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German Pages 307 [308] Year 1992
Elfriede Üner
Soziologie als „geistige Bewegung"
VCH
Acta humaniora
Elfriede Üner
Soziologie als „geistige Bewegung" Hans Freyers System der Soziologie und die „Leipziger Schule"
VCH
Acta humaniora
Gedruckt mit Unterstützung der Fritz Thyssen Stiftung
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme: Uner, Elfriede: Soziologie als „geistige Bewegung": Hans Freyers System der Soziologie und die „Leipziger Schule" / Elfriede Uner. Weinheim : VCH, Acta Humaniora, 1992 ISBN 3-527-17781-7
© VCH Verlagsgesellschaft mbH, D-6940 Weinheim (Bundesrepublik Deutschland), 1992 Alle Rechte, insbesondere die der Ubersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Gedruckt auf säurefreiem und chlorarm gebleichtem Papier Satz: Kühn & Weyh Software GmbH, D-7800 Freiburg Druck: strauss Offsetdruck GmbH, D-6945 Hirschberg Bindung: Verlagsbuchbinderei Kränkl, D-6148 Heppenheim Printed in the Federal Republic of Germany
Vorwort
Es ist ein begrenzter Ausschnitt aus meinen breit angelegten Recherchen über Hans Freyer, der hier in dieser Veröffentlichung in Gestalt gebracht werden konnte. Mit Hans Freyers Biographie und Oeuvre habe ich mich schon während meines Studiums eingehend beschäftigt; in meiner Diplomarbeit „Hans Freyer in der deutschen Soziologie bis 1933" (Universität München 1980) wurde zum erstenmal eine Zusammenstellung der Leipziger Wissenschaftsgemeinschaft um Hans Freyer, seiner Lehrer, Kollegen, Schüler und Doktoranden, präsentiert und die nur im Zeitkontext der zwanziger Jahre verständliche Entstehung dieses Kreises charakterisiert. Dabei wurde mir bewußt, daß dieser wissenschaftssoziologische Ausschnitt allein doch noch unbefriedigend war. Ich begann mich mit der zeitgenössischen Philosophie und den Strömungen in Literatur und Kunst zu beschäftigen und bearbeitete - ermuntert von Helmut Schelsky und Hermann Lübbe - das von der Fritz Thyssen-Stiftung unterstützte und von Horst Baier (Konstanz) betreute Forschungsprojekt „Wissenschaftsgemeinschaft, Werk und Wirkung Hans Freyers im Rahmen der Leipziger Schule". Das Ergebnis dieser Recherchen ist eine umfangreiche Sammlung von biographischem und bibliographischem Material. Durch die Initiative von Gerd Giesler, dem Leiter der Sparte Acta humaniora der VCH Verlagsgesellschaft, konnte ich zwei Sammelbände mit Werken Hans Freyers publizieren. Bei dieser Materialsammlung kristallisierten sich für die weitere Bearbeitung drei Themenkomplexe heraus: die theoretische Entwicklung des Freyerschen Oeuvres; der Zeitkontext mit seinen dramatischen Umbrüchen nach dem I. Weltkrieg, der Machtergreifung des Nationalsozialismus 1933, dem II. Weltkrieg und dem Wiederaufbau nach 1945; schließlich der gegenseitige Ideenaustausch der Leipziger Schule, ihre Zusammenarbeit und die Weiterführung ihrer Theoreme. Es war unmöglich, alle diese Teilbereiche in einer Arbeit zu vereinigen, und ich mußte mich entscheiden, welchen ich zuerst ausarbeiten sollte. Unter dem Einfluß von Walter Bühl, der dafür sorgte, daß die Vorfassung dieses Buches als Dissertation an der Philosophischen Fakultät der Universität München eingereicht werden konnte, entschied ich mich für eine eingehende theoretische Analyse der über fünfzig Jahre hin doch erstaunlich kontinuierlichen Entwicklung des Freyerschen Gesamtwerkes. Das entsprach meiner Ansicht nach Freyers eigener wissenschaftlicher Einstellung und Forderung an sich selbst, vorrangig vor jeder inhaltlich-soziologischen Analyse eine logische Einordnung der Soziologie zu erarbeiten. Auch wollte ich damit den bisher vorgelegten Arbeiten über Hans Freyer, die sich meist nur auf einen kleinen Werkausschnitt beziehen oder aber eine rein politische Wertung
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Vorwort
aus heutiger Sicht vornehmen, eine Werkanalyse gegenüberstellen, die die konstruktiven Grundgedanken und das „Zeitkolorit", Metaphorik und Systematik, Individualität und Schulzusammenhang, besser gegeneinander abhebt, um einen Beitrag zu einer konstruktiven wissenschaftlichen Kritik zu leisten, die ja immer an Theorie und Methode anzusetzen hat. Deshalb habe ich der deskriptiven Darstellung der Freyerschen Theoriestruktur ganz bewußt größere Abschnitte gewidmet. Werke aus dem Umkreis Hans Freyers werden zwar immer wieder mit einbezogen, aber im großen und ganzen bilden die Komplexe der Leipziger Schule und des Zeitkontextes nur den ergänzenden Rahmen. Auch wenn die theoretische Analyse im Vordergrund steht, ist sie, so hoffe ich, nicht trocken und blutleer geblieben. Das verdanke ich den zahlreichen engagierten Gesprächen, die ich im Rahmen des Forschungsprojektes führen durfte, mit der Familie Hans Freyers, mit ehemaligen Kollegen und Schülern und mit vielen anderen Zeitzeugen. Diese Gespräche waren nicht nur von großem wissenschaftlichen Interesse, sondern bedeuteten für mich ein bewegendes persönliches Erlebnis. Ich kann nur einige Gesprächspartner nennen: Käthe Freyer, die Töchter Ursula Hauck, Barbara Freyer-Stowasser und Brigitte Freyer, die so lebendig über den gemeinsamen Lebensweg der Familie berichteten, Joseph Maier, der von Leipzig nach New York zu Max Horkheimer ging, Alfred Heuß, Erich Burck, Ludwig Döderlein, Hans Raupach, Gotthard Günther, Helmut Schelsky, Hans Linde, Walter Hildebrandt, Fritz Borinski, Hilde Fischer-Reisig, Ernst Manheim, Karlfried v. Dürckheim, die Freyer in Leipzig erlebten, Dézsô Kerestúry, Domokos Kosáry, Miklós Lackó, László Mátrai, G. Béla Németh, Alexander Szalai und György Mihály Vajda, die die Budapester Zeit kommentierten, nicht zuletzt Hans Georg Gadamer, Wilhelm Emil Mühlmann, Wilhelm Hehlmann, Johannes Papalekas, Hans Franzen, die Hans Freyer in der Nachkriegszeit begegneten. Die Gespräche flössen als Hintergrundwissen in dieses Buch ein, und ich möchte hier meinen großen Dank an alle Gesprächspartner und Korrespondenten aussprechen. Sie alle haben mich darin bestärkt, weiter daran zu arbeiten, daß diese jüngste Leipziger Wissenschaftsgeschichte die ihr gebührende Beachtung findet. Die Geschichte der Leipziger Schule ist bisher noch nicht ausführlich behandelt worden. Sie müßte alle Sozial- und Humanwissenschaften und ihre internationale Rezeption und Ausstrahlung umfassen. Heute, da Leipzig für uns wieder in erreichbare Nähe gerückt ist und das Interesse für die herausragende Stellung dieser Universität im 19. und 20. Jahrhundert auch im Ausland wieder wächst, könnte diese Aufgabe in Angriff genommen werden.
München, den 18. Januar 1992
Elfriede Üner
Inhalt
I
Soziologie als „geistige Bewegung"
1.
Hans Freyer und die Jugendbewegung
2.
Jugendbewegung, Expressionismus und Wissenschaft
3.
Die Wissenschaftsgemeinschaft um Hans Freyer (1925-1933)
4.
Disziplinare Matrix und Geistige Bewegung
16
5.
Die Wissenschaftstradition der Universität Leipzig
22
6.
1 4 11
Hans Freyers System der Soziologie zwischen geisteswissenschaftlicher Tradition und sozialer Bewegung
25
II
Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft
1.
Der Zusammenbruch des idealistischen Wirklichkeitsbegriffes
29
2.
Der Freyersche Wirklichkeitsbegriff
34
a) Wirklichkeit als Problem des geistigen Seins
34
b) Wirklichkeit als Problem des gesellschaftlichen Seins
42
3.
Die Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft
47
4.
„Wirklichkeitswissenschaft" und politische Wirklichkeit
58
III Soziologie der Herrschaft 1.
2.
Das Problem der Politischen Soziologie
69
a) Erfordernisse einer historischen Textinterpretation
69
b) Zum Problem der Periodisierung des Werkes
75
c) Herrschaftssoziologie und Politische Soziologie
78
Grundzüge einer Herrschaftssoziologie
85
a) Herrschaft und Staat
85
1) Von der Kulturphilosophie zur Staatsphilosophie
85
2) Die Wendung zum „Politischen Realismus des Staates"
89
3) Für eine tiefere Begründung der Herrschaft
97
4) Zur Aktualität von Freyers Staatslehre b) Herrschaft und Planung
101 102
1) Die Synthesis des Plans
102
2) Zur Aktualität von Freyers Planungsdiskussion
106
VIII
3.
Inhalt c) Herrschaft und Technik 1) Die Technik als Thema der Kulturkritik 2) Hans Frey er: die Technik als kulturanthropologische Kategorie 3) Zur Aktualität von Freyers Technikdiskussion Vom politischen Utopismus zum politischen Realismus a) Metapher, historisches Gleichnis und ethischer Appell b) Transformationen einer Politischen Ethik 1) „Pallas Athene" oder: Zur Ethik der politischen Ausnahmesituation 2) „Machiavelli" oder: Zur Ethik des passiven Widerstands 3) „Antimachiavel" oder: Zur Ethik des „politischen Realismus"
109 109 112 113 117 117 122 122 128 130
IV Kultursystem und Kulturwandel 1.
3.
Der Kampf um den Kulturbegriff a) Kultur zwischen Säkularisierung und Sakralisierung b) Dimensionen der Kulturdiskussion der zwanziger Jahre c) Polaritäten des Kulturbegriffs d) Programmformulierungen der Kultursoziologie im Spektrum der Kulturkontroversen Hans Freyers Kulturtheorie in der Entwicklung seines Gesamtwerkes a) Kulturtheoretische Traditionen der „Leipziger Schule" b) Die Einheit und das Apriori der Kultur: Die Soziologie als Kulturwissenschaft c) Kultur als Objektivation: Von den „werdenden Formen" zu den „haltenden Mächten" d) Kultur als System: Stufen und Schichten der Gesamtkultur Erfolg und Scheitern der Freyerschen Kultursoziologie
V
Dialektische Methode und Geschichte
1. 2. 3.
Das Problem der Dialektik als Methode und als Geschichtsdeutung Zur Ortsbestimmung der Freyerschen Dialektik Gesellschaft und Geschichte: das Problem der „Realdialektik" a) Historizität und Allgemeinheit b) Die Vertauschbarkeit von Synchronie und Diachronie c) Dilemma einer dualistischen Dialektik d) Offenheit und Vagheit Das Ende der „Realdialektik" Schlußbemerkung
2.
4. 5.
135 135 137 140 148 153 153 . 157 165 171 179
185 189 196 197 200 203 207 208 214
Anmerkungen
215
Literatur
263
Personenregister
287
Sachregister
293
I Soziologie als „geistige Bewegungct
1. Hans Freyer und die Jugendbewegung Hans Freyers persönlicher Werdegang, die Ausformung seines wissenschaftlichen und publizistischen Werkes, aber auch die charakteristische Ausformung seiner Wissenschaftlergemeinschaft, wurden besonders stark durch die Jugendbewegung beeinflußt. Die Geschichte der Jugendbewegung und ihr gesellschaftlicher Einfluß in Deutschland wurden mehrfach bearbeitet; für den Bereich der Wissenschaften ist dieser Einfluß jedoch noch nicht systematisch analysiert worden. Die Jugendbewegung war zwar nie Massenbewegung, sondern eine „Bewegung der Minderheit"; ihre Mitglieder stammten vorwiegend aus bürgerlichen Kreisen, vor allem der mittleren und gehobenen Beamten. Auch die Akademiker kamen vorwiegend aus diesen Kreisen, dennoch gehörte damals keineswegs die Mehrheit der Universitätsstudenten der Jugendbewegung an; der Einfluß der konservativen Korporationen an den Universitäten war nicht zu unterschätzen. Die Tatsache, daß eine bemerkenswerte Anzahl von später führenden Politikern, Professoren und öffentlich engagierten Intellektuellen aus der Jugendbewegung kamen 1 , weist auf ihre frühe Entscheidung für neue Lebensformen hin; denn während die Korporationen konservative Universitätstraditionen und überholte Bildungsideale vertraten, sammelten sich die Fortschrittswilligen und oft auch „Rebellen", die für den Aufbruch zu neuen Gesellschaftsformen tätig werden wollten, in den akademischen Vereinigungen der Jugendbewegung. 2 Hans Freyer war während seiner Doktorandenzeit ab ca. 1910 Mitglied des Serakreises, einer kleinen elitären Jugendgemeinschaft, die der Verleger Eugen Diederichs um sich sammelte. I m Mittelpunkt stand dort die Pflege der persönlichen kulturellen Betätigung von hohem Niveau (Musik, alte Tänze, Theater) - mit der Flucht aus den Städten und Lagerfeuerromantik gab man sich keineswegs zufrieden. 3 Der Serakreis kann als Keimzelle sowohl der Jugendmusikbewegung 4 als auch der Reform der Freistudentenschaft und der Gründung der Akademischen Vereinigung in Jena gesehen werden. 5 Das intensive Interesse des Kreises an Erwachsenenbildung und neuen Erziehungsformen manifestierte sich in der Lehrtätigkeit von mehreren Seraleuten, unter ihnen Hans Freyer, in der Freien Schulgemeinde Wickersdorf 6 . Geprägt durch die Erziehungsideen von Gustav Wyneken sollte hier die Keimzelle einer künftigen „Jugendkultur" entstehen im Sinne einer neuen allumfassenden geistigen Lebens-
2
I
Soziologie als „geistige
Bewegung"
form, die nicht auf den Ubergang von Kindheit zu Erwachsenenleben begrenzt bleiben sollte. Gustav Wyneken ist politisch der linken Mitte zuzurechnen; nach der Revolution von 1918 hatte er einen bedeutenden Posten im preußischen Erziehungsministerium, trat aber bald zurück, da er seine Ideen nicht verwirklichen konnte. Die Sowjetregierung war in den ersten Jahren ihrer Existenz interessiert am Wickersdorfer pädagogischen Programm und entsandte eine Sonderkommission. 7 Für die „Wickersdorfer" bedeutete die Jugendbewegung weitaus mehr als Flucht vor Zivilisation und Bildungszwang; sie wollten auf eine neuartige Verwirklichung idealistischer Werte - ganz im Sinne eines Kant oder Hegel - hinarbeiten. Im Geist, im „einen, allgemeinen", sollten die Widersprüche der modernen Zeit aufgehoben sein: „Jedes Einzelbewußtsein ist nur eine der unzähligen zufälligen Brechungen des eines Geistes." 8 Erst auf der Ebene des Geistes, verwirklicht durch umfassende Ausbildung in Kunst, Literatur, Musik, aber auch besonders in Philosophie und Staatswissenschaften, kann die menschliche Gemeinschaft verwirklicht werden. Musik wurde in Wickersdorf mit fast religiöser Hingabe betrieben. Sie war in ihrer Abstraktheit, in ihrem Eigenwert, Ausdruck des einen Geistes man verabscheute jede Programmusik und jedes individuelle Hineininterpretieren seelischer Inhalte seitens der Zuhörer. 9 Die Deutung des Abstrakten als „absoluter Geist" blieb demnach keineswegs auf moderne Kunstbewegungen beschränkt, sondern hat auch in die Bildungsdiskussion Eingang gefunden. Für die Öffentlichkeit war Wickersdorf eine Demonstration, daß diese Gemeinschaft möglich ist und die „Wickersdorfer Haltung" wurde ganz in diesem Sinn verstanden. Einer Ordensgemeinschaft ähnlich verbanden die Wickersdorfer eine charismatische Hingabe an den Dienst am Geist mit jugendlichen Gemeinschaftsformen; 10 dieser neue „Idealismus" setzte sich in einem neuen Wissenschaftsverständnis fort: Nicht Werkzeug sollte sie sein und lediglich instrumentelles Wissen bereitstellen für die Verwirklichung politischer Ziele; sie selbst wurde zum Wegbereiter im Streben nach Verwirklichung einer neuen und humaneren Gemeinschaft. In diesen geistigen und sozialen Zusammenhang gehören Freyers erste außeruniversitäre Publikationen „Antäus" (1918) und „Prometheus" (1923). Nicht in erster Linie als wissenschaftlich-philosophische Werke gedacht, sollten sie vor allem „Philosophie der Jugendkultur", Aufrufe und Wegweiser für eine nach neuen Lebensinhalten suchende Gemeinschaft sein. Ein äußeres Merkmal weist bereits auf die Verknüpfung dieser Schriften mit der Jugendbewegung hin - beide wurden von Eugen Diederichs verlegt, der auch Initiator des Serakreises und eine zentrale Figur in der Jugendbewegung war. Die wissenschaftlichen Publikationen ließ Freyer durchwegs in ausgesprochen wissenschaftlichen Verlagen erscheinen (hauptsächlich bei Teubner, Leipzig-Berlin). So ist Freyers „Antäus" auch auf Bücherbestellisten in Zeitschriften der Jugendbewegung aufgeführt, zusammen mit Werken u.a. von Hans Blüher, Max Tepp, Alfred Kurella und Paul Natorp. 11 Insbesondere im „Antäus" finden sich Antworten auf die grundlegenden ethischen Probleme der Jugendbewegung, die vor allem bei den älteren Aktiven starke Resonanz erfuhren. 12 Die Bünde sollten nicht nur eine (zeitlich befristete) jugendliche Übergangszeit im Gegensatz zur Erwachsenenkultur gestalten13 (dazu könnte sich die Jugend ja prinzipiell in jeder geschichtlichen Epoche in „Bewegungen" zusammenfinden); sie waren vielmehr als Lebensbünde gedacht, die in der „Gemeinschaft", der man sich ganz verschrieb, die Ungespaltenheit echten Lebens in der Totalität aller geistig-seelischen Möglichkeiten suchten. Das bedeutete zum einen totale Bindung ohne genau bestimmbare Grenzen, damit verbunden totale Verpflichtung - man duldete keine Mitläufer, zum anderen rein gefühlsgesättigtes Leben. Leidenschaftliche persönliche Stellungnahme und emotionales Denken führten aber auch zum Konflikt mit Rationalität und bloßem Intellekt und damit zur Mißachtung alles
1. Hans Freyer und die Jugendbewegung
3
Organisatorischen (die Lebendigkeit der personalen Gemeinschaft sollte durch institutionelle Reglementierung nicht behindert werden) und schlugen um in rein emotionale Hingabe an einen, allerdings einem strengen Maßstab unterworfenen, Führer. Aus dieser Wendung von Äußerlichkeit zu Innerlichkeit, oder neuer „Natürlichkeit", mußte sich ein ständiger Konflikt zwischen Formlosigkeit und Förmlichkeit ergeben; die Suche nach wahrer Form äußerte sich sowohl in der Entdeckung „ursprünglicher" Volkskunst, in der Annahme oder auch Ablehnung neuer Kunstformen, wie auch im ganz praktischen Bemühen um Gestaltung von Festen. Das Gemeinschaftserlebnis im Bund bedeutete auch ein neues politisches Ziel für die gesamte Gesellschaft: Nach dem Muster des Bundes sollte eine neue Volksgemeinschaft entstehen, ein „Vaterland ohne Partei" - die politische Vision sowohl des völkischen wie auch des sozialistischen Lagers der Jugendbewegung; Uber eine „neue, aus dem uns innewohnenden natürlichen Bauplan hervorgegangene Staatsverfassung" sollte die politische Solidarisierung der ganzen Nation möglich werden. Erst aus dieser Vorstellung entstand - der ursprünglichen innerlichen, musischen Ausrichtung der Selbstverwirklichung eigentlich entgegengesetzt - der „Ruf zur Tat" und brachte eine prinzipielle Unsicherheit im Umgang mit Traditionen mit sich: Wie sollten die Kräfte der Überlieferung, der Glaube an das Sich-Selbst-Vollenden des gesellschaftsimmanenten „Bauplans", mit der Uberzeugung, durch „Tat" Geschichte neu zu gestalten, vereinbar sein? Die Synthese von „Geschichte machen" und „Geschichte werden lassen" wurde im Konzept der Volksgemeinschaft als Kulturgemeinschaft verankert: Die gegen Vermassung und Zivilisation gerichtete Aktivität (sei es Volksbildung, Arbeitsdienst oder die eigene Selbsterziehung in Gemeinschaft) ist gerechtfertigt, da sie der verschütteten gewachsenen Volksgemeinschaft zur Selbstentfaltung verhilft. Auch die politischen Aktivitäten der Jugendbewegung hatten die Gestaltung des Volkes aus seinem inneren Wesen heraus zum Ziel, über den der Volksgemeinschaft innewohnenden Bauplan herrschte jedoch tiefgreifende Unsicherheit. Die Hoffnung auf „Jugend" als neues Prinzip des gesamten geschichtlichen Lebensprozesses mußte in einen vagen, rein emotional aufgeladenen „Jugendkult" umschlagen, denn wenn „Jugend", als Inbegriff des erst Entstehenden, noch nicht Ausgeformten, als die neue vorwärtstreibende Kraft gilt, „welche die sich selbst fremd gewordene und institutionell erstarrte Gesellschaft mit jungem Leben erfüllen kann", dann wird sie notwendigerweise ein „zur beliebig verwendbaren Hülse entleertes Leitbild für die Gesellschaft", d. h. inhaltslos und vage, versinnbildlicht aber gerade damit den dynamischen gesellschaftlichen Wandel in hervorragender Weise. 14 Gerade weil politische Spaltungen der Jugendbewegung immer durch Beschwörung der alle Differenzen überbrückenden Gemeinschaft des Gefühls verhindert wurden, fand Freyers zunächst unpolitische „Grundlegung einer Ethik des bewußten Lebens" so bereitwillige Aufnahme. Ihrer Intention nach sind Menschenbild und Ethik des „Antäus" Antwort auf die Unsicherheit gegenüber der Tradition, auf das Naturverständnis, und klären das Gemeinschaftsproblem: „Der Mensch auf der Erde ist Riese Antäus und Held Herakles zugleich" sowohl gebunden an das Ganze, aus dem er emporgetaucht, aber zugleich zu eigenem Leben freigesetzt: „Entstehen heißt immer irgendwie zu sich selbst kommen". Wirkliches Handeln ist deshalb einmalige Entscheidung, mit der „ein Ruck durch die Zeit geht, daß sie selber aufzuhorchen scheint", und geschieht aus einem in der Gegenwart rational definierten Willen. Gleichzeitig werden „die Werke (..) aber hineingeschaffen in den Dynamismus der geschichtlichen Welt (...) und schaffen eine neue Lage der Totalität." 15 Rationale Entscheidung ist allein auf der Ebene der Gegenwart möglich, und es wäre hochmütige Anmaßung, nach einer für alle Zeiten geltenden Rationalität zu streben. Es gibt kein ewig geltendes System der Werte,
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I Soziologie als „geistige Bewegung"
sondern nur die Fülle des Lebens mit seinen Widersprüchen - Systeme beherbergen immer Gegensätze, und es gibt viele Ethiken als „Art und Weise, wie die Erde Ziele festlegt, gliedert, beglaubigt, erreicht". Sie sind „Werke des tätigen Geistes, der der Stunde dient".
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Dieser
Entwurf einer Ethik des Sich-Selbst-Erfüllens rechtfertigt sowohl die individuelle rationale Entscheidung als auch das Sich-Hingeben an einen sinnvollen Entwicklungsprozeß der gewachsenen größeren Einheit. Freyer versucht hier eindeutig, das Weltbild der Jugendbewegung philosophisch zu fundieren: die elementare Gültigkeit der Natur, des Gemüts und des Gewissens, die Totalität des ungeteilten Lebens, der Glaube an die Selbstentfaltung der Volksgemeinschaft. Der intuitive Glaube der Jugendbewegung an das Natürlich-Gute im Menschen wird geschichtsphilosophisch verankert, so daß der Begriff des ungeteilten Lebens seine Irrationalität verliert und als geschichtlich gewordene Ganzheit auch eine Lösung für das Traditionsproblem der Jugendbewegung bietet. D e r „Ruf zur Tat" aus Notwendigkeit der Selbstverwirklichung heraus stand in totalem Gegensatz zu Untergangsstimmung, Ennui und Pessimismus. So resümiert Freyer zu Oswald Spenglers „Untergang des Abendlandes": „Und keine Ahnung darum, wo wir stehen und wohin es mit uns geht, kann uns unsere Position als handelnde Gegenwart, kein Bewußtsein unserer Aufgabe kann uns das Wagnis der Tat ersparen oder verscherzen." 1 7 Das „Sich-Selbst-Erfüllen" soll keineswegs nur Sehnsucht bleiben - es ist ethische Forderung, da nur so konstruktives Handeln in die Zukunft hinein möglich ist. Nicht durch irrationale und passive Hingabe an organisches Werden im Sinne von Vorbestimmtheit, nur durch ständig gegenwärtiges aktives Entscheiden entsteht soziales Leben, das seine Dynamik aus der historischen Kontinuität bezieht. Die Einordnung dieser beiden Schriften Freyers als Bekenntnisschriften zur Jugendbewegung, als Antwort auf ihre Ziele und Probleme, soll keineswegs eine ideengeschichtliche Interpretation unwichtig erscheinen lassen. Es lassen sich natürlich sowohl in Freyers ersten Schriften als auch in den Zielen der Jugendbewegung Verbindungen u.a. zu Nietzsche und zur Lebensphilosophie finden; zudem liegt die Dialektik von Geschichte und gegenwärtiger Tat und die daraus resultierende Ethik ebenfalls allen wissenschaftlichen Werken Freyers zugrunde - insofern sind diese Schriften vom Gesamtwerk nicht zu trennen. Andererseits haben gerade diese Aufrufe, mehr als Freyers rein wissenschaftliche Werke, den überaus diffusen und unrealistischen Träumen der Jugendbewegung eine philosophische Einordnung in den Gang der Geschichte und eine darin begründete ethische Mission zugedacht. Und so wurde Hans Freyer für die intellektuelle Öffentlichkeit zum Verkünder einer neuen Gesellschaft, zugleich zum Vertreter einer neuen „engagierten" Wissenschaft, die sich ganz dem Entstehungsprozeß dieser neuen Gesellschaft verschrieb.
2. Jugendbewegung,
Expressionismus und Wissenschaft
Weltanschauliche Grundannahmen und der literarische Stil der Freyerschen Bekenntnisschriften fordern die Zuordnung zur künstlerischen Rebellionsbewegung der Zeit, dem Expressionismus, geradezu heraus. Auch die junge Generation von Künstlern und Literaten rief zur Revolution auf: gegen die gründerzeitliche Literatur und Kunst einerseits, die in der Verherrlichung großer Gestalten und naturhafter „Heimatkunst" die Realität der großen Städte, Verelendung und Industrialisierung negiert, aber auch gegen die damalige Literatur der
2. Jugendbewegung,
Expressionismus und
Wissenschaft
5
Modernität, die im Geist des französischen Naturalismus das Individuum in der neuen Wirklichkeit der Großstädte und des sozialen Elends untergehen läßt. „Expression ist die Programmformel gegen eine Kunst, als deren Thema soziale und psychische Determination der Individuen gilt, den Naturalismus." 18 In der Retrospektive wird heute die Tendenz der Jugendbewegung zur Flucht in die Tradition, in Heimatkunst und ländliche Idylle oft überbetont; jedoch stimmen Lebensauffassung und Menschenbild des Expressionismus auffallend mit dem grundlegenden Weltbild der Jugendbewegung überein, und diese Verbindung wurde auch im Schrifttum der Jugendbewegung deutlich herausgestellt. Selbstverständlich haben sich einige der Gruppierungen in der Jugendbewegung der Rückkehr zu Volksbrauch und ländlicher Einfachheit verschrieben. Gerade aber die akademischen Bünde haben sich ernsthaft mit neuen Bestrebungen in Kunst und Literatur beschäftigt. Besonders ab ca. 1914 setzten sich expressionistische Tendenzen gegen den Jugendstil durch. 19 In der Überhöhung und Verstärkung der Einzelzüge, des Individuellen im expressionistischen Kunstwerk sah man eine neue Einstellung den Dingen gegenüber entstehen und der Expressionismus kann dadurch sehr wohl auf geistigem Gebiet gegen den Intellektualismus für ein neues Gefühlsleben revolutionieren. 20 Die Originalität des Expressionismus lag für die geistigen Führer der Jugendbewegung nicht in der Darstellung des „Besonderen" das nur „Erscheinung" sein kann, sondern im Sichtbarmachen des zugrundeliegenden Allgemeinen, des „wahren Wesens": „Wahrer Expressionismus führt also zur Gemeinschaft der Ichlosigkeit, ist Ausdruck von Gemeinschaftssinn, vom Sozialismus des Geistes und der Verinnerlichung, der in der Gemeinschaft wahrer Werte sein Ziel sucht." Die Uberwindung des Impressionismus durch den Expressionismus verspricht nun, „Wesenskunst" statt „Erscheinungskunst", „Kunst des höheren Ichs", „Ewigkeitskunst" und „Sinnkunst" anstelle der impressionistischen „Vergänglichkeitskunst", zu werden; 21 Gerade im Expressionismus fand die Jugendbewegung ihre „Lebensformel" wieder: „Aus eigener Bestimmung, vor eigener Verantwortung, mit innerer Wahrhaftigkeit" ihr Leben zu gestalten. 22 In der Simultaneität und der freien Assoziation im künstlerischen Ausdruck sah man die Darstellung der „Ganzheit", „Menschheitsdämmerung" bedeutete nicht nur Zerfall und Auflehnung gegen eine dekadente Vergangenheit, sondern auch das Dämmern einer Zukunft, die jedoch noch unklar ist, die sich aus der Gegenwart erst selbst schaffen muß. Der bereits erwähnte Konflikt der Jugendbewegung zwischen Formlosigkeit und Förmlichkeit und die Suche nach „wahrer" Form kann ineinsgesetzt werden mit der Hoffnung der expressionistischen Künstler, daß erst aus der Zertrümmerung von Sprache und Form heraus eine befreite, aus dem Menschen selbst kommende, d. h. „wahre" Form entstehen könne. „Der Mensch kann nur gerettet werden durch den Menschen, nicht durch die Umwelt. Nicht Einrichtungen, Erfindungen, abgeleitete Gesetze sind das Wesentliche, Bestimmende, sondern der Mensch". Deshalb kämpfte man auch nicht gegen äußere Zustände, sondern gegen den Zustand des entstellten Menschen selbst - eine künstlerisch-schöpferische Parallele zur unpolitischen „menschlichen" Orientierung der Jugendbewegung insgesamt - die Kunst „will der Menschheit helfen, die Idee ihrer selbst (...) zur Verwirklichung zu bringen". 23 Das Streben der Jugendbewegung nach Selbsterziehung, nach autonomer Bestimmung und Hans Freyers Ethik des „Sich-selbst-Erfüllens" finden hier ihre künstlerischen Parallelen: Ist der Mensch einmal von äußeren Zwängen befreit, so ist er autonomer Träger der Erneuerung durch die „Idee", durch den „Geist", den er freisetzt, statt „am Tau der Vergangenheit" langsam abwärts gleitend „ins Sinnlose" zu stürzen - ein Subjekt, das Geschichte und Sozietät überwunden hat, gewinnt Verfügung über die Wirklichkeit, die jedoch im Augenblick noch negativ erfahrene Gegenwart bedeutet. 24 Geschichte ist für den
6
I Soziologie als „geistige
Bewegung"
Expressionismus in diesem Zusammenhang das Resultat der Vergangenheit, das sich in der gesellschaftlichen und politischen Gegenwart bündelt. Im Konzept der Weltwende wird Geschichte „zum Augenblick des Umschlagens eines alten in einen neuen Zustand" verkürzt 25 und die Gegenwart wird verstanden als Knotenpunkt der Gegensätze - als Punkt, in dem These und Antithese, Geschichte und aktiv handelndes Subjekt zur zukünftigen Synthese weitertreiben. Hans Freyers Bekenntnisschriften zur Jugendbewegung fügen sich durch dieses Verhältnis von Geschichte und Gegenwart und durch die Auffassung des Menschen als Träger von Erneuerung durch Freisetzen des „Geistes" voll in die Erneuerungsbewegung des Expressionismus ein. Vergangenes ist einzig in Form von Selbstverständlichkeiten in unseren Gemütern, nicht als festgelegter Entwurf - „nicht gewußter Inhalt, (sondern) wissende Kraft, in allen Graden von Dumpfheit, Ahnung und Erkenntnis in uns wirkend". 26 Wie in der expressionistischen Kunst das Individuum in seiner Einmaligkeit ersetzt wird durch symbolische Figuren, durch ekstatische Zusammenballung der wesentlichen Welterfahrung 27 , so stellt bei Freyer das handelnde Individuum eine Zusammenballung der Erfahrung, d. h. der Geschichte im gegenwärtigen Augenblick dar, und das Individuum wird zugleich als fähig erklärt, diese unzulängliche Gegenwart zu überwinden. „Das Subjekt herrscht als unumschränkter Gesetzgeber, und keine Satzung ist gültig, auf die es nicht seinen Stempel drückt: ich will. Alles Fertige und Feste wird kühn zurückgenommen in die kampfreichen und verantwortlichen Menschlichkeiten des Wissens, um aus ihrer Entscheidung als ein Neues aufzuerstehen (...). Anders entsteht keine Form (...) als aus der Willensgewalt eines revolutionären Geschlechts." 28 Wenngleich Freyer die Dialektik von Geschichte als gewachsene Form in der Gegenwart und von aktivem Handeln niemals außer acht läßt, ist doch die Nähe seiner Bekenntnisschriften zum aktivistischen Denken im Expressionismus bemerkenswert. Expressionistisch ist hier auch Freyers Sprache und Stil. Wenn „ein Geist durch eine hohe Stunde in (...) freien, totalen und innerlich bewegten Zustand versetzt wird", oder die Jugend „geheimnisvoll mit den Kräften der Gefallenen geladen ist" 29 , so ist dieser symbolische Ausdruck nicht als umschreibende Metapher für etwas Anderes gedacht, sondern das Wort wird „Pfeil (...). Es wird kristallisch das eigentliche Bild des Dings." 3 0 Die Metapher wird zum Wesen des Gegenstands. Trotz des expressionistischen Klangs - vor allem im „Prometheus" - ist nicht zu übersehen, daß Freyers „Expressionismus" auch „humanistische" Züge trägt und gewissermaßen aus der Verzweiflung über den Verlust der Menschlichkeit und aus einem gescheiterten „Humanismus" hervorgegangen ist, für den die Person selbstverständlich Mikrokosmos des Makrokosmos Gesellschaft bzw. Natur wäre, der von einer höheren Einheit von Natur und Kultur, Stoff und Geist, Inhalt und Form ausgehen könnte. Gerade im Prometheusmythos wird diese Verbindung ja bewußt hergestellt. „Prometheus" (1923), „Antäus" (1918), „Pallas Athene" (1935), sie alle sind mythische Figuren, die einerseits an die griechische Antike erinnern, andererseits aber Ansatzpunkte für die Neuformulierung des Mythos sein sollen: für die Versöhnung von Mensch und Technik, Geist und Macht, für die Versöhnung des Menschen mit der Natur, für die Versöhnung der Klassen im „politischen Volk". „Expressionismus" und „Humanismus" sind in diesem Sinn nur zwei Fronten des gleichen Vorstoßes, zu einer neuen Ordnung des Menschen zu finden: der Expressionismus als der Versuch, die Existenzform des Menschen zu radikalisieren und seine Ausdrucksmöglichkeiten zu erweitem, der „Humanismus" als der Versuch, das „Chaos" einzudämmen, die Kräfte zu sammeln und die Entscheidungskraft zusammenzuhalten in einem „göttlichen Mythos". 3 1 Die Zuwendung zu diesen
2. Jugendbewegung,
Expressionismus und
Wissenschaft
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Mythen geht von der Überzeugung aus, daß in ihnen - trotz aller Perversion und der fortlaufenden Variation und Permutation der Mythen im Laufe der Zeit - doch das Allgemein-Menschliche und Ewig-Menschliche formuliert (und vorgeformt) ist; die Neuformulierung der antiken Mythen bietet in einer Zeit der Unsicherheit die einzige Gewißheit. Nach Freyer muß in revolutionären Perioden immer eine Entscheidung getroffen werden zwischen zwei sich polarisierenden weltanschaulichen Grundhaltungen: einerseits einem radikalen Konstruktivismus, der „mit einer verzweifelten Tat des nackten Willens (...) eine rationale Zukunft ohne Vergangenheit" riskiert, andererseits einem Humanismus, der „mit Bewußtsein unsere Menschlichkeit bejaht" und die eigene Vernunft „den bisher gültigen Gesetzen des Geistes und seiner Geschichte gläubig unterordnet". 32 Tatsache aber ist, daß Freyer sich für keine Seite endgültig entscheiden wollte, daß vielmehr expressionistischer Aufbruch und humanistische Reintegration einander abwechseln: Auf den „Prometheus" folgt „Der Staat" (1925), in dem der Staat als „geformtester Zustand der Kultur" gilt; auf „Revolution von rechts (1931) folgt schließlich „Preußentum und Aufklärung" (1944), in dem gegen die illegitime Herrschaft aufgerufen wird; auf die „Theorie des gegenwärtigen Zeitalters" (1955) folgt die „Schwelle der Zeiten" (1965), in der eine Versöhnung des Industriezeitalters mit den vorhergehenden Menschheitsepochen wenigstens angedeutet wird. Die Sozialphilosophie, die der gesamten expressionistischen Bewegung zugrunde liegt, steht in direktem Zusammenhang mit der Soziologie als einer neu entstehenden Wissenschaftsdisziplin. Der Expressionismus hat sich im wesentlichen mit den gleichen zentralen Begriffen auseinandergesetzt wie die Soziologie. Die Begriffe von „Gemeinschaft, Gesellschaft, Individuum, Masse, Führer, Volk und Mensch oder Menschheit bilden das zentrale Wortfeld im gesellschaftstheoretischen Schrifttum des Expressionismus" 33 , bekamen durch diesen expressionistischen Kontext jedoch eine ganz spezifische Bedeutung: „Gemeinschaft" und „Gesellschaft" sind nicht etwa Kategorien zur Einordnung und Analyse sozialen Lebens, sondern Visionen einer allgemeinen Erneuerungsbewegung. „Eine große Begierde nach Gemeinschaft geht durch alle Seelen seelenhafter Menschen" (Martin Buber). „Die Gemeinschaft ist die volle, die vorbehaltlose, die religiöse gegenseitige Offenheit aller Individuen, jene Offenheit, von der die Durchdrungenheit nur ein Bild ist. In der Hingabe den andern, in ihr und der Erwiderung sich selbst zu finden: diese völlige, immer flutende, diese ausnahmslose Menschlichkeit heißt Gemeinschaft" (Rudolf Leonhard); Gemeinschaft heißt nicht nur soziale Lebensform und ganzheitliche Bindung in einer kleinen Gruppe, sie wird zur Totalität einer neuen Lebensform, zum Ziel für die ganze Menschheit - man erstrebt „die kommunistische Erdgemeinschaft" (Alfred Ehrenstein) oder „den Erdballmenschen" (Ludwig Rubiner) und gibt dem Wort „Gemeinschaft" fast religiösen Gehalt im „heiligen Bau der Gemeinschaft" (Kurt Hiller). Die Entwicklung der zivilisierten abendländischen Menschheit von „Gemeinschaft" zu „Gesellschaft" bedeutet für diese Expressionisten den Untergang alles Menschlichen. Tönnies' Dekadenztheorie hat im Expressionismus eine grandiose Steigerung erfahren - Gesellschaft ist Ausgeburt egoistischer vereinzelter Individuen. Deshalb richtet sich der ethische Anspruch des Expressionismus gegen die Vereinzelung des Individuums: „Das Ich ist in Richtung auf das Wir zu durchbrechen." Das Individuum ist nur noch in bezug auf sein „Brudertum" wertvoll. „Das Individuum ist gefallen. Das Volk steht auf, der Mensch und das Volk, eine Gemeinschaft von Menschen, beide vollen eins sein. Sie wollen Menschheit sein. Die Vernichtung des Eins, um das All zu sein, ist der Sinn der namenlosen Erschütterung, die Menschen und Völker der Gegenwart umgestaltet" (Lothar Schreyer). Die Begriffe „Volk" und „Masse" stehen ebenfalls im Mittelpunkt expressionistischer Kontroversen. Ludwig
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I
Soziologie als „geistige
Bewegung"
Rubiner definiert Masse als „wirkendes Volk", an anderer Stelle wird Masse als Verfallsform des Volkes, als Produkt des kapitalistischen Gesellschaftssystems, verstanden - „Masse ist verschüttet Volk" (Ernst Toller) - , und dem „Volk" wird der höhere Wert einer freien Gemeinschaft zugeschrieben. Hier wäre auch die Klärung des Verhältnisses von Führung und Gefolgschaft notwendig - sie ist vom Expressionismus ebensowenig geleistet worden wie von der Jugendbewegung. Einerseits sieht man im Führer den egoistischen Autoritätsmenschen, der anderen seine Entscheidung aufzwingt, andererseits wird der Mythos des Führergenies beschworen: „...dieser Herz- und Hirngewaltige, (...), dieser Ekstatiker, der ein Stratege ist, dieser ,Caesar mit der Seele Christi', wie Nietzsche ihn nannte, dieser Monumentmensch (...), dieser grandiose Destructor-Constructor, dieser Revolutionär-Tekton, dieser waffenlose Uber-Bonaparte..." (Kurt Hiller). Der Führer ist entweder durch seinen geistigen Rang gerechtfertigt, oder aber es kann überhaupt keinen Führer geben, lediglich den „schöpferischen Menschen", der eher dem Künstler als dem autoritären Führertyp nahesteht. 34 Für fast alle Grundbegriffe der damaligen Soziologie kann man eine entsprechende expressionistische Polarisierung finden; sie waren also keineswegs nur wissenschaftliche Begriffe, sondern Kampfwörter einer viel umfassenderen geistigen Bewegung. Dies konnte für die wissenschaftliche Bearbeitung dieser Begriffe nicht ohne Folgen bleiben. Allein die Titel der Werke „Gemeinschaft und Gesellschaft" (Ferdinand Tönnies, 1887), „Masse und Geist" (Paul Tillich, 1922), „Individuum und Gemeinschaft" (Theodor Litt, 1919) mußten in der Öffentlichkeit Assoziationen zu diesen Bewegungen und ihren Zielen hervorrufen, sogar wenn diese Werke von den Autoren ausschließlich als wissenschaftliche Bearbeitung eines in einer rein wissenschaftlichen Tradition stehenden Problems gedacht gewesen wären (was aber - wie das soziale oder politische Engagement der Autoren zeigt - nicht ausschließlich beabsichtigt war). Die wissenschaftlichen Begriffe bekamen eine neue Semantik, neue konnotative Bedeutungen, damit konnte besonders die Soziologie als neue Wissenschaft mit dieser allgemeinen sozialen Bewegung identifiziert werden. Dies kann unter anderem erklären, warum Ferdinand Tönnies' Werk „Gemeinschaft und Gesellschaft", obwohl bereits 1887 erschienen, erst in den Jahren kurz vor und nach dem I. Weltkrieg so große Beachtung gefunden hat. 35 Man setzte in der Öffentlichkeit große Hoffnungen in diese „Wissenschaft als Bewegung". Das Problem Führung-Gefolgschaft wurde in der öffentlichen Diskussion unter anderem im Kampf um die Stellung der Intellektuellen ausgefochten. Einerseits wurde im Zuge der Demokratisierung der Kultur der Begriff „Intellektueller" ein Schimpfwort für eine alte überholte Geistesaristokratie, die in das neue Demokratieverständnis nicht paßte, andererseits erwartete eine aus dem Gleichgewicht geratene und neue Lebensformen erprobende Gesellschaft Lösungen für ihre aktuellen Probleme gerade von diesen Intellektuellen. Die Ambivalenz von Anforderungen und Anfeindungen, der die Wissenschaftler ausgesetzt waren, zeigt sich in der spezifischen Entwicklung des Begriffes „Intellektueller". Er wird einerseits als Gegenbegriff des Arbeiters, des proletarischen Denkens und proletarischer Solidarität von links ausgerichteten politischen Gewegungen formuliert 36 . Eine andere Dichotomie, sowohl von rechten politischen Bewegungen als auch von progressiven Kräften vertreten und auch allgemein im Expressionismus dargestellt, stellt das positive Gegenbild des „Geistigen" dem Intellektuellen gegenüber: Tat in der Welt, der Wille zur Gestaltung, Nähe zum Urerlebnis der Idee kennzeichnet den Geistigen, während der Intellektuelle als „bloß formulierend Danebenstehender" das Universum in Kausalität auflöst und durch Relativismus den Bankrott aller Normation erklären muß. 37 Diese Anschauung blieb weder auf esoterische Diskussionen noch auf das rechte politische Lager beschränkt. Die bedeutendste expressionistische
2. Jugendbewegung,
Expressionismus
und Wissenschaft
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Vereinigung der „Geistigen", der „Aktivistenbund" 3 8 , wurde im November 1918 als „Rat geistiger Arbeiter" in die „Arbeiter-und Soldatenräte" aufgenommen und zog, wenn auch nur für kurze Zeit, in den Reichstag ein. Ein weiterer Gegensatz gewinnt zunehmend an Bedeutung: der Intellektuelle als „Volksfeind" als Gegenbegriff zum Nationalisten. Hier wird die Dichotomie „Geist-Intellekt" ersetzt durch die Polarität „Kultur-Zivilisation". „Deutschland kämpft als letzter Vertreter der ,Kultur' gegen die Weltentente der Zivilisation" Intellektualisierung bedeutet „Entdeutschung". 39 Gerade diese anti-intellektuellen Einstellungen zeigen aber, daß den Intellektuellen dennoch eine einflußreiche Position zugedacht war. Die intensive öffentliche Diskussion und sogar die polemischen Anfeindungen sind durchaus als negative Formulierungen von hohen Erwartungen zu verstehen, die von der Öffentlichkeit nach wie vor an die geistige Elite, insbesondere an die Wissenschaften herangetragen wurden und allerdings dabei eine bestimmte Tendenz zeigten: Es wurde nie ein positives Bild des analysierenden Denkers entworfen, dem die Aufgabe zufällt, abgehoben von direkten Anforderungen der Praxis wissenschaftliches Wissen bereitzustellen; diese Haltung war verachtet als passiver unbeteiligter Intellektualismus. Der Wissenschaftler wurde vielmehr unmittelbar in die gesellschaftlichen Bewegungen durch die positiven Leitbilder des Geistigen, des Kämpfers für die Nation oder für die Emanzipation der Masse in den politischen und sozialen Aufbruch einbezogen. Aus diesem Grund konnte auch die Jugendbewegung nicht schlechthin „wissenschaftsfeindlich" gesinnt sein. Die Klärung ihrer Haltung zur Wissenschaft wurde fortlaufend in ihren Publikationen diskutiert 40 und führte zu einer spezifischen Vorstellung von Wissenschaft, die den öffentlichen Anforderungen an die geistige Elite entsprachen. Die Jugendbewegung nach dem I. Weltkrieg wollte zur öffentlichen Aufklärung, „zu der Erkenntnis, an der Viele und Generationen arbeiten", hinwirken, und aus dieser Entscheidung für das Ubersubjektive heraus plädierte sie auch für eine Revolution der Wissenschaft. 41 Sie soll erneuert werden durch „Erfassen des Weltgrundes" - Wissenschaft soll über die Ausschau zur Welt gleichzeitig auch Rückbesinnung auf den Urgrund allen Seins darstellen. Das ganze menschliche Wesen wird sich wieder in ihr ausdrücken müssen, das Künstlerische soll mit dem Verstandesmäßigen wieder zur Einheit kommen - in der Bedeutung des Sehens, in „wissenschaftlich disziplinierten Visionen", und in den Formen der Sprache, die nach der Sichtbarkeit des Ganzen streben. Darüber hinaus wird der „sozialistische" oder „demokratische" Charakter der Wissenschaft völlig unpolitisch proklamiert 4 2 : In der Schicht, in der ideale Wissenschaft wurzelt, „gibt es keine individuellen Unterschiede mehr zwischen Mensch und Mensch". Sozialität der Wissenschaft heißt „menschlich-gemeinsame" Beiträge, die gemeinsame Arbeit Vieler, nicht nur der Forscher, Kristallisation des Denklebens der Völker. Fortschreiten in ein neues Wissen bedeutet immer auch Durchdenken der gemeinsamen fundamentalen Grundlagen - damit soll aus der Bewegung zum Einzelnen wieder Bewegung zum Ganzen werden. 43 Einer der geistigen Führer der Jugendbewegung (und zeitweise Dozent an Freyers Soziologischem Institut), der Theologe und Philosoph Paul Tillich, hat diese Idee der Wissenschaft in einen sehr systematischen Versuch der Einteilung der Wissenschaft integriert, indem er in seiner Klassifizierung nach Denk- oder Idealwissenschaften, Seins- und Realwissenschaften, und schließlich der Geistes- und Normwissenschaften dem Vorwurf des Formalismus dadurch zu begegnen sucht, daß er im System der Wissenschaften als Ganzheit stets einen metaphysischen Gehalt durchbrechen sieht, der die lebendige Kraft des Systems darstellt. 44 Er bezeichnet wissenschaftliches Erkennen als „Mitschaffen und Weiterführen der urschöpferischen Setzung". Der Lebenssinn der Wissenschaft sei durch die Metaphysik
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I Soziologie als „geistige Bewegung"
fundiert, die die Wissenschaft in eine direkte Beziehung stellt mit d e m „unbedingten Sinn, der allem Einzelsinn Bedeutung u n d Realität gibt." Dadurch erhält f ü r ihn das Verhältnis der Wissenschaft zu ihren O b j e k t e n „theonomen Charakter". „Es ist der Eros z u m Unbedingten, der die Tiefe jeder erkennenden Wirklichkeitsbeziehung ausmacht." 4 5 Es zeigt sich, daß die Behauptung einer allgemeinen Intellektuellenfeindlichkeit auf keinen Fall aufrechtzuhalten ist. D a ß in einer Zeit der höchsten kulturellen u n d wissenschaftlichen Anstrengungen nach dem Kriege die Intellektuellen einfach geächtet w ü r d e n , wäre auch höchst unglaubwürdig. Allerdings aber wird in der Krise ihre traditionell gefestige Funktion im Sinne der neuen Bewegungen uminterpretiert. Bis in die Weimarer Wissenschaftspolitik, zumindest in ihre Zielsetzungen hinein, läßt sich diese neue Auffassung über Intellektuelle u n d Wissenschaft verfolgen. D e r preußische Kultusminister Carl Heinrich Becker (Orientalist u n d Hochschullehrer) plädiert f ü r eine Erweiterung des Wissenschaftsbegriffs u n d stellt dabei zwei Forderungen: Erstens die F o r d e rung nach der Verbindung mit d e m Leben, die außer geschichtlicher u n d positivistischer objektiver Forschung eine „phänomenologische Gegenwartsbetrachtung (sein soll), v o n der zu wünschen ist, daß sie das Gegebene zugleich als ein historisch Gewordenes u n d in seiner Gegenwartslage als ein durch mancherlei Faktoren Bedingtes zu erfassen sich bemüht, (...) also zugleich historisch u n d soziologisch orientiert (ist)." Seine zweite H a u p t f o r d e r u n g gilt der Synthese, d e m Systemzusammenhang - das bedeutet auch f ü r ihn eine A b w e n d u n g von der positivistischen Tendenz der anatomischen Betrachtung; die Soziologie bietet sich als „Lehre von den sozialen Beziehungen" geradezu an, Ausdruck des neuen Wissenschaftsverständnisses zu sein: „In der Sehnsucht nach Zusammenfassung u n d Beziehungserkenntnis betätigt sich nicht n u r der Gemeinschaftswille, sondern vor allem auch der Wille z u r Form." N i c h t allein die persönliche Bekanntschaft, vielmehr dieselbe Einstellung zur Soziologie ließ Freyer z u m „Wunschkandidaten" Beckers f ü r den geplanten Lehrstuhl f ü r Soziologie werden. 4 6 D e r Orientalist Carl Heinrich Becker hat als Staatssekretär im preußischen Kultusministerium (seit 1916) u n d vor allem als zeitweiliger preußischer Kultusminister (1921 u n d 1925-30) die Einrichtung soziologischer Lehrstühle vorangetrieben. Dies w a r also eine von außen an die Soziologie herangetragene politische M a ß n a h m e und nicht das Resultat der „Reife" des Faches oder eines innerwissenschaftlichen (kognitiven oder sozialen) Institutionalisierungsprozesses, wie es heute in Arbeiten über die Geschichte der Soziologie gerne dargestellt wird. 4 7 Die Soziologie wird auch in offiziellen wissenschaftspolitischen Stellungnahmen zur Trägerin des neuen Humanitätsideals und z u r Wegbereiterin der Ziele der neuen Republik u n d nicht nur in ihrer historisch-synthetischen Ausrichtung - auch Soziologie als formale Beziehungslehre, mag sie von ihren U r h e b e r n vielleicht auch als D ä m p f u n g dieser „Bewegung" gedacht sein, fand so ihre Eingliederung. D a ß ein verhängnisvoller „Zirkel von Mißverständnissen" - „das ambivalente Selbstverständnis der Soziologen f ü h r t zu einem vagen Fremdverständnis über den Wissenschaftscharakter der Soziologie" - f ü r die Insitutionalisierung neuer Wissenschaften typisch ist, da ihre Etablierung u n d Alimentierung von politischen Gremien entschieden wird, die bildungspolitische Interessen verfolgen, daß es dabei eher u m einen „allgemeinen Kampf u m die Funktionsbestimmung der Wissenschaften in einer Zeit heterogener politischer Wertvorstellungen" geht als u m die Institutionalisierung eines neuen Faches, 48 zeigt sich hier in beispielhafter Weise. Freyers wissenschaftliche Zielsetzung „aufgrund der Erkenntnis die gesellschaftliche Wirklichkeit mitzugestalten" 4 9 - 1920 noch allgemein formuliert, verdichtet sich bald zu der f ü r eine Soziologie als „Bewegung" kennzeichnenden Verschmelzung v o n politischem Wollen und wissenschaftlichem Erkennen.
J. Die Wissenschaftsgemeinschaft
um Hans Freyer (1925-1933)
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Und ebenso typisch dafür ist, daß Freyer die Anforderung, durch Wissenschaft politisch zu wirken, nicht etwa durch persönlichen Einsatz in einer Organisation oder durch aktive Unterstützung einer politischen Partei erwiderte; er erfüllte sie vielmehr, ganz dem neuen Intellektuellen-Image entsprechend, durch Darlegung seiner Erkenntnis in philosophischdichterischen Essais, die den verschiedensten weltanschaulichen Strömungen zur Selbstfindung verhelfen sollten. Seine Rolle in der Wissenschaft ist durch dieses Image des engagierten „Vordenkers" 50 entscheidend mitbestimmt worden. Seine spätere Klientel, sein Arbeitsstil an der Universität und sein Publikationsprofil können, wie sich im folgenden zeigen wird, (jedenfalls bis 1935) weitgehend auf die Verbindungen mit der Jugendbewegung und auf dieses Wissenschaftsverständnis zurückgeführt werden. Auch für Hans Freyer war die Jugendbewegung ein Lebensbund.
