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German Pages 204 [206] Year 2023
Niovi Zampouka Sozrealismus erzählen und übersetzen
WeltLiteraturen/ World Literatures
Schriftenreihe der Friedrich Schlegel Graduiertenschule für literaturwissenschaftliche Studien
Herausgegeben von Jutta Müller-Tamm, Andrew James Johnston, Anne Eusterschulte, Susanne Frank und Michael Gamper Wissenschaftlicher Beirat Ute Berns (Universität Hamburg), Hans Ulrich Gumbrecht (Stanford University), Renate Lachmann (Universität Konstanz), Ken’ichi Mishima (Osaka University), Glenn W. Most (Scuola Normale Superiore Pisa), Jean-Marie Schaeffer (EHESS Paris), Stefan Keppler-Tasaki (University of Tōkyō), Janet A. Walker (Rutgers University), David Wellbery (University of Chicago), Christopher Young (University of Cambridge)
Band 21
Niovi Zampouka
Sozrealismus erzählen und übersetzen Von der Sowjetunion nach Griechenland und retour
Dissertationsschrift, Humboldt-Universität zu Berlin, 2020 Die Entstehung dieser Arbeit wurde gefördert durch ein Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen der Friedrich Schlegel Graduiertenschule für literaturwissenschaftliche Studien an der Freien Universität Berlin.
ISBN 978-3-11-102631-2 e-ISBN (PDF) 978-3-11-102653-4 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-102702-9 ISSN 2198-9370 Library of Congress Control Number: 2022946821 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2023 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Einbandabbildung: Gestaltet von Jürgen Brinckmann, Berlin, unter Verwendung einer Graphik von Anne Eusterschulte Satz: Integra Software Services Pvt. Ltd. Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
Danksagung An dieser Stelle möchte ich meinen besonderen und herzlichen Dank an Frau Prof. Dr. Susanne Frank für die hervorragende Betreuung und enorme Unterstützung bei der Durchführung des Dissertationvorhabens aussprechen. Ein großer Dank geht außerdem an meinen zweiten Betreuer im Fach Neogräzistik Herrn Prof. Dr. Miltos Pechlivanos sowie an Frau Prof. Dr. Alexandra Ioannidou, die mir erste Anregungen zum Dissertationsthema gegeben hat. Meiner Familie und meinen Freunden, die mir mit Rat und Tat stets zur Seite standen, kann ich nicht genug danken.
https://doi.org/10.1515/9783111026534-202
Inhaltsverzeichnis Danksagung Einleitung 1 1.1 1.1.1
1.1.2
1.1.3 1.1.4 1.2 1.2.1 1.2.2 1.3
2 2.1 2.2
V 1
Peritexte und Epitexte: Das Instrumentarium der sowjetischen Literaturvermittlung 12 Neugriechische Literatur im Rahmen des sowjetischen Übersetzungsprojekts 12 Übersetzung, Publikation und Rezeption neugriechischer Lyrik 17 Selbstständige Lyrikpublikationen 17 Anthologien neugriechischer Lyrik und gemischte Anthologien 25 Teilnahmen neugriechischer Lyrik an thematischen Anthologien und Sammelbänden 27 Publikationen neugriechischer Lyrik in sowjetischen Periodika 30 Zwischenbemerkungen zu den Lyrikpublikationen 31 Übersetzung, Publikation und Rezeption neugriechischer Prosa 33 Selbstständige Prosapublikationen und Anthologien 33 Publikationen neugriechischer Prosa in sowjetischen Periodika 64 Übersetzung, Publikation und Rezeption neugriechischer Dramen und Bühnenwerke 64 Schlussbetrachtungen zur sowjetischen Publikationspolitik 66 Paratextuelle Rezeption und Präsentation neugriechischer Literatur in der Sowjetunion 70 Das Bild der neugriechischen Literatur in sowjetischen Nachschlagewerken 70 Peritextuelles Framing 77 Kulturelle Diplomatie: Völkerfreundschaft und die Reisen griechischer Literaten in die Sowjetunion 85 Kanonisierung in Bewegung: Appropriierung und Übersetzung des Sozialistischen Realismus 99 Rezeption des Sozrealismus in Griechenland: Programmatik und Übersetzungen 99 Die griechische Appropriierung des Sozrealismus und ihre sowjetische Übersetzung 104
VIII
2.2.1
2.2.2
2.2.3 2.2.4 3 3.1 3.2
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Inhaltsverzeichnis
Die Neuerfindung des Originals: Melpo Axiotis Tränen und Marmor 104 Handlung, Figuren und Motive 107 Ideologische Implikationen einer unorthodoxen Poetik 114 Die Rezeption des Romans im Westen und in der Sowjetunion 119 Exkurs zum sowjetischen Konzept der ‚realistischen Übersetzung‘ 126 Spezifik und Modus Operandi der russisch-sowjetischen Übersetzung 132 Eine doppelte Kanonisierung: Mitsos Alexandropoulos’ Nächte und Morgenröte 138 Die Publikationsgeschichte und sowjetische Rezeption des Romans 141 Übersetzungsvergleich 143 Eine originalgetreue Übersetzung: Dimitris Hadzis’ Feuer 149 Vergleichende Betrachtung der Fallbeispiele 156 Der Tod des Autor-Kommunisten – Entideologisierung und Paradigmenwechsel 158 Normenwandel und auktoriale Neupositionierung 158 Metapoetik der Translation: Mitsos Alexandropoulos’ Szenen aus dem Leben Maxims des Griechen 161 Schlussbemerkungen
Bibliographie Namensregister
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Einleitung Die Reise auf dem Ozean der russischen Sprache ist für unsere zeitgenössische Literatur eine Fahrt in einen geographisch und geistig enormen Raum, in eine enorme Leserschaft von Millionen, eine der durstigsten und wählerischsten auf der Welt. Zugleich ist sie eine bisher beispiellose Fahrt in eine der internationalen Sprachen, die heutzutage studiert und über die ganze Welt verbreitet wird, eine Sprache, die einige der größten Namen der Weltliteratur anpriesen, eine Fahrt in die gesamte sozialistische und neu befreite Welt. (Antaios 1965, 362)1
Mit diesen Worten beschreibt der griechische Dichter Petros Antaios in einer Präsentation von russischen Übersetzungen neugriechischer Literatur die russische Sprache als Eintrittskarte der neugriechischen Literatur in die Weltliteraturszene.2 Die Größe der Leserschaft, die das „enorme“ Land verspricht, und die globale Reichweite einer Sprache mit reicher Tradition und vielversprechender Zukunft – wie sich die Bezugnahme auf die russischen Klassiker der Weltliteratur und die sozialistische Vision paraphrasieren lässt – eröffnen der neugriechischen Literatur die Möglichkeit, nationale Partikularität und periphere Lokalität zu überwinden und in die Gewässer der globalen Anerkennung zu stechen. Die rhetorische Klimax – von Griechenland via Russland hinaus in die Welt – schreibt der russischen Sprache eine führende Vermittlungsrolle zwischen dem Nationalen und Internationalen, dem Lokalen und dem Universalen zu. Die Dichte der Superlative und deren Totalitätsanspruch reflektieren nicht nur den ideologisch motivierten und für einen Teil der griechischen Literaturproduktion repräsentativen Enthusiasmus des Dichters, der eine „Reise“ epischen Ausmaßes verspricht, sondern auch das Selbstverständnis des ambitionierten sowjetrussischen Weltliteraturprojekts. Diese „Reise“ der neugriechischen Literatur ins sowjetische Weltliteraturprojekt, das die Slawistin und Übersetzungswissenschaftlerin Susanna Witt als das „größte mehr oder weniger kohärente Übersetzungsprojekt, das die Welt bisher gesehen hat“ (2011, 167) jenseits seines Selbstbildes bezeichnet, kartiert die vorliegende Arbeit. Der seit den achtziger Jahren anlaufende cultural turn in der Translationswissenschaft, der sich durch die Interessenverlagerung auf die bis dato vorwiegend als linguistisches und textbasiertes Verfahren betrachtete Übersetzung als breit aufgefasste soziale und kulturelle Tätigkeit auszeichnet (vgl. Venuti 1995; Cronin 2003; Snell-Hornby 2006), hat die Grundlage für einen analogen kulturwissenschaftlichen translational turn (vgl. Bassnett 1998; 2012) bzw. für die Etablierung der Übersetzungskategorie als wissenschaftliche Analysekategorie in diversen Disziplinen der Geistes- und Kulturwissenschaften geschaffen. Für die akademische Forschung bie-
Sofern nicht anders angegeben, stammen die Übersetzungen der zitierten Textpassagen von der Verfasserin der vorliegenden Arbeit, N.Z. Die Textpassage stammt aus einem Beitrag mit dem Titel „Die neugriechische Literatur in Moskau“, der in der linken Literaturzeitschrift Epitheorisi Technis 1965 veröffentlicht wurde. https://doi.org/10.1515/9783111026534-001
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Einleitung
tet sich die Übersetzung als analytisches Modell zur Erfassung der Inter- und Transdisziplinarität als Übersetzungsproblem bzw. die Identifizierung von Spannungen zwischen Disziplinen und Denkrichtungen und die Untersuchung der Transformation und Reformulierung wissenschaftlicher Konzepte in differenzierten diskursiven Zusammenhängen an. Zudem stellt sie einen operativen methodologischen und epistemologischen Ansatz zur Erforschung und Verhandlung von Kulturbegegnung, Differenz, Vermittlung und Konflikt zwischen und innerhalb kultureller Kontexte dar (vgl. Bachmann-Medick 2006; 2009). Der translational turn in der Kultur- und Literaturwissenschaft erachtet die Übersetzungsperspektive als unabdingbar sowohl für eine global orientierte Komparatistik (vgl. Apter 2006) als auch für die Regionalstudien (vgl. Bachmann-Medick 2015). Die Kategorie der Übersetzung wird in diesem Kontext durch die Erweiterung des Blickfeldes vom Bereich der reinen Sprach- und Textübertragung auf das breite Gebiet kultureller Übersetzungspraktiken produktiv gemacht. Das kulturwissenschaftliche Übersetzungsverständnis geht über die traditionellen Übersetzungsqualitäten wie Originalität, Äquivalenz und Treue hinaus und lenkt den Fokus auf handlungsorientierte Übersetzungsverfahren als Kulturtechniken, wobei die sprach- und textbezogene Übersetzungsreflexion nicht aus dem Betrachtungsfeld verschwindet, sondern für die methodische Ausarbeitung und Spezifizierung konkreter Situationen und Vorgänge kulturellen Übersetzens stark gemacht wird. Insbesondere für die Regionalstudien, welchen die sprachbasierte Forschung und die philologische Erschließung von Texten inhärent sind, entfaltet sich das Potenzial einer breit und synthetisch begriffenen Übersetzungsperspektive als erkenntnisversprechende Möglichkeit, über das bloße Kulturverstehen und die Vermittlung von Regionalwissen hinaus einen mikroskopischen Blick auf konkrete transregionale Verflechtungen zu richten. Kulturelle, sprachliche, politische und theologische Beziehungsgeschichten als Übersetzungsbeziehungen zu betrachten, ermöglicht lineare Transfermodelle zu überdenken und Dichotomien wie Zentrum vs. Peripherie, global vs. lokal, partikular vs. universal in eine Übersetzungsrelation zu setzen bzw. auf Mikroebene der vielschichtigen Interaktionsvorgänge zu erkunden, wie das Eine ins Andere und vice versa übersetzt wird. Unverzichtbar ist in diesem Zusammenhang die Erforschung von Vermittlungsprozessen, -akteuren und -strukturen, Schnittstellen und Zwischenräumen der Übertragung sowie Konfliktfeldern, in denen sich Differenzen, Verfremdungen und Machtasymmetrien bilden und antagonistische Narrative von Dominanz und Widerstand zum Vorschein kommen. Aufgrund der geographischen Erweiterung des Interessenbereichs in der Translationswissenschaft einerseits und dank der zunehmenden Orientierung der slawistischen Literaturwissenschaft an translationsbezogenen Forschungsfragen andererseits, wird Osteuropa und insbesondere Russland mit Rückblick auf sein Vermächtnis als multiethnisches, multinationales und multilinguales Imperium mittlerweile als gesonderte Translationszone – im Sinne eines Bereichs intensiver sprachübergreifender Interaktion mit regionsspezifischer Übersetzungskultur – erfasst. Diese Be-
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trachtungsweise wird unter anderem durch eine Reihe jüngerer Aufsatzsammlungen etabliert, die mit ihrem Schwerpunkt auf Russland die Übersetzungsforschung in den osteuropäischen literarischen und kulturellen Kontext, bezogen auf die Zeitspanne vom neunzehnten Jahrhundert bis hin zur postsowjetischen Ära, einbetten. Besonders erwähnenswert sind hier die Sammelbände Contexts, Subtexts and Pretexts: Literary Translations in Eastern Europe and Russia von Brian James Baer (2011), The Art of Accommodation: Literary Translation in Russia von Leon Burnett und Emily Lygo (2013), die von Julie Hansen und Susanna Witt herausgegebene Sonderausgabe Contexts of Russian Literary Translation (2016) der Fachzeitschrift Translation and Interpreting Studies sowie der Band Translation in Russian Context: Culture, Politics, Identity von Baer und Witt (2018).3 Für die literaturwissenschaftliche und -geschichtliche Übersetzungsforschung stellt die Sowjetzeit in Bezug auf die Übersetzungsproblematik ein fruchtbares Untersuchungsfeld dar. Der ideologischprogrammatische Anspruch des sowjetischen Experiments auf Multinationalität, Internationalität und Globalität, die asymmetrischen Machtverhältnisse, die durch die Superioritätsbehauptung des Machtzentrums Moskau und der russischen Literatur entstehen, und nicht zuletzt die Institutionalisierung und Reglementierung des literarischen Schaffens bilden zwischen Politik und Ästhetik ein Spannungsfeld mit mehrfachen translationalen Kontexten. Im Mittelpunkt dieser Forschungsrichtung steht das groß angelegte sowjetische Weltliteraturprojekt, das im Rahmen der ideologischen Expansion der UdSSR als Konkurrenzprojekt zu westlichen, als ‚bürgerlich‘ und ‚kapitalistisch‘ polemisierten Weltliteraturkonzepten und literarischen Praktiken konzipiert wird und im Rahmen dessen ein normatives ästhetisches Programm exportiert und ein globaler sozialistischer Literaturkanon etabliert werden soll. Katerina Clark erörtert in ihrem Aufsatz „Translation and Transnationalism“ (2018) zwei miteinander verbundene und verflochtene Dimensionen des sowjetischen Weltliteraturprojekts, für deren Realisierung die Übersetzung von grundlegender strategischer Bedeutung gewesen war: zum einen das aus Moskauer Sicht nach außen gerichtete Streben nach Erschaffung eines transnationalen Kulturraums durch die Verbreitung und Etablierung einer gemeinsamen ‚Sprache‘ – im weiteren Sinne eines gemeinsamen Diskurses – und zum anderen die nach innen orientierte, massive sowjetische Appropriierung von Fremdliteraturen aus aller Welt. Aufgrund ihrer zentralen Steuerung und ideologischen Kohärenz konzeptualisiert Susanna Witt in ihrer Analyse „Between the Lines: Totalitarianism and Translation in the USSR“ (2011) die Übersetzung im sowjetischen Kontext gesamtheitlich als ‚culture planning‘ – als zielgerichtetes Kulturprojekt – und diskutiert ihre verschiedenartigen Funktionen zum einen im Bereich der Außenkulturpolitik als Medium der Schaffung eines globalen sozialis Für weitere dieses Feld überblickende Lektüren siehe auch die thematische Essaysammlung Translation and the Making of Modern Russian Literature (2016) von Brian James Baer sowie die Monographien Maurice Friedbergs Literary Translation in Russia: A Cultural History (1997) und Lauren G. Leightons Two Worlds, One Art: Literary Translation in Russia and America (1991).
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Einleitung
tisch-realistischen Literaturkanons und zum anderen als Instrument der sowjetischen Nationalitätenpolitik in der Bildung eines repräsentativen Kanons der Sowjetliteratur. Maria Khotimskys Studie „World Literature, Soviet Style: A Forgotten Episode in the History of the Idea“ (2013) über den 1918 unter Maksim Gor’kijs4 Aufsicht in Petrograd gegründeten ambitiösen Weltliteraturverlag Vsemirnaja literatura weist auf die weitaus größere Relevanz dieser als Ausgangspunkt des Weltliteraturprojekts angesehenen ‚Episode‘ für die Etablierung von Übersetzungskonzeptionen, -praktiken und -traditionen hin, die über die gesamte Sowjetzeit hinweg kultiviert werden.5 Gor’kijs romantische und ideologisch motivierte Vision bringt ein Moment des Revolutionären in die Auffassung von Weltliteratur ein, das als Selektionskriterium für die Übersetzung etablierter klassischer Weltliteratur und deren Annahme als legitime Literaturtradition dient. In ihrem Aufsatz „Multinational Soviet Literature as/and World Literature: A Question of Heritage“ (2018) diskutiert Susanne Frank das Konzept der ‚multinationalen Sowjetliteratur‘ als konstitutiven Bestandteil von Gor’kijs Weltliteraturkonzept und veranschaulicht deren Zusammenhang, indem sie aufzeigt, dass die Konstruktion des nationalliterarischen Erbes auf die Integration in eine – nach Gor’kijs Formulierung – „Internationale des Geistes“ (Internacional ducha) abzielt (1919, 9). Darüber hinaus weist sie – neben den bereits erwähnten räumlich-strategischen Dimensionen der Expansion und Inklusion – auf die doppelte zeitliche Orientierung des Weltliteraturprojekts hin: Durch die im 1. Allunionskongress der Sowjetschriftsteller (1934) programmatisch postulierte ‚kritische Appropriation‘ des weltgeschichtlichen literarischen Erbes und dessen – von der Leninschen Kultur- und Erbetheorie fundierten – Aneignung und Verarbeitung soll die neue sozialistische Weltliteratur und Ästhetik entstehen. Die sowjetische Literatur positioniert sich als gesetzmäßige Weiterentwicklung des weltliterarischen Erbes und erhebt durch dessen legitimen Alleinerben – das Proletariat – Anspruch auf Totalität.6
Die russischsprachigen Eigennamen und Literaturangaben werden in transliterierter Form wiedergegeben. Für die russischen Eigennamen, die in übersetzten Textzitaten vorkommen, wurde die aktuelle Duden-Transkription verwendet. Die griechischsprachigen Literaturangaben werden in der für das Fach üblichen Transliteration ISO 843 (1997) ohne Diakritika übertragen, mit Ausnahme von Autorennamen, deren Schreibweise im deutschsprachigen Raum anders etabliert ist (bspw. Hadzis statt Chatzis). Aufgrund der Transliteration aus verschiedensprachigen Textquellen kann es in den Literaturangaben zu Doppelformen kommen (bspw. Alexandropoulos und Aleksandropoulos, Antaios und Anteos). Sofern nicht anders angegeben, sind die aufgeführten griechisch- und russischsprachigen Textpassagen und Publikationstitel von der Verfasserin der vorliegenden Arbeit ins Deutsche übersetzt worden. Die veröffentlichten Titel werden im Fließtext kursiv markiert. Siehe dazu auch die Arbeit von Tatiana Bedson und Maxim Schulz Sowjetische Übersetzungskultur in den 1920er und 1930er Jahren: die Verlage Vsemirnaja literatura und Academia (2015). Das sowjetische Weltliteraturprojekt und insbesondere das Projekt der ‚multinationalen Sowjetliteratur‘ als Instrument der sowjetischen Nationalitätenpolitik besitzen eine Schlüsselfunktion für die Erschließung literarischer Entwicklungen im postsowjetischen Raum sowie in jenem der ehema-
Einleitung
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Angesichts des Legitimationsanspruchs durch Erbschaftsnarrative, des Expansionismus und Universalanspruchs der propagierten ‚Mission‘, der Reglementierung des Literaturwesens und -diskurses durch den einzigen zulässigen sozialistischrealistischen Kunstkanon und nicht zuletzt der Machtasymmetrien, die durch die Überlegenheit des Russischen als lingua franca und dessen Vermittlungsrolle zwischen ‚national‘ und ‚global‘ sowie der Zuschreibung einer deutlichen Vorbildfunktion der russischen Literatur, wird das sowjetische Weltliteraturprojekt entgegen seines anti- und post-imperialen Selbstverständnisses als ein in vielfacher Hinsicht imperiales Projekt diskutiert (vgl. Frank 2018, 2014; Clark 2011; Witt 2011). Eine analoge Stellung zu jener, die Pascale Casanova in ihrer Arbeit The World Republic of Letters (2007) Paris als internationales literarisches Zentrum der ‚Konsekration‘ und Kanonisierung von Autoren zuschreibt, nimmt das von Katerina Clark im Kontext des sowjetischen Weltliteraturprojekts symbolisch als ‚Fourth Rome‘ bezeichnete Machtzentrum Moskau ein. Clarks Studie Moscow, the Fourth Rome: Stalinism, Cosmopolitism, and the Evolution of Soviet Culture, 1931–1941 (2011) liefert ein detailliertes Vorkriegsbild einer Metropole, die zum einen als Emblem der kulturellen Hegemonie eines hochzentralisierten Staates und zugleich als Zentrum eines dynamischen transnationalen Intellektuellen-Netzwerks und somit als Referenzpunkt von Kosmopolitismus und Universalismus fungiert.7 Eine entsprechende interkulturelle Aktivität intensiviert sich zur Zeit der Entstalinisierung erneut durch den reorganisierten institutionellen Apparat der sowjetischen Kulturdiplomatie und bringt facettenreiche Formate hervor.8 Unter Bezugnahme auf die Paradigmen des Kolonialismus und Imperialismus weisen Maria Tymoczko und Edwin Gentzler in der Einleitung des Sammelbandes Translation and Power (2002) auf die Schlüsselfunktion der Übersetzung in der Wissens- und Kulturproduktion und deren daraus hervorgehende zentrale Rolle in der
ligen sowjetischen Einflusszone, denen sich von der aktuellen Forschung zu einem großen Teil durch postkolonialistische Ansätze angenähert wird. Siehe dazu beispielhaft Susanne Franks Beitrag „Multinational Soviet Literature“: The Project and its Post-Soviet Legacy in Iurii Rytkheu and Gennadii Aigi“ (2016) sowie den Sammelband Postcolonial Slavic Literatures after Communism von Klavdia Smola und Dirk Uffellman (2016). Weitere Lektüren dazu liefern die zum Standardwerk gewordene Arbeit von Michael David-Fox Showcasing the Great Experiment: Cultural Diplomacy and Western Visitors to the Soviet Union, 1921–1941 (2012) und der Aufsatz Nailya Safiullinas „The Canonization of Western Writers in the Soviet Union in the 1930s“ (2012). Einen Überblick über die Strategien und Praktiken der sowjetischen Kulturdiplomatie während des Kalten Krieges bietet die von Oksana Nagornaja herausgegebene kollektive Monographie Sovetskaja kul’turnaja diplomatija v uslovijach Cholodnoj vojny 1945–1989 (2018).
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Machtbehauptung hin.9 Als Tätigkeit, die in realen soziopolitischen und kulturellen Kontexten die Mitwirkung von individuellen und institutionellen Akteuren mit häufig divergierenden oder entgegengesetzten Agenden voraussetzt und bewusste Handlungen der Selektion, Ausschließung, Interpretation, Übertragung, Unterlassung, Verhandlung, Legitimierung und Präsentation miteinschließt, ist die Übersetzung untrennbar mit Fragen der kulturellen Dominanz und des Widerstands verbunden. Für die Erforschung dieses im sowjetischen Kontext omnipräsenten Zusammenhangs rücken zahlreiche Fallstudien den Fokus auf die Verflechtungen zwischen der materiellen, diskursiven und praxisnahen Dimension der Übersetzung: Sie untersuchen literaturpragmatische Aspekte der Übersetzungsproduktion und -rezeption, den übersetzungstheoretischen Diskurs und die Übersetzungspraxis in Hinblick auf kontextspezifische Übersetzungspraktiken sowie die Machtaspekte, die dem Übersetzungsprozess an sich und der Beziehung des Übersetzenden zum Schreibenden und zum Ausgangs- und Zieltext inhärent sind. Samantha Sherrys Monographie Discourses of Regulation and Resistance: Censoring Translation in the Stalin and Khrushchev Era Soviet Union (2015) identifiziert anhand der für die Einführung von Fremdliteratur in die sowjetische Leserschaft zentralen Literaturzeitschriften Internacional’naja literatura10 und Inostrannaja literatura Zensur nicht als eine unilateral vom Staat oktroyierte Praktik, sondern als Kontinuum – als ein komplexes Zusammenspiel mit mehrfachen (selbst)zensierenden translatorischen, redaktionellen und editorischen Entscheidungen. Sherrys Forschungsergebnisse heben die klare Dichotomie zwischen Repression und Widerstand auf, indem sie die translatorische Vermittlung als eine komplexe und taktische Verhandlung der Vermittlerfiguren mit Parteirichtlinien sowie eigenen Idealen nachweisen, bei der Kompromiss- und Widerstandsstrategien koexistieren und sogar simultan eingesetzt werden. 11 Aufbauend auf Herman Ermolaevs Censorship in Soviet Literature 1917–1991 (1997) stellt Sherry drei Arten von Zensur fest: die politische, die puritanische
Sowohl der oben erwähnte als auch der Sammelband Apropos of Ideology: Translation Studies on Ideology – Ideologies in Translation Studies (2003) von María Calzada Pérezs lassen den sowjetischen Kontext außer Betracht, liefern jedoch nützliche Einblicke in das genannte Spannungsfeld. Für eine weitere Lektüre zur Funktion dieser Zeitschrift im Kontext der sowjetischen Außenkulturpolitik siehe Nailya Safiullinas und Rachel Platonovs Fallstudie „Literary Translation and Soviet Cultural Politics in the 1930s: The Role of the Journal Internacionalʼnaja literatura“ (2012). Momente der ‚Verhandlung‘ und des ‚Widerstands‘ im Spannungsfeld von Zensur und Übersetzung diskutiert auch die kürzlich erschienene Monographie Made Under Pressure: Literary Translation in the Soviet Union, 1960–1991 von Natalia Kamovnikova (2019), die basierend auf Interviews mit Insiderakteuren Übersetzernetzwerke und Übersetzungspraktiken in Moskau und Leningrad sowie berufsbezogene Aspekte der Übersetzungstätigkeit im Kontext des sowjetischen Publikationsund Zensurapparats erkundet. Das Kapitel „Literary Translation as a Profession“ befasst sich mit dem seitens der Forschung häufig angedeuteten Aspekt der Übersetzung in der Sowjetunion als stabile Einkommensquelle für zahlreiche Literaten, die aus politischen Gründen nicht selbst publiziert werden konnten.
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und die ideologische, wobei sie die letztgenannte als eine manipulative Übersetzung von kulturell aufgeladenen Bedeutungseinheiten abgrenzt, die darauf abzielt, durch eine spezifisch sowjetische Konnotierung eine intertextuelle Referenz innerhalb des Zielkontextes zu evozieren. Machtrelationen manifestieren sich darüber hinaus in technischen Aspekten der Übersetzung. In Susanna Witts Studie „Institutionalized intermediates: Conceptualizing Soviet practices of indirect literary translation“ (2017) wird die politisch-kulturelle Semantik der für die Bildung des sowjetischen Weltliteraturkanons durchaus signifikanten Praktik der Interlinearübersetzung diskutiert: Die Vermehrung der Vermittlungsebenen bei diesem Verfahren wirft Fragen der Originalität, Professionalität und des Übersetzerstatus auf, während sie zugleich der Zensur zusätzlichen operativen Spielraum lässt und in Hinblick auf die Dominanz des Russischen als Zwischensprache kolonialistische Implikationen trägt.12 Einen weiteren Untersuchungsbereich des Verhältnisses zwischen Übersetzung und Ideologie stellt die translationstheoretische Reflexion der Sowjetzeit in Hinblick auf die Kanonbildung dar. Der Fokus wird hier auf die Auswirkung übersetzungsrelevanter Kontroversen und Konzeptionen der sogenannten ‚sowjetischen Übersetzungsschule‘ auf die Übersetzung und Rezeption von Fremdliteratur und ihre Umwandlung in übersetzungstechnische Strategien gelenkt.13 Ein charakteristisches Beispiel dafür ist die als Gegenentwurf zu formalistisch orientierten Übersetzungsmodellen konzipierte Methode der ‚realistischen Übersetzung‘, die den Versuch darstellt, die literarischen Normen des sozialistischen Realismus für die Übersetzungstätigkeit anwendbar zu machen und somit durch die Verwissenschaftlichung von politischen Narrativen Legitimation für ideologische Übersetzungsleistungen zu bieten.14 Der Kanon des sozialistischen Realismus (kurz auch Sozrealismus genannt), der selbst als ‚Übersetzung‘ eines ideologisch-politischen Metanarrativs und des damit einhergehenden Wertesystems in künstlerisches Schaffen betrachtet werden kann, fungiert im Kontext des sowjetischen Weltliteraturprojekts als kulturelles Expansions- und Integrationsvehikel. Er verkörpert die intertextuelle Verkehrssprache einer transnationalen literarischen Gesinnungsgemeinschaft und bildet somit ein Mittel des Ideologietransfers und der Normierung – durch gemeinsame Tropen, Figuren
Zu den kulturellen Implikationen der Technik der Interlinearversion (podstročnik) siehe auch Susanna Witts Aufsatz „The Shorthand of Empire: Podstrochnik Practices and the Making of Soviet Literature“ (2013). Eine weitere Kontextualisierung des podstročnik bietet Natalia Kamovnikovas Beitrag „Identity Blurred: The Use of Interlinear Trots for Translations of Poetry in the Soviet Union“ (2017). Susanna Witt erörtert das Konzept der ‚sowjetischen Übersetzungsschule‘ in ihrer Fallstudie „Byron’s Don Juan in Russian and the ‚Soviet School of Translation‘“ (2016). Siehe dazu auch Witts „‚Sovetskaja škola perevoda‘ – k probleme istorii koncepta“ (2017). Eine umfassende Behandlung dieser Thematik bietet Andrej Azovs Monographie Poveržennye bukvalisty. Iz istorii chudožestvennogo perevoda v SSSR v 1920–1960-e gody (2013). Spezifisch zur Übertragung des sozialistischen Realismus auf die Übersetzungstheorie siehe auch Susanna Witts Aufsatz „Socialist Realism in Translation. The Theory of a Practice“ (2016).
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und Plots – der weltweiten sozialistischen Literaturproduktion. Parallel dazu stellt er das Regulativ nicht nur der Internationalisierung der Sowjetliteratur, sondern auch der Einführung von Fremdliteraturen durch Übersetzung in die sowjetische Literaturlandschaft dar, die großenteils durch Aneignung des Kanons ermöglicht wird. Der sozialistische Weltliteraturkanon konstituiert sich somit durch eine doppelte Kanonisierung: durch die Appropriierung und Umsetzung der sozialistisch-realistischen literarischen Normen von der jeweiligen Nationalliteratur und anschließend deren Aufnahme in den Kanon durch Übersetzung in die lingua franca des sowjetischen Weltliteraturprojekts. Der sozialistische Realismus darf jedoch im Zusammenhang des Weltliteraturkonzepts weder als statisches noch als das einzige Paradigma der Kanonisierung von Literatur verstanden werden, die ihre Reichweite auch durch andere kompatible, auf Grundlage des – an sich universellen – Humanismus basierende Narrative erweitert. Die lokalen Appropriierungen eines breit und vage definierten, im Abhängigkeitsverhältnis zu offiziellen Narrativen stehenden und daher sich stets im Transformationsprozess befindlichen ästhetischen Programms führen zu differenzierten Umsetzungen des Kanons, der sich zusätzlich mit nationalen Literaturtraditionen und länderspezifischen Ausprägungen sozialistischer Ideen verflicht oder mit diesen kollidiert. Um Konformität mit der herrschenden Ideologie des Zielkontextes herzustellen, werden ‚unorthodoxe‘ Rezeptionen sowie umstrittene und widersprüchliche Werke einer bedingt geduldeten ‚Grauzone‘ weitgehenden Anpassungen durch ideologische Übersetzungsleistungen und legitimierende paratextuelle Deutungsrahmen unterworfen. Angesiedelt an der Schnittstelle von vergleichender Literaturwissenschaft, Slawistik und Neogräzistik, befasst sich das vorliegende Forschungsprojekt mit der transnationalen Dimension der Kanonisierung von Literatur im Rahmen der literarischen Beziehungen zwischen Griechenland und der Sowjetunion. Ausgehend von Gideon Tourys These, dass Übersetzungen „facts of target cultures“ (1995, 29) sind, betrachtet diese Arbeit die Übersetzung und Publikation neugriechischer Literatur in der Sowjetunion als Unterprojekt des sowjetischen Kultur- und Weltliteraturprojekts und erkundet anhand dieses konkreten literarhistorischen Fallbeispiels dessen Wege und Realisierungsstrategien. Den Forschungsgegenstand der Arbeit bilden die Rezeption, die Übersetzung und die Präsentation neugriechischer Literatur in der Sowjetunion in Hinblick auf die narrativen Strategien, Übersetzungspraktiken und Vermittlungsaktivitäten, die sie ermöglichen und implementieren, verbunden mit dem Ziel der Positionierung der Fremdliteratur in der sowjetischen Literaturlandschaft und im sowjetischen Weltliteraturprojekt. Die Untersuchung erfolgt aus komparatistischer Perspektive und nimmt sowohl eine narratologische als auch eine literaturpragmatische Dimension von Kanonisierung in den Blick. Das erste Kapitel behandelt die Vermittlung und Rezeption neugriechischer Literatur durch die Rekonstruktion ihrer Publikationsgeschichte in der Zeitspanne zwischen den ersten verzeichneten Veröffentlichungen Mitte der dreißiger Jahre bis zur Auflösung der Sowjetunion 1991 durch Paratextanalyse und anhand von Archivmate-
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rial. Für die Erfassung der Publikationen stützt sich die Arbeit auf gegengeprüfte Bibliographien, unter denen die Titelbibliographie K istorii russkich perevodov novogrečeskoj literatury (1934–2006) (Zur Geschichte der russischen Übersetzungen neugriechischer Literatur) von Dimitris Jalamas (2011) die bisher aktuellste und vollständigste darstellt, sowie auf umfangreiche und sie ergänzende Bibliotheks-, Datenbank- und Archivforschung.15 Die Arbeit der Historikerinnen Anna Matthaiou und Popi Polemi Apo to vouno stin yperoria: I ekdotiki peripeteia ton Ellinon kommouniston, 1947–1968 (Das publizistische Abenteuer der griechischen Kommunisten. Vom Berg zum Exil, 2003), die Einsicht in die Publikationstätigkeit der griechischen Exilverlage und die innerparteilichen Werkbesprechungen gewährt, ermöglicht eine komparatistische Betrachtung der Publikationen. Ιn der peritextuellen Einrahmung der Publikationen zeichnet sich der ‚Übersetzungsprozess‘ der Fremdliteratur in den Rezeptionskontext ab. Durch die Analyse der Peritexte, die nach Gérard Genettes Formulierung „nicht bloß eine Zone des Übergangs, sondern der Transaktion: den geeigneten Schauplatz für eine Pragmatik und eine Strategie“ (1989, 10) bilden, werden die Deutungsrahmen der Einführung neugriechischer Literatur und ihrer Vermittlung an die sowjetische Leserschaft bzw. die narrativen Strategien der Semantisierung von Autoren und Werken und deren Einbettung in den diskursiven Kontext der Zielkultur untersucht. Dieses Bild wird durch die diachrone Betrachtung der Auffassung neugriechischer Literatur in den wichtigsten sowjetischen Nachschlagewerken ergänzt. Das auf die Publikation neugriechischer Literaturwerke bezogene und größtenteils unveröffentlichte Archivmaterial des sowjetischen Schriftstellerverbandes und sowjetischer Verlage, das im Rossijskij Gosudarstvennyj Archiv Literatury i Isskustva (Russisches Staatsarchiv für Literatur und Kunst, RGALI) aufbewahrt wird, sowie die im Rossijskij Go-
Berücksichtigt wurden zusätzlich die Bibliographie übersetzter neugriechischer Literatur Vivliografia metafraseon neoellinikis logotechnias (1986) von Eri Stauropoulou, Leonid Pavlenkos Titelverzeichnis „Novogrečeskaja literatura v russkojazyčnych i ukrajnojazyčnych perevodach i issledovanijach“ (2004), die Datenbank übersetzter griechischer Literatur (Archeio Metafrasmenon Ellinikon Vivlion) des Nationalen Buchzentrums Griechenlands (Ethniko Kentro Vivliou, EKEVI), die Datenbank Metafraseis tis Neoellinikis logotechnias se alles glosses (Neugriechische Literatur in Übersetzung) des Zentrums für griechische Sprache (Kentro Ellinikis Glossas, KEG), die internationale bibliographische Datenbank von Übersetzungen Index Translationum der UNESCO, die Bestandskataloge der Russischen Staatsbibliothek in Moskau und der Staatsbibliothek zu Berlin sowie andere, die Publikation übersetzter neugriechischer Literatur in der UdSSR betreffende Veröffentlichungen (s. dazu Antaios 1965; Ilinskagia 1988; Ilinskagia Alexandropoulou 2012). Zum Zweck der Erstellung eines möglichst kohärenten und repräsentativen Bildes der Publikationen neugriechischer Literatur in der Sowjetunion begrenzt sich die Erfassung auf Werke der in Griechenland und in der Politemigration schreibenden griechischen Literaten, während die vergleichsweise kleine, jedoch kulturhistorisch signifikante Präsenz griechisch-zypriotischer Literatur und Literatur in der Sowjetunion lebender Pontosgriechen sich als Gegenstand gesonderter Studien anbietet. Darüber hinaus fokussiert die Arbeit auf die selbstständigen Publikationen, während die sie quantitativ um ein Vielfaches übertreffenden Veröffentlichungen in Periodika und Anthologien synoptisch vorgestellt werden.
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sudarstvennyj Archiv Novejšej Istorii (Russisches Staatsarchiv für Neuere Geschichte, RGANI)16 befindlichen Materialien aus dem nun freigegebenen Archivbestand der Auslandskommission des Zentralkomitees (ZK) der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) gewähren Einblick in die Vermittlungsvorgänge, die Selektionskriterien sowie die Legitimierungs- und Veröffentlichungsstrategien zur Herausgabe der Werke und veranschaulichen die griechisch-sowjetischen Verflechtungen im Bereich der Literatur- und Übersetzungspolitik auf der Handlungsebene. In diesem Zusammenhang werden die Reisen griechischer Literaten in die Sowjetunion als eine nicht-textbezogene, performative Realisierungsform der Literaturvermittlung anhand von archivalischen Epitexten untersucht. Im zweiten Kapitel wird der Kanon des sozialistischen Realismus als das Hauptparadigma der Kanonisierung neugriechischer Literatur in der Sowjetunion erörtert und ‚in Bewegung‘ – aus der doppelten Untersuchungsperspektive seiner produktiven Rezeption und sowjetischen Übersetzung – betrachtet. Die Aneignung des Sozrealismus durch einen Teil der griechischen Literaturproduktion des zwanzigsten Jahrhunderts führte zu deren sowjetischer Rezeption – zur Rückkehr in ihre ideologische ‚Heimat‘. Das Kapitel liefert zunächst einen Überblick der literaturkritischen Rezeption des Kanons in Griechenland sowie – basierend auf dem Publikationskatalog der parteilichen Exilverlage von Matthaiou und Polemi (2003) – der griechischen Rezeption von Sowjetliteratur. Anschließend wird die Appropriierung des sozialistischen Realismus und seine ‚Wiedereinfuhr‘ in die Sowjetunion am Beispiel von drei Romanen und ihren russischen Übersetzungen vergleichend untersucht. Ausgangspunkt für die Auswahl der Primärliteratur war das Ziel, ein möglichst umfassendes Bild des zu untersuchenden Phänomens zu gewinnen. Melpo Axiotis Roman Tränen und Marmor (1946) bietet sich aufgrund seiner internationalen Resonanz für eine vergleichende Betrachtung seiner Rezeptionen und Übersetzungen an. Die Romandilogie von Mitsos Alexandropoulos Nächte und Morgenröte (1961/63) stellt eines der am meisten publizierten griechischen Literaturwerke in der Sowjetunion dar. Der Roman Feuer (1946) von Dimitris Hadzis wird von der griechischen Literaturkritik und neogräzistischen Literaturwissenschaft einstimmig für eine paradigmatische Umsetzung der Stilformation des Sozrealismus von einem der anerkanntesten Autoren der Politemigration gehalten. Während die thematische Nähe der Werke die Vergleichbarkeit erhöht, führt ihre Anlehnung an unterschiedliche Entstehungszeiten sowie ihre sowjetische Übersetzung und Publikation zu verschiedenen Zeitpunkten sowohl zu differenzierten produktiven Rezeptionen des Kanons als auch zu unterschiedlichen Übersetzungserfahrungen. Hinsichtlich der Umsetzung der sozialistisch-realistischen Postulate stützen sich die Romananalysen vorwiegend auf die in den Standardwer Weiteres ergänzendes Material sowie die Erstausgaben der im ersten Kapitel analysierten Werke von Mitsos Alexandropoulos und Dimitris Hadzis wurden den Beständen der Archive Elliniko Logotechniko kai Istoriko Archeio (Griechisches literarisches und historisches Archiv, ELIA) und Archeia Sygchronis Koinonikis Istorias (Archive für Moderne Sozialgeschichte, ASKI) entnommen.
Einleitung
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ken der Sozrealismusforschung The Soviet Novel: History as Ritual (1981) von Katerina Clark und Die Verstaatlichung der Literatur (1984) von Hans Günther entwickelten narratologischen Typologien, während der von Evgenij Dobrenko und Hans Günther herausgegebene Sammelband Socrealističeskij kanon (2000) ein wichtiges Referenzwerk für die Gesamtbetrachtung der Texte darstellt. Der Vergleich der Romane mit ihren russischen Übersetzungen erfolgt in Hinblick auf die inhaltliche Äquivalenz – die textuelle Entsprechung zwischen Ausgangs- und Zieltext – und untersucht daher primär den Grad und die Art der Anbindung des Translats an die inhaltlichen Qualitäten des Ausgangstextes. Dabei wird das Ziel verfolgt, Brüche und Kontinuitäten beim Texttransfer zu identifizieren und dadurch Inkongruenzen sowie Koordinationsversuche zwischen differenzierten Auffassungen des Kanons zu kontextualisieren. Das dritte Kapitel der Arbeit thematisiert den Paradigmenwechsel in der sowjetischen Kanonisierung neugriechischer Literatur am Beispiel des historischen Romans Szenen aus dem Leben Maxims des Griechen (1976) von Mitsos Alexandropoulos, der eine Allegorisierung der Stalinzeit und insbesondere – so die These der Arbeit – der sowjetischen Übersetzungserfahrung darstellt, während er parallel mit literarischen Entwicklungen und Diskursen der Spätsowjetzeit in Dialog tritt. Das Kapitel zielt darauf ab, Grundtendenzen der Verhandlung des sowjetischen Erbes und Neupositionierungen in der postkanonischen Phase zu skizzieren. Die Rezeption neugriechischer Literatur in der Sowjetunion stellt einen unerforschten Bereich der griechisch-sowjetischen Literaturbeziehungen dar. Obwohl die neogräzistische Literaturwissenschaft sich relativ ausführlich mit der literaturkritischen Rezeption des sozialistischen Realismus in Griechenland sowie zum Teil mit dessen literarischen Repräsentationen anhand einzelner Literaten und Werke befasst hat, fehlen bis dato noch Ausarbeitungen, die die Appropriierung des Literaturkanons aus komparatistischer Perspektive behandeln und über das simplifizierende Erklärungsmodell des politischen oder literarischen unidirektionalen ‚Einflusses‘ hinaus die damit einhergehenden nationalliterarischen Entwicklungen in sowohl transtextuelle als auch transnationale Übersetzungsrelationen setzen. Ebenso bedeutend wie unkartiert sind im Zusammenhang der griechisch-sowjetischen interkulturellen Beziehungen die Vermittlungsprozesse von Literatur und die Rolle der Mittlerfiguren. Durch die Einbeziehung der Peritexte und des Archivmaterials möchte die vorliegende Arbeit diese für das sowjetische Weltliteraturprojekt konstitutiven Aspekte beleuchten und dadurch einen Beitrag zur Literatur- und Übersetzungsgeschichte beider kultureller Kontexte leisten.
1 Peritexte und Epitexte: Das Instrumentarium der sowjetischen Literaturvermittlung 1.1 Neugriechische Literatur im Rahmen des sowjetischen Übersetzungsprojekts Im vorrevolutionären Russland des zwanzigsten Jahrhunderts wird vereinzeltes Interesse an der Vermittlung neugriechischer Literatur festgestellt,17 es existiert dennoch keine sich im Verlagswesen dieser Zeit widerspiegelnde systematische Auseinandersetzung, was sich auch in der frühen Sowjetzeit nicht ändert.18 Gleich nach der Oktoberrevolution beginnt in der bereits errichteten Sowjetunion ein groß angelegtes Konkurrenzprojekt zur Etablierung von Weltliteratur. Das ambitionierte riesige Verlagsprojekt Vsemirnaja Literatura (1918–1924) verkörpert Gor’kijs sowohl romantische als auch ideologisch motivierte Vision von Weltliteratur, die einen Moment des Revolutionären in die Auffassung von Weltliteratur einbringt (Khotimsky 2013, 137). Die Übersetzung neugriechischer Literatur wird in Form einer Absichtserklärung im Publikationskatalog des Verlags deklariert,19 hat jedoch im Gegensatz zur Literatur aus Ländern mit langer Übersetzungstradition (wie Großbritannien, Frankreich und Deutschland) in Russland niedrige Priorität und wird während der kurzen Lebenszeit des Verlags nicht realisiert. Die Geschichte der russischen Übersetzungen
Siehe beispielsweise die übersetzerische und literaturkritische Tätigkeit des Griechen Michail Lykiardopoulos bezüglich der neugriechischen Literatur in der Zeitschrift der russischen symbolistischen Bewegung Vesy (Ilinskagia 1989) und die Beschäftigung der griechischen Diaspora mit Kavafis (Ilinskagia 1996, 158 f.). Es sei an dieser Stelle zur Ergänzung der vorhandenen Bibliographie auch der Roman I Papissa Ioanna (1866, Zenščina-papa, Die Päpstin Johanna, 1879) von Emmanouil Roidis erwähnt, der 1908 in Übersetzung von P. Misailidi in Sankt-Petersburg erschienen ist und die einzige bisher bekannte Übersetzung eines neugriechischen literarischen Werks im vorrevolutionären Russland des zwanzigsten Jahrhunderts darstellt. Unter anderem aufgrund der Abwesenheit solider Übersetzungstradition: Trotz des Vorhandenseins von Übersetzungen aus dem Russischen und der Vermittlung russischer Literatur in Griechenland durch Griechen, die in Russland leben oder enge Beziehungen zum Land haben (vgl. Ilinskagia 2006), wird die russische Literatur in das Griechenland des neunzehnten Jahrhunderts hauptsächlich durch Übersetzungen aus westlichen Sprachen und vorwiegend aus dem Französischen eingeführt (vgl. Ilinskagia 2006, Ioannidou 2008). Die in der Sowjetunion ansässigen Literaten der griechischen Diaspora befassen sich in der Zwischenkriegszeit hauptsächlich mit der Übersetzung sowjetischer Literatur in die griechische Volkssprache (Dimotiki) und die pontische Sprache sowie mit der Veröffentlichung unübersetzter neugriechischer Literatur in griechischsprachigen Periodika und Verlagen von Odessa, Mariupol, Rostow am Don, Sochumi und anderen Städten und Regionen mit griechischsprachiger Bevölkerung. Zum Thema der sowjetischen griechischsprachigen Literaturtradition siehe: Sokoliuk 1996. Katalog izdatel’stva „Vsemirnaja literatura“ pri Narodnom Komissariate po Prosveščeniju. Petrograd: Vsemirnaja literatura, 1919, S. 167. https://doi.org/10.1515/9783111026534-002
1.1 Neugriechische Literatur im Rahmen des sowjetischen Übersetzungsprojekts
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neugriechischer Literatur in der UdSSR beginnt mit der griechischen Teilnahme am 1. Allunionskongress der sowjetischen Schriftsteller im Jahr 1934. In der Eröffnungsrede Gor’kijs findet sich eine ideologisch aufgefasste Vorstellung von Weltliteratur wieder: „Die bisher verstreute Literatur aller unserer Völkerschaften zeigt sich im Angesicht des revolutionären Proletariats aller Länder und der mit uns befreundeten revolutionären Literaten als einheitliches Ganzes“ (Gor’kij 1934, 1). Als revolutionäre Aspekte werden in den Werken etablierter klassischer Weltliteratur Konflikte oder Brüche mit dem herrschenden Establishment auf der thematischen Ebene verstanden. Diese dienen jeweils als Selektionskriterium und ideologische Rechtfertigung für deren Übersetzung (Khotimsky 2013, 146 f.) und somit auch deren Annahme als legitime Literaturtradition. Im Rahmen des 1. Allunionskongresses wird das revolutionäre Element in Form des sozialistischen Realismus, der die Wirklichkeit „in ihrer revolutionären Entwicklung“20 abbilden soll, als literarische Darstellungsart gefestigt und damit zum definitorischen Faktor der Etablierung einer zukünftigen proletarischen Weltliteratur gemacht. Griechenland wird im Allunionskongress durch den Philosophen und Pädagogen Dimitris Glinos und den Dichter Kostas Varnalis vertreten. Glinos verkündet in seiner Rede die Bereitschaft des „kleinen“ Griechenlands nicht als „Erbe der antiken Zivilisation, die durch das Porträt eines seiner klassischen Schriftsteller im Konferenzsaal vertreten wird“, sondern als Land, in dem „auch ein Kampf […] für die gemeinsame Sache geführt wird“ (1934, 644) an der Erschaffung der neuen sozialistischen Literatur zu partizipieren. Eine „engere Zusammenarbeit“ und „tiefere Kenntnis der Erfolge der proletarischen Literatur und des sozialistischen Aufbaus“ soll ihm zufolge das Ergebnis der griechischen Teilnahme am Allunionskongress der Sowjetschriftsteller sein (ebd.). Varnalis wird von Glinos in seiner Rede als der namhafteste revolutionäre Dichter Griechenlands vorgestellt. Die zwei Werke von Varnalis, die Glinos nennt – Die wahre Apologie des Sokrates (1931) und Das brennende Licht (1922) – sind auch die ersten beiden neugriechischen Literaturwerke, die jeweils 1935 und 1938 in russischer Übersetzung erscheinen. Das Bild der nur sporadisch erscheinenden neugriechischen Werke ändert sich in der Nachkriegszeit grundlegend. Insbesondere seit den späten fünfziger Jahren nimmt die Übersetzung und Publikation neugriechischer Literatur durch jährliche Veröffentlichungen einen systematischen Charakter an. Die dazu beitragenden Faktoren sind unmittelbar mit dem historischen und politisch-ideologischen Zusammenhang beider nationaler Kontexte verbunden: die erhöhte Popularität der linken Bewegungen nach dem griechischen Bürgerkrieg (1946–1949), das erneute Interesse der Sowjetunion an internationaler Literatur während des Kalten Krieges (Khotimsky 2013, 139 f.), die allmähliche Institutionalisierung des Studiums der neugriechischen Sprache und Literatur in der Sowjetunion (vgl. Gialamas 2007, 375 f.) und in großem
Dt. zit. n. Schmitt 1974, 390.
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1 Peritexte und Epitexte
Maße die publizistische Tätigkeit der griechischen Politemigranten, die nach Ende des Bürgerkriegs in der Sowjetunion Zuflucht finden und die Verbreitung der neugriechischen Literatur in Moskau vorantreiben. Aufgrund ihrer besonderen Zwischenstellung spielen die Autoren der Politemigration eine doppelte Rolle in den literarischen Beziehungen zwischen Griechenland und der Sowjetunion, indem sie einen zusätzlichen ideologischen Kanal darstellen, durch den sowohl die griechische Rezeption russischer Literatur (vgl. Ioannidou 2005) als auch die Einführung neugriechischer Literatur in die UdSSR fließt. Fasst man die sowjetische Übersetzungsproduktion neugriechischer Literatur auf Grundlage der Periodisierung des sozialistisch-realistischen Kanons innerhalb des sowjetischen Literaturfeldes bzw. des Zielkontextes zusammen, werden einige Werke während der Kanonisierungsphase (in der ersten Hälfte der dreißiger Jahre) und der Phase der Praktizierung des Kanons (bis etwa zu Stalins Tod 1953) veröffentlicht, wohingegen die überwältigende Mehrheit der Publikationen neugriechischer Literatur vorwiegend während der Phase der Entkanonisierung (1953 bis Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre) und der postkanonischen Phase (seit Anfang der siebziger Jahre) erfolgt (vgl. Günther 1987). Beinahe alle Lebensphasen des Kanons, der durch das jeweilige Zusammenwirken mehrerer Diskursebenen – der allgemeinen politisch-ideologischen, der literaturpolitischen, der literaturkritischen und der eigentlichen literarischen – geprägt wird (ebd., 138 f.), zeichnen sich durch kürzere und längere Perioden der Verengung und der Öffnung, durch Momente der Verschlossenheit und Verschärfung sowie Momente der Lockerung und Erweiterung aus. Dennoch sind die ersten zwei Phasen der Einführung, Ausarbeitung und anschließend Praktizierung des Kanons als ‚künstlerische Methode‘ eng mit der Herrschaft Stalins verbunden und so im Grunde von strikter Verbindlichkeit und Obligatorik in Bezug auf die Anwendung des Kanons charakterisiert. Die Entkanonisierungsphase, die von besonderem Interesse bezüglich der Übersetzungen neugriechischer Literatur ist, kennzeichnet sich hingegen, trotz abwechselnder Perioden der Auflockerung und Verhärtung, durch eine deutliche Öffnungstendenz, die sich in einer zunehmenden Diskrepanz zwischen den (auf der institutionellen und literaturkritischen Ebene aufbewahrten) kanonischen Postulaten und der literarischen Praxis manifestiert, und die zur Degeneration und – vorwiegend in der postkanonischen Phase – zum Verlust der Legitimation des Kanon führt (vgl. Günther 1988). In der Tauwetter-Zeit treten das Postulat der Parteilichkeit und die Gewichtung auf das sozial-kollektive Handeln teilweise zurück, während Konflikte individueller und ethischer Natur, Elemente der Systemkritik und Aufarbeitung der Vergangenheit sowie ein unscharfes inkludierendes Humanismus-Narrativ vermehrt in den Vordergrund treten und – wie im Weiteren zu sehen sein wird – sowohl auf die griechische linke Literaturproduktion als auch auf die Selektionsmechanismen der zu übersetzenden neugriechischen Literatur wirken.
1.1 Neugriechische Literatur im Rahmen des sowjetischen Übersetzungsprojekts
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Ab Mitte der fünfziger Jahre bis zur Auflösung der Sowjetunion sind Rezeption, Übersetzung und Präsentation neugriechischer Literatur in der sowjetischen Literaturlandschaft hauptsächlich auf drei Gruppen von Akteuren zurückzuführen: a) Griechische Politemigranten in der UdSSR: In dieser Gruppe figurieren vor allem der Dichter Petros Antaios (1920–2002), der Philologe und Russist Giannis Motsios (geb. 1930) und der Theaterwissenschaftler Dimitris Spathis (1925–2014). Alle drei sind während der deutschen Besatzung und des griechischen Bürgerkriegs auf der Seite der von der Kommunistischen Partei Griechenlands (Kommounistiko Komma Ellados, KKE) im Jahr 1941 gegründeten Nationalen Befreiungsfront (Ethniko Apeleutherotiko Metopo, EAM) am Widerstand beteiligt und haben während der Emigration an Hochschulen der Sowjetunion studiert.21 Vorwiegend in
Dimitris Spathis (1925–2014) wurde in Kairo geboren. In den Jahren 1944–1945 diente er in der Königlichen Marine im Nahen Osten und schloss sich während des Bürgerkriegs der Demokratischen Armee Griechenlands (Dimokratikos Stratos Elladas, DSE) an. Im Anschluss an die Niederlage der DSE (1949) flüchtete er als Politemigramt ins Exil nach Taschkent. Dort studierte er am Staatsinstitut für Theaterkunst (Taškentskij gosudarstvennyj institut teatralʼnogo iskusstva imeni A.N. Ostrovskogo, TGITI) und beteiligte sich an der Theatergruppe der Politemigranten. Nach seinem Abschluss im Jahr 1955 setzte er sein Studium am Institut für Kunstgeschichte (Institut istorii iskusstv AN SSSR) der sowjetischen Akademie der Wissenschaften in Moskau fort, in welchem er nach Abschluss seiner Doktorarbeit zum Realismus im neugriechischen Drama der Jahrhundertwende und bis zu seiner Repatriierung 1965 auch als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig war. Nach einem zweiten Exil in Paris während der griechischen Militärdiktatur kehrte er erneut zurück nach Griechenland und lehrte Geschichte des Theaters in Schauspielschulen und griechischen Universitäten. In den Jahren 1991–1993 war er Professor am Institut für Theaterwissenschaften der Nationalen und KapodistriasUniversität Athen. Giannis Motsios (geb. 1930) war von 1947 bis 1949 Kämpfer der Demokratischen Armee Griechenlands und ab 1949 politischer Flüchtling in der UdSSR. Er studierte Philologie an der Ersten zentralasiatischen staatlichen Universität (Pervyj Sredneaziatskij Gosudarstvennyj Universitet, SAGU) in Taschkent und 1958–1959 an der Kiewer Staatlichen Schewtschenko-Universität (Kievskij gosudarstvennyj universitet imeni T. G. Ševčenko, KGU) u. a. beim Hellenisten Andrej Beleckij. Er promovierte über den griechischen Nationaldichter Dionysios Solomos am Gorki-Institut für Weltliteratur der Akademie der Wissenschaften der UdSSR in Moskau (Institut mirovoj literatury imeni A. M. Gorʼkogo AN SSSR, IMLI), in welchem er bis zu seiner Repatriierung 1976 als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig war. Von 1980 bis 1997 dozierte er an der Universität Kreta, der Universität Ioannina und der Universität Sofia. Petros Antaios (Künstlername von Stauros Giannakopoulos, 1920–2002) studierte an der Wirtschaftshochschule Athen (Anotati Scholi Oikonomikon kai Emporikon Epistimon, ASOEE) und engagierte sich seit Beginn der Metaxas-Diktatur (1936–1941) in verschiedenen linken Jugendorganisationen des Widerstands. Er war Gründungsmitglied der Vereinigten Panhellenischen Jugendorganisation (Eniaia Panelladiki Organosi Neon, EPON), Leiter der EPON-Widerstandskämpfer der Griechischen Volksbefreiungsarmee (ELAS) und während des Bürgerkriegs Mitglied der Demokratischen Armee Griechenlands. Während seines 25-jährigen Politexils in der UdSSR studierte er am Maxim-GorkiLiteraturinstitut, veröffentlichte Gedichtbände und beschäftigte sich als Übersetzer und Herausgeber mit der Vermittlung neugriechischer Literatur. Nach seiner Rückkehr nach Griechenland publizierte er Werke zur Bürgerkriegsthematik sowie Übersetzungen russischer Literatur.
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der Zeitspanne 1957–1970 tritt diese Gruppe wiederholt und abwechselnd in der Rolle des Übersetzers, Herausgebers und Verfassers von Peritexten im Kontext der Publikationen neugriechischer Literatur auf. b) Sowjetische Philologen-Neohellenisten und professionelle Übersetzer: Die zentrale Figur im Bereich der Einführung, Publikation und Präsentation neugriechischer Literatur in der Sowjetunion ist seit den sechziger Jahren und bis zur postsowjetischen Zeit die Absolventin der Philologischen Fakultät der Lomonossow-Universität Moskau Sof’ja Il’inskaja (auch als Sonja Il’inskaja bekannt, geb. 1938).22 Über 45 Jahre fungiert Il’inskaja als Herausgeberin und Übersetzerin eines wesentlichen Teils der auf russisch erschienenen neugriechischen Lyrik und Prosa sowie als Autorin kritischer Aufsätze und Monographien zur neugriechischen Literatur. In ihrer Eigenschaft als Referentin der Auslandskommission des sowjetischen Schriftstellerverbandes verfasst sie ausführliche Berichte23 über das griechische Literatur- und Kulturwesen unter anderem auch für die Zeitschrift Inostrannaja literatura. Weitere wichtige professionelle Übersetzerinnen neugriechischer Prosa sind Nina Podzemskaja (geb. 1926) und Tatʼjana Kokurina (1919–2007), während seit den späten siebziger Jahren als Herausgeber und Übersetzer neugriechischer Literatur der Neohellenist Viktor Sokoljuk (1950–1997) agiert. c) Bekannte russische Dichter und Literaten wie Anna Achmatova, Iosif Brodskij, Evgenij Evtušenko, Arsenij Tarkovskij, Julij Daniėl’, Evgenij Dolmatovskij, Robert Roždestvenskij, Boris Sluckij, Ariadna Ėfron u. a., die mit Interlinearübersetzungen gearbeitet haben. Diese werden entweder von sowjetischen NeogräzistenÜbersetzern, die griechische Sprachkenntnisse besitzen, wie Sonja Il’inskaja und
Sonja Il’inskaja wurde 1938 in Moskau geboren. Sie studierte klassische Philologie an der Lomonossow-Universität Moskau und spezialisierte sich auf neugriechische und russische Literatur. Als Kritikerin und Übersetzerin neugriechischer Literatur wurde sie Mitglied des Schriftstellerverbandes der UdSSR. 1971 verteidigte sie ihre Doktorarbeit zur neugriechischen Lyrik der Nachkriegszeit. Bis 1983 arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Slawistik und Balkanistik der Akademie der Wissenschaften der UdSSR (Institut slavjanovedenija i balkanistiki AN SSSR). 1983 ließ sie sich dauerhaft in Griechenland nieder und lehrte neugriechische Literatur an der Philosophischen Fakultät der Universität Ioannina (1983–2004). Aus dem Archivmaterial des RGALI erschließt sich, dass solche Berichte in einem dreimonatigen Abstand von 1957 bis zumindest 1962 verfasst wurden. Sie sind mit dem Vermerk versehen: „Nur für den dienstlichen Gebrauch. Auslandskommission des Schriftstellerverbandes der UdSSR. Materialien zu Griechenland“. Il’inskaja übernimmt diese Aufgabe in den frühen sechziger Jahren nach dem Tod des vorherigen Referenten Anestis Stoltidis. Stoltidis (1928–1962) war während der Besatzungzeit auf der Seite der Vereinigten Panhellenischen Jugendorganisation (Eniaia Panelladiki Organosi Neon, EPON) am Widerstand beteiligt und schloss sich im Bürgerkrieg der Demokratischen Armee Griechenlands (Dimokratikos Stratos Elladas, DSE) an. Im Nachgang der Niederlage der DSE am Berg Gramos (1949) flüchtete er als Politemigramt ins Exil nach Taschkent. Er studierte an der Philologischen Fakultät der Lomonossow-Universität Moskau und arbeitete als Sprecher im griechischsprachigen Programm für Radio Moskau sowie als Übersetzer neugriechischer Literatur.
1.1 Neugriechische Literatur im Rahmen des sowjetischen Übersetzungsprojekts
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Nina Podzemskaja, oder von griechischen Philologen, die die russische Sprache beherrschen, beispielsweise Giannis Motsios, vorbereitet.24 Generell sind der Dichter Antaios und die Philologen Il’inskaja, Motsios und Sokoljuk an den meisten Publikationen neugriechischer Literatur abwechselnd als Herausgeber, Übersetzer und Verfasser von Peritexten beteiligt.
1.1.1 Übersetzung, Publikation und Rezeption neugriechischer Lyrik Selbstständige Lyrikpublikationen In der Zeitspanne zwischen 1953 und 1988 erscheinen in der Sowjetunion insgesamt 25 eigenständige Gedichtbände griechischer Lyriker. Sechs Werksammlungen, die aus Gedichten diverser Gedichtzyklen zusammengestellt sind und in der Zeitspanne 1959–1985 herausgegeben werden, gehören dem international bekannten, vielübersetzten und 1977 mit dem Internationalen Lenin-Friedenspreis ausgezeichneten Dichter Jannis Ritsos (1909–1990), der als Vertreter der griechischen linken Intelligenz par excellence in allen profilierten sowjetischen Verlagen herausgegeben wird. Numerisch folgen mit jeweils fünf bzw. vier Publikationen von Gedichtzyklen, die Absolventen des Moskauer Maxim-Gorki-Literaturinstituts und als Politemigranten in der Sowjetunion lebenden Dichter Alexis Parnis (geb. 1924) und Petros Antaios. Veröffentlicht werden außerdem ein Poem und zwei Gedichtsammlungen des Dichters Kostas Varnalis (1884–1974), dessen Bedeutung als geistiger Mentor für die griechische linke Intelligenz außer Frage steht, während von allen anderen im Weiteren erwähnten Lyrikern jeweils ein einziger Gedichtband erscheint.25 1938 wird das Poem To fos pou kaiei (Plamenejuščij svet, Das brennende Licht) von Varnalis in Übersetzung des Dichters Vladimir Pjast und mit einem Vorwort des Literaturkritikers Ivan Luppol im Verlag Chudožestvennaja literatura herausgegeben. Luppol bezeichnet das Poem „bei all seiner poetischen, etwas abstrakten Form“ als ein „scharfes anti-kapitalistisches Werk“ und entschlüsselt die sozialpolitische Symbolik seiner Konfiguration (Prometheus als Sinnbild des aristokra-
Auch bei der Übersetzung von Prosawerken war kooperatives Übersetzen üblich. So erwähnt die Übersetzerin Tatʼjana Kokurina in ihren Memoiren Ljudej neinteresnych v mire net … (2009), dass aufgrund von Mangel an Spracherfahrung und geeigneten Wörterbüchern die Übersetzung in der ersten Phase häufig von zwei Personen durchgeführt wurde. Sie arbeitete beispielsweise mit dem Politemigranten der dreißiger Jahre, Michalis Trandas, zusammen, während Nina Podzemskaja mit Petros Antaios kooperierte. Teile von Kokurinas nur schwer zugänglichem Memoirenbuch wurden für diese Dissertation von der Direktorin des Griechischen Kulturzentrums (Grečeskij kulʼturnyj centr) in Moskau Teodora Jannici zur Verfügung gestellt. Die Auflagenhöhe der Ausgaben liegt in der Regel bei 10.000 Exemplaren. Parnis’ Gedichtzyklen werden 20.000-mal aufgelegt, Kavafis’ 30.000-mal und Ritsos erreicht in den achtziger Jahren eine Auflagenhöhe von 50.000 Exemplaren.
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tischen Intellekts, Momos als Verkörperung des Volkes, Aristea als Verkörperung der bürgerlichen Kultur usw.). Das Werk ist laut Luppol „charakteristisch für die ideologische Differenzierung der westeuropäischen Intelligenz in den ersten Jahren nach dem imperialistischen Massaker“ (Luppol 1935, 5 f.). Der in den fünfziger Jahren in Griechenland kaum bekannte Alexis Parnis26 tritt erstmalig als Lyriker in der Sowjetunion in Erscheinung und ist in der Zeitspanne von 1953 bis 1958 auch der einzige mit selbstständigen Veröffentlichungen. Drei seiner Gedichtzyklen werden in der Buchreihe Biblioteka Ogonëk veröffentlicht, die als Beiheft der Zeitschrift Ogonëk im Verlag Pravda erscheint (1953, 1955, 1958). Sein Gedichtzyklus Grecija moja rodina (Meine Heimat Griechenland) wird 1958 mit einem Vorwort des mit Parnis befreundeten Dichters Nâzim Hikmet im Verlag Molodaja gvardija herausgegeben. Dank der Verleihung des ersten Poesiepreises für sein Poem27 über den Kommunistenhelden Nikos Belogiannis in den V. Weltjugendspielen in Warschau (1955) erscheint 1958 ein weiterer Gedichtband im weißrussischen Goslitizdat (Gosudarstvennoe izdatel’stvo chudožestvennoj literatury) in Minsk. In den späten fünfziger Jahren und Anfang der sechziger Jahre beginnen die Publikationen neugriechischer Lyrik eine relative Vielfalt aufzuweisen. 1959 erscheint eine Sammlung ausgewählter Gedichte und Erzählungen (Izbrannoe, Ausgewähltes) von Varnalis, deren Publikation mit der Verleihung des Internationalen Lenin-Friedenspreises im gleichen Jahr zusammenhängt. Lyrik, Prosa und ästhetisch-theoretische Texte des „rebellischen Dichters“ (poėt buntar’) – wie er in der Literaturnaja ėnciklopedija (LĖ 1929, 747) genannt wird – werden während der gesamten Sowjetzeit regelmäßig publiziert. Eine weitere Gedichtausgabe (Stichotvorenija i poėmy, Gedichte und Poeme) von Varnalis wird 1985 von Sokoljuk im Verlag Chudožestvennaja literatura herausgegeben. Parallel zur Publikation eigener Gedichtbände gibt Antaios 1959 die erste Gedichtsammlung von Jannis Ritsos (1909–1990) mit dem Titel Stichi (Verse) im Verlag Inostrannaja literatura heraus. Die Sammlung enthält vorwiegend Arbeiter-, Widerstands- und die Friedensbewegung thematisierende Werke, u. a. die Gedichte Epitaphios (Epitaph) und O anthropos me to garyfallo (Der Mann mit der Nelke), sowie einige längere lyrische Kompositionen im freien Vers, unter denen sich die Poeme To tragoudi tis adelphis mou (Das Lied meiner Schwester) und Sonata tou selinofotos (Die Mondscheinsonate) befinden. Laut der verlegerischen Buchannotation auf der Innenseite des Buchdeckels ist Ritsos’ Dichtung „manchmal tragisch wie das Schicksal seiner Heimat, aber diese Tragik ist nicht hoffnungslos, sie wird durch Glauben an die Zukunft, Glauben an den Menschen beleuchtet“. Eine weitere Gedichtsammlung wird 1968 mit dem Titel Izbrannaja lirika (Ausgewählte Lyrik) vom Dichter Evgenij Dolma „Alexis Parnis“ ist der Künstlername von Sotirios Leonidakis. Das Poem Skazanie o Belojannise (Sage über Belogiannis) stellt auch den Anlass für die Erwähnung von Parnis als Vertreter des Genres im Eintrag „Poėma“ der Großen Sowjetischen Enzyklopädie dar (BSĖ 1955, Bd. 34, 334).
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tovskij im Verlag Molodaja Gvardija herausgegeben. Auf dem Umschlag dieser in 50.000 Exemplaren gedruckten Ausgabe figuriert neben Ritsos’ Fotoporträt eine ionische Säule, auf der eine rote Fahne weht. Trotz der ideologisch aufgeladenen Buchgestaltung stammen die meisten der 27 Gedichte der Sammlung aus den 1963 und 1966 erschienenen Zyklen Martyries I und II (Zeugenaussagen), in denen sich politische These und metaphysische Reflexion verflechten (vgl. Kokoris 2015). Im Vorwort zur Ausgabe, das mit einem Appell gegen die Verbannung des Dichters von der Militärjunta schließt, bezeichnet Dolmatovskij das in der Sammlung nicht enthaltene Erstlingswerk von Ritsos Trakter (1934, Traktor) als „Kriegserklärung an alle Ästheten und Schöngeisterei Treibenden“ (1968, 3) und berichtet von den nostalgischen Assoziationen, die das ebenso nicht enthaltene Gedicht SSSR bei ihm erweckt: In diesem ersten Buch des jungen griechischen Dichters trat ein Gedicht hervor, das Sowjetrussland gewidmet war. […] Jannis Ritsos sang darüber, dass Russland Rosen und Sterne sät, dass es mit brüderlicher warmer Hand auf den Tasten des Traktors für alle Weltvölker spielt. […] Er war noch nie in Russland und heute rufe ich, sein Bruder und Zeitgenosse, der auch seine eigene erste Gedichtsammlung 1934 herausgab, anhand der damaligen Verse des griechischen Dichters die Begeisterung der ersten Fünfjahrespläne in Erinnerung zurück und kann die tiefe Authentizität seiner Vorstellung über Russland bezeugen. (Dolmatovskij 1968, 3 f.)
Unter der Redaktion des Übersetzers Moris Vaksmacher erscheint 1973 eine von Il’inskaja zusammengestellte Werksammlung mit dem Titel Izbrannoe (Ausgewähltes) im Verlag Progress, die neben bereits publizierten Gedichten und Poemen aus dem gesamten Spektrum seines Schaffens, Gedichte aus seiner jüngsten Gedichtsammlung Petres Epanalipseis Kigklidoma (1972, Steine Wiederholungen Gitter) enthält. 1979 wird von Il’inskaja die Werksammlung Stanovlenie (Gignesthai, Das Werden) im Verlag Chudožestvennaja literatura herausgegeben, die ihren Titel der 1977 in Athen publizierten gleichnamigen Sammlung entnimmt und wie diese aus diversen in den siebziger Jahren erschienenen Gedichtzyklen Ritsosʼ besteht. Im selben Jahr gibt Sokoljuk, der 1977 seine Promotionsarbeit zum Mythologismus in Ritsos’ Schaffen an der Taras-Schewtschenko-Universität Kiew verteidigt, unter dem Titel Tetarti diastasi (1972, Četvertoe izmerenie, Vierte Dimension) neun aus den siebzehn Poemen des gleichnamigen Gedichtzyklus im Verlag Progress heraus. 1985 erscheint von ihm die bis dahin umfassendste Sammlung von Ritsosʼ Werken mit dem Titel Zametki na poljach vremeni (Notizen auf den Rändern der Zeit) im Verlag Raduga, die seine sowjetische Rezeption um weitere Gedichtzyklen, unter anderem die 1963 erschienenen 12 poiimata gia ton Kavafi (12 Gedichte zu Kavafis), ergänzt. Parallel zu den selbstständigen Ausgaben wird Ritsos’ Werk kontinuierlich in zahlreichen Periodika publiziert (darunter sieben Publikationen in der Zeitschrift Inostrannaja literatura) und in so gut wie alle Anthologien griechischer und europäischer Lyrik aufgenommen. Bezeichnend für die Bedeutung, die Ritsos beigemessen wird, ist neben der Verleihung des Lenin-Friedenspreises 1977 die Tatsache, dass seine 1973 erschienene Gedichtsammlung Diadromos kai skala (Koridor i lestnica, Korridor und Treppe) 1974 ohne Übersetzer- und Verlagsangabe für den internen Gebrauch
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am Institut für Gesellschaftswissenschaften des ZK der KPdSU gedruckt wird – eine Institution, an dem Kader ausländischer Bruderparteien ausgebildet werden. Der Großteil von Ritsos’ Werk wird ins Russische von Il’inskaja, Efim Ėtkind, der Dichterin Junna Moric und den Dichtern Evgenij Dolmatovskij, Evgenij Evtušenko, Boris Sluckij und Michail Matusovskij übersetzt. 1962 gibt Antaios einen Gedichtband von Nikiforos Vrettakos (1912–1991) im Verlag Inostrannaja literatura heraus. Im Vorwort der Vrettakos-Ausgabe zitiert Antaios eine das sowjetische Volk verherrlichende Passage aus der Reisebeschreibung Einer der zwei Welten (1958), in der Vrettakos Eindrücke seiner Reise in die Sowjetunion 1957 beschreibt. Der von Vrettakos 1949 geschriebene Essay Zwei Menschen sprechen über den Frieden der Welt, in dem der Dichter für die Versöhnung der Großmächte USA und Sowjetunion plädiert und der im gleichen Jahr zum Widerruf seiner Mitgliedschaft in der KKE führt, wird im Vorwort nicht thematisiert. Im Verlag Progress wird von Antaios 1966 der Gedichtband Solnce na ladoni (Sonne in der Hand) der Lyrikerin und Übersetzerin (unter anderem von Šolochovs Roman Der stille Don ins Griechische) Rita Mpoumi-Papa (1906–1984) herausgegeben. Einige der Gedichte dieses Bandes werden von der bedeutenden russischen Lyrikerin Anna Achmatova übersetzt.28 In seinem ekphrastischen Vorwort zu der Ausgabe, in dem Griechenland als Land der Poesie, der Sonne und des Leids und Mpoumi-Papa als „tapfere Amazone der griechischen Dichtung“ verherrlicht werden, betont Antaios zum einen die Volksgebundenheit, zum anderen den optimistischen und heroischen Charakter der vorgestellten Dichtung: Wir möchten betonen, dass es […] keine Angst, keine panische Flucht von Feiglingen, keinen gekünstelten Pessimismus und heuchlerischen Nihilismus gibt. Und nicht nur das. Selbst die Traurigkeit der Dichterin ist heiter wie der Wind auf einer Insel des Ägäischen Meeres. Ihre Gedichte sind selten schwarz gefärbt und gerade dann ist eine Literarizität zu spüren, die die Dichterin schnell bewältigt. (Anteos 1966, 14)
1968 wird von Il’inskaja eine Gedichtsammlung antifaschistischer Lyrik von Tasos Leivaditis (1922–1988) beim Verlag Progress herausgegeben, die den Titel seines in ihr enthaltenen gleichnamigen Poems Kantata dlja trech milliardov golosov (Kantate für drei Milliarden Stimmen) trägt. Als ein „Poem, das die Völker zum Kampf für den Frieden aufruft“ wird das Werk von der sowjetischen Botschaft in Athen durch den Freundschaftsverband UdSSR-Griechenland im Jahr 1961 dem sowjetischen Schriftstellerverband zur Übersetzung vorgeschlagen,29 und ein Fragment daraus erscheint ein Jahr später in der Zeitung Komsomol’skaja pravda. 1969 wird das Poem für die Bühne des Moskauer Taganka-Theaters bearbeitet, jedoch nicht zur Aufführung angenom-
Wie es häufig der Fall bei Beteiligung prominenter Dichter an Übersetzungsausgaben ist, wird auch Achmatovas Name im Inhaltsverzeichnis der Ausgabe in einem schwarzen Rechteck hervorgehoben. RGALI. F. 631. Op. 26. D. 1552. L. 1.
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men.30 Aufführungen der Kantata finden jedoch in den späten siebziger und frühen achtziger Jahren auf studentischen und experimentellen Bühnen der Städte Charkiw, Syktywkar und Toljatti statt.31 Erwähnenswert im Kontext der Lyrikpublikationen der sechziger Jahre ist die von Motsios und Antaios 1964 herausgegebene Gedichtsammlung Pesni svobody (Freiheitslieder) des griechischen Nationaldichters Dionysios Solomos (1798–1857), der den einzigen mit eigenständiger Publikation erschienenen Dichter des neunzehnten Jahrhunderts darstellt.32 Die Sammlung enthält Gedichte über die Griechische Revolution (1821–1829) in Übersetzung der bekannten sowjetischen Literaten Arsenij Tarkovskij, Julij Daniėl’, Abram Argo, Aleksandr Revič, Ariadna Ėfron u. a. aus dem Griechischen und Italienischen. Die Ausgabe ist bereits 1957 in Aussicht gestellt, dennoch lange nicht realisiert worden. Beschwerden über diesen Rückstand äußern 1961 sowohl der Erste Sekretär der KKE Kostas Koligiannis33 als auch der sowjetische Akademiker und Vorsitzende des Freundschaftsverbandes UdSSRGriechenland Boris Rybakov, der sich aus diesem Anlass mit einem Schreiben an den Verlag Chudožestvennaja literatura wendet. Die Bekanntschaft der sowjetischen Leserschaft mit dem Werk des „Übervaters der modernen griechischen Literatur“, schreibt Rybakov, „wäre von größter Bedeutung und würde zur kulturellen Annäherung des sowjetischen und des griechischen Volkes beitragen“.34 In den siebziger Jahren werden drei weitere Gedichtbände von Ritsos und jeweils einer von Antaios und Motsios veröffentlicht. Das wichtigste publizistische Ereignis dieser Zeit im Kontext der Übersetzung neugriechischer Lyrik stellt die erstmalige Publikation des bedeutenden Lyrikers Kostis Palamas (1859–1943) dar. In der frühen Sowjetzeit gilt Palamas als Individualist und ein l’art-pour-l’art-schaffender Dichter (LĖ 1929, Bd. 2, 744). Die Verweise auf „Lenin“ und „Bolschewiki“ in gewaltkritischen Zusammenhängen einiger seiner Verse verschärfen die Polemik gegen ihn; in einem separaten Eintrag der LĖ wird er als „gedungener Dichter der chauvinistischen Bourgeoisie“ bis hin zu „D’Annunzio des griechischen Faschismus“ angegriffen (Kriėzis
Die Theateradaption landet aus unbekannten Gründen in dem Ordner der abgelehnten Werke des Theaters. Vgl. RGALI. F. 2485. Op. 2. Ed. chr. 676. 1976–1977 wurde das Theaterstück im Ėksperimental’nyj Teater (früher Kamernij Teatr) Toljatti unter Regie von Jurij Berladin aufgeführt, 1981 im Theater-Laboratorium Studio-odin unter Regie von Vladimir Klimenko in Charkiw. 1975 wurde im Studenčeskij kamernij teatr Syktywkar die Theatermontage Lžecy (Lügner) aufgeführt, die aus Texten von Carl Sandburg, Bertold Brecht und Tasos Leivaditis bestand. Einige Gedichte von Adamantios Korais (1748–1833), Alexander Ypsilantis (1792–1828) und Rigas Velestinlis (1757–1798) finden sich in Gedichtsammlungen, die unter dem Namen ihres Übersetzers, des russischen Dichters Michail Michajlov (1829–1865) publiziert werden. RGANI: F. 5, Op. 50. Ed. chr. 363, L. 144. RGALI: F. 613, Op. 9, Ed. chr. 1179, L. 1.
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1934, 402).35 Εinige Jahre nach Palamas’ Tod ändert sich diese Sichtweise, wozu höchstwahrscheinlich auch die Schrift Der wahre Palamas (1944) des Generalsekretärs der KKE, Nikos Zachariadis, beiträgt, in der Palamasʼ Werk Die zwölf Gesänge des Zigeuners (1907) aus marxistischer Perspektive betrachtet und der Dichter als sozialer Wegbereiter und Volksaufklärer dargestellt wird. Der Eintrag in der 2. Auflage der Bol’šaja sovetskaja ėnciklopedija (Großen Sowjetischen Enzyklopädie, BSĖ) zur neugriechischen Literatur reflektiert den veränderten Standpunkt zu Palamas, der nunmehr als wichtiger Vertreter der „demokratischen Literatur“ gehandelt wird, und zu seinem Schaffen, in dem „die besten nationalen Traditionen der neugriechischen Poesie“ zur Geltung kommen. Insbesondere das Zigeuner-Poem sei durch einen „starken Glauben an den Sieg der Idee der sozialen Gerechtigkeit“ gekennzeichnet (1952, Bd. 12, 570).36 In ähnlicher Weise ist im Eintrag der Kratkaja literaturnaja ėnciklopedija (Kurze Literaturenzyklopädie, KLĖ) von den „allgemein-humanistischen und revolutionär-demokratischen Idealen“ in Palamas’ Schaffen die Rede (1968, Bd. 5, 544). Die von Giannis Motsios 1970 herausgegebene Palamas-Gedichtsammlung im Verlag Chudožestvennaja literatura eröffnet den Weg für dessen spätere Rezeption, die Ende der siebziger und Anfang der achtziger Jahre durch Teilnahmen an einer Chrestomathie und zwei Anthologien westeuropäischer Lyrik erweitert wird. Wie es häufig in Ausgaben nicht engagierter Literatur der Fall ist, sind im Vorwort dieser Ausgabe Legitimationsversuche zu finden, unter anderem durch (a) Erwähnung der Anerkennung des Dichters von westlichen, sympathisierenden Intellektuellen wie Romain Rolland, Stefan Zweig u. a., (b) Hervorhebung der bescheidenen Herkunft des Dichters, seines volksfreundlichen Engagements sowie (c) der sozialen Motivik seines Werkes. Der Editionsplan der Ausgabe, den Motsios 1960 dem Verlag vorlegt, verschafft Einblick in die Philosophie der Zusammenstellung des Bandes. In der Begründung der Gedichtauswahl sind die Legitimationskontexte der Übersetzungen deutlich erkennbar: Von den ersten zwei Büchern von Palamas, Lieder meiner Heimat (1886) und Hymne an Athene (1889), Büchern, in denen der große neugriechische Dichter in gewissem Sinne als Nachahmer
Der Eintragverfasser ist vermutlich Orfeas Oikonomidis (1907–1979, Pseud. Ivan Michailovič Kriėzis), Journalist und Führungsmitglied der KKE – einer der acht hochrangigen Parteikader, die im April 1931 mithilfe des Unteroffiziers Michalis Trandas (Pseudonym von Grigoris Grigoriadis) aus dem Syggrou-Gefängnis in Athen ausbrachen und gemeinsam in die Sowjetunion flüchteten. Oikonomidis studierte an der Kommunistischen Universität der Werktätigen des Ostens (Kommunističeskij universitet trudjaščichsja Vostoka, KUTV) und kehrte Mitte der dreißiger Jahre nach Griechenland zurück (vgl. Markovitis 2013, 341). Trotz der Einstellungsänderung lässt die sowjetische Zensur die Veröffentlichung antibolschewistischen Inhalts nicht zu. Der von Mitsos Alexandropoulos im griechischen Original seines Romans Nächte und Morgenröte (1961) zitierte Vierzeiler von Palamas, in dem Lenin zusammen mit Nero und Robespierre als Personalisierungen von Massengewalt vorkommen, wird in der russischen Ausgabe (1962) ausgelassen.
