in eine potentiell gefährliche Krisensituation hineinzubegeben haben, in der individuelle Kontrollverluste und Stürze mit gravierenden Verletzungen bei hoher Geschwindigkeit erwartbar sind. Vereiste Steilpisten, die mit mehr als 120 Stundenkilometern auf zwei dünnen Brettern mit messerscharfgeschliffenen Kanten abgefahren werden, sind Erfindungen, um Menschen in künstlich erzeugten Beschleunigungssituationen auf Handlungs- und Funktionstauglichkeit hin zu beobachten. Konkurrenz im Sport ist in vielen Disziplinen somit nicht nur ein Wettbewerb zwischen Athleten, sondern auch eine Konkurrenz im Umgang mit gefährlichen Räumen und hoher Geschwindigkeit. Die dramatischen Stürze im Massensprint der Radrennfahrer zeugen davon, dass der am Ende einer Etappe zur Verfügung gestellte Raum bisweilen eng wird, wenn viele ihn gleichzeitig bei hohem Tempo zu durchfahren haben, um im Schluss-Spurt einen Sieger zu ermitteln. Sportler, die hierbei das Gleichgewicht verlieren, werden für die anderen Fahrer zu einer Krise, die gravierende korporale Konsequenzen nach sich ziehen kann. Nicht wenige Spitzenfahrer müssen sich alljährlich vorzeitig und mit schweren Verletzungen aus den großen Rundfahrten verabschieden, weil sie ohne
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eigene Schuld von anderen bei hoher Geschwindigkeit angerempelt, umgestoßen oder mitgerissen wurden. Auch eine temporale Dehnung der sportlichen Wettkampfdauer kann Helden in zeitlicher Hinsicht sichtbar machen. Galten der Marathonlauf und der 100km-Lauf lange Zeit als das Nonplusultra einer körperlichen und psychischen Dauerbelastung, werden Aktivitäten dieser Art heute bereits von gut trainierten Breitensportlern absolviert. Wer sich unter diesen Bedingungen als außeralltägliche Sozialfigur darstellen möchte, hat die Definition des Extremseins zu überarbeiten und beispielsweise 240km-Läufe, Ultramarathons und -triathlons zu absolvieren oder Kontinentalumrundungen oder Erdteildurchquerungen wie das »Race across America« durchzuführen. Resümierend lässt sich mit Blick auf die bisherigen Ausführungen wie folgt festhalten: Vor dem Hintergrund der Spezifik sportlicher Wettkämpfe sind Sporthelden als Sozialfiguren anzusehen, die in zeitlicher, sachlicher, sozialer und auch räumlicher Hinsicht auf Krisen-, Not- und Gefährdungssituationen treffen, die Sportorganisationen bewusst erzeugen und arrangieren, um Personen oder Personenkollektive vor zuschauenden Dritten unter Bewährungsdruck zu setzen. Der auf der Interaktionsebene angesiedelte Wettkampf ist der zentrale Ort der Prüfung. Hier entscheidet sich, wer in die Heldenriege vorstößt oder dem Kreis der Mittelmäßigen oder final Gescheiterten verhaftet bleibt. Die Möglichkeit der Niederlage in den typischen Krisen- und Notsituationen des Sports nobilitiert und dramatisiert das Geschehen, indem sie dem erwarteten Funktionieren ein radikales Negativbild entgegensetzt. Der sportliche Wettkampf ist hierdurch insgesamt zu einem Sinnbild für das menschliche Dasein geworden. Alle, die sich auf Wettkämpfe mit offenem Ausgang einlassen, können scheitern, symbolisch sterben und in ihren Erfolgsambitionen schlagartig und in aller Öffentlichkeit enttäuscht werden. Sie können das »Schlachtfeld« allerdings auch als Helden und exemplarische Sozialfiguren verlassen. Dass Athleten von den künstlich erzeugten Krisensituationen des Sports profitieren und die Chance erhalten, sich in der Öffentlichkeit als Heroen zu exponieren, zeugt von der engen Beziehung zwischen Heldentum, Not und Krise.
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6 Heldenreise und Heldenpreisung
Die zeitlichen, sachlichen, sozialen und räumlichen Erschwernisse, die Athleten und Athletinnen in Training und Wettkampf zu bewältigen haben, erinnern an die Prüfungs- und Bewährungssituationen, mit denen die Heroen der griechischen Mythologie auf ihren epischen Reisen konfrontiert wurden. Bevor die antiken Helden auf brachen, befragten sie das Orakel, beteten zu ihren Hausheiligen und Schutzgöttern und erbrachten Opfergaben, um Wissen über zukünftige Geschehnisse zu erlangen und Gewogenheit bei übergeordneten Instanzen herzustellen. Odysseus, der König von Ithaca, folgte dem Ruf Agamemnons in den Krieg gegen Troja. Nach erfolgreicher Beendigung dieser Mission wurde ihm, dem Listigen, und seinen Gefährten eine zehnjährige Irrfahrt auferlegt, auf der er sich mit Poseidon, einer zornigen Gottheit, Naturgewalten, einer liebestollen Nymphe und mit Polyphem, einem einäugigen, menschenfressenden Kyklopen zu messen hatte. Um sich zu retten, musste er diesen mit starkem Wein betäuben, ihn mit einem glühenden Olivenholz blenden und sich mit sechs Gefährten am Bauchfell von Schafen aus einer Höhle tragen lassen, um den tastenden Griffen des Geblendeten zu entgehen. Anschließend sah Odysseus sich mit der Aufgabe konfrontiert, den Verführungskünsten von Kirke zu widerstehen. Seinen Gefolgsleuten gab er den Befehl, ihn an einen Schiffsmast zu binden, um unbeschadet dem verführerischen Gesang der Sirenen lauschen zu können. Im Folgeabenteuer hatte er die Meeresenge zwischen Skylla und Charybdis, zwei Seeungeheuern, zu durchfahren. Am Ende seiner Reise musste Odysseus, als Bettler verkleidet, feiersüchtige und besitzergreifende Freier von Penelope, seiner Frau, fernhalten und töten. Nur mit Hilfe eines präzisen Bogenschusses konnte er seine wahre Identität als König, Gemahl und Vater von Telemachos beweisen. Andere Helden der Antike mussten in die Unterwelt absteigen, Höllenhunde bekämpfen und Blick-
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festigkeit beweisen, um geliebte Partner aus den Fängen der Finsternis zu befreien. Nicht wenige scheiterten und blieben auf der Strecke. Der Sport zeigt sich anschlussfähig an die epische Struktur, die diesen Heldengeschichten zugrundeliegt und die Joseph Campbell (1949) in seiner komparativen Untersuchung über die globalen Konstanten in der Welt der Mythen, Sagen und Märchen analysierte und als »Monomythos« bezeichnete.1 So haben Athleten und Athletinnen auf ihren Heldenreisen ebenfalls Prüfungen zu bestehen, äußere Hemmnisse zu bewältigen und innere Ängste und Zweifel zu bekämpfen, bevor sie in den Genuss begehrter Güter in Gestalt von Titeln und Medaillen gelangen können. Indem sie dem verheißungsvollen Sirenengesang der sportlichen Großereignisse nicht nur lauschen, sondern auch folgen, treffen sie auf Bedingungen und Herausforderungen, die Körper und Geist extrem fordern und dazu angetan sind, unterschiedlichste Metamorphosen auszulösen. In Einzelwettbewerben, Turnieren oder mehrmonatigen Wettkampfserien werden die Sportler mit künstlich hergestellten Aufgaben konfrontiert, die sie unter schärfsten Konkurrenzbedingungen zu absolvieren haben. In einer Welt, die gnadenlos dem Gesetz von Sieg und Niederlage unterliegt, schwebt das Damoklesschwert des Scheiterns permanent über ihren Häuptern. In eigens hergerichteten Räumen haben sie Bewährungsproben zu bestehen und Entscheidungen zu treffen, die außerhalb des Sports keine größere Bedeutung für das Funktionieren der Gesellschaft haben: Sie müssen Latten und Hürden überspringen, Kugeln stoßen, Disken werfen, Speere schleudern, Reckstangen umrunden, Gewichte stemmen, Kurz-, Mittel- und Langstrecken bewältigen, Bälle werfen oder schießen, Gegner schultern oder ausknocken, Rennräder fahren, Schwimmbecken durchpflügen, Pferde über Hindernisse dirigieren, Autos lenken, Kämpfe gegen die Zeit bestehen, Koordinationsleistungen in Mannschaften erbringen und Wertungsrichtlinien regelkonform umsetzen. Fußballspie1 | Joseph Campbell (1949) nannte in seiner stark von C. G. Jung und Otto Rank inspirierten Studie zum »Abenteuer des Heros« siebzehn Stationen, die er den Hauptabschnitten »Aufbruch«, »Initiation« und »Rückkehr« zuordnete: Berufung, Weigerung, übernatürliche Hilfe, Überschreiten der ersten Schwelle, Bauch des Walfischs, Weg der Prüfungen, Begegnung mit der Göttin, Weib als Verführerin, Versöhnung mit dem Vater, Apotheose, endgültige Segnung, Verweigerung der Rückkehr, magische Flucht, Rettung von außen, Rückkehr über die Schwelle, Herr der zwei Welten, Freiheit zum Leben.
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lern fällt die Aufgabe zu, sich dem Gegner taktisch-gekonnt entgegenzustellen oder Abwehrreihen durch geschickte Pässe oder Dribblings zu überwinden. Typischerweise finden die Prüfungs- und Bewährungsproben zwar im Kontext eines künstlich hergestellten sozialen Konflikts statt, aber immer auch in Auseinandersetzung mit Körper und Psyche sowie mit naturalen Dynamiken und Kräften oder künstlichen Materialitäten – in der Luft, auf der Erde, im Wasser oder in Situationen, in denen das eine auf das andere trifft. Die hierfür notwendigen Reisen zu den nationalen und globalen Ereignissen des Sports bleiben im Zeitalter der Massenmedien nicht unbeobachtet und unbegleitet. Um das physisch nicht anwesende Publikum über das Geschehen zu informieren, erwerben Medienanstalten gegen ein entsprechendes Entgelt Sendelizenzen, um vorausschauend, simultan und auch nachbereitend von der Heldenreise und den dort anfallenden Aufgaben und Charakterproben in Texten, Bildern und Filmen zu berichten. Die zeitlich gestaffelte Wettkampfabfolge erzeugt einen epischen Spannungsbogen, der die Sport-, Publikums-, Wirtschafts-, Politik- und Medieninteressen an diesem Geschehen eng miteinander verkoppelt. In allen Disziplinen folgen die Heldenreisen einem Verlaufsmuster, das allen Abenteuertouren zu den Weltereignissen des Sports zugrunde liegt: der Trias von Auf bruch, Bewährung und Rückkehr. Nach umfangreichen Vorbereitungs- und Auswahlprozessen, in denen Trainer und Verbandsfunktionäre auf der Grundlage vorab definierter Leistungskriterien und Voraberwartungen die Spreu der Athleten vom Weizen trennen und die Gruppe der Auserwählten zusammenstellen und in Vorbereitungslehrgängen trainieren, wird die erste Station der Heldentour, der Auf bruch bzw. die Abreise der eigenen Athleten zu den Großereignissen ihrer Disziplin, in einem Passageritus gefeiert und mit Verabschiedungsritualen umrahmt und überhöht. Die stellvertretend für Verein, Stadt, Gemeinde, Region, Verband, Nation oder Sponsor in den Kampf ziehenden Sportler werden der interessierten Öffentlichkeit in gesonderten Veranstaltungen vorgestellt, in ihren Kompetenzen gewürdigt, in Einheitskleidung gewandet und mit guten Wünschen und Hoffnungen auf eine erfolgreiche Heimkehr verabschiedet. Da der Spitzensport nach seiner Etablierung als Teilsystem der Weltgesellschaft ein hohes Maß an räumlicher Dispersion erreicht hat, müssen die Athleten ihre Heimat verlassen und eine Trennung von ihrem Herkunfts- und Unterstützungsmilieu in Kauf nehmen, um in der Ferne, an »gefährlichen« und krisenträchtigen Orten, nämlich
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in fremden Städten, Ländern und Stadien, ihre Heldentaten zu vollbringen. Während die Nationalmannschaften überseeischer Länder im ersten Drittel des letzten Jahrhunderts noch zeitaufwendig mit Ozeanschiffen und Zügen anzureisen hatten, um beispielsweise 1936 zu den Olympischen Sommerspielen in Berlin zu gelangen2, erfolgen die großen Raumdurchquerungen heute in der Regel punktgenau mit Flugzeug, Auto, Bus oder Bahn. In der zweiten Phase der Heldenreise haben die einzelnen Sportler oder Mannschaften Bewährungsproben zu bestehen, die zu einem späteren Heldentum oder zum tragischen Scheitern führen können. In den diversen Prüfungssituationen treffen die Athleten auf Herausforderungen und künstliche Krisen, die der organisierte Sport für sie vorbereitet hat. Die Aufgaben, die es zu bewältigen gilt, variieren sportartspezifisch. Im Radrennsport sind es beispielsweise die zahlreichen Etappen, die es auf den großen, mehrwöchigen Rundfahrten zu überstehen gilt. In den leichtathletischen Laufdisziplinen treten die Sportler bei einer Meisterschaft in Vor- und Zwischenläufen gegeneinander an, um sich im Finale mit ebenfalls Qualifizierten zu messen. In Sportturnieren stehen Rundenwettkämpfe auf dem Programm. Bei einer Fußball-Weltmeisterschaft haben die Nationalmannschaften nach einer umfangreichen Qualifikationsphase eine Vor- und Finalrunde mit Achtel-, Viertel- und Halbfinalspielen zu überstehen, bevor sie die Chance erhalten, im alles entscheidenden Endspiel das Feld entweder als Gewinner oder als Verlierer zu verlassen. Im Profitennis erfolgen die Bewährungsproben vornehmlich bei den Grand-Slam-Turnieren in Melbourne, Paris, London und New York sowie in den diversen Ranglistenturnieren und Davis Cup-Spielen. Die Rückkehr nach einem ruhmreichen »Beutezug« bei nationalen oder internationalen Meisterschaften oder anderweitigen Sportbegegnungen stellt die dritte Station der Heldenreise dar. In der Antike kam es nach einem erfolgreichen Feldzug zu Ehrungen in Gestalt von Triumphzügen, Heldengesängen, Erinnerungsbauten, Stelenerrichtungen, Münzprägungen und Orgien in öffentlichen und privaten Räumen. Im Sport bringt der siegreiche Akteur oder das erfolgreiche Heldenkollektiv Trophäen in Gestalt von Medaillen oder Pokalen nach Hause und präsentiert sich sowie die begehrte »Beute« stolz den Daheimgebliebenen. Der 2 | Die japanische Nationalmannschaft war 1936 noch 10.000 km mit der transsibirischen Eisenbahn nach Berlin angereist.
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Ruhm, der sich daraus ableitet, der Beste zu sein oder zu den Besten zu gehören, soll auch auf diejenigen abstrahlen, die selbst dafür nicht gekämpft haben, den Held oder die Heldentruppe aber als Hoffnungsträger stellvertretend in die Wettkampfschlacht schickten. Das Herkunftsmilieu bedankt sich nach der Rückkehr für die erbrachte Heldentat in gesonderten Ritualen der sozialen Anerkennung, Ehrerbietung und Wertschätzung. Die Huldigung erfolgt in einer rauschhaften, den Alltag transzendierenden Weise. Bahnhöfe und Flugplätze sind üblicherweise die Orte, die eigens gecharterte »Siegerzüge« oder »Siegerflieger« ansteuern, um die Helden heimzubringen. Hier können die Daheimgebliebenen einen ersten Dank für außerordentliche Leistungen aussprechen und eine Einigkeit demonstrieren, in der das parasoziale Begehren sinnlich wahrnehmbar zum Ausdruck gebracht wird. Anschließende karnevaleske Feiern und Gratulationen, Autokorsi und Konfettiparaden auf städtischen Prachtstraßen und Boulevards oder Ehrungen auf öffentlichen Plätzen und Rathausbalkonen zeugen von der Bedeutsamkeit, die das heimische Publikum sportlichen Erfolgen weltweit beimisst, wie die folgenden vier Beispiele zeigen. In einem Triumphzug kehrte die deutsche Fußballnationalmannschaft 1954 nach ihrem überraschenden Sieg gegen Ungarn nach Hause zurück. Hunderttausende standen an den Bahngleisen und auf Brücken, um Spieler und Trainer zu begrüßen. Jeder Bahnhof auf der Heimreise wurde zu einem Festort. In München wurde für Stunden der Verkehrsfluss von Autos und Straßenbahnen unterbrochen, als die Spieler in offenen Mercedes-Limousinen vom Hauptbahnhof durch die Stadt gefahren und von 500.000 Menschen euphorisch gefeiert wurden (Bertram 2004: 114). Kinder bekamen schulfrei. Geschäfte und Betriebe wurden vorzeitig geschlossen, um den Mitarbeitern die Gelegenheit zu geben, ihrer Freude und Dankbarkeit für die gewonnene Weltmeisterschaft Ausdruck zu verleihen. Radio und Fernsehen waren im Dauereinsatz. Die Stadt Leimen war in einem Ausnahmezustand, als Boris Becker fünf Tage nach seinem Sieg in Wimbledon am 12. Juli 1985 in einem offenen Wagen in seine Heimatstadt zurückkehrte. Die Rhein-Neckar-Zeitung berichtete von 50.000 Menschen, die ihn begrüßten und feierten, als er von St. Ilgen zum Rathaus in Leimen fuhr. Als Georg Hackl, international erfolgreicher Rennrodler, nach den Olympischen Winterspielen in Nagano mit einer dritten Goldmedaille in seine Heimat zurückkehrte, schrieb die Süddeutsche Zeitung (25.2.1998: 18) über den triumphalen
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Empfang unter der Überschrift: »Berchtesgaden feiert die Heimkehr eines Helden« wie folgt: »Ovationen und Salutschüsse, Blasmusik und Glockengeläut, Kutschenfahrt und Ansprachen sind Details eines bereits gewohnten Empfangs. [...] Den größten Anteil am stürmischen Empfang hatten ohnehin die Sportfans, die so zahlreich wie noch nie – die Schätzungen lagen zwischen 5.000 und 6.000 – auf dem Berchtesgadener Schloßplatz und bis in die Fußgängerzone hinein das Ortszentrum bevölkerten. Als Novität konnte die begeisterte Hackl-Anhängerschaft einen ›Tourbo-Schorsch‹ erleben, der mit dem Hubschrauber aus Bischofswiesen einschwebte, wo er vorher – auch das war neu – mit einem Hundeschlitten durch das Spalier der Zuschauer gezogen worden war. Vor dem Bischofswiesener Rathaus hatte Bürgermeister Simon Schwaiger die kurzfristig ausgestellte Ehrenbürger-Urkunde übergeben und dabei versichert: ›Schorsch, du bist ein Sportsmann der Superlative‹«. Als die Chicago Cubs 2016 die World-Series im Baseball gewannen und damit eine seit 1908 andauernde Durststrecke ihres Vereins beendet und einen unterstellten Versagensfluch nachweislich außer Kraft gesetzt hatten, sprach der US-amerikanische Sportsender ESPN von einer »epischen Entscheidung«. In der Chicagoer Innenstadt brach der Verkehr zusammen, als die Mannschaft ihren Sieg feierte und sich vor dem Wrigley Field und auf der Michigan Avenue der tosenden Menschenmenge präsentierte. Die heimgekehrten Helden des Sports wissen von ihren einzigartigen Taten an symbolischen Orten und bieten sich dem heimischen Publikum als verehrungswürdige Größen dar. Sie präsentieren sich ihren Verehrern im physischen Nahkontakt als exemplarische Sozialfiguren, nehmen ein »Bad in der Menge«, beschreiten den »Walk of Fame«, intonieren mehr oder weniger gekonnt Triumphlieder, geben Kommentare ab und hinterlassen Schriftspuren in »Goldenen Büchern«. Später bekommen sie »Silberne Lorbeerblätter« oder ähnliche Auszeichnungen durch politische Akteure ans Revers geheftet oder werden, wie in Großbritannien, für ihre Verdienste in den Ritterstand erhoben. Zusätzlich drücken personalisierte Artikel und Sendungen in den Massenmedien soziale Anerkennung aus und entterritorialisieren die ursprünglich an den Wettkampfort gebundene Heldenverehrung.3 Das Danksagungsrepertoire der verschiede3 | Die ursprünglichste Form, sportliche Leistungen formal am Ort des Geschehens zu prämieren, ist die Siegerehrung. Sie dient der öffentlichen Zurschaustellung der Besten, Schnellsten und Stärksten. Diese Sichtbarmachung situativer
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nen Huldigungskartelle ist damit aber noch nicht erschöpft. Kommunen ernennen Sportler zu Ehrenbürgern. Straßen erhalten in den Herkunftsorten der Athleten Sportlernamen. Der französische Radrennfahrer Louison Bobet, der die Tour de France ab 1953 drei Mal hintereinander siegreich beendet und 1954 die Profi-Straßenweltmeisterschaft gewonnen hatte, erhielt eine derartige Würdigung in Le Touquet-Paris-Plage. Auch Statuen erinnern an markanten Orten zu Lebzeiten oder posthum an besonders erfolgreiche Athleten. Paavo Nurmi, der »fliegende Finne«, der als Mittel- und Langstreckenläufer zwischen 1920 und 1934 neun Goldmedaillen bei Olympischen Spielen und zahlreichen anderen hochrangigen Wettkämpfen errungen hatte, steht seit Jahrzehnten, in Bronze gegossen, als Sinnbild für eine ungeschlagene läuferische Exzellenz vor dem Olympiastadion in Helsinki. Michael Jordan, der Basketballheld der 1980er und 1990er Jahre, wurde vor der Spielstätte der Chicago Bulls verewigt. »Magic« Johnson, der mit den Los Angeles Lakers fünfmal die NBA-Meisterschaft errang, durch sein spektakuläres Pass-Spiel die Massen begeisterte und 1992 mit dem »Dream Team« in Barcelona Olympiasieger wurde, steht als übergroße Statue vor dem Staples Center in Los Angeles. Vierzig Jahre nach dem Gewinn des Europa Cups der Landesmeister durch die Fußballmannschaft von Manchester United im Jahre 1968 wurden die drei Angreiferhelden des Teams – George Best, Denis Law und Bobby Charlton – als »Holy Trinity« in Statuenform vor dem OldTrafford-Stadion verewigt. Selbst Pferde, die Sporthelden auf ihren Rücken zum Erfolg trugen, erfuhren öffentliche Würdigungen durch eine Statuarisierung. »Halla«, die hessische »Wunderstute«, führte den deutschen Reiter Hans Günter Winkler zwischen den Jahren 1954 und 1960 Einzigartigkeit im Rahmen öffentlicher Belohnungs- und Ehrerbietungsrituale ist fester Bestandteil der Theatralität sportlicher Wettkämpfe. Vor diesen offiziellen Ehrungen werden die Erfolgreichen bereits informell durch Mitglieder der eigenen Mannschaft oder Teams oder durch das anwesende Publikum belohnt. Man trägt sie auf Schultern durch den Sportraum, umarmt sie oder bedeckt sie mit einem Körperteppich. Lob und Anerkennung kommen in der Regel auch von dem physisch anwesenden Publikum. Mit Klatschen, Jubeln und »standing ovations« zollt das Publikum Respekt und würdigt hochstehende Leistungen. Ehrenrunden der Beklatschten haben die Funktion, Lob und Anerkennung einzuheimsen, gleichzeitig aber auch Dank auszusprechen für Unterstützung und Rückendeckung qua Beifall.