3. Die Wissenschaftsgemeinschaft
um Hans Freyer
(1925-1933)
Mit der Übernahme des neu errichteten Lehrstuhls für Soziologie in Leipzig am 3. Januar 1925 und den damit verbundenen finanziellen Mitteln, ein soziologisches Institut aufzubauen, waren für Freyer die institutionellen Voraussetzungen gegeben, aus denen sich nun auf organisatorischer Ebene Lehrer-Schüler-Beziehungen, vertiefte Kommunikation mit gleichgesinnten Kollegen und gemeinsame wissenschaftliche Arbeit entwickeln konnten. Freyer pflegte im Institut einen sehr kameradschaftlichen persönlichen Kontakt mit seinen Studenten (1930 waren es 100 Studierende), veranstaltete für sie in seinem Haus große Feste und hatte noch Jahrzehnte später Kontakt mit sehr vielen von ihnen. Die zwanglose herzliche Atmosphäre wird ausdrücklich mit dem Gemeinschaftsbewußtsein der Jugendbewegung verknüpft. 51 Bei den Lehrveranstaltungen dominieren Themen der politischen Soziologie und Theorie und der Bezug zur Gegenwart. Die wichtigsten Veranstaltungen Hans Freyers zwischen 1928 und 1933 waren: im Sommersemester 1928 die Vorlesung: Soziologie der Partei und eine Übung: Soziologie der Großstadt; im WS 1928/29 die Vorlesung:Theoretische Politik; im SS 1929 eine Übung über die Berufsgliederung und den sozialen Aufbau Deutschlands nach der Zählung von 1925; im WS 1929/30 die Vorlesung: System der Soziologie, und eine Übung zur politischen Soziologie (Staat, Partei, Repräsentation); im SS 1930 eine Übung zur Soziologie der Gegenwart (deutsche, französische, amerikanische Systeme der Soziologie) dazu die Vorlesung: Einführung in das soziologische Denken. Die gesellschaftliche Struktur der Gegenwart und ihre theoretische Erfassung. Freyer behandelt zwischen 1928 und 1933 nur ein einziges historisches Thema: „Der Geist des 19. Jahrhunderts" im WS 1931/32. Dieses Thema war für Freyer vor allem deshalb von Bedeutung, weil er im 19. Jahrhundert den entscheidenden ideengeschichtlichen und philosophischen Umbruch sieht, der erst zur Entstehung der Soziologie als Wissenschaft führen konnte. 52 Viel wichtiger war ihm in der Lehre die direkte Verknüpfung von Theorie und politisch-sozialer Wirklichkeit; die Empirie oder die „real-soziologische Forschung" (die damalige Bezeichnung für die empirische Sozialforschung) spielte eine große Rolle, allerdings in einer für das damalige Freyersche Institut typischen Bedeutung. Hans Linde, damals Schüler von Hans Freyer und Gunther Ipsen, charakterisiert das Leipziger Verständnis von Empirie sehr treffend mit dem Begriff „Kritische Empirie" 53 - eine „Empirie, nicht von von der Art, gegen die sich Adorno (...) wortreich
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I Soziologie als „geistige
Bewegung"
ereiferte, die durch ihre artifiziellen Methoden die Sache zu fetischisieren droht" - sie ist viel bescheidener und „von der billigen Sorte", nur als „Entdeckung oder Fund", als „ein Stück neuen Wissens", d. h. lediglich als eine Sammlung vorwissenschaftlicher Informationen, die nicht schon „durch Methode und/oder Theorie Wissenschaftlichkeit demonstrieren wollen", zu verstehen. Die Freyersche Einstellung zur Empirie ist in Lindes Zitat ganz prägnant erfaßt: „Denn nicht das zusammengescharrte oder ζ. B. durch Beobachtung oder Befragung erzeugte Material als die Menge seiner Informationen verbürgt die Qualität neuen Wissens, neuer Kenntnis und schließlich Kennerschaft, sondern erst die aus diesen Informationen gewonnene, von dem Material ablösbare, Allgemeineres aufschließende begriffliche Einsiebt." Diese „Begeisterung der ersten Stunde" für die Empirie war wohl den meisten empirischen Sozialforschern - Paul Lazarsfeld und Marie Jahoda in Wien, Siegfried Kracauer in Frankfurt oder auch den ungarischen Dorfforschern um Gyula Ortutay - gemeinsam. Die Lehrer des Instituts, außer Hans Freyer auch der Sprachwissenschaftler und Soziologe Gunther Ipsen, der Religionswissenschaftler Joachim Wach, der Theologe und Philosoph Paul Tillich, standen der politischen Gegenwart in irgendeiner Weise kritisch gegenüber und wollten, als Aktive oder Sympathisanten der Jugendbewegung, ihren Beitrag zur Verbesserung der sozialen Mißstände leisten. Unter vielen anderen bekamen der Sozialist Karl August Wittfogel, J. Daniel Achelis (Privatdozent für Physiologie in Leipzig) und der austromarxistische Philosoph Max Adler aufgrund des gemeinsamen Engagements in der Jugendbewegung Gelegenheit, am Institut vorzutragen.54 Für alle diese Verbindungen ist typisch, daß das rege interdisziplinäre Interesse in intensiven persönlichen Kontakten und im informellen Austausch von Ideen Ausdruck fand. Uber eine organisierte Zusammenarbeit an einem Forschungsvorhaben ist nichts bekannt. Der dringenden Empfehlung Freyers entsprechend haben seine Schüler das Studium der Soziologie generell erst nach vorheriger Berufstätigkeit oder nach dem Studium eines anderen Faches aufgenommen. Unter ihnen sind zwei Gruppen festzustellen: Für die eine, vornehmlich aus der älteren Jugendbewegung kommend und aufgrund der Unterbrechung durch den I. Weltkrieg nicht mehr der normalen Altersgruppe der Studenten angehörend, war es ganz unwichtig, das Studium rationell und schnell zum Abschluß zu bringen;55 das Studium selbst, die Möglichkeit, sich in gesellschaftliche und philosophische Grundprobleme zu vertiefen, war für sie echte Lebenserfüllung, die mit dem Bekenntnis der Jugendbewegung zu wahren geistigen Werten voll in Einklang stand. Meistens war die persönliche Bekanntschaft mit Freyer aus der Jugendbewegung ausschlaggebend für die Wahl der Universität Leipzig als Studienort. Freyer schätzte ihre Teilnahme an den Seminaren wegen ihres breiten Erfahrungshorizontes und unterstützte sie durch Beschäftigung am Institut (Willy Bloßfeld, Karl Günzel und Konrad Hecker als Assistenten) und durch Vermittlung von anderen Positionen, ζ. B. an der Volkshochschule oder in der Volksbücherei. Die andere dominierende Gruppe bildeten die Mitglieder des Leuchtenburgkreises, ein Kreis der neueren Jugendbewegung, der sich die allgemeine Förderung politischer Aktivität und politischen Interesses zum Ziel setzte. Die konkrete politische Ausrichtung des Kreises ist heute schwer auszumachen; bei den meisten Mitgliedern bestanden parteiliche Bindungen zur SPD und zu den liberalen Parteien; von konservativ-nationalistischen Bestrebungen in anderen Jugendbünden hat der Kreis sich ausdrücklich distanziert. Andererseits ist das Bekenntnis des Kreises zum „Sozialismus" nicht mehr so leicht nachzuvollziehen; denn es bedeutete weniger einen realpolitischen Einsatz für die Teilnahme aller an politischer Entscheidung oder für eine gerechte Verteilung des wirtschaftlichen Wohlstands, sondern galt hauptsächlich einer sehr vage formulierten „perso-
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nalen Menschwerdung der Massen" - „uns ist der Sozialismus nicht nur Sache des Hirns, sondern des Herzens, nicht nur Gedanke, sondern Glaube. (...) er ist national, kulturell, religiös im Kerne seines Wesens". 56 Wenn heute die führenden Köpfe dieses neuen Sozialismus, wie Hermann Heller, Paul Tillich oder Eduard Heimann als Vorkämpfer der Sozialdemokratie verehrt werden, wird dabei unzulässigerweise unser gegenwärtiges, viel pragmatischeres Politikverständnis auf die damaligen Verhältnisse projiziert. Es standen ja damals nicht die Mitgliedschaft oder das Programm einer politischen Partei im Vordergrund, sondern die gemeinsame Suche nach einem „sozialen Ethos" und nach politischer Gestaltung aus einer „grundsätzlichen philosophischen, weltanschaulichen Besinnung" heraus. Aus diesem Grund waren auch nicht Parteipolitiker die Mentoren und Leitfiguren des Kreises, sondern an den Fragen der Zeit interessierte Hochschullehrer, an der Universität Leipzig besonders Hans Freyer, Hermann Heller, Joachim Wach und Paul Tillich. 57 Die Zeitschrift, an der sich die Leuchtenburger orientierten und die sie mitgestalteten, waren die „Neuen Blätter für den Sozialismus", von Fritz Klatt, Eduard Heimann und Paul Tillich herausgegeben. Sie war das vorrangige Medium, um in der Haltung der Jugendbewegung nun auch das politische Problem der Demokratie zu lösen und aus den „über die Enge der Parteien hinausgreifenden Kräften der Jugend" die Krise zu überwinden 5 8 . So wurde die Integration der Ziele der ursprünglichen Jugendbewegung nach ganzheitlichem Leben in die „Vernunftspolitik" der Weimarer Republik bewerkstelligt, und auch in der Bildungsarbeit des Kreises für die arbeitenden Massen wurde ein altes Ideal der Jugendbewegung verfolgt: den Gefahren der Zivilisation durch die verinnerlichte „wahre Form" des Lebens zu begegnen. Durch Bildung sollte nun auch der Arbeiter an diesem wahren Leben teilhaben können. 59 Für den Leuchtenburgkreis war die Soziologie, immer als Ergänzung zu einem anderen Fach betrieben, Wegweiser für das soziale Engagement und für die Lösung der großen sozialen und politischen Probleme der Zeit. Der Leipziger Leuchtenburgkreis besuchte gemeinsam ausgewählte Lehrveranstaltungen an der Universität, u.a. bei Hans Freyer, Walter Goetz, Theodor Litt, Paul Tillich und Joachim Wach. Wissenschaftliche Literatur wurde gemeinschaftlich diskutiert, jedoch „nicht im distanzierten Stil eines wissenschaftlichen Seminars, sondern in Vorbereitung der eigenen Entscheidung und der gemeinsamen Entscheidung". 6 0 Soziologie war für diesen Kreis der Königsweg zur Sinnfindung in der aktuellen Krise; diese Erwartungen entsprachen genau Freyers Forderung, aus wissenschaftlicher Erkenntnis die Welt mitzugestalten. Freyer hat mehrere Wochenendtagungen des Kreises durch seine Vorträge und Diskussionen geprägt. Leider liegt nur eine einzige, stark gekürzte Fassung eines Vortrags schriftlich vor: Vom Sinn der griechischen Polis (1927). Freyer spricht darin von der totalen Vereinnahmung des antiken Menschen, seiner Mythen und seines Schicksals in der klassischen griechischen Polis, außerhalb derer kein Leben mehr gelte. „Polis ist das unbürgerlichste Staatswesen, weil sie das schlechthin politische Staatswesen ist"; sie erfaßt die Menschen mit schrankenloser Allmacht und erfordert totale Hingabe. Diese Interpretation stand im extremen Gegensatz zu den Vorstellungen dieses Kreises über die klassische Demokratie. Freyers historisches Wissen war zu fundiert, als daß er der nach Vorbildern suchenden politischen Bewegung eine bloße Nachahmung empfohlen hätte; wie stets bei seinen historischen Beispielen, sollte das „Modell" lediglich zur eigenen Reflexion anregen, Forderung und Warnung zugleich sein, es sich mit dem Ruf nach dem „politischen Menschen" nicht zu leicht zu machen. 61 Es ist jedoch nicht zu verwundern, daß in der darauffolgenden Diskussion der „politische Mensch" zum neuen Ideal erhoben wurde und ein quasi religiöser Staatsfanatismus durchbrach, der beinahe zur Spaltung des Kreises geführt
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hätte.62 Freyer hielt zu diesem Kreis immer eine gewisse Distanz; er hat nie für die „Neuen Blätter für den Sozialismus" geschrieben und sich auch nie ausdrücklich zu einem derartigen religiösen Sozialismus bekannt. Seine Rolle im Leuchtenburgkreis ist also eher als die eines wohlwollenden Beraters zu charakterisieren, der gerne sein Wissen zur Verfügung stellt, wenn man danach verlangt. Die „jugendbewegte" Gesinnung der Schüler Freyers bestimmte in vielen Fällen auch die Berufskarriere. Das soziale Engagement wurde fortgesetzt im Lehrberuf, als Volksbibliothekar oder in der Volksbildung. Es lassen sich nur fünf rein akademische Karrieren in der ersten Schülergeneration Freyers feststellen: Arkadij Gurland, Jospeh Maier, Ernst Manheim, Wilhelm Markert, Sigmund Neumann. 63 A. Gurland war von 1940-1945 Mitglied des Instituts für Sozialforschung in New York, arbeitete dort über Wirtschaft im Nationalsozialismus und beteiligte sich später an den Untersuchungen des Instituts über den Antisemitismus in der amerikanischen Arbeiterschaft. 64 Joseph Maier gehörte als langjähriger Assistent von Max Horkheimer und T.W. Adorno zum innersten Kern der Frankfurter Schule. Ernst Manheim hatte während seines Aufenthaltes in London von 1933-1937 guten Kontakt zu Friedrich Pollock und verfaßte für die geplante Autoritätsstudie des Instituts eine „Geschichte der autoritären Familie", die auszugsweise in den „Studien über Autorität und Familie" (Paris 1936) erschien.65 Die Anforderung Freyers, Soziologie als Selbsterkenntnis und Selbstgestaltung einer neuen Gesellschaft zu verstehen, konnte demnach gerade in der „Kritischen Theorie" ihre Fortsetzung finden. Hans Freyer selbst engagierte sich in der Volksbildung mit der Uberzeugung, daß Bildung nicht mehr aus einer idealistischen Weltanschauung, die die Realität stets in einen transzendenten Sinnzusammenhang einordnet, aufgefaßt werden kann, sondern im Geiste des Realismus der Gegenwart geschehen muß. Sie soll den Bürger dichter einfügen in die soziale Wirklichkeit, damit er bewußt Verantwortung für gegenwärtige Entscheidungen übernehmen kann. Geistige Verantwortung und bewußte Wahrnehmung der Realität verknüpft Freyer jedoch immer mit der Integration in einen historisch gewachsenen Kulturzusammenhang. 66 Die Erwachsenenbildung, in Leipzig zwar primär als Arbeiterbildung aufgefaßt, hatte neben den zahlreichen Arbeiterbildungsstätten in der Fichte-Hochschule eine Institution, die fast ausschließlich von bürgerlichen Kreisen frequentiert wurde. Unter der Leitung von Hermann Heller wurden die verschiedenen Institutionen im Volksbildungsamt Leipzig koordiniert. Freyer lehrte ebenfalls am von Heller initiierten „Seminar für freies Volksbildungswesen" der Universität Leipzig (Lehrstuhl Theodor Litt), einer Pioniergründung in Deutschland zur Erforschung der Erwachsenenbildung und Fortbildung der Lehrer für diese neue Aufgabe. In diesem Seminar standen, nicht zuletzt durch die Verknüpfung mit Freyers Institut, soziologische Fragestellungen im Vordergrund, allerdings wieder mit det betont ethischen Zielsetzung, Orientierungshilfen im verwirrenden Nebeneinander der Weltanschauungen zu liefern.67 Unter anderem wurden in diesem Seminar folgende Themen behandelt: Protestantismus und Gegenwart, Katholizismus und Gegenwart, Sozialismus und Gegenwart, die humanistische Idee und die Gegenwart; oder auch: Die Stellung des Protestantismus, Katholizismus, Sozialismus, Kommunismus und auch des Nationalsozialismus zum Eigentumsbegriff. Freyer selbst hielt ein Seminar über „Soziologie der Großstadt", Paul Tillich über die „geistige und religiöse Lage des Arbeiters", Paul Hermberg über „Soziologische Auswertung der Volkshochschul-Statistik". Die gesamte Volkshochschularbeit in Leipzig wurde von Anfang an durch laufende statistische Erhebungen soziologisch ausgewertet, Mitarbeiter und Studenten an Litts Seminar und Freyers Institut arbeiteten daran. Institutionalisiert wurde die soziologische Begleitung dieser Bildungsreform in der „Wissenschaftlichen
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Arbeitsstelle der Volkshochschule Leipzig" und der „Statistischen Zentralstelle", die die gesamte Erwachsenenbildung erstmals in Deutschland koordinieren sollten. Die Bezeichnung der Ausrichtung dieser Leipziger Volkshochschulbewegung als „sozialistisch" mag heute unverständlich erscheinen; man kann in diesem Zusammenhang nur hervorheben, daß die gesamte Orientierung der „Leipziger" Richtung der Erwachsenenbildung sich von konservativen Ideologien abgrenzte, indem sie eine entschiedene Gegenposition einnahm zu allen antizivilisatorischen, antiindustriellen und antiwissenschaftlichen Tendenzen. 68 Trotz des Engagements in der Jugendbewegung hatte Freyer eine vorwiegend wissenschaftliche Klientel; er hat sich nie als Prophet an ein Massenpublikum gewandt, das einer kompetenten Kritik und Kontrolle nicht fähig gewesen wäre, wenn sich auch seine Klientel hauptsächlich aus der Bündischen Jugend rekrutierte. Wie die von ihm gewählten Publikationsorgane zeigen, hat Freyer den wissenschaftlichen Rahmen nie verlassen. 69 Auch sein außeruniversitäres Publikum hatte eine wissenschaftliche Ausbildung, stand jedoch nun im praktischen sozialen Engagement und mußte Probleme der Anwendung wissenschaftlichen Wissens im täglichen Leben bewältigen. Sehr viele von Freyers Aufsätzen und Vorträgen waren deshalb zur allgemeinen Orientierung von Praktikern gedacht, für Lehrer, Musikerzieher, Ärzte oder auch Studenten im freiwilligen Arbeitsdienst. Freyers Rolle des sendungsbewußten Beraters der Jugendbewegung findet auch damit ihre Fortsetzung; gleichzeitig erfüllte er gerade damit auf ideale Weise die Anforderungen der breiten Öffentlichkeit, die in der hier vorangegangenen Darstellung der Intellektuellenfeindlichkeit, der allgemeinen Einstellung zur Wissenschaft und in C.H. Beckers wissenschaftspolitischen Vorstellungen gleichermaßen deutlich geworden sind. Zusammenfassend kann man sagen, daß die typischen Merkmale dieser Wissenschaftsgemeinschaft - die kameradschaftliche Atmosphäre im Institut, die Ausdehnung der gemeinsamen Aktivitäten auf den privaten Bereich, die Heranziehung von Mitarbeitern und Schülern aufgrund der persönlichen Verbindungen in der Jugendbewegung, nicht zuletzt die fortdauernden Kontakte zueinander über die Zeit der Zusammenarbeit hinaus - es erlauben, die damalige engere Wissenschaftsgemeinschaft um Hans Freyer als eine „Quasi-Primärgruppe" einzustufen. Die Kriterien, die die Bünde der Jugendbewegung zum klassischen Typus einer nichtfamiliären Primärgruppe machen - ganzheitliche Bindung ihrer Mitglieder, Unmittelbarkeit der Kontakte, Häufigkeit der gemeinschaftlichen Aktivität, relative Festigkeit der Beziehungen und Uberschaubarkeit des Geschehens 70 - lassen sich auf Freyers Wissenschaftsgemeinschaft ohne weiteres übertragen. Sie hat den „gemeinschaftlichen" Charakter der Jugendbewegung in der Wissenschaft fortgesetzt. Die wissenschaftliche Arbeit, die der spezifischen Eigenart dieser Gruppe entspricht und die vorwiegend der Verwirklichung der eigenen Persönlichkeit und einem idealistischen öffentlichen Engagement zu dienen hatte, war sehr viel weniger zum Aufbau und zur Differenzierung eines bestimmten soziologisch-theoretischen Konzepts geeignet. Deshalb hat man auch keine soziologische Fachorganisation als Diskussionsforum gewählt 71 , sondern eine eher diffuse, interdisziplinäre philosophische Vereinigung, die „Deutsche Philosophische Gesellschaft". Ihre Zeitschrift, die „Blätter für Deutsche Philosophie", bildete das wichtigste Publikationsorgan für Schüler und Mitarbeiter des Institus für Soziologie; die Mitarbeiter des Instituts (Freyer, Ipsen, Tillich, Hugo Fischer) erscheinen als Autoren von Abhandlungen 7 2 , die Assistenten und Schüler bekamen Gelegenheit zu Buchrezensionen und kleineren Beiträgen, und die Publikation der bei Freyer verfaßten Dissertationen wurde angekündigt. 73 Die Zielsetzung dieser Gesellschaft und Zeitschrift weist deutliche Parallelen auf zur Wissenschaftsauffassung der Jugendbewegung
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Bewegung"
und des Expressionismus: D i e Gesellschaft will „das reiche E r b e des deutschen Idealismus" verwalten, jedoch nicht in Historismus erstarren, sondern auf Fragen der heutigen Weltanschauung und der Lebensgestaltung eine A n t w o r t geben. D i e großen deutschen D e n k e r haben Bleibendes zu sagen, bilden also einen gemeinsamen, eigentlich
„humanistischen",
Lebensgrund, der von allen wirtschaftlichen und politischen Standpunkten aus zugänglich ist und die getrennten Wege wieder vereinigen könnte. 7 4 M i t dem deutschen Idealismus will man j e d o c h nicht die Philosophie von Fichte, Schelling und Hegel im engen Sinn fortsetzen; vielmehr versteht man darunter den R e k u r s auf die deutsche idealistisch-geisteswissenschaftliche Tradition im weitesten Sinn und eine Ablehnung der Beschränkung auf nur naturwissenschaftliches D e n k e n . 7 5 D a ß diese im weitgefaßten Sinn philosophische Zeitschrift das O r g a n des Leipziger Instituts für Soziologie wurde, vervollständigt das Bild der „Soziologie als geistige B e w e g u n g " im oben geschilderten Sinn. D i e spezifische Zusammensetzung des Schülerkreises u m F r e y e r hat Auswirkungen auf die weitere Entwicklung v o n Freyers soziologischer Theorie. D i e aus Jugendbewegung und Expressionismus zu erklärende Gruppenstruktur und Wissenschaftsauffassung haben zwar einerseits zu einer fruchtbaren Verbreitung und Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnis in der Praxis geführt, auch zu engagierter eigener wissenschaftlicher Arbeit 7 6 , waren aber auch andererseits ein wichtiger G r u n d , warum Freyers theoretischer Ansatz in dieser ersten Wissenschaftlergemeinschaft nicht weiter ausgearbeitet wurde. Einmal hat Freyers persönliche offene Geisteshaltung ihn immer veranlaßt, jeder Exegese seiner Werke durch seine Schüler mit Skepsis, ja mit Ablehnung zu begegnen, wie diese übereinstimmend berichteten. Z u d e m führte das allgemeine Bewußtsein, daß die Wissenschaft selbst über politische D i f f e renzen hinweg als Dienst am „ G e i s t " zu neuer G a n z h e i t und Gemeinschaft verhelfen kann, zu breitgefächerten, zwar soziologisch fachbezogenen Publikationen, die j e d o c h nie zu einer fachimmanenten Kanonisierung des theoretischen Wissens gelangten. A u c h die besondere Ausformung dieser Wissenschaftsgemeinschaft hat die Differenzierung und Weitergabe eines begrenzten theoretischen Ansatzes eher verhindert als begünstigt. E i n weiterer ausschlaggebender G r u n d kann selbstverständlich in der durch die M a c h t ü b e r n a h m e der Nationalsozialisten erzwungenen Auflösung dieser Wissenschaftsgemeinschaft gesehen werden. 7 7 D i e Zeit zwischen der Veröffentlichung von Freyers theoretischer Grundlegung der Soziologie, „ S o ziologie als Wirklichkeitswissenschaft" im J a h r 1930 und diesem A b b r u c h war zu kurz für eine theoretische Ausdifferenzierung durch Mitarbeiter und Schüler.
4. Disziplinare Matrix und Geistige Bewegung E s ist nun erforderlich, einige heute diskutierte wissenschaftssoziologische Annahmen im H i n b l i c k auf eine „Wissenschaft als geistige B e w e g u n g " zu revidieren. D e r Interpretation des Wandels in der Theoriebildung und der empirischen Fragestellungen in der Soziologie wird nach dem amerikanischen Vorbild einer h o c h institutionalisierten und hochgradig ausdifferenzierten Disziplin, die genau genommen jedoch auch in den U S A erst seit den sechziger Jahren festzustellen ist 78 - oft ein zu enger Begriff der „Wissenschaftsgemeinschaft", damit aber auch des wissenschaftlichen-„Paradigmas" oder der „disziplinären M a t r i x " zugrunde gelegt. M i t diesem Ansatz gehen jedoch die Anfänge einer Entwicklung, die Vorstufen der Institutio-
4. Disziplinare
Matrix und Geistige Bewegung
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nalisierung oder auch der Verweigerung einer Institutionalisierung unter; vor allem aber werden die tieferen Antriebskräfte einer solchen Entwicklung, die in der Gesellschaft selbst in ihren strukturellen Verschiebungen und architektonischen Brüchen, im Aufsteigen neuer Schichten und im Abstieg machtgewohnter Eliten, im Generationenkonflikt und im schleichenden Wertewandel - liegen, übersehen. Die Theoriebildung, einer kleinen Gruppe von akademischen Gelehrten zugeschrieben, gewinnt damit leicht ein konstruktivistische Qualität, so als wäre sie auf dem „Reißbrett" geplant und als hätte sie auch beliebig anders vereinbart werden können. Einer solchen Verengung gegenüber, die ein überinstitutionalisiertes und kognitiv überkonstruiertes Bild der sozialwissenschaftlichen Theorieentwicklung zeichnet, soll in dieser Arbeit stets der weitere makrosoziologische Kontext hervorgehoben werden, vor allem aber geht es stets um eine „Soziologie im Wandel" 7 9 in zweifacher Hinsicht: eine wissenschaftliche Disziplin, deren Gegenstand der soziale Wandel ist, ist dabei auch selbst einem manchmal unbewußten, oft aber auch krisenhaften Wandel unterworfen, dessen sie sich selbst kaum - oder erst lange nachher - bewußt werden kann (was eben oft ein Abgleiten in die „Disziplinlosigkeit" bedingt). In keinem Fall ist die Wissenschaftlergemeinschaft (scientific community) mit einer aktuellen sozialen Gruppe im Sinne einer „Arbeitsgruppe" aus ständig miteinander interagierenden und in festen sozialen Beziehungen (als Lehrer, Schüler, Mitarbeiter, Konkurrent) stehenden Mitgliedern gleichzusetzen, auch nicht im Sinne eines datierbaren „Netzwerkes" von sozialen Beziehungen, die mit einer angebbaren statistischen Regelmäßigkeit durch persönlichen Kontakt geknüpft und immer wieder erneuert werden. 8 0 In gewisser Weise bleibt die Wissenschaftlergemeinschaft ein „unsichtbares Kollegium" (invisible college) 81 , wenn es auch vorübergehend zu einem hohen Grad der sozialen wie intellektuellen Institutionalisierung kommen mag oder wenn sich im Rahmen der größeren Wissenschaftlergemeinschaft (einander ablösende) organisatorische Kerne bilden: Auch diese Organisationskerne leben aus unsichtbaren Beziehungen und aus indirekten Interaktionen mit persönlich oft unbekannten Diskussions- und Referenzpartnern, mit bereits Verstorbenen, deren Arbeitsergebnisse diskutiert und fortgeführt werden, mit Wissenschaftlern, die erst für die Zukunft erwartet werden, um die bisher ungelösten Probleme einer Lösung näherzubringen und den geleisteten Arbeitseinsatz nicht in den Orkus verschwinden zu lassen. In diesem Sinne ist die Wissenschaftlergemeinschaft „sozial transzendent", tatsächlich weitgehend transnational und transhistorisch. 82 Damit hängt zusammen, daß die Wissenschaftlergemeinschaft in erster Linie eine thematisch gebundene oder eine „Paradigmengemeinschaft" ist, bei der gerade nicht die sozialen Beziehungen im Vordergrund stehen, sondern die Verpflichtung auf ein kognitives Paradigma, auf einen Kanon von symbolischen Verallgemeinerungen, vielleicht auch - obwohl diese Stufe in den Sozialwissenschaften nur selten erreicht wird - auf formalisierte Modelle, zumindest aber auf gewisse „Exempla" von Forschungsprojekten, d. h. von exemplarischen Aufgabenstellungen und Problemlösungen. 83 Deshalb auch kann hier der Zweifel, ja die Kritik oder Polemik gerade innerhalb einer sich zusammengehörig fühlenden Wissenschaftlergemeinschaft eine so große Rolle spielen - im Unterschied zum „normalen" sozialen Leben, wo dies fast immer als „Bruch" der sozialen Beziehung gewertet würde. Natürlich ist von einer Wissenschaftlergemeinschaft nur zu sprechen, wenn ein grundlegender Konsens festzustellen ist; doch dieser Konsens ist den meisten Mitgliedern unbewußt, während ihr bewußtes Bestreben fast immer der Unterscheidung dient: nicht nur der Abhebung gegen andere Wissenschaftlergemeinschaften - es geht immer auch um ein „Darüb e r h i n a u s " über den bisherigen Wissensstand der eigenen Gemeinschaft, gerade über den
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I Soziologie als „geistige
Bewegung"
Lehrer und das wissenschaftliche Vorbild, dem gegenüber man eine eigene Originalität zu gewinnen hat. Bei einer weiteren Fassung des Begriffs der Wissenschaftlergemeinschaft wird deutlich, daß die von Thomas Kuhn charakterisierte „Paradigmengemeinschaft" nur eine Etappe der wissenschaftlichen Entwicklung darstellen kann, nämlich das Stadium der „normal science" 8 4 , in dem die Wissenschaft sozusagen zum Handwerk geworden ist; sie erfaßt aber nichts vom Pionier- oder Programmstadium einer Wissenschaft 85 , in dem es zunächst einmal darum geht, fruchtbare Ideen - vielleicht nur in der F o r m von Analogien und Metaphern zu finden, die eine neue Sichtweise („Weltsicht") erschließen, ohne daß diese schon hinreichend spezifiziert und formalisiert werden könnte, ohne daß ein praktikables Instrumentarium oder eine Methodologie der Problemlösungen in Sicht wäre. D i e typische Sozialform dieses Stadiums ist jedoch nicht die „Paradigmengemeinschaft" und auch nicht die „Schule", sondern es ist eine geistige und soziale „Bewegung", für die charakteristisch ist, daß die soziale Komponente, die auch große Bereiche im außerwissenschaftlichen Bereich erfaßt, von der geistigen oder wissenschaftlichen Komponente nicht zu trennen ist. 86 Das hervorstechende Merkmal einer „Bewegung" in intellektueller Hinsicht ist ihre Gegnerschaft gegen alle Traditionen einer etablierten Disziplin: sie erstrebt nicht eine „Reform" auf der Basis des Bestehenden, sondern eine „Revolution" im umfassenden Sinn eines „Umsturzes der Werte" 8 7 bzw. der herrschenden „Weltsicht". In diesem „Umsturz" liegen gleichzeitig die wissenschaftlichen Grenzen einer solchen Bewegung, die sich leicht im „Bildersturm", in der „metaphysischen" Antinomie und in der Umwertung oder dem allgemeinen ethischen Appell erschöpft, während die logisch-analytische Diskussion notwendigerweise zurückbleibt und dem alten Wissenschaftsgebäude noch kein neues entgegengestellt werden kann und (weil man ja gerade aus dieser Verhärtung herauskommen will) auch nicht soll. Die neuen Zielsetzungen sind so wertbeladen, daß sie wissenschaftlich kaum definiert und operationalisiert werden können. So aber verbleibt auch die wissenschaftliche Gemeinschaft in einer rudimentären und fluktuierenden Form, da eine interne Arbeitsteilung und die Vorabregelung regulärer Interaktionen unmöglich erscheint. Die dichotomische oder „metaphysische" Formulierung der Zielsetzungen ermöglicht so nur eine deutliche Abgrenzung von den Gegnern und vielleicht ein starkes emotionales Zusammengehörigkeitsgefühl, das jedoch mehr sozial und mehr weltanschaulich (religiös und/oder politisch) als wissenschaftlich motiviert ist. Dieser rudimentäre Zusammenhang aber erlaubt auf der anderen Seite auch eine große Ausdehnung der Bewegung, deren Anhänger weit verstreut sind auf verschiedene Universitäten und Disziplinen, aber auch auf außeruniversitäre Sozialzusammenhänge und Weltanschauungsgemeinschaften. In die diffuse und lockere soziale Organisation einer „Bewegung" sind in der Regel „ K r e i s e " eingestreut, d. h. vor allem lokal definierte Netzwerke von Anhängern, deren Beziehungen persönlich und mehr informeller Art (noch ohne Meister-Schüler-Verhältnis) sind, die aber über eine Disziplin weit hinausgreifen und nicht nur mehrere Disziplinen umfassen, sondern auch in religiöser und künstlerischer, in politischer und sozialer Hinsicht ausstrahlen. 88 Was diese Kreise verbindet, ist vor allem ein gesteigertes Sendungsbewußtsein als „Intellektuelle", das sie gemeinsam nach einer neuen gesellschaftlichen Ordnung Ausschau halten läßt. O b w o h l die Aktivität dieser Kreise kaum je als fachlicher Beitrag zur Differenzierung und Weiterentwicklung des wissenschaftlichen Paradigmas verstanden werden kann, sie vielmehr zur demonstrativen (oft nur symbolischen) „Aktion" tendiert, geht doch aus solchen „Aktionen" oft ein emotionaler Impuls für ein Wissenschaftlerleben hervor, das freilich sein Ziel erst finden muß und nicht schon diese Aktivität (oder die „Aktivität" an und für sich) als Ziel nehmen darf. Wenngleich die in
4. Disziplinare Matrix und Geistige Bewegung
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solchen Kreisen herrschende dogmatische Unerbittlichkeit und persönliche Einsatzbereitschaft oft einen sektenähnlichen Charakter anzunehmen scheint, so fehlt hier doch die für Sekten kennzeichnende straffe Mitgliederorganisation ebenso wie ein eindeutiges und logisch verbundenes System von Glaubenssätzen mit detaillierten Auslegungen. „Kreis" und „Bewegung" stehen in einem ständigen Wechselverhältnis: die „Kreise" gehen aus der Bewegung hervor und sie gehen wieder in ihr unter, bevor es zu einer zu festen Institutionalisierung kommt; umgekehrt artikuliert und erneuert sich die „Bewegung" in solchen lokalen Verdichtungen, ohne sich endgültig in einer Gesamtorganisation kristallisieren zu müssen. Geistige und soziale Bewegungen im definierten Sinn sind ein integraler Bestandteil der Wissenschaft. Dies gilt nicht nur für die Zeit vor der Mitte des 19. Jahrhunderts, bevor die Wissenschaft allgemein (über die erneuerte Universität, über Forschungsinstitute und wissenschaftliche Vereinigungen bzw. Berufsverbände) als Institution etabliert war, sondern zum Rückgriff auf die Bewegung kommt es auch noch nach diesem Zeitpunkt immer dann, wenn ein grundlegender Bruch des wissenschaftlichen Selbstverständnisses einer größeren, in sich zusammenhängenden Fächergruppierung (wie der Sozial- und Politikwissenschaft, aber auch der Biowissenschaften) stattgefunden hat. Joseph Ben-David unterscheidet zwischen „scientific movement" und „institutionalized science", und er stellt die „wissenschaftliche Bewegung" an den Anfang der neuzeitlichen Wissenschaft. Seine Aussagen über den Ablauf der Institutionalisierung gelten - in veränderter Form - aber auch heute noch: daß im Bewegungsstadium eine zusätzliche Motivation erzeugt wird, die zunächst diffundiert wird, um im institutionellen Stadium ihre Intensität zu verlieren. Eine „Expertenwissenschaft" kann es erst geben, wenn die Bewegung ihr Ziel erreicht und wenn ihre Werte tatsächlich von der Gesellschaft angenommen worden sind. 89 Der vorliegenden Theorieanalyse liegt die These zugrunde, daß „wissenschaftliche Bewegung" und „Expertenwissenschaft" (oder „Wissenschaft als Bewegung" und „Fachwissenschaft") konstituierende Komponenten jeder Wissenschaft sind und bleiben - gerade auch der scheinbar hoch institutionalisierten und kognitiv ausformulierten Disziplin; diese müßte ihre Erneuerungsfähigkeit verlieren oder in der „Anti-Wissenschaft" enden, wenn sie nicht immer wieder auf die Antriebskräfte einer solchen „wissenschaftlichen Bewegung" zurückgreifen könnte. Jede der beiden Komponenten kann durch das Zusammentreffen bestimmter interner wissenschaftlicher Entwicklungsbedingungen und externer Faktoren zur Dominanz gelangen oder weiterhin latent vorhanden sein. Da die „Institutionalisierung" immer auch die Durchsetzung der Werte der Wissenschaft in der Gesellschaft, wie umgekehrt auch die Selektion der wissenschaftlichen Werte durch die Gesellschaft impliziert 90 , muß die Wissenschaft als „Bewegung" dafür sorgen, daß ihre Ansichten in der Gesellschaft verbreitet werden, wie sie umgekehrt auch als „Fachwissenschaft" durch die Bereitstellung von wissenschaftlichen Werkzeugen und Expertisen den Anforderungen der Gesellschaft gerecht werden muß. Nach Ben-David gibt es einen derartigen Zyklus zwischen Perioden der Akzeptanz und Perioden der Ablehnung der Wissenschaft 91 , in denen es aber weniger um „die" Wissenschaft allgemein, sondern eben nur um bestimmte Fächergruppierungen in einem bestimmten Reifestadium geht. Zusammenfassend soll nochmals hervorgehoben werden, daß in dieser Analyse des Frey er schen Werkes die Soziologie vor allem in der Form einer „wissenschaftlichen Bewegung" im Vordergrund steht. Dieses Stadium reicht jedenfalls von den Anfängen Freyers über die „Theorie des objektiven Geistes" (1923) bis zum Wendepunkt des „Machiavelli" (1938). Wenngleich in der Zeit nach dem II. Weltkrieg ein starker Trend zur Reinstitutionalisierung
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I Soziologie als „geistige
Bewegung"
der Soziologie (freilich in anderer Form) festzustellen ist, so steht Freyer - trotz seiner vielzitierten „Theorie des gegenwärtigen Zeitalters" (1955) - als Emeritus zu diesem Zeitpunkt doch eher am Rande oder in offener Opposition zu dieser Institutionalisierung. Die Bewegungskomponente wird vor allem durch die Jugendbewegung definiert, der Freyer früh anhing, deren „Mentor" er auch in den zwanziger Jahren blieb, und die seine geistige Entwicklung weitgehend bestimmt hat. In künstlerischer Hinsicht - und Freyer hat eine starke künstlerische Ader und neigt stets zu einer künstlerischen Interpretation auch seiner wissenschaftlichen Aufgabe - ist er vielfach mit dem Expressionismus verbunden, und huldigt ihm gewissermaßen in allegorischen Schriften („Antäus" 1918, „Prometheus" 1923, „Pallas Athene" 1935) mit einem eigenwilligen Sprachstil, der mit dem wissenschaftlichen Stil zunächst unvereinbar erscheint. Diese Bewegungskomponente steht jedoch in Verbindung mit dem „Leipziger Kreis", der eine erste und interdisziplinäre Ubersetzung oder Transformation des geistigen und sozialen Impulses der „Bewegung" in die universitären Fächerverbindungen der Kulturphilosophie und Soziologie, der Politologie und Staatslehre, der Gestaltpsychologie, Pädagogik, Geschichtsschreibung und Theologie usw. ermöglicht und einen lockeren - in Leipzig zentrierten - Forschungszusammenhang bildet. Die Bedeutung der informellen Gruppe als notwendige Ubergangserscheinung in der Krise, die eine Erneuerung der Institution Wissenschaft anbahnen kann, läßt sich hier exemplarisch nachweisen.92 Wenn hier - dem herkömmlichen Sprachgebrauch folgend - von einer „Leipziger Schule" die Rede ist, so ist stets zu vergegenwärtigen, daß der überaus vieldeutige Begriff der „Schule" hier nicht im Sinne einer voll institutionalisierten, arbeitsteilig organisierten Schule mit Schuloberhaupt, gemeinsamen Publikationsorganen, Lehrkanon und Dogmenzensur gemeint ist 93 , sondern im Sinne lockerer sozialer Kreise bzw. einer geistigen Verbundenheit im Sinne einer bestimmten „Wissenschaftskultur" 94 . Eine „Schule" in diesem Sinn ist (wie ζ. B. auch die Chicago School) durch ein gemeinsames wissenschaftliches „Ethos" definiert, durch eine Tiefenstruktur von Wertorientierungen und Einstellungen, die die wissenschaftliche Tätigkeit stets fundieren, die dem Forschen und Lehren eine allgemeine methodologische Richtung geben oder ihm einen gewissen „Stil" verleihen, ohne sie jedoch im einzelnen festzulegen. Der Grad der kognitiven Institutionalisierung ist hier ebenso gering wie der der sozialen Institutionalisierung.95 Die Gruppenbildung steckt auch insofern in ihren Anfängen, als die soziale Differenzierung noch primitiv ist, d. h. daß die Abgrenzung gegen andere „Schulen" zwar deutlich ist, dennoch aber nur pauschal (eben aufgrund der lokalen Zugehörigkeit), während die interne Differenzierung kaum hervortritt. Von nicht zu unterschätzender Bedeutung für die spezielle Wissenschaftskultur der „Leipziger" ist die der weitaus etablierteren Disziplin der Psychologie zuzurechnende „synthetische" Tradition von Wilhelm Wundt, der nicht nur Natur- und Geisteswissenschaften methodologisch miteinander zu verbinden suchte, sondern auch in seiner „Völkerpsychologie" (10 Bände, 1900-1920) ein kollektiv-psychologisches und kultursziologisches, ja ein frühes „systemtheoretisches" Paradigma vorlegt, dessen methodologische Umsetzung und forschungspragmatische Konkretion von der nachfolgenden Generation nicht geleistet wurde. In gleicher Hinsicht prägend war der Historiker Karl Lamprecht, der die Geschichtswissenschaft mit einer nomothetischen Sozialwissenschaft verbinden wollte. Beide Gelehrte hinterließen sowohl ausbaufähige Theorieansätze wie auch die größten Forschungsinstitute ihrer jeweiligen Disziplin in Europa; trotzdem galten ihre Theorien als dem 19. Jahrhundert zuzurechnende universalhistorische Systeme und wurden demnach größtenteils als überholt angesehen.96 Der allgemeine Aufbruch der „sozialwissenschaftlichen Bewegung" gegen diese
4. Disziplinare Matrix und Geistige Bewegung
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Denktraditionen zeigt sich hier in Leipzig besonders deutlich. Gerade der geringe Grad der Institutionalisierung der soziologischen „Leipziger Schule" gewährleistet aber auch ihre Fruchtbarkeit - die relative Leichtigkeit der Verknüpfung zwischen den verschiedenen Disziplinen, die Wandlungsfähigkeit der einzelnen Disziplinen, die pragmatische Offenheit bei geringer dogmatischer Bindung - , während eine vollinstitutionalisierte Schule immer schon Zeichen der Erstarrung und der „Senilität" zeigt. So gibt die Theorietradition Lamprechts und Wundts sozusagen als „kultureller Code" ihrer Tätigkeit einen inneren Zusammenhang und eine nach außen prägnant abhebbare Gestalt. Die hier aufgeführten Besonderheiten - Schülerrekrutierung, öffentliche Resonanz und politischer Umbruch - dürfen nun auf keinen Fall zur Annahme führen, daß Freyers soziologische Theorie ausschließlich durch das Gedankengut des Expressionismus, der Jugendbewegung und der politischen Wirren der Weimarer Republik bestimmt worden wäre. Vor allem um diese soziologistische Annahme einer totalen Determiniertheit der Wissenschaft durch die gesellschaftliche Lage zu entkräften, ist die nachfolgende Theorieanalyse des Freyerschen Werkes unternommen worden. Die Ursprünge in den großen sozialwissenschaftlichen Systemen der Leipziger Lehrer Freyers: der Kultur- und Universalgeschichte Karl Lamprechts, des groß angelegten Theoriesystems, mit dem der Philosoph und Psychologe Wilhelm Wundt den Bogen von der physiologischen Psychologie bis zu einer allgemeinen Kultur- und Sozialpsychologie (der „Völkerpsychologie") zusammenzuschließen suchte, sind ebenso tragende Fundamente in Freyers Werk, wie auch sein gewagter Versuch, die Denksysteme Hegels, Fichtes und Lorenz von Steins für die gegenwärtige Soziologie wieder fruchtbar zu machen. Die in Deutschland einmalige Konstellation an der Universität Leipzig - das etwa gleichzeitige Entstehen von zwei weltbekannten Forschungsinstituten: das Institut für Kultur- und Universalgeschichte Karl Lamprechts und das Institut für Experimentelle Psychologie Wundts, die äußerst umfangreiche und systematisch-theoretische Arbeit dieser beiden Gelehrten, und die bemerkenswerte Kontinuität durch die Lehrtätigkeit ihrer Schüler in Leipzig - berechtigt zur Hypothese, daß man im Bereich der sozialwissenschaftlichen Theoriebildung von einer „Leipziger Schule" sprechen kann. Ihre ausführliche Theoriegeschichte ist allerdings noch nicht geschrieben worden. Sie müßte außer den Sozialwissenschaften im engeren Sinn (Soziologie, Psychologie, Pädagogik, Geschichte, Volkskunde) selbstverständlich auch die Philosophie, Theologie, die Kunst- und Sprachwissenschaften und die Kooperation mit den Naturwissenschaften umfassen. Nicht nur die „naturwissenschaftlichen" Vorgänger Wilhelm Wundts, Ernst Heinrich Weber und Gustav Theodor Fechner, wirkten in Leipzig, sondern auch die Naturphilosophen Wilhelm Ostwald und Hans Driesch, der Lehrer Arnold Gehlens. Wenigstens einige dieser Leipziger Denktraditionen werden in der folgenden Theorieanalyse sichtbar werden, die zwar gewiß als Theorie der Gesellschaft von den gesellschaftlichen Umbrüchen und politischen Krisen nicht unberührt bleiben können, aber trotzdem im wissenschaftlichen Diskurs eine bemerkenswerte Kontinuität aufweisen.
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/ Soziologie als „geistige Bewegung"
5. Die Wissenschaftstradition der Universität Leipzig Einige Aspekte der wissenschaftsinternen Entwicklung an der Universität Leipzig als ideengeschichtliche Komponente sollen deshalb das Bild vervollständigen. Die Verbindungen Freyers zur wissenschaftlichen Arbeit seiner unmittelbaren Universitätslehrer werden die genuine Leipziger Denktradition wenigstens umrißhaft deutlich werden lassen. D e r Philosoph Johannes Volkelt 97 war auf dem Gebiet der Geschichte der Philosophie und der Ästhetik bekannt und hat in seinem Seminar auch die Pädagogik auf ein anspruchsvolles wissenschaftliches Niveau gebracht. Außer allgemein philosophischen und pädagogischen Themen behandelte er in mehreren Vorlesungen hauptsächlich die kantische und nachkantische Philosophie. An den Themen der Seminarveranstaltungen fällt die Verbindung zur Literatur auf; Volkelt analysiert Goethes Lebensanschauung anhand ausgewählter lyrischer Gedichte und stellt die Geschichte der Philosophie nach Kant im Zusammenhang mit der Entwicklung der deutschen Dichtung dar. Übungen auf dem Gebiet der Ästhetik über das Tragische baut er auf einer Analyse von Hebbels Dramen auf. 98 Daß Hans Freyer ihn als ersten Referenten seiner Dissertation „Geschichte der Geschichte der Philosophie im achtzehnten Jahrhundert" 9 9 wählte, kann man wohl als Akzentuierung der philosophischen Fragestellung vor der historischen bewerten. Freyer stellt darin anhand der Entwicklung der Philosophiegeschichte, wie sie im Zeitalter der Aufklärung von Wolff bis Kant betrieben wurde, das theoretische Problem dar, wie ein rein rationalistisches System, das ein Endgültiges erreicht zu haben glaubt, doch wieder die Fülle des Historischen mit einbeziehen muß. So widersprüchlich es zunächst erscheint, so kann auch der Rationalismus die „Geschichte" nicht negieren, allein schon aufgrund seines Interesses am Tatsächlichen, aber besonders auch aufgrund seines Rückgriffs auf einen Urzustand der menschlichen Natur überhaupt, aus dem dann der Verlauf der Menschheitsgeschichte deduziert wird. Allerdings ändert sich die Methode der Geschichtsbetrachtung: Im Rationalismus entstand zwar eine Tendenz zur empirischen Geschichte; 1 0 0 die historische Problematik kann der Rationalismus jedoch aufgrund „der Ohmacht seiner Methoden und der Willkür seiner Voraussetzungen" 101 nicht lösen; die Unlösbarkeit des theoretischen Problems „Geschichte" im vollkommen rationalistischen System führte (nach Freyer) letztlich zu dessen Selbstzerstörung. Eine Übernahme von Volkelts Hermeneutik zeigt sich in den Schritten des historischen Verstehens, die nach Freyer für die „Geschichte der Philosophie" als Wissenschaft konstitutiv sind: N u r indem die Philosophie als Wissenschaft dem eigenen System gegenüber eine historische Haltung einnimmt, es dadurch in die allgemeine Geschichte der Philosophie miteinbezieht, erscheint das eigene Denken zugleich auch als logische Vollendung der philosophischen Vergangenheit, das historische Verständnis schlägt in direkten Erkenntniswert um. „Denn die historischen Wirklichkeiten der Geschichte der Philosophie sind für die Philosophie selbst logische Möglichkeiten. Zunächst gewußte Tatsachenreihen, fungieren die verstandenen Systeme zugleich als logische Gedankenreihen und werden systematisch wirksam." 1 0 2 Dieses Geschichtsverständnis, von Anfang an grundlegend in Freyers Werk, ist nach ihm Bestandteil des rationalistischen Denkens der Aufklärung, kann aber in einer interessanten Variante auch im aktivistischen Denken des Expressionismus festgestellt werden: Geschichte als Resultat der Vergangenheit komprimiert zur allgemeinen Struktur der gesellschaftlichen Gegenwart; allerdings tritt sie hier in der wissenschaftlichen Ausformung nicht ambivalent als unkontrollierbare Gewalt neben das autonome Subjekt, sondern erscheint in logischen Entscheidungsmöglichkeiten für die Gegenwart, d. h.
5. Die Wissenschaftstradition
der Universität Leipzig
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in ihrer Kontingenz. Mit dieser Auffassung von „Geschichte" hat Freyer sich deutlich von der universalen Entwicklungsgeschichte seines Lehrers Karl Lamprecht abgesetzt. Karl Lamprechts Institut für Kultur- und Universalgeschichte, in dessen Rahmen Freyers Dissertation publiziert wurde, war durch reiche Zuwendungen aus vielen Ländern und großzügige Unterstützung der Regierung zur „schönsten und größten geisteswissenschaftlichen Arbeitsstätte Deutschlands" 103 geworden. Karl Lamprecht, Professor der Geschichte in Leipzig seit 1891, 104 war während Freyers Studienzeit in Leipzig eine der herausragendsten Gestalten in der deutschen Geschichtswissenschaft, international bekannt und in Deutschland sehr umstritten durch seine Abwendung von der rein politischen Geschichtsschreibung, der üblichen Hof- und Staatsgeschichte, mit dem Ziel, statt dessen eine bereichsübergreifende allgemeine Kulturgeschichte zu betreiben. In seinem Lebenswerk „Deutsche Geschichte" 105 ordnete er auch den Ablauf politischer Vorgänge in die Gesamtentwicklung kultureller Erscheinungen und Zustände ein und verursachte einen Methodenstreit in der deutschen Geschichtswissenschaft um die Jahrhundertwende, der an Dauer und Heftigkeit seinesgleichen sucht. Sein Versuch, die Gesamtentwicklung und Verflechtung von Staat, Kultur und Leben darzustellen, führte ihn zu geschichtsphilosophischen Annahmen, die heftige Kritik hervorriefen 106 . Der Zusammenhang aller Teilbereiche der kulturellen Entwicklung zeigt sich für ihn in einer gesetzmäßigen Stufenfolge: Jede Nation muß durch ein symbolisches, typisches, konventionelles, individualistisches, subjektivistisches und reizsames Geistesleben hindurchgehen. Mit Hilfe dieses Entwicklungsschemas, das die Wirkung der konstanten sozialpsychischen Kräfte darstellen sollte, wollte Lamprecht alle Kulturen und Zeitalter vergleichbar machen, um die Geschichte der gesamten Menschheit in ihrer Einheit darstellen zu können. Das fortschreitende geschichtliche Leben liegt für ihn in der Gesamtheit, das Individuum ist nur ein Schatten der Gesamtheit. Kollektivistische Geschichtsauffassung und sozialwissenschaftliche Methoden, wie Statistik, sollen die individualistische und politische Geschichtsschreibung, die ja nur raffinierte Sagenbildung darstellt, überwinden helfen. 107 Seine Gegner erwiderten ihm den gleichen Vorwurf: Eine der Naturwissenschaft zu Unrecht angeglichene Gesetzmäßigkeit führe nur zum Dogma, welches das Ende aller wissenschaftlichen Erkenntnisse bedeute; Tatsachen könnten so nicht mehr vorurteilsfrei gesehen werden, sondern würden nur mehr in das vorhandene Schema klassifiziert und periodisiert. 108 Der Konflikt zwischen rationalistischer Wissenschaftsauffassung und Geschichte war nicht nur zentrales theoretisches Thema am Lamprechtschen Institut, er setzte sich in dieser Kontroverse auch öffentlich fort. Der besondere Charakter des Lamprechtschen Instituts - „die Vielseitigkeit des Unterrichts, die Geistesgeschichte als Grundlage des Ganzen, die Vereinigung aller historischen Gebiete zu einer Einheit" 109 - prägte Freyers Oeuvre nachhaltig. Der Schwerpunkt des Instituts, die „deutsche Kulturgeschichte der Romantik und des Realismus" 110 , ist für ihn sowohl Anregung für sein Dissertationsthema wie auch für die spätere intensive Beschäftigung mit den Romantikern und besonders mit Lorenz von Stein gewesen. Dazu kommt Lamprechts intensive Beschäftigung mit der jüngsten Vergangenheit: Lamprecht liest im SS 1908 „Weltpolitik der jüngsten Vergangenheit (1870-1908)" und setzt sich mit dem Verhältnis von Weltanschauung und Wissenschaft auseinander. Durch diese Verbindung der Geschichtsschreibung mit anderen gesamtkulturellen Entwicklungen fanden soziologische Fragestellungen Eingang an diesem Institut, und zwar in kultur- und wissenssoziologischer Richtung. 111 Diese kultursoziologische Makroperspektive vertrat in Leipzig gleichzeitig Johann Plenge, (zwar nicht zum Lamprechtschen Institut direkt zugehörig), ein enzyklopädischer Forscher,
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I Soziologie als „geistige
Bewegung"
der, wie übrigens auch Freyer, bei Karl Bücher Nationalökonomie studierte, seit 1903 dieses Fach als Privatdozent und ao. Professor in Leipzig lehrte, bis er 1913 eine Professur in Münster erhielt. Nach ihm sollte Soziologie ebenfalls als universalhistorische Wissenschaft betrieben werden, als „kosmologische Uberschau", die er in einem immensen „Tafelwerk" systematisieren und als allgemeinverbindliches Lehrsystem für die Universitäten der zwanziger Jahren durchsetzen wollte. 112 Der Nachfolger Lamprechts, Walter Goetz 1 1 3 , behielt die auf die kulturelle Gesamtentwicklung gerichtete, interdisziplinäre Perspektive bei, auch wenn er wiederholt für wissenschaftliche „Ernüchterung" und Präzisierung plädierte. Er hat Freyers Habilitationsschrift durch ein Stipendium des Instituts ermöglicht; Freyers Thema „Die Bewertung der Wirtschaft im philosophischen Denken des 19. Jahrhunderts" 114 war ein Teilbereich des damaligen Gesamtprojekts des Instituts, das sich mit der Klärung der Beziehungen zwischen idealistischer Philosophie und wirtschaftlicher Wirklichkeit befaßte. 115 Ein äußerst wichtiger Vorläufer der Soziologie als akademischer Disziplin in Leipzig ist Wilhelm Wundt 116 , ebenfalls im Rahmen eines weltberühmten Universitätsinstituts, des Instituts für Experimentelle Psychologie. Er hat sich während Freyers Studienzeit mit der speziellen Logik der Soziologie befaßt und ebenfalls die dialektische Beziehung zwischen Soziologie und Geschichtswissenschaft herausgestellt117. Die Gegensätze Individualismus und Kollektivismus, Kultur und Zivilisation und die natur- oder kulturwissenschaftliche Begriffsbildung werden hier anhand der Darstellung verschiedener soziologischer Theorien wissenschaftshistorisch und wissenschaftslogisch präzisiert und eingeordnet. 118 Für ihn, wie für die Gegner Lamprechts, kann Soziologie als positive empirische Wissenschaft nicht existieren, da diese eine spekulative Tendenz hat und die Entwicklung der Gesellschaft aus einem einzigen natur- oder geschichtsphilosophischen Prinzip, das den sozialen Tatsachen gewaltsam aufgeprägt wird, zu erklären sucht. 119 Die Einseitigkeit der soziologischen Methoden kann nur durch Herbeiziehung ethnologischer und völkerpsychologischer sowie geschichtlicher Hilfsmittel überwunden werden. 120 Felix Krueger 121 , der Nachfolger Wundts in Leipzig setzte diese Fragestellungen fort in seinem Anliegen, den Zwiespalt zu überbrücken von „soziologischer Betrachtung" einerseits, die Fragen nach seelischer Wirklichkeit ausklammert, und sozialpsychologischer Ausrichtung andererseits, die ein phänomenalistisches Betrachten von Einzelindividuen, losgelöst von ihren überdauernden sozialen Bedingungen, darstellt. Seine „Ganzheits- und Strukturpsychologie" will im Bemühen um das Einzelne, Individuelle den Bezug zu langzeitlichen sozialen Strukturen wahren und der Begriff des „Gliedes" soll dazu dienen, diese Verbindung herzustellen, denn dieser „bewahrt (...) die seelische Lebendigkeit des sozialen Ganzen und begreift zugleich den Einzelnen als funktionale Verkörperung des Ganzen an besonderer Stelle". So ist die Frage nach der psychologischen Bedeutung eines individuellen Erlebnisses immer auch eine Frage nach seinem strukturellen Sinn. 122 Unter Struktur versteht Krueger zwar zeittypisch noch ein organismisches Gefüge der Ganzheit des Individuums als auch die gewachsenen Gemeinschaftsgebilde, ζ. B. Familie, Volk, als Sozialorganismen. Der wichtigste Aspekt seines Strukturbegriffs in der damaligen Diskussion ist jedoch, daß er nicht eine bloß formale, generalisierende Kategorie darstellen soll, sondern daß er Entwicklung und Geschichte mit beinhaltet, daß „darin der alte Gegensatz von beharrendem Sein und prozeßhaftem Da-Sein" 1 2 3 aufgehoben werden sollte. Felix Krueger wird damit zum Begründer der genetischen Ganzheitspsychologie, einer von der Berliner und Würzburger Schule deutlich zu unterscheidenden strukturgenetischen Richtung der Gestaltpsychologie. 124
6. Hans Freyers System der Soziologie
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Die geisteswissenschaftliche Tradition der Universität Leipzig, gewiß auch maßgeblich beeinflußt von der Philosophie Diltheys, setzt sich damit in einer ganz bestimmten Art und Weise in den neuen Sozialwissenschaften fort. Die umfangreichen empirischen Studien neuesten Stils 1 2 5 in Psychologie und Soziologie waren immer mit Geschichte und Philosophie verbunden und standen im Zeichen der Überwindung des Gegensatzes von Rationalismus und Geschichte, der Betrachtung der „Ganzheit" als Struktur und Stufenfolge. Schichtung und Stufenfolge, oder genauer die Verflechtung aller kulturellen Lebensbereiche einerseits und die Einordnung dieser Verflechtung in eine historische Gesamtentwicklung andererseits, kann als übergeordnetes Gesamtthema der Leipziger Geisteswissenschaften gelten. Historische Gegebenheiten zugleich als logische Abfolge von sozialpsychischen Lagen, die auseinander hervorgehen, und die daraus zu entnehmende Einordnung der tatsächlichen gegenwärtigen Strukturen in eine übergreifende Gesamtentwicklung einer Gesellschaft 1 2 6 stellten die damalige Leipziger Lösung des Konflikts zwischen zeitloser Rationalität und Geschichte dar, die sowohl Karl Lamprecht wie auch Wilhelm Wundt und Felix Krueger, jeder in seiner Weise, versuchten. So kann man im Sinn einer theoretischen Denktradition durchaus von einer „Leipziger Schule" sprechen und Hans Freyers Konzeption einer strukturgenetischen soziologischen Theorie setzt in ihrer Synthese von Einschichtung und historischer Entwicklung diese Denktradition fort.
6. Hans Freyers System der Soziologie zwischen geisteswissenschaftlicher Tradition und sozialer Bewegung
In Freyers Werk sollten damit zwei Positionen zur Synthese gelangen, die die wissenschaftliche wie auch die öffentliche Diskussion bestimmten: einmal die Position, die auch die Leipziger Denktradition bestimmte, nach der die gegenwärtige gesellschaftliche Gesamtstruktur als Resultat eines übergreifenden, langfristigen Entwicklungsprozesses begriffen wird, zum anderen aber auch die im expressionistischen Denken erscheinende Verkürzung von „Geschichte", als Kontraktion der Vergangenheit in der gesellschaftlichen Gegenwart, als Augenblick des Umschlagens eines alten in einen völlig neuen Zustand. Die wissenschaftliche, d. h. theoretische Problematik dabei ist Gegenstand der folgenden Kapitel. Hier soll nur einleitend betont werden, wie sehr Freyers Konzeption der Soziologie als „Selbsterkenntnis einer Gegenwart", die erstmals die Möglichkeit erschließen soll, daß eine Zukunft sich selbst aus der Gegenwart schafft, daß der Mensch die Idee seiner selbst auch zur Verwirklichung bringen kann, gleichzeitig die Hoffnungen aller zeitgenössischen
Aufbruchsbewegungen
ausdrückt. Das Streben der Jugendbewegung nach „Selbsterziehung" des Individuums, das damit Verfügung über die Wirklichkeit erlangt hat und die negativ erfahrene Gegenwart überwinden kann, die expressionistische Auffassung der Geschichte als Weltwende, als Augenblick des Umschlagens eines alten in einen neuen Zustand haben ihren wissenschaftlichen Ausdruck gefunden. Diese Skizze des Kontextes zeigt darüber hinaus, wie ein Wissenschaftsverständnis, das Soziologie als Einheit von Erleben und Erkennen, von Theorie und Praxis proklamiert, bis in das Alltagsleben hinein, in Gruppen mit sozialpolitischen und lebenspraktischen Zielen, konkretisiert wird bzw. gerade von diesen Gruppen als praktische
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I Soziologie als „geistige Bewegung"
Lebenshilfe gefordert wird. Freyers Soziologie als „gelebte Philosophie" 1 2 7 war getragen von einem durchaus „lebenspraktischen Pathos", das sich auf keinen Fall in philosophischem Sendungsbewußtsein erschöpfte, sondern in ganz nüchterne Alltagspflichten hineinwirken konnte. So wie diese Soziologie mit der „Kritischen Theorie" die Einheit von „Leben" und „Erkennen" gemeinsam hat, so teilt sie mit dieser auch die unendliche „Verwendbarkeit". Soziologie als kollektive Selbstreflexion hat auf vielfältigste Anforderungen der durch Krisen verunsicherten Öffentlichkeit immer eine Antwort: Die Selbstfindung. Nun ist der Wissenschaftler zum „Geistigen" geworden, zum „Medium" des Gesamtwillens, und Soziologie wird zum „Organ" des Gemeinschaftswillens und des Willens zur Form, wie es auch von den zahlreichen Erneuerungskonzepten in Kunst, Dichtung, Architektur, oder in der öffentlichen Diskussion von Bünden und von offiziellen politischen Organen gefordert wird - sie ist ebenfalls Bewegung. Dabei ist allerdings doch ein wichtiger Unterschied zu den sozialphilosophischen Begriffen des Expressionismus hervorzuheben: Wáhrend Freyer die Umwertung der gesellschaftlichen Utopien zu heuristischen Arbeitshypothesen in der Wissenschaft verlangt 128 , sollen die expressionistischen Zukunftsvisionen reine mythisch-religiöse Utopien bleiben; sie haben mit wissenschaftlicher Erkenntnis nichts mehr zu tun, sondern entsprechen genau der idealtypischen Form des Heils- und Erlösungswissens, „auf den Totalzusammenhang der Welt gerichtet, der in metaphysischen, künstlerischen und religiösen (auch politischreligiösen) Kategorien erfaßt werden kann". 1 2 9 Wáhrend im Expressionismus „Gemeinschaft" den utopischen paradiesischen Endzustand der Menschheit bedeutet, ist sie bei Freyer (in Weiterführung von Wilhelm Wundts Ansatz) in immer neuen Formen innerhalb der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung realisiert. Während der Expressionismus „Volk" als einen idealen und visionären Begriff der freien Gemeinschaft verwendet, bedeutet „Volk" bei Freyer immer geschichtlich gewachsene und ständig sich weiterentwickelnde reale Kultureinheit. Trotzdem werden Freyers soziologische Strukturbegriffe in der Rezeption seiner Schriften mit den mythischen Wesensbegriffen des Expressionismus gleichgesetzt, z. B. wird Freyer in einer umfassenden historischen Darstellung der Kultur der Weimarer Republik lediglich als „völkischer Schriftsteller" aufgeführt. 130 In der zeitgenössischen Fachwissenschaft wird Freyers „Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft" u.a. als „die erste wirkliche philosophische (im Sinne von wissenschaftslogischer) Grundlegung der Soziologie" 1 3 1 eingestuft, aber für die Rezeption nach dem II. Weltkrieg wird ihm zum Verhängnis, daß er einen Begriff verwendet, der als mythischer Begriff Kampfwort einer diffusen völkisch-nationalen Bewegung war und später dem Nationalsozialismus zugeordnet wurde: „Revolution von rechts". 1 3 2 Aufgrund einer Gleichsetzung dieses Begriffes mit der realen nationalsozialistischen „Bewegung" konnte Freyer als Wegbereiter faschistischen Denkens eingestuft werden. 133 Seine Bekenntnisschriften zur Jugendbewegung, sein sprachlicher Stil, aber auch seine wissenschaftliche Konzeption der Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft und Ethoswissenschaft, die, obwohl sie auch theoretische Fortentwicklung einer wissenschaftlichen Tradition sein sollte, gleichzeitig immer wertende Reflexion der aktuellen Krise und selbst Teil der sozialen Bewegung war, begünstigen natürlich gleichermaßen die (im folgenden Kapitel ausgearbeitete) Argumentation, daß sein theoretischer Begriff der „Wirklichkeit" die jugendbewegte und expressionistische Metaphysik geradezu noch „wissenschaftlich" untermauert. In Unkenntnis des wissenschaftshistorischen Zusammenhangs - sowohl in kognitiver wie in institutioneller, aber auch gesamtgesellschaftlicher und massensoziologischer Sicht - wird das Werk Freyers unvermeidlicherweise fehlinterpretiert, d. h. nach Kriterien und Maßstäben, die unserer eigenen Zeit und den besonderen politischen Intentionen des Kritikers, nicht
6. Hans Freyers System der Soziologie
TI
jedoch denen des Autors, entsprechen. Die Semantik wissenschaftlicher Begriffe wird allerdings entscheidend durch das umgebende öffentliche Milieu, durch die Wissenschaftskultur mitbestimmt; durch sie erlangen wissenschaftliche Erkenntnisse vielfältige
konnotative
Bedeutungen 134 . Damit ist die Semantik der wissenschaftlichen Begriffe auch ausschlaggebend unter anderem für eine bestimmte Selektion und Richtungsbestimmung in der Theoriedifferenzierung, für die Rekrutierung der Wissenschaftsgemeinschaft und für die Beziehung Theorie - Praxis. Daß kognitive und soziale Institutionalisierung 135 von Wissenschaft erst durch die Analyse der Wissenschaftskultur im obigen Sinn eine vollständige Darstellung erfahren kann, ist in diesem skizzenhaften Aufriß der Verbindungen von Jugendbewegung, Expressionismus und Wissenschaft jedenfalls deutlich geworden. N u r die Verknüpfung der Theorieentwicklung mit dieser konnotativen Komponente kann uns zur Erklärung verhelfen, wie eine Theorie unter Veränderung ihres gesellschaftlichen und politischen
Kontextes
plötzlich ihre Bedeutung wechselt, wie ihr Verschwinden oder ihre Wiederaufnahme vom Hintergrund der gesellschaftlichen und politischen Systeme abhängt.
II
Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft
1. Der Zusammenbruch des idealistischen Wirklichkeitsbegriffes D e r Wirklichkeitsbegriff des Hegeischen Idealismus, der eine Einheit herstellt zwischen „Wirklichkeit" und „Vernunft", insgeheim aber auch zwischen „Weltgeist" und „Volksgeist", d. h. der nichts weniger beansprucht, als durch die eigene Nation (als Kultur- wie als Staatsnation) Anteil zu haben an der „menschheitlichen Wahrheit", konstitutiver Bestandteil der „Vernunftmenschheit" zu sein 1 , war mit den 8.5 Millionen Gefallenen des I.Weltkrieges, mit einer politisch letztlich sinnlosen, weil selbstzerstörerischen Mobilisierung von riesigen Menschenmassen und untragbaren Kriegskosten in Europa zusammengebrochen. Die Zerfällung des Wirklichkeitsbegriffes war nicht zuletzt durch die Vertreter und Propagatoren der „Vernunft" selbst, durch die Philosophen und Soziologen von unbestrittenem Rang, herbeigeführt worden, die glaubten, den Krieg zu „ihrer", wie sie meinten: zur Sache der „Vernunft", machen zu müssen: zum Retter des deutschen Idealismus (Rudolf Eucken), zum M o t o r eines idealistischen Sozialismus (Paul Natorp, Hermann Cohen, Johann Plenge, Oswald Spengler), ja zum Ansatzpunkt einer „existentiellen Verlebendigung" des Geistes (Georg Simmel, Max Scheler) oder jedenfalls einer patriotischen Selbstbesinnung gegen den westlichen Kapitalismus (Werner Sombart, Alfred Weber, Ernst Troeltsch). 2 Von nun an steht das Problem des „Relativismus" im Raum, das auch durch Schelers Nachkriegsidee eines umfassenden „Ausgleichs" oder durch die Hochlobung der „Idee des objektiven L o g o s " , der nur noch in der „Kooperation aller Zeiten und Völker" verwirklicht werden kann, nicht mehr zu beheben ist 3 und auch durch Karl Mannheims Methode eines systematischen Perspektivismus oder „Relationismus" 4 eben nicht nur reflexiv zu bewältigen ist. Auf jeden Fall brechen „Reflexion" und „Handlung", „Geist" und „Macht" auseinander. Wenn es auch noch möglich ist - und zweifellos immer dringender notwendig wird - einerseits wieder zu einem nüchternen Begriff von „Vernunft", „Philosophie" und „Wissenschaft" zu kommen (wie dies im „Wiener Kreis" 5 in vorbildlicher Weise geschieht), und wenn andererseits nun erst die Anstrengungen einer Politischen Soziologie oder Politischen Wissenschaft einsetzen, die Möglichkeiten der sozialen Organisation der Nation und des internationalen Staatengefüges neu zu überdenken 6 , so kommen doch beide Komponenten nicht mehr sinnfällig und selbstverständlich zur Deckung. D e r Wirklichkeitsbegriff muß sozusagen ermäßigt werden, die Deckung scheint nur noch auf
30
II
Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft
niedrigerer Ebene (auf der Ebene des Alltagshandelns oder der individuellen Leiblichkeit), in einem kleineren Segment der geistigen Tätigkeit (wenn nicht mehr in der Politischen Philosophie, dann vielleicht noch in der Metaphysik, wenn nicht in der gesamten Wissenschaft, dann vielleicht in der Wissenschaftstheorie) oder/und in einem kleineren Sozialbereich (wenn nicht mehr im gesamtgesellschaftlichen Bereich, dann vielleicht im persönlichen Bereich der IchDu-Beziehung) gegeben zu sein. Der Preis dieser Neufundierung eines gewissermaßen wieder kompakten und selbstevidenten Wirklichkeitsbegriffes ist allerdings der Verlust des großen gesellschaftlichen und historischen Horizonts. Schon vor dem I.Weltkrieg beginnt sich (mit Edmund Husserls „Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie", 1. Buch 1913, oder mit Max Schelers „Wesen und Formen der Sympathie" von 1912) die Phänomenologie zu formieren, die mit ihrer Hinwendung „zu den Sachen" 7 und ihrer Abwendung von der bisherigen „Weltanschauungsphilosophie" zu einer neuen Sicht der „Objektivität" der Objektivationen und ihrer Konstitution im Subjekt selbst vorstößt. Aber erst mit dem Ende des Krieges gewinnt die „Phänomenologische Bewegung" eine weitere Verbreitung und einen nachhaltigeren Einfluß auf ein neues Wirklichkeitsbewußtsein, das gewissermaßen nochmals von den ersten Anfängen her aufzubauen ist.8 Die phänomenologische Wirklichkeitskonzeption - ob in der strengen transzendentalen Bewußtseinsphänomenologie Husserls oder in der mehr intuitionistischen Wesens- und Wertphänomenologie Schelers - zeichnet sich vor allem dadurch aus, daß die Konstitution der Erscheinungswelt bis aufs Genaueste auf die Intentionalität der Aktstruktur des handelnden und leidenden Menschen selbst zurückgeführt wird, daß damit aber die soziale oder politische Wirklichkeit des Menschen völlig an den Rand gedrängt wird oder nur noch mit äußerster Begriffsanstrengung in einer völlig abstrakten und eigentlich inhaltsleeren Weise zu rekonstruieren ist. Wie ungeheuer schwer es ist, aus diesem expliziten „monadologischen" Ansatz, von der Polarität von Bewußtsein und Leiblichkeit, auch nur auf ein „alter ego", besser ein „Du", geschweige denn zu Gemeinschaft und Gesellschaft (zum „Gemeingeist") vorzudringen, das zeigen gerade die postum veröffentlichten Notizen Husserls, „Zur Phänomenologie der Intersubjektivität" überdeutlich. Das große Problem dieser monadologischen Konstruktion aus dem „ego cogito" bleibt, wie gerade der späte Alfred Schütz, der getreue „soziologische Ubersetzer" Husserls, offenbart, daß diese „politische" oder allen gemeinsame Wirklichkeit äußerst brüchig und unsicher bleibt. Die überaus sorgfältigen und eingehenden Analysen über die räumliche und zeitliche Kopräsenz des Anderen, über thematische und motivationelle Gemeinsamkeiten oder über eine letztlich aussichtslos und verzweifelt bleibende Kommunikation kommen doch über die nur analogische Gleichsetzung von IndividualPerson und Gesamt-Person kaum hinaus. 9 Schließlich zerfällt die gemeinsame Wirklichkeit doch immer wieder in die „Mannigfaltigkeit der Wirklichkeiten", d. h. in Alltags weit, Traumwelt, Phantasiewelt, wissenschaftliche Welt, oder in den Perspektivismus der pluralen Subjekte, wobei der Ubergang von einer „finiten Sinnprovinz" zur anderen nur negativ, nur durch ein Schockerlebnis charakterisiert werden kann 10 . Auch der Rückgang auf die dem konstituierenden Bewußtsein vorgegebene und vorgelagerte „natürliche Einstellung", auf die bloß „fungierende" (nichtintentionale) Subjektivität oder auf die „Lebenswelt" kann dieses Dilemma nicht lösen11, sondern verlagert es nur eine Ebene tiefer: er mystifiziert es, wenn nun der „Urstrom des Lebens" 12 für alles haftbar gemacht wird; er trivialisiert es, wenn Schütz sich mit Scheler damit beruhigt, daß wir alle „von Müttern geboren" sind; er läßt die Gemeinschaft im Unbestimmten sich verlaufen, wenn Husserl die „menschliche Natur und Geschichte" ihre Einheit erst „in ewiger transzendentaler Genesis ins Unendliche" 13 finden läßt.