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und Lehrling auftrat, werden für die geplante Veröffentlichung nur einzelne, nicht frei von Originalmerkmalen gehaltene Werke lyrischen Charakters ausgewählt. Viel umfassender wird Palamas’ poetisches Schaffen vom Ende des letzten bis Anfang des derzeitigen Jahrhunderts präsentiert. Von den Büchern Die Augen meiner Seele (1892), Jamben und Anapäste, Das Grab (1898) und Die Flöte des Königs (1910), aus der bedeutenden Sammlung Altäre (1915) und anderen Büchern der Periode der schöpferischen Reife von Palamas wird eine lange Reihe von Gedichten lyrischen und lyrisch-epischen Charakters ausgesucht, die von patriotischen Gemütsstimmungen, tiefem Historismus, häufig von scharfem sozialen Klang durchdrungen sind. […] Was jedoch Die zwölf Gesänge des Zigeuners (1907) angeht, das Buch, welches nach einstimmiger Meinung der weltweiten Kritik den Gipfelpunkt der Dichtung Palamas’ darstellt, so soll dieses in vollem oder fast vollem Umfang in der geplanten Ausgabe präsentiert werden. (RGALI: F. 631. Op. 10. Ed. сhr. 5195. L. 25)
Der Verweis auf den Dichter als „Nachahmer“ in Bezug auf sein frühes Werk (hier ist der ‚Einfluss‘ durch die Parnassiens gemeint) reflektiert die ideologisch motivierte Auffassung der Aneignung westlicher Kunststile als Sklaverei bzw. Unterwerfung unter die westliche Kultur. Das Motiv der Sklaverei ist in den Einträgen der sowjetischen Enzyklopädien der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts über die neugriechische Literatur offenkundig. Die ideologisch-polemische Rhetorik der Einträge präsentiert die an ‚l’art pour l’art‘ orientierte Literatur wiederholt als ‚knechtische Nachahmung‘ (rabskoe podražanie) des Westens, während hingegen die Rezeption der russischen Klassiker in Griechenland mit zweierlei Maß gemessen am starken Interesse begründet wird (s. Unterkapitel 1.2.1). In der Editionsnotiz vom 2. Dezember 1968 berichtet Sel’ma Brachman, die Redakteurin der Palamas-Ausgabe und Übersetzerin französischer Literatur, von den Bemühungen um eine qualitative Übersetzung des Lyrikers sowie den Schwierigkeiten, die unter anderem aufgrund ihrer fehlenden Kenntnisse der griechischen Sprache vorgekommen sind: Diese Ausgabe wird die erste Übersetzung ins Russische eines in unserem Land völlig unbekannten, großen neugriechischen Dichters. Palamas ist ein Dichter von Weltrang und anerkannter Klassiker der griechischen Literatur, umso wichtiger ist es, ihn nicht mit schwachen, unprofessionellen Übersetzungen in den Augen unserer Leser zu kompromittieren. Die Arbeit an dem Buch war mit großen Schwierigkeiten verbunden, vor allem, weil die Redakteurin die griechische Sprache nicht beherrschte und gezwungen war, sich auf die Interlinearübersetzung zu verlassen. Die Bestellung der Interlinearübersetzung, die Notwendigkeit, sich mit Menschen in Kontakt zu setzen, die die Verse laut lesen könnten, um ihren Klang zu verstehen; das Nichtvorhandensein der Texte von Palamas in der Sowjetunion, die ausschließlich nur eine Person – der Herausgeber – besitzt; die Markierung der Längen und Reime auf der Interlinearübersetzung bei Unmöglichkeit, den Originaltext zu lesen usw. – das alles bereitete zusätzliche Schwierigkeiten. Die Übersetzungen der Gedichte benötigten eine nachhaltige Redaktionsarbeit aufgrund der Kompliziertheit von Palamas’ poetischen Texten. Ein Teil der Übersetzungen musste neu bestellt werden. Es wurden professionelle Übersetzer hinzugezo-
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gen und im Buch gibt es poetische Erfolge zu verzeichnen: die Übersetzung des Poems Die zwölf Gesänge des Zigeuners von A[leksandr] Revič und Ja[kov] Serpin, die Übersetzungen von V[asilij] Betaki, N[atėlla] Gorskaja, N[ovella] Matveeva u. a. […] (RGALI: F. 631. Op. 10. Ed. сhr. 5009. L. 13)
1984 erscheint im Verlag Chudožestvennaja literatura eine Gedichtsammlung von Konstantinos Kavafis (1863–1933), der zu den bedeutendsten griechischen Lyrikern der Neuzeit gehört. Die dokumentierten Bemühungen der griechischen Diaspora um Kavafis’ Einführung ins russische Literaturfeld zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts sowie der Versuch des russischen klassischen Philologen Timofej Glikman in den frühen dreißiger Jahren, den Dichter zu kontaktieren und zu übersetzen, stellen vereinzelte Belege der Anerkennung von Kavafis dar, die jedoch fruchtlos blieben (Il’inskaja 1996, 158 f.). In Enzyklopädien und Literaturlexika der frühen Sowjetzeit wird Kavafis nicht aufgeführt, während er in späteren Auflagen als „dekadenter Poet“ (MSĖ 1959, Bd. 3, 148) des „Pessimismus“ und „Hedonismus“ (BSĖ 1972, Bd. 7, 313) erwähnt wird. Der sowjetischen Leserschaft wird Kavafis zum ersten Mal 1967 durch die Zeitschrift Inostrannaja literatura von Il’inskaja präsentiert, obwohl es Hinweise gibt, dass seine Veröffentlichung in der UdSSR von griechischer Seite aus – selbst wenn aus scheinbar politisch-strategischen Gründen – schon länger erwünscht war. In seinem Bericht über das im März 1961 in der sowjetischen Botschaft in Athen stattgefundene Gespräch mit Ritsos schreibt der Botschafter Michail Sergeev unter anderem: Es wäre gut, fuhr Ritsos fort, eine Gedichtsammlung von Kavafis, einem Befürworter der Dekadenz, begleitet von kritischen Aufsätzen in der Sowjetunion zu veröffentlichen. Ritsos zufolge wäre die Publikation von Kavafis’ Werken in der Sowjetunion von großer propagandistischer Bedeutung, weil sie es den reaktionären Kräften in Griechenland unmöglich machen würde, die sowjetischen Verlage der Veröffentlichung ausschließlich pro-kommunistischer Autoren zu beschuldigen. (RGALI: F. 631. Op. 26. Ed. chr. 1547. L. 4)
Diese erste wichtige Veröffentlichung von elf Gedichten (u. a Warten auf die Barbaren und Thermopylen) in russischer Übersetzung stellt auch den Erstkontakt des im Weiteren mit der Dichtung von Kavafis viel befassenden sowjetischen Lyrikers Iosif Brodskij mit dem Dichter dar (Kovalëva 2004, 218). Während in der kurzen Einleitung Il’inskajas der Versuch einer Legitimierung der Veröffentlichung durch den Verweis auf die Aussagen des in der Sowjetunion kanonisierten Varnalis zur zeitlosen Aktualität und die Betonung des sozialpolitischen Aspekts von Kavafis’ Dichtung spürbar ist, wird im mehrseitigen, analytischen Vorwort des Gedichtbandes 1984 offen vom Symbolismus, Pessimismus und ästhetischen Avantgardismus seiner Dichtung gesprochen.37 Die Aufnahme von Kavafis’ homoerotischen Liebesgedichten in die Sammlung wurde – wie Il’inskaja impliziert (1996, 162) – aufgrund Im Jahr der Herausgabe des Bandes wird auch Il’inskajas Monographie zu Kavafis im akademischen Verlag Nauka publiziert, die ein Jahr zuvor (1983) in griechischer Übersetzung in Athen veröf-
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puritanischer Wertevorstellungen von der Zensur nicht zugelassen. Bezeichnend für die Rezeption dieser Publikation sind die Worte des Dichters und Essayisten Aleksandr Baraš, der bei einem Besuch in der Wohnung des russischen Autors Aleksandr Gol’dštejn ein Blatt Papier mit der Aufschrift „und nimm Abschied von Alexandria, das du verlierst“38 an der Wand hängen sieht: Ein Zitat von Kavafis, das Ende des Gedichts „Der Gott verlasse Antonius“ in Übersetzung von S. Il’inskaja von diesem für viele von uns sehr wichtigen Buch im Taschenformat von 1984. Ich denke, es lohnt sich, es vollständig zu zitieren […]. (Baraš 2006, 241)
In der postsowjetischen Zeit, insbesondere nach der Publikation der dreibändigen, aus Gedichten und literaturkritischen Aufsätzen bestehenden Anthologie Russkaja kavafiana (2000) und schließlich der Gesamtausgabe Konstantinos Kavafis (2009) – beide herausgegeben von Il’inskaja im Verlag OGI (Ob’edinennoe Gumanitarnoe Izdatel’stvo) – kommt es zu einer massiven Kavafis-Rezeption im russischsprachigen Raum. Ein weiterer bedeutender Lyriker, der erstmalig mit einem eigenständigen Gedichtband in dieser Zeit erscheint, ist Angelos Sikelianos (1884–1951). Der Herausgabe dieses Bandes vom sowjetischen Neogräzisten Viktor Sokoljuk 1986 im Verlag Molodaja gvardija gehen ab Anfang der siebziger Jahre Teilnahmen an diversen Anthologien griechischer und westeuropäischer antifaschistischer Lyrik voraus, während Veröffentlichungen von Sikelianos in Periodika nicht anzutreffen sind. Ähnlich wie im Falle Palamas’ ist Sikelianos in den sowjetischen Augen der Zwischenkriegszeit ein Ästhet (MSĖ 1938, 526), während seine viel spätere Einführung in die sowjetische Literaturlandschaft als Vertreter antifaschistischer Lyrik durch seine Rolle im intellektuellen Widerstand der Besatzungszeit legitimiert wird (BSĖ 1972, Bd. 7, 313). In Sokoljuks Vorwort zu dieser kleinformatigen Ausgabe stehen Sikelianos’ Widerstandstätigkeit sowie seine anerkennende Haltung zu Lenin und der Oktoberrevolution im Vordergrund. Die Sammlung umfasst 25 Gedichte, die laut Klappentext „das Volk, seine tiefe Kultur, seinen wahren Patriotismus und heroischen Geist laut und majestätisch verherrlichen“. Anthologien neugriechischer Lyrik und gemischte Anthologien Die Herausgabe der Anthologie griechischer Volkslieder Grečeskie narodnye pesni in Übersetzung des Literaturkritikers Vladimir Nejštadt im Verlag Chudožestvennaja literatura im Jahr 1957 stellt den Versuch einer systematischen Präsentation verschiedener Ausprägungen eines Genres dar, das die russische Philologie bereits seit
fentlicht wurde. Siehe: Il’inskaja, Sof’ja. Konstantinos Kavafis: Na puti k realizmu v poėzii XX veka. Moskau: Nauka, 1984. Dt. Übersetzung zit. n.: Kavafis, Konstantinos. 2007. Gedichte: Das Hauptwerk griechisch und deutsch. Übers. Jörg Schäfer. Heidelberg: Universitätsverlag Winter, S. 109.
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dem neunzehnten Jahrhundert beschäftigt.39 Das Vorwort der Publikation verfasst Antaios unter dem Pseudonym Jannis Stavridis. Mit dem Titel Ėcho katorgi (Das Echo der Katorga) erscheint 1964 im Verlag Molodaja gvardija die ein Jahr früher vom Exilverlag der KKE in Budapest herausgegebene thematische Anthologie Antilaloi ap’ ta katerga, die Protestbriefe, Memoranda, Erzählungen und Gedichte politischer Häftlinge aus griechischen Konzentrationslagern enthält. Anthologisiert werden im Lager und über das Lager verfasste Werke von Fotis Aggoules, Melpo Axioti, Elli Papa, Themos Kornaros, Tasos Leivaditis, Menelaos Loudemis, Jannis Ritsos und anderen mit der linken Bewegung verbundenen griechischen Literaten. Von großem Interesse hinsichtlich der Auswahl der anthologisierten Lyriker sowie ihrer verlegerischen Vorgeschichte ist die Anthologie zeitgenössischer griechischer Poesie Gerakl i my (Herkules und wir), die 1983 im Verlag Raduga mit einem kurzen Vorwort von Ritsos herausgegeben wird, von dessen gleichnamigen Gedicht auch ihr Titel entliehen ist. „Diese Ausgabe“, schreibt Ritsos im Vorwort, stellt „eine breite, großzügige, freundschaftliche Geste der Sowjetunion gegenüber Griechenland“ dar (1983, 5). Mit dem Jahr 1940 als zeitlichem Ausgangspunkt umfasst die Anthologie Werke von 76 sehr bis hin zu wenig bekannten Dichtern verschiedener Generationen: von den Preisträgern des Lenin-Friedenspreises Varnalis und Ritsos und den Nobelpreisträgern Seferis und Elytis bis hin zu Dichtern der sogenannten Generation der siebziger Jahre wie Leuteris Poulios (geb. 1944), Giannis Kontos (1943–2015) und Tzeni Mastoraki (geb. 1949). Die Mehrheit der anthologisierten Dichter wird erstmalig ins Russische übersetzt, darunter die in der griechischen Literaturgeschichte bedeutenden Dichter Nikos Kavvadias (1910–1975) und Miltos Sachtouris (1919–2005) sowie die wichtigsten Vertreter des griechischen Surrealismus, Andreas Empeirikos (1901–1975), Nikos Eggonopoulos (1907–1985) und Ektor Kaknavatos (1920–2010), wenngleich deren Stilrichtung im detaillierten biobibliographischen Autorenverzeichnis der Ausgabe nicht erwähnt wird. Die ursprüngliche Herausgeberin des Bandes, Sonja Il’inskaja, zieht ihre Teilnahme kurz vor der Publikation aufgrund von Unstimmigkeiten mit der Verlagsredaktion hinsichtlich der Anthologisierung zurück. Laut dem Schreiben, das Il’inskaja an den Direktor des Verlags V. I. Neznanov richtet,40 stimmt die Redaktion der von Il’inskaja vorgeschlagenen Aufnahme von Manolis Anagnostakis, Titos Patrikios, Michalis Katsaros und weiteren, im Schreiben nicht namentlich genannten Dichtern in die Sammlung nicht zu. In ihrer Monographie zu griechischer Widerstandslyrik der
Als Übersetzer und Herausgeber der ersten Sammlung griechischer Volkslieder (1825) gilt der russische Dichter Nikolaj Gnedič. (Vgl. Mikhailova, A, 1998. O Nikolaj Gnedich os metafrastis kai ekdotis tis prwtis syllogis ellinikon dimotikon tragoudiwn sta rosika (1825). In: O ellinikos kosmos anamesa stin anatoli kai ti dysi 1453–1981. Bd. 2. Athen: Ellinika grammata, S. 339–344). Das Schreiben Il’inskajas sowie das Antwortschreiben des Verlags stammen aus dem persönlichen Archiv Il’inskajas und sind veröffentlicht in: Jalamas 2011, 58 ff.
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Nachkriegszeit (Nauka, 1973) sowie in einigen Aufsätzen hat die Hellenistin Anagnostakis als einen der wichtigsten Vertreter dieser Zeit vorgestellt. Aufgrund des Widerspruchs, der durch die Ausschließung des Dichters von der Anthologie entstanden wäre, beschließt sie, sowohl sich als auch ihre voraussichtlich für die Ausgabe verfasste Einleitung aus der Veröffentlichung zurückzuziehen. Die Ablehnung der oben genannten Dichter ist dennoch primär nicht auf die Verlagsredaktion, sondern auf die Parteileitung der KKE zurückzuführen. Die ursprüngliche Zusammensetzung der Anthologie wird von der Auslandskomminssion des ZK der KPdSU nach Griechenland zur Rezension geschickt und von der KKE mit Änderungsvorschlägen an die Verlagsredaktion zurückgesendet (Jalamas 2011, 59). Hinsichtlich dessen schreibt Il’inskaja: […] am schwierigsten war die Situation mit der Poesie-Anthologie „Gerakl i my“, die schließlich 1983 herauskam. Zuvor hatte ich ohne irgendwelche Hindernisse die Anthologie „Erzählungen griechischer Schriftsteller“ (1979) veröffentlicht, die frei von ideologischen Auswahlkriterien war. Aber mit der Poesie-Anthologie fielen wir in eine andere, grausamere Linie. Die Zusammensetzung wurde zur Rezension nach Griechenland geschickt und ist mit Reduktionen und Ergänzungen zurückgekommen. Herausgestrichen wurden (aus parteilichen Gründen) Anagnostakis, Patrikios und andere, hinzugefügt wurden welche, die ich nicht für notwendig erachtete. Ich habe lange gekämpft, aber nicht gewonnen. (Ebd.)
Der Verlag ist den Richtlinien der griechischen KP nachgekommen. Die Publikationsgeschichte des Bandes steht paradigmatisch sowohl für die Abhängigkeit der Verlagstätigkeit von Parteientscheidungen – in diesem Fall der ‚brüderlichen‘ griechischen KP – und deren Vorrang vor der Fachexpertise, als auch für den situativen Charakter dieser Entscheidungen (und folglich der Zusammenstellung der Ausgabe). Trotz ihres linken Engagements und der Kampftätigkeit in der Widerstandsbewegung und im griechischen Bürgerkrieg fallen die oben genannten, abgelehnten Dichter hauptsächlich nach der Spaltung der KKE (1968) und der Entstehung des reformorientierten, eurokommunistischen Flügels ‚KKE des Inlands‘ aufgrund ihrer reformatorischen Denkweise, Kritikübung bzw. ihrer kontroversen Werke allmählich in Ungnade bei der Partei. Die jeweilige situationsbedingte Beziehung der Literaten zur Partei hat mehr Gewicht als ihr Werk, worauf sowohl die stillschweigende Genehmigung der Anthologisierung surrealistischer Dichter als auch die Tatsache, dass Anagnostakis zu dieser Zeit in der Sowjetunion bereits mehrmals publiziert war,41 hindeuten. Teilnahmen neugriechischer Lyrik an thematischen Anthologien und Sammelbänden Griechische Lyrik wird in zwei Anthologietypen aufgenommen: in thematische Anthologien, die sich schwerpunktmäßig durch ein explizites Thema auszeichnen,
Beispielhaft in der Anthologie europäischer antifaschistischer Lyrik Jarost’ blagorodnaja (1970) sowie in der Zeitschrift Inostrannaja literatura (1971).
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und in Weltliteratur- und Weltdichtunganthologien, in denen repräsentative Literaten bestimmter Regionen und Epochen anthologisiert werden. Die gleiche Unterteilung gilt auch für Anthologien, die sich an Kinder und Jugendliche richten, wobei hier auch die Gattung (Märchen, Poesie u. a.) ein zusätzliches Auswahlkriterium darstellt. In den meisten Fällen handelt es sich hierbei um Wiederveröffentlichungen von bereits in selbstständigen Publikationen und Periodika publizierten Texten und seltener um Texte, die erstmalig in russischer Übersetzung erscheinen. In der 1951 erschienenen Anthologie Poėty mira v bor’be za mir (Dichter der Welt im Kampf um den Frieden), in der Gedichte sowjetischer und ausländischer Dichter aus allen Kontinenten über Frieden, Kampf, Arbeit und Freundschaft präsentiert werden, ist der Name des später hauptsächlich als Prosaist übersetzten Menelaos Loudemis (1912–1977) anzutreffen. Mit einer typischen für die Nachkriegszeit militärischen Metaphorik wird im Vorwort die Überlegenheit und Vorbildlichkeit der sowjetischen Dichtung erklärt: „In dieser Armee von Dichtern der Welt stehen in der ersten Reihe die Dichter der großen Sowjetunion. Zurecht nennen die Völker unsere Heimat ‚Leuchtturm der Welt‘“ (Tichonov 1951, 6). Ein Gedicht von Ritsos findet 1967 Eingang in die Anthologie Druz’ja Oktjabrja i mira (Freunde des Oktobers und des Friedens), die von „unseren ausländischen Freunden“ geschriebene, „der Oktoberrevolution und dem Aufbau des Kommunismus in der UdSSR“ gewidmete Lyrik und Prosa umfasst (Čakovskj 1967, 5). Verse von Antaios werden 1970 im Sammelband Bessmertie (Unsterblichkeit) publiziert, der aus durchweg Lenin gewidmeten Texten ausländischer Schriftsteller besteht. Im selben Jahr werden beide Dichter in die Anthologie Rodina rodin (Die Heimat der Heimaten) aufgenommen, die gleichfalls Dichtung über Lenin und die Oktoberrevolution umfasst. Den gleichen Schwerpunkt hat der 1976 herausgegebene Sammelband Vašim, tovarišč, serdcem i imenem …, der seinen Titel aus Majakovskijs Gedicht Gespräch mit dem Genossen Lenin (1929) entleiht und in dem Gedichte von Antaios veröffentlicht werden. Eine größere Anzahl griechischer Autoren enthält die 1970 herausgegebene Anthologie Jarost’ blagorodnaja (Edler Zorn), die zwischen 1933 und 1945 entstandene europäische antifaschistische Lyrik umfasst.42 Neben Ritsos, Sikelianos, Loudemis und Vrettakos werden Gedichte von Manolis Anagnostakis (1925–2005), Nikos Karvounis (1880–1947), Galateia Kazantzaki (1881–1962), Sofia Mauroeidi-Papadaki (1904–1977), Fotis Aggoules (1911–1964), Vasilis Rotas (1889–1977) und den weniger bekannten Sotiris Skipis (1881–1952), Katina Paizi (1911–1996), Kostas Kotzioulas (1909–1956), Giannis Aidonopoulos (1916–1944) und Apostolos Spilios (1909–1976) aufgenommen – einige davon in Übersetzung von Iosif Brodskij. Die meisten der anthologisierten Namen werden im Eintrag zur neugriechischen Literatur der damals
Der Titel der Anthologie ist dem Text eines der berühmtesten sowjetischen Lieder über den Zweiten Weltkrieg, Der heilige Krieg (Svjaščennaja vojna), aus dem Jahr 1941 entliehen.
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aktuellen KLĖ unter der Rubrik ‚Literatur des Widerstands und der Nachkriegszeit‘ erwähnt (KLĖ 1964, Bd. 2, 357). In der Zeitspanne 1967–1977 wird vom Verlag Chudožestvennaja literatura die monumentale, 200-bändige Buchreihe Biblioteka vsemirnoj literatury (Bibliothek der Weltliteratur) herausgegeben, die praktisch das Verlagsprojekt des 1918 von Gor’kij initiierten, jedoch kurzlebigen Verlags Vsemirnaja literatura verwirklicht (vgl. Khotimsky 2013, 151 f.). Die neugriechische Literatur findet hier Eingang in die zweite und dritte Reihe des Sammelwerks, die jeweils Dichtung des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts abdecken. Im 1977 erschienenen Sammelband Evropejskaja poėzija XIX veka (Europäische Dichtung des XIX. Jahrhunderts) finden sich mehrere Gedichte von Andreas Kalvos (1792–1869), Dionysios Solomos (1798–1857), Panagiotis Soutsos (1806–1868), Alexandros Ragkavis (1809–1892), Andreas Laskaratos (1811–1901), Aristotelis Valaoritis (1824–1879), Georgios Vizyinos (1849–1896), Argyris Eftaliotis (1849–1923), Lorentzos Mavilis (1860–1912) und Kostas Krystallis (1868–1894). Mit Ausnahme von Solomos erscheinen alle Lyriker erstmals in russischer Übersetzung. Im Sammelband Zapadnoevropejskaja poėzija XX veka (Westeuropäische Dichtung des XX. Jahrhunderts) aus demselben Jahr sind die Dichter Ritsos, Seferis, Sikelianos, Palamas, Kavafis, Varnalis, Karyotakis, Vrettakos und Elytis anzutreffen, wobei Kostas Karyotakis (1896–1928) und die Nobelpreisträger Giorgos Seferis (1900–1971) und Odysseas Elytis (1911–1996) zum ersten Mal in russischer Übersetzung erscheinen. Verantwortlich für die Auswahl der Gedichte und Verfasserin der Anmerkungen ist im Fall der griechischen Lyrik Il’inskaja. Die Biblioteka vsemirnoj literatury wurde in einer Massenauflage von über 300.000 Exemplaren herausgegeben. Trotz ihres einzigartigen Umfangs und des anti-eurozentristischen Ansatzes, der bedeutenden Autoren aus Afrika und Lateinamerika einen Platz gesichert hat, wurde der Buchreihe Befangenheit und Tendenziösität in der Auswahl der Autoren und Werke vorgeworfen. Es wird beispielsweise auf die Abwesenheit der Autoren Proust, Joyce und Kafka hingewiesen, während einige Autoren der Volksdemokratien oder der sowjetischen Republiken in einzelnen Bänden verlegt werden (Bagno/Kazanskij 2011, 2085). Im Fall der neugriechischen Literatur und obwohl sie ausschließlich durch Lyrik vertreten wird, ist die Auswahl der Autoren in beiden Bänden – und insbesondere durch die Aufnahme von Karyotakis für das zwanzigste Jahrhundert – repräsentativ für den griechischen klassischen sowie aktuellen Literaturkanon im Bereich Lyrik. Mit der Gattungsangabe ‚Chrestomathie‘ erscheint 1980 der Sammelband Evropa: vek XX (Europa: XX. Jahrhundert), der das Ergebnis einer Zusammenarbeit zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik Deutschland darstellt. Im Geiste der Versöhnung und Beendigung des Kalten Krieges bringt der Band unter dem Stichwort ‚Humanismus‘ diverse lyrische, prosaische und essayistische Texte von Dichtern, Schriftstellern, Denkern und Kulturschaffenden Europas zusammen, unter denen sich Gedichte von Palamas, Kavafis, Varnalis, Seferis und Ritsos befinden. Im Jahr 1983 wird von Sokoljuk eine Griechenland gewidmete Anthologie mit dem Titel Slovo o Grecii: Ėcho Ėllady (Ein Wort zu Griechenland: Das Echo von Hellas)
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herausgegeben, die eine Zusammenstellung von prosaischen, lyrischen und publizistischen Texten russischer und griechischer Autoren und Dichter über das Land bietet und unter anderem Gedichte von Kavafis, Sikelianos, Seferis und Ritsos enthält.43 Sikelianos’ Gedicht Antistasi (Widerstand) wird ein Jahr später im Sammelband Ja žil v surovij vek (Ich lebte in einem rauen Jahrhundert) wieder aufgenommen, der antifaschistische Literatur aus neun westeuropäischen Ländern vorstellt. Erwähnenswert sind zum Schluss zwei thematische Sammelbände ohne direkten politischen Bezug: Im Sammelband Olimpijskij ogon’ (Olympiaflamme), der 1980 im Jahr der Olympischen Sommerspiele in Moskau erscheint und ausgewählte Lyrik von der Antike bis zur Neuzeit zum Thema ‚Sport‘ enthält, wird neben Ritsos auch der Dichter Ioannis Polemis (1862–1924) veröffentlicht, der sonst keine andere Erscheinung in der sowjetischen Literaturlandschaft vorzuweisen hat. In die Liebeslyrikanthologie Pesn’ ljubvi (Liebeslied) von 1981 werden Lyriker des antiken Griechenlands (Sappho, Alkaios u. a.), die Lyriker des neunzehnten Jahrhunderts Dionysios Solomos, Georgios Vizyinos (1849–1896) und Argyris Eftaliotis (1849–1923) sowie die des zwanzigsten Jahrhunderts Palamas, Ritsos, Vrettakos und Elytis aufgenommen. Publikationen neugriechischer Lyrik in sowjetischen Periodika In der Zeitspanne von 1946 bis zu den späten achtziger Jahren werden ca. 150 Veröffentlichungen übersetzter neugriechischer Lyrik in sowjetischen Zeitungen und Zeitschriften abgedruckt. In der überwältigenden Mehrheit sind es Gedichte von Alexis Parnis (33), Petros Antaios (30) und Jiannis Ritsos (30), während die Dichter Vrettakos (7), Seferis (5) und Varnalis (5) mit deutlich weniger Veröffentlichungen folgen. Der große Unterschied in der Anzahl der Veröffentlichungen erklärt sich im Fall der in Griechenland wenig bekannten Autoren Parnis und Antaios sowohl durch den klaren politisch-ideologischen und zumindest in ihrem frühen Werk die sowjetischen Errungenschaften verherrlichenden Charakter ihrer Dichtung als auch durch die Tatsache, dass sie als in Moskau lebende Absolventen des Maxim-GorkiLiteraturinstituts direkten Zugang zu Verlagszirkeln und publizistischen Möglichkeiten hatten. Sechs der insgesamt sieben Veröffentlichungen neugriechischer Lyrik im Zentralorgan des ZK der KPdSU Pravda sind Gedichte von Antaios.44 Die Periodika mit den meisten Publikationen neugriechischer Lyrik sind die auf Literatur und Kultur spezialisierte Wochenzeitung Literaturnaja gazeta (21) und die Monatszeitschrift Inostrannaja literatura (20), in der schwerpunktmäßig übersetzte Literatur publiziert wird. Der Anzahl der Publikationen nach folgen die Tageszeitung Komsomol’skaja pravda (15), die in der Sowjetzeit das Presseorgan der Jugendorgani-
Sonja Il’inskaja bezeichnet diese Anthologie später als „geschmacklos in Bezug auf ihre Illustration“ und „recht problematisch in der Auswahl der Texte“ (Ilinskagia Alexandropoulou 2012, 236). In Pravda (27.12.1962) wird auch ein Gedicht des kommunistischen Dichters Fotis Aggoules veröffentlicht.
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sation der KPdSU (Komsomol) war, und die illustrierte wöchentliche Publikumszeitschrift Ogonëk (14). Das wichtigste Periodikum hinsichtlich der Rezeption und Präsentation neugriechischer Literatur in die sowjetische Literaturlandschaft ist Inostrannaja literatura, das auch die vergleichsweise größte Diversität bezüglich der veröffentlichten Namen aufweist. Die Mehrheit der später mit eigenständigen Gedichtsammlungen erschienenen oder in sowjetischen Anthologien aufgenommenen Lyriker wie beispielsweise Seferis und Kavafis werden erstmalig durch die Inostrannaja literatura vorgestellt, während keiner der Dichter der Politemigration in der Zeitschrift anzutreffen ist. Die meisten Übersetzungen stammen von Sonja Il’inskaja und Junna Moric, Lyrikerin und Übersetzerin von Ritsos, Seferis, Kavafis u. a. ins Russische. Die Rubrik Iz mesjaca v mesjac (Von Monat zu Monat) der Inostrannaja literatura berichtet häufig von literarischen Neuerscheinungen in Griechenland. Il’inskajas ausführliche Rezensionen zu aktuellen griechischen Buchpublikationen werden regelmäßig in der Zeitschrift veröffentlicht. In der Literaturnaja gazeta werden in erster Linie Gedichte von Ritsos, Parnis und Antaios publiziert, wobei in den fünfziger Jahren auch vereinzelte Veröffentlichungen von Leivaditis und Vrettakos, in den sechziger Jahren von den weniger bekannten Kostas Kouloufakos, Giorgis Sarantis und Elli Ioannidou-Belogianni und 1980 von Seferis und Elytis anzutreffen sind. Mehr als die Hälfte der Publikationen neugriechischer Lyrik in der Komsomol’skaja pravda stammen von Antaios. Den zweiten Platz belegt Ritsos und jeweils einmal erscheinen Parnis, Loudemis und Leivaditis. Die Zeitschrift Ogonëk veröffentlicht vorwiegend Gedichte von Antaios und Parnis. Parnis, Antaios, Ritsos Varnalis und Vrettakos wechseln sich in den monatlich erscheinenden Literaturzeitschriften Novyj mir (8), Zvezda (4) und Moskva (4) sowie in den populären Kulturzeitschriften Smena (6), Molodaja gvardija (3) und Rovesnik (3) ab, wobei den ersten zwei genannten Autoren jeweils die meisten Veröffentlichungen zufallen. Diese am häufigsten veröffentlichten Dichter werden gelegentlich auch in regionalen Literaturzeitschriften wie Don oder Volga sowie in Zeitungen der sowjetischen Republikhauptstädte wie beispielsweise in Kasachstans Kazachstanskaja pravda, Kirgisiens Sovetskaja Kirgizija und Litauens Vecernie novosti nachgedruckt. Während Il’inskaja hauptsächlich mit Inostrannaja literatura zusammenarbeitet, werden die Gedichte, die in den anderen oben erwähnten Periodika gedruckt werden, größtenteils übersetzt vom Journalisten und Literaturkritiker Nikita Razgovorov, aber auch von anderen bekannten sowjetischen Dichtern und Übersetzern wie Evgenij Evtušenko, Boris Sluckij, Robert Roždestvenskij, David Samojlov, Jurij Levitanskij, Michail Matusovskij, Evgenij Dolmatovskij, Julija Nejman und Nina Podzemskaja. Zwischenbemerkungen zu den Lyrikpublikationen In der frühen Nachkriegszeit und während der griechische Bürgerkrieg noch im Gange ist, sind sporadische Veröffentlichungen von griechischen Volks-, Wider-
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stands- und Partisanenliedern heutzutage wenig bekannter oder auch anonymer Verfasser in sowjetischen Periodika anzutreffen, die vorwiegend aus dem Französischen übersetzt werden. Durch die publizistische Tätigkeit der griechischen Autoren und Philologen der Politemigration sowie einiger sowjetischer Hellenisten wird ab den späten fünfziger und bis in die späten achtziger Jahre eine erhebliche Anzahl von griechischen Dichtern in der Sowjetunion vorgestellt. In den fünfziger und sechziger Jahren sind das in ihrer Mehrheit Dichter der Generation der Nachkriegszeit, die zu dieser Zeit in Griechenland populär und in mehrfacher Weise mit der Widerstands- und der linken Bewegung verbunden sind. Ihre Einführung als Vertreter der ‚progressiven‘ griechischen Literatur in die sowjetische Literaturlandschaft wird nicht in direkten Zusammenhang mit der sozialistisch-realistischen Stilrichtung gebracht, sie ist jedoch von Anti-Kriegs- bzw. antifaschistischen sowie philosowjetischen Narrativen und einer impliziten, nach dem Beispiel des jeweils durch die Peritexte vorgestellten Dichters zu sozialen Kämpfen aufrufenden Rhetorik begleitet. Die bemerkenswerte Popularität, die Alexis Parnis in den fünfziger und sechziger Jahren in der Sowjetunion genießt, ist hingegen grundsätzlich auf die Aneignung der ideologisch-ästhetischen Postulate des Sozrealismus in seinem Werk zurückzuführen. Sein Aufstieg durch eine umfangreiche Unterstützung sowjetischer Verleger stößt Ende der sechziger Jahre auf Einwände bei einigen zu dieser Zeit in der Sowjetunion lebenden, hochrangigen Führungskadern der KKE, die massive Bedenken gegen bestimmte Entscheidungen der sowjetischen Publikationspolitik äußern. In einem Geheimdokument des ZK der KPdSU vom 25. Oktober 1961 wird das Treffen des Ersten Sekretärs der KKE Kostas Koligiannis und des Sekretärs des ZK Panos Dimitriou, die als „Freunde“ erwähnt werden, mit dem Stellvertreter der Internationalen Abteilung des ZK der KPdSU Sergej Romanovskij protokolliert. Unter anderem ist zu lesen: Im Weiteren haben die Freunde das Thema der Ausgabe übersetzter griechischer Literatur in der Sowjetunion detailliert angesprochen. Sie sind erstaunt über die Tatsache, dass es keine strenge Auswahl der publizierten Bücher gibt und aus diesem Grund häufig bei weitem nicht die besten Werke publiziert werden. Insbesondere verstehen sie überhaupt nicht, warum die sowjetischen Literaturkreise einen solchen Autor wie Parnis in der Sowjetunion veröffentlichen und hochpreisen mussten, der nicht die progressive griechische Literatur vertritt und dazu noch von der Kommunistischen Partei ausgeschlossen wurde, weil er die Freunde an der Arbeit gehindert hat. Die Freunde baten darum, von nun an bei der Planung der Veröffentlichung von Werken griechischer Schriftsteller mit ihnen bei Gelegenheit Rücksprache zu halten. (RGANI: F. 5, Op. 50. Ed. chr. 363, L. 144)
Ähnlich wie im Fall des von der Partei ausgeschlossenen, aber trotzdem in der Sowjetunion viel publizierten Dichters Vrettakos manifestieren sich in dieser Angelegenheit die parteiinternen Widersprüche der griechischen KP und die Inexistenz einer einheitlichen ideologischen Linie hinsichtlich der Publikationspolitik. Ab dem Jahr 1962 verschwindet Parnis fast völlig aus dem sowjetischen Verlagswesen, wäh-
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rend die erwünschte „Rücksprache“ mit einer Reihe an Treffen des sowjetischen Botschafters mit griechischen Dichtern und Schriftstellern in Athen sowie anderen Koordinationsversuchen eingeführt wird, die häufig zu Publikationsvorschlägen führen (s. Unterkapitel 1.1.2 und 1.3). Während die meisten der in den sechziger Jahren eingeführten Dichter auch in den darauffolgenden Jahrzehnten durch Neuauflagen oder Publikationen in Periodika präsent bleiben, findet ab den siebziger Jahren mit der Übersetzung von Dichtern der Vorkriegsgenerationen und der Aufnahme umstrittener Stilrichtungen in Anthologien ein Paradigmenwechsel statt. Die Publikation der – aus frühsowjetischer Sicht – ‚Ästheten‘ Palamas, Kavafis und Sikelianos deutet auf eine allmähliche Abkehr der Selektionskriterien von Thematiken und Motiven mit direktem politischen Bezug hin. Obwohl die paratextuellen Strategien ihrer Präsentation größtenteils immer noch auf die früher erwähnten Narrative und Legitimationskontexte der Nachkriegszeit greifen und somit die Dichter in gewisser Hinsicht instrumentalisieren, können diese Publikationen aufgrund der historisch-philosophischen Reflexion dieser Dichtung (analog zur Entwicklung des russischen historischen Romans) auch im Rahmen der allgemeinen Hinwendung zu historischen Sujets im Russland der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts gesehen werden. Während die eigenständigen Publikationen und Anthologien ab den siebziger Jahren immer mehr Diversität in der Auswahl der Autoren und der vertretenen Stilrichtungen aufweisen, dominieren in den hoch aufgelegten sowjetischen Massenzeitschriften Veröffentlichungen der politischen Dichter der Nachkriegszeit und der Politemigration während der gesamten Sowjetzeit.
1.1.2 Übersetzung, Publikation und Rezeption neugriechischer Prosa Selbstständige Prosapublikationen und Anthologien Das erste in der Sowjetunion publizierte griechische Prosawerk I alithini apologia tou Sokrati (Podlinnaja apologija Sokrata, Die wahre Apologie des Sokrates, 1965) von Varnalis erscheint 1935 unmittelbar nach der Teilnahme des Autors am 1. Allunionskongress der Sowjetschriftsteller (1934) in Goslitizdat (übers. von G. N. Grammatikopulo). Varnalis greift auf den Prozess gegen Sokrates vor dem Volksgericht von Heliaia zurück und verwandelt seine Rechtfertigung gegenüber den Anklagen in eine scharfe Kritik gegen die attische Demokratie und dadurch auch das Establishment sowie die Unterdrückungsmaßnahmen im Griechenland der dreißiger Jahre. Die BSĖ bezeichnet das Werk als ein „Pamphlet“, in dem „die philisterhaften Ideale der bürgerlichen Kultur stark verspottet werden“ (1952, Bd. 12, 570). In seinem Interview im offiziellen Organ der KKE Rizospastis, gleich nach seiner Rückkehr von dem Kongress, spricht Varnalis bezüglich der sowjetischen Publikation der Apologie von einer „besonderen Ehre“:
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Eines Abends kommt der Direktor des staatlichen Literaturverlags, Nakobiankov, zu mir und sagt mir, dass die Übersetzung meines Werkes „Die wahre Apologie des Sokrates“ vom Kommissariat genehmigt wurde. Am letzten Tag habe ich auch das entsprechende Abkommen eilig unterzeichnet. […] Es ist eine besondere Ehre, die einem zuteil wird. […] Und ich betrachte es als Ehre, dass mein Buch für würdig befunden wurde, zu der neuen Kosmogonie beizutragen. (Varnalis 2014, 274)
Die russische Übersetzung verleiht dem Werk Geltung und Prestige, wie die erneute Bezugnahme des Autors darauf im Vorwort der dritten griechischen Auflage des Buches in Athen (1946) belegt: „Die ‚Apologie‘ wurde ins Russische übersetzt und in einer Auflage von 10.000 Exemplaren gedruckt, die innerhalb von fünf Tagen vergriffen waren“ (Varnalis 1978, 12). Dieser Vermerk wird ab diesem Zeitpunkt auch in allen darauffolgenden griechischen Auflagen des Werkes nachgedruckt. 1950 erscheint der Roman Eikostos aionas (V dvadcatom veke, Tränen und Marmor, 1949) von Melpo Axioti in russischer Übersetzung aus dem Französischen, die auf den Erfolg des Romans in Frankreich und die Tätigkeit der Autorin im Weltkongress der Friedensfreunde 1949 in Paris zurückzuführen ist. In den späten vierziger und frühen fünfziger Jahren genießt Axioti in Bezug auf den Weltkongress eine gelegentliche Präsenz in der sowjetischen Presse,45 die jedoch nicht zu weiteren selbstständigen Publikationen führt. Ausschnitte aus dem Roman, dessen Übersetzung und Rezeption im zweiten Kapitel genauer untersucht wird, erscheinen 1950 in der Zeitschrift Smena und 1952 in der Zeitschrift Molodaja gvardija. Die Veröffentlichung zweier aus ihrer Sammlung Syntrofoi, kalimera! (Guten Tag, Genossen!, Im Schatten der Akropolis, 1955) stammenden Erzählungen Mitte der sechziger Jahre schließt Axiotis literarische Präsenz in der Sowjetunion ab. Analog zum Fall der Lyrik werden die Publikationen neugriechischer Prosa ab den späten fünfziger und insbesondere den sechziger Jahren mit ca. zwei bis vier Ausgaben jährlich systematisch. Diese erhöhte Publikationsaktivität ist größtenteils Ergebnis der markanten Mobilität, die im Bereich der griechisch-sowjetischen Kulturbeziehungen in dieser Zeit stattfindet (s. Unterkapitel 1.3). Eine Reihe von Informations-, Koordinations- und Vernetzungsversuchen zum Zweck der Verstärkung der interkulturellen Beziehungen zwischen Griechenland und der UdSSR manifestieren sich in der Korrespondenz zwischen Parteiorganen, Schriftsteller- und Freundschaftsverbänden, in den ausführlich protokollierten Treffen des sowjetischen Botschafters mit griechischen Literaten in Athen und nicht zuletzt in den ebenso dokumentierten Reisen griechischer Autoren in die UdSSR (und vice versa denjenigen von sowjetischen Autoren und Prominenten nach Griechenland). Eine entsprechende Mobilität findet auch im Bereich der darstellenden Künste – Theater und Filmkunst – statt, deren Analyse über den Rahmen der vorliegenden Arbeit hinausgeht.
Siehe beispielsweise die Zeitungsnummer der Izvestija vom 22.04.1949 (S. 3), der Literaturnaja gazeta vom 23.04.1949 (S. 4), 27.02.1951 (S. 3) und der Pravda vom 29.04.1949 (S. 33).
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Die erste im Archivmaterial des sowjetischen Schriftstellerverbandes vorhandene Empfehlung neugriechischer Literaturwerke zur Übersetzung ins Russische stammt vom sogenannten ‚Literaturkreis‘ der KKE – einer Gruppe von Autoren, die für Fragen der parteilichen Literaturpolitik verantwortlich sind und die sich zu dieser Zeit im rumänischen Exil befinden. In einem 1954 an den sowjetischen Schriftstellerverband gerichteten Schreiben46 werden sieben Werke zur Publikation in der UdSSR vorgeschlagen: a) die Erzählsammlung Vourkomenes meres (1953, Tränenerfüllte Tage) von Menelaos Loudemis, b) die Erzählsammlung Syntrofoi, kalimera! (1953, Im Schatten der Akropolis, 1955) von Melpo Axioti, c) die Feuilletons Grammata ap’ to Makronisi (1952, Briefe aus Makronisi) von Themos Kornaros, d) der Roman Kainourioi anthropoi (1954, Neue Menschen) von Georgios Grivas, e) das Theaterstück Dynatoi anemoi (1954, Starke Winde) von Fanis Makronisiotis47, f) der Gedichtzyklus Fysaei sta staurodromia tou kosmou (1953, Es weht an den Weltkreuzungen) von Tasos Leivaditis und g) der Roman O Kapetan Michalis (1953, Freiheit oder Tod / Kapitän Michalis, 1957) von Nikos Kazantzakis. Die ersten fünf sind kurze Zeit zuvor im Exilverlag der KKE Nea Ellada in Rumänien publiziert oder neu aufgelegt worden. Zur Begründung der Auswahl erwähnen die Unterschreibenden: Die ersten sechs Autoren sind Kämpfer für Freiheit, Unabhängigkeit und Frieden. Die Mehrheit von ihnen hat viele Jahre in Gefängnissen und im Exil verbracht. Einige von ihnen befinden sich auch heute noch auf den wüsten Inseln. N. Kazantzakis ist ein alter Schriftsteller. Und ganz abgesehen davon, dass er viele falsche Ansichten hat, stellt sein letztes Werk „Kapitän Michalis“ ein patriotisches Werk dar, was besagt, dass seine Übersetzung in die russische Sprache sowohl dem Autor selbst als auch bei der Frage des Friedens des griechischen Volkes helfen würde. (RGALI: F. 631, Op. 26, Ed. chr. 1533, L. 1)
Aus dem Archivmaterial des sowjetischen Schriftstellerverbandes von 1954 wird ersichtlich, dass biographische Informationen zu allen sieben Personen gesammelt wurden, die in Form geraffter biographischer Notizen mit einer Kurzdarstellung der
Das Dokument ist nicht datiert. Laut Mitsos Alexandropoulos soll das Schreiben 1954 oder 1955 verfasst worden sein (Jalamas 2011, 38). Als terminus ante quem des Schreibens kann das Sterbejahr (1957) des darin erwähnten und zu dieser Zeit noch lebenden Autors Nikos Kazantzakis betrachtet werden. Das Vorhandensein biographischer Notizen zu den Autoren aus dem Jahr 1954 im Archivbestand des sowjetischen Schriftstellerverbandes (RGALI) spricht jedoch für dieses Jahr als Entstehungsjahr des Schreibens, das von den Literaten Takis Adamos, Kostas Bosis, Mitsos Aleksandropoulos, Theodosis Pieridis, Elli Alexiou, Dimos Rentis, Antonis Vogiazos und Apostolos Spilios unterschrieben wird. Fanis Kampanis’ Künstlername.
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oben genannten Werke vorliegen. Obwohl einige von ihnen (Loudemis, Leivaditis und Kazantzakis) in den darauffolgenden Jahren in der UdSSR publiziert werden, erscheint keins der hier vorgeschlagenen Werke als eigenständige Ausgabe in russischer Übersetzung. Teile davon werden dennoch in Auszügen veröffentlicht. Im Jahr 1958, als Menelaos Loudemis (1906–1977) anlässlich seiner Erzählungssammlung Vourkomenes meres des Hochverrats und unpatriotischer Gesinnungen beschuldigt vor Gericht steht und seine Bücher gerichtlich verboten werden, erscheinen drei Kurzgeschichten aus der Sammlung in den Zeitschriften Inostrannaja literatura und Ogonëk, während die gesamte Sammlung im selben Jahr in ukrainischer Übersetzung in Kiew herausgegeben wird.48 Die umstrittene und von der Partei hinsichtlich ihrer Anwendung des sozialistischen Realismus heftig diskutierte49 Kurzgeschichtensammlung Axiotis Syntrofoi, kalimera! wird vom unbekannten Verfasser der biographischen Notiz als „eins der besten Werke der letzten Zeit“50 bezeichnet. Aus dieser Sammlung stammen die Erzählungen O syggrafeas (Pisatel’, Der Schriftsteller), die 1963 in der von Izvestija herausgegebenen Zeitschrift Nedelja veröffentlicht wird, und To foniko (Mogila, Der Mord), die in die aus Protesttexten von politischen KZ-Häftlingen bestehenden Anthologie Echo katorgi (1964) aufgenommen wird. In Einklang mit der parteilichen Einschätzung des Romans Kapitän Michalis steht im Kurzbericht des Archivs zu Nikos Kazantzakis unter anderem: Der Schriftsteller durchlief viele Übergänge und hatte falsche Sichtweisen. Aber seine letzte Erzählung „Kapitän Michalis“ stellt ein patriotisches, progressives Werk dar. Es erweckt eine heroische Seite aus dem Kampf Kretas für seine nationale Unabhängigkeit. Die Seiten des Buches schildern den erbitterten Kampf der Völker gegen die türkischen Eroberer. Mit bemerkenswertem Geschick zeichnet das Buch die Liebe des Volkes zum russischen Volk und seinen Hass auf die „Franken“ nach – auf westliche Kräfte – die sich der Befreiung Kretas entgegen stellten. Sein letztes Buch bezeugt, dass Kazantzakis nach einem Weg zum Volk sucht. (RGALI: F. 631, Op. 26, Ed. chr. 1527, L. 3 f.)
Obwohl der Roman in allen Ostblockstaaten – unter anderem 1965 in der Ukraine51 – relativ schnell nach seinem Erscheinen übersetzt und herausgegeben wird,52 wird
Ludemis, Menelaos. 1958. Zaplakani dni. Übers. von N. Golovko, T. Černišova. Deržlitvidav: Kyїv. Der Literaturkreis stellt in den Erzählungen zahlreiche ‚politische Fehler‘, untypische, nicht lebhafte Helden sowie stilistische Schwächen fest und diktiert Veränderungsvorschläge, denen die Autorin schließlich Folge leistet. Ausführlich zum Verlauf der Diskussion siehe Mathhaiou/Polemi 1999, 61–87, 129–145. RGALI: F. 631, Op. 26, Ed. chr. 1527, L. 1. Kazandzakis, Nikos. 1965. Kapitan Michalis: Svoboda abo smert’. Übers. Grečanivs’kyj I., Močos, Ja., Močos Viktorija. Kyïv: Vydavnytstvo khudozhn’oi literatury „Dnipro“. Der Roman ist beispielsweise 1956 in Slowenien, 1957 in der DDR, 1958 in Ungarn, 1960 in Polen und der Tschechoslowakei, 1962 in Rumänien, 1965 und 1975 in der Ukraine und 1978 in Bulgarien erschienen.
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in Russland nur ein Auszug daraus in die Anthologie Rasskazy grečeskich pisatelej (Erzählungen griechischer Schriftsteller) 1959 aufgenommen. Einen Einblick in die möglichen Gründe dieser selektiven Publikation gewährt der Bericht, den Anestis Stoltidis als Referent für die Auslandskommission des sowjetischen Schriftstellerverbandes im März 1957 verfasst: Kazantzakis’ Schaffen ist äußerst widersprüchlich. Manchmal kommt er zu einem Verständnis von sozialer Ungerechtigkeit und kämpft in seinen Werken dagegen. Manchmal predigt er reaktionäre Ansichten und dann finden sich in seinen Werken Nachklänge von Nietzscheanismus, Chauvinismus und Antisemitismus. […] Neben den positiven Seiten hat der Roman seine Schwächen. Das Wichtigste ist, dass seine Helden und insbesondere Kapitän Michalis statisch sind. In der Gestaltung der Figur des Michalis ist der Einfluss des Nietzscheanismus zu fühlen. Kazantzakis stellt ihn als Übermensch, als Ausnahmeperson dar. (RGALI: F. 631, Op. 26, Ed. chr. 1530, L. 3 f.)
Die Anthologie Rasskazy grečeskich pisatelej, herausgegeben von Petros Antaios, erscheint 1959 mit einem Vorwort des sowjetischen Schriftstellers Il’ja Ėrenburg im Verlag Inoizdat (Izdatel’stvo inostrannoj literatury) und enthält Texte von 21, in ihrer Mehrheit bekannten Autoren diverser politischer Ausrichtungen der Zwischen- und Nachkriegszeit.53 Mit Bezugnahme auf das kulturelle Erbe der griechischen Antike und von Byzanz konstantiert Ėrenburg im Vorwort der Ausgabe die Bedeutung Griechenlands für die Geschichte der russischen Kultur. Seine Gegenüberstellung der ruhmvollen Vergangenheit mit dem tragischen und der sowjetischen Leserschaft größtenteils unbekannten modernen Griechenland und dessen Literatur ist in den sowjetischen Peritexten übersetzter neugriechischer Literatur ein häufig anzutreffendes Einführungsnarrativ. Die Beispiele der Dichter Palamas, Ritsos, Sikelianos und der Prosaiker Kazantzakis und Myrivilis sprechen laut Ėrenburg für eine ebenso geistund kunstvolle griechische Gegenwart. Jenseits des Versuchs, das Interesse der russischsprachigen Leserschaft für die moderne griechische Literatur zu wecken, liest sich der Text Ėrenburgs im Hintergrund der Tauwetter-Rhetorik der ‚friedlichen Koexistenz‘ als Gegenthese zur ideologisch motivierten Auffassung der ‚westlichen Einflüsse‘ in der Literatur als bürgerliche Dekadenz oder gar als ‚Unterwerfung‘: Die moderne griechische Literatur ist mit tausendjährigen Traditionen verbunden – das ist die Literatur eines alten Volkes. Zugleich verschloss sie sich nie vor wohltätigen Einflüssen, die von außen herkamen: die Romantiker, Byron und Hugo, Balzac und Stendhal, der russische Roman des XIX. Jahrhunderts, die Parnassiens, die Symbolisten, Tschechow und Gorki, die Prosa der amerikanischen Schriftsteller der Zwischenkriegszeit, die Dichtung von Majakowski, Neruda, Éluard, Nâzim Hikmet sind den griechischen Schriftstellern bekannt. Sogar die listi-
Die anthologisierten Autorinnen und Autoren sind Elli Alexiou, Kostas Varnalis, Ilias Venezis, Dimosthenis Voutyras, Petros Eirinaios, Nikos Kazantzakis, Nikos Kasdaglis, Nikos Katiforis, Themos Kornaros, Christos Levantas, Menelaos Loudemis, Vasilis Loulis, Giannis Maglis, Stratis Myrivilis, Lilika Nakou, Nikos Papaperiklis, Kosmas Politis, Vasilis Rotas, Andreas Fragkias, Dimitris Hadzis und Stratis Tsirkas.
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gen Strategen, die versuchen, die Welt in „Osten“ und „Westen“ zu unterteilen, bleiben vor Griechenland ratlos stehen – es kann keiner dieser völlig bedingten Definitionen zugeordnet werden. (Ėrenburg 1959, 6)
Ėrenburg, der zwei Jahre zuvor Griechenland zum dritten Mal besucht und seine Bekanntschaft mit und Bewunderung für griechische Literaten häufig öffentlich anbringt,54 zögert nicht die Frage der Repräsentativität der Textauswahl anzusprechen und äußert seine Bedenken hinsichtlich der redaktionellen Entscheidungen in Bezug auf die Zusammenstellung des Sammelbandes: Ich enthalte mich des Urteils, inwiefern die Auswahl der Autoren oder der Kurzgeschichten das künstlerische Niveau der griechischen Literatur widerspiegelt. Solche Sammlungen werden gewöhnlich „Anthologien“ genannt – das ist ein griechisches Wort und es bedeutet „Sammlung von Blumen“. Aber das Bouquet ist kein Herbarium des Botanikers. Man wählt Blumen nach seinem Geschmack und seiner Neigung aus. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass einige Autoren anhand dieser Sammlung schwer zu beurteilen sind. Der große Schriftsteller Kazantzakis schrieb Verse, Romane, Theaterstücke, Essays, aber keine Erzählungen, und das herausgeschnittene Kapitel kann auf keinerlei Weise einen Eindruck vom Schaffen dieses vielschichtigen Autors geben, dessen Bücher in dutzende Sprachen übersetzt wurden. Kostas Varnalis ist ein Dichter und die in der Sammlung enthaltene Erzählung erklärt dem russischen Leser nicht die Rolle dieses Autors in der griechischen Literatur. (Ebd., 8)55
Im selben Jahr und Verlag erscheinen auch die Romane Synnefiazei (Tuči sguščajutsja, dt. in etwa: Der Himmel wird mit Wolken bedeckt) und Ena paidi metraei t’ astra (Mal’čik cčitaet zvëzdy, Ein Kind zählt die Sterne, 1960) des viel gelesenen und von der griechischen Literaturkritik häufig als Maksim Gor’kij Griechenlands bezeichneten Menelaos Loudemis in einem Band. Der erste Roman thematisiert den Bevölkerungsaustausch nach dem Griechisch-Türkischen Krieg anhand der Freundschaft zwischen Melios, einem jungen verwaisten griechischen Geflüchteten aus Istanbul, und seinem türkischen Freund Soukris. Der zweite Roman schildert das arme Leben von Melios in der griechischen Provinz und vor allem seine Bemühungen um das Recht auf Bildung. Übersetzt werden die Werke aus dem Neugriechischen vom sowjetischen Indologen und Philologen Aleksandr Senkevič. Ein Jahr später, 1960, folgt die Publikation des zweiten Teils des Romans Ein Kind zählt die Sterne unter dem Titel Doroga terjaetcja v lesu (dt. in etwa: Der Weg verschwindet im Wald). Im Eintrag der 2. Auflage der BSĖ wird Loudemis als Autor der „patriotischen“ Gedichte Govorit Moskva und Stalingrad erwähnt, die „sich heimlich während der Nazi-Okkupation verbreiteten“ (1952, Bd. 12, 570). Das Hauptthema seines
Siehe dazu beispielsweise: Ėrenburg, Il’ja. 1957. Razmyšlenija v Grecii. In: ders. 1960. Putevye zapisi. Japonija, Grecija, Indija. Moskau: Izd. Isskustvo, S. 97–128 sowie Ėrenburg, Il’ja. 1967. V Grecii. In: Literaturnaja gazeta 19 (09.05.1967), S. 14. Seine Anerkennung für Kazantzakis, Varnalis und Ritsos spricht Ėrenburg auch in einem Interview für die Zeitschrift Epitheorisi Technis während seines Besuchs in Griechenland 1957 ausdrücklich aus (vgl. P. K. 1957, 522).
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Schaffens stellt laut Eintrag in der KLĖ „die freudlose Kindheit und das Schicksal der entrechteten, glücklosen Menschen“ dar (1964, Bd. 2, 358). Motsios ordnet ihn in der 3. Auflage der BSĖ einer Gruppe von Autoren zu, die das Thema des „‚kleinen Menschen‘ als Opfer der bürgerlichen Gesellschaft erarbeiten“ (1972, Bd. 7, 313). In seinem Nachwort zu der Ausgabe präsentiert Antaios die Biographie und die Widerstandstätigkeit des „Poeten-Bürgers“ Loudemis mit dem familiären Ton eines mit ihm vertrauten Menschen und unter Miteinbeziehung einiger Momente aus verschiedenen gemeinsamen Treffen: Und Loudemis begann plötzlich ein Gedicht über Moskau vorzutragen, mit leiser Stimme vorzutragen, aber so, als ob diese Stimme nicht aus einer, sondern aus tausenden Brüsten entsprünge: „Ici Moscou! Parla Mosca … Govorit Moskva!“ (Anteos 1959, 316)
Der Beitrag Gor’kijs zu Loudemis’ Schaffen fasst in der Ausführung von Antaios (mit Ausnahme der durch die Biographie des Autors geleisteten ‚Parteilichkeit‘) alle Merkmale des sozialistisch-realistischen Schaffens zusammen, der laut der bekannten Formel Stalins ‚national in der Form, sozialistisch im Inhalt‘ sein soll: Einen großen Einfluss auf Loudemis übte Maxim Gorki aus, der beliebteste ausländische Schriftsteller in Griechenland. Die Themen, die Loudemis auswählt, die Volkstümlichkeit seines Stils, die Heldenfiguren und insbesondere die realistische Kraft der Darstellung des Volkslebens, der gehoben-romantische Ton der Erzählweise – all das ist Ergebnis von Gorkis fruchtbarem Einfluss. Dennoch bleibt bei alledem das Schaffen von Loudemis tief national, getränkt von den Leben spendenden Säften des Mutterbodens. (Ebd., 318)
Einige der Publikationsvorschläge etablierter griechischer Autoren, die Ėrenburg indirekt im Vorwort der Anthologie griechischer Erzählungen macht, wiederholt der sowjetische Akademiker Boris Rybakov in einem Schreiben an den Verlag Chudožestvennaja literatura nur wenige Jahre später.56 Ιn seiner Eigenschaft als Präsident des 1958 gegründeten Freundschaftsverbandes UdSSR-Griechenland beschwert sich Rybakov beim Verlag über den Stillstand in Bezug auf die Publikation übersetzter neugriechischer Literatur und bezieht sich auf das Beispiel des schon 1957 abgeschlossenen Vertrages mit Petros Antaios über die Zusammenstellung einer Gedichtsammlung des griechischen Nationaldichters Dionysios Solomos, deren Publikation nicht vorwärts kommt.57 In diesem Zusammenhang empfiehlt Rybakov die Aufnahme ins Verlagsprogramm der Romane Kapitän Michalis und O Christos xanastavronetai (Griechische Passion) von Kazantzakis, der Chronik Mesologgi (Mesolongi) von Dimitris Fotiadis, einer Anthologie „klassischer“ neugriechischer Prosa (ebd.) mit Werken bedeutsamer Prosaiker Ende des neunzehnten und Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts wie Papadiamantis, Vizyinos, Karkavitsas, Theotokis, Xe-
Das Dokument ist nicht datiert. Als terminus post quem kann das Jahr 1960 und terminus ante quem das Jahr 1962 identifiziert werden. Solomos’ Gedichtsammlung wurde schließlich 1964 veröffentlicht (s. dazu Unterkapitel 1.1.1).
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nopoulos, Chatzopoulos, Eftaliotis, Paroritis, Voutyras u. a., sowie Gedichtsammlungen von Palamas und Sikelianos. 1961 erscheint im Verlag Inostrannaja literatura eines der bedeutendsten kanonischen griechischen Prosawerke des zwanzigsten Jahrhunderts, der 1924 entstandene Antikriegsroman Zoi en tafo (Žizn’ v mogile, Das Leben im Grabe, 1986) von Stratis Myrivilis (1890–1969). Der Roman thematisiert den Ersten Weltkrieg aus Sicht eines sich im Schützengraben befindenden Soldaten, der Tagebuch über seine Erlebnisse und Gefühle führt. Das Kriegsthema wird darin nicht in einer heroischen Dimension, sondern ohne Verschönerungen, als brutale und grausame Realität behandelt. Die Übersetzung des Romans, getätigt von der Philologin Lina Lazareva und der Historikerin und Journalistin Larisa Tjurina, wird mit einem Vorwort des Literaturwissenschaftlers und Hellenisten Andrej Beleckij veröffentlicht, der als Vertreter des Sowjetischen Komitees zum Schutze des Friedens (Sovetskij komitet zaščity mira) im Jahre 1957 (zusammen mit Ėrenburg und Polevoj) Griechenland besucht und Myrivilis kennenlernt. Beleckij nimmt keinen direkten Bezug auf Myrivilis’ politische Überzeugungen, ordnet ihn dennoch aufgrund der von ihm bedienten Volkssprache (Dimotiki) indirekt den „progressiven“ Autoren Griechenlands zu (1961, 7). Ebenso zurückhaltend äußert er sich hinsichtlich der literarischen Ausrichtung seines Werkes: Wenn ich die literarische Richtung seines Schaffens definieren müsste, würde ich am ehesten das schon nicht sehr ‚rezente‘ Wort Modernismus verwenden. […] um mich nicht bei den Definitionen zu verschätzen, musste ich das Schaffen von Myrivilis näher kennenlernen. […] Kurz gesagt habe ich verstanden, dass das Schaffen von S. Myrivilis nicht mit einem Wort zu definieren ist, dermaßen mannigfach und komplex ist es. (Beleckij 1961, 6)
Zwei indirekte Kritikpunkte Beleckijs weisen auf den Erwartungshorizont des Kritikers und der Leserschaft hin, der von den weit verbreiteten aggressiven Feindnarrativen der Kriegs- und Nachkriegszeit sowie den vom Sozrealismus geforderten ausdrücklichen Optimismus in der Literatur mitgeprägt ist. Beleckij identifiziert sich nicht mit der „allverzeihenden christlichen Feindessliebe“ (ebd., 10) des Haupthelden und diktiert durch seine Ablehnung sowohl ein Gefühl, dessen normative Wirkung durch Pluralis Auctoris intensiviert wird, als auch eine Auffassung von bedingtem Humanismus: Wenn Kostoulas die Entscheidung des Militärgerichts über die Hinrichtung der Angeklagten wegen Fahnenflucht hört und einen der Vertreter der Militärbehörden mit widersprüchlichen Gefühlen von Ekel und Mitleid anschaut, erzeugt er kaum Empathie in unseren Seelen. (Ebd., 11)
Indem er weiterhin behauptet, dass die Romanfiguren „verdammt zu physischem oder moralischem Niedergang“ nicht “an den Endsieg des Friedens über den Krieg, an die Möglichkeit der Abschaffung der Kriegsgründe“ (ebd., 12) glauben, unterstellt Beleckij dem Roman einen Pessimismus, der sich jedoch nicht aus dem Inhalt erschließen lässt. In der bekannten Romanszene „Der Mohnblumenhügel“ – um
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nur ein Beispiel zu nennen – in der die griechischen Soldaten einem russischen Regiment begegnen, knüpft der romantische Pazifismus des Erzählers an die sozialistische Völkerfreundschaft an: Wir aßen zusammen und unterhielten uns stundenlang, ohne dass einer die Sprache des anderen kannte. Dennoch verständigten wir uns prächtig. Liebe und Hass sprechen eine internationale Sprache. […] Als wir uns zum Abmarsch aufstellten, steckten uns die Russen Mohnblumen in die Gewehrmündungen. […] Wie viel Liebe es doch auf der Welt gibt? Überschäumend wie ein Fluss […]. Blühend wie ein Hügel voller Mohnblumen […]. Und du brauchst dich nur zu bücken, um sie zu pflücken. (Dt. zit. n. Myrivilis 2015, 84 f.)
Im Eintrag der 3. Auflage der Malaja sovetskaja ėnciklopedija (Kleine Sowjetische Enzyklopädie, MSĖ), in dem Myrivilis zum ersten Mal Erwähnung findet, wird sein Schaffen als „widersprüchlich“ bezeichnet (1959, Bd. 3, 148). Im Eintrag der KLĖ erwähnt Spathis, dass die Romane Das Leben im Grabe und Die Lehrerin mit den Goldaugen großen Zuspruch in Griechenland fanden, „aber der Individualismus des Schriftstellers, der in der Folgezeit verstärkt wurde, entfremdete ihn von der sozialen Problematik“ (1964, Bd. 2, 356). Im gesonderten Eintrag der KLĖ zum Autor werden hingegen die politischen Überzeugungen durch die Stilrichtung kompensiert: „das realistische Prinzip siegt bei Myrivilis über die konservativen Ansichten“ (Močos 1967, Bd. 4, 856). Bemerkenswert ist die Publikationsgeschichte des historischen Romans Papas Ioannis XXIII. Vios kai politeia tou Valtasar Kossa58 (Žizn i dejatel’nost’ Baltazara Kossy. Papa Ioann XXIII, Johannes XXIII.: Leben und Tätigkeit von Baldassare Cossa,) des wenig bekannten Historikers und Journalisten der griechischen Zeitung Ethnos, Alexandros Paradeisis (1899–1977). Der Roman erscheint 1959 in Athen und wird durch Vermittlung des damaligen sowjetischen Handelsbeauftragten 1961 in Übersetzung von Aleksandr Senkevič im Verlag Inostrannaja literatura publiziert. Mit dichten historiographischen Literaturangaben, Elementen der Abenteuerliteratur (Gefahrensituationen, Piratengeschichten usw.) und pornographischen Darstellungen seines Sexuallebens schildert der Roman die sittenwidrige Lebensführung und den Aufstieg des Gegenpapstes Johannes XXIII. in der Zeit des Abendländischen Schismas und bietet in summa eine anti-klerikalische Unterhaltungslektüre an. In seinem Nachwort zur Ausgabe beschreibt der Historiker Michail Vozčikov den Roman als „prägnanten Zeugenbeweis gegen die katholische Kirche“ (1961, 275). Die Motivation des Autors hinsichtlich der russischen Übersetzung seines Werkes wird im Berichtsprotokoll seines Treffens mit Grenkov, dem Vertreter des Sojuz sovetskich obščestv družby i kul’turnych svjazej s zarubežnymi stranami (Verband so-
Der vollständige Titel lautet: Papas Ioannis XXIII. Vios kai politeia tou Valtasar Kossa, tou archipeiratou, pou kathise ston papiko throno pente chronia (Johannes XXIII.: Leben und Tätigkeit Baldassare Cossas, des Archipiraten, der den Papst-Thron für fünf Jahre bestieg).
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wjetischer Gesellschaften für Freundschaft und kulturelle Verbindungen mit dem Ausland, SSOD), im August 1962 in Athen ersichtlich. Grenkov berichtet: Er ist sehr froh, dass das Buch in russischer Sprache veröffentlicht wurde, da niemand die griechische Sprache kann und die dreitausend Exemplare, die in Griechenland herausgegeben wurden, können dem Katholizismus natürlich keinen Schaden zufügen. Aus dem Russischen kann es jeder übersetzen. Insbesondere wollte er, dass dieses Buch in Polen und Ungarn veröffentlicht wird, wo der Katholizismus immer noch sehr stark ist. (RGALI: F. 631, Op. 26, Ed. chr. 1555, L. 9)
Drei Jahre nach der Publikation des Romans richtet Paradeisis ein Schreiben an den sowjetischen Schriftstellerverband mit dem Anliegen, aufgrund eines gesundheitlichen Problems zur medizinischen Behandlung in die „so fortgeschrittene“ Sowjetunion mit ihren „wunderbaren Heilmethoden“59 reisen zu dürfen. Er fragt dazu, inwiefern die Reise durch das Autorenhonorar finanziert werden könne, obwohl er zur Zeit der Publikation nach Aufforderung durch die sowjetische Seite vertraglich auf seine Vergütung verzichtet habe.60
RGALI: F. 631, Op. 26, Ed. chr. 1568, L. 1. Die UdSSR ist der Berner Übereinkunft zum Schutze von Werken der Literatur und Kunst (1886), die den zwischenstaatlichen Urheberrechtsschutz reguliert, nie beigetreten. Das führte zu zahlreichen Übersetzungen und Publikationen von ausländischen Autoren ohne deren Einwilligung (oder die ihrer gesetzlichen Erben) und ohne Bezahlung von Autorenhonoraren oder Lizenzgebühren für die Buchrechte. „In the Soviet Union, the whole notion of copyright was ignored; authors abroad knew they were being translated in the Soviet Union but could not do anything about it and would not get a penny from the the Soviet publishing houses“ (Kamovnikova 2019, 81). In mehreren Fällen wurde durch öffentliche Proteste (A. J. Cronin) oder auch Gerichtsverfahren (A. Conan Doyles Erbe) erfolglos versucht, Autorenhonorare oder Tantiemen a posteriori zu beanspruchen (vgl. Žirnov 2003; Resin 2017). Es ist in diesem Zusammenhang bezeichnend, dass Lampis Myrivilis, der Sohn von Stratis Myrivilis, über die sowjetische Publikation des Romans seines Vaters Das Leben im Grabe 1961 post factum und aus der Presse erfährt und anschließend den Kontakt zum sowjetischen Botschaftssekretär sucht, um die Auflagenhöhe, den Übersetzer und die Reaktion der sowjetischen Literaturkritik auf das Buch zu erfragen sowie um einige Exemplare u. a. zur Vorlage beim Nobelkomitee im Rahmen der Kandidatur seines Vaters im selben Jahr zu bitten. In diesem Zusammenhang übermittelt L. Myrivilis dem Botschafter das Anliegen seines Vaters, eine offizielle Antwort hinsichtlich seiner Rechte auf ein Autorenhonorar in der Sowjetunion zu bekommen (RGALI: F. 631, Op. 26, Ed. chr. 1548). Stratis Myrivilis selbst spricht die Frage des Autorenhonorars bei einem späteren Treffen mit dem Vertreter des SSOD (1962) erneut an und bekommt von Grenkov die Antwort „Ich weiß nur, dass sie bei weitem nicht immer zahlen, nur in bestimmten Fällen und nur in Rubel“. Seinen Bericht über dieses Treffen schließt Grenkov mit der Anmerkung “Es scheint angebracht, die Anliegen von Myrivilis nach Möglichkeit zu erfüllen“ (RGALI: F. 631, Op. 26, Ed. chr. 1555, L. 1 f.). Das Honorar erhält Myrivilis schließlich während seines MoskauAufenthalts 1963. Insbesondere in der Nachkriegszeit und in Zusammenhang mit der neuen Rolle der Sowjetunion als Siegermacht auf der Weltbühne vergütete die KPdSU regelmäßig ausländische Schriftsteller, deren Aktivitäten und Arbeit die Partei als zweckmäßig erachtete oder die als ‚Freunde‘ der UdSSR galten (beispielsweise Romain Rolland, Lion Feuchtwanger, Martin Andersen Nexø u. a.). Solche Vergütungen erfolgten nicht nur monetär, sondern auch in Form von Sachleis-
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Als Referentin des sowjetischen Schriftstellerverbandes informiert Sonja Il’inskaja die Auslandskommission intern zum Fall von Paradeisis: Alexandros Paradeisis […] ist in Griechenland nicht sehr bekannt. Die Tatsache, dass sein Roman in der UdSSR veröffentlicht wurde, stieß innerhalb der griechischen Schriftstellerkreise auf Verwirrung, worüber auch der Redakteur der Zeitschrift „Epitheorisi technis“ Despotidis und der Schriftsteller Kotzias während ihres Aufenthalts in der UdSSR erzählt haben. Aufgrund der Tatsache, dass die Kontakte des Schriftstellerverbandes mit griechischen Schriftstellern sehr begrenzt sind, wird die Einladung von Paradeisis in die UdSSR kaum von Bedeutung sein. Wenn jedoch die Möglichkeit eingeräumt wird, seinem Anliegen auf Behandlung in der UdSSR auf Kosten seines Honorars außerhalb des Kulturaustauschplans mit Griechenland nachzukommen, wäre es wünschenswert, diesem Anliegen nachzukommen. (RGALI: F. 631, Op. 26, Ed. chr. 1568, L. 3)
Bezüglich des Anliegens von Paradeisis, das Parteiunterstützung zu genießen scheint, folgen weitere interne Vorgänge: „Die Botschaft der UdSSR in Griechenland unterstützt die Bitte des Schriftstellers Paradeisis und verweist auf die positivste Bewertung seines Schaffens seitens der griechischen Freunde“ (ebd., L. 4). In Erwartung einer Antwort wendet sich der Autor im März 1965 erneut an den Schriftstellerverband, der sich allerdings schließlich gegen seine Einladung entscheidet. Eine Delegation sowjetischer Schriftsteller, die in der Zwischenzeit Griechenland besucht, stellt vor Ort fest, dass „dieser Mensch, keine Aufmerksamkeit verdient“ (ebd., L.7). 1980 und 1981, zwei Jahrzehnte nach seiner ersten Veröffentlichung, wird der Roman als ein „lebendiger und aufschlussreicher Beweis für das menschenfeindliche Wesen der katholischen Kirche“61 in Minsk neu aufgelegt. Anfang der neunziger Jahre im Zuge der Wiederaktualisierung der religiösen Frage und insbesondere der Diskussion über die Mitgliedschaft der Russischen Orthodoxen Kirche in ökumenischen Kirchenstrukturen (vgl. Fjodorow 2010) erlebt der Roman mit wiederholten Neuauflagen in mehreren Erscheinungsorten, die eine Höhe von bis zu 300.000 Exemplare erreichen, eine publizistische Blütezeit.62 Interessant in diesem Zusammenhang ist der Kanonisierungsakt des Verlags Belarus’ (Minsk), der 1991 Paradeisis’ Buch zusammen mit dem klassischen Werk der neugriechischen Literatur I Papissa Ioanna (1866, Die Päpstin Johanna, 1879) von Emmanouil Roidis aufgrund
tungen (Einladungen, Empfänge, Rundreisen in der UdSSR u. ä.). Ähnlich wurden bei weitem nicht alle griechischen Autoren für die sowjetische Publikation ihrer Werke vergütet. Aus der Korrespondenz mit dem sowjetischen Schriftstellerverband erschließt sich, dass Fragkias, Terzakis und Vasilikos Autorenhonorare erhielten. 1973 hat sich die UdSSR dem Welturheberrechtsabkommen (Genf, 1952) angeschlossen, während die Berner Übereinkunft 1995 von der Russischen Föderation unterzeichnet wurde. Zit. n. dem Klappentext. Paradisis, Aleksandr. 1980. Žizn i dejatel’nost’ Baltazara Kossy. Papa Ioann XXIII. Minsk: Belarus’. Der Roman wird unter anderem 1990 in Charkiw (Verlag Interbuk), 1991 in Moskau (Verlage Takt und Novator) und Leningrad (Verlag Ekslibris), 1992 in Ivanovo (Verlag Talka) neu aufgelegt.
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einer scheinbar thematischen Ähnlichkeit in einem Band publiziert. Auch der historische Roman Bal’tazar Kossa (2006) des sowjetischen Autors Dmitrij Balašov stellt im Rahmen seiner anti-ökumenischen Rhetorik eine explizite kritische Auseinandersetzung mit Paradeisis’ Werk dar. Eine andersartige Rezeption jenseits des Religiösen bezeugt die 1994 erschienene Anthologie Blef (Bluff) im Verlag Paradoks, die neben Paradeisis’ Roman die frivolen Romane Justine von Marquis de Sade und Histoires légères de Marie-Antoinette von Guy Breton enthält.63 1961 erscheint mit dem Titel Parfenon osveščaetsja (Der Parthenon wird beleuchtet) eine Sammlung von fünf Erzählungen des als Politemigrant in der Sowjetunion lebenden Schriftstellers Mitsos Alexandropoulos (1924–2008) in Übersetzung von Il’inskaja und Kokurina im Verlag Pravda. In der einführenden Autorennotiz der Ausgabe, die in der bemerkenswerten Auflagenhöhe von 150.000 Exemplaren gedruckt wird, wird Alexandropoulos explizit als „griechischer Schriftsteller, Kommunist“64 bezeichnet. 1962 wird der erste Teil seiner Romandilogie Nychtes kai auges (Noči i rassvety, Nächte und Morgenröte) im Verlag Molodaja gvardija herausgegeben, deren zweiter Teil Ta vouna (Gory, Die Berge) 1967 mit einem Vorwort von Boris Polevoj erscheint. Mit der Appropriierung des sozialistischen Realismus und der Übersetzung dieser Dilogie, die 1978 und 1985 neu aufgelegt wird, befasst sich das zweite Kapitel der vorliegenden Arbeit ausführlicher (s. Unterkapitel 2.2.2). 1965 erscheint in Pravda die Erzählungssammlung Sud (Der Prozess). Eine weitere Erzählungssammlung mit dem Titel K zvezdam (Zu den Sternen), die 1970 im Verlag Progress erscheint, erhält unter anderem die umstrittene Erzählung Oi antipaloi (Protivniki, Die Gegner), die einige Jahre früher (1966) und trotz der ursprünglichen Einwände des Autors von der Publikation der Sammlung Leuki akti (Belyj bereg, Weiße Küste) vom Exilverlag der KP als ‚politisch falsch‘ ausgeschlossen wurde.65 Eine weitere Erzählungssammlung mit dem Titel Bud’te sčastlivy (Seien Sie glücklich) folgt 1973 im Verlag Pravda. 1976 Samantha Sherry argumentiert, dass die Fremdliteratur einen Sonderstatus in der Sowjetunion besaß, der ihr – selbst während der stalinistischen Periode, vor allem aber in der Entstalinisierungszeit – eine relative inhaltliche Flexibilität erlaubte. Fremdliteratur repräsentierte „an ‚escape‘ from ideologically correct socialist realism“ (Sherry 2015, 1) und „was able to escape the worst excesses of official intervention that continued to affect domestic literature, and came to occupy an area in the cultural sphere that was somewhat sheltered“ (ebd., 134). In ähnlicher Weise behauptet die russische Dichterin und Übersetzerin neugriechischer Lyrik, Junna Moric, in Bezug auf die sowjetischen Publikationen neugriechischer Literatur: „[…] so gelangte die Poesie seiner [Alexandropoulos’] griechischen Heimat des zwanzigsten Jahrhunderts in den russischen Buchdruck, als unsere Zensur in Übersetzungen ausländischer Literatur solche ‘Eigenheiten’ zuließ, die in der russischen Literatur im Keim erstickt worden wären“ (Moric 2016). Diese Position kann auf Grundlage der Forschungsergebnisse der vorliegenden Arbeit nicht in Bezug auf die Gesamtheit der Übersetzungen neugriechischer Literatur vertreten werden, jedoch stellte der Status von Paradeisis’ Roman als Fremdliteratur – angesichts seines ‚unanständigen‘ Inhalts – sehr wahrscheinlich einen zusätzlichen begünstigenden Faktor für die Zustimmung zu seiner Veröffentlichung Anfang der sechsiger Jahre dar. Aleksandropulos, Micos. 1961. Parfenon osveščaetsja. Moskau: Pravda, S. 2. Für diese Diskussion siehe Matthaiou/Polemi 2003, 666–668.
