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German Pages 224 [225] Year 2013
Günter Aumann
Archimedes Mathematik in bewegten Zeiten
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografi sche Daten sind im Internet über http: / / dnb.d-nb.de abrufbar.
Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfi lmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. © 2013 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Umschlaggestaltung: Peter Lohse, Heppenheim Umschlagabbildung: Domenico Fetti: Archimedes © Luestling/Wikimedia Commons Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de
ISBN 978-3-534-26247-2 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-26248-9 eBook (epub): 978-3-534-26249-6
Inhaltsverzeichnis Vorwort 1 Eine Welt im Umbruch 1.1 Niedergang und Aufstieg . . . 1.2 Alexandria und die Ptolemäer 1.3 Das Museion . . . . . . . . . . 1.4 Syrakus . . . . . . . . . . . . 1.5 Archimedes . . . . . . . . . .
7 . . . . .
10 10 13 18 23 33
2 Vorbereitungen 2.1 Bezeichnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Vielecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41 41 42
3 Die 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5
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Parabel Definition und erste Eigenschaften . . . . Die Fläche eines Parabelsegments . . . . Mechanische Überlegungen . . . . . . . . Satz I aus der Methodenlehre . . . . . . Der Schwerpunkt eines Parabelsegments
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47 47 55 67 70 72
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83 83 91 98 105 108 119 123
5 Spiralen 5.1 Hilfssätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Längenbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Flächenbetrachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
126 127 133 142
4 Zylinder, Kegel, Kugel 4.1 Kreisumfang und Kreisfläche . 4.2 Zylinder und Prisma . . . . . 4.3 Kegel und Pyramide . . . . . 4.4 Volumina . . . . . . . . . . . 4.5 Kugelapproximationen . . . . 4.6 Die zentralen Ergebnisse . . . 4.7 Satz II aus der Methodenlehre
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6 Das Paraboloid 147 6.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
6
Inhaltsverzeichnis 6.2 6.3 6.4
Volumenaussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 Zwei weitere Sätze aus der Methodenlehre . . . . . . . . . . . . . 153 Über schwimmende Körper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156
7 Gittervielecke 163 7.1 Die Flächenformel von Pick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 7.2 Das Stomachion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 8 Regelmäßige Körper 8.1 Erzeugung regelmäßiger Vielecke 8.2 Die platonischen Körper . . . . . 8.3 Die archimedischen Körper . . . . 8.3.1 Dreikantige Ecken . . . . . 8.3.2 Vierkantige Ecken . . . . . 8.3.3 Fünfkantige Ecken . . . . 8.4 Überblick . . . . . . . . . . . . .
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172 172 174 181 181 190 198 203
A Aus der Schulmathematik
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B Konkordanz
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Abbildungsnachweis
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Literaturverzeichnis
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Index
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Vorwort Nec minor est virtus, quam quaerere, parta tueri Nicht weniger wertvoll ist es, das Erworbene zu erhalten, als es zu erringen. Ovid, Ars amatoria, II,13 Wissenschaft will nahe gebracht werden: Forscher verlassen ihren „Elfenbeinturm“, meist gut gemachte und optisch opulent gestaltete Wissenschaftsmagazine beackern ein weites Feld. Doch die vermeintliche Nähe zur Wissenschaft ist oft nur eine gefühlte. Im Vordergrund hat die Unterhaltung zu stehen. Geistige Anstrengung darf – häufig zum Leidwesen der Redakteure und Moderatoren – nicht als solche erkennbar sein und daher allenfalls in homöopathischen Dosen verabreicht werden. Dabei böte die Schulmathematik, insbesondere die Schulgeometrie, genügend Möglichkeiten, interessante und anspruchsvolle Probleme fundiert zu behandeln, ja sich in unbestrittene Spitzenforschung zu vertiefen. Die antike griechische Mathematik ist dafür eine wahre Fundgrube. Leider wird hier viel zu schnell die Nase gerümpft, als handle es sich um Fußnoten der Wissenschaftsgeschichte aus grauer Vorzeit, die ihren angemessenen Platz in verstaubten Folianten haben. Diese Geringschätzung ist bedauerlich. Denn es geht um Forschungsergebnisse, die teilweise 2000 Jahre lang nicht überboten wurden. Dies lässt sich nicht von vielen wissenschaftlichen Erkenntnissen behaupten. So bietet die griechische Mathematik eindrucksvolle Beispiele einer Wissenschaft, der man auch als Laie nicht nur vermeintlich, sondern tatsächlich nahe kommen kann. Unter den antiken Mathematikern ragt neben dem in Alexandria wirkenden Euklid auch Archimedes aus Syrakus heraus. Während aber Euklids Elemente (oder zumindest Teile davon) über Jahrhunderte einen festen Platz im höheren Bildungskanon einnahmen, blieb Archimedes, dessen streng logische axiomatisch-deduktive Vorgehensweise der Euklids nicht nachsteht und der auf ganz unterschiedlichen Gebieten eine große Zahl neuer Resultate erzielte, außerhalb der Fachwelt vornehmlich durch einige Anekdoten in Erinnerung. Dabei sind die Fragestellungen des Archimedes sehr einfach zu verstehen. Viele der von ihm untersuchten Objekte sind ebenso aus der Mittelstufengeometrie bekannt wie die verwendeten Beweismethoden. Die Ergebnisse führen jedoch weit
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Vorwort
darüber hinaus. Es ist faszinierend zu sehen, wie Archimedes diese durch den genialen Einsatz einfacher Werkzeuge erzielen konnte. Das vorliegende Buch will seine Gedankengänge einem breiteren Leserkreis näher bringen. Es konzentriert sich auf die Herleitung zentraler Sätze aus den Werken des Archimedes, um so seine Beweismethoden deutlicher herausarbeiten zu können. Dabei werden die Beweise so aufbereitet und strukturiert, dass sie von jedem mathematisch Interessierten ohne Schwierigkeiten nachvollzogen werden können. Schritt für Schritt erlebt der Leser, wie sich das Puzzle der Sätze zu einem beeindruckenden Gemälde zusammensetzt, bei dem Archimedes jedes Detail mit Bedacht und großem Einfallsreichtum gestaltet hat. Es geht also weder um eine vollständige Wiedergabe der archimedischen Werke noch um eine bloße Übersetzung der Beweise. Für beides sei auf das wichtige Buch [1] mit der Übersetzung von Arthur Czwalina verwiesen. Wer dort tiefer in die mathematische Welt des Archimedes einsteigen will, findet im Anhang B des vorliegenden Buches den Zusammenhang zwischen den hier behandelten Sätzen und der Zählung bei Archimedes. Hilfreiche Anmerkungen erleichtern in [1] das Verständnis der archimedischen Beweise, wenn auch die zahlreichen, teilweise sinnentstellenden Schreibfehler bisweilen irritieren. Nicht nur aus diesem Grund ist die Hoffnung Czwalinas, „dass ein Gymnasialprimaner die Abhandlung verstehen kann“, in Zeiten des achtjährigen Gymnasiums nur sehr eingeschränkt zu teilen. Im Interesse einer besseren Lesbarkeit gehen wir hier deutlich freier mit den archimedischen Beweisen um. So zwingt Archimedes das Fehlen algebraischer Werkzeuge oft zu wortreichen Umschreibungen, die dem Leser den Überblick erschweren. Selbst die einfachen algebraischen Umformungen, auf die wir uns beschränken, erlauben vielfach eine wesentlich übersichtlichere Darstellung. Eine solche gestattet auch die Archimedes fremde, für uns hingegen selbstverständliche und hier daher durchgängig verwendete Gleichsetzung von Kurven-, insbesondere Streckenlängen und (reellen) Zahlen. Besonderer Wert wird auf klare, aussagekräftige und geometrisch korrekte Abbildungen gelegt, die im Buch in großer Zahl zu finden sind. Sie illustrieren viele Aussagen und Konstruktionen sowie jeden längeren Beweisgang. Zwar besitzt eine solche Figur keine Beweiskraft, sie ist aber äußerst hilfreich beim Verfolgen des roten Beweisfadens. Um einerseits den mathematisch Versierten nicht zu langweilen, andererseits aber auch jenen gerecht zu werden, denen der Schulstoff nicht mehr vollständig präsent ist, werden im Anhang A die wichtigsten benötigten schulmathematischen Grundlagen bereitgestellt. An den entsprechenden Textstellen erinnern dann – anfangs häufiger, später seltener – Hinweise der Gestalt A.5 , A.16 , . . . an die Möglichkeit, dort nachzuschlagen. Wir beginnen unseren Streifzug durch das Werk des Archimedes in den Kapiteln
Vorwort
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3 und 4 mit der Untersuchung von Objekten, die uns aus der Schule vertraut sind, ehe wir in den Kapiteln 5 und 6 weitere Objekte kennenlernen. Wir beschäftigen uns dabei jeweils zunächst mit ebenen Problemen, bevor wir uns räumlichen zuwenden. Schließlich behandeln wir in den Kapiteln 7 und 8 Themen, die zwar mit Archimedes’ Namen verbunden sind, über die wir aber in den erhaltenen Schriften nur Marginales (so beim Stomachion) oder überhaupt nichts (so bei den nach ihm benannten Körpern) erfahren. Vor diesen mathematisch-geometrischen Betrachtungen will das Buch dem Leser im Kapitel 1 die Welt, in der Archimedes lebte, vor Augen führen. Es ist dies die mediterrane Welt des dritten vorchristlichen Jahrhunderts und damit eine Welt massiver politischer Umbrüche. Im Osten schwindet die Macht der Nachfolgestaaten von Alexanders Riesenreich. Im Westen beginnt der am Anfang dieses Jahrhunderts noch unscheinbare, letztendlich aber unaufhaltsame Aufstieg Roms. Syrakus, die Heimat des Archimedes, musste die Folgen dieser Umbrüche schmerzlich erfahren. Nicht zuletzt Archimedes wurde ihr Opfer. Dank schulde ich den Herren Reiner Abenstein und Dr. Klaus Spitzmüller für wertvolle Anregungen, besonders aber meiner Frau Christa für die akribische Durcharbeitung des Manuskripts. Nicht zuletzt danke ich der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft für die positive Aufnahme und Herrn Dr. Jens Seeling, dem zuständigen Lektor, für die konstruktive Begleitung meines Vorhabens. Bretten, im Februar 2013
Günter Aumann
1 Eine Welt im Umbruch Die Welt, in der Archimedes lebte, war die hellenistische Mittelmeerwelt des dritten vorchristlichen Jahrhunderts. Auf der einen Seite war dies ein bewegtes Zeitalter voller Umbrüche, auf der anderen eine Blütezeit der Wissenschaft. Die wissenschaftlichen Leistungen des Archimedes bilden den Inhalt der nächsten Kapitel. Zuvor werfen wir zumindest einen kurzen Blick auf die politischen Entwicklungen dieser Zeit. Etwas näher wollen wir uns die beiden Städte ansehen, die für Archimedes wichtig waren: Syrakus, wo er den größten Teil seines Lebens verbrachte, und Alexandria, das unbestrittene wissenschaftliche Zentrum dieser Zeit. Soweit nichts anderes gesagt wird (oder es ohnehin klar ist), meinen alle Jahreszahlen Jahre vor Christi Geburt.
1.1 Niedergang und Aufstieg Als Alexander der Große (siehe Abbildung 1.1) im Jahre 323 in Babylon starb, hinterließ er ein riesiges Reich, das sich von Makedonien bis zum Indus erstreckte (in der Abbildung 1.2 ist es durch eine Punktlinie angedeutet), aber keinen
Abbildung 1.1: Alexander der Große mit Elefantenskalp (Tetradrachme um 310 von Ptolemaios I.) kanonischen Nachfolger. Sein Halbbruder war debil, seine Witwe schwanger. So stellte sich die Frage, ob das dynastische Prinzip aufgegeben oder – zumindest zum Schein oder bis zur Regierungsfähigkeit eines möglichen Alexandersohns – aufrechterhalten werden sollte. Die Anhänger des dynastischen Prinzips setzten sich durch und es wurde ein Dreimännerkollegium bestellt, das die Regierungsgeschäfte führen sollte.
1.1 Niedergang und Aufstieg
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Diese Regelung erwies sich jedoch als wenig stabil. Einige Kriege waren nötig, um die Machtverteilung unter den stärksten Männern aus Alexanders Umgebung zu klären. Mit der Schlacht von Kurupedion (nördlich von Magnesia) fanden diese Kämpfe 281 ihren Abschluss. Danach hatte sich mit den drei hellenistischen Reichen der Antigoniden (in Makedonien), der Seleukiden (die in wechselndem Umfang Syrien, Mesopotamien und Iran beherrschten) und der Ptolemäer (mit dem Kernland Ägypten) ein Mächtesystem gebildet, das gut 60 Jahre Bestand hatte (siehe Abbildung 1.2).
Abbildung 1.2: Die Lage um 280 Neben diesen drei Reichen gab es rund um das Mittelmeer eine Reihe von karthagisch-phönizischen und griechischen Stadtstaaten. Angesichts der großen Zahl der Städte, die seit dem 8. Jahrhundert Kolonisten aus den übervölkerten Staatswesen Griechenlands gegründet hatten, konnte um das Jahr 380 Platon in seinem Dialog Phaidon seinen Lehrer Sokrates bemerken lassen, die Griechen säßen um das Mittelmeer herum „wie Ameisen oder Frösche um einen Sumpf“. Bevorzugte Ziele der hellenischen Kolonisten waren Süditalien, das nicht umsonst Magna Graecia hieß, und Sizilien. Das westliche Drittel dieser Insel gehörte allerdings zum Herrschaftsgebiet Karthagos, das zu Beginn des dritten Jahrhunderts auch – neben dem Kernland um die Hauptstadt (also dem nördlichen Teil des heutigen Tunesien) – eine Kette befestigter Hafenstädte an den Küsten Nordwestafrikas, Südspaniens und Sardiniens umfasste. Dass in diesem Kräftespiel die Karten bald ganz neu gemischt würden, war in den Jahren nach Alexanders Tod nicht absehbar. Der neue Mitspieler hieß Rom. Der Stadtstaat war zwar im dritten Jahrhundert noch weit entfernt von jener Urbanität, die seit langem die griechischen Metropolen prägte und die eigentlich
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1 Eine Welt im Umbruch
erst Augustus nach Rom brachte; doch hatte sich Rom in den zurückliegenden Jahren durch ein abgestuftes Bündnissystem mit den Städten Latiums – also durch eine konsequente Verfolgung des (nie ausgesprochenen) Prinzips Teile und herrsche – die Vorherrschaft in diesem Gebiet gesichert. Damit hatte Rom die politische Organisationsform gefunden, die Basis seiner weiteren Expansion in Italien werden sollte. Zudem hatte es die Rekrutierungsbasis seiner Milizarmee beträchtlich erweitert. Nachdem Rom bis 290 durch Siege über Etrusker und Samniten die Verhältnisse in Mittelitalien zu seinen Gunsten geregelt hatte, nahm es die griechischen Städte Süditaliens ins Visier. Der sich hieraus entwickelnde Erste Punische Krieg (wir gehen auf seinen Ausbruch im Abschnitt 1.4 näher ein), der von 264 bis 241 dauerte und Hunderttausenden das Leben kostete, brachte Rom die Herrschaft über Italien südlich der Poebene sowie über Sizilien (ohne Syrakus). Mit dieser Insel hatte sich Rom eine zentrale Position im Mittelmeer gesichert. Die beiden letzten Jahrzehnte des Jahrhunderts tobte der nicht weniger blutige Zweite Punische Krieg. Beginn und Verlauf dieses Krieges zeigten in aller Deutlichkeit zwei Maximen der römischen Politik, die Roms steilen Aufstieg von Anbeginn begleiteten, ja ihn im Letzten erst ermöglichten: Im Vertrauen auf die Unterstützung der Götter (die Fortuna), die diese den Tüchtigen (und Tugendhaften) gewähren, stets einen – in Roms Augen – gerechten Krieg einem Kompromiss vorzuziehen und sich auch in verzweifelter Lage keinem Gegner zu unterwerfen. Das Ergebnis ist bekannt. Obwohl der karthagische Feldherr Hannibal nach seiner spektakulären Alpenüberquerung im Herbst 218 zunächst von Sieg zu Sieg eilte und 216 den Römern bei Cannae die verheerendste Niederlage ihrer Geschichte beibrachte, führten die größeren Ressourcen und der eiserne Durchhaltewille Rom zum Sieg. Am Ende des Jahrhunderts erstreckte sich seine Herrschaft über das gesamte westliche Mittelmeergebiet. Roms weiteres Ausgreifen brachte die allmähliche Auflösung des im östlichen Mittelmeer bestehenden Machtgefüges. Am Anfang standen ab 214 die RömischMakedonischen Kriege. Während des Zweiten Punischen Krieges beschränkte Rom seine östlichen Aktivitäten auf einzelne Aktionen zur Eindämmung des Piratenunwesens vor der illyrischen Küste. Doch bereits 197, also knapp fünf Jahre nach der Kapitulation Karthagos, führte der römische Sieg in der Schlacht bei Kynoskephalai (in Thessalien) zur außenpolitischen Entmündigung Makedoniens. Der Niedergang des Seleukidenreiches begann 190, als dessen Heer bei Magnesia eine vernichtende Niederlage gegen die römischen Legionen erlitt. Im Jahre 168 erfolgte die endgültige Zerschlagung Makedoniens nach der Schlacht bei Pydna am Fuße des Olymp, wo zum letzten Mal die makedonische Phalanx den römischen Legionen gegenüberstand. Zu diesem Zeitpunkt gehörte formal noch kein Teil des östlichen Mittelmeergebietes zum Römischen Reich. Wie groß aber sein Einfluss nach dem Sieg bei
1.2 Alexandria und die Ptolemäer
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Pydna bereits war, illustriert eine kurz nach diesem Sieg spielende Anekdote, die der griechische Geschichtsschreiber Polybios (um 200–120) berichtet. Nachdem es dem Seleukidenherrscher Antiochos IV. (siehe Abbildung 1.3) im Krieg gegen die Ptolemäer gelungen war, ins Nildelta vorzustoßen, überreichte ihm ein römischer Gesandter ein Schreiben des Senats mit der Aufforderung, seine Armee umgehend aus Ägypten abzuziehen. Auf die – naheliegende – Antwort des Königs, er wolle sich darüber zunächst mit seinen Freunden beraten, zog der Gesandte „mit dem Stock aus einer Weinrebe, den er in Händen hielt, einen Kreis um Antiochos und verlangte von ihm, in diesem Kreis die Antwort auf das Schreiben zu geben. Der König kam, befremdet vom Geschehen und dem überlegenen Auftreten des Römers, kurz in Verlegenheit. Dann sagte er, er werde alles tun, was die Römer fordern.“ Es ist wohl kein Zufall, dass Polybios für den Stock des Gesandten das Wort verwendet, das auch den Kommando- und Prügelstab der Zenturionen der römischen Legion bezeichnet.
Abbildung 1.3: Antiochos IV. Den letzten Seleukiden setzte Pompeius im Jahre 64 ab. Das Ptolemäerreich hielt sich bis zum Jahre 30, in dem der spätere Kaiser Augustus Ägypten dem römischen Imperium einverleibte.
1.2 Alexandria und die Ptolemäer Der um 367 als Spross einer angesehenen makedonischen Familie geborene Ptolemaios (siehe Abbildung 1.4) nahm an Alexanders Eroberungszug von Anfang an teil und gehörte spätestens seit 331 zu seinem engeren Stab (zeitweise kommandierte er ein Drittel des Heeres). Dass aber seine Nachfahren – also die Dynastie der Ptolemäer – gut 250 Jahre lang eine wesentliche Rolle im Machtgefüge des östlichen Mittelmeers (und darüber hinaus) spielen sollten, war nach dem Tode Alexanders nicht absehbar. Denn dem Dreierkollegium, das zunächst die Macht übernahm, gehörte Ptolemaios nicht an.
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1 Eine Welt im Umbruch
Abbildung 1.4: Ptolemaios I. mit Königsbinde Bei der Verteilung der Kommandostellen für die verschiedenen Teile (Satrapien) des Reiches erhielt er allerdings mit dem reichen Ägypten das Filetstück. Ob er dies seinem in den Kriegsjahren geschulten taktischen Geschick oder dem Zufall zu verdanken hatte, ist nicht bekannt. In den Folgejahren bewies er jedenfalls als Politiker und Feldherr dieses Geschick und formte aus der tributpflichtigen Satrapie ein unabhängiges Königreich. Fast 300 Jahre sollte es von ihm und seinen Nachkommen regiert werden. Die eindrucksvollsten Herrscherpersönlichkeiten stehen am Anfang (siehe Tabelle 1.1) und am Ende dieser Dynastie. 323–282 284–246 246–221 221–204
Ptolemaios Ptolemaios Ptolemaios Ptolemaios
I. Soter (der Retter), ab 306 als König (Pharao) II. Philadelphos (der Geschwisterliebende) III. Euergetes (der Wohltäter) IV. Philopator (der Vaterliebende)
Tabelle 1.1: Die ersten Ptolemäer Als Ptolemaios I. Soter über 80-jährig starb, hinterließ er ein stabiles und wirtschaftlich gesundes Reich. Neben Ägypten umfasste es die Kyrenaika (den westlich sich anschließenden Küstenstreifen), die Insel Zypern (die reich an Bodenschätzen war) und Koilesyrien (den östlich sich anschließenden Küstenstreifen, der den Zugang zur Weihrauchstraße und zu den Zedern des Libanon sicherte). Außerdem hatte das Ptolemäerreich erheblichen Einfluss in Griechenland. Seine beiden Nachfolger Ptolemaios II. Philadelphos und Ptolemaios III. Euergetes (siehe Abbildung 1.5) konnten es zur vorherrschenden Macht im östlichen Mittelmeerraum ausbauen. Ein wichtiger Faktor für die Stabilität des Ptolemäerreiches war die lange Verwaltungstradition Ägyptens, auf der Ptolemaios I. aufbauen konnte. Sein Sohn Ptolemaios II. perfektionierte dieses System. Die unter ihm erreichte Effizienz des Wirtschafts- und Steuersystems stellte die anderen hellenistischen Reiche weit in
1.2 Alexandria und die Ptolemäer
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Abbildung 1.5: Ptolemaios III. (Oktodrachme des Ptolemaios IV., 220/215) den Schatten. Um Revolten vorzubeugen, sorgte er gleichzeitig dafür, dass unterhalb des Königs niemand zu viel Macht in Händen hielt. Dank der jährlichen Nilüberschwemmungen war Ägypten sehr fruchtbar. Durch eine geschickte Mischung von Staatseigentum (das Land war in Ägypten von jeher Eigentum des Pharao) und privater Initiative machten die Ptolemäer Ägypten zu einem der ertragreichsten Länder der Antike. Eine von Ptolemaios II. in Auftrag gegebene detaillierte Bestandsaufnahme der landwirtschaftlichen Nutzfläche gestattete die nahezu lückenlose Erfassung der steuerpflichtigen Erträge. Daneben verbesserte er die Infrastruktur. So vergrößerte er die Anbaufläche der fruchtbaren Landschaft des Faijum, indem er einen Damm errichten ließ und durch die Ansiedlung von Griechen die Bewässerung der Wüstenränder vorantrieb. Die Abgaben wurden in der Regel in Naturalien entrichtet und mussten von der königlichen Verwaltung zu Geld gemacht werden. Dies führte zu einer Intensivierung des Handels, von der vor allem Alexandria als Metropole und Hafenstadt profitierte. Die immensen Einnahmen erlaubten es den Ptolemäern, die den Wohlhabenden traditionsgemäß zufallende Rolle als Wohltäter (Euergetes) in bisher nicht gekanntem Maße auszufüllen. Dieses später (nach Maecenas, dem engen Vertrauten des Kaisers Augustus) Mäzenatentum genannte Verhalten mehrte nicht nur den Ruhm des Herrschers, es erzeugte auch Dankbarkeit und Loyalität aufseiten der Untertanen. Griechen wie Ägypter kamen in den Genuss dieser Großzügigkeit, allerdings auf sehr unterschiedliche Weise. Die Wohltaten für die ägyptische Bevölkerung betrafen fast ausschließlich die Religion. Die Ptolemäer respektierten die religiösen Gefühle der Ägypter und etablierten einen Herrscherkult, in dem sich Griechen und Ägypter gleichermaßen wiederfinden konnten. Wie die Pharaonen der Vorzeit besuchten sie wichtige Heiligtümer, spendeten wertvolle Weihgaben und stifteten prachtvolle Tempel. So ließ Ptolemaios II. den Isistempel auf der Insel Philae neu errichten. Ptolemaios III. baute mit dem Horustempel in Edfu den heute am besten erhaltenen altägyptischen Tempel (siehe Abbildung 1.6). Hauptsächlicher Nutznießer war aber die mächtige Priesterkaste, der eine wichtige Brückenfunktion zur ägyptischen Bevöl-
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1 Eine Welt im Umbruch
Abbildung 1.6: Edfu kerung und damit eine Schlüsselstellung bei der Stabilisierung der ptolemäischen Herrschaft zukam. Auf die Rolle der Ptolemäer als Förderer griechischer Kultur gehen wir im Abschnitt 1.3 näher ein. 221 kam mit etwa 20 Jahren der älteste Sohn von Ptolemaios III., Ptolemaios IV. Philopator, auf den Thron. Seine Regierungszeit steht zwischen dem Aufstieg des Reiches unter den ersten drei Regenten, als es ein Hort der Stabilität in der hellenistischen Staatenwelt war, und den dynastischen und politischen Krisen nach seinem Tod im Jahre 204. Auch das wachsende machtpolitische Interesse Roms an den Vorgängen im östlichen Mittelmeer machte es zunehmend schwieriger, die einflussreiche Stellung des Ptolemäerreiches in diesem Gebiet zu behaupten.
Abbildung 1.7: Kleopatra VII.
1.2 Alexandria und die Ptolemäer
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Am Ende der Reihe steht noch einmal eine imponierende Persönlichkeit und machtbewusste Herrscherin, Kleopatra VII. (siehe Abbildung 1.7), die mit allen Mitteln versuchte, Ägyptens Unabhängigkeit zu erhalten. Caesar war von ihr fasziniert, Mark Anton wurde von ihr um den Finger gewickelt. Octavian, der spätere Kaiser Augustus, ließ sich allerdings nicht beeindrucken. Als Kleopatra das Scheitern ihrer Pläne erkannte, beging sie im Jahre 30 im Alter von 39 Jahren Selbstmord. Ägypten wurde kaiserliche Provinz. Senatoren wurde der Aufenthalt in Ägypten untersagt; niemand sollte die Möglichkeit erhalten, die Ressourcen dieser immer noch reichen und für die Ernährung der Bevölkerung Roms wichtigen Provinz gegen den Kaiser einzusetzen. Nicht unwesentlich zum Erfolg der Ptolemäer trug die neue Hauptstadt Alexandria bei. Mit ihr wandte Ägypten sein Gesicht dem Mittelmeer zu, was die politischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Verflechtungen beträchtlich wachsen ließ. Alexandria war nie eine ägyptische, sondern stets eine multikulturelle, im Kern griechische Stadt. Auch wenn die spätestens ab 319 hier residierenden Herrscher (Ptolemaios I. regierte anfangs von der alten Hauptstadt Memphis aus) Pharaonen hießen, blieben sie nach Abstammung und Kultur Griechen. Alexandria wurde 331 von Alexander dem Großen gegründet. Nach den Worten Diodors (der im 1. Jahrhundert v. Chr. lebte) ließ Alexander den Platz, den er für die Neugründung ausgesucht hatte, „vermessen und die Straßen nach einem genauen Plan abstecken . . . Die Richtung der Straßen bestimmte er so zweckmäßig, dass die Sommernordwinde durch die Stadt wehen konnten. Dadurch verschaffte er den Bewohnern eine sehr gemäßigte und gesunde Luft.“ In der Folgezeit habe „sich die Stadt so sehr entwickelt, dass sie von manchen als die erste Stadt der Welt angesehen wird. Denn durch ihre Schönheit und Größe sowie durch die Menge der Einkünfte und üppigen Genüsse zeichnet sie sich weit vor anderen Städten aus.“ Dies ist eine erstaunliche Äußerung aus dem Mund eines Mannes, der viele Jahre in Rom verbracht hatte. Rund 100 Jahre später rief der griechische Redner Dion Chrysostomos („Goldmund“) den Alexandrinern sogar zu: „Im ganzen Mittelmeer habt ihr wegen der Schönheit eurer Häfen und der Größe eurer Flotte aufgrund . . . des Handels mit den Erzeugnissen aus aller Herren Ländern die Vorherrschaft angetreten. Und selbst die Gewässer darüber hinaus habt ihr in eurer Gewalt, das Rote Meer und den Indischen Ozean, von dem man früher kaum den Namen hörte.“ Ermöglicht wurde diese Entwicklung durch beträchtliche Investitionen der Ptolemäer. Sie ließen Alexandrias Hafen, über den fast der gesamte Warenverkehr Ägyptens mit dem Ausland lief, ausbauen und den seit langem versandeten Kanal vom Nil zum Roten Meer wieder herstellen. Der von Ptolemaios I. begonnene und um 280 unter Ptolemaios II. fertiggestellte Leuchtturm Pharos auf der gleichnamigen, Alexandria vorgelagerten Insel war eine Ingenieurleistung ersten Ranges
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1 Eine Welt im Umbruch
(siehe Abbildung 1.8). Dass er zu den Sieben Weltwundern gezählt und in den meisten romanischen Sprachen namengebend für Leuchttürme wurde, belegt die Einzigartigkeit dieses Bauwerks.
Abbildung 1.8: Pharos (Rekonstruktion aus dem Jahre 2006)
1.3 Das Museion Die griechische Führungsschicht des ptolemäischen Reiches benötigte – auch als Gegengewicht zu anderen griechischen Zentren – einen geistigen Mittelpunkt. Aus diesem Bedürfnis heraus wurde in Alexandria das Museion, also ein Heiligtum der Musen, gegründet. Planung und erste Bauphase dieser Institution fallen wohl in die Regierungszeit von Ptolemaios I. Soter. Fertiggestellt wurde sie unter seinem Nachfolger Ptolemaios II. Philadelphos. Quasi aus dem Nichts erlangte diese Forschungs- und Bildungsstätte – ganz ohne Evaluation und Zertifizierung – die unangefochtene Spitzenstellung in der akademischen Welt des Mittelmeerraums. Die den Forschern gebotenen Möglichkeiten müssen in jeder Hinsicht bestechend gewesen sein: die Ausstattung exzellent, die Forschung weder durch Denkverbote noch durch kurzatmige Umsetzbarkeitsforderungen beeinträchtigt (auch Grundlagenforschung wurde gefördert!), die zeitliche Belastung durch wissenschaftsfremde Pflichten erträglich, die von der Gesellschaft (sprich: vom Herrscherhaus) entgegengebrachte (und ein Leben ohne finanzielle Sorgen garantierende) Wertschätzung groß. Was wissen wir von dieser Institution?
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1.3 Das Museion
Die „Zuständigkeitsbereiche“ der neun Musen – in Abbildung 1.9 sind sie auf einem römischen Sarkophag aus dem zweiten nachchristlichen Jahrhundert zu sehen – waren breit gefächert. Neben den Musen für die verschiedenen Sparten der Schönen Künste gab es etwa Klio, die Muse der Geschichtsschreibung, Urania, die Muse der Astronomie, oder Kalliope, die sich unter anderem um die Philosophie und die Wissenschaft kümmerte. Entsprechend breit war das Spektrum der Künstler und Wissenschaftler, die an dieser Lehr- und Forschungsstätte wirkten.
Abbildung 1.9: Die neun Musen Die Ptolemäer bemühten sich stets, Talente in der griechischen Welt zu entdecken und an das Museion zu verpflichten oder zumindest zu einem Gastaufenthalt einzuladen. Dies geschah nicht nur, um das eigene Renommee zu steigern, sondern auch aus echtem Interesse an Kunst und Wissenschaft. So betätigte sich Ptolemaios I. als Historiker. Seine (später verloren gegangene) Alexandergeschichte war die wichtigste Quelle für die Anabasis des aus Kleinasien stammenden Arrian, der es unter Kaiser Hadrian bis zum Konsul brachte. Dieses in der zweiten Hälfte des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts entstandene Geschichtswerk gilt als der verlässlichste antike Bericht über die Feldzüge Alexanders des Großen. Ptolemaios II. ließ sich – wie der um 100 n. Chr. lebende griechische Schriftsteller Plutarch berichtet – aus Griechenland Werke der bedeutendsten Künstler schicken und begründete so die lange Tradition herrschaftlicher Kunstsammlungen. Dass die Prinzen der ptolemäischen Dynastie von Beginn an von den am Museion tätigen Gelehrten erzogen wurden, versteht sich vor diesem Hintergrund von selbst. Von eminenter Bedeutung war die dem Museion angegliederte Bibliothek. Zum Aufbau der Sammlung wurde Literatur auf den Büchermärkten der griechischen Welt beschafft. Ptolemaios II. ließ angeblich sogar Bücher auf Schiffen, die im Hafen von Alexandria lagen, beschlagnahmen und dem Besitzer erst zurückgeben, nachdem eine Kopie angefertigt worden war (Raubkopien ganz eigener Art). Unter seiner Herrschaft wuchs der Bestand der Bibliothek auf über 500 000 Papyrusrollen an.
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Von Strabo erfahren wir in seinem 17. Buch über Geographie einige Einzelheiten des Museions. Es war Teil der königlichen Gebäude, enthielt eine große Wandelhalle, eine Exedra (also einen halbrunden, der Apsis christlicher Kirchen entsprechenden Raum) mit Sitzbänken sowie ein großes Gebäude mit dem Kasino der im Museum beschäftigten Wissenschaftler. Diese hatten nicht nur gemeinsame Einkünfte, sondern auch einen früher von den Königen, zu Strabos Zeit vom römischen Kaiser eingesetzten Priester; sie bildeten also eine Kultgemeinschaft. Auch wenn Strabo in der Zeit um Christi Geburt lebte, dürfte die Beschreibung auch für das dritte vorchristliche Jahrhundert zutreffen. Natürlich verlangten die Herrscher Gegenleistungen für ihre großzügige Unterstützung. Der englische Essayist E. M. Forster hat es 1922 treffend beschrieben: „Als zum Beispiel das Haupthaar von Königin Berenike [II., siehe Abbildung 1.10], der Gemahlin Ptolemaios’ III. Euergetes, aus dem Tempel verschwand, wo sie es der Aphrodite gewidmet hatte, war es die Aufgabe des Hofastronomen [Konon], es als Sternbild aufzuspüren, und die des Hofdichters, eine Elegie darauf zu schreiben . . . Oden auf den Sieg, Trauergesänge für Begräbnisse, Hymnen auf die Ehe, Witze, Stammbäume, ärztliche Rezepte, mechanisches Spielzeug, Karten, Kriegsmaschinen: was auch immer der Palast brauchte, man wandte sich an das Museion, und die subventionierten Angestellten machten sich umgehend an die Arbeit.“ Der Aufwand hielt sich wohl in Grenzen. Drittmittelanträge und Gremiensitzungen dürften heutigen Forschern mehr Zeit rauben.
Abbildung 1.10: Berenike II. Man kann ohne Übertreibung sagen, dass sich in dem uns interessierenden Jahrhundert jeder bedeutende Wissenschaftler zumindest zeitweise am Museion aufhielt. Mit den Worten von Konstantinos Kavafis war Alexandria die Stadt, die die Welt belehrt, die Krone des Hellenismus, in jeder Wissenschaft, in jeder Kunst die weiseste. Mag das dritte Jahrhundert in Philosophie und bildender Kunst auch als Zeit des Niedergangs gelten (nach Plinius dem Älteren – „cessavit deinde ars“ – lag
1.3 Das Museion
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die Kunst in diesem Jahrhundert brach), in Mathematik und Naturwissenschaft stellt es in der Dichte und Tiefe der gefundenen Resultate einen glanzvollen Höhepunkt dar. Um dies zu belegen, seien neben Archimedes schlaglichtartig einige weitere Wissenschaftler genannt, von denen jeder Ergebnisse erzielte oder Methoden entwickelte, die über Jahrhunderte nicht überholt wurden. Leider sind kaum Einzelheiten über ihr Leben bekannt. An erster Stelle steht (nicht nur zeitlich) Euklid, der zu Beginn des Jahrhunderts in Alexandria Mathematik lehrte. Um 325 entstanden seine Elemente, in denen er aus eigenen Resultaten und den mathematischen Kenntnissen seiner Zeit ein einheitliches, axiomatisch begründetes Gedankengebäude errichtete. Über zwei Jahrtausende bildete dieses Werk die Basis jeglicher Beschäftigung mit der Geometrie. Doch Euklids Einfluss reichte weit über die Mathematik hinaus. Nach Art der Geometrie (more geometrico) – also wie Euklid streng deduktiv – zu argumentieren, wurde zum Gütesiegel für wissenschaftliches Arbeiten. Seiner Zeit voraus war auch Aristarch von Samos. Er lebte etwa von 310 bis 230 und kam wahrscheinlich im Gefolge seines Lehrers Straton, des Erziehers des späteren Königs Ptolemaios II. Philadelphos, nach Alexandria. In der einzigen erhaltenen Schrift Über die Größen und die Abstände der Sonne und des Mondes stellte er mathematisch völlig korrekte Berechnungen über die Größenverhältnisse von Sonne und Mond sowie über ihre Abstände zur Erde an (Fehler in den Ergebnissen lagen an ungenauer Winkelmessung). Wichtig für die Beurteilung seiner Leistung ist eine Passage in der Schrift Die Sandzahl des Archimedes: „Du, König Gelon, weißt, dass ‚Universum‘ die Astronomen jene Sphäre nennen, in deren Zentrum die Erde ist, wobei ihr Radius der Strecke zwischen dem Zentrum der Sonne und dem Zentrum der Erde entspricht. Dies ist die allgemeine Ansicht, wie du sie von Astronomen vernommen hast. Aristarch aber hat ein Buch verfasst, das aus bestimmten Hypothesen besteht, und das, aus diesen Annahmen folgernd, aufzeigt, dass das Universum um ein Vielfaches größer ist als das ‚Universum‘, welches ich eben erwähnte. Seine Hypothesen sind, dass die Fixsterne und die Sonne unbeweglich sind, dass die Erde sich um die Sonne auf der Umfangslinie eines Kreises bewegt, wobei sich die Sonne in der Mitte dieser Umlaufbahn befindet, und dass die Sphäre der Fixsterne, deren Mitte diese Sonne ist und innerhalb derer sich die Erde bewegt, eine so große Ausdehnung besitzt, dass der Abstand von der Erde zu dieser Sphäre dem Abstand dieser Sphäre zu ihrem Mittelpunkt gleichkommt.“ Aristarch vertrat also ein heliozentrisches Weltsystem, weshalb er bisweilen auch „Kopernikus der Antike“ genannt wird. Zu nennen ist ferner Apollonios von Perge, der um 262 geboren wurde, schon in jungen Jahren nach Alexandria kam und dort auch um 190 starb. Er war neben Euklid und Archimedes der dritte herausragende Mathematiker dieser Zeit. In seinem Hauptwerk Die Kegelschnitte (Conica) gab er Parabel, Ellipse und
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Hyperbel ihre Namen. Im Sinne Euklids sammelte er die bekannten Ergebnisse über diese Kurven, vereinheitlichte die Theorie und ergänzte sie um zahlreiche neue Sätze. Noch Kepler (1571–1630) und Newton (1643–1727) studierten die Conica intensiv. Der um 250 in Alexandria gestorbene Arzt Erasistratos gilt als Begründer der pathologischen Anatomie. Er beschrieb die Herzklappen, die Luftröhre und die Bauchspeicheldrüse und untersuchte das Nerven- und Kreislaufsystem. Er schilderte die Anatomie des Gehirns mit Unterscheidung von Groß- und Kleinhirn und erkannte, dass die sensiblen Nerven vom Gehirn ausgehen. Seine zutreffenden neurophysiologischen Beobachtungen, beispielsweise die Rolle des Kleinhirns für die Bewegungskoordination, lassen vermuten, dass er zumindest an Tieren Vivisektionen durchgeführt hat. Eine wichtige Rolle spielten die Leiter der Bibliothek, die von Anbeginn mehr war als eine Sammlung von Werken vergangener Zeiten. Die Bücher wurden nicht nur kodifiziert, sie wurden auch ergänzt und korrigiert. Bereits Zenodotos, der erste Leiter, verwendete textkritische Methoden, um in Homers Ilias und Odyssee für falsch erachtete Verse zu tilgen und zweifelhafte zu markieren. Berühmter ist ein anderer Leiter dieser Bibliothek, der um 194 in Alexandria gestorbene Universalgelehrte Eratosthenes von Kyrene. Er wurde von Ptolemaios III. aus Athen nach Alexandria berufen, auch um als Erzieher des Kronprinzen Ptolemaios (IV.) zu wirken. Der in weiten Kreisen bekannte Wissenschaftler (selbst Caesar erwähnt ihn in seinen Kommentaren zum Gallischen Krieg) gilt als Begründer der wissenschaftlichen Geographie. Seine erstaunlich genaue Berechnung des Erdumfangs gehört zu den bekanntesten wissenschaftlichen Leistungen des Altertums. Sie beruhte auf Messungen des Einfallswinkels der Sonne, die zum gleichen Zeitpunkt in Alexandria und einem Ort im Süden Ägyptens vorgenommen wurden. Vermutlich lag der zweite Ort auf der Nilinsel Elephantine bei Syene (Assuan), da diese seit Ptolemaios III. in Hieroglyphen plötzlich mit Winkelmaß und Lot, also den Werkzeugen des Geometers, geschrieben werden konnte. Im zweiten Jahrhundert, in dem vermehrt gebürtige Alexandriner an das Museion berufen wurden, sank vor allem in den Naturwissenschaften der wissenschaftliche Standard. Einen besonders schmerzlichen Aderlass erfuhr die alexandrinische Wissenschaft in der Mitte dieses Jahrhunderts, als die Brüder Ptolemaios VI. und Ptolemaios VIII. um den Thron kämpften. Wie der aus der Kyrenaika stammende zeitgenössische Historiker Menekles berichtet, vertrieb Ptolemaios VIII., der sich unpassenderweise in Anlehnung an Ptolemaios III. den Beinamen Euergetes (Wohltäter) zugelegt hatte, nach seiner Machtübernahme eine große Zahl von Wissenschaftlern, darunter Grammatiker, Philosophen, Mathematiker und Ärzte, die zuvor wahrscheinlich Ptolemaios VI. unterstützt hatten, aus Ägypten. Wohl auch deswegen wandelten die Bewohner Alexandrias seinen Beinamen zu Kakergetes (Übeltäter) ab.
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1.4 Syrakus
Doch dieser Rückschlag bedeutete nicht das Ende des Museions. Noch über 500 Jahre lehrten und forschten Wissenschaftler an dieser Einrichtung. Ihre Bedeutung im imperium Romanum belegt etwa der Anbau, den – wie Sueton berichtet – im ersten nachchristlichen Jahrhundert Kaiser Claudius, der selbst geschichtliche Studien betrieb, dem Museion stiftete. Um 300 n. Chr. wirkte Pappos, der letzte bedeutende Mathematiker der Antike, in Alexandria. In den acht Büchern seiner Sammlung (Synagoge) stellte er viele ältere mathematische Resultate zusammen, die er teilweise kommentierte und um eigene Ergebnisse ergänzte. Von den Wissenschaftlern, die uns bisher begegnet sind, findet man dort etwa Ergebnisse von Euklid, Aristarch, Apollonios, Eratosthenes, Konon und natürlich von Archimedes (siehe S. 172). Als Quelle für die antike Mathematik ist die Sammlung nicht hoch genug einzuschätzen. Der letzte namentlich bekannte Wissenschaftler am Museion ist um 400 n. Chr. der Mathematiker und Astronom Theon, der unter anderem die Elemente Euklids herausgab.
1.4 Syrakus Im Jahre 212, als Archimedes starb und Syrakus seine Unabhängigkeit verlor, blickte die Stadt auf eine über 500-jährige wechselvolle, aber meist erfolgreiche Geschichte zurück. In ihr gab es Perioden der Demokratie, der Oligarchie und der Tyrannis, die man sich ohne den heute damit verbundenen negativen Unterton denken muss. Vor allem die sechs in der Tabelle 1.2 genannten Herrscher prägten die Entwicklung von Syrakus. 485–478 478–466 405–367 365–357, 347–344 317–289 275–215
Gelon Hieron I. Dionysios I. Dionysios II. Agathokles (ab 304 mit dem Titel König) Hieron II. (ab 269 mit dem Titel König)
Tabelle 1.2: Tyrannen von Syrakus Werfen wir einen etwas genaueren Blick auf die Geschichte dieser antiken Metropole, die in den Augen Ciceros „die größte und schönste aller Griechenstädte“ war. Syrakus (Syrakusai) wurde um 734 von Siedlern aus Korinth gegründet (753, das mythische Gründungsjahr Roms, liegt nur wenig früher). Bevor sich die Kolonisten aufs Festland wagten, ließen sie sich auf der Insel Ortygia nieder. Dies ermöglichte eine Süßwasserquelle, die noch heute zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt gehört
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Abbildung 1.11: Die Süßwasserquelle (mit Papyrusstauden) (siehe Abbildung 1.11). Deren Nymphe Arethusa wurde zur Stadtgottheit von Syrakus. Schon ab dem frühen fünften Jahrhundert findet sich ihr Bild, meist umgeben von vier Delphinen, auf den Tetradrachmen der Stadt (siehe Abbildung 1.12; man erkennt die Weiterentwicklung [ „Barockisierung“ ] des frühen strengen Stils).
Abbildung 1.12: Arethusa auf Tetradrachmen aus Syrakus (um 460 und 410) Die Lage im Ionischen Meer in der Nähe der Straße von Messina begünstigte den Handel und ließ die Stadt und deren Wohlstand schnell wachsen. Bald folgte der Schritt aufs Festland, zunächst in die Regionen Achradina und Epipolai (siehe Abbildung 1.13). Später kamen Kolonien an der Südostküste Siziliens hinzu. Die erste greifbare Persönlichkeit in der Geschichte von Syrakus ist Gelon. Er lebte von etwa 540 bis 478 und war ursprünglich Herrscher der an der Südküste
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1.4 Syrakus
Abbildung 1.13: Das antike Syrakus Siziliens gelegenen Stadt Gela (siehe Abbildung 1.14). Den Unternehmungsgeist dieses Mannes zeigt auch der Sieg, den er 488/87 bei den Olympischen Spielen im Wagenrennen errang. 485 nutzte Gelon einen Hilferuf der oligarchischen Grundbesitzer von Syrakus, die von der Bevölkerung vertrieben worden waren, um sich selbst zum Herrn dieser Stadt zu machen. Er übergab Gela seinem Bruder Hieron und ging daran, sowohl Syrakus als auch die eigene Stellung in dieser Stadt zu stärken. Durch Zwangsumsiedlungen und die Verleihung des Bürgerrechts an Söldner machte er Syrakus zur bevölkerungsreichsten Stadt Siziliens. Außerdem baute er das Heer und die Flotte aus. Unruhen in Himera nahmen die Karthager zum Anlass, eine große Streitmacht nach Sizilien zu schicken. Doch 480 wurden sie bei Himera von Gelon und seinem Schwiegervater Theron, dem Tyrannen von Akragas (Agrigent), vernichtend geschlagen. Die Bedeutung dieser Schlacht unterstreicht der griechische Geschichtsschreiber Herodot (um 485–424) durch eine Bemerkung in seinen Historien: Man erzähle sich, dass an demselben Tag, an dem Gelon und Theron bei Himera über die Karthager siegten, die Perser bei Salamis von den Hellenen geschlagen wurden (und damit an diesem Tag die griechische Welt vor den gleichzeitig von Westen und Osten anstürmenden Barbaren gerettet wurde). Nachdem Gelon so seine Fähigkeiten eindrucksvoll demonstriert hatte, gab er vor, zurücktreten zu wollen, was von der Mehrheit jedoch abgelehnt wurde. In der
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Folge konnte er bis zu seinem Tod im Jahre 478 ohne größere Konflikte regieren. Nach Gelons Tod übernahm sein Bruder Hieron I. die Herrschaft. Den Einfluss, den Syrakus zu dieser Zeit hatte, belegt etwa im Jahre 474 die Schlacht von Kyme (Cumae) in Kampanien, in der eine hellenische Flotte unter der Führung Hierons die Etrusker schlug und dadurch nicht nur die Übernahme dieser griechischen Kolonie verhinderte, sondern auch das Ende der etruskischen Dominanz in Mittelitalien einläutete.
Abbildung 1.14: Das antike Sizilien
Hieron machte Syrakus zu einem kulturellen Zentrum der griechischen Welt. An seinem Hof versammelten sich zahlreiche Dichter und Philosophen. Genannt seien der Tragödiendichter Aischylos, der an den Schlachten von Marathon und Salamis teilnahm und dreizehnmal bei den Athener Dionysien siegte, und der Lyriker Pindar, der noch fünfhundert Jahre später für den römischen Rhetoriker Quintilian „bei weitem der Erste unter den Lyrikern“ ist. Aischylos kam Ende der 70er Jahre nach Syrakus, wo er auf Einladung Hierons seine Tragödie Die Perser aufführte. Höhepunkt seines Aufenthalts war die Uraufführung des (nicht erhaltenen) Dramas Aitnaiai (Die Frauen aus Aitnai) anlässlich der Feierlichkeiten zur Einweihung der von Hieron am Fuße des Ätna gegründeten Stadt Aitnai. Pindar steuert für das Gründungsfest seine erste pythische Ode bei. Es ist wohl ein rauschendes Fest,
1.4 Syrakus
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denn sogar der gewaltig starke Ares legte die sonst heftig wütenden Spitzen seiner Speere beiseite und erfreut sein Herz beim fröhlichen Gelage. In seinem Loblied stellt Pindar die Seeschlacht von Kyme in eine Reihe mit den Schlachten von Himera und Salamis. Hieron ließ ein Theater errichten, das zu den größten Theatern der griechischen Antike zählen sollte. Es bot Platz für 15 000 Zuschauer. Welch ein Kontrast zu Rom, das zu dieser Zeit kaum mehr Einwohner zählte als in Hierons Theater passten: Dort wurde das erste fest gemauerte Theater (die früheren waren temporäre Holzbauten) über 400 Jahre später im Jahre 55 eingeweiht. Dieses von Pompeius errichtete Theater fasste lediglich 11 000 Zuschauer – und musste als Treppenanlage für einen Venustempel getarnt werden, um die Hüter der Moral zu beschwichtigen. Als Hieron I. um 466 starb, folgte sein jüngerer Bruder Thrasybulos, der jedoch wegen seiner Grausamkeit nach knapp einem Jahr gestürzt wurde. Dieses Ereignis feierte die Stadt von nun an mit einem jährlichen Opferfest zu Ehren des Zeus Eleutherios (des Befreiers). Mit der Entmachtung von Thrasybulos endete die Herrschaft der ersten drei Tyrannen von Syrakus. Bis 405 erlebte Syrakus eine Phase der Demokratie, die dem politischen System in Athen glich. In der Ekklesia, der Volksversammlung, wurden Gesetze beschlossen, über die Außenpolitik entschieden sowie die Staatsbeamten und ein Rat gewählt. In dieser Zeit gelang es, die Vormachtstellung der Stadt weiter auszubauen. Gegen Ende des 5. Jahrhunderts – zu einer Zeit also, die für Rom noch keine geschichtlich belegbaren Daten kennt – läutete der Peloponnesische Krieg zwischen dem von Athen dominierten Attischen Seebund und dem Peloponnesischen Bund unter der Hegemonie Spartas das Ende des goldenen Zeitalters des klassischen Griechenlands ein. Nur wenige Jahrzehnte später gelang es König Philipp II. von Makedonien (359–336), die geschwächten griechischen Staaten unter seine Oberhoheit zu bringen. Im Verlaufe dieses Krieges kam es zu einer für Syrakus existenzbedrohenden Episode, der (dritten) Sizilienexpedition Athens (415–413). Als im Herbst 416 Gesandte der sizilischen Stadt Segesta Athen um Beistand in ihrem Konflikt mit Syrakus baten, schickte der Attische Seebund mit 300 Schiffen, darunter 134 Trieren mit weit über 20 000 Ruderern, und mehr als 5000 Hopliten ein gewaltiges – später noch beträchtlich verstärktes – Aufgebot gegen Syrakus, das kaum weniger Einwohner zählte als Athen. Nachdem es dieser Streitmacht im Frühjahr 414 gelungen war, den strategisch wichtigen erhöht gelegenen Stadtteil Epipolai zu erobern, erwog Syrakus bereits die Kapitulation. Doch ein von Sparta entsandter General schaffte mit Hilfstruppen aus Himera die Wende. In mehreren Schlachten wurde das athenische Expeditionskorps schließlich vernichtend geschlagen.