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zu zahlreichen Weltmeisterschaftsehren und mehreren Olympiasiegen. Sie steht heute in Warendorf als Bronze-Plastik vor dem Sitz des Deutschen Olympiade-Komitees für Reiterei. Auch eine Straße wurde nach ihr benannt. In Hallensportarten wie Basketball oder Eishockey werden die übergroßen Spielertrikots mit den Rückennummern der verehrten Sporthelden am Ende der Sportlerkarriere in einer feierlichen Zeremonie unter das Hallendach gehievt und damit der Nutzung durch die Spieler der Folgegenerationen entzogen. Weiterhin geben Sondermarken des Öfteren Sportheldenporträts wieder. Ebenso zeugt die in einigen Ländern praktizierte Schenkung von Grundstücken und Rentenanrechten von der außerordentlichen Wertschätzung, die erfolgreichen Sportlern nach ihren Heldenreisen in einigen Ländern entgegengebracht wird. Die Repräsentanten des Herkunftsmilieus danken auf diese Weise ihren Entsandten für Erfolgs- und Ruhmbeschaffung, Risikoübernahme, Entbehrung, positive Außendarstellung sowie für Krisenbewältigung und erfolgreiche Noterzeugung beim sportlichen Gegner. Ehrungen der genannten Art heben die Verdienste der Geehrten hervor; sie haben dadurch einen stark meritokratischen Charakter.4 Sie belohnen nicht Herkunft, Geschlecht, Ideologie oder Religionszugehörigkeit, sondern sportliche Leistungen. Das symbolische Kapital, das die Ehrenden den Geehrten im Rahmen öffentlicher Rituale als Gabe zur Verfügung stellen, wird nicht abstrakt zugeteilt, sondern konkret-wahrnehmbar in Gestalt von Medaillen, Orden, Titeln, Straßennamen, Briefmarken oder Statuarisierungen übermittelt. Materialisierte Ehrerweisungen dieser und anderer Art erfüllen mehrfache Funktionen. Zunächst erfährt ein Akteur in seinen Verdiensten und Leistungen eine öffentliche Würdigung und steht insofern im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Weiterhin teilt eine ehrerweisende Instanz durch ihre Würdigung aber auch eigene Werte und Bedeutsamkeiten mit. Ehrungen machen demnach nicht nur auf die Geehrten aufmerksam; sie schaffen auch Sichtbarkeit für die Ehrenden, die durch ihre Gaben auf eine subtile Weise auf sich selbst und ihren Wertehaushalt hinweisen. Und schließlich versuchen Ehrende durch ihre Huldigung auch an dem symbolischen Kapital teilzuhaben, das die Athleten durch ihre Siege bei den Großereignissen ihrer Disziplin erringen konnten. Olympische Medaillen und Weltmeistertitel sind immer auch 4 | Zur Soziologie der Ehre und der Ehrungen siehe die Ausführungen von Vogt (1997a, 1997b).
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gut für das Renommee der Ehrenden. Dies gilt auch für das Publikum, das den Athleten Beifall zollt. All dies deutet darauf hin, dass handfeste Austauschgesichtspunkte das Verhältnis der Sporthelden zu ihrem sozialen Umfeld steuern. Dieser Gedankengang soll unter den Stichworten »Stellvertretung« und »Repräsentation« im nächsten Kapitel vertieft werden.
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7 Stellvertretung und Repräsentation
Die gesellschaftliche Modernisierung hat durch Urbanisierung, Organisationsbildung und Massenkommunikation eine »abstract society« (Zijderfeld 1970) in dem Sinne geschaffen, dass Handelnde mit immer längeren und verzweigteren, dadurch unanschaulich gewordenen Wirkungsketten (Elias 1939: 336-342) ihrer Aktivitäten zu rechnen haben. Dagegen setzt der Sport ein konkretes, anschauliches, personen- und körperorientiertes Handeln und dessen Ästhetik. Der Sport lässt sich in dieser Hinsicht durchaus mit Kunst vergleichen, wo das gestaltende Handeln des einen das hinnehmende Erleben des anderen mit dem psychischen Korrelat des Wohlgefallens (Kant 1790: 115ff.) auslöst.1 Sportler erzeugen insbesondere dann Gefühle des Glücks, des Wohlbefindens und des kurzzeitigen Angekommenseins im irdischen Paradies, wenn sie nicht nur für sich selbst, sondern auch stellvertretend für das eigene Publikum bei symbolisch gehaltvollen Wettkampfereignissen erfolgreich waren. Durch ihre in den öffentlichen Räumen des Sports vollzogene Krisenbewältigung und Noterzeugung hinterlassen sie in solchen Fällen Handlungsspuren für all jene, die oft weniger sichtbar und vielleicht auch weniger bedeutsam im Alltag zu agieren haben. Neben der Bewunderung für das Außeralltägliche verehrt das Publikum in den Helden des Sports demnach etwas, was im eigenen Leben häufig fehlt: Außeralltäglichkeit, Ruhm, Ehre und öffentliche soziale Anerkennung für individuelles oder kollektives Handeln. Sportler erbringen damit symbolische Leistungen für die Masse derjenigen, die nie eine Chance haben, selbst jene fünfzehn Minuten an öffentlicher Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, von denen Andy Warhol (1975) bereits vor Jahren in seiner Kunsttheorie über die Kurzlebigkeit und Vergänglichkeit des Ruhms sprach. Auch aufseiten 1 | Siehe Bette/Schimank (1995b: 183).
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des Publikums gibt es demnach ein »basking in reflected glory« (Cialdini et al. 1976). Dies gilt selbst (oder »gerade«) in Nationalstaaten, in denen der Heldenbegriff aufgrund negativer Erfahrungen mit der politisch-militärischen Instrumentalisierung des Heroischen bei vielen Gesellschaftsmitgliedern eher ein Naserümpfen hervorruft. Wer als Athlet alles gibt, sich vor den Augen von Millionen aufopfert, die Knochen hinhält, die Ärmel hochkrempelt und sich körperlich und motivational verausgabt, um sich gegen härteste Konkurrenz durchzusetzen, und damit die Verhaltenserwartungen des Publikums auf hochstehende Leistung und erfolgreiche Krisenbewältigung übererfüllt, wird geliebt, geschätzt und geachtet. Aus lustvoll erlebter Spannung kann eine ekstatische Heldenverehrung entstehen und das Bedürfnis aufseiten des Publikums hervorrufen, an einer Situation teilhaben zu wollen, in der das Außeralltägliche das durchschnittlich Erwartbare überwindet und ersetzt. Wie der kollektive Euphorie- und Rauschzustand in privaten und öffentlichen Räumen nach gewonnenen Meisterschaften beim Gewinnerpublikum zeigt, eröffnet Heldenverehrung den Zuschauern die Möglichkeit, aus dem Einerlei des Alltags und den Gleichförmigkeiten und Routinen des Lebens über Identifikationsprozesse zumindest kurzzeitig auszubrechen und an einem symbolischen Kapital teilzuhaben, das sie selbst nicht produziert haben. Eben weil erfolgreiche Athleten Personen sind, die letztlich durch eigene Anstrengungen in der einen oder anderen Weise auch Erfolge für überindividuelle Kollektive erreichen, werden sie von den Fans bejubelt. Den Spielern, die beispielsweise bei einer Fußball-Weltmeisterschaft antreten, kommt weltweit in ihren Entsendenationen eine große Bedeutung zu. Millionen fiebern diesem Weltereignis über Jahre entgegen. Hier geht es aufseiten des Publikums offensichtlich nicht nur um sportliche Konkurrenzen, die auf dem Spielfeld stattfinden, sondern um nationale Identitäten und Selbstwertgefühle, die mit Hilfe des Sports in einer relativ harmlosen Weise ausgekämpft werden. In der erfolgreichen Einzelperson oder Mannschaft bringt das entsendende Kollektiv sich durch den Erwerb eines symbolischen Kapitals zum Glänzen. Sportliche Erfolge können das Ansehen einer Nationalgesellschaft in der Welt steigern; dementsprechend können Niederlagen nach innen zu nationalen Traumata führen, die noch über viele Jahrzehnte memoriert
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oder demonstrativ verschwiegen werden.2 Der sportliche Wettkampf wird hierdurch zu einem symbolischen Ort, an dem Hoffnungen auf nationale Größe zur Entscheidung gebracht werden. Die Erlebnisse des Sportpublikums im Stadion oder vor dem heimischen Bildschirm erhalten durch das sportinterne Rankingsystem sowie die personen- und schlagzeilenorientierte Berichterstattung eine interpretatorische Rahmung und Vorprägung. Beim Publikum wird hierdurch ein identifikatorisches, parasoziales Verstehen und Begehren wahrscheinlich, welches nicht erst durch das Labyrinth kommunikativer Vieldeutigkeiten und Abstraktionen geschleust werden muss. In einer Gesellschaft, in der Organisationen das Handeln in vielen Bereichen für die meisten Rollenträger immer mehr veralltäglichen und entheroisieren, können Leistungssportler sich als personifizierte und sinnlich wahrnehmbare Sozialfiguren der Nichtalltäglichkeit aus der Normalität herausheben und Verschmelzungs- und Selbstergänzungsphantasien aufseiten des Pu blikums freisetzen.3 Die Konkurrenzkonstellation des sportlichen Wettkampfes, die eine Leistungsindividualisierung der Athleten nicht nur ermöglicht, sondern sogar erzwingt, bietet damit – anders als etwa die Konkurrenzkonstellation des Krieges – eine gesellschaftlich unvergleichliche Gelegenheitsstruktur für eine sozial unbedenkliche Erzeugung von Helden als Stellvertreterfiguren für das sportinteressierte Publikum. Das Publikum tritt in diesem Kontext als eine unorganisierte Kollektivität in Erscheinung, die sportliche Leistungen nicht einfach nur rezipiert, sondern durch ihr massenhaftes Interesse auch anregt und ermög2 | So geschehen am 16.7.1950, als die brasilianische Fußball-Nationalmannschaft völlig überraschend das Endspiel bei der FIFA-WM im eigenen Land mit 2:1 gegen Uruguay verloren hatte. Die Niederlage wird bis heute als nationale Tragödie und Schande wahrgenommen. Nach dem Abpfiff saßen 200.000 Zuschauer als Schweige- und Trauergemeinschaft im Maracanã-Stadion und konnten die Niederlage nicht fassen. Eine vergleichbare kollektive Gemütslage entstand 2014 nach der 7:1 Niederlage der brasilianischen Fußballspieler im Halbfinale der WM gegen die deutsche Nationalmannschaft. 3 | Zur sozialpsychologischen Theorie der symbolischen Selbstergänzung siehe Wicklund/Gollwitzer (1981). Beide Autoren gehen davon aus, dass Personen danach streben, das Fehlen wichtiger Symbole zur optimalen Selbstdarstellung durch die Verwendung alternativer Symbole zu kontern, um Einfluss auf signifikante Andere auszuüben.
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licht. Ohne eine dauerhafte Nachfrage vonseiten des Publikums wäre das hochspezialisierte und global anzutreffende meritokratische Streben der Sportakteure unwahrscheinlich geblieben. Auch die diversen Kontakteinrichtungen und Grenzstellen in Wirtschaft, Politik und Massenmedien, die mit der logistischen Ermöglichung, Betreuung, finanziellen Ausstattung und informationellen Übertragung spitzensportlicher Ereignisse und Heldenreisen befasst sind, hätten ohne die Dauernachfrage durch ein sportinteressiertes Publikum ernsthafte Legitimationsprobleme. Denn warum sollten Firmen einzelne Vereine, Verbände oder auch Athleten unterstützen, wenn es kein Publikum gäbe, das sich die Firmenlogos auf Sportlerhemden, Autos und Stadionbanden im Rahmen einer Begleitaufmerksamkeit ansähe und anschließend entsprechende Kaufentscheidungen träfe, also ein Interesse am Spitzensport zeigte? Ein wichtiger Zusammenhang wird an dieser Stelle deutlich: Die Identifikation zwischen Publikum und Sportakteuren fällt leicht, weil sportliche Wettkämpfe uralte Symbole, Themen, Mythen und Sozialfiguren immer wieder neu zur Schau stellen. Dies erklärt die Anschlussfähigkeit des Sports an Semantiken und Narrative, die antike Erzählungen, mittelalterliche Sagen oder auch moderne Märchen, Fantasygeschichten, Science-Fiction-Filme und Comics kommunikativ bereithalten. Es geht um Sieg und Niederlage, Macht und Ohnmacht, Gelingen und Misslingen, Erlösung und Verdammnis, Jubel und Verzweiflung, um den Kampf zwischen den »good guys« und den »bad guys«, zwischen den Naiven und den Abgezockten, den Geliebten und den Verhassten, den Reichen und den Armen, den Fairen und den Unfairen, den Jungen und den Alten, den Etablierten und den Emporkömmlingen, den Hungrigen und den Satten oder den Organisierten und den Unorganisierten. Es geht zudem um Verausgabung und Leiden im Kampf mit sich selbst, dem eigenen Körper, der eigenen Psyche und den eigenen Obsessionen, mit den Konkurrenten oder mit den Widrigkeiten der Natur. Es geht um Aufstieg, Abstieg und Wiederkehr, um individuelle Selbstbehauptung und kollektive Anstrengungen und letztlich auch um die bittere Erkenntnis aufseiten der Athleten, den Limitierungen der eigenen physisch-organischen und psychischen Verfasstheit trotz aller Trainingsanstrengungen dauerhaft nicht entgehen zu können. Auch den bereits in den Mythen des Altertums artikulierten Drang der Heroen, durch herausragende Taten als einzigartige Person immerwährenden Ruhm zu erringen, um zu einer Legende zu werden und die Angst zu kontern, im ewigen Vergessen zu
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verschwinden, kann der Sport über seine Rekordofferte und das damit verbundene heroische Individualisierungsversprechen in einer öffentlich nachvollziehbaren Weise bedienen. Der sportliche Wettkampf erscheint in dieser Hinsicht als ein modernes Drama, das durch eigens hierauf spezialisierte Organisationen in Wettkämpfen und Wettbewerbsserien immer wieder neu vor den Augen des Publikums in Szene gesetzt wird. Im Gegensatz zum griechischen Drama der Antike, dessen Verlauf und Ausgang den damaligen Zuschauern bereits beim zweiten Besuch allumfassend bekannt gewesen wäre, ist das moderne Sportdrama ein Real-life-Event mit einer strukturell erzeugten und garantierten Verlaufs- und Ergebnisoffenheit. Sportliche Wettkämpfe erschaffen dadurch permanent etwas Neues und Kontingentes. Die Handlungen sind nicht wie in einem Theater- oder Filmskript ein für allemal festgelegt, sondern offen für Variationen, die sich erst im Moment des Geschehens ergeben und entfalten. Für das Heldenthema bedeutet dies: Sportliche Wettkämpfe erlauben durch ihre Prozess- und Ergebnisoffenheit, dass die beteiligten Figuren sich in einer von außen beobachtbaren Weise überraschend verändern und entwickeln können. Sie besitzen dadurch ein nahezu unerschöpfliches narratives Potential. Hoffnungsträger können kläglich scheitern oder sich gegen alle Erwartungen positiv bewähren. Bereits Abgeschriebene können wie Phönix aus der Asche auferstehen und einen weltweiten Ruhm erlangen. Das aus der Dramatik und Kontingenz sportlicher Wettkämpfe ableitbare Handlungs-, Themen- und Figurenarsenal ist auf dieser Grundlage geeignet, das Publikum zu faszinieren – besonders wenn es parasoziale Identifikationen zulässt und Eingang in die Lebenswelt des Publikums findet. Typisch für den Sport ist, dass die Identifikationsbereitschaft des Publikums durchaus flexibel ausfallen kann und situativ eine scharfe Trennung zwischen denen vornimmt, die einen Sieg zu eigenen Gunsten herbeiführen sollen, und jenen, denen man die Niederlage gönnt. Wenn Athlet X als Mitglied einer verhassten Gegnermannschaft in einem Bundesligaspiel ein Tor tritt und damit der eigenen Vereinsmannschaft die Meisterschaft verwehrt, erhält er hierfür vom Gegnerpublikum nicht den Ritterschlag zum Helden. Wenn aber derselbe Spieler als Mitglied der Nationalmannschaft auftritt und bei einer Weltmeisterschaft einige Minuten vor dem Abpfiff das spielentscheidende Tor erzielt und damit der eigenen Nationalgesellschaft die Weltmeisterschaft sichert, erhält er einen heroischen Status zugesprochen.
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Die an den exemplarischen Sozialfiguren des Sports festgemachte parasoziale Verehrung verweist dabei auf die Fähigkeit des Sports, die Biografie- und Erinnerungsarbeit der Zuschauer anhand der außeralltäglichen Leistungen einzelner Athleten oder Mannschaften mit markanten Ereignissen zu versehen. Sportler, die über Jahre erfolgreich waren und in ihren Wettkämpfen durch ein mitfieberndes Sportpublikum begleitet wurden, sind Quellen für biografische Erinnerung und Selbstverortung aufseiten des Publikums. Als die deutsche Fußball-Nationalmannschaft 1970 bei der FIFA-WM in Mexiko in der später als »Jahrhundertspiel« bezeichneten Begegnung gegen Italien trotz eines Ausgleichstors von Karlheinz Schnellinger in der 90. Minute gegen Italien verlor, Muhammad Ali im Oktober 1974 George Foreman in Kinshasa besiegte, Boris Becker im Jahre 1985 als bis dahin jüngster Tennisspieler das Grand-Slam-Turnier in Wimbledon gegen Kevin Curren gewann, Jan Ullrich im Sommer 1997 die Tour de France als erster deutscher Fahrer für sich entscheiden konnte, die deutsche Fußball-Nationalmannschaft 2014 in Brasilien gegen Argentinien Weltmeister wurde und vorher die brasilianische Nationalelf in einem denkwürdigen Spiel mit 7:1 erbarmungslos vor den Augen des heimischen Publikums deklassiert hatte, Roger Federer Ende Januar 2018 in Melbourne zum zwanzigsten Mal einen Grand-Slam gewann, die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft bei den Olympischen Winterspielen in Südkorea in einem dramatischen Finale gegen die olympischen Sportler aus Russland Silber errang und Gold knapp verfehlte oder Angelique Kerber erstmals das Wimbledonturnier gegen Serena Williams gewann, verschafften die daran beteiligten Sportler, ohne dies beabsichtigt zu haben, vielen Zuschauern und Mitgliedern ihrer Herkunftsmilieus bleibende, biografisch verwertbare Erinnerungen und Momenterfahrungen. In der Heldenverehrung stattet das Publikum demnach auch Dank für sportlich vermittelte Erlebnisse, Emotionen und erfolgreiche Stellvertretung ab.4 Denn Wettkampferfolge lassen sich, ebenso wie markante politische Ereignisse, als Ankerpunkte für die eigene biografische Memorierungsarbeit nutzen. Der Sportjournalist Michael Reinsch bemerkte hierzu treffend: »Erfolg, Erinnerung und Hoffnung verschmelzen zu einem Status ähnlich dem Adelsstand. Max Schmeling, Franz Beckenbauer, Boris Becker und ihr ostdeutsches Pendant Täve Schur sind solche Ritter des Sports und des öffentlichen Bewußtseins. Die Begeisterung, 4 | Zur Soziologie der Dankbarkeit vgl. Simmel (1908).
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die sie auslösten, ist als kollektive Erinnerung abgespeichert und wird mit einfachen Reizen reaktiviert – das ergibt dann die Gänsehaut in Erinnerung nicht nur an großen Sport, sondern auch an eine Zeit, in der wir jung waren und alles möglich.«5 Erleichtert wird die Fähigkeit, Akzeptanz, Wohlgefallen sowie Stellvertreter- und Selbstergänzungsbedürfnisse beim Publikum zu erzeugen, durch den Umstand, dass Sporthelden durch Talent, langjähriges Training und logistische Unterstützung von außen mit Leistungen glänzen, die Zuschauer in der Regel selbst nicht zu erbringen vermögen. Sportdisziplinen, die nicht im alltäglichen Repertoire des Breitensports vertreten sind, weil eine eigenständige Breitensportrolle aufgrund der Komplexität, Finanzintensität und Riskanz der Sportart nicht ausdifferenziert werden konnte (Beispiele: Skispringen, Turmspringen, Formel-1-Rennen, Ultra-Triathlon, Cliff Diving, Free-solo-Climbing, Apnoetauchen, Big-AirSnowboard, Slopestyle-Snowboard, Ski-Freestyle, Air Race etc.), beeindrucken in besonderer Weise, weil den Zuschauern die Akzeptanz der dargebotenen Leistungen durch den Vergleich mit der eigenen Begrenztheit relativ einfach gelingt. Dies erinnert an die Situation des Zirkuspublikums, das Darbietungen unter dem Kuppeldach oder in der Manege auch deshalb schätzt und mit Applaus beantwortet, weil es diese noch nicht einmal annäherungsweise selbst zu erbringen vermag. Jongleure, Hochseilartisten, Luftakrobaten, Trapezkünstler, Löwen- und Tigerbändiger, Braun- und Eisbärdompteure, Fakire auf Nagelbrettern, Schwertschlucker und Entfesselungskünstler im engen Tauchbecken animieren beim Publikum keinen Nachvollzug, sondern rufen Bewunderung und Staunen hervor. In breitensportlich betriebenen Disziplinen wie Turnen, Schwimmen, Fußball, Handball, Leichtathletik, Golf oder Tischtennis haben die Sporthelden im Wettkampf ein hochstehendes Exzellenzniveau vorzuführen, um Zweifel an ihrer Kompetenz zu zerstreuen. Eigene Erfahrungen helfen dabei, Respekt und soziale Anerkennung zu erzeugen. Wer im Sportunterricht selbst am Reck hing und die Riesenfelge nur mit Angst und mehrfacher Personenhilfe hinbekam, weiß die extraordinären Leistungen olympischer Spitzenturner aufgrund eigener Anschauung und Minderkompetenz zu schätzen. Und wer als Fußballspieler einer unteren Liga an der »Ambivalenz des Balls« (Gebauer 2006: 34ff.) immer wieder scheiterte, wird denjenigen bewundern, der die Eigendynamik des 5 | Siehe FAZ (12.4.2003: 31).