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erscheint die aus drei Novellen bestehende Sammlung Ta thaumata erxontai stin ora tous (Čudesa proischodjat vovremja, Die Wunder kommen rechtzeitig), die 1981 mit einem Vorwort von Boris Polevoj und 1988 im Verlag Sovetskij pisatel’ neu aufgelegt wird. Polevoj skizziert im Vorwort dieser Ausgabe ein heroisches Bild des griechischen Nationalcharakters, dessen Endadressat das sowjetische Nationalgefühl ist: Wir haben großes Interesse an dem Leben Griechenlands, seinem Volk, seiner sehr alten und zeitgenössischen Kultur und aus diesem Grund werden die Romane, Erzählungen und Novellen des griechischen progressiven Schriftstellers Mitsos Aleksandropoulos mit Aufmerksamkeit und gutem Gefühl in unserem Land gelesen. […] Den Menschen des Widerstands sind viele Erzählungen dieser Sammlung gewidmet […]. […] und sie werden zweifellos eine lebhafte Reaktion in den Herzen der sowjetischen Menschen auslösen, die besser als jedes der anderen heutigen Völker wissen, was Krieg ist, und den Preis des Mutes kennen. (Polevoj 1981, 3 f.)
1980 erscheint der historische Roman Skines apo ton vio tou Maximou tou Graikou (Sceny iz žizni Maksima Greka, Szenen aus dem Leben Maxims des Griechen) im Verlag Chudožestvennaja literatura mit 30.000 Exemplaren und 1983 in einer fünfmal so hohen Auflage im Verlag Sovetskij pisatel’. 2004 wird er im Verlag OGI neu aufgelegt. Dieser Roman von Alexandropoulos, der sich von der bis zu diesem Zeitpunkt im Werk des Autors dominierenden Widerstandsthematik entfernt und einem Aspekt der russisch-griechischen Geschichte des sechzehnten Jahrhunderts zuwendet, wird im dritten Kapitel ausführlich analysiert. 1985 wird der Reisebericht Oi Armenides (Putešestvie v Armeniju, Die Armenier) im Verlag Progress herausgegeben, der 1989 und 1990 von Sovetskij pisatel’ neu aufgelegt wird. Alexandropoulos ist hinsichtlich sowohl der Anzahl seiner in russischer Übersetzung veröffentlichten Werke als auch der Anzahl der Neuauflagen und der Auflagenhöhe, die sie genießen, mit Abstand der am meisten publizierte griechische Schriftsteller in der Sowjetunion. Zurückzuführen ist das einerseits auf die thematisch-inhaltlichen und formal-ästhetischen Merkmale eines großen Teils seines Werkes, die es in der Tradition des sozialistischen Realismus erscheinen lassen, andererseits aber auch auf außerliterarische Faktoren. Als in Moskau lebender Absolvent des Maxim-Gorki-Literaturinstituts – und hier stellt Alexandropoulos keine Ausnahme dar – verfügt er über direkten Zugang zu Verlagszirkeln und Strukturen des Literaturbetriebs. Das Archivmaterial zeigt beispielsweise, dass Alexandropoulos in persönlicher Korrespondenz mit sowjetischen Verlagen steht und sich daher direkt (bzw. ohne die Vermittlung der Botschaft oder anderer Instanzen, wie im Fall der in Griechenland lebenden Literaten zu beobachten ist) um die Publikation seiner Werke und sie betreffende Anliegen kümmern kann.66 Darüber hinaus verschafft ihm die eheliche Beziehung zu Sonja Il’inskaja, Hellenistin und Übersetzerin unter anderem des größten Teils seines Werks, einen unmittelbaren Zugang zu dessen Übersetzungs-
Siehe hierzu beispielsweise RGALI: F. 1234, Op. 22, Ed. chr. 1413, L. 13.
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prozess, wodurch das gesamte Publikationsverfahren beschleunigt wird.67 Alexandropoulos hat durch selbstständige Publikationen, Veröffentlichungen in Periodika, Teilnahmen an Anthologien und gelegentliche journalistische Beiträge eine kontinuierliche publizistische Aktivität in der Sowjetunion, die sich in der Zeit nach seiner Repatriierung (1975) und in der post-sowjetischen Zeit fortsetzt. Weitere Buchempfehlungen zur Übersetzung und Publikation in der UdSSR kommen von der sowjetischen Botschaft in Athen und erreichen über den Freundschaftsverband UdSSR-Griechenland die Auslandskommission des sowjetischen Schriftstellerverbandes im Januar 1961.68 Davon werden sie unmittelbar an die Redaktionen der Verlage Inostrannaja literatura und Goslitizdat sowie der Zeitschrift Inostrannaja literatura weitergeleitet. Empfohlen werden: a) der Roman Galaria noumero 7 (Stollen Nr. 7, Dunkle Schächte, 1974) von Kostas Kotzias, b) das Poem Kantata gia tria disekatommyria fones (Kantate für drei Milliarden Stimmen) von Tasos Leivaditis, c) der historische Roman Oi rizes tou potamou (Die Wurzeln des Flusses) von Zisis Skaros, d) das Poem O chronos exo apo to fos (Die Zeit jenseits des Lichtes) von Stathis Protaios und e) das historiographische Werk Filiki Etaireia (Filiki Eteria oder Freundesgesellschaft) von Tasos Vournas. Die Werke der wenig bekannten Autoren Skaros, Protaios und Vournas werden nicht veröffentlicht.69 Ein Fragment der Kantate von Leivaditis wird im selben Jahr in der Zeitung Komsomol’skaja pravda (05. Juli 1962) publiziert und das gesamte Werk erscheint als eigenständige Publikation 1968 im Verlag Progress (s. Unterkapitel 1.1.1). Kostas Kotzias (1921–1979) gehört (zusammen mit Alexandropoulos) zu den wenigen Autoren, deren Werk systematisch in russischer Übersetzung erscheint und Neuauflagen erlebt. Sein Roman Dunkle Schächte (Zaboj nomer sem’), der zur Zeit des oben erwähnten Schreibens – wie es sich aus dem Antwortschreiben des Verlagsdirektors Pavel Čuvikov erschließt70 – zur Publikation vorbereitet wird, erscheint 1962 in Übersetzung von Petros Antaios und Nina Podzemskaja im Verlag Inostrannaja li-
Die Zusammenarbeit funktioniert auch umgekehrt, indem Alexandropoulos Ilʼinskajas Arbeit für die griechische Leserschaft übersetzt. In seiner Übersetzung erscheint beispielsweise 1976 Ilʼinskajas Monographie Poėzija Soprotivlenija v poslevoennoj Grecii: Sudʼba odnogo pokolenija (Nauka, 1974) im Verlag Kedros (I moira mias genias. Symvoli sti meleti tis metapolemikis politikis poiisis stin Ellada). RGALI: F. 613, Op. 26, Ed. chr. 1552, L. 1. Eine Erzählung von Zisis Skaros wird in die Anthologie griechischer Erzählungen Promach i drugie povesti (1983, Verlag Raduga) aufgenommen. RGALI: F. 631, Op. 26, Ed. chr. 1552, L. 3.
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teratura und wird 1970 im Verlag Progress und 1978 im Verlag Sovetskij pisatel’ neu aufgelegt. Ausgehend von einem Streik der Braunkohlebergarbeiter schildert der Roman das Leben und die Kämpfe der griechischen Arbeiterklasse im Athen der frühen fünfziger Jahre. Obwohl der Roman sowohl durch die sowjetische Botschaft als auch explizit von der Parteiführung zur Publikation in der Sowjetunion empfohlen wird und Kotzias einer der wenigen griechischen Autoren ist, deren Werk sich aus Sicht der heutigen Literaturkritik eindeutig den Regeln des Sozialistischen Realismus unterordnet (vgl. Kokoris 1995, 257), existieren bei der Besprechung des Romans im Literaturkreis, die seiner Publikation im Jahr 1961 vom Exilparteiverlag Politikes kai Logotechnikes Ekdoseis (PLE) vorangehen, unterschiedliche Meinungen. Takis Adamos schreibt beispielsweise in seiner Stellungnahme: Wenn ein bürgerlicher Schriftsteller all dies geschrieben hätte, dann wäre das nicht nur willkommen, sondern würde auch Werbung und Erscheinung verdienen. Weil dieser bürgerliche Schriftsteller damit einen großen Schritt in die Richtung des kritischen Realismus gemacht hätte. Sein Text wäre […] eine Stigmatisierung der modernen bürgerlichen Zivilisation, der amerikanischen Lebensweise. Für einen kommunistischen Schriftsteller ist das aber unzulässig. Das ist gegen die Prinzipien des sozialistischen Realismus. (Zit. n. Matthaiou/Polemi 1999, 383).
Rezensionen, die nach der Publikation des Romans in linken Zeitschriften erscheinen, und vor allem die Veröffentlichung des vom hellenophilen Kriegsveteranen und Radiojournalisten Spartak Alekseev71 verfassten Nachworts der russischen Ausgabe in griechischer Übersetzung in der Zeitschrift Neos Kosmos 1962 (vgl. Matthaiou/Polemi 2003, 383) legitimieren die Publikation. Wie der Roman selbst ist auch das Nachwort Alekseevs in Anlehnung an den für die Literaturkritik verbindlichen sozialistischen Realismus verfasst. Durch die Schaffung der „herrlichen Figuren der Kommunisten Stephanos und des Alten“ erhebt der „Schriftsteller-Bürger Kotzias mit künstlerischen Mitteln seine leidenschaftliche Stimme für die Verteidigung der Demokratie“ (Alekseev 1962, 365). Ostrovskijs Motiv des gelähmten doch unerbittlichen Kommunisten verkörpert sich erkennbar in der Figur des Haupthelden, der „so kämpft, wie es sich für einen Kommunisten geziemt – nicht mit der stoischen Geduld eines Märtyrers, sondern mit dem Geist des Erbauers einer neuen, hellen Welt“ (ebd.). In einem recht dramatischen Ton, der mit der nüchternen Darstellungsweise des Romans nicht korrespondiert, beschreibt Alekseev die Figuren der Kämpfer, die sich vom Klassenkampf zurückzogen, und daher mit dem „Albtraum der geistigen Verarmung“, dem „moralischen Verfall“, ihrem eigenen
Spartak Petrovič Alekseev (1925–2009) arbeitet Mitte der fünfziger Jahre in der ‚griechischjugoslawischen‘ Redaktion des sowjetischen Auslandsrundfunks Stimme Russlands (Golos Rossii). Zu seinen Arbeitskollegen gehören in dieser Zeit auch viele griechische Politemigranten wie Petros Antaios, Anestis Stoltidis, Maria Mpeikou, der Fotograf und Kameramann Apostolos Mousouris, der Filmregisseur Antonis Vogiazos u. a. (vgl. Sidiropulos 2005; Kokurina 2009).
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„hypertrophischen Individualismus“ und dem „Schlittern in den Abgrund des Klassenverrats“ konfrontiert werden (1962, 362 ff.). Trotz der eindeutigen Stilrichtung und des Vorhandenseins vieler Motive des konventionellen sozrealistischen Romans sind in der russischen Übersetzung Anzeichen einer Intensivierung des Heroischen sowie beschönigende Modifizierungen (beispielsweise Auslassungen von Schimpfwörtern oder als dekadent angesehenen Verhaltensweisen wie Alkoholkonsum) zu identifizieren. Nach der Machtübernahme der Junta im Jahr 1967 emigriert Kotzias nach Moskau, wo er als Korrespondent des offiziellen Organs der KP Rizospastis und anderer griechischer Zeitungen arbeitet. 1969 wird in russischer Übersetzung von Podzemskaja sein erster Roman Kapnismenos ouranos (Zakopčennoe nebo, Verrußter Himmel) im Verlag Progress herausgegeben, der 1982 im Verlag Sovetskij pisatel’ neu aufgelegt wird. „Geschrieben unter dem Einfluss von Gorkis Roman ‚Die Mutter‘“ – wie Alekseev behauptet (ebd. 361) – thematisiert der Roman mit Fokus auf die Arbeiterklasse den nationalen Widerstand in der Zeit der deutschen Besatzung. Das Vorwort der Ausgabe verfasst der sowjetische Schriftsteller Sergej Smirnov in seiner Rolle als Vorsitzender des von ihm im November 1967 gegründeten Sovetskij komitet solidarnosti s grečeskimi demokratami (Sowjetisches Solidaritätskomitee für die griechischen Demokraten), das unmittelbar nach Ende der griechischen Militärjunta 1974 aufgelöst wurde. Ähnlich wie Alekseev bezieht sich auch Smirnov auf die Vorbildfunktion der russischen Literatur für das Werk von Kotzias: Als realistischer Schriftsteller kristallisiert er sich unter dem unmittelbaren Einfluss der russischen Klassiker des XIX. und XX. Jahrhunderts, insbesondere Tolstois und Gorkis, heraus. […] Und wenn schon die Rede von Einflüssen ist, die sein Schaffen prägten, sollte als erstes „Die Mutter“ von Gorki genannt werden – viele Werke von Kotzias sind in ihren Motiven und Bildern nah an diesem berühmten Buch. (Smirnov 1969, 6 f.)
Die Neuauflage des Romans (1982) wird mit einem Nachwort von Anna Kozlovskaja, der Übersetzerin aus dem Griechischen und Ehefrau von Kotzias, publiziert. Aus der für die sowjetischen Peritexte ungewöhnlichen Ich-Perspektive sowie mithilfe von Zitaten aus Interviews und Zeitungsbeiträgen skizziert Kozlovskaja das Porträt eines ideologisch „unbeugsamen“ Autors – „wie dieser Held seines letzten Romans“ (1982, 292) – sowie seine Zuneigung zu Russland: Kostas liebte Russland leidenschaftlich. Er freute sich über all unsere Errungenschaften, empfand herzliches Mitleid für unsere Schwierigkeiten, verneigte sich vor der russischen Literatur und Kunst. (Ebd., 293)
1977 erscheint in Übersetzung von Podzemskaja sein Roman O paranomos (Podpol’ščik, Der Illegale), der vom anti-diktatorischen Widerstand in den Jahren der griechischen Militärjunta handelt. Auch beim früher erwähnten Treffen der Sekretäre der KKE Kostas Koligiannis und Panos Dimitriou mit dem Stellvertreter der Internationalen Abteilung des ZK der
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KPdSU Sergej Romanovskij am 25. Oktober 1961 kommt es zu Literaturempfehlungen. Bezeichnend für die Vielzahl der am zentral gesteuerten sowjetischen Literaturbetrieb beteiligten Instanzen ist die Tatsache, dass Kopien dieses Gesprächsprotokolls an die Internationale Abteilung des ZK der KPdSU, die sowjetischen Außen-, Kultur- und Bildungsministerien, den SSOD, den sowjetischen Schriftstellerverband, die Verlage Goslitizdat und Inoizdat und schließlich die Sowjetische Botschaft in Athen geschickt werden. Der Schriftstellerverband reagiert unmittelbar auf das Anliegen der Bruderpartei und so wird diese Buchliste im November desselben Jahres an den Direktor des Goslitizdat Grigorij Vladykin erneut weitergeleitet, der folgende Publikationsempfehlungen72 in Betracht ziehen soll: a) das Werk „Ostrov pytok“73 (Folterinsel) von Menelaos Loudemis, b) den Roman Fotia (1946, Feuer) von Dimitris Hadzis, c) den Roman Stratopedo tou Chaidariou (1945, KZ Chaidari, Leben auf Widerruf, 1964) von Themos Kornaros, d) eine Aufsatzsammlung zur bürgerlichen Ideologie von Markos Augeris, e) eine Erzählungsammlung von Kostas Varnalis, f) den Roman Galaria noumero 7 (1960, Dunkle Schächte, 1974) von Kostas Kotzias, g) eine Anthologie griechischer Literatur, h) die in französischer Sprache herausgegebene Broschüre Pour l’amnistie en Grèce (1962, Für die Amnestie in Griechenland). Ausgehend von den bereits veröffentlichten Werken sowie denjenigen, die in der darauffolgenden Zeit erscheinen (s. u.), wird ersichtlich, dass die Parteivorschläge zum größten Teil umgesetzt werden. Ausnahmen sind der Roman des bereits publizierten Loudemis, die marxistischen Essays von Augeris und der Roman von Kornaros, der jedoch 1981 in ukrainischer Sprache in Kiew erscheint.74 Die Broschüre Pour l’amnistie en Grèce (Za amnistiju v Grecii), übersetzt aus dem Französischen, wird 1962 vom Verlag Inostrannaja literatura veröffentlicht. Im Verlag Chudožestvennaja literatura erscheint 1962 der Roman O Christos xanastauronetai (Christa raspinajut vnov’, Griechische Passion, 1951) von Nikos Kazantzakis (1883–1957). Die Handlung des Romans spielt in den Jahren 1921–1922 im kleinen, unter osmanischer Herrschaft stehenden griechischen Dorf Lykovrysi in Anatolien. In RGALI: F. 631, Op. 26, Ed. chr. 1552, L. 19. Im Archivdokument wird der Roman mit einem provisorisch ins Russische übersetzten Titel erwähnt. Es handelt sich jedoch anhand der Thematik, auf die dieser hindeutet, sowie der übrigen empfohlenen Bücher, von denen die meisten 1962 vom Exilverlag in Rumänien herausgegeben werden, mit großer Wahrscheinlichkeit um den Roman Odos Avyssou arithmos 0 (etwa: Abyssusstraße 0), der 1962 sowohl in Athen als auch vom Exilverlag publiziert wird. Diese Annahme wird von einem weiteren Dokument mit Publikationsvorschlägen aus dem Jahr 1962 unterstützt, in dem Loudemis’ Roman namentlich erwähnt wird. Siehe hierzu Goulandris 2001, 260 (Eintrag 367). Der Roman wird von Giannis Motsios herausgegeben: Kornaros, Temos. 1981. Konctabir Chajdari. Übers. Grečanivs’kyj I., Močos, Ja. Kyïv: Molod’.
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der Karwoche wird dort gemäß der örtlichen Tradition die Passion Christi nachgestellt. Die Ankunft einer wegen des griechisch-türkischen Krieges (1919–1922) vertriebenen Gruppe griechischer Geflüchteter, die in Lykovrysi um Nahrung und Unterkunft bittet, spaltet die Dorfbewohner, die sich allmählich mit den Rollen, die sie verkörpern, identifizieren. Die Auseinandersetzung zwischen den wohlhabenden Dorfautoritäten, die sich für die Aufrechterhaltung des Status quo und ihrer Privilegien einsetzen, und dem Hirten Manolios, der als Christus zusammen mit den Aposteln und den Geflüchteten für Gerechtigkeit und Gemeineigentum kämpft, gipfelt in einem bewaffneten Aufstand, der analog zum biblischen Sujet mit der Ermordung von Manolios endet. Wie schon aus den früher zitierten parteilichen Begutachtungen des Romans Kapitän Michalis hervorgeht, gilt Kazantzakis aus linker Sicht als bürgerlichidealistischer Schriftsteller. Erst in seinem Nachkriegswerk finden sich Konvergenzpunkte (revolutionäre Motive, soziale Kämpfe usw.) mit der linken Ideologie. Es ist in diesem Zusammenhang kein Zufall, dass in den sowjetischen Enzyklopädien der Zwischenkriegszeit keine Verweise auf Kazantzakis und sein Schaffen anzutreffen sind, während die späteren Einträge fast ausschließlich auf sein Nachkriegswerk Bezug nehmen. 1959 findet sich in der 3. Auflage der MSĖ nur eine kommentarlose Erwähnung der Romane Kapitän Michalis und Griechische Passion (Bd. 3, 148). Im Eintrag der KLĖ, die als Spezialenzyklopädie auch einen separaten Eintrag zum Autor enthält, schreibt Spathis, dass „die Verleugnung der bürgerlichen Moral, der Protest gegen die Unterdrückung und Ausbeutung“ mit „der Predigt idealistischer Ansichten“ in Kazantzakis’ Schaffen kombiniert werden (1964, Bd. 2, 358). Bezugnehmend auf die zwei früheren Werke Moscou a crié und Ti eida sti Rousia (Was ich in Russland sah), die Ergebnis mehrfacher Reisen des Autors im frühsowjetischen Russland gewesen sind, notiert Spathis in einem gesonderten Eintrag, dass Kazantzakis die Oktoberrevolution zwar begrüßte, „dennoch ihre schöpferischen Aufgaben nicht verstanden“ hat. Die Romane Kapitän Michalis und Griechische Passion sind laut Spathis die einzigen mit „wahrhaft verkörperten Charakteren“ (1966, Bd. 3, 294). Im Eintrag der 3. Auflage der BSĖ schreibt Motsios, dass Kazantzakis’ Nachkriegswerk von „Kampfpathos mit bürgerlichen Einstellungen und religiöser Bigotterie“ gekennzeichnet ist (Močos 1972, Bd. 7, 313). Aus einem Verlagsdokument vom 18. Januar 1962 erschließt sich, dass die Aufnahme des Romans Griechische Passion ins Verlagsprogramm auf Vorschlag des Freundschaftsverbandes UdSSR-Griechenland und der „griechischen Genossen“75 erfolgt. Für einen ersten Eindruck über den Romaninhalt wird die Annotation, die vom Übersetzer der ukrainischen Ausgabe76 des Romans, Ivan Kavvadias, verfasst worden ist, aus Kiew eingeholt. Die russische Übersetzung, die in Zusammenarbeit zwi RGALI: F. 613. Op. 9. Ed. сhr. 1179. L. 21. Kazantzakis, Nikos. 1958. Christa rozpinajut’ znovu. Übers. von Grečanivs’kyj I., Kavvadias I. Kyïv: Radjanskij pis’mennik. In der Perestroika-Zeit werden in Kiew noch zwei historische Romane für Kinder (1986) und der Roman Alexis Sorbas (1989) von Kazantzakis veröffentlicht.
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schen Giannis Motsios und dem sowjetischen Übersetzer und Literaturhistoriker Igor’ Postupal’skij entsteht, wird von der Übersetzerin französischer Literatur R. Titova lektoriert. Die Notwendigkeit dieses Lektorats wird durch die Komplexität des Sprachstils des Romans sowie die „recht kleine“ Erfahrung des Verlags in der Publikation neugriechischer Literatur begründet.77 Titova stellt eine Reihe „unangenehmer Fehler“ stilistischen Charakters fest (Literalismen, Flüchtigkeitsfehler und eine große Anzahl an griechischen Wörtern, die unübersetzt geblieben sind – „anscheinend aus Angst, dass der Roman sein nationales Kolorit“ verliert) und nimmt Änderungen vor, die auf eine „Milderung der Übersetzungssprache“ (ebd.) abzielen: Im Allgemeinen ist es den Übersetzern gelungen, den Stil des Originals beizubehalten und seine Eigenart zu vermitteln. Bei der Bearbeitung des Romans mussten alle oben genannte Textdefizite ausgebessert werden. Schwer verständliche oder stilistisch misslungene Sätze wurden radikal überarbeitet. Es war notwendig, passendere Äquivalente für die Sprichwörter auszuwählen, viele Wiederholungen zu entfernen und die direkte Rede natürlicher zu gestalten. (RGALI: F. 613, Op. 9, Ed. chr. 1179, L. 11 f.)
Mit der Begutachtung des von Motsios verfassten Vorworts der Ausgabe wird Antaios beauftragt, der Verbesserungsvorschläge in Bezug auf die Genauigkeit der Formulierungen und strategische Empfehlungen hinsichtlich der Darstellung der Weltanschauung von Kazantzakis macht. Antaios’ Rezension des Vorworts gewährt Einsicht sowohl in die Rezeption des Autors als auch die Präsentationsstrategien der Peritexte an sich: Der einleitende Artikel von G. Motsios […] gibt ein ziemlich vollständiges Bild der komplexen und kontroversen Arbeit von N. Kazantzakis und des Lebens dieses großen griechischen Asketen und Reisenden, dieses geplagten Odysseus der modernen griechischen Literatur ab. Der Autor des Artikels analysiert aus der Perspektive der marxistischen Ästhetik und mit Verständnis der Merkmale des künstlerischen Schaffens im Westen, insbesondere in Griechenland, nicht nur die philosophischen und ideologischen Irrfahrten von Kazantzakis, sondern auch seine Erfolge, und fokussiert sich auf die letzte und fruchtbarste Periode mit seinen bedeutendsten Romanwerken. […] es kommt uns vor, dass der Gedanke ‚Aber es ist zu betonen, dass Kazantzakis nie von der idealistischen Philosophie gefangen genommen wurde, sondern immer er selbst geblieben ist’ deutlicher ausgedrückt werden soll. Natürlich wird Kazantzakis häufig von der reaktionären idealistischen Philosophie gefangen genommen. Das können wir und sollen wir betonen, indem wir gleichzeitig sagen, dass die reiche Lebenserfahrung und das große Talent dem Schriftsteller geholfen haben, sich von ihrem Einfluss zu befreien, einen fruchtbareren Weg zu beschreiten und zu einem progressiven, friedfertigen und demokratischen Verständnis der Aufgaben unserer Zeit und der Aufgaben des Schriftstellers zu gelangen. Hier könnten die bekannten Worte von Kazantzakis über die Rolle des Schriftstellers heutzutage angeführt werden, dass er sich selbst zu den Schriftstellern zählt, die mit Blick auf die große Zukunft der Menschheit schaffen. (RGALI: F. 613, Op. 9, Ed. chr. 1179, L. 14 f.)
RGALI: F. 613. Op. 9. Ed. сhr. 1179. L. 21.
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Nach zweifacher Überarbeitung wird die endgültige Fassung des Vorworts vom Redakteur Finikov mit einer für einen nicht-fiktionalen Text recht ungewöhnlichen Bezeichnung genehmigt: Der Text sei jetzt „auf dem richtigen literarischen und künstlerischen Niveau“78 geschrieben. „Aus der Perspektive der marxistischen Ästhetik“ – wie Antaios bemerkt – legt Motsios’ Vorwort den Schwerpunkt auf Aspekte der facettenreichen Beziehung des Autors zu der Sowjetunion. Thematisiert werden der Einfluss der russischen Klassiker und der Oktoberrevolution auf sein Schaffen, seine Reisen in die Sowjetunion, die Bekanntschaft mit Gor’kij und die Verfassung seiner Geschichte der russischen Literatur (1930). Entsprechend der Verbesserungsvorschläge von Antaios wird auch Kazantzakis’ Geisteshaltung in der Druckfassung verdeutlicht: Aber es ist zu betonen, dass Kazantzakis nie ein reiner Idealist (in gleicher Weise auch kein reiner Materialist) war, sondern immer ein Eklektiker geblieben ist, wobei nach dem II. Weltkrieg materialistische Tendenzen in seiner Weltanschauung zu überwiegen begannen. […] Aber die Ideen des wissenschaftlichen Sozialismus und unser Zeitgeist nehmen immer größeren Einfluss auf Kazantzakis und am Ende seines Lebens verbindet er ganz bewusst sein Schicksal mit den Kräften des Friedens und des Fortschritts. (Močos 1962, 8 f.)
Der Eklektizismus des Autors, der laut Verfasser die „tiefen Widersprüche“ seines Werkes und seiner Figuren erklärt, wird durch ein abstraktes Narrativ der Volksverbundenheit kompensiert. Wie Motsios behauptet, unterscheidet sich Kazantzakis von der Mehrheit der bürgerlichen Intellektuellen dadurch, dass er „nie den Glauben an die unerschöpflichen Kräfte des Volkes verloren und den Kampf nie aufgegeben hat“ (ebd., 10). In der Abwesenheit eines ganzheitlichen Weltbildes beim Autor sieht Motsios auch den Grund, aus dem die positiven Figuren des Romans im Vergleich zu den „realistisch und meisterhaft“ gestalteten negativen Figuren „etwas schematisch, abstrakt und blass“ wirken: Kazantzakis sah die Verderbnis und die Ungerechtigkeit des Baus, bei dem der Reichtum und die Gewalt die Grundlage der Gesellschaft darstellen […]. Aber wie die zukünftige Gesellschaft sein soll, das wusste der Schriftsteller nicht. (Ebd., 17)
Am Schluss des Vorworts wird die sowjetische Leserschaft vor den ‚sündhaften‘ literarischen Fehltritten des Romans ‚gewarnt‘: Es ist zu bemerken, dass Kazantzakis nicht ganz befreit von einigen ‚Sünden‘ ist, die bezeichnend für die Realisten des XX. Jahrhunderts sind – von Beschreibungen naturalistischen Charakters, gewisser Symbolik und Mystik, aber all das geht in dieser riesigen Lawine des Realismus unter, die den Leser buchstäblich überschwemmt. (Ebd., 19)
RGALI: F. 613, Op. 9, Ed. chr. 1179, L. 15a.
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Die Zensur überlässt es jedoch nicht allein dem Realismus. In einem vom gesamten Redaktionsteam unterzeichneten Bescheid wird die Notwendigkeit von sogenannten kupjury, d. h. Auslassungen gewisser Passagen, dokumentiert: Die aus dem Chefredakteur des Goslitizdat Puzikov A. I., dem Redaktionsleiter ausländischer Literatur Emel’janikov S. P., dem Redakteur Finikov V. S., der Titelredakteurin des Buchs Titova R. E. und den Übersetzern Ja. Močos und I. Postupal’skij zusammengesetzte Kommission gelangte zu dem Schluss, dass in Kazantzakis’ Roman „Christa raspinajut vnov’“ Auslassungen von Stellen mit entbehrlichen naturalistischen Einzelheiten notwendig sind. (RGALI: F. 613, Op. 9, Ed. chr. 1179, L. 19)
Ausgehend von einer engen Begriffsauffassung von Naturalismus betreffen die vorgeschlagenen Auslassungen ausschließlich Darstellungen sexuellen Inhalts, vor allem Paraphilien. Die sexuelle Neigung des türkischen Agha für seinen jugendlichen Kötschek, die Szene des erregenden Kampfspiels des Hirtenjungen Nikolios mit dem Schafbock sowie einige Ausdrücke, die sexuelles Verhalten implizieren, werden in der russischen Ausgabe weggelassen. Unter dem Titel Poslednye dni našego gorodka (Die letzten Tage unseres Städtchens) erscheint 1963 in Übersetzung von Podzemskaja, Senkevič, Kokurina u. a. eine Werksammlung von Dimitris Hadzis (1913–1981) im Verlag Inostrannaja literatura. Sie erhält die gleichnamige Erzählsammlung To telos tis mikris mas polis (Das zerstörte Idyll, 1965), ausgewählte Erzählungen aus den Sammlungen Anyperaspistoi (Schutzlos) und Thiteia (Wehrdienst) und den Kurzroman Fotia (Ogon’, Feuer). Die sieben Erzählungen der Sammlung Das zerstörte Idyll haben als einheitlichen Handlungsort die Heimatstadt des Autors Ioannina und thematisieren die sozialen und wirtschaftlichen Transformationsprozesse der Provinzstadt und ihre Auswirkungen auf das Individuum und die Gesellschaft. Aus der Perspektive der KLĖ schildert die Sammlung „die Entstehung organisierter Kampfformen des Ackerbauund Stadtproletariats gegen die soziale Ungerechtigkeit“ (Močos 1975, Bd. 8, 185). In seinem Vorwort zur Ausgabe spürt Antaios Einflüsse der russischen und sowjetischen Literatur in Hadzis’ Werk auf. „Vor uns liegt“, schreibt er zu der Erzählung I diathiki tou kathigiti (Zaveščanie učitelja, Das Testament des Lehrers), „wie bei Gogols Toten Seelen und dem Revisor, eine Galerie von satirischen Bildern […]“: Mann kann sagen, um Engels’ berühmte Aussage über Balzac zu paraphrasieren, dass Dutzende von Büchern über den wirtschaftlichen und sozialen Zustand der griechischen Gesellschaft das Bild der aussterbenden Stadt nicht so vollständig wiedergeben könnten, wie das in der Erzählung „Das Testament des Lehrers“ gemacht wurde. (Anteos 1963, 8)
Durch den Verweis auf Engels’ Anerkennung von Balzac79 kommentiert Antaios Hadzis’ sezierenden Realismus, in dem seine „Stärke“ liege (ebd., 11). Parallel dazu Antaios bezieht sich hier auf Engels’ Äußerung zu Balzac in seinem Brief an die englische Schriftstellerin Margaret Harkness von 1888: „Balzac, den ich für einen weit größeren Meister des
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ordnet er ihn in eine von der russischen und sowjetischen Literatur geprägte weltliterarische realistische Tradition ein: Die Erzählungen „Ebbezeit“ und „Zwei Zigeuner im Paradies“ gehören zu den Werken des kritischen Realismus, die uns aus der Weltliteratur bekannt sind, insbesondere der russischen und teilweise der frühen Gorkijschen. Sie prangern einige der abscheulichsten Geschwüre der bürgerlichen Gesellschaft an: Verelendung, Prostitution, glücklose Kindheit und Alter. […] Die Geschichte [„V čas otliva“] der besorgten und liebevollen Mutter ist unter dem starken Einfluss der Erzählung M. Gorkis „Graue Gespenster“ geschrieben. (Ebd. 10)80
Zwischen Hadzis’ Stilrichtung und der griechischen realistischen Tradition wird hingegen eine Trennungslinie gezogen. Mit dem Argument, dass sein Realismus sich unter der Einwirkung der Widerstandsbewegung herausbildet, wird der Autor sowohl vom bedeutenden realistischen Klassiker der neugriechischen Literatur Alexandros Papadiamantis, dessen Werk erst in den Nullerjahren des einundzwanzigsten Jahrhunderts in Russland erscheint, als auch von den Realisten der Zwischenkriegszeit und Sympathisanten der sozialistischen Ideen Konstantinos Theotokis, Kostas Paroritis und Dimosthenis Voutyras abgegrenzt:81 Das ist, natürlich, nicht der Realismus eines der Klassiker der neugriechischen Prosa, A. Papadiamantis, oder solcher Vorläufer von D. Hadzis wie K. Theotokis, K. Paroritis und D. Voutyras, die in der Zeit der Entstehung der Arbeiterbewegung in die Literatur eingetreten sind. Der Realismus von D. Hadzis ist auf die enormen Veränderungen, die unter dem Einfluss der Widerstandsbewegung in der griechischen Gesellschaft eingetreten sind, und den Siegen jener Kräfte des Friedens und des Fortschritts zurückzuführen, die echten Künstlern helfen, für das Volk und im Namen des Volkes zu schaffen. (Ebd. 11)82
Die Zusammensetzung der russischen Ausgabe präsentiert den bis zum damaligen Zeitpunkt größten Teil des Werkes eines der prominentesten griechischen Autoren der Politemigration und damit auch das gesamte Spektrum seiner poetologischen und ideologischen Transformationen (vgl. Pechlivanos 2019). Die Betitelung der
Realismus halte als alle Zolas der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, gibt uns in ‚La Comédie humaine‘ eine vortreffliche realistische Geschichte der französischen ‚Gesellschaft‘ […] aus der ich, sogar in den ökonomischen Einzelheiten (zum Beispiel die Neuverteilung des realen und persönlichen Eigentums nach der Revolution), mehr gelernt habe als von allen berufsmäßigen Historikern, Ökonomen und Statistikern dieser Zeit zusammengenommen.“ (Zit. n. Steinecke 1970, 132 f.). Es handelt sich dabei um die Erzählungen Ora tis fyronerias (Ebbezeit) und Dyo gyftoi ston paradeiso (Zwei Zigeuner im Paradies). Mit Ausnahme einiger Erzählungen bleibt das Werk dieser Autoren der sowjetischen Leserschaft unbekannt. Antaios’ Standpunkt ist der Ansicht des bekannten Literaturkritikers Dimitris Rautopoulos diametral entgegengesetzt. In seiner Rezension der Erzählsammlung Das zerstörte Idyll in der Zeitschrift Epitheorisi Technis 1964 betrachtet Rautopoulos das Werk als fruchtbare Appropriierung der Traditionen der gesamten neugriechischen Prosa und erwähnt in diesem Zusammenhang die Autoren Papadiamantis, Theotokis und Voutyras (vgl. Rautopoulos 1986).
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Ausgabe nach der gleichnamigen Erzählungensammlung sowie die Positionen des Vorworts im allgemeinen rücken jedoch den Fokus auf das Werk Das zerstörte Idyll, das sich ästhetisch und rhetorisch von seinem ersten Roman Ogon’ wesentlich unterscheidet. Ohne die grundlegende ideologische Ausrichtung abzulehnen, legt er den Schematismus und Didaktismus des letztgenannten ab und stellt ein vergleichsweise bodenständiges Bild der sozialistischen Vision und deren Ausgangs dar. Der Powest Ogon’, der im zweiten Kapitel als Fallbeispiel einer vorbildlichen Appropriierung des sozialistischen Realismus untersucht wird, wird im Vorwort als sein erstes „den späteren Werken des Autors in künstlerischer Hinsicht unterlegen“ präsentiert (ebd., 11). In den Jahren 1963–1965 werden mehrere Werke der Autorin Dido Sotiriou (1909–2004) herausgegeben. Ihr erster, stark autobiographischer Roman Oi nekroi perimenoun (Mertvye ždut, Die Toten warten) erscheint 1963 in Übersetzung von Senkevič und mit einem Nachwort von Giannis Motsios im Verlag Inostrannaja literatura. Aus der Ich-Perspektive der jungen Protagonistin schildert der Roman die Geschichte einer griechischen Familie aus Kleinasien von den Jahren des Griechisch-Türkischen Krieges durch die Zwangsumsiedlung nach Griechenland bis hin zu den Jahren des Nationalwiderstands. In seinem Nachwort zur Ausgabe lokalisiert Motsios den Unterschied zwischen diesem Roman und anderen, die Kriegsthematik behandelnden Romanen liberaler Autoren (wie beispielhaft das bereits besprochene Das Leben im Grabe von Myrivilis)83 darin, dass die Autorin den Krieg „nicht einfach nur verurteilt“, sondern „den Kern des Übels“ dabei zeigen wolle: Aus diesem Grund mündet das Antikriegspathos der Autorin im Roman in einer leidenschaftlichen Verurteilung der Ausbeuterklassen und ihrer Ideologen, in einer zornigen Verdammung des europäischen Imperialismus – des Hauptschuldigen der Kleinasiatischen Katastrophe. Zugleich hebt D. Sotiriou die Fackel der Aufklärung der Volksmassen hoch, sie agitiert diese Massen und ruft sie zum Kampf auf […]. (Močos 1963, 301)
1964 erscheint im Verlag Progress der kanonisierte Roman Matomena chomata (Zemli obagrennye krov’ju, Grüß mir die Erde, die uns beide geboren hat, 1994), der den Ersten Weltkrieg und die Kleinasiatische Katastrophe aus der Sicht eines Soldaten schildert. In seiner Vorankündigung der Publikation nennt Motsios als Hauptthema des Romans „die Herausbildung des Kommunisten“ (ebd., 304). Im Nachwort zur Ausgabe beugt der Schriftsteller Feliks Svetov einer potenziellen Kritik hinsichtlich des Erzählschwerpunkts vor: Es mag gesagt werden, dass in diesem Roman von Dido Sotiriou keine erschöpfende Analyse der sozialen Wurzeln der Kleinasiatischen Katastrophe enthalten ist. Und das wäre gerecht. Aber die Autorin hat sich keine solche Aufgabe gestellt. Der Roman ist aus dem Gesichtspunkt
Motsios führt hier außerdem die Beispiele von Stratis Doukas (Istoria enos aixmalotou), Ilias Venezis (Nummer 31328: Leidensweg in Anatolien, 1969) und Stratis Myrivilis (Die Lehrerin mit den Goldaugen, 1998) an, die in der Sowjetunion nicht publiziert werden.
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[…] eines einfachen Bauern […] geschrieben. […] Der Roman ist ein leidenschaftlicher Protest gegen den Krieg, er klingt nach einer wütenden Anklage des Imperialismus, der den Völkern Leid und Tod bringt. (Svetov 1964, 239)
Im auf politisch-historische Literatur spezialisierten Verlag Politizdat (Izdatel’stvo političeskoj literatury) wird 1965 das Werk von Sotiriou Ilektra (Ėlektra) über die Widerstandsheldin und Mitkämpferin der Autorin Ilektra Apostolou veröffentlicht. Im selben Jahr erscheint in russischer Übersetzung eines der bekanntesten Werke der griechischen Kinderliteratur To kaplani tis vitrinas (Naš brat Nikos, Die Kinder von Lamagari, 1972 und Wildkatze unter Glas, 1973) von Alki Zei (1925–2020), das in der Zeit des Aufenthalts der Autorin als Politemigrantin in Moskau geschrieben wird. Die Erzählung, die 1969 im Verlag Detskaja literatura neu aufgelegt wird, schildert die Auseinandersetzung zweier junger Schwestern und ihrer Familie mit den politischen Entwicklungen der Zeit der Metaxas-Diktatur (1936–1941, Regime des 4. August). Durch die Betitelung „Unser Bruder Nikos“ rückt die russische Ausgabe die Mentorenfigur des älteren Cousins der Schwester, den StudentenKommunisten Nikos in den Fokus. 1966 erscheint das im Pariser Exil verfasste Werk der anerkannten Autorin O megalos peripatos tou Petrou (Petros idet po gorodu, Mit dreizehn ein Mann, 1977), das von der Widerstandstätigkeit und Reifung eines neunjährigen Jungen während der Besatzungszeit handelt. Auch dieses Kinderbuch wird 1974 neu aufgelegt. 1965 erscheint der Roman I kagkeloporta (Železnye vorota, Das Eisentor) von Andreas Fragkias (1921–2002) in Übersetzung von Podzemskaja im Verlag Progress. Der Roman spielt Mitte der fünfziger Jahre in einem armen Athener Hinterhof. Der Kommunist Angelos lebt seit sieben Jahren versteckt, um dem 1947 gegen ihn verhängten Todesurteil zu entgehen, während der Ideologe Antonis damit kämpft, sich an die veränderten wirtschaftlichen Anforderungen und Arbeitsverhältnisse der Nachkriegszeit anzupassen. Der Roman schildert die Nichterfüllung der Vorkriegserwartungen der Hauptfiguren sowie ihre Bemühungen um eine Rückkehr zur Normalität. Im Unterschied zum heroischen Narrativ des positiven Helden konzentriert sich Fragkias’ Erzählung auf die psychischen Sackgassen der Figuren. Die lähmende Angst von Angelos und der bis zum Wahnsinn treibende Einsatz von Antonis für beruflichen Erfolg sind auf zuweilen kafkaeske Weise dargestellt. Im Vorwort zu dieser Ausgabe greift Antaios die einsame Selbstsuche der Hauptfiguren auf, deren optimistisches Ende nur durch das Kollektiv ermöglicht werde: In den Tiefen der Seele von Angelos und Antonis lebt noch derselbe ehrenhafte Kämpfer, der sich aufgrund der Niederlagen und der Verfolgung zurückziehen und nach einer „individuellen Lösung“ seines Problems suchen musste […]. […] Es ist kein Zufall, dass solange diese zwei Menschen versuchen, eine künstliche Scheinwelt für sich zu erschaffen, und eigenständig einen Weg aus der Sackgasse zu finden, nichts passiert. Und nur wenn ihre früheren Verbindungen langsam wiederhergestellt werden, kommen sie aus der furchtbaren mentalen Krise heraus. (Anteos 1965, 9 f.)
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Ex negativo beschreibt Antaios die vom sozialistischen Realismus geforderte, im Roman von Fragkias jedoch nicht anzutreffende heroische Version des positiven Helden: […] im Blickfeld des Autors sind nicht diese felsenfesten Widerstandskämpfer, die alle Stürme durchhielten, durch Gefängnisse und KZ-Lager gingen, den Glauben an ihre Ideale aufbewahrten und keinen einzigen Tag den Kampf für die bessere Zukunft ihres Volkes unterbrachen. Ihn interessieren die gewöhnlichen Menschen, die qualvoll versuchen, sich damit zurechtzufinden, was um sie herum und in ihnen passiert. (Anteos 1965, 10 f.)
In einer selten im Kontext der Peritexte anzutreffenden Bezugnahme auf den Griechischen Bürgerkrieg, die hier teilweise durch die Thematik des Romans diktiert wird, erwähnt Antaios als Grund für die Niederlage der „demokratischen Bewegung“ neben der englischen und amerikanischen Intervention auch „große Fehler in der Leitung“ der Bewegung, ohne jedoch dabei die Führung der KKE oder die Art der „Fehler“ explizit zu benennen (ebd., 6). 1966 erscheint in Übersetzung von Senkevič der Roman Otan eskavame ton ourano (Kogda my dolbili nebo, Als wir in den Himmel gegraben haben) des marxistischen Schriftstellers Nikos Katiforis (1903–1967), der den griechischen Widerstand während der Besatzungszeit thematisiert. Die Ausgabe erscheint mit einem kurzen auktorialen Vorwort, in dem Katiforis sich auf die schriftstellerische Absicht bezieht: […] die meisten Helden sind in einem Zustand kompletter psychischer Dissonanz dargestellt. Die moralischen Leiden waren das schrecklichste Übel der Besatzungszeit. […] Gerade über die Wirkung der Okkupation auf die Menschenseele wollte ich in meinem Buch erzählen. Aber, wie der Leser sehen wird, konnten die Leiden den Kampfesswillen des Volkes nicht brechen. (Katiforis 1966, 5 f.)
1968 erscheint im Verlag Progress der historische Roman I prigipessa Izabo (Princessa Izabo, Prinzessin Isabeau, 2001) von Angelos Terzakis (1907–1979), der als eines der gefeiertsten klassischen Werke der neugriechischen Literatur gilt. Das Werk, das den Untertitel ‚heroischer Roman‘ trägt, wird in Zusammenarbeit von Podzemskaja und Il’inskaja übersetzt und mit einem Vorwort der letztgenannten herausgegeben. Die Handlung spielt in der Zeit der Frankenherrschaft auf Peloponnes und handelt vom Aufstand und der Einnahme der Frankenburg von Kalamata von griechischen und slawischen Bauern im Jahr 1293. Hauptfiguren des Romans sind die Prinzessin Isabeau, die dem historischen Vorbild der Fürstin von Achaia Isabelle de Villehardouin nachgestaltet ist, und Nikiforos Sgouros, der junge griechische Aufstandsanführer adliger Abstammung. Die Liebesgeschichte zwischen den Hauptfiguren bildet eine parallele Handlungslinie. Nach einer ausführlichen Nacherzählung des Romaninhalts zieht Il’inskaja im Vorwort Parallelen zwischen der historischen Zeit der Handlung und den geschichtlichen Vorgängen der deutschen Besatzungszeit bzw. Entstehungszeit des Romans, die sich in den Motiven des Hungers, der Repressionen, der Massenhinrichtungen, der extremen sozialen Ungleichheit und vor allem im zentralen Motiv des Widerstands gegen die Fremdherrschaft manifestieren und in
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den Augen der Verfasserin die Aktualität des Romans und folglich der Ausgabe legitimieren. Auf ähnliche Analogien weist auch die zeitgenössische griechische Literaturkritik im Vergleich zwischen der ersten Version des Romans, die 1937–1938 in der Zeitung Kathimerini veröffentlicht wird, und seiner um vieles veränderten finalen Version von 1945 hin. Die endgültige Fassung, auf deren Grundlage die russische Übersetzung erstellt wird, weist anhand von ausgelassenen und modifizierten Passagen eine deutliche Hinwendung zum Patriotischen und eine Intensivierung des Nationalgefühls des Haupthelden Sgouros auf (vgl. Kastrinaki 1999; Soethaert 2012). Einen wichtigen Unterschied macht in der zweiten Romanversion die Einführung des slawischen Elements aus, unter anderem durch die Ergänzung des russisch betitelten Unterkapitels Vspomni! (Erinnere dich!) und eines neuen dritten Teils, in dem die slawischen Bauern eine zentrale Rolle während des Aufstands spielen. Il’inskaja verweist im Vorwort auf die „aktive Teilnahme“ der Slawen beim Aufstand, die „sich hartnäckig den lateinischen Eroberern widersetzten und nie vollständig das Knie vor ihnen beugten“ (Il’inskaja 1968, 10). Abgesehen davon, ob eine derartige Modifizierung des Romans als philosowjetische Positionierung des Autors unter den damaligen Verhältnissen angesehen werden kann – wie sie die Kritik zum Teil deutet (Kastrinaki 1999) – besteht zwischen Terzakis und der Sowjetunion ein „Freundschaftsverhältnis“,84 worauf sowohl das Archivmaterial als auch die Einladung des Autors zum 3. Sowjetischen Schriftstellerkongress 1959 hinweisen. Die ideologischen Differenzen, deren Vorhandensein auch Il’inskaja anhand der „ohne bestimmte politische Orientierung, unter ihrer eigenen Zerrissenheit und Hilflosigkeit leidenden“ (1968, 14) Figuren von Terzakis impliziert, werden durch das humanistische Narrativ überbrückt: Die von A. Terzakis vorgeschlagene Behandlung einiger Probleme der Gegenwart ist umstritten, aber das humanistische Hauptprinzip in seiner Arbeit kann nur das leidenschaftlichste Verständnis und Mitgefühl wecken. (Ebd.)
Dazu zitiert Il’inskaja einen Ausschnitt aus der kurzen Rede von Terzakis auf dem Schriftstellerkongress,85 in der er von einer kollektiven Autorenidentität ausgehend sich rhetorisch in einem deutlichen Versöhnungsgeist bewegt: Wir, die Schriftsteller aller Welt, arbeiten im Namen der gleichen Ideale – das sind die Ideale des Humanismus und des Friedens. Mit diesen Gedanken kamen wir hierher und ich habe keinen Zweifel daran, dass wir, Schriftsteller, alles in unserer Macht Stehende tun werden, um unsere hohe Pflicht, die Pflicht gegenüber der Menschheit, zu erfüllen. (Terzakis 1959, 213)
Von „Widersprüchlichkeit“ ist hinsichtlich des Schaffens von Terzakis die Rede sowohl im anonymen Eintrag der MSĖ (1959, Bd. 3, 148) als auch in Spathis’ Eintrag der KLĖ, der sich dennoch im Ton milder Anerkennung zu Terzakis äußert:
RGALI: F. 631, Op. 27, Ed. chr. 832, L. 29. Il’inskaja erwähnt versehentlich den 2. Allunionskongress der Sowjetschriftsteller (15.–26. Dezember 1954), Terzakis hat allerdings am 3. Kongress (18.–23. Mai 1959) teilgenommen.
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Die Fähigkeit, den breiten historischen und sozialen Hintergrund lebhaft nachzubilden, hebt den Romanisten und Dramatiker A. Terzakis hervor, trotz der Widersprüchlichkeit seiner historischen Konzeption (Roman „Prinzessin Isabeau“) und sozialen Ansichten […]. (Spathis 1964, Bd. 2, 356)
Die Prinzessin Isabeau ist das einzige in der Sowjetunion publizierte Werk von Terzakis und wurde 1994 in Minsk neu aufgelegt. 1970 wird im Verlag Progress der Tatsachenroman Z (Zet. Fantastičeskaja chronika odnogo ubijstva, Z, 1968) von Vasilis Vasilikos (geb. 1934) herausgegeben, der von der Ermordung des links-demokratischen Parlamentsabgeordneten und Pazifisten Grigoris Lambrakis von Rechtsextremisten im Jahr 1963 in Thessaloniki handelt. Dank der Verfilmung durch Costa-Gavras (Z – Anatomie eines politischen Mordes, 1969) wurde der Roman weltweit bekannt. Das Zentralgeschehen des Mordes wird aus verschiedenen Figurenperspektiven geschildert, wodurch Einblicke in die Innenwelt, Handlungsweise sowie das soziale Milieu der Akteure gewährt werden. Dazu werden wehklagende, lyrisch-sentimentale innere Monologe der verwitweten Frau von Z eingeschoben. Durch diese politisch-ideologische Polyphonie rekonstruiert Vasilikos parallel zur Chronik des Mordes die sozialpolitischen Zusammenhänge der frühen sechziger Jahre und die Operationsweise des Parallelstaates am Vorabend der Militärdiktatur. Im Vorwort des Architekten und Kunsthistorikers Kirill Afanas’ev zur Ausgabe wird die ausführlich nacherzählte Lambrakis-Affäre als ein Geschehen dargestellt, das „in jedem bürgerlichen Staat“ (1968, 6) stattfinden könnte. Die russische Übersetzung86 des Romans weist mehrere Auslassungen auf. Passagen, die anti-kommunistische und anti-sowjetische Ansichten zum Ausdruck bringen oder gar implizieren, werden systematisch und völlig unabhängig vom Sprecher und der Sprechsituation, in der sie erfolgen, weggelassen. Darüber hinaus werden Vulgärsprache, tabuisierte Sexualität (beispielsweise die Selbstbefriedigungs-Szene eines der Täter) sowie jede Spur der pädophilen Neigung des Letzten gestrichen. Obwohl viele dieser Motive das negative Profil der rechts-fanatischen, ungebildeten und psychisch ungesunden Täter verstärken, klammert die Übersetzung alles, was entweder als anti-kommunistische Propaganda oder als Obszönität gesehen werden könnte, aus. Zwanzig Jahre nach dem ersten wird 1979 ein zweiter Sammelband griechischer Erzählungen (Rasskazy grečeskich pisatelej) im Verlag Progress von Il’inskaja herausgegeben. Der Sammelband erhält dreißig Erzählungen87 von Autoren unter-
Die Angabe von Nina Podzemskaja als Übersetzerin des Romans in der Bibliographie von Jalamas (2011) stimmt mit den peritextuellen Angaben der Ausgabe nicht überein. Dort wird als Übersetzerin R. Titova angegeben. Anthologisiert werden Mitsos Alexandropoulos, Elli Alexiou, Thanasis Valtinos, Vasilis Vasilikos, Eleni Voiskou, Gerasimos Grigoris, Tatiana Gritsi-Milliex, Maro Douka, Alki Zei, Giorgos Ioannou, Nikos Kasdaglis, Menis Koumandareas, Giannis Maglis, Christoforos Milionis, Kostoula Mitropoulou, Andreas Nenedakis, Iοulia Persaki, Spyros Plaskovitis, Rodis Roufos, Antonis Samara-
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schiedlicher Generationen, die laut Klappentext „eine Vorstellung von der Vielfalt des Genres der Erzählung in der modernen Literatur Griechenlands“ geben. Die Texte schöpfen thematisch aus dem griechischen Widerstand im Zweiten Weltkrieg, dem Bürgerkrieg und der griechischen Militärdiktatur (1967–1974). Die Anthologie erhält unter anderem vier der Achtzehn Texte aus der gleichnamigen, gegen die Militärdiktatur und ihre Zensurpraktiken protestierenden, in Athen herausgegebenen Sammlung von 1970. Während im Kern der Zusammenstellung des Bandes die Kriegsthematik, die soziale Problematik und die Kritik an den bürgerlichen Werten verbleiben, erweitert sich das Spektrum der repräsentierten Stilrichtungen mit der „fantastischen Kurzgeschichte“ des „bekannten Meisters der Paradoxa und der Posse“ Skaribas und der „in surrealistischer Manier“ realisierten Etüde von Theofilou (Il’inskaja 1979, 19). Neben den Erzählungen, die laut Il’inskaja „eine unmittelbare Reaktion auf die Ereignisse des sozialen und politischen Lebens in Griechenland“ darstellen, werden in die Anthologie auch „Standbilder“ (stop-kadry) aufgenommen, die das „äußerst private Leben, in dem sich die Sitten und Bräuche, die Spezifik des Nationalcharakters, die psychologischen Probleme und die Konflikte der zeitgenössischen griechischen Wirklichkeit spiegeln“ (ebd., 18). Die Sammlung eröffnet die Kurzgeschichte Eutycheite (Bud’te sčastlivy, Seien Sie glücklich) von Alexandropoulos, die auf die griechisch-russischen Beziehungen in der Zeit des Griechischen Unabhängigkeitskrieges (1821–1829) zurückgreift und „eine der Seiten der griechischen Geschichte“ beleuchtet, „die eng mit Russland verbunden sind“ (ebd., 20). Abgesehen von den impliziten ‚revolutionären‘ Parallelen dieser Erzählung zu den späteren Nationalkämpfen Griechenlands, stellt ihre Aufnahme eine Manifestation der immer stärker werdenden Tendenz dar, auf die historischen und kulturellen Wurzeln der griechisch-russischen Beziehungen in den Peritexten hinzuweisen bzw. jenseits des aktuellen, rein politischen Kontextes, ein paralleles, kulturhistorisch fundiertes, legitimierendes Narrativ zu gewähren. In diesem Zusammenhang liest sich Il’inskajas Verweis auf das „Thema Russland“ (ebd.) im Schaffen von Alexandropoulos als eine Vorankündigung der Publikation seines Romans zu Maxim den Griechen, die ein Jahr später (1980) realisiert wird. Unter dem Titel Promach i drugie povesti (Der Fehler und andere Erzählungen) erscheint 1983 im Verlag Raduga eine Anthologie mit den Kurzromanen To lathos (Der Fehler, 1969) von Antonis Samarakis (1919–2003), Loimos (Seuche) von Andreas Fragkias, O kosmos ton elpidon (Die Welt der Hoffnungen) von Zisis Skaros (1917–1997), To koureio (Der Frisiersalon) von Menis Koumandareas (1931–2014) und To thaumatourgo nero (Das wundersame Wasser) von Vasilis Vasilikos. Laut Klappentext zeigen die Texte „die Unfähigkeit des bürgerlichen Staates, akute soziale Fragen zu lösen“. In seinem Vorwort mit dem bezeichnenden Titel „Unterwegs auf der Suche
kis, Jannis Skaribas, Zisis Skaros, Tatiana Staurou, Kostas Tachtsis, Nasos Theofilou, Theofilos Fragkopoulos, Dimitris Hadzis, Marios Chakkas, Stratis Tsirkas und Alkiviadis Giannopoulos.
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nach dem Humanismus“ bezieht sich der Herausgeber Sokoljuk auf den jeweiligen sozial-politischen Kontext der Entstehung der Werke und ihre sozial relevante (gesellschaftskritische, antifaschistische usw.) Thematik. Es wird erwähnt, dass die anthologisierten Autoren „unterschiedliche soziale Sichtweisen und künstlerische Stil- und Geschmacksrichtungen“ haben (Sokoljuk 1983, 25), jedoch wird auf die formal-ästhetischen und erzähltechnischen Merkmale nicht eingegangen, durch die diese Werke sich von den Narrativen und den ästhetischen Anforderungen des sozialistischen Realismus poetologisch wesentlich unterscheiden (beispielsweise abstrakt-symbolische und allegorische Motive, Abwesenheit einer chronologischkausalen Handlung, Fragmentarität, Machtlosigkeit und innere Verzweiflung der Figuren, Verfallstimmung). Im selben Jahr und überraschend verspätet für eine mit der Partei affillierte Autorin erscheint im Verlag Sovetskaja Rossija der kanonisierte Roman Triton christianikon parthenagogeion (Tretj’a ženskaja škola, Die dritte Mädchenschule, 1963) von Elli Alexiou (1894–1988) in Übersetzung von Podzemskaja. Der 1934 in Athen publizierte Roman schildert den beruflichen Alltag und die Erfahrungen einer jungen Lehrerin in einer Grundschule in Heraklion Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts. Die aus einer bürgerlichen Familie stammende Hauptfigur lernt die Realität ihrer in Armut lebenden Schülerinnen aus Arbeiterfamilien kennen, was allmählich ihre Selbstwahrnehmung und Weltanschauung ändert. Mögliche Gründe dieser verzögerten Rezeption könnten eventuell die „ideologischen Fehltritte“ oder der nicht ausreichend gefestigte Klassenstandpunkt des Romans gewesen sein, die ihm die Kritik zur Zeit seiner Erscheinung zuschreibt (vgl. Ntounia 1996, 393). Es ist bemerkenswert, dass die ostdeutsche sowie die sowjetische Ausgabe das ‚religiöse‘ Element des Originaltitels weglassen, der wörtlich ‚Die dritte christliche Mädchenschule‘ lautet. Aus den Bezugnahmen der sowjetischen Enzyklopädien zu der Autorin sowie dem Vorwort Il’inskajas zu der Ausgabe erschließt sich, dass das Werk von Alexiou vorwiegend als humanistisch rezipiert wird. Die Ausgabe enthält zusätzlich sieben Erzählungen, die „bei weitem keine Proklamationen“, aber vom „anspruchsvollen Bürgerbewusstsein diktiert“ sind (Il’inskaja 1983, 11). 1983 wird der Kurzroman To imerologio tis Pinelopis (Dnevnik Penelopy, Das Tagebuch der Penelope, 1975) von Varnalis in Übersetzung von Kokurina und Trandas88
Michalis Trandas (Pseudonym von Grigoris Grigoriadis, 1907–1979) war der „rote Unteroffizier“, der 1931 unter Anleitung der KKE die Flucht der acht Parteifunktionäre aus dem Syggrou-Gefängnis in Athen ermöglichte und anschließend gemeinsam mit ihnen in die UdSSR flüchtete. Dort studierte er an der Kommunistischen Universität der nationalen Minderheiten des Westens (Kommunističeskij universitet nacionalʼnych menšinstv zapada, KUNMZ), arbeitete als Lehrer in Sochumi und Redakteur bei der örtlichen griechischsprachigen Parteizeitung Kokinos kapnas (Roter Tabakarbeiter). Zur Zeit der stalinschen Säuberungen wurde er wegen des Vorwurfs der Spionage in Sochumi inhaftiert. Nach seiner Entlassung 1940 zog er nach Moskau, wo er als Sprecher bei Radio Moskau und als Übersetzer arbeitete (vgl. Markovitis 2013, 335, 360 f.).
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im Verlag Izvestija publiziert. In dieser allegorischen Variante des homerischen Sujets werden die Figuren des heroischen Odysseus und seiner treuen Ehefrau entmythologisiert und ihre Motivation ‚entlarvt‘, um den Ahnenkult und die mythologisierende Historiographie der Metaxas-Diktatur satirisch darzustellen. „Der Mythos hilft dem Schriftsteller“, schreibt Sokoljuk im Vorwort der Ausgabe, „eine Grundwahrheit in ganzer Tiefe zu offenbaren: In der Gesellschaft der sozialen Ungerechtigkeit, die zusammen mit der Menschheitsgeschichte geboren wurde, können die Machthaber […] keine Helden sein, keine Repräsentanten positiver Ideale“ (1983, 8). Im Verlag Raduga erscheint 1985 der Roman Efialtes kai oneira (Košmary i mečty, Albträume und Träume) von Eleni Voiskou (geb. 1921), der durch fragmentarische Alltagsgeschichten das Leben unter der Militärdiktatur schildert. Das Vorwort der Ausgabe verfasst Sokoljuk. Im gleichen Verlag erscheint ein Jahr später der Sammelband Gody ispytanij (Prüfungsjahre), der eine Auswahl an Erzählungen von Christoforos Milionis (1932–2017) in Übersetzung von Podzemskaja und Tjurina enthält.89 Laut Klappentext schildern die zum Teil auf den Bürgerkrieg und zum Teil auf die Militärdiktatur bezogenen Erzählungen „die Realität des modernen Griechenlands, den schwierigen Alltag des einfachen Volkes und die unauslöschlichen Erinnerungen an die Jahre des Bürgerkriegs und des Widerstands“. Ab Mitte der achtziger Jahre erscheinen im Verlag Detskaja literatura mehrere Werke der griechischen Kinder- und Jugendliteratur. 1983 werden die für Kinder angepassten Istories apo ton Irodoto (Istorii iz Gerodota, Historien des Herodot) von Giannis Miliadis herausgegeben. Die 1984 publizierte Anthologie Penie drozda (Der Gesang der Drossel) enthält Erzählungen vorwiegend politisch gefärbter Autoren,90 in die ein vom Generalsekretär der KKE Charilaos Florakis verfasstes Vorwort einführt. Im selben Jahr erscheint das Kinderbuch Oi pelargoi tha xanarthoun (Aisty vernutsja, Die Störche werden wiederkommen) von Maroula Kliafa (geb. 1937), das den Widerstand gegen das Obristenregime thematisiert. Das gleiche Thema behandelt auch der Jugendroman Ta genethlia (Den’ roždenija, Der Geburtstag) von Zorz Sari (1925–2012), der 1986 im Verlag Molodaja gvardija erscheint. Im 1988 publizierten Kinderbuch O Stelios kai i Lorita (Stelios i Lorita) von Froso Chatoglou (Minsk, Verlag Junactva) reflektieren zwei gefangene Papageien zum Thema Freiheit und Heimat. 1987 erscheint in Raduga der viel gelesene Roman Astradeni (Astradeni: die Sternenbindende, 1986) von Eugenia Fakinou (geb. 1945), der als klassisches Werk der griechischen Jugendliteratur gilt und vom Erwachsenwerden der jungen Protagonistin im Athen der Nachkriegszeit handelt. Im Klappentext wird die Heldin als
Die Erzählungen stammen aus den Sammlungen Ta diigimata tis dokimasias (Leidensgeschichten) Dytiki synoikia (Westliches Stadtviertel) und Akrokeraunia (Akroceraunisches Gebirge). Anthologisiert werden Kostas Varnalis, Takis Adamos, Voula Damianakou, A. Dimitriou, Kostas Kotzias, Argyro Kokovli, Giorgos Lamprinos, Notis Pergialis, Dimitris Psathas, Nikos Madaritis, Ifigeneia Chrysochoou, Gerasimos Grigoris, Iro Georgiadou-Lampiri, Tatiana Gritsi-Milliex und Sofia Mauroeidi-Papadaki.
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„Opfer der bürgerlichen Zivilisation“ dargestellt. 1989 wird die Erzählungssammlung Tria agrioperistera stin Athina (Putešestvie v Afiny, Drei Wildtauben in Athen) von Ioanna Saravanou veröffentlicht, die eine literarische Bekanntschaft mit der griechischen Hauptstadt sowie Geschichten über Freundschaft, Frieden, Freiheit und ähnliche Themen anbietet. 1988 wird von Raduga der dokumentarisch-publizistische Roman Promachontas gia tin leuteria (V pervych rjadach borcov za svobodu, An der Frontlinie des Freiheitskampfes) des Journalisten und Führungskader der KKE Vasos Georgiou (1910–2003) veröffentlicht. Der Roman des „Veteranen-Kommunisten“ – wie Georgiou im Klappentext bezeichnet wird – schildert die Ereignisse und Volkskämpfe der ersten zwei Kriegsjahre (1940–1941). Mit dem Titel Sovremennyj grečeskij detektiv (Der moderne griechische Detektivroman) wird 1989 von Sokoljuk eine Sammlung von Detektivgeschichten griechischer Autoren herausgegeben. Enthalten sind der schon publizierte Kurzroman Der Fehler von Samarakis, die Abenteuergeschichte Deka ateleiotes ores (Desjat’ beskonečnych časov, Zehn endlose Stunden) von Dimitris Ravanis-Rentis (1925–1966) und zwei Kriminalgeschichten von Giannis Maris (1916–1979), Egklima sta paraskinia (Ubijstvo za kulisami, Mord hinter den Kulissen) und Idiotiki ypothesis (Častnyj detektiv, Privatangelegenheit). Das literarische Genre stellt dabei erstmalig in der Geschichte der russischen Übersetzungen neugriechischer Literatur das Auswahlkriterium der Zusammenstellung der Anthologie dar. Indes ist weder die Anthologisierung noch ihre paratextuelle Einrahmung von der sozial-geschichtlichen und politischen Dimension der Texte entbunden. Die Detektivgeschichte von RavanisRentis, die in der Zeit des nationalen Widerstands spielt, behandelt laut Sokoljuk „das antifaschistische Thema“ (1989, 7) und bietet „ein überzeugendes Bild des landesweiten Kampfes der Griechen gegen die Besatzer in der mächtigen, gut organisierten Untergrund- und Partisanenbewegung“ (ebd., 10). Im Hintergrund der Kriminalsujets von Maris, die im Athen der fünfziger und sechziger Jahre spielen, realisiert sich „die pädagogische Hauptaufgabe, die sich in der sozial-moralischen Problematik“ entfaltet (ebd., 15 f.). Den „Nährboden“ der geschilderten Verbrechen bilden laut Sokoljuk „in der bürgerlichen Welt der Eigennutz und die Profitgier“ (ebd., 16). In ähnlicher Weise werden die sozial-kritische Orientierung und die humanistische Botschaft des im Ausland viel rezipierten Romans von Samarakis hervorgehoben. In einem induktiven Schluss nennt Sokoljuk als Hauptmerkmale der griechischen „nationalen Schule des Detektivromans“ Qualitäten, die sehr an die Eigenschaften des sozialistisch-realistischen Romans erinnern: den „Mangel an Propaganda von Grausamkeit und Gewalt“, die „Ablehnung des Erotik-Kults und des Antikommunismus“ und „das Vorhandensein eines positiven Helden, der den Drang des Lesers zum ‚Heroischen‘ stillt“ (ebd., 22).
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Publikationen neugriechischer Prosa in sowjetischen Periodika Die Publikationen griechischer Prosawerke in Periodika sind quantitativ ca. um zwei Drittel geringer als diejenigen von Lyrik und beschränken sich größtenteils auf politisch gefärbte Autoren. Die einzige Ausnahme stellt im Jahr 1936 die Veröffentlichung eines Auszugs aus dem Roman Argo von Georgios Theotokas in der Zeitschrift Inostrannaja literatura sowie eines Auszugs aus dem Roman Die Päpstin Johanna von Emmanouil Roidis in der populärwissenschaftlichen und atheistisch ausgerichteten Zeitschrift Nauka i religija (Wissenschaft und Religion, 1966)91 dar. Die meisten Veröffentlichungen gehören Mitsos Alexandropoulos, Petros Antaios und Menelaos Loudemis. In vielen Fällen sind die Veröffentlichungen Vorabdrucke von Romanauszügen aus demnächst erscheinenden Romanen oder weitere Erzählungen der Autoren, die in kurzer Zeitfolge nach ihrer eigenständigen Publikation erscheinen. Häufig werden bereits in auflagenstarken Zeitschriften veröffentlichte Texte in nicht-moskauischen Zeitschriften kleiner Reichweite nachgedruckt. Das Periodikum mit den meisten Publikationen neugriechischer Prosa (sowie Lyrik) ist bei weitem die auf übersetzte Literatur spezialisierte Monatszeitschrift Inostrannaja literatura, die Texte von Loudemis (1958), Alexandropoulos (1964), Vasilikos (1971), Samarakis, Ioannou, Bost (1982) u. a. bringt. In den offiziellen Parteizeitungen Pravda, Komsomol’skaja pravda und Leningradskaja pravda sind Beiträge von Antaios, Sotiriou, Loudemis und Nakou anzutreffen, während die Organe des sowjetischen Schrifttellerverbands Novyj mir und Oktjabr’ hauptsächlich Werke von Alexandropoulos, Parnis und Hadzis veröffentlichen.
1.1.3 Übersetzung, Publikation und Rezeption neugriechischer Dramen und Bühnenwerke Die Anzahl der selbstständigen Publikationen griechischer Bühnenwerke fällt im Vergleich zum privilegierten Genre des Romans wesentlich geringer aus. Die Ausgaben werden hauptsächlich von der Vertriebsabteilung des Vsesojuznoe upravlenie po ochrane avtorskich praw (Allunionsverwaltung für den Schutz der Autorenrechte, VUOAP)92 oder im auf kunstgeschichtliche Publikationen spezialisierten Verlag Isskustvo realisiert. Es sind vorwiegend zwei Publikationswellen – eine in den späten fünfziger bis Mitte der sechziger Jahre und eine weitere ab Mitte der achtziger Jahre – zu verzeichnen. Zwei Theaterstücke des Schriftstellers und Politemigranten in der Sowjetunion Giorgos Sevastikoglou erscheinen in VUOAP und Isskustvo 1958 und ein drittes folgt in Isskustvo 1966. 1960 wird das Volksdrama To koritsi Über zwanzig Jahre später (1987) wird ein weiterer Romanauszug aus Päpstin Johanna in Nauka i religija veröffentlicht. VUOAP wird ab 1973 in Vsesojuznoe agenstvo po avtorskim pravam (Allunionsagentur für den Schutz der Autorenrechte, WAAP) umbenannt.
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me to kordelaki (Devočka s lentočkoj, Das Mädchen mit dem Haarband) von Notis Pergialis im VUOAP und im Verlag Inostrannaja literatura gleichzeitig veröffentlicht. 1961 erscheint das Theaterstück To nisi tis Afroditis (Die Insel von Aphrodite, Ostrov Afrodity) von Alexis Parnis, das den zypriotischen Befreiungskampf thematisiert, auch als eigenständige Publikation. Die Aufführung des 1960 in der Zeitschrift Novyj mir veröffentlichten Theaterstücks von Parnis wird ursprünglich aufgrund des Parteiausschlusses des Autors (1956) von einigen Theatern abgelehnt und schließlich durch die Vermittlung von Boris Polevoj ermöglicht. Polevoj schickt den Text der sowjetischen Schauspielerin Sof’ja Giancitova, die Mitglied des künstlerischen Rats (chudsovet) des Stanislavskij-Theaters ist. Sie leitet das Theaterstück an den Regisseur Viktor Komissarževskij weiter und er wiederum an die prominente Schauspielerin des Maly-Theaters Vera Pašennaja, die sich für die Rolle der alten griechischen Mutter interessiert. Im Bewusstsein der Ablehnungsgründe ruft Pašennaja direkt Nikita Chruščëv an, mit dessen Familie sie befreundet ist, und so wird das Problem auf höchster Ebene gelöst. Nach Chruščëvs Einverständnis wird Parnis’ Theaterstück 1960 erstmalig im Maly-Theater und bis zum Ende des Jahres 1961 in ca. 180 Theatern in der ganzen Sowjetunion aufgeführt. Dieser Erfolg führt ferner zu dessen Aufführung im Nationaltheater Nordgriechenlands 1963. Diese Geschichte, die Parnis in seinem autobiographischen Text Gomerovskoe rodstvo poėtov (2006, Die homerische Verwandtschaft der Dichter) detailliert beschreibt, ist bezeichnend für die privilegierte Lage der Autoren-Politemigranten in der sowjetischen Publikationslandschaft sowie für die Zweitrangigkeit des künstlerischen Schaffens gegenüber der jeweiligen politischen Positionierung des Schaffenden auch innerhalb der Partei. Das Archivmaterial bezeugt, dass Parnis mit dem Parteiausschluss im Wesentlichen wegen seiner – ‚antiparteilichen‘ aus dieser Sicht – Befürwortung des abgesetzten Generalsekretärs Nikos Zachariadis bestraft wird (vgl. Papadatos 2018). Die sowjetische Unterstützung des ausgeschlossenen und nicht als Vertreter „der progressiven griechischen Literatur“ angesehenen Dichters93 löst – wie früher erwähnt – eine starke Reaktion seitens der neuen Führung der KKE aus (s. Unterkapitel 1.1.1). Im selben Jahr seiner zweiten, selbstständigen Veröffentlichung und seines markanten Theatererfolgs in der Sowjetunion wird die griechische Publikation des Theaterstücks vom Verlagsmechanismus der KKE abgelehnt. Das Werk wird vom Literaturkreis aufgrund der schablonenhaften Figuren als ästhetisch „mittelmäßig“ und nach politischen Kriterien inhaltlich problematisch eingestuft, da es laut der Parteikritik „nichts anderes als eine Hymne an die EOKA94 und ihre Methoden“ darstellt (Matthaiou/Polemi 1999, 513). Erwähnenswert ist die Publikation einer Theaterstücksammlung des Dramatikers Grigorios Xenopoulos (1867–1951) vom Theaterwissenschaftler und Politemigranten Dimitris Spathis im Verlag Isskustvo im Jahr 1962. Wie es häufig bei Publikationen
RGANI: F. 5, Op. 50. Ed. chr. 363, L. 144. Abkürzung für Ethniki Organosis Kyprion Agoniston (Nationale Organisation zypriotischer Kämpfer).
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von Autoren des neunzehnten und Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts der Fall ist, wird auch hier Wert auf die demokratischen Ansichten des Autors und den humanistischen Charakter seines Werkes gelegt. Dadurch wird Xenopoulos, wenn auch in eingeschränkter Weise, als Sympathisant der sozialen Idee dargestellt: […] der Autor stand sein Leben lang weit von der Politik entfernt. […] er konnte nicht über das Mitgefühl und die Sympathie für die neuen fortschrittlichen gesellschaftlichen Ideale hinausgehen. (Spatis 1962, 19)
Mit Publikationen von Iakovos Kambanellis (1985, 1987, 1989) und einiger Kindertheaterstücke von Zorz Sari (1985, 1986) und Zoi Valasi (1987) findet nach einer langen Zeitspanne seit Mitte der achtziger Jahre wieder etwas Bewegung im Bereich der Übersetzung griechischer Bühnenwerke statt.
1.1.4 Schlussbetrachtungen zur sowjetischen Publikationspolitik Im Gegensatz zu den Publikationen unselbstständiger Literatur, bei denen die gedruckten Lyrikwerke quantitativ weitaus überwiegen, ist die Zahl an selbstständigen Publikationen von Prosawerken in der gesamten Sowjetzeit mehr als doppelt so hoch wie diejenige von Lyriksammlungen. Die am meisten publizierten Autoren hinsichtlich der Anzahl ihrer in russischer Übersetzung erschienenen Werke sind Mitsos Alexandropoulos, Kostas Kotzias und Dido Sotiriou, während die ersten beiden die einzigen Prosaiker sind, deren Werke im Durchschnitt etwa alle 10 Jahre neu aufgelegt werden und insgesamt bis zu drei Ausgaben erleben. Alexandropoulos ist darüber hinaus der am meisten veröffentlichte Autor gemessen an der Auflagenhöhe seiner Ausgaben, die bis zu 150.000 Exemplare erreichen (Parfenon osveščaetsja und Sceny iz žizni Maksima Greka).95 Damit konkurriert nur der 1962 publizierte Roman Griechische Passion von Nikos Kazantzakis mit einer Auflagenhöhe von ebenfalls 150.000 Exemplaren. Das primäre Interesse der sowjetischen Verlage wird weitgehend vom Kriterium der Aktualität bestimmt und gilt somit Literaturwerken, die gegenwartsbezogene Thematiken aufgreifen bzw. ihren Stoff aus den jeweils jüngsten historischen Geschehnissen schöpfen, die auf der geo- und ideologisch-politischen Ebene regionalen und zugleich internationalen Charakters sind (vorwiegend der Griechisch-Türkische Krieg, der Zweite Weltkrieg, der Griechische Bürgerkrieg und die Griechische Militärdiktatur). Von geringem Interesse für das sowjetische Verlagswesen sind hingegen Werke essaystisch-publizistischen Charakters, wie z.B das vorgeschlagene, aber nicht publizierte marxistisch-theoretische Werk von Markos Augeris. Das einzige als selbst-
Die Auflagenhöhe der Ausgaben von Prosawerken liegt in der Regel bei 100.000 Exemplaren für Romane und zwischen 50.000 und 100.000 für Anthologien und Kinderliteratur.
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ständige Publikation erschienene theoretische Werk ist die aus der Perspektive des dialektischen Materialismus geschriebene, literaturtheoretische Aufsatzsammlung Aisthitika-Kritika (Ėstetika-Kritika) von Kostas Varnalis, die 1961 in Übersetzung von Kokurina und dem Philosophen Theocharis Kessidis im Verlag Inostrannaja literatura gedruckt wird. Verglichen mit der recht großen Anzahl der ins Griechische übersetzten sowjetischen marxistisch- und literaturtheoretischen Werke, die vom Exilverlag der KKE in den Nachkriegsjahren veröffentlicht werden (vgl. Mathhaiou/Polemi 1999) manifestiert sich auch in diesem Zusammenhang die Dominanz der Sowjetunion als Ideologie-Exporteur. Im Gesamtbild der Präsenz übersetzter neugriechischer Literatur in der sowjetischen Literaturlandschaft lassen sich drei Grundtendenzen identifizieren. Als vorherrschend lässt sich die Tendenz der Veröffentlichung von Literaten erkennen, die politisch-ideologisch und zumeist auch pragmatisch-biographisch durch ihre Widerstandstätigkeit und sozialen Kämpfe mit der Geschichte der KKE und der linken Bewegung verbunden sind (Varnalis, Ritsos, Vrettakos, Axioti, Alexandropoulos, Kotzias, Sotiriou, Loudemis, Hadzis, Katiforis, Alexiou u. a). Die Mehrheit dieser Autoren ist in Griechenland etabliert, obwohl nicht immer für jene Werke, die in russischer Übersetzung erscheinen (beispielsweise Tränen und Marmor von Axioti). Ihre Werke werden unter der Kategorie der ‚progressiven Literatur‘ (progressivnaja oder peredovaja literatura) Griechenlands in die Sowjetunion eingeführt und relativ systematisch gefördert. Unter dem axiologisch-normativen Prädikat des ‚Progressiven‘, das dieser Literatur – im Unterschied zu der als ‚bürgerlich‘, ‚reaktionär‘ oder ‚dekadent‘ angesehenen – eine überlegene Position in der sozialistischen Wertordnung zuschreibt (sowie die Progressivität der Literatur auf den Inhalt allein reduziert), fällt ein an sich heterogener, aber insgesamt mit den Hauptrichtlinien des sowjetischen Kunstkanons zusammenhängender Körper an Literaturwerken. Während sie durch Gemeinsamkeiten auf der thematischen, motivischen, figürlichen sowie der Handlungsebene gekennzeichnet sind, weisen sie erhebliche Unterschiede hinsichtlich des Grades der Manifestation und der rhetorischen Intensität der Stellungnahme bzw. der Parteilichkeit und des Ideengehalts der sozialistischen Vision, die sie verkörpern, auf. Im Kern der peritextuellen Präsentation dieser Literatur steht das sozialpolitische und ideologische Engagement, das sich sowohl in der Biographie des Schreibenden als auch in der Ausrichtung seines Schaffens manifestiert und sich häufig durch die Bezeichnung als ‚Autor-Kommunist‘ oder ‚Autor-Bürger‘ bescheinigen lässt. Obwohl die Werke weder von den griechischen noch von den sowjetischen Verfassern der Peritexte in eine direkte Verbindung mit dem Begriff des ‚sozialistischen Realismus‘ gebracht werden,96 sind die programmatischen An Die Verwendung des Begriffs „sozialistischer Realismus“ wird auch in der innergriechischen linksgerichteten Literaturkritik der Nachkriegszeit generell vermieden. Bezug nehmend auf die Beiträge der revisionistischen Kulturzeitschrift Epitheorisi Technis stellt der Literaturkritiker Dimitris Rautopoulos die Hypothese auf, dass die Vermeidung des Terminus nicht nur Vorbehalt gegenüber der dadurch
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forderungen des Kanons als axiologische Werte in der literaturkritischen Ausführung der Werke eindeutig erkennbar. Parallel zu der dominanten Praxis der Veröffentlichung politisch gefärbter Literaten kann der Versuch einer Erweiterung des Publikationsspektrums über die engen Parteigrenzen hinaus und die Präsentation von etablierten Klassikern der neugriechischen Literatur festgestellt werden (Solomos, Xenopoulos, Palamas, Kazantzakis, Myrivilis, Terzakis, Sikelianos, Kavafis u. a.). Dieses Anliegen zeigt sich mannigfaltig und vorwiegend in der Rede sowjetischer Intellektueller wie Ėrenburg und Akademiker wie Rybakov97 sowie in den wissenschaftlichen Interessen und publizistischen Bestrebungen von Philologen wie Il’inskaja, Motsios, Spathis u. a., die auch in der Regel bei den entsprechenden Ausgaben als Übersetzer und Herausgeber tätig sind, wird jedoch parallel von parteilichen literarischen Kreisen unterstützt. Bezeichnend dafür ist die Erweiterung der Auffassung des ‚Progressiven‘ durch Einbeziehung ‚bürgerlicher‘ Literaten, die Ritsos in seinem Gespräch mit dem sowjetischen Botschafter in Athen Sergeev am 11. März 1961 erklärt: Ritsos sagte, dass derzeit progressive Ideen unter den griechischen Literaten herrschen, die eine dominierende Position in der griechischen Literatur einnehmen. Er erklärte seinen Gedanken und bemerkte, dass als Kriterium der Progressivität in diesem Fall nicht die Klassensicht, sondern die Herangehensweise der Literaten an die Behandlung von Fragen gesamtnationalen Charakters dient. Er führte als Beispiel das Schaffen von Stratis Myrivilis, Palamas, Sikelianos und einiger anderer an. Nach Ritsos’ Ansicht stellen griechische Literaten wie Stratis Myrivilis Befürworter der bürgerlichen Gesellschaft dar, die subjektiv die Interessen der Klasse verteidigen, zu der sie selbst gehören. Trotzdem, fuhr er fort, kann ihr Schaffen insgesamt aus der Sicht der nationalen Interessen als progressiv bewertet werden. (RGALI: F. 631, Op. 26, Ed. chr. 1547, L. 2 f.)