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Der Geschichtsschreiber Thukydides, der 424 als athenischer Flottenkommandant selbst am Peloponnesischen Krieg beteiligt war, fasste das Ergebnis so zusammen: „Man kann wohl sagen, dass dieses Ereignis von allen in diesem Krieg das bedeutendste war, meines Erachtens sogar von allen, die wir aus der hellenischen Geschichte kennen, für die Sieger der größte Ruhm, für die Unterlegenen das größte Unglück: Auf der ganzen Linie besiegt und unter Leiden, von denen keines klein war, hatten sie Fußvolk und Schiffe und überhaupt alles verloren, und nur wenige von so vielen kehrten nach Hause zurück.“ Im Sommer 405 begründete Dionysios I. eine bis zu seinem Tod im Jahre 367 bestehende Tyrannis. Unter ihm entwickelte sich Syrakus zum führenden Wirtschafts- und Handelszentrum im westlichen Mittelmeer. Durch den Bau eines Mauerrings und einer Befestigungsanlage im Stadtteil Epipolai machte er die Stadt zur mächtigsten Festung Siziliens. Die See- und Landstreitkräfte baute er zu den stärksten der griechischen Welt aus. Nach wechselvollen Kämpfen mit Karthago schloss Dionysios 374 einen Friedensvertrag, der den karthagischen Einfluss auf den Bereich westlich einer Linie von Herakleia Minoa im Süden bis zu Himera im Norden begrenzte. Die Interessen des Dionysios I. griffen weit aus. Durch die Eroberung von Rhegion (heute Reggio di Calabria) sicherte er sich die Kontrolle über die Straße von Messina. An der Adriaküste gründete er Ancona und Kolonien an der gegenüberliegenden dalmatischen Küste. Doch nach seinem Tod im Jahre 367 zerfiel sein Reich. Eine interessante Episode der Geschichte von Syrakus sind die drei Besuche Platons in dieser blühenden Stadt. Zum ersten Mal kam der damals etwa 38-Jährige im Jahre 389 nach Syrakus. Während seine Vorstellungen idealer Staatsführung bei Dionysios auf taube Ohren stießen, wurde Dion, ein Schwager des Dionysios, Platons Schüler. Er war nicht nur ein „aufmerksamer und fleißiger Zuhörer“, wie Platon in seinem Siebten Brief berichtet, er zog aus Platons Lehren auch praktische Konsequenzen, „indem er das Leben eines tugendhaften Mannes weit lieber gewann als das des sinnlichen Vergnügens“. Als der rund 30-jährige Dionysios II. seinem Vater nachfolgte, meinte Dion, in ihm einen Menschen gefunden zu haben, den man zum idealen Staatenlenker im Sinne Platons formen könnte. Er bittet Platon, ihm dabei zu helfen. Der zweite Besuch Platons im Jahre 366 wird jedoch zu einem Fehlschlag. Dion kommt in den Verdacht, einen Umsturz zu planen, und wird verbannt. Obwohl ihn Dionysios drängt zu bleiben, reist Platon daraufhin 365 wieder ab. Warum Platon trotzdem vier Jahre später nochmals Syrakus besucht, bleibt unklar. 357 gelingt es Dion, Dionysios aus Syrakus zu vertreiben. Doch schon drei Jahre später wird er ermordet. Die danach entstehenden Wirren brachten für Syrakus einen erheblichen Machtverlust, den auch die Rückkehr von Dionysios II. im Jahre 347 nicht aufhalten konnte. Dieses Machtvakuum nutzte Karthago, um die grie-
1.4 Syrakus
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chischen Städte an der Südküste (etwa das schon erwähnte Gela) zu unterwerfen. Doch als Korinth, die Mutterstadt von Syrakus, 346/45 auf Bitten der Gegner des Dionysios II. eine kleine Streitmacht unter Führung des Timoleon zu Hilfe schickte, konnte dieser die zwischen Dionysios I. und Karthago vereinbarte Trennungslinie zwischen dem griechischen und karthagischen Sizilien zurückgewinnen und 344 Dionysios II. zur Abdankung zwingen. Bei einem Aufstand im Jahre 317 gelang es dem Condottiere Agathokles, die Macht zu ergreifen. Er trat als Verteidiger der einfachen Bevölkerung gegenüber dem wohlhabenden Adel auf und nahm als erster Tyrann 304 den Königstitel an. Kurz zuvor hatten dies auch die Nachfolger Alexanders getan und damit auch formal den Zerfall des Alexanderreiches besiegelt. Agathokles baute den von Timoleon zerstörten Palast auf der Insel Ortygia wieder auf und ließ neue Hafenbefestigungen errichten. Der erfolgreiche Truppenführer war im Begriff, ein hellenistisches Königreich des Westens zu errichten, das von Sizilien über Unteritalien bis zu den Ionischen Inseln (300 eroberte er Korkyra [Korfu]) reichen sollte. Doch sein Tod im Jahre 289 vereitelte diesen Plan. Dem Geschehen der nächsten Jahre prägte der Molosserkönig Pyrrhos aus Epirus (im heutigen Nordwestgriechenland und Albanien) seinen Stempel auf. Er war ein politischer Abenteurer wie Agathokles (295 heiratete er eine Tochter des Agathokles, was ihm als Mitgift die Insel Korkyra einbrachte), zugleich aber einer der größten Feldherrn des Altertums. Nicht wenige Zeitgenossen verglichen ihn mit Alexander dem Großen. Im Jahre 281 traf bei Pyrrhos eine Gesandtschaft aus Tarent ein, der reichsten und mächtigsten griechischen Stadt des italischen Festlands. In der klaren Erkenntnis, dass die Stadt alleine gegen die römische Expansion chancenlos wäre, warb sie bei ihm um Unterstützung gegen Rom. Da kurz zuvor ein Versuch des Pyrrhos, die Herrschaft über Makedonien zu gewinnen, gescheitert war, nahm er gerne das Hilfeersuchen Tarents an. Eine Reihe seiner sprichwörtlich gewordenen Pyrrhussiege konnte die Römer aber nicht dazu bringen, einen Friedensvertrag abzuschließen. 278 wurde Pyrrhos von Syrakus im Kampf gegen Karthago zu Hilfe gerufen. Dieser nutzte die Gelegenheit und unterwarf Sizilien bis auf die an der Westspitze gelegene karthagische Seefestung Lilybaion sowie die Stadt Messana an der Nordostspitze der Insel, die unter der Herrschaft von ehemaligen Söldnern des Agathokles stand (die sich nach dem Kriegsgott Mars Mamertiner nannten). Probleme in Unteritalien zwangen Pyrrhos jedoch im Herbst 276, das sizilische Unternehmen abzubrechen. Als er ein Jahr später erkennen musste, dass ein Sieg gegen die Römer nicht mehr möglich war, verließ er Italien. Im Herbst des Jahres 272 führte die Nachricht vom Tod des Pyrrhos – er starb auf der Peloponnes durch einen Ziegelstein, mit dem ihn angeblich eine alte Frau am Kopf traf – zur Kapitulation Tarents.
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Die Raubzüge der Mamertiner von Messana brachten in Syrakus im Jahre 275 Hieron (II.), den unehelichen Sohn eines syrakusischen Adligen, an die Macht, ab 269 mit dem Titel König (siehe Abbildung 1.15). Er drängte die Mamertiner nach Messana zurück und belagerte die Stadt. Die Mamertiner, die den Römern gegen Pyrrhos gute Dienste geleistet hatten, baten Rom um Hilfe und boten dafür ihre Unterwerfung an. Rom war bereit, die Gefahr eines – aller Voraussicht nach zeitlich und räumlich begrenzten – Krieges gegen Hieron einzugehen, und sandte zwei Legionen nach Rhegion. Als aber die römischen Vorbereitungen ins Stocken gerieten, wandten sich die Mamertiner an Karthago. In letzter Minute – die Mamertiner waren schon bereit, die Stadt an Hieron zu übergeben – legten die Karthager eine Besatzung in die Stadt. Dies veranlasste Hieron, der einem Konflikt mit Karthago aus dem Weg gehen wollte, die Belagerung aufzuheben.
Abbildung 1.15: Hieron II. als König Doch das war nicht das Ende dieser Geschichte. Ein römischer Offizier, der nach Messana gelangte, erreichte den abermaligen Frontwechsel der Mamertiner. Sie vertrieben die karthagische Besatzung und ergaben sich den Römern. Syrakus und Karthago waren düpiert – und schlossen ein Bündnis, um zu verhindern, dass sich Rom auf Sizilien breitmachte. Doch Rom wollte Messana nicht aufgeben und griff im Frühjahr 264 das aus syrakusischen und karthagischen Verbänden bestehende Belagerungsheer an – der Erste Punische Krieg war ausgebrochen. Die Römer erzwangen im Sommer 263 die Aufhebung der Belagerung von Messana und begannen mit der Belagerung von Syrakus. Hieron bat um Frieden. Gegen die Zahlung einer beträchtlichen Kriegsentschädigung und die Verpflichtung, mit Rom ein Bündnis zu schließen (womit der Traum von einem sizilischen Reich unter der Führung von Syrakus ausgeträumt war), wurde er ihm gewährt. Bis zu seinem Tod erwies sich Hieron als verlässlicher Bündnispartner Roms. Durch seine Getreidelieferungen leistete er vor allem im Ersten Punischen Krieg einen wichtigen Beitrag zur Versorgung des römischen Heeres. Für die von Hieron II. nach dem Muster der hellenistischen Reiche regierte gewaltige Metropole begann eine fast 50-jährige Blütezeit. Hieron förderte Land-
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1.4 Syrakus
wirtschaft und Handel, Wissenschaft und Kunst. Er war es, der Archimedes an den Hof holte. Der in Syrakus geborene Dichter Theokrit, der zeitweilig Hofdichter unter Ptolemaios II. war, rückt Hieron in göttliche Sphären: Hieron selbst in dem Heer, an Gestalt wie Heroen der Vorwelt, Strahlet von Erz, auf dem Helme die schattende Mähne des Rosses. Beachtlich ist seine Bautätigkeit. Die Palastanlage auf der Insel Ortygia wurde um riesige Getreidespeicher erweitert, die den Herrscher als Garanten des Reichtums der Stadt zeigten. An der Agora wurde ein neuer Tempel des Olympischen Zeus gebaut. Das Theater ließ Hieron durch eine Terrasse und Hallenbauten zu einem kulturellen Zentrum ausbauen. Unterhalb des Theaters errichtete er einen monumentalen, knapp 200 m langen und über 10 m hohen öffentlichen Opferaltar für das jährliche Fest zu Ehren des Zeus Eleutherios (siehe S. 27). Heute ist davon nur mehr der – immer noch beeindruckende – Unterbau zu sehen (siehe Abbildung 1.16).
Abbildung 1.16: Die Überreste des Altars Im Jahre 240 erhob Hieron seinen Sohn Gelon zum Mitregenten, was diesen zum designierten Nachfolger machte. Doch Gelon starb um 216 mit etwa 50 Jahren vor seinem Vater. Zwei Jahre zuvor war der Zweite Punische Krieg ausgebrochen. Nach der römischen Niederlage bei Cannae mehrten sich in Syrakus die Stimmen, auf die Seite Karthagos, des vermeintlichen Siegers dieses Krieges, zu wechseln. Doch Hieron hielt am Bündnis mit Rom fest. Als er aber nach fast 60-jähriger Regentschaft
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Anfang 215 etwa 90-jährig starb und Hieronymos, der 15-jährige Sohn Gelons (siehe Abbildung 1.17), die Nachfolge antrat, stellte sich Syrakus auf die Seite Karthagos.
Abbildung 1.17: Hieronymos Um Sizilien wieder unter ihre Kontrolle zu bekommen, schickten die Römer 214 den erprobten Feldherrn Marcus Marcellus, der sich bereits 222 gegen die Gallier Norditaliens ausgezeichnet hatte, auf die Insel. Für Syrakus begann eine zweijährige Belagerung zu Wasser und zu Lande. Erst 212 gelang die Einnahme der Stadt. Die Umstände beschreibt Polybios, der im achten Buch seiner Historien detailliert die Belagerung schildert (wir gehen darauf im Abschnitt 1.5 noch genauer ein). Ein Überläufer habe berichtet, dass in der Stadt ein dreitägiges Fest zu Ehren der Artemis gefeiert werde, bei dem sich die Bewohner „zwar im Genusse der Speisen einschränken müssten wegen des bei ihnen herrschenden Mangels, den Wein aber reichlich genössen“. Während die Wachen ihren Rausch ausschliefen, drangen die Römer in die Stadt ein. Nachdem die Soldaten die Privathäuser geplündert hatten, ließ Marcellus die wertvollsten Kunstwerke aus den Tempeln und öffentlichen Gebäuden einsammeln, um damit die Stadt Rom auszuschmücken. Damit sei er – wie er sich Plutarch zufolge selbst gegenüber Griechen rühmte – der Erste gewesen, der Rom gelehrt habe, „die bewunderungswürdigen Meisterwerke Griechenlands zu schätzen“. Dem Eindruck, den Rom auf den Besucher machte, haben die Kunstwerke sicher gutgetan, zumal es vorher „angefüllt mit barbarischen Waffen und blutigen Beutestücken . . . empfindsamen und verweichlichten Betrachtern weniger einen heiteren als einen furchterregenden Anblick bot“, ihnen also wie der „Vorhof des tief im Krieg steckenden Ares“ vorkommen musste. Zumindest scheint sich Marcellus nicht persönlich bereichert zu haben. Lediglich ein von Archimedes erbautes Planetarium habe er „aus der so gewaltigen Beute in sein Haus geschafft“, wie Cicero berichtet.
1.5 Archimedes
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Syrakus verlor seine Selbständigkeit und wurde in die römische Provinz Sizilien eingegliedert. Dass es der Stadt als Teil dieser Provinz manchmal schlechter als im Krieg erging, zeigt Cicero eindrucksvoll in seiner Anklageschrift gegen Verres. Dieser habe als Provinzstatthalter in den Jahren 73 bis 71 „nichts von dem, was ihm vor Augen und in den Sinn kam, sei es privates oder öffentliches, weltliches oder geweihtes Eigentum, irgendwo in Sizilien zurückgelassen“. Die von Cicero akribisch recherchierte Liste der aus Sizilien und insbesondere aus Syrakus entwendeten Kunstwerke ist erschreckend lang. Verres ließ sogar im Königspalast von Syrakus eine riesige Werkstatt einrichten, die über Monate die Beutestücke nach seinen Wünschen umarbeitete.
1.5 Archimedes Im Vergleich zu anderen antiken Wissenschaftlern wissen wir über das Leben des Archimedes relativ viel. Allerdings beschränken sich die unstrittigen Fakten im Wesentlichen auf seine letzten Lebensjahre. Archimedes starb als alter Mann im Jahre 212, während die Römer das eroberte Syrakus plünderten. Der byzantinische Gelehrte Johannes Tzetzes, der im 12. Jahrhundert lebte, berichtet, Archimedes sei 75 Jahre alt geworden. Diese – aufgrund des großen zeitlichen Abstands zweifelhafte – Angabe ergäbe das Geburtsjahr 287. Nach Plutarch war Archimedes ein enger Freund von König Hieron II. Für seine guten Beziehungen zum Königshaus spricht auch, dass er – wie wir auf S. 21 gesehen haben – seine Schrift Die Sandzahl Gelon, dem Sohn Hierons, widmete. In diesem Buch listet Archimedes einige von Astronomen berechneten Größenverhältnisse von Sonne und Mond auf, darunter das Ergebnis, das sein Vater Phidias errechnete. Auch wenn vom Vater des Archimedes sonst nichts bekannt ist, legen dessen Beruf und die Beziehung zum Königshaus nahe, dass Archimedes einer angesehenen und begüterten Familie entstammte. Einen Aufenthalt in Alexandria erwähnt Diodor. Bei dieser Gelegenheit soll er die später nach ihm benannte Schraube erfunden haben, eine Pumpe, mit der besonders einfach Wasser aus dem Nil geschöpft werden konnte. Ein weiterer Beleg ist der enge Kontakt, den Archimedes zu zwei Wissenschaftlern aus Alexandria unterhielt, nämlich zum Hofastronomen Konon von Samos (280–220, siehe auch S. 20) sowie zu Eratosthenes (siehe S. 22). Wer an Archimedes denkt, hat in der Regel zwei Bilder vor Augen. Auf dem einen rennt er, laut „heureka, heureka!“ rufend, nackt durch Syrakus. Auf dem anderen ist er über geometrische Figuren gebeugt, die er in den Sand gezeichnet hat, sein Gesicht ist einem römischen Legionär zugewandt. Unwirsch weist er diesen mit den Worten „Störe meine Kreise nicht!“ zurecht, worauf dieser ihn erschlägt. Welche Wahrheit steckt hinter diesen Bildern?
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Das erste Bild zeichnet Vitruv im neunten seiner zehn Bücher über Architektur, die er im letzten vorchristlichen Jahrhundert schrieb. Zum Dank für die Übernahme der Königsherrschaft wollte Hieron II. den Göttern als Weihegabe eine goldene Krone stiften. Er übergab dem Goldschmied eine präzise abgewogene Menge Gold und erhielt dafür zum vereinbarten Zeitpunkt eine Krone mit exakt demselben Gewicht. Später wurde Hieron zugetragen, der Goldschmied habe Silber unter das Gold gemischt. Da er nicht wusste, wie er dies beweisen (oder widerlegen) könnte, beauftragte er den damals etwa 20-jährigen Archimedes, diese Frage zu klären. Auch beim nächsten Besuch der öffentlichen Bäder ging Archimedes diese Frage im Kopf herum. „Als er in die Badewanne stieg, bemerkte er, dass in dem Maße Wasser aus der Wanne floss, wie er seinen Körper eintauchte. Da ihm dies den Weg zeigte, die gestellte Aufgabe zu lösen, verweilte er nicht länger, sondern sprang freudig erregt aus der Wanne und lief nackt nach Hause. Dabei verkündete er mit lauter Stimme, er habe gefunden, was er suchte. Denn beim Laufen rief er unaufhörlich auf griechisch heureka, heureka.“ Wie Vitruv weiter ausführt, kam Archimedes beim Besuch des Bades die Idee, man könne die Frage lösen, indem man prüft, wie viel Wasser Silber- und Goldklumpen, die jeweils das Gewicht der Krone besitzen, verdrängen. Dazu legte er jeden der Klumpen in ein randvolles Gefäß und maß die übergelaufene Menge. Er stellte fest, dass das Silber mehr Wasser verdrängte als das Gold. „Als er danach in dem vollständig wieder aufgefüllten Gefäß die Krone versenkte, sah er, dass bei der Krone mehr Wasser überlief als beim Goldklumpen desselben Gewichts.“ Damit war der Goldschmied des Diebstahls überführt. Ob Archimedes wirklich auf diese Weise argumentierte oder nicht eher das archimedische Prinzip verwendete, werden wir diskutieren, wenn wir im Abschnitt 6.4 auf seine Schrift Über schwimmende Körper eingehen. Beim zweiten Bild stellt sich zunächst die Frage, warum der Legionär den harmlosen alten Mann, den offenkundig nur seine geometrischen Probleme interessieren, umbringt. Wir lassen Polybios diese Frage beantworten. Da er zeitnah schreibt und eigene militärische Erfahrungen besitzt, sind seine Ausführungen in hohem Maße glaubwürdig. Aufgrund ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit meinten die Römer, Syrakus innerhalb weniger Tage einnehmen zu können. Doch „sie ahnten nicht, dass bisweilen ein einziger Verstand mehr bewirkt als eine noch so große Zahl von Händen“. Als sich nämlich die römischen Schiffe den Befestigungen von Syrakus näherten, kamen sie in die Reichweite der von Archimedes entworfenen Wurfmaschinen. „Segelten sie aus weiter Ferne heran, so beschädigte er sie durch die Geschosse der unter großer Spannung stehenden größeren Steinwurfmaschinen, was bei ihnen zu Ratlosigkeit und Komplikationen führte. Waren sie so nahe, dass diese Geschosse über sie hinwegflogen, setzte er passend zur jeweiligen Entfernung die kleineren Ma-
1.5 Archimedes
35
schinen ein, was sie in eine solche Verwirrung stürzte, dass der Angriff vollständig zum Erliegen kam.“ Als sie heimlich in der Nacht dennoch an die Stadtmauern kamen, wurden sie durch Bogenschützen und pfeilschießende Maschinen (sogenannte Skorpione), die durch die von Archimedes in der Stadtmauer angebrachten Schlitze feuerten, vertrieben. Doch gegen ein Schiff, das es in den toten Winkel der Wurfmaschinen geschafft hatte, konnte Archimedes noch eine weit eindrucksvollere Konstruktion einsetzen, eine kranartige Maschine, die eine am vorderen Ende des Auslegers „an einer Kette befestigte eiserne Hand herabließ, womit der, der den Ausleger lenkte, den Bug des Schiffes packte und hierauf innerhalb der Mauer den hinteren Teil der Maschine absenkte. Hatte er so erreicht, dass der Bug angehoben wurde und das Schiff senkrecht über dem Heck stand, fixierte er den hinteren Maschinenteil und ließ mittels eines Seils Hand und Kette plötzlich in die Tiefe stürzen.“ Die Folgen einer solchen Behandlung kann man sich vorstellen: Panik bricht aus, viele Schiffe kentern oder laufen voll Wasser. Dass die römischen Soldaten nicht gut auf Archimedes zu sprechen waren, darf also nicht verwundern. Im Laufe der Jahrhunderte wurden die Taten des Archimedes immer weiter ausgeschmückt. Im 12. Jahrhundert schreibt der schon erwähnte Johannes Tzetzes, dass „der Greis einen sechseckigen Spiegel konstruierte. Indem er im passenden Abstand zu diesem Spiegel ähnliche kleinere viereckige Spiegel anbrachte, die sich mittels Bändern und Gelenken bewegen ließen, machte er jenen [sechseckigen] zum Zentrum aller Sonnenstrahlen.“ Nun lenkte er diese Strahlen auf die Schiffe und „verwandelte sie bis auf Bogenschussweite in Asche“. Da Polybios in seinem Bericht von diesen Maschinen nichts erwähnt und auch Versuche gezeigt haben, dass es kaum möglich ist, durch Brennspiegel bewegliche Ziele in Brand zu setzen, haben wir es hier wohl mit Science-Fiction zu tun. Über den Tod des Archimedes erfahren wir von Polybios nichts. Um Christi Geburt schreibt Livius darüber: „Es wird überliefert, dass Archimedes trotz des großen Tumultes, wie ihn nur in einer eroberten Stadt der Schrecken während der Streifzüge der plündernden Soldaten hervorrufen kann, intensiv mit den Figuren beschäftigt war, die er in den Staub gezeichnet hatte, und dabei von einem Soldaten, der nicht wusste, wer er war, getötet wurde. Marcellus war darüber bekümmert und sorgte für sein Begräbnis.“ Sich über den pulvis, den grünen Glasstaub, in den die Mathematiker mit einem Stäbchen (radius) ihre mathematischen Figuren zeichneten, zu beugen, war im Altertum ein Synonym für mathematische Beschäftigung. „Ihr habt euch niemals mit diesem kenntnisreichen Pulver beschäftigt“ meinte: „Ihr habt euch nie mit Mathematik befasst“. Den Ausspruch „Störe meine Kreise nicht“ findet man weder bei Livius noch bei Plutarch, der sogar drei verschiedene Versionen von Archimedes’ Tod überliefert. Lediglich in der im ersten nachchristlichen Jahrhundert unter Kaiser Tiberius
36
1 Eine Welt im Umbruch
entstandenen Anekdotensammlung des Valerius Maximus wird Archimedes ein letzter Satz an seinen Mörder in den Mund gelegt: „Ich beschwöre dich, zerstöre das [in den Sand Geritzte] nicht!“ Welches Bild bleibt von Archimedes? Das Bild des zerstreuten alten Mannes ist für sein Leben sicher ebenso wenig repräsentativ wie das des weltfremden, nackt durch Syrakus laufenden Spinners. Wir haben uns Archimedes vielmehr als kraftvolle, mitten im Leben stehende Persönlichkeit vorzustellen. Leider gibt es von Archimedes nur Phantasieporträts aus späterer Zeit. Doch die Skulptur des im 16. Jahrhundert lebenden französischen Renaissancekünstlers Jean Goujon im Cour Carrée des Louvre in Paris (siehe Abbildung 1.18) bringt die Kraft und Dynamik dieser Person gut zum Ausdruck. Archimedes gehörte zum engeren Beraterstab des Königs Hieron II. und nahm damit eine wichtige Rolle im öffentlichen Leben von Syrakus ein. Wertvoll für den König waren seine technischen Erfindungen, insbesondere deren militärische Nutzung. Immerhin konnte Syrakus damit sogar den Römern, die sicher über die modernste Kriegstechnik verfügten, geraume Zeit Paroli bieten. Es ist gut möglich, dass die öffentlichen Aufgaben den Großteil seiner Zeit in Anspruch nahmen und er seine mathematischen Forschungen im Unterschied zu seinen Kollegen in Alexandria lediglich in der Freizeit betrieb. Wann oder zumindest in welcher Reihenfolge seine Werke entstanden sind, lässt sich nur vermuten. In [44] wird folgende Reihung diskutiert (die Titel der Schriften stammen nicht notwendig von Archimedes): • • • • • • • • • •
Über das Gleichgewicht ebener Flächen, Buch I, Die Quadratur der Parabel (um 240), Über Kugel und Zylinder, Buch I, Kreismessung, Über Kugel und Zylinder, Buch II, Über Spiralen (um 230), Über Paraboloide, Hyperboloide und Ellipsoide, Über das Gleichgewicht ebener Flächen, Buch II, Methodenlehre von den mechanischen Lehrsätzen (vor 220), Über schwimmende Körper, Buch I und II (um 220).
Dazu kommen die kaum zu datierenden Schriften • Die Sandzahl, • Das Stomachion.
Hinweise bei anderen Autoren zeigen, dass dies nicht seine einzigen Schriften sind. Auch die vorliegenden sind nicht vollständig überliefert und teilweise durch spätere Bearbeitungen verfälscht. Einen Überblick über die in diesem Zusammenhang angestellten Vermutungen und Rekonstruktionsversuche gibt Ivo Schneider in seinem Buch [44].
1.5 Archimedes
Abbildung 1.18: Jean Goujon: Archimedes
37
38
1 Eine Welt im Umbruch
Archimedes behandelt in seinen Büchern neben mathematischen Problemen auch mechanische Fragestellungen. Seine Ausführungen lassen vermuten, dass zumindest seinen (mathematischen) Sätzen über Volumina mechanische Versuche vorausgingen. Es verwundert vielleicht, dass kein Werk über seine spektakulären Konstruktionen existiert. Doch zum einen unterlagen die Kriegsmaschinen sicher der militärischen Geheimhaltung. Zum anderen beruhte die Entwicklung dieser Maschinen wahrscheinlich weniger auf theoretischen Überlegungen als auf zahlreichen praktischen Versuchen, weshalb eine Veröffentlichung für Archimedes nicht infrage kam. Als einzige „technische“ Schrift hat Archimedes wohl ein (leider nicht erhaltenes) Buch über Planetarien geschrieben. Dass Marcellus aus den zahlreichen Beutestücken gerade ein von Archimedes erbautes Planetarium für sich reklamierte, zeigt die Bewunderung, die solchen Planetarien gezollt wurde. In seinen Gesprächen in Tusculum findet Cicero dazu die folgenden Worte: „Denn als Archimedes die Bewegungen des Mondes, der Sonne und der fünf Planeten mit einer Kugel verknüpfte, schuf er dasselbe wie der Gott Platons, der im Timaios die Welt erbaute.“
Abbildung 1.19: Das Räderwerk von Antikythera Einen Eindruck von einem solchen Planetarium gibt das einzigartige Räderwerk, das um 1900 vor Antikythera (einer kleinen Insel nordwestlich von Kreta) gefunden wurde. Es stammte von einem im letzten vorchristlichen Jahrhundert untergegangenen Handelsschiff. Trotz der vielen Kunstwerke, die geborgen werden konnten, waren die schlecht erhaltenen Fragmente dieses Räderwerks (das größte
39
1.5 Archimedes
ist in Abbildung 1.19 zu sehen) die eigentliche Sensation. Sie befinden sich heute im Nationalmuseum in Athen. Umfangreiche Untersuchungen brachten zutage, dass der komplizierte, aus etwa 70 Zahnrädern zusammengesetzte Mechanismus neben einem Sonnen- und Mondkalender auch einen Kalender für Sonnen- und Mondfinsternisse enthielt. Über den Urheber kann nur spekuliert werden. Indizien sprechen für einen Ursprung im korinthischen Kulturkreis, zu dem Syrakus als korinthische Kolonie gehörte. In diesem Zusammenhang an Archimedes zu denken, liegt natürlich nahe. Von den uns erhaltenen Schriften belegt einzig Die Sandzahl, dass Archimedes astronomische Interessen besaß. In diesem Werk berechnet er die Zahl der Sandkörner, die benötigt werden, um das gesamte Weltall auszufüllen. Er kommt auf die Zahl 1063 . Dabei stellt sich ihm das Problem, eine solche Zahl zu bezeichnen oder darzustellen. Für die Griechen war bereits zehntausend eine unzählbare, riesige Menge. Noch heute wird die Myriade in diesem Sinn gebraucht. Für noch größere Zahlen besaßen sie keine eigenen Begriffe. Eine Million waren hundert Myriaden. Wenn Archimedes schreibt, dass von 1 bis 100 000 000 eigene Zahlennamen vorhanden seien, erfasst er damit die Zahlen von 1 bis zu einer Myriade Myriaden. Auf dieser Basis – also auf der Basis 108 – entwickelt er ein Zahlensystem, das ihn mit hinreichend großen Zahlen versorgt.
Abbildung 1.20: Modell des Grabmals
40
1 Eine Welt im Umbruch
Wichtige Sätze und Beweismethoden aus den Schriften des Archimedes werden wir in den nächsten Kapiteln kennenlernen. Besonders stolz war Archimedes wohl auf die Ergebnisse der beiden Bücher Über Kugel und Zylinder. Nach Plutarch soll er nämlich „seine Freunde und Verwandten gebeten haben, nach seinem Tod über sein Grab den Zylinder, der im Inneren eine Kugel umfasst, zu setzen und als Inschrift das Verhältnis, in dem der umfassende Körper den umfassten übertrifft, anzubringen“. Die Frage, ob das Verhältnis der Volumina oder der Oberflächen der beiden Körper gemeint ist, ist naheliegend, aber unnötig: In beiden Fällen lautet es 3 : 2. Im Kapitel 4 werden wir darauf eingehen. Als Cicero im Jahre 75 als Quästor in Sizilien seine politische Karriere begann, wollte er – als belesener und vielseitig interessierter Mann – auch das Grab des Archimedes besuchen. Da die Magistrate von Syrakus die Lage des Grabs nicht kannten (sic transit gloria mundi ), musste Cicero geradezu detektivischen Spürsinn beweisen. In seinen Gesprächen in Tusculum lesen wir dazu: „Ich kannte nämlich einige kleine Verse, von denen ich wusste, dass sie dort eingeschrieben sind, die klarmachen, dass sich an der Spitze des Grabmals eine Kugel mit einem Zylinder befindet.“ Schließlich fand er „eine kleine Säule, die kaum noch aus dem Gestrüpp ragte und die Kugel samt Zylinder enthielt“. Nehmen wir die beiden Autoren zusammen, so haben wir eine kleine Säule, auf deren Spitze ein Zylinder und in diesem eine ihn berührende Kugel zu sehen sind. Da die Kugel nur zu sehen ist, wenn der Zylinder aufgeschnitten wird, könnte das in Abbildung 1.20 gezeigte Modell einen Eindruck dieses Grabmals vermitteln.
2 Vorbereitungen Abschnitt 1.5 gab uns einen Überblick über das Werk des Archimedes. Bevor wir in den nächsten Kapiteln auf die einzelnen Schriften eingehen, stellen wir vorbereitend einige Definitionen und Aussagen zusammen. Im Interesse einer guten Lesbarkeit werden wir die Anzahl mathematischer Begriffe und Bezeichnungen möglichst klein halten.
2.1 Bezeichnungen Die Gerade g durch die Punkte A und B (siehe Abbildung 2.1) bezeichnen wir mit AB, die Strecke mit den Endpunkten A und B mit AB. Die Länge der Strecke ist der Abstand der Punkte A und B, den wir als d(A, B) schreiben. Jeder Punkt einer Geraden teilt diese in zwei, in diesem Punkt beginnende Halbgeraden. Da Missverständnisse nicht zu befürchten sind, werden wir – wie Archimedes – oft vom Verhältnis zweier Strecken sprechen, wenn wir das Verhältnis ihrer Längen meinen. Der Abstand d(C, g) eines Punktes C von einer Geraden g ist die Länge der Strecke CF , wobei F der Fußpunkt des von C auf g gefällten Lotes ist. g
Q tr rtP
tr
B
rtC
tr r t
M
rt
A
F
k
Abbildung 2.1: Gerade, Strecke, Kreis, Kreisbogen In einer Ebene ist ein Kreis k durch seinen Mittelpunkt M und seinen Radius r festgelegt als Ort aller Punkte der Ebene, die von M den Abstand r haben. Einen durch zwei Radien MP und MQ ausgeschnittenen Kreisbogen und dessen Länge bezeichnen wir mit P Q. Es gibt davon zwei, weshalb stets klar sein muss, welcher gemeint ist. Die beiden Radien schließen den zugehörigen Mittelpunktswinkel ein. Wie der aufmerksame Leser bemerkt hat, kann in Übereinstimmung mit dem üblichen Sprachgebrauch „Radius“ sowohl für eine Strecke als auch für deren Länge stehen.
⌢
42
2 Vorbereitungen
Die Verbindungsstrecke zweier Kreispunkte heißt Sehne des Kreises, ist sie doppelt so lang wie ein Radius, auch Durchmesser. Jede Sehne teilt die Kreisfläche in zwei Segmente. Das Lot auf die Kreisebene durch den Kreismittelpunkt heißt Achse des Kreises (siehe Abbildung 2.2). Achse
Sehne
tr
rt rt
tr
Durchmesser Abbildung 2.2: Sehnen und Achse eines Kreises Daneben benötigen wir an verschiedenen Stellen Vielecke, denen wir einen eigenen Abschnitt widmen.
2.2 Vielecke Ein Vieleck oder Polygon ist die Vereinigung endlich vieler Strecken einer Ebene, bei denen jeder Endpunkt zu genau zwei Strecken gehört und sonst keine gemeinsamen Punkte auftreten (siehe Abbildung 2.3). rtD
G tr
rtF
Seite E
rt
rt
B A tr
Diagonale rtC
Abbildung 2.3: Vieleck ABCDEF G Die Strecken heißen die Seiten, ihre Endpunkte die Ecken und die Summe ihrer Längen der Umfang des Vielecks. Ein Vieleck mit N Ecken nennen wir auch NEck. Verbindungsstrecken von Ecken, die keine Seiten des Vielecks sind, heißen Diagonalen. Die Definition macht klar, dass ein Vieleck mindestens drei Ecken besitzt.
43
2.2 Vielecke
Bekanntlich lässt sich durch drei nicht auf einer Geraden liegende Punkte genau ein Kreis legen. Daher besitzt jedes Dreieck einen eindeutig bestimmten Umkreis, also einen Kreis, auf dem die Ecken des Dreiecks liegen. Für ein Vieleck mit mehr als drei Ecken existiert ein solcher Kreis im Allgemeinen nicht. Ein Vieleck mit Umkreis heißt Sehnenvieleck. Die Achse seines Umkreises nennen wir auch Achse des Vielecks (siehe Abbildung 2.4). Achse rt
rt
r t rt
rt
Abbildung 2.4: Achse eines Vierecks mit Umkreis Ein Vieleck mit Umkreis heißt regelmäßig, wenn alle Seiten dieselbe Länge haben. Wir können ein solches Vieleck ebenso beschreiben als Vieleck mit Umkreis, dessen Mittelpunktswinkel alle gleich groß sind. Auch alle Innenwinkel eines regelmäßigen Vielecks sind gleich groß. Die Definition dieser Winkel kann man in Abbildung 2.5 ablesen. rt
rt
Innenwinkel c
rt
rtc
Mittelpunktswinkel rt
rtc
Abbildung 2.5: Winkel im Vieleck Wir werden öfters die Größe dieser Winkel benötigen. Daher stellen wir die uns interessierenden Fälle in der Tabelle 2.1 zusammen. Die Berechnung des Mittelpunktswinkels ist klar. Die Berechnung des Innenwinkels folgt aus der Tatsache, dass sich ein N-Eck in N − 2 Dreiecke (von denen jedes die Winkelsumme 180◦ besitzt) zerlegen lässt. Indem man in einen Kreis den entsprechenden Mittelpunktswinkel einzeichnet, erhält man leicht eine und damit alle Seiten jedes dieser Vielecke. Zumindest
44
2 Vorbereitungen Vieleck Dreieck Viereck Fünfeck Sechseck Achteck Zehneck Zwölfeck
Mittelpunktswinkel 360◦ : 3 = 120◦ 360◦ : 4 = 90◦ 360◦ : 5 = 72◦ 360◦ : 6 = 60◦ 360◦ : 8 = 45◦ 360◦ : 10 = 36◦ 360◦ : 12 = 30◦
Innenwinkel 180◦ : 3 = 60◦ 2 · 180◦ : 4 = 90◦ 3 · 180◦ : 5 = 108◦ 4 · 180◦ : 6 = 120◦ 6 · 180◦ : 8 = 135◦ 8 · 180◦ : 10 = 144◦ 10 · 180◦ : 12 = 150◦
Tabelle 2.1: Winkel im regelmäßigen Vieleck erwähnt sei, dass die in der Tabelle 2.1 aufgeführten Vielecke zu jenen gehören, die man mit Zirkel und Lineal (also insbesondere ohne Winkelmesser) konstruieren kann (Genaueres dazu findet man in [2]). Neben dem Umkreis besitzen Dreiecke einen Inkreis, also einen Kreis, der alle Seiten des Dreiecks berührt. Auch dies gilt für Vielecke mit mehr als drei Ecken im Allgemeinen nicht. Ein Vieleck mit Inkreis heißt auch Tangentenvieleck. Regelmäßige Vielecke besitzen stets einen Inkreis, dessen Mittelpunkt mit dem Umkreismittelpunkt zusammenfällt. rt
rt
rt
rt
rt
rt
rt rt
rt
rt
rt rt
rt
rt
rt
rt
Abbildung 2.6: Sehnen- und Tangentenvieleck Die Abbildung 2.6 zeigt je ein Beispiel für ein Sehnen- und Tangentenvieleck sowie den zugehörigen Um- bzw. Inkreis. Wir beweisen noch einige Sätze über die Fläche von Vielecken. Besonders ein-
45
2.2 Vielecke
fach lässt sich die Fläche eines Tangentenvielecks angeben (siehe Abbildung 2.7 (a)). Bei diesem setzt sich die Fläche aus Dreiecken zusammen, deren Höhe auf die Vielecksseite mit dem Radius des Inkreises übereinstimmt. Da sich die Dreiecksseiten, die den Kreis berühren, zum Umfang des Vielecks summieren, gilt also die Aussage (i) des folgenden Satzes. rt
rt
rt
rt
rt
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rt
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rt
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rt
rt
(a)
rt
(b)
rt
rt
rt
rt
Abbildung 2.7: Zur Fläche von Tangenten- und Sehnenvielecken Satz 2.1 (i) Hat ein Tangentenvieleck den Umfang u sowie sein Inkreis den Radius r, so hat das Vieleck die Fläche 12 ru. (ii) Hat ein Sehnenvieleck den Umfang u sowie sein Umkreis den Radius r, so ist seine Fläche kleiner als 21 ru. Die Korrektheit der Aussage (ii) lässt sich an Abbildung 2.7 (b) ablesen: Die Höhe der Teildreiecke ist jeweils kleiner als der Radius. rtc
rtc
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ct r
rt rt
rt ct r
r ct
rt
rt
rt
rtc
rt ct r
Abbildung 2.8: Zur Fläche ähnlicher Vielecke
ct r
ct r
A.8
46
A.11
2 Vorbereitungen
In der Abbildung 2.8 sehen wir links zwei ähnliche – also nur durch die Größe unterschiedene – Vielecke mit Inkreis, rechts solche mit Umkreis. Denkt man sich die Vielecke aus den in der Abbildung gestrichelt angedeuteten Dreiecken zusammengesetzt, so erkennt man: Satz 2.2 Die Flächen von zwei ähnlichen Vielecken mit Inkreis oder Umkreis verhalten sich wie die Quadrate entsprechender Seitenlängen.
A.5
Wir verzichten darauf, diesen Satz allgemeiner zu formulieren, da wir ihn nur auf regelmäßige Vielecke anwenden. Da sich nach dem 2. Strahlensatz Inkreis- und Umkreisradien ähnlicher Vielecke wie deren Seiten verhalten, folgt aus Satz 2.2: Satz 2.3 (i) Die Flächen ähnlicher Tangentenvielecke verhalten sich wie die Quadrate ihrer Inkreisradien. (ii) Die Flächen ähnlicher Sehnenvielecke verhalten sich wie die Quadrate ihrer Umkreisradien.
3 Die Parabel Wir beginnen unseren Weg durch das Werk des Archimedes mit einer aus der Schulmathematik vertrauten ebenen Kurve, der Parabel. Mit ihr befasst sich Archimedes mehrfach, wobei ihn vor allem zwei Themen interessieren. Ziel und Höhepunkt des Buches Die Quadratur der Parabel ist die Bestimmung der Fläche eines Parabelsegments (in Abbildung 3.1 ist ein solches Segment grau hervorgehoben). Auch in seinem Werk Methodenlehre von den mechanischen Lehrsätzen greift Archimedes dieses Problem auf. Schließlich bestimmt er im zweiten der beiden Bücher Über das Gleichgewicht ebener Flächen den Schwerpunkt eines solchen Segments. Beide Themen werden wir in diesem Kapitel behandeln.
Abbildung 3.1: Parabel und Parabelsegment
3.1 Definition und erste Eigenschaften Bevor wir uns mit der Quadratur der Parabel beschäftigen können, muss klar sein, wie eine Parabel definiert ist. Mit unserem Schulwissen würden wir wohl sagen: Eine Parabel ist (im einfachsten Fall) durch die Gleichung y = x2 beschrieben. Damit könnte Archimedes allerdings nichts anfangen. Eine solche Gleichung setzt ein xy-Koordinatensystem voraus, das 2000 Jahre jünger ist als Archimedes. Wir brauchen eine geometrische Definition. Da Archimedes keine angibt (weil er sie als bekannt voraussetzt), haben wir hier freie Hand (siehe Abbildung 3.2). Der geometrische Ort aller Punkte einer Ebene, für die die Abstände von einem festen Punkt F und einer festen Geraden l dieser Ebene übereinstimmen, heißt Parabel.
48
3 Die Parabel a tr
F tr S
r t rt
l
Abbildung 3.2: Zur Parabeldefinition F heißt der Brennpunkt, l die Leitgerade der Parabel. Das vom Brennpunkt auf die Leitgerade gefällte Lot a heißt die Achse der Parabel. Sie enthält genau einen Parabelpunkt S, ihren Scheitel. Da bei der Spiegelung an a der Brennpunkt und die Leitgerade auf sich abgebildet werden, ist a Symmetrieachse der Parabel. Die Ebenenpunkte, deren Abstand von der Leitgeraden kleiner ist als der Abstand vom Brennpunkt, bilden den Außenbereich, die Punkte, deren Abstand von der Leitgeraden größer ist als der Abstand vom Brennpunkt, den (in Abbildung 3.2 hellgrau markierten) Innenbereich der Parabel. Es ist klar, dass der Brennpunkt im Innenbereich liegt. Wir benötigen diese Begriffe, um die Parabeltangenten ohne Differentialrechnung definieren zu können: Eine Gerade durch einen Parabelpunkt P , die außer P nur Punkte des Außenbereichs enthält, heißt Tangente der Parabel. Wie Archimedes setzen wir voraus, dass durch jeden Punkt der Parabel genau eine Tangente geht. Tangenten lassen sich wie folgt kennzeichnen (siehe Abbildung 3.3). Satz 3.1 Die Parabeltangente im Parabelpunkt P halbiert den Winkel zwischen den im Punkt P beginnenden Halbgeraden durch den Brennpunkt F und durch den Fußpunkt R des Lotes auf die Leitgerade l (das parallel zur Parabelachse a ist). Insbesondere ist die Scheiteltangente parallel zur Leitgeraden bzw. senkrecht zur Achse.
A.7
Um zu zeigen, dass die Winkelhalbierende w des im Satz erwähnten Winkels die Tangente an die Parabel ist, betrachten wir ihren Schnittpunkt Y mit der Geraden F R sowie die Dreiecke P F Y und P RY . Da diese in der Seite P Y übereinstimmen und die Winkel bei P sowie (nach Definition der Parabel) die Seiten P F und P R gleich groß sind, sind die Dreiecke kongruent. Also sind die Winkel bei Y sowie die Seiten Y F und Y R gleich groß. Daher sind für jeden Punkt Z der
49
3.1 Definition und erste Eigenschaften r t
Z
a
trP
F tr r ct
r t
S
Y
l
r t
w
R
Abbildung 3.3: Tangente als Winkelhalbierende Winkelhalbierenden auch die Dreiecke ZF Y und ZRY kongruent. Ist Z von P verschieden, gilt somit d(Z, F ) = d(Z, R) > d(Z, l) . Die Winkelhalbierende w enthält also neben P nur Punkte des Außenbereichs der Parabel.
a rt
P
Q
rt
F tr tr
S
l
rt
R
T
rt
rt
A
Abbildung 3.4: Zwei Tangenten Wir betrachten nun die Abbildung 3.4, in der P A bzw. QA die Tangenten in den Parabelpunkten P bzw. Q sowie P R und QT die Lote auf die Leitgerade seien. Da nach Satz 3.1 die Tangenten Winkelhalbierende der gleichschenkligen
A.12
50
A.13
3 Die Parabel
grauen Dreiecke sind, sind sie die Mittelsenkrechten der Strecken F R bzw. F T . Ihr Schnittpunkt A ist somit der Umkreismittelpunkt des Dreiecks RF T und liegt daher auch auf der Mittelsenkrechten der Strecke RT . Also ist die Parallele zur Parabelachse durch A die Mittelparallele zu P R und QT und halbiert daher die Strecke P Q. Nennen wir die Verbindungsstrecke zweier Parabelpunkte Sehne der Parabel, haben wir damit den folgenden Satz bewiesen. Satz 3.2 Die Tangenten in den Endpunkten einer Parabelsehne schneiden sich auf jener Parallelen zur Parabelachse, die diese Sehne halbiert. Nun können wir uns den ersten drei Sätzen aus der Quadratur der Parabel zuwenden, die Archimedes ohne Beweis angibt, da er sie als bekannt voraussetzt. Da dies für uns nicht gilt, werden wir sie beweisen.
ctr Q
rt
M
P
r ct tr D rt
B
l
C
r t
rt A
Abbildung 3.5: Weitere Tangenteneigenschaften Satz 3.3 Für jede Parabelsehne P Q gilt: Die Parabeltangente in einem Punkt B ist genau dann parallel zu P Q, wenn die Parallele zur Parabelachse durch B die Sehne halbiert.
A.5
Wir setzen zunächst voraus, dass die Parallele zur Parabelachse durch den Parabelpunkt B die Sehne halbiert, und betrachten die Tangenten in den Punkten P, Q, B sowie deren Schnittpunkte A, C, D (siehe Abbildung 3.5). Nach Satz 3.2 halbiert die Parallele zur Parabelachse durch C die Sehne BP sowie die Parallele zur Parabelachse durch D die Sehne BQ. Nach dem 1. Strahlensatz (Zentrum P bzw. Q; man beachte die beiden grauen Figuren) ist daher
51
3.1 Definition und erste Eigenschaften
C der Mittelpunkt von AP sowie D der von AQ. Nach der Umkehrung des 1. Strahlensatzes (Zentrum A) sind daher die Geraden CD und P Q parallel. Da nur eine zu P Q parallele Parabeltangente existiert, gilt auch die Umkehrung. Wir haben gesehen, dass in Abbildung 3.5 der Punkt C Mittelpunkt der Strecke AP ist. Daher folgt mit dem 1. Strahlensatz (mit dem Zentrum A) auch der folgende Satz. Satz 3.4 Für jede Parabelsehne P Q gilt: Schneidet die Parallele zur Achse durch den Sehnenmittelpunkt M die Parabeltangente in P im Punkt A sowie die Parabel im Punkt B, so ist B der Mittelpunkt der Strecke MA. Bevor wir den dritten Satz des Archimedes beweisen können, müssen wir einige Vorbereitungen treffen. Wir betrachten zunächst die Abbildung 3.6. Geht dort die Parabelachse a durch den Mittelpunkt M der Parabelsehne P Q, so schneidet diese die Achse senkrecht (siehe Satz 3.1 und Satz 3.3). Daher gilt d2 (P, M) = d2 (P, F ) − d2 (M, F ) A.12 2 2 = d (P, l) − d(S, M) − d(S, F ) 2 = d2 (M, l) − d(S, M) − d(S, l) 2 2 = d(S, M) + d(S, l) − (S, M) − d(S, l) = 4d(S, l) · d(S, M) . A.1 | {z } =: p
Wir nennen p den Parameter der Parabel. a
P
r t r t
rtM F tr tr
C S l
Z tr |
Q tr tr
D {z p
}
Abbildung 3.6: Flächengleichheit Wir sehen, dass in Abbildung 3.6 das graue Quadrat über der halben Sehne flächengleich einem Rechteck ist, bei dem die Seite der Länge p nicht vom betrachteten Parabelpunkt P abhängt. (Auch diese Eigenschaft hätten wir – wie
A.6
52
3 Die Parabel
Apollonios (siehe S. 21) – zur Definition einer Parabel verwenden können.) Ist CD eine zu P Q parallele Sehne mit dem Mittelpunkt Z, gilt daher entsprechend (⋆) und damit
d2 (C, Z) = p · d(S, Z) d2 (P, M) : d2 (C, Z) = d(S, M) : d(S, Z) .