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Balls unter den scharfen Konkurrenzbedingungen nationaler und internationaler Wettbewerbe souverän zu zähmen versteht. Aufgrund der großen Differenz zwischen Athletenleistung und zuschauerischer Eigenkompetenz erwecken Helden keine Neidgefühle, sondern lösen neben einem generellen Wohlgefallen Verschmelzungsund Selbstergänzungsphantasien aus. Wenn Neid, wie vielfach in Psychologie und Psychoanalyse kolportiert, eher auf ein »ungelebtes Leben« des Neiders verweist, deutet die Sportbegeisterung des Publikums auf ein gelebtes, durch sportliche Fremdleistungen bereichertes Leben hin.6 Zuschauer fühlen sich nicht als Zukurzgekommene, wenn nationale Sportler bei internationalen Wettkämpfen mithalten können oder gar stellvertretend für sie gewinnen, sondern als Beschenkte. Weltweit heißt das Schulterschlussmotto nach einer gewonnenen Fußball-Weltmeisterschaft in der Boulevardpresse der Siegernationen: »Wir sind Weltmeister!« Und dies, obwohl niemand aufseiten des nationalen Publikums in den diversen Spielen des Turniers die Chance hatte, selbst gegen den Ball zu treten. Dass Athleten Akteure sind, die das Publikum in aller Regelmäßigkeit als Stellvertreter für eigene Erfolgs- und Siegesambitionen in Anspruch nimmt, bemerkte bereits vor Jahrzehnten der französische Soziologe Roger Caillois (1982: 137ff.). Zum Star- und Heldenkult in der modernen Gesellschaft hielt er fest: »Jeder möchte gern der Erste sein: […] Aber jeder weiß oder ahnt, dass er es wahrscheinlich nicht sein wird, weil es nur einen Ersten gibt. Daher entscheidet er sich dafür, durch eine Mittelperson Sieger zu werden, durch Stellvertretung, die einzige Art, wie alle zur gleichen Zeit und ohne Anstrengung und ohne Risiko des Scheiterns triumphieren können.« Diese Interpretation lässt sich soziologisch wie folgt ergänzen: Da nicht jedes Gesellschaftsmitglied erfolgreich und sichtbar in Leistungsrollen tätig sein kann, sondern im Kontext einer funktional differenzierten Gesellschaft mehrheitlich in partialen Publikums-, Konsumenten-, Patienten- und anderen passiv bleibenden Empfängerrollen inkludiert ist, nutzen Zuschauer den Spitzensport und dessen Akteure, um sich in erfolgreiche und öffentlich bewunderte Leistungsrollenträger hineinzuimaginieren und an deren Ruhmes- und Heldentaten teilzuhaben, insbesondere dann, wenn diese ausdrücklich soziale Kategorien repräsentieren, die vom Publikum in besonderer Weise wertgeschätzt werden. 6 | Zur Soziologie des Neids siehe Paris (2010).
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Der Bedarf, eine symbolische Selbstergänzung durch Heldenverehrung zu vollziehen, verweist in einem bislang unbeachtet gebliebenen Zusammenhang auf den Umstand, dass Menschen in einer differenzierten Gesellschaft nirgendwo mehr »ganz« in ihrer psychischen und physisch-organischen Verfasstheit anwesend sind und nachgefragt werden. Wenn in den modernen Subjekten Gefühle der Zerrissenheit und Unvollkommenheit aufkommen, liefert die Heldenverehrung lokaler, regionaler und nationaler Sportgrößen die Möglichkeit, auf Referenzpunkte zurückgreifen zu können, die nicht nur beiläufig, sondern bewusst mit dem Versprechen auf Repräsentation und Gemeinschaftsinklusion (»You’ll never walk alone!«) auftreten. Die parasoziale Identifikation des Publikums wird dadurch erleichtert, dass überindividuelle Kollektive einzelne Sportler oder Mannschaften explizit in den Wettkampf schicken, nachdem sie diese talentmäßig gesichtet, geschult, trainiert und finanziell unterstützt haben. Die Idee der Stellvertretung war bereits Kernbestandteil der antiken olympischen Spiele. Die Athleten traten zu den Wettläufen im Stadion, zu den Ringund Faustkämpfen, zum Pentathlon und zu den Pferde- und Wagenrennen im Hippodrom nicht nur an, um Zeus zu huldigen, sondern auch um selbst berühmt zu werden und die Ehre der eigenen Herkunftspolis zu mehren. Hierfür wurden sie anschließend auch entsprechend belohnt. Im frühneuzeitlichen Sport ging es ebenfalls um die Durchsetzung von Stellvertreterinteressen. Das adelige Haus schickte Diener oder auch Tiere ins Rennen oder in den Ring, um Wetten auf den Ausgang abzuschließen und die Reputation der Entsendenden zu erhöhen. Lauf- und Ruderwettbewerbe, Boxwettkämpfe und Pferderennen waren aufgrund der adeligen Patronage die ersten Sportarten, über die medial berichtet wurde. Die beiden Weltereignisse des Sports, die Olympischen Spiele der Neuzeit und die Fußball-Weltmeisterschaft, sind Wettbewerbe, an denen Athleten und Athletinnen ausdrücklich als Vertreter von Nationalstaaten mit expliziten Leistungsaufträgen und entsprechenden Herkunftsemblemen und Insignien teilnehmen. Sportler, die bei diesen Ereignissen Medaillen, Pokale, Titel und knappe Rangplätze erringen, erzeugen beim Herkunftsmilieu das Gefühl einer erfolgreichen nationalen Gemeinschaft, welche die mitfiebernden Zuschauer ausdrücklich miteinbezieht. Selbst die außersportlichen Lebensbezüge der Athleten können für Zuschauer interessant werden, wenn die vom Publikum erwarteten Leistungen in Gefahr stehen, nicht erbracht werden zu können. Die Muskelzerrung eines sportlichen
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Hoffnungsträgers, die Scheidung eines Nationaltorwarts vor einer anstehenden Weltmeisterschaft oder die Fahrerflucht eines angetrunkenen Radsportidols nach durchzechter Nacht vor einem weltweit renommierten Etappenrennen bekommen dann einen Stellenwert in der Öffentlichkeit, der weit wichtigere Themen wie Übermilitarisierung, Hunger, Klimakatastrophe, Überbevölkerung und Terrorismus kurzzeitig in den Hintergrund drängt. Um die Idee der Stellvertretung sinnlich darzustellen und mit Hilfe der Massenmedien in die Weltöffentlichkeit zu transportieren, umhüllen sich die Athleten auf ihren Ehrenrunden mit Nationalflaggen, die Trainer oder andere Sekundanten ihnen gereicht haben. Bei Siegerehrungen erklingen die Nationalhymnen der Herkunftsländer. Im Zuschauersport kann durch Identifikation und gemeinsames Mitfiebern beim Public Viewing, im Stadion oder durch daumendrückendes Kollektivhandeln vor dem Bildschirm offensichtlich punktuell dem Gemeinschaftsverlust entgegengearbeitet werden, der durch Modernisierung und Globalisierung strukturell erzeugt worden ist. Die Drei-Generationen-Familie ist durch die räumliche und soziale Trennung von Familie und Wirtschaft sowie Prozesse der Urbanisierung praktisch eliminiert worden. Selbst in der neueuropäischen Kernfamilie ist ein dauerhaftes Gemeinschaftserleben immer unwahrscheinlicher geworden, weil die Partizipation beider Elternteile am Wirtschaftssystem und die zeitintensive Inklusion der Kinder am Schulsystem eine aktive Gemeinsamkeit eher hintertreiben. Und in den Städten zeigen Menschen in der urbanen Öffentlichkeit eine demonstrative Gleichgültigkeit gegenüber ihren Mitmenschen, um sich so vor Überforderung zu schützen. Die räumliche Mobilität hat zugenommen, selbst räumliche Nähe kann nicht mehr ohne weiteres in soziale Nähe überführt werden, wie etwa die Anonymität großstädtischer Wohnviertel zeigt. Nicht zuletzt sorgen auch Fernsehen und Internet dafür, dass Menschen einander weniger treffen als früher. Diese Verdrängung gemeinschaftsstiftender Begegnungen nimmt der Person eine wichtige Quelle der Identitätsbestätigung. Sportzuschauern eröffnen sich durch direkte oder mediale Teilnahme sowie durch parasoziale Identifikation Gelegenheiten einer »posttraditionalen Vergemeinschaftung« (Hitzler 1998) in einer »individualisierten« Gesellschaft, ohne allerdings in der Gemeinschaft der Sportinteressierten und -begeisterten eine therapeutische Tiefe erreichen zu müssen. Wenn nationale Spitzenathleten auf dem internationalen Parkett nicht mehr erfolgreich sind oder ihre Karriere be-
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endet haben, man erinnere sich nur an die Situation im bundesdeutschen Tennis nach dem Ende der Sportkarriere von Boris Becker und Steffi Graf, geht erfahrungsgemäß das Interesse des nationalen Sportpublikums an den betreffenden Disziplinen schlagartig zurück. Insofern hat die Begeisterung des nationalen Sportpublikums in einer globalisierten Welt durchaus etwas mit dem Begehren der Zuschauer zu tun, durch eigene Athleten und deren Erfolge in der internationalen Sportöffentlichkeit angemessen vertreten zu werden. Staatliche Akteure instrumentalisieren und verstärken die Fähigkeit des Spitzensports, mit eigenen Sporthelden eine Massenloyalität nach innen zu erzeugen und Sichtbarkeit und Aufmerksamkeit nach außen herzustellen. Leistungssportliche Erfolge werden sowohl national als auch international als Mittel »symbolischer Politik« (Edelman 1964) genutzt. Politiker zeigen sich auf Ehrentribünen, überreichen Medaillen und Pokale und sonnen sich im Schatten nationaler Sporthelden, um Volksnähe zu beweisen und die eigene Wählbarkeit zu steigern. In den USA eröffnet der amtierende Präsident traditionellerweise die Baseball-Saison vor versammelten Kameras mit einem symbolischen Wurf und lädt die Prominenz der Sportzunft ins Weiße Haus ein. Ein bekannter deutscher Politiker fuhr regelmäßig bei der Tour de France im Begleittross eines berühmten Sportlers mit und schrieb später ein Buch über seine dort gemachten Erfahrungen. Für die politischen Selbstdarstellungs- und Stellvertretermaßnahmen einer Nationalgesellschaft sind die Helden des Sports durchaus wichtig geworden – wie die positive Resonanz gezeigt hat, die die deutsche Fußballnationalmannschaft durch ihre Auftritte bei erfolgreich absolvierten Weltmeisterschaften im In- und Ausland erzielen konnte. Letztlich funktioniert die gesamte subsidiäre Finanzierung der Spitzensportförderung durch die Politik auf dem einfachen Tauschprinzip: »Geld oder geldwerte Leistungen gegen die internationale Repräsentation durch nationale Sporthelden«. Wohlgefallen, Anschaulichkeit und leichte Verstehbarkeit sind wichtige Voraussetzungen für die Übernahme einer derartigen Stellvertreterfunktion. Hinzu kommt, dass die Erfolge politischen Handelns selbst nur schwer darstellbar und messbar sind. In der Regel erfolgen die systemspezifischen Handlungen von Politikern hinter verschlossenen Türen, in Sitzungssälen oder auf Amtsfluren, meist in Aushandlungsprozessen, die nach außen nicht kommuniziert werden, und rufen polarisierende Effekte bei den Gesellschaftsmitgliedern hervor, weil politische
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Entscheidungen differentielle Wirkungen in der Realität der Gesellschaft entfalten. Oft zeigen sich die Ergebnisse politischer Entscheidungsprozesse auch erst nach Jahren der gesetzgeberischen Leistungserbringung und werden dann meist von den gegnerischen Parteien verleugnet oder kleingeredet. Wenn sich aber Politiker öffentlichkeitswirksam mit eigenen siegreichen Sportlern umgeben, die sie vorab durch entsprechende Maßnahmen unterstützt haben, kann deren Bekanntheit und Erfolgsnimbus auch auf sie abstrahlen (Bette/Schimank 1995a: 95ff.). Die Politik nutzt demnach die Sichtbarkeit des Spitzensports, um sich selbst sichtbar zu machen. Sie greift dabei auf ein Publikum zurück, das es schon gibt und nicht erst von ihr konstituiert werden muss. Ein weiterer Grund für die weitverbreitete Inanspruchnahme der Sporthelden als Stellvertreter nicht nur des Publikums, sondern auch der Politik liegt in den veränderten Bedingungen der politischen Landschaft und den hieraus resultierenden Restriktionen für die Identifikation der Gesellschaftsmitglieder mit dem eigenen Nationalstaat. Dass der Spitzensport überhaupt auf dem Bildschirm politischer Akteure auftaucht, weist auf den Bedeutungsverlust nationaler Politik hin. Für den Fall der Bundesrepublik Deutschland bedeutet dies: Durch das Zusammenwachsen Europas seit Abschluss der römischen Verträge im Jahre 1957 haben sich die Bedingungen für das politische Handeln und die Ausprägung und Artikulation nationaler Identität drastisch verändert. So hat der Nationalstaat durch die Installierung supranationaler Institutionen und das Abtreten juristischer Befugnisse an übergeordnete politische Instanzen immer mehr Kompetenzen nach außen abgegeben. Spätestens seit der Einführung eines neuen europäischen Währungssystems im Januar 2002 kann nationale Identität nicht mehr auf der Stärke der eigenen Nationalwährung fußen. Was einerseits notwendig war, um die jahrhundertealte Konkurrenz und Rivalität zwischen den europäischen Nationalstaaten durch die Schaffung festzementierter Gemeinsamkeiten zu zähmen, hat andererseits zu einem Verlust vormals identitätsstiftender nationaler Gemeinschaftssymbole geführt. Der Spitzensport avancierte infolge dieser Entwicklung sowohl nach innen als auch nach außen zu einem wichtigen Instrument der nationalen Selbstdarstellung. Sporthelden zeigen, dass trotz des supranationalen Zusammenwachsens die Repräsentation eines Nationalstaates in einer von alten Nationalismen bereinigten Weise noch möglich ist. Spitzensportliche Konkurrenzen, in denen Personen, Mannschaften oder Vereine als Vertreter von Nationalstaaten gegen-
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einander antreten, sind die vielleicht letzten Foren, die sich – bei aller Verbissenheit der Kontrahenten – für schnelle, treffsichere und regelgeleitete Vergleiche eignen und zudem nicht jene Anrüchigkeit besitzen, die wirtschaftlichen, politischen oder militärischen Konkurrenzen und Erfolgen zu eigen ist. Wenn Erbfeindschaften zwischen Nationalstaaten aufgrund gemachter Negativerfahrungen nicht mehr kultiviert werden und politische und wirtschaftliche Akteure darauf verzichten, die eigene Nation mit chauvinistischen Gesten als überlegen darzustellen, bietet der Spitzensport die Möglichkeit, dass Einzelpersonen oder Mannschaften in einer spannenden und spielerisch-leichten Art und Weise auf ihre lokale, regionale oder nationale Herkunft und Leistungsfähigkeit aufmerksam machen können. Eben weil die Grenzen von Gesellschaften, wie die neuere Theorie der Weltgesellschaft (Luhmann 1971; Stichweh 2000) herausgearbeitet hat, nicht mehr durch Raumgrenzen adäquat beschrieben werden können, übernehmen Gemeinschaftsfiktionen die Aufgabe, die Einheit des Differenten zu transportieren und den Gesellschaftsmitgliedern entsprechende Identitäts- und Inklusionsofferten anzubieten. Sporthelden helfen dabei, die großen Geschichten zu erzählen, die für Gemeinschaftsbildungen unerlässlich sind. Gemeinsam geteilte affektive Erfahrungen, die im Zeitalter der Massenmedien auch mit Hilfe technischer Mittel hergestellt werden können, sind wichtig für Prozesse der Sozialintegration der Gesellschaftsmitglieder und die Herausbildung eines »Kollektivbewusstseins«.7 Sportliche Meriten können die Bürger auch kurzzeitig über politische Zumutungen oder Misserfolge hinwegtrösten. Der in einer Sphäre des »Als ob« angesiedelte Sport eignet sich in besonderer Weise, eine emotionale Vergemeinschaftung zu ermöglichen und Identitätseinbußen zu überwinden, die durch Prozesse supranationaler Kooperationen 7 | Durkheim (1998 [1912]: 571) dachte in diesem Zusammenhang nicht an den Sport, sondern an die Religion. Dennoch lassen sich seine Ausführungen zur sozialintegrativen Funktion gemeinsam geteilter Gefühle für die anstehende Analyse nutzen: »Es gibt keine Gesellschaft, die nicht das Bedürfnis fühlte, die Kollektivgefühle und die Kollektivideen in regelmäßigen Abständen zum Leben zu erwecken und zu festigen. Diese moralische Wiederbelebung kann nur mit Hilfe von Vereinigungen, Versammlungen und Kongregationen erreicht werden, in denen die Individuen, die einander stark angenähert sind, gemeinsam ihre gemeinsamen Gefühle stärken.«
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entstanden sind. Auch die biografischen Brüche, die als Konsequenzen funktionaler Differenzierung erwartbar sind, lassen sich durch Rückgriff auf den Sport mildern. Nationale Sporthelden sind zudem der kleinste gemeinsame Nenner in Nationalstaaten, in denen durch Inklusionsbarrieren scharfe soziale Gegensätze entstanden sind. Trotz zahlreicher Unterschiede und Inhomogenitäten kann die Einheit der Nation zumindest im gemeinsamen Jubel für nationale Athleten und Mannschaften stattfinden, die bei den Weltereignissen des Sports gut gekämpft haben oder gar die höchsten Meriten erreichen konnten. Staaten, die dabei sind, sich neu zu entwickeln oder Schwierigkeiten haben, wirtschaftlich im Globalisierungsprozess erfolgreich zu sein, setzen ebenfalls auf die Karte des Sports, um in der Weltgemeinschaft auf sich aufmerksam zu machen und Nationalstolz nach innen zu erzeugen.8 Man denke nur an die Bedeutung jamaikanischer Sprinter, isländischer oder kroatischer Fußballer und kenianischer Mittel- und Langstreckenläufer für die globale Bekanntheit ihrer Herkunftsländer und die Selbstdeutung ihrer Einwohner. Der Sport eignet sich in besonderer Weise als Symbolträger für die Generierung von Wir-Gefühlen nach innen und die Repräsentation eines Kollektivs nach außen, weil er in seiner Dramaturgie die CommunitasIdee bereits realisiert hat und mit Hilfe von Personen und Mannschaften sinnlich wahrnehmbar zum Ausdruck bringt. Der dem Wettkampf inhärente künstliche soziale Konflikt um ein knappes Gut, den sportlichen Sieg, erweist sich in diesem Zusammenhang als Solidarisierungsgenerator. Den eigenen Sportlern drückt man die Daumen, den anderen gönnt man die Niederlage. So entstehen im Wettbewerb zwischen einer In- und einer Outgroup emotionale Vergemeinschaftungseffekte, die durch die medial ermöglichte Co-präsenz von Athlet und Publikum auch jenseits der Sportstätten ihre Wirkungen entfalten können. In Public-Viewing-Räumen sieht der einzelne Zuschauer nicht nur ein Fußballspiel auf einer großen Leinwand; er sieht auch, wie andere Zuschauer sehen und sich für eine gemeinsame Sache begeistern. Künstlich reduziert auf ein ZweiParteienspiel bedeutet dies: Ego sieht, dass Alter sieht und in der Situation affektiv aufgeht. Und Alter sieht, dass Ego sieht und emotional durch die Situation mit dem Erleben der anderen synchronisiert wird. Public-View8 | Siehe Holmes (1994) und Boyle (1996) zur Bedeutung der Fußball-Nationalmannschaften für Schottland und Irland. Vgl. auch Schwier (2006) und Leggewie (2006).