In der Mehrheit der Fälle erfolgt die Übersetzung und Publikation dieser Werke mehrere Jahrzehnte nach ihrer Entstehung. Dabei handelt es sich in der Regel um einmalige Publikationen von Romanen oder Lyrikwerken, die patriotische, romantisch-revolutionäre, antifaschistische oder Antikriegsnarrative aufweisen sowie revolutionäre Komponenten (soziale und nationale Kämpfe, Aufstände gegen das herrschende Establishment u. Ä.) enthalten. Bei der peritextuellen Präsentation dieser Werke wird der Fokus auf deren Gesamtbotschaft gerichtet, der universelle Werte des Humanismus, wie Frieden und soziale Gerechtigkeit zugrunde liegen. bezeichnenden Literatur darstellt, sondern auch Teil der allgemeinen „verbalen Zurückhaltung“ dieser, von den repressiven Rechtsfolgen des Gesetzgeflechts und der Gesetzesauslegung der Bürgerkriegszeit (Notstandsgesetz 509/1947) geprägten Periode war (Rautopoulos 1985, 46). Insbesondere das gegen Verfassungsfeindlichkeit gerichtete Notstandsgesetz 509/1947 führte zu exzessiven Repressionsmaßnahmen und überzogenen Strafzumessungen gegen die Mitglieder der verbotenen KKE und andere unter Kommunismusverdacht stehende Bürger (vgl. Mazower 1997). Ein Memorandum zur „Popularisierung“ der neugriechischen Literatur in der UdSSR haben 1957 u. a. die Akademiker und klassischen Philologen der Lomonossow-Universität Moskau Sergej Radcig und Nikolaj Deratani sowie die Literaten Il’ja Ėrenburg und Nâzim Hikmet mitunterzeichnet (Antaios 1965, 360).
1.1 Neugriechische Literatur im Rahmen des sowjetischen Übersetzungsprojekts
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In den Nachschlagewerken der frühen Sowjetzeit als ‚bürgerlich‘ oder ‚Ästheten‘ aufgefasste Literaten werden während der Spätsowjetzeit tendenziell in einer erweiterten Auffassung von Progressivität als Demokraten und Humanisten präsentiert. Die ideologischen Differenzen und die ‚Widersprüchlichkeit‘ ihres Schaffens werden durch überbrückende Narrative, beispielsweise durch Bezugnahme auf soziale oder volksbezogene Aspekte und die Vermittlung humanistischer Grundsätze abgeschwächt, die auch als Milderungsgründe für zum sowjetischen Kunstkanon gegenläufige poetologische Merkmale der Werke dienen. Neben der prominenten Stellung des jeweiligen Autors im griechischen Literaturkanon werden hier häufig seine Anerkennung außerhalb des griechischen nationalen Kontextes, beispielsweise durch westliche, mit der Sowjetunion sympathisierende Literaten, und die Übersetzung des Werkes in andere Sprachen als zusätzliche Begründung für die sowjetische Publikation herangezogen. Die dritte zu beobachtende Tendenz ist eine Kanonisierung von Literaten, die relativ autonom vom griechischen Literaturkontext und zuweilen auch oppositiv zum von der KKE geforderten Literaturkanon, gemäß einer eher sowjetischen Publikationsagenda erfolgt. Es handelt sich hierbei hauptsächlich um Autoren der griechischen Politemigration in der Sowjetunion, die sich als solche durch das Literaturstudium und ihre Tätigkeit im sowjetischen literarischen Feld (zumindest während der Exilzeit) konstituieren und deren Förderung vorwiegend intrasystemisch stattfindet (Parnis, Antaios, Motsios u. a.). Das Beispiel Alexis Parnis ist dafür kennzeichnend. Seine Unterstützung – trotz des parteilichen Missfallens – seitens prominenter sowjetischer Literaten wie Polevoj und die in den sechziger und siebziger Jahren als Chefredakteure der Zeitschriften Novyj mir und Literaturnaja gazeta tätigen Simonov und Tvardovskij (vgl. Parnis 2006) ist ausschlaggebend für seine Etablierung in der sowjetischen Literaturlandschaft und bahnt den Weg für die weitere Rezeption seines Werkes in Griechenland und im Westen. Wie Parnis selbst in einem Interview erwähnt: Ich war Gast eines Landes, das mich ausbildete, zum Dichter machte […]. […] Die russischen Schriftsteller haben, weil ich als ‚oppositionell‘ aufgefasst wurde, alles getan, um meine Bücher trotz der Parteinormen drucken zu lassen. (Marinou 2018)
Seine Aufnahme im Jahr 1955 – noch während seines Studiums am Maxim-GorkiLiteraturinstitut – in die 2. Auflage der Großen Sowjetischen Enzyklopädie, zum einen in einem gesonderten Eintrag (Bd. 32, 124) und zum anderen als epischer Dichter bzw. Vertreter der Gattung des Poems im gleichnamigen Eintrag (Bd. 34, 334), in dem auch Homer, Dante, Byron, Puškin, Heine, Blok, Majakovskij, Neruda u. a. figurieren, stellt einen ultimativen Kanonisierungsakt dar. In unterschiedlichem Ausmaß betrifft diese Tendenz auch andere, im griechischen Literaturwesen wenig präsente, nicht kanonisierte Autoren der Politemigration, die in der Sowjetunion hohen Stellenwert einnehmen und eine kontinuierliche publizistische Präsenz genießen. Werke, die Neuauflagen erleben oder systematisch in den offiziellen
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Organen der KPdSU gedruckt werden, weisen über das Zusammenspiel textexterner Faktoren (unter anderem finanzieller Natur) hinaus eine eindeutige Umsetzung der Stilformation des sozialistischen Realismus und des von ihm angeforderten Bildes des positiven Helden auf. Neben diesen Autoren, die zugleich in die Kategorie der politisch gefärbten fallen, umfasst diese Tendenz auch den Fall von Paradeisis, dessen Publikation, abgekoppelt von der nationalen Erfahrung sowie der politischen Ausrichtung des Autors, vorwiegend der Versorgung und Bereicherung der sowjetischen kirchenfeindlichen und anti-westlichen Narrative dient und durch seinen explizit anti-katholischen und zugleich sexuellen Inhalt Unterhaltungsbedürfnisse der Leserschaft befriedigt, ohne dabei das orthodoxe religiöse Gefühl zu verletzen. Aufgrund seiner thematischen Bezogenheit auf einen periodisch reaktualisierten Diskurs erlebt das in Griechenland kaum bekannte Werk eine breite Rezeption unter den spätsowjetischen und frühen postsowjetischen Rahmenbedingungen. Sowohl die parteilichen Autoren als auch die liberalen Sympathisanten verschieben sich im Laufe der Zeit auf der Bewertungsskala der Partei – die ersten vorwiegend gemäß ihrer jeweiligen Haltung gegenüber der Parteilinie, die letzteren gemäß der politischen Einordnung ihres jeweiligen Werkes und seiner Zweckmäßigkeit für die Parteiziele. Aus der extensiven Begutachtung der Werke innerhalb der Partei, die ihrer griechischen Veröffentlichung vorausgeht (vgl. Matthaiou/Polemi 2003), sowie aus den Peritexten und archivalischen Epitexten ihrer sowjetischen Rezeption, die in den folgenden Unterkapiteln ausführlich besprochen werden, geht die erzieherischdidaktische Nützlichkeit und folglich die ideologisch-politische Zweckmäßigkeit als Hauptprinzip der Kanonbildung hervor.
1.2 Paratextuelle Rezeption und Präsentation neugriechischer Literatur in der Sowjetunion 1.2.1 Das Bild der neugriechischen Literatur in sowjetischen Nachschlagewerken Die analytische Gegenüberstellung der Einträge der wichtigsten sowjetischen universalen und literarischen Enzyklopädien zur neugriechischen Literatur beleuchtet ideologiegeschichtliche Aspekte ihrer Rezeptionsgeschichte im sowjetischen Kontext. Die Einträge werden in chronologischer Reihenfolge und unter vorwiegender Berücksichtigung des Zeitraums ab Mitte des neunzehnten Jahrhunderts bis in die 1970er Jahre dargestellt. Die Literaturnaja ėnciklopedija (Literaturenzyklopädie) erscheint in elf Bänden in den Jahren 1929–1939 und entspricht laut Vorrede dem Bedürfnis des neuen, durch die Kulturrevolution entstandenen Lesers nach einer Systematisierung des Wissens in einer Zeit, in der die „Literaturwissenschaft, als Wissenschaft, sich einer radikalen marxistischen Revision unterzieht“ (1930, Bd. 1, 3). Der Eintrag der als erste „marxistische literarische Enzyklopädie“ (ebd., 5) definierten LĖ zur neugriechischen
1.2 Paratextuelle Rezeption und Präsentation neugriechischer Literatur in der SU
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Literatur deckt (als Unterabschnitt des Eintrags zur griechischen Literatur) die Periode vom sechzehnten Jahrhundert bis in die zwanziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts ab und verweist auf vorwiegend französischsprachige sowie einige deutsch- und russischsprachige Quellen.98 Die Deutung der literaturgeschichtlichen Phänomene erfolgt vom Literaturkritiker und Verfasser des Eintrags Sergej Lopašov aus historisch-materialistischer Perspektive und mittels polemischer Argumentation. Den gesamten Text durchläuft eine feindliche Haltung gegenüber dem Westen und der Romantik, als deren „blinde“ und „knechtische“ Nachahmung die neugriechische Literatur – insbesondere die der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts – aufgefasst wird: […] elende Epigonen der Romantik [d.i. Vizyinos, Vikelas u. a.], sie ahmen die literarischen Vorbilder des Westens sklavisch nach. (1929, Bd. 2, 743) Der talentierteste Kritiker dieser Zeit der […] sklavischen Nachahmung der Romantiker war Emmanouil Roidis […]. (Ebd.) Die griechischen Dramatiker ahmen den Westen sklavisch nach. So ahmt Kambysis (1862–1902) völlig Hauptmann nach, J. Polemis (g. 1862) Maeterlinck, Laskaris Labiche. (Ebd., 746)
Der Verfasser scheut sich nicht vor subjektiven und unbegründeten Werturteilen („mittelmäßige Dichter und Belletristen“, „genialer Dichter“ u. ä., ebd., 743 ff.). Eine weitere Dichtomisierung erfolt im Text auf Grundlage der Gegenüberstellung von engagierter und autonomer Kunst: Das ist ein Individualist, der die Schönheit um der Schönheit willen predigt. (Ebd., 744) Ein Dichter-Pessimist […] die Realität ist für ihn voller Leid und Traurigkeit. (Ebd., 746) Alle diese Dichter sind individualistische Pessimisten, Einzelgänger, die an den gesellschaftlichen Ereignissen vorbeigehen. (Ebd., 747)
„Die Literatur des heutigen Griechenlands“ schreibt Lopašov zum zwanzigsten Jahrhundert „unterscheidet sich kaum von der Vorperiode“ (ebd.). Das „starke Interesse der Griechen an der Kultur der europäischen Länder“, das sich in der „Überschwemmung des Buchmarkts mit übersetzter Literatur“ zeigt, führt er auf die schlechte sozioökonomische Lage, den „Zufluss von ausländischem Kapital“ und die „Orientierung der politischen Parteien an der einen oder anderen Großmacht“ zurück (ebd.). Das zunehmende Interesse an Übersetzungen russischer Literatur wird hingegen durch die jüngsten politischen Ereignisse in Europa und Griechenland erklärt, die „die Intelligenz des Landes zwingen, ihren Blick auf die Sowjetunion zu richten“ (ebd.):
Als einzige griechischsprachige Quelle werden die 1904–1907 publizierten Essays von Kostis Palamas zur neugriechischen Literatur Grammata angegeben.
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Das größte Interesse erwecken in der letzten Zeit die russischen Schriftsteller – Tolstoi, Dostojewski, Gorki, Andrejew. […] Das Interesse an zeitgenössischen russischen Dichtern ist enorm. Es werden Sammlungen poetischer Übersetzungen von Anna Achmatowa, Gumiljow, Wera Inber, Blok, Kusmin, Kamenski, Jessenin herausgegeben. (Ebd.)
Neben den „pessimistisch-individualistischen“ Literaten identifiziert der Verfasser auch einige, deren Werke „soziale Motive“ (ebd.) aufweisen (Varnalis und Voutyras) und schließt den Eintrag optimistisch und zukunftsorientiert: […] die Jugend Griechenlands wird in einer Atmosphäre des Klassenkampfs und des sozialen Wandels erzogen, sie zeigt große Aktivität, Wunsch nach Vereinigung und enormes Interesse an kommunistischer Literatur. (Ebd., 748)
Die erste der insgesamt drei Auflagen der Bol’šaja sovetskaja ėnciklopedija (Große Sowjetische Enzyklopädie) erscheint in 65 Bänden in den Jahren 1926–1947. Im Vorwort des Prestigewerkes bezieht sich die Redaktion in der gleichen Denkrichtung auf die Bedürfnisse des neuen, durch die Oktoberrevolution erschaffenen Lesers nach „Orientierung“, „Systematisierung“ und „Festigung der revolutionär-materialistischen Weltanschauung“ in der „Übergangszeit vom Kapitalismus zum Sozialismus“.99 So definiert sich die BSĖ als eine Universalenzyklopädie für „möglichst breite Massen der Arbeiter und Bauern“, die „befreit von idealistischen Beimischungen“ auf der „streng materialistischen Weltanschauung“ beruht (ebd., 2). Der Eintrag der BSĖ zur neugriechischen Literatur stellt eine Kurzfassung des Eintrags der Literaturnaja ėnciklopedija mit identischem Verfasser und den gleichen bibliographischen Angaben dar. Während sich die Texte inhaltlich kaum unterscheiden, sind hier stilistische Änderungen zwecks einer vergleichsweise sorgfältigen, neutralen Ausdrucksweise vorgenommen worden. Der Ausdruck „Die griechischen Dramatiker ahmen den Westen sklavisch nach“ wird beispielsweise durch die Formulierung „Die zeitgenössischen neugriechischen Dramatiker weisen keine Eigenständigkeit auf […]“ (1930, Bd. 19, 278) ersetzt. Die Metapher der Sklaverei verschwindet zwar vom gesamten Text lexikalisch, ihre Semantik bleibt jedoch bestehen: „[…] indem sie blind westliche Muster befolgen“ (ebd.). In einer deutlich antagonistischen Haltung gegenüber dem Westen wird auf die ‚Fremdeinflüsse‘ besonderes Augenmerk gelegt:100 In der Zeit nach dem imperialistischen Krieg wird die Literatur von Fremdliteraturen stark beeinflusst. Zola, Maupassant, Wilde, Whitman, Dreiser, Sinclair u. a. sind bekannter als die einheimischen Schriftsteller, aber am stärksten ist das Interesse an russischen Schriftstellern wie
Zit. n. der deutschen Übersetzung von Beatrix Michel-Peyer, die auf der Webseite des Zürcher Enzyklopädie-Projekts „Allgemeinwissen und Gesellschaft“ zugänglich ist: Michel-Peyer, B. (Übers.) 2006. Die drei Vorwörter zur BSE. http://www.enzyklopaedie.ch/dokumente/BSE.pdf (Zugriff am: 12.01.2015), S. 1. Die ‚Einflüsse‘ sind zuweilen so kategorisch benannt (beispielsweise „Palamas ahmt Hugo und A. de Vigny nach“, ebd., 277), dass es sich die Frage erhebt, inwiefern aus der Bibliographie stammende Fremdbilder anderer Verfasser und Nationen übernommen und reproduziert werden.
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Tolstoi, Dostojewski, Andrejew, Gorki und späteren Dichtern wie Essenin, Achmatowa, Blok, Gumiljow u. a. (Ebd.)
Die „überwiegende Mehrheit“ der einheimischen Dichter besteht laut Lopašov aus Nachahmern der Romantik, schwermütigen Pessimisten und Individualisten, deren Werk kaum Originalität aufweist, während die „protestierenden Stimmen“ von Varnalis und Voutyras Ausnahmen bilden (ebd.). Zum Schluss wird auf Veröffentlichungen von Übersetzungen proletarischer Schriftsteller wie der 1925 erschienene Roman Zement von Gladkov hingewiesen. Die Malaja sovetskaja ėnciklopedija (Kleine Sowjetische Enzyklopädie) soll laut Vorwort „das Sprachrohr der proletarischen Revolution und ein Mittel zur Klärung des Klassenbewusstseins der breiten Masse der Werktätigen, ein Werkzeug der Aufklärung und des Aufbaus“ werden (BSĖ 1974, Bd. 15, 277). In der 1. Auflage (1928–1931) findet sich kein Eintrag zur neugriechischen Literatur. Die 2. Auflage, die in elf Bänden in den Jahren 1936–1941 erscheint, enthält einen selbstständigen, sehr kurz gefassten Eintrag, der eine grobe Periodisierung vornimmt (1938, Bd. 7, 525). Erwähnt werden hauptsächlich Autoren-Anhänger der Demotizismus-Bewegung101 sowie Varnalis und Voutyras erneut als Vertreter der sozialen Thematik. Der Verfasser ist nicht angegeben. Die 2. Auflage der Bol’šaja sovetskaja ėnciklopedija erscheint in 51 Bänden in den Jahren 1949‒1958 und richtet sich nach den ideologischen Grundsätzen der Nachkriegsphase, in der die Kulturrevolution und der Sieg des Sozialismus als vollkommen gelten und „Die Sowjetunion […] wirklich zum Zentrum der Weltzivilisation geworden“ ist (dt. zit. n. Michel-Peyer 2006, 5). Die Aufgabe der ideologischen Neuanpassung deutet sich im Eingeständnis der Redaktion an, die im Vorwort „grobe theoretische und politische Fehler“ bei der 1. Auflage der BSĖ zugibt (ebd.). Die 2. Auflage wird auf Weisung des sowjetischen Ministerrats 1949 veranlasst, dessen Beschluss die Zielsetzung diktiert: Die zweite Ausgabe der Großen Sowjetenzyklopädie ist dazu bestimmt, „die welthistorischen Siege des Sozialismus in unserem Lande umfassend zu beleuchten […]. Die Überlegenheit der sozialistischen Kultur gegenüber der Kultur der kapitalistischen Welt muss mit erschöpfender Vollständigkeit gezeigt werden. Gestützt auf die Theorie des Marxismus-Leninismus soll die Enzyklopädie von der Warte der kommunistischen Partei aus eine Kritik der gegenwärtigen reaktionären bourgeoisen Tendenzen auf den verschiedenen Gebieten der Wissenschaft und Technik liefern“ (aus dem Beschluss des Ministerrats der UdSSR). (Ebd.)
Der Eintrag der 2. Auflage der BSĖ zur griechischen Literatur ist von dem Imaginären und dem polemischen Sprachgebrauch des Kalten Krieges geprägt. Die sozialistische Rhetorik kommt hier mit kontinuierlicher Verwendung marxistischer Vokabeln zur Geltung („semikoloniale Abhängigkeit Griechenlands“, „imperialistisches Joch“, „Monarchofaschismus“ u. Ä.), während sich eine Kriegsmetaphorik durch den ge-
‚Dimotiki‘ ist die Volkssprache komplementär zur Rein-‚ Hoch-, Staatsprache ‚Katharevousa‘.
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1 Peritexte und Epitexte
samten Text zieht. Die Literaten werden klassenspezifisch in ‚bürgerliche Autoren‘ (buržuaznye pisateli) und ‚Autoren-Demokraten‘ (pisateli-demokraty) unterteilt. Die Frage der Fremdeinflüsse wird mit zweierlei Maß gemessen. Während die russischen als „Einwirkung“ bezeichnet werden, rufen die westlichen Konnotationen der Bedrohung und Unterwerfung hervor: Noch am Anfang des XX. Jahrhunderts verstärkt sich die Einwirkung der realistischen russischen Literatur und vor allem L. N. Tolstois, A. P. Tschechows und M. Gorkis. Gleichzeitig dringen Einflüsse der westeuropäischen Dekadenz in großem Ausmaß in die bürgerliche Literatur hinein […]. In der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg tritt die bürgerliche Literatur öffentlich in den Dienst des englischen und französischen Imperialismus. (1952, Bd. 12, 570)
Im Fokus des Eintrags stehen Autoren der linken Bewegung mit Widerstandtätigkeit, die Verhaftung und Folter unterworfen wurden und patriotische Werke verfassten. Einige von ihnen erscheinen in den darauffolgenden Jahren in russischer Übersetzung in der Sowjetunion. Der im Eintrag der LĖ als Individualist und Ästhet aufgefasste Dichter Kostis Palamas wird hier aufgrund von „starkem Glauben an den Sieg der Idee der sozialen Gerechtigkeit“ ‚rekrutiert‘ (ebd., 570). Von den Schriftstellern der Politemigration wird Melpo Axioti erwähnt, deren Roman Eikostos aionas (Tränen und Marmor) bereits 1950 in der Sowjetunion veröffentlicht wurde. Der Eintrag erscheint ohne Erwähnung des Verfassers und Quellenangaben. Der kurze Eintrag der 3. Auflage der Malaja sovetskaja ėnciklopedija, die in zehn Bänden in den Jahren 1958‒1960 erscheint, ist mit einem vergleichsweise zurückhaltenden Sprachgebrauch auf einen kompakten Überblick der wichtigsten Literaturtendenzen und Werke orientiert. Varnalis’ Schaffen wird als „neue Etappe in der Entwicklung der neuriechischen Literatur“ (1959, Bd. 3, 148) bezeichnet. Zum ersten Mal werden Kavafis, der als „dekadenter Dichter“ bezeichnet wird, sowie Kazantzakis kommentarlos erwähnt, während das Schaffen von Myrivilis, Terzakis und Venezis als „widersprüchlich“ eingestuft wird (ebd.). Myrivilis, Kazantzakis und (etwas später) Terzakis werden zeitnah publiziert. Bemerkenswert ist darüber hinaus die erstmalige Einführung der Bezeichnung „progressive“ griechische Literatur, als deren Vertreter Ritsos, Loudemis, Kornaros, Fotiadis und Rotas aufgezählt werden. Schließlich wird auf die „fruchtbringende Arbeit“ der in der Politemigration lebenden Schriftstellerinnen und Schriftsteller Axioti, Alexiou, Bosis, Hadzis, Parnis, Sevastikoglou u. a. hingewiesen (ebd.). Der Eintrag ist nicht signiert. Als Literaturquellen werden die Arbeiten des französischen Neogräzisten André Mirambel La littérature grecque moderne (1953) und des italienischen Hellenisten Bruno Lavagnini Storia della letteratura neoellenica (1955) angegeben. In den Jahren 1962–1978 wird die Kratkaja literaturnaja ėnciklopedija (Kurze Literaturenzyklopädie) in neun Bänden veröffentlicht, die als Ersatz für die inzwischen offiziell als „vulgärsoziologisch“ und „moralisch antiquirt“ eingestufte Literaturnaja ėnciklopedija der frühen Sowjetzeit konzipiert wird (Glad 1981, 81). Laut der editorischen Notiz richtet sich die Enzyklopädie „an Schriftsteller, Journalisten, Literatur-
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schullehrer, Studenten und promovierende Philologen sowie an alle an Literatur interessierten Leser“ (1962, Bd. 1, 5). Unmittelbar nach seiner Publikation wurden dem ersten Band zahlreiche Abweichungen von der Parteilinie vorgeworfen (unzureichende Betonung der prägenden Rolle des sozialistischen Realismus, unkritische Haltung gegenüber dem Formalismus, Fehlen eines einheitlichen marxistischen Ansatzes u. a.).102 Im Ergebnis verpflichtete sich die Redaktion im Vorwort des zweiten Bandes, „wesentliche Änderungen“ (1964, Bd. 2, 5) bei den nächsten Bänden vorzunehmen. Der Eintrag der KLĖ zur neugriechischen Literatur wird vom griechischen Theaterwissenschaftler und Politemigranten in der Sowjetunion Dimitris Spathis verfasst, der zu dieser Zeit am Institut für Kunstgeschichte der sowjetischen Akademie der Wissenschaften als Forscher tätig ist. Der Eintrag ist in historische Perioden aufgeteilt und widmet den griechischen Literaturzeitschriften einen zusätzlichen Teil. Der Text unterscheidet sich durch den großen Umfang (10 Seiten), den akademischen Sprachstil mit Einbindung literaturwissenschaftlicher Begrifflichkeiten sowie die von einer Spezialenzyklopädie zu erwartende Detailtiefe wesentlich von den bereits analysierten Einträgen früherer Enzyklopädien. Literarische Phänomene und Tendenzen werden entsprechend dem materialistischen literaturtheoretischen Ansatz in ihrem Verhältnis zum sozioökonomischen Kontext betrachtet. Die Dichotomie ‚bürgerliche‘ vs. ‚progressive‘ Literatur sowie die Befangenheit gegenüber der ersten, die sich in Vorwürfen des Individualismus und Pessimismus manifestiert, bleiben vorhanden. Hinsichtlich der westlichen Einflüsse widerspricht der Verfasser der Behauptung früherer Einträge hinsichtlich der mangelnden Originalität bestimmter Literaten direkt. Zu den wiederholt als blinde Nachahmer westlicher Kunstströmungen präsentierten Autoren der sogenannten Generation der 1880er schreibt Spathis: „Das Schaffen dieser Dichter bewahrt seine nationale Eigenständigkeit trotz des Einflusses der Parnassiens, des Symbolismus und des Neoromantismus“ (1964, Bd. 2, 354). Die bibliographischen Angaben umfassen französisch-, deutsch-, italienisch-, englisch- und griechischsprachige Literaturgeschichten sowie die bereits in der Sowjetunion publizierten Anthologien neugriechischer Literatur. Die 3. Auflage der Bol’šaja sovetskaja ėnciklopedija erscheint in den Jahren 1969–1978 in 30 Bänden. Sie stellt eine verkürzte, überarbeitete und aktualisierte Version der 2. Auflage dar, die „nicht mehr dem heutigen Stand der Wissenschaft“, den „neuesten bedeutenden Errungenschaften im Leben der Sowjetunion“ und den „tiefgreifenden Veränderungen […] in der heutigen Welt“ entspricht (dt. zit. n. Michel-Peyer 2006, 7). Daher sollen in der 3. Auflage unter anderem die „führende und richtungsweisende Tätigkeit der KPdSU“ „die „Veränderungen auf der politi-
Ausführlicher zu den Kritikpunkten sowie der Adäquatheit der KLĖ als Referenzquelle siehe Glad, John. 1981. The Soviet Concise Literary Encyclopedia: A Review Article. In: The Slavic and East European Journal 25: 2, S. 80–90.
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schen Weltkarte“, die „Verschärfung der Krise des kapitalistischen Systems“, der „Zerfall des Kolonialsystems“, die „nationalen Befreiungsrevolutionen“ zur Darstellung kommen (ebd., 7 f.). Erstmalig wird im Vorwort der Redaktion das Gebiet der Kunst und Literatur gesondert erwähnt. Die BSĖ ist dazu bestimmt, die erzieherische und Veränderungen bewirkende Bedeutung unserer Literatur und Kunst zu zeigen; […] die Vielfalt der Stile und Formen des sozialistischen Realismus im Schaffen der sowjetischen Schriftsteller, der Kunstschaffenden, der fortschrittlichen Publizisten und Künstler des Auslandes“. (Ebd., 8)
Im Eintrag der 3. Auflage zur neugriechischen Literatur, den Giannis Motsios verfasst, kommt die erste offiziell verzeichnete Bezugnahme auf den Begriff des ‚sozialistischen Realismus‘ in direktem Zusammenhang mit Werken neugriechischer Literatur vor: Die Ideen der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution beeinflussten die griechische Literatur. Im Einklang mit dem sozialistischen Realismus und der marxistischen Ästhetik sind „Das brennende Licht“ (1922), „Belagerte Sklaven“ (1927), das Powest-Pamphlet „Die wahre Apologie des Sokrates“ (1931), „Ästhetische kritische Werke“ (1958) von K. Varnalis (geb. 1884), die Werke des Pädagogen und Philosophen D. Glinos (1882–1943), die Dichtung von Ja. Ritsos (geb. 1909), K. Thrakiotis (geb. 1910), N. Vrettakos (geb. 1911) geschrieben. (Močos 1972, Bd. 7, 313)
Durch die Hinzunahme der breit gefassten Formulierung „marxistische Ästhetik“ umgeht Motsios eine klare Zuordnung der aufgeführten Werke und Autoren zum Begriff Sozrealismus, zumindest für die längst vor der offiziellen Durchsetzung des Kanons als verbindliche Kunstrichtlinie verfassten Literaturwerke von Varnalis. Der Eintrag stellt eine kurze, fast stichwortartige Darstellung der wichtigsten Literaturströmungen und ihrer Vertreter dar, die nach Genre oder Hauptthematik (der „kleine Mensch“, soziale Motive, Antifaschismus, Surrealismus, historischer Roman u. a.) gruppiert werden. Der Sprachgebrauch ist vorwiegend informativ bzw. es wird auf direkt an Autoren adressierte Bewertungen verzichtet. Es wird tendenziell versucht, die Werke der bis dato als ‚bürgerlich‘ oder ‚idealistisch‘ aufgefassten Schriftsteller aus der Perspektive ihrer sozialbezogenen, anti-kriegerischen oder anti-religiösen Motive heraus vorzustellen, wobei die klare Trennung zwischen ‚bürgerlich‘ und ‚progressiv‘ fehlt. Theotokas und Terzakis werden als kritische Realisten vorgestellt, während Pessimismus und Hedonismus nach wie vor die Hauptmerkmale der Dichtung Kavafis’ ausmachen. Die Bibliographie enthält hauptsächlich französische, aber auch englische, italienische, griechische und russische Literaturquellen (einschließlich Motsios’ eigene Arbeit zu Varnalis und der griechischen Widerstandsliteratur103).
Močos, Jannis. 1968. Kostas Varnalis i literatura grečeskogo soprotivlenija. Moskau: Vysšaja škola.
1.2 Paratextuelle Rezeption und Präsentation neugriechischer Literatur in der SU
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Das Bild der neugriechischen Literatur steht in direktem Zusammenhang mit dem offiziellen ideologisch-politischen Narrativ, das auch die Zielsetzung der jeweiligen Ausgabe diktiert. Ihre polemische Präsentation als Produkt der Nachahmung westlicher Vorbilder (und daher unterworfen, abhängig und unoriginell) und die einhergehenden Bestätigungen der Zunahme russisch-sowjetischer Einflüsse in den früh-sowjetischen Einträgen (ironischerweise bei gleichzeitiger Verwendung von ausschließlich ‚westlichen‘ Referenzquellen) sind wenig mit dem Sachverhalt an sich befasst und dienen viel mehr der Bestätigung der sowjetischen Superiorität bzw. dem sowjetischen Konkurrenzprojekt der ideologischen Expansion und kulturellen Dominanz. Dieses Bild differenziert sich in späteren Einträgen aufgrund eines Zusammenspiels verschiedener Faktoren: Die Auflockerungen während der Tauwetter-Periode führen zur Förderung der sowjetisch-griechischen kulturellen Beziehungen (u. a. durch systematische Übersetzungen neugriechischer Literatur) und einer partiellen Entideologisierung des Sprachgebrauchs. Zudem werden die Einträge nun von griechischen Philologen-Politemigranten verfasst, die sowohl durch den unmittelbaren Zugang zu griechischsprachigen Informationsquellen als auch an sich eine differenzierte Haltung zur Literatur ihres Herkunftslandes haben.
1.2.2 Peritextuelles Framing Durch die Übersetzung in die russische Sprache tritt die neugriechische Literatur in ein fremdes, von der Partei reglementiertes und von den Richtlinien des sozialistisch-realistischen Kanons dominiertes Literatursystem ein. Als Fremdliteratur benötigt sie in ihrer neuen kulturellen Umgebung eine Art Reisebegleiter, der sie vorstellt, kontextualisiert, zusätzliche Informationen über sie liefert und ins neue System ‚hinein‘ sozialisiert. Diese Rolle übernehmen die Paratexte. Genette unterteilt die Paratexte in Peritexte, die physikalisch zusammen mit den Haupttexten (Basistexten) auftreten, und Epitexte, die an einem anderen Ort situierte Angaben über den Text darstellen (1989, 12). Peritexte bilden nach Genette „nicht bloß eine Zone des Übergangs, sondern der Transaktion: den geeigneten Schauplatz für eine Pragmatik und eine Strategie“ (ebd., 10). Obwohl er der paratextuellen Relevanz der Übersetzung als Kommentar zum Originaltext bewusst ist104 und viele seiner vorgebrachten Beispiele aus Ausgaben übersetzter Literatur stammen, geht er in seinem Standardwerk Paratexte weder auf Übersetzungen noch auf Übersetzungen begleitende Peritexte als Sonderkategorie von Peritexten ein. Nachfolgende, an der
„Mangels einer Untersuchung, die vielleicht ebenso viel Arbeit erfordern würde wie das hier behandelte Ganze, habe ich auch drei Gepflogenheiten beiseite gelassen, deren paratextuelle Relevanz mir nicht zu leugnen erscheint. Die erste ist die Übersetzung […].“ (Genette 1989, 386).
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Schnittstelle von Paratext- und Translationsforschung liegende Betrachtungen weisen anhand von Fallstudien auf das Vorhandensein zusätzlicher Spezifika bei den übersetzerischen Peritexten hin, die sich aus deren mediativer Rolle zwischen den unterschiedlichen kulturellen Kontexten herleiten lassen (vgl. Kovala 1996; Tahir-Gürcaglar 2002; Gil Bardají 2012; Pellatt 2013). Die Peritexte – Titel, Vorund Nachworte, Einleitungen, Autorenverzeichnisse u. a. – begleiten die Einführung der sowjetischen Leserschaft in die neugriechische Literatur, indem sie gewisse Rahmenbedingungen für die Lektüre schaffen. Neben ihrer einleitenden und informativen Funktion, die gerade auch auf Selektion aufbaut, bilden die Peritexte zwischen Quellkultur und Zielkultur den Raum, in dem ein Aneignungs- und Übersetzungsprozess gesteuert wird, der Prozess einer Appropriierung des Fremden und seine Übersetzung ins Eigene. Zugleich stellen sie durch ihre kommentierende Funktion Metatexte dar, in denen sich zum einen die literatur- und kulturkritischen Diskurse (sowie ihre Ordnung und Praxis) abbilden und zum anderen die Relationen zwischen den Literatursystemen der Quell- und Zielkultur, mithin die Stellung der übersetzten Fremdliteratur im Zielkontext ersichtlich werden. In our country every translated book appears with a foreword that constitutes a visa of sorts for this book to enter the USSR […]. (Toper 1953, zit. n. Witt 2016b, 29)
Die Funktionen des Vorworts als Instanz der Prüfung, Identifizierung, Legitimation, Regulierung und Steuerung sind, wie auch die Visum-Metaphorik Topers andeutet, für die Ausgaben übersetzter Literatur dem sowjetischen Literaturbetrieb bewusst.105 Die überwiegende Mehrheit der sowjetischen Ausgaben übersetzter neugriechischer Literatur erscheint mit allographen Vorworten. Nachworte und insbesondere auktoriale Vorworte erscheinen vereinzelt, wobei die letztgenannten häufig in den Ausgaben von Kinder- und Jugendliteratur anzutreffen sind, zumal sie die Möglichkeit einer vertraulichen Hinwendung der Autoren hin zur jugendlichen Leserschaft des Buchs ermöglichen, wodurch die Appellwirkung verstärkt wird. Neuauflagen werden meistens mit einem kurzen, das Vorwort der Erstausgabe zusammenfassenden verlegerischen Vorwort versehen. Das allographe Vorwort stellt einen informierenden und auf die Lektüre vorbereitenden Begleittext dar, dessen Platzierung zwischen Autor und Rezipienten, zwischen der textexternen Realität und der Rezeption die Möglichkeit einer lektüresteuernden Intervention einführt bzw. die Möglichkeit, welche Foucault in der Ordnung des Diskurses dem Kommentar zuschreibt, den Zufall des Diskurses zu eliminieren (1977, 20). Die Peritexte der Ausgaben übersetzter neugriechischer Literatur sind in einem Verhältnis von ca. Zweidrittel zu einem Drittel von sowjetischen Philologen und griechischen Philologen der Politemigration verfasst, die gewöhnlich auch als Her-
Einen kurzen Einblick in den strategischen Einsatz von Vorworten zur Zensurumgehung gewährt Kamovnikova in ihrem Buch Made Under Pressure (2019, 187–196).
1.2 Paratextuelle Rezeption und Präsentation neugriechischer Literatur in der SU
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ausgeber fungieren. Der Einsatz von Neogräzisten, Literaturwissenschaftlern und im Fall von historischen Romanen auch Historikern bzw. deren Expertise verleiht den Ausgaben Gewicht. Trotz des von ihr ausgehenden sachlichen Bezugs des Schreibenden zum Erzählten weisen die Texte starke stilistisch-rhetorische und daher große Unterschiede in ihrer Anlehnung an die ohnehin vorhandenen Konventionen der marxistisch orientierten sowjetischen Literaturkritik auf.106 Während die Peritexte der Ausgaben von politisch motivierten Werken gelegentlich auch von Literaten (vor allem der Politemigration) und Journalisten verfasst werden, wird die Einführung kanonferner und kontroverser Werke der griechischen Klassiker vorwiegend von Philologen bzw. Professionellen übernommen, die diese Publikationen in manchen Fällen auch initiieren, und die über das notwendige Vorwissen und theoretische Instrumentarium zur historischen Situierung des Werkes in der neugriechischen Literaturgeschichte sowie seine literaturkritische Kommentierung verfügen. Dies gilt in gewissem Maße auch für die Anthologien, die in der Regel große historische Perioden umfassen oder deren Zusammenstellung expliziert werden soll. Der Name anerkannter Literaten wie Ėrenburg und Ritsos, die auch als Vorwortverfasser bei Anthologien vorkommen, fungiert als Qualitätsgarantie, verleiht den Ausgaben Prestige und besitzt kanonisierende Wirkung. Auf der anderen Seite ist für die sowjetischen Kanonisierungspraktiken die Tatsache bezeichnend, dass die in der Sowjetunion von Autoren der Politemigration produzierte Literatur fast ausschließlich von etablierten sowjetischen oder der sowjetischen Prominenz angehörenden Autoren (beispielsweise Boris Polevoj im Fall von Alexandropoulos oder Nâzim Hikmet im Fall von Parnis) eingeleitet wird. Ungeachtet rein struktureller Variationen erhalten die Vorworte und Nachworte in der Regel drei thematische Schwerpunkte: biobibliographische Angaben zum Autor, eine Präsentation und Besprechung des Werkes und eine Überblicksdarstellung des thematisierten historischen Kontextes. Die biographische Darstellung der Literaten liefert Informationen zu ihrer sozialen Herkunft, Ausbildung und aktuellen Lebenssituation, konzentriert sich jedoch auf ihr politisches Engagement und ihre Widerstandstätigkeit sowie die gegen sie gerichteten Repressalien (Gefängnisstrafe, Verbannung u. a.). Der schriftstellerische Werdegang wird häufig in kausalen Zusammenhang mit (inter)nationalen historischen Gegebenheiten gebracht. Dabei werden die Rolle nationaler und sozialer Kämpfe (z.B die griechische Widerstandsbewegung) sowie die Bedeutung der Oktoberrevolution und der damit einhergehenden Entwicklung der Arbeiterbewegung und der Ausbreitung der sozialistischen Ideen für die Formung und Entwicklung der Autorenidentität betont, während umstrittene Momente (beispielsweise Partei-
Markant ist beispielsweise der Unterschied zwischen dem grundsätzlich nüchternen, methodischen Ansatz Il’inskajas und den immer noch stark schematischen, pathetischen Ausführungen Sokoljuks in Ausgaben der achtziger Jahre (s. Unterkapitel 1.1.2).
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ausschluss wegen Verstoß gegen die Parteilinie) keine Erwähnung finden. Insbesondere bei zunächst als Ästheten geltenden Autoren (wie Palamas, Sikelianos, Kazantzakis u. a.) besteht die Tendenz, die Verlagerung des thematischen Schwerpunkts ihres Werkes auf soziale oder nationale Fragen zur Zeit des Zweiten Weltkrieges als Anzeichen einer Vergegenwärtigung des sozialen Auftrags der Kunst und folglich als schriftstellerische Reifung zu präsentieren. Der dadurch ‚bewiesene‘ Einsatz für die Interessen des Volkes respektive die Volksgebundenheit und der Patriotismus dienen als Legitimationsargumente der Werkpublikationen. Die Präsentation des Werkes verbindet im untersuchten Textkorpus die Aufgaben der Zusammenfassung und des kritischen Kommentars. Sie stellt eine meistens ausführliche, aufgrund der Detailliertheit keineswegs auf Spannungserzeugung abzielende Nacherzählung der Handlung mit Fokus auf die Charakterisierung der Hauptfiguren und die Explizierung ihrer Motivation dar. Die Schwerpunkte der Werkbesprechung gehen unverkennbar auf die im 1. Allunionskongress der Sowjetschriftsteller ausformulierte Forderung des sozialistischen Realismus für eine „wahrheitsgetreue, historisch konkrete Darstellung der Wirklichkeit in ihrer revolutionären Entwicklung“ (dt. zit. n. Schmitt 1974, 390) und die daraus abgeleiteten Forderungen für eine realistische Darstellungsweise, typische Charaktere, positive Helden, sozialen Optimismus und revolutionäre Romantik zurück. Dass die formal-ästhetischen Anforderungen des Literaturkanons mit dem methodologischen Instrumentarium und zugleich den Bewertungskriterien seiner Literaturkritik zusammenfallen, führt gesetzmäßig zu einer normativen literaturkritischen Tätigkeit, die das ideologische Regulativ auf Grundlage der Dichotomie Treue/Untreue bzw. Richtig/Falsch reproduziert.107 Durch die Bewertung gewisser Charaktereigenschaften und Verhaltensmuster (Tapferkeit, Unbeugsamkeit u. a.) als vorbildlich und die Abwertung bis hin zur Dämonisierung anderer (Feigheit, Angst, Individuallismus, Pessimismus u. a.) verfolgt die Besprechung der Figurengestaltung das pädagogisch-aufklärerische Ziel der Vermittlung eines Wertesystems, während sie parallel die Werkrezeption durch explizite oder implizite Vorwarnungen auf Normabweichungen steuert. Als Bewertungsmaßstab der importierten übersetzten Literatur gelten die literaturkritischen Standards der Zielkultur. Phänomene eines weiterentwickelten, sich schon ab den vierziger Jahren nicht mehr an die Buchstaben des Kanons haltenden griechischen sozialistischen Realismus
In seiner Monographie The Making of the State Reader geht der Theoretiker des sozialistischen Realismus Evgenij Dobrenko ausführlich auf die Problematik des Lesers als Erziehungsobjekt und die Rolle der sowjetischen Literaturkritik als Regulator der Beziehung zwischen Literaturproduktion und Literaturezeption in dessen Formation ein. Ausgehend von der ästhetischen Prämisse einer ‚objektiven Bedeutung‘ des Literaturwerkes (im Gegensatz zum westlichen rezeptionsästhetischen Prinzip der Unerschöpflichkeit des Kunstwerkes und der Unendlichkeit der Interpretation) erhebt sich die sowjetische Literaturkritik der Nachkriegszeit zu Kontrollinstanz der ästhetischen Erziehung des Massenlesers (vgl. Dobrenko 1997).
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(vgl. Kokoris 2015, 97) – beispielsweise der enttäuschte oder verzweifelte und dadurch nicht mehr so positive Held der Nachkriegsliteratur, der die Niederlage der linken Front und der Vorkriegserwartungen im Bürgerkrieg verkörpert – werden in den sonst sehr kontextzentrierten Peritexten nicht im Rahmen der historischen und literaturhistorischen Entwicklungen des Entstehungskontexts veranschaulicht oder als nationalspezifische Appropriierung des Kanons betrachtet. Solche Helden finden zwar Mitte der sechziger Jahre Eingang in die sowjetische Literaturlandschaft (beispielsweise durch die Romane von Fragkias und Katiforis), sie werden jedoch nicht als Anlass zur Besprechung des kaum in den Peritexten thematisierten griechischen Bürgerkriegs, sondern als Gelegenheit zur Moralisierung genutzt. Es wird versucht, die fehlende Positivität als vorübergehenden Gemütszustand mit Narrativen der Überwindung des Individualismus durch Kollektivität oder den optimistischen Ausgang der Handlung zu kompensieren. Die peritextuelle Präsentation von Kriegs- und Nachkriegsliteratur sowie historischen Romanen legt großen Wert auf deren Wahrheitstreue (pravdivost’). Die fast in allen Werkbesprechungen anzutreffende Bezeichnung des Werkinhalts als ‚pravdivoe izobraženie‘ oder ‚pravdivaja kartina‘ (wahrheitsgetreue Darstellung, wahrheitsgetreues Bild) deutet hier nicht nur auf den Realismus als Stilbegriff im Sinne der geforderten wirklichkeitsnahen, lebensechten Darstellung der Realität, sondern vielmehr (trotz des Fiktionvertrags durch die Gattungsangabe ‚Roman‘) auf den Wahrheitsgehalt des Erzählten hin, als dessen Beweis das reduktionistische und biographistische Argument der Teilnahme der Autoren an den geschilderten historischen Begebenheiten wiederholt verwendet wird. Durch die implizite Berufung auf die Autorität des Augenzeugen und von der Existenz einer objektiven historischen Wahrheit ausgehend, setzen die Peritexte erlebte mit erzählter Wirklichkeit gleich und suggerieren somit die Fiktion als Dokumentation. Die Suggestion der Wahrheitstreue im Sinne des Realitätsgehalts wird durch eine Reihe von analogisierenden und Plausibilitätsargumenten unterstützt, die Diegese und außerdiegetische Sachverhalte als interdependent darstellen. So werden Eigenschaften der Romanfiguren dem Autor und vice versa zugeschrieben oder als typische Merkmale des griechischen Nationalcharakters präsentiert, während die Darlegung des historischen Kontextes häufig mit Motiven und Szenen aus der fiktiven Welt untermauert wird. Durch derartige Signale auf die Faktualität der erzählten Geschehnisse wird die Leserschaft auf die Dramatik der Realität hin sensibilisiert. In seinem Vorwort zur Anthologie Rasskazy grečeskich pisatelej, in dem zum Teil der Diskurs der späten fünfziger Jahre über den Sozrealismus zwischen ‚Schönfärberei‘ und ‚Schwarzmalerei‘ abgebildet werden (vgl. Dobrenko/Kalinin 2011), unterstreicht Ėrenburg den Außenweltbezug und somit die Realistik der vorgestellten Literatur: Die Schriftsteller des zeitgenössischen Griechenlands leben nicht in einer fiktiven Welt, die den Gesetzen der ‚schwarzen‘ oder ‚rosaroten‘ Literatur untergeordnet ist, sie leben in ihrem
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Land, und ich denke, der Leser wird nicht von der Traurigkeit einer Reihe von Erzählungen überrascht sein, die die Herausgeber in die Sammlung aufgenommen haben. (1959, 8)
Die Tragik des Landes bzw. des historischen Schicksals des griechischen Volkes, aus der, wie Ėrenburg impliziert, die ‚Traurigkeit‘ dieser Literatur entspringt, ist ein zentrales Element des Griechenlandbildes, welches die Peritexte zeichnen. Die durch aufeinanderfolgende Kriege, Militärdiktaturen und ihre Folgen gekennzeichnete, tragische Geschichte des griechischen zwanzigsten Jahrhunderts wird mit entzweiender Rhetorik als Werk des westlichen Imperialismus präsentiert. Die tragische Gegenwart steht im Kontrast zur ruhmvollen Vergangenheit des antiken Griechenlands, auf dessen Territorium heutzutage Reaktion und Unfreiheit herrsche. Vorwiegend die sowjetischen Peritexteverfasser drücken offenkundige Bewunderung für die griechische Kultur der Antike und Sympathie für das moderne griechische Volk aus, das als deren Erbe und Fortsetzer gesehen wird und dessen Nationalcharakter – skizziert anhand von Befreiungs- und Widerstandkämpfen – heroisiert und idealisiert wird. Für das Kontinuitätsnarrativ sind auch die bildlichen Peritexte der Publikationen von Bedeutung, zu deren optischer Gestaltung gewöhnlich ein schlichtes, auf das antike Kulturerbe verweisendes graphisches Element (Parthenon, klassische Säulen, Statuen, Amphoren, Ornamente, mythologische Szenen u. Ä.) auf den Buchdeckel gehört.108 Dem tragischen Schicksal des Landes wird in diesem Zusammenhang die Tapferkeit und der unbeugsame Kampfgeist des griechischen Volkes entgegengesetzt, dessen Wille und Heroismus durch das Leid potenziert wird. Als Akt des Widerstands soll auch die vorgestellte Literatur verstanden werden, die im Interesse des Volkes die Geschichte dokumentiert und übermittelt. Die Darstellungsweise der historischen Ereignisse, die mit einer spaltenden und affektiven Rhetorik ‚Gut vs. Böse‘ operiert und Partei ergreift, trägt ebenfalls zur Intensivierung der Wirkung der präsentierten Tragizität bei. Einerseits aufgrund der marxistisch orientierten und daher kontextzentrierten literaturkritischen Praxis, die zusätzlich in der Tradition der ideologischen Polemik gegen den Formalismus (bor’ba s formalizmom)109 in der Kunst und Kunstkritik operiert, und andererseits aufgrund der Orientierung am Massenleser – „dlja massovogo čitatelja“ wie die verlegerischen Annotationen der Ausgaben häufig ankündigen – werden Fragen der textuellen Gemachtheit der Werke in den Peritexten nur in sehr begrenztem Maße angesprochen. Die Werkbesprechung ist stark inhaltsorientiert und beschränkt sich größtenteils auf Fragen der Umsetzung der sozrealistischen Postulate bzw. der ideologischen Integrität des Werkes. Technische und formalästheti-
Die zweithäufigste Gruppe von Motiven bezieht sich auf die Kriegsthematik, beispielsweise bewaffnete Kämpfer, besorgte (ernst wirkende, meistens weibliche) Porträts, Stacheldraht u. Ä. Ausführlich zu dieser Debatte siehe: Günther, Hans (Hg.) 1973. Marxismus und Formalismus: Dokumente einer literaturtheoretischen Kontroverse. München: Hanser, sowie Bennett, Tony. 2003. Formalism and Marxism. London: Routledge.
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sche Aspekte, wie beispielsweise der am häufigsten in diesem Zusammenhang thematisierte Schreib- oder Erzählstil der Autoren, werden – wenn überhaupt – nicht analytisch durch einen kohärenten erzähltheoretischen oder poetologischen begrifflichen Apparat, sondern vorwiegend mithilfe von ekphrastischen Beschreibungen (jarkaja kartina, gromoglasnoe slovo, smelaja obraznost’, pafos sticha110 u. a.) sowie essentialistischen und naturalisierenden Festschreibungen angegangen, wie beispielsweise die verbreitete genieästhetische Bezeichnung der Autoren als ‚Meister der Sprache‘ (master slov). Fragen der Ästhetik werden thematisiert, sofern sie die ideologische Funktion und Wirkung des Werkes unterstützen. Die expressive Darstellungsweise des Schreibstils als auch der Persönlichkeit der Autoren, die dadurch mythologisiert werden, intensiviert die Appellfunktion der Peritexte, die dadurch eine aufregende Lektüre suggerieren. Darüber hinaus enthalten die Peritexte weder zu editorischen Entscheidungen (Erstellung der Ausgabe, Textauswahl u. ä.) noch zum Übersetzungsvorgang und der damit verbundenen translatorischen Problematik Erörterungen – selbst in den Fällen, in denen die Übersetzenden auch die Peritexte verfassen. Eine Ausnahme im gesamten untersuchten Korpus bildet das Nachwort des Literaturhistorikers und Übersetzers Vladimir Nejštadt zur Anthologie Grečeskie narodnye pesni (Griechische Volkslieder, 1957), das mit dem Titel „Grečeskaja narodnaja pesnja v russkich perevodach“ (Das griechische Volkslied in russischen Übersetzungen) die Übersetzung zu seinem Schwerpunkt macht. Der Umgang der Peritexte mit ihren Informationsquellen deutet außerdem auf einen geringen Anspruch auf Reliabilität hin. Die Verfasser fühlen sich in der Regel nicht verpflichtet, Quellenangaben zu paraphrasierten oder in Anführungszeichen zitierten Aussagen (beispielsweise von Schriftstellern und Persönlichkeiten wie Engels und Churchill) zu machen. In den Peritexten wird versucht, die präsentierte Fremdliteratur mit der Literatur des Zielkontextes in Relation zu setzen und sie in dessen Literaturtradition zu verorten. Diese Praktik steht in der Tradition, die vom Übersetzungsprojekt des Verlags Vsemirnaja literatura bereits in den zwanziger Jahren eingeführt wird. Den Kritikern und Übersetzern des Verlags werden von der Redaktion hinsichtlich des Verfassens der Peritexte klare Anweisungen gegeben: Each introductory article should, apart from all other material, include information about the translated author’s influence on the foreign literature, and vice versa. The Editorial Board of World Literature Publishing House requests that in compiling articles and introductions one should show, where possible, the connections of the author of a particular work to Russian literature, and point out the ifluences of given authors or works on Russian literature. (Zit. n. Khotimsky 2013, 145).
Dies geschieht im Fall der neugriechischen Literatur sowohl direkt durch Bezugnahme auf die Vorbildfunktion russischer Autoren und konkreter Literaturwerke für Dt. anschauliches Bild, lautstarkes Wort, beherzte Bildlichkeit, Pathos des Verses u. a.
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das vorzustellende Werk als auch indirekt durch Hervorhebung der Wirkung der Oktoberrevolution auf die Weltanschauung und das Werk der griechischen Autoren, durch Zitieren ihrer philosowjetischen Aussagen oder Erwähnung ihrer russischen literarischen Vorlieben. Bezugnahmen auf Werke etablierter Autoren, die der Zielleserschaft vertraut sind, geben eine Vorstellung von der anstehenden Lektüre, liefern jedoch gleichzeitig eine Lektüreanweisung, indem sie den Vergleichsmaßstab setzen, nach dem sich die Leseerwartungen ausrichten dürfen. Es wird in diesem Zusammenhang mit einem stark reduktionistischen Ordnungsschema operiert, in dem ‚Einfluss‘ (vlijanie) den Schlüsselbegriff bildet, der die Art des Verhältnisses zwischen der vorgestellten und der Literatur des Rezeptionkontexts bezeichnet: er konnotiert eine unidirektionale Bewegung und setzt daher die zwei Literaturen in eine hierarchische Relation zu einander. Der russischen und sowjetischen Literatur wird dadurch die überlegene Position des Vorbilds, während der unter ihrem ‚Einfluss‘ produzierten griechischen die der Nachahmerin zugeschrieben wird. Mögliche westliche Einflüsse, auf die in der Regel nicht eingegangen wird, kennzeichnen im Höchstfall eine frühe und ‚unreife‘ Schaffensphase. Die russischen Klassiker Dostoevskij und Tolstoj (in einem Fall Gogol’) werden als ‚Einfluss‘ sowohl auf ‚bürgerliche‘ als auch ‚progressive‘ Autoren erwähnt, während Gor’kij – gemessen an der Häufigkeit seiner Erwähnung in diesem Zusammenhang – den einflussreichsten russischen Autor für die linken griechischen Autoren darstellt.111 Alle peritextuellen Hinweise auf Einflüsse ordnen die präsentierten Werke der literarischen Einflusssphäre der russischen realistischen Tradition zu, die die Verfasser in der allgemeinen sozialen Problematik, der stilistischen Darstellung der Wirklichkeit, der Motivik und der Figurengestaltung der Werke sehen. Das Argument des Realismus ist charakteristisch für den Versuch, die russische Literaturtradition mit dem sozialistischen Realismus zu vereinbaren. Die Abwesenheit eines analytischen Ansatzes, der möglicherweise die literaturgeschichtlichen Entwicklungen des griechischen Kontextes sowie umgekehrte Einflussrichtungen in ein dialogisches Austauschschema miteinbeziehen würde, führt dazu, dass die Bezugnahmen auf russische Einflüsse eine Empfehlungsfunktion haben bzw. als Qualitätsnachweis der Werke fungieren und dadurch indirekt die Superlativität der russischen Literaturtradition, das Selbstverständnis der sowjetischen Literatur Gor’kijs Werk ist seit Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts in Griechenland bekannt. In der Zwischenkriegszeit ist er einer der am meisten übersetzten und rezipierten ausländischen Autoren (Michailidis 2013, 46), während die sowjetischen Klassiker Ostrovskij, Šolochov, Polevoj, A. Tolstoj, Furmanov u. a. erst ab den späten vierziger Jahren (vorwiegend vom Exilverlag der KKE und anderen linksgerichteten Verlagen) in griechischer Übersetzung erscheinen (vgl. hierzu den Publikationskatalog in: Matthaiou/Polemi 2003; Kasinis 2013). Spathis im Eintrag der KLĖ und viel später Il’inskaja im Eintrag der Enzyklopädie Istorija vsemirnoj literatury (Geschichte der Weltliteratur) vertreten die gemeinsame Ansicht, dass die von Gor’kij hinsichtlich der Darstellung des ‚kleinen Menschen‘ und der ‚städtischen Unterwelt‘ beeinflusste griechische Literatur der ersten Jahrzehnte des zwanzigsten Jahrhunderts (Voutyras, Paroritis, Christomanos, Pikros u. a.) nicht die „ideel-künstlerische“ (Spatis 1964, 355) und „realistische Typisierung“ (Il’inskaja 1994, Bd. 8, 506) seines Werkes erreicht.
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als die „progressivste, ideellste und revolutionärste“ der Welt (Ždanov 1934, 3) und ihre Rolle als Wegbereiter bestätigen. Abgesehen von ihren stilistischen Abstufungen weisen die Peritexte der sowjetischen Ausgaben neugriechischer Literatur weitgehend übereinstimmende Charakteristika auf, die es ermöglichen, sie als das Ergebnis eines konsequenten Framing-Prozesses (vgl. Entman 1993) mit zwei Hauptfunktionen zu lesen: die möglichst konfliktlose Einführung der Werke in den neuen kulturell-politischen Kontext durch die kommunikationsstrategische Übersetzung ihrer Zusammenhänge und die Gewährleistung eines kohärenten Deutungsrahmens für die vorgestellte Literatur, die eine gewisse Lektüreanweisung für die Leserschaft des Rezeptionslandes implizit konstituiert. Durch einen Prozess der Selektion (gezielte Inklusion und Exklusion), Akzentuierung, Rechtfertigung, Reduktion und Evaluierung konstruieren sie ein konsistentes und kompatibles Narrativ von ideologisch-ideeller Konvergenz, das einen der gesamten sowjetischen Meta-Narrativität angepassten Legitimationsrahmen für die Einführung der Fremdliteratur in den Zielkontext liefert, rezeptive Erwartungen modelliert und das Identifizierungspotenzial der Zielkultur reguliert.
1.3 Kulturelle Diplomatie: Völkerfreundschaft und die Reisen griechischer Literaten in die Sowjetunion Die sowjetische Außenpolitik ändert sich im Zuge der Entstalinisierung entsprechend der neuen Rolle der Sowjetunion auf der Weltbühne. Sie ist nun hauptsächlich auf die Festigung der internationalen Stellung der UdSSR als Weltmacht gerichtet und strebt nach dem von Chruščëv eingeleiteten Prinzip der ‚friedlichen Koexistenz‘ ein neues Verhältnis zum Westen an. Das 1925 gegründete Vsesojuznoe obščestvo kul’turnoj svjazi s zagranicej (Allunionsgesellschaft für kulturelle Verbindung mit dem Ausland, VOKS), das sich mit der Förderung der Sowjetunion und ihren kulturellen Auslandsbeziehungen befasst und derer Strukturen und Methoden als veraltet und ungeeignet gelten (vgl. Großmann 2019), wird 1958 in Sojuz sovetskich obščestv družby i kul’turnych svjazej s zarubežnymy stranami (Verband sowjetischer Gesellschaften für Freundschaft und kulturelle Verbindungen mit dem Ausland, SSOD) umgewandelt. Die Zielsetzung des SSOD wird in einem 1961 von der Vorsitzenden des Verbands Nina Popova an Chruščëv adressierten Geheimdokument über die bis dato geleistete Arbeit wie folgt beschrieben: Aufgrund des großen Werts, den das ZK der KPdSU auf die Entwicklung einer freundschaftlichen und kulturellen Zusammenarbeit zwischen dem sowjetischen Volk und den Völkern des Auslands zwecks der weiteren Verstärkung der Autorität der Sowjetunion auf internationaler Ebene und der Popularisierung der Außenpolitik der UdSSR legt, beschloss sie die Gründung des Verbands sowjetischer Gesellschaften für Freundschaft und kulturelle Verbindungen mit dem Ausland. Der Verband wurde beauftragt, die Möglichkeiten der sowjetischen Öffentlich-
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keit in vollem Umfang zu nutzen, um den Einfluss der UdSSR in der ausländischen Öffentlichkeit zu stärken und die Sympathie breiter Schichten der Bevölkerung des Auslands für die UdSSR zu gewinnen. (RGANI: F. 5, Op. 50, Ed. chr. 364, L. 203)112
Der SSOD betätigt sich durch zahlreiche bestehende und neu gegründete Institutionen (Organisationen, Kulturzentren, Gesellschaften usw.), inklusive der sowjetischen Freundschaftsverbände und ihrer regionalen Vertretungen im Ausland, in denen bekannte Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Kultur und anderen Bereichen führende Funktionen innehaben. Ein Beispiel in diesem Kontext ist die unmittelbar mit der Gründung des SSOD zusammenhängende Entstehung des Freundschaftsverbandes UdSSR-Griechenland im Jahr 1958, dessen Vorsitzender der Archäologe Boris Rybakov und stellvertretender Vorsitzender der sowjetische Dirigent und Pontosgrieche Odissej Dimitriadi werden. Während aus propagandistischen Gründen die Meinung herrscht, dass offiziell öffentliche Träger mit Beteiligung nicht parteilicher Personen in der Realisierung kultureller Beziehungen mit dem Ausland effektiver wären, sind die Freundschaftsverbände im Wesentlichen von den Parteistrukturen finanziell abhängig und unterliegen ihrer Kontrolle (vgl. Tregubov 2018, 67). Die Tätigkeitsfelder des SSOD, die zu einem großen Teil das Instrumentarium der sowjetischen ‚kulturellen Diplomatie‘113 bilden, umfassen die Errichtung und Entwicklung kultureller Beziehungen mit den ausländischen Freundschaftsgesellschaften, die Entsendung von sowjetischen Delegationen, Touristengruppen und einzelnen Persönlichkeiten unterschiedlicher Professionen ins Ausland und die Einladung ausländischer Delegationen in die UdSSR, die Entsendung von Ausstellungen, Filmen, Literatur und Periodika ins Ausland und vice versa, die Förderung der Publikation von Übersetzungen sowjetischer Autoren im Ausland und ausländischer Autoren in der Sowjetunion, die Organisation von Kulturveranstaltungen (Festivals, internationale Messen, Weltfestspiele u. a.), die Errichtung von sowjetischen Kulturzentren,
„Придавая большое значение развитию дружественного и культурного сотрудничества советского народа с народами зарубежных стран в деле дальнейшего укрепления авторитета Советского Союза на международной арене и популяризации внешней политики СССР, ЦК КПСС принял решение о создании Союза советских обществ дружбы и культурной связи с зарубежными странами. Перед союзом была поставлена задача более полно использовать возможности советской общественности для усиления влияния СССР среди зарубежной общественности и завоевания симпатий к СССР со стороны широких слоев населения зарубежных стран“. Die Einführung des Begriffs wird dem amerikanischen Sowjetologen Frederick Barghoorn und seiner 1960 publizierten Studie The Soviet Cultural Offensive. The Role of Cultural Diplomacy in Soviet Foreign Policy zugeschrieben, der sie normativ als „manipulation of cultural materials and personnel for propaganda purposes“ definiert (Barghoorn 1960, 10). Für eine begriffsgeschichtliche Analyse siehe hierzu Nikonova 2018.
1.3 Kulturelle Diplomatie: Völkerfreundschaft und die Reisen griechischer Literaten
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Sprachkursen, Bibliotheken usw.114 Aus dem Archivmaterial der Auslandskommission des ZK der KPdSU, das im Russischen Staatsarchiv für Neuere Geschichte aufbewahrt wird, sowie aus dem Archivmaterial der Auslandskommission des sowjetischen Schriftstellerverbandes, das sich im Russischen Staatsarchiv für Literatur und Kunst befindet, wird ersichtlich, dass viele dieser Möglichkeiten und Praktiken auch als Verstärkungsmaßnahmen der griechisch-sowjetischen interkulturellen Beziehungen Anwendung finden. Neben der Realisierung von Ensembleaufführungen, Filmprojektionen und Rundreisen in beiden Staaten finden zum Ziel der kulturellen Annäherung und des Informationsaustausches systematisch Treffen mit griechischen Literaten in Form von Frühstücken (zavtraki) in der sowjetischen Botschaft statt, während die Entsendung von sowjetischen Büchern, Periodika und Schallplatten für Verlage und einzelne Autoren ein konstantes Anliegen in der Korrespondenz der Botschaft darstellt. Speziell auf dem Gebiet der Literatur sind die Bemühungen zur Förderung der griechisch-sowjetischen Kulturbeziehungen in den Aktivitäten der Auslandskommission des sowjetischen Schriftstellerverbandes verzeichnet, die lange vor Gründung des SSOD einen zusätzlichen Kanal der sowjetischen außenpolitischen Einflussnahme darstellt. Ein interner Bericht zum Stand der griechisch-sowjetischen Kulturbeziehungen, der auf das Jahr 1956 oder 1957 datiert werden kann, reflektiert die Bemühungen der konventionellen Diplomatie dieser Zeit zur Normalisierung der bilateralen Beziehungen und stellt unter anderem Asymmetrien im Übersetzungswesen der zwei Staaten fest: In den letzten zwei bis drei Jahren haben sich die kulturellen Beziehungen zwischen der UdSSR und Griechenland erheblich belebt. Die allgemeine Lockerung der internationalen Anspannungen, der Besuch des G[enossen] Šepilov115 in Griechenland, der Besuch der griechischen Parlamentsdelegation in der UdSSR, die Ausweitung des Handels und die Teilnahme der UdSSR an den Internationalen Messen in Thessaloniki haben günstige Bedingungen für den kulturellen Austausch geschaffen. […] Das Interesse an russischer klassischer und sowjetischer Literatur hat stark zugenommen. […] Sehr beliebt sind in Griechenland die russischen Klassiker L. Tolstoi, Dostojewski, Tschechow, Puschkin, Turgenew, Gogol […]. Auch die sowjetische Literatur ist hier sehr bekannt. Die griechischen Verlage haben in der letzten Zeit die Romane „Der stille Don“ und „Neuland unterm Pflug“ von Scholochow, „Peter der Erste“ und „Der Leidensweg“ von A. Tolstoi, „Wie der Stahl gehärtet wurde“ und „Die Sturmgeborenen“ von N. Ostrowski, „Ein pädagogisches Poem“ von Makarenko, „Die junge Garde“ und „Die Neunzehn“ von Fadejew, „Der Fall von Paris“, „Sturm“, „Ohne Atempause“ und „Tauwetter“
Ausführlicher widmen sich diesen Aspekten die Beiträge der kollektiven Monographie: Nagornaja, Oksana (Hg.). 2018. Sovetskaja kul’turnaja diplomatija v uslovijach Cholodnoj vojny, 1945–1989. Moskau: Političeskaja ėnciklopedija. Der Verfasser bezieht sich hier auf den (in der Geschichte der sowjetisch-griechischen Beziehungen ersten) Besuch des sowjetischen Außenministers Dmitrij Trofimovič Šepilov in Griechenland am 28. Juni 1956. Anschließend besucht eine griechische Parlamentsdelegation Ende August desselben Jahres Moskau (vgl. Kalinin 2017).
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von Ehrenburg, „Der wahre Mensch“ von Polewoi und viele andere veröffentlicht. Diese Aufzählung zeigt, dass die griechischen Verlage sehr vorsichtig bei der Auswahl der Bücher sind und nur die besten Werke publizieren. Die allgemein verbreitete Ansicht ist, dass die russische Literatur an erster Stelle unter den anderen Literaturen in Griechenland steht, während die zeitgenössische amerikanische Literatur kaum publiziert wird und keine Popularität genießt. […] Die griechischen Verleger haben mehrfach gesagt, dass ihre Arbeit sich in der UdSSR in keiner Weise niederschlägt. Dem kann man nur zustimmen. […] In der Tat werden bei uns die Werke von Homer, Aristophanes, Sophokles, Aristoteles, Euripides und anderer antiker Autoren sowie Bücher über das antike Griechenland in Großauflagen herausgegeben, aber praktisch werden weder Werke über das moderne Griechenland noch Werke zeitgenössischer griechischer Schriftsteller veröffentlicht, obwohl die griechische Literatur von Heute ernsthafte Aufmerksamkeit verdient. (RGALI: F. 631, Op. 26, Ed. chr. 1532, L. 1 f.)116
Die Argumentation des Referenten für eine Verlagerung des Schwerpunkts auf die Veröffentlichung zeitgenössischer griechischer Literatur in der Sowjetunion veranschaulicht die Realisierung von Außenpolitik durch Übersetzungspolitik sowie die bevormundete, paternalistische Rolle, die die Sowjetunion in diesem Verhältnis sich selbst zuschreibt: Die ungenügende Bekanntheit dieser Autoren außerhalb Griechenlands gibt der Reaktion die Möglichkeit, sie wegen ihrer progressiven Überzeugungen zu verfolgen. Es scheint, dass diese
„За последние два-три года значительно оживились культурные звязи между СССР и Греции. Общее смягчение международной напряженности, посещение т. Шепиловым Греции, посещение СССР греческой парламентской делегацией, расширение торговли, участие СССР в Международных ярмарках в Салониках – все это создало благоприятные условия для расширения культурного обмена. […] Сильно возрос интерес и к русской классической и советской литературе. […] Очень популярны в Греции русские классики – Л. Толстой, Достоевский, Чехов, Пушкин, Тургенев, Гоголь […]. Греческие издательства выпустили в свет за последнее время «Тихий Дон» и «Поднятую целину» Шолохова, «Петр Первый» и «Хождения по мукам» А. Толстого, «Как закалялась сталь» и «Рожденные бурей» Н. Остроского, «Педагогическую поэму» Макаренко, «Молодую Гвардию» и «Разгром» Фадеева, «Падение Парижа», «Бурю», «Не переводя дыхания» и «Оттепель» Эренбурга, «Повесть о настоящем человеке» Полевого и многие другие. Этот перечень книг показывает, что греческие издательства подходят к отбору книг для издания очень осторожно и издают только лучшие произведения. По общему мнению русская литература в Греции занимает первое место среди других литератур, в то время как современная американская литература почти не издается и не пользуется никакой популярностью. […] Греческие издатели неоднократно говорили о том, что их работа совершенно не отмечается в СССР. С этим нельзя не согласиться. […] Действительно, у нас издаются большими тиражами произведения Гомера, Аристофана, Софокла, Аристотеля, Эврипида и других античных писателей и книги о древней Греции, но практически не издаются ни книги о современной Греции, ни произведения современных греческих писателей, хотя греческая литература сегодняшнего дня заслуживает серьезного внимяния.“
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Situation korrigiert werden sollte. Die Beziehungen zwischen den sowjetischen und den griechischen Schriftstellern sollen erweitert werden. (Ebd., L. 3)117
Die zu diesem Zweck gemachten Vorschläge (Buchübersetzungen, griechenlandbezogene Veröffentlichungen, Einladung und Entsendung von Autorendelegationen) werden, wie bereits in den vorherigen Unterkapiteln beschrieben, in den darauffolgenden Jahren nach und nach verwirklicht. Im Rahmen der sowjetischen Kulturdiplomatie und ihrer Politik der Öffnung gegenüber dem Westen finden (vorwiegend) während der Tauwetter-Periode mehrere Reisen sowohl sowjetischer Intellektueller, Kulturschaffender und Prominenter nach Griechenland118 als auch griechischer in die UdSSR statt. Die letztgenannten stehen in der internationalen Tradition der politischen Pilgerreise in die Sowjetunion,119 wobei der Begriff sowohl für die Haltung linksorientierter Intellektueller zum sowjetischen Experiment als auch für diejenige konservativer oder skeptisch eingestellter Intellektueller zum Geburtsland der russischen Literaturklassiker, zur Orthodoxen Kirche usw. gilt (vgl. Ioannidou 2011). Im Fall Griechenlands eröffnen diese Tradition die vier in der griechischen Philologie bekannten Reisen von Nikos Kazantzakis in die Sowjetunion der zwanziger Jahre.
„Недостаточная известность этих писателей за пределами Греции дает возможность реакции преследовать их за их прогрессивные убеждения. Думается, что создавшееся положение нужно исправить. Связи советских и греческих писателей должны быть расширены.“ Dieser Aspekt der griechisch-sowjetischen Beziehungen verdient weitere Erforschung. Als Mitglieder einer sowjetischen Delegation besuchen beispielsweise 1957 Il’ja Ėrenburg und Boris Polevoj Griechenland. Zum Programm gehören unter anderem die Besichtigung der Akropolis und der Ausgrabungen von Delphi und Epidauros, der Austausch mit griechischen Intellektuellen, mehrere Interviews für die griechische Presse und eine Pressekonferenz in der sowjetischen Botschaft (vgl. Vasileiou 1957). Eindrücke dieser Reise beschreibt Ėrenburg in seinem Buch Putevye zapisi. Japonija, Grecija, Indija (1960) sowie in einem späteren Beitrag in Literaturnja gazeta, in dem das Hauptziel der Reise ersichtlich wird: „Im Juni 1957 bin ich auf Einladung des Botschafters in Athen M. G. Sergeev zusammen mit S. V. Obrazcov, B. I. Polevoj, dem Hellenisten A. A. Beleckij und dem Architekten M. V. Posochin nach Griechenland gefahren. […] uns allen war unsere Aufgabe bewusst: zu versuchen, eine gute Beziehung zur griechischen Intelligenzija aufzubauen. Obrazcov unterhielt sich mit Regisseuren und Schauspielern, Polevoj mit Journalisten, Beleckij mit Wissenschaftlern, Posochin mit Architekten, ich mit Schriftstellern.“ (Ėrenburg 1967, 14). Am 12. Februar 1962 hält sich im Rahmen seiner Welttournee Jurij Gagarin in Griechenland auf. Weitere sowjetische Autoren-Delegationen besuchen Griechenland 1965 und 1966. Nach dem Ende der griechischen Militärdiktatur werden die griechisch-sowjetischen Vernetzungsversuche fortgesetzt. Siehe beispielhaft zu diesem Thema die zum Standardwerk gewordene Behandlung der Reisen westlicher Besucher in die Sowjetunion der Zwischenkriegszeit von David-Fox Showcasing the Great Experiment. Cultural Diplomacy and Western Visitors to the Soviet Union, 1921–1941 (2012), die auf Archivmaterial des VOKS basiert, sowie die älteren, vor der Freigabe der Archive publizierten Arbeiten von Hollander Political Pilgrims: Travels of Western Intellectuals to the Soviet Union, China and Cuba 1928–1987 (1981), Caute The Fellow Travellers: A Postscript to the Enlightenment (1973) und Margulies The Pilgrimage to Russia: The Soviet Union and the Treatment of Foreigners, 1924–1937 (1968).
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Die Reisen finden in der Regel auf eine offizielle Einladung der Autoren seitens des sowjetischen Schriftstellerverbands, häufig anlässlich einer feierlichen Kulturveranstaltung statt, während einige Reisen auch aus medizinischen Gründen zu Zwecken einer Behandlung erfolgen. Auf die Reisen der griechischen Literaten in die Sowjetunion folgt meistens zeitnah die Publikation ihrer Werke in russischer Übersetzung.120 Der Ablauf der Reisen wird nachträglich in detaillierten Berichten121 beschrieben, die von Reisebegleitern und Dolmetschern verfasst werden, die den Gästen während ihres Aufenthalts zur Seite gestellt werden. Diese Berichte, die als nicht für die Veröffentlichung gedachte Texte methodologisch den privaten Epitexten zugeordnet werden können (vgl. Genette 1989), sind an die Auslandskommision des sowjetischen Schriftstellerverbandes adressiert und für die Aktenführung bestimmt. Parallel zu der ausführlichen Aufzählung des Tagesprogramms informieren die Berichte über das Verhalten der Autoren sowie ihre Gespräche, Ideen und Aussagen, aus denen ihr Profil und ihre Haltung gegenüber dem Gastland hervorgeht. In vielen Fällen werden die Reiseeindrücke und Erlebnisse nach der Rückkehr in Zeitungsartikeln, Tagebüchern und Gedichten festgehalten. Das Archivmaterial enthält Dokumente über zwei Reisen von Stratis Myrivilis in die Sowjetunion.122 Das erste Mal nimmt er als Vorsitzender der Nationalen Gesellschaft für griechische Schriftsteller an den VI. Weltfestspielen der Jugend und Studenten teil, die vom 28. Juli bis zum 11. August 1957 in Moskau stattfinden. Seine Ansprache bei Radio Moskau, deren Text in griechischer Fassung und in russischer Übersetzung in RGALI erhalten ist, zeichnet sich in Einklang mit dem Motto der Festspiele „Für Frieden und Freundschaft“ durch Antikriegsgeist aus. Myrivilis verurteilt den Rüstungswettlauf scharf und macht Russland und die USA direkt mitver-
Einige Beispiele: Myrivilis besucht zum ersten Mal die Sowjetunion im Jahr 1957 und Das Leben im Grabe erscheint 1961. Ritsos und Vrettakos besuchen Moskau 1957 und ihre Gedichtsammlungen erscheinen jeweils 1959 und 1962. Loudemis reist 1958 und 1959 nach Moskau und vier seiner Bücher werden in den Jahren 1958, 1959, 1960 und 1961 veröffentlicht. Terzakis wird 1959 eingeladen und sein Roman wird 1968 veröffentlicht. 1959 wird Varnalis der Lenin-Friedenspreis in Moskau verliehen und im selben Jahr wird eine Gedichtsammlung von ihm publiziert. Katiforis fährt 1962 nach Moskau und sein Buch erscheint 1966. Die Reise von Sotiriou findet 1963 statt und drei Bücher von ihr erscheinen 1963, 1964 und 1965 in russischer Übersetzung. 1964 besucht Fragkias die Sowjetunion und sein Roman wird 1965 veröffentlicht. Vasilikos besucht das Land im Jahr 1969 und sein Roman Z erscheint 1970. Ausnahmen bilden die gemeinsame Reise von Elytis, Theotokas und Empeirikos 1961 sowie die von Venezis 1962, deren Werk erst in der spät- und postsowjetischen Zeit durch einzelne Veröffentlichungen in Periodika und Anthologien vorgestellt wird. Eine erste Teilveröffentlichung dieses Materials, das in RGALI aufbewahrt wird, erfolgt im Konferenzbeitrag von Dimitris Gialamas (2006) „Taxidia ellinon logotechnon stin ESSD 1957–1970 (me vasi anekdoto yliko apo to Rosiko Kratiko Logotechniko Archeio)“. Möglicherweise hat im Jahr 1966 eine dritte Reise stattgefunden. In der griechischen Zeitung To Vima wird am 14. August 2015 das Foto eines handgeschriebenen Briefes mit Datum des 29. August 1966 veröffentlicht, den Myrivilis während eines Moskau-Aufenthalts an seine Tochter und Enkelin adressiert (s. Aggelopoulou 2015).
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antwortlich für das angespannte Klima während des Kalten Krieges. Gleichzeitig begrüßt er in euphorischer Weise, die stark an das religiöse Motiv der ‚frohen Botschaft‘ erinnert, die Öffnung Russlands zum Westen hin durch das „Wunder“ der Festspiele: Einstweilen verwenden die zwei Kolosse der Nachkriegswelt, Russland und Amerika, den Schweiß und die Arbeit ihrer Völker nur darauf, Aufrüstung anzuhäufen […]. Ihre Wissenschaftler tun nichts anderes, als die neuen schrecklichen Waffen zur Menschentötung zu perfektionieren. […] Russland und Amerika halten nun in den geheimen Laboratorien des furchtbarsten Todes das Leben, das Glück, die Freiheit, die Lebensfreude aller Menschen der Welt fest. […] Und dann kommt plötzlich die große Botschaft aus Russland für die VI. Weltfestspiele für Frieden und Freundschaft. Die Botschaft verbreitet sich über alle Ecken der Erde, über alle Völker. Russland, das große Russland, das wir lieben, für dessen Freiheit wir gekämpft und Verwüstungen erlitten haben, indem wir ganze Divisionen der deutschen Besatzungsarmee in unserem Land auf schreckliche Kosten zurückgehalten haben, Russland, das für uns ausgeschlossen war, wirft plötzlich den Eisernen Vorhang in die Gewässer der Moskwa und ruft uns mit offenen Armen. Das ist ein Wunder. (RGALI: F. 631, Op. 26, Ed. chr. 1578, L. 6 f.)123
In einem kurzen Beitrag mit dem Titel „Ein echtes Wunder“ erscheinen kurz nach Ende der Festspiele die Eindrücke des Autors in der Literaturnaja gazeta:124 Das Festival? Das war ein echtes Wunder – sowohl die dekorative Ausschmückung der Stadt als auch die Kunst der aufführenden Künstler haben mich beeindruckt. […] Die Gastfreundschaft, mit der uns hier begegnet wurde, zeugt von der tiefen inneren Kultur, die dem russischen Volk eigen ist. Im übrigen war dies für mich keine Entdeckung. Ich kenne die Werke der russischen Schriftsteller gut und in der Literatur offenbart sich, wie bekannt, die Seele des Volkes. […] Ich bin voller Dankbarkeit für die Einladung, hierher zu kommen: Ich habe eine Art Pilgerreise in ihre Stadt gemacht und habe mich vor zwei meiner Lieblingsschriftsteller, Gorki und Dostojewski, verbeugt. Ich bedauere, dass ich keine Zeit hatte, Kiew zu besuchen, dass ich Tolstois Grab nicht besucht habe […] Ich hoffe, dass ich Moskau wieder sehen und meine Eindrücke ergänzen werde […]. Ich möchte Russland von innen sehen, das russische Volk näher kennenlernen. Leider kenne ich die russische Sprache nicht, aber ich hoffe, dass die be-
„Εν τω μεταξύ οι δύο κολοσσοί του μεταπολεμικού κόσμου, η Ρωσσία και η Αμερική, ξοδεύουν τον ιδρώτα και τους κόπους των λαών τους για να κάνουν εξοπλισμούς […] Οι επιστήμονές τους δεν κάνουν άλλη δουλειά παρά να τελειοποιούν τα νέα φοβερά όπλα της ανθρωποσφαγής. Η Ρωσσία και η Αμερική κρατούν πια στα μυστικά εργαστήρια του πιο απαίσιου θανάτου τη ζωή, την ευτυχία, την ελευθερία, τη χαρά της ζωής όλων των ανθρώπων της γης. […] Και να, ξαφνικα έρχεται το μεγάλο μήνυμα από τη Ρωσσία για το Έκτο παγκόσμιο φεστιβάλ ειρήνης και φιλίας. Το μήνυμα απλώνεται σ’ όλες τις χώρες της γης, σ’ όλους τους λαούς. Η Ρωσσία, η μεγάλη Ρωσσία, που εμείς την αγαπούμε, που εμείς πολεμήσαμε και καταστραφήκαμε για τη δική της ελευθερία, αφού κρατήσαμε στον τόπο μας με φοβερές θυσίες, μεραρχίες ολόκληρες του Γερμανικού κατοχικού στρατού, η Ρωσσία, η οποία ήταν αποκλεισμένη για μας, ρίχνει ξαφνικά το σιδερένιο παραπέτασμα στα νερά του Μόσκβα, και μας καλεί με ανοιχτή την αγκαλιά της. Αυτό είναι ένα θαύμα.“ Die Archivakte (RGALI: F. 2100, Op. 2, Ed. chr. 111) erhält den entsprechenden Zeitungsausschnitt, auf dem die zwei von Myrivilis erwähnten russischen Schriftsteller rot unterstrichen sind.