Wir halten dieses Ergebnis im folgenden Satz fest. Satz 3.5 Geht die Parabelachse durch den Mittelpunkt M der Parabelsehne P Q, sind S der Scheitel der Parabel, Z ein weiterer Punkt der Achse und C ein Schnittpunkt der Parabel mit der Parallelen zu P Q durch Z, so gilt d2 (P, M) : d2 (C, Z) = d(S, M) : d(S, Z) .
A.11
A.8
A.9
Was wird aus dieser Aussage, wenn wir nicht von der Achse a, sondern von einer Parallelen zur Achse ausgehen, etwa wie in Abbildung 3.7 von der Parallelen b durch den Parabelpunkt B? Nach Satz 3.3 sind dann die Sehnen, die von b halbiert werden, zur Parabeltangente in B parallel. Wir betrachten eine solche Sehne P Q. Die Parabeltangente in B schneide die Achse a im Punkt A sowie die Scheiteltangente im Punkt G. Die Geraden P L und BR seien parallel zur Scheiteltangente gezogen. Die übrigen Bezeichnungen in Abbildung 3.7 sind dann klar. (i) Wir zeigen zunächst, dass das Dreieck T P L und das Rechteck SHKL flächengleich sind. Da entsprechende Seiten der Dreiecke T P L und ABR parallel sind, sind diese Dreiecke ähnlich. Also verhalten sich ihre Flächen wie d2 (P, L) zu d2 (B, R). Dieses Verhältnis stimmt nach Satz 3.5 mit dem Verhältnis d(S, L) : d(S, R), also mit dem Flächenverhältnis der Rechtecke SHKL und SHBR überein. Da nach Satz 3.4 die Strecke AR doppelt so lang ist wie SR, sind das Rechteck SHBR und das Dreieck ABR flächengleich. Also stimmt das Flächenverhältnis von T P L und ABR mit dem von SHKL und ABR überein, weshalb T P L und SHKL flächengleich sind. (ii) Da das Rechteck SHBR und das Dreieck ABR flächengleich sind, sind auch die Vierecke SHKL und ABKL flächengleich und damit nach (i) auch das Dreieck T P L und das Viereck ABKL. Nimmt man von beiden das (hellgraue) Trapez T MKL weg, erhält man das (dunkelgraue) Dreieck MP K und das dazu flächengleiche (dunkelgraue) Parallelogramm ABMT . Da also das Dreieck MP K doppelt so groß ist wie das Dreieck BMT und diese Dreiecke bei M denselben Winkel besitzen, gilt d(P, M) · d(M, K) = 2d(T, M) · d(B, M) = 2d(A, B) · d(B, M) .
(iii) Wir definieren nun die nur von der Richtung der Sehne P Q abhängige Größe q :=
d(B, G) · 2d(A, B) . d(B, H)
53
3.1 Definition und erste Eigenschaften
P
rt
rt
tr
b
a
K
L
rtM
rtT tr
B ctr
R r t
rt
H
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G
r t
Q
S r t
A
Abbildung 3.7: Die Modifikation Da die Dreiecke MP K und BGH ähnlich sind, gilt damit d(P, M) : d(M, K) = d(B, G) : d(B, H) = q : 2d(A, B) . Erweitern wir den linken Bruch mit d(P, M) sowie den rechten mit d(B, M), wird daraus d2 (P, M) : d(P, M) · d(M, K) = q · d(B, M) : 2d(A, B) · d(B, M) . ::::::::::::::::::::
::::::::::::::::::::
Da die markierten Nenner nach (ii) gleich groß sind, haben wir die Beziehung (⋆⋆)
d2 (P, M) = q · d(B, M)
nachgewiesen. Bis auf den Faktor q, der an die Stelle des Parameters p tritt, ist dies das bei der Herleitung von Satz 3.5 aufgetretene Resultat. Da sich dieser Faktor bei der Verhältnisbildung herauskürzt, ist damit der dritte archimedische Satz gezeigt (siehe Abbildung 3.8): Satz 3.6 Es sei P Q eine Parabelsehne mit dem Mittelpunkt M. Schneidet die Parallele zur Achse durch M die Parabel im Punkt B, sind Z ein Punkt der Strecke
54
3 Die Parabel tr Q
M tr
P
Z tr
r t r t
C
B tr
Abbildung 3.8: Die allgemeine Aussage MB und C ein Schnittpunkt der Parallelen zu P Q durch Z mit der Parabel, so gilt d2 (P, M) : d2 (C, Z) = d(B, M) : d(B, Z) . Wir leiten eine Beziehung zwischen den Größen q und p her, die wir später benötigen. Da nach Satz 3.4 in Abbildung 3.7 d(S, A) = d(S, R) = d(H, B) A.7
gilt, sind dort die Dreiecke ASG und BHG kongruent. Dies liefert d(B, G) =
1 d(A, B) . 2
Setzt man dies in die Definition der Größe q ein, erhält man d2 (A, B) = q · d(B, H) = q · d(S, R) . A.10
Da die Dreiecke MP K und ABR ähnlich sind, gilt weiter (man beachte die Gleichung (⋆) auf S. 52) d2 (P, M) : d2 (P, K) = d2 (A, B) : d2 (B, R) = [q · d(S, R)] : [p · d(S, R)] = q : p . Damit ist gezeigt: Hilfssatz 3.7 Es seien P Q eine Parabelsehne mit dem Mittelpunkt M und K der Fußpunkt des von P auf die durch M verlaufende Parallele der Parabelachse gefällten Lotes. Dann gilt d2 (P, M) : d2 (P, K) = q : p .
55
3.2 Die Fläche eines Parabelsegments
Wir beschließen diesen Abschnitt mit einem weiteren Hilfssatz, den wir ebenfalls später verwenden werden. In ihm geht es um die Parabelnormale, also um das Lot zur Parabeltangente im Berührpunkt. Hilfssatz 3.8 Gegeben sei eine Parabel mit dem Scheitel S und dem Parameter p. Schneidet eine Parabelnormale die Achse in einem Punkt T , so gilt d(S, T ) >
p . 2
T tr
a rP t
F tr S
r t
r ct
Y
l
rtR
Abbildung 3.9: Abstand vom Scheitel Zum Beweis sehen wir uns in Abbildung 3.9 nochmals auszugsweise die Abbildung 3.3 an und ergänzen sie um die Parabelnormale im Punkt P . Da T P und F R als Lote auf die Tangente in P parallel sind, ist das graue Viereck ein Parallelogramm. Es liefert (man beachte die Definition von p auf S. 51) d(S, T ) = d(S, F ) + d(F, T ) = d(S, F ) + d(P, R) p = d(S, l) + d(P, l) > 2d(S, l) = . 2
3.2 Die Fläche eines Parabelsegments Archimedes geht es in seinem Buch Die Quadratur der Parabel hauptsächlich um Parabelsegmente, die durch eine Sehne der Parabel vom Innenbereich abgeschnitten werden (siehe Abbildung 3.10). Wir bezeichnen ein von der Sehne P Q begrenztes Parabelsegment mit P Q. Die Sehne P Q nennt Archimedes die Grundlinie des Segments. Da der im Satz 3.6 verwendete Punkt B dort dieselbe Rolle spielt wie der Parabelscheitel S im Satz 3.5, nennen wir den Parabelpunkt B auf der Parallelen
A.14
56
3 Die Parabel tr
Q
M tr
P
r t
r t
B
Abbildung 3.10: Parabelsegment mit Scheitel und Durchmesser zur Achse durch den Mittelpunkt M einer Sehne P Q den Scheitel , die Strecke BM den Durchmesser des Parabelsegments P Q. Die wichtigsten Eigenschaften des Scheitels eines Parabelsegments ergeben sich aus den Sätzen 3.2 und 3.3. Wir halten diese Eigenschaften im folgenden Hilfssatz fest. Hilfssatz 3.9 Ein Parabelpunkt B ist genau dann Scheitel des Parabelsegments P Q, wenn er eine der folgenden Eigenschaften besitzt: (i) Die Tangente in B ist parallel zur Geraden P Q. (ii) Die Parallele zur Achse durch B halbiert die Sehne P Q. (iii) Die Parabeltangenten in P und Q schneiden sich auf der Parallelen zur Achse durch B.
A.5
Ziel der folgenden Überlegungen ist die Quadratur eines Segments, also die Bestimmung seiner Fläche. Wir beginnen mit einem Satz, der kompliziert klingt, dessen Beweis aber eine schöne Übungsaufgabe zum 1. Strahlensatz darstellt. Satz 3.10 Gegeben sei ein Parabelsegment P Q mit dem Durchmesser BM (siehe Abbildung 3.11). Die Parallele zu P Q durch den Parabelpunkt C schneide die Sehne QB im Punkt G, die Parallele zur Parabelachse durch C schneide die Gerade QB im Punkt K sowie die Sehne P Q im Punkt L. Dann gilt: (i) d(L, K) : d(K, C) = d(P, M) : d(M, L) . (ii) d(L, K) : d(L, C) = d(P, M) : d(P, L) . Je nach Wahl des Punktes C kann die zugehörige Figur unterschiedlich aussehen. Wir gehen im Folgenden davon aus, dass der Punkt K auf der Sehne QB liegt. Der Leser überzeuge sich davon, dass die Aussage auch für die gestrichelt angedeutete Lage richtig ist.
57
3.2 Die Fläche eines Parabelsegments r t
P
′
L tr M tr L tr rt
tr
C′
Q K
Z tr
rt
rt rt
C
G rt
B
rtK
′
Abbildung 3.11: Längenverhältnisse Ist Z der Schnittpunkt der Geraden BM und CG, gilt zunächst d(B, Q) : d(B, G) = d(B, M) : d(B, Z)
(1. Strahlensatz, Zentrum B)
:::::::::::::::::::
(Satz 3.6)
= d2 (Q, M) : d2 (C, Z) = d2 (Q, M) : d2 (L, M) = d2 (B, Q) : d2 (B, K) .
(1. Strahlensatz, Zentrum Q)
:::::::::::::::::::::
Erweitert man den ersten Bruch mit d(B, Q), so liefern die markierten Terme d2 (B, Q) : d2 (B, K) = d2 (B, Q) : [d(B, Q) · d(B, G)] , also d2 (B, K) = d(B, Q) · d(B, G) . Hieraus folgt d(B, K) · d(B, Q) − d2 (B, K) = d(B, Q) · d(B, K) − d(B, Q) · d(B, G) , :::::::::::::::::::
:::::::::::::::::::
58
3 Die Parabel
also
oder
d(B, K) · d(B, Q) − d(B, K) = d(B, Q) · d(B, K) − d(B, G) d(B, K) · d(Q, K) = d(B, Q) · d(K, G) .
A.2
Dies lässt sich umformen zu (⋆)
d(Q, K) : d(K, G) = d(B, Q) : d(B, K) .
Damit haben wir d(L, K) : d(K, C) = d(Q, K) : d(K, G)
(1. Strahlensatz, Zentrum K)
= d(B, Q) : d(B, K)
(nach (⋆) )
= d(Q, M) : d(M, L)
(1. Strahlensatz, Zentrum Q)
= d(P, M) : d(M, L) und somit (i) gezeigt. Die Aussage (ii) folgt aus d(L, C) : d(L, K) = d(L, K) + d(K, C) : d(L, K) :::::::::::::::::::
= 1 + d(K, C) : d(L, K)
= 1 + d(M, L) : d(P, M) (nach (i)) = d(P, M) + d(M, L) : d(P, M) = d(P, L) : d(P, M) , ::::::::::::::::::::::
indem man auf beiden Seiten der markierten Gleichung den Kehrwert bildet. Auch im nächsten Satz geht es um Streckenverhältnisse.
Satz 3.11 Gegeben sei ein Parabelsegment P Q. Die Parallele zur Achse durch P schneide die Parabeltangente in Q im Punkt R (siehe Abbildung 3.12). Ferner werde im Dreieck P QR die Strecke LG parallel zu P R gezogen. Dann wird P Q durch L im selben Verhältnis geteilt wie LG (im Punkt C) durch die Parabel. Wir zeigen d(P, L) : d(L, Q) = d(L, C) : d(C, G) . Es seien B der Scheitel des Segments und K der Schnittpunkt der Geraden QB und LG. Schneidet die Durchmessergerade MB die Tangente QR in A, so ist nach Satz 3.4 die Strecke AB so lang wie BM . Somit gilt d(P, M) : d(M, Q) = d(M, B) : d(B, A) . Für L = M ist also der Satz bewiesen. Nun betrachten wir die Parallele durch einen von M verschiedenen Punkt L. Im Folgenden gehen wir davon aus, dass L
59
3.2 Die Fläche eines Parabelsegments
L tr M tr L′ tr Q
rt
rtK
′
rtC tr
′
rt
P
C tr
rt
B
G′
K
A
r t
tr
G
tr rtR
Abbildung 3.12: Weitere Längenverhältnisse zwischen M und P , der Punkt C also zwischen L und K liegt. Der Leser überzeuge sich wieder davon, dass die Aussage auch für die gestrichelt angedeutete Lage richtig ist. Da AB so lang ist wie BM , ist auch GK so lang wie KL. Daher gilt d(G, L) : d(L, K) = d(Q, P ) : d(P, M) . Nach Satz 3.10 (ii) gilt ferner d(L, K) : d(L, C) = d(P, M) : d(P, L) . Multiplikation der beiden letzten Gleichungen ergibt d(G, L) : d(L, C) = d(Q, P ) : d(P, L) . Hieraus folgt
A.1
d(C, G) : d(L, C) = d(G, L) − d(L, C) : d(L, C) ::::::::::::::::::
= d(G, L) : d(L, C) − 1
= d(Q, P ) : d(P, L) − 1 = d(Q, P ) − d(P, L) : d(P, L) = d(L, Q) : d(P, L) . :::::::::::::::::::::
60
3 Die Parabel
Die markierte Gleichung liefert die Aussage, die wir zeigen wollten (man bilde wieder den Kehrwert). Ziel der folgenden Sätze ist es, die Fläche eines speziellen Dreiecks, dessen Ecken auf der Parabel liegen, mit der Fläche eines Parabelsegments zu vergleichen. Satz 3.12 Es sei P Q ein Parabelsegment mit dem Scheitel B. Dann ist B der Punkt des zugehörigen Parabelbogens, der den größten Abstand von der Geraden P Q besitzt. Dies ist klar, da nach Satz 3.3 die Tangente in B parallel zu P Q ist, also alle von B, P, Q verschiedenen Punkte des Parabelbogens zwischen dieser Tangente und der Geraden P Q liegen. Archimedes nennt den Abstand des Punktes B von der Geraden P Q die Höhe des Segments. Zum folgenden Satz betrachte man die Abbildung 3.13. tr Q
M tr K tr P
r t
Z
rt
G
rt
r t
B
Abbildung 3.13: Ein festes Verhältnis Satz 3.13 Sind P Q ein Parabelsegment mit dem Durchmesser BM , der Punkt K Mittelpunkt der Strecke P M und G der Parabelpunkt auf der Parallelen zur Achse durch K, so gilt d(G, K) : d(B, M) = 3 : 4 . Man sieht dies wie folgt: d(G, K) : d(B, M) = d(M, Z) : d(B, M) = d(B, M) − d(B, Z) : d(B, M) = 1 − d(B, Z) : d(B, M)
= 1 − d2 (G, Z) : d2 (P, M)
= 1 − d2 (K, M) : d2 (P, M) 2 1 3 = 1− = . 2 4
(nach Satz 3.6)
61
3.2 Die Fläche eines Parabelsegments Nun kommt erstmals die oben erwähnte Dreiecksfläche ins Spiel.
Satz 3.14 In einem Parabelsegment P Q mit dem Scheitel B ist die Fläche des Dreiecks BP Q größer als die Hälfte der Fläche des Segments. rt Q
M tr
P
rtH
rt
tr
B
G tr Abbildung 3.14: Flächenvergleich Wir betrachten die Abbildung 3.14. Dort seien G, H die Schnittpunkte der Parallelen zur Achse durch P bzw. Q mit der Parabeltangente in B. Da das Dreieck BP Q halb so groß ist wie das Parallelogramm P QHG (in Abbildung 3.14 ist jeweils ein dunkelgraues Dreieck zu einem hellgrauen kongruent) und dieses größer als das Parabelsegment, ist die Aussage bewiesen. Die Bedeutung dieses Satzes hebt Archimedes in einem Zusatz hervor. Damit sei es möglich, „einem Parabelsegment ein Vieleck so einzubeschreiben, dass die gesamte Fläche der Restsegmente kleiner ist als jede vorgeschriebene Fläche. Denn wenn man von einer gegebenen Größe fortgesetzt mehr als die Hälfte wegnimmt, so ist klar, . . . dass schließlich der Rest kleiner werden muss als jede beliebige Größe.“ In Euklids Elementen findet man die letzte Aussage als Satz 1 des zehnten Buches. Anstelle des Beweises von Euklid geben wir einen modernen Beweis dieses Sachverhalts, indem wir folgenden Hilfssatz durch vollständige Induktion zeigen. Hilfssatz 3.15 Indem man von einer gegebenen positiven Größe fortgesetzt die Hälfte (oder mehr als die Hälfte) wegnimmt, kann man jede beliebige positive Zahl c unterschreiten. Man kann die gegebene Größe ohne Einschränkung als 1 annehmen. Da es für n jedes c eine natürliche Zahl n gibt mit 21 < c, sind wir fertig, wenn wir 1−
1 − 2
2 3 n n 1 1 1 1 − −···− = 2 2 2 2
A.16
62
3 Die Parabel
gezeigt haben. Für n = 1 ist die Aussage richtig: 1 − 21 = 21 . Von n auf n + 1 schließt man wie folgt: 2 n n+1 n n+1 1 1 1 1 1 1 1− − − ··· − − = − 2 2 2 2 2 2 n+1 2−1 1 = = . n+1 2 2 Das Dreieck BP Q aus Satz 3.14 besitzt zur Grundlinie P Q dieselbe Höhe wie das Segment P Q. Für solche Dreiecke gleicher Grundlinie und Höhe gilt weiter (siehe Abbildung 3.15): Satz 3.16 Wird einem Parabelsegment P Q das Dreieck BP Q gleicher Grundlinie und gleicher Höhe einbeschrieben und ebenso den Segmenten P B (das Dreieck GBP ) und BQ (das Dreieck HBQ), so besitzt BP Q die achtfache Fläche jedes dieser Dreiecke. tr Q
L tr M tr K tr P
r t
tr
H
rZ t
G
r t
r t
B
Abbildung 3.15: Achtfache Fläche
A.5
Wir zeigen, dass das Dreieck BP Q achtmal so groß ist wie das Dreieck GBP . Der Schnittpunkt Z der Geraden BP mit der Parallelen zur Achse durch G ist nach Satz 3.9 (ii) der Mittelpunkt der Strecke BP . Daher ist der Schnittpunkt K der Geraden P Q und GZ der Mittelpunkt der Strecke P M. Somit gilt nach Satz 3.13 d(B, M) : d(G, K) = 4 : 3 , woraus wegen d(B, M) = 2d(Z, K) d(Z, K) : d(G, K) = 2 : 3 und weiter d(Z, K) : d(Z, G) = 2 : 1
3.2 Die Fläche eines Parabelsegments
63
folgt. Also ist das Dreieck ZKP doppelt so groß wie das Dreieck ZGP . Ebenso ist das Dreieck ZKB doppelt so groß wie das Dreieck ZGB. Zusammen ist das Dreieck BP K doppelt so groß wie das Dreieck GP B. Da die Grundlinie P Q durch die Punkte K, M, L in vier gleiche Teile geteilt wird, ist das Dreieck BP Q viermal so groß wie das Dreieck BP K, woraus die gewünschte Aussage folgt. Bezeichnen wir die Fläche des Dreiecks BP Q mit f , so hat nach Satz 3.16 jedes der Dreiecke GBP und HBQ, die wir im zweiten Schritt erhielten, die Fläche 1 f , sie zusammen also die Fläche 2 · 18 f = 14 f . Beschreiben wir im dritten Schritt 8 auf die gleiche Weise den Segmenten P G, GB, BH und HQ Dreiecke ein, so hat jedes von ihnen die Fläche 81 · 18 f , die vier Dreiecke zusammen also die Fläche 2 22 · 81 · 18 f = 14 f . Im nächsten Schritt erhalten wir entsprechend acht Dreiecke 3 mit der Gesamtfläche 23 · 18 · 18 · 18 f = 14 f . Dieses Verfahren lässt sich fortsetzen. Da alle Dreiecke, die man auf diese Weise bekommt, im Parabelsegment P Q liegen, gilt der folgende Satz. Satz 3.17 Hat das einem Parabelsegment einbeschriebene Dreieck mit gleicher Grundlinie und gleicher Höhe die Fläche f , so ist für jede natürliche Zahl n die Größe 2 n 1 1 1 (⋆) f+ f+ f + ...+ f 4 4 4 kleiner als die Fläche des Parabelsegments. Die Flächensumme (⋆) lässt sich genauer beschreiben: Satz 3.18 Für jedes f und jede natürliche Zahl n gilt 2 n n 1 1 1 1 1 4 f+ f+ f + ...+ f+ f = f. 4 4 4 3 4 3 Wir beweisen durch vollständige Induktion 2 n n 1 1 1 4 1 1 f+ f+ f + ...+ f = f− f, 4 4 4 3 3 4 also 1 f+ f+ 4 Wegen
2 n 1 f 1 1 · 4− n . f + ...+ f = 4 4 3 4
f 1 f 15 5 1 = · 4− · = f = f+ f 3 4 3 4 4 4
ist die Aussage für n = 1 richtig.
A.16
64
3 Die Parabel Für n auf n + 1 schließen wir wie folgt: 2 n n+1 1 1 1 1 f+ f+ f + ...+ f+ f 4 4 4 4 {z } | 1 f 1 f · 4− n + · 3 · n+1 = 3 4 3 4 f 4 3 f 1 · 4 − n+1 + n+1 = · 4 − n+1 . = 3 4 4 3 4
Damit können wir den entscheidenden Satz beweisen: Satz 3.19 Die Fläche eines Parabelsegments ist gleicher Grundlinie und gleicher Höhe.
4 3
der Fläche des Dreiecks mit
Die Fläche des Dreiecks betrage f . Wenn wir zeigen können, dass die Fläche des Segments weder größer noch kleiner ist als 43 f , haben wir den Satz bewiesen. Würde die Segmentfläche die Fläche 43 f um eine Größe c übertreffen, könnte man wie oben beschrieben so lange Dreiecke einbeschreiben, bis die übrig bleibenden Restsegmente zusammen kleiner als c sind (siehe Satz 3.14 und Hilfssatz 3.15). Dann wäre die Summe (⋆) der einbeschriebenen Dreiecksflächen auf S. 63 größer als 43 f , was nach Satz 3.18 nicht möglich ist. Würde 43 f die Segmentfläche um eine positive Größe c übertreffen, könnte man wie oben beschrieben so lange Dreiecke einbeschreiben, bis n 1 f < c 4 gilt. Dann hätte man nach Satz 3.18 " 2 n # n 4 1 1 1 1 1 f− f+ f+ f + ...+ f = f < c 3 4 4 4 3 4 A.3
und damit 1 f+ f+ 4
2 n 1 1 4 f + ...+ f > f − c. 4 4 3
Die linke Summe wäre also im Widerspruch zu Satz 3.17 größer als die Segmentfläche. Archimedes weist hier die Gleichheit zweier (reeller) Größen a (die Fläche des Segments) und b ( 43 der Dreiecksfläche) durch einen Widerspruchsbeweis (reductio ad absurdum) nach. Er führt sowohl die Annahme a sei größer als b, als auch die Annahme a sei kleiner als b zum Widerspruch. Somit bleibt nur übrig, dass a = b gilt. Wir werden sehen, dass Archimedes sehr häufig auf diese Weise vorgeht.
65
3.2 Die Fläche eines Parabelsegments
Diese indirekte Beweismethode erlaubt elementare Beweise, hat aber den Nachteil, dass man das Ergebnis, das man beweisen möchte, kennen oder zumindest vermuten muss (nur dann konnte Archimedes wissen, mit welcher Größe b er die ihn interessierende Größe a zu vergleichen hatte). Die Sätze seiner Schrift Methodenlehre von den mechanischen Lehrsätzen lassen vermuten, dass diesen Beweisen konkrete Wägeversuche vorausgingen. Wir kommen darauf im Abschnitt 3.3 zurück. Wir halten eine Folgerung aus Satz 3.19 fest, die wir später mehrfach benötigen. Aus Satz 3.16 folgt zunächst für ein Parabelsegment P Q mit dem Scheitel B: Werden den Segmenten P B und BQ jeweils Dreiecke gleicher Grundlinie und gleicher Höhe einbeschrieben, so sind diese flächengleich (siehe Abbildung 3.16). Nach Satz 3.19 gilt dies dann auch für die Segmente P B und BQ. Damit ist der folgende Hilfssatz bewiesen. Hilfssatz 3.20 Für jedes Parabelsegment P Q mit dem Scheitel B sind die Segmente P B und BQ flächengleich. rQ t
M tr
P
r t
r t
r t
tr
B
Abbildung 3.16: Flächengleiche Dreiecke Wir haben im Beweis von Satz 3.16 gesehen, dass die im Hilfssatz 3.20 genannten Parabelsegmente P B und BQ gleich lange Durchmesser besitzen. Dass diese Eigenschaft ausreicht, um die Flächengleichheit zweier Parabelsegmente zu garantieren, zeigt der folgende Satz, den Archimedes in seiner Schrift Über Paraboloide, Hyperboloide und Ellipsoide beweist. Satz 3.21 Besitzen zwei Parabelsegmente gleich lange Durchmesser, so sind sie flächengleich. Es genügt zu zeigen, dass ein beliebiges Segment P Q mit dem Durchmesser BM dieselbe Fläche besitzt wie das Segment CD, dessen Scheitel mit dem Scheitel S der Parabel zusammenfällt und für dessen Durchmesser SZ d(S, Z) = d(B, M)
66
3 Die Parabel
P
rt
r t
K
rtM
D
rtZ
r t
tr
C
tr
Q
B
r t r t
S
Abbildung 3.17: Flächengleiche Parabelsegmente gilt (siehe Abbildung 3.17). Die Geraden SZ und CD sind dann zueinander senkrecht. Betrachtet man die Gleichungen (⋆⋆) auf S. 53 und (⋆) auf S. 52, sieht man zunächst d2 (P, M) = q · d(B, M) , d2 (C, Z) = p · d(S, Z) , also d2 (P, M) : d2 (C, Z) = q : p . Ist K der Fußpunkt des von P auf BM gefällten Lotes, gilt nach Hilfssatz 3.7 auch d2 (P, M) : d2 (P, K) = q : p , was zusammen d(C, Z) = d(P, K) ergibt. Wegen der gleich langen Durchmesser hat man also d(C, Z) · d(S, Z) = d(P, K) · d(B, M) , A.8
weshalb die Dreiecke SZC und BMP sowie die Dreiecke SZD und BMQ, die dieselbe Grundlinie und die gleiche Höhe besitzen, flächengleich sind. Da damit die Dreiecke SCD und BP Q flächengleich sind, sind dies nach Satz 3.19 auch die Segmente P Q und CD.
67
3.3 Mechanische Überlegungen
3.3 Mechanische Überlegungen In der Schrift Die Quadratur der Parabel beweist Archimedes den zentralen Satz 3.19 zweimal. Dem geometrischen Beweis, den wir uns im Abschnitt 3.2 angesehen haben, schickt er einen davon völlig unabhängigen Beweis voraus, der mechanische Methoden verwendet. Solche mechanischen Überlegungen stellt Archimedes auch in anderen Werken an. Dazu verwendet er eine Balkenwaage, die an einem (verschiebbaren) Punkt des Waagebalkens hängt (siehe Abbildung 3.18) oder in diesem Punkt unterstützt wird. An den Enden des Balkens hängen Gewichte G1 und G2 . Wie muss der
z
rt
d1 }|
{ trz
d2 }|
{ tr
G1 G2
Abbildung 3.18: Balkenwaage im Gleichgewicht Balken aufgehängt (bzw. unterstützt) werden, um die Waage ins Gleichgewicht zu bringen? Die Antwort des Archimedes lautet: Die Gewichte G1 und G2 sind im Gleichgewicht, wenn sie umgekehrt proportional zur Länge ihrer Hebelarme sind, wenn also (mit den Bezeichnungen der Abbildung 3.18) G1 : G 2 = d 2 : d 1 gilt. Denkt man sich die Masse der Gewichte in ihren Schwerpunkten konzentriert und die Gewichte in diesen aufgehängt, kann man dieses Hebelgesetz auch wie folgt formulieren: Satz 3.22 Der gemeinsame Schwerpunkt X zweier Körper mit den Gewichten G1 bzw. G2 und den Schwerpunkten S1 bzw. S2 teilt die Strecke S1 S2 im Verhältnis G2 zu G1 , das heißt, es gilt d(S1 , X) : d(X, S2 ) = G2 : G1 .
68
3 Die Parabel
In der Einleitung der an Eratosthenes (siehe S. 22) gerichteten Schrift Methodenlehre von den mechanischen Lehrsätzen schreibt Archimedes über den Nutzen der mechanischen Methode: „Manches, was mir vorher durch die Mechanik klar geworden ist, wurde nachher durch die Geometrie bewiesen . . . Es ist nämlich leichter, wenn man durch diese [mechanische] Methode vorher eine Vorstellung von den Fragen gewonnen hat, den Beweis zu formulieren, als ihn ohne eine vorläufige Vorstellung zu finden.“ Wir sehen daraus zweierlei. Zum einen wird klar, dass Archimedes praktische Versuche angestellt hat, um ein Gefühl für einen mathematischen Zusammenhang zu bekommen. So kann man sich vorstellen, dass er Kugeln und Zylinder aus demselben homogenen Material gewogen hat, um das Verhältnis ihrer Volumina zu bestimmen (siehe Satz 4.38). Zum anderen hielt Archimedes diese mechanische Herangehensweise offenkundig nicht für beweiskräftig. Sie lieferte ihm die Ideen, die dann streng mathematisch zu beweisen waren. Archimedes beweist das Hebelgesetz in § 6 und § 7 seiner Schrift Über das Gleichgewicht ebener Flächen. Allerdings enthält dieser Beweis einen Trugschluss (siehe [1], S. 205). In Wirklichkeit ist es also ein Postulat, das Archimedes seinen Überlegungen zugrunde legt. Dies ist nicht die einzige Ungereimtheit in dieser Schrift. Man geht heute davon aus, dass das Buch in der uns vorliegenden Form Ergebnis späterer Bearbeitungen ist. Zudem vermutet man, dass es Teil einer größeren Arbeit über das Gleichgewicht war. Dafür spricht, dass man eine Definition des für Gleichgewichtsuntersuchungen zentralen Schwerpunkts bei Archimedes nicht findet. Aus diesen Gründen werden wir bei den im Folgenden angestellten Schwerpunktsuntersuchungen, die wir für spätere mechanische Betrachtungen (siehe die Abschnitte 3.4, 4.7 und 6.3) benötigen, teilweise schulgeometrisch argumentieren. rt
rt
rt r t
rt
rt
Abbildung 3.19: Schwerpunkt eines Dreiecks Satz 3.23 Der Schwerpunkt eines Dreiecks ist der Schnittpunkt der Seitenhalbierenden. Er teilt diese im Verhältnis 2 : 1, wobei zwei Teile an der Ecke liegen.
69
3.3 Mechanische Überlegungen
Die erste Aussage ist klar, da eine Seitenhalbierende das Dreieck in zwei flächengleiche Teildreiecke zerlegt. Die zweite kann man an Abbildung 3.19 ablesen, wenn man den Schnittpunkt zweier Seitenhalbierender als Zentrum für den 2. Strahlensatz verwendet. Dieser Satz hilft uns, den Schwerpunkt eines Trapezes zu bestimmen (siehe Abbildung 3.20). Satz 3.24 Der Schwerpunkt Z eines Trapezes ABCD liegt auf der Verbindungsstrecke der Mittelpunkte G und H der parallelen Grundlinien AD (mit der Länge a) und BC (mit der Länge b). Er teilt GH so, dass d(G, Z) : d(Z, H) = (a + 2b) : (2a + b) gilt. a }|tr
A trz
G
X tr
{ trD
r t
K
rtZ r r t t
L
rt
B |
H rt {z b
Y
Abbildung 3.20: Schwerpunkt eines Trapezes
rt
} C
Da GH das Trapez in zwei flächengleiche Trapeze teilt, liegt Z auf dieser Strecke. Wir unterteilen GH durch zwei Punkte K, L in drei gleich lange Teilstrecken und legen durch diese Punkte Parallelen zu den Grundlinien. Nun teilen wir das Trapez durch die Diagonale BD in die Dreiecke ABD und BCD. Der Schwerpunkt X des Dreiecks ABD ist nach Satz 3.23 der Schnittpunkt der Seitenhalbierenden BG mit der Grundlinienparallelen durch K. Entsprechend ist der Schwerpunkt Y des Dreiecks BCD der Schnittpunkt der Seitenhalbierenden DH mit der Grundlinienparallelen durch L. Da der Schwerpunkt Z des aus den beiden Dreiecken zusammengesetzten Trapezes nach Satz 3.22 auf der Verbindungsgeraden der beiden Schwerpunkte liegt, ist er der Schnittpunkt der Geraden GH und XY .
A.8 A.5
70 A.8
3 Die Parabel
Die Dreiecke ABD und BCD besitzen die gleiche Höhe. Also verhalten sich ihre Flächen wie ihre Grundlinien, also wie a zu b. Nach dem Hebelgesetz verhalten sich die Abstände d(Z, Y ) und d(Z, X) ebenso. Also gilt a : b = d(Z, Y ) : d(Z, X) = d(Z, L) : d(Z, K) (das zweite Gleichheitszeichen ergibt sich aus dem 1. Strahlensatz mit dem Zentrum Z). Nun kann man wie folgt schließen: (a + 2b) : (2a + b) = d(Z, L) + 2d(Z, K) : 2(d(Z, L) + d(Z, K) = d(L, K) + d(Z, K) : d(K, L) + d(Z, L) = d(G, K) + d(Z, K) : d(H, L) + d(Z, L) = d(G, Z) : d(Z, H) .
3.4 Satz I aus der Methodenlehre Wie erwähnt, gibt Archimedes in seinem Buch Die Quadratur der Parabel zwei Beweise des Satzes 3.19, einen davon unter Verwendung mechanischer Methoden. Diesen Beweis übergehen wir, da Archimedes den Satz 3.19 in der Methodenlehre von den mechanischen Lehrsätzen ein drittes Mal beweist und dabei die mechanische Methode wesentlich radikaler einsetzt. In diesem Beweis, den wir uns im Folgenden ansehen, verwendet er nämlich infinitesimale Methoden, also modern gesprochen Integration. Die Schlagkraft dieser Methode, deren theoretische Fundierung er noch nicht liefern konnte und die er deshalb als nicht beweiskräftig ansah, hat Archimedes richtig erkannt. Er mache sie bekannt, schreibt er in der Einleitung der Methodenlehre, „in der Überzeugung, dadurch nicht geringen Nutzen für die Mathematik zu stiften; ich nehme nämlich an, dass jemand von den jetzigen oder künftigen Forschern durch die hier dargelegte Methode auch andere Lehrsätze finden wird, die uns noch nicht eingefallen sind“. Satz 3.25 Die Fläche eines Parabelsegments ist gleicher Grundlinie und gleicher Höhe.
4 3
der Fläche des Dreiecks mit
Wir gehen aus von einem Parabelsegment P Q sowie dem Dreieck P QB mit gleicher Grundlinie und Höhe. Die Parallele zur Achse durch P schneide die Parabeltangente in Q im Punkt R (siehe Abbildung 3.21). Ferner werde im Dreieck P QR eine Strecke LG parallel zu P R gezogen. Diese schneide die Parabel im Punkt C sowie QB in K. Schließlich schneide QB die Gerade P R in Z. Da nach Hilfssatz 3.9 (ii) die Parallele zur Achse durch B die Sehne P Q im Mittelpunkt M trifft, gilt nach Satz 3.4 d(A, B) = d(B, M) .
71
3.4 Satz I aus der Methodenlehre rt
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Abbildung 3.21: Fläche von Segment und Dreieck Nach dem 2. Strahlensatz (Zentrum Q) ist daher die Strecke P R viermal so lang wie MB, das Dreieck P QR also viermal so groß wie das Dreieck P QB. Wir haben daher den Satz gezeigt, wenn wir bewiesen haben, dass das Dreieck P QR dreimal so groß ist wie das Segment P Q. Wir verlängern nun QZ derart zur Strecke QU , dass Z Mittelpunkt der neuen Strecke ist, und heften in U eine zu LC kongruente Strecke V W in deren Mittelpunkt an. Nach Satz 3.11 teilt der Punkt L die Strecke P Q im selben Verhältnis wie der Punkt C die Strecke LG. Es gilt also d(G, L) : d(V, W ) = d(G, L) : d(L, C) :::::::::::::::::::
= d(Q, P ) : d(P, L) = d(Q, Z) : d(Z, K) = d(U, Z) : d(Z, K) . ::::::::::::::::::::::
Nach dem Hebelgesetz ist damit die Balkenwaage mit dem (horizontal zu denkenden) Waagebalken KU und den Gewichten GL und V W im Gleichgewicht, wenn sie im Punkt Z aufgehängt wird und das Gewicht einer Strecke proportional zu ihrer Länge angenommen wird. Mit anderen Worten: Z ist der Schwerpunkt der aus
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72
3 Die Parabel
den Strecken GL und V W bestehenden Menge. Da dies für jede Lage der Geraden GL gilt und die Vereinigung der Strecken GL das Dreieck P QR sowie die Vereinigung der Strecken LC das Segment P Q ergibt, ist damit gezeigt: Das Dreieck P QR befindet sich (so wie es liegt) im Gleichgewicht mit dem Parabelsegment, wenn dessen Schwerpunkt in den Punkt U verschoben wird. Der Schwerpunkt X des Dreiecks teilt nach Satz 3.23 die Strecke QZ im Verhältnis 2 : 1. Da hieraus d(X, Z) =
1 1 d(Q, Z) = d(Z, U) 3 3
folgt, teilt Z die Strecke XU im Verhältnis 1 : 3, weshalb nach dem Hebelgesetz das Dreieck P QR dreimal so groß ist wie das Segment P Q. Damit ist der Satz bewiesen. Archimedes betrachtet in diesem Beweis Dreieck und Parabelsegment als Vereinigung achsenparalleler Strecken, weshalb es gerechtfertigt ist, von einem Integrationsverfahren zu sprechen.
3.5 Der Schwerpunkt eines Parabelsegments Wir kehren zur Schrift Über das Gleichgewicht ebener Flächen zurück, in deren erstes Buch wir im Abschnitt 3.3 einen kleinen Blick geworfen haben. Jetzt wollen wir uns ausführlich mit dem zweiten Buch beschäftigen. Dort bestimmt Archimedes den Schwerpunkt eines Parabelsegments. Dazu greift er auf eine Approximation des Segments zurück, die bereits im Satz 3.16 eine Rolle spielte. Dort wurde einem Parabelsegment P Q mit dem Durchmesser BM das Dreieck BP Q gleicher Grundlinie und gleicher Höhe einbeschrieben und ebenso den Segmenten P B und BQ (siehe Abbildung 3.15). Dieses Verfahren kann man beliebig (aber endlich) oft fortsetzen. Auf diese Weise bekommt man eine Standardapproximation des Segments (siehe Abbildung 3.22). Sie liefert auf dem Parabelbogen zwischen B und P Punkte L1 , L2 , . . . , Ln−1 , Ln = P sowie auf dem Bogen zwischen B und Q Punkte R1 , R2 , . . . , Rn−1 , Rn = Q. Die Schnittpunkte des Durchmessers BM mit den Geraden L1 R1 , L2 R2 , . . . , Ln−1 Rn−1 , Ln Rn seien mit T1 , T2 , . . . , Tn−1 , Tn = M bezeichnet. Wir beweisen zunächst einige Eigenschaften dieser Approximation. Satz 3.26 Ist P Q ein Parabelsegment mit dem Durchmesser BM , so gilt für jede Standardapproximation des Segments: (i) Die Geraden L1 R1 , L2 R2 , . . . , Ln Rn sind parallel. (ii) Die Strecken BT1 , T1 T2 , T2 T3 , . . . , Tn−1 Tn verhalten sich wie 1 : 3 : 5 : . . . : (2n − 1) . (iii) Der Schwerpunkt der Approximation liegt auf dem Durchmesser des Parabelsegments.
73
3.5 Der Schwerpunkt eines Parabelsegments
L4 = P
tr tr tr r t r M = T4 t
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Q = R4
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R1
Abbildung 3.22: Die Standardapproximation Nach Hilfssatz 3.9 (ii) halbiert die Parallele zur Achse durch die im ersten Schritt erzeugten Parabelpunkte (in Abbildung 3.22 die Punkte L2 und R2 ) die Sehnen P B und BQ und damit nach dem 1. Strahlensatz auch die Strecken P M und MQ. Sie vierteln also zusammen mit dem Punkt M die Sehne P Q. Im nächsten Schritt halbieren die Parallelen durch die neu erzeugten Parabelpunkte (in der Abbildung L1 , L3 und R1 , R3 ) jedes Viertel. Am Ende zerlegen die Gerade BM und deren Parallelen durch L1 , L2 , . . . , Ln−1 und R1 , R2 , . . . , Rn−1 die Sehne P Q = Ln Rn in 2n gleich große Teilstrecken. Somit wird Ln−1 Rn−1 in 2(n − 1) gleich lange Teilstrecken zerlegt. (Sind die Geraden Ln Rn und Ln−1 Rn−1 parallel, hat man Parallelogramme, bei denen gegenüberliegende Seiten gleich lang sind; andernfalls zeigt dies der 1. Strahlensatz.) Dies geht bis zur Sehne L1 R1 , die in zwei gleich große Teilstrecken zerlegt wird. Daraus folgt, dass BM diese Sehnen halbiert, weshalb nach Hilfssatz 3.9 (ii) der Punkt B Scheitel aller Segmente L1 R1 , L2 R2 , . . . , Ln Rn ist. Nach Hilfssatz 3.9 (i) sind also diese Sehnen – wie in (i) behauptet – parallel und damit die von den Parallelen zur Achse ausgeschnittenen Teilstrecken alle gleich lang. Es gilt also (⋆)
d(L1 , R1 ) : d(L2 , R2 ) : d(L3 , R3 ) : . . . : d(Ln , Rn ) = 2 : 4 : 6 : . . . : 2n = 1 : 2 : 3 : . . . : n .
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74
3 Die Parabel
Mit Satz 3.6 folgt hieraus d(B, T1 ) : d(B, T2 ) : d(B, T3 ) : . . . : d(B, Tn ) = 12 : 22 : 32 : . . . : n2 = 1 : 4 : 9 : . . . : n2 und damit d(B, T1 ) : d(T1 , T2 ) : d(T2 , T3 ) : . . . : d(Tn−1 , Tn ) = 1 : (4 − 1) : (9 − 4) : . . . : (n2 − (n − 1)2 ) = 1 : 3 : 5 : . . . : (2n − 1) , womit (ii) gezeigt ist. Die Standardapproximation setzt sich aus dem Dreieck BR1 L1 sowie den Trapezen R1 R2 L2 L1 , R2 R3 L3 L2 , . . . , Rn−1 Rn Ln Ln−1 zusammen. Nach Satz 3.23 und Satz 3.24 liegen die Schwerpunkte dieser Flächen auf den Strecken BT1 , T1 T2 , T2 T3 , . . . , Tn−1 Tn , insbesondere also auf der Strecke BTn = BM . Mit Satz 3.22 folgt hieraus die Aussage (iii). Satz 3.27 Hat man für zwei Parabelsegmente P Q und P ′Q′ Standardapproximationen mit gleicher Eckenzahl, so teilen die Schwerpunkte der Approximationen die Durchmesser der Parabelsegmente im selben Verhältnis. Aus Satz 3.26 (ii) folgt zunächst, dass die Parallelen zur Sehne P Q bzw. P ′ Q′ durch die Eckpunkte der Approximation die Durchmesser im selben Verhältnis teilen. Da nach Satz 3.23 der Schwerpunkt eines Dreiecks jede Seitenhalbierende im Verhältnis 2 : 1 teilt und nach Satz 3.24 die Lage des Schwerpunkts eines Trapezes nur vom Längenverhältnis der parallelen Seiten abhängt, genügt es zu zeigen, dass diese Längenverhältnisse in beiden Approximationen übereinstimmen. Dies haben wir aber im Beweis von Satz 3.26 gesehen (siehe (⋆) auf S. 73). Der folgende Satz macht eine erste (nach Satz 3.26 (iii) nicht überraschende) Aussage über die Lage des Schwerpunkts eines Segments. Satz 3.28 Der Schwerpunkt jedes Parabelsegments liegt auf dem Durchmesser des Segments. Wir gehen von einem Segment P Q mit dem Durchmesser BM aus (siehe Abbildung 3.23) und nehmen an, dass der Schwerpunkt Z des Segments nicht auf dem Durchmesser liegt. Die Grundlinie P Q werde von der Parallelen zur Achse durch Z im Punkt D geschnitten. Weiter seien F∆ die Fläche des Dreiecks BP Q und die Größe c festgelegt durch d(Q, D) : d(D, M) = F∆ : c . Nun wählen wir eine Standardapproximation mit einer Fläche Fs (in Abbildung 3.23 hellgrau) derart, dass die Fläche Fr der restlichen Parabelsegmente (in der
75
3.5 Der Schwerpunkt eines Parabelsegments
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Abbildung 3.23: Schwerpunkt und Durchmesser Abbildung dunkelgrau) kleiner als c ist. Der Schwerpunkt der Fläche Fr sei der Punkt X, der Schwerpunkt von Fs sei der (nach Satz 3.26 (iii) auf dem Durchmesser gelegene) Punkt Y . Nach Satz 3.22 teilt dann der Schwerpunkt Z die Strecke XY im Verhältnis der Flächen Fs und Fr : d(X, Z) : d(Z, Y ) = Fs : Fr . Nun sei E der Schnittpunkt der Geraden XY mit der Parallelen zur Achse durch Q. Da Fs mindestens so groß ist wie F∆ und Fr kleiner als c, kann man mit dem 1. Strahlensatz wie folgt schließen: d(X, Z) : d(Z, Y ) = Fs : Fr > F∆ : c = d(Q, D) : d(D, M) = d(E, Z) : d(Z, Y ) . Dies zeigt d(X, Z) > d(E, Z). Also liegen alle Restsegmente auf der einen Seite der Geraden QE, aber deren Schwerpunkt X auf der anderen. Da dies nicht möglich ist, muss Z auf dem Segmentdurchmesser liegen. Satz 3.29 Der Schwerpunkt eines Parabelsegments liegt näher beim Scheitel als der Schwerpunkt jeder Standardapproximation des Segments.
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3 Die Parabel
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Abbildung 3.24: Schwerpunkt von Dreieck und Segment Wir gehen zunächst aus von einem Segment P Q mit dem Durchmesser BM und dem Dreieck BP Q (siehe Abbildung 3.24). Der Schwerpunkt T dieses Dreiecks ist nach Satz 3.23 der Punkt des Durchmessers, für den d(B, T ) : d(T, M) = 2 : 1 gilt. Die Schnittpunkte L, R der Parabel mit den Parallelen zur Parabelachse durch die Mittelpunkte C, D der Sehnen BP und BQ sind nach Hilfssatz 3.9 (ii) die Scheitel des Segments BP bzw. BQ. Also liegen nach Satz 3.28 die Schwerpunkte X, Y dieser Segmente auf LC bzw. RD. Da die Segmente BP und BQ nach Hilfssatz 3.20 flächengleich sind, ist ihr gemeinsamer Schwerpunkt Z der Mittelpunkt der Verbindungsstrecke XY und liegt damit auf der Mittelparallelen von LC und RD, also auf dem Durchmesser BM des Segments P Q, und zwar näher bei B als bei M (da CD den Durchmesser halbiert). [Archimedes verwendet hier irrtümlich die Eigenschaft, dass XY zu CD parallel ist. Diese Eigenschaft gilt zwar, folgt aber erst aus Satz 3.31. Der Beweis lässt sich aber reparieren, da diese Parallelität für den Nachweis, dass Z auf dem Durchmesser liegt, nicht benötigt wird.] Da sich das Segment P Q aus dem Dreieck BP Q und den beiden Segmenten BP und BQ zusammensetzt, liefert der Satz 3.22 folgende Aussage:
77
3.5 Der Schwerpunkt eines Parabelsegments
(a) Der Schwerpunkt des Segments P Q teilt die Strecke ZT (von Z aus) im Verhältnis der Fläche des Dreiecks BP Q zur gemeinsamen Fläche der Segmente BP und BQ. Damit ist für den Fall, dass unsere Standardapproximation nur aus dem Dreieck BP Q besteht, der Satz bewiesen. Wir gehen nun einen Schritt weiter und betrachten die in Abbildung 3.25 grau dargestellte Standardapproximation. Die im ersten Teil des Beweises verwendeten Bezeichnungen behalten ihre Bedeutung. Zusätzlich benötigen wir die Schwerpunkte U, V der Dreiecke BP L und BQR. Da nach obigen Überlegungen der Schwerpunkt der aus den (flächengleichen) Segmenten BR und RQ zusammengesetzten Fläche auf der Strecke RD liegt, und zwar näher bei R als bei D, der Schwerpunkt V des Dreiecks BQR aber diese Strecke im Verhältnis 2 : 1 teilt, liegt der gemeinsame Schwerpunkt dieser Flächen, also der Schwerpunkt Y des Segments BQ, näher bei R als der Punkt V . Ebenso liegt X zwischen L und U. Wie oben gesehen, liegt ferner der Schwerpunkt W der aus den Dreiecken BP L und BQR bestehenden Fläche auf dem Durchmesser des Segments P Q. P
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Abbildung 3.25: Schwerpunkt von Approximation und Segment Da sich die in Abbildung 3.25 gezeigte Approximation aus dem Dreieck BP Q (mit dem Schwerpunkt T ) sowie den Dreiecken BP L und BQR (mit dem gemeinsamen Schwerpunkt W ) zusammensetzt, liefert der Satz 3.22 folgende Aussage:
78
3 Die Parabel
(b) Der Schwerpunkt der Approximation teilt die Strecke W T (von W aus) im Verhältnis der Fläche des Dreiecks BP Q zur gemeinsamen Fläche der Dreiecke BP L und BQR. Da die beiden Segmente BP und BQ zusammen größer sind als die beiden Dreiecke BP L und BQR, zeigen die Aussagen (a) und (b), dass das Verhältnis, in dem der Schwerpunkt des Segments die Strecke ZT teilt, kleiner ist als das Verhältnis, in dem der Schwerpunkt der Approximation die Strecke W T teilt. Daher und da W auf der Strecke ZT liegt, liegt der Schwerpunkt des Segments näher beim Scheitel B als der Schwerpunkt der Approximation. Da man bei weiteren Standardapproximationen analog argumentieren kann, beenden wir hier die Beweisführung. Dass der Abstand zwischen dem Schwerpunkt des Segments und dem Schwerpunkt einer Standardapproximation beliebig klein gemacht werden kann, zeigt der nächste Satz. Satz 3.30 Zu jeder (positiven) Größe c und jedem Parabelsegment gibt es eine Standardapproximation derart, dass der Abstand der beiden Schwerpunkte kleiner als c ist. rt
Q
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Z
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Abbildung 3.26: Minimierung des Abstands Wir gehen aus von einem Segment P Q mit dem Scheitel B und dem Schwerpunkt Z (siehe Abbildung 3.26). Das Dreieck BP Q besitze die Fläche F∆ . Ferner sei die Größe d festgelegt durch d(B, Z) : c = F∆ : d . Nun wählen wir für das Segment P Q eine Standardapproximation (mit der Fläche Fs ) derart, dass die Fläche Fr der Restsegmente zusammen kleiner ist als d. Für den Schwerpunkt T dieser Approximation zeigen wir d(Z, T ) < c ,
79
3.5 Der Schwerpunkt eines Parabelsegments
indem wir die Annahme, d(Z, T ) sei mindestens so groß wie c, zum Widerspruch führen. Wegen Fs > F∆ und Fr < d folgt aus dieser Annahme zunächst Fs : Fr > F∆ : d = d(B, Z) : c ≥ d(B, Z) : d(Z, T ) . Somit gibt es auf der Geraden BT einen Punkt H derart, dass B zwischen H und T liegt und Fs : Fr = d(H, Z) : d(Z, T ) gilt. Nach Satz 3.22 ist dann H der Schwerpunkt der aus den Restsegmenten bestehenden Fläche. Doch dies ist nicht möglich, da H und die Restsegmente auf verschiedenen Seiten der Parabeltangente in B liegen. Satz 3.31 Die Schwerpunkte zweier Parabelsegmente teilen die Durchmesser im selben Verhältnis. r t
D tr
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Abbildung 3.27: Gleiches Teilungsverhältnis Wir betrachten zwei Segmente CD mit dem Durchmesser AL und dem Schwerpunkt Y sowie P Q mit dem Durchmesser BM und dem Schwerpunkt Z (siehe Abbildung 3.27). Teilen die Schwerpunkte die Durchmesser nicht im selben Verhältnis, so können wir ohne Einschränkung d(A, Y ) : d(Y, L) < d(B, Z) : d(Z, M) annehmen. Es gibt dann auf dem Durchmesser AL einen weiter als Y von A entfernten Punkt X mit d(A, X) : d(X, L) = d(B, Z) : d(Z, M) . Nach Satz 3.30 kann man eine Standardapproximation des Segments CD finden, deren Schwerpunkt U von Y einen geringeren Abstand hat als der Punkt X und
80
3 Die Parabel
damit näher als dieser bei A liegt. Nun beschreiben wir dem Segment P Q eine Standardapproximation mit gleicher Eckenzahl ein und betrachten deren Schwerpunkt V . Wegen (siehe Satz 3.27)
d(B, V ) : d(V, M) = d(A, U) : d(U, L) < d(A, X) : d(X, L) = d(B, Z) : d(Z, M)
liegt dann der Schwerpunkt V der Standardapproximation näher beim Scheitel als der Schwerpunkt Z des Segments P Q. Dies ist aber nach Satz 3.29 nicht möglich. Nun sind wir in der Lage, den entscheidenden Satz zu beweisen. Satz 3.32 Der Schwerpunkt eines Parabelsegments teilt den Durchmesser im Verhältnis 2 : 3, wobei der größere Abschnitt beim Scheitel liegt.