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ing-Räume sind demnach gut für ein »reflexives Erleben« (Bette 1999: 204ff.), ein Erleben des Erlebens, das für soziale Bindungen unerlässlich ist. In den Public-Viewing-Räumen lässt sich so relativ einfach die Idee transportieren, dass Differenzen, die Menschen sonst voneinander trennen, im gemeinsamen Interesse für eine Sportmannschaft nivelliert werden und zumindest für den Augenblick des Zuschauens und des gemeinsamen Genießens bedeutungslos sind. Während der Beobachtung nationaler Athleten, die an internationalen Wettkämpfen teilnehmen, sind außerdem keine Beschwörungsreden zu hören, in denen Politiker nationale Einheitsideen verbal-rhetorisch an den Mann bzw. die Frau zu bringen versuchen. Die Idee des Nationalen oder der vereinsbasierten Zugehörigkeit wird vielmehr nonverbal kommuniziert, und damit spielerisch-beiläufig dem Publikum nähergebracht. In Public-Viewing-Räumen erfolgt die Teilhabe am Geschehen außerdem nicht per Dekret, sondern auf freiwilliger Basis. Nicht wenige Staaten nutzen die gemeinschaftsstiftende und aufmerksamkeitserzeugende Kraft des Sports, indem sie bereits erfolgreiche Athleten oder erfolgversprechende Talente wirtschaftlich schwacher Länder gegen üppige Bezahlung zu einem Nationalitätenwechsel veranlassen, um so die Sichtbarkeit des aufnehmenden Landes zu erhöhen und das Fehlen eigener Talente und Talentförderprogramme zu kaschieren. Wie zahlreiche Beispiele zeigen, besteht die Gefahr, dass der mit Hilfe sportlicher Erfolge befeuerte Patriotismus bisweilen auch in einen überschießenden und lautdröhnenden Nationalismus und Suprematismus innerhalb und außerhalb der Stadien umkippen kann. Die Geschichte der Weltereignisse des Sports ist voll mit Beispielen, in denen totalitär geführte Nationalstaaten den Sport ohne Skrupel nutzten, um ihrem Geltungs- und Superioritätsbedürfnis eine sinnlich wahrnehmbare Gestalt zu geben – und dies auch mit Hilfe klammheimlich praktizierter Dopingprogramme. So setzte die DDR ihre internationalen leistungssportlichen Erfolge gezielt ein, auf eine diplomatische Anerkennung als eigenständiger deutscher Staat neben der Bundesrepublik hinzuarbeiten (Strenk 1979: 129f.). Für diesen Zweck investierte sie knapp zwei Prozent ihres Bruttosozialprodukts in den Sport, womit sie international weit an der Spitze lag. Tatsächlich wurde sie nicht zuletzt aufgrund ihres sportlich errungenen internationalen Prestiges seit Ende der 1960er Jahre von immer mehr Staaten formell anerkannt und konnte so die von bundesrepublikanischer
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Seite aufgestellte Hallstein-Doktrin, der gemäß einem Staat, der die DDR anerkannte, der Abbruch der diplomatischen Beziehungen vonseiten der Bundesrepublik angedroht wurde, erfolgreich und sichtbar außer Kraft setzen (Bette 1984a: 25ff.; Taylor 1988: 550; Geyer 1996). Die Konkurrenz zwischen beiden deutschen Staaten verschärfte sich, nachdem das Internationale Olympische Komitee 1965 beschlossen hatte, nicht mehr, wie zwischen 1956 und 1964, eine gesamtdeutsche Mannschaft für die Olympischen Spiele zu akkreditieren, sondern zwei getrennte deutsche Teams unter der Deutschlandfahne mit den olympischen Ringen an den Start zu schicken. Sie stellte so eine öffentliche Vergleichbarkeit her und eröffnete damit einen Wettstreit, der erst Jahrzehnte später durch die Wiedervereinigung beendet wurde. Der »Sputnik-Schock« des bundesdeutschen Sports erfolgte im Jahre 1968 bei den Olympischen Spielen in Mexiko City, als die Sporthelden der DDR unter den neuen Startbedingungen eine höhere Medaillenausbeute vorweisen konnten und überschwänglich die Überlegenheit des Sozialismus feierten. Mit Blick auf die anstehenden Olympischen Spiele in München 1972 und die damit drohende »Gefahr«, im eigenen Land als das sportlich unterlegene Gesellschaftssystem vorgeführt zu werden, antichambrierte der organisierte Sport in der Politik, um den staatssozialistischen Helden des Sports eine eigene erfolgreiche Heldenriege entgegenstellen zu können. Sporthelden können, wie diese Beispiele signalisieren, durch die Auslösung von Wohlgefallen und Sympathie eine Reihe von symbolischen Repräsentationsfunktionen übernehmen: für das eigene Geschlecht, den eigenen Verein oder die eigene Schicht, Region, Nation oder Ethnie. Der Sieg der deutschen Fußballnationalmannschaft 1954 in Bern verschaffte den Nachkriegsdeutschen nach dem verlorenen Weltkrieg eine weltweite Aufmerksamkeit als Siegernation und, daraus resultierend, ein Selbstwertgefühl, das, wie spätere Beobachter bemerkten, äquivalent zur erfolgreichen Einführung der D-Mark gewesen sein soll. Als Tiger Woods vor Jahren die Leistungsstandards der bislang von Weißen dominierten Golfszene neu definierte, wurde er schlagartig zu einem Vorbild für farbige Kinder und Jugendliche. Kathy Freeman, eine australische Läuferin, gewann die Goldmedaille über 400m bei den Olympischen Spielen in Sydney nicht nur für sich selbst, sondern auch für die in einer existentiellen Dauerkrise verharrenden australischen Ureinwohner, aus deren
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Mitte sie kam.9 In den 1970er und frühen 1980er Jahren hatte bereits die Tennisspielerin Evonne Goolagong als mehrfache Grand-Slam- und Wimbledonsiegerin weltweit auf die sportlichen Qualitäten der indigenen Bevölkerung Australiens aufmerksam gemacht. Die aus einem Armenviertel stammende brasilianische Judoka Rafaela Silva gewann bei den Olympischen Spielen 2016 die erste Goldmedaille für ihr Heimatland. Sie setzte sich damit gegen jene Kritiker und Nörgler sportlich durch, die sie vier Jahre zuvor nach einer Niederlage in der zweiten Runde bei den Olympischen Spielen in London noch auf das Übelste in den sozialen Netzwerken beleidigt hatten. Mit ihrem Olympiasieg machte sie nicht nur die Mitglieder ihres unmittelbaren Herkunftsmilieus stolz. Ganz Brasilien sah in ihr eine Heldin, die es gegen alle Widrigkeiten sportlich von unten bis ganz nach oben geschafft hatte. Wie die Soziologen Lindner und Breuer (1978: 21) zeigten, werden gerade diejenigen Sportler positiv vom Publikum geschätzt, die sich dem gleichen Arbeitsethos verpflichtet fühlen wie die Zuschauer in ihrer Berufstätigkeit. So spiegeln die Helden des Fußballs selbst nach Schließung der Zechen in einer idealtypischen Weise die physischen Fähigkeiten wider, die ein Arbeiter in der Zeche oder im Hüttenwerk aufzubringen hat, um beruflich überleben zu können: Härte, Hartnäckigkeit, Kondition, Ausdauer, körperliche Gewandtheit, Geschicklichkeit und das Fehlen von Wehleidigkeit. »Die körperliche Tätigkeit als Maßstab geleisteter Arbeit wird auch zur Einschätzung der Profifußballer angelegt.« Der Fußballer Uwe Seeler wird bis heute in Deutschland als nationale Ikone verehrt, weil er als »good guy« den gutbürgerlichen Tugendkanon im Sport stellvertretend vorlebte, Vereins- und Heimatverbundenheit zeigte, sich der Internationalisierung seiner Fußballerkarriere durch Abwanderung ins Ausland widersetzte und all diese Verhaltensweisen immer wieder durch erfolgreiche Torschüsse und Kopf bälle in der Vereins- und Nationalmannschaft veredelte, ohne als Person gegenüber seinen Bewunderern abzuheben. Uwe Seeler war als Fußballer eine Inkarnation jener Werte, die in den Jahren des deutschen Wirtschaftswunders hochgeschätzt wurden. Er war leistungsstark, bescheiden, pünktlich, heimatverbunden und stets freundlich. Vor allem blieb er seinem Heimatverein, dem Hamburger Sportverein, in Zeiten der beginnenden Globalisierung zeitlebens treu verbunden. 9 | Vgl. hierzu die Ausführungen von Bruce/Hallinan (2001).
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Wie stark die Helden des Sports als Stellvertreter vom Publikum in Anspruch genommen werden, zeigt der Umgang der Zuschauer mit jenen Athleten, die ihre Erwartungshaltungen nachhaltig enttäuscht haben. Heldencharisma ist, wie der Soziologe Lipp (1993: 17) formulierte, ein umgekehrtes Stigma, das ins Negative umkippt, wenn der Sportheld seine Fans beleidigt, durch Arroganz und Distanzgehabe düpiert oder durch eklatantes Fehlverhalten aus den Wolken auf die Erde fällt. Wer nicht alles gibt, sich beispielsweise im Wettkampf eher schont oder lässig in einer Pose der demonstrativen Überlegenheit und Indifferenz aus dem Stand spielt, erhält keinen Heldenstatus, sondern eher den Nimbus des arroganten Schnösels zugeschrieben, der sein Geld »nicht wirklich« verdient habe. Eine Nobilitierung als Nationalheld fand bei Franz Beckenbauer erst dann statt, als seine Art des Fußballspielens zu Welt- und Europameisterschaftsehren geführt hatte. Erst dann lernte das Publikum, seinen Bewegungsminimalismus und seine physische Kontaktaversion zu schätzen. Hymnische Lobpreisungen und Heldenverehrung aufseiten des Sportpublikums können nach Erwartungsenttäuschungen schnell ins Gegenteil, nämlich in Verachtung und Hass, umschlagen, wenn die vom Publikum hochgehaltenen Werte und Hingabe- und Stellvertretererwartungen ostentativ missachtet werden. Spott, Häme und ein demonstrativer Bewunderungsentzug in Gestalt von Pfiffen, Buhrufen, zugewendeten Rückenpartien oder Nichtanwesenheit im Stadion sind der Preis, den der vormals als Sportheld Verehrte zu bezahlen hat, wenn er die Ehrempfindungen, Loyalitätserwartungen und Verschmelzungsphantasien des Publikums, insbesondere des harten Fan-Kerns, nicht nur nicht erfüllt, sondern sogar schockartig zerstört. Bereits das Herumalbern eines Goldmedaillengewinners bei einer weltweit übertragenen Siegerehrung und die damit einhergehende offensive Sabotierung sportlicher Rituale können im beobachtenden Herkunftspublikum des Athleten ein kollektives Fremdschämen erzeugen und Zweifel an der potentiellen Heldenfähigkeit eines ansonsten erfolgreichen Sportlers hervorrufen. Arrogante, despektierliche Bemerkungen über den sozialen Status und die gesellschaftliche Bedeutsamkeit der eigenen Zuschauerklientel sind in besonderer Weise dazu angetan, die auf Verehrung, Stellvertretung und symbolische Repräsentation ausgerichtete Beziehung zwischen Sportlern und Fans von letzteren aufgekündigt zu bekommen. Der pekuniär motivierte Wechsel eines Sportstars zu einem verhassten Konkurrenzverein oder
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die abfällige Kommentierung vorhandener Differenzen und Einkommensunterschiede im Verhältnis von Publikum und Sportheld lassen die parasoziale Illusion einer Symmetrie zwischen Verehrern und Verehrten schnell platzen. Die kommunizierte Verachtung der Masse durch den Sportstar quittiert diese mit Achtungsentzug. Was vorher reputationsförderlich und identitätsstabilisierend wirkte, erhält nun die Qualität einer asymmetrischen Beziehung, in der Zuschauer die ihnen zur Verfügung stehenden Machtmittel rigoros einsetzen, um ein »cooling the mark out« (Goffman 1952) des vormals Verehrten vorzunehmen. Ein desillusioniertes Publikum kann einem Sportler den ihm nur geliehenen Heldenstatus somit auch wieder entziehen. Öffentliche Degradierungszeremonien sind die Konsequenz, wenn sich das heimische Publikum abwendet, wie das folgende Beispiel vor Jahren zeigte: Als der Fußballer Michael Rummenigge während einer gefilmten Telefonaktion auf die Frage eines Fans, ob ein Fußballprofi wie er nicht zuviel verdiene, antwortete, dass gute Fußballer wie er rar seien, Schlosser wie der Anrufer aber wie Sand am Meer zu finden wären, ging ein Aufschrei der Empörung mit Hilfe der auf Sensationen ausgerichteten Boulevardpresse durch die Fanreihen. Besonders verletzend wirkte die Herabwürdigung, weil sie in der medialen Öffentlichkeit vollzogen worden war. Was anschließend aufseiten des Publikums passierte, war ein Kampf um die Wiederherstellung verletzter Ehrgefühle. Wie Ludgera Vogt (1999: 513) in einem anderen Zusammenhang festhielt, ist dieser Kampf »immer auch ein Kampf für die Anerkennung des eigenen Identitätsentwurfs« und des eigenen Lebensstils. In Rückschau auf dieses Ereignis schrieb der Sportjournalist Holger Gertz (SZ vom 15.1.1998): »Am nächsten Tag stand der Dialog in jeder Zeitung, am übernächsten konnte ihn jeder Fan im ganzen Land auswendig, und als Rummenigge, zwanzig Jahre alt, am Wochenende darauf sein nächstes Spiel hatte, war alles anders als zuvor. ›Drecksau‹, aus zehntausend Kehlen, als der Stadionsprecher seinen Namen vorlas, Wutpfiffe bei dem Kurzpass. Aus dem kleinen Rummenigge war ein großes Arschloch geworden, und für viele Fans ist er das lange geblieben. [...] Als er fünf Jahre später von den Bayern zu Borussia Dortmund wechselte, wo die Menschen tagein, tagaus mit Stolz zur Schicht fahren, sammelten sich Schlosser, Müllfahrer, Bergarbeiter und all die anderen vor dem Stadiontor. ›Es gab Fan-Demos gegen mich wegen dem alten Spruch‹, sagt Rummenigge, 34 mittlerweile, ›da hab ich überlegt, ob ich da überhaupt hingehen soll.‹«
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Auch in weniger dramatischen Fällen schlechter Sportleistungen kann das Publikum die eigene Mannschaft daran erinnern, was an Engagement von den Stellvertretern an Loyalität und Hingabe erwartet wird. Wenn die Fans nicht mehr die eigene, sondern vielmehr das gegnerische Team per Klatschen unterstützen, demonstrativ in der ersten Halbzeit in den Stadiongängen stehenbleiben, aufs Spielfeld stürmen, um ihre Wut nach einem Abstieg in eine untere Spielklasse gewalttätig zum Ausdruck zu bringen, oder die Heimfahrt der Sportler nach einem verlorenen Spiel durch Sitzblockade verhindern, führen sie demonstrativ vor, dass Heldenverehrung und Loyalität nicht umsonst gewährt werden, sondern ihren Preis haben. Hinter dem demonstrativen Achtungsentzug steht eine aus dem Alltagssachverstand ausgeschleuste Austausch- und Gerechtigkeitslogik: Es soll nur derjenige mit Bewunderung, Beifall oder Heldenverehrung bedacht werden, der sich ehrlich bemüht, auch unter erschwerten Bedingungen am Leistungsprinzip festhält und die Adoration damit auch verdient. Ein dauerhaft als asymmetrisch wahrgenommener Austausch zwischen Sportlern und Fans zerstört die Illusion der Parasozialität und wird aufseiten des Publikums nur begrenzt toleriert. Heldenverehrung im Sport deutet damit mindestens auf zwei Referenzpunkte hin: erstens auf die Sportler und Sportlerinnen, die durch ihre außeralltäglichen Leistungen auf sich aufmerksam machen; und zweitens auf das Sportpublikum, das den Sportlern nach Erwartungserfüllung einen Heldenstatus durch entsprechende Verehrungs- und Huldigungspraktiken zubilligt. Es gibt demnach nicht nur ein »basking in reflected glory« der Zuschauer in den Leistungen der Athleten, sondern auch eine Widerspiegelung der von den Zuschauern hochgehaltenen Werte und Bedürfnisse in der Evaluierung sportlicher Leistungen. Dieser bislang in der Publikumsforschung vernachlässigte Zusammenhang erklärt, warum das Sportpublikum den Abstieg eines verehrten Sportlers nicht notwendigerweise negativ konnotiert und vormalige Achtung nicht deterministisch in Verachtung oder Häme umschlägt. Abstieg und Versagen kränken das Publikum beispielsweise nicht, wenn die negativen Verlaufsfiguren einer Sportlerbiografie anschlussfähig an die Lebenswelt des Publikums sind und die Folklore einer Sportart durch entsprechende Narrationen bereichern. Auch Abstiegsgeschichten können unter diesen Bedingungen faszinieren und Verständnis hervorrufen. Sporthelden erhalten ihren Sonderstatus demnach nicht nur durch das stellvertretende Erbringen sportlicher Leistungen, die das Erwartbare
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deutlich überschreiten; sie können ihren Status und ihre Reputation beim Publikum auch durch das Zeigen situativer oder auch lang andauernder Schwächen erwerben, in denen das Heldenpublikum sich selbst in seinen Begrenzungen, Unvollkommenheiten und heimlichen Wünschen zu sehen bekommt. Sportler, die über die Strenge schlagen, aus der Reihe tanzen, amouröse Auswärtsspiele jenseits fester Paarbeziehungen haben, sich mit Funktionären anlegen, Boulevardjournalisten und Paparazzi-Fotografen verachten, wegen Trunkenheit am Steuer oder wegen eines nicht vorhandenen Führerscheins auffallen, auf eine asketische Lebensführung pfeifen, in Hotel-Lobbies aus Frust über eine sportliche Niederlage in die Ecke urinieren oder ihr Geld nachts reflexionsfrei in Casinos verzocken oder im Auto liegen lassen, werden nicht pauschal verurteilt, sondern können durch ihre Entgleisungen und Selbstschädigungen bei nicht wenigen Zuschauern Verständnis oder sogar klammheimliche Sympathie hervorrufen. Sie distinguierten sich von den Regelkonformen, weil sie gegen Regeln und den Kodex der guten Sitten verstießen und dadurch in zugespitzter Weise »Normalität« zeigten. Athleten, die im Laufe ihrer Karriere stellvertretend für eine gemeinsame Sache wie Verein oder Nation in den Wettbewerb gezogen sind und sich dort tapfer geschlagen haben, können sich einen Vertrauensvorschuss erarbeiten, der auch Fehltritte einbezieht und verzeiht, wie das folgende Beispiel zeigt. Der nordirische Fußballprofi George Best, der Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre zu den weltbesten Spielern zählte, fiel als »erster Popstar der Fußballgeschichte« durch seinen exzessiv-hedonistischen Lebensstil jenseits des Stadions auf. Er verewigte sich in den Annalen seiner Sportart mit der bemerkenswerten und vielzitierten Äußerung: »I spent a lot of money on booze, birds (Frauen) and fast cars – the rest I just squandered.« Als er im Jahre 2002 im Alter von 59 Jahren nach jahrzehntelangen Alkoholexzessen und einer Lebertransplantation starb und in Belfast beerdigt wurde, wohnten Hunderttausende seiner Anhänger dem Trauerzug auf den Straßen bei und zollten ihrem toten Sporthelden Respekt.10 Anlässlich seines ersten Todestages gab die nordirische 10 | Andere Formen der Ehrerbietung gegenüber einem durch Suizid aus dem Leben geschiedenen Sporthelden (Robert Enke) fanden im Jahre 2009 in Hannover statt: kollektive Trauer im Heimstadion direkt nach dem Bekanntwerden der Selbsttötung; Schweigemarsch durch die Innenstadt hinter einem Transparent
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Ulster Bank eine Million 5 Pfund-Erinnerungsnoten mit seinem Konterfei heraus, die innerhalb kürzester Zeit vergriffen waren. Nach einer Volksbefragung wurde sogar der Hauptstadtflughafen Nordirlands in den »George Best Belfast City Airport« umbenannt. Wie diese memorabilen Ehrbezeugungen signalisieren, hatte Best die Menschen nicht nur durch seine Pässe, Dribblings und Tore auf dem Spielfeld verzaubert und dadurch sein Herkunftsland, Nordirland, jenseits der damals noch üblichen Religionskonflikte in einer positiven Weise auf die Weltkarte gebracht. Er hatte auch Anerkennung und Reputation durch seinen jenseits der Norm liegenden außersportlichen Lebensstil erworben. Die Entgleisungen und Maßlosigkeiten, die er sich als selbstzerstörerischer Held während und nach seiner Sportkarriere erlaubte, wurden ihm nicht einfach verziehen, sondern als Eigenschaften zugerechnet, die ihn außeralltäglich, einzigartig machten.11 George Best wird bis heute in Nordirland nicht trotz, sondern auch wegen seiner außersportlichen Eskapaden als singuläre Erscheinung, als Legende des Fußballs, verehrt. Sportler wie er fesseln das Publikum nicht nur durch ihre herausragenden Leistungen auf dem Spielfeld. Sie erzeugen auch dadurch soziale Aufmerksamkeit, dass sie neben ihrem sportlichen Leistungsindividualismus dem Individualismus des exzessiven Sich-Auslebens zugetan sind. Auch in dieser Hinsicht können Sporthelden Anerkennung erzeugen und bisweilen sogar Verschmelzungsphantasien auslösen, insbesondere bei jenen, die ihr Leben selbst im Alltäglichen, Gewöhnlichen und Nichtglamourösen zu absolvieren haben. In der mit dem Porträt des Athleten; öffentliche Trauerfeier im Stadion bei aufgebahrtem Sarg; Rederituale und Hinaustragen des Sarges durch sechs Mannschaftskollegen; Trauersendungen im Fernsehen und Zeitschriftenartikel in Tageszeitungen; Fernsehübertragung eines Gedenkgottesdienstes; Schweigeminute bei den nächsten Bundesligaspielen; Widmung geschossener Tore beim nächsten Länderspiel; Anfertigung und Tragen von Trauer-T-Shirts. All diese Reaktionen drückten nicht nur Betroffenheit, sondern auch Dankbarkeit für erbrachte Leistungen aus, die die Achtungserweisenden durch den Athleten symbolisch erhalten hatten. 11 | Siehe die Selbstbeschreibung seines Lebens, die George Best zusammen mit Roy Collins 2001 unter dem Titel »Blessed. The Autobiography« geschrieben hat, sowie den Film von Hellmuth Costard (1971): »Fußball wie noch nie – George Best«. Aufschlussreich sind auch die Darstellungen von Ponting (2012) und Schulze-Marmeling (2016).
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posthumen Verehrung und im Nachsehen des Exzessiven und Skandalösen schwingt eine Bewunderung des Publikums für jene Sportler mit, die Grenzen stellvertretend überschritten und das Übliche und Familienfreundliche im Sport hinter sich gelassen haben. Die Vorliebe einzelner Sportler für schnelle Autos, schöne Frauen, lange Haare, Glücksspiele, Alkohol und Barbesuche zu später Nachtstunde lässt sportliche Leistungen in einem anderen Licht erscheinen. Konsumatorische Präferenzen für das schöne Leben jenseits des Sports zeigen, dass Leistungsträger nicht notwendigerweise als zurückgezogene Asketen zu leben haben.