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vorstehende Ausgabe meiner Bücher in Übersetzung das russische Volk mir einigermaßen näher bringen wird […]. Derartige internationale Treffen wie das Festival sind der beste Weg zur Annäherung der Völker. […] Es ist notwendig, Austausch von Autoren- und Künstlerdelegationen so oft wie möglich zu realisieren. (Myrivilis 1957, 4)125
Es ist bemerkenswert, dass der Autor sich konsequent auf Russland und lobend auf das russische Volk und die russische Kultur bezieht, während die Sowjetunion als staatliche Einheit keine Erwähnung findet. In einem zweiten, im Archiv aufbewahrten Text von Myrivilis über die Festspiele in russischer Fassung, der zur Veröffentlichung gedacht, aber scheinbar nicht publiziert wurde, wiederholt sich einerseits die romantisch-idealisierende Haltung gegenüber dem sowjetischen Megaevent,126 verbunden jedoch zugleich mit einer klaren ideologischen Distanzierung, die Myrivilis im Namen eines kollektiven griechisch-nationalen ‚Wir‘ formuliert: […] Russland hat seine Türen weit geöffnet und allen Weltvölkern erklärt: „Ich will ein Fest der Freude und der Jugend geben […]. Kommt zu uns, alle, wer nur will. Ohne Zweifel. Ohne Kontrolle. Ohne Angst. […]“. Es wurde gesagt und geschrieben, dass alle Manifestationen dieses Volkes gesteuert werden, dass hier alles auf Befehl geschieht. Ich weiß nicht, was in der Stalinzeit war. Wir Griechen sind ein Volk, das nichts auf Befehl tut. Selbst Gutes. […] Es kann sein, dass unser Empfang von den Moskauern, der nur mit „ausgezeichnet“ benotet werden kann, doch in gewisser Weise ein Spiegelbild eines von den russischen Behörden geäußerten Wunsches war. Das liegt in der Natur der Dinge. Jedoch das, was ich sah, war zweifellos kein Ergebnis eines Parteibefehls. […] Wir Griechen sind keine Kommunisten. Aus vielen Gründen. Und vor allem, weil wir den ersten Platz in der Bandbreite der Freiheit dem freien Individuum geben. […] Aber in unserer Kommunikation mit den Russen in Moskau hat niemand von uns das Gefühl gehabt, dass irgendwelche politischen oder ideologischen Schranken den Ausdruck unserer Liebe gestört haben. (RGALI: F. 631, Op. 26, Ed. chr. 1578, L. 9 f.)127
„Фестиваль? Это было настоящее чудо – меня поразило и художественное убранство города и искусство выступавших исполнителей. […] Гостеприимство, с которым все мы были здесь встречены, свидетельствует о глубокой внутренней культуре, присущей русскому народу. Впрочем, для меня это не явилось открытием – я хорошо знаком с произведениями русских писателей, а в литературе, как известно, раскрывается душа народа. […] Я преисполнен чувства благодарности за приглашение приехать сюда: я как бы совершил паломничество в ваш город и поклонился двум своим любимым писателям – Горькому и Достоевскому. Жалею, что я не успел побывать в Киеве; не посетил могилу Толстого […]. Надеюсь, что я сново увижу Москву и дополню свои впечатления […]. Мне хотелось бы увидеть Россию изнутри, познакомиться с русским народом ближе. К сожалению, я не знаю русского языка, но надеюсь, что предстоящее издание моих книг в переводе в какой-то степени приблизит ко мне русский народ […]. Такие международные встречи, как фестиваль, – наилучший путь к сближению народов. […] Необходимо как можно чаще осуществлять обмены делегациями литераторов и деятелей искусства.“ Für weitere Ausführungen zu den Festspielen als Megaevent siehe: Popov 2018. „Россия настежь распахнула свои двери и заявила всем народам мира: «Я хочу устроить великий праздник радости и молодости […]. Приезжаете к нам. Приезжаете все, кто хочет. Без сомнений. Без контроля. Без боязни. […]». Говорили и писали, что все проявления этого народа, управляются, что здесь все делается по приказу. Я не знаю, что
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Myrivilis besucht die Sowjetunion zum zweiten Mal von 23. Juli bis 14. August 1963 auf Einladung des sowjetischen Schriftstellerverbandes begleitet von seiner Ehefrau. Aus dem anschließend verfassten neunseitigen Bericht erfährt der Adressat Tag für Tag den Reiseablauf, der Sozial- und Privattreffen, Arzttermine,128 Ausflüge und ein reiches Kulturprogramm umfasst. Niedergeschrieben werden auch Bemerkungen, Reaktionen auf das Gesehene, Aussagen und Gespräche: Am 29. hat S. Myrivilis mit mir zum ersten Mal über Politik gesprochen. Den Anlass hat ein Foto in der Zeitung Augi (das Organ von EDA129) gegeben. S. Myrivilis hat sich über die Kommunisten geärgert. Die griechischen Kommunisten wollen halt Krieg unter den Griechen, während die Leute Frieden wollen. Ich habe gesagt, dass bei allem Respekt für seinen Namen ich das nie glauben werde, was er über die Kommunisten sagt. „Du weißt nichts außer dem, was die griechischen Kommunisten hier sagen. Sie lehren die hier lebenden Griechen, ihre Heimat zu hassen …“. „Das ist nicht wahr, ich kenne die griechischen Kommunisten und ich weiß, was sie lehren. Und außerdem, Herr Myrivilis, nennen Sie mir größere Patrioten als die Kommunisten.“ (RGALI: F. 631, Op. 26, Ed. chr. 1563, L. 4)130 S. Myrivilis schätzt Gorki sehr und liebt sein Werk. (Ebd., L. 5)131
было во времена Сталина. Мы греки – народ, который ничего не делает по приказу. Даже хорошее. […] Может быть прием, оказанный нам москвичам, которому можно дать только одну оценку – «отлично» и был в какой-то степени отражением выраженного желания русских властей. Это вполне естественно. Однако то, что я видел, безусловно не было результатом партийного приказа. […] Мы, греки не коммунисты. По многим причинам. И прежде всего потому, что первое место в гамме свободы мы отдаем свободному индивидууму. […] Однако в нашем общении с русскими в Москве никто из нас не чувствовал, чтобы какие-либо политические или идеологические преграды мешали выражению нащей любви.“ In Venezis’ Impressionen von der eigenen Reise in die Sowjetunion, die zeitlich zum Teil mit der von Myrivilis zusammenfällt, ist zu lesen, dass eine medizinische Behandlung der Hauptzweck der Reise Myrivilis’ nach Moskau war (vgl. Venezis 1990, 23). Das bestätigt auch ein Archivdokument, laut dem er zudem beabsichtigt hat, Material für Reportagen über die Sowjetunion zu sammeln (RGALI: F. 631, Op. 26, Ed. chr. 1555, L. 1 f.). Während Myrivilis einige Arzttermine in Moskau wahrnimmt, lehnt er schließlich die Behandlung ab, weil ihm laut Bericht „nur ein Einbettzimmer passen würde …“ (RGALI: F. 631, Op. 26, Ed. chr. 1563, L. 6). EDA steht für die Partei „Eniaia Dimokratiki Aristera“ (Vereinigung der Demokratischen Linke). „29-го С. Миривилис впервые заговорил со мной о политике. Предлогом послужила фотография в газете «Авги» (органа ЭДА). С. Миривилис распалился против греческих коммунистов. Мол, греческие коммунисты снова хотят войны греков с греками, а народ хочет мира. Я скажал, что при всем уважении к его имени, я никогда не поверю в то, что он говорит по адресу коммунистов. «Ты ничего не знаешь, кроме того, что говорят здесь греческие коммунисты. Они учат греков, живущих здесь, ненавидеть свою родину …» – «Это неправда, я знаю греческих коммунистов и знаю, чуму они учат. И потом, г-н Миривилис, назовите мне патриотов больших, чем коммунисты.»“. „С. Миривилис очень ценит и любит Горького.“
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S. Myrivilis hat gefragt, was sich nun in der ehemaligen Datscha Stalins befindet. (S. Myrivilis nennt ihn nicht anders als „Diktator“). (Ebd., L. 8)132 An einem der letzten Tage haben wir über den vorherigen Besuch von S. Myrivilis in der UdSSR gesprochen. Er war beim Festival der Jugend und ich habe gefragt, wie er zu Festivals steht. Er ist ein absoluter Befürworter der Durchführung von Festivals. So lernen die Völker einander besser kennen. „Also warum werden sie dann bei euch ‚kommunistische Propaganda‘ u. ä. genannt?“ – „Die Wörter machen mir keine Angst. Wenn die Propaganda mich überzeugen kann, heißt es, sie ist tatsächlich gut“. (Ebd.)133 Noch ein paar Worte zu S. Myrivilis über seine Sichtweisen. Er ist skeptisch gegenüber der Durchführung von literarischen Diskussionen eingestellt. […] „Ich bevorzuge es, Romane zu schreiben als über sie zu sprechen“. Wenn ich nach seinen Worten urteile, ist er ein wenig Anarchist. „Die Politiker verhindern, dass Menschen in Frieden leben … Ich würde die Welt von den Politikern befreien …“. Und so weiter. Aber in Realität bevorzugt er die „griechische Demokratie“ […] – die am meisten entmannte aller bürgerlichen Demokratien. All dies hindert ihn nicht daran, großen Respekt vor Chruschtschow zu haben. (Ebd. L. 8)134
Vom 4. bis zum 23. Oktober 1958 besucht der im rumänischen Exil lebende Autor Loudemis die Städte Moskau und Taschkent. Im Gegensatz zu den vielen touristischen und freizeitbezogenen Aktivitäten von Myrivilis’ Moskaubesuchen, ist der Aufenthalt von Loudemis mit Verpflichtungen versehen. In Taschkent nimmt er auf Vorschlag des sowjetischen Schriftstellerverbandes als Ehrengast an der Konferenz afro-asiatischer Schriftsteller teil, besucht die Gemeinde der griechischen Politemigranten und tritt gemeinsam mit Nâzım Hikmet bei einer Gedichtlesung auf. Parteiveranstaltungen, „flammende“ Reden (s. u.) und mehrere Radioansprachen und Presseinterviews sind in beiden Städten Teil des Programms. Der sowjetische Schriftstellerverband lehnt zur großen Enttäuschung von Loudemis dessen Wunsch nach einer Verlängerung der Reise und einer Genehmigung eines späteren mehrmonatigen Aufenthalts in der Sowjetunion sowie sein Anliegen ab, ein Autorenhonorar für die sowjetischen Ausgaben seiner Werke zu erhalten:
„С. Миривилис спросил, что теперь находится на бывшей даче Сталина (С. Миривилис называет его не иначе, как «диктатором»).“ „В один из последных дней мы разговаривали о предыдущем визите С. Миривилиса в СССР. Он присутсвовал на фестивале молодежи, и я спросил, как он относится к фестивалям. О, он безусловный сторонник проведения фестивалей. Так народы лучше узнают друг друга. «Так почему же у вас их называют ‚коммунистической пропагандой‘ и т.п. вещами?» – «Слова меня не пугают. Если пропаганда может меня убедить, значит она действительно хороша».“ „Еще несколько слов о С. Миривилисом, о его взглядах. Он скептически относится к проведению литературных дисскусий […]. «Я предпочитаю писать романы разговорам о них». Если судить по словам С. Миривилиса, он несколько анархист. «Политики, – вот кто мешает жить людям в мире … Я бы освободил мир от политиков …» И так далее. Но на деле он предпочитает «греческую демократию» […] – самую выхолощенную из всех буржуазных демократий. Все это ему не мещает с большим уважением относится [sic] к Н.С. Хрущеву.“
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Der Genosse Loudemis hat Moskau sehr verärgert und beleidigt vom Umgang des sowjetischen Schriftstellerverbandes verlassen, denn er hat sein ganzes Leben lang davon geträumt, zu uns zu kommen und sich mit den Sehenswürdigkeiten und Errungenschaften der Völker der UdSSR vertraut zu machen. Wenn er gewusst hätte, dass seine Anwesenheit auf der Taschkent-Konferenz als Besuch der Sowjetunion betrachtet würde, hätte er auf die Fahrt nach Taschkent verzichtet. (RGALI: F. 631, Op. 26, Ed. chr. 1534, L. 3)135
Loudemis wird im Bericht seiner Dolmetscherin als „sehr nervös, zuweilen launisch“ bezeichnet. Laut Antaios, dessen Aussage sie wiedergibt, leidet er an „Überheblichkeit“, doch aufgrund seines Talents und seiner schriftstellerischen Leistungen „verzeiht ihm“ die Partei „viele Launen“ (ebd., L. 4).136 Die Verfasserin des Berichts tritt für Loudemis ein, indem sie seine positive Haltung zur Sowjetunion betont: […] Der Gen. Loudemis liebt die sowjetischen Leute sehr leidenschaftlich, er brennt vom Verlangen, ein Buch über die neue Welt, den neuen Mensch zu schreiben, und ich denke, dass unsere entsprechenden Instanzen sein Anliegen gründlicher prüfen, […] ihm die Möglichkeit geben sollen, unser Land noch einmal ruhig zu besuchen, die Frage des Honorars zu klären, und es wäre gut, wenn der sowjetische Schriftstellerverband ihm einen warmen, genossenschaftlichen Brief schreiben würde, um ihn moralisch zu unterstützen. (Ebd.)137
Ein Jahr später wird Loudemis auf Anlass des 3. Sowjetischen Schriftstellerkongress (18.–23. Mai 1959) erneut in die Sowjetunion eingeladen und besucht während seines Aufenthalts (16. Mai bis 05. Juni) Moskau und Leningrad. Dabei verzichtet er großenteils auf die Leistung seiner Dolmetscherin und verkehrt vorwiegend mit seinen alten Bekannten, den in Moskau lebenden Griechen der Politemigration. Diese Tatsache und sein nicht-konformes Verhalten werden im anschließend verfassten Bericht entsprechend konnotiert: Aber selbst innerhalb der kurzen Zeit, in der ich mit ihm zu tun hatte, hatte ich eine völlig negative, äußerst abfällige Meinung über diesen Menschen. Bereits in den ersten Stunden seiner Ankunft in unserem Land hat er mit seinen taktlosen, fast hooliganartigen Aktionen alle
„Тов. Лудемис уехал из Москвы очень огорченным, обиженным обращением со стороны ССП – ведь он мечтал всю свою жизнь приехать к нам и подробно ознакомиться с достопримечательностями и достижениями народов СССР. Если бы он знал, что его присутствие на ташкентской конференции будет рассматриваться как посещение Советского Союза, то он отказался бы от поездки в Ташкент.“ „Тов. Лудемис вообще очень нервный, порой капризный. […] По словам греческого политэмигранта Янопопулоса [sic], компартия, оценивая все эти его достоинства и заслуги прощает ему много капризов.“ „[…] т. Лудемис очень горячо любит советских людей, горит желанием писать книгу о новом мире, о новом человеке и я считаю, что наши соответствующие инстанции должны более тщательно изучить его просьбу, […] предоставив ему возможность еще раз посетить спокойно нашу страну, разрешить вопрос с гонорами и было бы хорошо, если ССП напишет ему теплое, товарищеское письмо, чтобы морально поддержать его.“
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verblüfft, als er den Saal in dem Moment verließ, als Chruschtschow über die Verleihung des Lenin-Preises an ihn gesprochen hat. (RGALI: F. 631, Op. 26, Ed. chr. 1537, L. 2)138
Als Teilnehmer des Schrifttellerkongresses befindet sich Angelos Terzakis zur selben Zeit (15.–28. Mai) in Moskau. Parallel zu den besuchten Kongresssitzungen besichtigt er zahlreiche Theateraufführungen, Museen und Denkmäler in Moskau und Leningrad. Besonderes Interesse zeigt Terzakis für Dostojevskijs und Tolskojs Manuskripte in der Lenin-Bibliothek und das sowjetische Theaterwesen, während er Gespräche mit Schriftstellern (trotz einiger Kontaktnahmen im Rahmen des Kongresses) ohne gegenseitige Kenntnis des Schaffens als fruchtlos betrachtet: Terzakis hat über seinen Aufenthalt in der UdSSR mit großem Enthusiasmus gesprochen. Ihn hat die Aufmerksamkeit der sowjetischen Menschen, mit denen er sich getroffen hat, berührt. […] Terzakis hat bemerkt, dass die Sowjetregierung die alten Denkmäler sehr sorgfältig schützt […]. Terzakis hat sehr sparsam über den Kongress gesprochen, aus allen Reden hat er die Rede von Kornei Tschukowski hervorgehoben und seine volle Zustimmung zu ihr geäußert. Er hat mit großem Interesse Chruschtschows Rede gehört und unverzüglich mit der Zeitung „Vima“ in Athen telegrafiert, um eine Zusammenfassung dieser Rede zu übermitteln. (RGALI: F. 631, Op. 26, Ed. chr. 1536, L. 3 f.)139
Die Autorin Dido Sotiriou reist als Delegierte Griechenlands in die Sowjetunion zum Weltkongress der Frauen, der vom 24. bis 29. Juni 1963 in Moskau stattfindet, und besucht anschließend Leningrad. In ähnlicher Weise umfasst das Programm Kulturveranstaltungen, Sehenswürdigkeiten, eine Baustellenbesichtigung neuer Quartiere in Moskau und Treffen mit sowjetischen Literaten (u. a. Polevoj), in denen „Fragen engerer Beziehungen zwischen den Literaten der UdSSR und Griechenlands“140 Die Verfasserin des Berichts bezieht sich an dieser Stelle auf die Rede Chruščëvs auf dem 3. Sowjetischen Schriftstellerkongress, in der er seine Auszeichnung durch den Internationalen Leninpreis für die Festigung des Friedens zwischen den Völkern erwähnt, die wenige Tage zuvor – am 16. Mai 1959 – im Großen Kremlpalast stattgefunden hatte. Einige Monate später – am 19. August 1959 – wurde mit diesem Preis auch der griechische Dichter Kostas Varnalis geehrt. „Но даже за то незначительное время, которое мне пришлось сталковаться с ним, у меня сложилось совершенно отричательное, крайне нелестное мнение об этом человеке. Уже в первых часов пребывания в нашей стране, он поразил всех своим безтактным, почти хулиганским поступкам, когда вышел из зала в тот момент, когда выступал Н.С. Хрущёв в связи с вручением ему Ленинской премии.“ Čukovskijs Rede war den aktuellen Tendenzen der westlichen Kriminalliteratur und dem Aufschwung des Genres gewidmet. Siehe dazu seine Rede in Tretij c’ezd pisatelej SSSR. Stenografičeskij otčet (Sovetskij pisatel’, 1959), S. 61 ff. „О своем пребывании в СССР т. Терзакис отзывался с большим энтузиазмом. Его тронуло внимание советских людей, с которими он встречался. […] Терзакис отметил, что советское правительство заботливо оберегает памятники старины […]. О съезде Терзакис говорил очень скупо; из всех выступлений выделил выступление К. Чуковского и выразил свое полное согласие с его речью. С большим интересом выслушал речь Н.С. Хрущёва и немедленно телеграфировал в Афины в газету «Вима», передавал краткое содержание этого выступления.“ „[…] вопросы более тесных связей литераторов СССР и Греции.“
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und Buchempfehlungen zur Übersetzung besprochen werden (RGALI: F. 631, Op. 26, Ed. chr. 1562, L. 1 f.). Auf Einladung des sowjetischen Schriftstellerverbandes besucht Andreas Fragkias im Zeitraum vom 6. bis 20. November 1964 Moskau, Taschkent und Ferghana. Ziel der Reise, die im Rahmen einer Rundfahrt des Autors in die sozialistischen Länder stattfindet, ist laut Bericht „sich mit dem Leben der Politemigranten, den ehemaligen Kämpfern der Demokratischen Armee Griechenlands“141 vertraut zu machen und Material für ein zukünftiges Buch oder Reportagen zu sammeln (RGALI: F. 631, Op. 26, Ed. chr. 1567, L. 1). Der Autor trifft sich mit vielen griechischen und sowjetischen Intellektuellen Moskaus sowie mit dem Verleger und der Übersetzerin seines Romans. In Usbekistan „staunt“ er über den „gigantischen Sprung dieses Volkes innerhalb von 40 Jahren“.142 Während seiner Reise in die Sowjetunion, die laut der Dolmetscherin ein „Lebenstraum“ von Fragkias war, macht der Autor einen sehr guten Eindruck bei ihr - sie bezeichnet ihn als einen „ehrlichen und außergewöhnlich bescheidenen Menschen“143 (ebd., L. 5). Vasilis Vasilikos besucht 1969 das 6. Internationale Filmfestival Moskau. Sein Anliegen, im Anschluss an die Publikation seines Romans Z in russischer Übersetzung im Jahr 1970 ein zweites Mal in die Sowjetunion zu reisen, findet in der Auslandskommission Zustimmung: Angesichts des Bekanntheitsgrades von V. Vasilikos in der westlichen Leserschaft und seines Kampfes gegen die faschistische griechische Junta halten wir es für zweckmäßig, ihn und seine Frau einzuladen, um sich mit dem Leben unseres Landes vertraut zu machen und künstlerische Begegnungen mit sowjetischen Schriftstellern zu führen […]. (RGALI: F. 631, Op. 27, Ed. chr. 832, L. 3)144
In Leningrad (4. bis 10. Juli) ist Vasilikos jedoch an „rein touristischen Eindrücken“ interessiert und verzichtet auf berufliche Treffen mit Autoren oder Verlegern. Die Dolmetscherin kommentiert in ihrem Bericht: „Er hat nie ein Gespräch über literarische Themen begonnen, hat sich nicht für Neuigkeiten unseres literarischen oder kulturellen Lebens interessiert“145 (RGALI: F. 631, Op. 27, Ed. chr. 831, L. 1 f.).
„[…] ознакомиться с жизнью греческих политэмигрантов, бывших бойцов Греческой Демократической армии […].“ „Франгяс поражался тому гигантскому скачку, который сделал народ этой республики всего за 40 лет.“ „[…] он произвел впечатление хорошего, честного и необычайне скромного человека.“ „Учитывая известность В. Василикоса в западных читательских кругах, его борьбу против фашисткой гресеской хунты, считаем целесообразным пригласить В. Василикоса с женой для ознакомления с жизнью нашей страны и творческих встреч с советскими писателями […].“ „В Лениграде их интересовали чисто туристические впечатления […]. […] Он не разу не заводил разговора на литературные темы, не интересовался новостями нашей литературной или культурной жизни.“
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1 Peritexte und Epitexte
In ähnlicher Weise besuchen 1957 Vrettakos und Ritsos (VI. Weltfestspiele), 1961 Elli Alexiou (Jubiläum von Schewtschenko), 1965 Kostas Kotzias, 1966 Leon Koukoulas u. a. die Sowjetunion.146 Zu den Reisen von skeptisch eingestellten, ‚bürgerlichen‘ Autoren in die Sowjetunion gehören außerdem die von der griechischen Bibliographie ausführlich diskutierte gemeinsame Reise von Theotokas, Elytis und Empeirikos 1961 (vgl. Ioannidou 2011; 2012a/b) sowie die von Venezis 1962. Möglicherweise sind aufgrund der Tatsache, dass diese Reisen nicht auf Einladung des sowjetischen Schriftstellerverbandes erfolgten, keine Berichte dazu in RGALI vorhanden.147 Unabhängig von der politischen Einstellung des Gastes, dem offiziellen Anlass der Einladung und den individuellen Absichten der Einreisenden, handelt es sich in allen Fällen um strikt im Voraus geplante Aufenthalte, die aus sowjetischer Sicht neben dem Erkenntnisgewinn über das westliche Sowjetbild vor allem der Demonstration eines positiven Bildes der Sowjetunion zur Formierung eines entsprechenden Auslandsbildes und der Förderung der dafür notwendigen Kontaktknüpfung dienen. Neben der Besichtigung des Moskauer Kremls und des Lenin-Mausoleums umfasst das Kulturprogramm in erster Linie Theateraufführungen klassischer Werke und zeitgenössische sowjetische Kinofilme, während die Ausstellung der Errungenschaften der Volkswirtschaft (bekannt als VDNCh), die Moskauer Parkanlagen Gor’kij und Sokol’niki, die Staatliche Tretjakow-Galerie und die Museen der russischen Klassiker Tolstoj, Dostoevskij, Čechov und Gor’kij zu den unabdingbaren Vorzeigeobjekten gehören. Unerlässlicher Teil des Programms sind ebenfalls zahlreiche Treffen mit sowjetischen Schriftstellern, Verlegern und Übersetzern, die in Verlagsredaktionen, bei Ehrenessen des Schriftstellerverbandes oder bei Hausbesuchen stattfinden und die Möglichkeit zur Vertiefung bestehender oder zum Knüpfen neuer Kontakte und einem Informationsaustausch geben. Häufig führen diese zur weiteren persönlichen Korrespondenz wie beispielsweise zwischen Myrivilis und Ėrenburg oder zwischen Varnalis und seiner Übersetzerin Tat’jana Kokurina.148 Die internen Berichte deuten auf eine instrumentalisierende Herangehensweise gegenüber den ausländischen Besuchern hin. Sie stellen parallel ein Überwachungsinstrument sowohl für die sowjetischen Gastgeber, mit denen sie sich treffen und deren Haltung mit dokumentiert wird, als auch selbst für ihre Verfasser dar, die an die Aufgabe des Dokumentierens und der Profilerstellung (beispielsweise hinsichtlich des Detaillierungsgrads der Wiedergabe von privaten Gesprächen) unterschiedlich herangehen.
Aus medizinischen Gründen reisen in die Sowjetunion auch Nikos Katiforis, Kostas Kouloufakos, Markos Augeris und Stratis Doukas (RGALI: F. 631, Op. 26, Ed. chr. 1572, L. 3). Im ersten Fall findet die Reise auf Einladung des Freundschaftsverbandes UdSSR-Griechenland statt und im zweiten auf Einladung der Europäischen Schriftstellergemeinschaft im Rahmen ihrer Jahrestagung in Jasnaja Poljana. Berichte über diese Reisen konnten bis dato nicht ausfindig gemacht werden. Für Näheres zur Korrespondenz zwischen Varnalis und Kokurina siehe: Yalamas 2017.
2 Kanonisierung in Bewegung: Appropriierung und Übersetzung des Sozialistischen Realismus 2.1 Rezeption des Sozrealismus in Griechenland: Programmatik und Übersetzungen Die ersten Jahrzehnte des zwanzigsten Jahrhunderts in Griechenland sind im Bereich der Kunst und insbesondere der Literaturproduktion und Literaturkritik durch eine intensive Auseinandersetzung mit der sozialen Frage gekennzeichnet, die mit einem zunehmenden Interesse an den sozialistischen Ideen einhergeht. Die Oktoberrevolution, unter deren Einfluss die Sozialistische Arbeiterpartei Griechenlands149 im Jahr 1918 gegründet wird, und die sowjetischen nach-revolutionären Kunstdebatten geben der einheimischen Diskussion der linken Intelligenz hinsichtlich der Beziehung zwischen Sozialismus und Kunst sowie Fragen der Ästhetik und des Zwecks der Kunst neuen Auftrieb. Die Vielfalt der Standpunkte über die Formen der Revolutionskunst, die sich in den griechischen Literaturzeitschriften der Zwischenkriegszeit abbilden und zu einem großen Teil die Kontroversen zwischen den zahlreichen Kunstströmungen und Literaturgruppen der sowjetischen zwanziger Jahre sowie relevante Positionen westeuropäischer Marxisten reflektieren, werden in den frühen dreißiger Jahren allmählich durch eine kanonische, von der Partei reglementierte Auffassung von Literatur abgelöst. Unter der bereits in den frühen zwanziger Jahren angefangenen literaturkritischen Reflexion über mögliche Ausprägungen einer proletarischen Kunst wird 1934 mit dem Diktat des sozialistischen Realismus ein Schlussstrich gezogen. Die Richtlinien des Sozrealismus werden unmittelbar nach seiner Festigung als verbindlicher Kunstkanon im 1. Allunionskongress der Sowjetschriftsteller in den griechischen Raum importiert. Im September 1934 widmet die bedeutende linke Literaturzeitschrift Neoi Protoporoi (Neue Avantgardisten) dem Allunionskongress eine Sonderausgabe, in der die Reden von Gor’kij, Ždanov und Radek veröffentlicht werden, die als Schlüsseltexte des sozialistischen Realismus gelten. In den darauffolgenden Ausgaben werden die Reden von Bucharin und Panfërov, Sitzungsprotokolle und das Statut des sowjetischen Schriftstellerverbandes publiziert. Der kanonische Charakter der sozrealistischen Postulate wird von der linken Literaturkritik, deren wichtigste Vertreter sich um die Zeitschrift Neoi Protoporoi sammeln, buchstabengetreu praktiziert (vgl. Ntounia 1996). Die Kritik an der bürgerlichen Literatur, dem Naturalismus und dem Formalismus wird verschärft, die literarische Darstellung der Wirklichkeit in ihrer ‚revolutionären Entwicklung‘, das Modell des positiven Helden und die sprachliche Einfachheit in der Schreibweise hingegen gefordert. Gor’kijs Verherrlichung der Folklore als wah-
Im Jahr 1924 nimmt die Partei ihren endgültigen Namen „Kommounistiko Komma Ellados“ (Kommunistische Partei Griechenlands, KKE) an. https://doi.org/10.1515/9783111026534-003
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2 Kanonisierung in Bewegung
rer Ausdruck der Volksseele intensiviert das Interesse der linken marxistischen Intelligenz an Volkskultur und mündlichen Erzähltraditionen, während die Anzahl der in der Zeitschrift veröffentlichten Übersetzungen sowjetischer literaturtheoretischer Beiträge, die die Methode des Sozrealismus propagieren und erläutern, steigt. Die öffentliche Diskussion insbesondere sozialistischer Ansichten wird durch die Errichtung der Metaxas-Diktatur (1936–1941) und anschließend den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges weitgehend unterbrochen. In den Diktatur- und Kriegsjahren wird die Tendenz einer Überschreitung des Dogmatismus im versöhnlichen Geist der nationalen Einheit gegenüber dem gemeinsamen Feind und somit einer Öffnung zur bürgerlichen Intelligenz und Kunst verzeichnet (vgl. Kokoris 1995, 233 f.), die sich – wie bereits im ersten Kapitel beschrieben – auch in der revidierten sowjetischen Rezeption einiger bis dato polemisierter Literaten (beispielsweise Palamas, Sikelianos u. a.) in der Nachkriegszeit abbildet. Der griechische Bürgerkrieg (1946–1949), ein zentrales Geschehen der griechischen Nationalgeschichte, stellt trotz seines regionalen Charakters die Miniatur eines Konflikts internationaler Dimensionen dar. Die aus zerstreuten ideologischen Kräften bestehenden Hauptgegner des Bürgerkrieges, die schematisch als die linke und die rechte Front bezeichnet werden, repräsentieren die zwei Gegenpole eines anderen, überregionalen ideologischen Krieges, der die Weltgemeinschaft über 40 Jahre beschäftigt – des Kalten Krieges. Nach der Niederlage der linken Kräfte im griechischen Bürgerkrieg (1949), verlagert sich die Aktivität der griechischen Kommunisten an die sogenannte ‚ideologische Front‘. Die gedruckte Propaganda, die während des Partisanenkrieges mittels mobiler Handdruckpressen in den Bergen hergestellt wird, wird nach und nach in die Konzentrationszentren der Geflüchteten in den Ostblockstaaten transferiert, in denen die griechischen politischen Exilanten Zuflucht finden. Anhand des in der Arbeit von Matthaiou und Polemi (2003) veröffentlichten Archivmaterials, das sowohl eine kontinuierliche und detaillierte Korrespondenz zwischen den Exilverlagen und der Partei als auch innerparteiliche Werkbesprechungen umfasst, wird die Auffassung der KP von Literatur als Instrument der Politik sichtbar. Hauptziel des ‚ideologischen Kampfes‘, der vom allgemeinen Streben der KP nach politischem Einfluss gesteuert wird, ist die Parteiaufklärung bzw. die Popularisierung der Parteilinie in der breiten Masse der Bevölkerung. Im Publikationsbereich bedeutet das laut eines Berichts des Politbüros der KKE aus dem Jahr 1951 die Publikation von Werken, die zur Steigerung des marxistisch-leninistischen, ideologisch-theoretischen Niveaus der Parteimitglieder und Volkskämpfer im allgemeinen, zur Erschaffung politisch und theoretisch ausgebildeter Kampfkader in Griechenland und aktiver und kultivierter Kämpfer des sozialistischen Aufbaus im Ausland beitragen. (Zit. n. Matthaiou/Polemi 2003, 62)150
„[…] που να βοηθούν στην ανάπτυξη του μαρξιστικού-λενινιστικού ιδεολογικού-πολιτικού επιπέδου των μελών μας και των αγωνιστών γενικά, στη δημιουργία πολιτικά και θεωρητικά καταρτισμένων στελεχών του αγώνα στην Ελλάδα και δραστήριων και πολιτισμένων αγωνιστών της σοσιαλιστικής οικοδόμησης στο εξωτερικό.“
2.1 Rezeption des Sozrealismus in Griechenland: Programmatik und Übersetzungen
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Die Literatur wird dazu aufgerufen, gezielt zur Aufklärung und Erziehung beizusteuern. Die griechischen Autoren der Politemigration und die Inlandsliteraten werden aufgefordert, patriotische Werke zu verfassen, die von den heldenhaften Befreiungs- und Widerstandskämpfen des Volkes inspiriert sind, den neuen Menschen der sozialistischen Kultur plastisch darstellen, den Optimismus, den Glauben an den Sieg und den Hass gegen den Faschismus und den Krieg pflegen, sowie Fatalismus und Pessimismus verurteilen (vgl. Matthaiou/Polemi 2003, 82 ff.). Die Vorbildfunktion der sowjetischen Literatur für diesen Prozess wird durch explizite Verweise in Artikeln der linken Presse und Parteireden dieser Zeit akzentuiert,151 spiegelt sich jedoch auch in der publizistischen Produktion der ersten Betriebsjahre der Exilverlage (1947–1954) wider. Die Publikation übersetzter sowjetischer Literatur übersteigt in diesen Jahren diejenige griechischer Autoren quantitativ um ein Vielfaches.152 Wir haben einige Dutzend der besten Werke der Sowjetischen Literatur veröffentlicht, die hauptsächlich den Heroismus, die Leistungen und die Heldentaten der sowjetischen Menschen während des Zweiten Weltkrieges thematisieren. Diese Werke enthalten für uns unter anderem eine reiche und sehr wertvolle Kriegserfahrung. Deswegen müssen wir sicherstellen, dass alle unsere Kämpfer und Kämpferinnen mit ihnen vertraut werden, um von ihnen zu lernen. (Generalsekretär der KP, Nikos Zachariadis, in der 5. Plenarsitzung des ZK 1949. Zit. n. Matthaiou/Polemi 2003, 24)153
Parallel zu sowjetischen literaturtheoretischen Texten zum sozialistischen Realismus werden in diesen Jahren vom Exilverlag Beks Wolokalamsker Chaussee (1947), Veršigoras Ljudi s čistoj sovest’ju (Menschen mit einem klaren Gewissen), Grossmans Stalingrad, Polevojs Der Wahre Mensch, Ignatovs Partisanen, Ostrovskijs Wie der Stahl gehärtet wurde, Furmanovs Tschapajew (1948), Ostrovskijs Die Sturmgeborenen, Šolochovs Sie kämpften für ihre Heimat (1949), Fadeevs Die junge Garde (1952), Die neunzehn (1954) und noch viele andere Klassiker der sowjetischen Kriegsliteratur herausgegeben, die von didaktischer Bedeutung für die Kriegsführung sind und moralstärkende Wirkung für die Kämpfer haben. Literarische Figuren wie Furma Siehe beispielsweise die Reportage von Mposis und Spilios über den 2. Allunionskongress der sowjetischen Schriftsteller aus dem Jahr 1955 in der Zeitschrift Neos Kosmos: „Eine große und wohltätige Auswirkung hatte die sowjetische Literatur, ihre humanistischen Ideale, ihr Patriotismus und Internationalismus nicht nur auf die Leser, sondern auch auf die Schriftsteller Griechenlands“ / „Μεγάλη και ευεργετική επίδραση είχε η σοβιετική λογοτεχνία, τα ανθρωπιστικά της ιδανικά, ο πατριωτισμός και ο διεθνισμός της όχι μονάχα στους αναγνώστες, αλλά και στους συγγραφείς της Ελλάδας.“ (Mposis/Spilios 1955, 64). Dieses Bild ergibt sich durch Auswertung der Publikationsaufstellung in Matthaiou/Polemi 2003. „Έχουμε εκδόσει μερικές δεκάδες απ’ τα καλλίτερα σοβιετικά λογοτεχνικά έργα που αναφέρονται κυρίως στον ηρωισμό, τις επιδόσεις, τα κατορθώματα των σοβιετικών ανθρώπων στο 2ο παγκόσμιο πόλεμο. Τα έργα αυτά περικλείουν για μας εκτός απ’ τα άλλα και μια πλούσια και πολύ χρήσιμη πολεμική πείρα. Γι’ αυτό πρέπει να οργανώσουμε έτσι τη δουλειά μας ώστε όλοι οι μαχητές και μαχήτριές μας να γνωριστούν με τα έργα αυτά, να διδαχτούν απ’ αυτά.“
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2 Kanonisierung in Bewegung
novs Klyčkov oder Polevojs Vorob’ev werden in parteilichen Texten als Vorbilder für die Politkommissare der Demokratischen Armee Griechenlands (Dimokratikos Stratos Elladas, DSE) gefordert, während literarische Darstellungsweisen als Anleitung für journalistische Kriegsberichte dienen (Matthaiou/Polemi 2003, 25). Ab Mitte der fünfziger Jahre geht die Zahl der Publikationen übersetzter sowjetischer Literatur seitens der Exilverlage drastisch zurück, während die der griechischen Literatur zunimmt. Einige Tage nach dem XX. Parteitag der KPdSU 1956 und Chruščëvs Verurteilung des stalinschen Personenkults in der bekannten geschlossenen Sitzung wird auf Initiative von sechs Bruderparteien, einschließlich der KPdSU, die 6. Vollversammlung der KKE in Bukarest (11.–12. März) einberufen, die die Absetzung des Generalsekretärs Nikos Zachariadis beschließt. Im Gefolge der 6. Vollversammlung werden die Autoren motiviert, die daraus abgeleitete Parteilinie, die sozialen Veränderungen Griechenlands und vorwiegend Themen der griechischen Aktualität in ihren Werken zu reflektieren (vgl. Matthaiou/Polemi 2003, 585). Trotz der behaupteten Offenheit der neu orientierten Parteilinie gegenüber Skeptizismus und Kritik in Bezug auf Fehler der Parteiführung während des Bürgerkriegs, wird die Beschränkung der literarischen Verhandlung des Bürgerkrieges zugunsten der Widerstandsthematik empfohlen. Das liegt im Interesse sowohl der Partei, die die Entstehung einer breiten patriotischen Front in Griechenland anstrebt und daher von der Hervorhebung des national-befreienden Charakters der Widerstandsbewegung anstatt der einseitigen Darstellung der DSE-Kämpfe profitiert, da dies der anti-kommunistischen Staatspropaganda zusätzliche Vorwände bietet, als auch im Interesse der Politemigranten, deren Anliegen für Amnestie und Repatriierung damit zusammenhängt (vgl. Apostolidou 2009, 222 f.; 2010, 65). Im Bereich der linken Literaturkritik werden im ideologisch zugespitzten, polarisierten Klima während und nach dem Bürgerkrieg zwei Haupttendenzen sichtbar. Im Einklang mit der orthodoxen parteilichen Kunstrichtlinie, die Ždanov 1946 durch den Erlass über die Zeitschriften Zvezda und Leningrad und die Verurteilung von Achmatova und Zoščenko erneut diktiert,154 verteidigt ein Teil der linken Intelligenzija weiterhin die konsolidierten Normen des sozialistischen Realismus, während ein anderer – zunehmend und immer deutlicher ab Mitte der fünfziger Jahre – revisionistische Positionen artikuliert, ohne jedoch dabei eine gesellschaftlich abgeschnittene, autonome Kunst zu fordern. Erste Ansätze einer Auflockerung der sozrealistischen Doktrin, die sich in den fünfziger Jahren in der Sowjetunion abzeichnet, sowie zentrale Ereignisse des sowjetischen Literaturwesens – der 2. Allunionskongress der Sowjetschriftsteller 1954, die Geheimrede Chruščëvs 1956 und die erneute Bestätigung der konservativen Parteithesen in seinem Text Für eine enge Verbindung der Literatur
Siehe hierzu Ždanovs Bericht „Doklad tov. A. A. Ždanova o žurnalach Zvezda i Leningrad“ in Novyj mir (1946) und den Erlass des ZK „O žurnalach Zvezda i Leningrad. Iz postanovlenija CK VKP (b) ot 14 avgusta 1946 goda“ im selben Heft (S. 1–3).
2.1 Rezeption des Sozrealismus in Griechenland: Programmatik und Übersetzungen
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und Kunst mit dem Leben des Volkes 1957, die Pasternak-Affäre 1958 usw. – und die damit einhergehenden Kanon-Debatten und Meinungsverschiedenheiten, sind Ausgangspunkt für analoge Diskussionen innerhalb der linken literarischen Kreise Griechenlands. Die revisionistischen Tendenzen, die im Grunde nicht die Abwendung vom Literaturkanon, sondern seine Befreiung von der absoluten Dominanz des ‚Positiven‘ und der Konfliktlosigkeit anstreben, entgehen nicht der Parteikontrolle. Die Veröffentlichung der 1957 von Chruščëv verurteilten Erzählung Sobstvennoe mnenie (1956, I siopi, Die eigene Meinung, 1960) von Daniil Granin in der wichtigen reformorientierten linken Zeitschrift Epitheorisi Technis 1959 mündet in einer Art Parteigericht, als dessen Ergebnis die Redaktion zum Rücktritt und die Zeitschrift zur Kursänderung gezwungen wird (vgl. Ioannidou 2008). Unter dem Druck des Instrukteurs des Stadtparteikomitees und mit Blick auf den beruflichen Aufstieg verschweigt der doppelzüngige Hauptheld der Erzählung seine ‚eigene Meinung‘ und verewigt dadurch einen Zustand der Ungerechtigkeit. Die editorische Entscheidung der Veröffentlichung einer die Schattenseiten des sowjetischen Staats- und Parteiapparats darstellenden Erzählung, die auf Grundlage ihrer italienischen Veröffentlichung in der Zeitschrift Il Contemporaneo (1957) ins Griechische übersetzt wird, manifestiert nicht nur einen bewussten Versuch der Erweiterung, Modernisierung und Rationalisierung der ždanov’schen Auffassung des Kanons, sondern berührt als Beispielfall die breitere Problematik der Rezeption russischer Literatur in Griechenland. Die primäre Rezeption und anschließend die Einführung und Präsentation der russischen Literaturproduktion des zwanzigsten Jahrhunderts in Griechenland erfolgt in den vierziger, fünfziger und sechziger Jahren größtenteils durch den ideologischen Kanal der in der Sowjetunion und den Ostblockstaaten lebenden Autoren der griechischen Politemigration, durch den die offiziell geförderte sowjetische Literatur bzw. Werke mit Vorbildfunktion importiert werden.155 Aus diesem Grund bleiben der griechischen Leserschaft russische Literaten wie Blok, Achmatova, Cvetaeva, Mandel’štam, Gumilëv, Pil’njak, Sinjavskij, Brodskij u. a. bis in die siebziger Jahre weitestgehend unbekannt (vgl. Ioannidou 2005). Während Mitte der 1960er Jahre durch den Prozess gegen die Schriftsteller Sinjavskij und Daniėl’ unter Brežnev eine neue repressive Phase in der Sowjetunion eingeleitet wird, die jedoch die Tauwetter-Tendenzen in der sowjetischen Literatur nicht aufhalten kann, führt die theoretische Infragestellung der Prinzipien des sozialistischen Realismus auch in Griechenland allmählich – wenn auch nicht gradlinig – zur Abnahme seiner Relevanz (Kotzia 2002, 413), was durch die historisch-politische Entwicklungen – die 1967 errichtete Militärdiktatur – noch verschärft wird.
Häufig fungieren die Autoren der Politemigration auch als Übersetzer der Werke ins Griechische.
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2 Kanonisierung in Bewegung
2.2 Die griechische Appropriierung des Sozrealismus und ihre sowjetische Übersetzung 2.2.1 Die Neuerfindung des Originals: Melpo Axiotis Tränen und Marmor Die Virginia Woolf Griechenlands – wie die Literaturkritik die bedeutende griechische Autorin Melpo Axioti (1905–1973) wiederholt genannt hat – wird mit ihren ersten, erzähltechnisch innovativen Werken in der Zwischenkriegszeit sofort wahrgenommen.156 Nicht viel später leugnet sie ihre ‚Einflüsse‘ und verpflichtet sich als Kommunistin dem sozialistischen Realismus. 1953 schreibt sie: Hier soll ich auch von meiner eigenen früheren Sünde erzählen. Es war eine Zeit, als ich auch vom Surrealismus und seiner Satzstruktur beeinflusst wurde und er drang, vielleicht ohne dass ich es bemerkte, in einige meiner Schriften ein. […] Die marxistische Ideologie und der Nationalbefreiungskampf des griechischen Volkes erretteten mich von diesem Ausrutscher. (Axioti 1983a, 152)157
Während der deutschen Besatzung engagiert sich Axioti bei der illegalen Presse. Um Repressalien des weißen Terrors wegen dieser Tätigkeit zu entgehen, emigriert sie 1947 nach Frankreich. Paris – aus dem sie 1950 in die DDR ausgewiesen wird – ist nur die erste Station eines langjährigen Exils in Dresden, Ost-Berlin, Warschau, Moskau und Sofia bis zu ihrer Repatriierung 1965.158 In Frankreich engagiert sich Axioti weiter für die Friedensbewegung und macht Bekanntschaft mit Louis Aragon, Paul Éluard und Pablo Neruda. 1949 wird ihr Roman Eikostos aionas (1946, XX-e Siècle, Tränen und Marmor) im Verlag La Bibliothèque Française von Louis Aragon auf französisch herausgegeben, der ihn als ‚Geschenk‘ für seine Heimat bezeichnet (Aragon 1986, 593). Der Roman, der vom linken Widerstand im Zweiten Weltkrieg mit Akzent auf den weiblichen Kampf handelt, erhält begeisterte Kritiken von der französischen Presse (vgl. Mathhaiou/Polemi 1999, 41). Für die griechische KP, die die Sensibilisierung und die Mobilisierung der internationalen öffentlichen Meinung und speziell der Intellektuellen über die ‚griechische Frage‘ anstrebt, ist dieser literarische Erfolg von besonderer Bedeutung. Nach der Publikation des Romans wird eine Verschiebung in der Haltung der französischen linken Intelligentzija zu Griechenland festgestellt. Axioti konstatiert diese Haltungsänderung in
Dyskoles nychtes (1938, Schwere Nächte), Symptosi (1939, Zufall) und Thelete na chorepsome Maria? (1940, Möchten Sie mit mir tanzen, Maria?). „Εδώ πρέπει να πω και τη δικιά μου παλιά αμαρτία. Ήταν ένας καιρός που με επηρέασε κι εμένα ο σουρεαλισμός στη φραστική του διάρθρωση και μπήκε δίχως ίσως και να το πάρω είδηση σ’ ορισμένα γραφτά μου. […] Η μαρξιστική ιδεολογία και ο εθνικοαπελευθερωτικός αγώνας του ελληνικού λαού, με σώσανε από το ξεγλίστρημα.“ Den größten Teil ihres Exils verbrachte sie in Ost-Berlin, wo sie von 1958 bis 1964 als Gastdozentin Neugriechische Sprache und Literaturgeschichte an der Humboldt-Universität unterrichtete.
2.2 Griechische Appropriierung und sowjetische Übersetzung des Sozrealismus
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einem Schreiben an die Partei, wobei auch die Rolle Aragons für die ‚Legitimierung‘ des griechischen Problems sichtbar wird: Aragon beschäftigte sich nie mit Griechenland und seine Frau, Elsa Triolet, sagte mir, dass sie nicht über Länder schreiben können, die ihnen unbekannt sind. Der Artikel Aragons in Lettres Françaises über das Buch wurde von den Franzosen für einen seiner wichtigsten überhaupt gehalten. So hat sich die Situation geändert. Die Presse ist wohlwollend geworden. (Matthaiou/Polemi 1999, 39)159
Auch der Parteivertreter in Paris, Stratis Zerbinis, fügt als Postscriptum demselben Schreiben hinzu: Mit dem großen Erfolg ihres Buches wurde Melpo zur einer bekannten Persönlichkeit und es wird nun viel häufiger über Griechenland gesprochen. Die Intellektuellen, die die linke Presse Frankreichs steuern und große Kaltherzigkeit für die griechische Frage zeigten, haben nun ihre Einstellung geändert, und von diesem Standpunkt aus ist Melpos Anwesenheit hier notwendig. (Ebd. 40)160
Dieser Widerhall bewirkt, dass Axioti die Provisorische Demokratische Regierung161 Griechenlands beim Weltkongress der Friedensfreunde (20.–25. April 1949) vertritt, bei dem sie unter anderem die Bekanntschaft von Aleksandr Fadeev, Il’ja Ėrenburg, Georg Lukács und Anna Seghers macht. Seghers wird später das Vorwort der deutschen Ausgabe des Romans verfassen. Der ‚Triumph‘ des Romans bahnt den Weg für seine Übersetzung in mehrere europäische Sprachen.162 Auf die breite und positive Resonanz in Frankreich ist auch die russische Ausgabe V dvadcatom veke (1950) zurückzuführen, die in einer Zeitspanne erscheint, in der die Zahl der Publikationen neugriechischer fiktionaler Literatur sehr gering ist:163 in der Zeit zwischen den ersten zwei Varnalis-Ausgaben, die
„Ο Aragon δεν ασχολιότανε ποτέ με την Ελλάδα, κι η γυναίκα του Έλσα Τριολέ, μούχε πει πως δεν μπορούν να γράφουν για χώρες άγνωστές τους. Το άρθρο που έκαμε ο Ar. στις Lettres Françaises για το βιβλίο θεωρήθηκε απ’τους γάλλους απ’τα σημαντικώτερα που είχε κάμει ποτέ. Έτσι άλλαξε η κατάσταση. Τώρα ο τύπος έγινε ευμενής.“ „Με τη μεγάλη επιτυχία του του βιβλίου της η Μέλπω έγινε προσωπικότητα και τώρα μιλούν για την Ελλάδα πολύ πιο συχνά. Οι διανοούμενοι που κυβερνούν τον αριστερό τύπο της Γαλλίας και που έδειχναν μεγάλη ψυχρότητα για το ελληνικό ζήτημα, τώρα άλλαξαν στάση και απ’αυτή την άποψη η παρουσία εδώ της Μέλπως είνε αναγκαία“. Die Provisorische Demokratische Regierung wurde von der KKE als Gegenregierung während des Bürgerkriegs 1947 gebildet. Unmittelbar nach der ersten französischen Ausgabe (XXe siècle, 1949) erscheint der Roman in bulgarischer (XX-Jat Vek, 1949), italienischer (La vita non muore, 1949), deutscher (Tränen und Marmor, 1949), tschechischer (Život je věčný: Dvacáté století, 1950) und polnischer Sprache (Poliksena: opowieść grecka, 1950). Die Rede ist hier von eigenständigen Werken und nicht von gelegentlich veröffentlichten Werkausschnitten in Zeitungen oder Literaturzeitschriften. Die letztgenannten sind in dieser Zeit auch selten und in ihrer überwiegenden Mehrheit antifaschistische Widerstandsdichtung (vgl. Jalamas 2011, 66 f.). Die Dominanz des Kriegsthemas betrifft sowohl die übersetzte als auch die sowjeti-
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2 Kanonisierung in Bewegung
als Ergebnis der griechischen Teilnahme am 1. Allunionskongress der Sowjetschriftsteller 1935 und 1938 herausgegeben werden, und jener Phase der späten fünfziger Jahre, in der ein drastischer Zuwachs an Publikationen neugriechischer Literatur zu verzeichnen ist. Alle Übersetzungen des Romans werden auf Grundlage der französischen Ausgabe erstellt. Im Fall Russlands ist das auf mehrere Gründe zurückzuführen: Im Gegensatz zu Griechenland existieren zwischen Frankreich und Russland lang etablierte literarische Beziehungen, weshalb bereits eine Infrastruktur an Übersetzern und Literaturvermittlern vorhanden ist. Es ist kein Zufall, dass Axiotis Roman vom Jules-Verne-Übersetzer M. F. Mošenko übersetzt wird und seine literaturkritische Rezeption zugleich von Personen übernommen wird, deren Fachwissen und berufliches Interesse im französischen – und nicht im griechischen – Kultur- und Literaturwesen liegt. Die griechischen Schriftsteller-Politemigranten, unter denen sich einige der zukünftigen Übersetzer und Rezensenten neugriechischer Literatur in den sechziger Jahren befinden, sind noch nicht in Moskau angesiedelt bzw. vernetzt. Es handelt sich parallel um eine bereits verbreitete und systematische Praxis. Eine beträchtliche Anzahl von linksgerichteten Werken publizistisch-agitatorischen Charakters über den Widerstand und den Bürgerkrieg, werden während und nach dem Ende des Bürgerkrieges von den Organisationen und Exilverlagen der KKE im Ausland164 auf Französisch herausgegeben. Die fremdsprachigen Ausgaben zielen auf die internationale Sichtbarkeit der Kämpfe bzw. die Popularisierung der Ziele der Partei ab. Übersetzungen solcher Schriften aus dem Französischen sind in dieser Zeit häufig in der Sowjetunion,165 wobei Französisch hier erneut in der bekannten Vermittlungsposition zwischen Russland und Griechenland agiert, mit dem Unterschied, dass Quellund Zielsprache diesmal umgekehrt sind: Vom neunzehnten Jahrhundert bis in die zwanziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts hinein wird die russische Literatur durch Übersetzungen aus dem Französischen in die griechische Leserschaft eingeführt (vgl. Ilinskagia 2006), während es nun die neugriechische Literatur ist, die über den Umweg des Französischen in die Sowjetunion findet. Abgesehen von den oben angeführten pragmatischen Gründen, setzt dieses Vorgehen ein zweck-
sche Literatur. Insbesondere in den Jahren 1941‒1945 befassen sich fast vierzig Prozent der veröffentlichten Bücher und Flugschriften mit der Kriegsthematik (Gorokhoff 1959, 4). Hauptsächlich in Bulkes (dem heutigem Maglić) in der Sozialistischen Republik Serbien, in Bukarest und in Borowez (Volksrepublik Bulgarien), den Ansiedlungsorten der Bürgerkriegsflüchtlinge. Übersetzt aus dem Französischen werden in dieser Zeit vom Verlagshaus Izdatel’stvo inostrannoj literatury beispielsweise der aus Texten zum Tode verurteilter Widerstandskämpfer bestehende Sammelband Krov’ju serdca (1950; Livre de sang) sowie zwei von der provisorischen Regierung der KKE in französischer Sprache herausgegebene Werke Pravda o Grecii (1949; La Vérité sur la Grèce) und Za mir i demokratiju v Grecii (1950; Pour la Paix et la Démocratie en Grèce).
2.2 Griechische Appropriierung und sowjetische Übersetzung des Sozrealismus
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orientiertes Verständnis von Literatur und Übersetzung voraus, das die Praxis der Übersetzung über den Umweg einer Drittsprache legitimiert.166 Handlung, Figuren und Motive Die Hauptfigur des Romans, Polyxena, verbringt die letzte Nacht ihres Lebens in einer Gefängniszelle. Verhaftet und gefoltert von der deutschen Wehrmacht ist sie ihrer Ideologie treu geblieben und wartet nun auf die Hinrichtung am darauffolgendem Tag. In diesen letzten Lebensstunden ruft sie sich die Vergangenheit ins Gedächtnis zurück: von der Kindheit über die erste Liebe und das politische Engagement bis hin zur Verhaftung und der Gewissheit des Todes. In der Lebensrückschau ist die persönliche Geschichte mit der Nationalgeschichte Griechenlands eng verflochten, so dass die autobiographische Erzählung sich zugleich als eine Chronik der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts erweist. Persönliche Erlebnisse, historische Ereignisse der National- und Weltgeschichte der Zwischenkriegszeit und Berichte von Begegnungen der Hauptfigur mit Repräsentanten verschiedener Sozialschichten und deren Lebens- und Kampfgeschichten werden in Form von rasch wechselnden Erinnerungen, Eindrücken und Fragmenten erzählt. Die grundlegenden strukturellen Merkmale des ‚prototypischen Plots‘ (Clark 1981, 159) eines konventionellen sozrealistischen Romans können in der Entwicklung sowohl der Hauptfigur als auch der Nebenfiguren identifiziert werden. Die Hauptelemente des prototypischen Plots bilden nach Clark folgende Grundstruktur: Ein Held verfolgt ein Ziel, das soziale Integration und kollektive Identität für ihn mit sich bringt. Auf dem Weg zum Ziel bewältigt der Held die Hindernisse, die im Wege stehen, mithilfe einer meist älteren, ideologisch-politisch ‚bewussten‘ Figur. Zentrales Element des Mustersujets ist die Entwicklung des politischen Bewusstseins des Helden, die in der sozialen Integration und dem Erwerb kollektiver Identität durch die allmähliche Auflösung der individuellen besteht. Die aus einer wohlhabenden Familie stammende, im Leben unerfahrene Polyxena verbringt ihre Jugendjahre einsam und isoliert. Ihre Teilnahme an der Widerstandsbewegung bringt soziale Integration und durch die Auflösung der individuellen eine kollektive Identität mit sich: Durch die Parteiarbeit wird sie Teil eines Kollektivs von Gesinnungsgenossen und erwirbt in Übereinstimmung mit dem Mustersujet des konventionellen sozrealistischen Romans politisches Bewusstsein. Ist ihr Engagement anfänglich noch durch ihre Liebe zu Mi-
Vgl. dieses Verfahren mit der in der Sowjetunion sehr verbreiteten Technik der Interlinearübersetzung, die mittels einer Wort-für-Wort Übersetzung des Ausgangstextes (podstročnik) erfolgt, die als Entwurf für die künstlerische Übersetzung dient. Diese Verfahrensweise wird in der Übersetzung neugriechischer Lyrik ins Russische weitgehend praktiziert. So übersetzt beispielsweise die bekannte russische Dichterin Anna Achmatova ohne Griechischkenntnisse Gedichte von Rita Mpoumi-Papa, und Evgenij Evtušenko den Dichter Alexis Parnis. Für eine ausführliche Behandlung der Übersetzungspraxis mittels Interlinearversionen im sowjetischen Kontext siehe beispielshaft Witt, 2013b.
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lios motiviert, der als erfahrener Kommunist die Rolle des Mentors innehat, entwickelt es sich später aus einer bewussten Entscheidung heraus: „Und wenn es sein muß, schwörst du, selbst bis zum Tode?“ – „Ich schwöre“, hatte sie ihm gesagt. […] Doch nicht der Schwur hat mich hierhergeführt. Ins Gefängnis. Dahin bin ich gekommen, weil ich begriffen habe. Auch ich wollte bleiben. (Axioti 1949, 125)167
Eine ähnliche Entwicklung durchlaufen auch andere Figuren des Romans. Das Dienstmädchen der Familie, Marion, der die Oktoberrevolution noch am Anfang des Romans „völlig schnuppe“ (Axioti 1949, 24)168 ist, teilt am Ende die Gefängniszelle mit Polyxena und wartet wie sie auf ihre Hinrichtung. Der Vater Polyxenas, der als Berufsmusiker und überzeugter Demokrat die griechische Intelligenzija repräsentiert, und der „wenig sprach, friedfertig und voller Zweifel“ ist (ebd, 151),169 wird schließlich zum Mann der Tat, indem er nach dem Tod seiner Tochter zu den Waffen greift und sich der Partisanenbewegung anschließt. Die Entwicklung der Haupt- und Nebenfiguren verkörpert motivisch die marxistisch-leninistische Dialektik von Spontaneität (stichijnost’) und Bewusstheit (soznatel’nost’), die laut Clark dem Masterplot seine Grundstruktur verleiht (1981, 23). Der positive Held geht stufenweise von einem Zustand relativer Spontanität zu einem höheren Bewusstseinsgrad über, den er durch eine individuelle Revolution erreicht. Der Weg bis zur ideologischen Überzeugung ist für Axiotis Hauptfigur ein Lern- und Erkenntnisprozess: Und zum erstenmal begriff Polyxena, daß es auf Erden die Reichen gibt und die anderen, die sie hassen. (Axioti 1949, 14)170 Zum erstenmal begriff sie, daß man Geld braucht, um sich zu nähren. Sie hatte geglaubt, daß Lebensmittel in allen Häusern stets vorhanden waren […]. (Axioti 1949, 20)171
Allmählich mischt sich Polyxena unter das Volk, erfährt die soziale Ungleichheit und die Kriegsgewalt und „entdeckt“ in den einfachen kleinen Menschen ihr „Vaterland“
Die Romanauszüge des vorliegenden Unterkapitels werden der (originalgetreuen) deutschen Ausgabe des Romans in Übersetzung von Kurt Stern entnommen (Axioti, Melpo. 1949. Tränen und Marmor. Berlin: Verlag Volk und Welt). „«Κι αν χρειαστεί, τ’ορκίζεσαι, ακόμα και στο θάνατο»; «Τ’ορκίζομαι» του είχα πει. […] Μα δε μ’έφερε ο όρκος εδώ. Στη φυλακή. Ήρθα γιατί εκατάλαβα. Δεν μπορούσα να φύγω.“ (Axioti 1946, 92). „«Πανάσταση εγίνηκε; δεν πάει να κόψουν το λαιμό τους, έλεγε η Μαργιώ, με νιάζει εμένα τίποτας;»“ (Axioti 1946, 21). „[…] που δε μιλούσε πολύ. Ειρηνικό. Γεμάτο αμφιβολίες.“ (Axioti 1946, 111). „Κ’ η Πολυξένη επρωτομάθαινε εκείνη την ημέρα ότι στον κόσμο υπάρχουνε άρχοντες, κι άλλοι που τους μισούν.“ (Axioti 1946, 13). „Πρώτη φορά που μάθαινε πως το φαΐ και τα λεφτά ήτανε ίδιο πράμα. Ενόμιζε πως το φαΐ είταν πάντα στα σπίτια κ’ έκανες έτσιδα και τόπιανες.“ (Axioti 1946, 17).
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(Axioti 1949, 31), bis sie sich eines Tages bereit fühlt, das Wort „Genosse“ selbst auszusprechen, und die Notwendigkeit der Selbstopferung für das Gemeinwohl begreift: War es sinnlos? War es, wie man sagt, eine „Gratishandlung“? Nein, es war eine Pflicht. Wir haben sie erfüllt. […] Wir sterben, so wie andere vor der Entdeckung des Serums an Cholera gestorben sind. Wir sind die Versuchskarnickel gewesen. (Axioti 1949, 129)172
In der stark dualistisch-antithetischen, nach dem Prinzip der Polarisierung (Günther 1984, 110) konstruierten Romanwelt stammen die positiven Figuren aus der Unter- und Mittelschicht, während Angehörige der Oberschicht als eindimensional konzipierte Figuren die Verkörperung des Bösen darstellen. Der sich häufig bei der Familie Polyxenas zu Besuch befindende ‚Industrielle‘, der als Ausbeuter, Bellizist und Faschist dargestellt wird, bleibt beispielsweise den ganzen Roman hindurch eine namenlose Figur. Diese Antonomasie bzw. die Reduzierung der Figur auf ihre Tätigkeit in einem bestimmten Sektor trägt durch Vergröberung drastisch zur Typisierung bei. Der schematisch-abstrakte Typus des Industriellen vereinigt in sich alle aus marxistischer Perspektive als negativ zu wertende Züge der Bourgeoisie und verkörpert so die marxistische Position des skrupellosen Kapitals. Die ironische Haltung der Erzählinstanz zur Bourgeoisie, aus der die Feindbilder stammen, kommt zudem durch einen bekannten Topos der Satire zum Ausdruck. Die hochmütige Sprechweise und der (adaptierte) aristokratische Habitus des Großbürgertums wird durch die Integration von Fremdwörtern (meistens französisch oder anglo-amerikanisch, d. h. Vokabular aus Sprachen der westlichen, mit dem Kapitalismus assoziierten Staaten) in die Erzählung oder die Figurenrede parodiert. So wird die Selbstinszenierung von Figuren als zu den ‚oberen Milieus‘ gehörenden, gebildeten Menschen ‚von Welt‘ verspottet, wobei sich in dieser Haltung eine indirekte Kritik des Kosmopolitismus manifestiert. Eine Katze namens Mylady spielt mit einem Wollknäuel, während ihre weltfremde Besitzerin Jacken und Schals für die Soldaten neben dem abat-jour strickt. In der deutschen Übersetzung gehen die Fremdwörter und der dadurch erzeugte Verfremdungseffekt leider verloren: […] Verhalt dich ruhig, Mieze! Du siehst doch, das ist für die Invaliden! […] Das sind Männer mit Bärten, Gewehren, ein bißchen verwildert, die in den Krieg gezogen sind, um uns zum Siege zu verhelfen, Mieze! Doch gewöhnlich sind sie arme Teufel und brauchen Wollsachen! […] Und während ihre Katze spielte, saß Frau Galateia neben ihrem Lampenschirm, mit der undeutlichen Vorstellung, daß irgendwo Krieg sei und es also auch Invaliden gebe, für die man arbeiten müßte […]. (Axioti 1949, 106 f.)173
„Είταν τζάμπα; Είναι εκείνο που λένε μια πράξη «χάρισμα»; Όχι. Είναι ένα χρέος. Έγινε. […] Πεθάναμε όπως πέθαναν οι άλλοι απ’ τη χολέρα πριν να βρουν τον ορό. Είμαστε το εργαστήριο.“ (Axioti 1946, 95). „Μιλαίντυ, φρόνιμα Μιλαίντυ! Αυτό είναι για τους αναπήρους! Δεν τους ξεύρεις τι είναι, είναι κάτι άνθρωποι με γένια, με τουφέκια, ολίγον άγριοι, που πήγαν να νικήσουν στον πόλεμο, Μιλαίντυ! Μα είναι πτωχοί συνήθως και χρειάζονται μάλινα! […] Με κάποια τέτοια γνώση αόριστη,
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Die Wohlhabenden174 werden als eine realitätsfremde und gelangweilte Gesellschaftsschicht dargestellt, die ihre Trägheit, Selbstbezogenheit und Indifferenz durch einen scheinbaren Altruismus und eine scheinbare Opferbereitschaft zu kompensieren versucht. Die Aussage über die Invaliden, mit der die Klassenkluft als Mentalitätskluft im griechischen Original verspottet wird, wird in der russischen Übersetzung komplett beseitigt – somit auch ihre ‚Naivität‘ und die dadurch erzielte Ironie. Die Übersetzung stößt an dieser Stelle auf das widersprüchliche Bild einer Figur, die für die Kriegsopfer Arbeit investiert und sich trotzdem abfällig über sie äußert wie auch wenig Realitätssinn aufweist, und ‚vereinfacht‘ es. Die Übersetzung sorgt hier für Konsequenz in der „wertmäßigen Gleichgerichtetheit“ der Figurenmerkmale (Günther 1984, 107). Der Topos des Luxustiers kommt als Sinnbild des großbürgerlichen Lebensstils auch in der Rhetorik Axiotis in Hinblick auf ihre Auffassung von Literatur 1953 vor – diesmal als Metapher für die aus marxistischer Perspektive als bürgerlich gebrandmarkte Literatur, die dadurch als zwecklos kritisiert wird: „[…] die Literatur ist kein Luxushund, den man in seiner Einsamkeit streichelt, sondern Waffe und Werkzeug. Und ihr Griff ist häufig blutverschmiert“ (Mathhaiou/Polemi 1999, 23).175 Der Roman zeichnet sich durch ein positives Sowjetbild der Nachkriegszeit aus, das sich in expressiven lyrisch-pathetischen Textpassagen manifestiert und mit deutlich erkennbaren Freundschaftsnarrativen einhergeht: Schau dort! In weiter Ferne! Setze dich über die Gebirge hinweg! Lass die Grenzen hinter dir! Stoß weiter vor, immer weiter! Da ist der Osten! Da ist das neue Rußland! Da halte an und schau um dich! […] Dort ist ein Land, in dem sogar die Pflanzen Freunde sind. […] ja, ja, sogar die Melonen und die Gänseblümchen. Alles. Alles ist mit uns. Wir sind nicht allein. Und alle zusammen werden wir vorwärtsschreiten. Wenn es sein muß, bis zum Tode. (Axioti 1949, 35)176
κάπου γίνονταν πόλεμος, κάποιοι λέγουνται ανάπηροι … γι’αυτούς δίπλα στο αμπαζούρ δούλευε η κυρία κ’ έπαιζε το γατάκι της.“ (Axioti 1946, 79). Der Name „Galateia“ (die Milchweiße) deutet zusätzlich auf die adlige Abstammung der Figur. Die Figur der Nymphe Galateia tritt beispielsweise häufig in der höfischen Rokokodichtung (Lyrik, Märchen und Versepos) auf, die ein komplettes Gegenprogramm zu dem hier entworfenen, engagierten Literaturkonzept darstellt. Die historische, starke Opposition zwischen der Aristokratie als aus bürgerlicher Sicht ‚nutzloses‘ Relikt aus einer vergangenen Zeit und dem Großbürgertum als Träger des Kapitalismus und, aus dessen Sicht, des gesellschaftlichen Fortschritts, kommt hier nicht zum Vorschein. „[…] η λογοτεχνία δεν είναι ένα σκυλάκι της πολυτελείας που το χαϊδεύεις στη μοναξιά σου. Μα ένα όπλο και εργαλείο. Κι η λαβή του συχνά πασαλυμένη με αίματα.“ „«[…] Κοίτα εκεί κάτω! Μακριά Πέρασε πάνω απ’ τα βουνά! Πήδα πέρα απ’ τα σύνορα! Προχώρα ακόμα πέρα! Μπες στην Ανατολή! Μπες μες στη νέα Ρωσία! Και στάσου εκεί και κοίταζε!» […] «Είναι εκεί κάτω κάποια γη, που και τα χορταράκια της είναι δικοί μας φίλοι! […] ναι και τα ραδικάκια κ’ οι μαργαρίτες όλα αυτά! Είναι όλα με το μέρος μας! Δεν είμαστε μονάχοι! Μαζί τους θα πάμε μπροστά! Ακόμα και στο θάνατο!»“ (Axioti 1946, 29).
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So ermutigt Milios Polyxena zum Kampf gegen den Faschismus, in dem Russland als eine solide Allianz gesehen wird. Die durch die wiederholten Imperative betonte, große geographische Entfernung zwischen Griechenland und dem „neuen Russland“ wird von einem holistischen, sogar die Flora umfassenden Verbundenheitsgefühl überbrückt, was die Idealisierung des neuen Russlands und dessen Paradiesstatus akzentuiert. Die russische Übersetzung beseitigt die möglicherweise als zu sentimental oder kitschig erachtete Hyperbel der befreundeten Pflanzen177 sowie die für so eine robuste Freundschaft viel zu zerbrechlich erscheinende Metapher der Gänseblümchen, bewahrt dennoch die Essenz der Aussage: „Wir sind nicht allein.“178 Narrative der Zusammengehörigkeit und (Anti-Kriegs-)Solidarität im Geist des proletarischen Internationalismus sind im Roman in großer Zahl präsent:
Interessant ist diese Stelle auch hinsichtlich der Übersetzungsentscheidungen in den fremdsprachigen Ausgaben des Romans. Wortwörtlich ist im griechischen Ausgangstext von „Löwenzähnchen“ (gr. ραδικάκια) und „Gänseblümchen“ die Rede. Während die „Gänseblümchen“ (gr. μαργαρίτες, fr. marguerites) in den Übersetzungen bestehen bleiben, unterliegen die „Löwenzähnchen“ einigen Transformationen: Dieses in der griechischen Küche sehr beliebte und insbesondere in der Zeit der großen Hungernot (1941–1942) vergleichsweise reichlich vorhandene und dadurch mit der Armut der Besatzungszeit assoziierte Nahrungsmittel verwandelt sich – womöglich weil diese Ernährungsgewohnheit in Frankreich nicht etabliert ist – in der französischen Übersetzung in „Zucchinis“ (fr. courgettes) und in der deutschen Übersetzung (deren Ausgangstext die französische Übersetzung ist) in „Melonen“. Zwischen dem Original und den Übersetzungen besteht zwar eine pragmatische Äquivalenz, jedoch waren Melonen wie alle Obstsorten während und aufgrund der deutschen Besatzung in Griechenland bekanntlich ein knappes Gut. In den fünfziger Jahren (und der Entstehungszeit der deutschen Übersetzung) waren in Deutschland keine Melonen erhältlich, während Griechenland traditionell eines der Hauptanbaugebiete für Melonen ist. Das ursprünglich auf Russland projizierte ‚griechische‘ Bild der Figur verwandelt sich in der Übersetzung in ein auf Griechenland projiziertes‚ ‚französisches‘ und ‚deutsches‘ Bild. Die polnische Übersetzung des Romans löst dieses Problem, indem sie die Darstellung durch die Verwendung der Kollektiva „owoce“ (Obst) und „kwiaty“ (Blumen) neutralisiert (Axioti 1950, 25). „Schau, sagte er, dort! In die Ferne! Über die Gebirge hinweg! Über die Grenzen! Geh noch weiter! Dort, im Osten! Das ist das neue Russland! Bleib da stehen und schau! […] Wir sind nicht allein. Und zusammen werden wir vorwärts schreiten. Wenn es sein muss, bis zum Tode.“ (Aksioti 1950, 36). Bezeichnend für die Bedeutung, die der Botschaft „Wir sind nicht allein“ (My ne odinoki) beigemessen wird, ist dass diese Worte Emils zum Titel des 1952 in einem Sammelband erneut veröffentlichten Auszugs aus dem Roman in der Sowjetunion werden (Aksioti 1952). „Wir sind nicht allein – dieses Bewusstsein unterstützt den unbezwingbaren Geist der griechischen Patrioten. „Wir sind nicht allein – diese Hoffnung schenkt Vertrauen in die Herzen aller Kämpfer für Frieden, Demokratie und Sozialismus“ steht dazu im Vorwort des Bandes (Ermašov 1952, 8). Die Titel der ausgewählten Werkauszüge sind willkürlich gegeben und entsprechen nicht einer derartigen Unterteilung in den Originalen. Ob nun Satzfehler oder Unwissenheit des Vorwortverfassers geschuldet: Melpo Axioti wird als männlicher Schriftsteller im Vorwort angeführt.
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Ein Abkommen wurde geschlossen, das Menschen durch unsichtbare, aber unzerreißbare Fäden miteinander verknüpfte, die sich über das ganze Land spannten und über die Grenzen hinausreichten. (Axioti 1949, 118 f.)179 Die Demonstration löste sich auf. Sie gingen auseinander, doch sie trennten sich nicht endgültig. […] Diesmal blieben sie durch unsichtbare aber starke Bande miteinander verknüpft. Wie viele … an den verschiedensten Punkten … in anderen Ländern … (Axioti 1949, 124)180
Die Metapher des Bandes, das verknüpft und zusammenhält, verweist auf das stalinsche kulturpolitische Konzept der Völkerfreundschaft (družba narodov). Der sowjetische Freundschaftsbegriff manifestiert sich in Form einer Verbundenheit der Träger des proletarischen Bewusstseins sowohl auf der internationalen als auch auf der interpersonellen Ebene. So wird die ohne Mutter aufwachsende, einsame und zurückhaltende Polyxena durch das parteiliche Engagement allmählich Teil eines liebenden Kollektivs: „Einen Freund haben, einen Freund …“, sagte sie, als sie ein Kind war. Und sie fand keinen. Nun hatte sie mehr als einen. Und was für seltsame Freunde! Wenn sie auch wenig sprachen, wie deutlich merkte man doch, daß sie einen liebten! Warum liebten sie einen? Sie hatte es noch nicht begriffen, doch sie hatte Vertrauen zu ihnen, so wie man das Meer nicht mehr fürchtet, wenn man erst einmal zu schwimmen begonnen hat. (Axioti 1949, 42 f.)181
Bezeichnend für die sowjetischen Gemeinschaftsmythen wie die Völkerfreundschaft oder das verwandte Konzept der Brüderlichkeit, auf dem sie basiert,182 ist darüber hinaus die auch häufig in der Forschung adressierte Familienmetaphorik (vgl. Clark 2000; Günther 1997; Maisuradze 2011), die die entsprechenden Narrative mit Symbolen sozialer Zugehörigkeit untermauert. Der stalinistische Mythos der ‚Großen Familie‘ (Clark 1981, 114) manifestiert sich beispielhaft in der Darstellung Moskaus als „unser aller Haus“: Eines Nachts erwischten sie [Radio] Moskau. Die Stadt wurde bombardiert. […] Da nahm in Antonius Zimmer ein Mann seinen Kopf zwischen die Hände und weinte. Er schämte sich des Schluchzens nicht, das ihn schüttelte. „Du weinst, Spyros?“ […] „Ich weine. Sie bombardieren
„Μια συμφωνία εκλείστηκε κ’ έδεσε ανθρώπους με κλωστές ψιλές αλλά ακατέλυτες. Οι άκριες ξεδιπλώνονταν, ετύλιγαν τον τόπο, έβγαιναν απ’ τα σύνορα, κ’ έδεναν τον κόσμο μαζί.“ (Axioti 1946, 87). „Σκόρπισε η διαδήλωση κ’ έφυγαν μα δε χώρισαν. […] Είταν τώρα δεμένοι με κλωστές ψιλές στέρεες. Πόσοι την ίδια ώρα σ’ άλλα μέρη, σ’ άλλη γη …“ (Axioti 1946, 91). „«Νάχα ένα φίλο, νάχα ένα φίλο» έλεγε σαν είταν παιδί, και τότε δεν τον έβρισκε. Τώρα τέλος εβρήκε. Και τί φίλους παράξενους. Δε σούλεγαν λόγια πολλά μα τόνιωθες οτι σ’ αγάπαγαν. Γιατί σ’ αγάπαγαν; δεν τόξερε δεν τόχε ακόμα καταλάβει μόνο τους εμπιστεύονταν. Όπως άμα πρωτόμαθε να κολυμπά στη θάλασσα, και πια, δεν την φοβόνταν.“ (Axioti 1946, 34). Grundlage der Völkerfreundschaft stellt die „brüderliche Zusammenarbeit“ („bratskoe sotrudničestvo“) der Völker dar (BSĖ 1952, Bd. 15, 238).
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die Stadt. Ich weine“, sagte Spyros. „Wenn dein Haus brennt, mußt du es retten. Und das ist unser aller Haus. Auch wenn wir weit von ihm entfernt sind.“ (Axioti 1949, 118)183
In einer Variation der russischen Nationalallegorie des ‚Mütterchen Russlands‘ (matuška Rossija) und insbesondere ihrer sowjetischen Transformation in ‚Mutter Heimat‘ (rodina mat’) metaphorisiert das Haus die Sowjetunion als ideologisches Heim der griechischen Kommunisten, was sie automatisch zu ‚Kindern‘ der Großen Familie macht. In der Metapher des Hauses ist die Überlegenheit Russlands in seiner sowohl schützenden als auch erziehenden Rolle als ‚Mutter‘ inbegriffen. Ein diametral entgegengesetztes Sowjetbild zeichnet sich in Bezug auf die Oktoberrevolution und der frühen nach-revolutionären Situation in der Schilderung von zwei russischen Geflüchteten ab, die in Form eines Augenzeugenberichts in direkter Rede gestaltet ist: „O Russia, o Russia“, sagte das junge Mädchen mit tränenverschmiertem Gesicht. „Wir sind geflohen“, sagte der Mann; „Bolschewiki haben umgebracht unseren Papa.“ […] „Das Blut floß wie Strom“, fuhr der Mann fort, „wir das nicht sehen können.“ „Wir Hunger gehabt“, sagte sie, „wie Hunde. Bolschewiki uns ein Papier gegeben haben, das sagte: Towarischtschi, nächstes Jahr wir werden viel zu essen haben. Ja, aber nächstes Jahr war weit. Man konnte nicht mehr bleiben, wir sind weggegangen.“ (Axioti 1949, 23)184
Die Härte der erzählten Ereignisse wird durch die Erzählperspektive der OpferAugenzeugen und das gebrochene Griechisch, das die Figuren sprechen, intensiviert. Diese für einen orthodox-kommunistischen Roman untypische ‚Provokation‘ kann im Rahmen des Realitätsanspruchs des Romans und seiner Selbstinszenierung als Chronik verstanden und möglicherweise auch als Versuch einer Rechtfertigung der politischen Gewalt als ‚notwendiges Übel‘ gesehen werden: Das positive Sowjetbild betrifft im Endeffekt die Sowjetunion der Nachkriegszeit – und dazu trägt vor allem das in der Entstehungszeit des Romans gerade sehr aktuelle und verbreitete (sowie im weiteren Verlauf vielfach instrumentalisierte) Narrativ des heroischen Sieges Stalins über den Nationalsozialismus bei. Voraussetzung dieser ‚heutigen‘ mächtigen Sowjetunion ist dennoch die gewalttätige Revolution gewesen. In jedem Fall fungiert die realistische Darstellung der Oktoberrevolution in der Erzählung der Flüchtlinge als Kontrast zum romantischen Bild Russlands unter Stalin, indem sie das Idealbild der Bolschewiken ankratzt und die
„Μια νύχτα άκουγαν Μόσχα. Η πόλη εβομβαρδίζονταν. […] Τότε ένας άντρας σκέπασε με τα χέρια το πρόσωπο κ’ έκλαιγε. Δε ντροπιάστηκε τους λυγμούς που τον τράνταζαν. «Κλαις Σπύρο;» […] «Κλαίω. Βομβαρδίζεται η πόλη. Κλαίω» λέει ο Σπύρος. […] «Το σπίτι σου άμα καίγεται, λέει ο Σπύρος, πρέπει να το σώσεις. Είναι το σπίτι όλων μας. Κι ας είμαστε τόσο μακρυά».“ (Axioti 1946, 87). „«Ω η Ρασίγια, ω η Ρασίγια» έλεγε η κοπέλα κ’ επασαλείβονταν η μούρη της κλάματα. «Φύγαμε εμείς, έλεγε ο άντρας, μας έσφαξαν μπαλσεβικοί τον πάπα μας». […] «Έτρεχε αίμα όπως ποτάμι, έλεγε πάλι ο άντρας, δεν εμπορέσαμε εμείς βλέπομε». «Πεινούσαμε, είπε εκείνη, όπως σκυλιά, μας μοίραζαν μπαλσεβικοί γραμένο χαρτί κ’ έλεγε: Ταβάριστσοι, άλλο χρόνο φα έχομε πολύ φαΐ. Α μα άλλο χρόνο είταν μακριά, δεν εμπορέσαμε μείνομε, εφύγαμε».“ (Axioti 1946, 20 f.).