1. Der Zusammenbruck
des idealistischen
Wirklichkeitsbegriffes
31
Das enttäuschende Ergebnis dieser zweifellos mit bislang unerreichter Präzision in die Tiefe des Bewußtseins und der Leiblichkeit vordringenden Analyse ist am Ende doch die Verflachung des Wirklichkeitsbegriffes zur Wirklichkeit des „Alltags" (der nicht selten mit der „Lebenswelt" schlechthin verwechselt wird), oder zu einer „Wirklichkeit", die nur deshalb als intersubjektiv gegeben und real erscheint, weil sie durch die Idealisierungen (in diesem Fall besser: Trivialisierungen) der Vertauschbarkeit der Standorte, der Reziprozität der Perspektiven und der Kongruenz der Relevanzsysteme, der Standardzeit und der Et-cetera-Regel usw. 14 so auf das „Hier und Jetzt" eingeengt wird, daß jede gemeinsame thematische Bindung, jede Gemeinschaftsverpflichtung, jede Historizität und Zukunftsperspektive entschwindet. Die „Wirklichkeit" ist dann nur noch „die sozusagen frag- und perspektivlos für alle vorgegebene gleiche und im naiven Alltagsverständnis gegenüber dem Bewußtsein sich verobjektivierende Welt" 15 , Welt der Bewußtlosigkeit. A m Ende dieser phänomenologischen Begriffsverschärfung und Wirklichkeitsabsicherung steht so doch mehr das „Ausklammern" (als das bloße „Einklammern") alles dessen, was menschlich und politisch unvermeidlicherweise immer wieder zum Problem wird: einerseits die Brüche in dieser Alltagswelt, im kontinuierlich fortfließenden Zeitstrom, Krankheit und Tod, überhaupt die „Grenzsituationen" dieses Alltags, aber auch das Hinaustreten und die „Ekstase" aus diesem Alltag; andererseits die Stellung des Menschen in der Gemeinschaft oder der Gemeinschaften in der Geschichte, die politische Entscheidung und das politische Schicksal der Nationen und der großen Kollektive. Die noch so präzise Begriffsanalyse und die methodologisch überaus bewußte Reflexion kann die Mystifikation des Ausgeklammerten nicht hindern, ja indirekt wird sie doch gerade durch die Ablenkung des Blicks bedingt. Genau dieser Aspekt des Ausgeklammerten - die „Grenzsituationen" und „Ekstasen" sowohl im „Handeln" wie im „Erleiden" des scheinbar in die Sinnlosigkeit des „Nichts" geworfenen Individuums - sind der Gegenstand der Existenzphilosophie eines Karl Jaspers oder Martin Heidegger, Franz Rosenzweig oder auch Karl Löwith 1 6 . Unter dem Eindruck des Krieges und in der Erfahrung des Todes entdeckt die Existenzphilosophie die „Einzigkeit" des Individuums 17 , die Unersetzbarkeit des Lebens, die grundsätzliche Bedrohtheit der Person, die mit allen Mitteln des Bewußtseins und des Verstandes nicht aufzuheben ist. Die „Wirklichkeit" zerfällt in die Antinomien von Person, Gemeinschaft und Dingwelt, wobei das „Ich" der Dingwelt (in der Form des „Es" oder des „Man") oft näher zu stehen scheint als dem „Du" des „Miteinanderseins" oder dem „Wir" einer aktualen Gemeinschaft. Diese Antinomien sind nur zu ertragen in der religiösen Hoffnung auf „Erlösung" 18 oder im heroischen Rückzug auf das „Selbstsein" oder die „Selbstverwirklichung" des Individuums 19 , das im Glücksfall im Verhältnis von „Ich und Du" 2 0 Bestätigung geben und finden kann, im Notfall aber zurückgeworfen ist auf sein eigenes „Sein zum Tode" 21 , praktisch jedoch niemals mit dem Aufgehobensein in einer großen und zukunftsträchtigen Gemeinschaft rechnen kann. Wenn Karl Jaspers in seiner „Psychologie der Weltanschauungen" von 1919 die desorientierende Vielfalt der „Wertungen und Werttafeln" dadurch zu überwinden und wieder zu einer „grundlegenden" Einheit zu führen versucht, daß er auf die „Grenzsituationen" 22 des menschlichen Lebens zurückgeht - auf Tod, Leiden, Krankheit, Schuld, Kampf und Einsamkeit - , so ist diese Einheit faktisch doch nur in der „Transzendenz", in einem geradezu kosmischen „Umgreifenden" zu finden, während das Problem der gesellschaftlichen Einheit und der geschichtlichen Kontinuität weitgehend ausgespart bleibt oder im metaphysischen Sprung übergangen wird. Aber auch den anderen Existenzphilosophen gelingt die Rekonstruktion eines Wirklichkeitsbegriffes, der in den Prozeß der philosophischen Existenz-
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II
Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft
erhellung auch Gemeinschaft und Geschichte einbeziehen könnte, nicht: die Gesellschaft bleibt das dunkle und Bedrohende, eine Verfallsform der „eigentlichen" Existenz. Es scheint schon ungeheuer schwierig zu sein, von einem bloßen „Mitsein" des Anderen zu einem positiv definierten „Miteinandersein" zu kommen 23 , in dem man ein authentisches „Selbst" werden kann. Die „Autonomie" ist heroisch und tragisch, offenbar nur in der „Glaubenslosigkeit" (oder im lediglich „philosophischen Glauben") durchzuhalten, „Adel" nur im „Untergang" zu bestätigen, ständig von der Verzweiflung der Vereinzelung und Vereinsamung oder gar vom „Nichts" bedroht 24 . Bei einer größeren Anzahl von Menschen und im Rahmen „sekundärer" Beziehungen, wie sie für arbeitsteilige Industriegesellschaften mit einem staatlichen Apparat der Daseinsvorsorge nun einmal konstitutiv sind, scheint sowohl der Heroismus des „Selbstseins" wie auch die Vergemeinschaftung unmöglich zu sein: der Mensch versinkt, wenn nicht schon in der Anonymität der Massenversorgung 25 , so im „Man" des trivialen Alltagslebens 26 oder in der Triebhaftigkeit der akuten Masse. 27 Auch eine fundierte soziologische Analyse der Masse, ihrer schwierigen Organisationsformen und -Voraussetzungen wie die von Theodor Geiger („Die Masse und ihre Aktion" von 1926), konnte diese Mystifikation der Masse nicht aufhalten. Das „Man" ist „das Niemand, dem alles Dasein im Untereinandersein sich je schon ausgeliefert hat". 28 Obwohl viel und pathetisch die Rede ist von „Geschichtlichkeit" und vom „Ganzen", so ist doch auffallend, daß die Geschichte fast nur negativ bestimmt wird als „Unfaßlichkeit des Ganzen" oder daß sie mit der „universalen Geschichtlichkeit" 29 bzw. mit der „Grundverfassung der Geschichtlichkeit" gleichgesetzt wird, die weitgehend mit der „Zeitlichkeit" einerseits oder mit dem allgemeinen existentiellen „Geschick" oder „Schicksal" ineins fällt. 30 Vielleicht ist auch die Rede von der „Welt-Geschichte" schlechthin, aber von der konkreten „Geschichte" einer konkreten politischen Kollektivität wird praktisch nicht gehandelt, bzw. dieser konkretere Begriff der Geschichte verschwindet in der Abkanzelung der „öffentlichen Zeit" und im Raunen über die „Zeitigung der Zeitlichkeit". 31 Die historische Gemeinschaft wird damit im Grunde aus dem Wirklichkeitsbegriff ausgeschlossen, um so mehr, je mehr die Wirklichkeit ins Transzendente erhoben und je mehr das Selbstsein zum eigentlichen Sein deklariert wird. Selbstverständlich wirkt die Entwirklichung des Gemeinschaftshorizontes zurück auf das heroische Individuum, das - trotz aller Betonung der Bedeutung seiner „Entscheidungen" und seiner „Handlungen" in einer Situation der „Krise" - letztlich doch aus der Grundbefindlichkeit der Angst und Sorge nicht herauskommen kann, für das seine „Freiheit" doch nur ein „Sein-zum-Tode" sein kann, 32 für das das „Scheitern" sein eigentlicher Existenzmodus ist.33 Der Appell der „Eigentlichkeit" und „Unbedingtheit", zur „Kommunikation" wie zum „Widerstand" bleibt seltsam leer und unverbindlich, da doch das Bedingte im Unbedingten, das Konkrete im Prinzipiellen untergeht und jede konkrete Verwirklichung in einer von einem einheitlichen Willen getragenen Gemeinschaft ausgeschlossen bleibt oder sogar negiert wird. Der dezidiert soziale Wirklichkeitsbegriff bei Hans Freyer und der „Leipziger Schule" (zusammen mit Theodor Litt, Arnold Gehlen und wohl auch noch Helmut Schelsky) ist nun auf dem Hintergrund sowohl der existenzialistischen wie der phänomenologischen Wirklichkeitsauffassung zu sehen, gegen beide sie sich abheben und gegen die sie ihre eigene Legitimität begründen, ohne selbst jedoch ganz frei zu sein von existenzialistischen wie phänomenologischen Anklängen. Obgleich noch viel von den existenzialistischen Kategorien der „Entscheidung" und der „Handlung", von der „Situation" und der „Erlebnisrealität", vom „Anderen" und vom „Manselbstsein" die Rede ist, 34 obwohl Freyer behauptet, einen „phänomenologischen Ausgangspunkt" zu wählen und Gehlen gar von einer „Absoluten
1. Der Zusammenbruch des idealistischen Wirklichkeitshegriffes
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Phänomenologie" spricht, 35 so wird diese Phänomenologie doch noch weitgehend im Sinne der „Phänomenologie des Geistes" von Hegel verstanden. Wenn Freyers Konzeption der Wirklichkeit aus heutiger Sicht mit der späten Lebensweltphänomenologie Husserls verglichen wird, 3 6 so geht dabei verloren, daß das Ziel der Leipziger (der Absicht Husserls geradezu entgegengesetzt) die Uberwindung des Subjektivismus war und sie einen historischen und sozialen Wirklichkeitsbegriff restituieren wollten, was durch die soziologische Konkretion (oder eine neue „realistische Wendung") des Hegeischen Idealismus erreicht werden sollte. So ist das Ziel Theodor Litts, Hegel „in seinen eigenen Formen über ihn selbst hinaus(zudenken)", indem er systematisch zu der bisher noch nicht geleisteten „Konkretion des Seins, Werdens und Tuns" fortschreitet. 3 7 Hans Freyer verkündet (in der „Theorie des objektiven Geistes") eine „realistische Wendung der in der deutschen Bewegung erarbeiteten Philosophie des Geistes" 3 8 , oder er proklamiert (in „Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft") Hegels Philosophie des Rechts, die nur ihrer „idealistisch-philosophischen Verkleidung" entkleidet und konkretisiert werden müsse, zum „Ursprung der deutschen Soziologie". 3 9 Arnold Gehlen beklagt zwar die „Derealisierung des Geistes" und er hält die „Grundthesen des Idealismus und des Spiritualismus" inzwischen für „unverstehbar" 4 0 , aber er hofft doch, durch die „Reflexion auf die Reflexion" (durch das Tieferlegen der Reflexion auf ihre Verhaltensbedingungen) den Idealismus zu retten, ja ihn überhaupt erst anfangen zu lassen. 41 U n d selbst noch Helmut Schelsky, der längst zu der Uberzeugung gekommen ist, „daß die Melodien der Geistes- und Ideengeschichte durchgespielt waren", daß „insbesondere das idealistische Denken den Boden einer unmittelbaren und sicheren Welterfahrung (...) inzwischen unter den Füßen verloren hatte", ist immer noch „auf der Suche nach Wirklichkeit", wenn nun auch mit einem stark empirischen „Realitätsdrall". 4 2 Die große Schwierigkeit dieser „realistischen Wendung" ist allerdings, an die Stelle der „theoretischen Vernunft" die „praktische Vernunft" 4 3 , an die Stelle des zu sich selbst kommenden Hegeischen Logos und seines universellen „Logismus" 4 4 einen Begriff von „sozialer Wirklichkeit" und eine nichtlogistische Gesellschafts- und Geschichtskonzeption zu setzen, die in der Konkretion dennoch nicht ihre Allgemeingültigkeit und in der Entideologisierung nicht ihre Zukunftsgewißheit verliert. Das Problem beginnt schon mit der soziologischen Konkretisierung, die einmal mehr kultursoziologisch (über die kulturellen „Objektivationen"), einmal mehr realsoziologisch (über den „Staat" oder das „politische Volk") durchgeführt wird, in jedem Fall aber an den Hegeischen „Volksgeist" anknüpfen kann. Klingt die existenzialistische Proklamation Gehlens: „Unsere Idee heißt Gemeinschaft" 4 5 , in der eine höhere Realität verkündet wird, noch politisch unverbindlich, so knüpfen Theodor Litt und Hans Freyer doch sehr deutlich an den spezifisch deutschen und betont politisch gemeinten Begriff der „Kulturnation" an, wenn der eine den Staat als „Wesensgemeinschaft" idealisiert, in der eine Ineinssetzung von Individuum und „Ganzem" stattfindet 46 und der andere zunächst „die Einheit der Gesamtkultur" 4 7 postuliert, um dann später immer stärker das „geschichtliche Volk" (oder das „politische Volk") 4 8 an deren Stelle zu setzen. Die Definition der Gemeinschaft ist damit schon wieder ideologisch und parteiisch geworden, die wissenschaftliche Unvoreingenommenheit oder soziologische Allgemeinheit des Wirklichkeitsbegriffes ist bereits hier verspielt. Das wirkt sich auch aus auf die damit verbundene Geschichtskonzeption, die trotz aller Beschwörung der Einheit der Geschichte („In Wahrheit ist die gesellschaftliche Wirklichkeit nicht eine Vielheit autonomer, in sich geschlossener Werke, sondern ein geschichtlicher Strom, der in die Gegenwart ausläuft" 4 9 ) und der permanenten Betonung des Werdens und der „Prozesse der Bildung und Umbildung" 5 0 keine Zukunftsper-
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II
Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft
spektive mehr bieten kann. Mit der Übernahme des Wundtschen Aktualitätsprinzips 51 , das Aktualismus und Entwicklung miteinander verbindet, ist zwar die Rückwärtswendung und der Historismus gebannt 52 - die Vergangenheit ist in der Gegenwart bewahrt, ohne die Zukunft determinieren zu können - , aber damit entschwindet auch schnell der Entwicklungsgedanke („Geschichte entwickelt sich nicht, sie wird getan" 53 ). Da nur die gegenwärtige Entscheidung maßgeblich zu sein scheint, wird einem bloßen Dezisionismus damit Tür und Tor geöffnet. Die Aufgabe der Soziologie, unter diesen Umständen noch Vorhersagen oder Expertisen zu erstellen, wird damit außerordentlich schwierig, wenn nicht unmöglich. Dennoch glaubt Freyer, dieses Problem mit dem „Münchhausen-Trick" lösen zu können, daß eine Gesellschaft mit einer offenen Geschichte sich dank der existentiellen Zugehörigkeit der Soziologie als Wissenschaft (in diesem Fall als Ethoswissenschaft) selbst erkennen kann: „Hier wird das Licht der Erkenntnis, scheinwerferhaft, auf ein Geschehen geworfen, dem der Erkennende selbst mittätig, mitleidend, existenziell angehört. Eine lebendige Wirklichkeit erkennt sich selbst: das ist die völlig neue Situation, aus der die logische Eigenart der Soziologie begriffen werden muß." 54 Die Gesellschaft wird damit dank der Soziologie gewissermaßen zu einem sich selbst steuernden System. Die Aufgabe der Soziologie als „Wirklichkeitswissenschaft" besteht darin, sich für den Werdensprozeß offenzuhalten, „die existentielle Bedeutung der gesellschaftlichen Gegenwart, ihr Weiterdrängen durch die Gegenwart hindurch in die Zukunft" aufzunehmen. 55 Allerdings kann nur jene Soziologie den Ehrentitel einer „Wirklichkeitswissenschaft" für sich beanspruchen, die die in der Gesellschaft vorhandene „Willensrichtung" erkennt und rückwirkend in der Gesellschaft selbst zur Geltung bringt. Die „Wirklichkeit" der Wirklichkeitswissenschaft ist damit zirkulär definiert, die „realistische" Wendung des Idealismus scheint in einer Tautologie zu enden, die jedoch die Wirklichkeit nicht dichter werden läßt, sondern sie im Gegenteil nun erst recht zu einem historischen Mysterium macht. Es ist damit zu fragen, ob die Freyersche Konzeption der Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft das Dilemma, das sie zu lösen angibt, auch lösen kann, oder ob sie es nur noch verstärkt.
2. Der Freyersche 'Wirklichkeitsbegriff
a) Wirklichkeit als Problem des geistigen Seins In dieser Untersuchung wird zunächst von der heuristischen Annahme ausgegangen, daß jedes wissenschaftliche Buch immer auch gegen eine bereits als abgesichert und akzeptiert erscheinende Erkenntnis geschrieben wird. Auch wenn der Schulzusammenhang eng ist und der Lehrer oder Vorgänger noch so sehr verehrt wird, zwingt schon das Erfordernis der wissenschaftlichen Originalität, von einer allzu engen Nachfolge Abstand zu nehmen. So wird auch diese Theorieanalyse von Freyers Werken vor 1933 angeleitet sein müssen von der generellen Intention und Bedeutung der „Leipziger Schule", die ihr in der Uberwindung oder Realisierung des deutschen Idealismus zukommt. Es ist der zeitgenössische Kontext der Manifeste gegen den deutschen Idealismus des 19. Jahrhunderts, in dem auch Hans Freyers Begriffe erst ihre Prägnanz und Brisanz erhalten. Wenn in diesem Abschnitt der Begriff der
2. Der Frey ersehe Wirklichkeitsbegriff
35
„Wirklichkeit" in das Zentrum der Theorieanalyse gestellt wird, so soll im Gegensatz zum vorhergehenden Abschnitt, der die wissensoziologische Dimension im Vergleich zu den gleichzeitigen Revisionsversuchen in der Phänomenologie und Existenzphilosophie aufzeigen sollte, die Dimension der „semantischen Autonomie" der Wissenschaft 56 und ihrer Eigendynamik im Vordergrund stehen. Inwieweit man in diesem Fall von Interdependenzen sprechen kann, wird allerdings erst in den folgenden Abschnitten diskutiert werden können. Das gemeinsame Charakteristikum der Leipziger Schule ist die Konkretisierung des Idealismus in der Kulturentwicklung, und zwar angefangen von den biophysischen und antriebsmäßigen Grundlagen bis zu den höchsten geistigen Objektivationen in Religion, Kunst, Wissenschaft und Philosophie. Dabei wird der Systemgedanke durchaus dynamisch aufgefaßt, auch wenn oft noch eine etwas schematische „Entwicklungslogik" durchschlägt, die sowohl dem entwicklungspsychologischen wie auch dem geschichtlichen Wandel bestimmte „Gesetze" aufzuzwingen scheint, von denen man sich nur schwer frei machen kann, um sich dem konkreten und doch teilweise kontingenten historischen Wandel tatsächlich öffnen zu können. Die Kulturphilosophie ist allerdings nicht nur von der Leipziger Schule (Wilhelm Wundt, Johannes Volkelt, Theodor Litt, Hans Leisegang, Hans Freyer) sondern beispielsweise auch von Nicolai Hartmann oder Georg Simmel als ein Weg zur Erneuerung und Konkretisierung der Philosophie verstanden worden. 5 7 Aber keiner dieser Ansätze hat sich stärker von einer weitgehend noch ontologisierenden und statischen Kultur- bzw. Geistlehre abgelöst als die „Leipziger", die mit dem Vehikel der neugegründeten Wissenschaftsdisziplinen der Gestalt-, der Entwicklungs- und Völkerpsychologie, der Kultursoziologie wie der Staatslehre den Gang in die Geschichte wagten, ohne sich durch den „Seinsverlust" oder die ewige Tragik der Kultur - deren der Mensch zu seiner Entwicklung bedarf, in deren Gehäuse er jedoch erstarrt - allzu sehr beeindrucken zu lassen. Hans Freyers selbstgewählte Aufgabe ist in diesem Zusammenhang die soziologische (und das heißt für ihn vor allem: makrosoziologische) Konkretisierung des Hegeischen Systemgedankens. Dabei sind in seinem Werk zwei Phasen zu unterscheiden: eine kulturphilosophische (oder kultursoziologische) Ausarbeitung in seiner „Theorie des objektiven Geistes" von 1923, und eine eigentlich soziologische und systematische Ausarbeitung in „Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft" von 1930. Der erste Ansatz versteht sich noch ganz als eine „phänomenologische" Vorklärung einer „Kulturphilosophie im modernen Sinn des Wortes" 58 ; sein erklärtes Ziel ist es, der in der Romantik entstandenen Philosophie des Geistes eine realistische Wendung geben zu können. War es nämlich bei Hegel noch „das Wesen des Geistes (...), sich zu einer vorhandenen Welt zu realisieren, die (...) seinen eigenen Gehalt gegenständlich widerspiegelt", so hat schon Dilthey, noch in der philosophischen Tradition des 19. Jahrhunderts stehend, dieser rein geistigen Welt die psychophysische Natur des Menschen als Ordnungsprinzip der Kultursysteme zugrunde gelegt. Von hier aus will Hans Freyer den umgekehrten Weg zu Hegel gehen und „aus den Systemen der Objektivationen auf die seelischen Kräfte schließen, die sich in ihnen auswirken". Das Diltheysche Grundprinzip, daß in der empirischen Natur des Menschen die „Gliederung der Gesamtkultur im wesentlichen vorgezeichnet sei", nimmt er durchaus mit auf, will jedoch in der Methode weder Diltheys „Psychologismus" verfallen, noch - wie Hegel - die Kultur als reine geistige Emanation begreifen. Er geht zwar von der Grundthese aus, daß der „Ursprung der Kultur (...) in der primären Tatsache, daß Leben sich zu Geist besinnt", zu suchen ist, hofft aber, die Formel für die immanente Gliederung der Gesamtkultur in einer Theorie finden zu können, „die aus dem Wesen des Geistes selbst das System der Kultursysteme herzuleiten unternimmt". 5 9 Ganz konkret und „diesseits" gewen-
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II
Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft
det, soll eine Abstufung der objektiv-geistigen Formen oder Kultursysteme und ihres Bezugs zu den menschlichen Gemeinschaften entwickelt und theoretisch begründet werden. Zentraler Gesichtspunkt ist dabei immer wieder das Verhältnis von Leben und Form. Wenn man auch in gewisser Hinsicht von Kultursystemen sprechen kann, als seien sie von den konkreten menschlichen Gemeinschaften abgelöst - wie insbesondere Kunst, Wissenschaft und Recht so handelt es sich jedoch stets um die Gestaltung der Beziehung von Leben und Form in einer immer neuen Weise. Dieses Verhältnis von Leben und Form überträgt Freyer auch auf das Verhältnis von Gesellschaft und Kultur: Beide Dimensionen, die der geistigen Objektivation (oder der semantischen Dimension) und die soziale Dimension stehen in einem unauflöslichen Spannungsverhältnis, wobei die sozialen Formen die Formgebiete von Kunst, Wissenschaft und Recht sozusagen senkrecht durchschneiden: „Sie bilden den Lebens- und Wirklichkeitsgrund, aus dem diese wachsen." 60 Die „Wirklichkeit" baut sich aus einer hierarchischen und doch gleichzeitig fließenden Ordnung von geistigen Objektivationen auf, die jeweils eigenen Prinzipien der Formwerdung unterworfen sind und die - wenn auch in unterschiedlicher Intensität - doch vom gleichen „Willen zur Form" und vom Bekenntnis der menschlichen Gemeinschaft, die in dieser objektivierten Welt lebt, abhängig sind. Die Postulation des Geistes als einer Welt von prinzipiell autonomer Gesetzlichkeit führt Freyer jetzt allerdings zu dem Problem, wie die Sinngehalte dennoch als Verwirklichung in einer historischen und gesellschaftlichen Entwicklung begriffen werden können. 61 Zunächst versucht er, diesem Dilemma zu entkommen durch eine Anknüpfung an die Geisteswissenschaften, wie Dilthey sie verstanden hatte, hält aber der Diltheyschen Annahme, daß man auf psychologisch-induktivem Weg den Aufbau der Kulturwerke vollständig analysieren könne, entgegen, daß Zeichen und Sinn, psychische Erlebnisse und gegenständliche Sachverhalte niemals aufeinander reduzierbar seien.62 So gäbe es auch durchaus objektive Relationen der gegenständlichen Welt, die vom menschlichen Erleben und seinen spezifischen kulturellen Prägungen relativ abgelöst zu betrachten sind - dies sei schließlich Vorbedingung jeder Wissenschaft und nur so sei eine rein theoretische Erfassung von objektiven Zusammenhängen möglich. Damit bleibt zwar die seelische Realität des Menschen der Ausgangspunkt für jeden objektiven Tatbestand; aber die menschliche Fähigkeit - abgelöst vom eigenen unmittelbaren seelischen Erleben subjektfremde Zusammenhänge in ihrer Eigenlogik rein theoretisch zu erfassen (bei Dilthey das „gegenständliche Auffassen") - gilt selbst wieder als phänomenologische Voraussetzung für jeden objektiven Tatbestand.65 Deshalb ist auch der direkte logische Schluß von der psychischen Struktur des Menschen auf die Objektwelt unzulässig. Durch das menschliche Erkennen wird lediglich ein Potential der Objektwelt freigesetzt; dieses aber realisiert sich in mehreren Objektivationsschritten als eine eigengesetzliche Welt mit einer eigenen inneren polaren Struktur von Zeichen und Sinn, von Objekt und Bedeutung, von Form und Leben. Andererseits ist die Welt aber auch eine Welt der lebenden Subjekte und ihrer Interaktionen - Wirklichkeit besteht immer aus diesem Spannungsverhältnis. So steht im Mittelpunkt seiner Propädeutik einer Kulturphilosophie die Wirklichkeit als System und Dynamik der geschaffenen Formen, der sich aufbauenden Objektivationsstufen von der einfachen menschlichen Ausdrucksgebärde bis zur dauerhaft im Werk verfestigten Form, die methodologisch sowohl durch eine gegenständliche Hermeneutik als auch durch ein psychologisches Verstehen erklärt werden können. Beide Verfahren sind notwendig, um jeweils eine Ebene der Wirklichkeit erklären zu können, beide laufen jedoch nie ganz zusammen und sie lassen sich niemals in eine endgültige Wirklichkeitsdeutung zusammenfas-
2. Der Freyersche
Wirklichkeitsbegriff
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sen. Die Dichotomie von Leben und Form dient vielmehr nur dazu, zunächst - in einem ersten Schritt im Sinne einer Propädeutik - die einzelnen Kultursysteme nach „dem Grade und der Art ihrer Spannung, die in ihnen zwischen Leben und Form gesetzt ist" zu unterscheiden und die Komponenten der gesamten Wirklichkeit nach ihrem spezifischen Verhältnis von objektivem Gehalt und sozialer Relevanz zu ordnen. 64 Freyer kommt zu einer Synthese, indem er dem Psychologismus Diltheys den französischen Positivismus gegenüberstellt, dessen Leistung darin bestehe, die Inhalte einer Kultur als „konkreteste Naturdinge" zu begreifen, als „Komponenten in einem naturgesetzlich geordneten Kräftespiel", aus dem die „konstanten Gesetze der Erscheinungswelt" abzuleiten sind. Theoretisches oder methodologisches Ideal ist dabei das Konstrukt eines theoretischen Geistes, der sich über die Gesellschaft erheben und diese so studieren könne, wie „der Zoologe die Biber oder die Bienen" betrachtet. 65 Freyers Interpretation des Positivismus liest sich geradezu „idealistisch", wenn er in der positivistischen Idee der vernunftbeherrschten Gesamtkultur „die Autonomie des Geistes mit der sieghaftesten Konsequenz am Werk" 6 6 sieht. Wie im französischen Positivismus die Soziologie als „letzte" und höchste Naturwissenschaft verstanden wird, welche auch die gesellschaftlichen Ideen, die Kulturen und sozialen Zusammenhänge als naturgesetzliche Notwendigkeit konkretisiert, so sieht Freyer die logische und historische Vollendung des deutschen Idealismus in der „Soziologie als Geisteswissenschaft", welche die Welt des Geistes in der „Sphäre des Sinns" und die gültigen Formen jeder Kultur in ihrem Gewußtwerden begreift. Durch diese zunächst paradox erscheinende Synthese von Geisteswissenschaft und Positivismus gelingt es ihm, Hegels „Alles Wirkliche ist vernünftig und alles, was wesentlich ist, erscheint auch" soziologisch umzuformulieren: „Geistige Sinngehalte sind gesellschaftlich-geschichtliche Realitäten, und gesellschaftlich geschichtliche Realitäten sind geistige Sinngehalte." 67 Damit erscheint die Wirklichkeit generell als Synthese von objektiver und sozialer Dimension, ohne daß die eine als kausaler Grund der anderen gelten könnte. Form und Sinn, Objektivität und gemeinschaftlicher Wille verschmelzen zwar zu einem ganzheitlichen Gebilde, ohne daß dieser Prozeß jedoch jemals zum Stillstand käme und künftige Gestaltumschwünge ausgeschlossen wären. Freyer analysiert den Ablösungsprozeß der Kulturgebilde von der spontanen sozialen Interaktion in drei dialektisch sich aufstufenden Objektivationsschritten, um dann - wie später dargestellt wird - auch den Rückbindungsprozeß an die Sozialität wiederum in drei Stufen aufzuteilen; er liefert damit nicht nur einen gewichtigen Beitrag zur zeitgenössischen Symboltheorie, er wendet sein erstes kulturtheoretisches Gerüst auch gleich danach an auf das „höchste", auf jeden Fall das differenzierteste und schwierigste aller Kulturgebilde - auf den Staat. 68 Zunächst ist eine Ablösung vom unmittelbaren Erleben zu verzeichnen: Die Zeichen sind nicht mehr spontane menschliche Ausdrucksbewegungen oder „mimische" Gebärden, sie werden zu darstellenden, „pantomimischen" oder „symbolischen" Gebärden d. h. sie spalten sich vom menschlichen Erleben ab als gegenständliche Zeichenwelt, die sich zu einem eigenen Zusammenhang verdichten wird. Diesen ersten Objektivationsschritt bezeichnet Freyer als „gegenständliche Wendung". Im zweiten Objektivationsschritt oder der „objektiven Wendung" stellt sich nun dieser eigengesetzliche Zusammenhang erst vollkommen her, das Zeichen löst sich auch von seinem einmaligen Entstehungsprozeß ab, kristallisiert sich, wird vom „Zeichen" zur „Form". Erst jetzt bezeichnet eine Geste „Gegenständliches" (oder symbolisches) auf gegenständliche Weise. „Objektiver Geist" (oder „Kultur") wird aber erst durch einen dritten Objektivationsschritt möglich, der als Ablösung von jeglichem ausführenden Akt zu denken ist als „theoretische Wendung". Erst nach diesem Schritt hat Diltheys
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II
Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft
„gegenständliches Auffassen", die Erkenntnis einer objektiven Eigengesetzlichkeit einen Sinn, und kann jede menschliche Interaktion als „Nachvollzug" eines das individuelle Leben weit überspannenden kulturellen Zusammenhangs aufgefaßt werden. In diesem Sinn ist die Kulturwirklichkeit als eine neue Sphäre sowohl im psychischen Lebenszusammenhang wie auch in eigengesetzlichen Zusammenhängen zu beobachten. Alle Formen dieser geschaffenen Kulturwelt müssen gewissermaßen als „zweistrahlige Gebilde" gedeutet werden 69 und durch die unterschiedliche Relation zwischen sozialer und objektiver Dimension bestimmt werden: als seelisches Leben und objektiver Sinngehalt, als Ausdrucksgehalt und sachgesetzlicher Zusammenhang etc. Die Formen der Kulturwirklichkeit werden dabei nach fünf Kategorien unterschieden gemäß der unterschiedlichen Relation dieser beiden Dimensionen: 1. Der Formtypus „Gebilde" 70 ist vollkommen in sich zentriert und unabhängig von allen anderen Sinnzusammenhängen zu verstehen. Die Welt der Gebilde stellt sich dar als objektive, d. h. als eine in sich gültige und geschlossene Bedeutungstotalität. Verbindungen zu anderen Gebilden und zu anderen Zwecksetzungen menschlicher Gemeinschaften sind zwar realiter immer gegeben, sie sind jedoch nicht konstitutiv für die Kategorie „Gebilde" in analytischverstehender Hinsicht. Das reinste Beispiel für diesen Typus ist das Kunstwerk - eine Welt für sich, die nichts von ihrem Bedeutungsgehalt verlieren würde, wenn alle Verbindungen mit den anderen Gegenständen und Zweckzusammenhängen des Lebens abgeschnitten wären. Auch die Wissenschaft ist unter diese Kategorie „Gebilde" einzuordnen, wenngleich sie auch in dem Bezugsrahmen von Politik und Technik eingespannt bleibt. Sie bleibt dennoch ein relativ autonomes System mit einer eigenen Semantik und einer eigenen Diskurs- und Forschungslogik. Die ökonomischen Zielsetzungen, Technologie und Politik fungieren dabei nur als situative Kontextfaktoren. Sieht man von diesen konkreten Modifikationen ab, so ist das „Gebilde Wissenschaft" in sich immer noch vollständig und gültig. 2. Genau gegensätzlich hierzu ist die Kategorie „Gerät" 7 1 strukturiert: Während für das „Gebilde" die soziale Dimension im Grunde irrelevant war, wird der Sinngehalt des „Geräts" ausschließlich durch die soziale Dimension geprägt. Ohne den zweckgerichteten Handlungszusammenhang bliebe es ein unvollkommenes Teilstück. Erst die Verwendung in bestimmter Richtung oder zu einem bestimmten Zweck definiert seinen Bedeutungsgehalt; in den Geräten objektiviert sich also eine zielgerichtete Handlung. Das soll nicht heißen, daß Handlungen nicht durch „Geräte" verändert werden könnten; denn auch das Gerät ist ja eine Objektivation der menschlichen Handlung, auch hier wird schließlich eine eigengesetzliche Dynamik in Gang gesetzt. Zumindest hat das Gerät das Wirkungsfeld der Handlung verändert, dem sich nun der operative Aufbau der Handlung anpassen muß. Der Akt der Verwendung in bestimmter Richtung, der beim „Gebilde" unwesentlich war, ist nun jedoch grundlegend für den objektiven Sinngehalt des „Geräts". Es ist nicht wie das „Gebilde" zentrisch, sondern vektoriell aufgebaut. 3. Wie die Kategorie „Gerät", so wird auch die Kategorie „Zeichen" vektoriell, also über sich hinausweisend72 konzipiert. Dabei bedient sich Freyer Husserls Theorie der sprachlichen Ausdrücke, 73 die er auf den Formtypus „Zeichen" generell anwenden will. Demnach hat jedes Zeichen einen doppelten Sinngehalt: es weist nicht nur auf Bedeutung verleihende Akte, sondern durch diesen Sinngehalt auch auf einen gegenständlichen Sachverhalt hin. Ein Denkmal mag ein vollendetes künstlerisches „Gebilde" sein, aber es ist der Kategorie „Zeichen" zuzuordnen, weil sein Sinngehalt darin besteht, auf „Gegenstände", d. h. auf objektive Sachzusammenhänge, hinzuweisen, sie als Realitäten dem Beschauer zu vergegen-
2. Der Freyersche Wirklichkeitsbegriff
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wärtigen und ihn in einen lebendigen Bezug dazu zu setzen. Auch die Sprache als Zeichensystem hat nicht nur eine expressive, sondern auch eine gegenständliche Funktion. In der Kategorie „Zeichen" erhalten somit beide Dimensionen gleichrangige Bedeutung. 4. In diesen drei Typen der Formwerdung bzw. Objektivation wurde die polare Struktur von Objektivität und Sozialität der vom Menschen geschaffenen bzw. erlebten Wirklichkeit streng durchgehalten. Menschliche Tätigkeit bedeutet in diesem Sinn nie Willkür, sondern eine Freisetzung von eigengesetzlicher Dynamik. Die dabei entstehenden Kulturgebilde tragen so trotz der Handlungsintentionen des Menschen und seiner subjektiven Deutung immer die Signatur des Gegenständlichen in sich. Wenn Freyer Religion und Wissenschaft der Kategorie „Gebilde" zuordnet, wenn er die Sprache als den reinsten Typ der Kategorie „Zeichen" definiert, könnte man zunächst auf den Schluß verfallen, auch die sozialen Formen, Gemeinschaften, Institutionen, Verbände als vom Menschen geschaffene Objektivationen diesen drei Kategorien zuzuordnen. Ζ. B. könnten die Systeme der Religion oder politische Ordnungen ihrem Formtypus nach als „Gebilde" behandelt werden, deren Sinngehalt nicht durch von außen herangetragene Zwecksetzungen zustande kommt. Oder soziale Formen könnten der Kategorie „Gerät" zugeordnet werden, wenn ihre Funktion in einem zweckgerichteten Handlungszusammenhang im Vordergrund steht. Das soziale Leben wäre dann lediglich die soziale Situation, in der diese Formen stehen, bzw. aus der sie sich ursprünglich objektiviert haben. Freyer führt jedoch eine eigene Kategorie der „Sozialform" ein, die zwar dem gleichen Objektivationsprozeß unterworfen ist wie alle anderen Kulturformen, jedoch einen von diesen zu unterscheidenden logischen Aufbau hat. Zwar findet in der „Sozialform" genauso eine Ablösung vom sozialen Leben in drei Objektivationsschritten statt: Die Ablösung vom individuellen seelischen Erleben, die Ablösung vom ursprünglichen Entstehungsprozeß und die Ablösung vom direkten ausführenden Akt. Damit ist auch jede Sozialform eine Kulturform mit einer eigenen gegenstandslogischen Struktur. Dennoch geht jede Sozialform über die Kulturform hinaus. Entscheidend ist vor allem, daß Sozialformen nicht bloß aus sozialen Bezügen entstanden sind (das gilt ja für die genannten Kulturformen auch), sondern daß diese tatsächlich konstitutiv sind für die Sozialform, d. h. daß die sozialen Bezüge selbst einen gegenständlichen Sinngehalt haben, unabhängig von den einzelnen Realisierungsakten, die in diese Formen einströmen „wie in ein vorbereitetes Bett". 74 Die Parallelen zu Durkheim sind hier unverkennbar: 75 „Sozialformen" sind „einfache soziale Regeln", sie sind reine Relationsschemata, die wiederum aufgrund ihres verselbständigten gegenständlichen Sinngehalts nicht in einzelne Akte aufgelöst werden können. Die Tatsache des Staates z.B. als Sozialform erschöpft sich nicht in der Analyse der Handlungen des Regierens, Gehorchens, Mitredens etc. Die objektivierte Form bleibt auch hier den Akten transzendent. Aber während in allen anderen Kategorien des objektiven Geistes noch gegenständliche Inhalte als objektive Dimension erscheinen, besteht die Objektivität der Sozialform aus reinen Beziehungsgefügen. Die Sozialform hat deshalb im Unterschied zu anderen Kategorien grundsätzlich eine teleologische Struktur, nicht in dem Sinn, daß sie, wie die Kategorie „Gerät", durch einen von außen herangetragenen Zweck bestimmt wäre, sondern ihr Aufbau gewinnt durch eine Fülle von Motiven einen immanent teleologischen Zusammenhang. 76 5. Ahnlich ist schließlich die logische Eigenart der letzten Objektivationsform, der Kategorie „Bildung". Wie man von der Objektivierung des sozialen Lebens sprechen kann, so auch von einer Objektivierung des persönlichen Lebens. Im Sinne von Humboldts Definition der Bildung als „Erzeugung einer Welt in der Individualität" wird der einzelne Mensch durch
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II Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft
Bildung zum „Kulturwesen", zur Person. Die subjektive Lebenseinheit ist erst dann erzielt, wenn das Objektiv-Sinnhaltige nicht nur gewußt oder getan wird, sondern wenn die Person „das Objektiv-Sinnhaltige ist". Freyer sieht die Kategorie „Gebilde" einerseits und die Kategorie „Bildung" andererseits als Extreme einer Reihe der Objektivationsformen, die zwischen „passiv" und „aktiv", d. h. wieder zwischen objektiver und sozialer Dimension, gespannt ist. Das „Gebilde" ist passive, völlig in sich geschlossene Gestalt, die „Sozialform" und im extremsten Sinn die „Bildung" sind als Objektivationen eine „ N o r m " oder ein „Kanon", der stets vollzogen werden muß, ein der Person oder der Gemeinschaft zugrunde liegender Code. Als „Kanon des Formens" ist die Kategorie „Bildung" zudem im weiteren Sinn als Gesamtkultur zu begreifen. 77 Wichtig an dieser Systematisierung der vom Menschen geschaffenen Kulturwelt ist die Konzentration auf eine fast struktural zu nennende Perspektive. U m sich von den universalhistorischen Entwürfen, z.B. den Stufenformen des Positivismus oder der materialistischen Geschichtsauffassung zu lösen, die ja immer in einer ideologischen oder chiliastischen Prognose des Weltverlaufs endeten, beschränkt sich Freyer in seiner Propädeutik der Kulturphilosophie weitgehend auf strukturalistische Kategorien, die die konkrete geschichtliche Zeit unberücksichtigt lassen. 78 Dabei bezieht er jedoch ausdrücklich die immanente Dynamik der Formen mit ein, die hier durch den Aufweis der unterschiedlichen Gewichtung von objektiver bzw. passiver und sozialer bzw. aktiver Dimension deutlich geworden ist. Die Eigendynamik der geschaffenen Welt bewegt sich innerhalb dieser zwei Polaritäten der sozialen Dimension des Verstehens und Schaffens und der objektiven oder erlebnisunabhängigen Dimension der gegenständlichen Verselbständigung. Der Gegensatz von seelischem Leben und gegenständlichem Sachverhalt, von sozial und objektiv, der auf der Ebene der Lebenspraxis des Einzelnen unauflösbar ist, muß doch im „seelischen Kreislauf des Verstehens" zu einer höheren Synthese gebracht werden: in einem „Verstehenden Leben" gewinnen die scheinbar so geschlossenen Gebilde des objektiven Geistes doch wieder Teil am aktuellen Leben. 7 9 Auf dieser höheren Verstehensebene werden alle objektiven Formen zu „Geräten des Lebens", und hier erfolgt eine dreifache Rückbindung an die Sozialität, wie die drei bereits genannten Objektivationsschritte vorher von ihr weg zur objektivierten Form führten. D e r erste Schritt ist nun die Rückbindung an das seelische Erleben: Kulturformen müssen als Bedeutungsträger aufgefaßt werden, um überhaupt Kulturformen zu sein. O h n e Menschen wäre ein D o m nur Stein, „Schauplatz physiko-chemischer Vorgänge". Von einem „objektiven Geist" läßt sich nur in bezug auf den Menschen sprechen, der „objektive Geist" impliziert diesen „Anthropologismus". D e r zweite Moment besteht in der Rückbindung zum Entstehungsprozeß der Kulturformen, in ihrer „Geschichtlichkeit". Der gegenständliche Zusammenhang, den die gegenwärtige Gemeinschaft nie zu produzieren vermocht hätte, findet trotzdem seine Bedeutung im gegenwärtigen sozialen Zusammenhang und wird damit objektivierter Kulminationspunkt von zwei menschlichen Realitäten her: der vergangenen, die sich in der objektivierten Form ausgedrückt hat und der gegenwärtigen, die diese Form - vielleicht auf ganz neue Weise - versteht und integriert. Auch der dritte Objektivationsschritt der Ablösung vom ausführenden Handlungszusammenhang findet seine Rückbindung auf höherer Ebene in den vollziehenden Akten, die mit den hervorbringenden Akten keineswegs identisch sind, aber in der Qualität verwandt sind; jeder tätige Umgang mit objektiven Formen, schon allein jedes bloß verstehende Verhalten zu ihr bedeutet keineswegs einen rein mechanischen Nachvollzug, sondern tätiges Gestalten und damit einen Beitrag zu seiner Verwandlung. „Alle Einsicht in die prinzipielle Wandelbarkeit der kulturellen Gebilde
2. Der Frey ersehe Wirklichkeitsbegriff
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gründet in der Einsicht, daß es kein seelisches Verhalten gibt, in dem nicht Aktivität verborgen läge." 8 0 Freyers Riickbindung des Objektivationsprozesses an die Sozialität führt nun aber keineswegs zur R e d u k t i o n der O b j e k t i v a t i o n e n auf diese soziale D i m e n s i o n : D e r objektive Sinngehalt bleibt das Schlußstück des Kreislaufs. W e n n wir auch „fremden" Geist über R ä u m e und Zeiten hinweg verstehen, d. h. nachschaffen können, weil es menschlicher Geist ist, so bleibt er, gerade weil er sich objektiviert hat, ein immer Gegenüberstehendes, in sich Ruhendes. Gegenwärtiges Nachschaffen ist schöpferisch, aber nicht v o l l k o m m e n frei, sondern hat Vorlagen und wird durch diese erst zu neuen Fragen und neuen A k t e n angeregt. E r s t durch die Objektivationen gelangt eine soziale Gemeinschaft zu Leistungen, die über sie hinausweisen oder die sie für sich gar nicht hätte hervorbringen können. A m E n d e triumphiert auf diese Weise doch der „objektive G e i s t " über die aktuellen Subjekte. „So ist der Kulturmensch von Werken umstellt, die unendlich viel mehr sind als e r " , so ist „die Geschichte nicht nur der Weg des Menschen zu sich selbst, sondern zugleich der Weg des Menschen zu etwas, das mehr als er selbst ist" 8 1 . Wenn man diese Darstellung der Kultur nun auf den größeren Begriff der Wirklichkeit bezieht, die ja für F r e y e r in diesem Stadium seiner Theorieentwicklung weitgehend „ K u l t u r wirklichkeit" ist, so ist sie vor allem v o n einem P r o z e ß der ständigen Aufschaukelung und der gegenseitigen Belebung zwischen den zwei Polen der Wirklichkeit, dem „subjektiven" und „objektiven G e i s t " charakterisiert. D i e Wirklichkeit bleibt d i c h o t o m mit einem „merkwürdigen Verhältnis v o n Fremdheit und N ä h e , Aktivität und Passivität". 8 2 A u c h wenn F r e y e r die Prozeßhaftigkeit dieser Wirklichkeit systematisiert, bleiben diese unvereinbaren Strukturen erhalten. O b er, im Bereich der sozialen Dimension, v o m P r o z e ß des „Verstehens" als passive K o m p o n e n t e oder v o m P r o z e ß des „Schaffens" als aktives Einwirken spricht, immer fungiert die objektive Seite als Widerstand, die nur weil sie in sich geschlossene Gegenstandswelt ist, Möglichkeit zu neuen Sinngehalten bietet. 8 3 Gerade diese Polarität hält den spannungsgeladenen P r o z e ß in G a n g . Z w a r korrespondiert die Eigendynamik der objektivierten F o r m e n , ihr Sinnwandel oder ihr revolutionärer U m b r u c h , mit der Welt des „ L e b e n s " und ihrem p r o d u k tiven Verstehen und dem Entschluß zu neuem Schaffen, jedoch wird keine dieser Welten kausal von der anderen abgeleitet. Diese ständige Potenzierung durch Spannungsverhältnisse geht fort ins Unendliche, und eine Einheit dieser spannungsgeladenen Kulturwelt ist nur auf einer höheren theoretischen E b e n e zu formulieren: als Strukturformel, die aber als „Universale in re, nicht post r e m " zu werten ist. Sie ist kein abstrakter, von außen aufgelegter Begriff, sondern innerste strukturelle Einheit i.S. einer grundlegenden G r a m m a t i k der konkreten Wirklichkeit, zu deren Begriffsbildung die Philosophie, die bisher lediglich eine L o g i k der Abstraktion und Generalisation kannte, erst eine neue L o g i k bereitstellen muß. 8 4 M i t dieser Kritik argumentiert Freyer wiederum gegen das historische Bewußtsein des Idealismus. D i e von ihm intendierte „realistische W e n d u n g " soll herausführen aus den unzulässigen Generalisationen der universalhistorischen E n t w ü r f e und sie soll hinführen zu einem strukturellen C o d e mit der Grundlage einer neuen logischen Begriffsbildung, die nicht auf wenige generalisierte Merkmale reduziert, sondern „individuelle und typische Strukturen zu ihrem Inhalt (hat)." 8 5 M a x Webers idealtypische M e t h o d e wurde als ein bedeutender Schritt zu dieser neuen L o g i k eingestuft 8 6 , den er weiterführen wollte. N ä h e r liegen F r e y e r j e d o c h Simmeis F o r m e n der Wechselwirkung, die den verschiedensten
gesellschaftlichen
Strukturen zugrunde liegen und in ständig sich verändernden sozialen Zusammenhängen vollzogen werden. D e r G e d a n k e seines Lehrers G e o r g Simmel, eine überzeitlich gültige
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II Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft
Geometrie des gesellschaftlichen Lebens aufzuzeigen, war für Hans Freyer gewiß ein notwendiger Ausgangspunkt, zumal auch er sich in der „Theorie des objektiven Geistes" auf eine allgemeinmenschliche Verhaltensgrundlage beruft. 87 Doch die eigentümliche logische Gesetzmäßigkeit der Kategorie „Sozialform" kündigt die theoretische Erfassung einer Dynamik an, die bei Simmel nicht enthalten ist: Die Formen der Wechselwirkung als „geometrische Gestalt" und die generelle Art des sozialen Zusammenhangs unterschiedlicher gesellschaftlicher Gebilde bilden für Freyer lediglich die Ebene der psychophysischen Ereignisse, die eine soziale Situation repräsentieren, aus der sich erst bestimmte Relationsschemata objektivieren müssen. Nicht die verhaltenstheoretischen Bezüge wie Konflikt, Integration etc. interessieren ihn, sondern deren Objektivation als Sitte, Ehre, Verband oder Staat in ihrem eigenen strukturfunktionalen Zusammenhang. 88 „ N o r m " oder „Kanon" sind bei Freyer als Gegenpol zu einem grundlegenden Verhaltensmuster zu verstehen; sie entstehen erst im Laufe eines historischen Objektivationsprozesses als komplizierte „Grammatik". Somit hat Freyers „realistische Wendung" vom Historismus zur Wirklichkeit der geschaffenen Formen keineswegs auf das Niveau einer reduktionistischen und statischen Theorie zurückgeführt. b) Wirklichkeit als Problem des gesellschaftlichen
Seins
Die in der „Theorie des objektiven Geistes" grundgelegte Rückbindung oder Synthese der Objektivationen mit der Sozialität, die Freyer durch ihren Anthropologismus, durch Historizität, Vollzugsnotwendigkeit und Gestaltbarkeit aller Kulturbegriffe im Gegensatz zur natürlichen Welt gekennzeichnet hat, wird nun folgerichtig zur Grundlage seines Systems der „Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft" 89 . Soziologie kann für ihn niemals reduktionistische Naturwissenschaft sein, denn die „Sozialform" als Regel und Beziehungsgefüge, als kulturell geformter Kanon ist ihr Forschungsgegenstand. In diesem Sinn ist Soziologie - wie für Max Weber - immer „Kulturwissenschaft". 90 Da die „Sozialformen", wenn sie auch wie alle kulturellen Gebilde die dreifache Objektivation durchlaufen haben (die Ablösung vom individuellen seelischen Erleben, die Ablösung vom Entstehungsprozeß und die Ablösung vom direkt ausführenden Akt), als reine Beziehungsgefüge mehr als jede andere Kulturform von der ständigen sozialen Verwirklichung abhängig sind, ist der Begriff der „gesellschaftlichen Wirklichkeit" bei Freyer immer nur auf dieser Ebene der Synthese von objektiver Kulturwelt und Sozialität zu verstehen. Sie ist also ebensowenig als empirische (unstrukturierte) Alltagswelt zu sehen, wie auch die „Sozialform" nicht auf eine allgemeinmenschliche Verhaltensgrundlage reduziert werden konnte. „Wirklichkeit" ist demnach kein empirischer Begriff, der induktiven Methoden zugänglich wäre, sondern ein theoretisch-synthetischer Begriff, der gegenständliche Verselbständigung und soziale Konstruktion bereits in sich vereint. Es ist die Ebene der sozialen Gestaltung von geistigen Gehalten, von Kultur. Die Kulturphilosophie Freyers hatte die Wirklichkeit der spannungsgeladenen Objektivationsprozesse zum Gegenstand, die Soziologie als Systemwissenschaft findet dagegen ihren Gegenstand auf der Ebene der Synthese, der Rückbindung der Kulturformen an die menschliche Gemeinschaft. Wohl sind die „Sozialformen" als „objektiv" einzustufen: sie überdauern eine rein individuelle Lebenszeit, sie sind dem verändernden Zugriff der Menschen weitgehend entzogen und sie haben als Strukturen eine eigendynamische Entwicklungsgesetzlichkeit; 91 dennoch sind sie sowohl der objektiven Kulturwelt als auch dem individuellen Erleben enthoben. Die drei (nachfolgend dargestellten) Charakteristika der sozialen Strukturen, womit Freyer die genuin soziale Wirklichkeit auszuloten versucht, sind eben dieselben
2. Der Freyersche
Wirklichkeitsbegriff
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Kategorien, mit denen er die „höhere" Synthese der Objektwelt mit der Dimension des Lebens dargestellt hatte: Anthropologismus, Historizität und Aktualisierungsnotwendigkeit der Sozialformen. Damit wird die Soziologie zur Theorie dieser höheren Reflexionsebene, eine neue dynamischere und totalere Gesellschaftsauffassung kommt nun bei Freyer zum Tragen, die jedoch, obwohl sie zunächst als Präzisierung des bisherigen Theoriemodells erscheint, zum Bruch mit der bisherigen Kulturtheorie führen wird. Die „höhere" Ebene der Synthese von Objektwelt und Leben ist nun die Ebene der sozialen Kollektivität.92 1. Die soziale Wirklichkeit besteht aus „Formen aus Leben" dies im Gegensatz zu den „geistigen Gebilden" wie Kunst, Sprache oder wissenschaftliche Lehrgebäuden, die eine rein gegenständliche Sinngestalt darstellen. Damit wird festgelegt, daß Form, Material oder Objekt einerseits und das verstehende Subjekt oder die soziale Gemeinschaft andererseits nicht mehr zu trennen sind - sie sind identisch, ein Gefüge oder auch eine Spannung, die „wir selbst sind". Diese Formen bestehen, auch wenn es sich um relativ dauerhafte, verfestigte soziale Strukturen handelt, alleine aus dem Ubereinstimmungswillen der Menschen, bzw. sie werden aus diesem immer wieder erneuert. Sie sind immer „werdende Formen", Ordnungen, die stets vollzogen werden müssen, um real zu sein.93 Hier übernimmt Freyer den Gedanken der Sozialformen als Relationsschemata aus seiner Kulturphilosophie, doch geht er in der soziologischen Sichtweise noch einen bedeutenden Schritt weiter: Die Ordnungen müssen vollzogen werden - „Nie sind sie, unabhängig vom Leben, für das sie gelten, aufgeführt wie ein vollendetes Bauwerk. Sie werden aufgeführt wie eine Musik";94 aber diese „Aufführung" besteht nicht aus dem Nachvollzug einer außerhalb liegenden fremden Ordnung, sie ist vielmehr ständige lebendige Selbstdarstellung einer Gesellschaft.95 Demnach hat Soziologie es nicht mit Objekten zu tun, sondern mit Menschen und ihrem kulturellen Potential. Diese Rückbindung der dauerhaften sozialen Strukturen an die menschliche Verwirklichung besagt nun keineswegs, daß die großen kollektiven Gebilde direkt aus der „Intersubjektivität" rekonstruierbar wären - dies wäre ein Rückgang auf die in wissenschaftstheoretischer Hinsicht antithetische Grundlage jener Geisteswissenschaften, die auf der Trennung von Subjekt- und Objektwelt beruhen. Für die Soziologie gilt, daß der Einzelne sich zwar mit seinen bewußten und unbewußten Akten den überindividuellen Gebilden einfügt und daß diese damit die Intersubjektivität implizieren; das heißt aber nicht, daß die kollektiven Gebilde aus einer bloßen Ansammlung gleichartiger individueller Akte bestünden96: Es sind vielmehr Totalitäten mit einem eigengesetzlichen Zusammenhang, die sich erst durch eine „makroskopische Sehweise"97 erschließen. Eine Gesamtgesellschaft in ihrer Totalität kann sehr heterogene gesellschaftliche Teilgebilde mit sehr verschiedenen Strukturgesetzen in sich vereinen, jedoch wird der Charakter des Gesamtbildes von einem einzigen übergeordneten Strukturgesetz bestimmt, während die Prinzipien der Teilbereiche nur partiell eben nur für diese gelten. In einer Klassengesellschaft können z.B. ständisch organisierte Teilbereiche integriert sein, ohne daß das typische Strukturgesetz der Klassengesellschaft damit relativiert würde.98 Auch hier gilt, daß die Totalität die partikularen gesellschaftlichen Gebilde impliziert, daß aber umgekehrt diese Totalität nicht aus der Summe der Teilbereiche rekonstruiert werden kann. Die Rückbindung der objektiven Form an das soziale Handeln, die Hans Freyer als Eigenschaft der „Menschlichkeit" der sozialen Strukturen bezeichnet, ist stets auf der „höheren" Ebene der Kollektivität und des makrostrukturellen Bereichs zu verstehen. 2. Auch wenn die gesellschaftlichen Gebilde Gestalthaftigkeit und Konstanz zeigen durch ihre generationenübergreifende Dauer, durch Resistenz gegen individuelle Einflüsse und durch ihre aufweisbare eigenlogische Struktur, wird in ihnen doch niemals die konkrete Zeit
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II Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft
in gleicher Weise neutralisiert wie z.B. in den Objektivationen „Kunstwerk" oder „Recht". Auch eine äußerst streng geregelte dauerhafte soziale Ordnung wird nie zum zeitlosen „Gebilde", wird nie „Geist", sie bleibt immer in der Dimension des Geschehens. Daß wir das gesellschaftliche Leben vor allem dort begrifflich zu fassen kriegen, wo es (mit dem Ausdruck von Oswald Spengler) „in Form" ist, ist nur Ausdruck unserer Denkträgheit. Aus der ersten Eigenschaft der gesellschaftlichen Wirklichkeit: „Formen aus Leben" zu sein, also aus ihrer Gebundenheit an den menschlichen Vollzug zu bestehen, ergibt sich ihre zweite Eigenschaft: Ihre Geschichtlichkeit." Wie sie in ihrer inneren Struktur immer vom Menschen getragen werden, so sind sie soziologisch gesehen immer dem geschichtlichen Wandel unterworfen. Mit dieser Verknüpfung Menschlichkeit - Geschichtlichkeit wird deutlich, daß für Frever Geschichtlichkeit auch hier nicht aus der Vergangenheit ererbte Verfestigungen oder Zwang bedeutet. Geschichtlichkeit heißt für ihn, daß gesellschaftliche Gebilde immer „Imperfectum" sind, Prozesse der Bildung und Umbildung gehören zu ihrem Wesen: diese Prozesse sind das Wesen ihrer Form. 100 Sie sind ein zeitliches Gebilde oder vielmehr ein zeitlicher Fluß, so daß die Zeit nicht nur äußerlich ist, sondern daß die Zeit - wie Martin Heidegger in „Sein und Zeit" von 1927 schreibt- sich „zeitigt".101 Diese konkrete Zeit hat eine eindeutige, unumkehrbare Richtung und „setzt durch den prägnanten Zustand der Gegenwärtigkeit hindurch Zukunft in Vergangenheit um" 102 . „Geschichte" ist keine zwingende Form, in die die gegenwärtige Gesellschaft hineingepreßt wird; sie wird vielmehr von der Gegenwart her gedeutet und findet deshalb in der Wirklichkeit der Gegenwart ihren Endpunkt, ihren Durchgangszustand, „als Auflösung oder als Anbruch einer neuen Ordnung" 103 . Die Prozessualität und Dynamik der sozialen Gebilde impliziert deshalb, daß es kein feststehendes „Wesen" der Gesellschaft, nur konkrete Entwicklungsstufen der Gesellschaft gibt, als „unumkehrbare Folge von konkreten gesellschaftlichen Lagen" 104 , historisch lokalisierbar und im Sinn einer gesetzmäßigen Zeitfolge verbunden. Hier liegt der wesentliche Unterschied, den Freyer zwischen „objektivem Sinngehalt" (= Wesen) und „Wirklichkeit" sieht.105 Die Folge von konkreten Entwicklungsstufen impliziert zugleich den Systemcharakter der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Alle ihre Gebilde sind „zugleich Entwicklungsschritte" und Strukturelemente, zugleich „Stufen und Schichten"106. Die duale Wirklichkeitsannahme (sinnvolle Formen einerseits und sinnhaltiges Geschehen andererseits), die Hans Freyer für seine Kulturphilosophie als Ausgangspunkt gewählt hatte, wird dabei historisiert bzw. prozessualisiert. Es ist nicht Sache der Wissenschaft, diese Zweiheit der Dimensionen aufzuheben - dies wäre Aufgabe der Metaphysik.107 Ganz im Gegenteil muß diese im Aufbau der Kulturwelt (oder geistigen Welt) selbst angelegte Polarität in den Wissenschaften bewahrt bleiben, auch wenn sie die Welt unter einem je eigenen Gesichtspunkt betrachten. Wird die Wirklichkeit als Gefüge von Formen angesehen, so bleibt dabei auch die reale Handlung als „Vollziehung des in den Formen gelegenen Sinngehalts"108 wichtig; stehen die realen Handlungen im Vordergrund, sind die Formen als konkrete Realisationen mit einzubeziehen. Jede Kulturwissenschaft muß das Ganze sowohl als reales Geschehen und als Gefüge von Formen wissenschaftlich bearbeiten der Gegensatz Geist-Leben bleibt auch das systembildende Prinzip der Soziologie.109 Mit der Eigenschaft der „Geschichtlichkeit" der gesellschaftlichen Wirklichkeit war eigentlich auch schon ihr „Stufenwert" festgelegt. Alle, auch die generellsten Strukturen sind zunächst einmal ein maßgebliches Bildungsgesetz einer bestimmten historischen Epoche gewesen. Erst dadurch wurden sie zu generellen Strukturbegriffen der Soziologie. Wir können ζ. B. von „ Ständen" und „Klassen" reden, weil wir sie als maßgebliche Bildungsgesetze der jeweiligen Epochen der Geschichte wissenschaftlich herauskristallisieren
2. Der Freyersche Wirklichkeitsbegriff
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konnten. In diesem Zusammenhang weist F r e y e r auf die „historische Sättigung" auch der konstruierten Idealtypen bei M a x Weber hin. 1 1 0 Ein soziologisch-wissenschaftlicher Strukturbegriff stellt zwar eine theoretische Abstraktion dar, darf aber Tatsachen nicht zu zeitlos gültigen Gesetzen verabsolutieren 1 1 1 ; u m diese Anforderung zu erfüllen verlangt F r e y e r konkrete Strukturbegriffe, die aus tatsächlichen, historisch verortbaren sozialen Erscheinungen abzuleiten sind. N u r das tatsächliche V o r k o m m e n eines bestimmten sozialen Gebildes erweist seine theoretische Berechtigung. E i n e konkrete Gesellschaftswissenschaft m u ß daran festhalten, daß alleine das tatsächliche Auftreten einer bestimmten sozialen F o r m
oder
Struktur rückwirkend auch erst ihre logische Möglichkeit und Folgerichtigkeit beweist. Jede rein abstrakte, modellhafte K o n s t r u k t i o n ohne konkrete historische E i n o r d n u n g wäre letztlich wissenschaftliche U t o p i e oder Heilslehre. 1 1 2 Wenn sich auch der Stufenwert eines gesellschaftlichen Gebildes aus seiner E i n o r d n u n g in eine konkrete historische E n t w i c k l u n g bestimmt, so sind doch die verschiedenen sozialen Ordnungsprinzipien in jeder konkreten Gesellschaft als mitwirkende Schicht vorhanden. Sie sind nicht nur maßgebliches Bildungsprinzip einer E p o c h e , sondern auch in allen gesellschaftlichen Zuständen ein mitwirkendes Prinzip. 1 1 3 M i t dieser Dialektik von Einschichtung und Stufenfolge ist j e d o c h nicht ein kumulatives System gemeint, in dem soziale Konstellationen, nachdem sie einmal in einer historischen E p o c h e entstanden sind, den folgenden Gesellschaftsformen danach als mitwirkende „ E r f a h r u n g " nie m e h r verlorengehen. Vielmehr versteht F r e y e r sein System „strukturalistisch" in dem Sinn, daß jeder aktuale Entwicklungsschritt latente Strukturen aus der Vergangenheit enthält, daß aber bei weitem nicht alles aktuell werden kann, was in der Latenz angelegt ist. Es gilt das methodische Prinzip: Soziale Ordnungsprinzipien sind „zugleich Entwicklungsphasen u n d Strukturelemente,
zugleich
Stufen und S c h i c h t e n " 1 1 4 . Lediglich u m dem Anspruch einer „ k o n k r e t e n " Soziologie zu genügen, die nicht dem P h a n t o m einer abstrakten Systematik nachjagt, ist es nötig, soziale Ordnungsprinzipien erst einmal als dominantes Bildungsprinzip einer tatsächlichen Gesellschaft und E p o c h e nachzuweisen, u m sie dann als partiellen Bestandteil einer gesellschaftlichen F o r m a t i o n feststellen zu können. Systematische Soziologie und historische Strukturanalyse gehen auf diese Weise ineinander über. 1 1 5 D e r dynamische Charakter der sozialen Wirklichkeit ist im G r u n d e bereits in der ersten F o r m e l von „ F o r m e n aus L e b e n " festgelegt, denn sowohl F o r m u n g wie auch die Geltung in einer konkreten Entwicklung sind ja bereits gegenübergestellt. 1 1 6 Das P r o b l e m ist nun, die beiden K o m p o n e n t e n - Struktur und Geschichtlichkeit oder Diachronie und Synchronie theoretisch zu verknüpfen. F r e y e r versucht dies im Begriff „System". Systeme sind für ihn „werdende S t r u k t u r e n " 1 1 7 , jedoch wäre ein real in der Zeit ablaufendes Geschehen oder auch eine abstrakte Klassifikation alles generell Möglichen noch kein System. Dieses ergibt sich erst aus der Berücksichtigung von Stufen- und Schichtenwert zusammen. „ S y s t e m " bedeutet für F r e y e r eine konkrete, zeitlich festzumachende komplexe Uberlagerung verschiedener Strukturen. 1 1 8 Wirklichkeit hat sowohl einen objektiven Zusammenhang, der sich alleine aus dem Inhalt der O b j e k t e ergibt, nicht aus ihrem Zeitverhältnis (hier soll das Prinzip der F o r m streng beibehalten werden), als auch einen dynamischen Zusammenhang, der immer an die k o n k r e t e Zeit gebunden sein muß. D i e scheinbar unvereinbare Forderung, wissenschaftlich den sachlichen Zusammenhang der objektiven F o r m , der sich nur aus dem Inhalt der Gebilde (nicht aus dem Zeitverhältnis!) ergibt, und die Bindung an die konkrete Zeit gleichzeitig zu betrachten, will Freyer mit einer quasi mathematischen Lösung erreichen: durch die Bildung einer systematischen Reihe. So will er sowohl Systematik, die von der Geschichte abstrahiert und
46
II Soziologie als
Wirklichkeitswissenschaft
historischen Stellenwert der gesellschaftlichen Gebilde logisch vereinigen. Diese logische Reihe, eine dynamische Formel, bedeutet für ihn „System" 1119 und erfaßt sowohl Einschichtung als auch Stufenfolge. Freyer legt zwar nach wie vor fest, daß „Gemeinschaft" immer vor „Gesellschaft" (diese Begriffe im Sinne von Ferdinand Tönnies verwendet) kommt, daß die sozialen Zusammenhänge, die vom „gemeinschaftlichen", naturnahen und außergeschichtlichen Strukturprinzip 120 beherrscht sind, früher waren als „gesellschaftliche" Formen, die durch ein einmaliges geschichtliches Ereignis der politischen Eroberung und Herrschaft entstanden sind. 121 Dies gilt jedoch jetzt nach dem Prinzip der „systematischen Reihe", d. h. nur als Potential oder Möglichkeit, niemals als unentrinnbarer Gang der Geschichte, sind sowohl die „gesellschaftlichen" Formen in der „Gemeinschaft" antizipiert, wie umgekehrt auch eine relativ „reine" Klassengesellschaft immer noch das Sozialmotiv „Gemeinschaft", ständische und staatliche Elemente zugleich enthält, 122 die aktiviert werden können oder auch verschüttet bleiben. Es zeigt sich dabei, wie schwierig es ist, die geschichtsphilosophische Annahme Hegels zu überwinden, wonach die unterschiedlichen gesellschaftlichen Strukturen als notwendige oder logische Abfolge in einer universellen Ordnung aufgefaßt werden. Moderne dynamische systemtheoretische Begriffe standen Freyer noch nicht zur Verfügung, also kann er nur, um eine Reduktion auf die einmalige historische Entwicklung einerseits oder auf „ewige" Strukturprinzipien andererseits zu vermeiden, auf existenzialistische oder lebensphilosophische Begriffe seiner Zeit 123 zurückgreifen, um den Systemcharakter der sozialen Wirklichkeit zu bestimmen. Daß sich dieses Verfahren als wissenschaftlich unzureichend erweisen muß, wird besonders im folgenden Merkmal deutlich. 3. Aus der „Menschlichkeit" und ihrer Antithese, der „Geschichtlichkeit" der sozialen Gebilde, ergibt sich für Hans Freyer in dialektischer Synthese die „Gegenwärtigkeit" als weiteres konstitutives Merkmal. Eine komplexe Struktur bestimmter historisch gewachsener Strukturen wird zur Lebensordnung und zum Schicksal einer bestimmten gegenwärtigen Gesellschaft; darüber hinaus ist jedoch, da diese Strukturen auf den menschlichen Vollzug angewiesene Relationsschemata darstellen, „ihr Fortbestand und ihre Veränderung unserem Willen anheimgegeben". Sie sind als „Formen aus Leben" und „werdende Strukturen" immer Widersprüche, die „zwischen wirklichen Menschen ausgetragen werden". Auf die Gegenwart bezogen bedeutet die Abhängigkeit vom menschlichen Vollzug, daß wir selbst Partei, aktive Kraft (sind), 124 durch die die soziale Wirklichkeit weiter gestaltet werden muß. Das Prinzip der Aktualität bedeutet also zum einen, daß alle historisch gewachsenen sozialen Strukturen in der Gegenwart auslaufen und daß sie einen empirisch feststellbaren konkreten gesellschaftlichen Gesamtzustand darstellen; 125 andererseits sind sie als strukturbildende „Codes" von der Aktivität und der Gestaltung der gegenwärtigen Gesellschaft abhängig. Dieses Prinzip erfordert demnach, daß wir unser Handeln und unsere Zukunftsvorstellungen in die theoretische Erkenntnis mit einbeziehen müssen. Damit wird Soziologie „zum wissenschaftlichen Selbstbewußtsein einer Realität, zur Theorie einer Existenz". 126 Hiermit kommt in Freyers Systematik eine existentielle Komponente mit ins Spiel, die für die Zeit nach dem Zusammenbruch des traditionellen europäischen Weltbildes nach 1918 so typisch war. Durch die dialektische Verknüpfung der anthropologischen und der historischen Komponente „Menschlichkeit" und „Geschichtlichkeit" im Prinzip der Aktualität bekommt Wirklichkeit - im Unterschied zur dichotomen Wirklichkeitskonzeption in der „Theorie des objektiven Geistes" als Grundlage der Kulturobjektivationen - eine neue Wendung, in der die Spannung zwischen objektivem Sinngehalt und subjektivem Erleben aufgehoben wird durch
J. Die Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft
47
die Begriffe des „Handelns", der „Entscheidung" und „Gestaltung". Die beiden antithetischen Begriffe „Geschichtlichkeit" und „Menschlichkeit" zeigen dabei eine entscheidende qualitative Veränderung an: Das Konzept „Geschichte" im idealistischen Sinn als universalgeschichtlichem Kontinuum oder als Entfaltung des „objektiven Geistes wird aufgegeben" 1 2 7 ; statt dessen führt Freyer „Geschichtlichkeit" erstens als Vorhandensein eines strukturellen Codes ein, der in verschiedener Weise - von traditioneller Weiterführung bis zur Revolution -
sichtbar werden kann. Die „Geschichtlichkeit" wird zweitens durch das Prinzip der
Aktualität definiert: als zwar gesetzmäßige Entfaltung angelegter Strukturen, deren Aktualisierung und Akzentsetzung jedoch von der Gunst oder Ungunst der Umweltverhältnisse, von der Förderung oder Unterdrückung durch die gesellschaftlichen Verhältnisse abhängt. 1 2 8 Dieses Prinzip hat nicht nur Freyer postuliert - es war, zwar in verschiedensten Versionen, grundlegend für die damals im Entstehen begriffene Wissenssoziologie. Auch für Karl Mannheim bedeutete Wirklichkeit als „Gegenwart" eine unvergleichliche, einmalige Konstellation, für die die Soziologie, gegen Willkür und Relativismus und gegen gewaltsame weltanschauliche Vorbestimmung, das notwendige Orientierungswissen bereitstellen sollte, 1 2 9 was ihm auch sofort den Vorwurf des „Nihilismus" eintrug. 1 3 0 Die im nächsten Abschnitt näher ausgeführte Freyersche Auffassung der Soziologie als „wissenschaftliches
Selbst-
bewußtsein einer gesellschaftlichen Gegenwart" war zeitgenössische wissenschaftliche Diskussion und auch Hoffnung. Freyers in diesem Zusammenhang aufgestellte Postulat, daß Geschichte immer aus der Gegenwart ihre kategoriale Struktur bezieht, sollte in gleicher Weise der Abwehr des Historismus wie auch des Relativismus gelten. Andererseits aber sollte auch einer Existenzialisierung der Geschichte durch die Betonung des Prinzips der Reflexion begegnet werden. D e r reflexive Prozeß besteht darin, daß die Erklärungsweisen eine Welt schaffen, mit der sie sich selbst bestätigen. 131 Daß dieser Prozeß nicht in willkürliche Phantasien ausarten kann, sondern immer systematisch nach einem bereits angelegten kulturellen C o d e stattfindet, will die Freyersche soziologische Strukturkonzeption
aufzeigen.