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Gegenüber den Helden der Antike, deren Namen und Taten durch Dichter oder umherziehende Bänkelsänger in Hymnen, Epen und Sagen gepriesen und auf Stelen und Prunkvasen oder in Reliefs und Mosaiken gewürdigt und verewigt wurden, erfolgt die Darstellung, Weiterverbreitung und Speicherung hochstehender individueller oder kollektiver sportlicher Leistungen heute primär in Wort, Schrift, Bild, Ton und Film mit Hilfe der Massenmedien. Auf der Grundlage sportinterner Leistungsmessungen, Bewertungskriterien, Statistiken und Zuschauerreaktionen definieren die Medien in maßgeblicher Weise, was als heroisch angesehen oder als unheroisch verworfen wird. Als bedeutsam für die heroische Zurschaustellung einzelner Athleten oder Mannschaften und die Dispersion von Heldennarrationen erwiesen sich technische Erfindungen wie die Telegrafie (1837), Fotografie (1839) und Telefonie (1876), der Stummfilm (1895) und der Hörfunk (1918) sowie der Tonfilm (1921), das Fernsehen (1931) und das Internet.1 Bereits die Telegrafie ließ den Raum schrumpfen, befreite die Signalübertragung von geografischen Restriktionen und veränderte die zeitlichen, räumlichen und sozialen Grenzen der Kommunikation. Informationen konnten den Raum von nun an schneller durchqueren als Menschen und Objekte. Aus Gründen der Kostenersparnis entstanden neue, schnörkellose Denk- und Schreibstile. Das drahtgebundene Kommunizieren auf Distanz per Telegramm marginalisierte Face-to-Face-Interaktionen und trug dadurch maßgeblich zur Entpersönlichung des wirtschaftlichen Handelns bei. Marktteilnehmer konnten in Kontakt treten, ohne in einer sozialen Situation co-präsent sein zu müssen (Carey 1989). Wirtschaft, Politik und Militär profitierten auf ihre 1 | Siehe Ziemann (2012: 30). Frühe Analysen zur »Communication Revolution« lassen sich bereits bei Albion (1932) finden.
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je eigene Weise von der »Verkabelung der Welt« (Osterhammel 2009: 1023ff.). Für die Entwicklung des Sports und die Verbreitung heroischer Diskurse war die Telegrafie besonders folgenreich: Sie machte Neuigkeiten über Personen und Ereignisse zur begehrten Ware. Die Ergebnisse von Baseballspielen, Pferde- und Yachtrennen, professionellen Boxkämpfen und Ruderwettbewerben fanden auf der Grundlage telegrafisch übermittelter Informationen schnell Eingang in Tagespresse, Wettbüros, Konversationskultur und öffentliche Meinung. Sportliche Konkurrenzen, die in den USA stattfanden, konnten nach Verlegung von Überseekabeln im Jahre 1866 erstmals zeitnah auch in Europa bekannt gemacht werden, und umgekehrt. Die Internationalisierung des Sports und seiner Akteure wurde dadurch maßgeblich beeinflusst. Die Ende des 19. Jahrhunderts publizierten Magazine konnten mit Hilfe der neuen Technologie Informationen über Wettkämpfe sammeln und verbreiten, die sich hinter dem Horizont ereignet hatten.2 Weitere Erfindungen trugen dazu bei, dass der Sport mit seinen Sozialfiguren in zunehmendem Maße Teil des öffentlichen Lebens wurde. »By 1900 sport had attained an unprecedented prominence in the daily lives of millions of Americans, and this remarkable development had been achieved in great part through the steamboat, the railroad, the telegraph, the penny press, the electric light, the streetcar, the camera, the bicycle, the automobile and the mass production of sporting goods.« (Betts [1953a] 1969: 146) Die Erfindung der Telefonie ermöglichte eine interaktionsfreie Kommunikation zwischen zwei Gesprächsteilnehmern und schuf nach Erfindung des Hörfunks die Rolle des Sportjournalisten, der in Echtzeit sportliche Ereignisse und Personen aus der Ferne vom Ort des Geschehens kommentierte, um das Erleben der Zuhörer mit dem Handeln der Sportler punktgenau zu synchronisieren. Live-Erlebnisse vor dem heimischen Radiogerät wurden so erstmals technisch ermöglicht.3 Das Fernsehen 2 | Für die Entwicklungsphase des Sports nach 1900 siehe Shergold (1979). Zur »Verdichtung und Beschleunigung des Verkehrs als Beitrag zur Entwicklung der ›modernen‹ Welt« vgl. Zorn (1977). 3 | Zur Entwicklung des Sportjournalismus in den USA im 19. Jahrhundert siehe Betts (1953b). Zur Kulturgeschichte des Radios in Deutschland siehe Koch/Glaser (2005). Ein Lob der seit Beginn der Fußball-Bundesliga existierenden Konferenzschaltung formulierte Domzalski (2001). Martínez (2002) beschreibt die narratologischen Begriffe und Unterscheidungen, mit denen Fußballspiele simultan
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steuerte seit den späten 1930er Jahren Bilder und Töne bei, die – nach ersten Sendestubenerfahrungen bei den Olympischen Spielen 1936 – an anonyme Massen übertragen werden konnten. Es installierte »panoptische« Verhältnisse: Man konnte erstmals mit den ausgelagerten Augen und Ohren der Fernsehkameras und Mikrofone als Zuschauer sehen und hören, ohne selbst gesehen und gehört zu werden (Foucault 1989: 257). Vor allem trug das Fernsehen in entscheidender Weise dazu bei, dass das Publikum als unorganisierte, dennoch aber wirkmächtige Kollektivität entstehen konnte. Wirtschaftliche und politische Akteure bemerkten schnell, dass sie über das Sportinteresse des Publikums eigene Interessen an das Publikum herantragen konnten. Bis 1958 gab es nur Live-Übertragungen von Sportwettkämpfen. Die Einführung des magnetischen Aufnahmeverfahrens (MAZ) sorgte Anfang der 1960er Jahre für eine Entkopplung von Sportereignis und Fernsehübertragung. Erstmals konnten aufgezeichnete Sportwettkämpfe zeitversetzt im Fernsehen übertragen werden (Mikos 2002: 31). Eine weitere wichtige Zäsur für die Globalisierung des Sports und die weltweite Bekanntmachung seiner Akteure war die Einführung des Satellitenfernsehens anlässlich der Olympischen Spiele 1964 in Tokyo. Waren die Helden des Sports der 1920er und 1930er Jahre wie Jack Dempsey, Gene Tunney, Joe Louis, Max Schmeling, Jim Thorpe oder die US-amerikanischen Baseballspieler Babe Ruth und Lou Gehrig vornehmlich noch Zeitungs-, Radio- und Wochenschauhelden, sind die gegenwärtigen Sportheroen in erster Linie Helden des Fernsehens und des mobilen Internets. Sie können infolgedessen nicht nur lokal, regional und national, sondern global im Augenblick des Geschehens multimedial konsumiert werden. Auf der Grundlage der Dynamik sportlicher Wettkämpfe und hierauf auf bauender Karrieren sind es die Massenmedien, die Geschichten vom Auf- und Abstieg der Helden und ihrer möglichen Wiedergeburt erzählen und diese Narrationen mit entsprechenden Bildern, Kommentaren und Rhetoriken plausibilisieren. Journalisten berichten in Echtzeit über Wettkämpfe oder informieren das interessierte Publikum über das Sportgeschehen in Vor- und Nachberichten, Kommentaren oder in frontal von Sprechern verkündeten Nachrichten. Athleten mit Helden-
im Radio erzählt und retrospektiv in den Printmedien rekonstruiert werden. Die Entwicklung des Fernsehsports in Deutschland beschreiben Burg/Digel (2002).
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potential dürfen ihre Sicht der Dinge vor laufenden Kameras in Mikrofone sprechen oder machen sich selbst zeitnah im Worldwideweb sichtbar.4 Heroische Narrative gehören zu den Standardplots, mit denen Sportberichterstatter sportliche Leistungen als spektakulär und verehrungswürdig bezeichnen. Dass die Medien, insbesondere das Fernsehen und die Boulevardpresse, sich der Hierarchisierungs- und Selektionspraxis des Hochleistungssports anschließen und bewusst auf Heldenverehrung oder auch symbolische Heldendegradierung setzen, hat mit ihrem eigenen Dramatisierungs- und Personalisierungsbedarf zu tun. Die künstlichen Krisen des Sports werden zu Themen der massenmedialen Kommunikation, weil sie anschlussfähig an das mediale Selektionsschema sind (Luhmann 1996: 58ff.). Mediale Selektionskriterien
Leistungen des Spitzensports
Neuheit von Informationen
Serienproduktion von Neuheit durch wiederkehrende Sportereignisse
Bevorzugung von Konflikten
Wettkampf als geregelter sozialer Konflikt zwischen mindestens zwei Parteien
Vorrang von Quantitäten
Quantifizierung von Leistung in Gestalt von Ranglisten, Tabellen, Titeln und Medaillen
Bevorzugung lokaler, regionaler und nationaler Bezüge
Präsentation lokaler, regionaler und nationaler Athleten und Mannschaften
Moralisierbare und skandalisierbare Normverstöße
Fairplay/Foulplay, Doping, Wettbetrug
Primat der Personalisierung
Sichtbarmachung individueller Leistung, Spitzensport als Heldenreservat
Abb. 4: Passfähigkeit von Spitzensport und Massenmedien 4 | Social Media verschaffen den Athleten ungeahnte Möglichkeiten der autonomen Sichtbarmachung und Eigenkommentierung sportlicher und privater Vorgänge jenseits der traditionellen Medienanstalten. Indem die Sportler mit Hilfe der neuen medialen Plattformen zu Regisseuren der eigenen Selbstinszenierung werden, machen sie anonyme Beobachter zu Voyeuren ihres Lebens. Diese können dann allerdings an gleicher Stelle mit Häme und Spott auf sportliche Minderleistungen und übersteigerte Selbstdarstellungen der Athleten reagieren.
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Massenmedien bevorzugen Informationen, die einen hohen Neuigkeitswert besitzen, konfliktträchtig sind, quantitative Verrechnungen ermöglichen, lokale, regionale, nationale Bezüge aufweisen und zudem personalisierbar und moralisierbar sind. Der Spitzensport bedient all diese Kriterien in besonderer Weise. Wettkämpfe sind geregelte soziale Konflikte zwischen mindestens zwei Parteien. Zudem passiert täglich etwas Neues. Man denke nur an die Berichterstattung über die Fußball-Bundesliga: Mannschaften steigen auf oder ab; Trainer werden eingestellt oder gefeuert; Spieler sind verletzt oder haben sich regeneriert; Torhüter überziehen einander wechselseitig mit Beleidigungen; Spieler der Reservebank äußern ihren Unmut über ihr marginalisiertes Sportlerdasein oder die Ehefrauen der Spieler treten untereinander in einen Schönheitswettbewerb. Der Spitzensport ist in dieser Hinsicht ein sozialer Mechanismus, der durch seine innere Dynamik die Medien davon entlastet, selbst permanent berichtenswerte und spannende Neuigkeiten mit großem Aufwand produzieren zu müssen. Auch wenn die Sendelizenzen in den traditionellen Sportarten inzwischen nicht mehr zu den Niedrigpreisen der 1960er und 1970er Jahre zu haben sind, ist die Produktion eigener Fernsehfilme ungleich aufwendiger und teurer als die Übertragung von Sportereignissen, die weitgehend eigenen dramaturgischen Prinzipien folgen und deren Hauptakteure nicht direkt von den Fernsehsendern bezahlt werden müssen. Der Sport erzeugt weiterhin durch seine Messrationalität und sein Hierarchisierungsbestreben Zahlen, Tabellen und Daten, über die sich medial trefflich kommunizieren lässt. Hierbei wird die Komplexität des Geschehens auf dem Rasen oder in einer Sporthalle auf Zahlen und Statistiken reduziert, die sich als Aufhänger für Kommentare und Einschätzungen sowie für das Erzählen von Anekdoten und Hintergrundgeschichten oder die Ausstrahlung alter Aufzeichnungen eignen. Radio, Fernsehen und Zeitung informieren dabei nicht umfassend-neutral über Sportereignisse, sondern bevorzugen die Athleten oder Sportdisziplinen der eigenen Stadt, Region oder Nation. Die restlichen Sportler werden, obwohl in der Majorität, durch die medial ermöglichte Fokussierung der Aufmerksamkeit auf die eigenen Helden zur reinen Staffage degradiert. Der Spitzensport ist mit seinem Figurentableau außerdem anschlussfähig an die Welt der Massenmedien, weil sportliche Wettkämpfe leicht moralisierbar sind: Die Differenz zwischen Fairplay und Foulplay lässt sich im Fernsehen eben nicht nur in Gestalt von Filmen, Bildern und
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O-Tönen zeigen; man kann die Geschehnisse anschließend auch anhand des Moralschemas von Gut und Böse kommentieren, um sich so als externer Sachwalter der sportlichen Fairness zu installieren. Doping, Wettbetrug und Bestechungspraktiken eignen sich in besonderer Weise für eine aufmerksamkeitsgenerierende Skandalberichterstattung. Auch der Personalisierungsbedarf der Medien – insbesondere der des bildorientierten Fernsehens – kann durch die Sichtbarmachung individueller Leistung im Sport sowie die Verehrung von Sporthelden leicht befriedigt werden. Wer Leser, Zuhörer oder Zuschauer dauerhaft zu begeistern hat, um Einschaltquoten oder Auflagenhöhe zu halten oder zu steigern, darf keine langen Geschichten über die Komplexität moderner Gesellschaften erzählen, sondern muss Informationen und Bilder liefern, die leicht identifizierbar sind und dem Unterhaltungsbedarf des Publikums entsprechen. Abstrakte Themen ohne Neuigkeitswert und Konfliktpotential, die sich außerdem noch einer Personenattribuierung und Moralisierung verweigern, haben in den Massenmedien geringe Chancen, berichtet zu werden. Abstraktion ist schlecht vorführbar, da sie sich der Transformation in eine eindeutige Bildsprache verweigert. Menschen hingegen kann man zeigen und anschließend interviewen. Und wenn sie dann noch spektakuläre Aktionen durchführen und den Stellvertretungsbedarf des Publikums abdecken, entsprechen sie der Logik der Massenmedien. Die Metamorphosen der Sporthelden sind in dieser Hinsicht besonders interessant und anschlussfähig. Wenn Helden knapp sind, erfolgt wie Gunter Gebauer (1996a: 150) formulierte, mitunter sogar ein »Heldenrecycling«, um den Bedarf der Medien und Zuschauer nach heroischen Leistungen abzudecken. »Es ist vor allem ein Typus, der wunderbar zur Heldenreserve taugt: die Davongejagten, Gescholtenen, unrühmlich Entlassenen. [...] Anti-Helden, die nach einem Zwischenspiel in der Unterwelt überschwenglich wieder aufgenommen werden.« Die große Nachfrage nach spitzensportlichen Ereignissen und Helden insbesondere durch das Fernsehen verweist nicht nur auf die Pu blikums- und Einschaltquotenabhängigkeit dieses Leitmediums. In einer Gesellschaft, in der man sieht, dass es immer weniger zu sehen gibt, weil die entscheidenden Informationsprozesse in der Nanowelt von Apparaten und Mikrochips stattfinden, erbringen Athleten und Athletinnen mit ihren Körpern gerade für die Fernsehanstalten realitätserzeugende Leistungen, die diese dankbar aufnehmen und nach eigenen Präferenzen verstärken. Der Sport dient dem Fernsehen durch seine Personen- und Kör-
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perorientierung als Evidenzbeschaffer, weil in einem Medium, das selbst viel Schein produziert, Garanten für Authentizität knapp geworden sind. Mit Hilfe der Personen- und Körpernähe des Sports kann das Fernsehen in der eigenen Programmstruktur eine markante Trennlinie zwischen Simulation und Realität ziehen. Sportübertragungen sind für die Programmverantwortlichen noch in einer weiteren Hinsicht bedeutsam: Medieninstanzen können die vorhandene Zuschauer/Athlet-Differenz des Sports für eigene Zwecke nutzen. Sie finden in den sportbegeisterten Zuschauern ein Publikum, das sie selbst als Publikum inkludieren können (vgl. Blöbaum 1994: 305ff.). Diesen Effekt hatten bereits politische Akteure zur Durchsetzung ihrer Interessen genutzt. Das Publikum ist dabei für ein genießendes und mitfieberndes Wahrnehmen freigesetzt. In Ergänzung des medientheoretischen Diktums von Niklas Luhmann (1996: 107), Unterhaltung hieße, »keinen Anlass (zu) suchen, auf Kommunikation durch Kommunikation zu antworten«, besteht das Reizvolle der medial ermöglichten Sportunterhaltung für das Publikum vornehmlich darin, nahezu permanent einen Anlass zu haben, spannende Sportkommunikation und personale Leistungserbringung mit genießender Wahrnehmung begleiten zu können, ohne selbst leistungsmäßig gefordert zu werden. Dass die Massenmedien die Personen- und Interaktionsofferte des Sports für ihre eigene Programmatik nutzen, zeigt sich in extremer Weise an ihrem Umgang mit der Prominenz dieses Sozialbereichs. Im Hofieren einzelner Sportstars treiben die Medien ihre Subjektivierungsarbeit auf die Spitze. Heldenverehrung durch die Medien ist Personalisierung pur. Im Rahmen einer »Ökonomie der Aufmerksamkeit« (Franck 1998) erzeugen die Größen des Sports eine Nachfrage durch ein interessiertes Publikum, das der Selbstbezüglichkeit der Medien bzw. dem Interesse der Medien an sich selbst in besonderer Weise entgegenkommt. Indem die Medien außeralltägliche sportliche Leistungen verbreiten und in die kommunikative Sphäre der Gesellschaft einspeisen, machen sie Sportler als Helden sichtbar und ermöglichen eine Verzeitlichung sportiven Handelns. Durch ihre Übertragungs- und Speicherfähigkeit können sie selbst diejenigen Zuschauer, die im Moment der Heldengeburt nicht in physischer Präsenz dabei waren, an der Heldenwerdung und -verehrung teilhaben lassen. Mit Hilfe der Medien können gegenwärtige Alterskohorten sogar die Helden vorheriger Generationen kennen- und schätzenlernen. Als Beispiel mag Jesse Owens, der farbige US-Leichtathlet gelten, der bei den
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Olympischen Spielen 1936 Goldmedaillen im 100m- und 200m-Lauf, in der 4x100m-Staffel sowie im Weitsprung gewann und damit seine sportlichen Leistungen vornehmlich im Radio-, Zeitungs- und Wochenschauzeitalter erbrachte, aber seinen Nimbus bis heute durch Fotos und den Olympiafilm von Leni Riefenstahl erhalten konnte und schon seit langem fester Bestandteil der nationalen und internationalen Heldenikonografie der Leichtathletik ist. Als Hintergrundgeschichte, die seinen Stern zum Leuchten brachte, dient bis heute der historische Kontext, in dem Owens seine Sporterfolge erbrachte: die Zeit des Nationalsozialismus und der US-amerikanischen Rassendiskriminierung. Nationale Heldengeschichten entstehen heute vornehmlich in jenen Momenten, in denen Journalisten die Möglichkeit erhalten, nationale Sportler bei internationalen Begegnungen mit eigenen Kameras und Mikrofonen zu begleiten, um deren Leistungen zu kommentieren und dem heimischen Publikum zu präsentieren, und zwar in Ergänzung zu den von den Wettkampfveranstaltern zur Verfügung gestellten Weltbildern und -tönen.5 Nationale Journalisten übernehmen dadurch wichtige narratologische und mediatorische Funktionen für nationale Helden- und Gemeinschaftsinszenierungen. Eine entsprechend gefärbte Verehrungsund Huldigungsrhetorik erfolgt in den nationalen Medien in aller Regelmäßigkeit nach symbolisch aufgeladenen Platzierungen eigener Athleten bei sportlichen Weltereignissen. Man denke nur an die »Helden von Bern« im Fußball, an die Größen des Tennis wie Steffi Graf und Boris Becker nach ihren Siegen in Wimbledon, an Jan Ullrich nach der »Tour der Leiden« im Jahre 1997 oder an Michael Schumacher nach seinen zahlreichen Grand-Prix-Erfolgen und Weltmeistertiteln in der Formel 1. Um Nähe zu den eigenen Athleten herzustellen und Sympathie zu den ins Feld geschickten Stellvertretern in einer nachvollziehbaren Weise zu demonstrieren, übernehmen Medienakteure jenseits der reinen Nachrichtensendungen Sprachkonventionen und Umgangsformen, die aus der Du- und Duschkultur des Sports stammen. Sie sprechen die Athleten in Interviews in simulierter Vertrautheit bisweilen mit einem Du an, zitieren in Textüberschriften die von Fans generierten Spitz-, Neck-, Spott- und Kosenamen einzelner Sportler und tragen so subtil dazu bei, 5 | Gunter Gebauer (1996b) verortete die Ergänzung der Weltbilder durch nationale Bilder im Jahre 1992 anlässlich der Olympischen Spiele in Barcelona und errechnete hieraus einen »neuen Nationalismus im Sport«.
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dass eine parasoziale Beziehung zwischen Publikum und Athlet entsteht.6 Durch Verniedlichung rücken sie das Ferne und Unnahbare der Athleten in den Nahbereich der Zuschauer und schlagen es der Sphäre des Vertrauten zu. Mit dem am Sportlernamen angehängten »i« überbrücken Journalisten soziale Distanz.7 Spitz- und Kosenamen bezeichnen zudem faktisch oder scherzhaft eine hierarchische Akzeptanz.8 Franz Beckenbauer wurde aufgrund seiner Verdienste als Spieler, Trainer und Mitorganisator einer Weltmeisterschaft als »Kaiser« geadelt und als »Lichtgestalt« bezeichnet. Oft beziehen die Journalisten Spitznamen auch auf das Aussehen, den Habitus sowie charakteristische Handlungsmerkmale eines Athleten. Der russische Tennisspieler Jewgeni Kafelnikow, der im Jahre 2000 bei den Olympischen Sommerspielen in Sydney die Goldmedaille gewonnen hatte, erhielt aufgrund seines harten Aufschlags den bezeichnenden Spitznamen »Kalaschnikow«.9 Alliterationen wie »Traut the Kraut« oder »Bum-Bum-Becker«10 helfen zusätzlich, die Athleten leicht memorierbar dem kollektiven Gedächtnis einzuverleiben. Bei besonders eindrucksvollen und überraschenden Erfolgen nationaler Athleten reden die Journalisten von »magischen«, »himmlischen«, »atemberaubenden«, »historischen Momenten«, die »für die Ewigkeit gemacht« seien; sie berichten von eigenen Gänsehauterfahrungen und nutzen statistisch abgesicherte Vergleiche, um die Athleten mit ihren Leistungen ins Außeralltägliche, Geniehafte und Heroische zu entrücken. Journalisten stellen Sportler im Rahmen ihrer Begeisterungsrhetorik des Öfteren auch an den Anfang oder das Ende einer eigenen Zeitrechnung und beteiligen sich aktiv an der Heldenverehrung, indem sie sich bei Live-Übertragun6 | Hierfür einige Beispiele ohne korrespondierende Namensnennungen: Eisenfuß, Boss, Hexer, Titan, Bomber der Nation, Katze von Anzing, Kannibale, PannenOlli, Tante Käthe, blonder Engel, Big Mac, Sweet Pete, Ivan der Schreckliche, der Bär, die Gräfin. 7 | Bemerkenswert sind in dieser Hinsicht Verniedlichungen wie Poldi, Schweini, Rudi, Berti, Steffi, Klinsi, Schummi, Hansi. 8 | Zur Bildung, Bedeutung und Funktion inoffizieller Personennamen siehe Kany (1992). 9 | Antic (1997) nennt Beispiele für Spitznamen aus der Welt des Tennis, die Athleten stimulierten oder auch beleidigten. 10 | Zur »Rhetorik der Mythisierung« und zur »Funktion des Boris-Becker-Mythos« vgl. Wülfing (1986).