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Abbildung 3.28: Teilungsverhältnis 2 : 3 Wir gehen aus von einem Parabelsegment P Q mit dem Scheitel B und dem Schwerpunkt Z, legen durch die Mittelpunkte C, D der Sehnen BP , BQ die Parallelen zur Achse und erhalten so die Scheitel L, R der Segmente BP und BQ (siehe Abbildung 3.28). Nach Satz 3.28 liegen dann die Schwerpunkte X, Y dieser
3.5 Der Schwerpunkt eines Parabelsegments
81
Segmente auf den Durchmessern LC und RD. Satz 3.31 zeigt, dass die Gerade XY zu den Geraden CD und LR parallel ist. Nach Hilfssatz 3.20 ist der Mittelpunkt U der Strecke XY , also ihr Schnittpunkt mit dem Durchmesser BM , der Schwerpunkt der aus den beiden Segmenten BP und BQ bestehenden Fläche. Aus Satz 3.31 folgt weiter d(B, M) : d(M, Z) = d(L, C) : d(C, X) oder d(B, M) : d(L, C) = d(M, Z) : d(C, X) . Nach Satz 3.10 (i) gilt (man beachte in Abbildung 3.28 die gestrichelte Strecke) 1 d(B, M) : d(C, L) = d(E, C) : d(C, L) = d(P, M) : d(M, E) = 2 : 1 , 2 was d(B, M) = 4d(L, C) , also auch d(M, Z) = 4d(C, X) liefert. Bezeichnet K den Schnittpunkt der Geraden BM und LR, gilt also d(B, Z) = d(B, M) − d(M, Z) ::::::::
= 4d(L, C) − 4d(C, X)
= 4d(L, X) = 4d(K, U) . :::::::::::::
Entfernt man auf beiden Seiten der markierten Gleichung einmal den Abstand d(K, U), bleibt d(B, K) + d(U, Z) = 3d(K, U) . Ist H der Punkt der Strecke KM , für den d(B, K) = 3d(K, H) gilt, so lässt sich dies umformen zu (⋆)
d(U, Z) = 3d(K, U) − 3d(K, H) = 3d(H, U) .
Nach Satz 3.26 (ii) gilt ferner (man setze dort T1 = K und T2 = M) 3d(B, K) = d(K, M) oder 4d(B, K) = d(B, M) . Dies ergibt nach Definition von H d(B, H) = d(B, K) + d(K, H) =
1 4 d(B, K) = d(B, M) . 3 3
82
3 Die Parabel
Da nach Satz 3.23 für den Schwerpunkt T des Dreiecks BP Q entsprechend d(T, M) =
1 d(B, M) 3
gilt, ist damit (⋆⋆)
d(B, H) = d(H, T ) = d(T, M) =
1 d(B, M) 3
gezeigt. Nach Satz 3.19 ist das Dreieck BP Q dreimal so groß wie die gemeinsame Fläche der Segmente BP und BQ. Daher folgt aus dem Hebelgesetz für die Schwerpunkte T, U, Z d(U, Z) : d(Z, T ) = 3 : 1 , also 3d(H, U) = d(U, Z) = 3d(Z, T ) (zum ersten Gleichheitszeichen siehe (⋆)). Somit gilt d(T, M) = d(H, T ) (siehe (⋆⋆)) = d(H, U) + d(U, Z) + d(Z, T ) = d(Z, T ) + 3d(Z, T ) + d(Z, T ) = 5d(Z, T ) , d(Z, M) = d(Z, T ) + d(T, M) = d(Z, T ) + 5d(Z, T ) = 6d(Z, T ) . Mit (⋆⋆) zeigt dies d(B, M) : d(Z, M) = 3d(T, M) : d(Z, M) = 15 : 6 und weiter d(B, M) − d(Z, M) : d(Z, M) 9 3 15 −1 = = , = 6 6 2
d(B, Z) : d(Z, M) =
womit der Satz bewiesen ist.
4 Zylinder, Kegel, Kugel Archimedes schrieb zwei Bücher Über Kugel und Zylinder, wobei das – wesentlich kürzere – zweite einige Anwendungen der im ersten Buch bewiesenen Sätze enthält. Wir beschränken uns auf das erste Buch. Unser Hauptziel wird es sein, den Satz herzuleiten, der seinen Grabstein zierte, also das Verhältnis der Oberflächen und Volumina von Kugel und Zylinder zu bestimmen. Für die Volumenaussagen gibt Archimedes einen weiteren Beweis in der Methodenlehre von den mechanischen Lehrsätzen, den wir uns im Abschnitt 4.7 ansehen werden. Die im Werk Über Kugel und Zylinder durchgängig verwendete Beweistechnik besteht darin, diese Körper durch einfachere zu approximieren, ihnen also einfachere Körper ein- und umzubeschreiben. Da sich die Approximationen der Kugel aus (Teilen von) Kegeln zusammensetzen, sind neben Kugel und Zylinder auch Kegel entsprechend zu approximieren. Um für die archimedische Vorgehensweise geeignet zu sein, muss eine Approximation eines solchen Körpers die folgende – jeweils zu beweisende – Eigenschaft besitzen: Es gibt für beliebige positive (reelle) Zahlen a und b mit a größer b einen umbeschriebenen Körper und einen einbeschriebenen Körper derart, dass für deren Volumina bzw. Oberflächen U und E das Verhältnis U zu E kleiner ist als das Verhältnis von a zu b. Da in den betrachteten Fällen U größer ist als E, bedeutet dies, dass man mit dem Verhältnis U : E der Zahl 1 beliebig nahe kommt. (Heute würden es Mathematiker so formulieren: Für alle ε > 0 gibt es Approximationen mit 1 < U : E < 1 + ε.) Ausgangspunkt für solche Überlegungen sind entsprechende Approximationen des Kreises. Daher sehen wir uns im nächsten Abschnitt den Kreis etwas genauer an.
4.1 Kreisumfang und Kreisfläche
⌢
Die Abbildung 4.1 zeigt einen Kreisbogen AB mit dem Mittelpunktswinkel 2α, die zugehörige Sehne AB sowie die Kreistangenten in A und B. Beträgt der Radius 1, so haben die Strecken AC und AD die angegebenen Längen (man betrachte die rechtwinkligen Dreiecke AMC und AMD). Der halbe Kreisbogen hat (nach Definition) die Länge α, wenn dieser Winkel im Bogenmaß gemessen wird. Ist α größer als 0 und kleiner als π2 , so besteht zwischen diesen Größen die Beziehung sin α < α < tan α . Mit den Mitteln der Differentialrechnung kann man dies leicht zeigen. Für solche
84
4 Zylinder, Kegel, Kugel rD t
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Abbildung 4.1: Längenvergleich Winkel gilt nämlich sin′ α = cos α < 1 , 1 > 1. tan′ α = cos2 α Archimedes stand die Differentialrechnung nicht zur Verfügung. In seinem Werk Über Kugel und Zylinder formuliert er daher zwei Postulate, um Längen von Kurven vergleichen zu können. Postulat 1 Von allen Linienstücken, die gleiche Endpunkte haben, ist die gerade Linie die kürzeste. Postulat 2 Die übrigen Linien aber, die in derselben Ebene liegen und dieselben Endpunkte haben, sind einander ungleich, wenn sie nach derselben Seite konkav sind und die eine ganz von der anderen und der geraden Verbindungslinie der Endpunkte umfasst wird oder teilweise umfasst wird und teilweise mit einer der beiden Linien identisch ist. Und zwar ist diejenige, welche umfasst wird, die kleinere. Konkav meint hier, dass die Kurven keine Einbuchtungen haben dürfen, dass also jede Gerade eine solche Kurve in höchstens zwei Punkten trifft. Wenden wir in Abbildung 4.1 diese Postulate auf die drei von A nach B führenden Linien an, so sehen wir, dass
⌢
d(A, B) < AB < d(A, D) + d(D, B) gilt. Eine wichtige Anwendung dieses Ergebnisses lautet (siehe Abbildung 2.6):
85
4.1 Kreisumfang und Kreisfläche
Satz 4.1 Werden einem Kreis ein Vieleck einbeschrieben und ein Vieleck umbeschrieben, so hat das einbeschriebene Vieleck einen kleineren, das umbeschriebene einen größeren Umfang als der Kreis. Damit lässt sich der folgende Satz beweisen. Satz 4.2 Zu jedem Kreis k und positiven Zahlen a, b mit a größer als b gibt es regelmäßige Vielecke gleicher Eckenzahl, die dem Kreis k um- bzw. einbeschrieben sind und ein Seitenverhältnis kleiner als a : b besitzen. srU Q rs
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(b)
Abbildung 4.2: Kleineres Seitenverhältnis Wir gehen aus von einer Strecke AC der Länge b und konstruieren zu dieser Kathete ein rechtwinkliges Dreieck ABC, dessen Hypotenuse BC die Länge a besitzt (siehe Abbildung 4.2 (a)). Nun tragen wir im Mittelpunkt des Kreises k einen Winkel von 90◦ an und halbieren so lange, bis wir einen Winkel erhalten, der weniger als doppelt so groß ist wie im Dreieck ABC der Winkel bei C. Die Schenkel dieses Winkels treffen k in Punkten P und Q. Seine Winkelhalbierende schneidet k in einem Punkt S, durch den wir die Kreistangente legen. So erhalten wir die in Abbildung 4.2 (b) gezeigte Situation. Mehrfaches Antragen des grauen Winkels ergibt ein um- bzw. einbeschriebenes Vieleck mit dem Seitenverhältnis d(T, U) : d(P, Q) = d(M, S) : d(M, R) = d(M, P ) : d(M, R) < a : b . (Die Ungleichung ist richtig, da das rechtwinklige Dreieck RP M bei M einen kleineren Winkel besitzt als das Dreieck ABC bei C.) Satz 4.2 ist der wichtigste Baustein im Beweis von Satz 4.3, der garantiert, dass die Fläche, um die das umbeschriebene Vieleck das einbeschriebene übertrifft, beliebig klein gemacht werden kann. Satz 4.3 Zu jedem Kreis k und positiven Zahlen a, b mit a größer als b gibt es regelmäßige Vielecke gleicher Eckenzahl, die dem Kreis k um- bzw. einbeschrieben sind und ein Flächenverhältnis kleiner als a : b besitzen.
A.5
86
4 Zylinder, Kegel, Kugel r t
x r t
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Abbildung 4.3: Konstruktion der mittleren Proportionalen
A.12
Wir tragen auf einer Geraden zwei Strecken der Längen a und b ab, errichten in der Nahtstelle das Lot und schneiden dieses mit einem Halbkreis über der Gesamtstrecke (siehe Abbildung 4.3). Nach dem Höhensatz genügt die Länge x der so ausgeschnittenen Strecke der Gleichung x2 = ab. Nach Satz 4.2 können wir regelmäßige, dem Kreis k um- und einbeschriebene Vielecke gleicher Eckenzahl finden, deren Seitenverhältnis kleiner als a : x ist. Nach Satz 2.2 ist dann das Flächenverhältnis kleiner als a2 : x2 = a2 : ab = a : b . Archimedes definiert die Größe x nicht durch die Gleichung x2 = ab, sondern (gleichbedeutend damit) durch die Gleichung a : x = x : b, weshalb x auch die mittlere Proportionale zu a und b heißt. Dass Archimedes (wie Euklid) gerne mit Verhältnissen argumentiert, haben wir schon an mehreren Stellen gesehen. Da Satz 4.3 grundlegend für den Beweis zahlreicher Sätze ist, lohnt sich ein genauerer Blick auf seinen Inhalt. Wichtig ist zunächst: Wenn man mit dem Verhältnis von umbeschriebener Fläche und einbeschriebener Fläche der 1 beliebig nahe kommen kann, lässt sich die Differenz dieser Flächen beliebig klein machen. Ferner folgen aus dem Satz wichtige Aussagen über die Kreisfläche. Ist nämlich das Flächenverhältnis von um- zu einbeschriebenem Vieleck kleiner als a : b, so erst recht das Verhältnis der Kreisfläche zur Fläche des einbeschriebenen Vielecks sowie die Fläche des umbeschriebenen Vielecks zur Kreisfläche. Damit lässt sich nach diesem Satz auch die Differenz von umbeschriebener Fläche und Kreisfläche oder von Kreisfläche und einbeschriebener Fläche beliebig klein machen. Schon im Beweis des nächsten Satzes, den Archimedes ohne Beweis verwendet, kommt Satz 4.3 zum Einsatz. (Euklid beweist den Satz im zwölften Buch seiner Elemente.) Satz 4.4 Die Flächen zweier Kreise verhalten sich wie die Quadrate ihrer Radien (oder ihrer Durchmesser). Die beiden Kreise seien k und K, ihre Radien r bzw. R und ihre Flächen f bzw. F (siehe Abbildung 4.4). Da der Satz für R = r richtig ist, können wir R größer als r voraussetzen. Wir verwenden für die im Satz erwähnten Verhältnisse die Abkürzungen a = R2 : r 2 und b = F : f (also F = bf ).
87
4.1 Kreisumfang und Kreisfläche
K R k
r
r t
r t
F
f
Abbildung 4.4: Kreisflächen Zunächst nehmen wir an, a wäre größer als b. Nach Satz 4.3 gibt es dann regelmäßige Vielecke, die dem Kreis k um- bzw. einbeschrieben sind und deren Flächen u bzw. e die Ungleichung u:e < a:b erfüllen. Hieraus folgt F : e = (bf ) : e < (bu) : e < (ba) : b = a = R2 : r 2 . Ist E die Fläche des ähnlichen, dem Kreis K einbeschriebenen regelmäßigen Vielecks, ergibt sich mit Satz 2.3 (ii) der Widerspruch F : e > E : e = R2 : r 2 . Nun nehmen wir b > a an. Wie wir oben gesehen haben, gibt es dann regelmäßige Vielecke, die dem Kreis k um- bzw. einbeschrieben sind und für deren Flächen u bzw. e u:e < b:a gilt. Diese Ungleichung lässt sich umformen zu e : u > a : b. Hieraus folgt F : u = (bf ) : u > (be) : u > (ba) : b = a = R2 : r 2 . Ist U die Fläche des ähnlichen, dem Kreis K umbeschriebenen regelmäßigen Vielecks, ergibt sich mit Satz 2.3 (i) der Widerspruch F : u < U : u = R2 : r 2 . Also gilt a = b, woraus der Satz folgt.
A.3
88
4 Zylinder, Kegel, Kugel
Satz 4.5 Ein Kreis besitzt die gleiche Fläche wie ein rechtwinkliges Dreieck, dessen Katheten so lang sind wie der Kreisradius r und der Kreisumfang uk . Wir haben zu zeigen, dass die Kreisfläche so groß ist wie die Fläche F∆ = A.8
1 uk r 2
des Dreiecks. Wir nehmen zunächst an, dass die Kreisfläche größer als F∆ ist. Dann gibt es nach Satz 4.3 ein dem Kreis einbeschriebenes Vieleck, für dessen Fläche Fe Fe > F∆ gilt. Da nach den Postulaten 1 und 2 der Umfang u dieses Vielecks kleiner als uk ist, gilt aber im Widerspruch dazu nach Satz 2.1 (ii) Fe
uk r = F∆ . 2 2
Bei Archimedes findet sich Satz 4.5 in der Kreismessung. Leider ist von dieser Schrift nur ein kleiner Teil erhalten geblieben, der zudem stärker als andere Werke des Archimedes durch Abschreibefehler entstellt ist. Selbst die Reihenfolge der beiden einzigen neben Satz 4.5 noch erhaltenen Sätze ist nicht die richtige. In dem einen Satz geht es um das Verhältnis der Kreisfläche zur Fläche eines umbeschriebenen Quadrats, im anderen um das Verhältnis des Kreisumfangs zum Kreisdurchmesser, also um die Zahl π. Ausgehend vom Sechseck gelangt Archimedes durch mehrfache Halbierung des Mittelpunktswinkels zu ein- und umbeschriebenen 96-Ecken, die ihm eine untere und eine obere Schranke für den Wert von π liefern. Da der Beweisgang dieses Satzes nur lückenhaft erhalten ist, gehen wir hier nicht näher darauf ein. Einen auf der archimedischen Methode basierenden Beweis findet der Leser in [2]. Das Vorhaben des Archimedes, das Verhältnis des (krummen) Kreisumfangs zum (geraden) Kreisdurchmesser zu bestimmen, war in den Augen mittelalterlicher Philosophen problematisch. Schließlich postulierte Aristoteles, der im Mittelalter als höchste Autorität auf nahezu allen Gebieten galt, im 7. Buch seiner
89
4.1 Kreisumfang und Kreisfläche
Physik, dass Krummes mit dem Geraden (längenmäßig) so wenig vergleichbar sei wie die Schärfe eines Schreibstifts mit der Schärfe eines hohen Tons. Dies erklärt das große Interesse, das im Mittelalter der Kreismessung entgegengebracht wurde. Wir beschließen diesen Abschnitt mit zwei Sätzen aus dem Liber assumptorum (etwa Buch der Hilfssätze), dessen Kenntnis wir arabischen Quellen verdanken. Obwohl ein früher Herausgeber diesem Buch den Titel Liber assumptorum Archimedis gab, stammt es in der vorliegenden Form sicher nicht von Archimedes. Es ist wohl eine Sammlung von Sätzen verschiedener Mathematiker. Aufgrund ihres Inhalts ist es aber nicht unwahrscheinlich, dass die beiden folgenden Sätze über Kreisfiguren wirklich auf Archimedes zurückgehen. Die dem ersten Satz zugrunde liegende Figur ist unter dem Namen Arbelos (Schustermesser) bekannt (siehe die graue Fläche in Abbildung 4.5). D tr
h
A
r t
p
tr
C
q
r t
B
Abbildung 4.5: Das Schustermesser Satz 4.6 Sind C ein (von den Endpunkten verschiedener) Punkt der Strecke AB und D ein Schnittpunkt des Kreises über AB mit dem Lot auf AB im Punkt C, so ist die Fläche F eines Halbkreises über AB ohne die Fläche der beiden auf derselben Seite von AB gelegenen Halbkreise über AC und BC so groß wie die Fläche f des Kreises über CD. Verwenden wir die in Abbildung 4.5 angegebenen Abkürzungen für die Streckenlängen, folgt zunächst aus dem Höhensatz
A.12
h2 = pq . Bezeichnet Fp bzw. Fq die Fläche des Halbkreises über AC bzw. BC, gilt daher nach Satz 4.4 1 (p + q)2 − p2 − q 2 : h2 (F − Fp − Fq ) : f = 2 1 · 2pq : h2 = pq : pq = 1 . = 2
A.1
90
4 Zylinder, Kegel, Kugel
Die Größen F − Fp − Fq und f stimmen somit überein, womit der Satz bewiesen ist. Beim zweiten Satz geht es um das Salinon (gräzisiert von lat. salinum, Salzfass), das in Abbildung 4.6 als graue Figur zu sehen ist. rtC
x+y
A
r t
x P
r t
y
r t
M
y
tr
Q
x
tr
B
y r t
D
Abbildung 4.6: Das Salzfass Satz 4.7 Gegeben seien eine Strecke AB mit dem Mittelpunkt M sowie auf AM bzw. MB gleich weit von M entfernte (und von den Endpunkten verschiedene) Punkte P bzw. Q. Die Mittelsenkrechte von AB schneide einen Halbkreis H über AB in C sowie den auf der anderen Seite von AB gelegenen Halbkreis h über P Q in D. Dann stimmt die Fläche, die man erhält, wenn man vom Halbkreis H die beiden auf derselben Seite von AB gelegenen Halbkreise über AP und QB wegsowie den Halbkreis h hinzunimmt, mit der Fläche des Kreises über CD überein. A.1
Diese Aussage ist richtig, da sich mit den in Abbildung 4.6 angegebenen Abkürzungen das Verhältnis dieser Flächen nach Satz 4.4 wie folgt berechnet: 2 x 2 x + 2y 1 2 2 (x + y) − 2 +y : 2 2 2 2 x 2 x 1 2 2 2 2 x + y + 2xy − 2 +y : + y + xy = 2 2 4 2 x 1 x2 2 2 + 2y + 2xy : + y + xy = 1 . = 2 2 4
91
4.2 Zylinder und Prisma
4.2 Zylinder und Prisma Neben den im vorigen Abschnitt behandelten Postulaten, die den Vergleich von Kurvenlängen ermöglichen, formuliert Archimedes zwei Postulate für den Vergleich der Oberflächen von Körpern. Postulat 3 Unter Flächenstücken, die die gleiche ebene Kurve als Grenzlinie haben, ist das ebene Flächenstück das kleinere. Postulat 4 Die übrigen Flächen aber, die dieselbe ebene Grenzkurve haben, sind ungleich, wenn sie nach derselben Seite konkav sind und die eine Fläche von der anderen und der Ebene, in der die Grenzkurve liegt, ganz eingeschlossen wird oder teilweise eingeschlossen wird und teilweise mit einer dieser Flächen identisch ist. Und zwar ist die eingeschlossene Fläche die kleinere. Konkav meint hier, dass die Flächen keine Dellen aufweisen dürfen, dass also jede Gerade eine solche Fläche in höchstens zwei Punkten trifft. (a)
D (b)
C A B
D
(c)
C A B
D C A B Abbildung 4.7: Dächer
Als erstes Beispiel betrachten wir die in Abbildung 4.7 gezeigten Hausdächer, die alle das Rechteck ABCD als ebene Grenzkurve haben. Um Postulat 4 anwenden zu können, ist der Giebel jeweils hinzuzunehmen. Abbildung 4.7 (a) zeigt, dass das Bogendach eine größere Fläche besitzt als das graue Satteldach. Nach (b) hat
92
4 Zylinder, Kegel, Kugel
dieses eine größere Fläche als das graue Walmdach, welches nach (c) wiederum das graue Zeltdach an Fläche übertrifft. Wir verwenden in diesem Abschnitt die Postulate 3 und 4, um die Oberflächen von Zylindern und Prismen zu vergleichen und zu bestimmen. Zunächst haben wir diese Körper zu definieren. Verbinden wir die Punkte zweier Kreise mit gleicher Achse und gleichem Radius durch Strecken (Erzeugende), die auf zur Achse parallelen Geraden liegen, so erhalten wir einen Drehzylinder mit den beiden Kreisen als Leitkreisen (genauer als Grundkreis und Deckkreis) und den von ihnen berandeten Flächen als Grundund Deckfläche (siehe Abbildung 4.8 (a)). Das zwischen den beiden Mittelpunkten liegende Stück der Kreisachse nennen wir die Achse, seine Länge die Höhe des Drehzylinders. rt Spitze
Deckfläche r t
e . . . Erzeugende (a)
(b)
e Achse
e r t
Achse tr
Grundfläche/Leitkreis Abbildung 4.8: Drehzylinder und Drehkegel Da wir keine anderen Zylinder betrachten, werden wir oft kurz Zylinder statt Drehzylinder sagen. Wichtig ist, dass bei Archimedes ein Zylinder immer endlich, also durch die beiden Leitkreise begrenzt ist. Die Oberfläche eines Zylinders besteht aus der Grundfläche, der Deckfläche und der Mantelfläche, die von den Zylindererzeugenden gebildet wird. Verschieben wir ein Sehnenvieleck längs seiner Achse und verbinden dann entsprechende Punkte durch (Erzeugende genannte) Strecken, so erhalten wir ein Prisma mit den beiden Vielecksflächen als Grund- und Deckfläche. Die Erzeugenden bilden seine Mantelfläche. Achse und Höhe seien analog zum Zylinder definiert. Wir nennen das Prisma regelmäßig, wenn das Vieleck regelmäßig ist. Der Zylinder, der die Umkreise der beiden Sehnenvielecke als Leitkreise besitzt, ist dem Prisma umbeschrieben. Umgekehrt ist das Prisma dem Zylinder einbeschrieben (man betrachte den linken Teil der Abbildung 4.9). Da regelmäßige Vielecke auch einen Inkreis besitzen, lässt sich einem regelmäßigen Prisma auch ein Zylinder einbeschreiben (rechts in Abbildung 4.9).
93
4.2 Zylinder und Prisma rt
rt
rt
rt
rt
rt rt rt
rt
rt
rt
rt
rt
rt
rt
rt
rt
rt rt rt
rt
r t
rt
rt
Abbildung 4.9: Drehzylinder und Prisma Um Aussagen über das Verhältnis der Oberflächen eines Zylinders und eines einoder umbeschriebenen Prismas machen zu können, greifen wir das in Abbildung 4.7 (a) gezeigte Beispiel nochmals auf. Wir wollen zeigen, dass das Bogendach ohne Giebel eine größere Fläche besitzt als das Rechteck ABCD. Eigentlich scheint dies trivial: Die Strecke AB zeigt, dass das Dach so breit ist wie das Rechteck. Außerdem ist nach Postulat 2 der Kreisbogen, der das Dach berandet, größer als die Strecke BC. Also muss die Dachfläche das Rechteck übertreffen. Die hier verwendete Beziehung zwischen der Länge einer Kurve und der Größe einer Fläche lässt sich aber nicht aus den Postulaten ableiten. Archimedes muss also einen anderen Weg einschlagen. Bevor wir uns diesen Beweis ansehen, formulieren wir die Aussage, die zu zeigen ist, etwas mathematischer. Satz 4.8 Das zwischen zwei Erzeugenden eines Drehzylinders liegende Stück des Zylindermantels ist größer als das Rechteck, das von diesen Erzeugenden und den beiden Strecken, welche die Endpunkte der Erzeugenden verbinden, gebildet wird. Wir gehen aus von der Abbildung 4.10. Die im Satz genannten Erzeugenden seien AB und CD. Die Punkte P und Q seien so gewählt, dass sie die Bögen AD bzw. BC halbieren. Da die Rechtecke ABCD, ABQP und CDP Q dieselbe Breite besitzen und die Strecken BQ und QC zusammen länger sind als BC (siehe die Postulate 1 und 2), sehen wir zunächst, dass die Rechtecke ABQP und CDP Q zusammen um eine Fläche F größer sind als das Rechteck ABCD. Nehmen wir die obigen Überlegungen zu den verschiedenen Dächern hinzu, haben wir bisher Folgendes gezeigt: Die Zylinderfläche ist zusammen mit den beiden Giebeln größer als die beiden Rechtecke ABQP und CDP Q zusammen mit den beiden Dreiecken ADP und BCQ, die wiederum größer sind als das Rechteck ABCD zusammen mit diesen Dreiecken. Entfernen wir jeweils die beiden Dreiecke, so haben wir die folgende Aussage: Die Zylinderfläche ist zusammen mit
⌢
⌢
94
4 Zylinder, Kegel, Kugel
den grauen Restflächen R größer als die beiden Rechtecke ABQP und CDP Q, die zusammen wiederum (um die Fläche F ) größer sind als das Rechteck ABCD.
Abbildung 4.10: Halbierung der Kreisbögen Ist R kleiner oder gleich F , so ist die Zylinderfläche auch ohne den Rest größer als das Rechteck ABCD. Andernfalls legen wir Erzeugende durch die Halbierungspunkte der Kreisbögen BQ und QC und erhalten so vier neue Rechtecke und einen neuen, aus den acht in Abbildung 4.11 weiß gelassenen Segmenten bestehenden kleineren Rest R.
⌢
⌢
Ptr rt rt
rt
Q
rt
rtD rt
rtC
rt
A rt
B
Abbildung 4.11: Weitere Unterteilung Da nach den obigen Überlegungen die Zylinderfläche zusammen mit dem Rest R größer ist als die vier neuen Rechtecke zusammen, diese größer als die Rechtecke ABQP und CDP Q zusammen und diese größer als das Rechteck ABCD, ist man fertig, wenn R kleiner oder gleich F ist. Andernfalls wiederholen wir diesen Schritt. Da nach Satz 4.3 der Rest beliebig klein gemacht werden kann, kommt man auf diese Weise stets zum Ziel. Satz 4.8 wird uns bei einbeschriebenen Zylinderapproximationen helfen, der folgende Satz bei umbeschriebenen. Der Beweis verläuft ähnlich.
95
4.2 Zylinder und Prisma
Satz 4.9 Wenn wir in den Endpunkten zweier Erzeugenden eines Zylinders Tangenten an die Leitkreise legen, so sind die beiden Rechtecke, die von den Tangenten, den Erzeugenden und der Verbindungsstrecke der Tangentenschnittpunkte gebildet werden, zusammen größer als das zwischen den beiden Erzeugenden liegende Stück des Zylindermantels.
Abbildung 4.12: Flächenvergleich Wir gehen von der links in Abbildung 4.12 gezeigten Situation aus, also von Erzeugenden AB und CD. Von diesen Erzeugenden, den Tangenten in ihren Endpunkten und der Verbindungsstrecke P Q der Tangentenschnittpunkte werden die Rechtecke P QBA und P QDC gebildet. Zu zeigen ist, dass diese beiden Rechtecke größer sind als das (kleinere) Stück des Zylindermantels, das von den Erzeugenden AB und CD begrenzt wird. Wir legen dazu in den Halbierungspunkten der zugehörigen Kreisbögen AC und BD die Tangente an den Grund- bzw. Deckkreis, schneiden diese mit den zuvor betrachteten Tangenten und erhalten so das Rechteck RST U. Nun betrachten wir rechts in Abbildung 4.12 zwei „Dächer“ über dem Rechteck ABDC, einmal das Bogendach des Zylindermantels samt zugehöriger Giebel, zum anderen das nach Postulat 4 um eine Fläche F größere Dach, das aus den Rechtecken ARSB, RST U, UT DC sowie den Trapezen BST D und ARUC als Giebeln besteht. Entfernen wir von beiden Dächern die Giebel des Bogendachs, bleibt einerseits der Zylindermantel, andererseits die (immer noch um F größere) Fläche, die sich zusammensetzt aus den drei Rechtecken und einem Rest R, der aus vier Teilflächen (die zwei oberen sind in der Abbildung schwarz hervorgehoben) gebildet wird.
⌢
⌢
96
4 Zylinder, Kegel, Kugel
Ist R nicht größer als die Fläche F , so sind wir fertig, da dann der Zylindermantel kleiner ist als die drei Rechtecke ARSB, RST U, UT DC und diese wiederum kleiner als die Rechtecke P QBA und P QDC zusammen. Ist R größer als F , verkleinern wir den Rest, indem wir weitere Tangenten an die Leitkreise legen. Die weitere Argumentation läuft dann wie im Beweis von Satz 4.8. Haben wir ein Prisma, das einem Zylinder ein- oder umbeschrieben ist, so können wir es in Teilflächen zerlegen, die den in den Sätzen 4.8 und 4.9 behandelten entsprechen. Daher folgen aus diesen Sätzen die beiden folgenden Aussagen. Satz 4.10 (i) Die Mantelfläche eines Zylinders ist größer als die Mantelfläche eines einbeschriebenen Prismas. (ii) Die Mantelfläche eines Zylinders ist kleiner als die Mantelfläche eines umbeschriebenen Prismas. Bisher haben wir die Zylinderfläche mit Prismenflächen verglichen. Nun wollen wir diese Fläche direkt angeben. Satz 4.11 Der Mantel eines Drehzylinders Z mit Leitkreisdurchmesser d und Erzeugenden der Länge s hat dieselbe Fläche wie ein Kreis k mit Radius x, wenn x2 = ds gilt. Ist MZ die Mantelfläche des Zylinders und Fk die Fläche des Kreises k, so ist also MZ = Fk zu zeigen. Wir tun dies, indem wir zeigen, dass MZ weder größer noch kleiner als Fk sein kann. Wir nehmen zunächst an, MZ wäre größer als Fk . Dann lassen sich nach Satz 4.3 ähnliche regelmäßige Vielecke dem Kreis k so um- und einbeschreiben, dass für deren Flächen Fu und Fe Fu : Fe < MZ : Fk gilt. Ein weiteres ähnliches Vieleck beschreiben wir dem Grundkreis des Zylinders um und verwenden es als Grundfläche eines dem Zylinder umbeschriebenen Prismas (siehe Abbildung 4.13). Hat dieses Vieleck den Umfang u, so besitzt es nach Satz 2.1 (i) die Fläche F = du . Ferner gilt für die Mantelfläche MP des Prismas 4 MP = us. Aus Satz 2.3 (i) folgt 2 d d2 4s Fu : F = x : = ds : = . 2 4 d 2
A.2
Wir formen um und erhalten Fu = F ·
du 4s 4s = · = us . d 4 d
97
4.2 Zylinder und Prisma rt
rt
rt
rtt r
rt rt
rt
rt rt
rt t r
rt tr
s rt
rt rt
rt
rt
rttr
k
rt rt
rt
Abbildung 4.13: MZ nicht größer als Fk Die Fläche Fu des umbeschriebenen Vielecks stimmt also mit der Mantelfläche MP des Prismas überein. Hieraus folgt MP : Fe = Fu : Fe < MZ : Fk . Wegen MP > MZ und Fe < Fk ist dies aber nicht möglich. Nun nehmen wir an, MZ wäre kleiner als Fk . Dann lassen sich dem Kreis k ähnliche regelmäßige Vielecke so um- und einbeschreiben, dass für deren Flächen Fu und Fe Fu : Fe < Fk : MZ gilt. Ein weiteres ähnliches Vieleck beschreiben wir dem Grundkreis des Zylinders ein und verwenden es als Grundfläche eines dem Zylinder einbeschriebenen Prismas (siehe Abbildung 4.14). Hat dieses Vieleck den Umfang u, so ist seine Fläche rt
rt
rt
rttr
rt
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rt rt
rt rt
s
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rt
rt
rtt r
rt
k
rt
rt
rt
Abbildung 4.14: MZ nicht kleiner als Fk F nach Satz 2.1 (ii) kleiner als du . Ferner gilt für die Mantelfläche MP des Prismas 4 MP = us. Aus Satz 2.3 (ii) folgt 2 4s d2 d Fe : F = x : = . = ds : 2 4 d 2
98
4 Zylinder, Kegel, Kugel
Wir formen um und erhalten Fe = F ·
4s du 4s < · = us . d 4 d
Die Fläche Fe des einbeschriebenen Vielecks ist also kleiner als die Mantelfläche MP des Prismas. Hieraus folgt Fu : MP < Fu : Fe < Fk : MZ . Wegen Fu > Fk und MP < MZ ist dies aber nicht möglich.
4.3 Kegel und Pyramide Einen Drehkegel (kurz: Kegel ) können wir durch einen Leitkreis k und seine Spitze, die auf der Achse des Leitkreises liegen muss, festlegen (siehe Abbildung 4.8 (b)). Wir erhalten den Drehkegel, indem wir jeden Punkt des Leitkreises mit der Spitze durch eine Strecke, die wir Erzeugende nennen, verbinden. Das zwischen der Spitze und dem Mittelpunkt des Leitkreises liegende Stück der Kreisachse nennen wir die Achse des Kegels. Ihre Länge ist die Höhe des Kegels. Zur Ebene des Leitkreises parallele Ebenen schneiden aus dem Kegel Breitenkreise aus. tr
r t
r t
rt
tr
Abbildung 4.15: Kegelstumpf und Doppelkegel Wichtig ist, dass bei Archimedes ein Kegel (wie ein Zylinder) immer endlich, also durch einen Leitkreis begrenzt ist. Die Oberfläche eines Kegels besteht aus der Grundfläche, also der Fläche des begrenzenden Leitkreises, und der Mantelfläche, die von den Erzeugenden des Kegels gebildet wird.
99
4.3 Kegel und Pyramide
Das zwischen zwei Breitenkreisen liegende Stück eines Drehkegels heißt Kegelstumpf. Die Vereinigung zweier Kegel mit gemeinsamer Grundfläche und Spitzen, die auf verschiedenen Seiten der Grundfläche liegen, nennt Archimedes Doppelkegel (siehe Abbildung 4.15). Verbinden wir alle Punkte eines Sehnenvielecks durch eine Strecke (Erzeugende) mit einem festen, auf der Achse des Vielecks liegenden Punkt S, so erhalten wir eine Pyramide mit der Spitze S und der Vielecksfläche als Grundfläche. Die Erzeugenden bilden die Mantelfläche der Pyramide. Achse und Höhe seien analog zum Kegel definiert. Wir nennen die Pyramide regelmäßig, wenn das Vieleck regelmäßig ist. rt
rt
rt
rt
rt
rt
rt rt
rt
rt
rt
rt
rt
rt
Abbildung 4.16: Drehkegel und Pyramide Der Kegel, der dieselbe Spitze und den Umkreis des Vielecks als Leitkreis besitzt, ist der Pyramide umbeschrieben. Umgekehrt ist die Pyramide dem Kegel einbeschrieben (man betrachte den linken Teil der Abbildung 4.16). Da regelmäßige Vielecke auch einen Inkreis besitzen, lässt sich einer regelmäßigen Pyramide auch ein Kegel einbeschreiben (rechts in Abbildung 4.16). Für regelmäßige Pyramiden, die einem Drehkegel umbeschrieben oder einbeschrieben sind, zeigen wir folgende Aussagen. Satz 4.12 Für einen Drehkegel mit dem Leitkreisradius r und Erzeugenden der Länge s gilt: (i) Bei jeder umbeschriebenen regelmäßigen Pyramide verhält sich die Grundzur Mantelfläche wie r : s. (ii) Bei jeder einbeschriebenen regelmäßigen Pyramide ist das Verhältnis von Grund- und Mantelfläche kleiner als r : s. Es geht um die in Abbildung 4.16 gezeigten Pyramiden. Die uns interessierenden Details sind der Abbildung 4.17 zu entnehmen. Im Teil (a) dieser Abbildung sehen wir, dass sich die Mantelfläche der umbeschriebenen Pyramide aus gleichschenkligen Dreiecken der Höhe s sowie die Grundfläche aus ebenso vielen Dreiecken der
100
4 Zylinder, Kegel, Kugel rt
(a)
rt
(b)
s
s rt
h
r x
r
s rt
r
g x
Abbildung 4.17: Pyramidenflächen Höhe r zusammensetzt und die Basen aller Dreiecke gleich lang sind. Hieraus folgt die Aussage (i). Um die Aussage (ii) zu zeigen, beweisen wir zunächst: Für positive Größen . Aus a < b und x > 0 folgt nämlich ax < bx und a, b, x mit a < b gilt ab < a+x b+x weiter a(b + x) = ab + ax < ba + bx = b(a + x) , A.3
A.12
was man umformen kann zu
a a+x < . b b+x
Nun betrachten wir Abbildung 4.17 (b). Dort sind g und h (Seitenhalbierende und damit) Höhen der gleichschenkligen Dreiecke, aus denen sich Grund- und Mantelfläche zusammensetzen. Diese Flächen verhalten sich daher wie g : h. Da g kleiner als h ist, ist auch g 2 kleiner als h2 . Nach den obigen Überlegungen gilt also g 2 + x2 r2 g2 < = h2 h2 + x2 s2 und damit g : h < r : s. (Mit trigonometrischen Mitteln geht es natürlich einfacher: g : h ist der Sinus des Winkels, den die Höhe h mit der Achse bildet. Da der Winkel, den die Kegelerzeugenden mit der Achse bilden, (wegen r > g) größer ist, ist auch sein Sinus, also r : s, größer.) Der folgende Satz ist die Kegel-Version des Satzes 4.8. Satz 4.13 Das zwischen zwei Erzeugenden eines Drehkegels liegende Stück des Kegelmantels ist größer als das Dreieck, das von den beiden Erzeugenden und der Sehne des Leitkreises, welche die Endpunkte der Erzeugenden verbindet, gebildet wird.
101
4.3 Kegel und Pyramide
Wir gehen aus von der Abbildung 4.18. Die im Satz genannten Erzeugenden seien AS und BS. Der Punkt P sei so gewählt, dass er den Bogen AB halbiert.
⌢
Abbildung 4.18: Halbierung des Kreisbogens Wir betrachten nun die gleichschenkligen Dreiecke ABS, AP S und P BS. Die Abbildung 4.17 (b) zeigt, dass die Höhen auf die Grundlinien in den Dreiecken AP S und P BS größer sind als die Höhe im Dreieck ABS (ein größeres g liefert ein größeres h). Da außerdem die Strecken AP und P B nach Postulat 1 zusammen länger sind als AB, sind die Dreiecke AP S und P BS zusammen um eine Fläche F größer als das Dreieck ABS. Nach Postulat 3 ist die Kegelfläche zusammen mit dem von AB begrenzten Kreissegment größer als die Dreiecke AP S, P BS und ABP zusammen, die wiederum größer sind als das Dreieck ABS zusammen mit dem Dreieck ABP . Nehmen wir jeweils das Dreieck ABP weg, so haben wir die folgende Aussage: Die Kegelfläche ist zusammen mit den grauen Restflächen R größer als die beiden Dreiecke AP S und P BS, die wiederum zusammen (um die Fläche F ) größer sind als das Dreieck ABS. Ist R kleiner oder gleich F , so ist die Kegelfläche auch ohne den Rest größer als das Dreieck ABS. Andernfalls legen wir Erzeugende durch die Halbierungspunkte der Kreisbögen AP und P B und erhalten so vier neue Dreiecke und einen neuen, aus vier Segmenten bestehenden, kleineren Rest. Die weitere Argumentation läuft dann wie im Beweis von Satz 4.8. Wir kommen zum Gegenstück von Satz 4.9.
⌢
⌢
Satz 4.14 Wenn wir in den Endpunkten zweier Erzeugenden eines Kegels Tangenten an den Leitkreis legen, so sind die beiden Dreiecke, die von den Tangenten, den Erzeugenden und der Verbindungsstrecke des Tangentenschnittpunkts mit der Kegelspitze gebildet werden, zusammen größer als das zwischen den beiden Erzeugenden liegende Stück des Kegelmantels.
A.12
102
4 Zylinder, Kegel, Kugel
Wir gehen aus von Erzeugenden AS und BS (siehe Abbildung 4.19). T sei der Schnittpunkt der Leitkreistangenten in den Punkten A und B. Zu zeigen ist, dass die Dreiecke AT S und BT S zusammen größer sind als das (kleinere) Stück des Kegelmantels, das von den Erzeugenden AS und BS begrenzt wird. rt S
rt
Rtr T tr
Q
B
rt
P
rt
rtA
Abbildung 4.19: Flächenvergleich
⌢
Dazu legen wir im Halbierungspunkt Q des zugehörigen Kreisbogens AB die Tangente an den Leitkreis, schneiden sie mit den Leitkreistangenten und erhalten so das Dreieck P RS. Da die Kegelerzeugenden AS, BS und QS den Leitkreis senkrecht schneiden, sind sie (gleich lange) Höhen der Dreiecke P T S, RT S und P RS. Da ferner die Strecken P T und T R zusammen größer sind als die Strecke P R, sind die Dreiecke P T S und RT S zusammen größer als das Dreieck P RS. Nehmen wir jeweils die Dreiecke AP S und BRS hinzu, so sehen wir: Die Dreiecke AT S und BT S sind zusammen größer als die Dreiecke P RS, AP S und BRS. Letztere sind nach Postulat 4 zusammen mit dem Trapez ABRP um eine Fläche F größer als die betrachtete Mantelfläche des Kegels zusammen mit dem zugehörigen, durch AB begrenzten Segment des Leitkreises. Nehmen wir dieses Segment weg, bleibt einerseits der Kegelmantel, andererseits die (immer noch um F größere) Fläche, die sich zusammensetzt aus den drei Dreiecken und einem Rest R, der aus zwei Teilflächen gebildet wird, wie sie bereits im Beweis von Satz 4.9 (man vergleiche die Abbildung 4.19 mit dem rechten Teil der Abbildung 4.12) aufgetreten sind. Der Beweis kann daher wie dort weitergeführt werden. Haben wir eine Pyramide, die einem Kegel ein- oder umbeschrieben ist, so können wir sie in Teilflächen zerlegen, die den in den Sätzen 4.13 und 4.14 behandelten entsprechen. Daher folgen aus diesen Sätzen die beiden folgenden Aussagen. Satz 4.15 (i) Die Mantelfläche eines Kegels ist größer als die Mantelfläche einer einbeschriebenen Pyramide.
103
4.3 Kegel und Pyramide
(ii) Die Mantelfläche eines Kegels ist kleiner als die Mantelfläche einer umbeschriebenen Pyramide. Bisher haben wir die Kegelfläche mit Pyramidenflächen verglichen. Nun wollen wir diese Fläche direkt angeben. Satz 4.16 Der Mantel eines Drehkegels K mit Leitkreisradius r und Erzeugenden der Länge s hat dieselbe Fläche wie ein Kreis k mit Radius x, wenn x2 = rs gilt. Es bezeichne MK die Fläche des Kegelmantels und Fk die Fläche des Kreises k. Wir zeigen, dass MK weder größer noch kleiner als Fk sein kann. Wenn uns dies gelingt, haben wir bewiesen, dass die beiden Flächen gleich groß sind. Wäre MK größer als Fk , so gäbe es nach Satz 4.3 ein dem Kreis k umbeschriebenes regelmäßiges Vieleck (Fläche Fu ) und ein dazu ähnliches einbeschriebenes Vieleck (Fläche Fe ) mit (⋆)
Fu : Fe < MK : Fk .
Ist auch dem Leitkreis des Kegels ein dazu ähnliches Vieleck umbeschrieben, können wir dieses Vieleck als Grundfläche einer Pyramide nehmen, die dem Kegel umbeschrieben ist. Nach Satz 4.12 (i) verhält sich die Grundfläche zur Mantelfläche MP der Pyramide wie r : s. Andererseits verhält sich nach Satz 2.3 (i) die Grundfläche zur Fläche Fu wie r 2 : x2 = r 2 : rs = r : s . Somit gilt MP = Fu , weshalb aus (⋆) MP : Fe < MK : Fk folgt. Da Fe kleiner ist als Fk und außerdem nach Satz 4.15 (ii) MP größer als MK , ist dies nicht möglich. Nun nehmen wir an, MK wäre kleiner als Fk . Dann finden wir dem Kreis k umund einbeschriebene Vielecke mit Fu : Fe < Fk : MK . Dem Leitkreis des Kegels beschreiben wir nun ein dazu ähnliches ein und errichten darüber die dem Kegel einbeschriebene Pyramide. Dann verhält sich nach Satz 2.3 (ii) die Grundfläche der Pyramide zur Fläche Fe wie r 2 : x2 = r 2 : rs = r : s . Andererseits ist das Verhältnis der Grundfläche zur Mantelfläche MP dieser Pyramide nach Satz 4.12 (ii) kleiner als r : s. Also ist MP größer als Fe , was Fu : MP < Fu : Fe
104
4 Zylinder, Kegel, Kugel
und weiter Fu : MP < Fk : MK zeigt. Da Fu größer als Fk ist und nach Satz 4.15 (i) MP kleiner als MK , ist dies nicht möglich. Damit ist der Satz bewiesen. Wir ziehen aus diesem Satz eine wichtige Folgerung. Satz 4.17 Die Mantelfläche eines Drehkegels K mit Leitkreisradius r und Erzeugenden der Länge s verhält sich zur Grundfläche wie s : r. Dies folgt aus Satz 4.16, da sich die Fläche des dort genannten Kreises zur Grundfläche des Kegels wie x2 : r 2 = rs : r 2 = s : r verhält. Die noch fehlende Aussage über die Oberfläche eines Kegelstumpfes liefert der nächste Satz. rtS
e r
E
s R Abbildung 4.20: Mantelfläche eines Kegelstumpfs Satz 4.18 Ein Kegelstumpf, der von Breitenkreisen mit den Radien r und R begrenzt wird und dessen Erzeugenden die Länge s haben, hat die gleiche Mantelfläche wie ein Kreis mit dem Radius z, wenn z 2 = (R + r) · s gilt.