Allerdings wird bereits in dieser Darstellung der drei Charakteristika der sozialen Wirklichkeit deutlich, daß durch das dritte Prinzip der Aktualisierung - gedacht als Synthese von „Menschlichkeit" und „Geschichtlichkeit" - die vorher doch so nachdrücklich geforderte Irreduzibilität von „Objektivation" und „Erleben" eher aufgehoben i.S. von ausgelöscht wird, als daß sie in eine höhere Reflexionsebene gehoben wird; mit der übermäßigen Gewichtung der Aktualisierung bricht Freyer mit seinem vorherigen kulturtheoretischen Ansatz.
3. Die Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft Hans Freyers Rekonstruktion eines sozialen Wirklichkeitsbegriffes, der die Angst vor dem Relativismus aufheben und wieder eine große, von einer gemeinsamen
Sinnkonzeption
getragene Gemeinschaft ermöglichen könnte, endet so - nach einem sorgfältigen systematischen Aufbau der Gedankenentwicklung in der „Theorie des objektiven Geistes" wie in der „Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft" - in einer ungelösten Spannung von idealistischen, strukturphänomenologischen und existenzialistischen Kategorien - wenn nicht überhaupt von einer existenzialistischen Wendung zu sprechen ist, in der im Grunde eine Aushöhlung des vorher angestrebten „objektiven" (oder objektivierten) Idealismus stattfindet. Dies ist um
48
II
Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft
so erstaunlicher, als es im ersten Anlauf der „Theorie des objektiven Geistes" doch gelungen schien, den „Geist" durch den Aufweis einer Stufenfolge der Kulturobjektivationen zu retten u n d diese so mit der Gesellschaft oder der sozialen D i m e n s i o n zu verbinden, daß die Gesellschaft die Bedingung der Möglichkeit dieser Kulturobjektivationen ist, andererseits sie selbst aber auch als lebendige Synthese auf dem gesicherten Potential dieser Kulturobjektivationen an geistiger H ö h e gewinnen kann. D o c h der „Triumph des objektiven G e i s t e s " , der die aktuellen (individuellen wie kollektiven) historischen Subjekte stets transzendiert, hatte sich auch für F r e y e r als Pyrrhussieg erwiesen, in dem die Gegenwartsprobleme der Gesellschaft v o r allem in ihrer politischen D i m e n s i o n von Herrschaft und Führung, von politischer Einheit und Legitimität - zu verschwinden drohen. D i e kulturphilosophische (oder - s o z i o l o gische) Wendung des deutschen Idealismus kann so letzt nicht befriedigen, ja sie erweist sich als illusionär. In einiger Distanz z u m Weltkrieg hat sich der Rekurs auf die Kulturnation und die Ehrenrettung der deutschen K u l t u r eben doch als unzureichend gezeigt, die wirtschaftlichen u n d politischen Probleme der Weimarer R e p u b l i k zu lösen. E s wird nun eine zweite „realistische W e n d u n g " des deutschen Idealismus erforderlich, die noch einen Schritt weiter geht als die kulturalistische K o n k r e t i o n , die radikaler als diese erste Lösung ist, gleichzeitig aber - offenbar weil sie nicht politisch sein kann, weil immer n o c h keine politische Lösung in Sicht ist - abstrakter. F r e y e r meint, sie sei „wissenschaftstheoretisch"; 1 3 2 aber sie ist wohl eher existenzialistisch oder politisch-expressionistisch, ein Appell an den politischen Willen o h n e eine inhaltliche Definition dieses Willens. „Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft" ist der großangelegte Versuch, einerseits die jetzt und in Z u k u n f t bestimmenden „Grundlinien des (sozialen) Systems" - mit den K a t e g o rien Gemeinschaft und Gesellschaft, Staat und Volk, Klasse und Stand - zu skizzieren, 1 3 3 andererseits aber sozusagen die Geschichte durch das „ N a d e l ö h r der G e g e n w a r t " 1 3 4
zu
zwingen, w o b e i die Soziologie den Vorgang dieser Einfädelung zumindest zu registrieren, wenn nicht zu kontrollieren und durchzuführen hat. W i r d die erste Aufgabe gewissermaßen „strukturphänomenologisch" in dem Sinn definiert, daß die „phänomenologische Einsicht in den A u f b a u der geistigen W i r k l i c h k e i t " auf das „gesellschaftliche G e s c h e h e n " übertragen werden soll, 1 3 5 so wird die zweite Aufgabe im entscheidenden P u n k t „existenzialistisch" in dem Sinn verstanden, daß das vorher dargestellte „werdende S y s t e m " , auf dessen eigengesetzliche Entfaltung in der „Theorie des objektiven G e i s t e s " doch n o c h großes Vertrauen gesetzt wurde und das in den Kulturobjektivationen
Halt und Sinn finden sollte, nun in der
„Wirklichkeitswissenschaft" nur n o c h durch die heroische „ E n t s c h e i d u n g " oder die „ H a n d lung" (der großen historischen Persönlichkeit) u n d durch den „Willen" (aller, d. h. des „politischen V o l k e s " ) realisiert werden kann. 1 3 6 D e r „ G e i s t " in seinen objektiven G e s e t z m ä ßigkeiten ist zwar da, er bestimmt unser „Sosein", den Sinn unseres individuellen wie kollektiven Lebens, aber er hat - ähnlich wie bei M a x Schelers „Schleusentheorem" 1 3 7
-
keinerlei Realisierungskraft mehr, ins „ D a s e i n " gerufen wird er nur durch unsere „Tat" (bei Scheler sind dies konkreter - die „Realfaktoren" von genetischer Fortpflanzung, politischer M a c h t und wirtschaftlicher Produktion). 1 3 8 D a d u r c h , daß die Realisationsfaktoren hier u n b e stimmt bleiben, daß das „gesellschaftliche W o l l e n " als der eigentliche
Realisationsgrund
angegeben wird, scheint der „objektive Idealismus" erhalten zu bleiben; doch das geschwundene Vertrauen in die Durchsetzungskraft des „objektiven
Geistes" und der leer oder
unbestimmbar bleibende „Wille" ist in Wirklichkeit ein existenzialistisches C r e d o . Allerdings wird dieser Existenzialismus nun soziologisch (oder eher schon soziologistisch) in dem Sinn, daß es die Soziologie und offenbar nur die Soziologie ist, die die „Intention"
dieses
3. Die Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft
49
„gesellschaftlichen Wollens" erkennen muß und auch kann und die deshalb die „ R i c h t u n g " , die „Willenslinie in bezug auf die gesellschaftliche E n t w i c k l u n g " zu bestimmen hat. 1 3 9 E s ist nun also die Soziologie, die den B r u c h zwischen Kulturentwicklung und politischer U n f ä h i g keit, es ist die „Wirklichkeitswissenschaft", die die K o p p l u n g zwischen dem „Geist" und dem „ L e b e n " , zwischen den im G r u n d e nach wie vor ewiggültigen Kulturobjektivationen und den doch sehr unsicher gewordenen gesellschaftlichen und herrschaftsmäßigen Strukturbedingungen wieder herzustellen hat. D a m i t ist die Soziologie sozusagen ins Z e n t r u m der Welt gerückt - sie ist zur „Theorie der Avantgarde" 1 4 0 geworden und hat jetzt eine geradezu heilsgeschichtliche Aufgabe zu erfüllen (nicht in einem religiösen, aber in einem politischen Sinn, in dem es u m das Schicksal Deutschlands und Europas und seiner „Vernunftgeschichte" geht); deshalb ist die Frage der wissenschafstheoretischen und -geschichtlichen Zuordnung der Soziologie so wichtig und wird diese Diskussion über jede wissenschaftstheoretische Zweckmäßigkeit hinausgetrieben u n d zu einer moralischen oder politisch-ethischen Frage erhoben. Weil es mehr u m eine politisch-historische als nur u m eine wissenschaftstheoretische
„Ortsbestimmung"
geht,
bleibt aber auch die positive methodologische Definition der Soziologie auffallend schwach gegenüber den immer wieder nachdrücklich wiederholten Abgrenzungen gegenüber den Logoswissenschaften einerseits und den Naturwissenschaften andererseits, aber auch gegenüber einer b l o ß formalen oder auch empirischen Soziologie. D i e große Einteilung in Geistesund Naturwissenschaften bzw. Geschichts- und Gesellschaftswissenschaften wird wohl W i l helm W u n d t und seiner großen „ L o g i k " von 1908 e n t n o m m e n , wobei Freyer jedoch die Psychologie aus dem geistes- wie aus dem naturwissenschaftlichen Zusammenhang herausnimmt und sie - hier Eduard Spranger folgend - zusammen mit der Soziologie und der Geschichtswissenschaft, den „Wirklichkeitswissenschaften" zuordnet. 1 4 1 Diese Kategorie der „Wirklichkeitswissenschaft" steht allerdings quer sowohl z u m Wissenschaftssystem Wilhelm Wundts als auch Wilhelm Diltheys, dessen Ausführungen F r e y e r für vorbildlich und endgültig für die Geisteswissenschaften hält. 1 4 2 Aufgabe der Wirklichkeitswissenschaften wäre - im Gegensatz zu den generalisierenden L o g o s - wie den Naturwissenschaften - stets die „maximale historische Sättigung", wäre, „einmalig-historische Situationen der gesellschaftlichen Wirklichkeit begrifflich zu erfassen". 1 4 3 Besonders nachdrücklich ist die A b g r e n z u n g gegenüber den Logoswissenschaften. Einerseits bilden diese (mit Philosophie und L o g i k , insbesondere Dialektik, mit allgemeiner Sprachtheorie und Mathematik) - heute würde man w o h l die Semantik und die Hermeneutik hinzufügen 1 4 4 - den strukturellen Kern der Geistes- und Kulturwissenschaften, deren Aufgabe darin besteht, die Objektivationen dieses Geistes in der „geschichtlichen W e l t " in allen individuellen und einmaligen Ausprägungen wie im größeren Zusammenhang der „Systeme der K u l t u r " zu erfassen: 1 4 5 D i e Logoswissenschaften enthalten sozusagen die „Metatheorie" der empirisch ausdifferenzierten Geistes- und Kulturwissenschaften, die K u n s t und Literatur, R e c h t , Religion und Wissenschaft zum Gegenstand haben. Andererseits wendet sich F r e y e r aber ebenso entschieden, wie er für die Logoswissenschaften als dem eigentlichen Kern der Geisteswissenschaften eintritt, gegen den „soziologischen Idealismus" von O t h m a r Spann, der mit seiner Gleichung: „Gesellschaft ist Geist und Geist ist Gesellschaft" 1 4 6 den historischen oder spezifischen Wirklichkeitscharakter der Soziologie verkenne und die Soziologie selbst zur Logoswissenschaft mache. D a m i t aber würde das eigentliche P r o b l e m der modernen Gesellschaft oder einer Gesellschaft im U m b r u c h übergangen: daß nämlich erstens „das ganze G e w e b e der Realbedingungen und Realfaktoren" ausgeklammert bleibt 1 4 7 ; daß zwei-
50
II Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft
tens die erreichte Individuation der Individuen geleugnet wird, die in aller „Gliedhaftigkeit eine unverlierbare Existenz" beanspruchen 148 (und um der Entwicklung der Gesellschaft willen beanspruchen sollen); und daß drittens der Charakter der Offenheit der Geschichte geleugnet wird: „Jeder Emanatismus entwertet die konkreten Unterschiede und die konkreten Beziehungen innerhalb der Erscheinungswelt zugunsten des gemeinsamen Bezugs aller Erscheinungen auf die absolute Mitte. Jeder Emanatismus entwertet insbesondere die zeitlichgeschichtlichen Veränderungen der Wirklichkeit zugunsten ihrer logisch-metaphysischen Rangordnung." 1 4 9 Die Einwände gegen den Emanatismus gelten auch dem großen (und von Freyer anerkannten) 150 Entwurf einer „Morphologie der Weltgeschichte", wie er von Oswald Spengler in „Der Untergang des Abendlandes" (1918) vorgelegt worden ist. Diese Darstellung ist für Freyer aus zwei Gründen unhaltbar. Erstens stellt sie die Kultur als einen „in sich geschlossenen Sinnzusammenhang" dar, 151 der durch ein quasi organisches Wachstum aus den „Ursymbolen" hervorgeht, mit denen im Grunde schon alles von Anfang an entschieden ist. Was damit aber vernachlässigt wird, das ist die dialektische Verflechtung mit den Realfaktoren von Wirtschaft, Politik und Bevölkerungsentwicklung, das sind aber auch die Entscheidungen großer historischer Persönlichkeiten, die doch immer wieder das „Schicksal" wenden. Zweitens wendet er sich gegen die Methode des „physiognomischen Verständnisses" und einer Komparatistik nur der „Gleichzeitigkeit", 1 5 2 in der die verschiedensten Kulturen in ihrer unterstellten Periodik gleichgesetzt werden, während die Geschichte in ihrem Ablauf und auch in der Uberkreuzung der historischen Wege verschiedener Kulturen ausgeblendet wird. Weil sie einem dialektischen Ansatz nicht gerecht werden, muß sich Freyer aber auch gegen eine ideologisch-programmatische wie gegen eine nur formale Soziologie wenden - wenn nun auch aus anderen Gründen. Als Beispiel einer ideologischen Soziologie gilt der „Historische Materialismus", dem gleichwohl die entscheidende Wendung zur „Wirklichkeitswissenschaft" zugeschrieben wird, weil er „die Menschengebundenheit und die Geschichtlichkeit" sowie die Gegenwartsabhängigkeit oder den Gegenwartsbezug des Hegeischen Logos klarstellte. 153 Was er an der ideologischen Soziologie kritisiert, das ist der pejorative Ideologiebegriff, der die Ideologie nur als „falsches Bewußtsein" oder als „Überbau" verstehe. 154 Mit Karl Mannheim sieht er dagegen eine dialektische Verschränkung und ein wechselseitiges Bedingungsverhältnis zwischen Sinndeutung und Verhaltensdisposition, zwischen ideologischer und soziologischer Interpretation. 155 Und über Mannheim hinaus möchte er die paradoxe Aufgabe einer „Realsoziologie der geistigen Kultur" im Sinne einer „konkreten Soziologie" formulieren. Wie schon Kulturobjektivationen und Sozialformen sozusagen quer zueinander stehen, so stehen die ideologischen Sinndeutungsmöglichkeiten und unsere existenziellen Strebungen senkrecht aufeinander: erst die Bestimmung beider Dimensionen ermöglicht es, das „Ganze" zu verstehen, „in dem die Form ihren Ort und ihre Funktion hat". 1 5 6 Gegen die „formale Soziologie", die er (sicher ungerechterweise) in der „Soziologie" 1 5 7 Georg Simmel und (richtigerweise) in der „Beziehungslehre" von Leopold von Wiese 1 5 8 repräsentiert sieht, wendet er sich schon deshalb, weil sie „diese Probleme nicht sehen oder jedenfalls nicht systematisch einordnen" könne, 1 5 9 indem sie doch die historische Dimension völlig eliminiere, um die Soziologie für eine „reine" Logoswissenschaft ausgeben zu können. Doch ist die Ablehnung hier weniger prinzipiell; denn diese „eindimensionale" Soziologie läßt sich in die „dialektische" Soziologie Freyers ohne grundsätzliche Schwierigkeiten einbauen. D e r These von der „Geometrisierbarkeit" der Soziologie wird die These entgegengestellt, „daß die Gegenstände
der
Soziologie wesentlich
historischer
Natur sind". 1 6 0
Wenn
man
den
„geschichtlichen Charakter" der Soziologie „nicht bewußt in die Grundlegung der Soziologie
J. Die Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft
51
aufnimmt" werde er sich eben „hinter dem Rücken des Systematikers geltend" machen, indem die scheinbar zeitlosen Begriffe und Kategorien trotzdem genau die Signatur ihrer Entstehungszeit trügen. „Zeitlos" könne man sie dann ironischerweise nur deshalb nennen, weil sie „nirgends wirklich" geworden seien und weil eine „abstrakte Systematik der bloß möglichen Beziehungen" nichts mit „Wirklichkeitswissenschaft" zu tun habe. 161 Freyer bestreitet jedoch nicht grundsätzlich den Sinn von Simmeis Unternehmen, die Formen und Formprinzipien von Uber- und Unterordnung, von Zweier- und Dreierbeziehungen usw. herauszuarbeiten, insofern von relativ ahistorischen (oder überhistorischen) elementaren Verhaltensformen ausgegangen werden könne. Er bestreitet jedoch, daß immer dann, wenn von gesellschaftlichen „Gebilden" oder wenn von „sozialen Systemen" (sei es Familie, ein Kultursystem, ein Wirtschaftssystem) die Rede ist, noch von einer unabhängigen Variation der beiden Dimensionen „Form" und „Inhalt" ausgegangen werden könne. 1 6 2 In diesem Fall trage jedes gesellschaftliche Phänomen „das historische Lokalkolorit der Gesamtlage", historische Systeme sind nicht aus auswechselbaren Elementareinheiten zu rekonstruieren. 163 Auf jeden Fall versucht Freyer, die Intention dieser formalen Soziologie in seine dialektische „Wirklichkeitswissenschaft" aufzunehmen, wenn er in dieser „Forderung der formalen Wissenschaftlichkeit" wenigstens „ein erstes Moment formuliert" sieht, 164 oder wenn er versichert, daß die „formale Soziologie" einen Beitrag zur „soziologischen Kasuistik" leisten könne, wenngleich diese Kasuistik nur einen Sinn hat im Zusammenhang mit einem konkreten historischen Studium. 165 Schwieriger als die Abgrenzungen, die breit ausgeführt sind, ist es, die positiven Definitionskriterien der Freyerschen „Wirklichkeitswissenschaft" herauszufinden. Das hervorstechendste Kennzeichen ist zweifellos, daß sie „Ethoswissenschaft" sein soll. Ethoswissenschaft wird die Soziologie dadurch, daß sie das „Ethos der Geschehenswirklichkeit (...) zur Achse der Erkenntnishaltung" wird. Ethoswissenschaft ist sie nicht im Sinne der normativen Wissenschaften: „Nicht in dem Sinne, daß in ihnen ethische Normen gewonnen oder angewandt würden; sondern in dem Sinne, daß ihr Erkenntnisobjekt eine Willensrichtung in sich trägt. Die Erfassung dieser Willensrichtung wird deshalb zur unwegdenkbaren Aufgabe, weil sie allererst den zentralen Gehalt des Erkenntnisgegenstandes, nämlich seinen Charakter als existenzielle Wirklichkeit ausmacht." 1 6 6 Das aber setzt voraus, daß die Soziologie zugleich „historische" Wissenschaft sein muß in dem Sinn, daß sie in der Lage ist, die „Realbedingungen der Gegenwart" als „geschichtlichen Unterbau unserer eigenen Wirklichkeit" zu erkennen. Sie kann nicht Geschichtswissenschaft im Sinne einer „objektiven" Geschichtswissenschaft sein (wenn es so etwas überhaupt gibt), in der „der Erkennende inmitten des Gestaltenreichs der geschaffenen Formen in theoretischer Haltung des verstehenden Geistes" verharren könnte. Das wäre für Freyer genau „das Gegenteil derjenigen Erkenntnishaltung (...), die die Soziologie einzunehmen hat". Der Soziologie kann es nicht um „Bereicherung des verstehenden Subjekts durch die Mannigfaltigkeit der Formen" gehen, „sondern (um) Einsicht in die Bedingungen der eigenen Existenz, Vertiefung der eigenen Entscheidung, Unterbauung der eigenen Wirklichkeit (...)". 1 6 7 Freyer überschreitet hier weit die Grenzen einer wissenschaftlichen Argumentation; seine empathische Lobpreisung der Wirklichkeitswissenschaft trägt deutlich existenzialistisch-metaphysische Züge, wenn er schreibt: „Hier gilt in prägnantem Sinne jene Identität von Subjekt und Material, die im weiteren Sinne für alle gesellschaftlichen Tatsachen galt. Hier wird die Soziologie zum wissenschaftlichen Selbstbewußtsein einer menschlichen Gegenwart, zur Theorie einer Existenz." 1 6 8 Zwar stellt er deutlich fest, daß „formelle Wissenschaftlichkeit" (hier in abwertendem Sinn gebraucht) und
52
II
Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft
soziologische Existenzerhellung unvereinbar seien; aber er bedauert dabei nicht die O p f e r an Wissenschaftlichkeit, sondern die an Wirksamkeit, und er stellt die „ G e g e n r e c h n u n g " auf, o h n e auch nur den Ansatz eines Nachweises zu versuchen, daß das Streben nach O b j e k t i v i e rung, nach operationalen Kriterien und Exaktheit, daß die U m f o r m u n g aller „ U t o p i e n " , „auch der eigenen, zu heuristischen A r b e i t s h y p o t h e s e n " 1 6 9 usw., diese Wirklichkeitserfassung behindern oder unmöglich machen würden, bzw. daß im Gegenteil die Ablehnung einer systematischen, exakten und „wertfreien" Wissenschaft 1 7 0 einen existenziellen Erkenntnisvorzug sichern könnte. Das Argument, daß o h n e die Erfassung des „Willensgehaltes der G e g e n w a r t " , ja daß „ohne Entscheidung für eine bestimmte Willenslinie in bezug auf die gesellschaftliche E n t w i c k l u n g " 1 7 1 eine „konkrete Soziologie" nicht möglich sei, läuft damit aber ins Leere, ist bloßes Bekenntnis. F r e y e r überschätzt damit einerseits die „ O b j e k t i v i t ä t " der „exakten" Wissenschaften, andererseits ist aber der der Gegenposition unterstellte E r kenntnisvorzug der Inexaktheit ein Trugschluß. Außerordentlich schwierig ist es, bei Freyer ein Abgrenzungskriterium zu finden, das eine G r e n z e zwischen dem praktischen (politischen) Wollen und der theoretischen Orientierung bzw. der Erstellung eines theoretischen Bezugsrahmens festlegt. D e r Sinn seiner Postulationen schein ja gerade die Verschmelzung zu sein. W o h l sieht er, daß es o h n e eine theoretische Einstellung in der Wissenschaft nicht geht, aber er sieht mehr die Nachteile als die Vorteile dieser Einstellung. Z w a r „wird dadurch, daß der Willensstrahl zur theoretischen H y p o t h e s e umgebildet wird, das Sichtfeld verbreitert und gewissermaßen mit maximaler Gleichmäßigkeit belichtet". Gleichzeitig verbindet sich diese Verbreiterung der Perspektive aber mit einem „ O p f e r an W i r k s a m k e i t " , das durch die „Wahrscheinlichkeit oder wenigstens die Möglichkeit universeller und gegenstandsadäquater E r k e n n t n i s " 1 7 2 offenbar doch nicht aufgewogen w e r den kann. Wenn dieses O p f e r gebracht werden muß, dann ist es doch nur durch die Wahrscheinlichkeit, nicht schon durch die b l o ß e Möglichkeit (auf die sich F r e y e r doch durch das „oder wenigstens" zurückzieht) gerechtfertigt. Praktische Wirksamkeit und theoretische Erkenntnis, Handlung und Reflexion stehen hier (wie so oft in der Leipziger Schule) in einem Nullsummenverhältnis; das eine geht auf K o s t e n des anderen. D i e Vorstellung aber, daß ein theoretisch unaufgeklärter Wille (der die W i r k u n g s - und Sinnzusammenhänge der zu verändernden U m w e l t nicht kennt), daß die sozusagen blinde Handlung auf jeden Fall m e h r erreichen k ö n n e (weil die Reflexion die Handlung doch nur hemme), ist aber wiederum ein metaphysisches C r e d o , das man w o h l als voluntaristisch bezeichnen muß. Unabhängig von diesem C r e d o ist aber zu prüfen, o b es überhaupt einen wissenschaftlichen Weg zur soziologischen Existenzerhellung gibt und wie der F o r s c h e r diesen methodologischen Forderungen gerecht werden kann. Dies bleibt j e d o c h der schwache P u n k t von Freyers K o n z e p t i o n einer „WirklichkeitsWissenschaft". D a s methodologische P r o b l e m beginnt mit der Begriffsbildung, es setzt sich fort im soziologischen Systembegriff und es endet mit den Problemen der sogenannten „Realdialektik" (welche allerdings erst im abschließenden M e thodenkapitel abgehandelt werden können). D a ß ein methodologisches P r o b l e m besteht und daß alles v o n seiner L ö s u n g abhängt, dessen ist sich Freyer w o h l bewußt, wenn er schreibt: „Mit d e m Begriff Wirklichkeitswissenschaft ist zunächst eine F o r d e r u n g gestellt, keine L ö s u n g gegeben. Wirklichkeitswissenschaft heißt selbstverständlich nicht, daß ein wirkliches Geschehen so wie es ist abgespiegelt werden sollte. Alle Wissenschaft ist denkende U m f o r mung des Wirklichen, Auswahl unter seinen M o m e n t e n , Herausarbeitung eines bestimmt gearteten Begriffs von i h m . " 1 7 3
3. Die Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft
53
T r o t z der zentralen Bedeutung, die er damit der Begriffsbildung zuschreibt, sind seine Aussagen über diese Begriffsbildung, d. h. wie zu erreichen sei, „daß sie den Wirklichkeitscharakter des O b j e k t s aufbewahrt und herausarbeitet" 1 7 4 , bruchstückhaft und inkonsequent. Ausführlich u n d entschieden ist F r e y e r wiederum nur in der Ablehnung der bisherigen Begriffsbildung in der Soziologie. Weder erkennt er die Windelband-Rickertsche U n t e r s c h e i dung in idiographische und nomothetische, in individualisierende und
generalisierende
M e t h o d e n oder Disziplinen an 1 7 5 , noch kann er sich mit dem Weberschen
Idealtypus
zufriedengeben. Bei diesen Idealtypen unterstellt er - w o h l nicht zu U n r e c h t - , „daß Max Weber mit diesen Mitteln der Rickertschen Wissenschaftslehre den vollen Sinn seiner eigenen A r b e i t " nicht erfaßt hat. 1 7 6 N a c h Freyer finden sich genau besehen bei M a x Weber nämlich zwei Arten von Idealtypen: solche, deren historische Signatur noch deutlich zu erkennen ist (wie ζ. B . die „okzidentale Stadt", aber auch wie die drei F o r m e n legitimer Herrschaft: die „traditionale", die „charismatische" und die „rational-legale" Legitimität), und andere, die sich ganz an der „Zweckrationalität" als dem „objektiven Richtigkeitstypus" orientieren, die die historische Bindung leugnen und alle anderen F o r m e n nur in einer A r t „Abstandsmeßverfahren" zu bestimmen suchen: 1 7 7 A b e r auch noch hier sei nachzuweisen, daß der Vorrang des „Zweckrationalen" v o r dem „Wertrationalen" und daß die U b e r o r d n u n g des „Rationalen" über das „Traditionale" und „Affektuelle" nur aus einer Zeit des Liberalismus stammen könne. 1 7 8 M i t Siegfried Landshut kritisiert Freyer, daß Webers Idealtypen, wenn sie rein nominalistisch und utilitaristisch verstanden werden, o h n e Zusammenhang mit der sozialen „Wirklichkeit stünden und völlig der W i l l k ü r des Forschers und seinem jeweiligen F o r schungsinteresse anheimgegeben sind, daß sie aber, wenn sie doch etwas von der historischen Wirklichkeit treffen, nicht als generalisierende T y p e n im Sinne von Rickerts naturwissenschaftlichem Wissenschaftsideal verstanden werden k ö n n e n " . 1 7 9 T r o t z des scharf herausgearbeiteten Gegensatzes kann F r e y e r aber dennoch nur schwer erklären, wie nun die Begriffsbildung in seinem Sinn v o r sich gehen soll. E s wird immer wieder auf die Einseitigkeit der bisherigen Begriffsbildung (sei es v o n Alfred Vierkandt oder von M a x Weber) hingewiesen; 1 8 0 und es wird an den Leser appelliert, die Begriffsbildung doch als einen dialektischen P r o z e ß zu behandeln, der selbst wieder sich aus der Dialektik der Geschichte ergebe. M i t diesem Appell - und eine gewisse kompensatorische Charakteristik dieses Appells ist nicht zu übersehen - aber entzieht sich F r e y e r weitgehend der Aufgabe einer präzisen und operationalisierbaren Begriffsbildung. D a s P r o b l e m der Begriffsbildung wird noch potenziert im Systembegriff, der nicht nur die abstrakteste und höchste Kategorie in der soziologischen Analyse darstellt, sondern ja auch noch zurückwirkt auf den Wissenschaftsbegriff der Soziologie als einer Systemwissenschaft. Diese Zuspitzung erfährt das Systemproblem jedoch erst in der „Wirklichkeitswissenschaft", während die „Theorie des objektiven Geistes" n o c h von einer kaum
problematisierten
Hegeischen Systemkonzeption ausgegangen war. D e r Hegeische „ G e i s t " war hier einfach übertragen worden auf die „ G e s a m t k u l t u r " , die damit als die „höheren Ganzheiten in der Welt des objektiven Geistes" gelten kann. Ihre Einheit war noch fraglos gegeben durch einen „einheitlichen, weltanschaulichen Sinngehalt", der zwar in unterschiedlicher „Kraft und Schärfe" in den Objektivationen z u m Ausdruck gebracht werden konnte, jedoch immer identisch mit sich selbst war. 1 8 1 In der „Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft" aber geht es nun darum, „die Hegeische Systemform energisch umzuwandeln", weil an den „Logismus des Hegeischen Systems der W i l l e n s f o r m e n " 1 8 2 , in dem der Geist sozusagen noch überhistorisch ist, doch nicht m e h r zu glauben ist. F r e y e r kritisiert an dieser Hegeischen K o n z e p t i o n : „ D e r
54
II Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft
Geist ist nicht wesentlich in der Zeit; er ist gültiges Gefüge aus lauter Gliedern, die in seiner geschlossenen Ganzheit notwendig sind, er ist System, Perfektum, Logos. Die Geschichte ist zwar wesentlich Prozeß, aber vollendeter Prozeß: in der Rückschau vom erreichten Ende her enthüllt sich die Notwendigkeit ihrer Stufen, die zugleich als Schichten in die Synthesis der Gegenwart aufgehoben sind." Die Soziologie beginne jedoch gerade damit, „daß diese These durchbrochen wird". 1 8 3 Offenbar hat diese Konzeption deshalb ihre Gültigkeit verloren, weil der „Staat", der für Hegel noch „der Abschluß des Systems der Freiheit" war, nach der Meinung Freyers (und vieler seiner Zeitgenossen) jedenfalls im deutschen Fall versagt hat, weil er sich als unsicher und keineswegs als vom Hegeischen Weltgeist geleitet erwiesen hat. Freyer geht so weit zu sagen: „Der Staat (...) wird für die Soziologen zum Beginn und zum Werkzeug der Geschichte der Unfreiheit." Die Soziologie wird gerade deshalb „notwendig", weil dieser hohe Geist-Staat nicht realisiert werden konnte, weil die „Geschichte der gesellschaftlichen Bewegung" aber noch lange nicht zuende ist, ja „sie ist gerade eben in das Stadium ihrer entscheidenden Auseinandersetzungen und Bewegungen eingetreten". 1 8 4 Im Unterschied zur retrospektiven Geschichte Hegels steht die Soziologie gerade an der Schnittlinie der Gegenwart, sie ist „Selbstbewußtsein eines Ubergangs und Untergangs, eines Weiterschreitens in die Zukunft. Sie rückt gleichsam aus der Synthesis, in der sie bei Hegel stand, in die Antithesis. Während die Hegeische Philosophie die Soziologie eines Endes ist, ist die Soziologie die Philosophie eines Ubergangs." 1 8 5 Die Umwandlung des Hegeischen Systems geht nun in vier Schritten vor sich. Erstens wird der Hegeische Geist historisiert und soziologisiert. Er ist, aber er ist voll und ganz „in der Zeit". Ihn in den historischen Erscheinungen aufzuweisen, gerade das ist die Aufgabe jeder „Wirklichkeitswissenschaft". Nach Meinung Freyers steht die „Hegeische Lösung (...) unter der Herrschaft eines philosophischen Gesamtsystems, das zerbrochen werden mußte, wenn die Soziologie Wirklichkeitswissenschaft werden sollte, und das zerbrochen wurde in der realistischen Wendung der nachhegelschen Systeme." In der Methode der „Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft" wird der „Geist" transformiert in die „Strukturgesetze der gesellschaftlichen Wirklichkeit", die „in voller Prägnanz" nur „in ihrem Ursprung", „in ihren historischen Epochen aufzusuchen" sind. Reine „Begriffe der Soziologie sind in diesem Sinn immer zugleich historisch erfüllte: das ganze Wesen der Soziologie als einer Wirklichkeitswissenschaft ist in dieser scheinbaren Paradoxie enthalten". „Scheinbar" ist diese Paradoxie allerdings nur für den, der das Bewußtsein der Soziologie selbst für „ein echt historisches, realdialektisches Phänomen" 1 8 6 hält, der also die Soziologie tatsächlich als das zu sich gekommene Selbstbewußtsein dieses Hegeischen Systemgeistes versteht, welches gerade im politischen Scheitern mehr in der Soziologie als in der Philosophie zum Ausdruck kommt. Wer nicht von einem derart übersteigerten Selbstbewußtsein der Soziologie ausgeht und ausgehen kann, für den ist und bleibt die Paradoxie unauflösbar. Zweitens wird in Geschichte und Gesellschaft dennoch der „Geist" oder die „Logik" des Hegeischen Systems (die freilich wechselnd und sehr vage definiert wird) hineinprojiziert, wenn „Geschichte" und „System" „realdialektisch" fest miteinander verknüpft werden. Zum einen wird definiert: „Der Terminus System aber meint - selbst in der weitesten Fassung einen logischen Zusammenhang der sich aus dem Inhalt der Objekte, nicht aus ihrer bloßen Realität ergibt." 1 8 7 Zum anderen wird - dem vieldeutigen Hegeischen Begriff der „Aufhebung" folgend - postuliert, „daß die reinen Grundstrukturen, außer daß sie realdialektisch aufeinander folgen, grundsätzlich in jeder geschichtlichen Gegenwart als Strukturelemente (...) vorhanden sind." 1 8 8 Aus dieser Kombination von Definition und Postulation folgt, daß
J. Die Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft
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das soziale System in seinen reinen Grundstrukturen (in der Synchronie) die Geschichte in ihrem Ablauf (als Diachronie) widerspiegelt - sei es als „Bestätigung" oder als „Überwindung", sei es durch „ein Auseinanderhervorgehen" oder „Ineinanderumspringen". 189 Mit dieser äußerst flexiblen Kombination von Bejahung und Verneinung ist ja in der Tat keine logische Möglichkeit mehr auszuschließen. Doch bleibt die Frage, ob diese „Logik des Möglichen" etwas zu tun hat mit der angesprochenen, aber eigentlich erst noch zu erforschenden „Logik des Wirklichen". Drittens werden Aufbau- und Abfolgegesetzlichkeit gleichgesetzt oder auch miteinander vermengt, wenn sich die „Logik des Systems" gleichzeitig oder abwechselnd in den drei Strukturprinzipien der Segmentation, der über- oder Einschichtung sowie der Abfolge (Sequenz) realisieren kann. Die einfachste Möglichkeit ist die der Segmentation: „Jeder gesellschaftliche Körper größeren Formats enthält Teilgruppen (Nationen, Stände, Klassen, Gesellschaftsschichten, Berufsgruppen, Gemeinden, Verwandtschaftszusammenhänge usw.) in sich." Dieses Strukturprinzip ist „realidalektisch" am wenigsten überzeugend, da es die Totalität des Systems in Frage stellt. Demgemäß wird es von Freyer auch nur als eine „Abwandlung der Hauptkategorien" begriffen. 190 Die Hauptkategorie der Gleichzeitigkeit ist die Uberlagerung, die darin besteht, „daß ein gesellschaftlicher Körper in seiner Totalität nach mehreren Prinzipien gebaut ist, daß diese sich an allen Stellen überlagern oder verflechten, das Ganze also - gemessen an den reinen Strukturbegriffen - einen durchaus unreinen Fall darstellt." 191 Das Hauptprinzip der Abfolge aber ist die „systematische Reihe", in der eine „reine" Grundstruktur auf die andere folgt: „Bilden wir die Reihe der gesellschaftlichen Grundstrukturen, so überwinden wir zugleich den historischen Zusammenhang der gesellschaftlichen Wirklichkeit und bestätigen ihn, werten ihn aus. Wir denken systematisch - unter Abstraktion von der Kontinuität der Geschichte - von einem reinen Typus zum anderen hin: doch so, daß jeder Typus seinen festen Stellenwert in der Gesamtreihe findet und daß die ihm immanente Dialektik, die ihn in den nächsten weitertreibt, in den Begriffsinhalt aufgenommen wird." 1 9 2 Wenn es immer nur darum geht, den vorhergehenden Systemzustand durch den folgenden „auszuwerten", ist allerdings keine Abfolgemöglichkeit mehr unmöglich. Wenn sich zudem die Dialektik alternativ und zugleich in der Synchronie wie in der Diachronie äußern kann, ist überhaupt keine logische Möglichkeit mehr auszuschließen: die Hegeische „List der Vernunft" hat - trotz ihrer angeblichen Wendung zum Realismus - nun doch wieder freien Lauf. Viertens wird die Gesellschaft - unter Einschluß der Soziologie als „Wirklichkeitswissenschaft" - zum selbstreferentiellen oder sich selbstorganisierenden System erklärt. 193 Die Gesellschaft bildet sozusagen den Leistungskreis, die Soziologie den Kontrollkreis. Doch die Soziologie kann seltsamerweise alles erklären, jedoch nichts kontrollieren: es gibt auch nicht den dürftigsten Ansatz einer Kontrolltheorie, die Erklärungstheorie dagegen scheint universell - und dank der vielen logischen Ersetzungs- und Umkehrmöglichkeiten hat sie am Ende immer recht. Wie die Geschichte „ihre kategoriale Struktur (...) aus dem Willensgehalt der Gegenwart bezieht", so erklärt die Soziologie Gesellschaft und Geschichte aus dem Angelpunkt der Gegenwart, d. h. aus der „Intention gesellschaftlichen Wollens". Doch ob diese Erklärung stimmt, ja ob sie überhaupt wissenschaftlich verantwortungsvoll aufgebaut ist, dafür gibt es im Grunde kein Kriterium, das entscheidet erst die Geschichte: „Die Erkenntnis bleibt also diesem Gegenstand gegenüber immer vorgreifend, und der vollgültige empirische Beweis ist für sie effektiv nur nachträglich zu führen. Erst die geschehene Geschichte beweist das System der Soziologie." 1 9 4 Was sich so bescheiden anhört, ist aber wohl vor allem als eine
56
II
Soziologie als
Wirklichkeitswissenschaft
Generalabsolution des Soziologen als Propheten gedacht, der ja ganz auf die Selbstreferenz des historisch sich wandelnden Systems vertrauend - die eigentlich wissenschaftlichen Methoden der Soziologie: „die vergleichende Analyse mehrerer Gesellschaftsgebilde in ungleichen Stadien der Entwicklung, das stichprobenhafte Herausgreifen einzelner Teilbewegungen aus dem Gesamtprozeß, überhaupt die beständige Korrektur der H y p o t h e s e n an den weiterlaufenden Tatsachen" - nur für eine „stellvertretende u n d hilfsweise Möglichkeit der Verifizierung indirekter A r t " hält. Natürlich ist jede Verifikation (und Falsifikation) nur vorläufig und hypothetisch - aber mehr ist auf Erden nicht zu wollen. D i e Forderung nach einer Bestätigung der Theorie durch die Geschichte ist nur Rhetorik, solange die Geschichte glücklicherweise noch nicht zuende ist und solange die eigenen Erklärungen alle logischen Möglichkeiten offen lassen. D i e methodologische Anweisung, „den dialektischen Gehalt der Gegenwart, und das heißt: den geschichtlich gültigen Willen z u ihrer Veränderung, theoretisch zu formulieren", ist nichtssagend, solange die „Veränderung" praktisch alles meinen kann: die Bestärkung und den Widerspruch, die Verdrängung in der Segmentation und die Durchsetzung zur „reinen" F o r m , die vielfache Mixtur u n d den völligen Gestaltumschwung. U n d die ethische Maxime: „Wahres Wollen fundiert wahre Erkenntnis" 1 9 5 ist ethisch leer, wenn sie kein operationales Kriterium für die „Wahrheit" angeben kann. Alles hängt v o m Glauben an die trotz aller möglichen U m b r ü c h e sich fortsetzende Selbstreferenz des Systems ab; gibt es jedoch diese Selbstreferenz, dann kann der Prophet nicht fehlen. A u c h wenn er (angenommen) eine falsche „Intention des gesellschaftlichen Wollens" unterstellt und theoretisch auslegt, hat er (indirekt) recht; denn wenn man ihn hört und man ihm Glauben schenkt, wird man rechtzeitig dagegensteuern, und der Prophet hat das System vor dem Unheil bewahrt. H ö r t man ihn nicht oder schenkt man ihm keinen Glauben, und, was er vorausgesagt hat, trifft (unter Umständen) wirklich ein, dann hat er u m s o mehr recht. A m E n d e dieser „wirklichkeitswissenschaftlichen" Vorgehensweise stehen die bekannten Mechanismen der „self-fulfilling" (und auch „seif-destroying") „ p r o p h e c y " . 1 9 6 Unglücklicherweise hat sich an der Hegeischen „Weltgeisttheorie" wenig geändert, wenn nun der Soziologe z u m Agenten dieses Weltgeistes ernannt und schlichtweg behauptet wird: „ D i e s e Wirklichkeit, in die unser Wille als mitwirkender Teil eingestellt ist, erkennt sich selbst nach ihrem Zustand und nach ihrer Richtung." 1 9 7 Wie aber kann sich der Weltgeist gegen gewissenlose Agitatoren und wohlmeinende D u m m k ö p f e schützen? Unter dieser Perspektive gewinnt die Webersche Werturteilsproblematik, die von H a n s Freyer recht k u r z und heftig zurückgewiesen wird, doch wieder an Aktualität. Freyer glaubt, „die Forderungen, daß die Soziologie systematisch, daß sie exakt u n d daß sie ,wertfrei' zu sein habe", schon deshalb nicht zulassen zu können, weil damit ihre „Bindung an die geschichtliche Zeit" verlorengehe. 1 9 8 E r kann nicht zulassen und er muß immer wieder dagegen argumentieren, daß die Soziologie von M a x Weber als eine „nomothetische" Wissenschaft (wie alle anderen auch) proklamiert wird; denn dann muß sich der Wissenschaftler von dem zu beobachtenden Geschehen distanzieren, dann kann er nicht behaupten, daß er, weil er diesem „existentiell verbunden" ist, dieses auch „im Aggregatzustand der Gegenwärtigkeit" ergreifen könne. 1 9 9 Freyer wendet deshalb viel M ü h e darauf, durch allerlei sophistische Konstruktionen, die sich letztlich aber selbst ad absurdum führen, die Sonderstellung der Soziologie zu „beweisen". Zunächst konstruiert er unterschiedliche Zeitverhältnisse und Erkenntnishaltungen, die die Logoswissenschaften, die Natur- und die Wirklichkeitswissenschaften angeblich streng voneinander unterscheiden. So hätten es die Logoswissenschaften mit einem reinen Perfektum z u tun, d. h. mit geschlossenen Kulturformen, deren objektiver
3. Die Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft
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Sinngehalt zeitlos gültig theoretisch erfaßt werden k ö n n e ; die Naturwissenschaften würden dagegen ihre Gegenstände als „bloßes Präsens" erfassen, als Sein mit einer reinen Sachlogik, das jedoch (im Gegensatz zu den Kulturformen) nach technischen und
pragmatischen
Erwägungen beherrscht u n d umgeformt werden könne; in den Wirklichkeitswissenschaften schließlich herrsche das Zeitverhältnis des Imperfektum. Dieses Imperfektum soll offenbar als Alibi für die Soziologie gelten, u m die Ansprüche einer nomothetischen Wissenschaft nicht erfüllen zu müssen. D o c h welches K u n s t w e r k ist schon vollendet, w o wäre je seine Interpretation an ein E n d e g e k o m m e n ? U n d die Natur, in die der M e n s c h in seiner Evolutionsgeschichte eingebettet ist, hat mit dem Menschen Vergangenheit und Zukunft, ist nicht reines Präsens. Schnell entdeckt auch Freyer, daß in der Perspektive des „objektiven Idealismus" (mit G o e t h e , Schelling, Hegel) „alles Sein zur Wirklichkeit" wird, „der der M e n s c h existenziell a n g e h ö r t " , jede vielleicht distanziert zu betrachtende Teilwirklichkeit in eine
„Gesamtwirklichkeit"
eingeschlossen ist, die den Menschen existenziell berührt. 2 0 0 D a s heißt aber für ihn: alles ist „Wirklichkeitswissenschaft" es dürfte eigentlich keine nomothetische Wissenschaft geben. D a n n kann es aber auch umgekehrt heißen: die Soziologie nimmt keine Sonderstellung in der R e i h e der Wissenschaften ein, die für sie geltend gemachten P u n k t e gelten im Prinzip für alle Wissenschaften. Sofern aber die Naturwissenschaften „nomothetische" Wissenschaften sind und durch ihren „existenziellen B e z u g " z u m M e n s c h e n daran nicht gehindert sind, warum sollte die Soziologie daran gehindert sein? D e r angebliche erkenntnistheoretische Vorzug und das daraus abgeleitete nomothetisch-wissenschaftliche Alibi bricht in sich zusammen. O b w o h l er konstant von der „Wertfreiheit" der Wissenschaft bei M a x W e b e r spricht, 2 0 1 weiß Freyer natürlich genau, daß W e b e r nicht generell von der „Wertfreiheit", sondern nur von der „Werturteilsenthaltung" in normativer Hinsicht, insbesondere in politischen und lebenspraktischen Angelegenheiten spricht. 2 0 2 Was F r e y e r bekämpft, das ist aber genau die analytische Trennung bzw. die Zusammenschau der verschiedenen K o m p o n e n t e n der wissenschaftlichen Analyse, die seine eigene exklusive Wissenschaftskonstruktion widerlegt. N a c h dem „Objektivitätsaufsatz" v o n M a x W e b e r hat die Soziologie ja zwei große Aufgaben zu leisten, z u m einen eine „technische K r i t i k " , z u m anderen eine „Wertkritik". 2 0 3 D i e Aufgabe der ersteren besteht darin, erstens Mittel in bezug auf gesetzte Z w e c k e abzuwägen, zweitens die Zwecksetzung selbst zu beurteilen, drittens die zu erwartenden Nebenfolgen abzuschätzen, viertens eine N u t z e n - K o s t e n - R e c h n u n g anzustellen. D i e Aufgaben der letzteren bestehen darin, erstens die enthaltenen Wertentscheidungen explizit zu machen, zweitens eine B e d e u tungsanalyse des G e w o l l t e n vorzunehmen, drittens eine Klärung der damit angesprochenen Ideenzusammenhänge herbeizuführen, viertens schließlich eine gewisse Selbstbesinnung oder Selbstbewußtwerdung des handelnden M e n s c h e n anzuregen. Allenfalls ist der erste Teil der Aufgabe „naturwissenschaftlich" der zweite „geisteswissenschaftlich" oder (im letzten P u n k t ) „wirklichkeitswissenschaftlich" zu nennen. D i e Soziologie aber hat offenbar alle drei Aufgaben zu lösen. D e r kritische P u n k t in dieser D e b a t t e ist also nicht, daß W e b e r die „wirklichkeitswissenschaftliche" Aufgabe der Soziologie vernachlässigen würde, sondern nur, daß er die „erfahrungswissenschaftlichen" K o m p o n e n t e n der wissenschaftlichen Aufgabe klar von den „logoswissenschaftlichen" wie von den „normativen" K o m p o n e n t e n unterscheidet, während F r e y e r aus ihrer undurchsichtigen Vermischung im K o n z e p t der „Wirklichkeitswissenschaft" einen Erkenntnisvorzug der Soziologie zu konstruieren sucht. M a x W e b e r macht mit dieser Aufgabendefinition auch deutlich, daß die Trennung in „reine" Naturwissenschaften, Geisteswissenschaften und historische Wissenschaften für den empirischen Wissenschaftler nur eine klassifikatorische Fiktion ist. Tatsächlich operiert jeder praktizierende (und nicht nur theoreti-
58
II
Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft
sierende) Wissenschaftler innerhalb eines Bezugsrahmens, der aus experimentellen „naturwissenschaftlichen"
K o m p o n e n t e n , aus ideellen Konfigurationen und
oder
„philosophi-
schen" A x i o m e n und logischen Verfahren, aus (bewußten u n d unbewußten) normativen Entscheidungen und Wertwahlen zusammengesetzt ist. In Wirklichkeit k o m m t kein F o r s c h e r umhin, „wirklichkeitswissenschaftlich" im Sinne v o n F r e y e r vorzugehen; die Frage ist nur, o b er sich auf die von F r e y e r konstruierten methodologischen Alibis und wissenschaftstheoretischen Immunisierungsstrategien einlassen will und einlassen darf. In diesem Zusammenhang erscheinen w o h l auch die Schlußsätze von Freyers „Wirklichkeitswissenschaft" in einem anderen Licht: „Wahres Wollen fundiert wahre Erkenntnis. E s gibt keine andere Wissenschaft, mit der die Soziologie diese eigentümliche Grundlage teilte. F ü r die Soziologie aber ist sie gültig. N u r durch sie wird Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft m ö g l i c h . " 2 0 4 T r o t z dieser emphatischen Erklärung erweist sich nämlich die „Wirklichkeitswissenschaft" als eine Fehlkonstruktion, die nach F r e y e r auch keine N a c h a h m e r gefunden hat und die F r e y e r in späteren Jahren stillschweigend zu G r a b e getragen hat. W e n n F r e y e r der Soziologie als Aufgabe stellt, die Gesellschaft als ein „Ganzes, und zwar als ein über sich hinausweisendes Ganzes, als ein zukunftsreiches Geschehen zu begreifen", so können seine willkürlichen wissenschaftstheoretischen Klassifikationen, kann seine immer noch zutiefst Hegelianische Systemkonstruktion und seine M e t h o d e der Begriffsbildung nicht schon dadurch
gerechtfertigt
werden,
daß jenseits
seiner
Ganzheitskonzeption
„das
Chaos"
drohe. 2 0 5 D a s C h a o s ist immer eine beliebte Schreckfigur, u m das D e n k e n z u m Stillstand zu bringen - in Wirklichkeit ist das „ C h a o s " ebenso unwahrscheinlich wie die Synthesis der „ O r d n u n g " . Wenn die „gesellschaftliche Wirklichkeit" im „wahren W o l l e n " begründet ist, und wenn es die Aufgabe der Soziologie ist, die Gesellschaft aus dem „Willensgehalt der G e g e n w a r t " zu erklären und zu lenken, so ist das ein emphatischer Appell an einen Willen, der leer bleibt.