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gen vokal und tonal mit der Dramatik des Geschehens synchronisieren und die Athleten in voller Parteilichkeit enthusiastisch zum Sieg brüllen. Mit Hilfe der technisch-medialen Speichermöglichkeiten können die so entstandenen Heldengeschichten bei Bedarf als Film- und Tonkonserven abgerufen und in die öffentliche Kommunikation eingespeist werden. Gefühlsäußerungen aus der Vergangenheit lassen sich so revitalisieren und für parasoziale Aktivitäten in der Gegenwart nutzen. Selbst Schriftsteller und ehemalige Athleten beteiligen sich immer wieder durch Veröffentlichungen an der medialen Heldenverehrung einzelner Sportler. David Foster Wallace (2006: 7) sprach von einer »religiösen Erfahrung«, die der Tennisspieler Roger Federer ihm als Zuschauer eines Endspiels in Wimbledon vermittelt hätte. Neben den technischen Qualitäten des Spielers offerierte Wallace für seine »Federer Momente« eine besondere Erklärung: »The metaphysical explanation is that Roger Federer is one of those rare, preternatural athletes who appear to be exempt, at least in part, from certain physical laws. Good analogues here include Michael Jordan, who could not only jump inhumanly high but actually hang there a beat or two longer than gravity allows, and Muhammad Ali, who really could float across the canvas and land two or three jabs in the clock time required for one.«11 Eine markante Zäsur für die Inflationierung der Heldeninszenierung und -verehrung durch die Massenmedien fand in der Bundesrepublik ab 1984 mit Zulassung der privaten Fernsehsender statt. Diese setzten ganz bewusst auf bekannte Sportstars und schufen eine Heldenindustrie, um die Aufmerksamkeit der Zuschauer von den öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten auf eigene Programme und Werbebotschaften zu lenken. Sie konstruierten nicht mehr nur das Bild einer Sportwirklichkeit, der sie als distanzierte Betrachter gegenüberstanden. Vielmehr wurde diese Wirklichkeit von ihnen in zunehmendem Maße bewusst mitkonstruiert. Dies gilt auch für die Sozialfigur des Sporthelden. Damit wechselten die Fernsehsender immer häufiger aus der Rolle der passiven Übertragungsinstanz in die Rolle des aktiven Ereignis- und Heldeninszenierers über. Im Schulterschluss mit Sponsoren begannen die Privaten gezielt im Rah11 | Eine erweiterte Version seiner Ästhetik-Erlebnisse lässt sich nachlesen in Wallace (2012: 5ff.). Den Hinweis auf die Artikel von David Foster Wallace verdanke ich Felix Kühnle. Vgl. auch die auf Seite 84 in Fußnote 3 genannten Schriftsteller, die über Muhammad Ali umfangreiche Werke erstellten.
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men ihrer kompetitiven Berichterstattung, ein medial gestütztes, auf eigene Bedürfnisse zugeschnittenes Heldenmanagement zu betreiben. Sie informierten nicht mehr nur über sportliche Höchstleistungen, die auch ohne sie passiert wären, sondern versuchten, die Episoden sportiven Heldentums in eigener Regie monopolistisch herzustellen und medial zu inszenieren, um ein größtmögliches Publikum zu erreichen.12 Hierfür lassen sich zahlreiche Beispiele finden: die Vermarktung des ehemaligen DDR-Boxers Henri Maske als »Gentleman«, dessen Hervorhebung durch den »bad boy« des bundesdeutschen Boxens, Graciano Rocchigiani, die anschließende Heroisierung der jungen deutschen Skispringer als »Boygroup« oder die Monopolisierung der Berichterstattung über Michael Schumacher und andere Helden der Formel 1 durch RTL. SAT.1 war ab 1992 mit seiner Fußballshow »ran« maßgeblich an der Heldenverehrung einzelner Spieler und Mannschaften beteiligt. Ein markantes Beispiel für die bewusste Heroisierung von Sportlern durch ein weltweit operierendes Marketingunternehmen liefert seit Jahren Red Bull mit dem hauseigenen Sender »Servus TV« und seinen zahlreichen Vertragssportlern. Die bislang größte PR-Aktion dieses durch die Eventisierung des Extremsports bekanntgewordenen Privatfernsehsenders war der jahrelang akribisch vorbereitete und weltweit übertragene Stratosphärensprung des Extremsportlers Felix Baumgärtner im Jahre 2012. Die öffentlich-rechtlichen Anstalten haben sich inzwischen diesem Trend zur Inszenierung und Eventisierung von Sporthelden in gemäßigter Form im Rahmen ihrer Möglichkeiten angeschlossen. Sie treten als Sponsor auf (Beispiel: die Zusammenarbeit von ARD und Team Telekom im Jahre 1998/1999), laden frühere Sportgrößen als Co-Kommentatoren und Experten ein und erzählen Human-touch-Stories, um im Gegenzug hohe Einschaltquoten zu erzielen. In Anlehnung an die Inszenierung von Boxkämpfen und Wrestling-Shows lassen sie bekannte Sportler – wie beispielsweise im »Aktuellen Sportstudio« des ZDF – durch Lichtbögen und 12 | Monopolisierungsmaßnahmen dieser Art finden auch im Verhältnis von Spitzensport und Wirtschaft statt. Nike, eine US-amerikanische Sportartikelfirma, hat mit ihrem »Oregon-Projekt« eine umfangreiche, die Grenzen der Legalität auslotende Logistik aufgebaut, um eigene Vertragssportler in der Leichtathletik systematisch in die Weltspitze zu bringen – mit der erkennbaren Absicht, die so als Helden aufgebauten Athleten monopolistisch zu vermarkten, ohne das Risiko einzugehen, die jahrelang Geförderten an die Konkurrenz zu verlieren.
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Kunstnebelschwaden den Senderaum betreten, um sie anschließend von Journalisten vor einem klatschbereiten Publikum nach Einschätzungen und inneren Befindlichkeiten zu befragen. Da man die Zuschauer vor den Fernsehgeräten nicht in ihrer Realpräsenz erreichen und zeigen kann, weil diese als unorganisierte, räumlich weit verstreute Kollektivität am Geschehen teilhaben, hält man sich bei der Inszenierung der Außeralltäglichen an das real anwesende Publikum im Fernsehstudio, um heldenbeglaubigende Beobachter zu präsentieren und die Moderatoren von einer eigenen klatschbasierten Heldenverehrung zu entlasten. Die Massenmedien bedienen mit ihrer Berichterstattung systematisch die Helden- und Verschmelzungsphantasien eines Publikums, das selbst nicht zu außeralltäglichen Taten bereit oder fähig ist und offerieren eine Ikonografie des Heldentums: Bilder und O-Töne von Situationen, in denen es ums Ganze geht, in denen spektakuläre Erfolge winken, aber auch dramatische Niederlagen passieren können. Wo nahezu tagtäglich sportliche Wettkämpfe stattfinden und das Ergebnis der letzten Woche oft schon nicht mehr viel zählt, steigt allerdings die Verfallszeit für Heldentum rapide an. Sporthelden im Zeitalter des privaten und öffentlichrechtlichen Fernsehens und eines expandierenden Wettkampfkalenders sind kurzlebiger als noch zu den reinen Radio- und Wochenschauzeiten. Durch die hohe Wettkampffrequenz und die mediale Dauernähe zu den Sportlern kommt es zu einer »Veralltäglichung des Außeralltäglichen«. In Anlehnung an die Ausführungen von Walter Benjamin (1936) über den »Bedeutungsverlust des Kunstwerks im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit« ist zu vermuten, dass die Massenmedien systematisch dazu beitragen, Heldenaura durch ihre permanente Berichterstattung zu veralltäglichen und zu entwerten. Dies führt in eine Spirale von Heldenerzeugung und Heldenbanalisierung. Die Suche nach neuen Helden wird hierdurch für die Medien zu einer existentiellen Aufgabe. Dies gilt in besonderer Weise für die privaten Fernsehanstalten, die nicht auf öffentliche Mittel zur Eigenfinanzierung zurückgreifen können. Die mit ihnen in Konkurrenz um Aufmerksamkeit stehenden öffentlich-rechtlichen Anstalten werden hierdurch unter Anpassungsdruck gesetzt. Die außerordentliche Bedeutung des Heroischen für Wirtschaft, Politik, Massenmedien und Publikum zeigt insgesamt und mit großer Eindeutigkeit, dass die Heldenverehrung vornehmlich mit dem Bestreben zu tun hat, das Interesse von den Helden des Sports parasitär auf die Verehrenden und deren Funktionsinteressen umzulenken. Wirtschaft, Politik
Medialisierung und Inszenierung
und Massenmedien sind also nicht wirklich, wie man auf den ersten Blick vielleicht meinen könnte, an den Helden des Sports interessiert, sondern immer nur an sich selbst. Und weil Wirtschaft, Politik und Massenmedien im Rahmen ihrer operativen Geschlossenheit nur an sich selbst interessiert sind, sind sie am Sportpublikum interessiert, das in postheroischen Zeiten an Helden interessiert ist.
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Die große Resonanz, die der Sport seit Mitte des 19. Jahrhunderts erzeugen konnte, hat mit seiner Fähigkeit zu tun, den problematischen Konsequenzen der gesellschaftlichen Modernisierung eine Sphäre des körperlich Konkreten und sinnlich Nachvollziehbaren entgegenzusetzen. Gegen die Abstraktion der Welt bringt der Sport reale Personen ins Spiel. Wenn Leichtathleten die Bahn umrunden oder Fußballer mit hohem Körpereinsatz dem Ball nachjagen, steht der Faktor Mensch im Zentrum des Geschehens. Neben den Erlebnisofferten und Gefühlsintensitäten, die der Sport denjenigen anbietet, die ihn aktiv betreiben, macht er – und dies ist für die analytische Beurteilung des Heroischen im Sport wichtig – Menschen bei der Bewältigung künstlich erzeugter Krisen für ein breites Publikum sichtbar. Die Konkurrenzsituation des Wettkampfes bietet den Zuschauern die Gelegenheit, dabei zu sein und parasoziale Stellvertretererwartungen zu hegen, wenn Athleten psychische, physisch-organische und technisch-taktische Leistungen in Auseinandersetzung mit zeitlichen, sachlichen, sozialen und räumlichen Erschwernissen und Widrigkeiten erbringen, die das Erwartbare deutlich übersteigen. Dies hat den Sport in besonderer Weise heldenfähig gemacht. Mit der Dauerproduktion von Siegen und Niederlagen, atemberaubender Spannung und immer wieder neuen Rekorden ist der Sport auf eine Serienherstellung von Helden hin angelegt, während diese in anderen gesellschaftlichen Teilsystemen eher einen exzeptionellen Status erreichen können. Die Medien steigern die Bilder und Narrationen von den Verwandlungen und Erfolgen der Sportheroen bis ins Mythologische und legen sie in Sportepen und Sportlegenden ab – wie die filmische Rekapitulierung und Auf berei-
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tung von Heldenbiografien und Mannschaftsmythen vor oder nach den Weltereignissen des Sports zeigt.1 Da die Wettkampfhandlungen der Athleten nach ihrem Vollzug schnell wieder verschwinden, müssen sie durch technische und kommunikative Maßnahmen konserviert werden, wenn sie für die Erinnerungsarbeit korporativer Sportakteure, die Legitimation eines Verbandes oder für kommunale, touristische oder pädagogische Zwecke in Anspruch genommen werden sollen. Die Erinnerung an die Athleten findet dann nicht mehr nur im Bewusstsein derjenigen statt, die in den Momenten der Leistungserbringung physisch anwesend oder medial zugeschaltet waren; sie kann nach einer entsprechenden Abspeicherung in das personenunabhängige Gedächtnis von Organisationen überführt werden, die im Sport oder in dessen Umfeld eigens für Memorierungs- und Sakralisierungszwecke ausdifferenziert wurden. Im Gefolge des Bedeutungszuwachses der Sporthelden als polykontexturale Sozialfiguren der Moderne ist mit Sportmuseen und »Sports Halls of Fame« eine Gedächtnis- und Verehrungsindustrie entstanden, die sich auf die Darstellung und Überhöhung von Athleten als exemplarische Sozialfiguren sowie auf die Würdigung von Mentoren und Gefährten spezialisiert hat.2 Sportoffizielle, Schiedsrichter, Trainer, Teambesitzer, Wohltäter, Sportjournalisten und Unterstützer erhalten in den USA, dem Mutterland der »Sports Halls of Fame«, neben den Sportlern und Sportlerinnen eine personalisierte Ehrung und Herausstellung ihrer Leistungen. Vor allem aber dienen Ruhmeshallen als Einrichtungen, um die Beziehung zum Sportpublikum zu pflegen und zu intensivieren. Sportfans werden in die Lage versetzt, die affektive Beziehung zu ihren Sportarten und Idolen auszuleben, zu konkretisieren, eigene Sporterlebnisse zu rekonstruieren, sich ihrer eigenen Fanidentität zu vergewissern und in Kontakt zu treten mit den Helden ihrer früheren Jahre. Danilov (1997) listete vor einundzwanzig Jahren bereits sechzig »Sports Halls of Fame Museums and Exhibits« in den Vereinigten Staaten von Amerika auf, fand achtzehn Einrichtungen dieser 1 | So geschehen vor Beginn der FIFA-WM 2006 in Deutschland, als die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten unter dem Titel »Legenden« zahlreiche ikonografische Sportlerporträts sendeten, um das heimische Publikum auf die Spiele einzustimmen. 2 | Vgl. die frühen soziologischen Studien von Redmond (1973) und Snyder (1991).
Memorierung und Sakralisierung
Art in Kanada vor und prognostizierte ein stetiges Wachstum. Ergänzend zu den Ruhmeshallen und den dort ausgestellten Erinnerungsstücken ist im Wirtschaftssektor eine eigenständige Memorabilia-Industrie entstanden, die mit Autografen, signierten Fotos, Bällen, Schuhen, Trikots und anderweitigen personalisierten Artefakten an Athleten, deren Erfolge und Geschichten erinnert und Geschäfte mit dem parasozialen Begehren von Sammlern und Fans macht. Seit 2006 existiert eine virtuelle, von der Stiftung Deutsche Sporthilfe in Kooperation mit einer großen deutschen Sportartikelfirma ins Leben gerufene »Hall of Fame des deutschen Sports«. Diese sieht ihre Aufgabe darin, nationale sportliche Exzellenz herauszuheben und durch entsprechende Maßnahmen sichtbar zu machen. Hierzu gehört es, die Karrieren besonders erfolgreicher Athleten und Athletinnen nachzuzeichnen, die von ihnen absolvierten Heldenreisen zu den Weltereignissen des Sports zu beschreiben, ihre Prüfungsstationen aufzulisten und auf individuelle und kollektive Opfergänge bei der Bewältigung sportlicher Aufgaben aufmerksam zu machen. Vor allem aber ehrt die »Hall of Fame des deutschen Sports« nationale Leistungsträger dadurch, dass sie diese jährlich in einer eigenen Aufnahmezeremonie vor geladenem Publikum in ihr Zitationskartell integriert. Sie sieht sich, wie es in ihrer Präambel heißt, »als ein Forum der Erinnerung an Menschen, die durch ihren Erfolg im Wettkampf oder durch ihren Einsatz für die Ideen des Sports Geschichte geschrieben haben.« In ihrem Engagement für die »Hall of Fame des deutschen Sports« verweist die Stiftung Deutsche Sporthilfe allerdings auch in einer subtilen Weise auf sich selbst und die Lobbyarbeit hin, die sie zur Durchsetzung ihrer organisationalen Interessen durchführt. Als freier Träger jenseits von Politik und organisiertem Sport ist die Stiftung Deutsche Sporthilfe darauf bedacht, eine generalisierte Unterstützungsmotivation für den gesamten nationalen Hochleistungssport zu mobilisieren, und dies nicht nur für einige wenige Disziplinen. Sie verhandelt über die Grenzen des Sportsystems, versucht Verhandlungspartnern Konzessionen abzuringen, Mäzene zu gewinnen und Loyalitäten zu mobilisieren, um anschließend Geld an ausgewiesene Kaderathleten auszuschütten und duale Karrieren zu ermöglichen.3 Da sie wirtschaftliche und politische Akteure auf Unterstützung angeht, ist sie existentiell darauf angewiesen, dass der 3 | Vgl. hierzu Bette/Neidhardt (1985: 93ff.)
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gute Ruf des Sports erhalten bleibt und nicht allzu sehr unter Devianzen und einer schlechten Presse leidet. Eben weil Sportler durch hart erarbeitete Leistungen glänzen, und nicht durch Abstammung, Religionszugehörigkeit, Ideologie oder Geldbesitz, eignen sie sich in besonderer Weise, um traditionelle bürgerliche Werte wie Fleiß, Zielgerichtetheit, Mut, Askesefähigkeit und auch Risiko- und Opferbereitschaft zu transportieren. Es ist insofern funktional für die eigene Existenz als Stiftung, die positiven Seiten des Sports zu betonen, auf die Vorbild- und Idolfunktion ausgewählter Athleten hinzuweisen und diejenigen Kardinaltugenden in der von ihr gegründeten Ruhmeshalle hervorzuheben und zu zelebrieren, die auch von ihren wirtschaftlichen und politischen Bezugsgruppen als wichtig und unverzichtbar angesehen werden – und dies typischerweise in einer Zeit, in der sich der organisierte Sport durch Doping, Wettbetrug und Manipulation in eine massive Legitimationskrise hineinmanövriert hatte und die Ressourcenakquisition der Stiftung in Gefahr stand, nachhaltig und dauerhaft beschädigt zu werden. Das Gründungsjahr der »Hall of Fame des deutschen Sports« fällt nicht umsonst zusammen mit der »Operation Puerto« der spanischen Polizei, dem Fuentes-Skandal, der Team-Telekom-Affäre und der nachfolgenden Suspendierung von Jan Ullrich bei der Tour de France und einer damit einhergehenden Selbstdiffamierung des Sports in der Öffentlichkeit.4 Im gleichen Jahr hatten die »Weltmeister der Herzen« im eigenen Land mit ihrem »Sommermärchen« und die deutschen Handballer mit ihrem »Wintermärchen« gezeigt, welche Bedeutung dem Sport für eine positive Repräsentation der Nationalgesellschaft nach außen und dem Herstellen eines Wir-Gefühls nach innen zukommen kann. Bild-, Ton- und Filmkonserven sowie ausgewählte Materialien und Erfolgsrelikte helfen in den »Sports Halls of Fame and Museums« dabei, die Größen des Sports mit ihren Taten in das kollektive Gedächtnis zu integrieren und für Erinnerung und Huldigung verfügbar zu machen. Medienstationen und interaktive Ausstellungsformate regen die Besucher 4 | Im Mai 2006 beschlagnahmte eine Anti-Doping-Einheit der spanischen Polizei bei einer Razzia im Radsportmilieu um den spanischen Arzt Eufemiano Fuentes zahlreiche Blutplasmakonserven, Anabolika, Wachstumshormone und Erythropoetin-Präparate. Außerdem fiel der Polizei eine Liste mit Codenamen in die Hände, die anschließend zur Entlarvung zahlreicher Spitzenathleten, Trainer und Betreuer führte.