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Schönfärberei der thematisierten Gemeinschaftsnarrative relativiert. Aufgrund der Publikation unmittelbar nach seiner Fertigstellung im nicht parteinahen Verlag Ikaros wird dieser Roman Axiotis nicht der scharfen und erschöpfenden Kritik unterzogen, der ihre nachfolgenden politisch engagierten Exilwerke und Übersetzungen, die vom Exilverlag der KKE herausgegeben werden, ausgesetzt sind. Aller Wahrscheinlichkeit nach hätte die Parteikritik zur Korrektur oder Eliminierung dieser Szene geführt.185 Während die französische und die deutsche Übersetzung keinen Widerspruch hinsichtlich der Realistik dieser Darstellung sehen, beseitigt die russische Übersetzung den ‚dunklen Fleck‘ durch die Auslassung der gesamten Textstelle. Nikita Razgovorovs Bezeichnung des Romans als ein „ehrliches und glaubwürdiges Buch“ (Aksioti 1950, 15) im Vorwort der russischen Ausgabe betrifft anscheinend nicht den Originaltext, sondern die russische Übersetzung. Ideologische Implikationen einer unorthodoxen Poetik Die Darstellung der Oktoberrevolution ausgenommen, die deutlich gegen die Normen des sozialistischen Realismus verstößt (und eben darauf zielt die Auslassung ab), zeigen die bereits besprochenen Momente und Motive, dass der Roman grundsätzlich in Einklang mit dem Postulat der Parteilichkeit (partijnost’) steht, indem er sich unmissverständlich wie auch extensiv auf das Wertesystem der kommunistischen Ideologie bezieht. Die Volkstümlichkeit (narodnost’) wird weiterhin thematisch durch die geschilderten Volkskämpfe sowie sprachlich-stilistisch durch die Verwendung von Alltagssprache, Regio- und Soziolekten angestrebt. Weitere Komponenten der Volkstümlichkeit, die Forderungen nach Einfachheit (prostota) und Verständlichkeit (ponjatnost’), werden auch als Konzeptionen im Roman reproduziert: „Giorgiu, du mußt ganz einfach schreiben, verstehst du. Daß es selbst Menschen ohne Schulbildung und Kinder verstehen.“ (Axioti 1949, 158),186 so lautet die Aufforderung der politischen Gefangenen an den Genossen, der Texte in die Wand der Gefängniszelle einritzt. Durch die formalistische Brille betrachtet lässt sich jedoch eine poetologische Konzeption im Roman erkennen, die sich von den erzählerischen Konventionen des kanonischen sozialistischen Realismus unterscheidet. Per definitionem ist der sozialistische Realismus nicht an ein bestimmtes poetologisches Verfahren gebunden. Mit Ausnahme des Postulats der Verständlichkeit, die unmittelbar mit der Stilistik zusammenhängt, betreffen die übrigen ideologischen Postulate des Sozrealismus den Inhalt
Das ist von der Art der Kritik an ideologisch ‚falschen‘ Inhalten und der Zensurpraktik des ‚Literaturkreises‘ in Bezug auf zahlreiche literarische Werke abzuleiten. Für die relevanten Diskussionen siehe die Korrespondenz der sich im Exil befindenden Mitglieder des Literaturkreises in: Matthaiou/Polemi 1999; 2003. „«Γιώργη, να γράφεις σκέτα, ακούς; του φώναξε ένας. Να τα καταλαβαίνουνε. Γιατί είναι εδώ κι αγράμματοι, κ’ έχομε και παιδάκια. […] “. (Axioti 1946, 116).
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des literarischen Werkes und manifestieren sich daher in Stoffen, Themen und Motiven sowie in der Handlung und der Figurenkonstellation. Im 1. Allunionskongress der Sowjetschriftsteller deklariert Andrej Ždanov die absolute Freiheit der Schreibenden hinsichtlich der Auswahl der Form: Den Schriftstellern stehen die verschiedenartigsten Mittel zur Verfügung. Die Sowjetliteratur hat alle Möglichkeiten, diese Mittel (Genres, Stile, Formen und Methoden des literarischen Schaffens) in ihrer Mannigfaltigkeit und Fülle anzuwenden und das Beste, was von allen vorangegangenen auf diesem Gebiet geschaffen wurde, auszuwählen. (Dt. zit. n. Schmitt 1974, 48)187
Ähnlich wird es im Statut des sowjetischen Schriftstellerverbandes konstatiert: Der sozialistische Realismus sichert dem künstlerischen Schaffen außerordentliche Möglichkeiten in Bezug auf die Entwicklung schöpferischer Initiative und die Wahl mannigfaltiger Formen, Methoden und Genres. (Ebd., 390)188
Die schriftstellerische Praxis des sozialistischen Realismus zeigt im Laufe der Zeit, dass sich durch die Verfolgung der Erfüllung der propagierten Postulate auch ein Kanon formal-poetologischer Merkmale herausbildet, der das Spektrum der literarischen Darstellungstechniken und Gestaltungsmittel wesentlich verengt. Verglichen mit den erzähltechnischen Normen des kanonischen sozialistisch-realistischen Romans der dreißiger Jahre – so wie sie von Hans Günther in ihren Grundzügen beschrieben wurden (1984, 108 f.) – konstituiert Axiotis Roman eine differenzierte Umsetzung des sozialistischen Realismus, die durch Anwendung subjektivierender modernistischer Erzählverfahren189 seine poetischen Normen nur partiell realisiert und in mancher Hinsicht konterkariert. Den Handlungsablauf des kanonischen sozrealistischen Romans konstituiert eine lineare, kontinuierliche Erzählung. In Tränen und Marmor wird hingegen zwischen dem Erzählen von Vergangenem (späteres Erzählen), der augenblicklichen Situation der Hauptfigur (gleichzeitiges Erzählen) und der Vorstellung des aufkommenden Todes (früheres Erzählen) hin- und hergewechselt, so dass ein eingeschobenes Erzählen vorliegt. Dadurch entstehen zwei Chronotopoi, deren Abwechslung die Romanstruktur ausmacht und die sich nicht nur hinsichtlich ihrer Zeitlichkeit, sondern auch phänomenologisch und erzähltechnisch unterscheiden: zum einen der Chronotopos des Erlebten (Kapitel 1,3,5), in dem von der Vergangenheit der Hauptfigur in der dritten Person Präteritum erzählt wird. Zum anderen der Chronotopos der Gegenwart (Kapitel 2,4,6), der durch die
„Родов оружия у вас много. Советская литература имеет все возможности применить эти роды оружия (жанры, стили, формы и приемы литературного творчества) в их разнообразии и полноте, отбирая все лучшее, что создано в этой области всеми предшествующими эпохами.“ (Ždanov 1934, 5). „Социалистический реализм обеспечивает художественному творчеству исключительную возможность проявления творческой инициативы, выбора разнообразных форм, стилей и жанров.“ (Ustav Sojuza sovetskich pisatelej SSSR 1934, 712). Eine ähnliche Feststellung trifft Mairi Mike in ihrer Behandlung des Romans (1996, 24 f.).
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augenblickliche Situation der Hauptfigur – die letzte Nacht in der Gefängniszelle – entsteht und in dem sich die dritte Person und die Ich-Form in der Erzählung abwechseln. Der Chronotopos der Vergangenheit, in dem das erlebende Ich handelt, besteht wegen der zahlreich darin vorkommenden Figuren und berichteten Lebensabschnitte, die in direkter Rede dargestellt werden, aus einer Vielfalt an Handlungsorten und zeiten und zeichnet sich daher durch Abwechslung, Aktivität und Polyphonie aus. Im gegenwärtigen Chronotopos der Zelle hingegen liegt Polyxena unbeweglich in stiller rückblickender Reflexion. Durch die Abwechslung der Kapitel werden die langen Erinnerungsrückblenden von der Rückkehr zum ‚hier und jetzt‘ der Zelle periodisch unterbrochen, wodurch sich die Erzählung von der Mehrstimmigkeit der Vergangenheit zu der Stille der Zelle und der Einstimmigkeit des inneren Monologs des erzählenden Ichs hin verlagert. Die ungeraden Kapitel stellen Analepsen in Form von Erinnerungen, Erlebnissen und Eindrücken dar, während die geraden den ultimativen Versuch der Hauptfigur schildern, in sich zu gehen, vor dem Tod das Erlebte zu sortieren und Schlüsse zu ziehen. Der Perspektivwechsel von der dritten Person in die Ich-Form signalisiert, dass Erzähl- und Wahrnehmungsinstanz bzw. Hauptfigur zusammenfallen. Angesichts dessen bildet die Erzählung der Vergangenheit in erlebter Rede – respektive die autodiegetische Erzählung in der dritten Person – einen Illeismus, der einer doppelten Verfremdung dient: zum einen suggeriert er den Eindruck von Distanz und Sachlichkeit und verleiht somit der Erzählung historischer Ereignisse dokumentarischen Charakter. Zum anderen dient er infolge des psychischen Zustands der Figur aufgrund des bevorstehenden Todes als Distanzierungsmechanismus: Die Hauptfigur erzählt von sich selbst in der dritten Person, wodurch sie sich mental von ihrem Leib (und Leben) trennt. Die Gewissheit und die Erwartung des Todes werden dadurch als eine außerkörperliche Erfahrung inszeniert: Schon war sie unterwegs und entfernte sich von der Welt. Ihre Erinnerungen galten nicht mehr ihr selbst. […] Sie wurde zum Zeugen einer fremden Geschichte. Es war ein broschiertes Buch, ihr Leben, das mit dieser Nacht enden würde; das Leben einer gewissen Polyxena, die morgen nicht mehr sein würde. (Axioti 1949, 22)190
In der Historisierung dieser „gewissen Polyxena“ manifestiert sich das metapoetische Moment der Entstehung der Romanfigur. Zwischen erlebendem und erzählendem Ich besteht ein verändertes Verhältnis, sofern das erzählende Ich die früher erwähnte Entwicklung von stichijnost’ bis hin zur soznatel’nost’ abgeschlossen hat. Die politische (und zugleich ontologische) Bewusstheit liegt nunmehr in der Aufgabe der Niederschrift der Geschichte, die als historische Pflicht aufgefasst wird
„Είχε πια ξεκινήσει απ’ τον απάνω κόσμο. Κ’ έφευγε. Κ’ εκατέβαινε. Κ’ εκείνα που θα θυμηθεί δεν είταν πια δικά της, είταν μια ξένη υπόθεση που την άφηνε πίσω. Ένα άδετο βιβλίο όπου είτανε η ζωή της έπρεπε να τελειώσει μέσα σ’ αυτή τη νύχτα. Θυμότανε μια Πολυξένη που δε θα υπάρχει αύριο.“ (Axioti 1946, 19).
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und als Ergebnis derer sich der Roman versteht. Dabei offenbart sich die Erzählinstanz als solche: […] ich habe keine Zeit verloren. Sonst hätte ich es nie geschafft. Später wird man bestimmt mehrere Geschichtsbände damit anfüllen. Und alles, was sich in dem Jahrhundert zugetragen hat, das habe ich im Herzen einer Frau, auf zwei Frauenschultern angehäuft. Unser ganzes Jahrhundert. Das zwanzigste Jahrhundert. (Axioti 1949, 110)191
Die variierende erzählerische Perspektivierung des Romans stellt einen zweiten wichtigen Unterschied zum kanonischen sozialistisch-realistischen Roman dar, der sich in der Regel durch eine auktoriale Erzählsituation auszeichnet, in der ein überlegener allwissender Erzähler aus seiner Wertperspektive in der dritten Person berichtet (Günther 1984, 108 f.). Die Verwendung einer allmächtigen Wertungs- und Deutungsinstanz, die unabhängig von den Figuren überblickt, anleitet und kommentiert, erleichtert die Vermittlung von Wertesystemen – im Fall des Sozrealismus der gesamten sozialistischen Weltanschauung. Es ist in diesem Sinne nachvollziehbar, dass die allwissende Erzählperspektive besonders gebräuchlich für eine Literatur war, die sich programmatisch sozialpädagogische Ziele setzte. Die in Axiotis Roman verwendeten Verfahren der internen Fokalisierung und des autodiegetischen Erzählens in der ersten und dritten Person schränken hingegen die Realitätswahrnehmung auf die Wahrnehmungsinstanz ein und relativieren somit das Erlebte und Erzählte. Im Vordergrund stehen hier das persönliche Erlebnis und die subjektiven Gefühlszustände der Hauptfigur im Rahmen der historischen Ereignisse: die Hauptfigur gelangt durch ihre Handlung allmählich zu politischem Bewusstsein, dennoch geht sie als Erzählinstanz nicht zu einem ausgeprägten didaktischen Ton und doktrinärer Rhetorik über. Insbesondere durch die Darstellung der zahlreich vorkommenden Lebensabschnitte der Nebenfiguren in direkter Rede – als Berichte aus der Ich-Perspektive – wird die Erzählinstanz weiterhin als neutrale beobachtende Instanz inszeniert, die kommentarlos das Gehörte wiedergibt.192 Beide Erzählweisen – sowohl das autodiegetische Erzählen als auch die berichtete Rede – begünstigen im Gegensatz zur auktorialen Erzählsituation nicht die Idealisierung der Figuren.193 Die Komposition des Romans als Simulation eines raschen und emotionsgeladenen Lebensrückblicks in Kombination mit dem stark zeitraffenden Erzählen, die die erste Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts innerhalb einer Nacht in der Erinnerung
„Δεν έχασα καιρό. Αλλιώς δε θα τα πρόφταινα. Τρεις τόμους ιστορίας σίγουρα θα γιομίσουνε, κ’ εγώ τα στούμπωσα όλα μέσα σε μια καρδιά, σε δυο ώμους μιας γυναίκας, όσα γίνανε μέσα σ’ αυτόν τον αιώνα μας. Τον εικοστό.“ (Axioti 1946, 81). Das gilt auch für das siebte und letzte Kapitel, in dem nach dem Tod Polyxenas eine auktoriale Erzählsituation vorliegt. Die Erzählinstanz macht durch sporadische Inquitformeln auf sich aufmerksam, im Kapitel dominiert jedoch die berichtete Rede. Damit ist nicht gesagt, dass alternative Verfahren der Idealisierung und Pejorisierung von Figuren im Roman nicht vorhanden sind, wie beispielsweise im Fall des „Industriellen“ im Unterkapitel 2.2.1.1 gezeigt wird.
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durchleben lässt, resultieren in einem schnellen Erzähltempo, das sich durch häufige Ellipsen im Discours und in Brachylogien auf der Satzebene auszeichnet. Die großen Zeitsprünge194 ermöglichen die Darstellung der erinnerten Vergangenheit als ausschnitthaft und diskontinuierlich und der erinnernswerten Lebensaugenblicke als photographische Schnappschüsse aus dem episodischen Gedächtnis. Dieses collageartige Aufbauprinzip des Romans, das aufgrund der fragmentarischen Binnenerzählungen und des eiligen Erzählrhythmus einem filmischen Vorbeirauschen von Lebensszenen und Kurzporträts ähnelt, wird – aus Gründen, die im weiteren Verlauf ausführlich besprochen werden – von der sowjetischen Rezeption des Romans aufgegriffen und kritisiert. Die poetologischen Strukturen des Romans weichen von den erzählerischen Normen des kanonischen sozrealistischen Klassikers ab. Zusätzlich entsprechen sie nicht den in der Veröffentlichungszeit der russischen Übersetzung aktuellen literaturkritischen Vorstellungen einer orthodoxen Umsetzung des sozrealistischen literarischen Kunstkanons (s. Unterkapitel 2.2.1). Es ist jedoch zu beachten, dass sie nicht ins Subversive übergehen und somit innerhalb der Toleranzgrenzen bleiben. Es ist beispielsweise charakteristisch, dass die in den Reflexionseinschüben angewandte Erzähltechnik des inneren Monologs, mit der Axiotis Name in der neugriechischen Literaturlandschaft verbunden ist (vgl. Kakavoulia 1992), keineswegs in ihrer überspitzten Form des Bewusstseinsstroms195 vorliegt. Gegen dieses „die Aufmerksamkeit auf das Subjektive ans Limit erhöhende“ und als „formales Experiment“ angesehene Merkmal der „Dekadenzliteratur“ wird polemisiert (Urnov 1968, 917 ff.)196 und selbst Axioti betrachtet es – wie bereits erwähnt – in dieser Zeit als „Sünde“ (Axioti 1983a, 152). Ähnliches gilt auch für die Montage-Stilistik des Romans: das Montageprinzip Axiotis stellt kein irritierendes, demonstratives, mit den Avantgardebewegungen des frühen zwanzigsten Jahrhunderts assoziiertes Verfahren dar. Die Binnenerzählungen sind in der Rahmenerzählung organisch integriert und bilden – indem sie Facetten sozialer Ungleichheit und Kriegsgewalt ‚dokumentieren‘ – eine
Auf die Selektivität des Gedächtnisses hinweisend, beginnt die Mehrheit der Sequenzen teils mit einer exakten Zeitangabe und teils mit einer Verschiebung des Geschehens auf unbestimmte Zeit, die häufig mehrere Monate oder Jahre beträgt: „Dann konnte sie sich nicht mehr besinnen: war es kurz danach oder viel später?“ (Axioti 1949, 33)„ / „Eines Tages war der Hochsommer da.“ (Ebd., 79) / „Es war genau 6 Uhr 40“ (Ebd., 81) / „Dann kam, noch unbeständig, der Frühling.“ (Ebd., 100) / „Drei Jahre schon.“ (Ebd., 111) / „Man war tief im Winter.“ (Ebd., 119) usw. „Κι ύστερα δε θυμόταν πια. Πολύς καιρός επέρασε ή λίγος.“ (Axioti 1946, 27). / „Βρέθηκε ο κόσμος κάποτε μέσα στο καλοκαίρι.“ (Ebd., 59). / „Έξη και σαράντα ακριβώς.“ (Ebd., 60). / „Ύστερα η άνοιξη μπαινόβγαινε.“ (Ebd., 74). / „Πριν ακριβώς τρία χρόνια […].“ (Ebd., 82). / „Χειμώνας.“ (Ebd., 88). Trotz der häufigen syntaktischen Verkürzungen werden die grammatische Logik, die chronologische Kohärenz und die Interpunktion des Satzbaus nicht verletzt. „Обострившееся до предела внимание к субъективному, внутреннему, скрытому в психике человека выражало все растущее недоверие к реализму и потому оказалось особенно созвучно лит-ре декаданса.“
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einstimmige Polyphonie, die Stimme eines vielgesichtigen kollektiven Körpers, die das Postulat der Volkstümlichkeit realisiert. In diesem Sinne wäre der Roman – im Original – in ästhetisch-poetologischer Hinsicht innerhalb jener Gruppe von Werken zu positionieren, die zwar „über die Kriterien des sozialistischen Realismus hinaus literarische Normen anderer Herkunft“ aufweisen, jedoch „im Umkreis der Stilformation des sozialistischen Realismus anzusiedeln sind“ (Günther 1984, 111). In seinem Buch The Content of the Form (1987) argumentiert Hayden White, dass bereits die (Wahl der) Form allein einen ideologischen Inhalt vermittelt. Während die sowjetische Rezeption, der sich das nächste Unterkapitel widmet, die narrative Struktur des Romans aufgreift, sorgt die Übersetzungspraxis für die Eliminierung von Subjektivitäten, die den sozialistischen Realismus als Diktat literarischer Normen in Frage stellen. Die Rezeption des Romans im Westen und in der Sowjetunion In der unmittelbar nach der Veröffentlichung des Romans in der griechischen linken Kulturzeitschrift Eleuthera Grammata erschienenen Rezension von Antonis Komis ist die Rede von einem ‚planlosen‘ Werk mit großen strukturellen Schwächen, das Axiotis Begabung insgesamt nicht würdig sei (Komis 1947, 30). Die Schilderung der Kampftätigkeit der Hauptfigur zeichne sich laut Rezensent durch „nutzlose Details“ und „Episoden“ aus, die nicht von ihrer Notwendigkeit für die Erzählung überzeugen (ebd.). Die Realistik der Darstellung (hierunter erwähnt Komis die Szene der russischen Geflüchteten) und der schlichte, lebhafte Schreibstil, die laut Verfasser zwei unter den zeitgenössischen griechischen Prosaisten selten anzutreffende Merkmale schriftstellerischer Kompetenz darstellen, zeichnen Axiotis Schreiben aus und zählen zu den unbestrittenen ästhetischen Qualitäten des Romans. Bezogen auf den mündlichkeitsnahen Erzählungsstil des Romans zieht Komis stilistische Analogien mit der Tradition des Volkserzählers und speziell aufgrund der markanten parataktischen Syntax mit dem griechischen Nationaldichter Dionysios Solomos und dessen Prosagedicht I gynaika tis Zakythos (Die Frau von Zakynthos). Mit Blick auf die ersten, sehr positiv im griechischen Kontext rezipierten Romane Axiotis bezeichnet Komis den Roman generell als „Verschwendung“ von schriftstellerischen Fähigkeiten und „Umherirren“ (ebd.). Die französische Literaturkritik begrüßt den Roman enthusiastisch. Bereits vor der Publikation bezeichnet ihn der Herausgeber Louis Aragon in einem Brief vom 3. Oktober 1948 an Axioti als „Geschenk für meine Heimat“ und äußert sich mit Stolz über die Tatsache, dass „aus dem Land, dass uns Jean Moréas und, teilweise, Anna de Noailles schenkte, wieder so eine Autorin wie Sie hervorgeht, die bewusst die französische Sprache als Denkinstrument auswählt“ (Aragon 1986, 593). Eine Gegenüberstellung des antiken Griechenlands sowie seines exotischen Bildes als
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Land der Sonne und des Lichts mit der dunklen und tragischen Gegenwart des Landes durchzieht die Mehrheit der französischen Rezensionen:197 Un livre nous vient de là-bas. De cette terre solaire, ou ce n’est ni la beauté antique, ni l’ombre du Parthénon, ni le vol noir des Errinyes qui donnent aujourd’hui le sens et l’âme à la tragedie humaine. (Aragon 1949, 1)198
André Wurmser schreibt im gleichen Geist in Les Lettres Françaises: Mme Melpo Axioti est un poète lyrique dont le témoignage, cruellement, intitulé ‚XXe siècle‘ n’est pas seulement un cri d’amour et de pitié […]. Tout le peuple grec est ici dépeint avec une tendresse déchirante: l’Acropole et les taudis, la dictature et la résistance […]. A chacune de ces pages vibre l’air de la Grèce, et tant pis je l’écris de la Grèce éternelle. (Wurmser 1949, 9)199
Claude Roy in der Zeitschrift Europe sieht Axiotis Roman als Fortsetzung der klassischen Tradition: C’est ne pas une analogie littéraire, une analogie seulement formelle qui apparente Melpo Axioti à ses très anciens lointains ancêtres de l’Hellade. […] parce que simplement, racontant le vrai, elle a retrouvé aussi la vérité d’Homère. Et si je cherche des yeux, dans ce monde où tant d’imposteurs y prétendent, les vrais héritiers de la Grèce d’autrefois, en voici une: Melpo Axioti, romancière communiste et grand écrivain grec. (Roy 1949, 108)200
Das Vorwort der deutschen Ausgabe des Romans ist von der Schriftstellerin Anna Seghers als offenes Schreiben mit doppeltem Adressaten verfasst und erfüllt in Form einer persönlichen verherrlichenden Apostrophe an Melpo Axioti die Funktion der Einführung der deutschsprachigen Leserschaft in die Lektüre. Ohne Kritikpunkte anzusprechen, äußert sich Seghers lobend zum Schreibstil Axiotis und der gesamten Ästhetik des Romans, in der „etwas (…) steckt, was Goethe an der antiken Kunst gefiel. Selbst wenn Sie das Grausamste und Gemeinste beschreiben, hat Ihre Beschreibung Maß, hat etwas von Einfalt, etwas von Stille“ (Seghers 1949, 6). Seghers sucht hier
Für weitere Beispiele s. hierzu Matthaiou/Polemi 1999, 41 ff. „Ein Buch kommt von dort zu uns herüber. Aus diesem sonnigen Land, wo keine antike Schönheit, kein Schatten des Parthenon, kein Flug der Errinyen heute der menschlichen Tragödie mehr Sinn und Seele geben.“ (Übers. von Louisa Künstler). „Das Zeugnis der lyrischen Dichterin Melpo Axioti, das grausamerweise den Titel ‚XX. Jahrhundert‘ trägt, ist nicht nur ein Schrei nach Liebe und Mitleid […]. Das ganze griechische Volk ist hier mit einer Zartheit gezeichnet, die herzzerreißend ist: die Akropolis und die Elendsviertel, die Diktatur und der Widerstand […]. Auf allen Seiten vibriert die Luft Griechenlands, und ja, was soll’s, ich schreibe es: des ewigen Griechenlands.“ (Übers. von Louisa Künstler). „Melpo Axioti zu ihren fernen Vorfahren in Hellas in Beziehung zu setzen, ist nicht einfach nur eine literarische, eine rein formale Analogie. […] Sie findet zu Homers Wahrheit zurück, indem sie – ganz einfach – das Wahre erzählt. Und wenn ich mich nach den wahren Erben des alten Griechenlands umschaue, in einer Welt, in der ein Haufen Hochstapler sich für jene ausgibt, dann finde ich: Melpo Axioti, kommunistische Romanautorin und große griechische Schriftstellerin.“ (Übers. von Louisa Künstler).
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nicht nur nach einem stilistisch-ästhetischen Zusammenhang zwischen dem Roman und der „alten klassischen Heimat“ der Autorin (ebd.), sondern stellt durch das Autoritätsargument – die Berufung auf Goethe – eine Verbindung des Werkes zum westlichen Klassikererbe her. Das Vorwort durchzieht eine anerkennende Haltung gegenüber dem historischen Wert Griechenlands in der Geschichte Europas und eine vergleichende Gegenüberstellung der ruhmvollen Vergangenheit und der tragischen Gegenwart des Landes, worauf auch der Titel der deutschen Ausgabe durch „Marmor“ und „Tränen“ synekdochisch-metonymisch verweist. Abgesehen von den dadurch thematisierten tragischen Folgen des Faschismus und des Krieges, enthält der Text keine Erwähnungen aktuellen politischen oder ideologischen Charakters. Bezüglich der Romankomposition, die anschließend im Mittelpunkt der sowjetischen Kritik stehen wird, betrachtet Seghers die erinnerten „Zufallsbegegnungen“ (d.i. die Binnenerzählungen) als „notwendige Bindeglieder […], die sie mit dem Schicksal des Volkes verketten“ und „Zeugen notwendiger Handlungen“ sind (ebd., 7 f.). Insgesamt handelt es sich hierbei um eine vorwiegend wirkungsästhetisch orientierte Rezension, die die Leserschaft durch rhetorische Fragen auf die Hauptfigur und das von ihr verkörperte Schicksal des griechischen Volkes aufmerksam macht. Das Vorwort der russischen Ausgabe des Romans verfasst der sowjetische Schriftsteller und Sonderkorrespondent der Literaturnaja gazeta in Paris, Nikita Razgovorov. Seine Besprechung des Romans führt mehrere inhaltliche und formale Kritikpunkte auf, in denen sowjetischer Patriotismus und der Personenkult um Stalin anklingen. Laut Razgovorov ist es der Autorin nicht gelungen, das Ausmaß der griechischen Widerstandsbewegung darzustellen. Im Gegensatz zu den umfangreich geschilderten Repressionen der Besatzungszeit, seien die Ereignisse, die zur Errichtung der Metaxas-Diktatur führten, im Roman außer Acht geblieben, was eine unzureichende Darstellung des Volkskampfes und somit der Kommunistischen Partei gegen den Faschismus zur Folge habe (Razgovorov 1950, 8). Darüber hinaus werden wichtige Aspekte der griechischen Widerstandsgeschichte wie die Partisanenbewegung oder die Gründung des EAM im Roman nicht behandelt (ebd., 10 f.). In Razgovorovs eigener zusammenfassender Darstellung der historischen Ereignisse im Vorwort wird das griechische Volk zum Vorbild der Tapferkeit gemacht, wobei die Rolle Stalins und der Sowjetunion im griechischen Widerstand überbetont werden.201 Die Nachteile des Romans werden Razgovorov zufolge durch die positive Leistung der „Schriftstellerin-Patriotin“ hinsichtlich der Darstellung des Volkes und dessen Leid und ungebrochenen Heroismus kompensiert, was den
Die Radioansprache Stalins am 3. Juli 1941 verstärkte laut Verfasser beispielsweise die Tapferkeit der griechischen Kämpfer (Razgovorov 1950, 10), während der siegreiche Vormarsch der Sowjettruppen in Südosteuropa im Jahr 1944 der Griechischen Volksbefreiungsarmee (Militärischer Arm der EAM) den Großangriff gegen die Besatzer ermöglichte (ebd., 12).
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Roman zu einem „wertvollen Beitrag […] zum Kampf für die Befreiung des Heimatlandes von fremden Okkupanten“ macht (ebd., 13 f.).202 Sowohl die Hauptfigur als auch die Nebenfiguren des Vaters und Emils betrachtet Razgovorov als unvollkommen. Emil solle besser als Symbolgestalt des erfahrenen revolutionären Kämpfers im Mittelpunkt des Werkes stehen. Stattdessen sei ihm eine periphere Rolle jenseits des zentralen Handlungsstranges zugewiesen worden, seine Handlungsmotivation sei „etwas unklar“ und seine Darstellung insgesamt „impressionistisch“ (ebd., 14 f.). Die „etwas unklar[e]“ Handlungsmotivation weist auf einen Mangel an expliziter Darstellung der politisch-ideologischen Beweggründe des erfahrenen Kommunisten hin. Der Vorwurf des Impressionismus, der in poetologischer Hinsicht durch die ‚Zerstückelung‘ der Formen die Erschaffung der vom Sozrealismus erwünschten typischen positiven Musterfiguren konterkariert und als Ausweis bürgerlicher Dekadenz gilt (BSĖ 1952, Bd. 17, 595), impliziert in diesem Fall Bedenken gegen eine vermeintlich konturenlose, flüchtige, unrealistische und somit subjektive Darstellung der Figur. Die Hauptfigur erwirbt im Laufe ihrer Entwicklung die Merkmale und Charaktereigenschaften des ‚positiven Helden‘ entsprechend dem prototypischen Schema der Figurenentwicklung des kanonischen sozialistisch-realistischen Romans. In dieser Hinsicht ist Polyxena mit bekannten männlichen Protagonisten der sozrealistischen Klassiker (wie beispielsweise Ostrovskijs Pavel Korčagin) durchaus vergleichbar. Konstitutive Merkmale der Heroisierung wie die Folterung und Verletzung der Hauptfigur, die dennoch keine Wirkung auf ihre Loyalität haben, sind im Roman ebenso vorhanden. Zusätzlich zu dem nachvollziehbaren Vorzug, den ideologisch erfahrene Helden in der Zeit der Kulturpolitik Andrej Ždanovs (Schdanowschtschina) genießen, in der die klassenlose Gesellschaft als bereits errichtet gilt, ist hier eine männlich zentrierte Auffassung von Heldentum zu beobachten, die in Einklang mit der Tatsache steht, dass in der russischen Übersetzung der Romans eine diese Problematik thematisierende Textstelle ausgelassen wird. Die von der Oktoberrevolution versprochene (und von der griechischen linksgerichteten Literatur immer wieder aufgegriffene Frage) der Geschlechtergleichstellung kommentiert Polyxenas Vater mit Blick auf die Beteiligung seiner Tochter an der Widerstandsbewegung wie folgt: Weißt du, ich habe nie einen Unterschied zwischen den Geschlechtern zu machen vermocht. Ich bin der Meinung, daß es sich da um ein Vorurteil handelt, das die Menschen sich selbst zurechtgelegt haben und um das die Natur sich nicht so sehr kümmert, wie man vorgibt. Hier und da stoße ich in meinen Büchern auf Anzeichen […] daß selbst die Geschichte nicht die Trennung der Geschlechter zum Ziel gehabt haben kann. Besonders heute … in diesen Zeiten … (Axioti 1949, 48)203
„Книга Мельпо Аксиоти […] является ценным вкладом писательницы-патриотки в дело борьбы за освобождение своей родины от ига иностранных захватчиков.“ „«Ξέρεις δεν μπόρεσα ποτέ να κάμω διάκριση στα φύλα. Νομίζω οτι είναι πρόληψη που δημιούργησαν οι άνθρωποι. Και νομίζω οτι η φύση δεν την έχει όσο λεν. Κάτι διαβάζω τώρα εδώ κ’
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Axiotis weibliche Hauptfigur sowie die im Roman geäußerten feministischen Ansichten finden keinen Anklang. Eine entsprechende Tendenz zum Patriarchalischen wird auch in der spätstalinistischen sowjetischen Literatur festgestellt (vgl. Lenz 2022, 281 f.). Aus der Gesamtheit der kritischen Äußerungen Razgovorovs zum Roman nimmt die kanonische Vorstellung des ‚richtigen‘ sozrealistischen Werkes Konturen an: implizit beschreibt er ein heroisch-antifaschistisches Werk mit Betonung auf die revolutionäre Leistung der brüderlichen griechischen KP und den Beitrag der Sowjetunion an den geschilderten Volkskämpfen (Razgovorov 1950, 11). Im Mittelpunkt des Werkes steht der revolutionäre Kämpfer (revoljucioner-borec) als positive Heldenfigur mit gefestigten politischen Ansichten. Angesichts der Tatsache, dass der Roman Axiotis trotz der Kritikpunkte und besonders nach den zensierenden Eingriffen in der Übersetzung dieser Vorstellung motivisch immer noch nah ist, kann Razgovorovs Kritik als eine Aufforderung nach einer expliziteren Darlegung der politischen These bzw. nach einer deutlicheren Artikulation des Postulats der Parteilichkeit gedeutet werden. Eine ähnliche Problematik wurde einige Jahre früher hinsichtlich Aleksandr Fadeevs Roman Molodaja gvardija (1945, Die junge Garde) zum Ausdruck gebracht, der für die mangelhafte Darstellung der Führungsrolle der Partei im antifaschistischen Widerstand heftig kritisiert wurde, was 1951 schließlich zur Publikation einer zweiten, ideologisch überarbeiteten Fassung geführt hat (vgl. Guski 2002, 341). Ein Jahr nach der Veröffentlichung des Romans erscheint in der Zeitschrift Novyj mir eine Rezension der Übersetzerin französischer Literatur Lenina Zonina,204 die fast wortwörtlich die meisten der Thesen Razgovorovs wiederholt. Mithilfe einer demonstrativ anti-amerikanischen Rhetorik betont die Literaturkritikerin die inspirierende Rolle der sowjetischen Armee in der griechischen Widerstandsbewegung (Zonina 1951, 257) und lobt den griechischen Patriotismus, während die russlandbezogenen Szenen des Romans zur Unterstützung ihrer ideologisch-propagandistischen Argumentation herangezogen werden. Die Figuren seien flach, ohne psychologische Tiefe gestaltet und die Entwicklung der Hauptheldin bzw. ihre politische Reifung vom „gnädigen Fräulein“ zur „aufrechten Kämpferin und Antifaschistin“ nicht überzeugend genug dargestellt worden (ebd., 258 f.). Am interessantesten findet Zonina die Figur und Geschichte der Mutter Emils, Salome, in der sie eine Anspielung auf Gor’kijs bekannte Mutterfigur Pelageja Nilovna aus dem Roman Mat’ (Die Mutter) sieht. Wie Pelageja, die von Gor’kij als Gegenentwurf zum Typus des ‚überflüssigen Menschen‘ (lišnij čelovek) konzipiert ist (Zelinsky 2007, 68), unterstützt Salome als Mutter eines Revolutionärs ihren Sohn beim politischen Kampf. Trotz ihrer langjährigen
εκεί που δείχνει οτι ούτε κ’ η Ιστορία δεν έχει τέτοια πρόθεση, να χωρίζει τα φύλα. Σήμερα ιδίως στα χρόνια μας …»“. (Axioti 1946, 38). Lenina Zonina (1922‒1985) ist als Übersetzerin und Dolmetscherin Jean-Paul Sartres und Simone de Beauvoirs in den sechziger Jahren sowie durch die Zusammenarbeit mit Nikita Razgovorov bei zahlreichen Übersetzungen französischen Literatur bekannt.
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Trennung von ihrem Sohn, der ins Straflager verbannt ist, stehen revolutionäre Tätigkeit und Loyalität für Salome über der Mutterliebe: „Und tu dein Bestes! Nicht, daß du mir als Verräter zurückkommst, denn solchen Kreaturen öffne ich nicht mal die Tür. Verstanden?“ warnt sie Emil in einem Schreiben (Axioti 1949, 71).205 Als ein seit Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts in Griechenland bekannter und insbesondere als einer der in der Zwischenkriegszeit am meisten übersetzten und rezipierten russischen Autoren (vgl. Michailidis 2013), steht Gor’kijs Bedeutung für die Geschichte der linken Bewegung außer Frage. Interessanterweise erscheint nur wenige Monate nach der Veröffentlichung von Zoninas Rezension Axiotis eigene Übersetzung der Mutter aus dem Französischen vom Exilverlag der KKE in Bukarest (1951), was die Annahme stützt, dass die Autorin mit Gor’kijs Roman vertraut war.206 Bemerkenswert ist die fotografie- und kinospezifische Fachsprache, die Zonina in ihrer Besprechung der formal-ästhetischen Aspekte des Romans verwendet. Mit Begriffen wie „Einstellung“ („kadr“) und „Diapositiv“ äußert sie sich kritisch zur Zusammenstellung des Romans aus Erinnerungen in Form von ‚fotographischen‘ Momenteindrücken, die zuungunsten der Figurendarstellung wirke. Die Kritik der sowjetischen Rezensenten an der fragmentarischen Romankomposition und insbesondere ihrer negativen Wirkung auf die Gestaltung der Figuren – es sei hier an den ‚impressionistisch‘ dargestellten Kommunisten erinnert – reflektieren das Streben des Sozrealismus nach Typisierung bzw. nach typischen Charakteren, das in der Stalinzeit mit dem Postulat der Parteilichkeit stark verbunden ist. Als typisch wird ein Charakter nicht vorrangig durch seine wahrheitsgetreuen Eigenschaften, sondern als Träger der „historisch-konkreten“ Wirklichkeit „in ihrer revolutionären Entwicklung“207 und somit als Vertreter der Parteilinie aufgefasst. Der Begriff des Typischen (tipičnost’) ist „gerade aufgrund seiner Uneindeutigkeit dazu prädestiniert, […] als ideologisches Regulativ der Literatur zu funktionieren“ (vgl. Günther 1984, 34 f.). Deshalb überschwemmt Photographie und Faktographie unsere Literatur […] Im Zentrum hat aber nicht das Porträtieren zu stehen, sondern das Typische; nicht die Aktualität verdient die vorrangige Beachtung, sondern die Gegenwart. […] Naturalismus unter den Bedingungen der Entwicklung unserer künstlerischen Literatur – das ist eine verdammt gefährliche Sache und kann den Künstler zum Reporter machen. (Dt. zit. n. Schmitt 1974, 91. Hervorh. im Orig.)208
„«[…] και να δεις τι θα κάμεις εσύ αυτού μέσα. Το καλύτερο. Μπας και μούρθεις προδότης κ’ η πόρτα μου εμέ δε χαράζει να βάλει μέσα τέτοινε άνθρωπο. Τάκουσες, τάκουσα να λες και δεν έχει άλλο απ’ αυτοδά και στο λέω κ’ έξερέ το».“ (Axioti 1946, 54). Die erste griechische Übersetzung der Mat’ erscheint 1923 (Veloudis 1981, 128), Axioti hätte den Roman aber bereits auch in einer früheren oder späteren französischen Ausgabe lesen können. Ustav Sojuza sovetskich pisatelej SSSR (1934, 712). Dt. zit. n. Schmitt 1974, 390. „Фотография и фактография наводняют нашу литературу. […] Не портретность, а типичность должна быть в центре внимания, не злободневность, а современность. […] Натуралистичность в условиях развития нашей художественной литературы – вещь опасная, она может превратить художника в репортера.“ (Gladkov 1934, 150).
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Diese in den sowjetischen literarischen Kontroversen der zwanziger bis Mitte der dreißiger Jahre sehr präsente Problematik209 vollzieht sich mehrere Jahre später in der parteilichen literaturkritischen Auseinandersetzung mit der engagierten Literatur Axiotis. Ihr ‚fotographisches Verfahren‘ wird in Bezug auf ihr späteres Werk Syntrofoi, kalimera (Im Schatten der Akropolis, 1955) – das zur Übersetzung in der Sowjetunion vorgeschlagen wurde, aber nur partiell erschienen ist – vom Literaturkreis der KKE heftig kritisiert. In ihrer Evaluierung des Buches schreibt Foula Chatzidaki: Die Autorin geht von der Theorie des Fotoobjektivs aus. […] Wir sind der Meinung, dass ein kommunistischer Schriftsteller […] davon nicht ausgehen darf. Der kommunistische Schriftsteller geht vom sozialistischen Realismus aus und will ‚Ingenieur der Seelen‘ sein. Die Ereignisse und die Menschen sind nicht einfach äußere Gestalten zum Fotografieren, sondern haben ihre ‚Seele‘ […]. Sogar der Naturalismus war auf seinem Höhepunkt nicht nur ‚Fotografie‘. […] Und da Genossin A. die Neigung und die Fähigkeiten eines Drehbuchautors zu haben scheint, möchten wir sie hier daran erinnern, dass auch das Kino in seinen großen realistischen Meisterwerken nie nur Fotografie war. (Matthaiou/Polemi 1999, 130 f.)210
In der Endphase ihrer schriftstellerischen Laufbahn nimmt Axioti Abstand vom sozialistisch-realistischen Kunstkanon und wendet sich wieder der Moderne zu. In ihrem Aufsatz „I poiisi kai oi peripeteies tis“ (Die Dichtung und ihre Abenteuer), der 1962 in der Zeitschrift Epitheorisi Technis veröffentlicht wird, thematisiert die Autorin in einem apologetischen und zuweilen ironischen Tonfall viele der Widersprüche und Paradoxien des sozialistischen Realismus. Unter anderem schreibt sie: Das Rezept gehört zu den größten Wunden der Kunst. […] [Ich soll] soundso viel vom positiven und negativen Helden zugeben. Nicht dass der Negative meinen Positiven überdeckt. […] Das war im realen Leben nicht so passiert, es ist unmöglich, es ist unrealistisch, radiere, schreibe, radiere noch mal. […] Es wäre gut, wenn das als richtige Grundideen, Hilfselemente bei der künstlerischen Suche […] präsentiert würde, aber sobald das zur Doktrin wird, tritt eine negative Bedeutung – ein Mord der Kunst – ein […]. (Axioti 1983b, 248 f.)211
Ausführlich dazu siehe beispielhaft die Diskussion zwischen Pëtr Rožkov und Mark Rosental’ in Günthers Die Verstaatlichung der Literatur (1984, 34 f.) sowie Stepan Šešukovs Neistovye revniteli: Iz istorii literaturnoj bor’by 20-ch godov (1984). „Η συγγραφέας ξεκινά από τη θεωρία του φωτογραφικού φακού […]. Νομίζουμε πως ένας κομμουνιστής συγγραφέας […] δεν μπορεί να ξεκινά από την άποψη αυτή. Ο κομμουνιστής συγγραφέας ξεκινά από την άποψη του σοσιαλιστικού ρεαλισμού και θέλει να είναι «μηχανικός των ψυχών». Τα γεγονότα και οι άνθρωποι δεν είναι απλά εξωτερικά σχήματα για φωτογράφιση, αλλά έχουν την «ψυχή» τους […]. Ούτε ο νατουραλισμός στην ακμή του δεν ήταν «φωτογραφία» μόνον. […] Και επειδή η σ. Αξιώτη φαίνεται πως έχει τάση και ικανότητες συγγραφέα κινηματογραφικών σεναρίων θέλουμε να θυμίσουμε εδώ πως και ο κινηματογράφος στα μεγάλα του ρεαλιστικά αριστουργήματα δεν έμεινε ποτέ μόνο φωτογραφία.“ „Από τις μεγάλες πληγές της τέχνης, είναι η συνταγή. […] Να βάλω μια τόση δόση από το θετικό και τον αρνητικό ήρωα. Μην τυχόν κι ο αρνητικός μου κουκουλώσει το θετικό μου. […] Αυτό στη ζωή δεν έγινε έτσι, αδύνατο των αδυνάτω, δεν είναι ρεαλιστικό, σβήσε γράψε, ξανασβήσε. […] Καλά θα ήταν να παρουσιαστούν σαν σωστές βασικά ιδέες, βοηθητικά στοιχεία στις αναζητήσεις του καλλιτέχνη […] μα η αρνητική τους σημασία – ο φόνος της τέχνης – συντελείται όταν θα γίνουν αφορισμός […]. “.
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Exkurs zum sowjetischen Konzept der ‚realistischen Übersetzung‘ Im sowjetischen übersetzungswissenschaftlichen Diskurs der späten dreißiger und vierziger Jahre wird ein Übersetzungskonzept erarbeitet, das den von der 1. Allunionskonferenz der Übersetzer (Moskau, 1936) festgestellten und im Ergebnisprotokoll des Kongresses dokumentierten Bedarf an einer „hinreichend ausgearbeiteten, wissenschaftlich fundierten, marxistisch-leninistischen Übersetzungstheorie“ (Witt 2013, 181) decken soll. Die sogenannte ‚realistische Übersetzung‘ (realističeskij perevod) wird als Gegenkonzept zu den nach polemisierten Kunstströmungen benannten Übersetzungsmodellen der ‚formalistischen‘, ‚naturalistischen‘ und ‚impressionistischen‘ Übersetzung212 befördert und stellt im Wesentlichen den Versuch der Entwicklung einer Übersetzungstheorie dar, die die Prinzipien, und somit die Arbeitsweise, des ursprünglich für die ‚originelle‘ Literaturproduktion konzipierten sozialistischen Realismus auf die Übersetzungstätigkeit überträgt und anwendbar macht.213 Das Konzept der ‚realistischen Übersetzung‘ erreicht in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre, und somit zu annähernd derselben Zeit der Übersetzung und Veröffentlichung von Axiotis Roman, seinen diskursiven Höhepunkt. Die 2. Allunionskonferenz der Übersetzer (1951) stellt die Notwendigkeit einer soliden Übersetzungstheorie erneut fest und diktiert dabei die Richtung der zu leistenden Arbeit: Die Erarbeitung der Prinzipien und Grundlagen der literarischen Übersetzung hinkt bei uns hinterher. Eine Theorie der Übersetzung ist nicht entwickelt. […] Die Mängel dieser Übersetzungen gehören nicht der Kategorie der Ästhetik, sie gehören der Kategorie des IdeologischPolitischen an. […] Bei der Arbeit an einer marxistisch-leninistischen Übersetzungstheorie sollte man sich von den Schriften des Genossen Stalin leiten lassen, die sorgfältig lehren, die Kultur aller Völker und ihre nationale Form respektvoll zu behandeln. (Surkov 1951, 1)214
Dieses ‚literaturkritische‘ und stark abwertende Klassifikationsprinzip verwenden Iogann Al’tman (1936, 167 f.) und insbesondere Ivan Kaškin regelmäßig, wobei ‚formalistisch‘ die erhöhte Aufmerksamkeit auf die formalen und stilistischen Merkmale des Originals, ‚naturalistisch‘ eine über die Maße wörtliche und ‚impressionistisch‘ eine übermäßig freie Übersetzung bezeichnen (Azov 2013, 138). Im Grunde genommen handelt es sich hierbei auch um einen Übersetzungsprozess im Sinne der Übertragung des Konzepts vom Bereich der Kunst auf (und seine Anpassung für) den Bereich der Übersetzungswissenschaft und -kritik. Wie Susanna Witt hinsichtlich der Übertragung des sozrealistischen literarischen Kanons auf andere Kunstarten zutreffend anmerkt: „Because socialist realism was first invoked in relation to the field of original literature and was codified in literary terms, the concept itself had to be translated for application to other fields of art.“ (2016, 52; Hervorh. im Orig.). „Разработка принципов и основ художественного перевода у нас отстает. Теория перевода не разработана. […] Недостатки этих переводов не относятся к категории эстетической, они относятся к категории идейно-политической. […] Работа над марксистко-ленинской теорией по вопросам перевода, нужно руководствоваться трудами товарища Сталина, которые учат бережно, с уважением относиться к культуре всех народов, к ее национальной форме.“
2.2 Griechische Appropriierung und sowjetische Übersetzung des Sozrealismus
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Der sowjetische Übersetzer und überzeugte Theoretiker der ‚realistischen Übersetzung‘ Ivan Kaškin schreibt bezüglich der Übersetzerkonferenz in Družba narodov, dass zu ihren Ergebnissen unter anderem gehörte: […] die Anerkennung der Notwendigkeit, eine einheitliche sowjetische Übersetzungstheorie zu entwickeln, die eng mit der Methode des sozialistischen Realismus verwandt ist. Eine solche Theorie wird ein zuverlässiges Bewertungskriterium sowohl für den Übersetzer als auch für den Kritiker und den Herausgeber liefern. Sie wird das Niveau der Übersetzungskultur und das Niveau der Übersetzungskunst noch höher heben. (Kaškin 1954a, 199)215
Die Konzeption der ‚realistischen Übersetzung‘ geht von einem Verständnis der literarischen Übersetzung als Schaffen (tvorčestvo) bzw. schöpferische Arbeit aus und setzt dadurch die Arbeit des Übersetzenden mit der des Autors gleich: Die sowjetischen Übersetzer haben als Truppe der sowjetischen Literatur die gleichen Ziele, Aufgaben und schöpferische Methode wie alle sowjetischen Literaten. Dies ist die Methode des sozialistischen Realismus. Nachdem wir dies anerkannt haben, müssen wir auch das Hauptkriterium des sozialistischen Realismus anerkennen, das angewandt auf die Übersetzung bedeutet: „Wahrheitsgetreu übersetzen!“, wobei nicht nur die einzelne Wahrheit der Sprache, sondern auch die große Wahrheit der Kunst beachtet werden soll. (Kaškin 1954b, 152)216
Die Aufgabe des Übersetzenden besteht laut Kaškin darin, die vom Autor im Originaltext dargestellte Wirklichkeit zu durchschauen und sie in der Zielsprache nachzubilden. In Analogie zur Forderung des sozialistischen Realismus nach einer „historisch konkrete[n] Darstellung der Wirklichkeit“ (Schmitt 1974, 390) wird hier der Fokus auf die Übersetzung dieser ‚Wirklichkeit‘ gerichtet, die nicht in der Form, sondern „hinter den Wörtern“ („za slovami“), in den Bildern und den Bedeutungen festgehalten sei: Die sowjetischen Übersetzer […] versuchen jene objektive Realität neu zu schaffen, die in Wörtern ausgedrückt wird und dem Wort Leben verleiht; sie versuchen nicht einzelne Wörter zu reproduzieren, sondern gerade die im Originaltext enthaltene Realität mit all ihrem semantischen und figurativen Reichtum. Für den Übersetzer, der im Original sofort auf eine fremde grammatische Struktur stößt, ist es besonders wichtig, durch diese Barriere zur ursprünglichen Frische der unmittelbaren Wirklichkeitswahrnehmung des Autors hindurchzubrechen. […] Der sowjetische Übersetzer ver-
„[…] признание необходимости разработать единую советскую теорию перевода, тесно связанную с методом социалистического реализма. Такая теория даст надежный критерий оценок и для переводчика, и для критика, и для редактора. Она еще повысит уровень культуры перевода и уровень переводческого мастерства.“ „У советских переводчиков как у отряда советской литературы те же цели, задачи и творческий метод, что и у всех советских литераторов. Это – метод социалистического реализма. Признав это, надо признать и основной критерий социалистического реализма, который в применении к переводу значит: «Переводите правдиво!», соблюлая при этом не только частную правду языка, но и большую правду исскуства.“
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sucht hinter den Wörtern des Originals Phänomene, Gedanken, Dinge, Handlungen und Zustände zu sehen, sie zu durchleben und diese Realität der Autorenvision sinngetreu, ganzheitlich und konkret zu reproduzieren. (Kaškin 1955, 126)217
Die Form des Originaltextes soll zwar grundsätzlich getreu wiedergegeben werden, dabei wird dennoch relativ willkürlich zwischen ‚sinnvoller‘, mit dem Inhalt verbundener und folglich zu übersetzender Form einerseits und ‚nutzloser‘, für den Inhalt sogar „schädlicher“ Form anderseits unterschieden: Die realistische Übersetzung vermittelt zwar wahrheitsgetreu den Inhalt, soll aber genauso wahrheitsgetreu die Form des Originals vermitteln […]. […] anzustreben ist die Übertragung jener Form, die der Offenbarung des Originalinhalts dient, untrennbar von diesem ist und eines der Stilmittel darstellt. Ebenso schädlich wie die Form zu vernachlässigen ist es, die Form vom Inhalt zu trennen und ihr eine übermäßige Rolle ohne Berücksichtigung des Inhalts oder sogar zulasten des Inhalts zuzuweisen. (Kaškin 1954a, 193)218
In diesem Zusammenhang fragt sich Kaškin schließlich: Ist es aber notwendig, in der Übersetzung jeden Anstrich von Barschheit oder Gefühlsduselei oder Gestelztheit – diesen Tribut an das Jahrhundert, diese mit der Zeit abfallende Schale – einiger und natürlich nicht deshalb großer Werke der Vergangenheit zu bewahren oder gar zu betonen und auszukosten? (Ebd., Hervor. im Orig.)219
Bezugnehmend auf klassische Werke Balzacs, Byrons und Dickens’ unternimmt Kaškin eine Trennung der Textmerkmale, die bei der Übersetzung besonders zu beachten und aufzubewahren sind, von jenen „oberflächlichen Details“, „romantischen Schnurgerüsten“ und „grotesken Motiven“ (ebd., 192 f.), die von zweitrangiger Bedeutung
„Советские переводчики […] стараются воссоздать ту объективную реалность,которая словами выражена и придает жизнь слову; они стараются воспроизводить не отдельные слова, а именно реальность, которая содержится в тексте подлинника, со всем его смысловым и образным богатством. Переводчику, который в подлиннике сразу же наталкивается на чужой грамматический строй, особенно важно прорваться сквозь этот заслон к первоначальной свежести непосредственного авторского восприятия действительности. […] Советский переводчик старается увидеть за словами подлинника явления, мысли, вещи, действия и состояния, пережить их и верно, целостно и конкретно воспроизвести эту реальность авторского видения.“ „Реалистический перевод правдиво передает содержание, но так же правдиво он должен передать и форму подлинника […]. […] надо добиваться передачи той формы, которая служит выявлению содержания подлинника, неотделима от него и является одним из средств выражения стиля. Одинакого вредно как пренебрегать формой, так и отрывать форму от содержания, придавая ей чрезмерную роль без учета содержания или даже в ущерб содержанию.“ „Но обязательно ли полностью сохранять в переводе, а тем более подчеркивать и смаковать каждую черточку груьости, или слезливости, или ходульности, – эту дань своему веку, эту опадающую со временем шелуху, – некоторых и, конечно, не этим великих, произведений прошлого.“
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seien. Implizit, aber deutlich, wird zur Identifizierung und Akzentuierung der ‚realistischen‘, und daher progressiven, und zugleich zur Einschränkung oder Auslassung der veralteten Textmerkmale („diese mit der Zeit abfallende Schale“) ermutigt. So wie die sowjetische Produktion von Originalliteratur, wendet sich auch die sowjetische Übersetzung an die Massenleserschaft. Daher ist ein weiteres Merkmal der ‚realistischen Übersetzung‘ – erneut in Übereinstimmung mit dem sozrealistischen Postulat der Volkstümlichkeit – der Anspruch auf Verständlichkeit und Einfachheit der Sprache: Einfachheit in Anwendung auf die Übersetzung bedeutet hauptsächlich eine unaufdringliche, das Original nicht verstellende Klarheit und Deutlichkeit der Übertragung. Das bedeutet, so einfach zu übersetzen, dass die Übersetzung den Leser erreicht, von ihm verstanden wird – denn wozu soll man andernfalls übersetzen?220 (Kaškin 1954a, 197)
Die oben angeführten Zitate aus den Schriften Kaškins präsentieren in groben Umrissen ein Verständnis von Übersetzung als Neuschaffung (vossozdanie) und ein translatorisches Handeln, das vor allem einen literaturkritischen Ansatz zum Text voraussetzt. Für die Qualität des Verständnisses (osmyslenie) und folglich der Nachbildung der Wirklichkeit, zu der Kaškins Schule aufruft, ist neben der Fremdsprachkenntnis die politisch-ideologische und ästhetische Einstellung des Übersetzenden von entscheidender Bedeutung: Vom sowjetischen Übersetzer wird das Vermögen erwartet, das Original aus der Sicht unseres Zeitgenossen zu betrachten, wobei er sich dabei auf die gesamte sowjetische Erfahrungsrealität stützt und die Hauptziele eines jeden sowjetischen Literaten nicht aus den Augen verliert. Dies setzt für den Übersetzer politische Vorbereitung und Gespür voraus. (Kaškin 1954a, 192)221 […] die Frage der ideologischen Haltung des sowjetischen Übersetzers steht in direktem Zusammenhang mit der Technik seiner Arbeit, vom Niveau seiner Weltanschauung hängt völlig die Qualität seiner Übersetzungen ab. Je höher die ideellen und ästhetischen Positionen des Schriftsteller-Übersetzers, desto mehr Möglichkeiten hat er, eine wortgetreue und zugleich realistische Übersetzung zu schaffen, d. h. frei von jeglichem Anflug an Dogmatismus, Formalismus, Vereinfachung und Verfälschung. (Lejtes 1951, zit. n. Azov 2013, 105)222
„Простота в применении к переводу – это, главным образом, не навязчивая, не заслоняющая подлинник прозрачность и отчетливость передачи. Это значит переводить так просто, чтобы перевод дошел до читателя, был понят – иначе зачем же переводить?“. „От советского переводчика ожидают умения взглянут на подлинник с точки зрения нашего современника, опираясь при этом на весь опыт советской действительности и не упуская из виду основных целей всякого советского литератора. Это предполагает в переводчике политическую подготовку и чутье.“ „[…] вопрос об идейности советского переводчика имеет прямое отношение с технологией его работы, от уровня его мировоззрения целиком и полностью зависит качество его переводов. Чем выше идейные и эстетические позиции писателя-переводчика, тем больше возможностей у него создать перевод точный и в то же время реалистический, т. е. Лишенный каких бы то ни было черт догматизма, формализма, упрощенчества и фальсификации.“
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Der Anspruch der ‚realistischen Übersetzung‘, sich einerseits vom Formalismus bzw. von einem mimetischen, linguistisch-basierten Übersetzungsverfahren abzugrenzen223 und andererseits zugleich für Genauigkeit in der Übersetzung zu plädieren, resultiert in einer äußerst widersprüchlichen Konzeption.224 Aufgrund der fehlenden Systematik und klaren Methodik kann bei der ‚realistischen Übersetzung‘ kaum die Rede von einer Theorie oder Methode im engeren Sinne des Wortes sein. Ideologische Rhetorik und Militärvokabular dominieren darüber hinaus den Diskurs. Interessant ist in diesem Zusammenhang die in den Schriften Kaškins reichlich vorhandene, doppelte Metaphorik hinsichtlich des Übersetzenden: der Übersetzer als Lehrer und der Übersetzer als Soldat (vgl. Sherry 2015, 32 f.). Die inkonsequente Verwendung eines unpräzisen, nicht hinreichend elaborierten Begriffsinstrumentariums resultiert in der Unwissenschaftlichkeit der ‚Theorie‘. Selbst die als fundamental deklarierte und daher anzustrebende ‚Genauigkeit‘ (točnost’) in der Übersetzung relativiert Kaškin durch eine ambivalente Formulierung, die als Ermutigung der translatorischen Praxis zu Eingriffen – Erstellung von Euphemismen und Dysphemismen – verstanden werden könnte: […] A translation has to be precise (tochen), but we understand this precision (tochnost’) in a different way. You see, this is not about mechanical photography, it is not about technological precision (teknologicheskaia tochnost’), this translation should show us with precision (s tochnost’iu) the excited face of our friend, [it should] fix the malicious grimace of our enemy. (Kaškin 1948, zit. n. Witt 2016, 54)
Es ist leicht verständlich, dass die gemeinte ‚Präzision‘ sich nicht auf die rein lexikalische Übertragung der Inhalte bezieht. Wie jedoch die emotionale Färbung und der erwünschte Kontrast zwischen „unserem Freund“ und „unserem Feind“ mit Genauigkeit erreicht werden soll und worin die Aufgabe des Übersetzenden bei diesem Prozess besteht, ist eine Frage der Interpretation.225 Obwohl die Aussagen Kaškins und anderer Vertreter der ‚realistischen Übersetzung‘ häufig die Annahme eines selektiven translatorischen Vorgangs implizieren, finden sich innerhalb dieses ideologisch aufgeladenen, diskursiven Kontextes keine direkten, extensiven Aufrufe zu ideologischer Reinheit bezweckenden Eingriffen in den Quelltext. Nichtsdestotrotz bietet die Unklarheit und die hierdurch entstehende Interpretationsoffenheit der Positionen hinsichtlich der Übersetzungspraxis einen sehr flexiblen Handlungsrahmen. Dieser wird ferner erweitert durch die programma-
Ausführlich zur Polemik Kaškins gegen den Formalismus und den Kosmopolitismus siehe: Witt 2016b. Für eine ausführliche Auseinandersetzung mit den strittigen theoretischen Grundlagen und den Paradoxien der Theorie der ‚realistischen Übersetzung‘ sowie ihrer Kritik siehe Azov 2013, 96–111 und Witt 2017, 36–51. Für eine Übersichtsdarstellung der Kontoverse der dreißiger Jahre hinsichtlich der Frage der ‚Genauigkeit‘ (točnost’) in der Übersetzung siehe Susanna Witts Aufsatz „Arts of Accommodation: The First All-Union Conference of Translators, Moscow, 1936, and the Ideologization of Norms“ (2013).
2.2 Griechische Appropriierung und sowjetische Übersetzung des Sozrealismus
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tische Priorisierung des Lesers und dessen gegenwärtigen soziokulturellen Kontextes über die formale Äquivalenz und damit die Beförderung einer Übersetzung, die den Normen der Zielkultur möglichst nahe kommt (domestizierende Übersetzung226). „Die Übersetzung kann nicht nur ein archivarischer, musealer Wert bleiben, sie muss den Bedürfnissen des modernen Lesers entsprechen […]“ schreibt Kaškin dazu (1954a, 193).227 Diese Ansicht hinsichtlich der Übersetzung ist nicht nur das direkte Ergebnis rein politischer Zweckmäßigkeit, sondern ihr liegt das Gesamtverständnis eines permissiven Umgangs mit dem kulturellen Erbe zugrunde: Translation has to acquaint us with the [literary] legacy. But now, having read Marx, Engels, Lenin and Stalin, who all touched this problem (Lenin in particular, who was himself a translator), we understand that to inherit doesn’t mean to worship the legacy and that the assimilation of the classical legacy has to serve the construction of a new socialist aesthetics.“ (Kaškin 1948, zit. n. Witt 2016, 54)
Der Kerngedanke der Leninschen Kultur- und Erbetheorie, worauf sich Kaškin hier bezieht, stellt die Erkenntnis dar, dass die Arbeiterklasse in ihrer weltgeschichtlichen Rolle als Schöpfer der sozialistischen Gesellschaft die proletarische bzw. sozialistische Kultur nicht von Grund auf, sondern durch Aneignung und Verarbeitung der wertvollsten kulturellen Errungenschaften der Weltzivilisation und bisherigen Menschheitsgeschichte erschafft.228 Die sozialistische Kultur entsteht dadurch als „gesetzmäßige Weiterentwicklung“ (Lenin 1981, 304) der vorhandenen Wissensbestände der gesamten Menschheitskultur. Diese Auffassung von Erbe stellt ein Schlüsselkonzept in Gor’kijs Weltliteraturprojekt und im sowjetischen Übersetzungsprojekt insgesamt dar. Anhand der Reden des 1. Allunionskongresses der Sowjetschriftsteller illustriert Frank die Übertragung der leninschen Grundposition auf dem Gebiet der Literatur und in Bezug auf das literarische Erbe (vgl. Frank 2018). Die Erbe-Metaphorik, die die Vorträge durchzieht, ernennt die sowjetischen Schriftsteller zu legitimen Erben der klassischen Weltliteratur, durch deren „kritische Appropriation“229 die neue sowjetische Literatur und sozialistische Ästhetik enstehen soll. Die „kritische Appropriation“ des literarischen Mit dem Begriff der ‚Domestizierung‘ (als Gegenbegriff zu ‚Verfremdung‘) bezeichnet der Übersetzungswissenschaftler Lawrence Venuti eine Übersetzungsstrategie, die darauf abzielt, durch weitgehende Anpassung des ‚Fremden‘ an das ‚Eigene‘ die Fremdheit des Quelltextes in Hinblick auf das Zielpublikum zu minimieren (vgl. Venuti 1995). „Перевод не может оставаться только архивной, музейной ценностью, он должен отвечать запросам современного читателя […].“ Diese Einsicht findet sich in der folgenden These Lenins zusammengefasst: „Nicht Erfindung einer neuen Proletkultur, sondern Entwicklung der besten Vorbilder, Traditionen und Ergebnisse der bestehenden Kultur vom Standpunkt der marxistischen Weltanschauung und der Lebens- und Kampfbedingungen des Proletariats in der Epoche seiner Diktatur“ (Zit. n. Lenin 1960b, 373; Hervorh. im Orig.). Die Formulierung unterscheidet sich leicht je nach Sprecher: „критическое овладение“ (Judin 1934, 665; Berezovskij 1934, 195), „критичекое усвоение“ (Ždanov 1934, 5; Luppol 1934, 258; Madžidi 1934, 129 u. a.), „критическое освоение“ (Čarenc 1934, 560), „критическое изучение
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Erbes besteht grundsätzlich in der Identifizierung derjenigen Elemente, die im Rahmen der neuen Ordnung geeignet sind, d. h. die eine passende ideologisch-politische Funktion oder didaktischen Wert haben und daher aufzubewahren und weiterzuentwickeln sind, und derjenigen, die aus sowjetischer Sicht als dekadente Relikte (ostatki) der bürgerlichen Gesellschaft und des Kapitalismus zu verwerfen sind. Khotimsky (2013) zeigt am Beispiel des Verlagsprojekts Vsemirnaja Literatura, wie dieser kritisch-selektive Ansatz sich bereits in der Auswahl der zu übersetzenden Literatur manifestiert: revolutionäre Aspekte, die in Werken etablierter klassischer Weltliteratur als Konflikte oder Brüche mit herrschenden Establishments auf der thematischen Ebene verstanden werden, dienen jeweils als Selektionskriterium und ideologische Rechtfertigung für deren Übersetzung.230 Im folgenden Unterkapitel wird gezeigt, wie der kanonbildende Prozess in einer zweiten Stufe durch die Übersetzung als Praxis auf der textuellen Ebene operiert. Spezifik und Modus Operandi der russisch-sowjetischen Übersetzung Durch ihre weitgehende Anpassung an den sowjetischen ideologisch-politischen Zielkontext unter Berücksichtigung der sozrealistischen Postulate exemplifiziert die russische Ausgabe von Axiotis Roman den paradigmatischen Fall einer domestizierenden Übersetzungspraxis. Die Darstellung ihrer Wege und Strategien, die im Weiteren auf der textuellen Ebene exemplarisch präsentiert werden, dient an dieser Stelle nicht als Veranschaulichung der Umsetzung oder Verifizierung der früher dargestellten ‚realistischen‘ Übersetzungsmethode. Die von Kaškins Schule vertretene Theorie stellt – wie von ihrer Rhetorik abzuleiten ist – zum größten Teil ein Symptom des ideologisch motivierten Anliegens dar, ideologische Übersetzungsleistungen zu verwissenschaftlichen. Darüber hinaus ermöglicht das Nichtvorhandensein von – ohnehin extrem seltenen – peritextuellen Äußerungen des Übersetzers zu seiner verfolgten Herangehensweise, auch rein argumentationstechnisch keine deduktive Herleitung der Praxis aus der Theorie. Die Konzeption der ‚realistischen Übersetzung‘ stellt jedoch immerhin и использоваие“ (Abramenko 1934, 140; Alekberli 1934, 113). In: Pervyj vsesojuznij s’ezd sovetskich pisatelej 1934. Stenografičeskij otčet. Moskau: Sovetskij pisatel’. Die Einführung (und Übersetzung) von zeitgenössischer Fremdliteratur in die sowjetische Literaturlandschaft funktioniert in ähnlicher Weise. Die Verordnung des ZK der KPdSU vom 05. April 1958 „Über die Beseitigung von Unzulänglichkeiten bei der Veröffentlichung und Überprüfung von fremdsprachiger Literatur“ kritisiert scharf die Veröffentlichung nicht ideologisierter Fremdliteratur und bestimmt: „[…] das Hauptziel der Verlage, die fremdsprachige Literatur veröffentlichen, ist die Publikation von Büchern, die zur kommunistischen Erziehung der Arbeitenden beisteuern […]. Zu diesem Zweck soll eine strenge und ausführliche Auswahl der Werke auf der Basis ihrer ideologischen und ästhetischen Qualitäten vorgenommen werden […]“ (Ajmermacher 1998, 45). „[…] главной задачей издательств, выпускающих иностранную художественную литературу, является издание книг, содействующих коммунистическому воспитанию трудящихся […]. В этих целях должен осуществляться строгий и взыскательный отбор произведений по их идейным и художественным достоинствам.“
2.2 Griechische Appropriierung und sowjetische Übersetzung des Sozrealismus
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(und so ist ihre Thematisierung in diesem Kontext zu verstehen) die dominierende Tendenz im damaligen sowjetischen übersetzungswissenschaftlichen Diskurs dar und reflektiert somit eine translatorische Denkweise, die einen derartigen übersetzerischen Modus Operandi durchaus legitimiert. Durch den Übersetzungsvergleich kann bis ins Detail nachverfolgt werden, wie intentional die Übersetzung mit dem Text operiert. Sätze, die aus textsemantischer Perspektive keinen neuen Informationswert zur Kernaussage einer Passage hinzufügen bzw. alternative Formulierungen der Kernaussage darstellen (und die dennoch im Wesentlichen die Literarizität eines Werkes ausmachen), werden ausgelassen, während Sätze, die die Kernaussage verdichten und zuweilen auch fast aphoristisch wiedergeben, unverändert erhalten und übersetzt werden. In den meisten Fällen sind das Schlüsselsätze, die ideologisch mit der kommunistischen Gesinnung übereinstimmen und im weiteren Sinne ihre Positionen komprimieren. In einer im Original auf anderthalb Seiten ausgebreiteten Diskussion zwischen dem Vater, dem Industriellen und dem sogenannten ‚Provinzler‘ kommen unterschiedliche Ansichten zum bevorstehenden Krieg zum Ausdruck. Der Beitrag des Provinzlers in dieser Diskussion wird ausgelassen, so dass seine Figur in der russischen Version dieser Szene überhaupt nicht vorhanden ist. Zudem wird der Schlussabsatz, in dem die geopolitische und geokulturelle Stellung Griechenlands zwischen dem Westen und dem Osten durch die Metapher eines zu abendländischer Tangomusik tanzenden morgenländischen Bären problematisiert wird, gestrichen und das Ende des Gesprächs und somit auch des Fragments nach einer, dem Bären-Vergleich vorausgehenden Aussage des Vaters gesetzt, der in Erwiderung auf die reaktionären Ansichten des Industriellen sagt: Ah, so denken Sie? […] Ich denke darüber etwas anders. Die Hilfe, die die Menschen mit ihren Gebeten von Gott erflehen, kann nur von ihnen selbst kommen. (Axioti 1949, 77)231
So schließt die russische Version dieser Szene mit einer These ganz im Sinne der anthropozentrischen und anti-religiösen Weltanschauung des Kommunismus. Während eine Fortsetzung der Diskussion den Fokus von dieser Aussage wegschieben würde, wie es im Original der Fall ist, erhebt sie ihre Positionierung als Schlusssatz des Fragments hingegen zur Maxime. Die Stimme des Provinzlers – eines Volksmannes – der sich intellektuell weder zum Eigennutz des Kapitals (wie der Vater) noch zur Nützlichkeit des Krieges (wie der Industrielle) äußern kann, sondern lediglich seine ethischen Bedenken hinsichtlich des Umstands äußert, sich als Tischler vom Sargbau bzw. vom Tod ernähren zu müssen, wird in der russischen Übersetzung ausgelassen. Ausschlaggebend für diese Übersetzungsentscheidung ist die Darstellung des Provinzlers als völlig
„Α, έτσι πιστεύετε; […] Εγώ πιστεύω λίγο αλλιώς. Ότι η βοήθεια που ζητούν οι λιτανείες απ’ το θεό, εξαρτάται μόνο απ’ τους ανθρώπους.“ (Axioti 1946, 58).
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Ahnungslosen oder im besten Fall Indifferenten in Bezug auf Fragen der Politik: seine Antwort auf die Frage des Industriellen, ob er ein Sozialist sei, zeigt seine Unkenntnis der politischen Termini, wodurch – aus Sicht der Übersetzung – die sozialistische Idee ins Lächerliche gezogen und diskreditiert wird: „Nein, erwiderte der, ich bin Tischler. Warum? Was spielt das schon für eine Rolle, mein Beruf?“ (ebd. 78).232 In ideologisch heiklen Fällen wie diesem tendiert die Übersetzung eher dazu, größere Passagen wegzulassen, als einzelne ‚unpassende‘ Phrasen auszusondern, durch deren Auslassung der Text zusammenhanglos erscheinen würde. Die diversen Texteingriffe der Übersetzung, deren primäres Ziel die Korrektur ‚falscher‘ Denkweisen und Lebenseinstellungen ist, wirken zudem stark auf die Darstellungen der Figuren im Zieltext. Dem Archetypus des ‚überflüssigen Menschen‘ (lišnij čelovek) arbeitet beispielsweise die Auslassung folgender Worte des Vaters entgegen, die er anlässlich des Todes des Großvaters ausspricht: […] er war Fleisch von unserem Fleisch. Er hat gewiss nichts Außerordentliches geleistet. Vielleicht hatte er nie dazu Gelegenheit, vielleicht war er auch nie in der Lage … […] Ich glaube, für mich wird es dasselbe sein … Ich denke, ich werde nicht mehr die Zeit finden, mich nützlich zu erweisen … (Ebd., 48)233
Vaters Worte an Großvaters Grab bilden in der russischen Version des Romans seinen im Original etwas später ausgesprochenen (und ordnungsgemäß übersetzten) Schlussgedanken, dass „[…] wir einem jeden von uns als größtes Gut wünschen müssen […] Daß sein Grab nicht unbekannt bleibt. […] Weil wir so gehandelt haben [meine Hervorhebung, N.Z.], daß es jemand in Erinnerung behält“ (ebd., 49).234 Die Entwicklung der Figur des Vaters ist uns bekannt: Obwohl er nicht lange ein untätiger Zuschauer bleibt und nach dem Tod Polyxenas unverzüglich zu den Waffen greift, strebt die russische Übersetzung danach, einen prinzipiellen und absoluten revolutionären Aktivismus zu vermitteln, der keinen Raum für Selbstzweifel und Entscheidungshemmungen lässt. Durch die Beseitigung der fatalistischen – zudem bloß vorübergehenden – Einstellung des Vaters, verliert die Figur an Vielschichtigkeit und Realitätsbezug. In ähnlicher Weise geht die Übersetzung mit der Unerfahrenheit der
„Όχι, του λέει, είμαι μαραγκός. Γιατί, τι σχέσιν έχει τί κάνω […];“ (Axioti 1946, 59). „[…] είταν ένα κομμάτι κρέας, παιδί μου, από μας τους δυο. Δεν έτυχε βέβαια να κάμει τίποτα εξαιρετικό. Ίσως δεν του έτυχε, ίσως δεν ήξερε … […] Νομίζω ότι το ίδιο γίνεται και σ’ εμένα. Δεν πιστεύω ότι θα προλάβω να κάμω κάτι ωφέλιμο.“ (Axioti 1946, 38). „Ξέρεις ποια είναι η μεγαλύτερη ευχή για τον καθένα; Να μη μείνει άγνωστος ο τάφος του. […] γιατί μ’ αυτό θα πει ότι για κάποια πράξη του κάποιος θα τον θυμάται.“ (Axioti 1946, 39). Die Ähnlichkeit dieser Aussage mit dem sprichwörtlich gewordenen Auszug aus Nikolaj Ostrovkijs Wie der Stahl gehärtet wurde ist markant: „Das Wertvollste, das der Mensch besitzt, ist das Leben. Es wird nur ein einziges Mal gegeben, und benützen soll man es so, daß einen die zwecklos verlebten Jahre nicht bedrücken, daß ihn die die Schande einer niederträchtigen und kleinlichen Vergangenheit nicht brenne und daß er, sterbend, sagen könne: mein ganzes Leben, meine ganze Kraft habe ich dem Herrlichsten in der Welt – dem Kampfe für die Befreiung der Menschheit gewidmet.“ (Ostrowski 1950, 308).
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Hauptfigur vor, die am Anfang als noch jung und politisch uneingeweiht bei Parteiversammlungen zuweilen in Verwirrung gerät oder die Bedeutung gewisser Ereignisse nicht ganz begreift: „Polyxena war ganz benommen, da sie die Hälfte der Worte nicht verstand“ (ebd., 51) oder „Was konnte Polyxena darauf sagen? Sie sagte nichts“ (ebd., 49).235 Die Auslassung derartiger ‚schwacher Momente‘ an verschiedenen Textstellen resultiert in einer wesentlich differenten Darstellung der Hauptfigur im Zieltext als einer ‚schon immer bereiten‘ Kämpferin. Diese translatorische Herangehensweise in Verbindung mit der früher erwähnten Vorliebe der sowjetischen Rezeption des Romans für einen im Mittelpunkt des Werkes stehenden, erfahrenen Revolutions-Kämpfer (Razgovorov 1950, 14 f.) sind deutliche Anzeichen dafür, dass die Übersetzung auf die Neuschaffung der Figuren nach dem Bilde des konfliktlosen positiven Helden abzielt. Dabei orientiert sie sich an und operiert gemäß den Doktrinen der sowjetischen Kulturpolitik der Nachkriegszeit (ždanovšina). Vor dem Hintergrund der doktrinären Postulate, wonach die klassenlose Gesellschaft bereits errichtet ist und die Klassenantagonismen aufgehoben sind, gerät der Pessimismus zu einem ernsten literarischen Fehltritt.236 Durch die Reduzierung der Figuren auf die widerspruchsfreie Manifestation eines bedingungslosen Heroismus, geht die Diversität der im griechischen nationalen Kontext dieser Zeit vorhandenen und im Roman reflektierten Denkbewegungen bzw. nuancierten Auffassungen vom Sozialismus verloren: die kritische Haltung der mit dem Kommunismus sympathisierenden griechischen Intelligenzija (Vaterfigur), der unbewusste Sozialismus (stichijnyj socializm) des Provinzlers und nicht zuletzt die Spuren des in dieser Zeit im Rahmen der Widerstandsbewegung aufkommenden sozialistischen Feminismus (Polyxena, Marion). Die für den sowjetischen Übersetzungsdiskurs wichtigen „nationalen Spezifika“ des Originalwerkes, für deren adäquate Übersetzung die „realistische Methode“ als die geeignetste propagiert wird (vgl. Kaškin 1955, 126; Rossel’s 1955, 172f.), werden sowjetisiert. In diesem Zusammenhang erscheint der von der russischen Kritik erhobene Vorwurf gegen die Autorin, ihr poetologisches Verfahren fiele zuungunsten der psychologischen Tiefe der Figuren aus, zumindest widersprüchlich. In der Absicht, dem Roman eine möglichst konfliktlose und unverkennbare ideologische Einheitlichkeit zu geben, kürzt und vereinfacht die Übersetzung dadurch nicht nur bestehende Inhalte, sondern fügt im Original nicht vorhandene Inhalte hinzu. Bei der unten zitierten Textstelle werden die Überlegungen des Vaters zum Wesen des Widerstands ausgelassen und durch eine kurze und eindeutige
„Η Πολυξένη επαραλόγιασε καθώς δεν εκατάλαβε μήτε τα μισά λόγια.“ (Axioti 1946, 40) / „Τί να πει η Πολυξένη τότε, δεν είπε τίποτα, εσκεφτότανε.“ (Ebd., 39). Ausführlich zur Theorie der Konfliktlosigkeit (teorija beskonfliktnosti) und den davon ausgehenden Zensurpraktiken der Ždanov-Ära siehe Marianna Tax Choldins The Red Pencil: Artists, Scholars, and Censors in the USSR (1989) sowie Herman Ermolaevs Censorship in Soviet Literature: 1917–1991 (1997).
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(sowie erfundene) Affirmation ersetzt, womit die Aussage in eine Sprechsituation mit radikal modifiziertem Inhalt und Tonfall umgewandelt wird: „Widerstand?“, sagte Polyxenas Vater, als er davon hörte. „Ja, gewiß, Widerstand … Das ist eine Art des Reagierens. Es ist der Versuch, als Gegengewicht einen Wert zu finden, der nicht verlorengehen darf. Es ist der Versuch, das Gleichgewicht wieder herzustellen.“ (Ebd., 114 f.)237
In der russischen Ausgabe steht: – –
Widerstand? – fragte Polyxenas Vater, als er davon erfuhr. Ja. Widerstand. (Aksioti 1950, 93)238
Die Übersetzung eliminiert das ‚lange‘ Theoretisieren des Vaters und die geringe Dosis an Skeptizismus, die durch die Formulierung „eine Art“ (die als ‚eine unter vielen‘ verstanden werden könnte) zum Ausdruck kommt239 und transformiert mittels der Ergänzung die Passivität der Reflexion in eine entschlossene Praxis-Haltung, die durch Einwortsätze Handlungsbereitschaft signalisiert. Es ist bemerkenswert, dass der im Oktober 1950 in der Zeitschrift Smena publizierte, zweiseitige Auszug aus dem Roman, der auf Grundlage der deutschen Ausgabe durch Lidija Ležneva, die Übersetzerin der Werke Anna Seghers’ ins Russische, übersetzt wird, der gleichen Übersetzungslogik folgt. Ležnevas Übersetzung geht bei dieser Textstelle noch einen Schritt weiter und schließt die Sprechsituation mit einer persuasiv-appellativen Exklamation: – –
Widerstand?, sagte Polyxenas Vater, als er davon hörte. Ja, natürlich! (Aksioti 1950b, 10)240
Von den sporadischen ‚anti-heroischen‘ Momenten der Skepsis, die einen Platz – sei es auch nur einen peripheren – in Axiotis Roman haben, erfährt die russischsprachige Leserschaft nichts. Die entsprechenden Problematiken (Pessimismus, Fatalismus, Psychologismus) werden trotz der deutlich erkennbaren, ideologischen Kernposition des Romans nicht zugelassen. Bei seiner Einführung in die sowjetische Literaturlandschaft durchläuft der Roman selbst nach dem Muster seiner Helden eine politische ‚Reifung‘, wobei der Übersetzungsprozess ihm auf der rhetorischen Ebene Bewusstheit verleiht. Durch die vorgenommenen Modifikationen erwirbt der Roman in der Praxis jenen schablonenhaften Charakter, der sowohl in der westlichen als auch in der sowjetischen Kritik der sozialistisch-realistischen Literatur ein Gemeinplatz war. Die ideologische Anpassung wirkt sich darüber hinaus unvermeidlich auf und zuungunsten der
„«Αντίσταση;» είπε ο πατέρας της της Πολυξένης όταν τόμαθε. Είναι μια αντενέργεια. Είναι να προσπαθήσεις να βρεις το βάρος του στο κάθετί και να μην επιτρέψεις να το σύρουν στην άβυσσο. Δηλαδή να το ισορροπείς.»“ (Axioti 1946, 84 f.). „Сопротивление? – спросил отец Поликсены, узнав об этом. – Да. Сопротивление.“ In der französischen sowie in der zitierten deutschen Übersetzung manifestiert sich dieser Skeptizismus noch expliziter durch die im griechischen Original nicht vorhandenen Auslassungspunkte. „– Сопротивляться? – сказал, услышав об этом, отец Поликсены. – Да, конечно!“.