4. jlVirklichkeitswissenschaft" und politische Wirklichkeit D i e s e r zu allem entschlossene, aber doch leere Wille scheint nun aber fast ein allgemeines Kennzeichen der Intellektuellenkultur der Weimarer Republik gewesen zu sein, für die der aus Kriegsniederlage und Revolution hervorgegangene „ N o t - und Verstandesstaat" der Z w a n z i ger J a h r e nur ein „ Ü b e r g a n g " war zu einem allerdings n o c h unbekannten Ziel. D i e Frontstellung H a n s Freyers gegen M a x Weber, der zur Zeit der Abfassung der „Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft" schon lange tot war, geht über einen etwas künstlichen M e t h o d e n streit in der zeitgenössischen Soziologie weit hinaus. E s wird auch weniger M a x W e b e r angegriffen, der als Person hochgeschätzt ist u n d dessen politische Werturteile von F r e y e r durchaus anerkannt werden. Was frontal angegangen wird, ist vielmehr der Neukantianismus Webers und die von Heinrich R i c k e r t ü b e r n o m m e n e Wissenschaftstheorie, die „den Begriff der Wirklichkeitswissenschaft nicht k e n n t " und die für die Soziologie „zu schmal gegriffen" sei bzw. die W e b e r gehindert habe, sein eigenes wissenschaftliches Tun „adäquat" zu erfassen. 2 0 6 W e b e r habe Rickerts Begriff der „ K u l t u r w e r t e " auf den Begriff des
„Interesses"
verkürzt und damit den „wirklichkeitswissenschaftlichen" A k z e n t völlig ausgeschaltet. 2 0 7 In der Weimarer Republik aber repräsentiert diese Frontstellung indirekt den K a m p f zwischen
4. „Wirklichkeitswissenschaft" und politische Wirklichkeit
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zwei politischen Lagern: den Konservativen einerseits, deren T h e o r i e weitgehend durch den Rechtshegelianismus formuliert wird (mit T h e o d o r L . Haering, 2 0 8 Carl Schmitt, R u d o l f Smend, nicht zuletzt aber auch H a n s F r e y e r ) und den Liberalen (z.B. mit Hans Kelsen) 2 0 9 und einem Teil der Sozialdemokraten (z.B. mit H e r m a n n Heller) 2 1 0 , die im Neukantianismus Zuflucht suchen. Eine besondere Ironie der Geschichte ist, daß K o m m u n i s m u s und Nationalbolschewismus 2 1 1 über den Linkshegelianismus bzw. Marxismus dem Rechtshegelianismus begrifflich näherstanden als dieser dem Neukantianismus. 2 1 2 Was die Position der Rechtshegelianer betrifft, so haben sie „kein H e h l daraus gemacht, daß für sie das System der Volkssouveränität und der parlamentarischen Mehrheitsentscheidungen unfähig sei, den Begriff des Staates zu erfassen, und daß ihre Vorstellungen sich von der Weimarer Republik wesentlich unterschieden". Wenn sie sich auch für die Volkssouveränität (oder Hans F r e y e r für das „politische V o l k " ) einsetzten, so dachten sie doch an einen „höheren" Willen des Volkes, der nicht in den Wahlzetteln, sondern sozusagen im (Hegelschen) „Volksgeist" z u m Ausdruck k o m m e n und durch ein starkes (charismatisches oder autoritäres) Führerprinzip gestützt und gelenkt werden sollte. D e m g e g e n ü b e r sucht der Neukantianismus - mit seiner B e t o n u n g der individuellen R e c h t e und Wahlakte, mit seinem erkenntnistheoretischen Rationalismus und seinem H a n g z u m Rechtspositivismus, und mit der klaren Unterscheidung von Sein und Sollen, von Wert und empirischer Wirklichkeit 2 1 3 für die parlamentarische D e m o k r a t i e einzutreten, die zwar weit von der spekulativen Idealf o r m des Hegeischen Staates entfernt sind, dafür aber Realismus und Wandlungsfähigkeit in „Wirtschaft und Gesellschaft" sicherstellen konnten. D a b e i wurde allerdings die eigentliche politische D i m e n s i o n größtenteils geopfert. D a ß der neukantianische Rationalismus sich letztendlich auf eine reine K o s t e n - N u t z e n - R e a l i t ä t und auf rein ö k o n o m i s c h e s D e n k e n , auf das liberalistische C r e d o der Selbstregulation durch Privateigentum und Privatentscheidung, beschränken mußte, dem die „Hegelianer" die politische D i m e n s i o n der Öffentlichkeit, der Repräsentation statt des ö k o n o m i s c h e n E r w e r b s und eine institutionelle Rationalität entgegenstellten, die aber dann - gerade entgegengesetzt zur ö k o n o m i s c h e n Ernüchterung - zu „Heilsbotschaften" werden mußten, hat G a r y U l m e n in einem Vergleich der K o n z e p t i o n e n v o n Carl Schmitt und M a x W e b e r überzeugend belegt. D e r eigentliche soziologische Antipode Freyers ist auch nicht M a x Weber, der ja eine gewisse Zeit dem „plebiszitären Führerstaat" nicht allzu ferne stand, sondern eher T h e o d o r Geiger, der - wenn auch von F r e y e r nicht erwähnt - schon 1926 mit seinem B u c h „ D i e Masse und ihre A k t i o n " den Revolutions- wie den Volks- und F ü h r u n g s m y t h o s entzaubert hat, u m später (in der dänischen Emigration) mit „Die Gesellschaft zwischen Pathos und N ü c h t e r n h e i t " ( 1 9 5 2 ) wiederum die direkte G e g e n p o sition zu Freyers „Theorie des gegenwärtigen Zeitalters" ( 1 9 5 5 ) und seiner Denunziation der „sekundären Systeme" zu vertreten. 2 1 4 D i e philosophischen Denktraditionen des R e c h t s - bzw. Linkshegelianismus und des Neukantianismus sind nach wie vor geeigneter zur E i n o r d n u n g dieser doch stets auf akademisch-wissenschaftlicher und philosophischer E b e n e geführten Kontroverse als die zahlreichen neueren Versuche, die Kontroverse (partei-)ideologisch zu verorten. E s wird sofort ersichtlich, wie diese Charakterisierung Verwirrung stiften kann, wenn man die grundlegenden A n n a h m e n auf Freyers „Wirklichkeitswissenschaft" anwendet. K u r t L e n k z.B. postuliert u.a., daß eine Prämisse des konservativen D e n k e n s „in der aller Ratio vorausgehenden Anerkennung einer vorrationalen W i r k l i c h k e i t " liege, d. h. im gläubigen H i n n e h m e n der Wirklichkeit wie sie ist; daß weiter für den Konservatismus gilt: Tertium non datur - dagegen der T e n o r liberaler Aussagen dahin ziele, z u r Synthese jenseits geronnener Standpunkte
vorzudringen,
während
bei den
Konservativen
letztlich
notwendige
und
60
II
Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft
„tragische" Gegensätze verfestigt würden; daß im Liberalismus „die tätigen Individuen zum Maß aller Dinge" (vor allem der politischen) würden. Danach müßte es schwer fallen, Freyers Aktivismus und revolutionäre Dialektik dem konservativen Denken zuzurechnen. Wenn dann noch eine genuin soziologische Grundannahme, daß „wir alle zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort in die Welt hineingekommen (sind), in eine Welt, die vor uns da war..." bereits ein konservatives Postulat sein soll, das auch noch zu einem „autoritären Konkretismus" tendiert, dann muß man wohl die Soziologie als Wissenschaft undifferenziert als „konservativ" einordnen. Und gerade diese soziologische Grundannahme hat Freyer ja in der Phase der „Wirklichkeitswissenschaft" zu sehr vernachlässigt.215 Obwohl Hans Freyer sicher dem Rechtshegelianismus zuzurechnen ist, so ließe sich die „realistische Wendung" des Hegeischen Systems ganz anders denken - z.B. in Weiterführung der „Theorie des objektiven Geistes", die sich ganz auf eine Kultursoziologie beschränkt hatte, in organisationssoziologischer, wirtschaftssoziologischer und politischer Hinsicht (im intrawie im internationalen Rahmen). Daß es trotz dieser Vorarbeit, auch einer kenntnisreichen Habilitationsschrift, 216 nicht dazu gekommen ist, kann nicht aus einer parteipolitischen Orientierung Freyers begründet werden; gerade der unspezifische Willensbegriff und die Hoffnung auf gesellschaftliche „Selbsterkenntnis" durch die Soziologie weisen auf den großen Einfluß hin, den das Gedankengut der Jugendbewegung nach wie vor auf Freyer ausübte. So progressiv und revolutionär, so politisch organisiert sich die Jugendbewegung in den zwanziger Jahren gab, fühlte sie sich nach wie vor entfremdet vom Industrialismus und von neuen Großorganisationen, vom „kapitalistischen" Wirtschaftssystem ebenso wie vom Partei- und Verbandssystem, von der Urbanisierung wie von der zunehmenden internationalen Verflechtung und Abhängigkeit. 217 Die Möglichkeit zu einem aktiven Beitrag in dem sich anbahnenden makrosozialen Wandel war ihr verbaut, schon durch das vorherrschende pseudohumanistische Bildungsideal, aber auch durch den Autoritätsverlust ihrer Väter, durch mangelnde Familienbindung und Generationenkonflikt. 218 Auch im politischen Wandel nach 1918 blieb das „bündische Leben" der einzige Weg einer Selbstversicherung 219 , ja diese Tendenz tritt nach dem Krieg sogar noch stärker hervor als vorher, da nun die „Bünde" sogar als Großorganisationen sich immer noch als Alternative zu den Parteien und der „offiziellen" Politik darstellten. 220 Hier glaubte man, außer Verhaltenssicherheit und emotionaler Bindung auch politische Autorität und Wegweisung finden zu können. Alle diese Vorstellungen sind nun durch Freyers Theorie „philosophisch" befriedigt. Noch 1925, in einer Zeit, in der es doch eher um die modernen organisatorischen Großverbände eines Staates gehen sollte, auch um die Möglichkeit und Form von internationalen Allianzen, schließlich um Europa, stellt Freyers „Der Staat" (1925!) eher eine illusionäre Rückkehr zur „Gemeinschaft" (als „Volk") und die Lobpreisung eines „charismatischen" Führers dar 221 , und alles Großorganisatorische verharrt in einer kulturphilosophischen Idylle. So bleibt die Beziehung zwischen dem kleinen sozialen Kreis oder den in ihrer Organisationsform doch eigentlich primitiven „Bünden" und den funktional ausdifferenzierten Großverbänden von Staat, Gesellschaft und internationaler Staatengemeinschaft völlig unvermittelt. Es ist zwar ständig die Rede vom „Leben aus der Gegenwart", von der „Tat" und dem „Wollen des Ganzen", von der Entscheidung, aber insofern sie in kein gesamtgesellschaftliches Organisationsgefüge eingreifen kann, bewegt sie nichts, nicht einmal die „Entscheidungsträger" selbst. Was bleibt, ist lediglich das Bekenntnis; doch die stereotyp werdende Attitüde der „Entschiedenheit" und „Entschlossenheit" ist eher als eine Flucht vor der Entscheidung, jedenfalls vor den Realitäten von Industriegesellschaft, Technik und Staatsverwaltung zu interpretieren. 222
4. „Wirklichkeitswissenschaft"
und politische
Wirklichkeit
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Die Anklänge in Freyers Texten an Karl Marx, aber auch an Heinrich Heine, die Bereitstellung eines Programms für die euphorisch angekündigte „Stunde der Soziologie" (so Ernst Wilhelm Eschmann 1934!) w u r d e n von Wolf Lepenies in einer Untersuchung der literarischen Verwandtschaften Freyers herausgestellt. 2 2 3 Es ist aber doch ein enttäuschend unpolitischer, jugenbewegter Existenzialismus, der - schon fast am Ende der J u g e n d b e w e g u n g - in der „Wirklichkeitswissenschaft" von 1930 seinen, allerdings nur sehr abstrakten, A u s druck findet: in fester Entschlossenheit z u m „wahren Wollen" ist empirisch jedoch alles offen. O b w o h l Freyer sich in der Lehre auf die gegenwärtige Lage konzentrierte, 2 2 4 vermeidet er es, zu einem der doch überaus drängenden gesellschaftlichen, politischen oder wirtschaftlichen Probleme der Zeit Stellung zu nehmen oder ihm gar eine Arbeit zu widmen. Es ist eine Soziologie aus einer „höheren Warte", thronend über den Zeiten, die sich nicht zu der herbeigesehnten, aber verschwiegenen, „Wirklichkeit" verdichten will. Auch die „Wirklichkeitswissenschaft" ist mehr eine Flucht- und Wunschformel als ein wissenschaftssoziologisches (oder gar ein sozialorganisatorisches) Programm. Der Sozialwissenschaftler beansprucht (ob als „Diagnostiker" oder gar als „Prophet" wie in der „Wirklichkeitswissenschaft") eine eminente Stelle im geschichtlichen Wandel, aber wenn ihn ein Politiker fragte, er hätte wohl nicht viel zu sagen. Es ist also nicht zu verwundern, daß das wissenschaftliche w i e das öffentliche Echo auf die „Wirklichkeitswissenschaft" widersprüchlich und verwirrend war. In den soziologischen Fachzeitschriften der damaligen Zeit sind nur Rezensionen über die „Theorie des objektiven Geistes" und über die „Soziologie als Wirklichkeitwissenschaft" zu finden; zwischen der „Wirklichkeitswissenschaft" und ihrer politischen „ A n w e n d u n g " F r e y ers, der „Revolution von rechts" w u r d e kein Zusammenhang gesehen. Sie w u r d e offenbar überhaupt nicht als Gegenwartsanalyse gewertet, die wissenschaftlich zu diskutieren wäre. 2 2 5 W i e fast alle Rezensenten hervorheben, befaßt sich der größte Teil der „Wirklichkeitswissenschaft" mit einer überscharfen Zurückweisung wissenschaftlicher Standpunkte, die mit denen des Autors keineswegs so unvereinbar sind, w i e er sie darstellt - während der eigene Beitrag unausgearbeitet u n d u n k l a r oder so in der Schwebe bleibt, daß die verschiedenen Besprechungen auch zu völlig gegensätzlichen Urteilen kommen: Theodor Geiger z.B. versucht vor allem die „formale" Soziologie gegen Freyer zu verteidigen, und er kann nicht einsehen, w a r u m mit der Betonung von (historischen) Längsschnittanalysen die (notwendigerweise auch historischen) Querschnittsanalysen unbrauchbar werden sollen. 2 2 6 Er übersieht damit allerdings die „realdialektischen" Implikationen Freyers. 2 2 7 Siegfried Landshut hingegen wirft Freyer vor, daß sein Ansatz mit einer nur spekulativen Deduktion der Soziologie als „Wirklichkeitswissenschaft" ihm den Zugang zu einer tatsächlich historischen Soziologie verbaue. Der vielbeschworene „historische" Gehalt" und der Pfeil der Zeit verblasse zu einem Abstraktum. 2 2 8 Ausgerechnet im „Archiv für angewandte Soziologie" aber findet sich eine Besprechung, in der die „existenzialis tische" Wendung Freyers für entscheidend gehalten w i r d , wenn er auch die Inkonsequenz begehe, nach wie vor an einer „gegenständlichen" Erkenntnis in der Soziologie festzuhalten. 2 2 9 Der der christlichen Existenzphilosophie nahestehende M a x Müller aber kritisiert umgekehrt, daß nicht n u r die Soziologie als „Ethoswissenschaft" verstanden werden könne, in der „wahres Wollen wahre Erkenntnis fundiert"; dies gelte für alle Geisteswissenschaften. Allerdings müsse dieses existenzialistische „Apriori" von den Einzelforschern „selbst wieder als unzureichend erwiesen und korrigiert werden". 2 5 0 Das Konzept der „Wirklichkeitswissenschaft" w i r d so praktisch von allen als voluntaristisch und polemisch bewertet, 2 3 1 und der „Kampfcharakter" dieser Konzeption w i r d auch von allen politisch gedeutet, wobei Freyer jedoch einmal der politischen Rechten, einmal der
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Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft
Linken zugerechnet wird. Der Marxist Alfred Kleinberg etwa stellt heraus, daß Freyer zwischen idealistischen und materialistischen Kategorien laviere, daß er „aber den entscheidenden Schritt nach links, ganz zum Marxismus hin, (...) doch auch nicht zu tun" (wage). 232 Auch eine Besprechung in den „Neuen Blättern für den Sozialismus" sieht eine „sozialistische Geisteshaltung" in Freyers Werk und einen Bundesgenossen in ihm selbst. 233 Dagegen sieht der Marxist Siegfried Marek in Freyers „Wirklichkeitswissenschaft" ein Dokument der „unverfälscht faschistischen Kreise". 234 Der national-sozialistische Staatsrechtslehrer Koellreutter zieht natürlich aus Freyers „Wirklichkeitswissenschaft" eine Rechtfertigung für eine „Völkische Staatslehre" und eine Abgrenzung gegen alle marxistischen und neuliberalistischen Begründungsversuche. 235 Auf den in erkenntnistheoretischer Hinsicht kritischen Punkt kommt der dem Thomismus nahestehende Philosoph Josef Pieper, der gegen den Voluntarismus Freyers hervorhebt, daß seinem Satz: „Wahres Wollen fundiert wahre Erkenntnis", doch notwendigerweise der umgekehrte Satz vorhergehen müsse: „Wahre Erkenntnis macht erst ,wahres Wollen' möglich". Der zweite ist Karl Mannheim, der, obwohl er sich der theoretischen Position Freyers vorher sehr nahe gefühlt hatte, jetzt vor den Konsequenzen einer Uberpointierung seiner Theorie der „Seinsverbundenheit des Denkens" in Freyers Postulat vom „Wahren Wollen" warnt; hier seien in der Theorie jeder Beliebigkeit Tür und Tor geöffnet, denn von nun an müsse sich der Wissenschaftler nicht mehr sachhaltig ausweisen, sondern könne sich im Erkennen auf Eingebung und „wahre Gesinnung" berufen. „Damit ist jene Aufgabe, die mit der Einsicht in die Faktizität der Seinsverbundenheit des Denkens gestellt worden ist, falsch gelenkt, denn sie stellt sich nicht mehr, wie ursprünglich gewollt, in den Dienst der Selbstkritik und der Distanzierung der Seinsgebundenheit, sondern sie dient zur Legitimierung jeder Parteilichkeit." 236 Während also Pieper und Mannheim Freyers theoretische „Selbstbesinnung" für völlig kurzschlüssig halten, wird ihr seltsamerweise von Herbert Marcuse, der sich damals in Freiburg bei Heidegger habilitieren wollte, bescheinigt, daß sie im Vergleich zu dem was sonst als wissenschaftstheoretische oder methodische Erörterung auf diesem Gebiet vorliegt, die einzige radikale wissenschaftliche Selbstbesinnung überhaupt sei, die seit Max Weber nicht mehr aufgenommen worden wäre. 237 Erich Winter schreibt aber in einer Rezension der „Zeitschrift für Sozialforschung", daß Freyer vor der Aufgabe, die „politische Ökonomie" miteinzubeziehen, auf die „Existenzphilosophie" ausweiche, was „keineswegs ein neues System im Rahmen der Wissenschaft" rechtfertige. Dagegen argumentiert Johann Plenge wiederum - enttäuscht darüber, daß Freyer die Herkunft seines Systems nicht nachgewiesen hätte - , indem er deutlich auf seine Urheberschaft des Freyerschen Programms hinweist, es jetzt jedoch wissenschaftlich verwässert findet; denn Freyers „wahrer Wille" sei gar nicht die „lebendige Kraft der Erwirkung", sondern lediglich „das blasse Hilfsmittel möglicher Hypothesen". 238 Auffallend ist jedoch, daß fast von keinem dieser Rezensenten versucht wird, eine Beziehung zu den Auseinandersetzungen in der damaligen Disziplin herzustellen, daß es vielmehr jedem genügt, lediglich die Vereinbarkeit mit seiner eigenen Weltanschauungsperspektive zu prüfen. Der einzige, der sich dieser Aufgabe widmet, nämlich Andreas Walther, bringt seine Kritik aber ganz auf die ideologische Linie einer „deutschen Soziologie", wobei Freyer eine gelungene Verschmelzung von „Idealismus" und „Materialismus", von „Staat" und „Gesellschaft" nachgerühmt wird. 239 Wenn aber die „Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft" als theoretische Leistung anerkannt wird, dann wird paradoxerweise eine praktische Anwendung dieser Theorie verneint. Wenn auch das Rezensionswesen damals nur schlecht geordnet und
4. „Wirklichkeitswissensch
aft" und politische
Wirklichkeit
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eher der persönlichen Willkür von Zeitschriftenherausgebern überlassen war, ist jedenfalls ein eklatanter Widerspruch einerseits zwischen dem hohen wissenschaftlichen Anspruch der „Wirklichkeitswissenschaft" und ihrer seltsam verzerrten Rezeption festzustellen; andererseits sind „Theorie" und „Praxis" bzw. wissenschaftliches und politisches Programm - obwohl sie doch ihrer Konstruktion nach auf engste miteinander verbunden sind - völlig unvermittelt: was in den Kreisen der Jugendbewegung oder in anderen politischen Kreisen von großer Bedeutung sein mag, kommt in den wissenschaftlichen Publikationen nicht zur Geltung, und auch umgekehrt. Insgesamt ist wohl festzustellen, daß der hohe theoretische (und insgeheim doch auch politische) Anspruch der „Wirklichkeitswissenschaft" tatsächlich nicht zu erfüllen war. Vielleicht noch kennzeichnender ist, daß der Freyersche Wirklichkeitsbegriff und die „Wirklichkeitswissenschaft" auch im eigenen Werk und nach eigenen Maßstäben gescheitert ist. Die Stationen dieses Scheiterns lassen sich leicht rekonstruieren: „Der Staat" von 1925 ist noch eine Apotheose auf den „Weg des Geistes zum Staat" und umgekehrt den „Weg des Staates zum Geist", auf das „Reich", den „Führer und sein Volk", auf „Macht und Willen" - und es gibt wenig Zweifel, daß es vor allem um das „Deutsche Reich" geht, um die „heilige Mitte" des Abendlands, die sich bisher nur in kultureller Vielfalt entfaltet hat, ohne zur politischen Einheit zu finden. Wenn auch vom ganzen Europa gesagt wird, daß es „in der Stunde seiner politischen Wendung nicht zur Einheit des Reichs, sondern zur Vielheit der Reiche präformiert" sei, 240 so ist doch der Reichsgedanke ein mehr oder weniger exklusives deutsches Formprinzip, das im Gegensatz steht zur nationalen Idee der meisten europäischen Staaten. In der „Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft" von 1930 ist der Begriff des Reiches aber schon entschwunden, an seine Stelle tritt das „moderne Volk", 241 oder die „Völker" die „die eigentlichen Subjekte der gesellschaftlichen Entwicklung" sind. Im „Volk" oder in der durch den Staat garantierten „Volksgemeinschaft" ist die Überwindung der „kapitalistischen Klassengesellschaft" zu suchen. 242 Die „Einheit der Wirklichkeit" ist in dieser Zeit aber offensichtlich nur noch in der „Einheit des Willens" gesichert - eine politische Lösung ist nicht in Sicht. So wird in der „Revolution von rechts", w o es doch explizit um eine realistische politische Lösung gehen müßte, noch vager formuliert: „Das revolutionäre Prinzip (...) ist seinem Wesen nach keine Struktur, keine Ordnung, kein Aufbau. Sondern es ist reine Kraft, reiner Aufbruch, reiner Prozeß. Die Frage, zu welcher Form es sich fügen wird, wenn es am Ziel seiner Bewegung ist, ist nicht nur falsch sondern feige. Denn es kommt gerade darauf an, daß das neue Prinzip das aktive Nichts in der Dialektik der Gegenwart, also die reine Stoßkraft zu bleiben wagt; sonst ist es über Nacht eingebaut und kommt nie zu seiner Aktion (,..)." 243 Die Suche nach den Aufbau- und Strukturgesetzen, nach der möglichen und richtigen Abfolge von Strukturprinzipien, die noch das Thema der „Wirklichkeitswissenschaft" war, droht nun schon im bloßen Aktionismus und Voluntarismus unterzugehen. Aber wenn das „Dritte Reich" wirklich kommt - allerdings in vulgärer Verzerrung und vor allem in einer viel machtrealistischeren Form, als er sich vorher vorstellen konnte - , zerfällt Freyer der Begriff einer scheinbar begrifflich so gut durchstrukturierten und durch die geheimen Gesetze der „Realdialektik" zusammengehaltenen Wirklichkeit nicht anders, als er den Neukantianern und Transzendentalphänomenologen zerfallen war. In „Die politische Insel" von 1936 schon wird die „Wirklichkeit" zur „Utopie" erklärt, wenn es heißt: „Wir alle stehen im Schnittpunkt mehrerer Realitäten", und „wirklich zu Hause ist der Mensch doch wohl nicht dort, w o er sein Geld verdient, sondern w o sich seine Seele hinwünscht." 2 4 4 Die „Pallas Athene" von 1935 ist schon eine verschlüsselte „Theorie der zweiten Stunde": „Irdisches ist
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Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft
so zusammenzuraffen, daß seine Erhaltung z u m überzeugenden Wert (...) wird. (...) So revolutionär sie ihrem Beginn nach sei, ihrem endgültigen Sinn nach ist alle Politik konservativ." 245 I m „Machiavelli" von 1938 schließlich beschreibt Freyer bereits den Auseinanderfall von „fortuna" u n d „virtù"; an die Stelle der Lobpreisung des großen u n d starken Staates, der inzwischen in der nackten Gewalt korrumpiert ist, tritt n u n der Aufruf zur isolierten „Resistenz" des Individuums gegen eine entfremdete Wirklichkeit. 2 4 6 N o c h einen Schritt weiter in Richtung der Desillusionierung geht die (gedruckte, aber nicht mehr ausgelieferte) Schrift „Preußentum und A u f k l ä r u n g " von 1944, w e n n Freyer - nachdem das im „Machiavelli" noch erhoffte „Verwandlungswunder" 2 4 7 eben doch nicht eingetreten w a r und vielmehr Deutschland f ü r jeden sichtbar seinem Untergang entgegentrieb - den Staat allein noch durch die Wohlfahrt des Individuums u n d durch die langfristige Entwicklung der Gesellschaft gerechtfertigt sieht. 248 In einer vollkommen pervertierten Macht hat der Begriff einer sich selbst konstituierenden gesellschaftlichen Wirklichkeit seine Berechtigung gänzlich verloren. 2 4 9 D a ß der in der „Wirklichkeitswissenschaft" aufgebaute Wirklichkeitsbegriff unrealistisch w a r bzw. nur f ü r eine eng umschriebene historische Epoche plausibel erschien, das zeigt sich nicht n u r bei Freyer, sondern auch bei seinen Schülern Arnold Gehlen, G o t t h a r d G ü n t h e r oder H e l m u t Schelsky, die alle einmal wie Freyer mit Hegel und Fichte begonnen hatten 2 5 0 u n d die alle hart zu kämpfen hatten, um sich nach dem II.Weltkrieg v o m „objektiven Idealismus" zu befreien, als es praktisch f ü r keinen mehr einen Anschluß an diesen Wirklichkeitsbegriff gab - es sei denn den des Ressentiments über die „verlorene Wirklichkeit". Aber auch Freyers Nachkriegs-Wirklichkeit der „sekundären Systeme" ist eine total entwertete und trivialisierte Wirklichkeit, gekennzeichnet durch „ein äußerstes Maß von Voraussetzungslosigkeit", durch die Reduzierung des Menschen „auf ein M i n i m u m " , „zweckrationalisiert" u n d „proletarisiert", „atomisiert". D e r Hegeische Geist ist ausgetrieben, was an Hegel erinnert, ist n u r noch der Begriff der „Entfremdung". 2 5 1 Die vordringlichste Aufgabe des Menschen ist nicht mehr das Aufgehen im Kollektiv, sondern der „Widerstand": „Alle Gemeinschaft ist in den Personen gefedert. Sich fügen heißt immer: nachgeben; nachgeben aber heißt entweder elastisch sein oder sich verformen lassen, u n d f ü r beides gibt es eine Grenze (...). Die Freiheit des Menschen ist das Widerlager, in dem sie abgestützt ist, und daß sie gilt, heißt, daß sie diese Widerlager findet." 2 5 2 Perfekt in die „Entwirklichung" abgewandert scheint der Mensch in „Gesellschaft u n d Kultur" von 1967, wenn festgestellt wird, „daß diese Welt nicht zu bewältigen ist u n d daß also der Mensch zur Zeit, vielleicht auch künftighin, in einer unbewältigten Welt zu leben hat. (...) Alles Leben in der gegenwärtigen Zivilisation, zumal alles bewußte, steht im Zeichen dieser Entwirklichung. (...) D e r Kontakt zur Wirklichkeit wird nicht nur verscherzt oder verpaßt, sondern die Wirklichkeit selbst entweicht." 2 5 3 D o c h dies scheint eher ein Urteil über Freyers eigenen Wirklichkeitsbegriff zu sein, der in diesem M o m e n t begrifflos geworden ist, zurücksinkt in die scheinbar unmittelbar gegebene Erlebniswirklichkeit und der auf eine hochorganisierte u n d in ihren funktionalen Beziehungen global gewordene Industriegesellschaft nicht mehr anwendbar ist. 254 Wie H a n s Freyer beklagt später auch H e l m u t Schelsky den „Realitätsverlust der modernen Gesellschaft". Ja, er bildet sich keinen Begriff mehr über die Wirklichkeit der „sekundären Systeme", sein „Realitätsdrall" geht n u n ganz auf die „Wiederherstellung u n d Wiederentdeckung der sozialen Wirklichkeit im personalen Schicksal u n d Handeln des Einzelnen". Aufgabe der scheinbar n u n ganz „empirisch" gewordenen Soziologie ist, „die Schwaden der sozialen Unwirklichkeit, die über den T r ü m m e r n unserer Gesellschaftsordnung liegen, zu
4. „ Wirklichkeitswissenschaft" und politische Wirklichkeit
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durchstoßen." 255 Diese Schwaden aber scheinen genau jene „sozialen Vorstellungen, Ideologien, Selbstdeutungen und Selbstverständnisse" zu meinen, die einen vergangenen Zustand fixieren und die einmal von der „deutschen Soziologie" in die Welt gesetzt worden sind. Die Polarisierungen zwischen „den abstrakten Ordnungen und Superstrukturen und den kleinen primären, intimen Gruppen" 256 ist nun auf die Spitze getrieben, doch - seltsam genug für einen Soziologen - eine Lösung dieser Spannung wird nur noch in einer Richtung gesucht: „Nicht Verallgemeinerung, nicht abstrakte Orientierung über das Ganze, sondern Verlebendigung des Unmittelbaren, ,Vergegenwärtigung' (...) ist die geistige Aufgabe der Stunde." 257 Genau dies ist auch die Funktion einer „transzendentalen Theorie der Gesellschaft", in der es Schelsky - wiederum sehr „antisoziologisch" - um „die Freiheit des Menschen von der Gesellschaft" geht 258 und in der er die Aufgabe der Soziologie nicht mehr in der Analyse dessen sieht, „was zu tun und wie zu entscheiden ist, sondern viel mehr darin, sichtbar zu machen, was sowieso geschieht und was gar nicht zu ändern ist. Die wesentlichste Aufgabe der wissenschaftlichen Kontrolle der Wirklichkeit könnte im gegenwärtigen Zeitpunkt also gerade eine Funktion gegen die Planungs- und Manipulierungsallmacht des modernen Menschen, gegen die universal gewordene Anschauung von der ,Machbarkeit' der Menschen und Dinge sein." 259 Ahnlich ist die Position Arnold Gehlens, der jedoch frühzeitig von der „Wirklichkeitsphilosophie" auf die „Kulturanthropologie" (mit „Der Mensch: Seine Natur: und seine Stellung in der Welt", 1940) übergeschwenkt ist und so den Erscheinungsformen der „Industriekultur" und der „großpolitischen Herrschaft", nämlich dem „Subjektivismus", dem „Leben aus zweiter Hand" und dem „Erfahrungsverlust" 260 einerseits und der „Bürokratisierung" und „Ideologisierung" andererseits,261 scheinbar mit größerer Gelassenheit gegenübersteht und uns bereits im „Posthistoire" 262 angekommen sieht. Daß aber beide, Schelsky wie Gehlen, sozusagen eine Soziologie gegen die Besatzungsmacht, gegen den westlichen Industrialis mus und gegen die amerikanisch-sowjetische Bi-Hegemonie schreiben, ist unverkennbar. Nicht, daß die „Wirklichkeit" entschwunden ist, ist ihr Problem; sondern daß es eine „Wirklichkeit" ist, an der wir - so sah es jedenfalls ein Jahrzehnt nach dem Kriege aus - nichts mehr mitzubestimmen haben. Daß dies nicht ausgesprochen wird, obwohl es offensichtlich ist, daß statt dessen die Flucht in die „Transzendenz" und ins „Posthistoire" angetreten wird, zeigt nur die Verfahrenheit des Wirklichkeitsbegriffes, von dem sie insgeheim immer noch ausgehen. Eine grundlegende philosophische Neuaufnahme des Wirklichkeitsproblems hat nur Gotthard Günther geleistet, der mit seinem Entwurf einer mehrwertigen Logik und Metaphysik 263 und mit seiner Definition der „Wirklichkeit als Poly-Kontexturalität" 264 an einem Wirklichkeitsbegriff angelangt ist, der sich von den deutsch-idealistischen Dualismen oder Polaritäten weit entfernt hat. 265 Mit der Aufgabe der dichotomischen Subjekt-Objekt-Spaltung und mit der Einführung eines „zweiten" Subjekts - dem „Du", mit dem ich interagiere und mit dessen Hilfe ich erst ein „Objekt" (mit einem bestimmten Index) finden und bearbeiten kann - aber nähert sich Günther eher wieder der phänomenologischen Gegenposition, wie sie einmal wenn vielleicht auch unzureichend durch die Intersubjektivitätstheorie von Husserl, Scheler und Schütz formuliert worden ist. Damit ist nun aber auch der prinzipielle Dualismus von „Individuum" und „Gemeinschaft" hinfällig geworden, der für den deutschen Idealismus wie für den historischen Materialismus unauflösbar bzw. nur nach einer Seite hin zu entscheiden war. Zugleich aber ist mit der Polykontexturalität auch der Begriff einer einheitlichen, aus einem Punkt zu denkenden Wirklichkeit aufgegeben, ohne nun jedoch weiterhin mit der Angst vor dem Relativismus oder dem Freyerschen Verdikt der „Entwirklichung" belastet zu
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II
Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft
sein. E r s t mit G o t t h a r d G ü n t h e r ist so der Wirklichkeitsbegriff und die Unheilsgeschichte des „objektiven Idealismus" getilgt. Anders gewendet m u ß man aber auch sagen, daß ohne diese leidvolle Vorgeschichte der „Wirklichkeitswissenschaft" - die immerhin den Vorzug hat, daß sie, weil sie von F r e y e r formuliert w o r d e n war, auch überwunden werden konnte - eine solche L ö s u n g nicht möglich geworden wäre. I m Vergleich z u m nicht zu verleugnenden Scheitern H a n s Freyers, eine im Sinne des „objektiven Idealismus" einigermaßen realistische und auch politisch fruchtbare, d. h. über längere Zeit entwicklungsfähige, Wirklichkeitskonzeption zu entwickeln, k ö n n t e nun leicht der E i n d r u c k entstehen, als wären der phänomenologische wie der existenzialistische Weg einer Wirklichkeitssicherung besser geglückt. D o c h dies stimmt trotz der zweifellos weit größeren internationalen Erfolge dieser beiden Richtungen auch nur bei oberflächlicher Betrachtung. A m eindrucksvollsten ist vielleicht die Entwicklung der Phänomenologie, die nach ihrer „deutschen" Phase nach dem I.Weltkrieg (mit E d m u n d Husserl, M a x Scheler, Alexander Pfänder, Alfred Schütz) spätestens mit dem E n d e des Il.Weltkrieges in eine französische Phase (mit Maurice Merleau-Ponty, Paul R i c o e u r ) und - nicht zuletzt dank der Wirksamkeit der deutschen Emigration - in eine amerikanische Phase (mit Alfred Schütz, Maurice N a t a n s o n , A r o n Gurvitch, H e l m u t R . Wagner) übergeht. Ihre eigentliche W i r k s a m keit in soziologischer Hinsicht entfaltete die Phänomenologie aber erst über ihre Amalgamation mit dem amerikanischen Pragmatismus und dem symbolischen Interaktionismus der C h i c a g o School. E s ist vor allem schon Alfred Schütz, der durch seine Tätigkeit in der N e w Y o r k e r „ N e w S c h o o l f o r Social R e s e a r c h " und über Schüler wie Peter Berger und T h o m a s L u c k m a n n einerseits oder H a r o l d Garfinkel andererseits diese Verbindung herstellt. A b e r gerade, indem diese Schülergeneration die Wirklichkeitsproblematik weiter fortführt und methodologisch besser zu durchdringen sucht, werden auch die G r e n z e n dieser W i r k l i c h keitskonzeption u m s o deutlicher. I m Werk von Peter Berger und T h o m a s
Luckmann,
besonders in „ D i e soziale K o n s t r u k t i o n der W i r k l i c h k e i t " 2 6 6 , ist eine erhebliche R e d u k t i o n der Lebensweltproblematik auf den Alltag nicht zu verkennen. M i t methodologisch noch schärferen Instrumenten durchdringt die von Garfinkel 2 6 7 gegründete E t h n o m e t h o d o l o g i e die Alltagswelt, wenn sie versucht, v o n der Bewußtseinskonstitution der Wirklichkeit hinabzusteigen zu ihrer sozusagen u n b e w u ß t e n u n d unthematischen Konstitution in Konversation und Alltagshandeln, in Routineentscheidungen und Gefühlsschablonen, bzw. wenn die Bedeutung der „accountability", des Offentlichmachens
der
eigenen Weltsicht, für die innere Konstitution des eigenen Handlungsaufbaus aufgezeigt wird. I n d e m die alltagsweltliche Konstitution auch unserer (wissenschaftlichen und philosophischen) Rationalitätskonstruktionen analysiert wird, indem Reflexion und Reflexivität in ihrer engen Bindung an die Kontextualität und Indexikalität der Welt aufgewiesen werden, 2 6 8 wird zwar die idealistische Metaphysik und damit z.B. auch Freyers „wahres W o l l e n " völlig seines Erkenntnisanspruches entkleidet; andererseits geht im „ D i c k i c h t der L e b e n s w e l t " 2 6 9 aber auch jede makrosoziologische Sicht auf die politische und wirtschaftliche
Wirklichkeit
verloren, die - völlig ins Ahistorische und U n b e w u ß t e abgesunken - nur noch als dumpfer Systemzwang
die individuelle Handlungs- und Kommunikationsfähigkeit
zu
bedrohen
scheint. J e umfassender die weltwirtschaftlichen Zusammenhänge und sonstigen funktionalen Verflechtungen in Militärstrategie, Technologietransfer und Ö k o l o g i e werden, u m s o mehr scheint sich die phänomenologische Wirklichkeitskonzeption
auf das Individuelle
oder
Intraindividuelle der menschlichen Existenz zusammenzuziehen. D a m i t ist die P h ä n o m e n o logie aber letztlich nicht weniger an der Aufgabe gescheitert, einen das ganze gesellschaftliche
4. „ Wirklichkeitswissenschaft
" und politische
Wirklichkeit
i>7
Leben umspannenden und entwicklungsfähigen Wirklichkeitsbegriff aufzubauen. 2 7 0 Ein internes Zeichen des Scheiterns ist, daß sich nun auch phänomenologische und ethnomethodologische mit existenzialistischen und auch wieder marxistischen Tönen zu mischen beginnen. 271 Ganz ähnlich verläuft aber auch die Entwicklung des Existenzialismus, der fast immer aus Enttäuschung am Hegeischen System und seinem Vernunftglauben entstanden ist (während die Länder mit einer empiristischen Philosophie immun geblieben sind), der aber keinen Zugang zu einer genuinen politischen Philosophie oder Soziologie eröffnet. Nirgends mehr scheint der Existenzialismus das „Nichts", das er aufgezeigt hat - zwischen dem Individuum und seinen Wahlakten und seiner „Geworfenheit" ins Dasein, zwischen dem Leben und dem „Vorlauf zum Tode", zwischen den Intentionen des Einen und des Anderen, denen jede Kommunikation mißlingen muß -, auch nur mit Begriffen schließen zu können. Wenn sich die Heideggersche soziologische Kategorientafel zwischen dem „Selbst" und dem „Man", dem Individuum und der Masse erschöpft, während alle gemeinschaftlich-gesellschaftlichen Makrokategorien ausgespart bleiben, verbleibt die Kategorientafel von Jaspers, wenn auch viel von „Kommunikation" und „Geschichtlichkeit" die Rede ist, völlig innerhalb der individuellen Befindlichkeit. Sartre kommt über die Husserlsche Intentionalitätsanalyse in „Das Sein und das Nichts", in der das Subjekt nicht anders kann, als das Gegen-Subjekt zum Objekt zu machen, erst hinaus, wenn er sich in der „Kritik der dialektischen Vernunft" die Marxschen Kategorien aneignet. Doch auch die Erweiterung des Zweierverhältnisses über den „Eid" auf das Dreierverhältnis, die „Einung" der Kollektive über die materielle Basis oder den „Mangel" usw., führt über das Nullsummenverhältnis von Individualität und Sozialität, von Gruppe und Kollektivität, nach der „die Kollektive ... gleichzeitig die Matrix der Gruppen und ihr Grab" sind, 272 niemals mehr hinaus. Auch Albert Camus kann die „Revolte" und die Situation des „Sisyphos" nicht überwinden, und noch in der christlichen Existenzphilosophie eines Gabriel Marcel herrscht ein tragischer Ton der Entfremdung. Wie die Lebensgeschichte von Heidegger, von Jaspers oder von Sartre zu zeigen scheint, gibt der Existenzialismus selbst überhaupt keine politische Leitlinie. Dies hat sich auch mit der weiteren Entwicklung des Existenzialismus - wiederum über eine deutsche Phase nach dem I.Weltkrieg, einer französischen Phase im und nach dem II.Weltkrieg, und einer nordamerikanischen Phase ab Mitte der 70er Jahre - nicht geändert. Das politologische und soziologische Defizit zeigt sich schon darin, daß der Existenzialismus den Gesellschaftsraum meidet und statt dessen einerseits in die Theologie (etwa mit Karl Barth, Paul Tillich oder Rudolf Bultmann), andererseits in die Psychoanalyse (mit Ludwig Binswanger, Jean-Paul Sartre oder Ronald D. Laing) ausweicht. In der Soziologie, die sich „existenzialistisch" nennt, bleibt am Ende nur ein „Denken im Dienste des Fühlens", 273 wobei praktisch alle Formen des Protestes und der Suche nach einem „alternativen" Leben mit eingeschlossen werden; bleibt am Ende auch nur der Zirkelschluß von blinder Revolte und vagierender Angst, von mangelnder intellektueller Durchdringung der sozialen Großorganisationen und funktionalen Interdependenzen einerseits und einem notwendig daraus sich ergebenden Anrennen gegen ein scheinbar versteinertes „System". So sind - jedenfalls aus der Perspektive der Soziologie und einer soziologischen Wirklichkeitsabsicherung gesehen - auch Existenzialismus und Phänomenologie gescheitert. Obwohl sie in ihrer Daseinsanalyse wie in der Konstitutions- und Strukturanalyse von Bewußtsein und Lebenswelt zu einer erheblichen methodologischen Verschärfung in tiefenpsychologischer und mikrosoziologischer Hinsicht geführt haben, haben sie durch ihre Ausklammerung oder Diffamierung der makrosoziologischen und großorganisatorischen oder politischen
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II Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft
Bezüge doch genauso versagt wie der deutsche Idealismus - wenn vielleicht auch aus anderen Gründen. Die Umkehrung der Erkenntnisrichtung hat eben die kategoriale Grundstruktur nicht grundlegend verändert. Eine realistische makrosoziologische Analyse scheint überhaupt erst möglich zu werden, wenn man den deutsch-idealistischen Kontext und seine Umkehrungen verläßt - und zwar im vollen Sinne des Wortes - durch „Emigration", wie es das Schicksal von Karl Mannheim wie von Theodor Geiger gewesen ist. Auch wenn der eine von einem eher dialektisch-marxistischen, der andere von einem neukantianisch-positivistischen Ausgangspunkt gestartet ist, gehen doch beide einen ähnlichen Weg. Beide sind sie noch bis zum Kriegsende vorwiegend mit Aufgaben der abwehrenden Kritik: der Ideologiekritik und Massensoziologie, der Wissenssoziologie und Organisationsanalyse beschäftigt, während eine positive Analyse der „sekundären Systeme" erst möglich wird, als die Industrialisierung sozusagen zum einzigen Retter aus der Not der Nachkriegszeit von allen Volksschichten und aus allen ideologischen Positionen begrüßt wird. Geigers vom Pathos einer „dritten Phase der Aufklärung" getragener Beitrag ist noch relativ schematisch und abstrakt, indem er nachweist, daß die „Gruppen II. Ordnung" (nämlich Staat, Nation, Kirche, Gesellschaftsschicht, Berufsgruppe, Partei, Verbände) einerseits das angeblich „amorphe Massenmilieu" vielfach durchdringen und daß sie andererseits die „Gruppen I. Ordnung" (nämlich Familie, Verwandtschaft, Freundschaft, Kameradschaft, Klubs) keineswegs zum Verschwinden bringen, sondern sie damit erst in ihrer Eigencharakteristik des Intimen und Persönlichen voll zur Geltung bringen. 274 Was Geiger - indirekt immer noch in deutsch-idealistischer Terminologie - als „Demokratisierung der Vernunft" 275 bezeichnet, das muß auch von Mannheim - wenn auch Geiger Mannheims „Diagnosis of Our Time" für „ein aufgelegtes Beispiel utopischer Wertund Weltanschauungspolitik" hält276 - erst mühsam in der Neuherausgabe von „Mensch und Gesellschaft im Zeitalter des Umbaus" erarbeitet werden. 277 Doch wenn man genauer hinsieht, ist dieses Problem bis heute nicht richtig gelöst worden; denn bevor noch Individuum und Kollektiv, Primärgruppe und Sekundärgruppe, Staat und Gesellschaft in ein realistisches Verhältnis zueinander gebracht werden konnten, sind wir bereits in das Stadium einer „transnationalen Gesellschaft" 278 übergegangen, die ganz neue Anforderungen an eine soziologische Analyse und einen soziologischen Wirklichkeitsbegriff stellt. Und es ist noch keineswegs entschieden, ob die Soziologie im Wettlauf mit dem Wandel der gesellschaftlichen Wirklichkeit diesmal besser abschneiden wird.
III
Soziologie der Herrschaft
1. Das Problem der Politischen Soziologie
a) Erfordernisse einer historischen
Textinterpretation
O h n e in die seit Jahren andauernde, durch die Verschiedenheit der beteiligten Fächer und Untersuchungsgebiete äußerst schwierige Diskussion einer allgemeinen
hermeneutischen
Methode eintreten zu wollen, sind doch vorab einige minimale Erfordernisse einer historischen Textinterpretation zu formulieren, deren Verletzung den Wert einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Werk und seinem Werdegang, seinen Voraussetzungen und Konsequenzen erheblich vermindert. Vor allem die vorliegenden, sich allmählich erst dem Werk Hans Freyers annähernden Dissertationen, aber auch so manche polemische „Würdigungen", sind fast immer dadurch gekennzeichnet, daß ein gerade aktuell erscheinender Teil des Werkes herausgegriffen wird (ζ. B. der Kulturbegriff aus der „Theorie des objektiven Geistes" von 1923, das angebliche Bekenntnis Freyers zum Nationalsozialismus in der „Revolution von rechts" von 1931, der Begriff der „Industriegesellschaft" oder des „sekundären Systems" aus der „Theorie des gegenwärtigen Zeitalters" von 1955 oder späteren Schriften), um dann vorschnell aus diesem abgelösten Teil und aus einer vermeintlich eindeutigen Perspektive ein Urteil zu fällen, noch ehe der Gesamtzusammenhang seines Werkes hergestellt ist. 1 Selbstverständlich erfährt dieses Werk bemerkenswerte Wendungen und Akzentverschiebungen in den dramatischen Zeitumständen, die Freyer durchlebte. Man sollte dann aber nicht übersehen, daß dabei zwei Perspektiven zusammenfallen: Zum einen begleitet das Lebenswerk Hans Freyers die gesamte Entwicklung Deutschlands vom Niedergang der wilhelminischen Zeit bis zur modernen Industriegesellschaft und ist als ständige wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem dramatischen Weg zu sehen. Zum anderen wird man aber nicht behaupten können, daß das Werk in diesen Wechseln aufgeht, daß es keine konstruktiven Konstanten zeigt, die ihrer eigenen Entwicklungslogik folgen. O h n e diese wäre ein so produktives Gelehrtenleben gar nicht möglich gewesen. Eine wissenschaftsgeschichtlich ernst zu nehmende Untersuchung wird sich dann aber bemühen müssen, die konstruktiven Grundgedanken Freyers aus dem wechselnden Zeitkolorit herauszulösen und sie nach ihrer theoretischen Leistung im Gang der wissenschaftlichen Entwicklung ihrer Fachdisziplin und nicht nach einem nur oberflächlich
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III
Soziologie der Herrschaft
und schematisch wahrgenommenen politischen Kontext zu bewerten, auf den der Autor zwar immer „geantwortet" hat, der sein Werk jedoch keineswegs determiniert hat. Das gilt um so mehr für einen Autor, der zweifellos vom Hegeischen Systemdenken herkommt und dem in der methodologischen Reflexion die Systematik seiner Gedankenentwicklung immer ein Hauptanliegen war. Völlig ahistorisch und nicht angemessen (im Sinne eines geisteswissenschaftlichen Verstehens) aber wäre ein Vorgehen, das einen längst historisch gewordenen Text so beurteilt, als sei er gerade erst heute geschrieben worden - im rhetorischen und grammatischen Duktus, in seiner Begriffsverwendung, in der wissenschaftlichen Zielsetzung, oder im politischen Credo. Freyer wird dann als „antidemokratisch" 2 bezeichnet, weil er nicht den Begriff von „Demokratie" zur Verfügung hat (ihm weder zustimmen noch ihn ablehnen kann), wie er uns - unter den Voraussetzungen eines inzwischen industriell hochentwickelten Wohlfahrtsstaates, eines zerstörten Nationalstaates, eingebunden in die Europäischen Gemeinschaften und in einen durch Handelsverkehr, Technologietransfer und Tourismus geöffneten Weltmarkt - aber inzwischen geläufig geworden und selbstverständlich ist. Dieser Begriff der „Demokratie" hat sich erst herausgebildet, nachdem das Lebenswerk Freyers im wesentlichen abgeschlossen war. Ahnliches gilt für die Begriffe „Staat", „Volk", „Reich", ja „Gemeinschaft" und „Gesellschaft", „System" und selbst „Individuum", die für ihn in einem ganz anderen Begriffskontext und Erlebnishorizont standen. Ebenso unangemessen und ahistorisch ist es, eine Schrift von 1931 an dem Begriff von „Nationalsozialismus" (oder „Faschismus") zu messen, den sich eine nicht mehr selbst betroffene Enkelgeneration zurechtgelegt hat. Für uns ist die Geschichte des Nationalsozialismus abgelaufen, für Freyer war sie lange Zeit Lebens- und Leidensgeschichte, unentscheidbar und quälend „offen", anfangs vielleicht mit Hoffnung, bald aber von Zweifeln und von der Gewißheit der Unmenschlichkeit und des Untergangs erfüllt.3 Um so offensichtlichen Interpretationsfehlern oder -mängeln abzuhelfen, sind einige methodische Überlegungen angebracht. Wenn es auch bis heute „keinen konkreten und praktischen Kanon der Interpretation" gibt, „der sich auf alle Texte anwenden läßt" 4 , so sind doch einige ganz einfache und im Grunde selbstverständliche Regeln ins Gedächtnis zu rufen, deren Befolgung zumindest eine willkürliche - und ahistorische - Interpretation verhindern kann, wenn sie auch noch keine Garantie abgeben für die Qualität dieser Interpretation. Die erste Regel ist selbstverständlich, daß der Sinn eines Textes (einer Aussage, einer Handlung, eines Kommunikationszusammenhangs, eines Werkes) nur aus seinen aufweisbaren Gegebenheiten zu erschließen und daß er nicht von außen heranzutragen ist5 - sei es von einem vorgefaßten systematischen Standpunkt, sei es aus ungeordneten und wechselnden Intentionen des Zeitlaufes: „sensus non est inferendus sed efferendus". Emilio Betti spricht hier vom „Kanon der Immanenz des hermeneutischen Maßstabs". 6 Wenn es auch immer strittig sein mag, wie und inwieweit diese Immanenz erreichbar und objektivierbar ist, ja ob der Autor selbst ein hinreichend zuverlässiger Zeuge für den Standort und die Konstruktionsprinzipien seiner Arbeit sein kann, so muß doch zumindest der „Kanon der hermeneutischen Eigenständigkeit des Objekts" oder seiner „relativen semantischen Autonomie" 7 gelten, d. h., daß das Werk vor allem auf seine Eigengesetzlichkeit und -entwicklung hin zu untersuchen ist. Diese Eigengesetzlichkeit reicht (wie etwa im Falle des Deutschen Idealismus oder Hegelianismus, der Leipziger Schule oder des Expressionismus) oft weit über den Autor selbst hinaus. So gut wie niemals wird eine Gedankenentwicklung nur aus kurzfristig veränderbaren äußeren Umständen und daraus resultierenden Motivationen oder Verwertungsinteressen gefolgert werden können. Auch wenn der wechselnde Zeitkontext eine gewisse Filterwirkung ausübt,
1. Das Problem der Politischen Soziologie
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indem er bestimmte, schon seit langem angelegte Entwicklungen ermöglicht oder beschleunigt, abbremst oder verdeckt, so kann doch ein Werk aus wechselnden Kurzfristinteressen nicht entstehen, muß die „generative G r a m m a t i k " und das „ E t h o s " oder die „persönliche F o r m e l " eines Werkes und einer geistigen Entwicklung aus sich heraus sich entfalten können. E s gibt eine „Würde des W e r k e s " , die u m so mehr zu beachten ist, als es sich z u m einen u m ein systematisch ausgeformtes und zum anderen u m ein über lange Zeit (ζ. B . über mehrere „politische G e n e r a t i o n e n " hinweg) weiterentwickeltes Werk handelt. Beides ist gerade bei H a n s Freyer in exemplarischer Weise der Fall. G e w i ß ist bei der Erklärung einzelner Schriften und der spezifischen Etappen dieses Werkes der Zeitkontext zu berücksichtigen. D o c h dieser kann nur helfen, den Stellenwert im Werk, den Wechsel der Akzentsetzung zu erklären, nicht j e d o c h die Anlage und die E n t w i c k lung des Gesamtwerkes selbst. I m nachhinein lassen sich sehr viel leichter kluge Urteile fällen über das, was der A u t o r nicht gesehen, was er falsch beurteilt oder sträflich vernachlässigt hat. Seltsam ist dann nur, daß „Klassiker", die der gleichen Zeit angehören und ungefähr das gleiche wie F r e y e r (oder Dubioseres) gesagt haben, heute als Zeugen einer besseren Zukunft angeführt werden, nur weil sie sich einem anderen politischen Lager zugerechnet haben (oder heute ihm zugerechnet werden). 8 Andererseits ist nicht zu übersehen, daß sich die Wissenschaft in einer bestimmten historischen E p o c h e als eigenständiges System herausgebildet hat und daß sie deshalb in jeder Gesellschaft, die sich zu dieser Tradition bekennt, eine gewisse Eigenständigkeit behalten wird. In keinem noch so totalitären politischen System der m o d e r nen Zivilisation läuft Wissenschaft auf vollständige Manipulation durch Politik hinaus. Auch im Nationalsozialismus bestand eine Wissenschaft weiter, die sich im internationalen Diskurs und W e t t b e w e r b befand und sich logische Konsistenz, wissenschaftliche Weiterentwicklung und empirische Uberprüfbarkeit zum Ziele setzte. M a n m u ß sich allerdings die M ü h e machen, die Arbeiten aus dieser Zeit in einem doppelten B e z u g zu lesen; sowohl die Kontinuitäten als auch die Zeitbedingtheit des wissenschaftlichen Wissens sind zu analysieren. Wie weit eine wissenschaftliche T h e o r i e unter radikaler politischer E i n w i r k u n g „sich selbst treu bleiben" kann ( o b man von Weiterentwicklung sprechen kann, läßt sich erst nach umfänglichen Vergleichen feststellen), o b sie mit bestimmten Strategien politischen Z w a n g kompensieren oder ihm standhalten kann, das ist die wissenschaftssoziologische Frage, die hier immer wieder gestellt werden soll. Deshalb geht einer Darstellung der durch politischen Z w a n g bedingten Veränderungen u n d P r o j e k t i o n e n der Aufweis einiger Kontinuitäten der Leipziger strukturgenetischen T h e o r i e voran. Eine zweite und unverzichtbare Regel der historischen Textinterpretation ist der „ K a n o n der Totalität" 9 , der erfordert, daß die Teile oder Teilaspekte eines Werkes (ζ. B . hier die Kultursoziologie und Politische Soziologie) stets auf das G a n z e bezogen werden. Sicher ist eine eingehende Analyse nur möglich, wenn man zunächst von Teilaspekten ausgeht, die sich in einer bestimmten Zeitkonstellation oder unter einer akuten Problemstellung in den Vordergrund drängen; aber man muß dann doch immer wieder z u m Gesamtwerk zurückkehren: Teil und Ganzes müssen dem Grundsatz der wechselseitigen Erklärung folgen, die K o h ä r e n z oder Divergenz der Teile ist nur in der R e k o n s t r u k t i o n des G a n z e n zu überprüfen und zu bewerten. Allerdings ist nicht zu erwarten, daß das G a n z e auf A n h i e b auf eine einfache F o r m e l zu bringen ist. Ehrlicher wird es hier sein, zuzugestehen, daß niemals ailes in den sinnvollen Zusammenhang einer D e u t u n g zu bringen ist, daß es Unstimmigkeiten geben kann und einen undeutbaren R e s t oder R a n d - der unter U m s t ä n d e n einmal so wichtig werden kann, daß die bisherige D e u t u n g umgestoßen werden m u ß . 1 0 D a s Vorhandensein
eines
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Soziologie der Herrschaft
solchen kontingenten Restes ist nicht unbedingt ein Fehler der hermeneutischen Interpretation; verdächtig ist vielmehr das Aufgehen der Deutung ohne Rest und ohne Bruch - was bei der Fülle und Komplexität eines langen und schöpferischen menschlichen Lebens nur als Hinweis auf eine Vergewaltigung und eine Interpretation von außen gelten kann. Rein zitationstechnisch bedeutet das, daß im Prinzip immer Stellen aus dem gesamten Werk gegenüberzustellen oder jedenfalls immer längere Sequenzen und Entwicklungen darzustellen sind. 11 Mit der Isolierung von einzelnen Stellen (möglicherweise noch mit Halbierung oder Verstümmelung von Sätzen bzw. ihrer Kombination mit Sätzen eines anderen Autors) ist grundsätzlich jeder intendierte Aussagegehalt zu erreichen. 12 Zum anderen müssen unterschiedliche Textzusammenhänge und/oder -Interpretationen gegeneinander abgewogen werden, wobei es vorkommen kann, daß eine definitive Entscheidung zwischen zwei konkurrierenden Hypothesen nicht zu treffen ist. In diesem Fall ist es fruchtbarer, den Geltungsbereich, die Wahrscheinlichkeit und die Zuverlässigkeit dieser Hypothesen abzuschätzen, als ein endgültiges Urteil ohne Beweiskraft zu fällen und die weitere Diskussion abzuschneiden. 13 Im Falle des vorliegenden Werkes von Hans Freyer soll - da keine Biographie beabsichtigt ist nicht sein Leben als diese umfassende Ganzheit genommen werden, sondern das Gedankenoder Kultursystem, aus dem sein Werk entstanden ist, zu dem er sich selbst bekannt hat und durch das er zu einer prägnanten Figur in der deutschen Soziologie geworden ist. Dies ist die Gedankenwelt des Deutschen Idealismus oder vielmehr Neuidealismus 14 , wie sie insbesondere in der kulturalistischen und ganzheitlichen Prägung der „Leipziger Schule" 1 5 sich auf dem Gebiet der Soziologie (in einem weiten Sinn inklusive Sozialphilosophie und Sozialethik) ausgeformt hat. O b die Rettung des Idealismus gelungen ist, ob er durch Freyer tatsächlich eine „realistische Wendung" erhalten hat, das ist allerdings die große Frage. Für ein komplexes Werk empfiehlt sich drittens der „Kanon der Mehrschichtigkeit", d. h.: eine Deutung in mehreren Ebenen, wobei zwar die oberen (abgeleiteten) aus den tieferen herauswachsen, jedoch eine eigenständige (vielleicht sogar überraschende) Charakteristik zeigen, jedenfalls nicht einfach aus der tieferen Ebene deduziert werden können - schon deshalb nicht, weil die tiefere Ebene immer die unbekanntere ist und weil nur die Oberflächenschichten einer operationalen Analyse direkt zugänglich sind. Diese Mehrschichtigkeit des Wissens wird schon in der Wissenssoziologie von Max Scheler herausgearbeitet; nach ihm wächst alles Wissen heraus aus der relativ „natürlichen Weltanschauung", die mythisch und metaphorisch ist, dennoch aber die Grundlage auch des diskursiv ausgeformten philosophisch-metaphysischen Wissens bildet. Das positive und technologische Wissen hebt sich davon ab, ohne doch diese Grundlage jemals ganz verleugnen zu können. 1 6 Ein ähnlicher Gedanke liegt der „Archäologie des Wissens" in der strukturalistischen Wissenssoziologie von Michel Foucault zugrunde. 17 Karl Mannheim argumentiert, daß dieses natürliche Wissen, „die Fülle einmaliger Gestalten und Strukturen, die der im Leben stehende Mensch wohl beherrscht", in seiner „Subjektgebundenheit, Willensgebundenheit, Prozeßgebundenheit" Gegenstand einer modernen politischen Soziologie sein müsse; 18 die grundsätzliche Mehrschichtigkeit des Wissens und der Wissensproduktion - davon abgeleitet jedoch auch der Interpretation - läßt sich aber auch erkenntnistheoretisch und kybernetisch begründen. 19 Besonders bei Hans Freyer, der einerseits - aus dem Hegeischen Systemdenken herkommend - starke systematische Tendenzen hatte, andererseits aber auch stark vom expressionistischen Lebensgefühl ergriffen war und sich - jedenfalls zeitweise und in eruptiven Äußerungen - einem Denken in Metaphern und Analogien, in hymnischen Aufrufen und feierlichen Reden hingab, ist diese Unterscheidung wichtig. O f t scheint die Oberflächenebene - die
1. Das Problem der Politischen Soziologie
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E b e n e der empirischen H y p o t h e s e n und der pragmatischen Entscheidungen - nur lose mit der E b e n e des systematischen D e n k e n s verbunden zu sein oder aber der metaphorischen E b e n e - wenn freilich auch im „ K u r z s c h l u ß " - näher als der systematischen zu sein. 2 0 D e r Schichtungs- und Mehrebenencharakter durchzieht aber auch als bewußtes und methodisches Konstruktionsprinzip das gesamte W e r k Freyers von der „Theorie des objektiven Geistes" ( 1 9 2 3 ) über die „Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft" (1930) bis zur „Schwelle der Zeiten" (1965), w o die „Schichten" gleichzeitig immer wieder als „Stufen" der historischen gesellschaftlichen Entwicklung fungieren - seien es nun „Gemeinschaft" und „Gesellschaft", oder „Stand", „Klasse", „Volk", oder seien es „ N o m a d e n k u l t u r " , „Ackerbaukultur" und Industriekultur. D a r ü b e r hinaus hat sich F r e y e r selbst G e d a n k e n gemacht über eine M e h r e b e n e n - H e r m e neutik, in der er wenigstens zwischen „physiognomischer" und „gegenständlicher D e u t u n g " unterscheidet. Beide E b e n e n stehen hier senkrecht aufeinander. Einerseits hat „jedes geschaffene Gebilde...Ausdruckswert, seine F o r m ist von der Totalität des seelischen Lebens, in dem es hervorgebracht wurde, mitbestimmt. J e d e s geschaffene Gebilde liegt also der p h y s i o g n o mischen D e u t u n g o f f e n " . 2 1 Andererseits ist jedes künstlerische Tun, erst recht jedes philosophische oder wissenschaftliche Werk, gekennzeichnet durch „die Wendung zur I d e e " : „Die Objektivation...vollzieht sich in ihnen, es wird innerhalb der seelischen Totalität ein sachlicher Zusammenhang mit Objektivitätscharakter ...abgesetzt". 2 2 Wenngleich F r e y e r die „physiognomische D e u t u n g " , die vor allem von O s w a l d Spengler angeregt ist, später wieder aufgibt, u m mehr einer „strukturellen" Interpretation 2 3 den Vorrang zu geben, so schließt doch auch fernerhin die Totalität beides ein: Objektivierung und Subjektivierung, Exteriorisierung und Interiorisierung, ein objektives (wissenschaftliches oder auch ästhetisches) Erklären und ein psychologisches Verstehen. Ein vollkommenes Verstehen, eine vollgültige Interpretation wäre erst erreicht, wenn „die beiden Richtungen des Verstehens völlig zu E n d e geführt" wären, so daß „jeder der beiden Sinngehalte einen selbständigen und in sich vollständigen Z u s a m m e n hang ohne Anleihen beim anderen und o h n e Ubergriffe in den anderen" bildete. 2 4 F r e y e r aber bezweifelt, daß beide Deutungen in einer tieferen Schicht wieder ineinander aufgehen könnten; vielmehr laufen sie w o h l ständig nebeneinander (oder auch gegeneinander), sich zwar gegenseitig vertiefend, aber nie sich wechselseitig aufhebend. D e n n o c h beginnt „Kultur" für F r e y e r gerade dort, „wo derart im aktuell-seelischen L e b e n ein objekiver Sinn aufgeht" 2 5 , sein Ziel ist die „objektive H e r m e n e u t i k " . O b g l e i c h es gefährlich sein kann, dieses idealistische Apriori zu übernehmen (weil jemand behaupten könnte, diesen „objektiven S i n n " schon voll und ganz und unzweifelhaft zu kennen), so scheint doch das Interpretationsprinzip der D o p p e l - oder Mehrschichtigkeit dem Freyerschen W e r k angemessen zu sein, d. h.: die verschiendenen E b e n e n möglichst unabhängig voneinander zu definieren, einen
breiten
Hiatus zwischen sie zu setzen, das Verhältnis zwischen den verschiedenen E b e n e n nicht als allzu harmonisch oder direkt voneinander ableitbar zu verstehen. Als vierter Grundsatz soll gelten, daß bei einem D e n k e r , der so große D i n g e von der „dialektischen M e t h o d e " gehalten hat, der Zusammenhang der K o m p o n e n t e n auch nur dialektisch interpretiert werden kann. 2 6 D e r „ K a n o n der dialektischen Interpretation" kann vorerst jedoch nur als ein ganz allgemeines hermeneutisches Prinzip verstanden werden; denn die F o r m (oder auch der Wandel) der Dialektik, die für das W e r k von Hans
Freyer
kennzeichnend sind, ist erst n o c h herauszufinden. Vorweg kann jedoch festgestellt werden, daß das ganze Werk in dialektischen Kategorien aufgebaut ist, entweder in Kategorien einer binären Dialektik (wie von Subjekt und O b j e k t , F o r m und Inhalt, Wollen und Erkennen, aber
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III
Soziologie der Herrschaft
auch Individuum und Gesellschaft, Gemeinschaft und Gesellschaft, Stand und Klasse, Kultur und Staat, Strukturaufbau und Strukturgenese, usw.), oder einer triadischen Dialektik (dem Hegeischen Schema von These, Antithese und Synthese folgend, ζ. B.: Natur-Geist-Geschichte, Naturwissenschaft-Geisteswissenschaft-Ethos- oder Wirklichkeitswissenschaft, PolitikKultur-Geschichte). Die dualistische Dialektik bleibt vielfach in der triadischen Dialektik eingeschlossen, stellt einen Ausschnitt daraus dar oder eine erste dialektische Konfrontation, die mit der Zeit noch weiter auszuarbeiten ist. Besonders hervorzuheben ist dabei die Dialektik von „Theorie" und „Praxis" und auch die von „Kultur" und „Politik" (oder „Staat"), die bestimmend ist für das ganz Lebenswerk Freyers, die die Spannweite seiner Intentionen definiert, aber auch die Gespaltenheit dieses Denkens. Das Lebenswerk Freyers beginnt gewissermaßen mit der Kulturphilosophie (mit der „Theorie des objektiven Geistes" 1923 und mit „Prometheus: Ideen zur Philosophie der Kultur" 1923), und es endet mit ihr in „Schwelle der Zeiten" 1965), während die Lebensmitte gefüllt ist mit politischen Themen, die von den politischen Exaltationen von „Der Staat" (1925), „Revolution von rechts" (1931) und „Pallas Athene" (1935) zur allmählichen Ernüchterung im „Machiavelli" (1936) und zu einer Wendung zum „politischen Realismus" in „Preußentum und Aufklärung" (1944) reichen. Dennoch kann für das ganze Werk angenommen werden, daß „Kultur" und „Staat" (Politik) einander bedingen, ja daß die Kultur der wesentliche Inhalt des Staates und der Staat der höchste Ausdruck einer Kultur ist.27 Die Gefahren, die darin liegen, daß dieses „idealdialektische" Verhältnis von Kultur und Politik - besonders in einer Zeit eines akuten Nationalismus - in ein „realdialektisches" umgedeutet wird, werden im Werk Freyers deutlich genug. So ist das Gesamtwerk Freyers stets von der Polarität von „Theorie" und „Praxis" bestimmt: Einerseits sucht er als „Makrotheoretiker" die philosophische Formel für eine ganze Epoche, hofft also, in allen modernen Bewegungen und Verwandlungen eine universalhistorische Entwicklung feststellen zu können; andererseits fühlt er sich aber auch aufgerufen, etwas zu den gesellschaftlichen Nöten der Zeit zu sagen, eine ethische Forderung zu formulieren oder einen moralischen Appell an die Herrschenden oder das Volk zu richten. Das Verhältnis von Theorie und Praxis wird von Freyer sehr unterschiedlich definiert: in der „Wirklichkeitswissenschaft" scheint ohne weiteres ein Umschlag von einem ins andere möglich zu sein28, in „Preußentum und Aufklärung" jedoch scheint vom einen kein Weg mehr zum anderen zu führen. 29 Obwohl mit einer dialektischen Interpretation inhaltlich noch wenig gewonnen ist, wenn diese jederzeit vom Widerspruchs- zum Widerspiegelungsprinzip wechseln kann, so ist eine dialektische Methode doch wohl der einzige Weg zu einer adäquaten Interpretation des Freyerschen Werkes. Der tiefere Sinn dieser vier Interpretationsregeln (Immanenz, Totalität, Mehrebenenanalyse, Dialektik) ist die Ermöglichung und Aufrechterhaltung des Diskurses, der zum einen zwar so gut an den Gegenstand gebunden werden soll wie irgendwie möglich, der andererseits aber auch eine Pluralität von (begründeten) Interpretationen zulassen soll. Im Grund ist dieser Diskurs niemals abzuschließen: wenn das Gespräch nicht offen bleiben kann, ist der Zweck einer hermeneutischen Interpretation, aber auch einer wissenschaftlich-theoretischen Analyse, verfehlt. 30 Letztlich ist der hermeneutische Kanon ein ethisches Problem: 31 Ist der Interpret gewillt, den Autor sprechen zu lassen, ihn ernst zu nehmen in seinen bewußten Intentionen wie auch in seinen unbewußten Verstrickungen, die er so wenig überblicken konnte wie der Interpret die seinen überblicken kann? Ist der Interpret im Ernst bereit, den Diskurs fortzusetzen und deshalb auch seine eigene Interpretation diskursfähig zu machen, oder geht es ihm nur um Verurteilung (um Besserwisserei und moralische Erhebung über den Autor)
1. Das Problem der Politischen Soziologie
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oder um Glorifizierung (und um die Knüpfung einer Traditionslinie, in der er selbst einen respektablen Platz einnehmen möchte)? Karl Mannheim hat die Berücksichtigung des „standortgebundenen Denkens" in all seiner Perspektivität und Partikularität keineswegs als Fehlerquelle, sondern ganz im Gegenteil als Chance bewertet, um zu bestimmten Wissensgebieten (hiermit ist vor allem die moderne Soziologie gemeint) einen Zugang zu gewinnen. 32 Wenn die Geschichte der Wissenschaft - insbesondere der Humanwissenschaften - nicht nur als eine nicht abreißende Kette von Ruhmestaten zu lesen ist, sondern eher als eine Geschichte des Scheiterns, der (im nachhinein) deutlich werdenden Fehlurteile und methodologischen Mißgriffe, dann ist der Zweck einer theoretischen Werkanalyse wie der folgenden, vor allem aus dem Scheitern zu lernen. Für dieses Scheitern aber nur den Autor verantwortlich zu machen, seine charakterlichen Mängel oder seine opportunistischen Interessen, nicht aber seinen ideen- und gesellschaftsgeschichtlichen „Verstrickungszusammenhang", liefe wiederum auf eine Heroisierung oder Dämonisierung des Autors (und auf eine Freisprechung des Interpreten) hinaus. b) Zum Problem der Periodisierung
des Werkes
Eine Periodisierung von Freyers Gesamtwerk scheint durch die thematische Vielfalt und durch die Uberschneidung von Philosophie, Geschichte und Soziologie schwierig zu sein. Die Einteilung nach inhaltlichen Schwerpunkten, die sein Schüler Arnold Gehlen getroffen hat, wonach Freyers wissenschaftliche Entwicklung von einer ersten existentialistisch-philosophischen Periode der Interpretation allgemein-menschlicher Grundsituationen über eine zweite soziologische Periode der historisch ausgerichteten gesellschaftlichen Strukturanalysen zu einer dritten Periode der Deutung der Technik und der modernen Industriegesellschaft führt, 33 muß nach Kenntnisnahme der frühen Aufsätze Freyers als widerlegt gelten. 34 Freyer hat seinen wissenschaftlichen Horizont nicht allmählich, ausgehend von individuell-existentiellen Grundproblemen, auf historisch gewachsene Strukturen und noch später auf die weltweite Perspektive der Industriegesellschaft erweitert; vielmehr stehen die Themen Geschichte und Herrschaft, Industriegesellschaft und Technik seit den Anfängen seiner wissenschaftlichen Laufbahn im Zusammenhang mit der Mikroperspektive der menschlichen Existenz und in Verbindung mit der Entwicklung nationaler Gesellschaften im Zentrum seiner Arbeit. Die drei von Gehlen genannten Schwerpunkte sind in enger Verknüpfung durchgängig im Gesamtwerk Freyers zu finden. Das Konzept, das in der Vielfalt der inhaltlichen Schwerpunkte konstant bleibt, ist vielmehr der Gedanke des Systems; als Charakteristikum der „Leipziger Schule" durchzieht er wie ein roter Faden Freyers Gesamtwerk. Dabei ist Freyer immer ein politischer Denker geblieben, auch wenn seine Ausarbeitungen sich gewöhnlich nur auf die theoretische Ebene bezogen und eine unmittelbare „realpolitische" Bezugnahme und Deutung nicht angebracht ist. Soziologie ist für ihn in erster Linie „Krisenwissenschaft", wissenschaftliche Selbstreflexion einer Gesellschaft im Umbruch 3 5 und schließt deshalb Standortbestimmung und Zielorientierung, nicht als normative Programmformulierung, wohl aber als indirekte Morallehre im Sinn einer „selbstkritisch-analytischen Kontrolle" ein, wie sein Schüler Helmut Schelsky es später formulierte. 36 Eine Periodisierung des Freyerschen Werkes nach inhaltlichen Gesichtspunkten ist deshalb wenig sinnvoll. Besser ist eine Gliederung, die den Wandlungen seines Systemkonzeptes folgt, so wie sie durch die Strukturumbrüche der Zeit bedingt sind.