Memorierung und Sakralisierung
inzwischen zum Mitmachen an und dienen dazu, die ursprünglich an den Wettkampfort gebundene Faszination und Emotionalität sportlicher Konkurrenzen zu revitalisieren und in die Räume ihrer musealen Auf bereitung und Rekapitulierung zu transportieren. »Sports Halls of Fame« werden dadurch zu Orten, in denen das Heroische in postheroischen Zeiten konkret erlebt werden kann. Durch die Ausdifferenzierung von Sonderorganisationen zur außerindividuellen Memorierung und Sakralisierung von Sporthelden und zum Handel mit den Spuren, die diese hinterlassen haben, erhalten selbst die Accessoires und Materialitäten der Leistungserbringung ein heroisches Format. Benutzte Laufschuhe, Bälle, Trikots, Handtücher, Rennräder, Formel-1-Boliden oder Torwartnotizen, die bei einem weltmeisterlichen Elfmeterschießen als Informationsquelle zur Erschließung von Gegnerabsichten zum Einsatz kamen, werden in Vitrinen, Displays und auf Bühnen zur Schau gestellt und als »Sportreliquien« präsentiert und verehrt. Sie zeugen von der Nähe zum Heroischen und gelten als Beweise für Authentizität und Wahrhaftigkeit. Der Kontakt mit der »Heiligkeit« der Helden lässt die von den Sportlern benutzten Dinge selbst »heilig« werden. Sportmuseen und »Sports Halls of Fame« transformieren dadurch das Banale und Alltägliche der sportspezifischen Objekte ins Auratische und Außeralltägliche. Die Artefakte des Sports erhalten durch ihre Musealisierung einen kultischen Weihecharakter. Sie ähneln damit den in mittelalterlichen Kirchen und Klöstern präsentierten Kontaktreliquien, mit denen Städte und Kirchen Pilgerströme aus religiösen, machtpolitischen und monetären Überlegungen anzuziehen trachteten. Neben den vormals im Wettkampf benutzten Gebrauchsgütern tauchen in den Ausstellungsräumen auch die gestifteten oder ausgeliehenen Belohnungsund Huldigungsgaben auf, die Sportler für ihre Leistungen in Gestalt von Medaillen, Urkunden, Pokalen, Plaketten oder silbernen Lorbeerblättern erhalten haben. Die präsentierten Dinge stehen dann stellvertretend für Personen, Mannschaften und Ereignisse. Sie leiten Imaginationen und regen entsprechende Narrationen an. Die Ruhmeshallen zeigen damit in aufschlussreicher Weise, dass der moderne Sport im Rahmen seiner organisierten Heldenmemorierung und -verehrung einen gutflorierenden,
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zivilreligiösen »Reliquienkult« entwickelt hat, der das Profane des Sports durch Musealisierung sakralisiert.5 Da sportliche Wettkämpfe in Wort und Schrift kommentiert, Bewegungsabläufe fotografiert, gefilmt und Athleten mit Medaillen, Urkunden und Pokalen prämiert werden, steht eine Materialität zur Verfügung, die sich für eine Wiederholung von Beobachtungsoperationen an anderen Stellen nutzen lässt. Der festgehaltene Moment der Leistungserbringung, des Sieges und der anschließenden Ehrung versetzt den Sport in die Lage, eigene Sinnbezüge zu rekonstruieren und performativ darzustellen. Auch die technisch eingefangenen Zuschauerreaktionen und Moderatorenstimmen vergangener Erlebnisgegenwarten lassen sich in den Ruhmeshallen strategisch als Impulsgeber und Resonanzverstärker für die Generierung von Besucheremotionen ins Spiel bringen. Als hilfreich erweist sich der Umstand, dass die Theatralität des Sports eine spätere Musealisierung problemlos zulässt: Kuratoren können in ihrer Ausstellungsarbeit auf die zeitlichen, sachlichen, sozialen und räumlichen Ausdifferenzierungen des Sports sowie auf die chronologische Abfolge sportlicher Weltereignisse zurückgreifen und diese mit Hilfe von Sportartefakten, Fotos, Filmen, Grafiken und Begleitinformationen in ihre Arbeit integrieren. Sportbühnen lassen sich bühnenmäßig darstellen. Nur wenigen erfolgreichen Athleten und Athletinnen wird allerdings die Ehre zuteil, nach Beendigung der Sportkarriere in den offiziellen, organisatorisch hergestellten und abgestützten Heldenhimmel aufgenommen und dort für eine kollektive Bewunderung und Verehrung freigeschaltet zu werden. Den Ruhmeshallen fällt in diesem Zusammenhang die Aufgabe zu, als Gate keeper den Zugang zur offiziellen Heldenriege und zum systemischen Gedächtnis zu kontrollieren und Knappheit sicherzustellen. Die Legitimation für den Inklusionsprozess wird durch Verfahren abgesichert – auch in Würdigung von Charakter, Auftreten und öffentlichem Verhalten der nominierten Leistungserbringer. Die Ruhmeshallen des Sports sind insofern Organisationen, die Heldentum auf der Grundlage meritokratischer Prinzipien sozial definieren, sich aber mit Hilfe der semantischen Unbestimmtheit von Auswahlkriterien eine Entscheidungsoffenheit vorbehalten, um auf Nominierungsergebnisse
5 | Zum Heiligen- und Reliquienkult vom frühen Christentum bis zur Gegenwart siehe Angenendt (1997).
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nicht apodiktisch festgelegt zu werden.6 Die Aufnahme in eine »Hall of Fame« passiert damit nicht auf Zuruf und ist auch nicht das Ergebnis einer plötzlichen Eingebung, sondern erfolgt, wie es für Organisationen typisch ist, in formalisierten Entscheidungsschritten. In Analogie zur Selig- und Heiligsprechung in der katholischen Kirche unterliegt der Kanonisierungsprozess strikten Regeln und Verfahrensabläufen. Achtung und Wertschätzung im Sinne einer generalisierten Anerkennung erfahren insbesondere jene Athleten und Athletinnen, die sich bei den Groß- und Weltereignissen ihrer Disziplinen erfolgreich durchsetzen und damit den Erwartungen sowohl des Publikums als auch relevanter Bezugsgruppen in besonderer Weise entsprechen konnten. Ein Aufnahmeprozess wird in Gang gesetzt, wenn ein Athlet eine lange Erfolgsserie absolviert und Aufmerksamkeit bei Sportjournalisten, Publikum, Politikern, Sponsoren und Funktionären erregen konnte. Die endgültige Aufnahme in den Heldenzirkel erfolgt in einem gesonderten Ritual mit einer entsprechenden Berichterstattung. In der »Hall of Fame des deutschen Sports« setzt sich die für eine Neuaufnahme zuständige Jury aus allen lebenden Mitgliedern der Ruhmeshalle sowie aus den Vorsitzenden von Vorstand und Aufsichtsrat der Deutschen Sporthilfe, den Mitgliedern des Stiftungsrats, Vertretern und Vertreterinnen des Deutschen Olympischen Sportbundes, des Verbands Deutscher Sportjournalisten, der Politik sowie ausgewählten Persönlichkeiten weiterer Sportinstitutionen zusammen. Die Auszeichnung mit der von der Deutschen Sporthilfe verliehenen »Goldenen Sportpyramide« bedeutet zugleich die Aufnahme in die »Hall of Fame des deutschen Sports«. Um Publikums- und Faninteressen zu berücksichtigen und die Bekanntheit der »Hall of Fame des deutschen Sports« in der Öffentlichkeit zu steigern, fand im Januar 2017 erstmals eine Pu blikumswahl über eine Boulevardzeitung und deren Online-Ableger statt. 6 | In den USA sind es regelmäßig Vorwürfe der Diskriminierung von Minoritäten sowie unterstellte Fehlurteile, die nach Neuberufungen in der sportinteressierten Öffentlichkeit diskutiert werden. Siehe Vail (2001), Findlay/Reid (1997), Desser et al. (1999), Jewell et al. (2002) und Jewell (2003) für den Fall der seit 1939 existierenden »Baseball Hall of Fame« in Cooperstown/New York. Vgl. auch Vlasich (1990: 41ff.) zu den aufmerksamkeitsgenerierenden »Enshrinement«-Kontroversen. In den letzten Jahren werden die »Sports Halls of Fame« in zunehmender Weise unter touristischen und museumstheoretischen Gesichtspunkten analysiert (Ramshaw/Gammon 2005, Ramshaw 2011).
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Zum instruktiven Vergleich: In der katholischen Kirche führen vier Verfahrensschritte zu einer Selig- bzw. Heiligsprechung.7 Am Anfang steht die Verehrung einer charismaverdächtigen Person durch Gläubige und Laien. Die so erzeugte soziale Resonanz an der Kirchenbasis führt in einem zweiten Schritt zu einer Überprüfung personaler Anwärterleistungen auf der Ebene einer Diozöse. In einem dritten Schritt werden sämtliche Einschätzungen und Informationen zur Weiterbearbeitung an eine Sonderkongregation in Rom geleitet. Am Ende steht in einem vierten Schritt die Unfehlbarkeitsentscheidung des Papstes mit einer anschließenden Veröffentlichung und Freischaltung der zu verehrenden Person für Bewunderung und Anbetung. Ein Seliggesprochener muss postmortal ein einziges Wunder nach Anrufung seiner Person durch Gläubige in Not- und Krisensituationen vorweisen – etwa in Gestalt einer Spontanheilung am früheren Wirkungsort des verstorbenen Anwärters. Als Heilige kommen nur diejenigen in Frage, denen nach ihrem Ableben zwei attestierte Wunder zugeschrieben werden. Gegenwärtige Entscheidungen bestimmen auch in den »Sports Halls of Fame«, was in diesen Einrichtungen an Vergangenheit zur Verehrung und Würdigung zugelassen wird. Ein Beispiel für die Konflikte, die im Ringen um Ehrung und Ehrverweigerung entstehen können, bietet für die »Hall of Fame des deutschen Sports« der Fall Gustav-Adolf (Täve) Schur. Schur gewann in den 1950er und 1960er Jahren symbolträchtige Radrennen. Er war Silbermedaillengewinner bei den Olympischen Spielen in Rom im Vierer-Mannschaftszeitfahren, wurde 1958 und 1959 Weltmeister der Amateure und gewann 1955 und 1959 die »Tour de France des Ostens«, die sogenannte Friedensfahrt. Er wurde mehrfach in der DDR zum »Sportler des Jahres« gewählt und erreichte dadurch den privilegierten Status eines »Helden der Arbeiterklasse«. Die Aufnahme in die »Hall of Fame des deutschen Sports« wurde ihm trotz zweifacher Nominierung verweigert, da ihm die für eine Aufnahme vorausgesetzte moralische Integrität abgesprochen wurde. Der Grund: Schur saß von 1958 bis 1990 als Abgeordneter für die SED in der Volkskammer und zog als überzeugter Sozialist nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten von 1998 bis 2002 für die PDS in den deutschen Bundestag ein. Vor allem aber hatte er, so die Kritik, mehrfach die staatlich verordneten Dopingpraktiken in der DDR und deren Folgen relativiert, den DDR-Sport so7 | Siehe hierzu Bienfait (2006, 2008).
Memorierung und Sakralisierung
gar kontrafaktisch als »Gesundheitssport« verklärt und die Maueropfer despektierlich kommentiert. Er löste dadurch energische Proteste des in Berlin ansässigen »Doping-Opfer-Hilfe-Vereins« aus. Ruhmeshallen des Sports richten, wie die Auseinandersetzungen um die Memorierung, Sakralisierung und die vorenthaltene Ehrung einzelner Sportler zeigen, selektive Beobachtungsverhältnisse für die Prominenz des Sports ein. Sie institutionalisieren einen personen- und gruppenspezifischen Rückblick in vergangene Zeiten. Sie legen fest, was erinnert und was vergessen werden soll. Vor allem sagen sie implizit, wie Menschen sein sollten. Sie tun dies in einer Phase der gesellschaftlichen Entwicklung, in der Ruhm und Bekanntheit mit Hilfe neuer Verbreitungstechniken und Medienangebote auch ohne Leistung erworben werden können. »Sports Halls of Fame« sind Einrichtungen, die sich gegen diesen Trend wenden, energisch auf die enge Verbindung von Erfolg, Leistung und Ruhm hinweisen und Sportler besonders dann als erinnerungs- und verehrungswürdig präsentieren, wenn diese nicht nur für sich selbst, sondern auch stellvertretend für ihr Herkunftsmilieu und ihre Sportart erfolgreich waren.
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Der soziokulturelle Erfolg des Spitzensports in der Weltgesellschaft verdankt sich der Unterfütterung seiner Sinnbezüge mit uralten Motiven, Symbolen, Themen und archetypischen Figuren, die das Publikum zur parasozialen Identifikation einladen und zum Ausleben von Bedürfnissen anregen, die im gesellschaftlichen Modernisierungsprozess an den Rand gedrängt worden sind. Athleten erhalten in künstlich hergestellten Krisen- und Notsituationen die Chance, sich einzeln oder in Gruppen in postheroischen Zeiten zu bewähren und hochgeschätzte gesellschaftliche Werte wie Konkurrenz, Kooperation, Erfolg, Opferbereitschaft und Leistung theatralisch vor den Augen zuschauender Dritter zur Aufführung zu bringen. Bevor sie allerdings zu Helden erklärt werden, haben sie sich anzustrengen und Taten zu vollbringen, die Beobachter und Beglaubiger als bewundernswert und außeralltäglich attribuieren. Eine besondere Wertschätzung erfahren die Helden des Sports, wenn ihr Streben nach Erfolg, Ruhm, Ehre und Selbstvervollkommnung auch die Ziele überindividueller Kollektive und Bezugsgruppen stellvertretend miterfüllt. Das als heroisch angesehene Handeln unterliegt dabei einer basalen Logik, dem Code von Sieg und Niederlage. Diese binäre Schematisierung ist der Rahmen, in dem Sportler ihr Engagement zur Entfaltung bringen und die Chance erhalten, sich sozial sichtbar zu machen. Die innere Unendlichkeit der spitzensportlichen Leistungs- und Rekordorientierung und die Serialität sportlicher Wettkampfereignisse liefern komfortable Möglichkeiten einer permanenten Heldenproduktion. Mindestens zwei Akteure oder Mannschaften treten in wiederkehrenden, organisatorisch ermöglichten sozialen Episoden gegeneinander an, um ein knappes Gut, den sportlichen Sieg, zu erringen. Der künstlich erzeugte und durch einheitliche Regeln zivilisierte soziale Konflikt ist darauf ausgerichtet, Menschen nicht als passiv hinnehmende Personen, sondern als aktiv
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handelnde Tatmenschen zu inkludieren, die vor öffentlich ausgetragenen Konkurrenz- und Konfliktsituationen nicht zurückschrecken, sondern diese vielmehr bewusst aufsuchen, um ihre Leistungsbereitschaft, Teamfähigkeit und ihren uneingeschränkten »Willen zur Macht« (Nietzsche) unter verschärften Bedingungen öffentlich zu beweisen. Da die korporativen Akteure des Sports, die nationalen und supranationalen Verbände, Wettkampfergebnisse penibel quantifizieren, hierarchisieren und unmittelbar auf Personen oder Mannschaften beziehen, findet das sportbasierte Heldentum in einer Welt der Zahlen und Statistiken statt, die durch stehende und laufende Bilder, Texte und Originaltöne sowie durch mediale Vor-, Begleit- und Nachkommentare erzeugt und am Leben erhalten wird. Die Athleten und Athletinnen dürfen sich in diesem Daten- und Geschichtenuniversum durch messbare Eigenleistungen exponieren. Sie reüssieren nicht aufgrund von Geburt, Reichtum, Religionszugehörigkeit, Ideologie, Schönheit oder Herkunft. Um einen Heldenstatus zu erreichen, haben sie vielmehr psychische, physisch-organische und technisch-taktische Kompetenzen zu entwickeln und erfolgreich anzuwenden. Vor allem müssen sie bereit sein, sich in jahrelangen harten Trainings- und Übungsprozessen zu schinden und zu verausgaben – ohne am Anfang ihrer Karriere zu wissen, ob sich krönende Erfolge in der Zukunft punktgenau einstellen werden. Da sie Sekundärtugenden wie Fleiß, Zielgerichtetheit, Durchsetzungsfähigkeit und Askesebereitschaft auch für überindividuelle Sozialkategorien korporalisieren, werden sie von nicht wenigen Menschen und Organisationen als identitätsstiftende Vorbilder in Anspruch genommen. Indem der Spitzensport als eine gesellschaftliche Enklave Gelegenheiten für Leistungsindividualisierung und Selbstheroisierung schafft, feiert er ein Hochamt des Subjekts – selbst wenn Gruppen im Spiel sind. Helden entstehen im Sport in jenen seltenen Momenten, in denen einzelne Personen oder Mannschaften in den von Sportorganisationen zur Verfügung gestellten sozialen Situationen über sich selbst hinauswachsen und extraordinäre Leistungen erbringen. Fußballern, die eine kräftezehrende und nervenaufreibende Verlängerung bei einer Weltmeisterschaft überstehen und die Mehrzahl der Bälle beim anschließenden Elfmeterschießen unter den Augen eines Millionenpublikums kaltschnäuzig im Tor der gegnerischen Mannschaft platzieren, wird ein Heldennimbus zugesprochen. Ähnliches gilt für einen Sprinter, der einen für unerreichbar gehaltenen Weltrekord läuft. Aber auch eine Mannschaft, die die Rei-
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hen der etablierten Ligavereine als Außenseiter aufmischt und gegen alle Erwartungen sogar Meisterschaftsehren erringt, erarbeitet sich für ihre Fans einen Heldenstatus. In einer Gesellschaft, in der das Handeln des Einzelnen häufig spurenlos verläuft und Personen dominant in Passivrollen inkludiert werden und infolgedessen Bedeutungsverluste und Gefühle der Ohnmacht hinzunehmen haben, zeigen Sporthelden mit ihren spektakulären Aktionen stellvertretend und in schlagender Weise genau das Gegenteil: dass Subjekte noch nicht gänzlich tot sind und ein unabhängiges, eigenmächtiges Handeln in der Organisationsgesellschaft nach wie vor möglich ist. Das Bild des Sporthelden, der nach vollbrachter Tat die geballte Faust in die Luft reckt, sein Hemd zerreißt oder auf seinen Knien den Kameras an der Seitenlinie entgegenrutscht, um dem zuschauenden Weltpublikum seinen Triumph entgegenzubrüllen, ist ein Sinnbild für die Lust und Last, sich im Spitzensport als Tatmensch in der Bewältigung künstlich erzeugter Krisen und Notsituationen zu präsentieren. Antiheroische Affekte, die das Egalitäre lieben und das Besondere verachten, werden in solchen Situationen problemlos neutralisiert und als unbegründet abgewehrt. Schließlich prämieren die Sportorganisationen in ihren Belohnungs- und Huldigungsritualen Akteure, die das Außeralltägliche unleugbar in aller Öffentlichkeit und im Rahmen vorab festgelegter Regeln und genauester Messungen hervorgebracht haben und hierfür auch bereit waren, zahlreiche Opfer zu erbringen. In dem Maße, wie funktional differenzierte Gesellschaften in steigendem Maße Personen benötigen, die sich flexibel, souverän und mit einem hohen Maß an Eigenautonomie und Selbststeuerungskompetenz an die komplexen und schnell changierenden sozialen Verhältnisse anpassen können, werden Akteure, die außeralltägliche Leistungen unter schärfsten Konkurrenzbedingungen erbringen, wegen ihrer Selbständigkeit, Verausgabungs- und Risikobereitschaft prämiert und nachgefragt und mit Hilfe der Medien zu »signifikanten Anderen« hochstilisiert. Den Lesern, Hörern und Zuschauern des Geschehens wird damit die Botschaft übermittelt, dass das Subjekt alleine oder in der Gruppe – bei entsprechender Motivation, Vorbereitung und Unterstützung durch Mentoren und Gefährten – zu großen Taten fähig sein kann. Sporthelden zeigen, dass einzelne Individuen noch in der Lage sind, den alles entscheidenden Unterschied auszumachen. Die modische Rede von einer »postheroischen« Gesellschaft ist nach den bisherigen Ausführungen als Pauschalurteil zu revidieren. Sie unter-
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schlägt eine Vielzahl faktisch ablaufender Heldendiskurse und ignoriert vor allem mit einer bemerkenswerten Indifferenz die Existenz jenes Sozialbereichs, der sich in der modernen Gesellschaft auf die Hervorbringung und Sichtbarmachung außeralltäglicher Leistungen durch real existierende Menschen spezialisiert hat: den modernen Spitzensport. Damit werden zugleich auch jene weltweit zu beobachtenden parasozialen Beziehungen unberücksichtigt gelassen, die im Zuschauersport unter dem Stichwort der »Heldenverehrung« immer wieder neu zustande kommen und auf die Existenz von Personen und Personenkollektiven hinweisen, denen ein Massenpublikum heroische Qualitäten zuspricht. Wenn Gesellschaft, wie Niklas Luhmann im Kontext seiner neueren soziologischen Systemtheorie (1984, 1989) zudem mit Nachdruck ausführte, Vollzug von Kommunikation sei, und Heldendiskurse in Texten, Bildern, Tonaufnahmen, Erzählungen, Abhandlungen, Filmen und geselligen Konversationen omnipräsent sind, macht es wenig Sinn, die zeitgenössische Gesellschaft pauschal und apodiktisch als »postheroisch« zu bezeichnen und den Abgesang auf den generellen Verlust des Heroischen in der Moderne anzustimmen. Explizite Heldennarrationen lassen sich schließlich nicht nur im Sport und in der Sportberichterstattung finden, sondern auch in der Welt der Literatur, der Musik, des Films, der Comics und Mangas – von den real existierenden Alltagshelden, die bisweilen als Retter, Märtyrer oder barmherzige Helfer in Erscheinung treten, ganz zu schweigen. Der Zusammenhang zwischen den Deheroisierungs- und Heroisierungsprozessen in der Moderne liegt dabei auf der Hand. Offensichtlich sind die Bedeutungsverluste des Heroischen in Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Militär und Religion so weit fortgeschritten, dass die Inszenierung real existierender und gesellschaftlich unbedenklicher Helden nur noch im Sport gelingt. Mit dem Spitzensport als Heldenreservat reagiert die moderne Gesellschaft somit auf sich selbst, nämlich ihren Umgang mit Person und Körper sowie auf die Entzauberung ihrer Lebenswelten und die Heraufkunft des modernen Alltags, in dem außeralltägliche Leistungen einzelner Personen oder Gruppen durch Routinisierung, Professionalisierung, Arbeitsteilung, Technisierung und Organisationsbildung systematisch marginalisiert werden. Auch die Absicherung gegenüber dem Unerwarteten durch den Wohlfahrtsstaat und die moderne Versicherungswirtschaft hat dazu beigetragen, dass der Spitzensport sich zu einer gesellschaftlich protegierten Nische für das Außeralltägliche, Riskante und Verausgabungsorientierte entwickeln konnte. Er ist dadurch
Schlussbetrachtungen
Teil jener »reaktiven Korporatisierungs«-Sphäre (Schimank 2001b: 284) geworden, die in der modernen Gesellschaft als Reaktion auf die Dominanz von anonymen, intransparenten organisatorischen Großinstitutionen und deren Umgang mit Person und Körper entstanden ist. Das Heroische findet dadurch bezeichnenderweise in einem Sozialbereich statt, dem die soziologische Differenzierungstheorie den Status des Überflüssigen, prinzipiell Nicht-Notwendigen und lediglich Sekundär-Wichtigen zugesprochen hat.1 Dies erklärt die herablassende Gleichgültigkeit derjenigen, die in ihrer Rede von der »postheroischen Gesellschaft« und vom Bedeutungsverlust des Heroischen die Existenz des modernen Spitzensports systematisch ausblenden. Als Begründung für die Verortung des Heroischen in einem »entbehrlichen« Sozialbereich lässt sich anführen, dass die Gegenwartsgesellschaft ihre basale Reproduktion zweifellos ohne Bundesliga-Begegnungen, Champions-League-Spiele, Grand-Slam-Turniere, Formel-1-Rennen, Super-Bowl-Events, Olympische Spiele oder Weltmeisterschaften absichern könnte. Ein gewonnenes Tennisturnier in Wimbledon gehört nicht zu jenen Taten, die für den Reproduktionsprozess der modernen Gesellschaft unverzichtbar sind. Wenn von heute auf morgen alle sportlichen Wettkämpfe wegfielen, würden viele Menschen zwar gravierende Entzugserscheinungen haben. Auch die sportorientierten Segmente der Freizeit- und Unterhaltungsindustrie würden diesen Wegfall nachhaltig in ihren Bilanzen spüren. Gesellschaftlich ginge es aber dennoch weiter. Fiele hingegen auch nur eines der dominanten Sozialbereiche wie Wirtschaft, Politik, Recht, Erziehung oder Wissenschaft aus, wäre die Existenz der Gesellschaft nachhaltig gefährdet. Ohne ein funktionierendes Rechtssystem könnten keine wirtschaftlichen Tauschakte vollzogen und juristisch abgesichert werden. Ohne Geld und Geldderivate könnten Produzenten und Konsumenten keine Geschäfte tätigen. Und ohne die Funktion der Politik, kollektiv bindende Entscheidungen für andere Sozialbereiche zu fällen und in Gesetzes- und Verordnungsform zu gießen, entfiele ein wichtiger Steuerungsakteur für die Gesamtgesellschaft. Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Recht und Bildung sind aufgrund der Ungleichartigkeit und der Leistungen, die sie für ihre gesellschaftliche Umwelt erbringen, »selbstsubstitutive Ordnungen« (Luhmann 1997: 753). Wenn hier Probleme auftauchen, würde niemand verlangen, auf diese Bereiche einfach zu 1 | Siehe Bette (1989: 169) und Schimank (2001a).