A.2
Durch die Randkreise des Kegelstumpfs sind die beiden Kegel festgelegt, als deren Rest sich der Kegelstumpf ergibt (siehe Abbildung 4.20). Für deren Erzeugendenlängen E und e gilt E − e = s sowie nach dem 2. Strahlensatz e : E = r : R oder Re = rE. Nach Satz 4.16 haben die Mäntel der Kegel dieselben Flächen wie Kreise mit Radien x und X, wobei x2 = re und X 2 = RE gilt. Nach Satz 4.4 muss daher für z z 2 = X 2 − x2 = RE − re = RE − re − Re + rE = R(E − e) + r(E − e) = (R + r)(E − e) = (R + r) · s gelten. Genau dies wird im Satz behauptet.
105
4.4 Volumina
4.4 Volumina Bisher ging es um Oberflächen, nun wenden wir uns den Volumina der betrachteten Körper zu. Hier kann Archimedes auf eine Reihe von Ergebnissen zurückgreifen, die frühere Mathematiker bewiesen haben. Teilweise listet er diese Resultate in seinem Buch als Hilfssätze auf, teilweise geht er im Vorwort des Buches darauf ein. Wir fassen diese Aussagen im folgenden Hilfssatz zusammen. Wie Archimedes verzichten wir dabei auf Beweise. Die meisten Aussagen beweist Euklid im zwölften Buch seiner Elemente (siehe [14]). Hilfssatz 4.19 (i) Die Volumina von Kegeln gleicher Höhe verhalten sich wie ihre Grundflächen. Die Volumina von Kegeln gleicher Grundfläche verhalten sich wie ihre Höhen. (ii) Die Volumina von Zylindern gleicher Höhe verhalten sich wie ihre Grundflächen. Die Volumina von Zylindern gleicher Grundfläche verhalten sich wie ihre Höhen. (iii) Die Volumina von Zylindern verhalten sich wie die Volumina von Kegeln, welche die gleichen Grundflächen und die gleichen Höhen wie die Zylinder haben. (iv) Kegel haben genau dann gleiche Volumina, wenn die Grundflächen umgekehrt proportional sind zu den Höhen. (v) Sind bei Kegeln oder bei Zylindern die Durchmesser der Grundflächen proportional zu den Höhen, so sind ihre Volumina proportional den dritten Potenzen der Durchmesser. (vi) Hat ein Prisma die gleiche Grundfläche und die gleiche Höhe wie eine Pyramide, so besitzt es das dreifache Volumen der Pyramide. (vii) Hat ein Zylinder die gleiche Grundfläche und die gleiche Höhe wie ein Kegel, so besitzt er das dreifache Volumen des Kegels. Wir wenden diese Ergebnisse in den folgenden Sätzen an. Satz 4.20 Ist die Mantelfläche eines Kegels K1 so groß wie die Grundfläche eines Kegels K2 und stimmt die Länge l des in K1 vom Mittelpunkt der Grundfläche auf eine Erzeugende gefällten Lotes mit der Höhe des Kegels K2 überein, so haben die beiden Kegel dasselbe Volumen. K1
rtS
s l A
rt
K2
h rt
M
r
l rt
B
Abbildung 4.21: Volumengleiche Kegel
106
A.10
4 Zylinder, Kegel, Kugel
Der Kegel K1 habe den Leitkreisradius r und Erzeugende der Länge s (siehe Abbildung 4.21). Da das graue Dreieck und das Dreieck AMS im Winkel bei S sowie im rechten Winkel übereinstimmen, sind sie ähnlich. Daher stimmen die Verhältnisse der Hypotenuse zur (im Bild) längeren Kathete in beiden Dreiecken überein. Für das Verhältnis der Höhen h und l der beiden Kegel gilt also h : l = s : r. Die Grundflächen von K1 und K2 verhalten sich nach Satz 4.4 und Satz 4.16 wie r 2 : rs = r : s . Sie sind also umgekehrt proportional zu den Höhen. Nach Hilfssatz 4.19 (iv) haben daher die beiden Kegel dasselbe Volumen. Satz 4.21 Das Volumen eines aus zwei Kegeln D1 , D2 zusammengesetzten Doppelkegels D stimmt mit dem Volumen eines Kegels K überein, dessen Grundfläche so groß ist wie die Mantelfläche von D1 und dessen Höhe dieselbe Länge l besitzt wie das Lot, das von der Spitze von D2 auf die Gerade durch eine Erzeugende von D1 gefällt wird. rtS1
D
K
h1 A tr
M
L
s rt
r
rtB
h2
l l rt S2
h1 + h2 r
Abbildung 4.22: Doppelkegel und volumengleiche Kegel
A.10
Es seien h1 und h2 die Höhen der Kegel D1 bzw. D2 sowie r deren Leitkreisradius (siehe Abbildung 4.22). Bevor wir uns dem Kegel K zuwenden, betrachten wir einen Kegel L mit dem Leitkreisradius r und der Höhe h1 + h2 . Nach Hilfssatz 4.19 (i) verhalten sich die Volumina der Kegel D1 und D2 wie h1 : h2 . Also verhalten sich die Volumina von D und D2 wie (h1 + h2 ) : h2 . Ebenso verhalten sich die Volumina von L und D2 . Also stimmt das Volumen des Doppelkegels D mit dem Volumen des Kegels L überein. Da in Abbildung 4.22 das graue Dreieck und das Dreieck BMS1 ähnliche rechtwinklige Dreiecke sind (man beachte den gemeinsamen Winkel bei S1 ), gilt für die Verhältnisse ihrer Hypotenuse zur (im Bild) längeren Kathete (h1 + h2 ) : l = s : r.
107
4.4 Volumina
Letzteres stimmt nach Satz 4.17 mit dem Verhältnis der Mantelfläche von D1 zur Grundfläche von D1 überein, also auch mit dem Verhältnis der Grundfläche von K zur Grundfläche von D1 oder L (die ja ebenso groß ist). Somit verhält sich die Grundfläche von K zur Grundfläche von L umgekehrt proportional zu den Höhen dieser Kegel. Damit haben die Kegel K und L nach Hilfssatz 4.19 (iv) dasselbe Volumen. Da bereits gezeigt wurde, dass L und D volumengleich sind, ist damit der Satz bewiesen. D rt
D1
S1
K
L
M
l
l
l
b a G l
D2 rt S2
Abbildung 4.23: Zwei Doppelkegel Eine ähnliche, allerdings komplizierter zu formulierende Aussage macht der folgende Satz (siehe Abbildung 4.23). Satz 4.22 Wir gehen aus von einem aus zwei Kegeln D1 , D2 mit den Spitzen S1 , S2 und dem gemeinsamen Leitkreis a gebildeten Doppelkegel D sowie einem von a verschiedenen Breitenkreis b des Kegels D1 . Der Breitenkreis b zerlegt den Kegel D1 in einen Kegelstumpf Z und einen Kegel G1 , den wir durch einen zweiten Kegel mit der Spitze S2 zu einem (in Abbildung 4.23 dunkelgrau gekennzeichneten) Doppelkegel G ergänzen. Dann gilt: Die Differenz der Volumina von D und G (also das Volumen des hellgrauen Restkörpers) ist gleich dem Volumen eines Kegels K, dessen Grundfläche so groß ist wie die Mantelfläche des Kegelstumpfs Z und dessen Höhe dieselbe Länge l besitzt wie das Lot, das von S2 auf die Gerade durch eine Erzeugende von D1 gefällt wird. Wir zeigen, dass das Volumen des Doppelkegels D so groß ist wie die Volumina des Doppelkegels G und des Kegels K zusammen. Dazu betrachten wir neben K zwei weitere Kegel mit der Höhe l, nämlich den Kegel L, dessen Grundfläche mit der Mantelfläche des Kegels D1 übereinstimmt, und den Kegel M, dessen Grundfläche so groß ist wie die Mantelfläche des Kegels G1 . Dann ist die Grundfläche von L so groß wie die Grundflächen von M und K zusammen. Da alle Kegel die gleiche
108
4 Zylinder, Kegel, Kugel
Höhe haben, ist daher nach Hilfssatz 4.19 (i) auch das Volumen des Kegels L so groß wie die Volumina von M und K zusammen. Da nach Satz 4.21 das Volumen des Kegels L so groß ist wie das Volumen des Doppelkegels D und das Volumen des Kegels M so groß wie das Volumen des grauen Doppelkegels G, ist damit der Satz bewiesen.
4.5 Kugelapproximationen Wir haben die in den letzten Abschnitten über Zylinder und Kegel gewonnenen Ergebnisse mit entsprechenden Aussagen über die Kugel zu verknüpfen. Die dazu nötigen Kugelapproximationen stellen wir in diesem Abschnitt vor. Zuvor beweisen wir zwei Sätze, die eine wichtige Rolle bei der Herleitung der zentralen Ergebnisse des Werks Über Kugel und Zylinder spielen. Was diese Sätze mit Kugelapproximationen zu tun haben, wird sich bald zeigen. Archimedes gibt für diese Sätze sehr elementare und elegante Beweise an. P1 tr
rtP2N r t Z r N −1 t
rtP2N −1
YN −2
P2 tr
rtP2N −2
r t
ZN −2
· · · tr
rt · · ·
Z3 tr
PN −3 tr
trPN +3
rtY2
PN −2
Z2 tr
r t
PN −1
r t
rtY1 Z1 tr r t
tr
PN +2
tr
PN +1
PN
Abbildung 4.24: Regelmäßiges 2N-Eck Satz 4.23 Gegeben sei ein regelmäßiges 2N-Eck zusammen mit seinem Umkreis. Dann verhält sich die Summe S der Längen aller Diagonalen, die zu einer (festen) zwei Seiten überspannenden Diagonale parallel sind, zur Länge d des Umkreisdurchmessers wie die Diagonale, die N − 1 Seiten überspannt, zur Seite des 2N-Ecks.
109
4.5 Kugelapproximationen
Machen wir uns die Aussage des Satzes anhand der Abbildung 4.24 klar. Dort sind die Ecken des 2N-Ecks mit P1 , . . . , P2N bezeichnet. PN −1 PN +1 ist eine Diagonale, die zwei Seiten (nämlich die Seiten PN −1 PN und PN PN +1 ) überspannt. Entsprechend ist PN −1 P2N eine, die N − 1 Seiten überspannt. Die Strecke PN P2N ist ein Durchmesser des Umkreises. Die zu PN −1 PN +1 parallelen Diagonalen sind PN −1 PN +1 selbst, PN −2 PN +2 , . . . , P2 P2N −2 und P1 P2N −1 , also für i = 1, . . . , N − 1 die Diagonalen PN −i PN +i . Mit diesen Bezeichnungen wird also behauptet: d(PN −1 , PN +1 ) + d(PN −2 , PN +2 ) + . . . + d(P1 , P2N −1 ) d(P2N , PN −1 ) S = = . d d(PN , P2N ) d(PN , PN −1 ) Betrachten wir weiter die Abbildung 4.24. Wesentlich für unseren Beweis sind für i = 1, . . . , N − 1 die Schnittpunkte Zi des Durchmessers PN P2N mit den Diagonalen PN −i PN +i sowie für i = 1, . . . , N − 2 die Schnittpunkte Yi dieses Durchmessers mit den Strecken PN −i−1 PN +i . Da die Mittelsenkrechte der Seite PN −1 PN Symmetrieachse des 2N-Ecks ist, sind die Geraden PN −i−1 PN +i zur Geraden PN −1 PN parallel. Dies erlaubt uns, mehrfach mit den Strahlensätzen zu argumentieren, wobei wir der Reihe nach die Punkte Zi und Yi als Zentrum verwenden. Wir erhalten damit (das Zentrum ist jeweils über dem Gleichheitszeichen vermerkt) d(PN −1 , Z1 ) d(PN , Z1)
Z1 = Z2 =
(⋆)
=
d(Z1 , PN +1 ) d(Z1 , Y1) d(Z2 , PN +2 ) d(Z2 , Y2) ···
Y1 = Y2 = =
A.5
d(PN −2 , Z2 ) d(Y1, Z2 ) d(PN −3 , Z3 ) d(Y2, Z3 ) ···
ZN −2 d(ZN −2 , P2N −2 ) YN −2 d(P1 , ZN −1 ) ZN −1 d(ZN −1 , P2N −1 ) . = = = d(ZN −2 , YN −2) d(YN −2, ZN −1 ) d(ZN −1 , P2N ) Wir sehen, dass sich die Nenner zur Länge d des Umkreisdurchmessers PN P2N summieren. Die Zähler ergeben d(PN −1 , Z1 ) + d(Z1 , PN +1 ) + d(PN −2 , Z2 ) + d(Z2 , PN +2 ) | | {z } {z } d(PN −1 , PN +1 ) d(PN −2 , PN +2 )
+ . . . + d(P1 , ZN −1 ) + d(ZN −1 , P2N −1 ) = S . | {z } d(P1 , P2N −1 )
Damit haben wir gezeigt:
d(PN −1 , Z1 ) S = . d(PN , Z1 ) d
A.18
110
A.13 A.10
4 Zylinder, Kegel, Kugel
Das noch fehlende Argument liefern die Dreiecke PN −1 PN Z1 und P2N PN PN −1 . Sie sind rechtwinklig (für PN −1 PN Z1 ist dies klar; bei P2N PN PN −1 beachte man, dass der Umkreis des 2N-Ecks Thaleskreis dieses Dreiecks ist). Da sie außerdem im Winkel bei PN übereinstimmen, sind sie ähnlich. Somit gilt d(P2N , PN −1 ) d(PN −1 , Z1 ) = , d(PN , Z1 ) d(PN , PN −1 ) womit der Satz bewiesen ist. Satz 4.24 Gegeben seien ein Segment eines Kreises k und darin ein Vieleck ungerader Eckenzahl mit dem Umkreis k, bei dem eine Seite mit der Sehne des Segments zusammenfällt und die übrigen gleich lang sind, sowie ein dem Kreis k einbeschriebenes rechtwinkliges Dreieck, bei dem eine Kathete gleichzeitig Seite des Vielecks ist. Dann verhält sich die Summe T der halben Sehnenlänge und der Längen aller Diagonalen, die zur Sehne parallel sind, zur Höhe h des Segments wie die zweite Kathete des Dreiecks zur Seite des Vielecks. k P1 tr
rtQ
ZN −1 r t
r t YN −2
· · · tr
PN −3 tr
PN −2
r t
PN −1
r t
Y2 tr Z2 tr Y1 tr r t Z1 r t
trP2N −1
rtP2N −2
tr · · ·
h
tr
PN +2
tr
PN +1
PN
Abbildung 4.25: Segment und Vieleck Allein schon die Länge lässt Satz 4.24 deutlich komplizierter erscheinen als Satz 4.23. Umso einfacher ist der Beweis. In Abbildung 4.25 ist im Kreis k das Segment mit der Sehne P1 P2N −1 und der Höhe h hellgrau hervorgehoben. Die Ecken des im Satz genannten Vielecks
111
4.5 Kugelapproximationen
sind mit P1 , . . . , P2N −1 bezeichnet (dies ist möglich, da wir eine ungerade Anzahl haben). Ein Dreieck, das die im Satz genannten Bedingungen erfüllt, insbesondere k als Thaleskreis besitzt, ist in Abbildung 4.25 dunkelgrau markiert. Wenn wir nun wie im Beweis von Satz 4.23 Punkte Zi und Yi einführen, ist damit T d(PN −1 , Q) = h d(PN −1 , PN ) oder – da die rechtwinkligen Dreiecke PN −1 PN Z1 und QPN PN −1 ähnlich sind – d(PN −1 , Z1 ) T = h d(PN , Z1 ) zu zeigen. Dies folgt wie im Beweis von Satz 4.23, wenn man die Gleichungskette (⋆) auf S. 109 vor dem letzten Bruch beendet. rA t tr
r t
tr
tr
r t
C tr
tr
rtD
tr
tr
r t
tr
r t
r t
tr
rt
B
Abbildung 4.26: Die einbeschriebene Approximation Eine Kugel oder Sphäre ist durch Angabe ihres Mittelpunkts M und ihres Radius r festgelegt als Ort aller Punkte, die von M den Abstand r haben. Archimedes approximiert die Kugel durch Kegel und Kegelstümpfe. Dazu betrachtet er einen Großkreis der Kugel, also einen Kugelkreis, der denselben Radius und damit auch denselben Mittelpunkt wie die Kugel besitzt. In diesen Kreis beschreiben wir ein 4N-Eck ein. Nun zeichnen wir zwei zueinander senkrechte Diagonalen AB und CD ein, die gleichzeitig Kreisdurchmesser
112
4 Zylinder, Kegel, Kugel
sind (siehe Abbildung 4.26). Um eine bessere Vorstellung zu bekommen, kann man sich die Gerade AB als Erdachse und den Großkreis als Längenkreis der Erdkugel denken. Nun drehen wir diesen Längenkreis samt Vieleck um die Achse AB. Die von A und B verschiedenen Ecken beschreiben Breitenkreise, welche die zu AB senkrechten Diagonalen des 4N-Ecks als Durchmesser besitzen. Die Fläche, die das Polygon bei der Drehung überstreicht, setzt sich aus zwei Kegeln (mit der Spitze A bzw. B) sowie aus Kegelstümpfen zusammen. Wir sehen dies besser in der Abbildung 4.27. Wir nennen die einbeschriebene Figur eine einbeschriebene 4NApproximation der Kugel.
Abbildung 4.27: Die grundlegende Figur Nun schneiden wir die Kugel längs des Äquators durch und erhalten zwei Teilapproximationen, die die Voraussetzungen des Postulats 4 erfüllen (die ebene Randkurve ist jeweils der Äquatorkreis). Also gilt: Satz 4.25 Die Oberfläche einer einbeschriebenen 4N-Approximation ist kleiner als die Kugeloberfläche. Genauere Angaben darüber machen die folgenden Sätze. Satz 4.26 Eine einbeschriebene 4N-Approximation einer Kugel hat die gleiche Fläche wie ein Kreis, dessen Radius x die Gleichung x2 = aS erfüllt, wobei a die Seitenlänge des einbeschriebenen 4N-Ecks ist und S die Summe der Längen aller
113
4.5 Kugelapproximationen
Diagonalen, die zu einer (festen) zwei Seiten überspannenden Diagonale parallel sind. Die Abbildung 4.28 listet links die Quadrate der Radien jener Kreise auf, die zu den Mantelflächen der Kegel und Kegelstümpfe, aus denen sich die Approximation zusammensetzt, flächengleich sind (siehe Satz 4.16 und Satz 4.18). Diese summieren sich zum Produkt aus der Seitenlänge a und der Summe S der Längen aller Diagonalen, die zu einer (festen) zwei Seiten überspannenden Diagonale parallel sind (in der Abbildung sind dies die horizontalen Diagonalen). 1 d(P1 , P4N −1 ) 2 1 2
P4N
·a
P1 tr
r t
rtP4N −1
r t
d(P1 , P4N −1 ) +d(P2, P4N −2 ) · a
P2 tr
...
trP4N −2
tr
a
l
tr
tr . . .
r t
... r t
1 2
+d(P2N −1 , P2N +1 ) · a 1 d(P2N −1 , P2N +1 ) 2
·a
r t
P2N −2
d(P2N −2 , P2N +2 )
r t
P2N +2
l r t
P2N −1
r t rt
r t
P2N +1
P2N
Abbildung 4.28: Zur Oberfläche einer einbeschriebenen Approximation Anschaulicher ist die folgende Aussage: Satz 4.27 Die Oberfläche einer einbeschriebenen 4N-Approximation einer Kugel ist kleiner als die vierfache Fläche eines Großkreises der Kugel. Nach Satz 4.26 hat die Approximation die gleiche Fläche wie ein Kreis, dessen Radius x die Gleichung x2 = aS erfüllt, wobei a die Seitenlänge des einbeschriebenen 4N-Ecks ist und S die Summe der Längen aller Diagonalen, die zu einer (festen) zwei Seiten überspannenden Diagonale parallel sind. Nach Satz 4.23 verhält sich S zur Länge d des Kugeldurchmessers wie die Länge e einer Diagonale, die N − 1 Seiten überspannt, zu a. Es gilt also S : d = e : a oder S =
de a
114
4 Zylinder, Kegel, Kugel
und damit x2 = aS = de < d2 = (2r)2 = 4r 2 , wenn r der Kugelradius ist. Wir kommen nun zu zwei Aussagen über das Volumen einer einbeschriebenen 4N-Approximation. Satz 4.28 Das Volumen einer einbeschriebenen 4N-Approximation einer Kugel stimmt mit dem Volumen des Kegels überein, dessen Grundfläche gleich der Oberfläche der Approximation ist und dessen Höhe dieselbe Länge l hat wie ein vom Kugelmittelpunkt auf eine Seite der Approximation gefälltes Lot. In Abbildung 4.28 sind zwei solche vom Kugelmittelpunkt auf eine Seite der Approximation gefällte Lote grau eingezeichnet. P4N
P1 tr P2 tr
. . . tr
r t
r t r t
trP4N −1
r t
rtP4N −2
r t
rt . . .
r t
P2N −2
r t
P2N −1
r t rt
tr
P2N +2
tr
P2N +1
P2N
Abbildung 4.29: Zum Volumen einer einbeschriebenen Approximation Wir betrachten die Abbildung 4.29. Nach Satz 4.21 ist der durch Drehung des dunkelgrauen Vierecks entstehende Doppelkegel volumengleich zu einem Kegel mit der Höhe l und einer Grundfläche, die mit der Mantelfläche des obersten Teilkegels der Approximation übereinstimmt. Der durch Drehung der hellgrauen Figur entstehende Körper stimmt überein mit dem in Satz 4.22 behandelten Restkörper. Er ist daher volumengleich zu einem Kegel der Höhe l und einer Grundfläche, die mit der Mantelfläche des obersten Kegelstumpfs der Approximation übereinstimmt. Schreiten wir weiter, erhalten wir weitere Restflächen, die volumengleich sind mit
115
4.5 Kugelapproximationen
Kegeln der Höhe l und Grundflächen, die mit der Mantelfläche eines Kegelstumpfs der Approximation übereinstimmen. Haben wir auf diese Weise die obere Hälfte der Approximation ausgefüllt, verfahren wir ebenso mit der unteren. Insgesamt sieht man: Die Approximation besitzt dasselbe Volumen wie Kegel der Höhe l, deren Grundflächen zusammen so groß sind wie die Oberfläche der Approximation. Nach Hilfssatz 4.19 (i) besitzt sie damit auch dasselbe Volumen wie ein Kegel der Höhe l, dessen Grundfläche so groß ist wie die Oberfläche der Approximation. Satz 4.29 Das Volumen einer einbeschriebenen 4N-Approximation einer Kugel ist kleiner als das vierfache Volumen eines Kegels, dessen Leitkreis so groß ist wie ein Großkreis der Kugel und dessen Höhe mit dem Kugelradius übereinstimmt. Wir wissen aus Satz 4.27, dass die Oberfläche der Approximation kleiner ist als die vierfache Fläche eines Großkreises. Da außerdem ein vom Kugelmittelpunkt auf eine Seite der Approximation gefälltes Lot kleiner ist als der Kugelradius, folgt die Aussage aus Satz 4.28. rtA tr
r t
tr
tr
r t
tr
u k C tr
rD t
tr
tr
r t
tr
r t
r t
tr
rt
B
Abbildung 4.30: Die umbeschriebene Approximation Bisher haben wir einbeschriebene Kugelapproximationen betrachtet, nun geht es um umbeschriebene. Eine umbeschriebene Kugelapproximation erhalten wir, wenn wir einem Kreis k ein regelmäßiges 4N-Eck umbeschreiben (siehe Abbildung 4.30). Da dieses 4N-Eck auch einen Umkreis u besitzt, können wir – wie auf S. 112
116
4 Zylinder, Kegel, Kugel
beschrieben – den Kreis u um einen Durchmesser (etwa um AB) drehen und so eine einbeschriebene 4N-Approximation der Kugel mit dem Großkreis u erzeugen. Diese ist gleichzeitig eine umbeschriebene 4N-Approximation der Kugel mit dem Großkreis k. Für eine solche Approximation gilt: Satz 4.30 Die Oberfläche einer umbeschriebenen 4N-Approximation ist größer als die Kugeloberfläche. Dies folgt wie die entsprechende Aussage in Satz 4.25 über einbeschriebene Approximationen aus Postulat 4. Um eine gemeinsame Grenzkurve von Kugel und Approximation zu erhalten, dürfen wir jetzt allerdings die Kugel nicht längs der Äquatorebene aufschneiden, sondern müssen die Ebene eines Berührkreises zwischen Approximation und Kugel wählen (in Abbildung 4.30 etwa die grau angedeutete Ebene). Betrachten wir wie oben die umbeschriebene Approximation als einbeschriebene einer größeren Kugel, so folgt der nächste Satz unmittelbar aus Satz 4.26. Satz 4.31 Eine umbeschriebene 4N-Approximation einer Kugel hat die gleiche Fläche wie ein Kreis, dessen Radius x die Gleichung x2 = aS erfüllt, wobei a die Seitenlänge des umbeschriebenen 4N-Ecks ist und S die Summe der Längen aller Diagonalen, die zu einer (festen) zwei Seiten überspannenden Diagonale parallel sind. Der folgende Satz ist das Gegenstück zu Satz 4.27. Satz 4.32 Die Oberfläche einer umbeschriebenen 4N-Approximation einer Kugel ist größer als die vierfache Fläche eines Großkreises der Kugel.
A.2
A.5
Nach Satz 4.31 hat die Approximation die gleiche Fläche wie ein Kreis, dessen Radius x die Gleichung x2 = aS erfüllt, wobei a die Seitenlänge des umbeschriebenen 4N-Ecks ist und S die Summe der Längen aller Diagonalen, die zu einer (festen) zwei Seiten überspannenden Diagonale parallel sind. Nach Satz 4.23 verhält sich S zur Länge d des Kugeldurchmessers der umbeschriebenen Kugel wie die Länge e einer Diagonale, die N − 1 Seiten überspannt, zu a (siehe Abbildung 4.31). Es gilt also de S = a 2 und damit x = aS = de. Wegen d > e folgt hieraus x > e. Der 2. Strahlensatz zeigt (man betrachte in Abbildung 4.31 die grau unterlegte Figur), dass e doppelt so groß ist wie der Radius r der einbeschriebenen Kugel. Also gilt x > 2r oder x2 > 4r 2 . Mit Satz 4.4 ist damit der Satz bewiesen. Wir kommen zum Gegenstück von Satz 4.28.
117
4.5 Kugelapproximationen tr
rt
r t
e
r t tr r t r
tr
tr
a
rt d
tr
tr
tr
M r t r t
r t
r t
tr
rt
Abbildung 4.31: Zur Oberfläche einer umbeschriebenen Approximation Satz 4.33 Das Volumen einer umbeschriebenen 4N-Approximation einer Kugel stimmt mit dem Volumen des Kegels überein, dessen Grundfläche gleich der Oberfläche der Approximation ist und dessen Höhe dieselbe Länge r hat wie der Kugelradius. Betrachtet man neben der einbeschriebenen Kugel auch die umbeschriebene, so sieht man mit Satz 4.28, dass eigentlich nichts zu zeigen ist. Das dort erwähnte Lot ist nämlich nichts anderes als der Radius der einbeschriebenen Kugel (man vergleiche die Abbildungen 4.28 und 4.31). Wir ziehen eine einfache Folgerung aus diesem Satz. Da nach Satz 4.32 die Oberfläche einer umbeschriebenen 4N-Approximation größer ist als die vierfache Fläche eines Großkreises der Kugel, gilt: Satz 4.34 Das Volumen einer umbeschriebenen 4N-Approximation einer Kugel ist mehr als viermal so groß wie das Volumen des Kegels, dessen Leitkreis so groß ist wie ein Großkreis der Kugel und dessen Höhe dieselbe Länge r hat wie der Kugelradius. Abschließend vergleichen wir ein- und umbeschriebene Approximationen. Satz 4.35 (i) Die Oberflächen um- und einbeschriebener 4N-Approximationen einer Kugel verhalten sich wie die Quadrate der Seitenlänge der 4N-Ecke. (ii) Die Volumina um- und einbeschriebener 4N-Approximationen einer Kugel verhalten sich wie die dritten Potenzen der Seitenlänge der 4N-Ecke.
118
4 Zylinder, Kegel, Kugel
Wir gehen aus von einer einbeschriebenen 4N-Approximation der Kugel, genauer von einem regelmäßigen 4N-Eck (Seitenlänge e), das einem Großkreis der Kugel einbeschrieben ist. AB und CD seien senkrechte Diagonalen des Vielecks, die zugleich Kreisdurchmesser sind (siehe Abbildung 4.32). Ein dem Großkreis umbeschriebenes regelmäßiges 4N-Eck (Seitenlänge u) liefert dann die umbeschriebene Approximation. Seine Lage sei so gewählt, dass zwei seiner Diagonalen P Q und RS auf den Geraden AB und CD liegen. rP t rt
A rt
u
rt
rt
rt
e rM t
R tr tr C
rt
rt
D tr trS
rt
rt
B rt r t
Q
Abbildung 4.32: Ein- und umbeschriebene Approximation Zunächst ist zu zeigen, dass sich die Oberflächen der Approximationen verhalten wie u2 : e2 . Nach Satz 4.31 ist die umbeschriebene Approximation flächengleich einem Kreis K, dessen Radius k die Gleichung k 2 = uU erfüllt, wenn U die Summe der Längen aller Diagonalen ist, die zu einer (festen) zwei Seiten überspannenden Diagonale des umbeschriebenen Vielecks parallel sind. Entsprechend ist nach Satz 4.26 die einbeschriebene Approximation flächengleich einem Kreis L, dessen Radius l die Gleichung l2 = eE erfüllt, wenn E die Summe der Längen aller Diagonalen ist, die zu einer (festen) zwei Seiten überspannenden Diagonale des einbeschriebenen Vielecks parallel sind. Da die Vielecke ähnlich sind, verhalten sich die Diagonalen wie die Seiten. Daher gilt U : E = u : e und damit k 2 : l2 = uU : eE = u2 : e2 . Mit Satz 4.4 ist damit die Aussage (i) bewiesen.
4.6 Die zentralen Ergebnisse
119
Zum Beweis der Aussage (ii) betrachten wir zwei Kegel F und G. Der Kegel F habe den Kreis K als Grundfläche und den Kugelradius als Höhe. Nach Satz 4.33 ist dieser Kegel volumengleich zur umbeschriebenen Approximation. Der Kegel G habe den Kreis L als Grundfläche und die Länge des vom Kugelmittelpunkt auf eine Seite der einbeschriebenen Approximation gefällten Lotes als Höhe. Nach Satz 4.28 ist dieser Kegel volumengleich zur einbeschriebenen Approximation. Nach dem 2. Strahlensatz verhält sich der Kugelradius zu diesem Lot wie u : e (man betrachte die grau unterlegte Figur in Abbildung 4.32). Da sich die Radien der Leitkreise nach den obigen Überlegungen ebenso verhalten, folgt die Aussage (ii) aus dem Hilfssatz 4.19 (v).
4.6 Die zentralen Ergebnisse Die im letzten Abschnitt bewiesenen Sätze über die Oberflächen und Volumina von Kugelapproximationen interessieren uns natürlich weit weniger als entsprechende Aussagen über die Kugel selbst. Sie sind jedoch für Archimedes der Schlüssel zum Beweis solcher Aussagen. Satz 4.36 Die Oberfläche einer Kugel ist viermal so groß wie die Fläche eines Großkreises der Kugel. Wir betrachten einen Kreis L, dessen Fläche F viermal so groß ist wie die Fläche eines Großkreises der Kugel. Wir nehmen zunächst an, die Kugeloberfläche O wäre größer als F . Dann betrachten wir für die positive Zahl x, die der Gleichung x2 = O · F genügt, ein einem Großkreis umbeschriebenes 4N-Eck (Seitenlänge u) und ein dazu ähnliches einbeschriebenes (Seitenlänge e) mit u:e < O:x (nach Satz 4.3 ist dies möglich). Nach Satz 4.35 (i) gilt dann für die Oberflächen Ou und Oe der zugehörigen um- bzw. einbeschriebenen Approximationen der Kugel Ou : Oe = u2 : e2 < O 2 : x2 = O 2 : (O·F ) = O : F . Wegen Ou > O (siehe Satz 4.30) und Oe < F (siehe Satz 4.27) ist dies aber nicht möglich. Nun nehmen wir an, die Kugeloberfläche O wäre kleiner als die Kreisfläche F . In diesem Fall wählen wir die Zahl x wie oben sowie Approximationen mit u : e < F : x. Dann erhalten wir Ou : Oe = u2 : e2 < F 2 : x2 = F 2 : (O·F ) = F : O .
A.5
120
4 Zylinder, Kegel, Kugel
Wegen Ou > F (siehe Satz 4.32) und Oe < O (siehe Satz 4.25) ist dies aber nicht möglich. Insgesamt ist damit O = F nachgewiesen. Die entsprechende Aussage für das Kugelvolumen lautet: Satz 4.37 Das Volumen einer Kugel ist viermal so groß wie das Volumen eines Kegels, dessen Leitkreis so groß ist wie ein Großkreis der Kugel und dessen Höhe mit dem Kugelradius übereinstimmt. Wir nehmen zunächst an, dass das Kugelvolumen V größer ist als W , wenn W das vierfache Volumen des Kegels bezeichnet. Dann ist die positive Zahl x, die der Gleichung x3 = V 2 W genügt, kleiner als V (und größer als W ). Wir betrachten ein einem Großkreis umbeschriebenes 4N-Eck (Seitenlänge u) und ein dazu ähnliches einbeschriebenes (Seitenlänge e) mit u:e < V :x (nach Satz 4.3 ist dies möglich). Für die Volumina Vu , Ve der umbeschriebenen bzw. einbeschriebenen 4N-Approximationen, die sich damit erzeugen lassen, gilt dann mit Satz 4.35 (ii) Vu : Ve = u3 : e3 < V 3 : x3 = V 3 : (V 2 W ) = V : W . Wegen Ve < W (siehe Satz 4.29) und natürlich Vu > V ist dies aber nicht möglich. Nun gehen wir davon aus, dass das Kugelvolumen V kleiner ist als W . Wir wählen die positive Zahl x so, dass sie der Gleichung x3 = V W 2 genügt, sowie Approximationen mit u : e < W : x. Dann gilt Vu : Ve = u3 : e3 < W 3 : x3 = W 3 : (V W 2 ) = W : V . Wegen Vu > W (siehe Satz 4.34) und natürlich Ve < V ist dies aber nicht möglich. Insgesamt ist damit V = W nachgewiesen. Nach diesem langen Weg fehlt nur noch ein kleiner Schritt zum Beweis der Grabinschrift des Archimedes (siehe die Abbildungen 1.20 und 4.33). Satz 4.38 (i) Das Volumen eines Zylinders, dessen Leitkreisradius mit dem Radius und dessen Höhe mit dem Durchmesser einer Kugel übereinstimmen, ist anderthalbmal so groß wie das Kugelvolumen. (ii) Die (gesamte) Oberfläche eines Zylinders, dessen Leitkreisradius mit dem Radius und dessen Höhe mit dem Durchmesser einer Kugel übereinstimmen, ist anderthalbmal so groß wie die Kugeloberfläche.
121
4.6 Die zentralen Ergebnisse
Abbildung 4.33: Kugel und Zylinder Nach Satz 4.37 ist das Volumen der Kugel viermal so groß wie das Volumen eines Kegels, dessen Leitkreis so groß ist wie ein Großkreis der Kugel und dessen Höhe mit dem Kugelradius übereinstimmt, und damit nach Hilfssatz 4.19 (i) doppelt so groß wie das Volumen eines Kegels, dessen Leitkreis so groß ist wie ein Großkreis der Kugel und dessen Höhe mit dem Kugeldurchmesser übereinstimmt (siehe Abbildung 4.34). Nach Hilfssatz 4.19 (vii) hat ein Zylinder gleicher Grundfläche und gleicher Höhe das dreifache Volumen dieses Kegels und damit das anderthalbfache Volumen der Kugel. Damit ist die Aussage (i) bewiesen und darüber hinaus die schöne Volumenformel VKegel : VKugel : VZylinder = 1 : 2 : 3 hergeleitet für Kegel und Zylinder, deren Leitkreise so groß sind wie ein Großkreis der Kugel und deren Höhen so lang wie ein Kugeldurchmesser.
rt
Abbildung 4.34: Kegel, Kugel und Zylinder
122
4 Zylinder, Kegel, Kugel
Beim Beweis der Aussage (ii) erinnern wir uns zunächst an Satz 4.11. Danach hat der Mantel eines Drehzylinders mit Leitkreisdurchmesser d und Erzeugenden der Länge s dieselbe Fläche wie ein Kreis mit Radius x, wenn x2 = ds gilt. Bei unserem Zylinder gilt s = d und damit auch x = d. Nach Satz 4.4 hat ein solcher Kreis die vierfache Fläche eines Großkreises einer Kugel mit dem Durchmesser d. Nimmt man den Grund- und Deckkreis hinzu, ist also die Oberfläche des Zylinders sechsmal so groß wie die Fläche eines Großkreises. Da nach Satz 4.36 die Oberfläche der Kugel viermal so groß ist, ist damit die Aussage (ii) bewiesen.
Abbildung 4.35: Kugelsegmente In Satz 4.23 hat sich der Leser sicher über „die Summe der Längen aller Diagonalen, die zu einer zwei Seiten überspannenden Diagonale parallel sind,“ gewundert. Im weiteren Verlauf dieses Kapitels wurde dann klar, dass diese Summe und damit natürlich der Satz 4.23 in vielen Beweisen eine wichtige Rolle spielt. Dagegen haben wir den ähnlich lautenden Satz 4.24 nirgends verwendet. Diesen Satz benötigt Archimedes hauptsächlich, um eine Aussage über Kugelsegmente herzuleiten. Diese werden durch eine Ebene von einer Kugel abgeschnitten (siehe Abbildung 4.35). Den am weitesten von der schneidenden Ebene entfernten Punkt des Kugelsegments nennt Archimedes Scheitelpunkt des Kugelsegments. Die Oberfläche eines Kugelsegments besteht aus der vom Grundkreis berandeten Grundfläche und der Mantelfläche, die Teil der Kugeloberfläche ist. r t
r t
Abbildung 4.36: Gleiche Oberflächen Angesichts des weiten Weges, der bis zum Satz 4.38 zurückzulegen war, und da die Argumentation ähnlich verläuft, sparen wir uns die Herleitung dieses Resultats. Es sei aber wenigstens genannt (siehe dazu Abbildung 4.36).
123
4.7 Satz II aus der Methodenlehre
Satz 4.39 Die Mantelfläche eines Kugelsegments ist so groß wie die Fläche eines Kreises, dessen Radius so groß ist wie der Abstand des Scheitelpunktes von einem Punkt des Grundkreises.
4.7 Satz II aus der Methodenlehre Im Abschnitt 3.4 haben wir uns erstmals mit der Methodenlehre und der in diesem Werk von Archimedes angewandten mechanisch-infinitesimalen Beweistechnik beschäftigt. Auch für die Volumenaussagen der Sätze 4.37 und 4.38 gibt Archimedes dort einen entsprechenden Beweis, den wir uns im Folgenden ansehen wollen. Satz 4.40 (i) Das Volumen einer Kugel ist viermal so groß wie das Volumen eines Kegels, dessen Leitkreis so groß ist wie ein Großkreis der Kugel und dessen Höhe mit dem Kugelradius übereinstimmt. (ii) Das Volumen eines Zylinders, dessen Leitkreisradius mit dem Radius und dessen Höhe mit dem Durchmesser einer Kugel übereinstimmen, ist anderthalbmal so groß wie das Kugelvolumen. r t
r t
r t
r t
r t
T
2r
z trY
2r }|
r t
r t
A
K
r
{ N r t rtP
L
r t
B
r t
rtM
rtS
Abbildung 4.37: Ein zweiter Beweis
Z tr
124
A.12
4 Zylinder, Kegel, Kugel
Wir betrachten die Abbildung 4.37. Dort seien gegeben eine Kugel mit dem Mittelpunkt M und dem Radius r samt einem Großkreis („Längenkreis“) durch die Punkte N („Nordpol“) und S („Südpol“), ferner ein Zylinder mit der Achse SN und dem Leitkreisradius 2r. Schließlich sei der Grundkreis des Zylinders Grundkreis eines Kegels mit der Spitze N. Der Punkt T sei so gewählt, dass N der Mittelpunkt der Strecke ST ist. Nun legen wir durch einen beliebigen Punkt P der Strecke SN eine zu SN senkrechte Ebene. Diese schneidet die Kugel in einem Kreis mit dem Durchmesser AB, den Kegel in einem Kreis mit dem Durchmesser KL und den Zylinder in einem Kreis mit dem Durchmesser Y Z. Wir sehen zunächst d(Y, P ) · d(K, P ) = = = =
d(Y, P ) · d(N, P ) = d(S, N) · d(N, P ) d2 (A, N) (Kathetensatz) d2 (A, P ) + d2 (P, N) (Satz des Pythagoras) d2 (A, P ) + d2 (K, P ) .
Hieraus folgt d(N, T ) : d(N, P ) = d(S, N) : d(N, P ) = d(Y, P ) : d(K, P ) = d2 (Y, P ) : [d(Y, P ) · d(K, P )] = d2 (Y, P ) : d2 (A, P ) + d2 (K, P ) (siehe oben).
Nach Satz 4.4 ist also d(N, T ) : d(N, P ) das Verhältnis der Zylinderkreisfläche zur gemeinsamen Fläche des Kugel- und Kegelkreises. Daher ist nach dem Hebelgesetz der bei N fixierte Waagebalken ST im Gleichgewicht, wenn man Kugel- und Kegelkreis längs P T (also deren Mittelpunkt P in den Punkt T ) verschiebt und den Zylinderkreis an seinem Ort belässt. Lässt man den Punkt P die Strecke SN durchlaufen, erhält man Kugel, Kegel und Zylinder als Vereinigung der Kreise, die von den zu SN senkrechten Ebenen durch P ausgeschnitten werden. Daher ist der bei N fixierte Waagebalken im Gleichgewicht, wenn man Kugel und Kegel so anbringt, dass ihr Schwerpunkt mit T zusammenfällt, und den Zylinder im Punkt M – seinem Schwerpunkt – anhängt. Wegen d(N, T ) : d(N, M) = 2 : 1 gilt also für das Volumen U des Kegels und das Volumen W des Zylinders W = 2 · U + 2 · VKugel . Mit Hilfssatz 4.19 (vii) folgt hieraus 2 · VKugel = W − 2 · U = U =
1 W. 3
Die bisher betrachteten Kegel und Zylinder sind nicht die im Satz erwähnten. Uns interessiert nicht das Kegelvolumen U, sondern das Volumen VKegel des
125
4.7 Satz II aus der Methodenlehre 2r }|
z
{ N tr
r
rtM
rtS
Abbildung 4.38: Neue Kegel und Zylinder in Abbildung 4.38 hellgrau hervorgehobenen Kegels. Nach Hilfssatz 4.19 (v) gilt dafür U = 23 · VKegel = 8 · VKegel . Ebenso interessiert anstelle des Zylindervolumens W das Volumen VZylinder des in Abbildung 4.38 gestrichelt angedeuteten Zylinders (vergleiche Abbildung 4.34). Da W nach Hilfssatz 4.19 (v) achtmal so groß ist wie das Volumen des in Abbildung 4.38 dunkelgrau markierten Zylinders und dieses wiederum halb so groß wie das Volumen VZylinder , gilt W = 4 · VZylinder . Zusammen hat man 2 · VKugel = 8 · VKegel = oder VKugel = 4 · VKegel = woraus die Aussagen des Satzes folgen.
4 ·V 3 Zylinder
2 ·V , 3 Zylinder
5 Spiralen Wir kommen nun zu einer Klasse ebener Kurven, die Archimedes in seinem Buch Über Spiralen ausführlich behandelt hat und daher archimedische Spiralen genannt werden (siehe Abbildung 5.1). Erzeugt wird eine solche Spirale, indem man eine Halbgerade mit konstanter Geschwindigkeit um einen festen Punkt M dreht und dabei auf dieser Halbgeraden mit ebenfalls konstanter Geschwindigkeit einen Punkt P von M wegbewegt. Den Punkt M nennt Archimedes den Mittelpunkt der Spirale. Die Ausgangslage der Halbgeraden nennen wir die Achse der Spirale.
M
Achse
sr
sr
P
Abbildung 5.1: Archimedische Spirale Machen wir uns nochmals die Erzeugungsweise klar. Drehen wir unsere Halbgerade um den doppelten Winkel, verdoppelt sich der Abstand des Spiralenpunktes vom Mittelpunkt M, beim dreifachen Winkel verdreifacht sich der Abstand. Allgemein ausgedrückt: Die Drehwinkel verhalten sich wie die Abstände der entsprechenden Spiralenpunkte von M, Drehwinkel und Abstand sind also zueinander proportional. Da für jeden Kreis um M (etwa für den in Abbildung 5.1 gestrichelt angedeuteten) der Drehwinkel außerdem proportional ist zum überstrichenen Bogen (hat der
127
5.1 Hilfssätze
Kreis den Radius 1, so ist der Bogen ja nichts anderes als der Winkel im Bogenmaß), sind auch die Länge des Kreisbogens und der Abstand des Spiralenpunktes von M zueinander proportional. In seinem Buch Über Spiralen beweist Archimedes 28 Sätze. Im Zentrum stehen die Sätze 18 bis 20, in denen es um Tangenten von Spiralen geht, und die Sätze 24 bis 28, in denen Archimedes Flächen betrachtet, die von Spiralen berandet werden. Bevor wir uns mit einigen dieser Sätze beschäftigen, stellen wir – wie Archimedes in dem erwähnten Buch – einige Hilfssätze zusammen, die nichts mit Spiralen zu tun haben, uns aber helfen werden, Beweise von Spiralsätzen verständlicher zu formulieren.
5.1 Hilfssätze Hilfssatz 5.1 Gegeben seien ein Kreis k (Mittelpunkt M, Radius r), eine Kreissehne AC der Länge 2l im Abstand d größer 0 vom Mittelpunkt (siehe Abbildung 5.2) sowie eine Zahl v, die größer ist als das Verhältnis l : d. Dann gibt es auf der Geraden AC einen Punkt P derart, dass für den Schnittpunkt Q des Kreises k mit der Strecke MP gilt: d(Q, P ) : d(Q, A) = v . P tr
A tr Q tr r t
T
l
r t
l
rtC
d r t
M k
Abbildung 5.2: Kreissehnen Zum Beweis betrachten wir zunächst die Abbildung 5.3. Dort sei S der Schnittpunkt der Tangente an k in A mit der Parallelen zu AC durch den Kreismittelpunkt M. Da die beiden grauen Dreiecke rechtwinklig sind und im eingezeichneten Winkel übereinstimmen (es handelt sich um Wechselwinkel an parallelen Geraden), sind sie ähnlich. Daher stimmen die Längenverhältnisse der Katheten überein. Es gilt also (v >) l : d = d(A, M) : d(A, S) = r : d(A, S) .
A.4
128
5 Spiralen P tr
A tr Q tr r t
r t
S
T
l
r t
l
rtC
d r t
M k
Abbildung 5.3: Zum Beweis von Hilfssatz 5.1 Um das gewünschte Verhältnis v zu erreichen, ist die Strecke AS zu verkleinern. Dazu drehen wir – wie in Abbildung 5.3 angedeutet – die Gerade AS um den Punkt A und sehen uns jeweils die Strecke zwischen dem Schnittpunkt mit der Geraden MS und dem ersten von diesem Punkt aus erreichbaren Kreisschnittpunkt an. Beim Start ist dies die Strecke AS, in der gestrichelt eingezeichneten Endlage eine Strecke der Länge 0. Also liegt dazwischen eine Strecke QT mit der gewünschten Eigenschaft v = r : d(Q, T ) = d(Q, M) : d(Q, T ) . A.19
A.10
(Archimedes führt für dieses „also“ keine weiteren Argumente an. Wir können uns auf den Zwischenwertsatz für die stetige Längenfunktion berufen. Es verdient festgehalten zu werden, dass sich der Punkt T nicht mit Zirkel und Lineal konstruieren lässt.) Da in Abbildung 5.2 die beiden grauen Dreiecke ähnlich sind (entsprechende Seiten sind parallel), folgt hieraus v = d(Q, M) : d(Q, T ) = d(Q, P ) : d(Q, A) (man könnte natürlich auch mit dem 1. Strahlensatz argumentieren), womit der Hilfssatz 5.1 bewiesen ist. Hilfssatz 5.2 Gegeben seien ein Kreis k (Mittelpunkt M, Radius r), eine Kreissehne AC der Länge 2l im Abstand d größer 0 vom Mittelpunkt (siehe Abbildung 5.4) sowie eine Zahl v, die kleiner ist als das Verhältnis l : d. Dann gibt es auf der Tangente von k im Punkt A einen Punkt L derart, dass für die Schnittpunkte P bzw. Q der Strecke ML mit der Sehne AC bzw. mit dem Kreis k gilt: d(P, Q) : d(A, L) = v . Zum Beweis betrachten wir die Abbildung 5.4. Dort sei W der Schnittpunkt der Tangente an k in A mit der Parallelen zu AC durch den Kreismittelpunkt M.
129
5.1 Hilfssätze Z
r t
rX t
H tr
rt
L tr
h
trY
Q tr
A
rt
l
P tr
rC t
d tr
W
rt
M k
Abbildung 5.4: Zum Beweis von Hilfssatz 5.2 Da die beiden grauen Dreiecke rechtwinklig sind und im eingezeichneten Winkel übereinstimmen (Wechselwinkel an parallelen Geraden), sind sie ähnlich. Daher stimmen die Längenverhältnisse der Katheten überein. Es gilt also (v 3(1 + 4 + . . . + (n − 1)2 ) · a2 ,
womit der Hilfssatz 5.5 bewiesen ist.
5.2 Längenbeziehungen
133
5.2 Längenbeziehungen Wir kehren zum eigentlichen Thema dieses Kapitels, den archimedischen Spiralen, zurück. Wir kennen bereits ihre Definition und wissen, was unter dem Mittelpunkt und der Achse einer solchen Spirale zu verstehen ist (siehe Abbildung 5.1).
Abbildung 5.5: Grundbegriffe Einige weitere Begriffe, die Archimedes verwendet, sind in der Abbildung 5.5 illustriert. Nach einer vollen Umdrehung hat man den Punkt A der Spirale erreicht, nach zwei Umdrehungen den Punkt B. Entsprechend heißt die Strecke MA die erste, die (gleich lange) Strecke AB die zweite Strecke der Spirale. Analog kann man eine dritte, vierte, n-te Strecke definieren. Das Flächenstück, das von der ersten Strecke und der ersten Umdrehung der Spirale begrenzt wird, heißt die erste Fläche, das von der zweiten Strecke und der zweiten Umdrehung der Spirale begrenzte die zweite Fläche der Spirale. Man beachte, dass die erste Fläche Teil der zweiten ist. Analog zu den Strecken kann man weitere Flächen einführen. Schließlich nennen wir den Kreis mit dem Mittelpunkt M durch A den ersten Kreis, den um M durch B den zweiten Kreis der Spirale. Entsprechend kann man weitere Kreise definieren.
134
5 Spiralen
Ein erstes Ergebnis über Spiralen enthält der Satz 5.6. Wir betrachten dazu zunächst die Abbildung 5.6, in der rechts die für den Beweis interessierenden Details vergrößert wiedergegeben sind. Satz 5.6 Es seien t die Tangente einer (archimedischen) Spirale im Endpunkt A der ersten Strecke und S deren Schnittpunkt mit dem Lot zur Achse im Mittelpunkt M. Dann ist die Strecke MS so lang wie der Umfang u des ersten Kreises. rt
u
r t
r t
P tr rt
rt
M
A R tr Q tr
M
rt
rt
A
tr
F
tr
C
t U tr t
T tr
rS t
Abbildung 5.6: Zum Beweisteil (i) Archimedes beweist diese Aussage indirekt, indem er zeigt, dass MS weder größer noch kleiner als u sein kann.