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III
Soziologie der Herrschaft
Gesellschaft als Kultursystem,
1911-1935
Von seinem ersten wissenschaftlichen Aufsatz an, „Das Material der Pflicht" 37 (1920), ist Freyers Systemdenken bis etwa 1935 ein Bekenntnis zum deutschen idealistischen Gedankengut - ja mehr noch: ein Versuch der Rettung der großen idealistischen Systeme für die moderne Zeit. Nach dem I. Weltkrieg, als der Glaube an Deutschland als politische Kraft endgültig zerstört war, setzt er seine Hoffnung auf die große, historisch gewachsene Kulturtradition, auf Deutschland als Kulturnation. Sein theoretisches Ziel ist ein philosophisches „System der Kultursysteme" 38 ; als Vorarbeit dazu schreibt er eine Propädeutik der Kulturphilosophie, die „Theorie des objektiven Geistes" (1923). In seinem „politischen" Hauptwerk aus dieser Zeit, (das gleichwohl noch immer kultur-idealistisch gedacht ist), „Der Staat" (1925), entwirft er das „System" als eine dialektische Synthese von Staat und Geist; es ist eine Vision des Staates als „höchster" Zustand der Kultur. 39 Damit wird der idealistische Begriff des „Volksgeistes" wieder aufgenommen, allerdings ist sich Freyer bewußt, daß er nur durch eine „realistische Wendung" 40 für die moderne Philosophie wieder fruchtbar gemacht werden kann. Wenn er daher die Möglichkeit zu ethischem und zielgerichtetem Handeln nicht mehr metaphysisch, sondern nur in einer historisch gewachsenen Kultureinheit begründet sieht 41 , oder wenn er den Ursprung der Kultur trotz ihrer vom Menschen unabhängigen objektiv-geistigen Formen doch in der „primären Tatsache, daß Leben sich zu Geist besinnt" 42 , verankert sieht, so ist das immer auch als Absage an die idealistische Idee des „Weltgeistes" zu verstehen. Hier wird der Einfluß der „Leipziger Schule" ganz deutlich, deren übergreifendes Ziel ja darin bestand, den Gedanke einer bloßen Emanation des Weltgeistes, der zur Annahme der universellen Immanenz aller Lebensinhalte und ihres notwendigen Erscheinens, also auch zu einer universalhistorischen teleologischen Entwicklungsreihe, führt, von aller „Transzendenz" zu befreien und zu konkretisieren in einer Theorie der Kultursysteme und der sie tragenden Gemeinschaften. Entgegen vielen feindschaftlichen oder falschen Unterstellungen versuchte Freyer gerade mit dieser Dialektik von Kultur- und Sozialformen, die Hypostasierung eines „deutschen Wesens" als einer gewissermaßen transhistorischen Größe zu widerlegen: Es gibt kein „Wesen" der Gesellschaft, es gibt nur Entwicklungsstufen der Gesellschaft. 43 Hier steht Freyer dem historischen Denken Friedrich Meineckes oder Ernst Troeltschs viel näher als dem essentialistischen Nationalismus von Rudolf Eucken, Paul Natorp oder Werner Sombart. 44 Nach 1928 hat Freyer selbst aber seine Hoffnungen auf das Wiedererstehen einer neuen deutschen Kulturnation offensichtlich ganz aufgegeben. Gleichzeitig mit der politischen Wendung in anderen Kulturbereichen, ζ. B. der Jugendbewegung 45 , der expressionistischen Malerei und Literatur 46 , vollzieht er ab 1925 eine Wendung von der Kulturphilosophie zur Soziologie und Politologie (die natürlich auch begründet ist durch seine Berufung auf den neu errichteten Lehrstuhl für Soziologie in Leipzig) und setzt sich nun zum Ziel, die eigentliche politische Dimension in den idealistischen Systemen herauszuarbeiten, die im Zuge der Verbürgerlichung und Theologisierung durch engstirnige Epigonen im späten 19. Jahrhundert doch arg verwässert worden sei 47 , bzw. hofft er, diese politische Dimension des Idealismus erst zu ermöglichen. Der Ubergang von der Kulturnation zum politischen Volk 48 kommt nicht von selbst; er kann nur durch eine bewußte Gemeinschaftsentscheidung herbeigeführt werden, die jedoch nicht willkürlich sein kann, sondern an einer die Entwicklungsgesetzlichkeiten erfassenden „objektiven Ethik" orientiert sein muß. 49 Das Ziel der gesellschaftlichen Entwicklung, die „Vollendung des Systems", bedeutete für Freyer zunächst eine Neuformung
1. Das Problem der Politischen Soziologie
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des Staates als Kulturnation, dann als „Volk" im Sinne einer plebiszitären Führerdemokratie, ähnlich wie Max Weber, jenseits allerdings einer sich „unpolitisch" verstehenden, von rein technischen Notwendigkeiten beherrschten Industriegesellschaft 50 , schließlich als das zukünftige „Reich" einer Gesamtkultur als Systemeinheit von legitimer Herrschaft und politischer Gemeinschaft. Die „objektive Ethik", die zu diesem Ziel führen kann, muß wissenschaftlich begründet sein. Eine Soziologie als „Geschichtsphilosophie mit neuen realistischen Mitteln" 5 1 sollte hierzu die Kenntnis der Entwicklungstrends des Systems bereitstellen. 52
Gesellschaft als
Herrschaftssystem
Daß diese theoretische Grundstruktur sich in Freyers Arbeiten auch nach 1933 fortsetzt, wird aus einer Reihe von größeren Aufsätzen deutlich. Die Theoreme des „realistischen Idealismus" werden weiterhin beibehalten: Handeln als Akzentsetzung in einer fortlaufenden Entwicklung, die sittliche Verpflichtung gegenüber dem größeren Ganzen 5 3 und die konkrete Ethik als N o r m des Sachgerechten. Sie sind gerade angesichts des politischen Zwangs als Widerlegung einer propagierten geschichtlichen Notwendigkeit des politischen Geschehens und als ein Aufruf gegen die zunehmende öffentliche Passivität zu verstehen. 54 Auch die Geschichte bleibt eine wichtige theoretische Strukturkomponente, aber sie erhält in der veränderten politischen Situation eine andere Gewichtung. Die Forderung, die die Geschichte mit ihren Prozessen der Bildung und Umbildung an die Gestaltungskräfte der Gegenwart stellt, bedeutet nun Anklage wie aber auch noch Hoffnung. Entwicklungsmöglichkeiten können übersehen und falsche Wege können eingeschlagen werden. Die positive Sicht des in einer historischen Kultureinheit eingebetteten Handelns und der gesellschaftlichen Selbstreflexion aber kann Freyer nun nicht mehr aufrechterhalten. N u n erst kommt er zu einer realistischen Scheidung von „Handeln" und „Theorie", von „Politik" und „Wissenschaft". U n d jetzt erst schafft er die logischen und soziologischen Voraussetzungen zu einer politischen Systemanalyse, die die Strukturebenen der Herrschaft und der politischen Planung voneinander abhebt und die Legitimität der politischen Herrschaft funktional durch ihr Integrationsvermögen und ihre Fähigkeit zur konstruktiven Weiterentwicklung des Gesamtsystems bestimmt. Die Schrift „Herrschaft und Planung" 5 5 ist als eine zwar kurz gefaßte, aber sehr präzise politische Theorie dieser Periode anzusehen; in historischer Camouflage liegt diese Theorie auch Freyers Arbeit über den Antimachiavell Friedrichs des Großen, „Preußentum und Aufklärung" (1944), zugrunde. 5 6 Eine abendländische europäische Kultureinheit bleibt aber weiterhin Freyers Ideal, wie er es in den Kriegsjahren angesichts ihres endgültigen Untergangs in einer Interpretation der Weltgeschichte aus europäischer Perspektive noch einmal beschwor, in seiner „Weltgeschichte Europas" (1948). 57
Gesellschaft als „sekundäres System",
1950-1969
Die dritte Periode ist bestimmt durch Freyers Beschäftigung mit der Industriegesellschaft und dem Zeitalter der Technik, aber auch durch die Einordnung und Relativierung des Industriezeitalters in einen größeren Zusammenhang verschiedener Kulturstufen. Zweifellos stellt seine „Theorie des gegenwärtigen Zeitalters" (1955)58 ein grundlegendes (oder für die deutsche Soziologie: das grundlegende) Werk des deutschen Wiederaufbaus dar, in dem die wesentlichen Trends der gesellschaftlichen Entwicklung dieser Periode formuliert worden sind: Die „Machbarkeit der Sachen", die „Organisierbarkeit der Arbeit", die „Zivilisierbarkeit des
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III
Soziologie der Herrschaft
Menschen", die „Vollendbarkeit der Geschichte", und in einer Theorie der „sekundären Systeme" zusammengefaßt sind. Zwar charakterisiert Freyer die Strukturen und Entwicklungstrends der inzwischen weltumspannenden Industriegesellschaft rein theoretisch als Modell und Trendextrapolation; trotzdem ist eine gewisse resignative Tendenz in dieser Analyse nicht zu verkennen. Die früher tragenden Kategorien der „Kulturnation", des „Volkes" oder des „Reichs" als geschichdich gewachsene Ordnungen sind in der industriellen Weltgesellschaft nicht mehr realisierbar. Das „sekundäre System" wird noch nicht recht positiv begriffen; seiner universalen Rationalität stehen keine geschichtlichen Ganzheiten mehr gegenüber, sondern eine chaotische Menge von Elementen als beliebig formbares Material. Es dominieren die Begriffe von Masse und Anpassung, es droht die Vereinzelung des Einzelnen in einer Welt, die die Tradition verleugnet und in der Geschichtslosigkeit zu enden scheint. An die Stelle des geschichtlichen Wandels tritt nur noch die Geschichte als Erbe, als „haltende Macht", die jedoch nichts mehr mit gewachsenen politischen Strukturen und Institutionen zu tun hat, sondern auf eine ursprüngliche, intakte menschliche „Lebenswelt" reduziert wird. 59 Daß ein Widerstand gegen das sekundäre System nur auf die Ebene des Individuums und seine Lebenswelt begrenzt ist, machen die Aufsätze „Die Idee der Freiheit im technischen Zeitalter" (1958) und „Das soziale Ganze und die Freiheit des Einzelnen unter den Bedingungen der industriellen Gesellschaft" (1957) deutlich. 60 Dagegen zeichnet der soziologische Abriß in der Propyläen-Weltgeschichte, „Gesellschaft und Kultur" (1961) 61 , schon ein wesentlich differenzierteres und reicheres Bild. Obgleich auch hier die Rede ist vom „Leben aus zweiter Hand" und vom „In-die-Freiheit-verstrickt-Sein", werden dem gesellschaftlichen Pluralismus doch auch positive Züge und neue Entwicklungsmöglichkeiten abgewonnen. Auch in dem für die weitere Entwicklung grundlegenden Aufsatz „Über das Dominantwerden technischer Kategorien in der Lebenswelt der industriellen Gesellschaft" (I960) 6 2 taucht zum erstenmal der Begriff der „Industriekultur" auf, während vom heroischen Widerstand des Einzelnen nicht mehr die Rede ist. Zu dieser Periode gehört auch Freyers letztes Werk: „Schwelle der Zeiten" (1965). 63 Hier wird auch die Industriekultur wieder relativiert; sie ist nun in eine größere Entwicklungsreihe der Kulturstufen eingebunden dadurch, daß den Kategorien der Industriekultur (Maschine, Produktion, Konsum, Serie, Planung, Sicherheit, sozial) die Kategorien der Hochkultur (Stadt, Landschaft, Recht, Handel) und die Kategorien des seßhaften Lebens (Heimat, Hegen, Stauen, Bannen, Haushalten) bzw. die Kategorien des nomadischen Lebens (Herde, Revier, Weg, Wanderung, Stamm, Kampf) gegenübergestellt werden. Freyer kehrt damit zu seinem ursprünglichen Ausgangspunkt, der Kultursoziologie, wieder zurück; die Kategorien von Herrschaft und Technik werden zwar nicht vergessen oder abgewertet, aber wieder in den ursprünglich intendierten Zusammenhang von Gesellschaft, Politik und Kultur gestellt. Es war Freyer nicht mehr vergönnt, das theoretische Gesamtsystem der Industriegesellschaft auszuarbeiten - seine fragmentarische historische Einleitung dazu, „Gedanken zur Industriegesellschaft" (1970), wurde erst nach seinem Tod veröffentlicht. 64
c) Herrschaftssoziologie
und Politische Soziologie
Wenn im folgenden (in heutiger Terminologie) die „Politische Soziologie" von Hans Freyer abgehandelt werden soll, d. h. wenn seine Kategorien von „Herrschaft" und „Gemeinschaft", von „Staat", „Volk" und „Reich" zur Sprache kommen und wenn seine „Politische Ethik" in die Spannung von „Idealismus" und „Realismus", von „Machiavelli" und „Anti-Machiavell"
1. Das Problem der Politischen Soziologie
79
gestellt werden wird, dann ist von allem Anfang an festzustellen, daß damit nicht jene Politische Soziologie gemeint sein kann, wie sie praktisch erst nach dem II. Weltkrieg durch den Einfluß der amerikanischen pragmatistischen Soziologie ihren Niederschlag in unseren Lehr- und Handbüchern der Soziologie gefunden hat. 65 Freyers Beitrag gehört vielmehr zur „Vorgeschichte" dieser Politischen Soziologie; nach heutigem Verständnis zählt er mehr zur „Politischen Philosophie". Jedenfalls ist er nicht an den heutigen Maßstäben einer empirischen, einerseits an der Wahl- und Attitüdenforschung, andererseits an der Organisationsforschung orientierten Politischen Soziologie zu messen. Mit Hilfe einer Reihe von kategorialen Dichotomien 6 6 , die zunächst einmal die Landschaft und den Weg der Politischen Soziologie bzw. den O r t des Freyerschen Denkens skizzieren sollen, ist Freyer eher auf der Gegenseite zu einer empirischen Politischen Soziologie zu lokalisieren: obwohl ständig um Konkretion und um eine durchführbare praktische Politik bemüht, vertraut er zweifellos mehr der philosophischen Besinnung, der Analyse der grundlegenden politischen Ideen und der theoretischen Deduktion der ihnen gemäßen Lebensform - als etwa der Umfrageforschung oder der detaillierten Deskription von politischen Entscheidungsprozessen, die seiner Meinung nach doch nichts vom Wesen oder vom Ethos des Politischen erfassen, sondern eher nur die subjektiven Mißverständnisse, Blickverkürzungen und Widersprüche widerspiegeln könnten, während die Völker und Klassen unvorhersehbar und unkontrollierbar ihren Schicksalsweg gehen müssen, der dem Individuum nicht unmittelbar zugänglich ist. Im Begriff des „Schicksalsraumes" stellt Freyer das Ethos des Politischen deutlich heraus: alle Einzelentwicklungen, sozialen und kulturellen Bildungen etc. werden unter dem Bildungsgesetz der Politik nach einer „höheren L o g i k " zur Synthese gebracht, ohne die Autonomie der Einzelebene zu negieren. 6 7 Wie selbst die „Empirische Soziologie" von O t t o Neurath (1931) zeigt, ist um diese Zeit aber auch die „empirische" Soziologie mehr oder weniger „Weltanschauungssoziologie", keineswegs identisch mit einem Begriff von Empirie, wie er erst durch die sozialwissenschaftlichen Methodologien von Hempel und Oppenheim, von Popper und Jahoda usw. 68 ermöglicht worden ist. Neuraths quasi-naturwissenschaftlicher, d. h. raum-zeitlicher Objektivismus reicht über den Augenblick der Gegenwart nicht hinaus; und wenn er Vorhersagen für die Zukunft machen will, so sieht er sich ebenfalls genötigt, auf die „Solidarität des Schicksals" zu rekurrieren: „Die Solidarität des Schicksals führt zur Solidarität des Verhaltens, führt zur Pflege wissenschaftlicher Soziologie, die den Massen sagt, was ihnen die Zukunft bringt" 6 9 . Subjekt der Geschichte sind in dieser Zeit also sowohl für die „Empiristen" wie für die „Geschichtsmetaphysiker" eben immer noch die Völker oder die großen Kollektive, nicht die Individuen in ihrem trivialen Alltagsverhalten. Nach einer zweiten Dichotomie läßt sich die Richtung oder Orientierung der angestrebten politischen Philosophie nach einem mehr utopischen (Platonischen) Erbe oder einem pragmatischen (Machiavellistischen) Erbe 7 0 oder von „Idealismus" und „Realismus" unterscheiden (wobei die letztere Unterscheidung jedoch erst mit Hans J . Morgenthau und der Formierung der „realistischen Schule" nach dem II. Weltkrieg in den U S A einen prägnanten Inhalt bekommt). 7 1 Nach dieser Unterscheidung ist Hans Freyer sicher als „Idealist" - und zwar der Hegeischen Schule -
einzustufen, obgleich ihm der mehr machttechnische
Standpunkt
Machiavellis nicht fremd ist und er seine Notwendigkeit unter bestimmten Bedingungen durchaus anerkennt, und obgleich er der Hegeischen Emanation des Geistes durch den Begriff der Tat eine realistische Wendung geben will. 72 Wenn er aber vom „heiligen Willen" der Utopie spricht, 7 3 könnte man ihn geradezu für einen Utopisten halten. Jedenfalls steht Freyer
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III
Soziologie der
Herrschaft
mit seiner Politischen Philosophie in einem denkbar scharfen Gegensatz zu Karl R . Poppers „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde" (1957) 7 4 -
eine Kampfschrift gegen den Platonis-
mus wie den Marxismus (und über die Vermittlung von Hegel beides in einem) - , die die Politische Philosophie und Moral der Nachkriegszeit bei uns nachhaltig beherrscht und jeden anderen Ansatz in die Nähe des Totalitarismus gerückt hat. Dies ist jedoch nicht die Perspektive der zwanziger und dreißiger Jahre, in denen utopische Hoffnungen verschiedenster Art ganz allgemein noch wesentlich virulenter und die Erkenntnis-und Moralprinzipien des „kritischen Rationalismus" ja noch gar nicht formuliert waren. Im Zeitkontext von 1936 gesehen ist „Die Politische Insel" Hans Freyers eher als ein Aufruf zur Uberwindung oder zur Integration der Utopie anzusehen, jedenfalls zur Überwindung ihres Fluchtcharakters, da es nicht darum gehen könne, „auswandern und irgendwo einen Klub oder einen Miniaturstaat auftun" zu wollen, sondern wo sie „auf die konkrete Lage des konkreten Vaterlandes, um dessen Heil und Zukunft es geht", bezogen werden müsse. Die Utopie hat demnach nur einen politischen Sinn, wenn sie „senkrecht" zum „Leben und Handeln" steht, als die vertikale „Ebene des Geistes", die diesem Leben und Handeln seine Orientierung gibt, ohne völlig von den Umständen und Interessen absorbiert zu werden. 7 5 Trotzdem ist es von diesem Ansatz aus gesehen, wie Freyer selbst anmerkt, „meilenweit zu den Organisationsvorschlägen eines Menschenfreundes, der sich ausdenkt, wie die Verteilung der Arbeit und der Güter geregelt werden müßte, damit es allen gut gehe, - und nochmals meilenweit zu den Konstruktionen eines stellungslosen Ingenieurs, der seiner technischen Phantasie die Zügel schießen läßt und eine zukünftige Großstadt entwirft...". 7 6 In der Tat hat die Politische Philosophie Freyers nichts oder nur wenig gemein mit der Traditionslinie der Politischen Soziologie, wie sie sich inzwischen über die Integration Max Webers durch Talcott Parsons und C. Wright Mills in der amerikanischen Soziologie etabliert hat. Webers Organisationsanalysen des Staatsapparates, von Partei und Parlament, aber auch von Klasse und Stand, oder die Typen der Legitimitätsgeltung sind Freyer zu formal und zu technisch; sie entbehren nach seiner Meinung des historischen oder dialektischen Wirklichkeitscharakters, der gerade das Wesen der Politik ausmacht. 77 D o c h ist nicht zu vergessen, daß in den zwanziger und dreißiger Jahren nicht der Ansatz Max Webers, sondern daß eher Ernst Troeltsch und Werner Sombart, Alfred Vierkandt und Max Scheler, Alfred Weber und Johann Plenge mit ihrer Forderung nach „Werterkenntnis" und „Verstehen" den epistemologischen wie den moralischen Rahmen der Politischen Soziologie bestimmt und beherrscht haben. 7 8 Darüber hinaus ist zu beachten, daß die Politische Philosophie oder Soziologie Hans Freyers - wie in der ganzen Tradition der von Wilhelm Wundts „Völkerpsychologie" und Karl Lamprechts „Kulturgeschichtsschreibung" beeinflußten „Leipziger Schule" - vor allem vom Gedanken der Objektivation und der Entfaltung der Kultur getragen ist. Politik ist für Freyer „die geschichtliche Verwirklichung des Kulturgehalts", der Staat ist selbstverständlich „Kulturstaat". 7 9 Soweit Freyer tatsächlich einen Beitrag zur Politischen Soziologie im heutigen Sinn leistet, hat er mit dem politischen Ethos (meistens dem Ethos einer Nation) und mit der „politischen Kultur" zu tun - letzteres allerdings nicht im Sinne einer nur sozialpsychologisch oder mikrosoziologisch verstandenen politischen Kultur, 8 0 sondern durchaus im Sinne von Hegels Volksgeist-Weltgeist-Lehre, wonach die Staaten (als Nationalstaaten) zum Ausdruck der Selbstverwirklichung des Geistes werden. 8 1 Es ist dieser Kulturgehalt, von dem aus Freyer seine zentralen Begriffe „Staat", „Volk", „Reich", aber auch „Revolution"
und
„Herrschaft" definiert, und die deshalb auch denkbar weit abgehoben sind vom Staat der Weimarer Republik wie des „Dritten Reiches" (das auch in seinen Augen sehr bald zum
1. Das Problem der Politischen Soziologie
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bloßen Machtstaat abgesunken ist) 8 2 . In einer mehrfachen und schwierigen Wendung z u m „Politischen R e a l i s m u s " 8 3 versucht Freyer immer wieder, zu einer Analyse der Staaten und der Politik vorzustoßen, wie sie „real existieren"; dennoch bleibt es in aller Regel bei Aussagen über Staat und Politik, wie sie sein könnten und wie sie sein sollen; zumindest wird der Begriff „Realismus" von F r e y e r immer wieder im Zusammenhang mit kultureller K o n k r e tion oder Objektivation verwendet. Wenn die Politische Soziologie von H a n s F r e y e r mit einer anderen Politischen Soziologie zu vergleichen ist (und wenn sie anhand dieses Vergleiches zugeordnet und bewertet werden soll), dann vielleicht mit der von Karl M a n n h e i m oder mit der „Staatssoziologie"
von
H e r m a n n Heller. D o c h auch dann ist einschränkend festzustellen, daß auch M a n n h e i m erst u m 1950 (mit „Freedom, Power, and D e m o c r a t i c Planning") überhaupt erst zum Begriff der „Politischen Soziologie" g e k o m m e n ist, und daß er sich seltsamerweise völlig auf die Frage der Machtausübung und -kontrolle beschränkt. 8 4 Z u r Zeit von „Ideologie und U t o p i e " (1929) ist M a n n h e i m zwar von der Notwendigkeit einer „Politik als Wissenschaft" überzeugt; als M e t h o d e kann er aber (ganz wie F r e y e r in seiner „Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft" von 1930) nur die „Realdialektik" empfehlen, die zwischen T h e o r i e und Praxis, zwischen Intuitionismus u n d Rationalismus zu vermitteln habe. 8 5 Erst die rückblickende Analyse der Vermassungserscheinungen und des Aufstiegs der D i k t a t u r bzw. des Ausbruchs des Krieges befähigt ihn - in „Man and Society in an Age o f R e c o n s t r u c t i o n " von 1951 - , nun auf der Basis von Pragmatismus, Behaviorismus und Tiefenpsychologie, Organisationsstruktur und Ideologie miteinander zu verbinden und einen realistischeren Begriff von „politischer S o z i o logie" zu gewinnen. 8 6 D i e „Staatssoziologie" von H e r m a n n Heller, die in der „Staatslehre" von 1934 zur Entfaltung kam, hat aber auf der anderen Seite in ihrer K o n z e p t i o n als „Kulturwissenschaft", als „Wirklichkeits-" und „Strukturwissenschaft" 8 7 Hans F r e y e r - auf den er sich immer wieder beruft - viel zu verdanken und kann somit kaum als Gegenposition oder Korrektiv für diesen ins Feld geführt werden. Was heute unter dem Begriff einer Politischen Soziologie verstanden wird, ist in aller Regel eine Soziologie der Prozesse der Interessenartikulation und -aggregation, der politischen K o m m u n i k a t i o n und öffentlichen Meinungsbildung sowie der Partei- und Verbandstätigkeit, vielleicht noch verbunden mit einer Kritik der Bürokratie und der Machteliten, in einer industriegesellschaftlichen Massendemokratie. 8 8
„Politisch" in diesem Sinn wird auf der
E b e n e des einzelnen Wahlbürgers definiert, der (in der Weltanschauung der N a c h k r i e g s d e m o kratie verankert) in wechselnden und im Prinzip frei zu wählenden Interessengruppen am demokratischen politischen P r o z e ß auf eine meist sehr distanzierte (keineswegs schicksalshaft verbundene) Weise teilnimmt. Dieser Begriff des Politischen ist nun total entheroisiert und auch entkollektiviert, weil nach 1945 ein pragmatistisch-demokratisches Politikmodell amerikanischer Provenienz zur „Weltanschauung" deklariert worden ist. Wenn hier vom „Staat" und von einer expandierenden Staatstätigkeit die R e d e ist, dann gewöhnlich nicht mehr im Sinne einer Idee oder einer höchsten Repräsentation einer nationalen Gemeinschaft, sondern nur noch als funktionale Organisationszentrale eines sozialstaatlichen Verteilungsapparates. Dies aber hat mit dem Freyerschen Begriff von „Politik" nichts zu tun. I m Gegenteil, wenn dieser Zustand der industriellen Massendemokratie erreicht ist, wenn sich „das soziale G a n z e " auflöst in „eine Mehrzahl von Organisationen, in die der M e n s c h je mit einem bestimmten Interesse, je mit einer bestimmten Seite seines Wesens hineingenommen i s t " 8 9 , rekurriert F r e y e r scheinbar ganz unpolitisch auf die „Freiheit des E i n z e l n e n " und heroisiert er den „Widerstand" des Einzelnen. 9 0 D i e „Politische Soziologie" ist für F r e y e r nun offenbar
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III
Soziologie der Herrschaft
zu einer Spezialsoziologie für eine Gesellschaft im entpolitisierten Zustand geworden. Damit ist aber die Bestimmung der Soziologie als Artikulation einer bestimmten, historisch verortbaren gesellschaftlichen „Befindlichkeit", wie sie Freyers „Soziologie als Kulturwissenschaft" zugrundeliegt, im Grunde bestätigt. Im gleichen Sinne beschreibt auch Helmut Schelsky einige Jahre später in seiner „Ortsbestimmung der deutschen Soziologie" die Veränderung der Soziologie bezüglich ihres Verhältnisses zur gesellschaftlichen Praxis und die Wandlung ihrer Aufgaben: Nicht mehr „Planungswissenschaft" kann sie sein, die ihre empirischen Funktionseinsichten zur Verfügung stellt zur planvollen Anwendung zum schrittweisen Umbau verschiedener Teilgebiete des sozialen Lebens, wie sie es noch zu Zeiten Max Webers, Max Schelers, Karl Mannheims und Leopold von Wieses in den zwanziger Jahren war. An der Soziologie sei heute nicht nur eine ideologische (konservative oder revolutionäre) Gesamtordnungstendenz suspekt geworden, sondern ebenso eine unmittelbare Umsetzung in praktischen Sozialtechniken, die nur auf soziologische Manipulierung oder auf „Auftragswissenschaft" hinauslaufe. In einer Zeit, in der „soziales Handeln" von jeglicher sozial wesentlichen Praxis (Wirtschaft, Politik etc.) abgespalten sei, kann die Soziologie nur mehr „interesselose" Analyse des Vorhandenen sein, die keinerlei Anspruch auf Anwendung ihrer Einsichten mehr erhebt, aber gerade durch die reine „diagnostische Erkenntnis des Sozialen ohne die Verführung des Blicks durch das bereits festgelegte Wollen" eine „Wirklichkeitskontrolle" gegenüber der Hypertrophie der sozialen Gestaltungs- und Manipulierungsansprüche der vom Handeln abgekoppelten Systeme ausüben soll. 91 Freyers Verständnis der Soziologie als wissenschaftliches „Selbstbewußtsein" einer Gesellschaft (wie hier im Kapitel „Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft" genauer behandelt) wird von Schelsky - ebenso resigniert und ohne Zukunftsperspektive - übernommen: Die Soziologie kann nicht „politisch" sein, wenn die Gesellschaft es nicht ist - das gesellschaftliche Wollen endet damit in der individuellen Verweigerung. Die Freyersche Soziologie, soweit sie sich mit Politik beschäftigt, ist also nicht „Politische Soziologie" im modernen Sinn, sondern sie ist bestenfalls „Herrschaftssoziologie" - und auch dies eher im Sinne von Alexis de Tocqueville oder Gaetano Mosca als im Sinne von Max Weber oder Robert Michels. Ihr Gegenstand sind nicht die politischen Institutionen und die zwischen ihnen spielenden Prozesse, es ist nicht „das Verhältnis von Wirtschafts- und Sozialstruktur eines Landes zum Gewaltenaufbau des Staates und zum Umfang der Staatstätigkeit, die Zuordnung der einzelnen Machtträger und Gewalten innerhalb des Staates und die Verzahnung der staatlichen und des außerstaatlich-gesellschaftlichen Herrschaftsgerüstes", wie O t t o Stammer auch erst 1955 definiert. 92 So weit reicht die sozialstrukturelle Differenzierung dieser Herrschaftssoziologie nicht. Sie befaßt sich mehr mit dem allgemeinen Begriff der „politischen Ordnung", der in etwa deckungsgleich ist zumindest mit einer Gesamtgesellschaft, wenn er (wie in der Reichsidee) nicht darüber hinausgeht. Zwar werden auf der einen Seite „Staat" und „Gesellschaft" einander immer wieder gegenübergestellt (in der „Revolution" kann die Gesellschaft oder das „Volk" - sofern es sich bewußt wird - gegen den Staat aufstehen), auf der anderen Seite „Volk" und „Führung"; aber diese Kategorien bleiben dichotomisch - und daher auch weitgehend „metaphysisch" oder sogar „mythisch" - und sie werden struktur- oder organisationsanalytisch nicht näher differenziert. Freyer ist sich dieses Rückgriffs auf mythologische Kategorien auch völlig bewußt und begründet sie geschichtstheoretisch: In Zeiten des epochalen Umbruchs fällt die Geschichte in den Mythos zurück. „Und nur mit mythologischen Kategorien kann sie dann begriffen werden." 9 3 Die Ansätze einer Anwendung seines Systems der Soziologie in einer Politischen Soziologie fallen in eine Zeit der äußersten politischen Turbulenz in Deutschland und Europa (1930-1935). D a nach
1. Das Problem der Politischen Soziologie
83
diesem System die Soziologie die maßgeblichen weitertreibenden Kräfte - „den geschichtlich gültigen Willensgehalt" - erfassen soll, dieser aber in Krisenzeiten nicht zu erkennen ist, so bleibt als erste Lösung nur der Rückgriff zu mythologischen Kategorien, der jedoch durch ständige wissenschaftliche Begleitung der neuen epochalen Bewegung wieder durch eine durchgebildete begriffliche Terminologie ersetzt werden soll. Im Unterschied zu Max Weber wird bei Freyer auch kaum der Machtapparat einer näheren Analyse unterzogen, die Diskussion bewegt sich weitgehend auf der Legitimitätsebene (der Formen der Legitimität oder der Politischen Philosophie, oder der allgemeinen Ordnungsideen, dem Verhältnis von politischer Utopie und Herrschaftswirklichkeit ganz allgemein, dem Verhältnis von H e r r schaft und Plan, Herrschaft u n d Technik, usw.), wobei jedoch das „zweite Bein" der Konstruktion immer fehlt und so die Diskussion immer schnell ins Grundsätzliche (ins „Philosophische" oder „Ethische") übergeht. Freyer ist in seiner Zeit mit dieser Metaphysizierung der Politik keineswegs allein, und er teilt diesen Hang nicht nur mit vielen „Konservativen" und „nationalen Sozialisten" (wie etwa O t h m a r Spann u n d Max Hildebert Boehm bzw. mit Gunther Ipsen oder Reinhard H ö h n ) , sondern eben auch - was viele der Kritiker der deutschen Soziologie u m 1933 geflissentlich übersehen - mit den „Nationalbolschewisten" (Ernst Niekisch) und „Kommunisten" seiner Zeit (wie Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, Karl Korsch und Georg Lukács) oder selbst den Liberalen (wie Friedrich N a u m a n n oder auch Theodor Heuß). Metaphysiziert und mystifiziert werden gerade die zentralen Begriffe „Gemeinschaft" (gegen „Gesellschaft"), „Führung", „Staat", „Volk", „Reich", zu denen man sich einfach zu bekennen hat u n d die geradezu ihrem Wesen nach als undefinierbar und nicht festlegbar gelten, weil im geheimnisvollen Werden befindlich. Die Metaphysizierung beruht vor allem darauf, daß Begriffsdichotomien in Seinsprinzipien umgedeutet werden, die womöglich auch noch durch einen dialektischen „Umsprung" auseinander hervorgingen. So mußte aus der „bürgerlichen Gesellschaft", die nur eine historische und vergängliche Kategorie war, das neue „Volk" werden, der Staat hat im „Volk" aufzugehen, das „Volk" im „Reich". Statt der Behauptung einer Antinomie konnte aber auch eine Konstruktion von Identitäten den gleichen Zweck der Begriffsauflösung erfüllen, so wenn z. B. das „Volk" politisch mit dem „Staat", soziologisch und ökonomisch aber mit dem „Gegenspieler der industriellen Gesellschaft" identifiziert wird, wobei es essentiell aber doch als „eine neue Bildung eignen Willens und eignen Rechts" betrachtet wird, unvergleichlich mit allem Bisherigen, „das gründliche Nichts, von der Welt der gesellschaftlichen Interessen aus gedacht,... und das gründliche Alles, wenn man nach der Zukunft fragt, die dieser Gegenwart innewohnt". 9 4 In dieser Globalität der Entgegensetzung von Seinsprinzipien kann nach den zugrundeliegenden sozialen oder politischen Prozessen im Grunde nicht mehr gefragt werden. Auch wenn die Rede ist von den „Kräften" und „Gesetzen", „die am Werke sind, wenn sich eine moderne Volksgemeinschaft geschichtlich formiert", kann und darf der Prozeß der „Volkwerdung" gar nicht empirisch dargestellt werden, wird doch der „Hiatus zwischen Gegenwart und Zukunft ... nicht durch dinghafte Entwicklungen, sondern durch den Willen überbrückt". 9 5 A m Ende steht auch hier wieder eine „Willensmetaphysik", in der das „geschichtliche Wollen" zum Hauptgegenstand der Soziologie wird und in der „die gesellschaftliche Wirklichkeit (...) in dem Moment, in dem sie gedacht wird, in Praxis umspringt". 9 6 Diese Metaphysizierung wird auch ganz bewußt durchgeführt, wenn statt einer wissensschaftlichen Definition von Volk oder Volkwerdung vielmehr „der metaphysische, man muß beinahe sagen der religiöse Begriff des Volkes" gefordert wird. 97 Von Mystifikation ist darüber
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III
Soziologie der Herrschaft
hinausgehend zu sprechen, wenn gerade in bezug auf die Grundbegriffe ein wissenschaftliches Frageverbot eingeführt wird, indem i m m e r wieder auf das „Außeralltägliche", auf ein „Werden", das nicht in Begriffe zu fassen sei, hingewiesen wird, ja wenn behauptet wird, ein für die vorliegende Theoriebildung schließlich grundlegendes Geschehen ließe sich nicht „aus ö k o n o m i s c h e n , politischen oder sozialen Einzelfaktoren ... erklären", man k ö n n e es vielmehr „nur mythologisch auffassen". 9 8 N u r aus der zeitgenössischen K o n f r o n t a t i o n eines neuen „säkularisierten" Politikverständnisses, das die „rationale H e r r s c h a f t " und bürokratische Verwaltung hervorhebt, mit einer D e u t u n g des Politischen als schöpferische Gestaltung ist heute diese Mythologisierung zu sehen. M a x W e b e r hat den modernen Rationalisierungeprozeß mit unverhohlener Resignation geschildert und Karl M a n n h e i m , damals bestrebt, Politik als moderne Wissenschaft zu etablieren, formulierte das P r o b l e m der wissenschaftlichen Rationalisierung v o n Politik in geradezu Freyerscher D i k t i o n : „Das politische Handeln geht auf das Schöpferische im Augenblick, u m aus den strömenden Kräften Bleibendes
zu
gestalten. D i e Frage ist also die: G i b t es ein Wissen v o m Fließenden, Werdenden, ein Wissen v o n der schöpferischen T a t ? " 9 9 E s ist nicht verwunderlich, daß Freyers mystifizierende Herrschaftssoziologie,
deren
empirischer Gehalt und methodologische Absicherung im ganzen eher dürftig sind, auch dem Nationalsozialismus gewogen erschien - o b w o h l z u m einen ihre Traditionslinien viel weiter zurückreichen und sie z u m anderen auch keineswegs notwendigerweise im Nationalsozialismus ihre Erfüllung finden mußte, sondern ebenso den A u f b r u c h eines nationalen K o m m u nismus-Sozialismus einerseits oder das Aufgehen in einem restituierten
monarchistischen
Ständestaat deuten könnte. A b e r selbst noch in der anfänglichen Anerkennung der nationalsozialistischen Bewegung beeindruckt mehr die Realitätsferne dieser Soziologie, die geradezu wahnwitzige Kluft zwischen dem Anspruch, in gleicher Weise Herrschaftsinstrument und Herrschaftslegitimation zu sein, und der tatsächlichen Bedeutungslosigkeit in den Augen der Herrschenden, die ihr Mißtrauen gegen die „bürgerliche Soziologie" niemals überwinden konnten. So ist es auch falsch - trotz der (eigentlich mißglückten) „Selbstgleichschaltung" der „Deutschen S o z i o l o g i e " 1 0 0 - diese völlig mit der Geschichte des Nationalsozialismus gleichzusetzen. D i e Distanzierung H a n s Freyers begann spätestens 1934, als er d e m nach J e n a einberufenen und von den Nationalsozialisten kontrollierten K o n g r e ß der D e u t s c h e n Gesellschaft für Soziologie fernblieb. D a ß seine geistige Distanzierung in „Machiavelli" ( 1 9 3 6 ) und seine kaum verschlüsselte Verurteilung des Regimes in „Preußentum und A u f k l ä r u n g " (1944) - und zwar gerade unter Berufung auf die deutsche bzw. preußische Geschichte - in dieser Perspektive schon gar nicht mehr w a h r g e n o m m e n werden kann, gehört zur Tragik von Freyers L e b e n und wissenschaftlicher Karriere. D e n n o c h sind Freyers Mystifikationen kein Alibi für die historische F o r s c h u n g und auch nicht für die soziologische Theorieanalyse, das ganze Werk v o n H a n s F r e y e r nur aus der Perspektive von 1 9 3 1 - 1 9 3 5 (und hier auch nur v o n „Revolution von rechts" und „Pallas A t h e n e " ) 1 0 1 zu deuten: selbst diese W e r k e enthalten konstruktive Elemente, die über diese Zeit - in die Vergangenheit wie in die Zukunft - hinausweisen; n o c h viel weniger sind die Werke vorher, die noch stark in der Hegeischen Tradition stehen, oder die W e r k e nachher, die sich ganz b e w u ß t u n d mit großer Kraftanstrengung aus dieser Verstrickung zu lösen versuchen, aus dieser verkürzten Perspektive zu lesen u n d zu beurteilen. I m folgenden jedenfalls sollen die konstruktiven Linien der Theorieentwicklung in den Vordergrund gestellt werden, die ein Gelehrtenleben von etwa vierzig Jahren ausgefüllt und bestimmt haben. D i e s e Langfrist-Perspektive soll ganz b e w u ß t gegen die vielen Kurzfrist-Perspektiven
gestellt
2. Grundzüge
einer Herrschaftssoziologie
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werden, die notwendigerweise agitatorisch sind. Auch wenn die vorliegende Interpretation der übermäßigen Glättung, wenn nicht der Idealisierung des Werkes und des wissenschaftlichen Werdegangs von Hans Freyer geziehen werden wird, kann nur durch die Ausarbeitung und vielleicht Uberbetonung dieser Perspektive wieder ein Gleichgewicht geschaffen werden zwischen Langfrist- und Kurzfrist- Interpretationen, zwischen Werkgeschichte und Zeitgeschichte - und nur so wird im Laufe der Zeit ein ausgewogeneres und gerechteres Urteil und eine konstruktive Kritik - d. h. eine Kritik, aus der man lernen kann und die nicht nur der Verurteilung dient - zu erwarten sein.
2. Grundzüge
einer
Herrschaftssoziologie
a) Herrschaft und Staat 1) Von der Kulturphilosophie
zur
Staatsphilosophie
Für die Fachgebiete der politischen Philosophie und Kulturphilosophie an der Universität Kiel verantwortlich, machte Freyer es sich zur Aufgabe, auf kulturphilosophischer G r u n d lage 102 auch eine Staatstheorie zu entwerfen, die zunächst ein Versuch der kulturphilosophischen Systematisierung eines zeitgenössischen Staatsbildes war und damit auch eine zeittypische „Vision" des Staates, wie er sein soll: vollkommenste Verwirklichung der Kultur, „bündigste Form und objektivster Schicksalsraum". 103 Die logische, metaphysische und ethische Einleitung dieses Buches zeigt, daß Freyer vor allem eine philosophische G r u n d legung der Staatslehre beabsichtigte. Deshalb ist auch nicht eine Analyse konkreter Staaten zu erwarten, die diese Wesensbestimmung nicht oder nur sehr unvollkommen erfüllen. Daß H a n s Freyer aber doch einen durchaus konkreten Bezug zu seiner Gegenwart hatte, ist an vielen Stellen unschwer zu entnehmen. Er sieht seine Gegenwart reif für einen Staat als übergreifende Kultureinheit, auf die jetzt entschlossen hingearbeitet werden soll. 104 Philosophisch-methodisch durchwegs nach seiner „Theorie des objektiven Geistes" aufgebaut und konzipiert als „dialektische Bewegung zum objektiven Geist", wird der Staat ganz als Konkretion dieses Geistes begriffen. Gleichzeitig aber haben alle theoretischen und normativen Argumente die Qualität eines aktuellen Aufrufes, der für den in die zeitgenössischen wissenschaftspolitischen Kontroversen eingeweihten Leser sehr wohl einzuordnen war: Wer in einer Zeit, die nach neuen politischen Formen strebt, in der Reaktion Zuflucht sucht, der solle lieber Historiker werden oder sich mit seinesgleichen auf eine Insel zurückziehen! 105 Polemische Attacken, expressionistisches Pathos von „Ahnung und Aufbruch" und extreme Abstraktion (Der Weg des Staates zum Geist - der Weg des Geistes z u m Staat) sind auch in diesem philosophisch-theoretischen Werk eng miteinander verbunden und erschweren auch hier den Zugang zum wissenschaftlichen Gehalt. Freyers Auseinandersetzung mit Fichtes Sittenlehre in seiner Studie „Das Material der Pflicht" (1920) 106 ist eine der wichtigsten theoretischen Grundlagen zu Freyers Staatsphilosophie, auch wenn diese noch vornehmlich in hegelianischer Tradition steht; Freyers Willensmetaphysik der „Wirklichkeitswissenschaft" hat ebenfalls hier ihre Wurzeln und der Aufruf zu einem neuen politischen Bewußtsein zeigt sich hier in eindringlicher Weise. Man wird sich schwer tun, Hans Freyer ohne weiteres des
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Soziologie der Herrschaft
Konservativismus zu bezichtigen, wenn man diese seine Ethik der Tat emsthaft zur Kenntnis nimmt. Mit der fichteanischen „Pflicht zur Tat" als einem Akt des Sollens verbindet Hans Freyer ein „Recht zur Tat"; denn erst durch die Verwirklichung im Handeln können sich Einzelwillen zu einem zielgerichteten System des Willens vereinigen. Allerdings müssen drei Bedingungen des „Rechts zur Tat" erfüllt sein, die gleichzeitig ethische Voraussetzungen des legitimen Staates sind: Der Inhalt der Tat muß Zukunfts- und Zielorientierung haben, er darf nicht reaktionär sein. Der Handelnde selbst muß auf die Zukunft hin gerichtet sein; er muß das Ziel in sich tragen, das er verwirklichen will. Schließlich muß die Tat selbst Antizipation, Wagnis und Vorgriff sein; nur das Wagnis des Ungewissen kann eine Wendung herbeiführen. Gerade als Wagnis wird die Tat Teil des Stromes des Geschehens; die Handelnden müssen deshalb entschlossen sein, die vorhandenen Möglichkeiten zu hundert Prozent auszunützen wenn sie der Zukunft verpflichtet sind, gibt es für sie keinen anderen Entschluß als den, nicht versagen zu wollen.107 Fichtes Konkretisierung des Absoluten vom Objekt der Metaphysik zum Objekt der Ethik hat Hans Freyer nicht nur in seiner Studie über Fichtes Sittenlehre analysiert, er hat sie auch übernommen - die transzendentale ethische Struktur ist nun in einer Unendlichkeit individueller Bestimmungen zu verwirklichen. Erst die Synthese des metaphysischen Seins mit dem empirischen Sein erzeugt das „Phänomen des nach seinem Ziel gerichteten Werdens, den Erkenntnischarakter des Sollens, die Tatsache der Sittlichkeit"108 und nur die Tat als Vorgriff und konkrete Antizipation ist deshalb eine sittliche Tat. Diese Konkretisierung arbeitet Freyer anhand Fichtes späterer Sittenlehre heraus, wenn er die Selbstverwirklichung des tätigen Individuums nun mit den Kontinuitäten von Gemeinschaft und Geschichte verbindet: Nur die auf ein konkretes Ziel gerichtete Tat und der bewußt in der Geschichte lebende Handelnde können Gegenstand einer konkreten - einer nicht mehr direkt von einer metaphysischen Idee deduzierbaren - Ethik, sein. Der Handelnde erhält jedoch nur in einer gewachsenen Kultureinheit eine zureichende Orientierung. Handeln und Entscheiden in diesem Sinn ist immer eine Antizipation im Strom des Geschehens, ist immer Wirklichmachen der in der Geschichte angelegten Möglichkeiten. Die unpersönliche Natur als bloße Hülle für den das Absolute ausdrückenden Willen ist für Freyer eine nicht mehr haltbare Fehldeutung des Idealismus. An den Gedankengängen Fichtes entwickelt Freyer nun einen historisch-soziologischen Naturbegriff: Da zum einen durch vergangene Entscheidungen, durch Bildung, Gesetzgebung und Wissenschaft bereits viel „Uberindividuelles" in der Natur enthalten ist und diese „gestaltete Natur" die Grundlage für den „weiterschaffenden sittlichen Willen" ist, also jede produktive Leistung durch die bisherige Geschichte geprägt wird, ist auch die Natur von der „leeren Möglichkeit der Sittlichkeit zum werterfüllten Träger des sittlichen Fortschritts" geworden. Dies ist auch der Schlüsselgedanke zu Freyers Verbindung von gegenwärtiger Entscheidung und Geschichte. Der Begriff der „Tat" soll damit von seinen mystischen Konnotationen befreit werden und ist jetzt im Ansatz zu einem wissenschaftlich erfaßbaren Begriff des „Handelns" umgewandelt; die Vereinigung von Geschichte und individuellem Handeln ist dabei als „intelligibler Determinismus" erfaßt: „Wie das Individuum als natürliches für die kausale Weltbetrachtung sich nicht ändern kann, so ist es auch in der sittlichen Welt, seiner moralischen Bestimmung nach, ohne sein Zutun oder Bewußtsein, schlechthin was es ist, und kann dieses nicht ändern: soll es auch nicht ändern, sondern nach dem Grundgesetz dieser Bestimmung mit Freiheit sich weiterbestimmen." Gegen einen ästhetisierenden Persönlichkeitsbegriff, der „die Individualität als eine geschlossene und geformte Welt für sich" isolieren möchte, wird nun von einer Persönlichkeit ausgegangen, der eine individuelle Pflicht als Funktion in einem größeren
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einer Herrschaftssoziologie
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Ganzen aufgegeben ist. Die sittliche Weltordnung wird materialisiert als Leitbilder konkreter Individuen. Erst wenn Sittlichkeit in materialbestimmte Bilder umgesetzt wird, wenn es individuelle und konkrete Leistungen von Wert gibt, gestaltet sich Geschichte.109 Von nun an wird dieser „intelligible Determinismus" mit seiner Synthese von Geschichte, Struktur und Ethik als der sittlichen Verwirklichung eines der Gegenwart verpflichteten Handelns, zum Grundparadigma in Freyers soziologischer und politischer Theorie. Legt man dieses strukturgenetische Paradigma an seine erste Staatsphilosophie, so läßt sich aus dem „eher dithyrambisch als wissenschaftlich"110 eingestuften Werk doch noch eine Reihe von strukturwissenschaftlichen Aufbaugesetzlichkeiten entnehmen, die ihre wissenschaftliche Gültigkeit bis heute behalten. Die logische Grundlage des Freyerschen Staatsbegriffs beruht, gleich seiner Gesellschaftstheorie, auf einer Systemkonzeption, die sowohl die strukturelle Dimension im Sinne einer Schichtung aller Komponenten nach Funktion und Bedeutsamkeit und zugleich eine Entwicklungsabfolge als streng aufbaugesetzlichen und sinnverwirklichenden Vorgang in sich vereint.111 Auch die dritte Dimension der „Intentionalität" wird einbezogen, in ihrer makrotheoretischen Formulierung weit entfernt von einer subjektivistischen Handlungsintentionalität: Die Stufen der Entwicklung sind, da sie nicht einen linearen Fortschritt nach einem einzigen Prinzip darstellen, als Transformation der ganzen Gestalt (oder des Systems) in eine neue Dimension zu sehen. Entwicklung ist sowohl Auffächerung des gesamten Sinngehalts wie auch weiterführende Sinnverwirklichung. Diese Reintegration der Vielfalt in der geistigen Einheit des Sinns der Kultur wird letztlich durch die politische Einheit des Staates verwirklicht, der Staat ist in diesem Sinn der Entwicklungsgarant einer Kultur. Dabei gibt es allerdings kein vorgegebenes Ziel. Da die einzelnen Entwicklungsstufen nicht bloß Wegstücke sind, sondern „selbstwertige Zwischenspiele", ist das Ziel variabel und als ein „Rhythmus mit wechselnden Wendungen" zu definieren,112 und die wissenschaftliche Logik muß imstande sein, die Dynamik des ständigen Neudefinierens der Ziele mitzuerfassen. Verfolgt man die Anwendung dieser systemtheoretischen Grundlegung durch Freyer auf den Begriff „Staat" selbst, so wird man in vieler Hinsicht der Bezeichnung „dithyrambisch" zustimmen müssen. Gerade durch den abstrakten Aufbau entgleitet seine erste Staatsphilosophie leicht in eine Sphäre des Idealen und Irrealen, die in krassem Gegensatz zur politischen Wirklichkeit steht. Doch eine auf empirischen Gegebenheiten aufbauende Analyse eines konkreten Staates stand zu dieser Zeit wohl gar nicht in Freyers Absicht. Allenfalls wollte er einer Gesellschaft, deren politische Strukturen im I. Weltkrieg in Schutt und Asche versunken waren, das Modell eines Staatsgefüges vorführen, das aus der gegenwärtigen gesellschaftlichen Entwicklungsstufe hervorgehen muß, wenn die abendländische Kultur nicht eines geistigen Todes sterben soll. Zur idealisierenden Abstraktion fühlt sich Hans Freyer durch den Zeitbezug geradezu gezwungen, um einer sich im Umbruch befindlichen Gesellschaft nicht ein starres, außerhalb ihrer Dynamik liegendes Ziel zu diktieren; denn eine Gesellschaft im Wandel hat ihre Ziele selbst vorzukonstruieren. Darüber hinaus geht es Freyer um die europäische abendländische Kultur, die nach seiner Auffassung erst im Gefüge des Staates als eines Kulturstaates voll zur Verwirklichung kommen wird. Das abstrakte Modell soll so zum „werbenden Klang" werden, um „dem Entschluß Schwungkraft, dem Plan Sicherheit und Grenze (zu) geben".113 Freyer übernimmt wieder die Rolle des „Gelehrten als freier Künstler der Zukunft", als „Triebfeder der Fortsetzung der Schöpfung", wie sie nicht etwa nur im Expressionismus zum Ausdruck gekommen ist, sondern wie er sie im System der fichteanischen Sittenlehre als die notwendige dritte, intentionale Kraft neben der ethischen Persönlichkeit und der Geschichte als sittliche Kontinuität darstellt.114
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Soziologie der Herrschaft
Hans Freyers systematische Konstruktion des Staates als Kultursystem wurde in der zeitgenössischen Rezeption allerdings kaum wahrgenommen. Man war wohl zu sehr in aufreibende politische Probleme verstrickt, um die überhöhte Verquickung von idealem Modell und politischem Ziel positiv aufnehmen zu können. Vor allem wird die idealistische Synthese „Staat" nicht mehr verstanden - man beanstandet die Verwendung des Begriffes „Staat" für Gebilde, die man sonst „Gesellschaft", „Nation" oder „Kultur" zu nennen pflegt; „Staat" sei doch nur ein oft willkürliches Produkt der Politik. 1 1 5 Ferdinand Tönnies, der Senior der damaligen deutschen Soziologie, bezeichnet den „Staat" Freyers als „individuelles, im edleren Sinn subjektives Werk", jedoch als „Wesensschau", die zur Förderung eigentlich wissenschaftlicher Erkenntnis nicht beitragen kann. Für einen Soziologen sei die „Vermischung von Erkenntnis und Streben nach Wahrheit mit Prophetentum und Heroenkult" abzulehnen. 1 1 6 Selbst wenn die für „Der Staat" typische Vermischung der Sinngebiete Wissenschaft und Literatur in alter französischer Tradition 1 1 7 lobend hervorgehoben wird, so wird doch andererseits diesem Idealbild die Gefahr des ungeistigen Zwangsstaates entgegengehalten, der oft schon „wertvollste Keime seiner Geistigkeit (...) zerstört hat". 1 1 8 Die Kritik an diesen Idealisierungen ist einesteils berechtigt, da angesichts der damaligen politischen Instabilität ein mythisches Leitbild nicht mehr als reine Formel gesehen werden konnte und in der Tat zu gefährlichen Hoffnungen und Simplifizierungen führen mußte. Eigentlich die „politiktheoretische" Konsequenz aus der Aufgabe des Postulats der Irreduzierbarkeit von „Erleben" und „Sinn", von sozialem Vollzug und Objektivation, trifft die Einheitsfiktion Staat-Volk-Kultur mit dem zeitgenössichen Mythos der Kulturnation zusammen. D e r Staat verwirklicht den Sinn der Kultur am vollkommensten. Als Schicksalsraum der Kultur prägt er jedes einzelne System (Sprache, Mythos, Wirtschaft, etc.) nach seinem Bildungsgesetz. Gegenwart und Geschichte dieses Staates werden so zur „Dichtigkeit eines heiligen Sinnbildes" 1 1 9 überhöht. Mit diesem Mythos wird der Staat zu einem total vergeistigten Begriff: „Das Gefüge des Staates ist die echte Synthesis aller bisherigen Formen des Geistes". Diese Mythologisierungen aber wirken wiederum zurück auf die Kategorie des Volkes: Das Volk hat sich seinen eigenen Schicksalsraum geschaffen, der es nun mit „unantastbarer Objektivität" so allseitig umschließt, daß keine fremde Wirkung mehr eindringen kann. Das Volk muß sich zu dieser Begrenzung wie zu seinem eigenen Wesen bekennen. 1 2 0 Dies ist der Mythos einer klassisch-antiken geschlossenen Hochkultur, die es in der Geschichte wohl niemals in dieser F o r m gegeben hat, geschweige denn im neuzeitlichen Deutschland. In diesem Traumbild kann nur ein klassischer Heros die Führung übernehmen, wenn er auch in der modernen Rolle des Leutnants vor seiner Kompagnie auftritt. Ein „Prometheus", der mit einem genialen Wurf des schöpferischen Willens die nachfolgende Schar auf ein neues Ziel hin mitreißt, der aber im Zuge des „Schaffensprozesses" selbst von der Gewalt des „ Werkes" fortgerissen wird und dem objektiven Geschehen nun gehorchen muß, wird aber kaum jemals eine adäquate aund erhellende Analogie für eine moderne komplexe Staatsführung sein können, entspricht allerdings genauestens dem expressionistischen „genialen Constructor". D a das zugrunde gelegte Systemdenken nicht in einem strukturierten System der Staatsführung fortgesetzt wird, muß die Position des Führers zu einer Metaphysik erhoben werden: „...von der unfaßbarsten Unbestimmtheit für Verstandesbegriffe, aber von der unfehlbarsten Eindeutigkeit im metaphysischen Sinn" 1 2 1 . Die politisch sehr praktisch denkende Antike hatte diesen legendären Führer, Prometheus, konsequent zu ewigem Leiden verdammt! Die „Ubersetzung" der Freyerschen Kulturphilosophie in eine Staatsphilosophie scheint damit - was die Weiterentwicklung der sozialwissenschaftlichen Forschung betrifft - weithin mißglückt zu sein.
2. Grundzüge einer Herrschaftssoziologie
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2) Die Wendung zum „Politischen Realismus des Staates" U m Hans Freyers erster K o n z e p t i o n einer Staatsphilosophie heute etwas besser gerecht zu werden, m u ß man sich das allgemeine D i l e m m a der Staatslehre in der Weimarer Republik vergegenwärtigen. D i e altehrwürdige Disziplin der juristischen Staatslehre wurde durch die Krisensituation der Weimarer Republik und durch die Etablierung totalitärer, faschistischer oder kommunistischer, R e g i m e in den benachbarten Ländern zu heftigen wissenschaftlichen Kontroversen herausgefordert, an denen sich namhafte Gelehrte beteiligten. D i e Differenzen sind gelegentlich auf den „Gegensatz zwischen (scheinbar neutraler) positivistischer, juristischer Tradition und explizit politisierter, in die weltanschaulichen Kämpfe einbezogener, moderner Staatsauffassungen" 1 2 2 reduziert worden. D a m i t wird aber die komplexe D i s k u s sion sicher zu sehr vereinfacht. M i t dieser Polarität kann j e d o c h veranschaulicht werden, auf welchen überspitzten Gegenpositionen die K o n t r o v e r s e ausgetragen wurde und welch interessanten Lösungsweg Hans Freyer mit seiner K o n z e p t i o n des Staates als soziales und kulturelles System eigentlich eröffnet hat, wenn er auch zunächst noch in einer idealen Einheitsvision verblieb. M a n gewinnt hierfür mehr Verständnis, wenn man bedenkt, daß die Einheit des Staates angesichts der Schwierigkeiten der jungen Republik s o w o h l z u m W u n s c h traum aller vertretenen politischen Richtungen wie auch z u m zentralen wissenschaftlichen P r o b l e m geworden ist. Gerade hier bestimmte die politische Situation auch die wissenschaftliche Frage; und daraus ergibt sich die für Krisenzeiten in der Wissenschaft
typische
polemische Vereinfachung der theoretischen Denktraditionen, auf die man sich auf der Suche nach neuen wissenschaftlichen K o n z e p t e n bezieht. 1 2 3 Als „Vereinfachung" in diesem Sinne kann sowohl schon H a n s Kelsens „reine R e c h t s l e h r e " gelten, die sich auf einen juristischen Formalismus zurückzieht, u m letztlich eine totale A b l ö s u n g des logischen Systems der R e c h t s n o r m e n von allen gesellschaftlichen Bedingungen u n d tatsächlichen Institutionen zu fordern. 1 2 4 A b e r auch R u d o l f Smends „integrativer U n i versalismus" ist eine Radikalisierung und eigentlich ein R ü c k z u g aus einer vorher schon viel differenzierter geführten Diskussion u m Staat und Gesellschaft. Bei Smend werden die P r o b l e m e der M a c h t und Souveränität des Staates durch eine vereinfachte Anwendung von T h e o d o r Litts geisteswissenschaftlicher Erkenntnistheorie auf politische P r o b l e m e zu einem „von innen heraus verstehbaren, selbstzentrierten Integrationssystem" umgedeutet. 1 2 5
Im
Unterschied zu H a n s Freyers Dialektik zwischen Geist u n d Staat entwirft Smend j e d o c h ein geschlossenes funktionales System: „ H e r r s c h a f t " wird die allgemeinste F o r m funktionaler Integration, und demokratische Beteiligung der Beherrschten wird als ständige Integration von Einzelnen in die Gestalt des Staates verstanden. Smend lehnt den Begriff der Teleologie in bezug auf die Staatstheorie kategorisch ab, da sie immer eine transzendente Bindung an „wahre Z w e c k e " des Staates impliziere; die Z w e c k e dürften aber nur als völlig integriert in das geschichtliche, fließende G a n z e verstanden werden. 1 2 6 F r e y e r dagegen führt die Teleologie zumindest (im Begriff des „intelligiblen D e t e r m i n i s m u s " ) als Zielgerichtetheit ein, die Spannungen und Antagonismen nicht ausschließt. H i e r zeigt sich ein wesentlicher Unterschied dieser beiden in vieler Hinsicht so ähnlich erscheinenden Positionen. F r e y e r versuchte schon damals, die Idee des „geschlossenen Kreises" ( T h e o d o r Litt) durch ein dynamischeres Systemmodell zu überwinden, hatten sich doch die statischen Theorien in dieser Periode der politischen Wandlungsprozesse als äußerst unbefriedigend erwiesen. Sie konnten
schon
deshalb nicht als realistische Zukunftsperspektive gelten, weil sie sich hinter der schützenden Mauer einer theoretischen Verabsolutierung verschanzten.