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Poetik des Romans aus, so dass die russische Übersetzung den Vorwurf des Schematismus auch sprachstilistisch rechtfertigt. Am Beispiel der in der russischen Ausgabe ausgelassenen Szene der russischen Geflüchteten wird ersichtlich, dass die Übersetzung für die Vermittlung eines möglichst tadellosen Bildes der Sowjetunion sorgt. Die Erzählung der Geflüchteten lässt die Oktoberrevolution als ein gewalttätiges, Krieg und Hungersnot auslösendes Ereignis und die neue bolschewistische Macht als brutal und gewissenlos in einem tragischen Licht erscheinen. Obwohl diese Erfahrung ein zweifach subjektiviertes Narrativ innerhalb der fiktionalen Welt darstellt, d. h. ein individuelles Erlebnis zeigt, dessen Schilderung wiederum als Erinnerung der damals noch sehr jungen Hauptfigur präsentiert wird, bringt die Stimme der Geflüchteten eine klare konterrevolutionäre Position zum Ausdruck.241 Die Darstellung der Oktoberrevolution als eine durchaus negative Erfahrung entspricht keineswegs der Art und Weise, in der an dieses für die sowjetische Geschichte wichtigste historisch-politische Ereignis gedacht und erinnert werden darf und widersetzt sich mithin deutlich den Anforderungen des sozialistischen Realismus. Durch die Anpassung an die sowjetische Erinnerungspolitik der Stalinzeit fungiert die Fremdliteratur bei weitem nicht als Medium der Fremderfahrung sondern als komplementäres Manipulationsinstrument des kollektiven Gedächtnisses. Die Kürzungen, Auslassungen und Ergänzungen transformieren die gesamte Rhetorik des Romans. Während ihr Schwerpunkt im Original parallel zu dessen klaren politischen Standpunkt (gerade eben aufgrund dieses Standpunkts, das ihn als linken Antikriegsroman ausweist) auf dem humanistischen Wertesystem liegt, ist sie im russischen Text aphoristisch, zweckorientiert und wesentlich mehr auf das Ideologische und Politische fokussiert. Die relative Polyphonie des Originals, in dem Stimmen der Ignoranz, des Zweifels und der Unentschiedenheit sowie eine kritische Haltung zur gewalttätigen Seite der Revolution zugelassen sind, wird ideologischer Kontrolle unterworfen, wobei die Übersetzung als literaturkritischer Filter der Aussortierung fungiert, der nach der Logik der polarisierenden Urteils- und Handlungsmaxime „wer nicht für uns ist, ist gegen uns“ vorgeht und Grauzonen sowie Nuancen der Neutralität abschafft. Diese Übersetzungstaktik – und im weiteren Sinne die dahinterstehende Übersetzungspolitik – wird nicht nur in der Sowjetunion angewandt, sondern greift auch auf die Satellitenstaaten über. So fehlt die entsprechende Szene der Oktoberrevolution auch in der polnischen Übersetzung des Romans, obwohl diese vom polnischen Dichter und Übersetzer französischer Lyrik, Roman Kołoniecki, auf Grundlage der französischen originalgetreuen Ausgabe erstellt wird. Inwiefern diese Übersetzungsentschei-
Beispiele ‚blutiger‘ Darstellungen der Oktoberrevolution und des Bürgerkriegs sind in der Tradition der russischen Dissidentenliteratur, insbesondere in Werken russischer Autoren der Emigration häufig – beispielsweise im Werk Bunins Okajannye dni (Verfluchte Tage, 1926), das in der Sowjetunion verboten war – finden sich jedoch selbst in den publizistischen, die Oktoberrevolution thematisierten Schriften Gor’kijs Nesvoevremennye mysli (Unzeitgemäße Gedanken, 1918).
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dung Ergebnis einer ähnlichen, dennoch individuellen Denkweise oder direkter sowjetischer Intervention in das polnische Verlagswesen war, ist an dieser Stelle ohne weitere Erforschung nicht rekonstruierbar. Zeitlich betrachtet, hätte die im November 1950 erscheinende polnische Ausgabe die im August 1950 publizierte russische Übersetzung ‚konsultiert‘ haben können. Die polnische Ausgabe, die mit dem Titel Poliksena. Opowieść grecka (Griechische Erzählung) ohne weitere Peritexte erscheint, hält sich jedoch nicht an die Buchstaben der russischen Übersetzung: Mit Ausnahme der Oktoberrevolution-Szene ist die Gesamtheit aller anderen, in der russischen Übersetzung ausgelassenen Textstellen in der polnischen Ausgabe erhalten geblieben. Allein die Tatsache der Auslassung spricht dafür, dass Übersetzungen von Fremdliteratur auch in der Volksrepublik Polen tiefgründiger Erforschung in Bezug auf ideologische Übersetzungsleistungen bedürfen. Für die Fragestellung der vorliegenden Arbeit sind derweil in erster Linie zwei, aus der Gegenüberstellung der polnischen und russischen Ausgaben gezogene Schlussfolgerungen von unmittelbarem Interesse: die durch die Auslassung in beiden Nationalkontexten hervorgehobene Bedeutung der Darstellung der Oktoberrevolution und somit die Subversivität dieser Darstellung in Axiotis Roman und die Feststellung, dass das literarische Zentrum Moskau sich in seiner Rolle als Vorbild hinsichtlich der Umsetzung der sozialistisch-realistischen Richtlinien und bei der ideologischen Anpassung der zu übersetzenden Literatur pedantischer erweist als die Peripherie. Insbesondere im Fall des Romans Tränen und Marmor kann der Übersetzung gerade jene Buchstabentreue (bukvalizm) vorgeworfen werden, die Kaškins Schule ihren formalistischen Gegnern unterstellt – hier dennoch im übertragenen Sinne einer sehr methodischen Manipulation des Romans nach Buchstaben und Geist der Staatsdoktrin.
2.2.2 Eine doppelte Kanonisierung: Mitsos Alexandropoulos’ Nächte und Morgenröte Der Roman Nychtes kai auges (1961, Nächte und Morgenröte) von Mitsos Alexandropoulos entnimmt seinen Stoff der Geschichte der Widerstandsbewegung während der Zeit der Besetzung Griechenlands durch die deutsche Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg (1941–1945). Der Roman stellt eine Dilogie dar, die aus den Teilen I politeia (1961, Die Stadt) und Ta vouna (1963, Die Berge) besteht. Wie die Titel andeuten, spielt die Handlung des ersten Teils in Athen zur Zeit der deutschen Besatzungszeit, während sie im zweiten Teil in die Berge versetzt wird, wo der Partisanenkrieg gegen die deutschen, italienischen und bulgarischen Besatzungstruppen geführt wird. Der Hauptprotagonist des Romans Kosmas ist ein armer junger Mann aus der Provinz, der nach Athen mit der Vorstellung fährt, an der Universität zu studieren. Kosmas wird als ein im Leben unerfahrener Mensch dargestellt, bei dem sich noch keine festen politischen Überzeugungen bzw. kein Glaube an eine bestimmte Ideologie oder Partei herauskristallisiert hat. Im Athen des ersten Besatzungsjahrs (1941), in
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dem Armut, Hungersnot und Kriminalität herrschen, wird die Bekanntschaft von Kosmas mit verschiedenen sozialen Schichten und Milieus – mit Nazi-Kollaborateuren, Schwarzhändlern und bourgeoisen Jugendlichen sowie Intellektuellen, linken Aktivisten und Widerstandskämpfern – und seine Begegnung und Auseinandersetzung mit deren Ansichten, Lebensweisen und politischen Haltungen geschildert. Als in der großen Stadt neu Angekommener und politisch noch Uneingeweihter, beteiligt sich Kosmas an den Gesprächen erst als Zuhörer und Beobachter. Aus den verschiedenen Handlungswegen, die ihm diese Begegnungen eröffnen, entscheidet er sich schließlich für den Befreiungskampf: „Alle haben ihn aufgerufen, ihnen zu folgen. Er wählte sein Golgatha.“ (Alexandropoulos 1961, 340).242 Getrieben von den geschichtlichen Ereignissen, die ihn mit Dilemmata konfrontieren und Entscheidungen fordern, wird der Held zunächst durch die gefühlte Pflicht gegenüber dem besetzten Heimatland, aber bald auch durch seine Liebe für die überzeugte Kommunistin Gianna und seine Bewunderung für die älteren erfahrenen Kommunisten Stauros und Spyros zum Widerstand motiviert. Kosmas betätigt sich allmählich kämpferisch, tritt in die Nationale Befreiungsfront (EAM) ein und arbeitet an der Herausgabe einer Widerstandszeitung in einer illegalen Druckerei mit. Er wird inhaftiert und gefoltert, schafft es jedoch zu fliehen. Im zweiten Teil der Dilogie, in der sich die Handlung mit der Beteiligung des Haupthelden am Partisanenkampf auf den Bergen fortsetzt, vollzieht sich die Abhärtung von Kosmas als Kämpfer und die Festigung seines politischen Bewusstseins. Auf Seiten der Griechischen Volksbefreiungsarmee arbeitet er in der illegalen Presse und dolmetscht für die britischen Alliierten. Kriegsszenen, von Partisanenliedern erzeugter kämpferischer Enthusiasmus, kollektiver Geist und Hoffnung auf bessere Tage und zukünftige Gerechtigkeit gehören zum Partisanenleben des zweiten Romanteils. Kosmas entwickelt sich zu einem ‚positiven Helden‘. Er weist Selbstaufopferung und unermüdlichen Fleiß auf und erträgt stoisch die brutale Folter, den Verlust seines Arms durch eine schwere Verletzung und die Ermordung seiner schwangeren Geliebten Gianna durch Sicherheitsbataillone. Am Ende des Romans sitzt Kosmas nach der Befreiung erneut verhaftet im Gefängnis. Sein Kampfgeist und seine Tapferkeit werden im optimistischen Schlusssatz mit den Bergen verglichen, die „sich in ihrer jahrhundertealten Geschichte nie beugten“ (Alexandropoulos 1963, 604).243 Die Erzählung verläuft linear und chronologisch den realen historischen Ereignissen folgend. Parallel zur zentralen Handlungslinie werden Aspekte der Organisation des Widerstands, politische Debatten der Zeit, historische Begebenheiten und Aspekte der marxistischen Philosophie thematisiert. Auf der Ebene der Handlung ist der ‚prototypische Plot‘ des konventionellen sozrealistischen Romans (Clark 1981, 159) wiederzufinden (s. hierzu auch Unterkapitel 2.2.1.1). Der unerfahrene Held kommt mit
„Όλοι τον είχαν καλέσει να τους ακολουθήσει. Εκείνος διάλεξε το γολγοθά του.“ „[…] που δεν έσκυψαν ποτέ στη μακραίωνη ιστορία τους […].“
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individuellen Plänen für die eigene Zukunft nach Athen, realisiert jedoch im Laufe der Zeit die Erhabenheit des kollektiven Ziels. Auf dem Weg zum Ziel bekommt er Hilfe und Anleitung von älteren Parteimitgliedern und erfahrenen Mitkämpfern, überwindet die im Wege stehenden Hindernisse und beweist sich schließlich als Held. So wie auch andere, einschließlich der hier behandelten, Werke der linksgerichteten engagierten griechischen Literatur, zeichnet sich der Roman durch mehrere Topoi der sowjetischen sozrealistischen Literatur. Die Unterordnung der Liebe gegenüber dem Kampf im parallelen Handlungsstrang der Liebesgeschichte zwischen Kosmas und Gianna, das körperliche Leiden und die Lähmung als konstitutive Merkmale der Heroisierung (vgl. Lehmann 2004, 152 f.), eine expressive Schilderung maschineller Arbeitsprozesse und Kritik bis hin zur Parodisierung des Bürgertums sind einige davon. Der erste Teil des Romans zeichnet sich durch weitläufige Schilderungen der Gedankenwelt des Protagonisten, auf den sich der Erzähler größtenteils perspektivisch begrenzt, während der zweite wesentlich handlungsorientierter ist. Auf schematische Manifestationen von Parteilichkeit durch losungshafte Aussagen und politische Maximen wird sorgfältig verzichtet. Die Gedankengänge der Hauptfigur verraten durch Zweifel, Widersprüche und Fragen eine intensive Selbstsuche, der Prozess des Erwerbs politischen Bewusstseins wird jedoch vorwiegend durch den Handlungsablauf aufgezeigt. Über die Ideologie und Tätigkeit der Kommunistischen Partei wird hauptsächlich in der Figurenrede politischer Gegner berichtet, was dem Erzähler eine scheinbar unbeteiligte Wiedergabe von Inhalten ermöglicht. In seiner Rezension zum ersten Teil des Romans in der Zeitschrift Neos Kosmos, die als Organ der KKE die offizielle Parteilinie vertritt, betrachtet Dimitris Hadzis als größte Schwäche des Romans die mangelhafte Begründung der Entwicklung des Helden zum linken Kämpfer, die mit den geschilderten Ereignissen nicht organisch verbunden sei (Hadzis 1962, 103). Zu den positiven Aspekten des Romans zählt Hadzis hingegen die Tatsache, dass der Autor „politische Rhetorik, die die Geißel der linken Prosa ist, vermeidet“ (ebd., 102)244 sowie den grundsätzlich ‚anti-heroischen‘ Charakter des Protagonisten: Es sind die fertigen Kämpfer, die die linke Prosa des Widerstands hauptsächlich beschäftigt haben. […] generell ignorierte sie die schlechte, negative, dunkle Seite der Besatzungszeit. M.A. setzt seinen Held in diese dunkle, negative Seite, um ihn durch sie ans Licht zu bringen, um beide Seiten, beide Welten zu zeigen. (Ebd.)245
Die gleiche Ansicht wird auch von Veatriki Spiliadi in der Rezension der linken revisionistischen Literaturzeitschrift der Nachkriegszeit Epitheorisi Technis vertreten,
„Αποφεύγει επίσης την πολιτική ρητορεία που είναι η μάστιγα της αριστερής πεζογραφίας.“ „Είναι οι έτοιμοι αγωνιστές που κυρίως απασχόλησαν την αριστερή λογοτεχνία της Αντίστασης. […] γενικότερα αγνόησε την κακή, την αρνητική, τη σκοτεινή πλευρά της περιόδου της κατοχής. Ο Μ. Α. παίρνει τον ήρωά του από αυτή τη σκοτεινή, την αρνητική πλευρά για να τον περάσει μέσα απ’ αυτήν στο φως, να δείξει και τις δύο πλευρές, και τους δύο κόσμους.“
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in welcher der bescheidene Heroismus des Protagonisten Kosmas gepriesen wird. Spiliadi äußert sich positiv zu der „unpersönlichen Anprangerung der Umstände“ im Roman, unter denen ein „durchschnittlicher Typus“ als Held auftritt (1962, 776). Aus heutiger Sicht zählt Venetia Apostolidou den Roman mit zu einer Gruppe von Werken, die obwohl relativ frei von direktem politischen Engagement ideologisch konform waren: „In many ways it falls almost entirely within the boundaries of what the party considered as politically correct at that time“ (2009, 219). Die Publikationsgeschichte und sowjetische Rezeption des Romans Der erste Teil des Romans Nychtes kai auges wird von Alexandropoulos zunächst als Abschlussarbeit am Ende seines Studiums am Maxim-Gorki-Literaturinstitut eingereicht und genießt im Weiteren mit drei Ausgaben in russischer Sprache die insgesamt größte Auflagenhöhe im gesamten Korpus der übersetzten neugriechischen Literatur in der Sowjetunion. Die Lehrenden des Literaturinstituts – der Autor Boris Bednyj und die Literaturwissenschaftlerin Tamara Motylëva – sowie der Leiter des Lehrstuhls der Grundlagen des Marxismus-Leninismus Michail Vodolagin bewerten die „talentiert“ und mit „ideellen Pathos“ verfasste Arbeit insgesamt positiv und empfehlen ihre Publikation. In ihren Gutachten, die in RGALI erhalten sind, herrscht Übereinstimmung hinsichtlich der Schwächen des Romans, die vor allem in der Darstellung der positiven Figuren und dem Charakterwachstum des Protagonisten identifiziert werden. Den „schematischen“ kommunistischen Nebencharakteren soll mehr psychologische Tiefe verliehen werden, während der Hauptheld bei all seiner Unerfahrenheit als „allzu neutral“, „passiv“ und „unsicher“ dargestellt sei:246 Kosmas mag die Wege und die Methoden des Kampfs nicht kennen, aber der Wunsch gegen die Besatzer zu kämpfen muss in ihm stärker sein, als jetzt im Roman gezeigt wird. (RGALI: F. 632, Op. 1, Ed. chr. 1941, L. 470)247
Mit Blick auf die Publikation sollen die Motivation hinter der kämpferischen Tätigkeit der Hauptfigur sowie ihre heroischen Eigenschaften, die als „beliebig“ erscheinen, deutlicher vermittelt werden: […] die sozialen und politischen Motive blieben etwas im Schatten. […] es muss stärker betont werden, dass Kosmas nicht so sehr wegen der Liebe zu Gianna den EAM-Reihen beigetreten ist, sondern infolge der Entwicklung seines Charakters und des ausgereiften Wunsches gegen die Okkupanten zu kämpfen. (Ebd.)248
RGALI: F. 632, Op. 1, Ed. chr. 1941, L. 470, 473. „Космас может и не знать путей и методов борьбы, но желание бороться с оккупантами в нем должно быть сильней, чем это сейчас показано в романе.“ „[…] мотивы социальные и политические остались несколько в тени. […] надо сильней подчеркнуть, что Космас пришел в ряды ЭАМ не столько из-за любви к Янне, сколько в силу развития своего характера и созревшего желания активно бороться с захватчиками.“
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Die erste Veröffentlichung des Romans, die laut Urteil des Literaturkreises aufgrund des dort vorfindlichen „Parteigeistes“ „wesentlich zum heutigen patriotischen antiimperialistischen Kampf unserer Partei“ beitragen wird (Matthaiou/Polemi 2003, 384),249 erfolgt 1961 vom Exilverlag der KKE in einer Auflagenhöhe von 4.000 Exemplaren. Darauf folgt 1962 die erste russische Ausgabe unter dem Titel Noči i rassvety durch den Verlag Molodaja gvardija in einer Auflagenhöhe von 115.000 Exemplaren. Übersetzt wird das Werk (sowie seine weiteren Ausgaben) durch die Ehegattin des Autors Sonja Il’inskaja. Die Journalisten Leonid Veličanskij und Larisa Tjurina fällen in ihrem Vorwort zur Ausgabe keine ästhetischen Urteile, sondern beschränken sich auf einen Überblick der historischen Begebenheiten, auf die sich der Roman bezieht. Der zweite Teil des Romans wird 1967 unter dem Titel Gory im selben Verlag mit 65.000 Exemplaren aufgelegt und mit einem kurzen Vorwort von Boris Polevoj versehen. Polevoj bezeichnet den Roman als ‚optimistische Tragödie‘, wobei er den Optimismus auf die Entwicklung des Haupthelden bezieht: […] der Held ist voller Optimismus und Glaube an den Sieg […]. Kosmas wurde im heftigen und heldenhaften Kampf gegen den Faschismus gehärtet. Das ist nicht mehr der fröhliche, etwas naive, etwas begeisterte Junge. Das ist ein echter Mann und ein echter Revolutionär, beständig und kernfest wie die Berge seines Landes […]. (Polevoj 1967, 4)250
Im Zuge der Vorbereitung einer überarbeiteten dritten251 griechischen Ausgabe des während der Militärdiktatur verbotenen Romans, wendet sich Alexandropoulos 1976 an den sowjetischen Schriftstellerverband mit dem Anliegen einer entsprechenden korrigierten Neuausgabe der zwei Bände in der Sowjetunion, deren Übersetzung – wie er erwähnt – auf Grundlage der ersten griechischen Ausgabe erstellt worden ist: Zusätzlich zu den üblichen Überlegungen, die uns veranlassen, unsere Bücher zu veröffentlichen und neu aufzulegen, gibt es in diesem Fall einen weiteren Umstand für mich: der zweite Band wurde in russischer Sprache mit einem erheblichen zeitlichen Abstand (von fünf Jahren) zum ersten Band herausgegeben und im Zuge der Vorbereitung auf die Veröffentlichung sehr beschädigt: ganze Kapitel und Episoden, die in direktem Zusammenhang mit dem ersten Band stehen, wurden herausgenommen. (RGALI: F. 1234, Op. 22, Ed. chr. 1413, L. 13)252
„Το βιβλίο χαρακτηρίζεται από πνεύμα κομματικότητας και η δημοσίευση του θα συμβάλει σημαντικά στην πατριωτική αντιιμπεριαλιστική πάλη που κάνει σήμερα το κόμμα μας […]“. „[…] герой полон оптимизма и веры в победу. […] Космас закалился в суровой и героической борьбе с фашисмом. Это уже не веселый, немножно наивный, немножно восторженный юноша. Это настоящий мужчина и настоящий революционер, стойкий и твердый, как горы его страны […].“ Mitte der sechziger Jahre werden die zwei Romanteile (jeweils 1963 und 1964) auch in Griechenland vom Verlag Themelio herausgegeben. „Помимо обычных соображений, побуждающих нас к изданию и переизданию наших книг, в данном случае для меня существует еще одно обстоятельство: на русском языке второй том вышел со значительным (в пять лет) отрывом от первого тома и очень пострадал в ходе подготовки к изданию – были изъяты целые главы и эпизоды, непосредственно связанные с первым томом.“
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Der mit dem Anliegen der Neuausgabe beauftragte Verlag Sovetskij pisatel’ führt neue Begutachtungen der Dilogie durch. Die für ihre polemischen Rezensionen bekannte und von Achmatova als „echte Lady Macbeth“ bezeichnete Literaturkritikerin Evgenija Knipovič (vgl. Timenchik 2014, 131) betont die Überlegenheit des zweiten „starken“ und „muskulösen“ Romanteils Gory über den ersten „losen“ Teil, befürwortet jedoch die Publikation beider Teile, indem sie auf den „internationalistischen in seinem Wesen“ sowjetischen Leser verweist, der heroische „Bücher dieser Art immer liebt und versteht“.253 Ein zweiter Rezensent – der Autor Viktor Puškin – weist hingegen auf das „rein griechische Thema“ des Romans hin, das möglicherweise das Interesse der Leseschaft mindern könne, und rät aufgrund der immer noch bestehenden Aktualität der mit dem Nationalwiderstand verbundenen Fragen im politischen Leben Griechenlands, die brüderliche KKE um eine Genehmigung der Publikation zu bitten.254 Die gleiche Ansicht einer „außerordentlich vorsichtigen Herangehensweise an sowjetische Publikationen aller Art zu diesen Fragen“255 aufgrund der ideologischen Bedeutung des Bürgerkrieges in Griechenland teilt auch der dritte Rezensent O. Voronkov. Nach der Zustimmung der KKE, die durch die positive Resonanz des Romans in der griechischen progressiven Kritik begründet wird,256 erscheint 1978 die überarbeitete Fassung des Romans in 100.000 Exemplaren. Laut der im Archiv befindlichen editorischen Notiz stellen die „vom Autor und der Übersetzerin“ vorgenommenen Änderungen die Einschränkung des ersten Bandes durch Kürzung des einleitenden ersten Teils und Entfernung von Wiederholungen, die Erweiterung des zweiten Bandes durch Einschub zusätzlicher Episoden des Partisanenkriegs sowie einzelne stilistische Modifikationen dar.257 Diese Ausgabe wird 1985 im selben Verlag in 100.000 Exemplaren neu aufgelegt. Übersetzungsvergleich Von seiner ersten griechischen Fassung über die erste russische Ausgabe bis hin zu der endgültigen griechischen und endgültigen russischen Fassung unterliegt der Roman aufeinander folgenden zahlreichen ideologischen und ästhetischen Transformationen. Die Abweichungen vom Original (1961) in der ersten russischen Übersetzung (1962),258 die selbst eine für die Publikation überarbeitete Fassung der in
„О величии подвигов народа надо помнить и напоминать неустанно, и читатель наш – интернационалист по самой сущности своей всегда любит и понимает книги такого рода.“ RGALI: F. 1234, Op. 22, Ed. chr. 1413, L. 3 f. RGALI: F. 1234, Op. 22, Ed. chr. 1413, L. 6 f. „[…] требует исключительно внимательного и остородного подхода ко всякого рода советским публикациям по этим вопросам.“ RGALI: F. 1234, Op. 22, Ed. chr. 1413, L. 9 f. RGALI: F. 1234, Op. 22, Ed. chr. 1413, L. 14. RGALI: F. 1234, Op. 22, Ed. chr. 1413, L. 11. In ihrer Einleitung zur kürzlich erschienenen Neuausgabe des Romans im Verlag Govostis (2018) erwähnt Il’inskaja, dass der Roman der Redaktion des Exilverlags zur Begutachtung vorge-
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russischer Sprache eingereichten Abschlussarbeit darstellt, deuten zunächst unverkennbar auf die Anpassung des Romans an den Erwartungshorizont der sowjetischen Leserschaft hin. Die unten angeführten Beispiele stehen exemplarisch für eine Vielzahl an domestizierenden Modifikationen des Quelltextes, die vorwiegend die Darstellung des Russland- und Sowjetbildes betreffen. Im Hauskeller, in dem sich eine illegale Druckerei befindet, empfangen die Partisanen auf Kurzwelle das Moskauer Radio, dessen Reportagen Material für die Zeitung liefern: Hinter den Funkstörungen erriet er mehr, denn dass er sie hörte, die Stimme, die wie ein nacktes Schwert die Entfernung und die Zeit, die kalten Winde und die Regen aufriss – ein Schwert, das die Russen mit ihren dicken, schwieligen Händen über ihr breites Vaterland anhoben. Und er sah, wie die groben Männer mit den blauen leuchtenden Augen für die heilige Erde des Mütterchen Russland mit ihren Spießen kämpfen, und er hörte die Ketten der Panzer und die hohen Lederstiefel der roten Soldaten, die auf dem blutigen Schnee einen Weg in die Geschichte öffneten. (Alexandropoulos 1961, 265 f.)259
In Kosmas’ romantisierender Vorstellung beleben und vermischen sich epische Kriegsszenen aus verschiedenen historischen Zeiten Russlands, die der junge Protagonist aus Büchern kennt. Die Übersetzung holt ihn zurück in die ‚Realität‘, indem sie alle die imperiale Geschichte Russlands hervorrufenden Momente auslässt und die Szene durch die „sowjetischen Soldaten“ ausschließlich auf den Zweiten Weltkrieg bezieht: Als Kosmas den Funkruf Moskaus hörte, sah er sowjetische Soldaten vor sich – breitschultrige Männer mit leuchtenden blauen Augen, die ihren schwierigen Weg durch den blutigen Schnee bahnten. Zu dieser Stunde lebte Russland vor ihm auf. (Aleksandropulos 1962, 202)260
Während das Russlandbild in der russischen Übersetzung in ein Sowjetbild umgewandelt und dadurch aktualisiert wird, bleiben in der griechischen überarbeiteten Fassung die „Russen“ und das archaische, die Macht und führende Rolle Russlands
legt wurde, da der Verlag nach einer positiven Bewertung des Romans dennoch unmittelbar mit der Publikation fortfuhr, konnte der Autor die von ihm im Vorfeld geplanten Änderungen nicht umsetzen. Diese trug er später in die zweite Ausgabe des Verlags Themelio ein (Ilinskagia 2018, 12). „Μέσα στο κακό που έκαναν τα παράσιτα, περισσότερο την εμάντευε παρά την άκουε τη φωνή εκείνη, την εμάντευε να σκίζει την απόσταση και το χρόνο, τους ψυχρούς ανέμους και τις βροχές σαν ξεγυμνωμένο σπαθί – ένα σπαθί που το κρατούσαν τεντωμένο πάνω από την πλατιά γη των πατέρων τους οι ρώσοι με τα χονδρά ροζασμένα χέρια. Και τους έβλεπε κιόλας τους χονδροδέστατους άντρες με τα γαλανά φλεγόμενα μάτια, τους έβλεπε που κονταροχτυπιούνταν για τ’ άγια χώματα της μητερούλας Ρωσίας και άκουε τους τροχούς των αρμάτων και τις ψηλές πέτσινες μπότες των κόκκινων φαντάρων που άνοιγαν πάνω στο ματωμένο χιόνι δρόμο στην ιστορία.“ „Слушая позывные Москвы, Космас видел перед собой советских воинов – широкоплечих мужчин с горящими голубыми глазами, пролагавших свой трудный путь по окровавленному снегу. В этот час перед ним оживала Россия.“
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metaphorisierende Bild des Schwertes erhalten.261 In den zwei späteren russischen Ausgaben wird diese Passage hingegen komplett weggelassen. Kosmas lernt Russland durch Karten, Literatur und Lieder kennen. Er bewundert die geophysikalische Pracht und die Weite – die „Unendlichkeit“ – des Landes, das er sich als einen „Giganten mit einem Bein in Europa, dem anderen am Rande Asiens“ vorstellt. In der „kranken und komischen“ Welt Dostoevskijs, den Fürsten Myškin, den Brüdern Karamasow und Raskolnikow, findet Kosmas auch „etwas von sich selbst“. Der „russische Zeus“ Tolstoj ist für ihn „der Russe aller Russen. Εin Gigant, wie das Volk, das ihn gebar“ (Alexandropoulos 1961, 266 f.).262 Die verherrlichende und mystifizierende Darstellung der russischen Klassiker, bleibt in der Übersetzung grundsätzlich erhalten, was jedoch bei den Liedern eines russischen Geflüchteten aus dem zaristischen Russland nicht der Fall ist. Eine mehrseitige Passage, die die Lieder Jakobs über revolutionäre Heldenfiguren der russischen Vergangenheit (Ermak Timofeevič, Sten’ka Razin und die Abenteuer seiner Flotte) schildert und russische Landschaftsbilder (Steppe, Wolga, Sibirien u. a.) exotisiert, wird in der russischen Ausgabe ausgelassen, während sie in der späteren griechischen in gekürzter Form erhalten bleibt.263 Aber Jakob hat auch „andere Lieder“:
„Hinter den Funkstörungen erriet mehr denn hörte er die Stimme, die wie ein Schwert die Entfernung und die Zeit aufriss – ein Schwert, das die Russen über ihr breites Land anhoben und einen Weg in die Geschichte öffneten. Diese Stimme belebte auf einmal ganz Russland.“ / „Μέσα στο κακό που έκαναν τα παράσιτα, περισσότερο μάντευε παρά άκουε τη φωνή που έφτανε σκίζοντας σα σπαθί την απόσταση και το χρόνο – ένα σπαθί που το σήκωναν πάνω από την πλατιά γη τους οι Ρώροι κι άνοιγαν δρόμο στην ιστορία. Αυτή η φωνή ζωντάνευε με μιάς όλης τη Ρωσία.“ (Alexandropoulos 1987, 234). „[…] τη Ρωσία την εφανταζόταν σαν ένα ζωντανό γίγαντα που είχε σταθεί με τη μία πατούσα του στην Ευρώπη και με την άλλη στην άκρη της Ασίας […]. Τη ρούσικη απεραντοσύνη δεν την είχε δει, μα την είχε νιώσει. […]. Ο Ντοστογιέφσκυ τον είχε πρώτος μπάσει […] σε έναν κόσμο άρρωστο και παράξενο […]. Ο πρίγκηπας Μίσκιν, τ’ αδέρφια οι Καραμάζοφ, ο φοιτητής Ρασκόλνικοφ … μέσα στον καθέναν από αυτούς βρήκε κι Κοσμάς ένα κομμάτι της δικής του ψυχής […]. Πιο βαθιά όμως είχε προσκυνήσει μια άλλη θεότητα: το ρώσο Δία. […] ο ρώσος των ρώσων. Ένας γίγαντας […] όπως ο λαός που τον έκανε.“ Entgegen der allgemein üblichen Vorstellung, dass solche ‚Volkskämpfer‘ in der sowjetischen Geschichte automatisch kanonisiert wurden, war die Einstellung gegenüber historischen revolutionären Figuren wie dem Aufstandsanführer des siebzehnten Jahrhunderts Sten’ka Razin nicht immer eindeutig positiv, da sie stark von der jeweiligen historiographischen Einstellung hinsichtlich der Darstellung des Staates bzw. seines vermeintlichen Grades an Progressivität abhing, die wiederum die genaue Natur ihres Konflikts mit der Macht bestimmte. Kosachische und bäuerliche Aufstände dienten in der Stalinzeit häufig der Demonstration der historischen Unmöglichkeit eines Sieges ohne organisierte parteiliche Unterstützung (vgl. Dobrenko 2000, 880 ff.). Die Passage zeichnet sich darüber hinaus durch Mangel an Textkohärenz und Plausibilität aus, die zu Verwirrung der sowjetischen Leserschaft hinsichtlich der Intentionalität des Autors führen könnte. Die angeblich von Razin erzählenden Lieder sowie die ‚anderen‘ revolutionären Lieder sind zum Teil russische Volkslieder ohne Bezugnahme auf Razin und zum Teil bekannte sowjetische und griechische
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Diese schonte er wie Sonntagskleidung und trug sie nur tief in der Nacht. Dann wurde er zum Mystagogen und das Zimmer zum Tempel. Wer sich in diesen Momenten dort befand, empfing die heilige Kommunion, wurde eingeweiht, hörte heimliche Predigten, hatte strahlende Visionen, träumte von Sonnen und Sonnenaufgängen. Er erzählte vom neuen Russland. Wo war dieses Gelobte Land? An der Stelle des Alten. […] Was ist da oben passiert und wurde die Welt wieder geboren? Ein Mysterium verdeckte diese Geburt […] die Lieder Jakobs machten es ergreifender, aber sie erklärten es nicht. Die Melodie war langsam und majestätisch, aber […] Jakob erzählte nicht von seiner Passion, wehklagte nicht, er predigte. (Alexandropoulos 1961, 268 f.)264
Die ekstatische Beschreibung des neuen, revolutionären Russlands durch die Verwendung religiöser Begrifflichkeiten (Gelobtes Land, Mysterium, Ergriffenheit, Predigt usw.), die Assoziationen über den religiösen Charakter der kommunistischen Ideologie erzeugt, wird in der Übersetzung modifiziert: Aber Jakob hatte auch andere Lieder. Er achtete auf sie, so wie man Festkleidung schont. Er sang sie nur tief in der Nacht – das waren Lieder über das neue Russland. Was änderte Russland und machte es neu? (Aleksandropulos 1962, 203)265
Die anschließende Antwort auf diese Frage lautet im Original wie folgt: Russland warf die Ketten ab, tötete die Zaren, zerstörte die alte Welt und erschuf die neue. (Alexandropulos 1961, 269)266
In der Übersetzung wird hingegen ein typischer Fall von lakirovka – Schönfärberei der Wirklichkeit – angewendet; ein Phänomen, das zwei Schlüsseltexte der Tauwetterzeit, Vladimir Pomerancevs Artikel „Ob iskrennosti v literature“ (Über die Aufrichtigkeit in der Literatur, 1953) und Andrej Sinjavskijs „Čto takoe socialističeskij realizm“ (Was ist sozialistischer Realismus?, 1959267), bezogen auf die Schablonenhaftigkeit und den le-
Partisanenlieder der vierziger Jahre. Insbesondere die letzten hätte Jakob zur Zeit von Kosmas Kindheit, zu der hier rückgeblendet wird, nicht singen können. „Εκείνα τα είχε φυλαγμένα σαν τα κυριακάτικα ρούχα του και σηκωνόταν και τάβαζε μονάχα μέσα στη βαθιά νύχτα. Τότε εκείνος γινόταν μυσταγωγός, η κάμαρη – ναός. Όποιος βρισκόταν εκεί μέσα τις στιγμές εκείνες μεταλάβαινε από τα άχρντά του μυστήρια, γινόταν μυστικός εταίρος, άκουε κρυφά κηρύγματα, οραματιζόταν λαμπρά οράματα, ήλιους και αυγές. Έλεγε για τη νέα Ρωσία. Πού ήταν αυτή η γη της επαγγελίας; […] Τί έγινε εκεί απάνω και ξαναγεννήθηκε ο κόσμος; Ένα μυστήριο τη σκέπαζε αυτή τη γέννα […] τα τραγούδια του Γιάκωβου το κάναν το μυστήριο εκείνο πιο κατανυχτικό, μα δεν το εξηγούσαν. Η μελωδία ήταν πάλι αργή και μεγαλόπρεπη μα […] ο Γιάκωβος δεν ιστορούσε τα πάθη του, δε στέναζε, έκανε κήρυγμα.“ „Но были у Якова и другие песни. Он приберегал их, как берегут праздничную одежду. Он пел их лишь глубокой ночью – это были песни о новой России. Что же изменило Россию, что сделало ее новой?“. „Η Ρωσία πέταξε τις αλυσίδες, σκότωσε τους τσάρους, γκρέμισε τον παλιό κόσμο και έχτιζε τον καινούριο.“ Sinjavskijs 1957 geschriebener Text wurde zunächst anonym im Februar 1959 in der französischen Zeitschrift Esprit unter dem Titel „Le réalisme socialiste“ und später unter dem in TamizdatPublikationen des Autors verwendeten Pseudonym Abram Terc veröffentlicht.
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bensfernen Stil des Sozrealismus der Stalinzeit scharf kritisieren (vgl. Terc 1988, 48). Die Übersetzung verschweigt die Ermordung der Zarenfamilie durch die Bolschewiki: Es [Russland] warf die Ketten ab, zerstörte die alte Welt und begann, die neue zu erschaffen. (Aleksandropulos 1962, 203)268
Die Auslassung spiegelt darüber hinaus die Verschiebung in der sowjetischen Rhetorik über dieses, die Bolschewiki diskreditierendes Ereignis wider, die im Zuge der Entstalinisierung im Vergleich zur frühsowjetischen Zeit beobachtet wird.269 Das Fragment der Rückblende endet in einer Reihe an rhetorischen Fragen, die Ungewissheit und Besorgnis bezüglich des Kriegsausgangs ausdrücken: Ein über die Steppe, über den Schnee, über die Hölle der Front ausgestrecktes Schwert. Was steht dahinter? Wer hält das Schwert? Wird es festgehalten? Wird es bis zum Ende gehalten … (Alexandropoulos 1961, 270)270
Die russische Übersetzung sät keine Zweifel und beendet das Fragment mit der früher im Text aufgeführten Moskauer Radioansprache: „Tod den deutschen Okkupanten!“ (Aleksandropulos 1962, 203).271 Durch Auslassungen, Kürzungen und Umformulierungen werden die Bezugnahmen auf das vorrevolutionäre Russland minimiert, das Bild der sowjetischen Macht verschönert, die Schilderung sexueller Intimität entmystifiziert272 und der Roman dem sowjetischen Zeitgeist und den Moralvorstellungen angepasst. Während einige der modifizierten Passagen der ersten russischen Ausgabe ihre neue Form in den späteren russischen Ausgaben erhalten, weist die dritte griechische Ausgabe des Romans273 weitere umfangreiche Änderungen auf, die unter anderem im von der Hand des Autors redigierten Originalexemplar der Erstausgabe, das im Griechischen literarischen und historischen Archiv (ELIA) aufbewahrt wird,274 festgehalten worden sind. Neben zahlreichen stilistischen Umformulierungen werden lange Reflexionspassagen, rückblendende Erzählabschnitte (Kindheitserinnerungen u. a.), Nebenplots und einzelne Elemente entfernt, radikal gekürzt, ergänzt oder umgeschrieben. Die Modifi-
„Она сбросила цепи, разгромила старый мир и начала созидать новый.“ Siehe hierzu beispielhaft das Lemma ‚Romanovy‘ in den drei Auflagen der Großen Sowjetischen Enzyklopädie: Das aggressive Pathos und der Stolz, mit dem das Ereignis in der 1. Auflage (1941, Bd. 49) beschrieben wird, werden in den zwei folgenden Auflagen (1955, Bd. 36; 1975, Bd. 22) durch eine neutrale Faktenvermittlung ersetzt (vgl. Zampouka 2018, 146). „Ένα τεντωμένο σπαθί απάνω από τη στέπα, πάνω από τα χιόνια, πάνω από την κόλαση του μετώπου. Τί είναι πίσω από κει; Ποιοί το κρατάν το σπαθί; Το κρατάν γερά; Θα το κρατήσουν ως το τέλος …“. „«Смерть немецким оккупантам!»“. Für eine ausführliche Behandlung dieses Themas und der Modifikation der Liebesszene in der russischen Übersetzung des Romans siehe Zampouka 2018, 146 ff. Alexandropoulos, M. 1979. Nychtes kai auges. Athen: Kedros. ELIA: Privatarchiv „Alexandropoulos, Mitsos kai Ilinskagia, Sonia“, 003/Akte 5.
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kationen zielen hauptsächlich auf die Eliminierung von inhaltlichen Wiederholungen (Pleonasmen und Tautologien) sowie Widersprüchen ab, die im Original in großer Anzahl vorhanden sind, und die insbesondere in weitläufigen Erinnerungs- und Gedankenpassagen des ersten Teils das Bild einer noch unsicheren, schwankenden, evtl. viel zu nachdenklichen und selbstsuchenden Hauptfigur vermitteln. Ein charakteristisches Beispiel unter vielen stellt Kosmas’ Besorgnis nach seiner Verhaftung darüber dar, ob er die Folterungen durchstehen kann, um die Mitkämpfer nicht zu verraten: Kosmas hatte in diesem Moment nicht die Psychologie des Helden, der sein Leben opfert. Er hatte die Psychologie des Sträflings, der vor seinem Ende steht. […] Würde er aber bis zum Ende schweigen können? Er würde es, wenn er die Schmerzen aushalten könnte. Aber er befürchtete, dass er sie nicht aushalten würde. Er war erschöpft. […] Die Vorstellung des Selbstmords tröstete ihn für einige Momente, bevor sie kamen, um ihn abzuholen … (Alexandropoulos 1961, 342)275
Die ersten Zeilen des anti-heroischen Gemütszustands der Figur werden in der ersten russischen Ausgabe ausgelassen, aber der Selbstzweifel und die Angst des Verrats bleiben erhalten. In der überarbeiteten griechischen und zweiten russischen Ausgabe wird die gesamte Passage zusammen mit der Gesamtheit der suizidalen Gedanken, die auch an anderen Stellen vorkommen, weggelassen. Die Kritik an die relativ lose, durch weitschweifige Reflexionen und Retrospektiven unterbrochene Komposition des ersten Romanteils und ihre Auswirkung auf die Darstellung der Motivation und Entwicklung der Hauptfigur wird in der Überarbeitung des Romans mitberücksichtigt. Darüber hinaus werden dem zweiten Romanteil Szenen hinzugefügt, die in seiner ersten russischen Ausgabe (1967) weggelassen worden sind, wobei auch diese Ergänzungen selektiv erfolgen: einige Abschnitte finden sich nur in der griechischen Ausgabe. Der zweite Teil wird außerdem mit dem abschließenden Nachwort Gody i gory (Jahre und Berge) ergänzt, der, obwohl in beiden griechischen Ausgaben von 1963 (Verlag PLE) und 1964 (Verlag Themelio) enthalten ist, in der russischen Ausgabe (1967) fehlt. Der durch den Vergleich des Haupthelden mit den unbeugsamen Bergen optimistische Romanschluss wird nun durch die Information des Epilogs, dass Kosmas die nächsten achtzehn Jahre im Gefängnis verbringt, relativiert. Die erste russische Übersetzung und in viel größerem Maße die späteren überarbeiteten griechischen und russischen Fassungen gewinnen durch die Modifikationen und im Vergleich zum Original an inhaltlicher, stilistischer und struktureller Kohärenz, während die Hauptfigur von Fassung zur Fassung an Widersprüchlichkeit verliert und immer mehr entschlossener und souveräner erscheint.
„Δεν είχε τη στιγμή εκείνη ο Κοσμάς την ψυχολογία του ήρωα που προσφέρει τη ζωή του. Είχε την απελπισία του κατάδικου που έφτασε μπροστά στο τέλος του. […] Θα μπορούσε όμως να σιπήσει ως το τέλος; Θα το μπορούσε αν άντεχε τον πόνο. Μα τούτο ήταν που φοβόταν τώρα, πως δεν θα άντεχε. Είχε αποκάμει. […] Η ιδέα της αυτοκτονίας ήρθε να του φέρει την παρηγοριά λίγες στιγμές πριν έρθουν εκείνοι να τον πάρουν …“.
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Der Vergleich des Originals – oder vielmehr der Originale – mit den Übersetzungen (sowie der verschiedenen Fassungen miteinander) deutet auf ein sukzessives Umschreiben des Romans in griechischer und in russischer Sprache hin, das – an verschiedene kulturelle Adressaten gerichtet – den Erwartungshorizont, das Identifikationspotenzial und die Fremdbilder des jeweiligen Zielkontexts mit bedenkt. Der Grad und die Art der Modifizierungen, die zeitliche Abfolge der Ausgaben sowie einige Bezugnahmen der Archivdokumente auf die Zusammenarbeit an die Neuausgaben lassen vor dem Hintergrund der persönlichen Beziehung zwischen dem Autor und der Übersetzerin vermuten, dass es sich dabei um einen Fall kooperativen Neu-, Umschreibens und Übersetzens handelt. Die Sowjetisierungen und Gräzisierungen, die aus der komparatistischen Perspektive heraus auf der textuellen Ebene identifiziert werden können, weisen auf eine parallele bidirektionale Anpassung zwecks der Kanonisierung des Romans in beiden Literaturlandschaften hin.
2.2.3 Eine originalgetreue Übersetzung: Dimitris Hadzis’ Feuer Der erstmalig 1946 in Athen erschienene Roman Fotia (Feuer) von Dimitris Hadzis thematisiert durch die Schilderung der Erfahrungen einer bäuerlichen Familie den griechischen Nationalwiderstand gegen die deutschen Besatzungstruppen in den Jahren 1943–1944 und parallel – zum Teil implizit zum Teil explizit – die Vision eines volksdemokratischen Griechenlands. Eine neue (dritte) Auflage des Romans stellt ab Mitte der fünfziger Jahre ein stetiges Anliegen der Partei dar (vgl. Matthaiou/Polemi 2003, 392), während seine Übersetzung und Publikation in der Sowjetunion auch auf höchster offizieller Ebene in einer Zeit angefordert wird, in der Hadzis sich von den literarischen Normen und Postulaten des sozialistischen Realismus, die er in diesem Roman vorbildlich umsetzt, narratologisch bereits distanziert hat. Der Roman besteht aus drei Teilen, die jeweils „Das Feuer“, „Der Krieg“ und „Der Weg“ betitelt sind. Die Handlung des ersten Teils spielt sich in einem Dorf der griechischen Provinz im dritten Jahr der deutschen Besatzung (1943) ab und beginnt mit den Bedenken des alten Familienoberhauptes Giakoumis gegenüber der Teilnahme der Dorfbewohner am Partisanenkrieg und am Widerstand. Giakoumis befürchtet Vergeltungsmaßnahmen der Wehrmacht, hat Angst um das Dorf, seine Tiere, seine Familie und den Haushalt: „Da bleiben, um sein Vermögen zu beschützen, das ist die Pflicht des Hausmannes“ entscheidet er vernünftig (Hadzis 1946, 9).276 Nach einer Erniedrigung durch deutsche Soldaten und, nachdem seine Kinder sich gegen seinen Willen den Partisanen anschließen, wandelt sich seine Abgeneigtheit nach und nach in aktives Engagement um. Er hilft bei der Umsiedlung des Dorfes
„Να καθίσει να προστατέψει το βιός του, αυτό είναι το χρέος του νοικοκύρη.“
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in ein schwer zugängliches Berggebiet und übernimmt die Verwaltung des Erntevorrats. Der allmähliche Übergang der Figur von der individuellen zur kollektiven Identität vollendet sich durch die Identifizierung mit der Gemeinschaft: – Und wer bist du? – Wer ich bin? Wirklich, wer war er? Er stockte kurz, kratzte sich am Kopf und danach sprach es: – Ich bin die Nation. […] als sie ihn reinkommen sahen, haushoch, riesig, mit schneeweißem Kopf und verbittertem Blick, fanden sie nichts komisches daran, dass er das sagte. (Ebd., 48)277
Der Krieg erweist sich als ein Prozess der Selbsterkenntnis und zugleich der Selbstverleugnung, in dem das Individuum Verantwortung für die Gemeinschaft übernimmt und sie in diesem Sinne verkörpert: „Auf diesen wilden Berggipfeln war es als ob die Nation sich selbst kennenlernte“ (ebd., 56).278 Die äußeren Eigenschaften der Figur werden dadurch metonymisch der kriegsführenden Nation attribuiert: mentale Größe (‚haushoch, riesig‘), lange historische Tradition (‚schneeweißer Kopf‘) und Kampfbereitschaft (‚verbitterter Blick‘). Eine markante Entwicklung durchläuft die Figur der Tochter von Giakoumis Augerini, die in den Partisanenkrieg zieht und dadurch den ersten Schritt zur eigenen Emanzipation macht. Motiviert durch ihre Freundin, der selbstsicheren Kommunistin Asimina, verlässt die unerfahrene junge Dörflerin, die sich ursprünglich fragt, ob sie „doch selber denken kann“ (ebd., 20),279 zum ersten Mal das Elternhaus und ihren vermeintlich angestammten Platz im Haushalt und trägt, zunächst als Krankenschwester, zum Befreiungskampf bei. Im zweiten Teil des Romans („Der Krieg“), in dem die Handlung in die Operationsgebiete des Partisanenkriegs verlagert wird, arbeiten die zwei Frauen im Militärspital. Die dynamische und immer fröhliche Asimina ist sich über ihre Zukunftswünsche, die romantisiert dargestellt werden, klar: Sobald der Krieg vorbei ist, möchte sie nicht mehr ins Dorf zurückkehren. Sie möchte weit weg gehen, sehr weit weg, in die großen Staaten gehen, wo alle Bolschewiki sind, nur Bolschewiki sollen in diesen Staaten sein – und sie schlief ein, indem sie große Dampfer in großen Häfen hupen hörte – alle groß wie ihr Herz … (Ebd., 60)280
„– Και ποιός είσαι συ; – Εγώ, μωρέ ποιός είμαι; Αλήθεια ποιός ήταν; Κόμπασε μια στιγμή, έξυσε την κεφάλα του κ’ ύστερις τόπε: – Είμαι το έθνος. […] καθώς τον είδανε να μπαίνει πανύψηλος, πελώριος, με την κεφάλα του κάτασπρη και τα μούτρα του αγριεμένα, δε βρήκαν τίποτα παράξενο να το πει.“ „Πάνου σ’ αυτές τις άγριες βουνοκορφές είτανε σάμπως το έθνος να γνώριζε τον ίδιο τον εαυτό του.“ „Λοιπόν είναι αλήθεια, πως μπορώ κ’ εγώ να σκέφτουμαι μοναχή μου;“. „Άμα τέλειωνε ο πόλεμος δε θάθελε να ξαναγυρίσει στο χωριό. Θάθελε νάφευγε μακριά, πολύ μακριά, να πήγαινε στις μεγάλες τις πολιτείες που είναι όλο μπολσεβίκοι, μόνο μπολσεβίκοι νάναι σ’ αυτές τις πολιτείες – κι αποκοιμιόταν ακούγοντας να σφυρίζουν μεγάλα καράβια σε μεγάλα λιμάνια – όλα μεγάλα σαν την καρδιά της …“.
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Im Gegensatz dazu wird Augerini hin und wieder von innerer Unruhe und Zweifeln hinsichtlich sich selbst, ihrer Bestimmung, ihres sozialen Miteinanders und der Beziehung zum anderen Geschlecht beherrscht: Jetzt, zum ersten Mal […] begann sich eine neue Welt vor ihr zu öffnen. In ihr gewann auch ihr eigenes Leben immer mehr an Bedeutung. […] Noch war nichts sicher und fertig. Wird sie es denn nie lernen, selbständig zu denken? (Ebd., 58 f.)281
Im Weiteren verlässt Augerini das Krankenhaus und zieht in den Krieg. Durch eine Operation, in der sie einen Gestapo-Mann tötet, gewinnt sie an Selbstvertrauen und die Anerkennung ihrer Kriegskameraden. Die Hinrichtung ihrer Freundin Asimina durch die Wehrmacht verstärkt weiter ihren Kampfgeist: […] er fand Augerini hinter einer halb abgestürzten Zaunmauer und sie wollte nicht aufstehen. Ihr Gewehr loderte, ihre Hände waren schwarz vom Schießpulver. […] Noch ein Schuss. Noch ein Schuss für dich Asimina … (Ebd., 104)282
Der heldenhafte Tod der Freundin, die gefoltert wird, aber ihre Mitkämpfer nicht verrät, konfrontiert Augerini mit den eigenen Motiven, die sie als selbstsüchtig anerkennt, und bereitet sie auf eine Entscheidung vor, die die Auflösung ihres Individualismus zu Gunsten des Kollektivs und ihre ideologische ‚Reifung‘ besiegelt: Sie ist bei ihnen, nur weil sie etwas für sich tun will. […] Aber jetzt ist sie sich sicher, dass dies nicht ausreicht. […] Wichtig ist nicht das, was du tust. Aber warum du es tust. Und für wen. (Ebd., 114)283 Wie stolz ist sie auf ihren weißen Kittel! … Sie will die Arme öffnen und alle umarmen. Ihnen schwören – ich bin mit euch – bis zum Ende – für immer. Sie wälzt sich hin und her, denkt nach, schließlich geht sie zum Verantwortlichen. […] Ich möchte … Ich weiß nicht, ob ich es verdiene … Ich möchte der Partei beitreten … (Ebd., 117 f.)284
Das ursprünglich spontane Engagement festigt sich nun in einer bewussten Manifestation von Parteilichkeit, die zum Sentimentalismus übergeht: „… Unsere Par-
„Τώρα για πρώτη φορά, […] ένας κόσμος καινούριος είχε αρχίζει ν’ ανοίγεται μπροστά της. Ανάμεσά του όλο και κέρδιζε το νόημά της και η δική της η ζωή. […] Τίποτα δεν είταν σίγουρο, τελειωμένο. […] Ποτές, λοιπόν, δε θα μάθει να σκέφτεται μοναχή της;“. „[…] βρήκε την Αυγερινή πεσμένη πίσω από μια μισογκρεμισμένη μάντρα και δεν ήθελε να σηκωθεί. Το ντουφέκι της είχε ανάψει, τα χέρια της είτανε μαύρα απ’ το μπαρούτι. […] Ακόμα μια. Ακόμα μια για σένα Ασημίνα …“. „Είναι μαζί τους μόνο και μόνο γιατί κάτι πρέπει να κάνει για τον εαυτό της. […] Μα τώρα είναι σίγουρη πως αυτό δε φτάνει. […] Το σημαντικό δεν είναι κείνο που κάνεις. Μα γιατί το κάνεις. Και για ποιον.“ „Πόσο καμαρώνει την άσπρη της μπλούζα! Θέλει ν’ ανοίξει τα χέρια της, να τους αγκαλιάσει όλους. Να τους ορκιστεί – είμαι μαζί σας – ως το τέλος – για πάντα. Στριφογυρίζει, σκέφτεται, ξανασκέφτεται, στο τέλος παγαίνει στο διαχειριστή. […] Ήθελα … Δεν ξέρω αν τ’ αξίζω … Ήθελα να μπω στο Κόμμα …“.
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tei … ihre Augen füllten sich mit Tränen, ihr Herz klopfte, sie verschluckte die Worte“ (ebd., 130).285 Parallel zu den positiven Helden Giakoumis und Augerini, deren Entwicklung zu überzeugten Kämpfern den Haupthandlungsstrang des Romans ausmacht, tritt auch das Volk als kollektiver Held des Krieges und der Arbeit auf. Heroismus und Alltag wechseln sich ab und bilden ein revolutionär-romantisches Narrativ des kollektiven Handelns zum Zweck des Aufbaus einer friedlichen und gerechten Zukunft. Sowohl in volkstümlichen Szenen des bäuerlichen Lebens als auch an der Kriegsfront herrscht Arbeitskult und ein sich im wiederholt vorkommenden Motiv des Gesangs manifestierender Optimismus: Am nächsten Tag begann die Ernte. Die Sichel bewegte sich schnell über das Gold der Felder, die Hände banden flink die Heuballen, der Schweiß glänzte auf den Stirnen. Das Lied der Arbeit und der Freiheit breitete sich überall aus, fröhlich, unbesiegbar. […] Der Gesang wurde lauter, die Herzen wurden stolz. Die Hände bewegten sich spielerisch, die Sicheln ertönten […]. (Ebd., 33)286 Ihr Körper, ihre Arme, ihre Beine, ihre Augen arbeiteten ununterbrochen. Nachts stieg ihr Lied hoch empor, um die eiskalten Kammern zu wärmen.(Ebd., 59)287 Der Krieg wuchert immer mehr über das Land. Der Gesang breitet sich im Krankenhaus aus: […]. (Ebd., 117)288
Der letzte und kürzeste Teil des Romans („Der Weg“) schildert zunächst die euphorische kurze Zeit nach der Befreiung, die bald vom Ausbruch des Bürgerkrieges überschattet wird. Kollektivität, Freude an der Arbeit und stimmungsvoller Gesang leiten den Wiederaufbau der dörflichen Idylle: […] sie wetteifern miteinander, wer die dicksten und größten Stammhölzer tragen wird […]. Sie werden traurig, dass sie mit dieser Arbeit fertig sind und jetzt nicht wissen, was sie noch tun können. Sie senken traurig ihren Kopf, als ob sie sich schämen. In solchen Momenten breitet sich überall eine Wolke aus. […] Eine Kuh, die muht. Ein Hammer, der hämmert. Ein Hahn, der kräht. Ein Lied des Krieges […]. Der Gesang steigt hoch und vertreibt die Wolke. Jetzt schauen sie sich alle in die Augen. Mutig und fröhlich. Sie sind sicher, dass sie ihr Dorf wieder aufbauen können. Alleine. (Ebd., 122)289
„Το Κόμμα μας … τα μάτια της είτανε βουρκωμένα, η καρδιά της χτυπούσε δυνατά, τα λόγια της πνίγονταν.“ „Την άλλη μέρα άρχιζε ο θέρος. Το δρεπάνι περνούσε γοργά πάνου στο χρυσάφι των χωραφιών, τα χέρια δένανε γλήγορα τα δεμάτια, ο ιδρώτας έλαμπε πάνω στα μέτωπα. Και το τραγούδι της δουλειάς και της λευτεριάς απλωνόταν ολούθες χαρούμενο, ανίκητο. […] Το τραγούδι ξεθάρρευε, οι καρδιές περηφανεύονταν. Τα χέρια παίζανε, τα δρεπάνια σφύριζαν […].“ „Το κορμί της, τα χέρα, τα πόδια, τα μάτια της δούλευαν ασταμάτητα. Τη νύχτα το τραγούδι της ανέβαινε να ζεστάνει τους παγωμένους θαλάμους.“ „Ο πόλεμος όλο και θεριεύει στον κάμπο. Το τραγούδι θεριεύει στο νοσοκομείο […].“ „[…] καταπιάνονται να παραβγούν, ποιος θα κουβαλήσει τα χοντρότερα και τα μεγαλύτερα ξύλα […]. Στεναχωριούνται που τελειώσαν αυτή τη δουλειά και δεν ξέρουνε τώρα τί άλλο να
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Augerini macht sich in Athen erneut als Krankenschwester nützlich und kann endlich die Liebe erleben, die – wie so häufig in der sozrealistischen Kriegsliteratur – erst auf das Kriegsende warten muss. Das Familienglück dauert dennoch nur bis zu den blutigen Ereignissen der Schlacht um Athen (Dekemvriana, 1944), die eine weitere Eskalationsstufe des griechischen Bürgerkriegs und parallel das Ende des Romans markieren. Der Untertitel ‚Kurzes Vorwort zu einer anderen Geschichte‘, der später – wenn der Ausgang des Bürgerkriegs schon bekannt ist – in der dritten griechischen Ausgabe und der russischen Übersetzung des Romans dem dritten Teil hinzugefügt wird, weist auf den langen und schwierigen ‚Weg‘ hin, der noch bevorsteht. Die Heldin des Romans fühlt sich nunmehr bereit: „Ich habe endlich gelernt, selber zu denken“ (ebd., 147).290 Aufgrund der ideologischen Konformität des Romans in Zusammenhang mit seinem Übersetzungs- und Veröffentlichungszeitpunkt in der relativ liberalisierten Atmosphäre der frühen sechziger Jahre weist die russische Übersetzung von Tat’jana Kokurina nur minimale Unterschiede im Vergleich zum Original auf und kann insgesamt als werkgetreu eingestuft werden. Eine Ausnahme bildet die Auslassung von Stalins Namen in einem unschuldigen Partisanenwitz, der in modifizierter Form erhalten bleibt, wodurch der Roman zeitgeistkonform für seine Publikation 1963 inhaltlich ‚entstalinisiert‘ bzw. ‚aktualisiert‘ wird.291 Der etwas heikle Hinweis eines Partisanen auf die Stellung der Politkommissare in der Hierarchie des Partisanenkriegs, die als Diskreditierung der politischen Dachorganisationen der Partisanenbewegung wahrgenommen werden könnte, bleibt in der Übersetzung erhalten:
κάνουν. Κατεβάζουν τα μούτρα τους λυπημένα, σαν ντροπιασμένα. Κάτι τέτιες ώρες, ένα σύννεφο απλώνεται ολούθες. […] Μια γελάδα που μουγκανίζει. Ένα σφυρί που καρφώνει. Ένας κόκκορας που λαλεί. Ένα τραγούδι του πολέμου […]. Το τραγούδι ανεβαίνει και διώχνει το σύγνεφο. Τώρα κοιτάζουνται όλοι στα μάτια. Θαρρετά και χαρούμενα. Είναι σίγουροι πως μπορούνε να ξαναφκιάξουνε το χωριό τους. Μοναχοί τους.“ „Έμαθα πια να σκέφτουμαι μοναχή μου.“ „Wir dürfen überhaupt nicht aufhören. Haltet durch – er schrieb mir das selbst, mit eigenen Händen von oben … – Wer, der Alte? […] – Welcher Alte … Stalin schrieb ihm das […]“ / „Εμείς δεν έπρεπε καθόλου να σταματήσουμε. Κρατάτε καλά – μονάχος του μου τόγραφε με τα χέρια του από πάνου … – Ποιός, ο Γέρος; […] – Μωρέ ποιος Γέρος … Ο Στάλιν του τόγραψε […].“ (Ebd., 71). Als ‚Alter‘ ist hier der griechische Politiker Georgios Papandreou gemeint, der den Beinamen ‚Alter Mann der Demokratie‘ besaß. In der russischen Übersetzung wird die Erwähnung Stalins weggelassen und durch die ‚verschlüsselte‘ Formulierung „schau noch höher“ ersetzt (Chadzis 1963, 265). Im Zuge der Entstalinisierung wird die Entfernung des Leichnams Stalins aus dem Mausoleum sowie der Verbannung seines Namens aus der Öffentlichkeit geführt. In den griechischen Neuausgaben des Romans, die nach der russischen Übersetzung noch zu Hadzis’ Lebenszeiten in den Verlagen Pleias (1974) und Keimena (1979) erschienen, bleibt die Erwähnung Stalins erhalten, was darauf hindeutet, dass Hadzis den Roman – ohne es revidieren zu wollen – als historisches Dokument behandelte.
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2 Kanonisierung in Bewegung
Was die politischen Organisationen betrifft, konnte er natürlich nicht leugnen, dass sie für etwas nützlich waren. Aber sie reden viel. Versteht ihr, viel Gerede und kein Krieg. Sie schlafen ein und wachen auf mit den Gedanken nur an die Papiere und die Worte. (Ebd., 73)292
Ebenso erhalten bleiben Momente sexuellen Erwachens sowie eine Szene sexueller Intimität zwischen der Hauptheldin und ihrem Geliebten, die hinsichtlich ihres körperlichen Aspekts im Vergleich zu der deutlich modifizierten Liebesszene des einige Jahre später publizierten Romans Gory von Alexandropoulos entdramatisiert dargestellt ist. In diesem Zusammenhang erhebt sich die Frage der Rolle, die möglicherweise differenzierte persönliche Vorstellungen und Entscheidungen der Übersetzenden sowie die Haltung des jeweiligen Verlegers im gegebenen Handlungsspielraum spielen. In seiner späteren Erzählsammlung To telos tis mikris mas polis (Die letzten Tage unseres Städchens, Das zerstörte Idyll, 1965), die erstmalig 1953 vom Exilverlag der KKE in Rumänien veröffentlicht wird, distanziert sich Hadzis vom Optimismus, Schematismus, der einfältigen Symbolik und der sentimentalen Parteilichkeit seines ersten Romans. Trotz der präsenten politischen Dimension des Werkes, deutet seine Gesamtpoetik, die weit entfernt von der Stilformation des sozialistischen Realismus ist, auf eine ideologische und ästhetische Neuorientierung des Autors hin, die von der griechischen Literaturkritik in vielfacher Weise diskutiert worden ist (vgl. Rautopoulos 1986; Charalampidou 1990; Tziovas 1999). Obwohl eine der Kurzgeschichten dieser Sammlung bereits 1959 in die Anthologie Rasskazy grečeskich pisatelej aufgenommen wird,293 bezieht sich das Anliegen des Ersten Sekretärs Koligiannis 1961 hinsichtlich der Publikation des Autors in der Sowjetunion speziell auf den Roman Feuer (s. Unterkapitel 1.1.2), der nur ein Jahr später vom Exilverlag der KKE neu aufgelegt wird (1962).294 Anschließend spricht die griechische Literaturkritik sechzehn Jahre nach seiner Erstveröffentlichung von der Aktualität des Romans: […] die Helden des ‚Feuers‘ sind immer noch auf dem ‚Weg‘. […] Ein Volk eröffnet diesen Weg mit seinem Kampf. Diesem Kampf erweisen Bücher wie das ‚Feuer‘ einen unbestrittenen Dienst. […] sie inspirieren und motivieren, sie erziehen durch den wunderbaren patriotischen Geist einer großen und unsterblichen Epoche […]. (Pigis 1962, 91)295
„Όσο για τις πολιτικές οργανώσεις, βέβαια δεν μπορούσε να τ’ αρνηθεί, πως κάτι χρειάζουνται. Έχουνε όμως λόγια πολλά. Καταλαβαίνετε, πολλά λόγια και πόλεμος δε γίνεται. Αυτοί κοιμούνται και ξυπνάνε και μόνο τα χαρτιά και τα λόγια συλλογίζουνται.“ Es handelt sich dabei um die Erzählung „Margarita Molyvada“, die in ihrer späteren überarbeiteten Version von 1958 in der Zeitschrift Epitheorisi Technis in „Margarita Perdikari“ umgenannt wird. Den neuen Titel trägt sie auch in der russischen Ausgabe von 1963. Die Anthologie erhält außerdem die Erzählung „I gynaika apo ti Fourka“ (Die Frau aus Furka) aus der Erzählsammlung von Hadzis Thiteia (Wehrdienst). Der Roman erscheint 1963 auch in bulgarischer Sprache in Sofia (Hadjis, Dimitris. 1963. Ogănjat. Sofia: Narodna Kultura). „[…] οι ήρωες της «Φωτιάς» βρίσκονται ακόμα στο «δρόμο». […] Ένας λαός τον ανοίγει αυτόν το δρόμο με τον αγώνα του. Σ’ αυτόν τον αγώνα βιβλία σαν τη «Φωτιά» προσφέρουν υπηρεσία
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Aus einem Schreiben an den Aufklärungsausschuss der KKE aus dem Jahr 1962, in dem die Rede von der Übersetzung einer „Erzählsammlung“ von Hadzis ins Russische ist, geht hervor, dass die Herausgabe einer erweiterten Zusammenstellung von Erzählungen, einschließlich des Romans Feuer, in der Zwischenzeit beschlossen wurde.296 Die russische Ausgabe von 1963 fällt zeitlich mit der Veröffentlichung der überarbeiteten und vervollständigten Erzählungen des Zerstörten Idylls in der Zeitschrift Epitheorisi Technis in Athen zusammen, während sich der Autor noch im Exil befindet. Hadzis’ chronologisch erster Roman Feuer wird als letzter in der russischen Ausgabe aufgeführt, die dazu den Titel des späteren Werkes „Die letzten Tage unseres Städtchens“ trägt. Im siebenseitigen Vorwort der Ausgabe, in dem größtenteils der gleichnamige „wundervolle Erzählzyklus“ (ebd., 9) thematisiert und hinsichtlich seines Realismus und seiner Satire angepriesen wird,297 widmet Antaios zum Schluss einige Worte dem Roman Feuer (Ogon’), den er als eine „wirklich ergreifende Dokumentation einer Epoche“ (Anteos 1963, 10) bezeichnet, in ästhetischer Hinsicht jedoch als untergeordnet betrachtet: Man darf, natürlich, nicht vergessen, dass die Erzählung „Feuer“ das erste Werk von D. Hadzis ist. Deswegen ist sie den späteren Werken des Autors künstlerisch unterlegen. (Ebd., 11)298
Während es Antaios nicht versäumt, den Roman als einen „großen Verdienst“ des „Schriftstellers und Bürgers“ Hadzis zu bezeichnen (ebd.), führt er entgegen der sonst üblichen Praxis der sowjetischen Peritexte, in denen die politische und erzieherisch-pädagogische Funktion der Literatur im Vordergrund steht, ein ästhetisches Urteil in die Wertung von Hadzis’ Werk ein, das in der Gesamtheit seiner poetologischen Transformationen der sowjetischen Leserschaft präsentiert wird. Die Förderung des poetologisch komplexeren, von Stil und Norm des sozialistischen Realismus deutlich entfernten späteren Werkes des Autors deutet auf eine in ästhetischer Hinsicht zeitlich verzögerte Publikation des Romans Ogon’ in der Sowjetunion hin, der dennoch auf der ideologischen Ebene dem Parteinarrativ in differenzierter Weise299 weiterhin dient.
αναμφισβήτητη. […] εμπνέουν και παρορμούν, διαπαιδαγωγούν με το υπέροχο πατριωτικό πνεύμα μιας μεγάλης και αθάνατης εποχής […].“ S. hierzu Goulandris 2001, 260 (Eintrag 367). S. hierzu ausführlich das Unterkapitel 1.1.2. „Повесть «Огонь» поистине волнующий документ эпохи. […] Нельзя, конечно, забывать, что повесть «Огонь» – первое произведение Д. Хадзиса. Поэтому в художественном отношении она уступает более поздним произведениям писателя.“ Beim Vergleich der oben zitierten Buchbesprechung von Vasilis Pigis (1962) mit der von Antonis Komis, die anlässlich der Erstausgabe des Romans 1946 in der Literaturzeitschrift Eleuthera Grammata (05.04.1946, H. 40,) veröffentlicht wurde, stellt Natia Charalampidou zutreffend eine Verlagerung des Fokus von formal-stilistischen, mit den Anforderungen des sozialistischen Realis-
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2 Kanonisierung in Bewegung
2.2.4 Vergleichende Betrachtung der Fallbeispiele Die drei oben analysierten Fallbeispiele weisen trotz wechselnder Akzentsetzungen mehrere Gemeinsamkeiten hinsichtlich der Umsetzung des sozialistischen Realismus auf und illustrieren somit exemplarisch die Grundtendenzen der Appropriierung des Kanons von einem Teil der linken griechischen Literaturproduktion. Sie zeichnen sich durch die junge Hauptfigur des zunächst ideologisch ungefestigten und anschließend werdenden positiven Helden, der im Laufe der Handlung innere Konflikte überwindet, kämpferische Eigenschaften akkumuliert und ideologisch-politisches Bewusstsein erwirbt (vgl. Günther 1984, 108). Dies geschieht unter der Einwirkung von erfahrenen und ideologisch überzeugten Mentorenfiguren, die hier vorwiegend die Nebenfiguren der Liebespartner innehaben. Die Nebenhandlungslinie der Liebesgeschichte stellt analog zu Clarks Typologie der Liebeshandlung im Sozrealismus einen Initiationsprozess oder -ritus dar, in dem die Hauptfigur unter Anleitung einer Geliebten oder eines Geliebten politisch-ideologisch (und parallel in die Liebe) eingeweiht wird (1981, 183). Für Frauenfiguren geht die Abhärtung durch die kämpferische Tätigkeit und das Erlangen politischen Bewusstseins mit Emanzipation einher. Der prototypische Plot der Entwicklung der Figuren entfaltet sich im Rahmen des konventionalisierten sozrealistischen Sujets in der Erfüllung einer kollektiven sozialen Aufgabe, die in den hier untersuchten Beispielen die Befreiung von der deutschen Besatzung durch den Widerstand darstellt. In den nationalbefreienden Charakter der Widerstandsbewegung, die als Angelegenheit des Volkes thematisiert wird, wird eine Klassendimension eingeführt, die sich zum einen in der entscheidenden Rolle, die der Partei zugeschrieben wird, und zum anderen in der Rhetorik der ‚besseren Tage‘, des ‚Neuen Lebens‘ und der ‚gerechten Welt‘ implizit manifestiert, die die Frage nach der politischen Zukunft des Landes nach der Befreiung aufwirft. Die zwei Mitte der vierziger Jahre entstandenen Romane von Axioti und Hadzis setzen das Postulat der Parteilichkeit explizit um, während der Anfang der sechziger Jahre verfasste Roman von Alexandropoulos, dessen Handlung dennoch in derselben Zeit spielt, damit moderat operiert und Elemente linker Selbstkritik erhält. Auch die übrigen ideologischen Postulate des sozialistischen Realismus (revolutionäre Romantik, typische Charaktere, Volkstümlichkeit u. a.) kommen mit unterschiedlicher Intensität in den drei Romanen vor. Darüber hinaus zeichnen sich die Romane (mit Ausnahme von Axiotis Darstellung der Oktoberrevolution) durch ein idealisierendes Russland- und Sowjetbild aus und weisen mehrere typische Motive der sowjetischen Literatur (Optimismus, Arbeitskult, Gemeinschaftsnarrative u. a.) sowie gemeinsame Feindbilder (Faschismus, Bourgeoisie) auf. Die Untersuchung der Übersetzungen zeigt,
mus verbundenen Merkmalen auf die Gesamtthematik des Romans fest (1990, 292). Im historisch differenzierten Kontext der 1960er Jahre erfüllt der Roman weiterhin die „literarischen Erwartungen“ (ebd.) der Partei, das Interesse gilt jedoch in erster Linie der darin thematisierten Rolle der EAM am Nationalwiderstand und im weiteren Sinne der Rechfertigung und Stabilisierung des historischen Vermächtnisses der KKE im kollektiven Gedächtnis.
2.2 Griechische Appropriierung und sowjetische Übersetzung des Sozrealismus
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dass die Werke einer systematischen Anpassung an den jeweils aktuellen politischideologischen Rahmen und die sozial-kulturellen Normen des Zielkontexts unterworfen werden, wobei die Mehrheit der ‚korrigierenden‘ Eingriffe die Stabilisierung des sowjetischen Selbstbildes und die Intensivierung der ohnehin ideologisch konformen Gesamtbotschaft der importierten Fremdliteratur gewährleisten.
3 Der Tod des Autor-Kommunisten – Entideologisierung und Paradigmenwechsel 3.1 Normenwandel und auktoriale Neupositionierung Die Phase der Entkanonisierung, die durch Stalins Tod 1953 eingeleitet wird und sich bis zum Ende der sechziger Jahre erstreckt, zeichnet sich bei all der Ambivalenz der Literaturpolitik durch eine fortschreitende Erosion des sozialistischen Realismus aus, die sich im Rückzug der strengen literarischen und ideologischen Kriterien der Stalinzeit und in einer zunehmenden Öffnungstendenz des Kanons manifestiert, bis der Kanon ab den siebziger Jahren seine Obligatorik und textgenerierende Funktion verliert (vgl. Günther 1987). Die Tauwetterliteratur wendet sich von der Konfliktlosigkeit und Schönfärberei der dogmatischen Schemaliteratur der Vorperiode ab, während die dominierende Thematik des kollektiven Handelns zunehmend durch die Fokussierung auf das Individuum ersetzt wird, das sowohl in Konfliktsituationen der Privat- und Gefühlssphäre als auch in Konfrontation mit Mängeln und ethisch-moralischen Dilemmata der Sowjetgesellschaft dargestellt wird (vgl. Günther 1988; Engel 2011). Durch Chruščëvs Verurteilung der stalinistischen Säuberungen und des Personenkults eröffnet sich die Möglichkeit einer Vergangenheitsaufarbeitung, die in diversen kritischen Auseinandersetzungen mit dem Stalinismus (mit und ohne Druckerlaubnis) in der Literatur der Tauwetter- und Spätsowjetzeit mündet (Vladimir Dudincev, Jurij Dombrovskij, Aleksandr Ginzburg, Lidija Čukovskaja, Lagerliteratur von Aleksandr Solženicyn, Varlam Šalamov u. a.). Die kulturpolitischen Entwicklungen der poststalinistischen Ära bewirken – wie bereits in den früheren Kapiteln gesehen – Veränderungen sowohl in der linken neugriechischen Literaturproduktion als auch in der Rezeption neugriechischer Literatur in der Sowjetunion im Allgemeinen. Die Rückbesinnung auf die universellen Werte des humanistischen Ideals und das erneute historisch-philosophische Interesse, die mit dem Normenwandel einhergehen, begünstigen die Publikation kanonferner Werke unpolitischer Autoren. Die Pluralisierungstendenzen der postkanonischen Phase führen ins literarische Feld tabuisierte Stile und Thematiken ein, während sich in der Selektion und paratextuellen Einrahmung der Werke etwa ab den späten sechziger Jahren eine langsame Verschiebung der Gewichtung vom klassengebundenen auf das kulturhistorische Moment in den griechisch-russischen Beziehungen abzeichnet. Die politisch gefärbten Autoren gehen in Hinblick auf den sozialistischen Realismus unterschiedliche Wege, die von seiner Weiterentwicklung über eine revidierte Form bis hin zur Abwendung vom Kanon variieren.300 Der Großteil der in der Tauwetterzeit ent-
Insgesamt weist die zeitgenössische Literaturwissenschaft hinsichtlich der linken neugriechischen Literatur auf die Abwesenheit (bis auf wenige Ausnahmen) einer sich während der gesamten https://doi.org/10.1515/9783111026534-004
3.1 Normenwandel und auktoriale Neupositionierung
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standenen und in der Sowjetunion publizierten linken Literatur geht auf Kompromisse mit dem sozrealistischen Kanon ein, indem sie sich einerseits vom idealisierten positiven Helden und von schematisierter Ideologie distanziert und sich verschiedener Verfahren des kritischen Realismus bedient, andererseits jedoch den narrativen Strukturen und Hauptmotiven des klassischen Sozrealismus verhaftet bleibt und sie reproduziert. Die drei im Rahmen der vorliegenden Arbeit in den Fokus gesetzten Literaten – alle Mitglieder der KKE und Autoren der Politemigration – entfernen sich schrittweise vom Normensystem des Kanons. Während Axioti in den späten fünfziger Jahren zur Moderne und zum autobiographischen Schreiben zurückkehrt, wodurch sich der sozialistische Realismus als eine Art Parenthese in ihrem Schaffen ansehen lässt, und Hadzis sich mit seinem metapoetischen Roman Das doppelte Buch (1976) stilistisch und thematisch endgültig von der politisch engagierten Literatur verabschiedet, wendet sich Alexandropoulos ab den späten sechziger Jahren den Genres des historischen Romans, des biographischen Romans und der Reiseliteratur zu. Jenseits der Herangehensweise mit den literarischen Normen des Kanons, die in gewisser Hinsicht als ideologische Positionierung an sich gelesen werden kann, führen die kultur- und literaturpolitischen Entwicklungen auch zu mehr oder weniger direkten literarischen Verhandlungen der sowjetischen Erfahrung und im weiteren Sinne zu Neupositionierungen der Autoren innerhalb des griechischen und des sowjetischen Literaturfeldes und deren Schnittstelle, die auch ihre weitere Rezeption darin bestimmen. Ein anschauliches Beispiel stellt der im sowjetischen Kontext der fünfziger und frühen sechziger Jahre als kommunistischer Autor einen sehr hohen Stellenwert genießende Alexis Parnis dar, der sich nach seiner Repatriierung 1962 in der griechischen Literaturlandschaft durch die Verfassung sowjetkritischer Romane neu positioniert, wodurch er im Westen rezipiert wird und auch ins postsowjetische Literaturwesen erneut Eingang findet. Hierbei spielt die paratextuelle Präsentation im jeweiligen Rezeptionskontext eine entscheidende Rolle. Parnis’ 1967 in Griechenland erschienener Roman O diorthotis (Der Korrektor) schildert die komödiantischen Bemühungen eines Korrektors in den Jahren der stalinschen Säuberungen, wegen kleiner Verstöße gegen das Strafgesetz verhaftet zu werden, um seiner politischen Verfolgung als Konterrevolutionär zu entgehen.301 Laut Klappentext der 1980 in London veröffentlichten englischen Übersetzung (The Proofreader)302 stellt der Roman die „Essenz“ der sowjetischen Erfahrung von Parnis dar, während seine Nachbarschaft und Freundschaft mit Boris Pasternak in Peredelkino
schriftstellerischen Laufbahn durchziehenden und statischen Umsetzung der Prinzipien des sozialistischen Realismus hin, der überdies einem kontinuierlichen Wandel über die Zeit hinweg in beiden Literaturlandschaften unterliegt. Selbst in Bezug auf die ‚offiziellen‘ und in der Sowjetunion gefeierten Parteidichter Varnalis und Ritsos wird überzeugend argumentiert, dass sie in ihren Werken nicht immer die Ansichten umsetzen, die sie in ihrer Rhetorik auf der theoretischen Ebene vertreten (vgl. Kokoris 1999, 142; Noutsos 1993, 201; Marcheselli-Loukas 1986). Parnis, Alexis. 1967. O diorthotis. Athen: Ikaros. Parnis, Alexis. 1980. The Proofreader. London: André Deutsch Ltd.