135
5.2 Längenbeziehungen
(i) Wäre MS größer als u, so gäbe es auf dieser Strecke einen Punkt U derart, dass MU mit u übereinstimmt. Der Mittelpunkt T der Strecke US hat dann die Eigenschaft, dass MT kleiner als MS, aber größer als u ist. Nun seien C der von A verschiedene Schnittpunkt der Tangente t mit dem ersten Kreis sowie F der Mittelpunkt der Sehne AC. Da die grauen Dreiecke rechtwinklig sind und bei A denselben Winkel besitzen, sind sie ähnlich. Damit stimmen die Verhältnisse der Katheten überein, es gilt also d(M, A) : d(M, S) = d(F, A) : d(F, M) =
A.10
1 d(A, C) : d(F, M) . 2
Wegen d(M, A) : d(M, T ) > d(M, A) : d(M, S) folgt hieraus
1 d(A, C) : d(F, M) . 2 Nach Hilfssatz 5.1 gibt es daher auf der Geraden AC einen Punkt P derart, dass für den Schnittpunkt Q des ersten Kreises mit der Strecke MP d(M, A) : d(M, T ) >
d(Q, P ) : d(Q, A) = d(M, A) : d(M, T ) = d(M, Q) : d(M, T ) gilt, was gleichbedeutend ist mit
A.2
d(Q, P ) : d(M, Q) = d(Q, A) : d(M, T ) . Da die Strecke QA nach Postulat 1 und Postulat 2 kleiner ist als der Kreisbogen ⌢ QA und nach Voraussetzung MT größer als der Umfang u des ersten Kreises, gilt weiter ⌢ d(Q, A) : d(M, T ) < QA : u und damit
⌢
d(Q, P ) : d(M, Q) < QA : u . Wir addieren auf beiden Seiten 1 und erhalten d(M, P ) : d(M, Q) = d(M, Q) + d(Q, P ) : d(M, Q) = 1 + d(Q, P ) : d(M, Q)
⌢
⌢
< 1 + QA : u = (u + QA ) : u . Ist R der Schnittpunkt der Strecke MP mit der Spirale (siehe Abbildung 5.6), gilt nach Definition der archimedischen Spirale außerdem (⋆)
⌢
(u + QA ) : u = d(M, R) : d(M, A) ,
136
5 Spiralen
also d(M, P ) : d(M, Q) < d(M, R) : d(M, A) . Wegen d(M, P ) > d(M, R) und d(M, Q) = d(M, A) ist dies aber nicht möglich. Somit kann MS nicht größer als u sein. (ii) Wäre MS kleiner als u, so gäbe es wie in Abbildung 5.7 gezeigt auf der Geraden MS einen Punkt U derart, dass MU mit u übereinstimmt und S auf der Strecke MU liegt. Der Mittelpunkt T der Strecke US hat dann die Eigenschaft, dass MT größer als MS, aber kleiner als u ist. Sind wieder C der von A verschiedene Schnittpunkt der Tangente t mit dem ersten Kreis sowie F der Mittelpunkt der Strecke AC, so kann man wie oben (mit den grauen Dreiecken in Abbildung 5.6) zeigen, dass d(M, A) : d(M, S) = d(F, A) : d(F, M) =
1 d(A, C) : d(F, M) 2
gilt. Jetzt ist aber d(M, A) : d(M, T ) < d(M, A) : d(M, S) , weshalb hieraus d(M, A) : d(M, T )
AQ (siehe Abschnitt 4.1) und d(M, T ) < u gilt andererseits
⌢
d(A, L) : d(M, T ) > AQ : u und damit
⌢
d(P, Q) : d(M, A) > AQ : u oder
⌢
(1 >) d(P, Q) : d(M, Q) > AQ : u . A.3
Also ist
137
5.2 Längenbeziehungen
u trA
rt
M
tr
C
M
t
rtA
F
tr
tr rt rt tr
R P
Q L
r t
C
trS
t
T tr U tr Abbildung 5.7: Zum Beweisteil (ii)
l
138
5 Spiralen
⌢
1 − d(P, Q) : d(M, Q) < 1 − AQ : u ,
was man wie folgt umformen kann:
1 − d(P, Q) : d(M, Q) =
d(M, Q) − d(P, Q) : d(M, Q)
= d(M, P ) : d(M, Q)
⌢
⌢
< 1 − AQ : u = (u − AQ ) : u . Ist R der Schnittpunkt der Strecke MP mit der Spirale, gilt andererseits nach der Definition der Spirale
⌢
(u − AQ ) : u = d(M, R) : d(M, A) = d(M, R) : d(M, Q) , sodass man insgesamt d(M, P ) : d(M, Q) < d(M, R) : d(M, Q) erhält, was aber wegen d(M, P ) > d(M, R) nicht möglich ist. MS kann also nicht kleiner als u sein. Nach den in (i) und (ii) angestellten Überlegungen bleibt nur übrig, dass die Strecke MS die gleiche Länge wie der Umfang u des ersten Kreises besitzt. Die Aussage von Satz 5.6 lässt sich wie folgt verallgemeinern (siehe Abbildung 5.8). Satz 5.7 Gegeben seien eine (archimedische) Spirale mit dem Mittelpunkt M, ein Spiralenpunkt A, den man nach einer Umdrehung von weniger als 360◦ erreicht, ferner die Tangente t der Spirale im Punkt A und der Kreis k um M durch A. Ist S der Schnittpunkt von t mit dem Lot zur Geraden MA im Mittelpunkt M, so ist die Strecke MS so lang wie der Umfang u des Bogens des Kreises k zwischen 0◦ und dem Drehwinkel von A.
A.10
Wäre MS größer als u, so gäbe es auf dieser Strecke einen Punkt U derart, dass MU mit u übereinstimmt. Der Mittelpunkt T der Strecke US hat dann die Eigenschaft, dass MT kleiner als MS, aber größer als u ist. Nun seien C der von A verschiedene Schnittpunkt der Tangente t mit dem Kreis k sowie F der Mittelpunkt der Strecke AC. Da die grauen Dreiecke rechtwinklig sind und bei A denselben Winkel besitzen, sind sie ähnlich. Damit stimmen die Verhältnisse der Katheten überein, es gilt also d(M, A) : d(M, S) = d(F, A) : d(F, M) =
1 d(A, C) : d(F, M) . 2
Wegen d(M, A) : d(M, T ) > d(M, A) : d(M, S)
139
5.2 Längenbeziehungen
rt
P
rt
u
tr
tr
Achse
rt
M
rt
A
M
R tr Q tr
rt
rt
A
r t
F r t
C
t U tr
t
T tr rt S
Abbildung 5.8: Kleinere Drehung
140
5 Spiralen
folgt hieraus
1 d(A, C) : d(F, M) . 2 Nach Hilfssatz 5.1 gibt es daher auf der Geraden AC einen Punkt P derart, dass für den Schnittpunkt Q des Kreises k mit der Strecke MP d(M, A) : d(M, T ) >
d(Q, P ) : d(Q, A) = d(M, A) : d(M, T ) = d(M, Q) : d(M, T ) A.2
gilt, was gleichbedeutend ist mit d(Q, P ) : d(M, Q) = d(Q, A) : d(M, T ) .
⌢
Da die Strecke QA kleiner ist als der Kreisbogen QA und nach Voraussetzung MT größer als der Umfang u des Kreisbogens, gilt weiter
⌢
d(Q, A) : d(M, T ) < QA : u und damit
⌢
d(Q, P ) : d(M, Q) < QA : u . Wir addieren auf beiden Seiten 1 und erhalten d(M, P ) : d(M, Q) = d(M, Q) + d(Q, P ) : d(M, Q) = 1 + d(Q, P ) : d(M, Q)
⌢
⌢
< 1 + QA : u = (u + QA ) : u . Ist R der Schnittpunkt der Strecke MP mit der Spirale, gilt nach Definition der archimedischen Spirale außerdem
⌢
(u + QA ) : u = d(M, R) : d(M, A) , also d(M, P ) : d(M, Q) < d(M, R) : d(M, A) . Wegen d(M, P ) > d(M, R) und d(M, Q) = d(M, A) ist dies aber nicht möglich. Somit kann MS nicht größer als u sein. Vergleichen wir den bisher geführten Beweis mit dem Beweisteil (i) von Satz 5.6, so sehen wir, dass wir lediglich den ersten Kreis durch den Kreis k ersetzt sowie die Bedeutung des Umfangs u modifiziert haben. Im Übrigen konnten wir den Beweis wörtlich übernehmen. Dies würde auch für den Beweisteil (ii) gelten, weshalb wir Archimedes folgen und uns diesen Teil des Beweises sparen. Archimedes spricht in seinem Buch eine Verallgemeinerung der Sätze 5.6 und 5.7 an, die wir zumindest plausibel machen wollen. Was passiert, wenn wir nicht
141
5.2 Längenbeziehungen
u M
srB
rs
t
srS
Abbildung 5.9: Verallgemeinerung – wie im Satz 5.6 – genau eine Umdrehung der Spirale betrachten, sondern genau zwei, also den Endpunkt A der ersten Strecke durch den Endpunkt B der zweiten ersetzen (siehe Abbildung 5.9)? Die entscheidende Modifikation des Beweises von Satz 5.6 betrifft die Formel (⋆) auf S. 135. Da wir jetzt nicht um 360◦ , sondern um 720◦ drehen, ist der Umfang u des (jetzt doppelt so großen!) Kreises um M durch B doppelt zu nehmen. Wir haben also (wenn wir die Punkte Q und R analog zu Satz 5.6 einführen)
⌢
(2u + QB ) : 2u = d(M, R) : d(M, B) . Dies führt (nach einigen Zwischenschritten) zu der folgenden Aussage: Es seien t die Tangente einer (archimedischen) Spirale im Endpunkt B der zweiten Strecke und S deren Schnittpunkt mit dem Lot zur Achse im Mittelpunkt M. Dann ist die Strecke MS doppelt so lang wie der Umfang des zweiten Kreises. Oder allgemein:
142
5 Spiralen
Satz 5.8 Es seien t die Tangente einer (archimedischen) Spirale im Endpunkt der n-ten Strecke und S deren Schnittpunkt mit dem Lot zur Achse im Mittelpunkt M. Dann ist die Strecke MS n-mal so lang wie der Umfang des n-ten Kreises. Die entsprechende Verallgemeinerung von Satz 5.7 ist dann nicht mehr schwer. Hat man die n-te Umrundung des Mittelpunkts nicht vollständig abgeschlossen, so ist der Umfang des n-ten Kreises (n − 1)-mal zu nehmen und der beim n-ten Umlauf überstrichene Bogen zu addieren.
5.3 Flächenbetrachtungen Im Zentrum dieses Abschnitts steht Satz 5.10, in dem es um einen Flächenvergleich geht. Im Beweis dieses Satzes verwenden wir zwei Approximationen der ersten Fläche einer Spirale. Betrachten wir zunächst die Abbildung 5.11, in der der erste Kreis k sowie – durch die Spirale und die erste Strecke fett umrahmt – die erste Fläche zu sehen sind. Indem wir den ersten Kreis in n Sektoren mit gleichem Mittelpunktswinkel unterteilen, erhalten wir eine aus n (grau hervorgehobenen) Kreissektoren mit unterschiedlichem Radius zusammengesetzte Fläche, die der ersten Fläche umbeschrieben ist. In Abbildung 5.12 sehen wir die entsprechende einbeschriebene Approximation. Sie besteht aus n − 1 Kreissektoren. Für diese Approximationen beweisen wir zunächst:
k
rt
M
Abbildung 5.10: Approximationen
rt A
143
5.3 Flächenbetrachtungen
Satz 5.9 Vergrößert man die erste Fläche einer Spirale wie in Abbildung 5.11 durch Kreissektoren mit gleichem Mittelpunktswinkel und verkleinert sie wie in Abbildung 5.12 durch Kreissektoren mit demselben Mittelpunktswinkel, so geht die Differenz der beiden Flächen gegen 0, wenn man den Mittelpunktswinkel gegen 0 gehen lässt. Beide Flächen konvergieren also gegen die erste Fläche der Spirale, wenn man den Mittelpunktswinkel gegen 0 gehen lässt. Die Aussage folgt unmittelbar aus Abbildung 5.10, wenn man die (dunkelgrauen) Teilflächen, aus denen sich die Differenz zusammensetzt, wie angedeutet in den letzten (und größten) Sektor dreht. Man sieht dann, dass die Teilflächen zusammen so groß sind wie der letzte Sektor. Dessen Fläche geht natürlich gegen 0, wenn sein Mittelpunktswinkel gegen 0 geht.
k
r
rt
M
rt A
Abbildung 5.11: Umbeschriebene Fläche
Satz 5.10 Die erste Fläche der Spirale beträgt ein Drittel der Fläche des ersten Kreises. Wir nehmen zunächst an, dass die erste Fläche der Spirale kleiner als angegeben ist. Wir vergrößern die erste Fläche, indem wir sie wie in Abbildung 5.11 gezeigt durch n Kreissektoren approximieren. Nach Satz 5.9 kann man den Mittelpunktswinkel der Sektoren so wählen, dass die gesamte Fläche der Kreissektoren (ebenso wie die erste Fläche) kleiner als ein Drittel der Fläche des ersten Kreises k ist.
144
5 Spiralen
Nun kommt Hilfssatz 5.4 ins Spiel. Da die Kreissektoren denselben Mittelpunktswinkel besitzen, bilden ihre Radien nach Definition der Spirale eine (arithmetische) Folge von Strecken, deren Differenz dem kleinsten Glied gleich ist. Der letzte Radius stimmt mit dem Radius r des ersten Kreises überein. Daher ist nach Hilfssatz 5.4 die n-gliedrige Summe r 2 + . . . + r 2 der Quadrate des Kreisradius kleiner als die dreifache Summe der Quadrate der Radien der n Kreissektoren. Da bei gleichem Winkel die Flächen der Sektoren proportional zum Quadrat ihrer Radien sind, ist auch die Vereinigung der Flächen von n Kreissektoren mit dem Radius r – also die Fläche von k – kleiner als die dreifache Fläche der n Kreissektoren aus Abbildung 5.11. Umgekehrt ist die gesamte Fläche dieser Kreissektoren größer als ein Drittel der Fläche von k. Dies ist ein Widerspruch zur obigen Wahl des Mittelpunktswinkels der Kreissektoren. k
r
rt
M
tr A
Abbildung 5.12: Einbeschriebene Fläche Nun nehmen wir an, dass die erste Fläche der Spirale größer als im Satz angegeben ist, und verkleinern sie, indem wir sie wie in Abbildung 5.12 gezeigt durch n − 1 Kreissektoren approximieren. Nach Satz 5.9 kann man den Mittelpunktswinkel so wählen, dass die Vereinigung der Kreissektoren (wie die erste Fläche) größer als ein Drittel der Fläche von k ist. Bei gleichem Mittelpunktswinkel treten alle (grauen) Kreissektoren der Abbildung 5.12 auch in der Abbildung 5.11 auf. In Abbildung 5.12 fehlt aber der letzte (und größte) Sektor der Abbildung 5.11, also der Sektor mit dem Radius r. Daher ist nach Hilfssatz 5.5 die n-gliedrige Summe r 2 + . . . + r 2 der Quadrate des Kreisradius größer als die dreifache Summe der Quadrate der Radien der n − 1
5.3 Flächenbetrachtungen
145
Kreissektoren aus Abbildung 5.12. Somit ist auch die Vereinigung der Flächen der Kreissektoren mit dem Radius r – also die Fläche von k – größer als die dreifache Fläche dieser Kreissektoren. Umgekehrt ist die gesamte Fläche der Kreissektoren aus Abbildung 5.12 kleiner als ein Drittel der Fläche von k. Dies ist ein Widerspruch zur obigen Wahl des Mittelpunktswinkels der Kreissektoren. Der Beweis von Satz 5.10 ist ein besonders eindrucksvolles Beispiel für die Schlagkraft der indirekten Beweistechnik des Archimedes. Er basiert auf einer geometrisch einfachen Approximation der interessierenden Fläche durch Kreissektoren, deren Eigenschaften Archimedes mit äußerster Raffinesse herausarbeitet und einsetzt. Weitere Flächensätze beweist Archimedes mit ähnlichen Methoden. Ohne Beweis wollen wir uns zumindest ein weiteres interessantes Resultat ansehen. Satz 5.11 Die n-te Fläche der Spirale verhält sich zur Fläche des n-ten Kreises wie die Summe aus dem Rechteck, das aus den Radien des n-ten und (n − 1)ten Kreises gebildet wird, und dem dritten Teil des Quadrates über der Differenz dieser Radien zum Quadrat über dem Radius des n-ten Kreises. Bezeichnet Fn die n-te Fläche der Spirale und Kn die Fläche sowie rn den Radius des n-ten Kreises, so kann man diese Aussage wie folgt schreiben: 1 Fn : Kn = rn rn−1 + (rn − rn−1 )2 : rn2 . 3 Ist r1 = r der Radius des ersten Kreises, so gilt rn = nr, weshalb wir die Aussage vereinfachen können zu 1 1 Fn : Kn = r 2 n(n − 1) + r 2 : r 2 n2 = n(n − 1) + : n2 . 3 3 Erweitern wir den rechten Bruch mit 3, erhalten wir schließlich 3n2 − 3n + 1 Fn = . Kn 3n2 Für n = 1 ist dies das bekannte Resultat (siehe Satz 5.10) F1 : K 1 = 1 : 3 , für n = 2 lautet die Aussage F2 : K2 = 7 : 12 . Wegen Fn Fn Kn K1 Fn = · · = · n2 · 3 F1 Kn K1 F1 Kn
146 gilt weiter
5 Spiralen
Fn = 3n2 − 3n + 1 . F1
Dies zeigt etwa F2 : F1 = 7 : 1 . Aus
Fn+1 − Fn = 3(n + 1)2 − 3(n + 1) + 1 − 3n2 + 3n − 1 = 6n F1 erhält man schließlich das schöne Resultat Fn+1 − Fn = 6nF1 .
6 Das Paraboloid In diesem Kapitel beschäftigen wir uns mit Paraboloiden (genauer: Drehparaboloiden), die man erhält, wenn man eine Parabel um ihre Achse dreht. Dazu sehen wir uns einige Sätze aus der Methodenlehre sowie aus der Schrift Über Paraboloide, Hyperboloide und Ellipsoide an. Der Titel der Schrift wurde dabei in Anlehnung an [1] gewählt. Bei Archimedes tragen diese Flächen andere Namen. Paraboloide und Hyperboloide heißen bei ihm Konoide, Ellipsoide sind bei ihm Sphäroide. Einen Satz aus diesem Buch, bei dem es um Parabeln geht, haben wir bereits im Kapitel 3 als Satz 3.21 kennengelernt. a
sM t
stS
Abbildung 6.1: Zur Definition des Paraboloids
6.1 Einführung Wir gehen aus von einem Paraboloid, das durch die Drehung einer Parabel um seine Achse a entstanden ist. Die Gerade a heißt dann auch Achse des Paraboloids. Der Scheitel S der Parabel wird zum Scheitelpunkt des Paraboloids (siehe Abbildung 6.1), der Parameter der Parabel zum Parameter des Paraboloids. Jede Ebene, die das Paraboloid (in mehr als einem Punkt) trifft, schneidet ein Segment des Paraboloids ab. Der von der Schnittkurve begrenzte Teil der Ebene ist die Basis des Segments. Die zur Schnittebene parallele Tangentialebene des
148
6 Das Paraboloid
Paraboloids berührt das Paraboloid im Scheitel B des Segments. Schneidet die Parallele zur Achse des Paraboloids durch B die Basis im Punkt M, so heißt die Strecke BM die Achse des Segments. Die Abbildung 6.1 zeigt ein normales Segment, bei dem die schneidende Ebene zur Achse des Paraboloids senkrecht ist. Hier fällt der Scheitel des Segments mit dem Scheitelpunkt des Paraboloids zusammen. Außerdem ist die Basis eine Kreisfläche mit dem Mittelpunkt M. a
M tr
rtB
rtS
Abbildung 6.2: Segment eines Paraboloids Der allgemeine Fall einer schiefen Schnittebene ist in Abbildung 6.2 zu sehen. Wir beschränken uns im Folgenden auf normale Segmente.
6.2 Volumenaussagen Die im folgenden Satz vorgestellte Approximation eines Segments eines Paraboloids ist das entscheidende Hilfsmittel zur Bestimmung seines Volumens. Satz 6.1 Jedem normalen Segment eines Paraboloids lassen sich aus Zylindern gleicher Höhe zusammengesetzte Körper derart umbeschreiben und einbeschreiben, dass die Volumendifferenz zwischen umbeschriebenem und einbeschriebenem Körper kleiner ist als eine beliebig vorgegebene (positive) Größe c. Das Segment habe den Scheitel S, seine Basis den Mittelpunkt M. Ferner sei ein Zylinder gegeben, der diese Basis als Grundfläche sowie SM als Achse besitzt (siehe Abbildung 6.3). Durch wiederholte Halbierung zerlegen wir den Zylinder so lange in gleich große Teilzylinder, bis jeder Teil ein Volumen V besitzt, das kleiner ist als c. Wie in Abbildung 6.3 gezeigt, verwenden wir die so erzeugten Schnittkreise des Segments als
149
6.2 Volumenaussagen
Grundflächen von (dunkelgrau eingezeichneten) Zylindern, um damit eine umbeschriebene sowie eine einbeschriebene Approximation des Segments zu erzeugen. Wir sehen, dass sich die beiden Approximationen in genau einem Teilzylinder mit dem Volumen V unterscheiden. Damit besitzen diese Approximationen die im Satz geforderte Eigenschaft. srM
rs
rs
sr
sr sr
sr sr
sr sr
S
rsM
rs
rs
sr
sr sr
sr sr
sr sr
S
Abbildung 6.3: Approximationen eines Segments eines Paraboloids Bevor wir zu dem uns interessierenden Satz kommen, haben wir einen Hilfssatz zu beweisen, dessen Beweis nach Archimedes klar ist. Wie der ähnlich lautende Hilfssatz 5.3 ist er allerdings auf Anhieb kaum zu verstehen. Hilfssatz 6.2 Wenn eine (arithmetische) Folge von n Größen gegeben ist, deren Differenz dem kleinsten Glied gleich ist, und außerdem eine zweite Folge gleich vieler Größen, die alle so groß sind wie das größte Glied der ersten Folge, so gelten die folgenden Aussagen. (i) Die Summe der Glieder der zweiten Folge ist kleiner als die doppelte Summe der Größen der ersten Folge. (ii) Die Summe der Glieder der zweiten Folge ist größer als die doppelte Summe der Größen der ersten Folge, wenn deren größtes Element weggelassen wird. Wir haben zunächst eine Folge von Zahlen. Ist a die kleinste dieser Zahlen, so erhalten wir die Folge, indem wir wiederholt a addieren: a , a + a = 2a , a + a + a = 3a , . . . , na . Weiter haben wir dieselbe Anzahl von Größen, die jeweils so groß sind wie das letzte Glied der Folge, die also alle die Größe na haben. Die Summe dieser n Größen ist n · na = n2 a .
Behauptet wird also, dass für jede Größe a und jede natürliche Zahl n gilt: n2 a < 2 a + 2a + . . . + (n − 1)a + na , n2 a > 2 a + 2a + . . . + (n − 1)a .
150
6 Das Paraboloid
Wir zeigen diese Ungleichungen durch vollständige Induktion. Für n = 2 sind sie erfüllt: 4a < 2 · (a + 2a) = 6a , 4a > 2a . Geht man von n zu n + 1 über, kommt links jeweils (n + 1)2 a − n2 a = (2n + 1)a hinzu. Rechts kommt in der ersten Zeile mehr hinzu, nämlich 2(n + 1)a = (2n + 2)a , weshalb die Ungleichung erhalten bleibt. Dies gilt auch für die zweite Zeile, da dort rechts weniger, nämlich 2na, hinzugefügt wird. Wir kommen nun zu der angekündigten Aussage über das Volumen eines normalen Segments eines Paraboloids. Satz 6.3 Jedes normale Segment eines Paraboloids besitzt das anderthalbfache Volumen des Kegels, dessen Spitze mit dem Scheitel und dessen Grundfläche mit der Basis des Segments zusammenfällt. Das Segment habe den Scheitel S und eine Basis mit dem Mittelpunkt M. Ferner seien ein Kegel und ein Zylinder gegeben, die diese Basis als Grundfläche sowie SM als Achse besitzen (siehe Abbildung 6.4). Da das Volumen des Zylinders nach Hilfssatz 4.19 (vii) dreimal so groß ist wie das Kegelvolumen, genügt es zu zeigen, dass das Volumen des Segments halb so groß ist wie das Zylindervolumen. Wir nehmen zunächst an, dass das Segmentvolumen das halbe Zylindervolumen um eine (positive) Größe c übertrifft. Nach Satz 6.1 lassen sich dem Segment zwei Körper, die sich aus Zylindern gleicher Höhe zusammensetzen, so umbeschreiben bzw. einbeschreiben, dass die Volumendifferenz zwischen umbeschriebenem und einbeschriebenem Körper kleiner ist als c. (In Abbildung 6.4 ist eine solche Approximation angedeutet: links die einbeschriebene, rechts die umbeschriebene.) Dann ist auch das Volumen des einbeschriebenen Körpers größer als das halbe Zylindervolumen. Haben wir den Zylinder in n Teilzylinder (mit dem gleichen Volumen V ) unterteilt, so setzt sich die einbeschriebene Approximation aus n − 1 Teilzylindern (verschiedener Größe) zusammen, die umbeschriebene aus n. Beim Beweis von Satz 6.1 haben wir bereits gesehen, dass sich die beiden Approximationen in genau einem Zylinder mit dem Volumen V unterscheiden (in der Abbildung ist ein solcher Zylinder mit 1 bezeichnet).
151
6.2 Volumenaussagen rtC1 = X1 = P
rtM = Z1
2
tr trX2
C2
C3
C4
···
tr
r· · · t
tr
Cn−2
rtXn−1
r t
Cn−1
n tr
Cn
Y4 tr
· · · tr
rtZn−1
tr
D3
tr
D4
r t
··· Y n−2 rt rt Dn−2
trZn−2
rXn−2 t
Y3 tr
3
rZ4 t tr· · ·
Y2 tr rt D2
2
rtZ3
trX4
r t
1
rtZ2
3
rtX3
r t
Y1 = D1 = Q tr
r rt Yn−1 t
rZn rt Yn rXn t t n
Dn−1
r t
Dn
rt
S Abbildung 6.4: Volumen eines Segments eines Paraboloids Für das Volumen V2 des größten einbeschriebenen Teilzylinders 2 gilt V : V2 = d2 (P, M) : d2 (C2 , Z2) = d(S, M) : d(S, Z2 ) = d(P, M) : d(X2 , Z2 ) .
(Hilfssatz 4.19 (ii) und Satz 4.4) (Satz 3.5) (2. Strahlensatz)
Entsprechend gilt für das Volumen V3 des nächstkleineren einbeschriebenen Teilzylinders 3 V : V3 = d2 (P, M) : d2 (C3 , Z3 ) = d(S, M) : d(S, Z3 ) = d(P, M) : d(X3 , Z3) . Für das Volumen Vn des letzten einbeschriebenen Teilzylinders n erhalten wir schließlich V : Vn = d2 (P, M) : d2 (Cn , Zn ) = d(S, M) : d(S, Zn ) = d(P, M) : d(Xn , Zn ) . Insgesamt haben wir also V2 V3 Vn V = = = ··· = . d(P, M) d(X2 , Z2 ) d(X3 , Z3 ) d(Xn , Zn )
152 A.18
6 Das Paraboloid
Hieraus folgt V V2 + V3 + . . . + Vn n·V = = n · d(P, M) d(P, M) d(X2 , Z2 ) + d(X3 , Z3 ) + . . . + d(Xn , Zn ) oder n · d(P, M) n·V = V d(X2 , Z2 ) + d(X3 , Z3 ) + . . . + d(Xn , Zn ) 2 + V3 + . . . + Vn :::::::::::::::::::: =
n · d(X1 , Z1 ) > 2. d(X2 , Z2 ) + d(X3 , Z3 ) + . . . + d(Xn , Zn ) ::::
Dass der letzte Bruch größer als 2 ist, zeigt die Aussage (ii) des Hilfssatzes 6.2. Wir formen die markierte Ungleichung um und erhalten 1 nV > V2 + V3 + . . . + Vn . 2 Das Volumen der einbeschriebenen Approximation ist also kleiner als das halbe Zylindervolumen. Dies ist aber ein Widerspruch zur Annahme. Nun nehmen wir an, dass das Segmentvolumen um eine (positive) Größe c kleiner ist als das halbe Zylindervolumen, und wählen eine Approximation wie oben. Dann ist auch das Volumen des umbeschriebenen Körpers kleiner als das halbe Zylindervolumen. Für das Volumen V1 des größten umbeschriebenen Teilzylinders 1 gilt nun V1 = V . Die Volumina der übrigen Teilzylinder berechnen sich wegen d(Di , Zi ) = d(Ci , Zi ) und d(Yi , Zi ) = d(Xi , Zi ) wie oben. Also erhält man V1 V2 Vn V = = = ··· = . d(P, M) d(X1 , Z1 ) d(X2 , Z2 ) d(Xn , Zn ) A.18
Hieraus folgt V V1 + V2 + . . . + Vn n·V = = n · d(P, M) d(P, M) d(X1 , Z1 ) + d(X2 , Z2 ) + . . . + d(Xn , Zn ) oder n · d(P, M) n·V = V1 + V2 + . . . + Vn d(X1 , Z1 ) + d(X2 , Z2 ) + . . . + d(Xn , Zn ) =
n · d(X1 , Z1 ) < 2. d(X1 , Z1 ) + d(X2 , Z2 ) + . . . + d(Xn , Zn )
153
6.3 Zwei weitere Sätze aus der Methodenlehre
Dass der letzte Bruch kleiner als 2 ist, folgt aus der Aussage (i) des Hilfssatzes 6.2. Wir formen um und erhalten 1 nV < V1 + V2 + . . . + Vn . 2 Das Volumen der umbeschriebenen Approximation ist also größer als das halbe Zylindervolumen. Dies ist aber ein Widerspruch zur Annahme. Insgesamt bleibt nur übrig, dass das Segmentvolumen so groß ist wie das halbe Zylindervolumen. Genau dies war zu zeigen.
6.3 Zwei weitere Sätze aus der Methodenlehre Wir sehen uns in diesem Abschnitt zwei Sätze aus der Methodenlehre von den mechanischen Lehrsätzen an, die die Tragfähigkeit der dort von Archimedes vorgestellten Methode weiter untermauern. Der erste stimmt mit dem Satz 6.3 überein. Satz 6.4 Jedes normale Segment eines Paraboloids besitzt das anderthalbfache Volumen des Kegels, dessen Spitze mit dem Scheitel und dessen Grundfläche mit der Basis des Segments zusammenfällt. Wir betrachten die Abbildung 6.5, die ein normales Segment eines Paraboloids mit dem Scheitel S und einer Basis mit dem Mittelpunkt M sowie einen Zylinder mit der Achse SM und der Basis als Grundfläche zeigt. Der Punkt T sei so gewählt, dass S der Mittelpunkt der Strecke T M ist. Nun legen wir durch einen beliebigen Punkt Z der Strecke SM eine zu SM senkrechte Ebene. Diese schneidet das Segment in einem Kreis mit dem Durchmesser CD sowie den Zylinder in einem Kreis mit dem Durchmesser XY . Die Strecke P Q sei der zu XY parallele (und gleich lange) Durchmesser der Basis. Wir sehen d(S, T ) : d(S, Z) = d(S, M) : d(S, Z) = d2 (P, M) : d2 (C, Z) = d2 (X, Z) : d2 (C, Z) .
(Satz 3.5)
Nach Satz 4.4 ist also d(S, T ) : d(S, Z) das Verhältnis der Kreisflächen von Zylinder und Paraboloid. Daher ist nach dem Hebelgesetz (Satz 3.22) der bei S fixierte Waagebalken MT im Gleichgewicht, wenn man den Kreis des Paraboloids längs ZT (also seinen Mittelpunkt Z in den Punkt T ) verschiebt und den Zylinderkreis an seinem Ort lässt. Durchläuft Z die Strecke SM, erhält man Segment und Zylinder als Vereinigung der Kreise, die von den zu SM senkrechten Ebenen durch Z ausgeschnitten werden. Daher ist der bei S fixierte Waagebalken im Gleichgewicht, wenn man
154
6 Das Paraboloid Pts sM t
Q ts
X ts s t
C
W st sZ t ts
D st
ts
Y
S
stT
Abbildung 6.5: Halbes Zylindervolumen das Segment so anbringt, dass sein Schwerpunkt mit T zusammenfällt, und den Zylinder in seinem Schwerpunkt – also im Mittelpunkt W der Strecke SM – anhängt. Wegen d(S, T ) : d(S, W ) = 2 : 1 ist also das Segmentvolumen halb so groß wie das Zylindervolumen und daher nach Hilfssatz 4.19 (vii) anderthalbmal so groß wie das Volumen des Kegels mit der Spitze S und der Basis des Segments als Grundfläche. Der nächste Satz der Methodenlehre, den wir uns in diesem Abschnitt ansehen, ist nur in dieser Schrift überliefert. Satz 6.5 Der Schwerpunkt eines normalen Segments eines Paraboloids teilt die Achse im Verhältnis 2 zu 1, wobei der größere Teil beim Scheitel liegt. Wir betrachten die Abbildung 6.6, die ein normales Segment eines Paraboloids mit dem Scheitel S und einer Basis mit dem Mittelpunkt M sowie einen Kegel mit
6.3 Zwei weitere Sätze aus der Methodenlehre
155
P tr rtM
Q tr U tr
C tr r t
X
rtZ
Y r t
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D
rt
S
rtT
Abbildung 6.6: Der Schwerpunkt eines Segments eines Paraboloids der Achse SM und der Basis als Grundfläche zeigt. Der Punkt T sei so gewählt, dass S der Mittelpunkt der Strecke T M ist. Nun legen wir durch einen beliebigen Punkt Z der Strecke SM eine zu SM senkrechte Ebene. Diese schneidet das Segment in einem Kreis mit dem Durchmesser CD sowie den Kegel in einem Kreis mit dem Durchmesser XY . Die Strecke P Q sei der zu XY parallele Durchmesser der Basis. Aus d2 (P, M) : d2 (C, Z) = d(S, M) : d(S, Z)
(Satz 3.5)
:::::::::
= d(P, M) : d(X, Z) (2. Strahlensatz) 2 = d (P, M) : d(P, M) · d(X, Z) :::::::::::::::::::
156
6 Das Paraboloid
folgt zunächst d2 (C, Z) = d(P, M) · d(X, Z) A.2
und weiter d(P, M) : d(C, Z) = d(C, Z) : d(X, Z) . Zusammen ergibt dies d(S, T ) : d(S, Z) = d(S, M) : d(S, Z) = d2 (P, M) : d2 (C, Z) = d2 (C, Z) : d2 (X, Z) . Nach Satz 4.4 ist also d(S, T ) : d(S, Z) das Verhältnis der Kreisfläche des Segments zur Kegelkreisfläche. Daher ist nach dem Hebelgesetz der bei S fixierte Waagebalken MT im Gleichgewicht, wenn man den Kegelkreis längs ZT (also seinen Mittelpunkt Z in den Punkt T ) verschiebt und den Kreis des Paraboloids an seinem Ort lässt. Durchläuft Z die Strecke SM, erhält man Segment und Kegel als Vereinigung der Kreise, die von den zu SM senkrechten Ebenen durch Z ausgeschnitten werden. Daher ist der bei S fixierte Waagebalken im Gleichgewicht, wenn man den Kegel so anbringt, dass sein Schwerpunkt mit T zusammenfällt, und das Segment in seinem Schwerpunkt U anhängt. Da nach Satz 6.3 das Segmentvolumen anderthalbmal so groß ist wie das Kegelvolumen, gilt also für den Schwerpunkt d(S, M) : d(S, U) = d(S, T ) : d(S, U) = 3 : 2 oder
d(M, U) : d(S, U) = d(S, M) − d(S, U) : d(S, U) = 1 : 2 .
6.4 Über schwimmende Körper
In seiner Schrift Über schwimmende Körper befasst sich Archimedes mit der Frage, wie sich feste Körper – in Abhängigkeit von ihrem spezifischen Gewicht – in ruhenden Flüssigkeiten verhalten, etwa wie tief sie eintauchen. Er behandelt also in dieser Schrift Themen der Hydrostatik, wie die Lehre vom Gleichgewicht der Kräfte in ruhenden Flüssigkeiten heißt. Im ersten der beiden Bücher stellt Archimedes einige grundlegende Aussagen zusammen, die er im zweiten auf Segmente von Paraboloiden anwendet. Letzteres verwundert. Wären nicht Schiffsrümpfe näherliegende Untersuchungsobjekte? Sicher war auch Archimedes dieser Meinung, doch mit seinen Mitteln konnte er dies nicht leisten. Er betrat mit diesen Untersuchungen nämlich völliges Neuland. Dass die von ihm erzielten Ergebnisse bis ins 17. Jahrhundert nicht überboten wurden, zeigt die Tiefe seiner Resultate.
157
6.4 Über schwimmende Körper
Bei den Überlegungen, die er im ersten Buch anstellt, geht Archimedes davon aus, dass eine nur aus Wasser bestehende Erde Kugelgestalt habe und von Wasserteilchen, die gleich weit vom Mittelpunkt entfernt sind und zusammenhängen, „die stärker gedrückten die weniger gedrückten vor sich her treiben“ und jedes Teilchen von der Flüssigkeit, die darüber liegt, in lotrechter (also radialer Richtung) gedrückt werde. Ferner setzt er voraus, dass „Körper, die in einer Flüssigkeit aufwärts getrieben werden“, in Richtung des durch ihren Schwerpunkt verlaufenden Radius steigen. Unter diesen Voraussetzungen kommt Archimedes zu folgenden Ergebnissen. Satz 6.6 Wird ein fester Körper in eine Flüssigkeit getaucht, so gilt: (i) Ist sein spezifisches Gewicht gleich dem der Flüssigkeit, taucht er so weit ein, dass seine Oberfläche nicht mehr aus der Flüssigkeit herausragt. Weiter sinkt er nicht. (ii) Ist der Körper spezifisch leichter, so taucht er so weit ein, dass die von ihm verdrängte Flüssigkeitsmenge so schwer ist wie der ganze Körper. (iii) Ist der Körper spezifisch leichter und wird er mit Gewalt eingetaucht, so wird er mit einer Kraft in die Höhe getrieben, die gleich der Differenz der Gewichte der verdrängten Flüssigkeitsmenge und des Körpers ist. (iv) Ist der Körper spezifisch schwerer, so sinkt er auf den Grund und wird um so viel leichter, wie die von ihm verdrängte Flüssigkeitsmenge wiegt. B tr
B tr trC
Q tr
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tr
P
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(a)
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(b)
Abbildung 6.7: Zu den Aussagen (i) und (ii) Archimedes betrachtet einen ebenen Schnitt durch den Kugelmittelpunkt und zwei benachbarte, gleich große Sektoren des dadurch ausgeschnittenen Kreises. Die Abbildung 6.7 zeigt zwei solche Sektoren zu den Kreisbögen AB und BC . Nach seinen Prämissen befinden sich diese im Gleichgewicht, wenn auf allen Bögen P Q und QR das gleiche Gewicht lastet.
⌢
⌢
⌢
⌢
158
6 Das Paraboloid
Hat man einen Körper mit demselben spezifischen Gewicht, so ist dieser Zustand erreicht, sobald dieser vollständig eingetaucht ist. Dann kommt das System zur Ruhe und es geschieht nichts weiter (siehe Abbildung 6.7 (a)). Hat man einen Körper mit einem kleineren spezifischen Gewicht, so ist dieser Zustand erreicht, sobald dieser so viel Wasser verdrängt, dass das Gesamtgewicht der Sektoren übereinstimmt (siehe Abbildung 6.7 (b)). Dies ist genau dann der Fall, wenn das verdrängte Wasser so viel wiegt wie der gesamte Körper. Damit sind die Aussagen (i) und (ii) des Satzes bewiesen. B tr
L K
rtC
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r t rt
Abbildung 6.8: Zur Aussage (iii) Um die Aussage (iii) zu zeigen, betrachten wir einen (spezifisch leichteren) Körper K, der dasselbe Gewicht hat wie eine Flüssigkeitsmenge X. Die Flüssigkeitsmenge Y sei so gewählt, dass X und Y zusammen das Volumen des Körpers K besitzen. Nun ist zu zeigen, dass K mit einer Kraft, die gleich dem Gewicht von Y ist, nach oben gedrückt wird. Dazu wählen wir einen weiteren Körper L mit dem Gewicht der Flüssigkeitsmenge Y . Der aus K und L zusammengesetzte Körper hat dann das Gewicht der Flüssigkeitsmengen X und Y zusammen, verdrängt aber – wenn er vollständig untergetaucht ist – mehr Flüssigkeit (da ja bereits K das Volumen dieser Flüssigkeitsmenge besitzt). Er ist also leichter als die von ihm verdrängte Flüssigkeit. Nach (ii) taucht er daher so weit ein, bis die von ihm verdrängte Flüssigkeitsmenge das gesamte Gewicht von X und Y besitzt. Das ist der Fall, wenn K in der Flüssigkeit, L aber außerhalb ist (siehe Abbildung 6.8). Kommen wir zur Aussage (iv). Wir gehen aus von einem spezifisch schwereren Körper K. Hat die von diesem Körper verdrängte Wassermenge das Gewicht G, hat also K ein Gewicht G + H. Daneben betrachten wir einen Körper L mit dem Gewicht G, bei dem wir das spezifische Gewicht so wählen, dass die verdrängte Flüssigkeitsmenge das Gewicht G+H besitzt. Der aus K und L zusammengesetzte Körper hat dann ebenso das Gewicht 2G + H wie das von ihm verdrängte Wasser.
6.4 Über schwimmende Körper
159
Somit wird der Körper K mit derselben Kraft nach unten gezogen wie der Körper L nach oben. Nach (iii) ist Letztere gleich der Differenz H des Gewichts G + H der von L verdrängten Flüssigkeit und des Körpergewichts G. Somit wird K mit der Kraft H nach unten gezogen. Das restliche Gewicht G, also das Gewicht der von K verdrängten Wassermenge, hat der Körper verloren. Die Aussagen (iii) und (iv) von Satz 6.6 kann man wie folgt zusammenfassen: Wird ein fester Körper in eine Flüssigkeit eingetaucht, so verliert er scheinbar so viel an Gewicht, wie die von ihm verdrängte Flüssigkeit wiegt. Dies ist das bekannte archimedische Prinzip der Hydrostatik. Dieses Prinzip kann uns helfen, der auf S. 34 erzählten Geschichte von der goldenen Krone auf den Grund zu gehen.
Abbildung 6.9: Goldene Krone (Thessaloniki, Archäologisches Museum) Die von König Hieron gestiftete Krone dürfte ähnlich ausgesehen haben wie die in Abbildung 6.9 gezeigte. Wir nehmen an, dass der Goldklumpen und damit auch die Krone ein Kilogramm gewogen haben (ein König, der seinem Volk imponieren will, darf nicht knausrig sein) und der Goldschmied ein Drittel des Goldes durch Silber ersetzt hat. Dann wäre das Volumen der Krone etwa 14 cm3 größer gewesen als das des Goldklumpens. Taucht man nun die Krone und einen Goldklumpen von einem Kilogramm in ein mit Wasser gefülltes Gefäß, so unterscheidet sich die in den beiden Fällen erreichte Wasserhöhe umso mehr, je kleiner der Querschnitt des Gefäßes ist. Geht man von einem rechteckigen Querschnitt mit einer Breite von 10 cm und einer Länge von 20 cm aus (in ein kleineres Gefäß passt die Krone, die man ja nicht einfach zurechtbiegen kann, nicht), würde der 14 Niveauunterschied etwa 200 cm, also etwa 0.7 mm betragen. Da man wohl kaum eigens für diesen Versuch ein Gefäß gefertigt hätte, man also von einem Gefäß mit rundem Querschnitt ausgehen muss, wäre der Niveauunterschied in Wirklichkeit noch geringer ausgefallen. Allein die Oberflächenspannung des Wassers verhindert hier ein zuverlässiges Ergebnis.
160
6 Das Paraboloid
Anders sieht es aus, wenn das archimedische Prinzip zum Tragen kommt. Hängt man nämlich die Krone und einen gleich schweren Goldklumpen an die beiden Enden einer gut austarierten Balkenwaage und taucht dann beide Gewichte ins Wasser, so werden aus den etwa 14 cm3 Volumendifferenz etwa 14 g Gewichtsdifferenz. Diese macht sich bei einer guten Balkenwaage deutlich bemerkbar. (Noch heute wiegt man Münzen bis auf hundertstel Gramm mit Balkenwaagen.) Die Form des Wassergefäßes spielt bei diesen Betrachtungen keine Rolle. Es darf also durchaus die Badewanne sein, in der Archimedes seine zündende Idee hatte. Kehren wir zur Schrift Über schwimmende Körper zurück. Während Archimedes im ersten der beiden Bücher von einer kugelförmigen Oberfläche der Flüssigkeit ausgeht, setzt er diese Oberfläche im zweiten Buch als eben voraus. Ohne dies ausdrücklich zu sagen, approximiert er also die Oberfläche linear, wie es für lokale Untersuchungen sinnvoll ist. Beim ersten Satz dieses Buchs wirkt sich dies noch nicht aus. Satz 6.7 Wird ein spezifisch leichterer Körper in eine Flüssigkeit getaucht, so verhält sich sein Gewicht zum Gewicht der Flüssigkeit mit gleichem Volumen wie das Volumen des eingetauchten Teils zum Gesamtvolumen. Wir gehen aus von einem Körper K mit dem Gewicht G und dem Volumen V . Das Volumen des eingetauchten Teils sei E. Nach Satz 6.6 (ii) besitzt die verdrängte Flüssigkeitsmenge (mit dem Volumen E) das Gewicht G. Das Gewicht V · G, woraus wegen der Flüssigkeit mit dem Volumen V beträgt daher E G:
V ·G E
= E:V
die Aussage des Satzes folgt. Die übrigen Sätze des zweiten Buches beschäftigen sich mit Paraboloiden. In diese sehr anspruchsvollen und detailreichen Untersuchungen können wir nur einen kurzen Blick werfen, um so zumindest eine Ahnung vom Vorgehen des Archimedes zu erhalten. Satz 6.8 Schwimmt ein normales Segment eines Paraboloids, dessen Achse nicht größer ist als dreiviertel des Parameters p, so in einer Flüssigkeit, dass seine Basis die Flüssigkeit nicht berührt, so wird er nicht in Ruhe verharren, solange seine Achse nicht senkrecht ist zur Oberfläche der Flüssigkeit. Die Abbildung 6.10 zeigt einen ebenen Schnitt durch ein solches Segment mit der Achse SL. Die Oberfläche der Flüssigkeit sei durch die Gerade P Q gegeben. Wir gehen davon aus, dass das vom eingetauchten Teil gebildete Segment mit der Achse BM kein normales Segment ist. Zu zeigen ist, dass dann das Segment nicht in Ruhe verharrt.
161
6.4 Über schwimmende Körper rtD
L tr
rW t rtU
C tr P
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M tr
r t
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B
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S
T
Abbildung 6.10: Basis außerhalb der Flüssigkeit Nach Hilfssatz 3.9 (ii) ist L der Mittelpunkt der Strecke CD, M der Mittelpunkt der Strecke P Q. Der Schwerpunkt U des normalen Segments teilt nach Satz 6.5 die Strecke SL im Verhältnis 2 : 1. Ebenso teilt der Schwerpunkt V des zweiten Segments die Strecke BM im Verhältnis 2 : 1. [Für diese Aussage findet sich kein Beweis in den uns bekannten Schriften des Archimedes.] Nach Satz 3.22 kennen wir mit U und V auch den Schwerpunkt W des Restkörpers: U teilt die Strecke V W im Verhältnis der entsprechenden Gewichte. Schneidet die Parabelnormale im Punkt B die Achse SL im Punkt Z, so gilt mit Hilfssatz 3.8 p 2 3 2 d(S, Z) > = · p ≥ d(S, L) = d(S, U) . 2 3 4 3 Da also Punkt Z weiter von S entfernt ist als der Punkt U, ist der grau eingezeichnete Winkel ein spitzer Winkel. Somit liegt V (ebenso wie W ) nicht auf dem von U auf die Parabeltangente in B gefällten Lot UT . Daher können sich die in den Schwerpunkten V und W angreifenden und parallel zu UT wirkenden Kräfte, die das Segment mit dem Scheitelpunkt B aufwärts und den Restkörper abwärts ziehen, nicht gegenseitig aufheben. Dies ist nur möglich, wenn P Q parallel zu CD ist, da dann die Geraden SL, BM und UT zusammenfallen. Wir sehen uns eine zweite, ähnliche Aussage an. Satz 6.9 Schwimmt ein normales Segment eines Paraboloids, dessen Achse nicht größer ist als dreiviertel des Parameters p, so in einer Flüssigkeit, dass seine Basis vollständig in der Flüssigkeit liegt, so wird er nicht in Ruhe verharren, solange seine Achse nicht senkrecht ist zur Oberfläche der Flüssigkeit.
162
6 Das Paraboloid
S tr
T tr trB rtV r t
Q tr
M
rtPt r
C
rt U
W tr
r t
L
D
r t
Abbildung 6.11: Basis in der Flüssigkeit Die Abbildung 6.11 zeigt einen ebenen Schnitt durch ein solches Segment mit der Achse SL. Die Oberfläche der Flüssigkeit sei durch die Gerade P Q gegeben. Wir gehen davon aus, dass das von dem aus dem Wasser ragenden Teil gebildete Segment mit der Achse BM kein normales Segment ist. Zu zeigen ist, dass dann das Segment nicht in Ruhe verharrt. Wie im Beweis von Satz 6.8 sieht man, dass der Schwerpunkt U des normalen Segments auf der Verbindungsstrecke V W der Schwerpunkte des zweiten Segments und des Restkörpers liegt. Ebenso sieht man, dass die Parabelnormale im Punkt B die Achse SL in einem Punkt Z trifft, der weiter von S entfernt ist als der Punkt U. Somit ist der grau eingezeichnete Winkel ein spitzer Winkel, weshalb V (ebenso wie W ) nicht auf dem von U auf die Parabeltangente in B gefällten Lot UT liegt. Daher können sich die in den Schwerpunkten V und W angreifenden und parallel zur Geraden UT wirkenden Kräfte, die das Segment mit dem Scheitelpunkt B abwärts und den Restkörper aufwärts ziehen, nicht gegenseitig aufheben. Die übrigen Sätze dieses Buches behandeln detailliert Segmente, deren Achse größer ist als dreiviertel des Parameters. Hier kann es unter bestimmten Voraussetzungen auch schiefe Gleichgewichtslagen geben.