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III
Soziologie der Herrschaft
A u c h die soziologische Staatsdiskussion blieb in R e d u k t i o n e n stecken: O t h m a r Spann machte einen R ü c k z u g zur ständischen Struktur mit hierarchischer Gliederung der Herrschaft v o n oben nach unten, die eine „Führung durch die B e s t e n " garantieren und damit eine statische autoritative staatliche O r d n u n g festsetzen sollte. 1 2 7 F r a n z O p p e n h e i m e r erstellte auf der Suche nach einer theoretischen Erfassung des modernen Staates eine großangelegte, historisch fundierte Typologie aller bisherigen Staatsformen, j e d o c h explizit in weltanschaulicher Absicht: E r wollte damit nachweisen, daß der Fortschritt der gesamten Menschheit zur baldigen Verwirklichung der „klassenlosen Gesellschaft" führen wird. 1 2 8 D i e Soziologie als Universalwissenschaft von der Geschichte der Menschheit sollte einerseits diesen elementaren E n t w i c k l u n g s p r o z e ß streng empirisch nachweisen, andererseits darüberhinaus aber - da es im H i n b l i c k auf das Endziel positive und negative E p o c h e n gibt - die große gesellschaftspolitische Aufgabe übernehmen, aus der kritischen E p o c h e des „Kapitalismus" den Weg zur neuen Eintracht der „klassenlosen Gesellschaft" zu weisen. 1 2 9 So erweist sich O p p e n h e i m e r geradezu als der orthodoxeste Verfechter einer C o m t e s c h e n Geschichtsphilosophie. 1 3 0 J a k o b von Uexküll, der eine quasi-naturwissenschaftliche Fundierung der Staatstheorie versuchte, endete in einer Spenglerschen Untergangsprophetie für die nahe Zukunft. Seine „Staatsbiologie" führte nur zu einer unannehmbaren Vereinfachung politischer Strukturen und Prozesse (die „Anatomie, Physiologie, P a t h o l o g i e " des Staates), in der der Staatsbegriff jede politische Bedeutung verlor. E r reduzierte das eigentliche Staatsideal auf die höchstmögliche Stufe der Lebensführung jeder einzelnen Familie, und der Staat ist für ihn insgesamt nicht Ausdruck v o n politischer Zielsetzung, sondern „in Wirklichkeit der Ausdruck von Naturnotwendigkeiten (...), denen die Menschen sich anpassen müssen (..). Naturforderungen lassen bekanntlich keinen K o m p r o m i ß z u " . Wenn es einen Volkswillen gibt, der sich dennoch gegen diese Naturforderungen äußert, kann es nur „Volksblindheit" sein. D a die gegenwärtigen europäischen Staaten sich dieser „Volksblindheit" ergeben hätten, seien sie nun alle von den Krankheiten der Neuzeit, dem „Verwachsen und der Auflösung der Staatsgewebe" rettungslos heimgesucht. D a h e r sei der Untergang der europäischen Staaten nur eine Frage der Zeit. 1 3 1 D a s hier nur skizzierte theoretische U m f e l d , oder, besser gesagt, die wissenschaftlichen „Barrieren", mit denen sich die Leipziger Diskussion u m die Staatstheorie auseinanderzusetzen hatte, zeigt deutlich, daß es offensichtlich allgemein große Schwierigkeiten bereitete, im P r o z e ß des politischen Wandels zu einem die Umstrukturierungen differenzierter erfassenden K o n z e p t zu gelangen. 1 3 2 In Leipzig wurde seit Beginn der zwanziger Jahre, vor allem durch T h e o d o r Litt und H e r m a n n Heller, eine N e u k o n z e p t i o n der Staatslehre als umfassende Kultur- und Soziallehre betrieben, die in vieler Hinsicht als U b e r w i n d u n g solcher theoretischer Sackgassen gelten kann. H a n s F r e y e r w a r nach seiner R ü c k k e h r an die Universität Leipzig im J a h r 1925 maßgeblich an dieser Diskussion beteiligt. M i t seiner theoretischen Grundlegung der „Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft" gab er sogar den entscheidenden Impuls zu H e r m a n n Hellers U b e r w i n d u n g der geisteswissenschaftlichen Tradition in einer realistischen Staatslehre. Heller steht zunächst vor dem schier unlösbaren Dilemma, eine präzise, aber steril gewordene juristische Staatslehre mit einem kultursoziologischen Gehalt füllen zu müssen, den er j e d o c h nur einer etwas verwaschenen, wenn nicht mythisch verbrämten, Geistlehre entnehmen konnte. D e r Ausgangspunkt für viele Leipziger war damals noch, der Tradition von Wilhelm Wundts „Völkerpsychologie" folgend, T h e o d o r Litts grundlegende
sozialphilosophische
Abhandlung
über
„Individuum
und
Gemeinschaft"
(1919). Litt erkennt sehr w o h l die Unterschiede und Spannungen in den Strukturen und Gesetzmäßigkeiten, die zwischen Volk, Volksvertretung und ausführender Gewalt bestehen
2. Grundzüge
einer Herrschaftssoziologie
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und die in den objektiven äußeren Bedingungen des Staates liegen, und er stellt deutlich den Abstand zwischen den Handlungen der Staaten und den Wünschen der breiten Massen fest; er spricht auch von der schmerzlichen Erfahrung, daß die „harte Wirklichkeit des Staates die Wertgebilde des strebenden Geistes nicht in sich aufnimmt". Dennoch bleibt er ganz einem „geisteswissenschaftlichen" Systembegriff des Staates verpflichtet, der den Staat als „Sinngebilde", als „Wesens- und Schicksalsgemeinschaft" und in seiner Einheit von Staat, Volk und Kultur sogar als „höchste Stufe des Geistes" ganz wie Freyer in „Der Staat", versteht.133 Trotzdem hat Heller von Litts ehrlichem Bemühen, subjektive Stimmungen mit dem objektiven Zug der Gesamtentwicklung, und das staatliche Zwecksystem mit den vielfältigen Lebensbeziehungen systematisch zu verbinden, entscheidende wissenschaftliche Anregung erfahren.134 Wie Litt und Freyer hatte auch Heller zunächst eine idealistische Wesenseinheit der Nation als Natur-und Kulturgemeinschaft zur Grundlage seines „nationalen Sozialismus" gemacht: „Ein Volk ist (...) nur in dem Grade Nation, als die Volksgemeinschaft als Kulturgemeinschaft Wirklichkeit ist". Der „ideale ,Kulturstaat' als Mittel zur Verwirklichung des sittlichen Vernunftreiches" - und hier beruft er sich, wie Freyer, auf Fichte - führt bei Heller zur gleichen Einheitsfiktion Staat-Volk-Kultur und zur Vergeistigung des Staates wie bei Freyer, obgleich dessen „Staat" von ihm nicht genannt wird.135 Die entscheidende Umorientierung gelang Heller erst, als er 1930, jetzt als Referent am Berliner Kaiser-Wilhelm-Institut für öffentliches Recht und Völkerrecht, Freyers „Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft" kennenlernte. Mit Freyers wirklichkeitswissenschaftlicher Konzeption kam Heller zur lange angestrebten wissenschaftstheoretischen und methodologischen Neubestimmung der Staatslehre, mit der er sich sowohl von Kelsens positivistisch oder „naturwissenschaftlich" orientierter „reiner Rechtslehre" wie auch von Rudolf Smends „geisteswissenschaftlichem" Ansatz absetzen konnte.136 Bezüglich des Verhältnisses von „Tat" und „Theorie" und in der Auffassung des Staates als Einheit von Politik, Volk und Kultur ergeben sich nun einige wesentliche Veränderungen. Vor allem wird bei Heller eine deutliche Trennung von Tat und Theorie vorgenommen, die Freyer bis dahin höchstens angebahnt, aber nicht vollzogen hat. Die unterschiedliche Auffassung beider bezüglich dieses Problems (die sich zwar immer wieder verwischen, vor allem wenn rein soziologische und politikwissenschaftliche Problemgebiete behandelt werden) zeigt sich am deutlichsten in Hellers Verfassungslehre. Die Konzeption des „sozialen Rechtsstaates" wird durchwegs bestimmt von der reziproken Beziehung zwischen rechtlich normierter Verfassung einerseits, sozialem Handeln und kollektiven Wertungen andererseits, deren dialektischer Gegensatz gerade nicht aufgelöst werden darf, wenn es (auf einer übergeordneten Ebene) zu einer „politischen Gesamtverfassung" kommen soll. Schon aus einem sozialistischen Interesse an der gesellschaftsgestaltenden Funktion des Rechts heraus stellt Heller die „normalisierende Kraft des Normativen" gleichrangig neben die „normative Kraft des Normalen", stellt Verfassungen und gesellschaftliches Sein, Norm und Entscheidung, gleichgewichtig gegenüber137; für ihn soll gerade der Rückgriff auf den Entscheidungsbegriff das Zusammenwirken von juristischer Form und politischer Wirklichkeit wieder erhellen.138 Freyers Soziologie zieht - weil sie Selbstreflexion einer gesellschaftlichen Wirklichkeit und damit „Theorie" einer aktuellen Existenz ist - ein abstraktes, außerhalb der Gesellschaftsdynamik stehendes normatives Gesetzesgefüge ebenfalls nicht in Betracht, keineswegs aufgrund einer empirisch-wissenschaftlichen Beschränkung auf die konkreten Strukturen und Aufgaben der Gegenwart; die Soziologie sollte darüber hinaus Ausdruck des Wertgehalts der Wirklichkeit, d. h. der ihr immanenten Zielgerichtetheit oder Intentionalität, sein und war
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III
Soziologie der Herrschaft
damit „politische Wissenschaft" in neuartiger Weise. Wenn Freyer vom „Willen", von der freien menschlichen Praxis als dem „Hiatus zwischen Gegenwart und Zukunft" spricht und die Annahme einer naturwissenschaftlich-kausalen Entwicklung ablehnt, so ist damit zwar auch die Trennung von Theorie und Handeln impliziert. Freyer glaubt jedoch noch, daß diese Trennung im politischen Handeln überwunden werden könne. Wissenschaftliche Erkenntnis der Gegenwart und ihrer Entwicklungstendenzen muß alleine deshalb immer vorgreifend sein; der empirische Beweis ihrer Richtigkeit könne immer nur nachträglich, nach Abfolge des Gesamtgeschehens, geführt werden. Die wissenschaftlichen Begriffe müssen so nach Freyer immer offen sein; denn die politisch Handelnden bringen das Wesentliche eines Zeitalters hervor, während die Theorie als Reflexion dieser politischen Gegenwart Erkenntnis nur im nachhinein sein kann. Das Gegensätzlichkeit von Theorie und Praxis ist hier eindeutig zugunsten der Praxis verschoben: Alleine die Handelnden gestalten die Zeit, wenngleich auch sie auf theoretische Reflexion angewiesen sind, wenn sie die Möglichkeiten für neue Entscheidungen ausloten wollen. Die Soziologie hat sowohl die gegenwärtigen Strukturen als auch ihre in die Gegenwart reichende historische Genese zu erforschen. Sie sucht dabei zwar nach objektiven Gesetzen; vor allem aber ist sie immer empirische Selbstanalyse, unmittelbare Selbstauslegung einer dynamischen Gesellschaft. In einer sich revolutionär verstehenden Zeit ist die Entscheidung, wie das Werden der neuen Gesellschaftsordnung zu denken ist,139 nicht mehr einer statischen Ordnung, nicht einem für allgemeingültig gehaltenen Normensystem zu entnehmen. Die Antagonismen und Herrschaftsspannungen des sich verändernden politisch-sozialen Kräftefeldes dürfen nicht mit einer abstrakten, „wissenschaftlich" formulierten Heilslehre verschleiert werden, sondern sind unmittelbar als treibende gesellschaftsimmanente Kraft in die Theorie mit aufzunehmen. Eine aus der Aufklärung herübergerettete Hoffnung bleibt für Freyer nach wie vor bestehen: Wenn es einmal empirisch-wissenschaftlich gelänge, die geschichtlich gültige Veränderung herauszufinden und in die Zukunft zu projizieren, wäre die gesellschaftsimmanente, dynamische Gesetzlichkeit gefunden und damit Ethik und wissenschaftliche Erkenntnis vereint. In der Theorie wiederhole sich so die Struktur von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, aber wiederhole sich damit auch der Umsprung von der historischen in die praktische Haltung. Wenn Theorie auch nach rückwärts geschichtliche (d. h. theoretische) Erkenntnis sei, würde sie doch nach vorwärts zum (praktischen) Wissen um die notwendigen Veränderungen 140 und damit zu einer praktischen Ethik. „Wirklichkeitswissenschaft als Ethoswissenschaft" wurde zum Kampfbegriff gegen eine in formalen Begriffssystemen erstarrte Sozialwissenschaft; sie ist die adäquate Theoriestruktur für eine Gesellschaft, die sich nach weitgehender Zerstörung der Tradition im Aufbruch zu neuen Lebensformen versteht. In diesem Sinn hat Hans Freyer die Soziologie immer auch als „politische Theorie" verstanden, die sich bewußt auf die gegenwärtigen gesellschaftlichen Willensrichtungen und Forderungen ausrichtet; nur dem (kollektiven) Handeln, nicht der Theorie wird Eigendynamik zugesprochen. Die berüchtigte letzte These in Freyers „Wirklichkeitswissenschaft" ist also auch dahingehend zu lesen: „Wahres Wollen (des Handelnden in Richtung der gegenwärtig anstehenden Veränderungen) fundiert wahre Erkenntnis (auf der Ebene der Wissenschaft)". 141 Freyer will einer „Metaphysik des kollektiven Willens" entgegenarbeiten, trotzdem andererseits auch nicht einer dezisionistischen „Mystik des Willens" verfallen, die darin bestünde, daß der Wille, gerade weil er nur auf die Forderung der konkreten Situation beschränkt ist, sich deshalb auch richtig entscheide, wenngleich er nicht wisse, warum es so richtig sei. Dieses Problem wird eigentlich erst 1933 in „Herrschaft und Planung" inhaltlich angegangen durch
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einer Herrschaftssoziologie
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die als kontinuierliche Systemeinheit zu verstehende „Form" eines Volkes, die den Zusammenhang der Willensentscheidungen verbürgt;142 prinzipiell aber hat er das lebensphilosophische Postulat des Dezisionismus schon in der „Wirklichkeitswissenschaft" zu umgehen versucht: Der Willensgedanke - zunächst empirische, wirkende Kraft in der Realität - soll immer als Teiltendenz eines gesamten Kräftefeldes gelten, d. h. Teil sein eines politisch-kulturellen kollektiven Bewußtseins und seiner Zielvorstellungen als einer „Theorie", die die Gesellschaft von sich hat; als solches geht er dann auch als „heuristische Arbeitshypothese" in die soziologische Theorie als Selbstanalyse dieser Gesellschaft ein. 143 Dies war Freyers Lösungsvorschlag zum damals anstehenden Problem des Verhältnisses von „Sinnadäquanz" und „Kausaladäquanz", mit dem er Max Webers Tendenz, das Sinnverstehen entweder auf das Zweckrationale oder aber auf den bloßen Subjektivismus zu reduzieren, vermeiden wollte. Konnte seine Systemkonstruktion um 1930 noch, schon durch die rein abstrakt-systematische Darstellung, einer Metaphysik des „wahren Wollens" verdächtigt werden,144 so wird in der konkreteren politikwissenschaftlichen Formulierung danach der Verdacht des Dezisionismus doch weitgehend entkräftet. Wie kann aber eine Gesellschaftslehre, die nach Freyer historisch erst dann entstehen konnte, als „Staat" und „Gesellschaft" sich als konträre Bildungsprinzipien des menschlichen Zusammenlebens verselbständigten, die Staatslehre einbeziehen oder gar begründen? Freyer hat sich engagiert an der zeitgenössischen akademischen Diskussion um die Berechtigung der Soziologie als eigenständiger Wissenschaft beteiligt und diese mit einer historischen Analyse des Verhältnisses der Soziologie zur Staatslehre zu begründen versucht. Mit der Epoche der bürgerlichen Revolutionen, mit der Entstehung der hochkapitalistischen Klassengesellschaft sieht er das Objekt der Soziologie überhaupt erst entstehen: die „Gesellschaft" und das erstmals mit diesem Begriff entstehende Problem, d. h. die Beziehung von Staat und Gesellschaft als den beiden auseinanderklaffenden, eigengesetzlich gewordenen sozialen Prinzipien. Damit ist bereits vom Gegenstand her die traditionelle Staatslehre von der Gesellschaftslehre abgekoppelt. Und in Nachfolge zu Lorenz von Stein formuliert er als die aktuelle, ihre Entstehung als Wissenschaft rechtfertigende Aufgabe der Soziologie, die Bedingungen eines neuen positiven Zusammenhangs zwischen beiden so zu erforschen, daß „die gesellschaftlichen Mächte wieder politisch gestaltet, d. h. in die höhere Gesamtform ,Staat' einbezogen werden können". 145 Der Staat soll durch die Soziologie wieder zur Synthese mit der Gesellschaft finden. Hat Freyer bis 1925 (in „Der Staat") die Synthese noch als kulturelle Wesenseinheit von Staat und Gesellschaft verstanden, so geht es ihm jetzt um eine ständig durch gesellschaftliche „Praxis" sich wandelnde Geschehens- und Handlungswirklichkeit, nicht mehr um eine aus metaphysischen Wesensgesetzen oder aus gegenwartstranszendenten Normen begründete „höhere" Wirklichkeit 146 ; Freyers Prinzip der Aktualisierung oder Existenzialisierung eröffnet also eine kollektive und politische Dimension. Es ist diese Idee der praktischen Konstruktion von Wirklichkeit, die Hermann Heller aufnimmt, um den Antagonismus Staat-Gesellschaft als das zentrale Problem der Moderne anzugehen. Damit die Existenz des Staates durch diese Gegensätzlichkeit nicht gefährdet wird, ist für ihn ein soziales „Wir-Bewußtsein" notwendig, eine volonté générale, die zustande kommt durch freie Interessenartikulation und gleichmäßige Interessenwertung. Eine durch Praxis ständig hervorgebrachte „im Volk lebendige" Rechtsanschauung ist es, die die Staatsakte determinieren soll. 147 Die Rechtsordnung muß „Imperativ einer Gemeinschaftsautorität" (so Hellers realistischere Formulierung von Freyers „wahrem Wollen", die beide jedoch das gleiche meinen) sein148, um zu einer Integration des Antagonismus Staat-Gesellschaft in einem
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Soziologie der Herrschaft
materialen Rechtsstaat zu führen; und nur durch eine derartige Einbeziehung der gesellschaftlichen Praxis hat der Staat Bestand. Auch Heller sieht nur die Möglichkeit, diese Integration mit Hilfe der Soziologie zu vollbringen, da diese allein die empirisch-faktischen Konstellationen dieser Gemeinschaftsautorität formulieren kann. Wie bei Hans Freyer ist die Soziologie damit zugleich konkrete kollektive Ethik; denn indem sie aus dem analysierten Wirklichkeitszusammenhang den „Sinn" eruiert, formuliert sie auch den „kollektiven Imperativ", d. h. die Intentionen der Gemeinschaft. Erst die Soziologie kann den Zusammenhang von Ereignis, Sinn u n d Geltung sichtbar machen und ist damit der allzu leicht dogmatisch verfahrenden Rechtswissenschaft überlegen - dieser bleibt hingegen die Konstruktion des inneren Zusammenhangs der Rechtsnormen überlassen. 149 O b diese Aufgabe der Kontrolle der immanenten Schlüssigkeit genügt, die Reziprozität von normativer Rechtslehre u n d gesellschaftlichem Geschehen aufrechtzuerhalten, muß heute infragegestellt werden. Mehrmals wird in neueren Bearbeitungen von Hellers Staats- und Verfassungslehre betont, daß seine Theorie prinzipiell auch zur Rechtfertigung der Aufhebung einer demokratischen Verfassung durch ein (undemokratisches) gesellschaftliches Umfeld führen könne. 150 Nach Heller jedoch ist es die Soziologie als „Wirklichkeitswissenschaft", die dieser Gefahr begegnen kann, denn sie fordert gerade durch die Kenntnis der tatsächlichen Gegebenheiten, die selten mit den rechtlichen N o r m e n übereinstimmen, den gestaltenden Willen der Gemeinschaft immer wieder von neuem heraus und ist damit Selbstreflexion einer Gesellschaft im U m b r u c h im Freyerschen Sinn. Die Theorie findet f ü r Heller in der ethisch bestimmten Selbstreflexion aber auch ihre Grenze; auch f ü r ihn hat der Prozeß des Handelns seine eigene Dynamik, die weder durch theoretische Formulierungen noch durch ethische Maximen vorweggenommen werden kann. Die „Gestalt" des Staates ist nur als ein strukturierter Wirkungszusammenhang anzusehen, der durch das Handeln vieler entsteht u n d nicht erst durch Theorie erzeugt wird. Hiermit kritisiert Hermann Heller vor allem Max Weber, der den Staat eben nicht als objektiv gegebenen Zusammenhang auffasse, sondern lediglich als eine idealtypische, d. h. subjektivgedankliche Konstruktion, die angeblich willkürlich gesetzt werden könne. Diese Kritik ist in doppelter Hinsicht beachtenswert: zum einen übernimmt Heller damit Freyers Kritik an Max Weber, der ebenfalls die ahistorische „rein gedankliche Konstruktion" des Idealtypus bei Weber infragestellte und auf die versteckte Historizität der Idealtypen hinwies; z u m anderen zeigt sich, daß die Auffassung der Weberschen Begriffsbildung als generalisierende und ahistorische nicht erst eine Folge der amerikanischen Weber-Rezeption ist, sondern bereits in Deutschland von der unmittelbar auf Weber folgenden Wissenschaftsgeneration, die ja noch ein sehr zeitnahes Verständnis f ü r Webers wissenschaftliche Bemühungen hatte, als solche wahrgenommen wurde. Wenn heute Webers Bemühen, jegliche Geltung von N o r m e n „aus der empirischen Faktizität und von ihr her, ohne zu irgendwelchen formal-logischen Konstruktionen greifen zu müssen", in den Vordergrund gestellt wird, Max Weber damit in eine Linie gestellt wird mit sowohl Carl Schmitt, Politische Theologie (1922) und Hermann Heller, Die Krisis der Staatslehre (1926), müßte dabei die Rezeption Webers durch Heller und auch Freyer als „Beinahe-Zeitgenossen" berücksichtigt werden. 151 Der Intention der Weberschen idealtypischen Methode haben sich Heller wie Freyer voll angeschlossen - beide machen das Weber-Zitat aus dem „Objektivitätsaufsatz" zu ihrer These: „Wenn wir fragen, was in der empirischen Wirklichkeit dem Gedanken ,Staat' entspricht, so finden wir eine Unendlichkeit diffuser und diskreter menschlicher Beziehungen, teils einmaligen, teils regelmäßig wiederkehrenden Charakters, zusammengehalten durch eine Idee, den Glauben an tatsächlich
2. Grundluge einer Herrschaftssoziologie
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geltende oder gelten sollende N o r m e n und Herrschaftsverhältnisse von Menschen über Menschen". 1 5 2 Die Begriffsbildung Webers (ζ. B. seine Kategorien der Herrschaft) wurde jedoch zum Nachweis dieser These von beiden als inadäquat betrachtet. Für sie ist der Staat ebenso in erster Linie eine durch Wir-Bewußtsein geeinte Willensgemeinschaft von lebendigen Menschen, die - wenn die handelnden Menschen eine gemeinsame historische Perspektive ausbilden - zur dauerhaften „Wertgemeinschaft" werden kann. 1 5 3 Diese Fähigkeit, ein bindendes Gesamtbewußtsein zu erwecken, macht auch bei Hans Freyer jetzt die Einheit des Staates aus - nur so können die Individuen als moralische Subjekte zu einem politischen Subjekt vereint werden. Für Freyer wie für Heller ist die historisch-politische Kategorie der „Wertgemeinschaft" mehr als die Summierung zahlloser individueller Akte und Ziele; die von beiden vorher postulierte metaphysische Einheit von Staat und Kultur wird jetzt im soziologischen Begriff der Wertgemeinschaft realistischer erfaßt. Politische Forderungen sind deshalb für Freyer - im Gegensatz zu individuellen moralischen Geboten - immer geschichtlich konkret und systembezogen; sie können gar nicht „moralisch" im Sinne einer individuell ehrbaren Gesinnung sein, sondern das „Moralische" an ihnen zeigt sich nur insoweit, als sie die konstruktive Entwicklung der Gemeinschaft nicht behindern. Es sind rein sachliche und systemische Forderungen, die das Individuum dann in persönliche Verantwortung umsetzen kann, indem es das größere politische Subjekt aktiv mitkonstituiert. Weil der einzelne von der Kulturgemeinschaft getragen wird, ist er auch seinerseits verantwortlich für die Verwirklichung der gemeinsamen Wertgehalte. 1 5 4 Diese langfristig-integrative Perspektive der Kulturoder Wertgemeinschaft tritt allerdings in der „Wirklichkeitswissenschaft" durch die existenzialistische Hervorhebung der Gegenwart als Entscheidungspunkt in den Hintergrund. Aber auch Hermann Hellers Idee einer „volonté générale", die er mit dem sich selbst bestimmenden Volk ja meint, wird heute noch „existenzialistisch" interpretiert, als symptomatisch für gesellschaftliche Entwicklungsphasen, in denen der Gesamtheit zumutbare Wertvorstellungen noch nicht existieren. Alleine deshalb soll Heller dafür plädiert haben, die Ansprüche an die Verfassung zu reduzieren, denn mit juristischen Dekreten eine Wertgemeinschaft schaffen zu wollen, wäre autoritativer Oktroy. Darüber hinaus wird heute bei Heller die Relativität der legalen Ordnung in den Vordergrund gestellt in dem Sinn, daß gesellschaftliche Entscheidungsprozesse durch Antagonismen bestimmt sind, deren Austragung nur durch die real gleichen Chancen für alle Staatsbürger (zu erlangen durch politische Willensbildung) zu einem für alle erträglichen Resultat führen kann. D e r kollektive und zur N o r m gewordene Sinnzusammenhang der „Wertgemeinschaft" gerät damit aber in Vergessenheit und ist doch wieder reduziert auf die bloße Anhäufung von individuellen Entscheidungen. 1 5 5 Mit diesem Gedankengang ist der Punkt erreicht, da sich die fichteanisch formulierte Ethik der „Pflicht zur Tat" und des „Rechts zur Tat" nun auch gegen den Staat richten kann. Freyer wie Heller sehen die Möglichkeit des Scheiterns der politischen Integration und damit der Unvermeidbarkeit des sittlichen Konflikts. Hermann Heller leitet daraus ein Widerstandsrecht der sittlichen Persönlichkeit ab, das aber dem Staat stets immanent bleiben müsse. Wenn ein legalisiertes Widerstandsrecht besteht, das auf die der legalen Ordnung zugrundeliegenden sittlichen Werte bezogen bleibt, ist Widerstand erlaubt und geboten; er bedeutet dann nicht eine Verneinung und Selbstaufgabe des Staates, sondern gerade „die Öffnung des Staates in die Gesellschaft gegen seine eigenen Organe, der letzte Appell an die Grundlage der tragenden Kräfte um seiner Selbsterhaltung willen". 1 5 6 Über die ethische Richtigkeit der staatlichen Entscheidung bestimmt nach Heller letzten Endes nur das Gewissen des einzelnen, nur dieses ist empirische Tatsache. 1 5 7 Hans Freyer dagegen spricht der individuellen Auflehnung keine
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Soziologie der
Herrschaft
große Wirkung zu, und sie kann für ihn nicht die letzte Instanz sein. Wenn individuelle und kollektive Ethik auseinandergehen, dann ist immer der Staat verantwortlich zu machen; denn er hat die Integrationsleistung zu vollbringen. Dem einzelnen bleibt in dieser Konfliktsituation zwar die Verpflichtung, den Staat zu regenerieren. Diese Regeneration versteht Freyer jedoch eher als ein Festhalten an der säkularen Idee des Staates auch in Zeiten des Verfalls und als Glauben an seine geschichtliche Wandlungsfähigkeit, denn als eine individuelle Leistung, die neu schaffen könnte, was in Wirklichkeit schon verloren ist. Ein Widerstand ist nach Freyer nicht durch das Individuum möglich, sondern nur durch den gemeinsamen Willen vieler, letztlich durch die volonté générale des sich als Einheit verstehenden „politischen Volkes". In der politischen Hoffnung stimmen Freyer und Heller zwar weitgehend überein: Wenn der Staat nicht fähig ist, den Gesamtwillen zu binden und sich aus ihm aufzubauen, dann wird das Volk sich gegen ihn wenden. D a diese Kräfte aus dem Gesamtbewußtsein des Volkes aufsteigen, hat es das Recht und auch die Macht auf seiner Seite; und keine Gewalt wird es daran hindern können, sich gegen den Staat aufzulehnen. 158 Freyer setzt hier (und das übernimmt Heller) die Integration von individuellem Willen und Gesamtwillen, von Volk und Kultur, als „ N o r m von unerbittlicher Strenge", die dem Staat als ständige Aufgabe gesetzt ist, und es ergibt sich daraus für ihn wie selbstverständlich auch die ständige Gefahr der die Gemeinschaft sprengenden Antagonismen, des Versagens des Staates und des Umbruchs. Hermann Heller dagegen hat in seiner integrationistischen Ausformung der Staatstheorie dem Widerstand eigentlich seinen Stachel genommen und dadurch die Einheitsfiktion Staat-VolkKultur, die Freyer bereits überwunden hat, doch wieder betont, auch wenn er den Pluralismus der gesellschaftlichen Interessen nicht in einer allumfassenden Staatsidee aufgehen lassen wollte. Einer eventuell zur Selbstzerstörung der dialektischen Einheit von „Spontaneität und O r d n u n g " führenden Eigendynamik sollte ja der immanente Widerstand entgegenwirken. Es sind, wie Helmut Klages darstellt, zwei Versionen des Freyerschen „ethoswissenschaftlichen" Theoriemodells, das die „Substanz des Seins in menschlich-gesellschaftliches Wollen" legt. 159 Für Heller muß die letztlich doch bedrohliche pluralistische Machtoffenheit durch die Tätigkeit eines rationalen Staates gebändigt werden; Freyer macht dagegen gerade hier deutlich, daß er mit der Ethoswissenschaft das statisch-integrationistische Modell des Staates aufgegeben hat. Die Zukunft wird durch die Entscheidung des „politischen Volkes" zwischen verschiedenen Willensrichtungen bestimmt, sie mag auf Erhaltung des Staates oder revolutionär gegen den Staat gerichtet sein. Diese Unterschiede erklären sich zum Teil schon aus dem unterschiedlichen historischen Standort: Hans Freyer konnte das Widerstandsrecht des politischen Volkes kurz nach der Machtergreifung des Nationalsozialismus noch in der optimistischen Hoffnung formulieren, daß Deutschland seinen eigentlichen Weg der politischen Erneuerung und des Umbruchs doch noch einschlagen könne - daß er diese Hoffnung bald begraben mußte, das zeigen seine Schriften aus der Zeit nach 1935. Hermann Heller dagegen blieb diese Enttäuschung durch seinen frühen Tod erspart; er konnte seine Hoffnung - noch vor der Machtergreifung formuliert - noch guten Glaubens auf einen konstruktiven, systemimmanenten Widerstand setzen. Eine zweite Begründung ergibt sich aus Freyers Schwankungen in der Interpretation der „Wertgemeinschaft". Auch wenn er nach wie vor in das „politische Volk" die Hoffnung auf Aufrechterhaltung einer übergeordneten Staatsidee im Widerspruch zur real existierenden Perversion des Staates legt, ist er doch von einer Einbettung dieses Volkes als politischer Akteur in das Gesamtsystem, die er noch 1930 (in der „Wirklichkeitswissenschaft") vertreten
2. Grundzüge einer Herrschaftssoziologie
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hatte, a b g e k o m m e n . E r hat mit dem Begriff des „politischen Volkes" nach 1931 im G r u n d e ein fundamentaldemokratisches Modell der antiken Polis verbunden, und der Rousseausche Gedanke stand Pate, daß die „volonté générale" nur durch einen spontanen Massenentschluß, der nicht von organisatorischen Zusammenschlüssen und Gruppeninteressen verfälscht wäre, sozusagen von selbst als „Substanz des Volkes" erscheinen und damit das
Volkswohl
herbeiführen würde. A u c h die H o f f n u n g auf einen konstruktiven Ausgleich von M e n s c h und Institution, von Gesellschaft und Staat, hat offensichtlich angesichts der
zunehmenden
politischen Misere der Weimarer Republik nach 1930 abrupt abgenommen; die „konkrete E t h i k " , die F r e y e r aus Fichtes Sittenlehre für das gegenwärtige Verhältnis von E t h i k und Politik zu formulieren versuchte, ist vorwiegend in der spontanen A k t i o n des „politischen Volkes" begründet.
3) Für eine tiefere Begründung
der
Herrschaft
D i e politische Wendung in Freyers W e r k in den Jahren der politischen Krise in Deutschland von 1 9 3 1 - 1 9 3 5 wird also in zwei zentralen Gedankengängen vollzogen: in einer theoretischen N e u k o n z e p t i o n des Idealismus und, mit dieser eng verbunden, im Begriff der Herrschaft und des politischen Volkes. Beide Ideen haben dazu beigetragen, F r e y e r als den „ R o m a n t i k e r des 2 0 . J a h r h u n d e r t s " oder den „ewig J u g e n d b e w e g t e n " einzuordnen und ihn als Protagonisten des deutschen Traumes u n d Irrweges der Nationwerdung zu lesen. D a ß er die kollektiven H o f f n u n g e n dieser Jahre mitgetragen hat, ist unbestritten; man sollte sogar Freyers Arbeiten bewußt im H i n b l i c k auf die politische Selbstdefinition und die Zielvorstellungen dieser J a h r e lesen und analysieren. Festzustellen wäre dabei dann aber auch, wogegen seine Schriften gerichtet waren, d. h. welche theoretische A n n a h m e n und inhaltliche Ausformungen überwunden werden sollten. Seine N e u k o n z e p t i o n idealistischer Ansätze versteht er jetzt explizit als „ P r o l e g o m e n a " zu einer positiven Philosophie des Politischen. Alleine sein Bekenntnis z u m Idealismus ist eine öffentliche Herausforderung, die er selbst auch zu rechtfertigen für nötig hält. 1 6 0 D a ß er das P r o b l e m des Politischen in einer Neuformulierung des Idealismus philosophisch verankern möchte und nicht einen viel opportuneren Weg - z. B . eine biologisch-anthropologische oder auch eine lebensphilsophisch-aktivistische Fundierung - versucht, ist zweifellos eine ganz bewußte Absage an die ideologischen Verzerrungen seiner Zeit. Gegen die Entpolitisierung des Idealismus hat er sich auch an anderer Stelle deutlich ausgesprochen und die politische Einsicht des Idealismus hervorgehoben, „daß der Staat eine sittliche G r ö ß e , daß er aber zugleich wesentlich M a c h t sei, daß aber die M a c h t einen geistigen Gehalt und die Staatsräson eine moralische Würde h a b e " . 1 6 1 Angesichts des zunehmenden politischen Verfalls geht es ihm aber nun noch u m eine andere „ B o t s c h a f t " : Seine Ablehnung des idealistischen Glaubens an die „universelle I m m a n e n z der Inhalte und an die Möglichkeit ihrer deduktiven E n t w i c k lung", des damit verknüpften Vernunftoptimismus und der Logisierung der Wirklichkeit ist nicht zuletzt eine Absage an alle zeitgenössischen chauvinistischen Verstiegenheiten, daß das „deutsche W e s e n " nun endlich „zu sich selbst" k o m m e n werde. S o w o h l der Hegeische Dualismus zwischen dem substantiellen Gehalt und dem verwirklichenden Interesse der Individuen, als auch die neukantische Geschichtsphilosophie, die den M e n s c h e n für fähig hält zur Trägerschaft und Verwirklichung (wenn auch nur partiell) eines K o s m o s von ewigen Werten, und schließlich auch der romantische Begriff des Volkes als Realisierung einer bestimmten Stufe des Weltgeistes, leugnen nach Freyer die politische Wirklichkeit und die
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Soziologie der Herrschaft
konkrete menschliche Verantwortung. 162 Freyer, der früher doch selbst ganz in Hegelscher Tradition eine „Philosophie des Staates" als Einheitsvision von Staat, Volk, und Kultur konzipiert hatte, sieht ihn jetzt „in seinem Zusammenbruch als Geschehen, als Tat, als geschichtliche Entscheidung". In dieser Deutung Fichtes erkennt er seine eigene Situation und vollzieht nun, ebenfalls in einer Zeit des politischen Verfalls, die Fichtesche Wendung vom ethischen zum politischen Idealismus.163 Freyers Rückgriff auf den Idealismus ist also keineswegs nur als Zeitkritik zu deuten, sondern hat auch positive theoretische Aspekte. Die idealistische Philosophie, ob in kantischer oder hegelischer Tradition, war die einzige verfügbare „Systemtheorie" seiner Zeit. Keine der „moderneren" philosophischen Richtungen, weder die Phänomenologie noch der Existenzialismus (zu denen er, wie bereits aufgezeigt, in seiner Wendung zum Konkreten in der Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft teilweise tendierte) boten ihm eine bessere Möglichkeit, Struktur und Genese, Diachronie und Synchronie, aufeinander zu beziehen. So blieb ihm kaum eine andere Möglichkeit, als aus den Defiziten und aus dem Gegensatz zum überlieferten Idealismus die Prinzipien eines konkreteren oder „realistischen" Idealismus zu entwickeln. Damit konnte er immerhin seine frühere Staatsmetaphysik überwinden und kommt nun auch zu einer realistischeren Mehrebenenanalyse des Politischen. Im „Staat" als Kultursystem war die Legitimität der Herrschaft durch die Einheitsfiktion Staat-Volk-Kultur grundsätzlich nicht in Frage gestellt; nun jedoch, im Erleben einer „real existierenden" politischen Herrschaft, deren Grundlegung in der bloßen Usurpation von Macht immer offensichtlicher wurde, wird für ihn die Legitimität der Herrschaft zum zentralen wissenschaftlichen Problem. Die theoretischen Modelle (als normative Modelle, nicht als empirische Tatsachenfeststellungen) des „politischen" oder „geschichtlichen Volkes" und des „Reiches" sind damit eng verbunden, insofern er auch hier nicht auf einen romantischen Wesensbegriff zurückgreift, sondern sie als vieldimensionale Sozialgebilde (vom Wirtschaftlichen über das Politische zum Kulturellen) begreift, die stets im Werden sind und deren endgültige Gestalt nie festliegt. Einige Monate nach der „Machtergreifung" postuliert Freyer, mit gewohnter dialektischer Eleganz, daß gerade Revolutionen die Tatsache der Herrschaft prinzipiell bestätigen, ja daß sie nur endgültig gewonnen sind, wenn tatsächlich ein funktionierendes Herrschaftsgebilde aus ihnen errichtet wird. 164 Freyers Aufbaugesetzlichkeiten der Herrschaft stellen klar, daß diese These nicht als vorschnelle Zustimmung zum gegenwärtigen Umbruch gedacht war. Die ganze Schrift „Herrschaft und Planung" ist über eine soziologische Darstellung des Verhältnisses Herrschaft-Planung-Technik hinaus auch eine ernsthafte Mahnung an die Zeitgenossen, die gegenwärtigen politischen Tendenzen genau unter die Lupe zu nehmen. Den Forderungen einer „Ethoswissenschaft" wurde Freyer nie untreu - die „Vorbemerkung" zu „Herrschaft und Planung" ist eine Wiederholung der Begründung seiner „Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft" in knappster Form. Es geht ihm nach wie vor darum, theoretisch über den Sinn und die Grenzen von Herrschaft und Planung zu reflektieren, um das öffentliche Gewissen zu schärfen. „Wo stehen wir heute" - das blieb für ihn die abschließende Frage jeder theoretischen Arbeit, die der Wissenschaft der Soziologie erst die gesellschaftliche Legitimation gibt. Den polemischen, auf einem naiv angewandten Cäsarismus beruhenden Rechtfertigungen des Volksführers, der den Willen des Volkes selbst leben würde und zum Ausdruck brächte (und den Freyer, wenn auch theoretisch anspruchsvoller, selbst in seiner frühen Staatstheorie formuliert hatte), setzt er - gegen jede emanatistische Metaphysik argumentierend - seinen Versuch einer tieferen Begründung der Herrschaft entgegen.
2. Grundzüge
einer Herrschaftssoziologie
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Die Bloßlegung derTabuisierung von Herrschaft, die soziologische Begründung politischer Herrschaft, ist jetzt Freyers zentrales Interesse, nicht zuletzt, um opportunistische moralischphilosophische Rechtfertigungen aufzudecken. Wiederum kritisiert er die Annahme, die „Stufen des Weltgeistes" würden mit deterministischer Notwendigkeit durchlaufen, als gesellschaftsfremd; denn mit ihr im Zusammenhang steht der Glaube an die universelle Immanenz der Inhalte und die Logifizierung der Wirklichkeit, vielfach aber auch die Annahme einer transzendentalen und sich stets gleichbleibenden Vernunft. Diese Ablehnung des universalhistorischen Determinismus endet aber nicht mehr in einem vagen, expressionistischen Aktivismus; Freyer findet nun zu einer differenzierteren Analyse der Herrschaft: Herrschaft ist stets als reales Machtverhältnis zu verstehen; sie ist notwendigerweise ein „Gebilde aus Ungleichem", dennoch nicht einfach als Unterdrückung durch Zwang zu sehen. Außerdem stehen der Herrschaft die gleichgewichtigen Kräfte privater Lebensräume und gesellschaftlicher Gebilde gegenüber. Die Ablehnung einer Emanation der „Vernunft" bedeutet auf die Herrschaft bezogen - genau wie bei Hermann Heller - eine Zurückweisung des Gedankens, daß sie nur eine Form der Repräsentation und der Selbstbestimmung einer vorher schon vorhandenen politischen Willensgemeinschaft sein müsse. 165 Auch in einer „Willensgemeinschaft" sind die Inhalte nicht immanent vorgegeben, sondern sie müssen erst in der Auseinandersetzung mit der Umwelt und durch eine fortgesetzte Integrationsleistung im Innern geschaffen werden. Freyers frühes Theorem, daß Sozialformen im Gegensatz zu materiellen Kulturleistungen nur existieren, indem sie ständig vollzogen werden 166 , hat nun seinen subjektiv-aktivistischen Unterton endgültig verloren und wird kollektiv-politisch formuliert: Im Gegensatz zu „absoluten Ganzheiten" (wie geschlossenen Systemen ästhetischer Gebilde, religiöser Kulte oder Rechtsordnungen) ist eine politische Kollektivität immer eine „geschichtliche Ganzheit", deren Integration niemals abgeschlossen ist; diese Integration stellt gerade den eigentlichen Sinn der Herrschaft dar.167 Bis 1944 findet Freyer zu einem „höheren", aber auch härteren Realismus, wie er sich nur aus dem drohenden Schicksal des deutschen Reiches ergeben konnte. In der Darstellung, wie Friedrich der Große in seinem Antimachiavel das technizistische Systemdenken Machiavellis durch einen „höheren" Realismus des Herrschenden zu überwinden versucht, formuliert Freyer jetzt allgemeine Grundsätze, die zum Zusammenwirken von Staat und Gesellschaft, von Individuum und Institution führen sollen; diese sind nun nicht mehr auf einer harmonischen Einheit von Staat, Volk und Kultur begründet, sondern stellen die Souveränität des Staates heraus, die sehr konkrete Forderungen an die „Herrschaft" oder politische Elite nach sich zieht: Erstens ist die Förderung aller konstruktiven Kräfte im Volk nicht eine idealistische Maxime, sondern Pflicht aus einem nüchternen Realismus heraus; denn Vortäuschung, Intrige und Zwietracht zerstören die wertvollsten Kräfte. Diese nüchtern-realistische Gebot muß jedoch ergänzt werden durch zweitens eine realistische Anthropologie vom Standpunkt des Herrschenden aus, der die Menschen nimmt, wie sie sind, der ihre spezifischen Leistungen integriert und mit ihnen arbeitet „wie ein Virtuose, der an sein Instrument gewöhnt ist". 168 Drittens muß der Realismus des Politikers bestimmt sein von einer vom Theoretiker grundsätzlich unterschiedenen Haltung zur Theorie - erst jetzt findet Freyer zu einer klaren und nüchternen Trennung von „Theorie" und „Praxis": Theorie hat für den Handelnden eben eine andere Bedeutung, eine andere Struktur und ein ganz anderes Ziel. Sie soll weder die gegenwärtige Situation zum allgemeinen Begriff erheben, noch kann sie die Tat in der theoretischen Forderung vorwegnehmen, sondern sie soll lediglich die allgemeinen Grundsätze - oft ohne Kenntnis der näheren Bedingungen - klären. N u r insofern „transzendiert" die
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Soziologie der Herrschaft
Tat alle Theorie, als der Handelnde sich durch Theorie den Blick nicht trüben lassen darf für ihn bleibt das System der theoretischen Begriffe immer offen. 1 6 9 Damit verbunden kommt er nun auch zu einer „der revolutionär-pathetischen Ubertreibung entkleideten" Definition der Revolution: Revolutionen entstehen dann, wenn ein „Stand" (i. S. von Siéyés), der eine maßgebliche Kraft im gesellschaftlichen Wandel darstellt und damit die Zukunft dieser Gesellschaft repräsentiert, durch eine (überkommene) Beherrschung zurückgehalten wird und deshalb nach Herrschaft drängt. „Das positive Ende einer Revolution, die nicht scheitert oder versandet, ist, daß die Revolutionäre zur Herrschaft gelangen". Das war Freyers Absage an alle „Ideologien von letzter Revolution, letzter Diktatur, herrschaftsfreier Zukunftsgesellschaft usw.", mit der er gleichzeitig seine eigene endgültige Absage sowohl an die Selbstvollendung des „politischen Volkes", als auch an die Revolution der Stürmer und Desperados, die er 1935 plötzlich erhofft hatte (in „Pallas Athene"), aussprach. 170 Besonders deutlich wird die Wendung zum Realismus in Freyers Gedanken über den Krieg. Es ist für ihn ein Wesensgesetz der Politik, daß souveräne Staaten keine Gerichtshöfe über sich haben, d. h. daß sie deshalb zugleich Ankläger, Richter und Exekutivorgan sind. Wer einen Rechtsanspruch hat, muß dessen Gültigkeit selbst vertreten und praktisch durchsetzen, um seine politische Gültigkeit zu erweisen. Kriege können also notwendig werden und sind unter Umständen ein legitimes Mittel der Politik. Aber der Krieg ist ohne Zweifel auch das extremste Mittel - eben die ultima ratio - und nur die „nécessité fatale", die schicksalhafte Notwendigkeit, kann ihn rechtfertigen. Alleine die Maxime des Notfalls und der Prävention kann die Entscheidung für oder gegen den Krieg begründen. Kriege dürfen weder aus opportunistischen noch aus ideologischen Gründen geführt werden - nur die Verhältnisse in den unumstößlichen Realfaktoren sind entscheidend: Ein Krieg ist nur gerechtfertigt, wenn er realpolitisch unvermeidlich ist; d. h. wenn das Lebensrecht eines Volkes, wenn die Aufrechterhaltung gültiger Rechtsansprüche nicht mehr anders durchgesetzt und wenn für das Volk lebensbedrohliche Konstellationen nicht anders vermieden werden können. Eine zweite Eingrenzung besteht im Hinblick auf die internationale Staatenordnung. Ein Krieg darf die Proportionalität des internationalen Systems, die Gerechtigkeit im Verhältnis der Staaten zueinander, die Verhältnismäßigkeit der Mittel niemals zerstören. Drittens darf ein Krieg, aber auch ein Bündnis oder Vertrag, nicht das Unglück des Volkes zur Folge haben; seine Entwicklungsfähigkeit darf auf lange Sicht nicht beeinträchtigt werden. 171 N u r diese drei Grundsätze führen nach Freyer zu einer gerechten Ordnung zwischen den Staaten, die in einer Außenpolitik mit Norm und Maß ständig neu hergestellt und von allen Seiten verteidigt werden muß. 1 7 2 In dieser Weise war für Hans Frey er wohl der Schlesische Krieg Friedrichs des Großen durch eben diese Grundsätze bestimmt und damit auch gerechtfertigt, nicht aber die nationalsozialistische Herrschaft, deren „totaler Krieg" keinem dieser Grundsätze auch nur entfernt entsprechen konnte. Genau diese Herrschaft ist immer auch mit dem „machiavellistischen System der Politik" gemeint, das in seiner fatalen Entwicklung von einer Herrschaft als bloßer Machtposition zur totalen Perversion der Macht tatsächlich nur das Gesetz des Verfalls und die endlose Kaskade des Verbrechens demonstrierte. In dieser Wirklichkeit war nach Freyers Urteil „keine wirkliche Politik zu finden, sondern nur die fratzenhafte Karikatur einer solchen, kein wirklicher Staat, sondern nur kurzfristige Scheinstaaten, keine legitime Herrschaft, sondern nur hemmungslos usurpierte Klumpen von Macht". 1 7 3 Wenn auch in das Denken Friedrichs des Großen übertragen und auf das Oberitalien Machiavellis bezogen, meint Freyer damit wohl seine Zeit und politische Wirklichkeit.
2. Grundzüge einer Herrschaftssoziologie
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R a y m o n d Aron, Gesprächspartner Freyers in der Nachkriegszeit 1 7 4 , hat viel später ganz ähnliche Grundsätze der modernen „power politics" im Gegensatz zu einer nicht mehr tolerierbaren Machtpolitik formuliert, w e n n er Kriege, die transzendente Ziele vorgeben, als unmoralisch bezeichnet, jedoch ein Nationalinteresse aus pragmatischer Sicht durchaus rechtfertigt. Die Erkenntnis, daß das „harte Gesetz des Gleichgewichts" das internationale System bestimmt und daß der wahre Realismus darin besteht, die konkreten Auswirkungen, sowohl von Strategien wie von Ideologien, vorauszuberechnen 1 7 5 , k o n n t e erst nach den Schrecken des II. Weltkrieges offen u n d nüchtern diskutiert werden; eine funktionale b z w . eine systemtheoretische Krisen- und Kriegsforschung w u r d e noch viel später entwickelt, aber bis heute sind fiktionale, ideologische oder moralische Konzeptionalisierungen des Krieges keineswegs verschwunden. 1 7 6
4) Zur Aktualität
von Freyers
Staatslehre
Das Grundanliegen Freyers, bzw. seine v o n Lorenz von Stein ü b e r n o m m e n e Z u k u n f t s p e r spektive, daß die Antagonismen „Staat" u n d „Gesellschaft" wieder miteinander verbunden sein müssen, hat eine radikale Wandlung vom integrationistischen Modell der Kultureinheit zu einem konflikttheoretischen oder dialektischen Modell durchgemacht. Aber auch in der realistischen Version stand dieses Modell in der Bundesrepublik nach 1945 nicht m e h r z u r Debatte. Historisch ist das durchaus zu begründen, nicht nur aus d e m auf den totalen Z u s a m m e n b r u c h folgenden allgemeinen Staatsüberdruß der Bevölkerung, vielmehr durch die fatale Lage der B R D , ein ständiges Provisorium zu sein in einem Europa, das nur durch die Politik der beiden Hegemonialmächte, U S A u n d Sowjetunion, geprägt wurde. Selbstverständlich standen nach der endgültigen Zerstörung des alten E u r o p a andere Aufgaben im Vordergund, wie die Sicherung der demokratischen Grundrechte, der Ausbau des Wohlfahrtsstaates u n d in der jüngsten Zeit vor allem die Stärkung der Selbständigkeit einer komplexen Wirtschaft, die natürlich mit der Deregulierung und Dezentralisierung des Staates einhergehen mußte. 1 7 7 Alle diese Probleme rechtfertigen jedoch keineswegs die zugespitzten Polemiken, in die sich die sozialwissenschaftliche Staatsdiskussion in der B R D verlor; zwischen einer radikalen „Entzauberung des Staates", meist verbunden mit dem M y t h o s der „Autopoiesis" komplexer Gesellschaften und der Dämonisierung des Staates als „Wiederkehr des Leviathan" im totalen Verwaltungs- oder Planungsstaat, gab es praktisch keine differenzierten A b s t u f u n gen mehr. 178 D a ß Freyer selbst in der Nachkriegszeit mit seiner Warnung vor der U b e r m a c h t der „sekundären Systeme" zu dieser A b w e r t u n g des Staatsbegriffs beigetragen hat, unterstreicht noch die Schwierigkeit, wieder zu einem adäquaten wissenschaftlichen Staatsbegriff zu kommen; denn gerade die Arbeiten Freyers u n d Hellers belegen, daß am E n d e der Weimarer Republik das Thema „Staat" schon längst nicht mehr auf die reine souveräne Gebietsherrschaft, verbunden mit dem Vorrecht der physischen Gewaltanwendung, oder auf die reine Rechts- und Verfassungslehre begrenzt blieb. Freyer hat bereits 1930 die Reziprozität von sachlich-systemischen politischen Forderungen u n d individueller Entscheidung herausgestellt; H e r m a n n Heller hat zur gleichen Zeit der Staatssouveränität den Staat als „organisierte menschliche Wirkungseinheit" gegenübergestellt, die - wie bei Freyer - ständig im ökonomischen und politisch-sozialen P r o z e ß aktualisiert werden m u ß u n d ihre Legitimität n u r aus den gemeinschaftlichen Anstrengungen einer Wertgemeinschaft bezieht, 179 also niemals von vorneherein als gegeben angesehen werden darf.
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Soziologie der Herrschaft
Erst in jüngster Zeit, nachdem die amerikanisch- sowjetische Bihegemonie infragegestellt ist und die politischen Konstellationen in Europa sich verschieben, zeichnet sich wieder eine neue, komplexere Staatsdiskussion ab, die jedoch auch erst in den USA ausgelöst werden mußte 180 , um dann in Deutschland wieder aufgenommen zu werden. Bedauerlich ist, daß im Vergleich zur konstruktiven amerikanischen Neudefinition des Staates die deutsche Diskussion diesem Thema weiterhin eher abwehrend gegenübersteht 181 , obwohl doch gerade in Deutschland die Staatsdiskussion - bis zu Freyer und Heller und noch weiter zurück - bereits auf breiter interdisziplinärer Grundlage geführt worden war. Auch wenn heute die Staatsform, die einer weltweiten politischen und wirtschaftlichen Interdependenz entspricht, als funktional (nicht mehr territorial), als föderativ (nicht mehr zentralstaatlich organisiert) und als transnational (nicht mehr national) definiert wird 182 , wird man um eine Rückbesinnung auf die allgemeinen Grundlagen des Staates nicht herumkommen; Hans Freyers besonderer Beitrag hierzu besteht in der Verdeutlichung der Dimension der Herrschaft und Souveränität, in der Hervorhebung ihres dialektischen Verhältnisses zur Willens- und Entscheidungsgemeinschaft und der gerade auf der Nichtreduzierbarkeit und Interdependenz dieser beiden Dimensionen beruhenden Legitimität, schließlich in der Charakterisierung dieses dialektischen Verhältnisses als die Dimension des eigentlich „Politischen". Auch wenn dieses Theoriemodell noch nicht systematisch ausgearbeitet und teilweise in historischen Analogien verborgen ist, ist es völlig verfehlt, es als „irrational", oder lediglich als ideologisches Machtstaatsdenken 183 abzuwerten. Freyers „Versäumnis" war es vielleicht, nicht schon vorher diese Wendung zum „Realismus" vollzogen zu haben; aus der Perspektive der „Nachgeborenen" ist dieses Urteil allzu leicht gefällt und ist, da es die Regeln einer historischen Textinterpretation verletzt, wissenschaftlich unfruchtbar. Die Frage, ob der in Freyers wirklichkeitswissenschaftlicher Methode verankerte „Umsprung der Theorie in die praktische Haltung" ihn selbst zunächst für eine Mehrebenenperspektive blind gemacht hat und damit dieses Postulat wissenschaftlich nicht haltbar erscheint, gehört zum unerschöpflichen Theorie-Praxis-Problem der Sozialwissenschaften, das bei dialektischen Theorien meist ungelöst stehen blieb und das im letzten Kapitel genauer erörtert wird. Auf jeden Fall hat Freyer in der Zeit zwischen 1930 und 1933, als die politische Krise auf dem Höhepunkt stand und auf Insitutionen keinerlei Verlaß mehr war, es offensichtlich für notwendig gehalten, auch in der Theorie die Aufmerksamkeit und den Appell ganz auf denjenigen Bereich zu lenken, in dem alleine er noch eine positive Weiterentwicklung möglich hielt - auf das Volk, das sich seine neue Führung erst schaffen muß. b) Herrschaft und Planung 1 ) Die Synthesis des Plans Mit der Idee der legitimen Herrschaft ist die Forderung nach Planung untrennbar verbunden. In der Begriffsbestimmung der „Planung" macht Freyer nochmals exemplarisch deutlich, daß die politische Theorie noch nicht in einen prinzipienlosen Dezisionismus umschlagen muß, wenn sie die Idee einer seinstranszendenten Vernunft ablehnt. Die Vermittlung, die Synthesis zwischen Herrschaft und politischer Gemeinschaft und ihrem gemeinschaftlichen Willen wird nun konkret als die Leistung der Planung definiert: Auf der Ebene der politischen Strukturen stellt die Planung die aktuelle politische Umsetzung des gemeinschaftlichen Willens im gesamtgesellschaftlichen Kräftefeld dar. Dazu ist unbedingt erforderlich, daß die erste willentliche Zielsetzung sachlogisch weitergedacht wird. Freyer bleibt also keineswegs bei einer
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einer Herrschaftssoziologie
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Willensmetaphysik stehen, sondern bringt hier eine sozialtechnische Komponente mit ins Spiel; wie die Technik von der immanenten Annahme der Transformierbarkeit und Konstruierbarkeit aller Stoffe und Kräfte ausgeht, so beruht die Planung einerseits auf einer ähnlichen Modellvorstellung der Umformbarkeit aller gesellschaftlichen Lagen. Es wäre jedoch ein großer Irrtum, Planung nur als Sozialtechnik durchführen zu wollen und zu suggerieren, Planung könne sozusagen beliebig zusammensetzbare Baustoffe verwenden, ähnlich wie die Technik ihr natürliches Material umformt. Gerade diese Planungsillusion der willkürlichen Konstruierbarkeit des menschlichen Zusammenlebens hat für Freyer immer zur Verschleierung der tatsächlichen politischen Machtverhältnisse gedient. Der Plan erhält zwar ein Höchstmaß an Besonnenheit durch technische Rationalität und eröffnet durch die Stiftung einer Ordnung in der Vielzahl von Realitäten eine positive Zukunftsentwicklung. Die Planung ist jedoch, über Sozialtechnik hinaus, Systematisierung einer Parteinahme, einer politischen Entscheidung und ist damit wahrscheinlich die vollkommenste Form des geschichtlichen Handelns - ein Argument, das Max Webers Pessimismus gegenüber der zunehmenden Zweckrationalität in der modernen Gesellschaft keineswegs teilt. Der Plan führt „aus der neutralen Sphäre der Naturbeherrschung in die politische Sphäre der Geschichtsführung über". Gerade deshalb bleibt er trotz aller technischen Perfektion unvollkommen, ja die Nichtabschließbarkeit und Offenheit muß das Hauptkennzeichen jeder guten Planung sein. Trotzdem ist die „Synthesis des Plans" - wenn gelungen - die höchste politische Leistung; denn sie schließt alles ein, was die Legitimität und Effektivität einer Politik bestimmt. 184 Wiederum soll eine politiktheoretische Alternative zur idealistischen Auffassung der Geschichte als selbstläufigem Geschehen geboten werden: durch die Planung wird die Geschichte veränderbar - sie ist geradezu der Nachweis für die „geschichtliche" Natur des Menschen, d. h. für seine Freiheit; denn im Gegensatz zur Naturgesetzlichkeit liegt für Freyer in der Geschichte nichts fest, was nicht durch den Menschen festgelegt wird. Die Komponente der „Entscheidung", die in seiner „Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft" noch sehr schematisch erscheint und eher auf das subjektive Entscheidungshandeln bezogen bleibt, wird jetzt auf kollektives Handeln und politische Prozesse ausgedehnt. Auch die Zukunft wird nicht mehr idealistisch als Resultante heterogener Entwicklungen gesehen, sie kann nun durch Planung langfristig gestaltet werden. Wille und Geschichte sollen damit in Zusammenhang gebracht werden und die Verknüpfung von Planung und politischer Macht wird herausgestellt: Wenn Planung eine logische Deduktion aus freiheitlicher Zielsetzung ist, ist ihre politische Natur damit für Freyer bereits ausgedrückt; die Durchsetzung des Plans hängt von der realen politischen Macht ab. Das heißt aber auch: kurzfristige Machtkonstellationen können niemals zur Durchsetzung eines fundierten Planes kommen; denn Planung als freiheitliche Zielsetzung setzt immer eine dauerhafte legitime Herrschaft voraus, weil nur sie die politische Langzeitperspektive schafft, den eine schöpferische Planung ausfüllen kann. Umgekehrt kann diese Herrschaft nie durch Planung herbeigeführt werden; sie ist kein konstruierbares Machtverhältnis, ihre Legitimität besteht ja in der Interdependenz mit der politischen Gemeinschaft. Die wesentlichen Grenzen der Planung sieht Freyer damit durch die politische Herrschaft und das politische Volk selbst gesetzt; nur in einer politischen Gemeinschaft, die die Fähigkeit besitzt, sich als legitimes Herrschaftsgebilde zu formieren, ist echte Planung möglich. Andererseits erweist sich für ihn die Legitimität der Herrschaft gerade dadurch, daß sie dem Volk „die Richtung seiner geschichtlichen Aktion" geben kann, d. h. daß sie langfristig planen kann. Die Fundierung der Legitimität einer Herrschaft in der konstruktiven Zukunftsentwicklung nach innen und außen, das ist für Freyer der tiefere Sinn eines echten Plans. 185
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III Soziologie der Herrschaft
Hans Freyer kann nun die Legitimität der Herrschaft durch die „Synthesis des Plans" mit folgenden operationalen Kriterien begründen: Nur jene Herrschaft ist gerecht, die diese planende Integrationsleistung zu einem einheitlichen politischen Willen vollbringen und die die Vielzahl der gesellschaftlichen Mächte zu einer konstruktiven Zukunftsentwicklung vereinigen kann. Das kann nun nicht heißen, daß Freyer die Legitimität „wertfrei" nur auf die Faktizität des wirtschaftlichen Wohlstandes, des internationalen Einflusses usw. begründen möchte. Dann wäre Herrschaft ja „machbar", die geschicktesten Sozialingenieure wären die besten Herrscher. Eine andere Einseitigkeit der Legitimitätsvorstellung kritisiert er bei Max Weber, der die Legitimität einer Herrschaft auf den Glauben der Herrschaftsunterworfenen an Charisma, Tradition oder Rationalität der Herrschaft - begründe, den die objektive Qualität der Herrschaft jedoch nicht interessiert habe. Auch kann für ihn das Wertproblem der Herrschaft nicht nur abstrakt-idealistisch gefaßt werden, wie dies im Glauben an eine „allgemeine Menschenvernunft" geschieht, der sich ja sowohl in der anarchistischen Utopie der herrschaftslosen Vereinbarung wie auch in der nachkantischen Utopie einer reinen Vernunftherrschaft offenbaren kann. 186 Freyer versucht jetzt, das Wert- und Legitimitätsproblem genauer zu bestimmen: Herrschaft ist erstens eine dynamische Größe, die zwar von einem verbindlichen Anfang in den gegenwärtigen Gegebenheiten ausgeht, jedoch nach vorne eine Mehrzahl von schöpferischen Möglichkeiten enthält.187 Die Wertproblematik liegt also in der „Geschichtsfähigkeit", jedoch jetzt nicht mehr als „expressionistische" Setzung verstanden, sondern im Sinne einer Herbeiführung eines konstruktiven Fortschritts bzw. in der Sicherung der Entwicklungsfähigkeit der Gesellschaft durch Planung. Zweitens ist das Substrat der Herrschaft das Volk. Da die „geschichtliche Ganzheit" alleine im Vollzug oder „Geschehen" sich verwirklicht, ist auch das „Volk" als Subjekt der Geschichte nicht als ein durch Rasse, Sprache oder Kultur ein für allemal definiertes Ganzes; 188 sondern diese Merkmale bestimmen nur die Ausgangsbedingungen.189 Weder die „metaphysischen" Dogmen sowohl der Rasse wie der Rousseauschen „volonté générale", noch die romantische Bevorzugung der Vergangenheit als einem höheren Wert, noch auch die Prädestination der „Jugend" oder der „Bewegung" sind für ihn noch vertretbar.190 Daß Freyer sich andererseits aber auch von einer „Naturalisierung" des Politikbegriffes distanziert (zu der der Begriff Planung sehr leicht verführen könnte), hat er gleichzeitig an anderer Stelle zum Ausdruck gebracht. Das Politische soll weder rein zweckhafte Ordnung zur Befriedigung und Organisation natürlicher Massenbedürfnisse, noch ein „legalisiertes Räuberverhältnis" sein - es bleibt „geistiger Gehalt". 191 In diesem Sinn hat Freyer drittens an die Möglichkeit eines „politischen Volkes" als freie politische Gemeinschaft geglaubt, die fähig ist, sich die ihr adäquate Herrschaftsform zu geben und sich ihr unterzuordnen, mit der Voraussetzung, daß diese die Einzelbestrebungen nicht nur summieren, sondern gerade aus dem Spannungsverhältnis eine Potenzierung des geistigen Gehalts erwirken kann. Gerade darin muß sich nach Freyer „echte" Politik von „unechter" Politik unterscheiden, wie sich Machiavellis technische Handlungsregeln von der Herrschaftstheorie Friedrichs des Großen unterscheiden.192 Unechte Politik mag sich durch geschickte Manipulation für einige Zeit über Wasser halten können; eine legitime Herrschaft wird sie nicht begründen können, weil keine „geschichtliche Ganzheit", jetzt im Sinn von einer durch Planung herbeigeführten langfristigen Entwicklung und Zukunftsperspektive, gebildet wird.193 Auch die Idee des „Reiches" als eines idealen Systemzusammenhangs von politischem Volk und geschichtsfähiger Herrschaft ist als Vorstellung einer „Hochkultur" der
2. Grundlüge
einer Herrschaftssoziologie
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Idealtypus einer optimalen geschichtlichen Konstellation und nicht mit der absoluten übergeschichtlichen Ganzheit im Idealismus gleichzusetzen. Freyers Reichsidee und sein Begriff des „ I m p e r i u m s " kann auch keinesfalls als Rechtfertigung eines auf die natürliche Auserwähltheit des deutschen Volkes sich berufenden nationalsozialistischen Imperialismus gewertet werden. Sie gründet eindeutig auf der Idee einer größeren gesamteuropäischen Kultureinheit, die sich nun auch politisch konstituieren könnte. 1 9 4 Wenn heute ζ. B . in der Europapolitik nationenübergreifende kulturelle Identitäten beschworen werden, wird allerdings übersehen, was F r e y e r damals deutlich herausgestellt hatte: daß es eine entwicklungsfähige kulturelle Einheit ohne eine tragfähige wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit und Planung nicht geben kann. 1 9 5 E i n „ C o m m o n w e a l t h der Kulturen" ist eben ohne ordnende politische Struktur nicht denkbar. Vergleicht man die A n w e n d u n g der Begriffe „Plan" oder „Planung" durch H a n s F r e y e r in den Beiträgen v o n 1933 und 1935 mit der Rolle, die er später der Planung in der Industriegesellschaft zuschreibt, könnte man den E i n d r u c k gewinnen, er habe den politischen Inhalt der Planung, den Herrschafts- und Entscheidungsaspekt, aufgegeben und sei wieder auf die A n n a h m e der Emanation des objektiven Geistes - jetzt allerdings in säkularisierter Gestalt des Selbstlaufes u n d der Eigengesetzlichkeit der modernen T e c h n i k -
zurückgegangen. M a n
m ö c h t e die Tendenz in den Aufsätzen zur Industriegesellschaft zwischen 1950 und I 9 6 0 1 9 6 , verglichen mit der eben skizzierten Planungsdiskussion, zunächst als „unpolitisch" bezeichnen. D i e Trennung von Staat und Gesellschaft sieht F r e y e r im industriellen System endgültig aufgehoben, keineswegs jedoch in der vor 1933 erhofften Synthese von Herrschaft und „politischem V o l k " . D i e Herrschaftsmacht ist nun im Sozialapparat aufgegangen, der zum universellen Verteiler von lebensnotwendigen G ü t e r n geworden ist; 1 9 7 dieser Sozialapparat entfremdet den Einzelnen durch seine Tendenz zur universellen Planung, die nicht mehr auf politischen Entscheidungen beruht, sondern auf den Gesetzen der Vollautomatisierung und Arbeitsrationalisierung, der Organisation, Schematisierung und Institutionalisierung
von
menschlichen Interessen. H a t Freyer schließlich doch das „Politische" in die „Technokratie" aufgelöst und sich dem „selbsttätig funktionierenden System der gesellschaftlichen Organisation, einer A r t Fließband des sozialen Zusammenspiels" 1 9 8 ergeben, das durch rein t e c h n o l o gische Gesetzmäßigkeit in G a n g gehalten wird? E s wird sich im folgenden zeigen, daß Freyers Begriff des Politischen - allerdings in einer pessimistischen Färbung - auch seiner Analyse des Industriezeitalters zugrunde liegt. A u c h die gegenwärtige Herrschaft des Sozialapparates beruht auf der Legitimation durch ihre Teilnehmer und diese tragen auch heute die Verantwortung dafür. D a s , was für F r e y e r einmal einen der wichtigsten Gegenstände der Soziologie bedeutete: die Herrschaftsgebilde als Gefüge aus lebendigen M e n s c h e n und k o n k r e t e geschichtliche Wirklichkeit 1 9 9 - mußte er später, an der Schwelle z u m hochindustriellen Zeitalter, mit Bitternis zur Kenntnis nehmen. H e u t e würde man Freyers Arbeiten zu Politik und Planung w o h l eher der Planungsphilosophie als der Soziologie zurechnen. Vor allem der große Aufsatz „Herrschaft und Planung" demonstriert in beispielhafter Weise, was F r e y e r unter „Theorie" verstanden hat. Alle Kategorien, wie hier der „Plan" oder „das Politische", müssen nach ihm zunächst theoretisch eingeordnet werden, sie müssen ihren logischen O r t in einem größeren Systemzusammenhang zugewiesen b e k o m m e n ; mit dieser logischen Einbindung ist gleichzeitig ihre gesellschaftliche Relevanz „philosophisch" bestimmt. E r s t dann ist eine sinnvolle Bearbeitung der E i n z e l p r o bleme möglich. D e r G e d a n k e der Soziologie als „Selbstreflexion", als Philosophieren über die eigene Gegenwart, spielt auch in Freyers politischer Systemanalyse eine grundlegende Rolle.