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3 Der Tod des Autor-Kommunisten
besonders hervorgehoben wird – ironischerweise in der Datschensiedlung, die für privilegierte Schriftsteller errichtet war. Unter den Peritexten, die die griechische Neuauflage des Romans in elektronischer Buchform im Jahr 2012 begleiten, befindet sich auch ein Schreiben der mit Parnis befreundeten Übersetzerin der geplanten russischen Fassung, Galina Ivanovna, die Parnis’ Dissidentenimage weiter untermauert: „Auf jeden Fall hat Alexis vor allen anderen die Wahrheit über die Stalinzeit geschrieben – sein Roman Der Korrektor wurde 1965 verfasst, lange bevor Solschenizyn und die anderen erschienen“ (Parnis 2012: o.S.).303 Es ist dabei bekannt, dass Solženicyns erstes, die Gulags thematisierendes Werk Ein Tag im Leben Ivan Denisovic 1962 in der Zeitschrift Novyj mir veröffentlicht wurde und davor lange in Samizdat unter dem Pseudonym A. Rjazanskij kursierte (vgl. Städtke 2011, 352). Auch in Griechenland wird Solženicyns Buch bereits in den frühen sechsiger Jahren veröffentlicht.304 Im Klappentext der 2016 in Moskau erschienenen russischen Ausgabe (Korrektor)305 steht Parnis’ enge Freundschaft mit den Autoren Tvardovskij, Simonov und Polevoj im Mittelpunkt, während der Roman als Antwort auf die Frage lanciert wird, warum der Autor auf dem Höhepunkt seines Erfolges schlagartig die Sowjetunion verlässt – eine Andeutung auf politische Verfolgung. Eine analoge und zugleich andersartige Neupositionierung stellt die Hinwendung des in der Sowjetunion ebenso viel publizierten Autors Mitsos Alexandropoulos zum „Thema Russland“ (Il’inskaja 1979, 20) dar: seine Beschäftigung in mehreren Arbeiten und biographischen Romanen mit den russischen Klassikern Gor’kij, Čechov, Dostojevskij, Majakovskij und historischen Persönlichkeiten wie Aleksandr Gercen, wodurch der Autor ab Mitte der siebziger Jahre als Vermittler russischer Literatur und Kultur innerhalb der griechischen Literaturlandschaft fungiert. Der erste aus dieser Reihe von Romanen – Szenen aus dem Leben Maxims des Griechen – entsteht Ende der sechziger Jahre in Moskau mitten in einer Zeit intensiver historischer Reflexion und ontologischer Problematisierung, in der das Genre des historischen Romans Aufschwung erlebt (vgl. Kozlov 2001) und greift zwei der prominenten Thematiken der Tauwetterliteratur auf: zum einen die Entfremdungsproblematik, d. h. die Darstellung des Individuums in Opposition zum gesellschaftlichen Status quo, und zum anderen – durch seine metapoetische Dimension – die Problematisierung bedenklicher Aspekte des sowjetischen Literaturbetriebs (vgl. Lauer 1975, 28). Mithilfe einer Übersetzerfigur bzw. Symbolfigur der Kulturvermittlung und zugleich einer Figur der historischen Verbindung zwischen Russland und Griechenland – Maxims des Griechen – nimmt Alexandropoulos gewissermaßen eine gemeinsame, russisch-griechische Geschichte in den
Siehe hierzu auch Galina Ivanovnas Beitrag „Russkij grek Aleksis Parnis“ in der russischsprachigen elektronischen Zeitschrift Lebed’ 477 (28.05.2006). Das Jahr der Veröffentlichung wird – wie häufig in dieser Zeit – in der Ausgabe nicht erwähnt, als terminus ad quem der Publikation lässt sich jedoch im Vorwort der Ausgabe eindeutig das Jahr 1964 zuordnen – Chruščëvs letztes Jahr als Erster Sekretär der KPdSU. Siehe dazu: Solzenitsin, A. Mia imera tou Ivan Ntenisovits. Athen: Etaireia Ellinikon Ekdoseon, o. J. Parnis, Aleksis. 2016. Korrektor. Sankt Petersburg: Aleteja.
3.2 Metapoetik der Translation
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Blick und problematisiert auf dieser Grundlage Aspekte der Abgrenzung zwischen Eigenem und Fremdem, und somit eine Kernfrage des interkulturellen Dialogs, des Umgangs mit dem Kulturerbe und weitgehend der Übersetzung als linguistische und kulturelle Praxis.
3.2 Metapoetik der Translation: Mitsos Alexandropoulos’ Szenen aus dem Leben Maxims des Griechen Mit dem Leben, dem Werk und dem umstrittenen Verhältnis zu Staat und den religiösen Autoritäten des griechischen Mönchs, Gelehrten und Übersetzers Maxims des Griechen, einer bekannten Figur der russischen Geschichte des sechzehnten Jahrhunderts, die ca. 40 Jahre in Russland verbrachte,306 befasst sich eine große Anzahl an russischer, sowjetischer, griechischer und westeuropäischer Sachliteratur.307 Durch die Be-
Maxim der Grieche wird als Michail Trivolis in Arta (Westgriechenland) um 1470 geboren. Nach seinem Schulabschluss auf der Insel Korfu, die in dieser Zeit venezianischer Herrschaft unterstand, studiert er in Italien (Florenz) alte Sprachen und Philosophie. In Italien wird Trivolis mit prominenten Personen der italienischen Renaissance bekannt und von Humanisten wie Aldus Manutius und Gianfrancesco Pico della Mirandola sowie von den Predigten des dominikanischen Priesters Girolamo Savonarola stark beeinflusst. Letzterer wurde für sein Anprangern der klerikalen Korruption, des Despotismus und der Ausbeutung der Armen bekannt. Nach einem kurzen Aufenthalt im dominikanischen Kloster San Marco in Florenz kehrt Trivolis zwischen 1505 und 1506 nach Griechenland zurück und tritt ins Kloster Vatopedi auf dem Berg Athos ein, wo er das Klostergelübde ablegt und den Ordensnamen Maxim annimmt. Auf Anfrage des Großfürsten von Moskau Wassili III. reist Maxim 1518 nach Moskowien (Großfürstentum Moskau), um sich mit der Korrektur und der Übersetzung liturgischer Texte zu beschäftigen. In Moskowien fällt er bald bei Großfürst Wassili III. und dem Metropoliten von Moskau Daniil in Ungnade, wobei in der Sekundärliteratur Uneinigkeit bezüglich der genauen Gründe herrscht: seine negative Haltung zu einer russischtürkischen Annäherung, seine Einwände gegen den klösterlichen Landbesitz, die Unabhängigkeit der russischen Kirche vom Patriarchat in Konstantinopel und die zweite Heirat des Großfürsten mit Elena Glinskaja, sowie seine Übersetzungsarbeit werden als mögliche Gründe angeführt. Maxims Anliegen, nach Erledigung seiner dortigen Aufgaben zum Berg Athos zurückzukehren, wird zurückgewiesen. 1525 und erneut 1531 wird Maxim in Schauprozessen als Häretiker zu Klosterhaft verurteilt und bleibt bis zum Ende seines Lebens (1556) in Gefangenschaft in verschiedenen Klöstern, wo er weitere einflussreiche Schriften verfasst. Besonders unter den Altorthodoxen ist Maxim der Grieche eine wichtige Referenzfigur. Im Jahr 1862 entstandenen Nationaldenkmal Tausend Jahre Russland im Nowgoroder Kreml figuriert er unter den bedeutendsten Persönlichkeiten der russischen Geschichte als Aufklärer. 1988 wird er von der Russisch-Orthodoxen Kirche offiziell heiliggesprochen (vgl. Bulanin 1989). Siehe beispielhaft Elie Denissoffs Maxime le Grec et l’Occident: contribution á l’histoire de la pensée religieuse et philosophique de Michel Trivolis (1943), Grigorios Papamichails Maximos o Graikos, o protos fotistis ton Roson (1950), Nikolaj Pokrovskijs Sibirskaja nachodka – Novoe o Maksime Greke (1969), Jack Haneys From Italy to Muscovy. The Life and Works of Maxim the Greek (1973), Aleksej Ivanovs Maksim Grek kak učenyj na fone sovremennoj emu russkoj obrazovannosti (1976) und Nina Sinicynas Maksim Grek v Rossii (1977). Weiterführende Literatur zu Maxim den Griechen und seinem
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3 Der Tod des Autor-Kommunisten
handlung eines breiten Spektrums an Thematiken in seinen Schriften308 wird Maxim der Grieche als Gelehrter, Theologe, Denker und heiliger Vater zum Gegenstand zahlreicher theologischer und historiographischer Studien sowie geschichtsphilosophischer und historiosophischer Diskurszusammenhänge. Sowohl tendenziöse religionsrelevante und populärwissenschaftliche als auch religions- und geschichtswissenschaftliche Texte beanspruchen Maxim als Gründervater diverser Konzepte und schreiben ihm die Funktion des Wegbereiters im Bereich des jeweiligen Interesses zu. So wird beispielsweise in kirchlichen Kreisen und glaubensbezogenen Kontexten das Märtyrertum in den Vordergrund gestellt und Maxim als der Erste, der in Russland für den orthodoxen Glauben litt, aufgefasst, während er in historisch-theologischen Studien häufig als „der erste Erleuchter der Russen“309 auftaucht (vgl. Papamichail 1950; Denissoff 1943). Eine in gewisser Hinsicht romantisierende Darstellung Maxims enthalten zwei – von griechischen Literaten mit Russland-Bezug verfasste – Literaturgeschichtswerke: In seiner 1930 veröffentlichten Istoria tis rosikis logotechnias (Geschichte der russischen Literatur) stellt Nikos Kazantzakis Maxim den Griechen als einen Gelehrten dar, der „kühn im Denken und furchtlos im Ausdruck“ war, und einen „Erneuerer“, der sich für die Erhöhung des Bildungsniveaus in Russland eingesetzt, sich dennoch für eine Bildung „nicht nach dem Buchstaben, sondern dem Geist der heiligen Schriften“ bemüht habe (Kazantzakis 1980: 57 f). Diese letzte Ansicht teilt auch Mitsos Alexandropoulos, der in seinem literaturgeschichtlichen Werk I rosiki logotechnia (Die russische Literatur, 1977/78) Maxim als die „geistlichste Persönlichkeit des russischen Mittelalters“ bezeichnet und ihn als einen „Ideologe-Aufklärer“ präsentiert, der den Typus des „Intellektuellen von hoher Gesinnung“ in Russland eingeführt habe. Alexandropoulos akzentuiert die Vorbildfunktion der schlichten und intellektuell-rational orientierten Rhetorik Maxims für den Schreibstil der russischen Gelehrten seiner Zeit und insbesondere den seines Schülers Andrej Kurbskij (vgl. Alexandropoulos 1977: 209 ff). In der Istorija russkoj literatury X–XVII vekov (Geschichte der russischen Literatur vom X. bis XVII. Jh.) des Philologen und Kulturwissenschaftlers Dmitrij Lichačëv – der führenden spätsowjetischen Autorität für die altrussische Epoche – wird Maxim der „größte Schriftsteller des XVI. Jh.s“ genannt (1980, 10), dennoch als ‚westlicher‘ Reformator ambivalent bewertet. In Übereinstimmung mit Alexandropoulos (sowie einem großen Teil der Forschung), in dessen historiographischer Auffassung Maxim trotz seiner studia humanitatis
Werk bietet Dmitrij Bulanins’ umfassendes Literaturvezeichnis in Dmitrij Lichačëvs Slovarʼ knižnikov i knižnosti drevnej Rusi (1989). Einen Überblick über die sowjetische Geschichtsforschung zu Maxim dem Griechen bietet Natalija Kazakovas Aufsatz „Maksim Grek v sovetskoj istoriografii“ (1973). Ausführlich dazu siehe beispielhaft Aleksej Ivanovs Literaturnoe nasledie Maksima Greka. Charakterisitiki, atribucii, bibliografija (1969). Die Bezeichnung fotistis (dt. Erleuchter, russ. prosvetitel’), die häufig im Kontext der griechischen und russischen Rezeption Maxims vorkommt, geht auf die Slawenapostel Kyrill und Method zurück und ordnet Maxim somit (auch zusammen mit den späteren Gebrüdern Lichud) in eine Art kontinuierliche Zivilisierungsmission ein.
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grundsätzlich ein „anti-westlicher“ Mönch bleibt (1977, 210), wird der letztgenannte als „feindselig gegenüber den Ideen der Renaissance“ bezeichnet (ebd., 318). In seinem historischen Roman Skines apo to vio tou Maximou tou Graikou (Sceny iz žizni Maksima Greka, Szenen aus dem Leben Maxims des Griechen) nähert sich Alexandropoulos Maxims Persona mit den Mitteln der Fiktion an. Der Roman wird in den Jahren 1967‒1969 in Moskau geschrieben und erstmalig 1976 nach Ende der Militärdiktatur und der Repatriierung des Autors in Griechenland veröffentlicht. In der Sowjetunion bleibt der Roman lange ‚in der Schublade‘, bis er 1980 im Verlag Chudožestvennaja literatura in Übersetzung von Il’inskaja und Podzemskaja in einer Auflagenhöhe von 30.000 Exemplaren publiziert wird. Drei Jahre später wird er im Verlag Sovetskij pisatel’ in einer Auflagenhöhe von 150.000 Exemplaren neu aufgelegt und in der postsowjetischen Zeit weiter rezipiert:310 2004 erscheint in der Buchreihe des Verlags OGI ‚Grečeskaja biblioteka‘ eine dritte Neuauflage mit 1.000 Exemplaren, die mit einem umfangreichen Vorwort des Philologen Vladimir Toporov versehen wird. Der Roman (im weiteren Verlauf Szenen genannt) markiert eine Wende in der schriftstellerischen Tätigkeit von Alexandropoulos, dessen Werk bis zu diesem Zeitpunkt die Erfahrung des Widerstands im Zweiten Weltkrieg und des griechischen Bürgerkriegs thematisiert und anhand der im zweiten Kapitel analysierten Merkmale eine Appropriierung des sozrealistischen Kanons darstellt. Zwischen dem Roman Nächte und Morgenröte und dem darauffolgenden Roman Szenen wird eine Gewichtsverlagerung in der peritextuellen Positionierung des Autors festgestellt, die zwar zum Teil von der differenzierten Thematik des zweitgenannten Romans diktiert wird, parallel jedoch die klare Tendenz einer Entideologisierung im Sinne einer allmählichen Entkoppelung aus dem Politischen reflektiert. Die Bezeichnung pisatel’-kommunist (SchrifstellerKommunist), die in Bezug auf den Autor in den Peritexten seiner in der Sowjetunion veröffentlichten Werke – bis hin zur dritten Ausgabe des Romans Nächte und Morgenröte im Jahr 1985 – wiederholt verwendet wird, ist im Roman Szenen nicht mehr vorhanden. In den verlegerischen Peritexten der sowjetischen Ausgaben des Romans steht – obwohl immer noch kurz erwähnt – nicht mehr das Engagement des Autors in sozialen Kämpfen im Vordergrund. Stattdessen wird seine Vermittlerrolle zwischen der griechischen und der russischen Kultur, die durch die Auswahl der Figur Maxims Kontur gewinnt, durch Bezugnahme auf seine biographischen Romane über Gor’kij und Čechov, sein russlandbezogenes historiographisches Werk und seine Übersetzungen russischer Literatur hervorgehoben, für deren „Popularisierung in Griechenland“ dem Autor 1979 der Internationale Gorki-Literaturpreis vom sowjetischen Schriftstellerverband verliehen wird. Darüber hinaus stellt die Verfassung der Peritexte von Phi-
Dieser Roman und der mit dem Tumanjan-Preis ausgezeichnete semi-dokumentarische Reisebericht Putešestvie v Armeniju (Reise nach Armenien), der erstmals 1984 in Armenien und 1985 in Moskau veröffentlicht wurde, sind die einzigen Werke des Autors, die in der postsowjetischen Zeit (jeweils 2004 und 2008) neu aufgelegt wurden.
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lologen – von dem Historiker und Paläografen Boris Fonkič311 und dem Sprachund Religionswissenschaftler Vladimir Toporov – eine publizistische Strategie dar, die im Vergleich zur peritextuellen Rahmung früherer Werke des Autors durch den repräsentativen sozrealistischen Schriftsteller Boris Polevoj,312 eine neu orientierte Vermarktung des Romans und Etablierung des Autors anstrebt. Bereits der Titel Szenen deutet auf den fragmentarischen Aufbau des Romans hin, der – in drei Kapitel unterteilt – ausgewählte Lebensepisoden Maxims aus der Perspektive eines auktorialen Erzählers schildert. Auf der Handlungsebene werden im ersten Kapitel die Ankunft und die ersten Aufenthaltsjahre Maxims in Moskowien dargestellt, während das zweite den Ereignissen gewidmet ist, die allmählich zu Ungnade, den Prozessen und schließlich zu seiner Inhaftierung führen. Der dritte Teil spielt in der Zeit Iwans IV. und erzählt von den letzten Lebensjahren Maxims in Gefangenschaft und seinen vergeblichen Versuchen, nach Griechenland zum Berg Athos zurückzukehren. Im Roman dominieren zwei diametral entgegengesetzte Motive, die sich durch die gesamte Handlung ziehen und den Hauptkonflikt des Romans formen: Das Bild eines zügellosen und korrupten russischen Klerus und eines an Erwerb materieller Güter und Befriedigung sinnlicher Lüste orientierten Adels wird der asketischen, charakterfesten und prinzipientreuen Persönlichkeit Maxims gegenübergestellt. In den zahlreich geschilderten Gesprächen Maxims mit Mönchen, Kirchenvätern, Persönlichkeiten der fürstlichen und bojarischen Aristokratie sowie der griechischen Diaspora Moskowiens wird Maxim als unermüdlicher Lehrer dargestellt. Mithilfe seines fundierten Wissens und einer bildhaften Rhetorik, die sich aus unterschiedlichen Quellen speist – Bibelgleichnissen, Erzählungen aus der Vita der byzantinischen Kaiser, Ereignissen der Geschichte der römisch-katholischen Kirche und Lehren der antiken Philosophie – versucht Maxim dem Aberglauben, den Vorurteilen und dem Halbwissen der Moskowiter die christliche Lehre und eine humanistische Ethik entgegenzusetzen. Ansichten und Urteile äußert er dabei in didaktischem, doch bescheidenem Ton, ohne Furcht und die von den Moskauer Kirchenvätern erwartete Unterwürfigkeit. Der Großfürst von Moskau Wassili III. wird hingegen als ein willensschwacher Herrscher dargestellt, der sich von den Geistlichen, die eigennützige Interessen verfolgen, beeinflussen und manipulieren lässt. Wassili schätzt Maxims Ehrlichkeit und fundierte Kenntnis, zeigt sich jedoch kaum in der Lage, dessen anspruchsvollem Gedankenfluss und dessen unerschöpflicher Rede zu folgen. In Gesprächen, in denen Fragen des Glaubens und Praktiken einer ehrbaren Staatsverwaltung thema-
Boris Fonkič (1938–2021), Professor für Altgriechische Philologie und Byzantinistik und Spezialist im Bereich der griechisch-russischen Beziehungen, war Mitbegründer und Leiter des Lehrstuhls für Byzantinische und Neugriechische Philologie der Lomonossow-Universität Moskau (1995–1996). Neben dem Vorwort zum Roman Gory verfasst Polevoj auch das Vorwort zur zweiten Ausgabe der Erzählungssammlung von Alexandropoulos Čudesa proischodjat vovremja (Sovetskij pisatel’, 1981).
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tisiert werden, belehrt Maxim den Großfürsten mit Parabeln über die moralischen Voraussetzungen des richtigen Regierens, während Wassili, dem die Position des Fragenden zugeteilt wird, von den komplexen Sinninhalten überlastet, verstimmt und schläfrig wird: Maxim setzte seinen Gedanken fort, aber Wassili hatte aufgehört ihm zu folgen. Er hörte seine Worte, aber verlor deren Sinn. Als ob sein Verstand nicht mehr funktionierte – und das passierte ihm häufig mit dem griechischen Mönch. (Alexandropoulos 2002, 124)313 In dem Moment fühlte der Großfürst Wassili seine Augenlider wieder schwer werden. […] Wenn Maxim über Sachen redete, die Wassili verstand, dann wachte er auf. Und wenn er die Gedanken des Mönchs nicht begriff, dann schlief er ein. (Ebd., 150)314
Durch die überspitzte Bildungsunterlegenheit des Großfürsten wird die außergewöhnliche Gelehrsamkeit Maxims kontrastierend hervorgehoben. Der Großfürst weist das stark parodierende Bild eines Regierenden auf, der wie ein Schüler im Unterricht einschläft, sich kindisch ärgert und in Verzweiflung gerät: […] wenn mir der Bischof Dositheos den Chrysostomos oder den Johannes von Damaskus oder irgendeinen Text der Imperatoren vorliest, verstehe ich alles und wenn ich Schwierigkeiten mit etwas habe, frage ich Dositheos und er erklärt es mir. Aber wenn der Grieche redet … – der Großfürst blieb still, es fiel ihm schwer zu sagen, was mit ihm passierte, wenn er sich mit dem Griechen unterhielt. (Ebd., 264)315
Die Parodierung des Großfürsten hat eine satirische Wirkungsintention, die sich gegen Personenkult316 und Mythisierung von Autorität wendet, und kann in Anbetracht der kulturellen Semantik der Vigilanz (bditel’nost’, bodrstvovanie) in der Sowjetunion als ein verdeckter systemkritischer intertextueller Verweis auf den sowjetischen Kult der Wachheit und insbesondere die Wachheit Stalins gelesen werden, der laut den bekannten parodierenden Versen Nikolaj Ėrdmans „im Kreml nie schläft“.317
„Ο Μάξιμος συνέχισε τη σκέψη του, μα ο Βασίλειος είχε πάψει να τον παρακολουθεί. Άκουγε τα λόγια του, αλλά έχασε τα νοήματα. Ο νους του σαν να έπαψε να δουλεύει – κι αυτό το πάθαινε συχνά με τον γραικό καλόγερο.“ „Ο πρίγκιπας Βασίλειος εκείνη τη στιγμή πάλι ένιωθε να βαραίνουν τα βλέφαρά του. […] Όταν ο Μάξιμος μιλούσε για πράγματα που ο Βασίλειος καταλάβαινε, τότε ξυπνούσε. Κι όταν τις σκέψεις του καλόγερου δεν τις εννοούσε, τότε αποκοιμιόταν.“ „[…] εγώ, όταν ο δεσπότης Δωσίθεος μου διαβάζει τον Χρυσόστομο ή τον άγιο Δαμασκηνό ή κανένα κείμενο των αυτοκρατόρων, τα καταλαβαίνω όλα κι άμα σε κάτι δυσκολευτώ ρωτάω ευθύς τον Δωσίθεο κι ο Δωσίθεος μου το εξηγάει. Αλλά όταν μιλάει ο γραικός... – Ο Πρίγκιπας σώπασε, δυσκολευόταν να πει τι ακριβώς του συνέβαινε όταν συνομιλούσε με τον γραικό.“ Zum Personenkult in der Zeit Brežnevs siehe Polly Jones’ Kapitel „The Cult of Personality in the Early Brezhnev Era“ in ihrer Monographie Myth, Memory, Trauma: Rethinking the Stalinist Past in the Soviet Union, 1953–70 (2013). „[…] В миллионах разных спален / Спят все люди на земле… / Лишь один товарищ Сталин / Никогда не спит в Кремле“ (In Millionen von Schafzimmern / schlafen die Menschen auf aller Welt… / Alleine Genosse Stalin / schläft nie im Kreml). Russisch zit. n. Svobodin 1990, 337. In
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Durch die Gegensätzlichkeit der zwei Figuren nach dem Muster ‚wach vs. schlafend‘ wird Maxim in erster Linie als wichtige Überbrückungsfigur für den Übergang einer ‚verschlafenen‘ mittelalterlichen Rus in eine Art Renaissance vermittelt.318 Mit dem wachen Geist eines Homo Universalis setzt Maxim dem Obskurantismus humanistisches Denken entgegen und kultiviert in Bezug auf Sprache und Text ein philologisches Bewusstsein, welches von einem ethischen nicht zu trennen ist. Der Roman weist zahlreiche metapoetische Passagen auf, die Maxims Reflexion und Didaxen über die Tätigkeiten des Schreibens und Übersetzens darstellen. Das Pflicht- und Verantwortungsbewusstsein des Gelehrten in Hinblick auf den Umgang mit Texten wird von Maxim mit dem eines Wegbereiters verglichen: Der einfache Leser überspringt diese Stelle und geht weiter. Die Aufgabe des Gelehrten ist jedoch eine andere Sache. Es ist als ob du auf dem Weg läufst, dann plötzlich nach vorn schaust und siehst: es gibt keinen Weg. Er ist mit Schilf und Schachtelhalmen zugewachsen, wenn du in einen Sumpf gelangtest, mit Disteln und Seggen und anderen Wildgräsern, wenn du in die Wüste gerietst […]. Der gewöhnliche Wanderer watet durch den Sumpf, tritt auf Dornen […] und geht schließlich auf die Straße hinaus. Aber du, demütiger Gelehrter, du bist kein vorbeifliegender Zugvogel, sondern Steuermann, Wegbereiter und Soldat. Mit der einen Hand hältst du das Steuer, mit der anderen die Hacke. Da wo du jetzt stehst, musst du den Weg für die anderen bereiten, die nach dir kommen … […]. (Alexandropoulos 2002, 168)319
Die nautisch-militärische Metaphorik weist auf die Rolle des Schreibenden als Vorkämpfer hin, dessen Engagement für die Übermittlung der Kulturgüter Selbstaufopferung voraussetzt und eine missionarische Tätigkeit darstellt. Maxim verkörpert
seiner Rolle als ‚Wachmann‘ des Staates soll der sowjetische Führer fähig zu dauernder Aufmerksamkeit sein (vgl. Kuljapin 2013). Zu den Transformationen und Funktion dieses Motivkomplexes siehe auch Dobrenkos Beitrag „Na ischode stalinskoj noči“ in seiner Monographie Pozdnij stalinizm: ėstetika politiki 2 (2020). Mit der umfassenden Problematik bezüglich der Existenz einer russischen Renaissance und der Frage nach den Wurzeln der russischen Kultur hängt die ‚Kontroverse‘ zwischen Foncič und Toporov in den Peritexten der Romanausgaben zusammen: Während Fonkič Maxim den Griechen mit erweitertem Buchstabenabstand und Kursivierung als „russischen“ Autor einführt (1980, 303; 1983, 308), betont Toporov ebenfalls durch Spationierung, dass Maxim „griechisch“ sei (2004, 12). Für Näheres zur Gesamtproblematik siehe Dmitrij Lichačëvs Izbrannye trudy po russkoj i mirovoj kul’ture (2015) und seine unter der Kapitelüberschrift „Istorija kak kul’turnaja biografija čelovečestvo“ systematisierten Schriften (insbesondere den Beitrag „Kul’tura Rusi vremen Andreja Rubleva i Epifanija Premudrogo“). „Ο απλός αναγνώστης προσπερνάει και φεύγει. Του γραμματικού όμως το έργο είναι άλλο. Είναι σαν να πηγαίνεις σ’ ένα δρόμο και κοιτάς ξαφνικά εμπρός – βλέπεις πως δρόμος δεν υπάρχει: τον πνίξαν τα σπαθόχορτα κι οι σπαρτουλιές αν βρέθηκες σε βάλτο, η αφαλαρίδα και η τρίβολος κι άλλου είδους αγριόχορτα αν έπεσες σ’ έρημο αγρό […]. Ο απλός οδοιπόρος βουτάει στα νερά, πατάει το αγκάθι […] περνάει. Αλλά εσύ, ταπεινέ γραμματικέ, δεν είσαι διαβατάρικο πουλι, είσαι πηδαλιούχος, σκαπανέας και στρατιώτης. Στο ένα χέρι κρατάς πηδάλιο, στο άλλο τσαπί και ξινάρι. Εδώ που βρέθηκε τώρα, οφείλεις να σταθείς και ν’ ανοίξεις δρόμο για τους άλλους που θα ’ρθουν μετά από σένα…[…].“
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das Ethos des Intellektuellen, zu dessen Selbstverständnis über die Belesenheit hinaus moralisches Handeln gehört. Ursprünglich wird die Lehre Maxims im Roman durch den orthodoxen Glauben ethisch begründet, der sich jedoch durch einen pragmatischen, undogmatischen, auf ein ethisch-moralisches Verständnis von Religion fokussierten Ansatz mit weltbejahenden Zügen auszeichnet, in dessen Kern humanistische Grundwerte liegen. Im Laufe der Erzählung unterliegt die Rhetorik Maxims einem wesentlichen Wandel. Allmählich distanziert sie sich von der religiösen Argumentation und beruft sich immer mehr auf säkulare – vorwiegend alte griechische – Literatur. Vom Prediger der Rechtgläubigkeit entwickelt sich Maxim zur Verkörperung des Universalmenschen. Bezeichnend für diese Transformation ist eine Schreibszene im letzten Teil des Romans. Kurz vor seinem Lebensende und nachdem seine Versuche, zurück zum Berg Athos zu kehren, gescheitert sind, adressiert Maxim ein Schreiben an die Moskowiter, in dem er sie über den richtigen Umgang mit zukünftigen Gästen ihres Landes belehrt: „Und wie Sie von den heiligen Schriften wissen …“ – an dieser Stelle will Maxim Anweisungen gastfreundlichen Verhaltens aus religiösen Texten anführen, aber plötzlich entschließt er sich anders und formuliert den Satz um: Und wie Sie von den heiligen Schriften wissen … Nein. Er nahm den Federkiel in die Hand und strich mit drei dicken Linien die letzten drei Wörter. Und Sie wissen, dass auch Onkel Homer über das heilige Gesetz der Gastfreundschaft mit folgenden Worten spricht: […]. (Alexandropulos 2002, 459, Hervorh. im Orig.)320
Die Verlagerung der Autoritätsberufung von der Bibel auf Homers Odyssee signalisiert eine Säkularisierung der Denkweise Maxims, der nunmehr als Humanist zu einer Art ‚ad fontes‘ aufruft. Durch die Erhebung des Epos zur Quelle von Wertvorstellungen und ethischen Prinzipien wird der christliche Glaube als notwendige Voraussetzung moralischen Handelns relativiert. Alexandropoulos’ Modellierung der literarischen Figur Maxims als Vermittler des altgriechischen Schrifttums ist hierbei von besonderem Interesse in Anbetracht der historiographischen Feststellung von Bedenken des historischen Maxims gegen die Faszination seiner russischen Leser für altgriechische Autoren wie Homer, Platon und die griechischen Tragödiendichter (vgl. Lichacëv 1980, 318). Der Rückgriff Maxims auf die säkulare humanistische Tradition am Ende des Romans kann als Parallelisierung der (literarischen) Biographie des Gelehrten mit der seines Autors gelesen werden, oder anders gesagt, als Alexandropoulos’ Modellierung der Figur als Präfiguration seiner selbst und seiner auktorialen Neupositionierung – eventuell auch dadurch als subtiler Kommentar der kommunistischen Ideologie als Religion.
„Και γνωρίζετε από τη Γραφή...Όχι. Πήρε την πένα, σκέπασε με παχιά τριπλή γραμμή τις τρεις τελευταίες λέξεις. Και γνωρίζετε ότι και ο θείος Όμηρος με τούτα δω τα λόγια μιλάει για τον ιερό νόμο της φιλοξενίας: […].“
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Die literaturkritische Rezeption des Romans machen größtenteils erfahrungszentrierte und den (auto)biographischen Aspekt stark in den Vordergrund stellende Ansätze aus, die auf Grundlage der offenkundigen biographischen Parallelen zwischen dem Autor und der historischen Figur Maxim321 den Roman vorwiegend als Verhandlung des Fragenkomplexes Exil und Identität lesen. Aus der Innenperspektive, die Il’inskaja ihrer persönlichen Beziehung zum Autor verdankt und die sich in der Erläuterung des Aufsatztitels „Zeugenaussage“ manifestiert, betrachtet die Hellenistin den Roman als ein „Exilwerk par excellence“, dessen Kern die „Entwurzelung“, „eine gewaltsame Trennung des Helden (und auch des Autors) von dem Raum, zu dem er gehört und wo er sich zu leben wünscht“ ausmacht (Ilinskagia 1997, 44). Mpalta sieht den Roman teilweise als Ergebnis der Verarbeitung von „Exilerfahrungen“, die „die Identität [des Autors] zu neuen Synthesen führen“ (Mpalta 2011, 207). Mithilfe der national-kulturellen Identitätskategorien des Eigenen und Fremden spürt Civ’jan die „in der fremden Umgebung erhaltene Gräzität“ („grečeskost’“) des Romanhelden auf (2007, 336). Neben den oben erwähnten und von Nebenmotiven des Romans legitimierten Betrachtungsweisen rückt Stauropoulou den Fokus auf das Genrepotenzial des historischen Romans einer kritischen Verhandlung der Gegenwart und thematisiert in diesem Zusammenhang die Analogie zwischen der behandelten historischen Epoche und dem Entstehungskontext des Romans, die sich im Übergangscharakter der Zeiten manifestiert, die Maxim in Moskowien und Alexandropoulos in der Sowjetunion der Nachkriegszeit erleben (vgl. Stauropoulou 2001). Auf diesen Aspekt verweist Alexandropoulos ausdrücklich in seinem späteren autobiographischen Werk Auta pou menoun (Was bleibt): Die Idee für dieses Buch fand sich von Anfang an in den Überlegungen, die Chruschtschows Enthüllungen hervorriefen und die Dilemmata und echte Schuldgefühle verursachten, aber auch politische Gedanken, die bis gestern völlig undenkbar waren. In diesen Jahren wurde Moskau überschwemmt von den Überlebenden, die aus den Gulags zurückkehrten. Und sie erzählten Sachen, die selbst unsere Vorstellungen von den alten russischen Katorgas bei weitem überschatteten. (Alexandropoulos 1994, 52)322
Das Interesse des Autors beim Befassen mit dem historischen Material gilt laut auktorialem Vorwort der sowjetischen Ausgabe nicht der Verfassung einer Biographie
Beide sind Griechen, Literaten und Übersetzer, die einen wesentlichen Teil ihres Lebens im russischen Exil verbringen. Alexandropoulos kann als Kommunist nicht nach Griechenland zurückkehren, da er aufgrund seiner Widerstandstätigkeit und politischen Ansichten von Inhaftierung bedroht wird, während Maxim die Rückkehr in die Heimat nicht erlaubt wird. „Από την αρχή η ιδέα γι’ αυτό το βιβλίο βρέθηκε μέσα στους προβληματισμούς που ανέβασαν απάνω οι αποκαλύψεις του Χρουσώφ προκαλώντας διλήμματα κι αληθινές τύψεις, αλλά και σκέψεις πολιτικές, τελείως αδιανόητες ως χθες. Εκείνα τα χρόνια πλημμύριζε η Μόσχα από αυτούς που γύριζαν από τα στρατόπεδα, όσοι είχαν επιζήσει. Και τους άκουγες να διηγούνται πράγματα που άφηναν πολύ πίσω, επισκίαζαν τελείως, κι αυτές ακόμα τις παραστάσεις που είχαμε για τα παλιά ρωσικά κάτεργα.“
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Maxims, sondern der Annäherung der „menschlichen, geistigen und Moralhaltung des Individuums in den verschiedensten Lebenskollisionen“323, die in Zeiten des „Welt-Wechsels“ („smena mirov“) – wie der Autor das mittelalterliche Moskauer Russland324 betrachtet – besonders intensiv hervortreten (Aleksandropoulos 1980, 3 f). Trotz der Gattungsangabe ‚Roman‘, die den Text als fiktional einstuft, und der deutlich artikulierten Autorintention betonen sowohl Fonkič als auch Toporov, der das Werk einen Dokumentarroman („roman-issledovanie“) nennt (2004, 41), wiederholt in den Peritexten die Treue an historischer Realität und Wahrheit. Beide – mit einem Zeitabstand von 24 Jahren – fokussieren die historische Person Maxims ohne Bezugnahme auf die spezifische Rezeptionssituation der Entstehungszeit des Romans, im Rahmen deren nicht die ohnehin bedingte Faktizität, sondern die literarische Modellierung der Figur von vorrangiger Bedeutung ist. Dies wird noch deutlicher durch die vergleichende Betrachtung einer weiteren ‚griechischen‘ literarischen Annäherung Maxims in einem anderen Kontext. Fast zur gleichen Zeit verfasst der griechische Journalist und Autor Kostas Sardelis (1932–2007) den biographischen Roman Maximos o Graikos (1972), der mitten in der Zeit der Militärdiktatur (1967–1974) und ihrer Zensurmaßnahmen in Athen erscheint und mit dem griechischen Staatsliteraturpreis ausgezeichnet wird (1973). Beide Romane fokussieren die ‚russische‘ Lebensphase Maxims, haben jedoch unterschiedliche Zielsetzungen. Sardelis’ Roman ist von kirchlichen Termini und religiösen Exklamationen durchzogen, die im Gegensatz zu Alexandropoulos’ Roman nicht wegen der sprachlichen Darstellung des ehemaligen Zeitgeistes verwendet werden, sondern in der mystifizierenden und pompösen Rede der auktorialen Erzählinstanz integriert sind, und zeichnet sich insgesamt durch eine national-patriotische Rhetorik aus, die auf Blutmetaphorik bezüglich der Ethnosbildung zurückgreift. Tonangebend sind hierbei die Überlegenheit der griechischen Nation gegenüber den Osmanen und der Orthodoxie gegenüber dem Katholizismus. Einen fundamentalen Unterschied zwischen den Romanen macht die Darstellung der Hauptfiguren aus. Im Gegensatz zum willensschwachen Großfürsten Wassili III. der Szenen tritt er in Sardelis’ Roman selbstbewusst und scharfsinnig auf und diskutiert aktiv über Fragen der Religion und der internationalen Politik. Während Alexandropoulos’ Maxim vorwiegend Fragen des Glaubens und der Ethik beschäftigen, ist Sardelis’ Figur vielmehr mit der Förderung der Interessen der versklavten griechischen Nation beauftragt. Die philologische und übersetzerische Tätigkeit von Maxim wird von Sardelis nur flüchtig thematisiert.
„[…] человеческая, духовная, нравственная позиция личности во всевозможных жизненных коллизиях.“ Das Zeitalter der Moskauer Rus stellt in der Tauwetterzeit den Schauplatz zahlreicher historischer Romane (vgl. Pašuto 1963; Kargalov 1971) und Kinofilme dar, beispielsweise in Andrej Tarkovskijs prominentem Film Andrej Rubljow (1966). Alexandropoulos’ Roman weist mehrere auffällige Parallelen zum Film, der die Bemühungen des Ikonenmalers thematisiert, trotz der erschwerten Bedingungen seiner Zeit den Glauben an die Aufgabe der Kunst zu bewahren.
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Im Gegensatz dazu erlangt die im Roman Szenen extensiv thematisierte Übersetzungsreflexion Maxims, deren zentrales Anliegen der Übersetzende als ethisches Subjekt ausmacht, im Hintergrund der sowjetischen Übersetzungspraktiken und insbesondere in Hinblick auf Alexandropoulos’ eigene übersetzerische Vorgeschichte besonderes Gewicht. Die Übersetzungsgeschichte seines Romans Noči i rassvety (s. Unterkapitel 2.2.2) lässt die Fiktionalisierung der Übersetzerfigur Maxim als eine narrative Strategie betrachten, die – in der im sowjetischen Kontext verbreiteten Manier der ‚äsopischen Sprache‘ – eine allegorische Artikulation von Bedeutung ermöglicht, und den Roman als Translationsfiktion325 einordnen, die zum Verhältnis zwischen Übersetzung, Ideologie und Macht Position bezieht.326 Ein charakteristisches Beispiel stellt die Diskussion dar, die zwischen Maxim und den ihm assistierenden Mönchen anlässlich der Übersetzung einer Passage stattfindet, die von der ‚immerwährenden Jungfräulichkeit Marias‘ handelt. Es wird nach einer Formulierung gesucht, die die Jungfrauengeburt passend wiedergibt. In den Texten herrsche hinsichtlich dieser Stelle große Unklarheit: „Jeder Biograph stellte diese Details je Der vom cultural turn abgeleitete fictional turn in der Translationswissenschaft wendet sich seit Mitte der neunziger Jahre zunehmend übersetzungstheoretischer Reflexion in fiktionalen Werken zu und identifiziert darin Erkenntnispotenzial durch Vermittlung von wissenschaftlichen sowie Alltagsund Handlungstheorien (vgl. Kaindl 2013; Babel 2015; Arrojo 2018). Translationsfiktionen illustrieren durch fiktionale Repräsentationen synkretistischer Figuren wie der Figur des Übersetzenden theoretische, poetologische, kulturelle und ethische Aspekte der Übersetzungstätigkeit. Alexandropoulos’ Roman Szenen steht in dieser Hinsicht in einer reichen Tradition übersetzungsbezogener Literatur der spät- und postsowjetischen Zeit. Arsenij Tarkovskijs Gedicht Perevodčik (Der Übersetzer, 1960), das eine ganze Reihe von selbstreferentiellen lyrischen Repliken auslöst (vgl. Mkrtyčjan 1978), Jurij Trifonovs satirische Novelle Predvaritel’nye itogi (Zwischenbilanz, 1970), Aleksandr Volodins Drehbuch zum beliebten sowjetischen Film Osennij marafon (Herbstmarathon, 1979) und Semën Lipkins Roman Dekada (1983) sind nur einige Beispiele übersetzungsrelevanter und zugleich system- und sozialkritischer sowjetischer Literatur dieser Zeit. Ähnliches gilt auch für andere Motive des Romans. Im Hintergrund der lange vom sozialistischen Realismus reglementierten sowjetischen Kunstproduktion lassen die ekphrastischen Bezugnahmen Maxims auf Ikonen als äsopische Sprache anklingen, der sich der Autor bedient, um über den Umgang mit Kanons, künstlerischer Freiheit und ästhetischer Autonomie zu reflektieren: “Es bedeutet nichts, sagte er, dass sich der Meister vom Kanon entfernte und statt der Gottesmutter und Johannes den Täufer zwei Engel malte. Es ist lobenswert, wenn ein Künstler dem Kanon folgt, aber ist es denn nicht wichtiger, die lebendige und reine Geistigkeit der Bilder und Gemälde wiederzugeben? […] Wir kennen Ikonen, heiliger Herrscher, bei welchen die Regeln eingehalten sind, aber vergeblich sucht man in ihnen nach Gottheit, denn die Hand des Meisters war nicht von Gott geführt. Sie malen das Gesicht des Erlösers wie erwartet, sie tun alles wie es die Vorschriften verlangen. Aber es gibt da keine Seele […]. Und wozu brauchen wir die Vorschriften, wenn das göttliche Wesen verzerrt wird? (Alexandropoulos 2002, 55). Zum Einsatz von äsopischer Sprache als literarische Strategie, um kritische oder anti-konforme Inhalte zu maskieren, siehe beispielhaft Maliheh Tyrrells Aesopian Literary Dimensions of Azerbaijani Literature of the Soviet Period, 1920–1990 (2000) und Irina Sandomirskajas Aufsatz „Aesopian language: the politics and poetics of naming the unnameable“ (2015). Zu äsopischer Sprache als übersetzerische Strategie im sowjetischen Kontext siehe Samantha Sherrys Kapitel „Resisting censorship“ (2015).
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nach Erleuchtung und Grad seiner Heiligkeit unterschiedlich dar“ (Alexandropoulos 2002, 167).327 Die Mönche hegen jedoch keine Illusionen über die ‚Fakten‘ der Empfängnis: „[…] es gibt einige Dinge in den Schriften, wo die Wahrheit bezüglich des Wichtigen und Wesentlichen mehr als offensichtlich ist. Was die Details betrifft, sie sagen uns nichts“ (ebd., 170).328 Einer der Mönche schlägt vor, die kontroverse Stelle durch Verschweigen zu überspringen, das er als eine im Vergleich zu „vagen Äußerungen und Unklarheiten“ (ebd., 171) bevorzugte Praxis sieht. Die anderen Mönche reagieren darauf: Verschweigen, sagst du? […] Du empfiehlst uns eine Lücke im Text zu lassen, Bruder Isak? Schlimmer kann man es sich kaum vorstellen! Wie kann man Wörter und Zeilen aus den heiligen Schriften streichen? Wir, Bruder Isak, verfassen nicht die Vita der Gottesmutter erneut – sagte Maxim ruhig. Wir übersetzen die alte Schrift und versuchen sie nur sachgemäß in die andere Sprache zu übertragen. (Alexandropoulos 2002, 171)329
Mit dieser Aussage fasst Maxim die Essenz des Äquivalenzbegriffs zusammen und plädiert damit für prinzipielle Adäquatheit zwischen Ausgangs- und Zieltext, die durch ihre philologische, linguistisch orientierte Herangehensweise jegliche Texteingriffe auf elementarer Ebene ausschließt. Laut Anweisung Maxims soll die Grenze zwischen dem geistigen und dem materiellen Aspekt der Empfängnis im gesuchten slawischen Begriff330 entsprechend dem Original fließend sein: […] zum ersten Mal vermied Maxim zu einer klaren Bedeutung zu kommen. Er ließ zu, dass die Unbestimmtheit und Unklarheit des alten Textes in den neuen hinüberkommt. Und er hatte, natürlich, recht, indem er so handelte, er konnte nicht anders. (Alexandropoulos 2002, 172)331
Obwohl er auch persönlich über die genaue Bedeutung der in Frage kommenden Textstelle zweifelt – „[…] ich wünschte, es wäre so …“ (ebd., 173) – lehnt er das vorgeschla-
„Ο κάθε βιογράφος, ανάλογα με τη φώτιση και το βαθμό της αγιότητάς του, με διαφορετικό τρόπο παρουσίαζε τις λεπτομέρειες αυτές.“ „[…] υπάρχουν ορισμένα πράγματα στις Γραφές όπου η αλήθεια είναι πασιφανέστατη απάνω στο κύριο και το ουσιώδες. Κι όσο για τις λεπτομέρειες, αυτές δε μας λένε τίποτα.“ „Δια της σιωπής λες; […] Μας συμβουλεύεις ν’ αφήσουμε στο κείμενο παράλειψη; Μα γίνεται άλλο χειρότερο; Φράσεις να σβήνουμε και λέξεις από τα ιερά βιβλία; Εμείς, αδελφέ Ισαάκ, είπε γαλήνια ο Μάξιμος, δεν γράφουμε εξυπαρχής τον Βίο της Θεομήτορος. Μεταφράζουμε την παλαιά συγγραφή κι άλλο δεν έχουμε παρά να βρούμε φωτισμένο τρόπο να την μεταφέρουμε από τη μια γλώσσα στην άλλη.“ In den ersten Jahren seiner Übersetzungstätigkeit in Russland konnte Maxim kein Kirchenslawisch oder Russisch. Die Übersetzung erfolgte mithilfe russischer Übersetzter aus dem Kirchenslawischen und dem Griechischen ins Lateinische und anschließend vom Lateinischen ins Kirchenslawische – dieses Verfahren wird jedoch in dem Roman nicht problematisiert. „[…] τούτη τώρα ήταν η πρώτη φορά που ο Μάξιμος απόφευγε να φτάσει στην καθαρή σημασία. Άφηνε να περάσει στο καινούριο κείμενο η αοριστία κι η ασάφεια του παλιού. Και είχε, βέβαια, δίκιο ενεργώντας έτσι, δεν μπορούσε να κάμει αλλιώς.“
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gene Täuschungsmanöver ab und handelt – laut Erzähler – berufsethisch in einer Demonstration guter Übersetzungspraxis. Maxims Korrektur- und Übersetzungsarbeit entwickelt sich zur zusätzlichen Konfliktquelle mit Daniil, dem Metropoliten von Moskau, der seine Machtstellung durch die Anwesenheit Maxims in Moskau bedroht sieht: Auch uns hat der Gerücht erreicht […] dass du, ein gelehrter Mensch, in unseren gottesdienstlichen und anderen Büchern Fehler findest. […] Aber ich denke, dass du doch umsichtig sein sollst. Da, wo es dir scheint, dass du einen Fehler siehst, zweifle überhaupt nicht, dass dies der Wille des Herrn sein kann […]. Heiliger Bruder – antwortete Maxim – einen Fehler im Text zu finden ist nicht schwer. Man muss ihn nur mit dem Original vergleichen. Euer Gnaden vergisst, dass wir nicht auf dem Heiligen Berg Athos sind? Unser Staat ist jung und unerfahren, wehe uns, wenn sich die Versuchung des Zweifels am heiligen Text in die Seele des Gläubigen einschleicht. (Ebd., 58 f.)332
Maxim wehrt sich gegen die utilitaristische Logik des Metropoliten, der unter dem Vorwand des Gemeinwohls und des maximalen Gesamtnutzens die Ethik des translatorischen Handelns auf die Zweckmäßigkeit reduziert, und erhebt Einwände hinsichtlich sowohl der Mittel als auch des Zwecks: Maxim hob die Hand und brachte ihn zum Schweigen. – Glaubst du wirklich, dass es vernünftig ist, das Wesentliche zu vernachlässigen und die verzerrte Form zu behalten? Was ist schlimmer, der Irrtum, den wir ignorieren, oder die Forschung, die uns wieder auf den richtigen Weg bringen wird? Wo kommen wir hin, wenn wir dem falschen Weg folgen? (Ebd., 59 f.)333
Außerhalb der rein philologischen Textarbeit und in seiner Rolle als Übersetzer im Sinne eines durch den sprachlichen Zugang zu Texten auch Zugang zu Wertesystemen gewährenden Vermittlers, handelt Maxim aus einem konsequentialistischen moralischen Standpunkt heraus. So lehnt er beispielsweise die Übersetzung eines Buches ab, von dem er glaubt, Öl ins Feuer der Häresien zu gießen, wodurch der Volksglaube geschwächt werden könnte, und wählt somit erneut den Weg der Konfrontation mit den religiösen Autoritäten, die den Grund der Verweigerung in seiner
„Έφτασε κι ως εμάς η φήμη πως η λογιότης σου βρίσκει στα λειτουργικά και τ’ άλλα μας βιβλία σφάλματα. […] Αλλά όμως θαρρώ πως πρέπει κι εσύ να είσαι προσεχτικός. Εκεί που θαρρείς πως βρήκες ένα λάθος, διόλου μην αμφιβάλλεις πως μπορεί να είναι η ίδια η θέληση του Κυρίου […]. Άγιε αδελφέ, για να βρεθεί ένα λάθος των κειμένων, το πράγμα δεν είναι δύσκολο. Δεν έχεις παρά να το παραβάλεις με το αρχέτυπο. Λησμονάει η χάρη σου πως δε βρισκόμαστε στο Όρος; Η δική μας πολιτεία εδώ είναι νέα και άπειρη, αλίμονο αν ο πειρασμός της αμφιβολίας για το ιερό κείμενο αφήσουμε να μπει στην ψυχή του πιστού.“ „Ο καλόγερος ύψωσε το χέρι του και τον σταμάτησε. […] Λες πως είναι φρόνιμο να παραβλέψουμε την ουσία για να προσηλωθούμε στον ψευδή τρόπο; Ποιο είναι το χειρότερο: η πλάνη που την αγνοούμε ή η έρευνα που θα μας ξαναφέρει στον σωστό δρόμο; Αν συνεχίσουμε να περπατάμε σφαλερά που θα πάμε;“.
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ablehnenden Haltung gegenüber Klostereigentum sehen. Seine Übersetzungsarbeit wird zum Vorwand weiterer Repressionen. In enger motivisch-gestalterischer Verwandtschaft sowohl mit dem positiven Helden des Sozrealismus, dessen bedingungslose Hingabe an die höhere ‚gemeinsame Sache‘ mit den Topoi der Arbeit und der Literatur als Waffe eng verbunden ist (man denke beispielsweise an Ostrovskijs Pavel Korčagin), als auch mit der in der Weltliteratur gut bekannten Märtyrerfigur, die für das Bekenntnis ihres Glaubens Folter erleidet und es mit dem Tod besiegelt (vgl. Frenzel 1992, 485), bleibt Maxim die ganze Romanhandlung hindurch seinen Prinzipien treu, kämpft für seinen Glauben und erträgt stoisch die körperlichen Torturen, denen er ausgesetzt wird. Im Kapitel „Gimn Šestomu Pal’cu“ (Hymne auf den Sechsten Finger) wird geschildert, wie es Maxim, während er von Iwans Soldaten geschlagen und gefoltert wird, gelingt, seinen so genannten sechsten Finger – eine Metapher für seinen Federkiel – zu retten: Die größte Leistung seines Lebens, wenn es eine Leistung in seinem Leben gab, war, dass er es schaffte, diesen sechsten Finger beizubehalten, wohin er auch immer verschleppt wurde, was er auch immer ausgesetzt war. Er wurde geschlagen und er dachte an seine Hoffnung, an seinen sechsten Finger. Das Blut, das aus den Wunden floss, benutzte er als Tinte. […] Als Papier dienten ihm seine Handflächen, die Wände, die Böden, die Decken. […] Es war doch nicht so wichtig, wo er schrieb, wichtig war, dass er schrieb. […] Er selbst war im Kerker, aber seine Schriften lebten in Freiheit. (Alexandropoulos 2002, 330 f., Hervorh. im Orig.)334
Die körperliche Besonderheit des sechsten Fingers metaphorisiert die lebenswichtige Bedeutung der Schreibtätigkeit als Sinnbild der geistigen Freiheit. Der langjährigen Haftsituation und Folterung gelingt die Amputation des (s)akralen Schreibwerkzeugs und somit die geistige Lähmung Maxims nicht. Das Schreiben, das er unaufhörlich und unter allen Umständen – selbst wenn er bereits mit kochendem Wasser übergossen wird – praktiziert, bildet die Widerstandsform des Intellektuellen gegen die Unterdrückung und Grausamkeit der autoritären Macht. Sowohl innerhalb des religiösen Geltungsbereichs als auch in seinen säkularisierten Variationen, zu denen auch der sozialistische Märtyrerheld gezählt wird (vgl. Schmieder 2007), ist für das Motiv des Märtyrers das Oppositionspaar ‚Märtyrer vs. Tyrann‘ charakteristisch, das sich induktiv auf die universale und epochenübergreifende Opposition ‚Andersdenkende vs. totalitäre Macht‘ übertragen lässt. Bezogen auf den sozialpolitischen Entstehungszusammen-
„Και το μεγαλύτερο κατόρθωμα της ζωής του, αν έκανε κι αυτός ένα κατόρθωμα, ήταν τούτο ακριβώς, ότι έτσι σφηνωμένο μπόρεσε να το κρατήσει παντού όπου τον πήγαν, μέσα σε όλα που έπαθε. Εκείνοι τον έδερναν κι αυτός συλλογιζόταν την ελπίδα του, το έκτο δάχτυλό του. Το αίμα που έρεε από τις πληγές, το έκανε μελάνι. […] Χαρτί είχε τις απαλάμες του, τους τοίχους, τα πατώματα, τις οροφές. […] Δεν είχε όμως αξία πού έγραφε κάθε φορά, αρκεί ότι έγραφε. […] Ο ίδιος ήταν στη φυλακή, μα οι γραφές του περπατούσαν στην ελευθερία.“
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hang des Romans lässt sich dieses Oppositionsschema von Moskau als ‚Drittes Rom‘335 der mittelalterlichen Rus auf das von Clark symbolisch als ‚Viertes Rom‘ bezeichnete Moskau der Stalinzeit (2011), von Iwan dem Schrecklichen auf die Herrschaft Stalins336 oder den Neostalinismus Brežnevs und von Maxim den Griechen sowohl auf die sowjetischen Dissidenten als auch auf die griechischen Linken und Kommunisten projizieren, die wiederholt Repressionen, Schauprozessen und Verbannung unterworfen werden. Aufgrund der zeitlichen Nähe zur Romanverfassung sei hier beispielhaft an den 1966 stattgefundenen Strafprozess gegen die sowjetischen Schriftsteller Daniėl’ und Sinjavskij erinnert, die wegen der Publikation ihrer Werke im Ausland für anti-sowjetische Agitation und Propaganda zu Haft im Arbeitslager verurteilt werden (vgl. Putz 2019). Als Bezug darauf liest sich die Schilderung der Prozesse gegen Maxim im zweiten Romankapitel, die als Simulation eines Gerichtsverfahrens konstruiert ist, und das darauf folgende faktographische Kapitel „Za i protiv. Sud istorii“ (Pro und Kontra. Das Gericht der Geschichte), in dem der Autor den Angeklagten durch Zitieren von Auszügen aus diversen Quellen der Sekundärliteratur dem Urteil der ‚Geschichte‘ (und der Leserschaft) überlässt. Zugleich geht Alexandropoulos’ Narrativ in seinem Grundriss auch mit der offiziellen Linie konform, in der die Helden Widerstand gegen den zaristischen Absolutismus leisten. Insbesondere im Rahmen der russisch-sowjetischen Geschichte ist der Topos des Martyriums konstitutiv für die Etablierung als Intellektueller im russischen Diskurs des Dissidententums. In einem offenen Brief an die Redaktion der Literaturzeitschrift Novyj mir mit dem Titel „O russkoj intelligencii“ (Über die russische Intelligenzija), in dem Lichačëv in den frühen 1990er Jahren die moralische Dimension des Intellektuellen-Status problematisiert und ihn von der vorwiegend beruflichen Konnotation abgrenzt, die er in der Sowjetzeit erlangt hat, nennt Lichačëv Maxim „den ersten Intellektuellen in Rus“ (Lichačëv 1993, 5): „Durch sein Leben in der Rus hat er sozusagen den Weg sehr vieler Intellektueller vorgezeichnet“ (ebd). Im nunmehr postsozialistischen Kontext weist auch Toporov im Vorwort der dritten Auflage auf den exemplarischen Charakter der Figur Maxim für das Schicksal des Intellektuellen in Russland hin: Und der Leser wird tiefer über die seit langem bestehende Ungerechtigkeit nachdenken, die seit Jahrhunderten in seinem Heimatland in verschiedenen Varianten verschiedenen Menschen – sowohl den Eigenen als auch Fremden gegenüber, wahllos – widerfährt. (Ebd., 42)
Für eine Analyse der politisch-anthropologischen Konnotationen dieser Denkfigur in der Sowjetzeit siehe beispielhaft den Aufsatz von Franziska Thun-Hohenstein „‚Moskau – Drittes Rom‘. Nachklänge einer alten Denkfigur in der russischen Kultur des 20. Jahrhunderts“ (2006). Die Figur Iwans IV. metaphorisiert in der sowjetischen Literatur und im Kino häufig Stalins Terrorherrschaft (vgl. Dobrenko 2000). Zur Rezeptionsgeschichte Iwans IV. in der Sowjetzeit siehe beispielhaft Maureen Perries The Cult of Ivan the Terrible in Stalin’s Russia (2001).
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Gelesen als systemkritische Allegorie und metatranslatorischer Kommentar zur Übersetzungsethik macht sich Alexandropoulos’ Roman auf die Suche nach Maxims ‚sechstem Finger‘, der im Namen des sowjetischen Weltliteraturprojekts durch massive Auslassungen und modifizierende Operationen bei Übersetzungsprozessen wiederholt amputiert worden ist.
4 Schlussbemerkungen Die vorliegende Arbeit hatte sich zum Ziel gesetzt, die narrativen und literaturpragmatischen Realisierungsstrategien des Transfers neugriechischer Literatur in die Sowjetunion zu erforschen und fokussierte zu diesem Zweck Zwischenräume der Literaturvermittlung, in denen mehrfache Übersetzungsprozesse stattfinden: die Vermittlungsaktivitäten, die Paratexte und die Textübertragung. Aus der Erfassung des Gesamtkorpus sowjetischer Publikationen neugriechischer Literatur, deren Großteil in der Nachkriegs- und Spätsowjetzeit mit systematischen jährlichen Veröffentlichungen ab den späten 1950er Jahren erfolgte, lassen sich die Haupttendenzen einer kontinuierlichen Rezeption politischer Autoren und einer partiellen Rezeption von sogenannten ‚bürgerlichen‘ Literaten ableiten. Die kommunistischen und linksgerichteten Autoren erleben hierbei mit zahlreichen selbst- und unselbstständigen Veröffentlichungen eine relativ stetige publizistische Präsenz. Insbesondere die in Moskau lebenden Autoren der Politemigration erfahren mit großer Auflagenhöhe, Neuauflagen und Veröffentlichungen in den offiziellen Organen der KPdSU eine ausdrückliche Förderung und eine systematische Kanonisierung. Aus der Untersuchung der peritextuellen Einrahmung der Publikationen erschließt sich, dass diese Literatur unter der axiologischen Kategorie einer ‚progressiven Literatur‘ in die sowjetische Literaturlandschaft eingeführt wird, die in Abgrenzung zu einer als ‚bürgerlich‘, ‚reaktionär‘ oder ‚dekadent‘ angesehenen Literatur eine übergeordnete Position in der sozialistischen Werteordnung besitzt. Darunter fällt ein an sich heterogener, jedoch insgesamt mit den sowjetischen Kunstrichtlinien zusammenhängender Textkörper, der sich von vorbildlichen Aneignungen des sozialistisch-realistischen Kanons bis hin zu nur partiell seine Normen erfüllenden bzw. seine literarischen Paradigmen verhandelnden Literaturwerken erstreckt. Die allographen Vorworte dieses größtenteils aus Widerstands- und Nachkriegsliteratur bestehenden Korpus skizzieren das Bild eines unterdrückten Volkes, dessen tragische Gegenwart mit der antiken Vergangenheit kontrastiert wird, und schreiben ihm einen heroischen Nationalcharakter zu, der durch die wiedererkennbare Gemeinsamkeit der Kriegserfahrungen Lesestimulanz erzeugen soll. Es ist bemerkenswert, dass diese Literatur – unabhängig vom Grad der Aneignung und der Darstellungsschärfe der politischen These – nicht in direkte Verbindung mit dem Begriff des sozialistischen Realismus in den Peritexten gebracht wird, obwohl die griechische innerparteiliche Literaturkritik sie zum Teil mit direkten Bezugnahmen auf den Begriff intern als solche diskutiert. Der Verzicht auf den größtenteils mit dem Personenkult sowie der stark tendenziösen und schematischen Literatur der Stalin- und Ždanov-Ära assoziierten Begriff deutet auf die für die Entkanonisierungsphase charakteristische ideologische und ästhetische Abgrenzung von der dogmatischen Auffassung des Kanons hin, wenngleich er nicht aus dem metaliterarischen Diskurs ausscheidet. Die peritextuelle Werkbesprechung
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und -bewertung bedient sich der sozrealistischen Postulate mit Abstufungen bis hin zu den späten achtziger Jahren. Parallel zur der vorherrschenden Praxis der Veröffentlichung politisch gefärbter Autoren, erscheinen vorwiegend in den sechziger und zunehmend ab den späten siebziger Jahren einzelne selbstständige Publikationen und sporadische Anthologieteilnahmen kanonferner Werke etablierter griechischer Literaten, die durch eine erweiterte Auffassung des ‚progressiven‘ Moments unter Berufung auf ein humanistisches Narrativ ermöglicht werden. Die peritextuelle Präsentation der Werke dieser grundsätzlich als ‚bürgerlich‘ angesehenen und in der Zwischenkriegszeit häufig als ‚Ästheten‘ oder ‚Idealisten‘ polemisierten Literaten richtet den Fokus jeweils auf ihre patriotische, romantisch-revolutionäre, antifaschistische und Antikriegsthematik bzw. auf ihre mit sowjetischen Narrativen und propagierten Grundwerten kompatible humanistische Gesamtbotschaft. Abweichende politische Ansichten und die häufig als ‚widersprüchlich‘ bezeichneten Weltanschauungen der Autoren werden durch ihre Einführung als ‚Demokraten‘ und ‚Humanisten‘ sowie durch eine Akzentuierung der sozialen und volksbezogenen Aspekte ihrer Werke relativiert, während nicht tolerierte formalästhetische Eigenschaften durch eine Einbettung der Texte in die realistische Tradition abgeschwächt werden. Parallel zu großen Übereinstimmungen auf der thematischen, motivischen und figürlichen Ebene sowie auf der Handlungsebene lässt sich der Hauptunterschied in der produktiven Rezeption des sozialistischen Realismus anhand der drei untersuchten Romane in der Umsetzung des Postulats der Parteilichkeit identifizieren. In den 1946 erschienenen Romanen Tränen und Marmor von Axioti und Feuer von Hadzis, die in der Phase der Praktizierung des Kanons und der Verhärtung seiner Obligatorik entstehen, kommt die parteiliche Verbundenheit und politische These explizit zum Ausdruck, während sich die in der Entstalinisierungszeit entstandene (1961/63) Romandilogie Nächte und Morgenröte von Alexandropoulos durch politische Zurückhaltung und Anzeichen linker Selbstkritik auszeichnet. Axiotis Roman bewegt sich durch den Einsatz modernistischer poetologischer Verfahren, eine relative Polyphonie und das subversive Moment einer negativen Darstellung der Oktoberrevolution im Umkreis der Stilformation des Sozrealismus, während Hadzis’ Roman eine vorbildliche Realisierung der Formel ‚national in der Form, sozialistisch im Inhalt‘ darstellt. Der erstgenannte Roman wird 1950 in russischer Übersetzung mit einschneidenden Modifikationen veröffentlicht, während der zweite eine ‚verspätete‘ Rezeption im Schatten des vom Kanon distanzierten und ästhetisch überlegenen späteren Werkes des Autors 1963 erlebt und nahezu intakt bleibt. Alexandropoulos’ Roman wird durch wiederholte Bearbeitungen ideologischen und ästhetischen Charakters mehrfachen An- und Wiederanpassungen am Ausgangs- und Zielkontext unterworfen. Die russischen Übersetzungen aller drei – sowie auch anderer – Romane weisen in unterschiedlichem Maße Auslassungen, Modifikationen und Ergänzungen auf, die auf die Anpassung der Werke an den jeweils aktuellen politisch-ideologischen Rahmen und die sozial-kulturellen
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Normen des Zielkontextes abzielen. Korrigierende Eingriffe und ideologische Übersetzungsleistungen gewährleisten die Loyalität der Übersetzung gegenüber dem sowjetischen Metanarrativ und die Stabilisierung seines Selbstbildes. Die Neuerfindung des Originals im Fall von Tränen und Marmor und seine Vervielfachung und dadurch Aufhebung im Fall von Nächte und Morgenröte werfen aus translationswissenschaftlicher Perspektive die Frage der Abgrenzung des Übersetzungsbegriffs auf und demonstrieren die textgenerierende Funktion der Übersetzung im Kontext des sowjetischen Weltliteraturprojekts. Die sowjetische Übersetzungserfahrung wird in der Spätsowjetzeit selbst zum Gegenstand literarischer Verhandlungen, unter denen eine der historische Roman Szenen aus dem Leben Maxims des Griechen von Alexandropoulos darstellt. Die Thematisierung der Übersetzungsethik und der Moralhaltung des Individuums in Konfrontation mit Kanons und autoritärer Herrschaft begünstigen die Neupositionierung des Autors innerhalb des sowjetischen wie auch des griechischen literarischen Feldes sowie seine Rezeption in der Postsowjetzeit. Das untersuchte Archivmaterial gewährte Einblick in die Vermittlungsprozesse neugriechischer Literatur in den Stadien der Selektion, Übersetzung, Einrahmung und Publikation, die sich parallel als aufeinander folgende Kontrollstellen ihrer Einreise ins sowjetische literarische Feld und somit Zwischenräume der ideologisch-politischen Intervention erweisen. Zentrale Vermittlungsinstanz neugriechischer Literatur stellt die sich im Exil befindliche griechische Bruderpartei durch ihre für Fragen der Literatur verantwortlichen Hilfsorgane – den Aufklärungsausschuss und den ihm untergeordneten sogenannten Literaturkreis – dar, deren primäre Werkauswahl weiteren Selektionsprozessen durch den sowjetischen Schriftstellerverband und die auf ihn angewiesenen Instanzen unterworfen wird. Inkongruenzen zwischen der griechischen und der sowjetischen Literaturpolitik ergeben sich im Zuge von Neuorientierungen betreffend die Parteilinie aufgrund unterschiedlicher Auffassungen hinsichtlich der Repräsentativität der vorgestellten Autoren und Werke verbunden mit der Eigendynamik, die sie innerhalb des sowjetischen Kulturbetriebs entwickeln. Die Realisierung des griechisch-russischen Übersetzungsprojekts treibt vorwiegend eine relativ kleine Gruppe von griechischen Autoren und Philologen der Moskauer Politemigration sowie sowjetischen Neohellenisten und Übersetzern voran, die in den diversen Vermittlerpositionen und Tätigkeitsfeldern des Literatur- und Publikationswesens alternieren. Auf dem Kontinuum zwischen Ideologietreue und ästhetischen Wertmaßstäben, persönlichen Überzeugungen und parteilicher Agenda, dem Interesse an der Erweiterung des Publikationsspektrums über die engen Parteigrenzen hinaus und dem nicht zu unterschätzenden Faktor des beruflichen Überlebens kommen zeit- und situationsbedingte Momente des Kompromisses und des Widerstands vor. Die vorliegende Arbeit versteht sich als eine erste systematische Annäherung an ein facettenreiches Untersuchungsfeld und somit als Grundlage für weitere vertiefende komparatistische Ausarbeitungen. Zur Ergänzung des Bildes der Rezeption neugriechischer Literatur in der Sowjetunion bietet sich die Untersuchung ihrer
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Transfer- und Rezeptionswege in weiteren Unionsrepubliken an. Es sei hier exemplarisch die Publikation neugriechischer Literatur in ukrainischer Übersetzung erwähnt, die auf die Tätigkeit der klassischen Philologen der Taras-Schewtschenko-Universität Kiew – vor allem des Hellenisten Andrej Beleckij und dessen Studenten Giannis Motsios – zurückzuführen ist. Weitere Untersuchung verdienen darüber hinaus die Publikationen der postkanonischen Phase der Spätsowjetzeit mit Aussicht auf die Postsowjetzeit in Hinblick auf die Verhandlung der sowjetischen Erfahrung sowohl im (post)sowjetischen Kontext als auch in der Literaturproduktion der repatriierten Autoren. Vertiefungspotenzial weist ferner die Rezeptionsgeschichte einzelner Autoren unter Berücksichtigung der Textauswahl sowie weiterer Äquivalenzebenen der Übersetzung auf. Im breiteren Kontext der griechisch-sowjetischen Literaturbeziehungen fehlt zudem eine systematische Untersuchung der griechischen Rezeption sowjetischer Literatur, die bis dato punktuell und vorwiegend auf der Ebene der Literaturkritik diskutiert worden ist. Eine solche Studie würde das Bild der Transferprozesse und Publikationsströme zwischen den beiden Kontexten ergänzen und die Vermittlerrolle der griechischen Politemigration noch weiter beleuchten. Dem methodischen Ansatz der Paratextanalyse folgend, die übersetzerische Peri- und Epitexte als Rezeptionszeugnisse betrachtet, können Untersuchungen weiterer Literaturen einen komparatistischen Beitrag sowohl zu bilateralen Literaturbeziehungen als auch zur Identifizierung von landes- oder regionsspezifischen Ausdifferenzierungen zwischen Ausgangskontexten in Bezug auf ihre sowjetische Rezeption leisten.
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Namensregister Achmatova, Anna A. 16, 20, 102, 103, 107, 143 Adamos, Takis 35, 47, 62 Afanas’ev, Kirill N. 59 Aggoules, Fotis 26, 28, 30 Aidonopoulos, Giannis 28 Alekseev, Spartak P. 47 Alexandropoulos, Mitsos 10, 11, 22, 35, 44–46, 59, 60, 64, 66, 67, 79, 138, 141, 142, 154, 156, 159, 160–164, 167–171, 174, 175, 177, 178 Alexiou, Elli 35, 37, 59, 61, 67, 74, 98 Anagnostakis, Manolis 26–28 Andreev/Andrejew, Leonid N. 72, 73 Antaios, Petros 1, 15, 17, 18, 20, 21, 26, 28, 30, 31, 37, 39, 46, 47, 51–54, 56, 57, 64, 69, 95, 155 Aragon, Louis 104, 105, 119 Argo, Abram M. 21 Aristophanes 88 Aristoteles 88 Augeris, Markos 49, 66, 98 Axioti, Melpo 10, 26, 34–36, 67, 74, 104–106, 108, 110, 111, 114, 115, 117–120, 123–126, 132, 136, 138, 156, 159, 177 Balašov, Dmitrij M. 44 Balzac, Honoré de 37, 53, 128 Baraš, Aleksandr M. 25 Bek, Aleksandr A. 101 Beleckij, Andrej A. 15, 40, 89, 179 Betaki, Vasilij P. 24 Blok, Aleksandr A. 69, 72, 73, 103 Bosis, Kostas 35, 74 Bost 64 Brodskij, Iosif A. 16, 24, 28, 103 Byron, George Gordon 37, 69 Čechov/Tschechow, Anton P. 37, 87, 98, 160, 163 Chakkas, Marios 60 Chatoglou, Froso 62 Chatzopoulos, Konstantinos 40 Christomanos, Konstantinos 84 Chruščëv/Chruschtschow Nikita S. 65, 94, 96, 102, 110, 158, 160 Chrysochoou, Ifigeneia 62 Cvetaeva, Marina I. 103
https://doi.org/10.1515/9783111026534-007
Damianakou, Voula 62 Daniėl’, Julij M. 16, 21, 103, 174 Dante, Alighieri 69 Dickens, Charles 128 Dimitriadi, Odissej A. 86 Dimitriou, A. 62 Dimitriou, Panos 32, 48 Dolmatovskij, Evgenij A. 16, 19, 20, 31 Dostoevskij/Dostojewski, Fëdor M. 72, 73, 84, 87, 91, 98, 145 Douka, Maro 59 Doukas, Stratis 55, 98 Ėfron, Ariadna S. 16, 26 Eftaliotis, Argyris 29, 30, 40 Eggonopoulos, Nikos 26 Eirinaios, Petros 37 Éluard, Paul 37, 104 Elytis, Odysseas 26, 29, 30, 31, 90, 98 Empeirikos, Andreas 26, 90, 98 Engels, Friedrich 53, 83, 131 Ėrdman, Nikolaj R. 165 Ėrenburg/Ehrenburg, Il’ja G. 37–40, 68, 79, 81, 88, 89, 98, 105 Ėtkind, Efim G. 20 Euripides 88 Evtušenko, Evgenij A. 16, 20, 31, 107 Fadeev/Fadejew, Aleksandr A. 87, 101, 105, 123 Fakinou, Eugenia 62 Florakis, Charilaos 62 Fonkič, Boris L. 164, 166, 169 Fotiadis, Dimitris 39, 74 Fragkias, Andreas 43, 56, 57, 60, 81, 90, 97 Fragkopoulos, Theofilos 60 Furmanov, Dmitri A. 84, 101 Gavras, Costa 59 Georgiadou-Lampiri, Iro 62 Georgiou, Vasos 63 Gercen, Aleksandr I. 160 Giannopoulos, Alkiviadis 60 Glikman, Timofej A. 24 Glinos, Dimitris 13, 76 Goethe, Johann Wolfgang von 120, 121 Gogol’, Nikolaj V. 53, 84, 87
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Namensregister
Gol’dštejn, Aleksandr L. 25 Gorskaja, Natėlla V. 24 Gor’kij / Gorki, Maksim 4, 13, 29, 37–39, 48, 52, 72–74, 84, 91, 93, 98, 99, 123, 124, 131, 137, 160, 163 Grammatikopulo, G. N. 33 Granin, Daniil A. 103 Grigoris, Gerasimos 59, 62 Gritsi-Milliex, Tatiana 59, 62 Grivas, Georgios 35 Grossman, Vasilij S. 101 Gumilëv, Nikolaj S. 103 Hadzis, Dimitris 10, 37, 49, 53, 54, 60, 64, 67, 74, 140, 149, 153–156, 159, 177 Heine, Heinrich 69 Hikmet, Nâzim 18, 37, 68, 79, 94 Homer 69, 88, 120, 167 Hugo, Victor 37, 72 Ignatov, Pëtr K. 101 Il’inskaja, Sof’ja B. 16, 19, 20, 24–26, 30, 31, 57–60, 84, 163, 168 Ioannidou-Belogianni, Elli 31 Ioannou, Giorgos 59, 64 Joyce, James 29 Kafka, Franz 29 Kaknavatos, Ektor 26 Kalvos, Andreas 29 Kambanellis, Iakovos 66 Kambysis, Giannis 71 Karkavitsas, Andreas 39 Karvounis, Nikos 28 Karyotakis, Kostas 29 Kasdaglis, Nikos 37, 59 Kaškin, Ivan A. 126–132, 138 Katiforis, Nikos 37, 57, 67, 81, 90, 98 Katsaros, Michalis 26 Kavafis, Konstantinos 12, 17, 19, 24, 25, 29, 31, 33, 68, 74, 76 Kavvadias, Nikos 26 Kazantzaki, Galateia 28 Kazantzakis, Nikos 35–39, 49–53, 66, 68, 74, 80, 89, 162 Kliafa, Maroula 62 Kokovli, Argyro 62
Kokurina, Tat’jana V. 16, 17, 44, 53, 61, 67, 98, 153 Koligiannis, Kostas 21, 32, 48, 154 Kontos, Giannis 26 Korais, Adamantios 21 Kornaros, Themos 26, 35, 37, 49, 74 Kotzias, Kostas 43, 46–49, 62, 66, 67, 98 Kotzioulas, Kostas 28 Koukoulas, Leon 98 Kouloufakos, Kostas 31, 98 Koumandareas, Menis 59, 60 Kozlovskaja, Anna I. 48 Krystallis, Kostas 29 Lambrakis, Grigoris 59 Lamprinos, Giorgos 62 Laskaratos, Andreas Lazareva, Lina 40 Leivaditis, Tasos 20, 21, 26, 31, 35, 36, 46 Lenin, Vladimir I. 21, 22, 25, 28, 131 Levandas, Christos 37 Levitanskij, Jurij D. 31 Lilika, Nakou 37, 64 Lipkin, Semën I. 170 Loudemis, Menelaos 26, 28, 31, 35–39, 49, 64, 67, 74, 90, 94, 95 Loulis, Vasilis 37 Lukács, Georg 105 Luppol, Ivan K. 17, 131 Madaritis, Nikos 62 Maglis, Giannis 37, 59 Majakovskij, Vladimir V. 28, 69, 160 Makarenko, Anton S. 87 Makronisiotis, Fanis 35 Mandel’štam, Osip Ė. 103 Maris, Giannis 63 Mastoraki, Tzeni 26 Matusovskij, Michail L. 20, 31 Matveeva, Novella N. 24 Mauroeidi-Papadaki, Sofia 62 Mavilis, Lorentzos 29 Maxim der Grieche 45, 60, 160–175 Michaijlov, Michail L. 21 Miliadis, Giannis 62 Milionis, Christoforos 59, 62 Mitropoulou, Kostoula 59 Moric, Junna P. 20, 31, 44
Namensregister
Motsios, Giannis 15, 17, 21, 22, 39, 49, 50–52, 55, 68, 69, 76, 179 Mošenko, M. F. 114 Mousouris, Apostolos 47 Mpeikou, Maria 47 Mpoumi-Papa, Rita 20, 107 Myrivilis, Stratis 37, 40–42, 55, 68, 74, 90–94, 98 Nejman, Julija M. 31 Nejštadt, Vladimir I. 25, 83 Nenedakis, Andreas 59 Neruda, Pablo 37, 69, 104 Oikonomidis, Orfeas 22 Ostrovskij/Ostrowski, Nikolaj A. 47, 84, 87, 101, 122, 134, 173 Paizi, Katina 28 Palamas, Kostis 21–23, 25, 29, 30, 33, 37, 40, 68, 71, 72, 74, 80, 100 Papadiamantis, Alexandros 39, 54 Papaperiklis, Nikos 37 Paradeisis, Alexandros 41–44, 70 Parnis, Alexis 17, 18, 30–32, 64, 65, 69, 74, 79, 107, 159, 160 Paroritis, Kostas 40, 54, 84 Pasternak, Boris L. 103, 159 Patrikios, Titos 26, 27 Pergialis, Notis 62, 65 Persaki, Ioulia 59 Pjast, Vladimir 17 Pieridis, Theodosis 35 Pikros, Petros 84 Pil’njak, Boris A. 103 Plaskovitis, Spyros 59 Platon 167 Podzemskaja, Nina M. 16, 17, 31, 46, 48, 53, 56, 57, 59, 61, 62, 163 Polemis, Ioannis 30, 71 Polevoj/Polewoi, Boris N. 40, 44, 45, 65, 69, 79, 84, 88, 89, 96, 142, 160, 164 Politis, Kosmas 37 Postupal’skij, Igor’ S. 51, 53 Poulios, Leuteris 26 Protaios, Stathis 46 Proust, Marcel 29 Psathas, Dimitris 62 Puškin/Puschkin, Aleksandr S. 69, 87
197
Ragkavis, Alexandros 29 Ravanis-Rentis, Dimitris 63 Razgovorov, Nikita V. 31, 114, 121–123, 135 Rentis, Dimos 35 Revič, Aleksandr M. 21, 24 Ritsos, Jannis 17–19, 21, 24, 26, 28–31, 37, 38, 67, 68, 74, 76, 79, 90, 98, 159 Roidis, Emmanouil 12, 43, 64, 71 Rotas, Vasilis 28, 37, 74 Roufos, Rodis 59 Roždestvenskij, Robert I. 16, 31 Rybakov, Boris A. 21, 39, 68, 86 Sachtouris, Miltos 26 Samarakis, Antonis 60, 63, 64 Samojlov, David S. 31 Sarantis, Giorgis 31 Saravanou, Ioanna 63 Sardelis, Kostas 169 Sari, Zorz 62, 66 Seferis, Giorgos 26, 29, 30, 31 Seghers, Anna 105, 120, 121, 136 Senkevič, Aleksandr N. 38, 41, 53, 55, 57 Serpin, Jakov I. 24 Sevastikoglou, Giorgos 64, 74 Sikelianos, Angelos 25, 28, 29, 30, 33, 37, 40, 68, 80, 100 Simonov, Konstantin M. 69, 160 Sinjavskij, Andrej D. 103, 146, 174 Skaribas, Giannis 60 Skaros, Zisis 46, 60 Skipis, Sotiris 28 Sluckij, Boris A. 16, 20, 31 Smirnov, Sergej S. 48 Sokoljuk, Viktor G. 16–19, 25, 29, 62, 63, 79 Sokrates 13, 33, 34, 76 Šolochov, Michail A. 20, 84, 101 Solomos, Dionysios 15, 21, 29, 30, 39, 68, 119 Solženicyn/Solschenizyn, Aleksandr I. 158, 160 Sophokles 88 Sotiriou, Dido 55, 56, 64, 66, 67, 90, 96 Soutsos, Panagiotis 29 Spathis, Dimitris 15, 41, 50, 58, 59, 65, 68, 75, 84 Spilios, Apostolos 28, 35 Stalin, Iosif V. 14, 39, 94, 113, 121, 126, 131, 153, 158, 165, 174, 176 Staurou, Tatiana 60 Stendhal 37 Stoltidis, Anestis 16, 37, 47
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Namensregister
Tachtsis, Kostas 60 Tarkovskij, Andrej A. 169 Tarkovskij, Arsenij A. 16, 21, 170 Terzakis, Angelos 43, 57–59, 68, 74, 76, 90, 96 Theofilou, Nasos 60 Theotokas, Georgios 64, 74, 90, 98 Theotokis, Konstantinos 39, 54 Titova, R. E. 23, 51, 53, 59 Tjurina, Larisa G. 40, 62, 142 Tolstoi, Alexej N. 87 Tolstoj/Tolstoi, Lev N. 48, 72–74, 84, 87, 91, 98, 145 Toporov, Vladimir N. 163, 164, 166, 169, 174 Trandas, Michalis 17, 22, 61 Trifonov, Jurij V. 170 Trivolis, Michail siehe Maxim der Grieche Tsirkas, Stratis 37, 60 Turgenev/Turgenew, Ivan S. 87 Tvardovskij, Aleksandr T. 69, 160 Vaksmacher, Moris N. 19 Valaoritis, Aristotelis 29 Valasi, Zoi 66 Valtinos, Thanasis 59 Varnalis, Kostas 13, 17, 18, 24, 26, 29–31, 33, 34, 37, 38, 49, 61, 62, 67, 72–74, 76, 90, 96, 98, 105, 159
Vasilikos, Vasilis 43, 59, 60, 64, 90, 97 Velestinlis, Rigas 21 Veličanskij, Leonid G. 142 Venezis, Ilias 37, 55, 74, 90, 93, 98 Veršigora, Pëtr P. 101 Vikelas, Dimitrios 71 Vizyinos, Georgios 29, 30, 39, 71 Vogiazos, Antonis 35, 47 Voiskou, Eleni 59, 62 Volodin, Aleksandr M. 170 Vournas, Tasos 46 Voutyras, Dimosthenis 37, 40, 54, 72, 73, 84 Vozčikov, Michail S. 41 Vrettakos, Nikiforos 20, 28–32, 67, 76, 90, 98 Xenopoulos, Grigorios 65, 68 Ypsilantis, Alexander 21 Zachariadis, Nikos 22, 65, 102 Zei, Alki 56, 59 Zonina, Lenina A. 123, 124 Zoščenko, Michail M. 102