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verzichten. Wenn »systemrelevante« Großbanken Pleite zu gehen drohen und gesamtgesellschaftliche Dominoeffekte zu erwarten sind, springt der Staat ein, indem er entsprechende Bürgschaften übernimmt und Milliarden zuschießt, um den Zusammenbruch der gesamten Wirtschaft zu vermeiden. Gegen Arbeitslosigkeit im Wirtschaftssystem, Politikverdrossenheit im politischen System oder die Schulmisere im Bildungssystem sind sportspezifische Probleme wie Doping oder Hooliganismus, trotz der hohen Redefrequenz im öffentlichen Diskurs, Bagatellen, die man vernachlässigen kann. Mit Blick auf den sekundären Status von zwei anderen Sozialbereichen bemerkte Luhmann (1987b: 79): »Man kann – in der modernen Gesellschaft – sehr gut ohne Religion und vielleicht ohne Kunst leben. Man kann aber nicht ohne Recht und ohne Geld leben.« Er hätte den Spitzensport neben Religion und Kunst in seiner Aussage mit einbeziehen können. Im Kontext einer differenzierungstheoretischen Verortung ist die gesellschaftliche Entbehrlichkeit des Spitzensports nicht als ein bemitleidenswerter Grund zu werten, der die Resonanzfähigkeit seiner Sozialfiguren reduziert oder hintertreibt. Der gesellschaftliche Sekundärstatus des Sports darf nicht als Mangel fehlinterpretiert werden; er ist ganz im Gegenteil eine wichtige Bedingung der Möglichkeit für die Auslösung und Akzeptanz sportbezogener Heldendiskurse innerhalb der modernen Gesellschaft.2 Eben weil der Spitzensport mit seinen Sozialfiguren und seinen systemtypischen Ereignissen eine überflüssige Größe darstellt und ihm keine Bedeutung für die basale Reproduktion der Gesellschaft zukommt, und heroische Narrative über tatsächlich existierende Personen in außersportlichen Bereichen offensichtlich knapp geworden sind, werden Athleten und Athletinnen3 für Heldenattribuierungen in Anspruch genommen; schließlich sind Sportakteure von einer Funktionserbringung im engeren Sinne entlastet und können für die Wirkung der ansonsten gesellschaftlich in Anschlag gebrachten symbolisch generalisierten Steuerungsmedien nicht zur Verantwortung gezogen werden. 2 | Goffman (1986: 211ff.) weist in seiner Studie über Interaktionsrituale darauf hin, dass die teilweise auch im Sport anzutreffende »Actionorientierung« in den USA »zu einer Zeit lebendig wurde, als wir – verglichen mit anderen Gesellschaften – im Zivilleben das Auftreten von Schicksalhaftigkeit in ihrer ernsten, heroischen und pflichtbewussten Ausprägung stark eingeschränkt hatten.« 3 | Siehe hierzu Hargreaves (2000).
Schlussbetrachtungen
Sporthelden irritieren und polarisieren ihre Zuschauer nicht durch ein geld-, macht-, wahrheits- oder glaubensorientiertes Handeln; sie erzeugen vielmehr Bewunderung und Faszination durch hochstehende physische, psychische und technisch-taktische Leistungen. In einer Zeit, in der traditionelle heroische Handlungsprofile durch gesellschaftliche Wandlungsprozesse an Bedeutung verloren haben, inkarnieren Sporthelden für das Publikum außeralltägliche Tugenden und Kompetenzen, welche die Dominanz des Unheroischen jenseits des Spitzensports kurzzeitig abmildern und in den Hintergrund drängen. Selbst die weit verbreitete Dopingproblematik hat es bislang nicht geschafft, die Helden des Sports langfristig und allumfassend als wichtige und weltweit nachgefragte Sozialfiguren der Moderne vom Heldenthron zu stoßen. Dies ist nicht verwunderlich, da viele Dopingpraktiken bis heute pharmakologisch nicht nachweisbar sind oder von findigen Mitgliedern des assistierenden Unterstützungsmilieus in den kleinen Zeitfenstern der Nachweisbarkeit problemlos kaschiert und invisibilisiert werden können. Außerdem fallen die physischen, psychischen und sozialen Kosten des Dopings lediglich bei den Athleten an, und nicht beim heldenverehrenden Publikum. Zudem liefern die Heroen des Sports nicht nur spannende Geburts- und Aufstiegsgeschichten; auch überraschende Abstürze und Wiederauferstehungen können dank medialer Übertragung und Verbreitung für das Publikum kurzweilig und unterhaltsam sein. Als hilfreich für die Stabilisierung der Publikumsnachfrage nach Sporthelden erweisen sich zudem die Verheimlichungs- und Vertuschungspraktiken korporativer Sportakteure, die darauf abzielen, das negative Reden über den Spitzensport und dessen Sozialfiguren durch Symbolpolitik und entsprechende Neutralisierungsrhetoriken zu unterbinden oder einzudämmen. Die Personalisierung des Dopings durch die Sportverbände im Rahmen einer sich hartnäckig haltenden Theorie der »schwarzen Einzelschafe« erzeugt das Bild, dass Doping nicht das transintentionale Ergebnis struktureller Dynamiken sei, sondern lediglich mit den schlechten Charaktereigenschaften individueller Akteure zu tun habe.4 Da Sporthelden für Vereine, Wirtschaftsunternehmen, politische Instanzen und Medien wichtig geworden sind, um Unterstützungszah4 | Zur Soziologie des Dopings siehe Bette/Schimank (1995a, 2006) und Bette (2011: 143ff.); zu den Grenzen präventiver Maßnahmen siehe Bette/Kühnle/Thiel (2012).
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lungen zu akquirieren, Testimonials zu transportieren, Massenloyalität zu erzeugen, nationale Repräsentation nach außen zu ermöglichen und hohe Einschaltquoten sicherzustellen, verhallen kritische Äußerungen gegenüber erfolgreichen und allseits verehrten Sportlern häufig im kollektiven Jubel über erreichte Titel und Medaillen. Die wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen Sport, Wirtschaft, Politik und Medien erzeugen und stabilisieren in vielen Ländern ein wirksames Schweigekartell, das eine dauerhafte und allzu kritische Hinterfragung spitzensportlicher Akteure und Erfolge unterbindet.5 Hinzu kommt die Bereitschaft eines Massenpublikums, den Sportlern Regelverstöße verständnisvoll nachzusehen, weil es die Athleten als ihre imaginierten Stellvertreter und oft auch als ihre verlängerten Körperglieder zum Zwecke der eigenen Wunscherfüllung und symbolischen Selbstergänzung ins Feld schickt. Mit Hilfe des Instruments der Selbsttäuschung und des Nicht-sehen-Wollens sind Zuschauer bereit, von den Verfehlungen ihrer »Stellvertreter« abzusehen, um sich so den Spaß an der eigenen Sportbegeisterung und Heldenverehrung nicht durch ein Zuviel an Wissen zu verderben. Vor allem sind Zuschauer gerade dann bereit, auf ihr Wegsehen nicht hinzusehen, wenn die eigenen nationalen Athleten in internationalen Wettkämpfen erfolgreich sind und die hohen physischen, psychischen und sozialen Kosten des Heroischen aufseiten der Athleten kurzfristig hinter den nationalen Siegesfeier- und Ekstasekulissen verschwinden. Für nicht wenige Zuschauer scheint der moderne Sport mit seinen exemplarischen Sozialfiguren, seinen Inszenierungen, Narrationen und Mythen die spannendere und zeitgemäßere Fortsetzung der Religion mit anderen Mitteln zu sein. Gegenüber dem eher auf Kontemplation und Transzendenz ausgerichteten Messvollzug der traditionellen Amtskirchen erzeugen sportive Praktiken im Stadion ein durch alle Schichten, Ethnien und Altersgruppen gehendes Immanenzerleben, das durch religiöse Devotion und ein in die Zukunft projiziertes Transzendenzversprechen nicht beliebig funktional äquivalent ersetzt werden kann. Nicht wenige Zeitgenossen empfinden kirchliche Messen eher als langweilig und wenig abwechslungsreich. Typischerweise kann ein Messvollzug auch nicht die Spannung erreichen, die im Sport die Massen fasziniert und mitfiebern lässt. Die Konstellationsstruktur einer religiösen Feier 5 | Nur wenn der Skandal einen höheren Nutzwert abzuwerfen verspricht, reihen sich die Privatsender in die Gruppe der Kritiker ein.
Schlussbetrachtungen
ist weder konfrontativ noch siegesorientiert. Ein affektives Sich-Ausleben mit verbalen Entgleisungschancen und entsprechenden körperlichen Äußerungsformen aufseiten der Teilnehmer ist nicht vorgesehen. Außerdem ist es den diversen religiösen Glaubensrichtungen bisher noch nicht gelungen, ein dauerhaftes Miteinander ohne Konflikte durchzusetzen. Der Sport hingegen hat sich bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts, nämlich mit Entstehung des modernen Olympismus, zu einem »lateralen Weltsystem« (Willke 1998: 381) entwickelt, in dem Wettkämpfe zivilisiert auch zwischen denjenigen Nationen ausgetragen werden, die ansonsten eher durch Konflikt und Dissens miteinander verbunden sind. Weiterhin kann Religion Gewissheit nur durch Glauben, durch Rückgriff auf Übernatürliches schaffen. Der Sportzuschauer gewinnt demgegenüber ein Evidenzerleben durch die Beobachtung real existierender Sportlerkörper, die in einem von außen beobachtbaren Wettkampfambiente gegeneinander antreten und um den sportlichen Sieg konkurrieren. Der Sport steht damit für sich selbst, und nichts anderes, auch wenn manche Athleten bisweilen die Transzendenz anrufen, um Siege für sich wahrscheinlich werden zu lassen. Im Gegensatz zu den klassischen Religionen ist der Sport weder gottorientiert noch auf ein imaginäres Jenseits gerichtet. Er ist vielmehr auf den Körper der Sporthelden, das Diesseits und die Gegenwart fixiert. Eben weil der sportliche Wettkampf mit seinen Heroen für das Publikum – weniger für die Athleten, Trainer oder Funktionäre – in postheroischen Zeiten im Bereich der Freiheit, und nicht im Reich der Notwendigkeit, angesiedelt ist, ist er für viele Gesellschaftsmitglieder zu einer Notwendigkeit im Bereich des Überflüssigen und Entbehrlichen geworden.6 Die Sozialfigur des Sporthelden steht allerdings, obwohl durch leistungsfähige Athleten sowie durch weltweite Beobachtung und Leistungsbeglaubigung dauerhaft am Leben erhalten, in Folge des Entbehrlichkeitsstatus des Sports und der künstlichen und seriellen Erzeugung von Not und Krise in Gefahr, akademisch übergangen, despektierlich und herablassend kommentiert, rhetorisch trivialisiert, ironisiert oder durch inflationären massenmedialen Gebrauch auch banalisiert zu werden. Denn was ist ein Held ohne wirkliche Gefährdung für das Gemeinwesen? Niels Werber (2008: 795), ein deutscher Literatur-, Medien- und Kulturwissenschaftler, bemerkte zum Bedeutungswandel des Heldenbegriffs 6 | Vgl. von Krockow (1974: 81ff.).
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zugunsten sportlicher Akteure und zuungunsten traditionell agierender Soldaten im Tonfall des Bedauerns: »Dass gutbezahlte Fußballspieler als Helden gefeiert werden, passt zu dieser Abrüstung des Begriffs. Wenn es denn eine Sehnsucht nach Helden gibt, dann findet sie heute Erfüllung in einem Torwart, der einen Elfmeter hält, oder einer Bundeswehr, die Deichkronen verteidigt.« Ohne dieser Wertung, Verlustrhetorik und sportartspezifischen Verengung zu folgen, zeigen die Helden des Sports, dass sowohl das Heroisierungsbegehren des Publikums als auch die parasitäre und inflationäre Erzeugung und Instrumentalisierung sportbezogener Heldenbilder und -diskurse durch Wirtschaft, Politik und Massenmedien gerade von der Abwesenheit existentieller Bedrohungen und von der generellen Harmlosigkeit sportlicher Wettkämpfe profitieren. Wenn Not und Krise im Sport weder die Substanz des Gemeinwesens noch die psychische und physisch-organische Integrität seiner Mitglieder ernstund dauerhaft gefährden, sondern heldentaugliche Situationen im Sport von Organisationen vielmehr künstlich erzeugt und theatralisch inszeniert werden, um Spannungs-, Unterhaltungs-, Gemeinschafts-, Stellvertreter- und symbolische Selbstergänzungs- und Verschmelzungsbedürfnisse des Publikums zu befriedigen, sind Heldengeschichten erwartbar, die nicht auf die Schwere der Existenz, sondern auf die Leichtigkeit des Seins abzielen. Eine Genusssteigerung im Zustand des Mitfieberns und Spannungserlebens aufseiten der Heldenbeobachter und -beglaubiger kommt dadurch zustande, dass sportliche Auseinandersetzungen für das Publikum eine völlig andere Bedeutung haben als wirtschaftliche, politische oder militärische Konfrontationen, die tief in die Lebensumstände von Menschen eingreifen. In einem sportlichen Wettkampf geht es für die Zuschauer nicht um Leben oder Tod, wissenschaftliche Wahrheit oder Unwahrheit oder wirtschaftlichen Gewinn oder Ruin, sondern um ein an und für sich unwichtiges Gut, einen sportlichen Sieg oder eine sportliche Niederlage.7 Eben weil den Zuschauern selbst keine Konsequenzen drohen, können sie den Nervenkitzel des Wettkampfes unbelastet und selbstvergessen genießen. Irgendwelche weitreichenden Konsequenzen für das eigene Leben hat das Wettkampfgeschehen nicht, denn der Sport ist in der modernen Gesellschaft ein ausdifferenziertes Teilsystem und kultiviert 7 | Hierfür gibt es eine wichtige Voraussetzung: dass keine Verstrickung des Zuschauers in Wettgeschäfte vorliegt.
Schlussbetrachtungen
damit in seinem Sinnhorizont eine »legitime Indifferenz« (Tyrell 1978: 183f.) gegen sämtliche außersportlichen Belange. Wenn die Fußballmannschaft der eigenen Herkunftsgesellschaft bei einer Weltmeisterschaft nicht auf dem ersten Platz landet, hat dies keine Konsequenzen für die nationale Produktion wissenschaftlicher Wahrheit oder die Herstellung kollektiv bindender Entscheidungen in der Politik, auch wenn kurzfristig aufseiten des Publikums durchaus eine nationale Trauer-, Wut- und Niederlageverarbeitungsgemeinschaft entstehen kann. Der Sport passt deshalb auch als Konversationsthema in das Anforderungsprofil des Codes der Geselligkeit hinein. Er gehört zu den Themen, über die jedermann aufgrund von Primärerfahrungen etwas sagen kann. Er besitzt einen hohen Aufmerksamkeits- und Neuigkeitswert, ist prinzipiell zugänglich und wirkt überindividuell ansprechend. Da er weder anstößig noch obszön ist, keine religiösen Gefühle verletzt und im Hinblick auf politische Meinungsunterscheide eine neutrale Position einnimmt, signalisiert er eine soziale Harmlosigkeit, die ihn von anderen Themen deutlich absetzt. Dissens unter Anwesenden entsteht höchstens über den Ausgang irgendwelcher Wettkämpfe, nicht darüber, dass sie stattfinden und als Unterhaltungsthemen genutzt werden. Gerade weil der Spitzensport mit seinen Heroen, Mentoren und Gefährten, seinen künstlichen Krisen- und Notsituationen, seinen Heldenreisen, Bewährungsproben und wiederkehrenden Wettkampfereignissen im Bereich des gesellschaftlich Überflüssigen und Nicht-Notwendigen angesiedelt ist, bildet er in Gesellschaften, die durch unterschiedliche Ethnien, Religionszugehörigkeiten sowie durch ungleiche Partizipationschancen stark parzelliert sind, den kleinsten gemeinsamen Nenner. Die Identifikation mit nationalen Sporthelden oder Heldenmannschaften verbindet Menschen, die ansonsten nicht viel miteinander gemeinsam haben. Heldenverehrung im Sport, die auf der Grundlage kollektiv geteilter Erlebnisse, Emotionen, Identifikationsbedürfnisse, Geschichten und Mythen beruht, kann insofern einen wichtigen Beitrag für die Sozialintegration von Menschen leisten. Auch verlorengegangene Gemeinschaftsgefühle und ansonsten verpönte lokale, regionale und nationale Profilierungsbedürfnisse lassen sich in der Verehrung eigener Sporthelden ausleben, ohne die Konsequenzen hervorzurufen, die vergleichbare wirtschaftliche, politische oder militärische Überlegenheits- und Dominanzstrategien unweigerlich mit sich brächten.
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Die entscheidende Größe in der Bewertung des Heroischen ist damit nicht der Athlet, sondern der Erwartungshorizont des Sportpublikums, das mit postheroischen Erfahrungen nach heroischen Momenten sucht, diese in Wirtschaft, Politik, Militär und Religion offensichtlich immer weniger findet, im Sport aber auf Sozialfiguren trifft, die Außeralltägliches anstreben und bisweilen auch erreichen, und dadurch heroische Narrationen geradezu magnetisch anziehen und provozieren. Wenn die Pressionen in der realen Welt zunehmen und die auf durchschnittliche Erwartungserfüllung ausgerichteten Personenkonzepte keine Abhilfe versprechen, weil sich die Bedingungen für die Inklusion der Menschen in die moderne Gesellschaft durch Organisationsbildung, Durchrationalisierung und Digitalisierung der Lebenswelten verändert haben, müssen nicht nur fiktive Figuren wie »Action heroes« und »Superhelden« ran, um anstehende Probleme mit alternativen Handlungskonzepten und extramundanen Kräften zu lösen und die Welt vor dem Untergang zu retten. Im Spitzensport stehen konkrete Personen zur Verfügung, um im Rahmen von Real-life-Events künstlich erzeugte Not- und Krisensituationen mit Unterstützung von Mentoren und Gefährten zur Unterhaltung und zum Amüsement eines physisch anwesenden oder medial zugeschalteten Publikums zu bereinigen und Handlungsfähigkeit unter erschwerten Bedingungen zu beweisen. Begünstigt wird die global anzutreffende Sportheldenverehrung durch den Umstand, dass die gesellschaftliche Modernisierung eine Entzauberung der Welt bewirkt hat – vor allem durch Säkularisierung und Verwissenschaftlichung. Die Vorstellung von einer durch Gott gestifteten sinnhaften Einheit der Welt hat sich in die Selbstreferentialität und Polykontexturalität der ausdifferenzierten gesellschaftlichen Teilsysteme verflüchtigt. Wenn dann auch politische Utopien wie der Sozialismus nur noch Desillusionierung zurückgelassen haben und der Kapitalismus weltweite soziale und ökologische Kollateralschäden hervorgebracht hat, gibt es keine überzeugenden innerweltlichen Substitute der vormaligen außerweltlichen Heilsgewissheit mehr. Zumindest punktuell erfüllt Heldenverehrung die ansonsten unbefriedigt gelassene Sehnsucht nach einer subjektiv sinnhaften Ordnung der Welt und der Möglichkeit einer kurzzeitigen Wiederverzauberung des Daseins in entzauberten Zeiten. Die Helden des Sports bedienen dieses Glücksbedürfnis der Mitglieder der modernen Gesellschaft in einer harmlosen und spielerisch-leistungsorientierten Weise. Durch die Dauernachfrage nach heroischen Taten
Schlussbetrachtungen
durch Sportverbände, Publikum, Massenmedien, Wirtschaft und Politik gehen sie allerdings das Risiko ein, durch die Erwartungen, Belohnungen und Verheißungen ihres gesellschaftlichen Umfeldes physisch und psychisch überfordert zu werden. Heldenstatus im Spitzensport ist deshalb immer prekär und labil.
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Siglen
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Abbildungsverzeichnis
Abb. 1 Abb. 2 Abb. 3 Abb. 4
Spitzensport als Heldensystem: Voraussetzungen | 54 Heldengeschichten und Metamorphosen | 80 Wettkampf als künstliche Krisen- und Notsituation | 117 Passfähigkeit von Spitzensport und Massenmedien | 158
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10 Minuten Soziologie: Materialität Juni 2018, 122 S., kart. 15,99 € (DE), 978-3-8376-4073-1 E-Book: 13,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4073-5
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Soziologie Robert Seyfert, Jonathan Roberge (Hg.)
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Andreas Reckwitz
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Ilker Ataç, Gerda Heck, Sabine Hess, Zeynep Kasli, Philipp Ratfisch, Cavidan Soykan, Bediz Yilmaz (eds.)
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