7 Gittervielecke Die Gebilde, die wir in diesem Kapitel betrachten, spielen eine Rolle in einer Schrift des Archimedes, die erst seit dem letzten Jahrhundert bekannt ist. Es geht um rechtwinklige Gitter mit der Maschenlänge 1 und darin um Vielecke, deren Ecken Punkte des Gitters sind (siehe Abbildung 7.1). Ein solches Vieleck nennen wir Gittervieleck.
Abbildung 7.1: Gitter mit Gitterdreieck Bevor wir im Abschnitt 7.2 etwas näher auf die abenteuerliche Geschichte dieser Entdeckung eingehen, befassen wir uns mit einer Formel, die es uns gestattet, sehr einfach die Fläche solcher Vielecke zu berechnen.
7.1 Die Flächenformel von Pick Nach der von Georg Pick im Jahre 1899 hergeleiteten Formel kann die Fläche F eines Gittervielecks einfach ausgezählt werden. Sie ist um 1 kleiner als die Anzahl I der im Inneren des Polygons liegenden Gitterpunkte plus der Hälfte der Anzahl R der auf dem Rand liegenden Gitterpunkte: F = I+
R −1 . 2
Wie die Abbildung 7.2 zeigt, hat danach das Gitterdreieck aus Abbildung 7.1 die Fläche 4 F = 28 + − 1 = 29 . 2 Durch Berechnung geeigneter (halber) Rechtecksflächen kann der Leser leicht die Korrektheit dieses Ergebnisses überprüfen.
164
7 Gittervielecke
qr rq
qr rq rq rq
r rq rq rq rq rq
qr rq rq rq rq
qr rq rq rq r
qr rq rq
qr rq rq
rq
rq
qr r
r
innerer Punkt Randpunkt
r
Abbildung 7.2: Innere Punkte und Randpunkte Wir beweisen die Formel von Pick zunächst für Gitterdreiecke. Dabei gehen wir schrittweise vor. (i) Die Formel gilt für alle Gitterrechtecke mit gitterparallelen Kanten.
Länge M +1
z
qr rq rq rq
|
N Gitterpunkte }| qr rq rq rq
qr rq rq rq
qr rq rq rq
qr rq rq rq
qr rq rq rq
qr rq rq rq
{z Länge N +1
qr rq rq rq
{
qr rq rq rq
}
M Gitterpunkte
Abbildung 7.3: Gitterrechteck
A.1
Wir betrachten ein solches Rechteck mit den Kantenlängen M + 1 und N + 1 (M, N ∈ {0, 1, 2, . . .}; siehe Abbildung 7.3). Das Rechteck hat die Fläche F = (M + 1) · (N + 1) = M · N + M + N + 1 . Es liegen I = M · N Gitterpunkte im Inneren und es besitzt R = 2M + 2N + 4 Randpunkte. Somit gilt R −1 = M ·N +M +N +2−1 = F . 2 (ii) Die Formel gilt für alle rechtwinkligen Gitterdreiecke mit gitterparallelen Katheten. Hat man ein solches Dreieck, so kann man es durch ein zweites, gleich großes zu einem Gitterrechteck ergänzen (siehe Abbildung 7.4). Kennzeichnen wir die in der Formel von Pick auftretenden Größen beim Gitterrechteck durch ein Viereck und durch ein Dreieck beim gegebenen Gitterdreieck, so gilt zunächst nach (i) die Formel R F = I + − 1. 2 I+
165
7.1 Die Flächenformel von Pick
r t
r t
Abbildung 7.4: Rechtwinkliges Gitterdreieck Ist D die Anzahl der Gitterpunkte auf der eingezeichneten Rechtecksdiagonalen ohne die beiden Endpunkte, so sehen wir für die Anzahl I der inneren Gitterpunkte des Rechtecks I = I∆ + I∆ + D = 2I∆ + D . Um die Anzahl R seiner Randpunkte zu bekommen, müssen wir die Randpunkte der beiden Dreiecke zusammenzählen, dann zweimal die Anzahl D abziehen (da die Diagonale ja bei jedem der beiden Dreiecke mitgezählt wurde) und schließlich noch 2 abziehen (um die beiden in jedem Dreieck mitgezählten Endpunkte der Diagonale nur einfach zu zählen). Wir halten dieses Ergebnis fest: (⋆)
R = 2R∆ − 2D − 2 .
Nun können wir wie folgt rechnen: 1 F R = · I + −1 2 2 2 1 · (2I∆ + D + R∆ − D − 1 − 1) = 2 R∆ 1 · (2I∆ + R∆ − 2) = I∆ + − 1. = 2 2
F∆ =
(iii) Die Formel gilt für spitzwinklige und rechtwinklige Gitterdreiecke. Wir unterscheiden zwei Fälle. Hat man ein rechtwinkliges Dreieck mit gitterparallelen Katheten, so stimmt die Aussage nach (ii). Andernfalls kann man ein solches Dreieck wie in Abbildung 7.5 (a) gezeigt durch drei rechtwinklige Gitterdreiecke mit gitterparallelen Katheten zu einem Gitterrechteck ergänzen. (Die Abbildung 7.5 (b) zeigt, dass dies bei einem stumpfwinkligen Gitterdreieck nicht immer möglich ist.) Für das so entstandene Rechteck wissen wir nach (i) F = I +
R − 1. 2
166
7 Gittervielecke
r t
r t r t
(a)
(b)
Abbildung 7.5: Spitzwinkliges und stumpfwinkliges Gitterdreieck
Bezeichnen wir die entsprechenden Größen des gegebenen Dreiecks mit F∆ , I∆ , R∆ und kennzeichnen die Größen der drei rechtwinkligen Ergänzungsdreiecke mit den Indizes 1, 2, 3, so gilt nach (ii) R1 − 1, 2 R2 − 1, = I2 + 2 R3 − 1. = I3 + 2
F1 = I1 + F2 F3
Bezeichnen weiter H1 , H2 , H3 die Anzahl der auf den Hypotenusen der drei rechtwinkligen Ergänzungsdreiecke (also auf den Seiten des gegebenen spitzwinkligen Dreiecks) gelegenen Gitterpunkte ohne die jeweiligen Endpunkte, so besteht zwischen der Anzahl I der im Inneren des Rechtecks gelegenen Punkte und der Anzahl I∆ der im Inneren des spitzwinkligen Dreiecks gelegenen Punkte die Beziehung I = I∆ + I1 + I2 + I3 + H 1 + H 2 + H 3 . Für die Randpunkte dieser Flächen gilt R∆ = H1 + H2 + H3 + 3 , R = R1 + R2 + R3 − H1 − H2 − H3 − 3 . (Der Term −3 in der letzten Formel verhindert, dass die Eckpunkte des gegebenen Dreiecks doppelt gezählt werden.)
167
7.1 Die Flächenformel von Pick Zusammen ergeben die im Beweisteil (iii) hergeleiteten Gleichungen R − 1 − F1 − F2 − F3 F∆ = F − F1 − F2 − F3 = I + 2 = I ∆ + I1 + I2 + I3 + H 1 + H 2 + H 3 1 + (R1 + R2 + R3 − H1 − H2 − H3 − 3) − 1 2 R1 R2 R3 − 1 − I2 + − 1 − I3 + −1 − I1 + 2 2 2 1 3 = I∆ + (H1 + H2 + H3 ) − − 1 + 3 2 2 1 1 1 = I∆ + (R∆ − 3) + = I∆ + R∆ − 1 . 2 2 2
(iv) Die Formel gilt für Parallelogramme (insbesondere für beliebige Gitterrechtecke). Wir zerlegen das gegebene Parallelogramm durch eine (geeignete) Diagonale in zwei spitzwinklige oder (im Falle eines Rechtecks) rechtwinklige Dreiecke ∆1 , ∆2 (siehe Abbildung 7.6). Dass die Dreiecke ∆1 , ∆2 kongruent sind, werden wir im Hinblick auf spätere Überlegungen bewusst nicht verwenden. tr
∆1
∆2
r t r t
∆1
∆2 tr
Abbildung 7.6: Parallelogramm Bezeichnet D wie oben die Gitterpunkte auf der eingezeichneten Diagonalen ohne deren Endpunkte und kennzeichnen die Indizes 1, 2 die Größen der beiden Dreiecke, so erhalten wir für das Parallelogramm folgende Aussage: R1 R2 − 1 + I2 + −1 (siehe (iii)) 2 2 R1 R2 + −1−1 = I1 + I2 + D −D + | {z } 2 2 −2D + R1 + R2 − 2 = I −1 + 2 R −1 (vergleiche (⋆) auf S. 165). = I + 2
F = F1 + F2 = I1 +
168
7 Gittervielecke
(v) Die Formel gilt für beliebige Dreiecke. Wir wissen bereits, dass die Formel für rechtwinklige und spitzwinklige Dreiecke gilt. Somit bleiben noch stumpfwinklige Dreiecke zu betrachten. Ist ∆1 ein solches Dreieck, so kann man ein zweites, dazu kongruentes Dreieck ∆2 so anlegen, dass ein Parallelogramm entsteht (siehe Abbildung 7.7). Da nach (iv) für Parallelogramme die Formel von Pick gilt, kann man die weitere Argumentation aus (ii) abschreiben. tr
∆1 ∆2 r t
Abbildung 7.7: Stumpfwinkliges Gitterdreieck Nun können wir den entscheidenden Schritt gehen, indem wir Folgendes beweisen (siehe Abbildung 7.8): Lässt sich ein Gittervieleck V durch eine Diagonale in zwei Gittervielecke V1 und V2 zerlegen, von denen jedes die Flächenformel von Pick erfüllt, so erfüllt auch V diese Formel. Wir müssen uns dazu keinen neuen Beweis überlegen. Die obige eingerahmte Argumentation kann direkt übernommen werden. Wichtig in dieser Argumentation war ja nur, dass die beiden Teilflächen der Flächenformel von Pick genügen. r t
V1
r t
V2
Abbildung 7.8: Der allgemeine Fall Damit folgt sofort, dass die Pick’sche Formel für beliebige Gittervierecke gilt (diese lassen sich in zwei Gitterdreiecke zerlegen, von denen wir wissen, dass für sie die Formel gilt). Dann gilt sie aber auch für beliebige Gitterfünfecke, da sich diese in ein Gitterviereck und ein Gitterdreieck zerlegen lassen, und für Gittersechsecke, da sich diese in ein Gitterfünfeck und ein Gitterdreieck zerlegen lassen,
7.2 Das Stomachion
169
und damit auch . . . Statt der drei Punkte können wir auch mathematisch korrekt sagen: Vollständige Induktion zeigt, dass die Flächenformel von Pick für beliebige Gittervielecke gilt.
7.2 Das Stomachion Ohne die Arbeit der Mönche, die in den Skriptorien unermüdlich Abschriften verschiedenster Werke anfertigten, wäre viel Wissen verloren gegangen. Denn neben liturgischen Texten kopierten sie zahlreiche Texte antiker Autoren. Auch Werke des Archimedes haben uns auf diese Weise erreicht, manchmal auf geradezu abenteuerliche Weise. Einer in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts im Byzantinischen Reich (wahrscheinlich in Konstantinopel) auf Pergament gefertigten Kopie mit wichtigen Schriften des Archimedes sollte (fast) zum Verhängnis werden, dass Pergament im Mittelalter kostbar war. Um weiterhin die Wünsche der Auftraggeber erfüllen zu können, kam man auf die Idee, alte Pergamente abzuschaben und neu zu beschreiben, wodurch ein sogenanntes Palimpsest (eigentlich das Wiederabgeschabte) entstand. Genau dies geschah im 13. Jahrhundert mit dem Kodex des Archimedes: Er wurde (zusammen mit anderen Werken) zu einem Gebetbuch. Man kann das Entstehungsdatum sogar genau angeben. Im Jahre 2002 entdeckte John Lowden vom Courtauld Institute of Art in London ein Datum auf dem Kodex, den 13. April 1229. Spätestens seit dem 16. Jahrhundert war das Gebetbuch im Besitz des Klosters St. Sabas in der Nähe von Bethlehem. Um 1840 tauchte es in Istanbul auf. Der deutsche evangelische Theologe Lobegott Friedrich Konstantin von Tischendorf (1815–1874) schrieb in seinem Buch Reise in den Orient, dass er ein Palimpsest mit einigen mathematischen Texten gefunden habe. Obwohl der Theologe diese Texte nicht verstand, fand er sie wohl interessant, da 1879 aus seinem Nachlass ein Blatt des Palimpsests an die Bibliothek der Cambridge University verkauft wurde. Das Geheimnis des Palimpsests lüftete 1906 der dänische Mathematikhistoriker und Archimedes-Experte Johan Ludvig Heiberg (1854–1928), der auch für seine griechisch-lateinische Ausgabe der Werke Euklids bekannt ist. Der weitere Weg des Palimpsests (auf dem einige Blätter verloren gingen) ist nicht genau zu rekonstruieren. Zwischen 1920 und 1960 gelangte es in den Besitz einer französischen Familie. 1998 kam es bei Christie’s unter den Hammer. Ein privater Bieter ersteigerte das aus 174 Blättern bestehende Palimpsest und überließ es dem Walters Art Museum in Baltimore. Dort wird es seitdem mit Mitteln modernster Technik eingehend untersucht (Heiberg stand für seine Entdeckung nur eine Lupe zur Verfügung). Mindestens sieben Werke des Archimedes sind (auszugsweise) auf dem Palimpsest zu finden: Über das Gleichgewicht ebener Flächen, Über Spiralen, Kreismes-
A.16
170
7 Gittervielecke
sung, Über Kugel und Zylinder, Über schwimmende Körper, Methodenlehre von den mechanischen Lehrsätzen und ein Fragment mit dem rätselhaften Titel Das Stomachion. Die Schrift Über schwimmende Körper kannte man bis dahin lediglich in einer lateinischen Übersetzung. Die wichtige Methodenlehre von den mechanischen Lehrsätzen und Das Stomachion waren sogar völlig unbekannt. Mit dem Stomachion kehren wir zu den Überlegungen des letzten Abschnitts zurück. Archimedes beschreibt in diesem Werk ein Puzzlespiel, bei dem aus 14 anfänglich im Quadrat angeordneten Elfenbeinplättchen (siehe Abbildung 7.9) interessante Figuren gelegt werden sollen. Der spätantike Staatsbeamte Decimius
Abbildung 7.9: Das Stomachion Magnus Ausonius (um 310–394 n. Chr.) zählt mögliche Ergebnisse auf: ein Elefant (daher auch der Name Elefantenpuzzle), ein Eber, eine fliegende Gans, ein bewaffneter Gladiator, ein Jäger auf der Pirsch, ein bellender Hund, ein Turm, eine Kanne. Ob Archimedes das Spiel selbst entworfen oder sich nur mit den geometrischen Problemen des bereits bestehenden Puzzles beschäftigt hat, ist unklar. Möglicherweise interessierte ihn die kombinatorische Fragestellung, auf wie viele Arten sich das Quadrat legen lässt. Mit Hilfe eines Computerprogramms konnte 2003 gezeigt werden, dass es 17 152 Möglichkeiten gibt, aus den 14 Teilen ein Quadrat zusammenzusetzen. Betrachtet man alle Lösungen als gleich, die sich durch Bewegungen erzeugen lassen, die das Quadrat auf sich abbilden (also durch Drehungen um den Mittelpunkt um 0◦ , 90◦ , 180◦, 270◦ sowie durch die vier Spiegelungen an den Diagonalen und den Mittelsenkrechten der Seiten), so bleiben 17 152 : 8 = 2144 Lösungen. Beachtet man ferner, dass die beiden hellgrauen und die beiden dunkelgrauen Plättchen kongruent sind, so sieht man, dass man durch Vertauschung dieser Plättchen vier
171
7.2 Das Stomachion
12 12
24
6 12
12
3 9
3 6
21
6
6 12
Abbildung 7.10: Die Größe der Teile identische Lösungen erhält. Es bleiben also 2144 : 4 = 536 wesentlich verschiedene Lösungen. Einfacher ist die Frage zu entscheiden, welche Größe die einzelnen Flächen haben. Die Flächenformel von Pick liefert schnell das Ergebnis, das in Abbildung 7.10 zu sehen ist.
8 Regelmäßige Körper Im fünften Buch der Sammlung des Pappos (siehe S. 23) lesen wir: „Obwohl man viele Körper mancherlei Gestalt betrachten kann, wird man eher jene einer Untersuchung für wert erachten, die regelmäßig angeordnet erscheinen. Diese umfassen nicht nur die fünf Körper des gottgleichen Plato, also Tetraeder, Hexaeder, Oktaeder, Dodekaeder und Ikosaeder, sondern auch die von Archimedes entdeckten, 13 an der Zahl, die durch gleichseitige und gleichwinklige, aber nicht notwendig gleichartige Polygone begrenzt werden.“ Anschließend listet Pappos diese 13 Körper auf, wobei er jeweils eine kurze Beschreibung gibt. Auf die Fragen, wie deren Existenz bewiesen werden kann oder wie sie konstruiert werden können, geht er allerdings nicht ein. Dass es geometrische Figuren gibt, die Platon zugeschrieben werden, verwundert wohl mehr als die Tatsache, dass Archimedes mit solchen in Verbindung gebracht wird. Und doch ist der zitierte Satz, der rund 500 Jahre nach Archimedes’ Tod geschrieben wurde, der älteste Hinweis auf diese archimedischen Körper. In den erhaltenen Werken des Archimedes findet sich nichts darüber. Den platonischen Körpern widmete Euklid das dreizehnte (und letzte) Buch seiner Elemente. Ihren Namen verdanken sie ihrer Rolle in Platons Dialog Timaios. Uns interessieren vornehmlich die archimedischen Körper. Da bei ihrer Konstruktion die platonischen Körper eine wichtige Rolle spielen, müssen auch diese behandelt werden. Und da es sich in beiden Fällen um Polyeder (Vielflächner, eigentlich Vielsitzige) handelt, also um ebenflächig begrenzte Körper, deren Begrenzungsflächen regelmäßige Vielecke sind, ist es sinnvoll, sich zunächst mit regelmäßigen Vielecken zu beschäftigen und insbesondere Möglichkeiten zu ihrer Erzeugung zu betrachten. Ihre Definition und einige Eigenschaften haben wir bereits im Abschnitt 2.2 kennengelernt.
8.1 Erzeugung regelmäßiger Vielecke Viele archimedische Körper lassen sich erzeugen, indem man Ecken platonischer Körper geeignet abschneidet. Vorbereitend erzeugen wir im Folgenden neue regelmäßige Vielecke, indem wir Ecken von Vielecken abschneiden. Auf diese Weise aus einem gleichseitigen Dreieck ein regelmäßiges Sechseck zu konstruieren, ist sehr einfach: Man muss lediglich die Seiten des Dreiecks dritteln (siehe Abbildung 8.1). Das so entstandene Sechseck ist gleichseitig, da die hellgrauen gleichschenkligen Dreiecke an der Spitze einen 60◦ -Winkel besitzen und daher gleichseitig sind.
173
8.1 Erzeugung regelmäßiger Vielecke rt
rt
rt
rt
rt
rt
rt
rt
rt
Abbildung 8.1: Vom Dreieck zum Sechseck Nicht ganz so einfach ist es, ein regelmäßiges Achteck zu erzeugen, indem man Ecken eines Quadrats kappt. Wir werden sehen, dass man ein regelmäßiges Achteck erhält, wenn man die halbe Länge der Diagonalen von den Ecken aus auf den Seiten abträgt (siehe Abbildung 8.2). Da die Symmetrieachsen des Quadrats auch Symmetrieachsen des so konstruierten Achtecks sind, besitzt dieses einen Umkreis. Wir sind daher fertig, wenn wir wissen, dass der schwarz eingezeichnete Mittelpunktswinkel 45◦ beträgt (siehe Tabelle 2.1 auf S. 44). Dies zeigen wir wie folgt. Da das Dreieck BEM nach Konstruktion gleichschenklig ist und an der Spitze einen 45◦ -Winkel besitzt, sind die grauen Winkel bei M und B jeweils (180◦ − 45◦ ) : 2 = 67.5◦ groß. Da die Dreiecke MAE und MBF kongruent sind, ist das Dreieck ABM ebenfalls gleichschenklig. Der Winkel bei A ist daher ebenso groß wie der Winkel bei B. Also bleiben für den schwarzen Mittelpunktswinkel 180◦ − 2 · 67.5◦ = 45◦ . E
rt
rt
rt
A
B
rt
rt
F
rt tr
M rt
rt
rt
rt
rt
rt
Abbildung 8.2: Vom Quadrat zum Achteck Schließlich überlegen wir uns, wie man auf ähnliche Art aus einem regelmäßigen Fünfeck ein regelmäßiges Zehneck erhalten kann (man betrachte Abbildung 8.3). Da der Innenwinkel im regelmäßigen Fünfeck 108◦ beträgt (siehe Tabelle 2.1),
A.7
174
8 Regelmäßige Körper rC t rtc
D tr
rtc
rtc
rtcQ
rtc
trB
M trc rtc
rtc
E
P
r t rtc
rtc rtc
r t
A
Abbildung 8.3: Vom Fünfeck zum Zehneck
A.5
messen die grau eingezeichneten Basiswinkel in den gleichschenkligen Dreiecken ABC und ADE jeweils (180◦ − 108◦ ) : 2 = 36◦ . Somit ergeben sich für den schwarzen Winkel bei A ebenfalls 108◦ − 2 · 36◦ = 36◦ . Wir verschieben nun die Diagonalen des Fünfecks durch seinen Umkreismittelpunkt M und betrachten das obere hellgraue Dreieck. Da dessen Seiten parallel zu den Seiten des Dreiecks ACD sind, ist der gestrichelte Winkel wie der schwarze 36◦ groß. Dies gilt auch für seinen (ebenfalls gestrichelt eingezeichneten) Scheitelwinkel. Beide sind also so groß wie der Mittelpunktswinkel des Zehnecks. Da die beiden (gleichschenkligen) hellgrauen Dreiecke kongruent sind, liefert somit die jeweilige Dreiecksbasis eine Seite eines regelmäßigen Zehnecks mit dem Umkreismittelpunkt M. Die übrigen parallel verschobenen Diagonalen liefern seine restlichen Ecken. Abschließend betrachten wir das von den Seitenmitten eines regelmäßigen Fünfecks gebildete (natürlich ebenfalls regelmäßige) Fünfeck (siehe Abbildung 8.4). Wie etwa das Dreieck ABC zeigt, sind die Seiten dieses Fünfecks halb so lang wie die Diagonalen des ursprünglichen Fünfecks.
8.2 Die platonischen Körper Die Rolle, die bei Polygonen der Umkreis spielt, übernimmt bei Polyedern die Umkugel, also eine Kugel, auf der alle Ecken des Polyeders liegen. Da eine Kugel durch vier nicht in einer Ebene liegende Punkte eindeutig bestimmt ist und jedes
175
8.2 Die platonischen Körper rC t rt
D tr
rt
E
rt
trB
Mc rt
tr rt
r t
A
Abbildung 8.4: Das Fünfeck der Seitenmitten Polyeder mindestens vier solche Ecken besitzt, ist die Umkugel (falls sie existiert) eindeutig bestimmt. Wir nennen ein Polyeder mit Umkugel regulär oder einen platonischen Körper, wenn alle begrenzenden Flächen untereinander kongruente regelmäßige Vielecke sind und an jeder Ecke gleich viele zusammenstoßen. Euklids Beweis, dass es höchstens fünf solche Körper geben kann, ist sehr einfach einzusehen. Zunächst ist klar, dass man mindestens drei Ebenen für eine räumliche Ecke braucht. Zum anderen muss die Summe der in einer Ecke zusammenkommenden Winkel kleiner als 360◦ sein. Daher kann man aus regelmäßigen Sechsecken, die in jeder Ecke einen 120◦ -Winkel besitzen, zwar schöne Parkette, aber keine räumlichen Ecken bilden (siehe Abbildung 8.5, wo auch das rechte Parkett aus ebenen sechseckigen Fliesen besteht).
Abbildung 8.5: Parkette Somit kommen lediglich regelmäßige Drei-, Vier- und Fünfecke infrage. Genauer gesagt: An einer Ecke können höchstens drei, vier oder fünf gleichseitige Dreiecke (Innenwinkel 60◦ ) zusammenstoßen oder drei Quadrate (Innenwinkel 90◦) oder drei regelmäßige Fünfecke (Innenwinkel 108◦). Es bleibt zu zeigen, dass diese fünf Körper auch wirklich existieren. Die Existenz des Würfels oder Hexaeders, bei dem
176
8 Regelmäßige Körper
an jeder Ecke drei Quadrate zusammenstoßen, können wir dabei voraussetzen und zur Konstruktion weiterer Körper verwenden, ebenso dessen Umkugel.
Abbildung 8.6: Zwei Ansichten eines Tetraeders Legt man in die Deck- und Bodenfläche eines Würfels je eine Diagonale (die nicht parallel zueinander sind) und verbindet die vier Endpunkte (durch weitere Diagonalen), so erhält man sechs Strecken, die vier Dreiecke bilden (siehe Abbildung 8.6). Da die Diagonalen gleich lang sind, sind die Dreiecke gleichseitig. Da jede Ecke des Würfels von drei Quadraten gebildet wird, kommen auch in jeder Ecke drei Dreiecke zusammen. Man erhält ein Tetraeder, dessen Umkugel die des Würfels ist, von dem wir ausgingen. r
r r r
r
Abbildung 8.7: Das Oktaeder Nun markieren wir den Mittelpunkt jeder Seitenfläche eines Würfels und verbinden zwei Punkte genau dann, wenn ihre Quadrate eine gemeinsame Kante besitzen (siehe Abbildung 8.7). Da der Würfel 12 Kanten besitzt, erhalten wir so 12 Kanten, die acht gleichseitige Dreiecke bilden. Da jeder Mittelpunkt (wegen der vier Quadratseiten) mit vier Punkten verbunden ist, stoßen an jeder Ecke vier Dreiecke zusammen. Der so entstandene Körper heißt Oktaeder. Da der Mittelpunkt der Umkugel des Würfels nicht nur von allen Ecken, sondern auch von allen
177
8.2 Die platonischen Körper
Seitenflächen des Würfels denselben Abstand besitzt, ist er auch Mittelpunkt der Umkugel des Oktaeders. Als Nächstes untersuchen wir, ob sich aus regelmäßigen Fünfecken ein Körper zusammensetzen lässt. Wir gehen dazu aus von einem regelmäßigen Fünfeck und bilden ein gleichseitiges Dreieck, dessen Seiten so lang sind wie die Diagonalen des Fünfecks. Wie in Abbildung 8.8 heften wir nun das (dort dunkelgrau dargestellte) Fünfeck längs einer Diagonale an eine Seite des (hellgrauen) Dreiecks.
rtA r t rt
a rM t
Abbildung 8.8: Der erste Schritt Wir haben im Abschnitt 8.1 gesehen, dass der eingezeichnete Winkel zwischen Diagonale und Fünfecksseite 36◦ beträgt und damit größer ist als der halbe Winkel im gleichseitigen Dreieck. Also trifft eine Ecke des Fünfecks die Achse a des Dreiecks in einem Punkt A, wenn wir das Fünfeck um die Diagonale drehen. Fixieren wir das Fünfeck in gleicher Weise an den übrigen Dreiecksseiten, so garantiert die Symmetrie des gleichseitigen Dreiecks, dass wir die Achse ebenfalls in A treffen. Zusammen bilden die drei Fünfecke also eine räumliche Ecke (siehe Abbildung 8.9 (a)). Die Symmetrie garantiert auch, dass die Achsen der drei Fünfecke die Dreiecksachse a im selben Punkt M schneiden (siehe Abbildung 8.8). Die Kugel K um M durch A enthält also alle zehn Ecken der beteiligten Fünfecke. Um die Symmetrien der eben gebildeten Ecke zu untersuchen, greifen wir exemplarisch ein Fünfeck F1 heraus (siehe Abbildung 8.9 (b)). Als regelmäßiges Vieleck besitzt es die Mittellotebenen seiner Kanten als Symmetrieebenen. Enthält eine solche Ebene die Ecke A (wie die in der Abbildung angedeutete Mittellotebene der Kante k), ist sie auch Symmetrieebene des Ausgangsdreiecks und damit auch der räumlichen Ecke. Daher liegt die dritte – nicht zu F1 gehörende – Kante der Ecke A (in der Abbildung die Kante m) in dieser Ebene. Dies gilt auch für die „unvollständige Ecke“ P (man betrachte in Abbildung 8.9 (b) die Mittellotebene der Kante g). Die „unvollständigen Ecken“ P, Q, R lassen sich nämlich vervollständigen, indem man die drei Fünfecke, welche die Ecke A bilden, an der gemeinsamen Symmetrieebene zweier Fünfecke (also an der Mittellotebene ihrer gemeinsamen Kante) spiegelt. Die Abbildung 8.10 (a) zeigt diese
178
8 Regelmäßige Körper
Q
P
m
A
F1
A R
k g
(a)
(b) Abbildung 8.9: Räumliche Ecke
Vervollständigung für den Punkt Q. Die Spiegelung an der Mittellotebene der Kante m erzeugt dort (als Bild von F1 ) ein neues Fünfeck F4 . k ′ ist das Bild der Kante k. Die Fünfecke F2 und F3 werden jeweils auf sich abgebildet. h k
′
k
′
F4
F4
F2 Q m
F2
A F3
F3
F1
F1 k
k (a)
(b)
g
Abbildung 8.10: Erzeugung einer weiteren Ecke Wir gehen nun aus von der so gefundenen Figur (siehe Abbildung 8.10 (b)). Spiegeln wir sie an der gemeinsamen Symmetrieebene der Fünfecke F1 und F2 (in der auch die Kante h liegt), kommen die beiden Fünfecke hinzu, die in der Abbildung 8.11 rechts oben grau hervorgehoben sind. Entsprechend liefert die
179
8.2 Die platonischen Körper
Spiegelung an der gemeinsamen Symmetrieebene der Fünfecke F3 und F4 (welche die Kante g enthält), die beiden grauen Fünfecke links unten. k′ F4 F2
F3
F1 k
Abbildung 8.11: Der weitere Ausbau Nach unseren Überlegungen enthält jede der beiden gemeinsamen Symmetrieebenen von zwei benachbarten grauen Fünfecken die Kanten k und k ′ . Deshalb stimmen diese Ebenen (mit der von k und k ′ aufgespannten Ebene) überein. Spiegelt man die acht Fünfecke der Abbildung 8.11 an dieser (durch die fett eingezeichneten Strecken angedeuteten) Ebene, werden die vier grauen auf sich abgebildet, während die Fünfecke F1 , F2 , F3 , F4 vier neue Fünfecke auf der anderen Seite dieser Ebene ergeben (grau in Abbildung 8.12). Da die Spiegelungsebene (wie jede
Abbildung 8.12: Das Dodekaeder Mittellotebene einer Fünfeckskante) den Mittelpunkt M der Kugel K enthält, liegen die neuen Ecken wie die alten auf K.
180
8 Regelmäßige Körper
Der so entstandene, aus 12 regelmäßigen Fünfecken bestehende Körper mit der Umkugel K heißt Dodekaeder. Es besitzt 12 · 5 : 2 = 30 Kanten (jede Kante gehört ja zu zwei Fünfecken) und 12 · 5 : 3 = 20 Ecken (da jede Ecke zu drei Fünfecken gehört). Damit fehlt nur noch ein möglicher platonischer Körper. Er müsste sich so aus gleichseitigen Dreiecken zusammensetzen lassen, dass jede Ecke von fünf Dreiecken gebildet wird. Einen solchen Körper erhalten wir, wenn wir beim Dodekaeder in jedes Fünfeck den Umkreismittelpunkt einzeichnen und jene Punkte verbinden, deren Fünfecke eine gemeinsame Kante besitzen (siehe Abbildung 8.13). Die 30 s
s
s s
s
s s
s s s
Abbildung 8.13: Das Ikosaeder Kanten des Dodekaeders liefern so wieder 30 Kanten. Da in jeder der 20 Ecken des Dodekaeders drei Kanten zusammentreffen, bilden die Kanten 20 gleichseitige Dreiecke. Dieser Zwanzigflächner heißt Ikosaeder. Seine Umkugel besitzt denselben Mittelpunkt wie die Umkugel des Dodekaeders, von dem wir ausgingen. Wir stellen in der Tabelle 8.1 nochmals die wichtigsten Fakten über die platonischen Körper zusammen. Name
Flächen
Tetraeder Würfel (Hexaeder) Oktaeder Dodekaeder Ikosaeder
gleichseitige Dreiecke Quadrate gleichseitige Dreiecke regelmäßige Fünfecke gleichseitige Dreiecke
Anzahl der Flächen Ecken Kanten 4 4 6 6 8 12 8 6 12 12 20 30 20 12 30
Tabelle 8.1: Die platonischen Körper
181
8.3 Die archimedischen Körper
8.3 Die archimedischen Körper Die archimedischen Körper sind eine Verallgemeinerung der platonischen Körper. Wie diese sind sie Polyeder mit Umkugel, die von regelmäßigen Vielecken berandet werden. Allerdings sind verschiedene Sorten jeweils untereinander kongruenter Vielecke zugelassen. Gefordert wird, dass alle Ecken von gleicher Gestalt sind, dass also sowohl die Anzahl als auch die Reihenfolge der Vielecke für alle Ecken identisch ist. Jeder Innenwinkel eines gleichseitigen Dreiecks beträgt 60◦ . Somit können sechs (oder mehr) solche Dreiecke keine räumliche Ecke bilden (siehe die Überlegungen im Abschnitt 8.2). Da die Innenwinkel regelmäßiger Vielecke mit zunehmender Eckenzahl größer werden (siehe Tabelle 2.1), gilt generell: In jeder Ecke können höchstens fünf Kanten enden. Wir wissen außerdem, dass man mindestens drei Flächen und damit auch mindestens drei Kanten für eine räumliche Ecke benötigt. Damit kommen nur drei, vier oder fünf Kanten infrage. Wir untersuchen diese drei Fälle der Reihe nach. 8.3.1 Dreikantige Ecken Sind die drei an einer Ecke zusammentreffenden Vielecke von der gleichen Art, so liegt ein platonischer Körper vor, nämlich ein Tetraeder, ein Würfel oder ein Dodekaeder. M-Eck N-Eck
N-Eck
N-Eck M-Eck Abbildung 8.14: Zwei kongruente Vielecke Haben genau zwei dieselbe Eckenzahl, so muss diese gerade sein. Wir sehen das mit Abbildung 8.14. Wir nehmen an, dass jede Ecke von zwei N-Ecken und einem M-Eck gebildet wird, und greifen uns ein N-Eck heraus. An ihm müssen abwechselnd ein M-Eck und ein N-Eck anliegen (andernfalls hätte man Ecken aus drei N-Ecken oder einem N-Eck und zwei M-Ecken). Dies ist aber nur möglich, wenn das N-Eck eine gerade Eckenzahl aufweist. Da nach Tabelle 2.1 Zwölfecke
182
8 Regelmäßige Körper
nicht möglich sind, kommen also nur Quadrate sowie regelmäßige Sechs-, Achtoder Zehnecke infrage. Das Quadrat spielt dabei eine Sonderrolle. Da sich zwei Innenwinkel des Quadrats zu 180◦ addieren und der Innenwinkel eines beliebigen regelmäßigen Vielecks kleiner als 180◦ ist, lassen sich zwei Quadrate mit beliebigen Vielecken kombinieren. Der entstehende Körper ist ein spezielles regelmäßiges Prisma (siehe Abbildung 8.15 und S. 92).
Abbildung 8.15: Prisma Damit bleiben die in Tabelle 8.2 aufgeführten Fälle zu betrachten. Die Namen lassen vermuten, dass sich diese archimedischen Körper aus den platonischen erzeugen lassen, indem man Ecken abschneidet. Bevor wir uns überlegen, wie sich dies bewerkstelligen lässt, listen wir eine letzte Gruppe archimedischer Körper mit dreikantigen Ecken auf, die wir bisher nicht betrachtet haben, nämlich jene, bei denen die drei eine Ecke bildenden Polygone paarweise verschieden sind.
1 2 3 4 5
2 2 2 2 2
Gestalt der Ecke Sechsecke, 1 Dreieck Sechsecke, 1 Quadrat Sechsecke, 1 Fünfeck Achtecke, 1 Dreieck Zehnecke, 1 Dreieck
Name abgestumpftes Tetraeder abgestumpftes Oktaeder abgestumpftes Ikosaeder abgestumpftes Hexaeder abgestumpftes Dodekaeder
Tabelle 8.2: Archimedische Körper mit dreikantigen Ecken: Teil 1 Greift man eines dieser Vielecke heraus, so müssen sich die anderen beiden Vieleckstypen längs des Randes abwechseln. Andernfalls hätte man eine Ecke gefunden, die zwei gleichartige Polygone enthält (wir haben zu Beginn dieses Abschnitts eine ähnliche Argumentation geführt). Also muss das beliebig herausgegriffene und damit jedes Vieleck eine gerade Eckenzahl besitzen. Da sich die Innenwinkel von Quadrat, Achteck und Zehneck zu 90◦ + 135◦ + 144◦ = 369◦ addieren, gibt es nur die beiden in Tabelle 8.3 aufgelisteten Fälle.
183
8.3 Die archimedischen Körper
6 7
Gestalt der Ecke 1 Quadrat, 1 Sechseck, 1 Achteck 1 Quadrat, 1 Sechseck, 1 Zehneck
Name abgestumpftes Kuboktaeder abgestumpftes Ikosidodekaeder
Tabelle 8.3: Archimedische Körper mit dreikantigen Ecken: Teil 2 Bei den ersten drei in Tabelle 8.2 genannten archimedischen Körpern kommen wir mit derselben Technik zum Ziel. Wir beginnen mit dem abgestumpften Tetraeder. Um diesen Körper zu erhalten, schneiden wir von einem Tetraeder alle Ecken so ab, dass jede von dieser Ecke ausgehende Kante um ein Drittel verkürzt wird. Links in Abbildung 8.16 wird dies für
Abbildung 8.16: Das abgestumpfte Tetraeder eine Ecke angedeutet. Das Ergebnis nach dem Abschneiden aller Kanten sehen wir rechts. Nach unseren Überlegungen im Abschnitt 8.1 werden dann aus den vier gleichseitigen Dreiecken regelmäßige Sechsecke. Da diese untereinander kongruent sind, sind die durch die vier Schnitte neu entstehenden Flächen gleichseitige Dreiecke. Somit hat der neue Körper die in der Tabelle 8.2 für das abgestumpfte Tetraeder geforderte Gestalt.
Abbildung 8.17: Das abgestumpfte Oktaeder
184
8 Regelmäßige Körper
Um das abgestumpfte Oktaeder zu erhalten, gehen wir vom Oktaeder aus und schneiden wieder so ab, dass die Kanten um ein Drittel verkürzt werden (siehe Abbildung 8.17). Es ergeben sich in diesem Fall acht regelmäßige Sechsecke sowie sechs Quadrate als Schnittflächen, sodass an jeder neuen Ecke ein Quadrat und zwei regelmäßige Sechsecke aneinanderstoßen. Genau dies wird in der Tabelle 8.2 für das abgestumpfte Oktaeder gefordert. Um den dritten in der Tabelle 8.2 genannten archimedischen Körper – das abgestumpfte Ikosaeder – zu erhalten, wenden wir diese Technik ein drittes Mal an. Wir bekommen hier 20 regelmäßige Sechsecke und – da die zwölf Ecken des Ikosaeders aus fünf gleichseitigen Dreiecken gebildet werden – als Schnittflächen zwölf regelmäßige Fünfecke (siehe Abbildung 8.18). Daher stoßen – wie beim klassischen schwarz-weißen Fußball – an jeder neuen Ecke ein regelmäßiges Fünfeck und zwei regelmäßige Sechsecke aneinander. Genau dies wird in der Tabelle 8.2 für das abgestumpfte Ikosaeder verlangt.
Abbildung 8.18: Das abgestumpfte Ikosaeder Wir müssen unsere Vorgehensweise etwas variieren, um den nächsten in der Tabelle 8.2 aufgeführten Körper, das abgestumpfte Hexaeder, zu erhalten. Hier geht es darum, aus sechs Quadraten eines Würfels gleichseitige Achtecke zu machen. Wie sich dies erreichen lässt, haben wir uns im Abschnitt 8.1 überlegt. Das Ergebnis zeigt die Abbildung 8.19. Wie gewünscht stoßen an jeder Ecke ein gleichseitiges Dreieck und zwei regelmäßige Achtecke aneinander. Als letzter Körper der Tabelle 8.2 bleibt das abgestumpfte Dodekaeder zu konstruieren, das von regelmäßigen Zehnecken und gleichseitigen Dreiecken gebildet wird. Wir gehen aus von einem Dodekaeder und schneiden jede Ecke so ab, dass aus den zwölf regelmäßigen Fünfecken regelmäßige Zehnecke werden (siehe Abbildung 8.20 und Abschnitt 8.1). Da jede Ecke von drei Fünfecken gebildet wird, schneiden wir an jeder der 20 Ecken des Dodekaeders ein gleichseitiges Dreieck
8.3 Die archimedischen Körper
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Abbildung 8.19: Das abgestumpfte Hexaeder ab, sodass jede neue Ecke von einem gleichseitigen Dreieck und zwei regelmäßigen Zehnecken gebildet wird. Wir haben also den gewünschten archimedischen Körper gefunden.
Abbildung 8.20: Das abgestumpfte Dodekaeder Bei den fünf archimedischen Körpern, die wir bisher konstruiert haben, brauchen wir uns über die Existenz einer Umkugel keine Gedanken zu machen. Deren Mittelpunkt fällt mit dem Umkugelmittelpunkt des platonischen Körpers zusammen, von dem wir jeweils ausgingen. Wir kommen nun zu den beiden Körpern der Tabelle 8.3. Der Name des abgestumpften Kuboktaeders suggeriert, dass man es erhalten kann, indem man bei einem – uns bisher nicht bekannten – Kuboktaeder die Ecken geeignet abschneidet. Dies ist allerdings nicht der Fall, wie wir später (bei der Konstruktion des Kuboktaeders) sehen werden.
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8 Regelmäßige Körper
Abbildung 8.21: Das Achteck wird eingepasst Der Name „Kuboktaeder“ legt nahe, dass man von einem Kubus, also einem Würfel, oder von einem Oktaeder ausgehen kann. Wir gehen von einem Würfel aus, in dessen sechs Seitenflächen wir regelmäßige Achtecke platzieren. Dazu passen wir wie in Abschnitt 8.1 gezeigt ein regelmäßiges Achteck in ein Quadrat ein (siehe das hellgraue Quadrat in Abbildung 8.21) und vergrößern dieses Quadrat in alle Richtungen um die graue Länge. Dadurch erreichen wir, dass die Diagonale der vier kleinen Eckquadrate (eines ist dunkelgrau hervorgehoben) so lang ist wie die Seite unseres Achtecks.
Abbildung 8.22: Zur Konstruktion des abgestumpften Kuboktaeders
8.3 Die archimedischen Körper
187
Aus sechs solchen Quadraten bauen wir nun einen Würfel zusammen (siehe Abbildung 8.22). Da dann die Achsen der sechs Achtecke mit den Achsen der entsprechenden Würfelquadrate zusammenfallen, ist die Existenz einer Umkugel für die Ecken dieser Achtecke gesichert. Besitzen zwei Seitenflächen des Würfels eine gemeinsame Kante, so verbinden wir zu dieser Seite parallele Kanten der Achtecke derart, dass zwölf Vierecke entstehen (hellgrau in Abbildung 8.22). Aus Symmetriegründen sind diese Vierecke Rechtecke. Sie sind sogar Quadrate, da die neuen Strecken so lang sind wie die Seiten des Achtecks. Man sieht dies gut am Viereck links oben im Vergleich zu der gestrichelten Strecke, von der wir ja wissen, dass sie dieselbe Länge hat wie eine Seite des Achtecks. Die drei hellgrauen Quadrate und die drei Achtecke aus Abbildung 8.22 bilden einen aus sechs gleich langen Strecken bestehenden Streckenzug. Wenn wir gezeigt haben, dass dieser Streckenzug eben ist, wird die Lücke zwischen den Vierund Achtecken von einem (dunkelgrauen) regelmäßigen Sechseck geschlossen; die Ebene des Sechsecks schneidet dann nämlich die Umkugel im Umkreis. Die Symmetrien des Würfels garantieren zunächst, dass drei aufeinander folgende Kanten des Streckenzugs in einer Ebene liegen (man halbiere den Würfel diagonal). Da die übrigen zu diesen parallel sind, ist der Streckenzug eben.
Abbildung 8.23: Das abgestumpfte Kuboktaeder Da diese Überlegung für jede der acht Würfelecken gilt, zeigt ein Blick auf die Tabelle 8.3, dass wir damit das gesuchte abgestumpfte Kuboktaeder gefunden haben. In der Abbildung 8.23 ist es vollständig zu sehen. Betrachten wir nochmals die Abbildung 8.22. Wir erkennen, dass wir ebenso wie die archimedischen Körper der Tabelle 8.2 auch das abgestumpfte Kuboktaeder aus einem platonischen Körper (dem Würfel) erhalten, indem wir geeignet abschneiden. Allerdings haben wir hier nicht nur – passend zu den Sechsecken –
188
8 Regelmäßige Körper
die Ecken des Würfels zu kappen, sondern auch – passend zu den Quadraten – die Kanten im Winkel von 45◦ abzufasen (also abzuschrägen). Beim abgestumpften Ikosidodekaeder, dem letzten archimedischen Körper, der in diesem Abschnitt zu behandeln ist, zeigt der Name, dass das Ikosaeder oder das Dodekaeder Ausgangspunkt unserer Überlegungen sein können. Wir gehen vom Ikosaeder aus und setzen in seine 20 dreieckigen Seitenflächen regelmäßige Sechsecke ein, deren Seiten zu den Dreiecksseiten parallel sind (siehe Abbildung 8.24 (a)). Außerdem soll der Abstand zu den Dreiecksseiten übereinstimmen. Die den Dreiecksseiten benachbarten Seiten des Sechsecks (in Abbildung 8.24 (a) fetter gezeichnet) sind dann mit der entsprechenden Seite des Sechsecks der angrenzenden Ikosaederfläche so zu einem Quadrat zu verbinden, dass die freien Seiten dieser Sechsecke und Quadrate regelmäßige Zehnecke bilden. Gelingt dies, erhält man pro Ikosaederecke fünf regelmäßige Sechsecke und fünf Quadrate (weil in jeder Ecke des Ikosaeders fünf Kanten enden).
(a)
(b)
r t
2 z
l }|
1
{ s
3
Abbildung 8.24: Sechseck in Dreieck Zunächst ist klar, dass sich die für das Sechseck geforderten Eigenschaften nur erreichen lassen, wenn der Umkreismittelpunkt des gleichseitigen Dreiecks mit dem Umkreismittelpunkt des Sechsecks zusammenfällt. Es bleibt aber die Frage zu klären, wie groß die Sechsecke sein müssen. Oder umgekehrt: Wie groß muss das Dreieck sein, wenn man das Sechseck und damit die Kantenlänge des abgestumpften Ikosidodekaeders vorgibt? Wir beginnen unsere Überlegungen mit einer „Ikosaederkappe“, also einer aus den fünf gleichseitigen Dreiecken einer Ecke des Polyeders gebildeten Pyramide (siehe Abbildung 8.25; wir schauen dort so auf die Kappe, dass wir das hellgraue Dreieck unverzerrt sehen). Wir betrachten eine zur Grundfläche parallele Ebene und das regelmäßige Fünfeck, das sie aus der Pyramide ausschneidet. Wie wir von diesem Fünfeck zu einem regelmäßigen Zehneck kommen, haben wir uns im Abschnitt 8.1 überlegt. In der Abbildung 8.25 (a) ist dies gestrichelt angedeutet. Mit dem Zehneck kennen wir auch die Größe der regelmäßigen Sechsecke, die den
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8.3 Die archimedischen Körper
(a)
(b) Symmetrieebene Abbildung 8.25: Eine Ikosaederkappe
Dreiecken einzubeschreiben sind. Haben wir (wie in Abbildung 8.25 (a) unterstellt) Glück, so besitzen diese Sechsecke schon den richtigen Abstand zur Seite des Grundflächenfünfecks. Andernfalls sind die Dreiecke noch durch eine Parallelverschiebung der Grundflächenebene geeignet zu vergrößern oder zu verkleinern. Nun können wir die (ebenen) dunkelgrauen Vierecke einsetzen (siehe Abbildung 8.25 (b)). Da eine Seite des Sechsecks so lang ist wie eine Seite des Zehnecks, sind alle Seiten der Vierecke gleich lang. Die Vierecke sind also Rauten. Da diese dieselbe Symmetrie besitzen müssen wie die beteiligten Dreiecke und Sechsecke, zeigt die angedeutete Symmetrieebene, dass Quadrate vorliegen. Da wir für jede Ecke des Ikosaeders ein Zehneck sowie für jede Kante ein Quadrat erhalten, bekommt man insgesamt 12 Zehnecke und 30 Quadrate. Ist die Kantenlänge s des abgestumpften Ikosidodekaeders vorgegeben, so kann ein Algorithmus zur Konstruktion dieses Polyeders wie folgt aussehen (siehe Abbildung 8.24 (b)). Wir zeichnen zunächst ein regelmäßiges Sechseck mit der Kantenlänge s. Dann verlängern wir (bis zu drei) Kanten des Sechsecks symmetrisch bis zur Kantenlänge l des einem Zehneck mit der Kantenlänge s umbeschriebenen Fünfecks (siehe Abbildung 8.3). Schließlich können wir das zugehörige Dreieck zeichnen, das wir als Baustein eines Ikosaeders verwenden. Fügen wir nun noch die Quadrate ein, ist das abgestumpfte Ikosidodekaeder fertig (siehe Abbildung 8.26). Da die Achsen seiner Sechsecksflächen mit den Achsen der Ikosaederdreiecke zusammenfallen, besitzt das Polyeder eine Umkugel. Rückblickend erkennen wir, dass wir einerseits – passend zu den Zehnecken – die Ecken des Ikosaeders gekappt und außerdem – passend zu den Quadraten – die Kanten im Winkel von 45◦ abgefast (also abgeschrägt) haben.
190
8 Regelmäßige Körper
Abbildung 8.26: Das abgestumpfte Ikosidodekaeder 8.3.2 Vierkantige Ecken Wir untersuchen nun, welche archimedischen Körper möglich sind, wenn in jeder Ecke vier Kanten enden. Da sich die Innenwinkel von vier Quadraten zu 360◦ addieren, muss mindestens eines der beteiligten Vielecke ein Dreieck sein. Wir können daher eine Fallunterscheidung nach der Anzahl der Dreiecke treffen.
Abbildung 8.27: Antiprisma Hat man vier Dreiecke, so liegt ein platonischer Körper vor, nämlich das Oktaeder. Hat man drei Dreiecke, so kann als vierte Fläche ein beliebiges regelmäßiges Vieleck gewählt werden (man argumentiert wie beim Prisma). Der so gebildete Körper heißt Antiprisma (siehe Abbildung 8.27). Hat man genau zwei Dreiecke, so kann man zunächst zeigen, dass diese keine gemeinsame Kante besitzen können. Liegt nämlich in einer Ecke A die in Abbildung 8.28 (a) skizzierte Situation vor, so kann rechts kein Dreieck angefügt werden, da man sonst in der Ecke B drei Dreiecke hätte. Es kann aber auch kein N-Eck
191
8.3 Die archimedischen Körper
oder M-Eck angefügt werden, da sonst in der Ecke C die beiden Dreiecke keine gemeinsame Kante hätten. A und C wären also Ecken verschiedenen Typs, die bei archimedischen Körpern nicht zugelassen sind.
C
?
M-Eck A
C
?
M-Eck
B
A
B N-Eck
N-Eck (a)
(b)
Abbildung 8.28: Zur Lage der Dreiecke Somit muss die in Abbildung 8.28 (b) angedeutete Situation vorliegen. Die Ecke A hat dann die geforderte Gestalt. Fügt man rechts ein N-Eck ein, erhält man bei der Ecke B neben den beiden Dreiecken zwei N-Ecke; fügt man ein M-Eck ein, erhält man bei der Ecke C neben den beiden Dreiecken zwei M-Ecke. Eine solche Ecke kann nur dann mit der Ecke A übereinstimmen, wenn M = N gilt, wenn wir also neben den beiden Dreiecken zwei weitere kongruente Vielecke haben. Da sich die Innenwinkel von zwei gleichseitigen Dreiecken und zwei regelmäßigen Sechsecken zu 360◦ addieren, sind nur die beiden in Tabelle 8.4 aufgelisteten Fälle möglich.
8 9
Gestalt der Ecke Dreieck, Quadrat, Dreieck, Quadrat Dreieck, Fünfeck, Dreieck, Fünfeck
Name Kuboktaeder Ikosidodekaeder
Tabelle 8.4: Archimedische Körper mit vierkantigen Ecken: Teil 1 Als letzten Fall haben wir noch Ecken mit genau einem Dreieck zu behandeln. Die Tabelle 8.5 enthält alle denkbaren Fälle. Weitere Fälle sind nicht möglich, da sich die Innenwinkel eines gleichseitigen Dreiecks, eines Quadrats und zweier regelmäßiger Fünfecke nach Tabelle 2.1 zu 60◦ + 90◦ + 2 · 108◦ = 366◦ addieren sowie die Innenwinkel eines Dreiecks, zweier Quadrate und eines regelmäßigen Sechsecks zu 60◦ + 2 · 90◦ + 120◦ = 360◦.
192
8 Regelmäßige Körper
Gestalt der Ecke Name 10 1 Dreieck, 3 Quadrate (kleines) Rhombenkuboktaeder 11 Dreieck, Quadrat, Fünfeck, Quadrat (kleines) Rhombenikosidodekaeder Tabelle 8.5: Archimedische Körper mit vierkantigen Ecken: Teil 2 Es fehlt noch der Nachweis, dass in der letzten Zeile der Tabelle die Flächen wie angegeben liegen. Hätten – wie in Abbildung 8.29 (a) angedeutet – in einer Ecke A das Fünfeck und das Dreieck ABC eine gemeinsame Kante, würde das auch für die Ecke B gelten. Um diesen Ecken die gewünschte Gestalt zu geben, müssten daher an den beiden übrigen Dreiecksseiten Quadrate anliegen. Dann könnte aber das in der Ecke C noch fehlende Fünfeck mit dem Dreieck keine gemeinsame Kante besitzen, weshalb die Ecke C eine andere Gestalt als die Ecken A und B besäße. Die Verteilung kann daher nur wie in Abbildung 8.29 (b) skizziert aussehen. 5-Eck
5-Eck
C C A A
B 5-Eck (a)
B
5-Eck
5-Eck
(b)
Abbildung 8.29: Quadrate ohne gemeinsame Kante Die Konstruktion archimedischer Körper mit vierkantigen Ecken beginnen wir mit dem ersten Körper der Tabelle 8.4, dem Kuboktaeder. Wie beim abgestumpften Oktaeder gehen wir aus von einem Oktaeder. Diesmal werden die Kanten durch das Abschneiden der Ecken aber nicht gedrittelt, sondern halbiert. Links in der Abbildung 8.30 wurde exemplarisch eine Ecke des Oktaeders auf diese Weise abgeschnitten. Macht man dies für alle Ecken, so bleibt von der vorderen Fläche des Oktaeders das hellgraue Dreieck übrig. Da jeder Schnitt ferner ein Quadrat erzeugt, erhält man den in der Abbildung rechts gezeigten Körper. Jede seiner Ecken wird von je zwei (einander abwechselnden) Dreiecken und Vierecken gebildet. Da jede Ecke des Oktaeders ein Quadrat des Kuboktaeders liefert und jede Dreiecksfläche wieder ein Dreieck, besteht das Kuboktaeder aus acht gleichseitigen
8.3 Die archimedischen Körper
193
Abbildung 8.30: Das Kuboktaeder Dreiecken und sechs Quadraten. Da die Achsen der gleichseitigen Dreiecke beider Körper übereinstimmen (der Umkreis des kleinen Dreiecks ist der Inkreis des großen), ist die Existenz einer Umkugel klar. Dasselbe Ergebnis erhalten wir, wenn wir von einem Würfel ausgehen und seine Kanten halbieren (siehe Abbildung 8.31). In diesem Fall liefern die acht Ecken acht gleichseitige Dreiecke, die sechs Quadrate wieder sechs Quadrate.
Abbildung 8.31: Die zweite Möglichkeit Kann man die Ecken eines Kuboktaeders so abschneiden, dass ein abgestumpftes Kuboktaeder entsteht? Da in jeder Ecke des Kuboktaeders vier Kanten enden, müsste die Schnittfläche ein Quadrat bilden. Zwei Quadratseiten wären dann Sei-
194
8 Regelmäßige Körper
ten eines regelmäßigen Sechsecks, das einem gleichseitigen Dreieck einbeschrieben ist; die beiden übrigen wären Seiten eines regelmäßigen Achtecks, das einem Quadrat einbeschrieben ist. Wie wir im Abschnitt 8.1 gesehen haben, sind diese Seiten aber nicht gleich lang. Der (etablierte) Name „abgestumpftes Kuboktaeder“ ist also irreführend. Wenden wir uns dem zweiten Körper der Tabelle 8.4 zu, dem Ikosidodekaeder. Wie beim abgestumpften Ikosaeder gehen wir aus vom Ikosaeder und wenden dieselbe Strategie an wie beim Kuboktaeder: Wir schneiden die Ecken so ab, dass die Kanten halbiert werden (links in Abbildung 8.32 angedeutet). Dann werden
Abbildung 8.32: Das Ikosidodekaeder aus den 20 dreieckigen Seitenflächen wieder dreieckige Flächen (mit identischen Achsen). Die Schnitte liefern diesmal zwölf regelmäßige Fünfecke (da das Ikosaeder zwölf Ecken besitzt). Das Ergebnis ist rechts in Abbildung 8.32 zu sehen. Alternativ kann man die Kanten eines Dodekaeders halbieren. Dann liefern die 20 Ecken gleichseitige Dreiecke, die zwölf regelmäßigen Fünfecke wieder Fünfecke.
(a)
(b) Abbildung 8.33: Zur Konstruktion des Rhombenkuboktaeders
8.3 Die archimedischen Körper
195
Wir kommen nun zum ersten Körper der Tabelle 8.5, dem Rhombenkuboktaeder. Im ersten Schritt versuchen wir wie in Abbildung 8.33 (a) gezeigt, ein Band aus quadratischen Gliedern derart in einen Würfel zu legen, dass jedes zweite Glied in einer Seite des Würfels liegt. Sieht man sich die Figur wie in Abbildung 8.33 (b) von der Seite an, so erkennt man, dass dies die altbekannte Aufgabe ist, einem Quadrat ein Achteck einzubeschreiben. Die Lösung haben wir in Abschnitt 8.1 bereitgestellt. Legt man in den Würfel drei solche Bänder hinein, so erhält man 18 Quadrate (für jede Seite und jede Kante des Würfels eines). Ferner bleibt an jeder der acht Ecken des Würfels Platz für ein (natürlich gleichseitiges) Dreieck. Insgesamt hat man damit den Körper mit der gewünschten Eckenform gefunden (siehe Abbildung 8.34). Die in die Seitenflächen des Würfels eingepassten Quadrate sichern die Existenz einer Umkugel.
Abbildung 8.34: Das Rhombenkuboktaeder Zwei Eigenschaften des Rhombenkuboktaeders sind bemerkenswert. Wir sehen zunächst, dass es zwei Sorten von Quadraten gibt. Die sechs Quadrate, die wir in die Seiten des Würfels platziert haben, haben nur gemeinsame Kanten mit Quadraten. Die übrigen zwölf haben zwei gemeinsame Kanten mit Dreiecken und zwei mit Quadraten.
Abbildung 8.35: Eine neue Version
196
8 Regelmäßige Körper
Ferner können wir einen zweiten archimedischen Körper mit derselben Eckenform erzeugen, indem wir das obere Drittel des Rhombenkuboktaeders um 45◦ drehen (siehe Abbildung 8.35). Nach der Drehung haben nur noch das oberste und das unterste Quadrat keine gemeinsame Kante mit einem Dreieck. Dies zeigt, dass sich die beiden in den Abbildungen 8.34 und 8.35 abgebildeten Körper nicht durch eine Bewegung ineinander überführen lassen. Es erstaunt, dass dieser auch Pseudorhombenkuboktaeder genannte archimedische Körper erst nach 1930 vom englischen Mathematiker Jeffrey Charles Percy Miller (1906–1981) entdeckt wurde. Zur Konstruktion des Rhombenikosidodekaeders, des zweiten Körpers der Tabelle 8.5, modifizieren wir die bei der Konstruktion des abgestumpften Ikosidodekaeders verwendete Strategie. Dort haben wir in die 20 gleichseitigen Dreiecke des Ikosaeders Sechsecke eingepasst; hier haben wir Dreiecke einzupassen. Die Dreiecksseiten sollen parallel sein, die Seitenabstände übereinstimmen (siehe Abbildung 8.36 (a)). Dann fallen die Umkreismittelpunkte (und damit die Achsen) der beiden Dreiecke zusammen.
(a)
(b) z
2
r t
l }|
1
s
{ 3
Abbildung 8.36: Dreieck in Dreieck Es bleibt die Frage zu klären, wie groß die eingesetzten Dreiecke sein müssen. Oder umgekehrt: Wie groß muss das Ikosaederdreieck sein, wenn man das kleinere Dreieck und damit die Kantenlänge des Rhombenikosidodekaeders vorgibt? Wir beginnen unsere Überlegungen wieder mit einer „Ikosaederkappe“ (siehe Abbildung 8.37), einer zur Grundfläche parallelen Ebene und dem regelmäßigen Fünfeck, das diese Ebene aus der Pyramide ausschneidet. Dieses Mal interessiert uns aber nicht dieses Fünfeck, sondern das graue, das von seinen fünf Seitenmitten gebildet wird. Das Verhältnis der Seitenlängen der beiden Fünfecke haben wir im Abschnitt 8.1 geklärt. Nun setzen wir in die Seitenfläche der Pyramide wie in Abbildung 8.37 (a) gezeigt kantenparallele Dreiecke, deren Seiten so lang sind wie die Seiten des grauen Fünfecks. Haben wir (wie in der Abbildung 8.37 (a) unterstellt) Glück, so
197
8.3 Die archimedischen Körper
(a)
(b) Symmetrieebene Abbildung 8.37: Eine Ikosaederkappe
besitzen diese Dreiecke schon den richtigen Abstand zur Seite des Grundflächenfünfecks. Andernfalls sind die dreieckigen Seitenflächen der Pyramide noch durch eine Parallelverschiebung der Grundflächenebene geeignet zu vergrößern oder zu verkleinern. Abschließend können wir die hellgrauen Quadrate der Abbildung 8.37 (b) einfügen (man argumentiert wie beim abgestumpften Ikosidodekaeder). Da jede Ecke des Ikosaeders ein Fünfeck liefert sowie jede Kante ein Quadrat, haben wir auf diese Weise insgesamt 12 Fünfecke und 30 Quadrate konstruiert.
Abbildung 8.38: Das Rhombenikosidodekaeder
198
8 Regelmäßige Körper
Ein Algorithmus zur Konstruktion eines Rhombenikosidodekaeders bei vorgegebener Kantenlänge s kann also wie folgt aussehen (siehe Abbildung 8.36 (b)). Wir zeichnen zunächst ein gleichseitiges Dreieck mit der Kantenlänge s. Dann verlängern wir die Kanten des Dreiecks symmetrisch um die Hälfte der (uns bekannten) Kantenlänge l des Fünfecks, das die Ebene durch die fünf Dreiecksecken auszuschneiden hat. Schließlich können wir das zugehörige Dreieck zeichnen, das wir dann als Baustein eines Ikosaeders verwenden. Fügen wir nun noch die Quadrate ein, ist das Rhombenikosidodekaeder fertig (siehe Abbildung 8.38). 8.3.3 Fünfkantige Ecken Da sich die Innenwinkel von drei gleichseitigen Dreiecken und zwei Quadraten zu 3 · 60◦ + 2 · 90◦ = 360◦ addieren, müssen an einer von fünf Flächen gebildeten Ecke mindestens vier Dreiecke beteiligt sein. Sind es fünf Dreiecke, so hat man einen platonischen Körper, das Ikosaeder. Wären es vier Dreiecke und ein Sechseck, hätte man wieder die Winkelsumme 4 · 60◦ + 120◦ = 360◦ . Also bleiben die beiden Fälle der Tabelle 8.6.
12 13
Gestalt der Ecke 4 Dreiecke, 1 Quadrat 4 Dreiecke, 1 Fünfeck
Name abgeschrägtes Hexaeder abgeschrägtes Dodekaeder
Tabelle 8.6: Archimedische Körper mit fünfkantigen Ecken Die beiden archimedischen Körper, die wir in diesem Abschnitt zu konstruieren haben, sind sogenannte chirale Körper. Sie besitzen zwei spiegelbildliche Versionen, die sich – wie ein linker und ein rechter Schuh – nicht durch eine (konkret im Raum ausführbare) Bewegung ineinander überführen lassen. Dies ist nicht die einzige Besonderheit dieser Körper. Es sind auch die einzigen, bei denen sich mit Zirkel und Lineal weder die Kantenlänge aus dem Umkugelradius noch dieser aus der Kantenlänge konstruieren lässt (siehe [55]). Daher können wir hier nicht wie bisher auf geometrisch einfache Konstruktionen zurückgreifen. Wir beginnen mit dem abgeschrägten Hexaeder (von Kepler Cubus simus (plattnasiger Würfel) genannt). Ihn zeigt die Abbildung 8.39, in der auch seine Erzeugung aus dem Würfel angedeutet ist. Man dreht alle sechs Seitenflächen des Würfels in gleicher Weise um ihre Achse (etwa alle gegen den Uhrzeigersinn, wenn man von außen auf den Würfel blickt) und verkleinert sie. Auf diese Weise erhält man in den Seitenflächen des Würfels sechs kongruente Quadrate (drei davon sind dunkelgrau in der Abbildung 8.39 zu sehen). Aus Symmetriegründen bilden für jede Würfelecke die drei aus ihr entstandenen Punkte ein gleichseitiges Dreieck (in der Abbildung sind dies die dunkleren Dreiecke). Erreicht man, dass die Seitenlänge
8.3 Die archimedischen Körper
199
Abbildung 8.39: Zum abgeschrägten Hexaeder dieser acht Dreiecke mit der der Quadrate übereinstimmt, so bilden die verbleibenden Lücken nichtebene Vierecke mit vier gleich langen Seiten. Lassen sich diese durch eine Diagonale in zwei gleichseitige Dreiecke zerlegen, ist man fertig (man beachte die helleren Dreiecke der Abbildung 8.39). Da jedes dieser Dreiecke genau eine gemeinsame Kante mit einem Quadrat hat, kommen so 4 · 6 = 24 Dreiecke hinzu. Insgesamt hat man also 32 Dreiecke und 6 Quadrate. Die genannten Bedingungen sind gleichbedeutend damit, dass das schraffierte Dreieck gleichseitig ist. Dies führt auf eine Gleichung dritten Grades, welche – im Unterschied zu quadratischen Gleichungen – stets eine reelle Lösung besitzt. Da die zur Berechnung dieser Lösung benötigten cardanischen Formeln über den Schulstoff hinausführen, sei der an der Berechnung interessierte Leser auf die Arbeit [18] verwiesen. Es ergibt sich eine Drehung um etwa 16.5◦ und eine Kantenlänge des abgeschrägten Hexaeders, die knapp 44 % der Kantenlänge des Würfels beträgt.
200
8 Regelmäßige Körper
Die Existenz einer Umkugel ist gesichert, da die Seitenflächen des Würfels dieselben Achsen besitzen wie die gedrehten und verkleinerten Quadrate. Auf der Kugel um den Umkugelmittelpunkt des Würfels durch eine Ecke eines solchen Quadrats liegen also alle Quadratecken und damit alle Ecken des abgeschrägten Hexaeders. Die zweite – zur ersten spiegelbildliche – Version eines abgeschrägten Hexaeders ist in Abbildung 8.40 zu sehen. Man erhält sie, indem man die Seitenflächen eines Würfels wie oben beschrieben verkleinert, sie aber nicht wie dort gegen den Uhrzeigersinn, sondern im Uhrzeigersinn dreht, wenn man von außen auf den Würfel blickt.
Abbildung 8.40: Die spiegelbildliche Version Wir verwenden die in Abbildung 8.40 dargestellte Version, um eine zweite Möglichkeit zu diskutieren, wie man ein abgeschrägtes Hexaeder mit einer Kantenlänge s erzeugen kann. Wir gehen aus von dem in der Deckfläche liegenden Quadrat und betrachten die dritte Ecke der Dreiecke, die mit diesem Quadrat eine Seite gemeinsam haben. Zwei dieser vier Ecken Z1 , Z2 , Z3 , Z4 , die wir so erhalten, sind in der Abbildung 8.41 markiert. Diese Ecken gehören zu vier Dreiecken und einem Quadrat. Davon nehmen wir die Dreiecksseiten und die Quadratdiagonale, auf denen der Punkt nicht liegt, und erhalten so vier Fünfecke (zwei davon sind in der Abbildung fett
8.3 Die archimedischen Körper
201
eingezeichnet). Die Ecken eines solchen Fünfecks liegen auf dem Schnittkreis zwischen der Umkugel des abgeschrägten Hexaeders und der Kugel mit dem Radius s um einen der Punkte Z1 , Z2 , Z3 , Z4 . Diese Fünfecke sind daher Sehnenfünfecke, also (ebene) Fünfecke mit Umkreis. Die Ebene jedes Fünfecks schneidet eine aus vier
ts
Z1
s t
Z2
Abbildung 8.41: Abgeschrägtes Hexaeder und Dekaeder Dreiecken und einem halben Quadrat bestehende Pyramide vom abgeschrägten Hexaeder ab. Gehen wir ebenso für die Bodenfläche vor, erhalten wir insgesamt das rechts in der Abbildung 8.41 gezeigte Dekaeder, einen Körper, der von zehn Flächen berandet wird, nämlich von zwei Quadraten und acht (nicht regelmäßigen) Fünfecken. Umgekehrt lässt sich dieser (einfachere) Körper konstruieren, indem man von einem Quadrat mit der Seitenlänge s ausgeht und an seine Seiten vier (nicht mit Zirkel und Lineal konstruierbare) Fünfecke mit Umkreis ansetzt, bei denen vier Seiten die Länge √s haben und die fünfte so lang ist wie die Diagonale des Quadrats, also die Länge 2s hat. Diese Fünfecke knickt man um, bis sie aneinanderstoßen, und bekommt so eine Hälfte des Dekaeders. Zwei solche Teile lassen sich zum Dekaeder zusammensetzen. Auf die Fünfecke setzt man nun die beschriebenen Pyramiden. Wir kommen zum letzten noch fehlenden archimedischen Körper, dem abgeschrägten Dodekaeder. Ausgehend vom Dodekaeder wenden wir dasselbe Verfahren an wie beim abgeschrägten Hexaeder. Wir drehen alle zwölf Seitenflächen des Dodekaeders in gleicher Weise um ihre Achse (etwa alle gegen den Uhrzeigersinn, wenn man von außen auf das Dodekaeder blickt) und verkleinern sie. Auf diese Weise erhalten wir in diesen Seitenflächen zwölf kongruente regelmäßige Fünfecke
202
8 Regelmäßige Körper
Abbildung 8.42: Zum abgeschrägten Dodekaeder
Abbildung 8.43: Die spiegelbildliche Version
8.4 Überblick
203
(sechs sind dunkelgrau in der Abbildung 8.42 zu sehen). Auch beim Dodekaeder stoßen an jeder Ecke drei Flächen zusammen. Daher bilden auch hier für jede Ecke die drei aus ihr entstandenen Punkte ein gleichseitiges Dreieck (in der Abbildung sind dies die dunkleren Dreiecke). Zusammen sind dies 20 Dreiecke. Erreicht man, dass deren Seitenlänge mit der der Quadrate übereinstimmt, so bilden die verbleibenden Lücken nichtebene Vierecke mit vier gleich langen Seiten. Lassen sich diese durch eine Diagonale in zwei gleichseitige Dreiecke zerlegen, ist man wieder fertig (man beachte die helleren Dreiecke der Abbildung 8.42). Da jedes dieser Dreiecke genau eine gemeinsame Kante mit einem Fünfeck hat, kommen so 12 · 5 = 60 Dreiecke hinzu. Insgesamt hat man also 80 Dreiecke und 12 Fünfecke. Die genannten Bedingungen sind gleichbedeutend damit, dass das schraffierte Dreieck gleichseitig ist. Man erhält also wieder eine Gleichung dritten Grades. Ihre Lösung zeigt, dass die zwölf Seitenflächen des Dodekaeders um etwa 13◦ zu drehen sind und die Kantenlänge des abgeschrägten Dodekaeders gut 56 % der Kantenlänge des Dodekeaders beträgt. Die Existenz einer Umkugel folgt wie beim abgeschrägten Hexaeder. Die spiegelbildliche Version des abgeschrägten Dodekaeders ist in Abbildung 8.43 zu sehen.
8.4 Überblick Wir haben in diesem Kapitel alle Polyeder mit Umkugel untersucht, die von regelmäßigen Vielecken berandet werden und deren Ecken alle dieselbe Gestalt besitzen. Sind diese Vielecke untereinander kongruent, so liegt einer der fünf in Tabelle 8.1 aufgeführten platonischen Körper vor. Lässt man verschiedene Sorten untereinander kongruenter Vielecke zu, so erhält man ein (spezielles) regelmäßiges Prisma (siehe S. 182), ein Antiprisma (siehe S. 190) oder einen der dreizehn in den Tabellen 8.2 bis 8.6 aufgelisteten archimedischen Körper. Da die Namen und die im letzten Abschnitt hergeleiteten Eigenschaften der archimedischen Körper nur wenigen vertraut sind, stellen wir in der Tabelle 8.7 nochmals ihre wichtigsten Eigenschaften zusammen. Zusätzlich geben wir die Namen an, die Kepler diesen Körpern in seiner Weltharmonik gab.
204
8 Regelmäßige Körper
Name 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
11 12 13
abgestumpftes Tetraeder Truncum Tetraedron abgestumpftes Oktaeder Truncum Octaedron abgestumpftes Ikosaeder Truncum Icosihedron abgestumpftes Hexaeder Cubus truncus abgestumpftes Dodekaeder Truncum Dodecaedron abgestumpftes Kuboktaeder Truncum Cuboctaedron abgestumpftes Ikosidodekaeder Truncum Icosidodecaedron Kuboktaeder Cuboctaedron Ikosidodekaeder Icosidodecahedron Rhombenkuboktaeder Rhombicuboctaedron Pseudorhombenkuboktaeder Rhombenikosidodekaeder Rhombicosidodecaedron abgeschrägtes Hexaeder Cubus simus abgeschrägtes Dodekaeder Dodecaedron simum
Vielecke pro Ecke 6,6,3
4 Sechsecke, 4 Dreiecke
6,6,4
8 Sechsecke, 6 Vierecke
6,6,5
20 Sechsecke, 12 Fünfecke
8,8,3
6 Achtecke, 8 Dreiecke
10,10,3
12 Zehnecke, 20 Dreiecke
4,6,8
3,4,3,4
12 Vierecke, 8 Sechsecke, 6 Achtecke 30 Vierecke, 20 Sechsecke, 12 Zehnecke 8 Dreiecke, 6 Vierecke
3,5,3,5
20 Dreiecke, 12 Fünfecke
3,4,4,4
8 Dreiecke, 18 Vierecke
3,4,5,4 3,3,3,3,4
20 Dreiecke, 30 Vierecke, 12 Fünfecke 32 Dreiecke, 6 Vierecke
3,3,3,3,5
80 Dreiecke, 12 Fünfecke
4,6,10
Anzahl der Flächen
Tabelle 8.7: Die archimedischen Körper
A Aus der Schulmathematik Wir stellen hier einige Resultate der Schulmathematik zusammen, die wir in unseren Beweisen der archimedischen Sätze wiederholt verwenden.
Umformung von Termen Wir beschränken uns auf einfache algebraische Umformungen. A.1 Bisweilen sind Klammern aufzulösen. Steht vor der Klammer ein „+“, so kann man die Klammer weglassen, steht vor ihr ein „−“, ändern alle Elemente in der Klammer ihr Vorzeichen. Zwei Beispiele: a + (b − c) = a + b − c , a − (b + c) = a − b − c . Für die Multiplikation gilt (a + b) · c = a · c + b · c , woraus (a + b) · (c + d) = ac + ad + bc + bd
folgt. Diese Regel liefert insbesondere die binomischen Formeln (a + b)2 = a2 + 2ab + b2 , (a − b)2 = a2 − 2ab + b2 , (a + b) · (a − b) = a2 − b2 . Für die Division gilt (a + b) : c = a : b + b : c . A.2 Gleichungen kann man umformen, indem man auf beiden Seiten die gleiche Zahl addiert (da diese Zahl auch negativ sein darf, kann man also auch von beiden Seiten die gleiche Zahl subtrahieren), beide Seiten mit der gleichen, aber von 0 verschiedenen, Zahl multipliziert oder beide Seiten durch dieselbe (natürlich von 0 verschiedene) Zahl dividiert. Multipliziert man etwa beide Seiten der Gleichung c a = b d
206
A Aus der Schulmathematik
mit bc , erhält man nach dem Kürzen b a = , c d multipliziert man sie mit bd, ergibt sich a·d = b·c („kreuzweise Multiplikation“). A.3 Ungleichungen lassen sich auf dieselbe Art umformen, solange man sich bei Multiplikation und Division auf positive Größen beschränkt. Eine Ungleichung kehrt sich um, wenn man beide Seiten mit derselben negativen Zahl multipliziert. Ferner ist für positive Größen a, b, c, d a c b d < gleichbedeutend mit > b d a c (wie man durch Multiplikation beider Seiten mit a < b und c < d, so gilt auch a ·c < b·d,
bd ac
leicht sieht). Gilt zusätzlich
insbesondere folgt also aus a < b auch a2 < b2 . Es gilt auch die Umkehrung: Aus a2 < b2 folgt a < b (man beachte, dass a und b positiv vorausgesetzt sind). Unabhängig vom Vorzeichen folgt aus a < b und c < d a +c < b+d.
Parallele Geraden A.4 Schneidet man zwei Geraden mit einer dritten, so sind die entstehenden Stufenwinkel genau dann gleich groß, wenn die beiden Geraden parallel sind. Entsprechendes gilt für die entstehenden Wechselwinkel. Wie Stufen- und Wechselwinkel definiert sind, illustriert die Abbildung A.1. A.5 Besonders häufig argumentiert Archimedes mit den beiden Strahlensätzen. Sie lauten: 1. Strahlensatz: Werden zwei Geraden durch einen Punkt Z von zwei Parallelen (nicht durch Z) geschnitten, so verhalten sich zwei Abschnitte auf der einen Geraden durch Z wie die entsprechenden Abschnitte auf der anderen. 2. Strahlensatz: Werden zwei Geraden durch einen Punkt Z von zwei Parallelen (nicht durch Z) geschnitten, so verhalten sich die Abschnitte auf den Parallelen wie die von Z aus gemessenen Abstände auf den beiden Geraden durch Z.
207
A Aus der Schulmathematik
Abbildung A.1: Stufenwinkel (links) und Wechselwinkel (rechts) Mit den in Abbildung A.2 angegebenen Streckenlängen gilt also nach dem 1. Strahlensatz a b = ′ ′ a b
oder
a b = ′ a+a b + b′
oder
a + a′ b + b′ = , a′ b′
nach dem 2. Strahlensatz a b c = = . c′ a + a′ b + b′
Z tr a
b rt
b′ rt
c c′
rt
a′ rt
Abbildung A.2: Zu den Strahlensätzen A.6 Der 1. Strahlensatz lässt sich umkehren: Werden zwei Geraden durch einen Punkt Z von zwei anderen Geraden a, b (die nicht durch Z gehen) geschnitten und verhalten sich zwei Abschnitte auf der einen Geraden durch Z wie die entsprechenden Abschnitte auf der anderen, so sind die Geraden a und b parallel.
208
A Aus der Schulmathematik
Das Dreieck Das Dreieck spielt in der Schulgeometrie eine wichtige Rolle. Die meisten der folgenden Aussagen dürften daher vielen noch in Erinnerung sein. A.7 Zwei Dreiecke sind kongruent, – wenn ihre Seitenlängen übereinstimmen, – wenn sie in zwei Seiten und dem Zwischenwinkel übereinstimmen, – wenn sie in einer Seite und den beiden anliegenden Winkeln übereinstimmen. A.8 Ist a die Länge einer Dreiecksseite und h die Länge der Höhe auf diese Seite, so berechnet sich die Fläche des Dreiecks nach der Formel 12 ah. Weniger bekannt ist die zweite, leicht aus der ersten herzuleitende Flächenformel: Die Fläche ist gleich dem halben Produkt aus dem Sinus eines Winkels und den beiden anliegenden Dreiecksseiten. Wichtig ist für uns die folgende Konsequenz: A.9 Stimmen zwei flächengleiche Dreiecke in einem Winkel überein, so stimmt auch das Produkt der anliegenden Seiten überein. Zwei Dreiecke heißen ähnlich, wenn ihre Winkel übereinstimmen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn entsprechende Dreiecksseiten parallel sind. Da die Winkelsumme im Dreieck 180◦ beträgt, genügt die Übereinstimmung in zwei Winkeln. Daher sind zwei rechtwinklige Dreiecke bereits ähnlich, wenn sie in einem nicht rechten Winkel übereinstimmen. Der wichtigste Satz über ähnliche Dreiecke lautet: A.10 Bei ähnlichen Dreiecken stimmen die Längenverhältnisse entsprechender Seiten überein. Es gilt auch die Umkehrung: Stimmen bei zwei Dreiecken die Längenverhältnisse entsprechender Seiten überein, so sind sie ähnlich. Ebenso sind zwei Dreiecke ähnlich, wenn ein Winkel und die Längenverhältnisse der anliegenden Seiten übereinstimmen. Da sich in ähnlichen Dreiecken die Höhen wie die Seiten verhalten, gilt ferner: A.11 Die Flächen ähnlicher Dreiecke verhalten sich wie die Quadrate entsprechender Seitenlängen. In einem rechtwinkligen Dreieck heißen die Seiten, die den rechten Winkel einschließen, Katheten. Die diesem Winkel gegenüberliegende Seite ist die Hypotenuse des Dreiecks.
A Aus der Schulmathematik
209
Abbildung A.3: Die Satzgruppe des Pythagoras A.12 Damit lauten die zur Satzgruppe des Pythagoras gehörenden Sätze wie folgt (siehe Abbildung A.3): Satz des Pythagoras: Im rechtwinkligen Dreieck haben die Quadrate über den Katheten zusammen die gleiche Fläche wie das Quadrat über der Hypotenuse. Höhensatz: Im rechtwinkligen Dreieck ist das Quadrat über der Höhe auf die Hypotenuse flächengleich dem Rechteck aus den beiden Hypotenusenabschnitten. Kathetensatz: Im rechtwinkligen Dreieck ist das Quadrat über einer Kathete flächengleich dem Rechteck aus der Hypotenuse und dem anliegenden Hypotenusenabschnitt. A.13 Dreiecke besitzen einen Umkreis, auf dem die Ecken des Dreiecks liegen, und einen Inkreis, der die Seiten des Dreiecks berührt. Die Mittelpunkte dieser Kreise erhält man wie folgt: Der Umkreismittelpunkt eines Dreiecks ist der Schnittpunkt der Mittelsenkrechten der Dreiecksseiten. Der Inkreismittelpunkt eines Dreiecks ist der Schnittpunkt der Winkelhalbierenden. Der Umkreis eines rechtwinkligen Dreiecks ist der Kreis, der die Hypotenuse als Durchmesser besitzt. Er ist unter dem Namen Thaleskreis bekannt.
Das Parallelogramm A.14 Ein Viereck, bei dem je zwei gegenüberliegende Seiten parallel sind, heißt bekanntlich Parallelogramm. Gegenüberliegende Seiten sind dann gleich lang.
210
A Aus der Schulmathematik
Ein Parallelogramm liegt bereits vor, wenn zwei gegenüberliegende Seiten parallel und gleich lang sind. Jede Diagonale zerlegt das Parallelogramm in zwei kongruente und damit flächengleiche Dreiecke. Die Fläche eines Parallelogramms berechnet sich daher als Produkt aus einer Seitenlänge und dem Abstand der gegenüberliegenden Seite.
Der Sehnensatz Im folgenden Sehnensatz geht es um zwei Sehnen eines Kreises, die sich in einem Punkt schneiden. A.15 Zieht man durch einen Punkt S im Inneren eines Kreises Sehnen, so sind für alle Sehnen die Rechtecke aus den beiden Sehnenabschnitten flächengleich. Haben also in Abbildung A.4 die Strecken die angegebene Länge, so gilt a·b = c·d. r t r t
b
c S
r t
d
tr
a
tr
Abbildung A.4: Zum Sehnensatz
Vollständige Induktion Nach der axiomatischen Fundierung der natürlichen Zahlen durch Giuseppe Peano Ende des 19. Jahrhunderts wurde das Prinzip der vollständigen Induktion zu einer wichtigen Beweismethode für Aussagen, die von einer natürlichen Zahl abhängen. Sie fand sogar ihren Weg in die Schulmathematik, allerdings mit zweifelhaftem Erfolg. A.16 Die vollständige Induktion besteht aus zwei Beweisschritten: Induktionsanfang: Die Aussage ist für eine natürliche Zahl n0 richtig. Induktionsschritt: Wenn die Aussage für eine Zahl n richtig ist, ist sie auch für n + 1 richtig.
211
A Aus der Schulmathematik
Gelingen diese Beweisschritte, so hat man gezeigt, dass die Aussage für alle natürlichen Zahlen gilt, die größer oder gleich n0 sind: Da sie für n0 bewiesen wurde, gilt sie auch für n0 + 1. Da sie für n0 + 1 gilt, gilt sie auch für n0 + 2 . . . Damit ist klar, dass sie für alle natürlichen Zahlen, die größer oder gleich n0 sind, richtig ist. (Eigentlich ist es nur vermeintlich klar. Zum Beweis müsste man auf Peanos Axiome zurückgreifen.) Sehen wir uns als Beispiel die Aussage (⋆)
1 + 2 +...+ n =
n(n + 1) 2
an. Für n = 1 lautet sie
1·2 , 2 was bekanntlich richtig ist. Es bleibt zu zeigen, dass die Formel für n + 1 richtig ist, falls sie für n richtig ist. Beim Übergang von n auf n + 1 kommt links n + 1 hinzu. Wegen 1 =
(n + 1)(n + 2) n(n + 1) n2 + 2n + n + 2 − n2 − n 2n + 2 − = = =n+1 2 2 2 2 gilt dies auch für die rechte Seite. Damit ist der Induktionsschritt gelungen, die Aussage also für jede natürliche Zahl n richtig. A.17 Da
n(n + 1) < 2n2 2 gilt (wie man leicht mit A.3 zeigt), folgt aus (⋆) weiter 1 + 2 + . . . + n < 2n2 . Wir beweisen eine weitere Aussage durch vollständige Induktion. A.18 Gilt so gilt auch
a2 an a1 = = ... = , b1 b2 bn a1 a1 + . . . + an = . b1 b1 + . . . + bn
Für n = 1 ist diese Aussage offensichtlich richtig. Im Induktionsschritt haben wir zu zeigen, dass sie für n + 1 gilt, wenn sie für n richtig ist. Die Voraussetzung an+1 an a1 a1 + . . . + an = = ... = = bn+1 bn b1 b1 + . . . + bn
212
A Aus der Schulmathematik
liefert zunächst an+1 (b1 + . . . + bn ) + an+1 bn+1 = bn+1 (a1 + . . . + an ) + bn+1 an+1 . ::::::::::::
::::::::::::
Dies lässt sich umformen zu an+1 (b1 + . . . + bn+1 ) = bn+1 (a1 + . . . + an+1 ) oder
a1 = b1
an+1 a1 + . . . + an+1 = , bn+1 b1 + . . . + bn+1
womit der Induktionsschritt gelungen ist.
Der Zwischenwertsatz Der Zwischenwertsatz ist ein wichtiger Satz der reellen Analysis. Er lautet: A.19 Eine stetige reelle Funktion f , die auf einem abgeschlossenen Intervall [a, b] definiert ist, nimmt dort jeden Wert zwischen f (a) und f (b) an.
B Konkordanz Wer die Sätze des Archimedes im (übersetzten) Original nachlesen will, findet hier die Nummerierung aus [1]. hier Satz 3.3 Satz 3.4 Satz 3.6 Satz 3.10 Satz 3.11 Satz 3.12 Satz 3.13 Satz 3.14 Satz 3.16 Satz 3.17 Satz 3.18 Satz 3.19
Die Quadratur der Parabel in [1] §1 §2 §3 (i) § 4 §5 § 18 § 19 § 20 § 21 § 22 § 23 § 24
Über das Gleichgewicht ebener Flächen, Buch I hier in [1] Satz 3.22 § 6, § 7 Satz 3.23 § 14 Satz 3.24 § 15 Über das Gleichgewicht ebener Flächen, Buch II hier in [1] Satz 3.26 §2 Satz 3.27 §3 Satz 3.28 §4 Satz 3.29 §5 Satz 3.30 §6 Satz 3.31 §7 Satz 3.32 §8
214
B Konkordanz
hier Satz 4.5
Kreismessung in [1] I
Über Kugel und Zylinder, Buch I hier in [1] Satz 4.2 §3 Satz 4.3 §5 Satz 4.8 § 11 Satz 4.9 § 12 Satz 4.10 Ende von § 12 Satz 4.11 § 13 Satz 4.12 Teil des Beweises von § 14 Satz 4.13 § 9 Satz 4.14 § 10 Satz 4.15 Ende von § 12 Satz 4.16 § 14 Satz 4.17 § 15 Satz 4.18 § 16 Satz 4.20 § 17 Satz 4.21 § 18 Satz 4.22 § 20 Satz 4.23 § 21 Satz 4.24 § 22 Satz 4.25 § 23 Satz 4.26 § 24 Satz 4.27 § 25 Satz 4.28 § 26 Satz 4.29 § 27 Satz 4.30 § 28 Satz 4.31 § 29 Satz 4.32 § 30 Satz 4.33 § 31 Satz 4.34 Korollar zu § 31 Satz 4.35 § 32 Satz 4.36 § 33 Satz 4.37 § 34 Satz 4.38 Korollar zu § 34 Satz 4.39 § 42, § 43
215
B Konkordanz
Methodenlehre von den mechanischen Lehrsätzen hier in [1] Satz 3.25 I Satz 4.40 II Satz 6.4 IV Satz 6.5 V hier Hilfssatz 5.1 Hilfssatz 5.2 Hilfssatz 5.3 Hilfssatz 5.4 Hilfssatz 5.5 Satz 5.6 Satz 5.7 Satz 5.8 Satz 5.9 Satz 5.10 Satz 5.11
Über Spiralen in [1] 7. 8. 10. 10. 10. 18. 20. 19. 23. 24. 25.
Zusatz Zusatz
Zusatz Zusatz
Über Paraboloide, Hyperboloide und Ellipsoide hier in [1] Satz 3.21 §3 Satz 6.1 § 19 Hilfssatz 6.2 bei den Definitionen Satz 6.3 § 21 Über schwimmende Körper, Buch I hier in [1] Satz 6.6 (i) §3 Satz 6.6 (ii) § 5 Satz 6.6 (iii) § 6 Satz 6.6 (iv) § 7 Über hier Satz 6.7 Satz 6.8 Satz 6.9
schwimmende Körper, Buch II in [1] §1 §2 §3
Abbildungsnachweis 1.1 Gorny & Mosch, Giessener Münzhandlung, München, Auktion 199, Los 571 1.3 Gorny & Mosch, Giessener Münzhandlung, München, Auktion 207, Los 413 1.4 Gorny & Mosch, Giessener Münzhandlung, München, Auktion 199, Los 573 1.5 Fritz Rudolf Künker GmbH & Co. KG, Osnabrück, Auktion 204, Los 386 (Foto Lübke & Wiedemann, Stuttgart) 1.6 Olaf Tausch / Wikimedia Commons c Numismatica Ars Classica NAC AG, Zürich-London, Auktion 1.7 62, Los 2013 1.8 Emad Victor Shenouda / Wikimedia Commons 1.9 Jastrow / Wikimedia Commons 1.10 Fritz Rudolf Künker GmbH & Co. KG, Osnabrück, Auktion 204, Los 385 (Foto Lübke & Wiedemann, Stuttgart) 1.12 Gorny & Mosch, Giessener Münzhandlung, München, Auktion 199, Lose 86 und 90 1.15 Dr. Busso Peus Nachf., Frankfurt, Auktion 404, Los 2215 1.17 Hess-Divo AG, Münzen und Medaillen, Zürich, Auktion 320, Los 52 1.18 Marie-Lan Nguyen / Wikimedia Commons 1.19 Marsyas / Wikimedia Commons 6.9 Wikimedia Commons
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Index Abstand, 41 Achse einer Parabel, 48 einer Pyramide, 99 einer Spirale, 126 eines Drehkegels, 98 eines Drehzylinders, 92 eines Kreises, 42 eines Paraboloids, 147 eines Prismas, 92 eines Segments eines Paraboloids, 148 eines Vielecks, 43 Agathokles, 23, 29 Agrigent, 25 Aischylos, 26 Akragas, 25 Alexander der Große, 10, 17 Alexandria, 17–20 Ancona, 28 Antigoniden, 11 Antikythera, 38 Antiochos IV., 13 Antiprisma, 190 Apollonios, 21, 23, 52 Arbelos, 89 Archimedes, 23, 33–36 Das Stomachion, 36, 170 Die Quadratur der Parabel, 36, 47– 64, 213 Die Sandzahl, 21, 33, 36, 39 Grab, 40, 120 Kreismessung, 36, 88, 170, 214 Methodenlehre von den mechanischen Lehrsätzen, 36, 47, 70, 83, 123, 170, 215 Über das Gleichgewicht ebener Flä-
chen, 36, 47, 68, 72–82, 169, 213 Über Kugel und Zylinder, 36, 83– 123, 170, 214 Über Paraboloide, Hyperboloide und Ellipsoide, 36, 65, 147–153, 215 Über schwimmende Körper, 36, 170, 215 Über Spiralen, 36, 126–146, 169, 215 archimedische Spirale, 126 archimedisches Prinzip, 34, 159 Aristarch, 21, 23 Aristoteles Physik, 89 Arrian, 19 Ausonius, 170 Außenbereich, 48 Basis, 147 Berenike, 20 binomische Formeln, 205 Breitenkreis, 98 Brennpunkt, 48 Caesar, 17, 22 Cannae, 12 Cicero, 23, 32, 33, 38, 40 Gespräche in Tusculum, 40 Reden gegen Verres, 33 Claudius, 23 Cumae, 26 Deckfläche, 92 Deckkreis, 92 Dekaeder, 201 Diagonale, 42 Diodor, 17, 33 Dion Chrysostomos, 17
221
Index Dionysios I., 23, 28 Dionysios II., 23, 28 Dodekaeder, 180 abgeschrägtes, 201 abgestumpftes, 184 Doppelkegel, 99 Drehkegel, 98 Drehzylinder, 92 Dreieck, 208 Durchmesser eines Kreises, 42 eines Parabelsegments, 56 Ecke, 42 Elefantenpuzzle, 170 Epipolai, 27, 28 Erasistratos, 22 Eratosthenes, 22, 23, 33, 68 Erzeugende, 98 Euklid, 21, 23, 169 Elemente, 23, 61, 86, 105, 172, 175 Faijum, 15 Fläche erste, 133 n-te, 133 zweite, 133 Forster, E. M, 20 Fußball, 184 Gela, 25, 29 Gelon, 23, 24, 31, 33 Gerade, 41 Gitter, 163 Gittervieleck, 163 Goujon, 36 Großkreis, 111 Grundfläche einer Pyramide, 99 eines Drehkegels, 98 eines Drehzylinders, 92 eines Kugelsegments, 122 eines Prismas, 92 Grundkreis, 92, 122 Grundlinie, 55
Halbgerade, 41 Hannibal, 12 Hebelgesetz, 67 Heiberg, J. L., 169 Herakleia Minoa, 28 Herodot, 25 Hexaeder, 175 abgeschrägtes, 198 abgestumpftes, 184 Hieron I., 23, 25–27 Hieron II., 23, 30–32 Hieronymos, 32 Himera, 25, 28 Höhe einer Pyramide, 99 eines Drehkegels, 98 eines Drehzylinders, 92 eines Parabelsegments, 60 eines Prismas, 92 Höhensatz, 209 Ikosaeder, 180 abgestumpftes, 184 Ikosidodekaeder, 194 abgestumpftes, 188 Inkreis, 44 Innenbereich, 48 Innenwinkel, 43 Kalliope, 19 Karthago, 11 Kathetensatz, 209 Kavafis, K., 20 Kegel, 98 Kegelstumpf, 99 Kepler, J., 22, 198 Weltharmonik, 203 Kleopatra VII., 17 Klio, 19 Koilesyrien, 14 Konoid, 147 Konon, 20, 23, 33 Korinth, 23, 29 Körper archimedischer, 172, 181
222 chiraler, 198 platonischer, 172, 175 Kreis, 41 erster, 133 zweiter, 133 Kreisbogen, 41 Krieg Erster Punischer, 12, 30 Peloponnesischer, 27 Römisch-Makedonischer, 12 Zweiter Punischer, 12, 31 Kuboktaeder, 192 abgestumpftes, 185 Kugel, 111 Kugelapproximation einbeschriebene, 112 umbeschriebene, 116 Kugelsegment, 122 Kurupedion, 11 Kyme, 26 Kynoskephalai, 12 Kyrenaika, 14 Leitgerade, 48 Leitkreis eines Drehkegels, 98 eines Drehzylinders, 92 Liber assumptorum, 89 Lilybaion, 29 Livius, 35 Magna Graecia, 11 Magnesia, 11, 12 Mamertiner, 29 Mantelfläche einer Pyramide, 99 eines Drehkegels, 98 eines Drehzylinders, 92 eines Kugelsegments, 122 eines Prismas, 92 Marcellus, 32, 35, 38 Mark Anton, 17 Memphis, 17 Menekles, 22 Messana, 29
Index Miller, J. C. P., 196 Mittelpunkt einer Kugel, 111 einer Spirale, 126 eines Kreises, 41 Mittelpunktswinkel, 41, 43 mittlere Proportionale, 86 Museion, 18–23 Musen, 19 Myriade, 39 Newton, I., 22 Octavian, 17 Oktaeder, 176 abgestumpftes, 184 Ortygia, 23, 29, 31 Palimpsest, 169 Pappos, 23, 172 Parabel, 47 Parabelnormale, 55 Parabelsegment, 55 Paraboloid, 147 Parameter einer Parabel, 51 eines Paraboloids, 147 Peano, G., 210 Pharos, 17 Philipp II., 27 Pick, G., 163 Pindar, 26 Platon, 28 Phaidon, 11 Timaios, 38, 172 Plinius der Ältere, 21 Plutarch, 19, 32, 33, 35, 40 Polybios, 13, 32, 34, 35 Polyeder, 172 Polygon, 42 Pompeius, 13, 27 Postulat, 84 Prisma, 92 regelmäßiges, 92, 182 Pseudorhombenkuboktaeder, 196
223
Index Ptolemäer, 11 Ptolemaios I., 13, 14, 17, 18 Ptolemaios II., 14, 15, 18, 19, 21 Ptolemaios III., 14, 15, 20, 22 Ptolemaios IV., 14, 16 Ptolemaios VI., 22 Ptolemaios VIII., 22 Pydna, 12 Pyramide, 99 regelmäßige, 99 Pyrrhos, 29 Quintilian, 26 Radius einer Kugel, 111 eines Kreises, 41 Rhegion, 28, 30 Rhombenikosidodekaeder, 196 Rhombenkuboktaeder, 195 Rom, 11–13 Salamis, 25 Salinon, 90 Satz des Pythagoras, 209 Scheitel einer Parabel, 48 eines Parabelsegments, 56 eines Segments eines Paraboloids, 148 Scheitelpunkt eines Kugelsegments, 122 eines Paraboloids, 147 Schustermesser, 89 Schwerpunkt eines Dreiecks, 68 eines Parabelsegments, 80 eines Trapezes, 69 Segesta, 27 Segment einer Kugel, 122 einer Parabel, 55 eines Kreises, 42 eines Paraboloids, 147 normales, 148
Sehne einer Parabel, 50 eines Kreises, 42 Sehnensatz, 210 Sehnenvieleck, 43 Seite, 42 Seleukiden, 11 Sokrates, 11 Sphäre, 111 Sphäroid, 147 Spirale (archimedische), 126 Spitze einer Pyramide, 99 eines Drehkegels, 98 Standardapproximation, 72 Strabo, 20 Strahlensatz erster, 206 zweiter, 206 Strecke, 41 erste, 133 n-te, 133 zweite, 133 Sueton, 23 Syrakus, 23–33 Tangentenvieleck, 44 Tarent, 29 Tetraeder, 176 abgestumpftes, 183 Thaleskreis, 209 Theokrit, 31 Theon, 23 Theron, 25 Thrasybulos, 27 Thukydides, 28 Timoleon, 29 Tischendorf, K. von, 169 Tzetzes, J., 33, 35 Umfang, 42 Umkreis, 43 Umkugel, 174 Urania, 19
224 Valerius Maximus, 36 Verres, 33 Vieleck, 42 regelmäßiges, 43 Vitruv, 34 vollständige Induktion, 210 Widerspruchsbeweis, 64 Würfel, 175 Zenodotos, 22 Zwischenwertsatz, 212 Zylinder, 92 Zypern, 14
Index
Informationen Zum Buch In seinem Buch begibt sich Günter Aumann auf die Spuren des großen Archimedes. Dieser war ein herausragender Ingenieur und Physiker und einer der bedeutendsten Mathematiker der Antike. Viele Abbildungen, die klare Struktur der Beweise und die Verwendung moderner Ansätze erleichtern dem Leser den Zugang.
Informationen Zum Autor Günter Aumann, geb. 1952, ist Professor für Geometrie / Computergeometrie an der Universität Karlsruhe (nun Karlsruher Institut für Technologie). Sein bei der WBG erschienenes Werk ›Euklids Erbe‹ erfreut sich breiter Beliebtheit und liegt mittlerweile in dritter Auflage vor, 2011 erschien sein Titel ›Geometrie‹.