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III
Soziologie der Herrschaft
Wenn heute der gleiche Gedanke noch in der Feststellung fortlebt, daß jeder sozialwissenschaftliche Begriff einen weltanschaulichen Hintergrund in sich trägt, so werden aus dieser verschwommenen Feststellung doch kaum deutliche theoretische Konsequenzen gezogen. 2) Zur Aktualität von Freyers Planungsdiskussion Die Probleme und Kontroversen über das Verhältnis von Technik und Planung zur Politik scheinen sich auch heute nicht grundlegend geändert zu haben. Die Überbewertung von Technologie und Planung, damals von Freyer beklagt, 200 hat sich mit dem Anschluß Deutschlands an den Fortschritt der westlichen Welt noch gesteigert und die Diskussion bewegte sich zumindest in der Wiederaufbauphase bis zur Mitte der sechziger Jahre erneut hin zu den extremen Polen der politischen Allmacht mittels der Technik und Planung einerseits und des verhängnisvollen Selbstlaufes und der Alleinherrschaft der technokratischen Planung andererseits. Noch heute kann man von einer Exkamotage des Politischen im Sinne Freyers sprechen. 201 Freyer hatte die Grenzen der Planung eindeutig durch die Politik bestimmt: Fehlt die fähige Führungsschicht, die die Planung durchführen kann, und andererseits die politische Kultur eines Volkes, das die Herrschaftsstruktur trägt und die Gestaltung mitvollziehen kann, so ist echte Planung unmöglich. 202 Erst dann aber kann Planung in technokratische Despotie oder illegitime Machtausübung ausarten. In der Planungsdiskussion der sechziger Jahre wurde das Thema der Planungsbegrenzung wieder aktuell, jedoch spielte dabei (wie ja auch zu dieser Zeit bei Freyer selbst) die Politik als Gestaltungskraft der Planung eigentlich keine Rolle mehr. Friedrich Tenbruck ζ. B. sieht die Grenzen der Planung in der „Offenheit der Gesellschaft einerseits und der Instabilität und Unübersichtlichkeit der Präferenzstrukturen andererseits". Mit „Offenheit" ist hier aber nicht ein politischer Entscheidungsprozeß oder eine prozessuale Angleichung der planerischen Akzentsetzung gemeint; sie kennzeichnet in diesem Zusammenhang nicht den dynamischen Aspekt, sondern meint schlechthin jene Irrationalität, die in der unbegrenzten und unvorhersehbaren subjektiven Wahlmöglichkeit von Wert- und Ideensystemen liegen soll. Weil Tenbruck auch die Präferenzstrukturen nur auf die subjektive Ebene, allenfalls auf die Perspektive der Kleingruppen reduziert, können sie nach seiner Meinung wegen unerkannter latenter Bedürfnisse, wegen ihrer ständigen Entwertung und der Flüchtigkeit des subjektiven Glücks, nicht wissenschaftlich analysiert werden und damit auch nicht als Grundlage einer Planung dienen. 203 Die politische Ebene ist offenbar entschwunden, die Grenzen der Planung liegen in der Unerreichbarkeit des dazu nötigen Wissens und in der Unvorhersehbarkeit. U m die Ideologie der Planungsallmacht zu widerlegen, scheint Tenbruck sich aber einer anderen, noch unmenschlicheren Eigendynamik ergeben zu haben: der Irrationalität der Geschichte 204 , dem „chaotischen Strom von Geschehnissen" Max Webers. Dieser Irrationalität steht das Ideal der rein zweckrationalen „richtigen" Entscheidungsfindung durch Formalisierung der Entscheidungslogik gegenüber.205 Auch hier kann man die Wiederkehr der Idee einer „absoluten Vernunft" erkennen, die nur aufgrund menschlicher Unzulänglichkeit niemals erreicht werden wird. In einer Verzerrung der Freyerschen Synthese bringt Bernard Willms die Politik als Korrektiv der Planung in die Diskussion. 206 Er sieht in der Planung (ganz im Sinn der Technokratiediskussion der sechziger Jahre) die eigenmächtige Ideologie - eine Deutung, die Freyer als bloße Verdeckung machtpolitischer Tendenzen gerade vermeiden wollte. Einerseits werden Freyersche Gedanken aufgenommen (zwar ohne ihn zu zitieren), ζ. B. daß der
2. Grundzüge
einer Herrschaftssoziologie
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wissenschaftliche Sachverstand nicht schon an sich eine politische Dimension habe, sondern erst durch politische Entscheidung integriert werde. Auch die Praxis des Menschen als Ursache einer künstlichen Welt der Technik und Institutionen 207 ist ein Freyersches Theorem. Die politisch-soziologische Sicht der Planung als zukunftsfähige politische Ordnungsstiftung und damit Höchstform geschichtlichen Handelns wird jedoch auf eine rein subjektive oder nur anthropologisch begründete Dimension reduziert. Zukünftigkeit ist ein Konstitutiv des menschlichen Subjekts, und nur deshalb ist die Zukunft rationalisierbar und planbar. Wenn Planung auf diese subjektive Ebene reduziert wird, folgt daraus auch eine Reduktion der Politik auf die „Anerkennung der Widersprüchlichkeit als solcher" und auf die Aufgabe, „antagonistische Widersprüche je wieder in nicht-antagonistische zu transformieren". 208 Auf dieser reduzierten politischen Ebene kann natürlich der in der Technokratiediskussion bevorzugte Begriff der „Negativität des bürgerlichen Subjekts" mit der Vernunftchance der außerparlamentarischen Opposition, mit der sozialistischen Utopie des von der Gesellschaft her definierten Subjekts und mit der unpolitischen Definition der Planung als öffentlich-kreativer Rationalität in Einklang gebracht werden. 209 Die Warnung vor der Zerstörung menschlicher Freiheit und politischer Entschlußkraft durch die Planungsideologie, die zur „Verwandlung der Menschheit in ein planvolles selbstgesteuertes System (führt), in dem (...) der Störfaktor menschlicher Politik als irrationaler ausgemerzt ist" 210 , endet hier in eben dieser Zerstörung der Ebene des Politischen: Politik heißt nicht mehr Setzung eines Plans und entschiedene Eliminierung anderer Möglichkeiten, sie wird zum geschickten Jonglieren von Widersprüchlichkeiten degradiert. Die Ersetzung eines angeblich „unsachlichen Entscheidungsraumens irrationaler Politik" durch die sachlogische Rationalität, die Schaffung von Verhältnissen, die das Prinzip des Politischen als funktionsloses Relikt aus früheren Zeiten erscheinen lassen,211 war in Deutschland die große Hoffnung der sechziger wie der zwanziger Jahre. Wieder einmal ist man einer „idealistischen" Vernunftutopie verfallen, diesmal scheinbar konkretisiert in „universeller Weltorganisation", „Planetarisierung" und „world mindedness", theoretisch aber gefaßt im wieder aufbereiteten Traum der positivistischen Soziologie des 19. Jahrhunderts: einer Sozialwissenschaft als universaler Weltordnungslehre und globaler Planung. 212 Auch wenn an der Stelle der „idealistischen" Ideologie der großen Planung eine vermeintlich utopiefreie und evolutionistische Planung als effektive, technologisch beherrschte Praxis konzipiert wird, die der pragmatischen Form des Fortschrittes gehorcht und nicht einem geschichtsphilosophischen Endziel, 213 ist damit keineswegs eine pluralistische und demokratische Dimension des Politischen wiedergewonnen, sondern die Politik wird gerade dadurch den Sachverwaltern und Planungsexperten oder, um sich Helmut Schelskys scharfer Kritik anzuschließen, den „Funktionären" ausgeliefert.214 Für eine Zeit, in der politische Entscheidungen weltweite Relevanz bekommen, kann nur eine Planungstheorie adäquat sein, in der sich Planung und Politik nicht gegenseitig ausschließen. Thomas Ellwein hat dies in einem funktionalen Planungsmodell darzustellen versucht und dabei die Politik jenseits von Ideologie oder Weltanschauung inhaltlich gekennzeichnet als Sorge um das Überleben und die zukünftige Entwicklung dieser, d. h. der heutigen, Gesellschaft. 215 Dies liegt genau im Sinn der langfristig planenden Politik, die für Freyer das Erkennungszeichen einer legitimen Herrschaft bedeutete. Was nach Ellwein die politische Verantwortlichkeit über eine bloß technisch-sachliche Rechenschaftspflicht und eine Informationsprüfung der Verwaltung hinaus auszeichnet, ist das Risiko des Entschlusses: „in Ungewißheit und ohne ganz vollständige Information entscheiden zu müssen". 216 Politische
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III
Soziologie der
Herrschaft
Verantwortung besteht nach Ellwein gerade darin, daß „ohne erkennbare oder angenommene N o r m frei auf die Zukunft hin entschieden (...) werden muß. (...) Dabei bleibt das Element des Ungewissen, des Ungesicherten". Die Wissenschaft grenzt die Möglichkeiten irrationaler Politik zwar ein, „macht aber nur umso deutlicher, wo dennoch Ungewißheit herrscht und wo, im früheren Verständnis der Dinge, der politische Wille sein Recht hat, ja unerläßlich ist". 2 1 7 I m diesem aktuellen Konzept einer funktionalen Systemplanung verbleibt von Freyers Dimension des „Politischen" allerdings nur ein dezisionistischer Rest, der aber nach wie vor eine nicht auf ein Endziel fixierte, sondern dynamische, adaptive und koordinative Planung erst möglich machen soll. Die Offenheit der geschichtlichen Situation, die notwendige Willkür allen geschichtlichen Handelns und den politischen Einschlag, den die Entscheidung für einen Plan gegen andere Möglichkeiten in sich enthält, hat Hans Freyer bereits hervorgehoben. Jedoch liegt in Freyers Definition der Politik als Geschichtsführung ein viel schärferer politischer Akzent als in Ellweins Ziel der Politik als Überlebenssorge und Entwicklung der heutigen Gesellschaft, womit indirekt ja eine stabile demokratische Gesellschaft schon vorausgesetzt wird, die bereits an ihrem politischen Ziel angelangt ist. Freyers politische Theorie ist dagegen in ihrer Betonung der politischen Richtungsbestimmung der Planung und der Entscheidung noch eine Planungstheorie des gesellschaftlichen Umbruchs geblieben. Warnungen vor Technokratie und vor dem Irrweg in die Utopie spricht er nicht aus in Furcht vor einer Alleinherrschaft der Sachgesetzlichkeit über die Menschen hinweg, sondern um die Verschleierung illegitimer politischer Machtausübung durch eine Planungsrhetorik aufzudecken, die er im Nationalsozialismus, aber auch in der Bundesrepublik festzustellen meint: „Die Gewalt, durch die Utopie gerechtfertigt, das ist die Definition des Terrors". 2 1 8 Deshalb hat der Primat des Politischen bei Freyer nichts mit dem zentralistischen Planungsbegriff einer politischen Diktatur gemeinsam, wie ihn Ernst Forsthoff definierte: „Planung" war für Forsthoff in einem bürgerlichen Rechtsstaat unmöglich - er beschränkte den Begriff auf die zentralistische Lenkung von Wirtschaft und Technik als spezifische Aktionsform des Führerstaates und weist in diesem Zusammenhang sehr irreführend auf die zur gleichen Zeit entstandene Schrift Freyers hin. 219 In pejorativer Umkehrung ist diese Einschätzung der Planung in Deutschland bis heute aktuell geblieben, wie die Ausführungen von Tenbruck, Willms etc. verdeutlichen. Ellweins Betonung des Primats des Politischen ist eine ernüchterte Korrektur dieser Einseitigkeiten und ist ganz im Sinne Freyers, wenn er die Wissenschaft auf eine vorbereitende und reflektierende Funktion in der politischen Planung einschränkt und die Politik als wertbezogene Entscheidung definiert. Rein wissenschaftlich gebotene Entscheidungen gibt es damit in der Politik nicht. 2 2 0 Hans Freyer hat in seinen späten Arbeiten zur Industriegesellschaft leider keine soziologische Planungstheorie ausgearbeitet, obwohl er an Planungsgremien in der Aufbauphase der Bundesrepublik maßgeblich beteiligt war. 221 O b es Resignation angesichts der durch die Weltmächte bestimmten bundesdeutschen Politik war oder ein bescheidener Rückzug in die reflektierende und nur beratende Rolle der Wissenschaft, bleibt eine offene Frage. Auf jeden Fall wandte sich Freyer in seinen Arbeiten zur Industriegesellschaft einer eher unpolitischen kultursoziologischen Perspektive zu. 222 Zentrales T h e m a wurde die Planung, etwa um die gleiche Zeit wie für Freyer, für Karl Mannheim, der in den zwanziger Jahren ebenso einer „geschichtsphilosophischen" Soziologie verpflichtet war, aber ab 1933 als Emigrant in London ganz neuen Einflüssen ausgesetzt war. Bereits 1935 hat er eine Planungstheorie verfaßt, die sich viel detaillierter mit den einzelnen
2. Grundzüge einer Herrschaftssoziologie
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Phasen der Planung, U m b i l d u n g der Eliten, Trennung von Planung und Verwaltung usw. befaßt. 2 2 3 Das P r o b l e m der politischen Herrschaft u n d ihrer Rechtsgrundlage, die R o l l e der sozialen Umbildungen u n d Spannungen, bleiben aber darin ebenfalls ausgeklammert. M a n n heim erkennt eigentlich auch nur eine zentralistische Planung an - Planung und partikulare Interessen widersprechen sich für ihn: Antagonismen in der Gesellschaft seien heute nicht mehr mit Machtpolitik, sondern mit einer Verbesserung der Sozialtechnik, u.a. mit planvoller Bildung leistungsfähiger Eliten, zu lösen. 2 2 4 A u c h er reduziert also politische M a c h t auf Sozialtechnik und Herrschaft auf soziale Kontrolle. In der Emigration, unter dem Eindruck von Stalinismus und Nationalsozialismus, wertet er die von Freyer postulierte Interdependenz von Planung und Herrschaftsordnung als „faschistisch" orientierte U b e r b e t o n u n g von Macht, derzufolge dann nur die D i k t a t u r fähig wäre, Konflikte zu lösen. 2 2 5 E r selbst verfällt bei seiner „ K o r r e k t u r "
dieser D o m i n a n z von M a c h t j e d o c h genau den Zwängen
einer
Planungsmacht, vor denen F r e y e r gewarnt hat: der Auffassung von Planung als einer rein sachlogischen Gesetzlichkeit, die alle werthaltigen politischen Gesellschaftsordnungen und Herrschaftsverhältnisse ausschalten soll (sie aber nach F r e y e r nur verschleiert), und der Illusion, mit dieser Planung politische Krisen ein für allemal verhindern zu k ö n n e n . 2 2 6 H e u t e ist man gegenüber der Illusion einer technisch-rationalen Vernunft, die ins Paradies der herrschaftslosen Gesellschaft führen soll, sehr viel skeptischer geworden, angesichts des Zusammenbruches des sowjetischen
„Reiches der planerischen V e r n u n f t " , das sich zur
D i k t a t u r der F u n k t i o n ä r e verkehrte. Freyers dialektische Verknüpfung von legitimer H e r r schaft, Planung und politischer Willensgemeinschaft ist heute neu zu überdenken, u m aus den futuristischen Modellen der Zukunftsplanung zu einer realistischen Mehrebenentheorie zu finden. Mindestens hat F r e y e r einige theoretische Voraussetzungen für eine organische Systemplanung definiert: D e r E n t w u r f des Plans ist noch keine Entscheidung über die einzelnen Realisierungsschritte - Planung hat immer einen teleonomischen Charakter. Planung bedeutet insofern Rationalisierung einer Teleonomie durch Richtungsentscheidung, aber auch Rationalisierung als systematische O r d n u n g und maximale Klarheit des Planes selbst. Richtungsentscheidung und Rationalisierung sind jedoch abhängig v o m Vorhandensein gesamtgesellschaftlicher Institutionen, in denen nicht die Partialinteressen dominieren, sondern das Allgemeinwohl definiert u n d auch durchgesetzt werden kann. 2 2 7 D i e Prioritätensetzung Herrschaft-Planung-Technik ist heute wieder das aktuelle Problem: Fehlt eine Politik mit langfristigem Zeithorizont (die nur durch dauerhafte Institutionen, durch konstante R e k r u tierungsmuster der Elite und durch eine verantwortungsbereite politische Klasse verbürgt werden kann), dann wird eine effektive Planung unmöglich, oder sie erschöpft sich in moralischen Kreuzzügen und in publikumswirksamen Scheinplanungen. 2 2 8
c) Herrschaft und Technik 1 ) Die Technik als Thema der Kulturkritik H a n s Freyers Beitrag zur Techniksoziologie und zur Bestimmung des Verhältnisses von Herrschaft und Technik ist wiederum auf dem Hintergrund der damaligen Diskussion zu sehen, in der Technik m e h r oder weniger aus der Soziologie ausgegrenzt oder als Gegenkraft z u m sozialen Wandel betrachtet worden ist. E i n e A u s n a h m e bildet scheinbar der Vortrag von Werner S o m b a r t auf dem 1. Deutschen Soziologentag von 1910 mit dem T h e m a „Technik und K u l t u r " 2 2 9 ; doch er kann z u m einen kaum als repräsentativ angesehen werden, zum anderen
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III
Soziologie der Herrschaft
enthält er nur einige sehr generelle, gegen eine materialistische Geschichtsauffassung gerichtete Thesen. Eine ausschließlich oder jedenfalls überwiegende technologische Bestimmtheit aller Kultur- und Zivilisationserscheinungen lehnt Sombart ab, verfällt aber geradezu ins andere Extrem und fordert, den Einfluß der Technik in seiner Reinheit - d. h. ganz unabhängig von ihren ökonomischen, politischen oder kulturellen Determinanten - zu erforschen. Die soziologisch höchst aktuelle Frage der Kulturbedeutung des technischen Wandels mußte paradoxerweise aufgrund des damals von den Fachgenossen streng überwachten Prinzips der „Werturteilsenthaltung" ausgeklammert werden. Damit aber wurde die Aufgabe einer authentischen Techniksoziologie -
die doch gerade diese Zusammenhänge zu erforschen und
darzustellen hätte - von Anfang an sowohl in der Theorie wie auch in der empirischen Forschung verfehlt. Weder in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie noch im für seine empirischen Forschungen berühmten Verein für Sozialpolitik oder in dem von Leopold von Wiese gegründeten Kölner Forschungsinstitut für Sozialwissenschaft war die Technik als die entscheidende kulturverändernde neue Lebensform zum Forschungsproblem geworden. 230 Und dieses Schweigen legte sich die vereinsoffizielle Soziologie zu einer Zeit auf, da einer breiten politischen Öffentlichkeit sehr wohl bewußt geworden war, daß „der technische Mensch vor der Wahl (steht), in der Welt der Technik seine neue Kultur zu suchen". 2 3 1 Mehrere - für damalige Verhältnisse - durchaus fundierte Ausarbeitungen einer „Philosophie der Technik" 2 3 2 ließen die soziologische Diskussion ebenso unberührt wie die unüberhörbaren öffentlichen Bekenntnisse zum Anbrach eines neuen „technischen Zeitalters", von der Gründung des Deutschen Museums (eines technischen Museums, 1925) bis zum Triumph der Technik in der Kunst der Neuen Sachlichkeit oder des Konstruktivismus, von der auf das technische Zeitalter hin orientierten Pädagogik eines Georg Kerschensteiner bis zu den die industrielle Massenproduktion geradezu verherrlichenden Gestaltungsprinzipien des Weimarer Bauhauses, von der allgemeinen Bewunderung großer Ingenieurleistungen bis zu den TechnikAlp träumen von Tollers „Maschinenstürmer" oder Langs Film „Metropolis". Die Abstinenz bezüglich des Technikthemas hatte einen weiteren Grund in der von Leopold von Wiese befürworteten Verengung der soziologischen Betrachtungsweise, die offenbar dazu bestimmt war, die Professionalisierang des Faches so schnell wie möglich voranzutreiben und Kompetenzstreitigkeiten mit benachbarten Disziplinen zu vermeiden. D e r illusionären Anerkennung der Soziologie als eine den Naturwissenschaften ebenbürtige, streng wissenschaftliche Universitätsdisziplin opferte man bereitwillig die möglichen interdisziplinären Beziehungen und Forschungsvorhaben. So konnte von Wiese allen Ernstes behaupten, daß das Mensch-Ding-Verhältnis völlig anders geartet sei als das Mensch-MenschVerhältnis, weshalb die Welt der Technik und das Reich des
Zwischenmenschlichen
unvereinbar seien und somit eine soziologische Betrachtung der Technik eigentlich unmöglich wäre. Die Funktion der „Technik" stehe nur im Dienste der Wirtschaft und erst vermittelt durch diese im Zusammenhang mit Volk, Staat und Kirche. 2 3 3 Damit schien sich eine ernsthafte und systematische Erforschung der Technik als einem konstitutiven Bestandteil der modernen Lebenswelt zu erübrigen. Technik wird damit zum rein „instrumentellen" Faktor im Bereich der Ökonomie und für die Soziologie wird auch nur die „soziale Frage" interessant, Gewerkschaft und Streikrecht, nicht jedoch die Technik selbst. Nachdem die Soziologen damals in so eklatanter Weise versagt hatten, blieb die Technik als prägende Kraft des modernen Industriezeitalters somit ein Thema der Philosophie und der Kulturkritik und diese Färbung hat das Thema fast bis heute behalten. Die engagierte
2. Grundzüge einer Herrschaftssoziologie
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Diskussion läßt zwei weltanschauliche Grundhaltungen erkennen. Die Philosophie der Technik steht ihrem Gegenstand in der Regel durchaus positiv gegenüber. Man verspricht sich von der Integration der Technik in den gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang eine Befreiung der zivilisierten Menschheit von den Fesseln der Natur: die Technik ist gewissermaßen die Erfüllung des göttlichen Schöpfungsauftrages. 234 Hier wird ganz bewußt eine technisch geprägte Wertordnung aller Lebensbereiche akzeptiert, die Technik wird zur Lebensform des modernen Menschen schlechthin. Die Annahme einer reinen Mittelhaftigkeit der Technik, daß sie keinen immanenten Sinn und keinen ethischen Gehalt habe, daß der Techniker jedes Herrn Diener sein könne 235 , muß diesen Technikphilosophen weltfremd und unmenschlich erscheinen. Die technischen Sachgesetzlichkeiten haben f ü r sie etwas Teleologisches im Sinne der optimalen Entfaltung der kulturellen Anlagen der Menschheit - ihre Entwicklung bedeutet auf alle Fälle Fortschritt hin zu größerer Freiheit, Demokratie und Selbstbestimmung. N u r das sachgesetzliche Denken kann von den unfruchtbaren Ideologien, von der Einseitigkeit abstrakten und spekulativen Denkens befreien. 236 Diese Grundidee der Befreiung ging auch bei Philosophen, die nicht der technischen Weltanschauung huldigten, nicht verloren. Für Nikolai Berdjajew erzeugt die Technik einen neuen Kosmos und schließt die „tellurische Periode" in der Geschichte der Menschheit ab, in der bis jetzt der Mensch total von seiner Erdgebundenheit bestimmt war. 237 Gerade auch ihre verheerende Dynamik könne zur Reifung des menschlichen Geistes beitragen - nur so werde er z u m „Kosmiurgen", zum Erbauer der Welt. Die Herrschaft über die Technik, nicht die Unterwerfung unter eine autonome Gesetzlichkeit der Technik und ihre „technische Eschatologie", soll im Sinne Berdjajews schließlich zu einer neuen christlichen Anthropologie u n d Eschatologie führen. 2 3 8 Gewiß nicht weniger positiv ist die Wertung Ortega y Gassets, der den technischen Fortschritt mit dem wissenschaftlichen Fortschritt gleichsetzt und in der Technik ebenfalls den Lehr- und Zuchtmeister des menschlichen Geistes sieht. Die Entstehung einer Technokratie erschien ihm unwahrscheinlich; denn die Technik selbst sei kein Lebensprogramm, sie setze vielmehr ein solches Lebensprogramm schon voraus. U n d nur deshalb erscheint ihm das Kraftfeld der Technik so haltlos, weil es dem heutigen Menschen an Phantasie fehle, das Thema seines eigenen Lebens zu finden; das Phantom Technokratie könne nur aus Mangel an konkreten Lebensentwürfen entstehen, sei also ein Hirngespinst der Passivität und Entscheidungslosigkeit. 239 Eine völlig negative Einschätzung der Technik und das Leiden an der verhängnisvollen Entwicklung der Moderne ist hingegen Sache der deutschen Kulturkritik, die zu ihrer Begründung oder jedenfalls Rechtfertigung das Konzept einer „höheren" Kultur braucht, die gegen die verflachte „Massenkultur" oder die Unkultur der „technischen Zivilisation" auszuspielen ist. D e r Gegensatz „Kultur" - „Zivilisation" und mit ihm ein dichotomisches Menschenbild: der berechnende, kühle, aber oberflächliche Techniker einerseits, und der „geistige" Mensch andererseits - bildet die Grundlage der Mahner und Rufer in der Krise. 240 Für Helmut Plessner beispielsweise konnte die Heilkraft gegen die Technikphilosophie nur im Rückgang auf die deutsche Philosophie liegen, bevor sie noch durch Marx, durch Nietzsche und Kierkegaard als geistige Instanz zerstört worden sei. Wohl sei das Leiden an Technisierung und Spezialisierung ein Zustand aller hochzivilisierten Industrievölker der Erde, doch die Besonderheit des deutschen Leidens bestimme sich aus „der Idee einer weltanschaulich verankerten, d. h. einer philosophisch gehaltenen, philosophisch sich aussprechenden Kultur". 2 4 1 N o c h 1935 also findet man das Idealbild einer „deutschen Geistigkeit" gegen die verflachte westliche Zivilisation. Ahnliche Tugenden der deutschen „Geistigkeit" formuliert
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Soziologie
der
Herrschaft
Karl Jaspers: die freie persönliche Bindung, Distanzierung durch Selbstdisziplin und Einsenkung durch Konzentration und Liebe; dieser geistige Adel des Selbstseins als „philosophisches Leben" ist das einzige, w a s w i r dem technischen Fortschritt, der sozialen Vermassung u n d einer unerträglichen Herrschaftsform als Widerstand entgegenzusetzen haben. 2 4 2 Diese Wendung z u m Geistigen hat sich auch nicht nur auf Deutschland beschränkt. Geistige Läuterung der Individuen, Hingabebereitschaft der Jugend, neue Askese, U m k e h r zu den ewigen Wahrheiten, die von politischen Aktivismen ja nur besudelt würden, dies ist auch für Johan H u i z i n g a der einzige Weg zu einer neuen Kultur einer gereinigten Menschheit. 2 4 3 Von dieser Kulturkritik, die eher als Schwanengesang denn als Zukunftsweisung z u verstehen ist, w a r weder die Wahrnehmung einer den technischen Fortschritt integrierenden gesellschaftlichen Entwicklung noch deren wissenschaftliche Reflexion z u erwarten.
2) Hans Frey er: die Technik als kulturanthropologische
Kategorie
In dieser äußerst polarisierten Diskussion kann Freyer sich weder mit der These von der „Befreiung der Technik" noch auch mit einer bloßen „Dialektik der Mittel" 2 4 4 zufriedengeben und versucht nun, die Technik tiefer zu begründen. Z w a r definiert er einerseits die Technik als selbständiges Teilsystem durch drei scheinbar v o m Menschen wegführende Charakteristika: Sie hat ihre eigene Sachlogik, von der organischen N a t u r weitgehend „emanzipiert"; sie ermöglicht zweitens die Freisetzung und Tansformation der natürlichen Energie, und drittens ist sie „System", d. h. ihre Mittel und Verfahrensweisen, ihre funktionalen Komponenten und materiellen Strukturen schließen sich zu einem stets erweiterungs- und transformationsfähigen System zusammen, das mit der Zeit ein lückenloses N e t z der Naturbeherrschung u m die Erde knüpfen wird. Andererseits (noch in A n w e n d u n g seiner „Theorie des objektiven Geistes") besteht dieses „objektive" Teilsystem nicht ohne Rückbindung an den menschlichen Lebenszusammenhang. Zu seinem Fortbestand m u ß das System „Technik" immer menschlicher Willensausdruck zur Verwandlung der N a t u r bleiben. Damit ist sie auch im Wesen des Menschen verankert u n d keineswegs eine von außen auferlegte, den Menschen entfremdende Wirklichkeit, sondern sowohl im triebhaften Verhalten des Menschen wie auch im System seiner Gesamtkultur und in der politischen Organisation der Herrschaft integriert, in der die Technik planmäßig eingesetzt wird. Die Entwicklung der Technik ist somit kein wertfreies spielerisches Erfinden von neuen Werkzeugen, sondern, aus dem Geist einer bestimmten Kultur entstanden, stellt sie die Objektivation eines Weltverhältnisses und die Zieldefinition einer konkreten Gesellschaft dar. Eine umfassende Theorie der Technik w i r d sich also nur aus einer Analyse des Gesamtsystems einer bestimmten Kultur entwickeln lassen; und umgekehrt kann die Eigendynamik der technischen Entwicklung erst im Zusammenhang des gesamten Kulturwandels sinnvoll erklärt werden. A u s dieser kulturellen Einbindung ergibt sich für Freyer wiederum eine ethische Verpflichtung: D a die Technik, geschichtlich gesehen, den Unterbau der europäischen Kultur und Zivilisation darstellt, ist es nun A u f g a b e der Gesamtkultur, dieses Fundament laufend im Sinne der Struktur des Gesamtsystems zu transformieren und so stets die Einheit der Lebenswelt zu gewährleisten. Kein Teilsystem der Gesamtkultur kann dem automatischen Selbstlauf überlassen bleiben; w e n n der Anspruch auf einen wahrhaften Kulturstaat aufrechterhalten werden soll, muß auch der Technik ihr Ort und ihre Funktion zugewiesen werden. 2 4 5 Dieser Gedanke der anthropologischen Verankerung der Technik in der menschlichen Verhaltensstruktur w a r bereits von M a x Scheler formuliert 2 4 6 und w u r d e später von Arnold Gehlen 2 4 7 aufgenommen. Bei beiden hat die
2. Grundzüge
einer Herrschaftssoziologie
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Technik die Funktion des „Organersatzes" bzw. der „Organentlastung" und „Organverstärkung". Für Freyer bedeutet sie dagegen vor allem kulturelle Objektivation. Die verhaltenstheoretische Ebene wird in seinen Schriften erst nach 1945 wichtig 248 und scheint nun vor allem von Gehlen angeregt worden zu sein. Trotzdem bleibt sie auch jetzt eng mit der kulturellen Perspektive verbunden.249 Für den Menschen bleibt die Umwelt - weil er sie ja immer mit mehr oder weniger Feingefühl umzuformen sucht - „nature artificielle"; auch wenn Freyer in der „Theorie des gegenwärtigen Zeitalters" 250 in seiner Sicht der „sekundären Systeme" zu einer eher pessimistischen Anschauung unserer Zukunftsentwicklung kommt, bleibt für ihn die kulturell geformte Welt der eigentliche Gegenstand der soziologischen Theorie. Die sich durchhaltende kultursoziologische Perspektive schließt allerdings nicht aus, daß für Freyer etwa ab der „Revolution von rechts" von 1931 - vorübergehend ein politischer Akzent im Vordergrund stand. Nun steht weniger die Integration der Technik in die Gesamtkultur zur Debatte; denn offensichtlich ist sie zum Machtmittel der Politik geworden. Jetzt hat Hans Freyer Anlaß, sich gegen eine Verkehrung des richtigen Folgeverhältnisses von Herrschaft, Planung und Technik zu wenden. Hat er in seiner „Philosophie der Technik" die Technik als Teilsystem einer umfassenderen Gesellschaftsordnung nach dem Code einer einheitsstiftenden Kultur gesehen, so kommt nun die Politik vor der Technik: Planung setzt Herrschaft voraus und Technik orientiert sich am Plan; „wer herrscht, macht den Plan". 251 Die Planung als die zentrale Kategorie des Politischen ist darin der Technik verwandt, daß sie der „Logik der Sache" gehorcht (oder gehorchen sollte).252 Aber wenn auch die technische Beherrschung der Natur immer perfekter und härter wird, so ist das dennoch nicht kurzerhand der Dämonie des Apparats anzulasten, sondern geschieht aufgrund einer vorgängigen Wertentscheidung über das Ziel und über die anzuwendenden Mittel. Die Kategorie „Plan" übergreift so das Technische und macht aus der Technik auch eine politische Kategorie. Technik ohne Plan wäre nach Freyer lediglich eine abstrakte Fähigkeit, nur eine Art Spielmodell. Erst durch ihre Eingliederung in den Plan wird sie zur geschichtlichen Konkretion, wird sie eindeutig und sinnerfüllt und bekommt ein politisch-ethisches Gewicht. Auch der Techniker treibt kein zweckfreies Spiel, er arbeitet - auch wenn er dies verdrängen will - immer im Bewußtsein eines übergeordneten (wenn vielleicht auch noch unklaren und unausgeführten) Plans.253 Mit dieser Einordnung der Technik in den Plan und des Plans in die politische Herrschaft grenzt Freyer von vorneherein sowohl die bloße Planungsideologie oder den Planfetischismus wie auch eine Preisgabe der Verantwortung an die angeblichen „Sachzwänge" der Technik aus. Da aber die politisch Kategorie der „Herrschaft" immer eine gewisse gemeinschaftliche Identität voraussetzt, die ihrerseits wiederum auf einer nur in Jahrhunderten zu erstellenden Kulturleistung beruht, bleibt Freyer seiner kultursoziologischen Perspektive doch treu, insofern er die Legitimität der Politik an die kontinuierliche Weiterentwicklung der Kultur gebunden sieht. 3) Zur Aktualität
von Freyers
Technikdiskussion
Im engeren Zusammenhang der „Leipziger Schule" ergibt die Weiterführung von Freyers „tieferer Begründung der Technik" eine ziemlich ambivalente Bilanz. Die Technik als „charakteristisches Verhältnis des Menschen zur Erde", ihre Verankerung in der menschlichen Verhaltensstruktur, wurde besonders von Arnold Gehlen in hervorragender Weise ausgearbeitet. Dabei ging jedoch der fragmentarische Charakter des Systems der Technik, das für Freyer nur ein Teilsystem im Rahmen einer Gesamtkultur sein konnte, völlig unter. Indem Gehlen die Technik nicht nur als „nature artificielle", sondern als „der große Mensch" darstellt, die zwar
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III
Soziologie der Herrschaft
ursprünglich als Organersatz, Organverstärkung und -entlastung einen funktionalen Wert für den Menschen hatte, nun aber durch ihre fortschreitende Objektivation in Werkzeug, Maschine, Automat und im Mensch-Maschine-Verbund ein Eigenleben führt, „geistreich und trickreich, lebensfördernd und lebenszerstörend wie er selbst, mit demselben gebrochenen Verhältnis zur urwüchsigen Natur" 2 5 4 , ging er eigentlich wieder auf das grundlegende Mensch-Objekt-Verhältnis zurück, das Hans Freyer schon in seiner „Theorie des objektiven Geistes" (1923) systematisiert hatte. Technik als künstliche oder zweite Natur ist eine Objektivationsform ähnlich zu Freyers Kategorie „Gebilde", welche sich durch Ablösung vom aktuellen menschlichen Erleben, vom ursprünglichen Entstehungszusammenhang und vom ausführenden menschlichen Akt verselbständigt hat und als Kulturobjekt und künstliche Eigenwelt nun in einem dreifachen Rückbindungsprozeß zu einer neuen, jedoch nun negativ bewerteten, Synthese mit der Sozialität kommt. Die Rückbindung an das unmittelbare Erleben ist bei Gehlen als verhängnisvolle Veränderung der menschlichen Bewußtseinsstruktur dargestellt, der ursprüngliche Entstehungszusammenhang wird nun zur Manipulierbarkeit der Sachen und der Planbarkeit, der intentionale, ausführende Akt erscheint nun verändert als Automatismus des Handelns und der Habitualisierung - der handelnde Mensch wird mehr und mehr zum Funktionsträger oder Spezialisten. 255 Insgesamt kann man sagen, daß Gehlen das Spektrum von Freyers Frühwerk - die Interdependenz Mensch-Objektivation - bis ins feinste ausgearbeitet, aber nicht grundsätzlich erweitert hat. Die eigentliche soziologische oder politische Dimension des Systems Technik geht durch seine Anthropologisierung und Psychologisierung beinahe wieder verloren, und die Eigendynamik des Systems Technik gewinnt wiederum die Vorherrschaft. 256 Es bietet sich dann von selbst an, daß ein in dieser Weise verselbständigtes und übergeneralisiertes System der Technik, das so tiefgreifende Veränderungen in der soziopsychischen Struktur hervorruft, zu ähnlich pessimistischen Zukunftsvisionen führt, wie sie in der „geistesaristokratischen" Kulturkritik vor 1933 suggeriert wurde. N u r scheint jetzt wissenschaftlich begründet, daß es aus der Gefahr der triebmäßig-irrationalen Verwendung von Technik kein Entrinnen mehr gibt. Eine philosophische Begründung der Technik versucht Gotthard Günther 257 und nimmt ebenfalls das frühe Freyersche Theorem der eigenständigen Objektivation auf, kommt aber zu wesentlichen neuen Erkenntnissen. „Die Technik, die vom Menschen einst ahnungslos gewollte, erhebt jetzt ihre reißbrettkalten Forderungen. Sie antwortet dem Menschen nicht länger wie sein eigener Schatten, sondern wie ein Antwortender; sie ist wirklich".25*
Die
selbstreflexive Struktur des Wirklichen, das grundlegende Thema sowohl des transzendentalspekulativen Idealismus wie des dialektischen Marxismus, weitet Günther nun auch auf die vom Menschen künstlich geschaffenen Welten aus; dabei wird jedoch die Selbstreflexivität dieser Systeme kybernetisch dargestellt. Gleichzeitig wird aber nach Günther mittels der durch die Kybernetik ermöglichten Produktion und Distribution der gesellschaftlichen Mittel die soziale Entwicklung weiter vorangetrieben. Durch eine weltumspannende Technik, die durch die Kybernetik gesteuert und kontrolliert wird, rücken „menschliches Ich und menschliches D u zusammen" 259 ; die weltanschaulichen und nationalen Streitigkeiten müssen ein Ende finden angesichts der weltumspannenden Technik, ihrer zerstörerischen Kraft, aber auch ihres produktiven Potentials. „Damit erhält die Technik geistesgeschichtliche Bedeutung. Sie ist das Vehikel der Selbstrealisation des objektiven Geistes und indem wir uns zu ihr bekennen und ihre Aufträge durchführen, verwandelt sie unseren Blick auf die Weltgeschichte." 260 Im Unterschied zu der späteren Skepsis von Hans Freyer erhält sich Gotthard Günther durchaus den frühen Freyerschen Optimismus seiner Konzeption der Technik als einer vom Menschen
2. Grundzüge einer Herrschaftssoziologie
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geschaffenen und wiederum transformierbaren kulturellen Objektivation. Im Anschluß an den russischen Philosophen und Kybernetiker I.B. Novik sieht Günther eine Möglichkeit, in der Trinität Natur-Automat-Mensch die Menschheit auf eine neue Stufe zu heben, in der Sein, Transzendenz und Reflexion des Menschen in einer neuen Weise miteinander verbunden sein werden. In seiner Stellungnahme gegen die falsche Trennung von realem technischen Willen und bloßer theoretischer Reflexion 2 6 1 schließt sich Günther ganz seinem Lehrer Freyer an, wobei er jedoch durch seine fortgeschrittenere Kenntnis der Technik wesentlich konkreter werden kann. So kommt er über den ethischen Appell hinaus zum logischen Kalkül einer kybernetischen Systemdynamik. Wie Gotthard Günther spricht auch Helmut Schelsky von einer „neuen Metaphysik" im Industriezeitalter. Auch er sieht den Subjekt-Objekt-Dualismus durch ein Denken, das seine Selbstkonstitution sozusagen in System gebracht hat, aufgehoben. Die neue Grundgesetzlichkeit des Verhältnisses des Menschen zur Welt ist die „Produktionsrealität", die Dynamik der sich selbst bedingenden Produktion als das innere Gesetz der wissenschaftlichen Zivilisation; sie bewirkt, daß die technische Sachgesetzlichkeit immer soziale und seelische Forderungen nach sich zieht, die wiederum „technisch" und konstruktiv gelöst werden müssen. „Wir produzieren die wissenschaftliche Zivilisation nicht nur als Technik, sondern notwendigerweise, in viel umfassenderem Maße dauernd auch als Gesellschaft' und als .Seele' (...). D e r Mensch ist sich selbst als soziales und als seelisches Wesen eine technisch-wissenschaftliche Aufgabe der Produktion geworden". 2 6 2 Im Endeffekt spricht Schelsky sich auch wie Gotthard Günther für eine „metaphysische Dauerreflexion" als Sinn- und Wertlehre der wissenschaftlichen Zivilisation aus. J e mehr das Bewußtsein sich in technisch-wissenschaftlichen Leistungen objektiviert, desto reicher wird es an reflexiven Einsichten über sich selbst; die ständige Steigerung der Reflexion macht geradezu seine Überlegenheit über den produktiven Weltprozeß aus. 263 Auch die anthropologische Fundierung der Technik hat Schelsky mit Frey er und der „Leipziger Schule" gemein. Wie Gehlen entwirft Schelsky die Technik als den „künstlichen Menschen", als „die Form, in der der menschliche Geist sich als Weltgegenständlichkeit verkörpert und schafft". 2 6 4 Damit rückt Schelsky jedoch - und hier geht er deutlich über Gehlens anthropologische Defintion der Technik als Organersatz und -überbietung des Menschen als Mängelwesen hinaus - den eigentlich soziologischen Gesichtspunkt in das Zentrum des Interesses: Die „Sachgesetzlichkeit" als „Produktionsrealität", als ständige Selbstkonstruktion des Menschen, wird vor allem in seiner Institutionenlehre soziologisch verarbeitet. Institutionen erzeugen Folgebedürfnisse, die von Institutionen zweiten und höheren Grades erfüllt werden und wiederum neue Folgebedürfnisse schaffen. In modernen Institutionen ist bereits ein hoher Grad des sozialen Wandels, der Reflexion und der sozialen Kontrolle institutionalisiert. D i e Technik ist damit keine fremde Automatik, sondern es sind genau die gleichen Prinzipien der fortlaufenden Selbstorganisation, die sowohl in der Technik, wie auch in der Wissenschaft oder Sozialorganisation wirksam sind. 265 Hier schießt Schelsky jedoch über das Ziel hinaus; Hans Freyer jedenfalls wehrte sich dagegen, die in einer zeitgeschichtlichen Phase zu beobachtenden Trends übermäßig zu generalisieren und zu einem universellen Prinzip der Geschichtsentwicklung zu erheben: Die „immanente Perfektionstendenz der Technik (wird) zu einer Utopie überhöht". 2 6 6 Tatsächlich erscheint Schelskys Aufsatz von 1961 bereits im Rückblick der achtziger Jahre als übermäßig fortschrittsläubig und ahistorisch. Gegen Schelsky und Günther, aber durchaus in Übereinstimmung mit Hans Freyer, bezeichnet Jürgen Habermas die fortschreitende und gewollte Selbstobjektivation des Menschen in der Technik als „kybernetischen Wunschtraum" und als utopische Vollendung von
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III
Soziologie der Herrschaft
vagen Grundannahmen einer technokratischen Entwicklung - eine Utopie, die darauf beruht, daß Technik und Wissenschaft selbst zur Ideologie geworden sind. Gegenüber dem Leipziger strukturgenetischen Ansatz, der die komplizierte soziokulturelle Entwicklung der Industriegesellschaft in die ständige Spannung zwischen Objektivation einerseits und Reintegration der „künstlichen Welt" in die Sozialität andererseits gestellt sieht und hier auch die Technik mit einschließt, reduziert Habermas jedoch die vielschichtige Dynamik der Industriegesellschaft auf den Prozeß der „instinktanalogen Selbststabilisierung" 267 . Auch wenn der zeitgenössische Stand der Systemtheorie von 1968 zugrundezulegen ist, so ist das Problem des Kultur- und Gesellschaftswandels bereits viel früher bei Talcott Parsons 268 in seiner Vieldimensionalität und Mehrschichtigkeit schon sehr viel besser dargestellt worden. Mit der Reduktion der Selbstobjektivation des Menschen in der Technik auf eine Instinktanalogie will sich Habermas aber nicht - wie Gehlen - auf eine rein verhaltenstheoretische und sozialpsychologische Aufarbeitung des Problems der Integration der Technik beschränken; sein Interesse bleibt - in bewährter deutscher Kulturtradition - nach wie vor das der Ideologiekritik: Die Funktion der Technik, die ursprünglich auf das instrumenteile und analytische Denken des Menschen beschränkt war, dehne sich nun auch auf den Bereich der Politik aus. Das zeigt sich nach Habermas vor allem an den folgenden Entwicklungstendenzen: 1) Die manifeste politische Herrschaft des autoritativen Staates wird ersetzt durch technisch-operative Verwaltung. 269 Die Formel „Verwaltung von Sachen statt Herrschaft über Menschen" wurde bereits viel früher von Freyer zur Beschreibung jener „technischen" Macht der Verwaltung verwendet, die rein faktisch sei und von keiner politischen Legitimation gestützt werde, damit aber auch ursprünglich unpolitische Güter zu Machtmitteln umfunktioniere.270 N u r weist Freyer im Unterschied zu Habermas auch den eigentlichen Ursprung dieser Formel nach: sie ist die Zukunftsvision des Kommunistischen Manifestes, die unter der „Diktatur des Proletariats" anstelle der „Herrschaft über Menschen" das „Absterben" des Staates und eine bloße Verwaltung von Sachen ersehnt. Für Hans Freyer ergibt sich aus dieser Vision eine ungeheure mythologische Macht zur Abwertung der politischen Herrschaft und ihrer schamvollen Verschleierung. 271 Nicht die Dominanz der Zweckrationalität selbst, sondern die enge Vernetzung des Verwaltungssystems, die Vereinnahmung des gesamten soziopolitischen Kreislaufs durch die Verwaltung und eben diese Mythologisierung der Zweckrationalität bedingen nach Freyers Ausführungen die technokratische Macht. 272 2) Die technisch-operative Verwaltung führt nach Habermas zu einer schleichenden Erosion der Institutionen; 273 denn Zweckrationalität ist für ihn gleichbedeutend mit Manipulation und schließt eine legitime politische Ordnung eo ipso aus. Auch dieser Trend wurde schon von Hans Freyer ausführlich dargestellt: Alte soziale Ordnungen haben den Menschen wie ein Rahmenwerk vollständig erfaßt und eingeordnet; sie waren legitim, weil sie von einem in sich bereits ordnungshaltigen Leben als wesentliche Ordnung anerkannt wurden. 274 Institutionen nach dem „Modell des sekundären Systems" beruhen allerdings nicht auf dieser allumfassenden Legitimation. Sie laufen vielmehr nach variierbaren Spielregeln ab, sie gelten nur faktisch für einen bestimmten Bereich, ihre Verordnungen sind nur mehr technische Mittel der Lenkung und Planung, an die Stelle einer „heiligen" Ordnung tritt die „motorisierte" Form des Gesetzes, die evident zweckorientiert und den wechselnden Lagen schnell anzupassen ist.275 Eine ähnliche Auffassung hat auch (wenigstens indirekt) Arnold Gehlen, vertreten, der in „Urmensch und Spätkultur" (1956) die Bedeutung der „primären Systeme oder Institutionen" (die durch Ritus, Mythos und Kultus gekennzeichnet sind) hervorhebt, um sie gegen die eher „künstlichen" Institutionen der Moderne abzuheben. 276
J. Vom politischen Utopismus zum politischen Realismus
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3) Auch die Veränderung der menschlichen Psyche - die nach Habermas (bzw. David Riesman) durch die Ablösung der verinnerlichten Normen durch eine von außen gesteuerte normative Anpassung, durch die Entstrukturierung des Über-Ich und die Zunahme des bloß adaptiven Verhaltens gekennzeichnet ist, 277 wurde schon von Freyer betont. Die Spielfelder der Institutionen mit ihren unterschiedlichen Regeln bedingen seiner Meinung nach die Aufteilung der ganzheitlichen Person in partielle Funktionszusammenhänge bzw. umgekehrt eine Anpassung der Intelligenz und im Effekt sogar der Triebe an diese Spielregeln. Am Ende stehe die Selektion eines besonderen Typs von Intelligenz, der tatsächlich „spielend" von einem Spiel in ein anderes überwechseln kann. Die externe Verhaltenssteuerung aber wird aufgrund dieser Segmentierung und Selektion nie als rigider Zwang empfunden, und sie kann sogar durch geschicktes Hindurchschlüpfen und Wechselspiel opportunistisch ausgenützt werden. 278 Nicht viel anders als Freyer, der sich auf seine Parabel des Bäckerjungen beruft, der mit seinem Fahrrad das Verkehrsgewühl überrundet, stellt Habermas der Funktionalisierung den Rückzug auf eine „lebensweltliche" Nische gegenüber. 279 Im Rückblick ist doch erstaunlich, wie unbefragt Freyers Thesen in der deutschen Nachkriegssoziologie von politisch recht unterschiedlichen Lagern übernommen worden sind. Auch die Kulturkritik in Horkheimers und Adornos „Dialektik der Aufklärung" wurde mit Freyers „konservativer Kultur- und Zivilisationskritik" in „Schwelle der Zeiten" verglichen. 280 D o c h zeigt dies nur, daß diesen ja über Frey er viel weiter zu Hegel, Marx und Lorenz von Stein zurückreichenden Thesen bis in die siebziger Jahre grundsätzlich keine anderen Argumente entgegengestellt werden konnten.
3. Vom politischen Utopismus zum politischen Realismus
a) Metapher, historisches Gleichnis und, ethischer Appell In der Analyse der politischen Schriften von Hans Freyer kann man es sich nicht ganz so einfach machen, wie Helmut Schelsky noch 1981 vorschlägt, 281 nämlich die „dichterischen" von seinen „wissenschaftlichen" wie seinen „politischen" Werken abzusondern, also etwa die „Pallas Athene" (1935) zu trennen von der „Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft" (1930) oder von „Herrschaft und Planung" (1933). Aber abgesehen davon, daß diese Trennung weder thematisch zu rechtfertigen ist, noch im Stil in jedem Fall eine wirklich deutliche Trennungslinie zu ziehen ist, kann gerade auch die „dichterische" Präsentation ein Stilmittel sein, um einen Inhalt, der - nüchtern zusammengefaßt und nicht erst aus den Konsequenzen der wahnwitzigen Kriegspolitik Hitlers gesehen - unerträglich ist (und auch vielen seiner Zeitgenossen 1935 schwer erträglich oder jedenfalls seltsam erscheinen mußte) als expressionistischen künstlerischen Versuch zugleich akzeptabel zu machen und in ein leicht irreales Licht zu tauchen. 282 D o c h wie Freyer sich später hinter den historischen Figuren von Machiavelli und Friedrich II. von Preußen verbirgt, so schlüpft er hier in den Mantel des Propheten, der im Sinne und im Stile von Nietzsches „Jenseits von Gut und Böse" eine radikal neue, die „bürgerliche Moral" auf den Kopf stellende „Ethik" verkündet. Die Einbeziehung der „Pallas Athene" in die politischen Schriften berührt vielleicht den dunkelsten Punkt in Freyers Politischer Soziologie und Ethik; in Fortsetzung der Linie von „Pallas Athene" zu
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III Soziologie der Herrschaft
„Machiavelli" (1936) und „Preußentum und Aufklärung" (1944) wird etwas sichtbar von dem schmerzlichen Lernprozeß, den Hans Freyer selbst durchmachen mußte, aber auch etwas von dem Entwicklungsweg zum „politischen Realismus", den die deutsche Politische Soziologie insgesamt zurücklegen mußte. In einer Situation der politischen Krise (die bald bis zur offenen Zensur reichen sollte) ist es besonders wichtig, die Mehrschichtigkeit gerade von scheinbar historischen oder historisierenden Texten zu beachten. Die Kritik der bestehenden Zustände und die Aufrichtung neuer Normbilder wird hier notwendigerweise auf der Ebene der Metaphern und der wertgeschätzten historischen Figuren verankert, während die wissenschaftliche Textebene der Interpretation des vorgeschobenen historischen Gegenstandes so gut wie möglich objektiviert und unangreifbar gemacht wird. Dieser Riß aber kann noch tiefer gehen: Je stärker die politische Unsicherheit (oder auch der politische Druck) wird, um so mehr treten nämlich auch theoretische Aussage und ethischer Appell auseinander. Die ethische Forderung aber, die einer Handlungsohnmacht entspringt und die unter den gegebenen gesellschaftlichen und politischen Umständen auf Gehör nicht rechnen kann, verkommt dann sehr leicht zum „ethischen Appell", der in seiner Ubersteigerung und Formelhaftigkeit einerseits das Ressentiment dessen verrät, der Anspruch auf geistige Führung erhebt, ohne an der Führung beteiligt zu sein, und der die Last der Verantwortung zum guten Teil auf seine Leser oder seine Mitwelt abladen muß. Diese Tendenz wird bei Freyer besonders deutlich zwischen 1931 und 1938, also von der „Revolution von rechts" über den Höhepunkt der „Pallas Athene" (1935) bis zu „Machiavelli" (1938) - eine Studie, in der Freyer das Gefühl der Ohnmacht besonders sensibel reflektiert - , während „Preußentum und Aufklärung" (1944) - nachdem die Lage des Deutschen Reiches ohnehin aussichtslos und entschieden ist - sowohl in der theoretischen Aussage wie in der ethischen Forderung schon weitaus klarer und konkreter werden kann. In diesem Sinne ist die Machiavelli-Analyse für Freyer ein klassisches Gleichnis, mit dem er die eigenen politischen Erfahrungen in die Sphäre des Gültigen hinaufzuheben sucht,283 ungefähr in der gleichen Art, wie schon Machiavelli die Antike als Kategoriensystem benützt hatte. Diese wissenschaftliche Vorstufe wird von Freyer bewußt gewählt, denn andere als gleichnishafte Erkenntnis scheint ihm nun nicht mehr möglich. Hans Freyer hat sich nach 1935 nur mit historischen Themen beschäftigt, die oberflächlich gesehen jeden aktuellen politischen Bezug meiden, schon weil die historischen Gestalten für eine politische Kontrolle wenier angreifbar sind. Zudem steht hinter der Beschäftigung mit Geschichte eine der Hoffnung Machiavellis ähnliche Sehnsucht nach einem Wiederaufleben der verschütteten „virtù" - nach der „anderen" deutschen Tradition. Im Begriff „Renaissance" - „in der Wiedergeburt des Alten gestaltet sich das Neue" - lag zu dieser Zeit auch für Hans Freyer die einzige Hoffnung. Ein Rückzug in die historische „Einsiedelei" war das dennoch nicht, denn die Gleichnisse hatten vielfältige aktuelle Bedeutung und erfüllten Funktionen, die der Soziologie und politischen Wissenschaft damals nicht mehr möglich waren. Daß die Beschäftigung mit Machiavelli für Freyer nicht nur ein Rückzug in die klassische politische Theorie war, läßt sich bereits mit seinem Vortrag „Über Fichtes Machiavelli-Aufsatz" 284 belegen. Fichtes Machiavelli-Deutung wird von Freyer mit Fichtes persönlichem Erleben seiner politischen Gegenwart in Zusammenhang gebracht, wie Freyer seine eigene Machiavelli-Interpretation als Ausdruck seiner Situation verstanden haben wollte. Gleich Machiavelli war Fichte der „verhinderte Täter", der einsehen mußte, daß es eine verhängnisvolle Täuschung war, durch Philosophie direkt politisch wirken zu wollen; mit dieser Hoffnung hatte sich Fichte in politischer Krisenzeit nach Königsberg begeben. Trotzdem
3. Vom politischen Utopismus zum politischen Realismus
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kann die politische Publizistik Fichtes nicht von seinem philosophischen Werk getrennt werden; es ist nach Freyer völlig falsch, Fichtes Machiavelli-Schrift als direkte Reaktion auf politische Ereignisse und deren nachträgliche Bestätigung zu deuten - und damit setzt er natürlich zugleich den Stellenwert seiner eigenen derzeitigen Schriften und besonders des „Machiavelli" fest. 285 Die Gebundenheit des menschlichen Handelns an konkrete Situationen und an die Individualität der menschlichen Subjekte, eines der grundlegenden Theoreme in Freyers Soziologie, macht nun für Freyer den „Kreuzwegcharakter des politischen Handelns" aus, aber gerade in dieser kurzen Zeit der Not, in diesem Leiden an der konkreten Situation soll es Fichte gelungen sein, die Lehre vom politischen Handeln in ihrer ethischen Bedeutung zu erfassen, die später wieder verloren ging. Gerade jetzt wurde Fichtes Version des Idealismus für Freyer so aktuell, da sie theoretisch gegen die Notwendigkeit der Geschichte, praktisch gegen die Passivität im politischen Leben gerichtet war, und Fichte sich damit gegen die Gefahr wandte, „alles, so auch das politische Geschehen, in einen immanent notwendigen Sinnverlauf umzudenken". 286 In der Zeit nach 1935 haben sich Hans Freyer und mehrere seiner Schüler und Kollegen einem fichteanischen ethischen und melancholischen Idealismus verschrieben, 287 der zwar seine Fragestellungen bewußt der Zeitwirklichkeit entnimmt und zu sittlicher Entscheidung aufruft, der jedoch in einer Zeit des politischen Zwanges und der „Fremdherrschaft" die aktive Selbstgestaltung des politischen Volkes und die hoffnungsvolle Vorstellung des Volkes als überdauerndes Wesen nur mehr beschwören kann. 288 So ist der „Machiavelli" durchaus zweischichtig und zweideutig zu lesen. Der Leser kann jeden Absatz auch auf die politische Gegenwart hin interpretieren: Der Staat als Ordnungsgebilde hat Wert ersten Ranges - eine Bestätigung des gegenwärtigen NS-Staates? - oder aber Mahnung in einer Zeit, in der der Staatsbegriff dem propagandistischen Begriff der „Bewegung" weichen muß? Der politische Abenteurer als der eigentlich zeitgemäße Typus des Staatsmannes - eine höchst aktuelle Figur? - er muß jedoch nachträglich die Fundamente zur Ordnung legen, um nicht von der tückischen fortuna wieder gestürzt zu werden, er muß aus dem Abenteurerstaat einen echten Staat machen! 289 - also doch ein warnender Aufruf? Die Trennung der Politik von der Moral - kann sie, angesichts der allgemeinen Passivität und der konservativ-aristokratischen, durch Gesinnungsethik gelähmten Widerstandsbewegungen, nicht auch ein Aufruf sein, endlich etwas zu tun? „Halbe Rezepte, auch solche die durch Moral halbiert sind, helfen der Gegenwart nicht." 290 An anderer Stelle sagt Freyer deutlich, welches gegenwärtige Problem er in seiner Machiavelli-Interpretation anspricht: es geht ihm nicht, wie der Machiavelli-Rezeption des deutschen Idealismus, um den Strukturbegriff des Staates oder den Volksbegriff, sondern um die Lehre vom politischen Handeln. Jetzt beschränkt sich Freyer ebenfalls nur mehr auf die Norm des Sachgerechten, die qualità dei tempi. Nur der Handlungsmodus, der ihr gewachsen ist, hat Wirkung. Wenn die qualità dei tempi es erfordert und die virtù, das kollektive politische Bewußtsein fehlt, dann greife man zu Machiavellis Lehre von den „Surrogaten des Handelns". Auch Berechnung, Schläue und Verschlüsselung können der qualità dei tempi adäquat sein „wie man solche Notbrücken baut, das ist die Kernfrage der Zeit an die politische Wissenschaft". 291 Die Melancholie der Arbeiten Freyers über Machiavelli liegt vor allem wohl darin, daß er nicht mehr zum Handeln als kollektive Selbstbestimmung aufrufen kann. Auch den Glauben an das Volk als historisch gewachsene Kultureinheit muß er nun endgültig den Idealisten des 19. Jahrhunderts überlassen; die politische Gegenwart hat den Volksbegriff im Rassismus pervertiert. 292 Die inhaltliche Grundfrage, die Carlo Schmid 293 später im Werk
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III
Soziologie der Herrschaft
Machiavellis unbeantwortet fand, muß auch bei Hans Freyer offen bleiben: Will er den schlechten Führer bloßstellen, den Volks- und Staatsbegriff korrigieren, die Möglichkeit des Widerstands gegen das herrschende Regime hervorheben? Oder sieht er das Volk so verrottet und verdorben, das den Tyrannen als einzig mögliche Gewalt braucht, um vom Bösen so abgeschreckt zu werden, daß wieder etwas Gutes daraus wird? Selbst in der politischen Krise verfangen, kann auch Hans Freyer keine definitive inhaltliche Aussage mehr machen. Nur die Hoffnung hält er trotzig aufrecht, muß dabei aber auf der Stufe des „Aenigma" stehenbleiben, zu dessen Lösung eine überirdische Sehergabe notwendig wäre. Die Rezeption des Freyerschen „Machiavelli" zeigt, daß es den Zeitgenossen nicht leicht gefallen ist, die Verschlüsselung oder Verrätselung dieser historischen Figur wahrzunehmen oder zu akzeptieren. Einerseits wird Freyer zugute gehalten, daß Freyer in Machiavelli mehr als einen bloßen Technizisten der Macht gesehen hat, daß er die strukturellen Bedingungen der „virtù" als produktive geschichtliche Kraft herausarbeitet; dabei wäre ihm jedoch Machiavellis anthropologischer Pessimismus abhanden gekommen. Gerade in Krisenzeiten kann aber die Verdammung des Menschen als „grundsätzlich schlecht" nicht weiterhelfen - insbesondere diese Interpretation scheint in mehreren gleichzeitig erscheinenden Arbeiten Schwierigkeiten zu bereiten. 294 Daß für Hans Freyer der Krisen- und Notstaat zur harten, unangreifbaren Realität geworden ist, daß die Entwicklung zum Ordnungsstaat bereits zur entfernten Hoffnung verblaßt ist und nur noch durch ein „Verwandlungswunder" erreichbar scheint, wertet René König als moralisches Vergehen; es ist für ihn ein Indiz für den „Theoretiker als Täter" - er bezichtigt Freyer einer Apologie und Normalisierung der bestehenden Krisenverhältnisse. 295 Hätte Freyer jedoch den Staat aus der Idee der Wahrheit nicht lediglich als Hoffnung, sondern als geltenden Begriff beibehalten, wäre es nicht gerade in dieser Situation als Verherrlichung des NS-Staates verstanden worden? Daß der Staat als sittliche Ordnung für Hans Freyer nicht das Idealbild wäre, kann König ihm aus dem Machiavelli nicht nachweisen, 296 denn ganz in Freyers Sinn hebt König hervor, daß in einer in sich verfallenden Zeit der Gedanke der legitimen Herrschaft, der Staatsgründung aus der sittlichen Idee, an Grundlage verliert und zur Ideologie wird, und daß der politische Charakter der Lehre vom Staat hervortritt. Aber er macht gerade daraus Hans Freyer den Vorwurf eines „Fehltritts". O b in einem dekadenten Staat die auf Logos und Wahrheit fundierte Staatsidee aufrechterhalten werden kann, ohne zur Apologie zu werden, ist hier das wissenssoziologische Problem. Verschlüsselungen und Gleichnisse sind für René König auf jeden Fall nicht wahrzunehmen. Freyer wird von ihm mit dem gleichen Vorwurf beschuldigt, wie der historische Machiavelli: Ästhetisches Schweben, Dekadenz-Immoralismus; Königs Ideal als Gegenentwurf ist dabei Piatons Staatskonstruktion aus der Idee der Wahrheit, aus dem allgemeinen Logos heraus. Gegen König kann man einwenden, daß das Festhalten an dieser platonischen Staatsidee angesichts der weltumfassenden politischen Krisen ebenfalls eine Asthetisierung, ein Verharren in klassisch-antiken Träumen darstellt, und dieser Einwand kann mit René Königs eigenen theoretischen Argumenten in seiner soziologischen Krisenanalyse der italienischen Renaissance gestützt werden. Für König gilt nämlich genauso, daß in einem politischen Räuberstaat ohne transzendentale sittliche Idee immer ein Nebeneinander von reiner Tatsächlichkeit und mythischer Überhöhung festzustellen ist 297 ; denn keine Lebensgestalt kann ohne ein Bewußtsein von Ordnung auskommen. Fehlt eine das tatsächliche politische Leben zusammenfassende Ordnungsvorstellung, so muß zu einer „entliehenen Ordnung" gegriffen werden und dies kann nur in mythischer Übersteigerung, als Weltflucht, geschehen. 298 Die einzige Waffe gegen die tobende Tatsächlichkeit, die Willkür der faktischen Verhältnisse, ist dann die kunstvolle
3. Vom politischen Utopismus zum politischen Realismus
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R h e t o r i k , die „ästhetisch-verführerische Magie des Wortes, (...) die verzweifelte M y t h i k all derer, die nicht dazu geboren sind, nur im Tatsächlichen zu l e b e n " . 2 9 9 M i t diesen wissenssoziologischen Kennzeichnungen einer politischen T h e o r i e in der Krisenzeit begründet R e n é K ö n i g seine Interpretation des Theoretikers Machiavelli als Künstler, als Ästhet der G e w a l t samkeit. O b w o h l er durch seine soziologische Krisenanalyse die Unumgänglichkeit der Ästhetisierung u n d M y t h i k nachgewiesen hat, wird er durch die Doppeldeutigkeit und das „Schillern" der ästhetischen Situation veranlaßt, Machiavelli des „unernsten Charakters des D e n k e n s " zu bezichtigen, „das weder als politische Wahrheit ganz im L e b e n bleibt, noch das L e b e n zur Wahrheit hin ü b e r w i n d e t " . 3 0 0 D e r T h e o r e t i k e r als Künstler ist als ästhetischer U t o p i s t ein Scharlatan, der „mit ästhetischen Fernbildern der aufgerührten Menschheit die Verheißung neuer O r d n u n g " vorgaukelt. 3 0 1 Als Emigrant im unmittelbar gefährdeten N a c h barland selbst in der europäischen politischen Krise verfangen, konnte aber R e n é K ö n i g ebenfalls nur noch ein ästhetisches Fernbild des „Staates als Idee des L o g o s " aufrechterhalten. M i t gleichem Einfallsreichtum und in ähnlich literarisch-bildhafter Sprache verfaßt machen Freyers und Königs Machiavelli-Interpretationen das verzweifelte Ringen u m den F o r t b e stand politischer Ideale deutlich. G a n z anders stellt sich die Aufgabe einer Textinterpretation von „Preußentum
und
Aufklärung" dar, das t r o t z der vorgeschobenen Figur des Preußenkönigs weitaus systematischer und rhetorisch nüchterner ist als die vergleichbaren Schriften bisher. Friedrichs sechs bittere J a h r e des Wartens und der Prüfung auf S c h l o ß Rheinsberg, die auch trotz ihrer Glanzlichter der Freundschaft, K u n s t und wissenschaftlich-philosophischen Reflexion eine Zeit der Härtung gewesen sind, 3 0 2 mögen von Hans F r e y e r als Parallele zu seinem Aufenthalt in Budapest von 1938 bis 1944 empfunden worden sein. 3 0 3 Als Zeitgenosse einer ungeheuren politischen Katastrophe, j e d o c h in selbstgewählter Distanz und mit d e m geschärften B l i c k des außerhalb stehenden Beobachters, fand er hier die Wendung z u m „politischen Realismus des Staates". Während in der „Wirklichkeitswissenschaft" noch eine reine Situationsethik für die Z u k u n f t entworfen wird, k o m m t er in „Preußentum und A u f k l ä r u n g " sozusagen zu einer „Systemethik", in der die aus äußeren Begrenzungen und kollektiven Bedingungen sich ergebenden Zwänge, aber auch die langfristigen historischen Kontinuitäten, stärker betont werden als die Möglichkeiten des individuellen Handelns in einer wechselnden oder u n b e stimmt bleibenden Situation. Wenn nun F r e y e r statt eines abstrakten Modells eine herausragende historische Gestalt wählt und diese zu einem „ N o r m b i l d " verdichtet, so dient das zwar einerseits der Camouflage von theoretischen Erkenntnissen in klassischen Bildern. A n d e r e r seits k o m m t nun aber wieder der Aspekt der historischen Kontinuität hinzu, denn die Zeit Friedrichs des G r o ß e n ist ein bleibender Baustein auch der deutschen Gegenwart. G e g e n w ä r tige politische Einsichten haben u m s o mehr Realitätsgehalt und sie sind u m so wirksamer, j e mehr Geschichte bzw. Geschichtsbewußtsein sie in sich vereinigen können. Gerade die Schrift über Friedrich des G r o ß e n Antimachiavel enthält eine kühne P r o j e k t i o n in die Zukunft. Das historische Sujet ist z u m einen Verschlüsselung einer Gegenwartsanalyse und enigmatische politische Philosophie, gleichzeitig aber unentbehrliche S t r u k t u r k o m p o n e n t e dieser G e g e n wart selbst, die nun dieses letzten Rettungsankers bedürftig geworden ist. Als N o r m b i l d aus der Vergangenheit soll die Gestalt Friedrichs den katastrophalen Irrweg der Gegenwart umso deutlicher sichtbar machen und wird nun zur offenen Anklage. D i e Idealisierungen des „genialen" Preußenkönigs und seiner „tieferen" Aufklärung, auch der preußischen Staatsidee, ist nicht zu übersehen. I h r Sinn liegt aber gerade in ihrer F u n k t i o n als Kontrast und bleibendes, in die Geschichte eingeprägtes Leitbild, um der gegenwärtigen Staatsführung doch
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sehr konkrete, sie provozierende und letztlich in Frage stellende, Kriterien für die Rechtmäßigkeit ihrer Politik entgegenzuhalten. b) Transformationen
einer Politischen Ethik
Wenngleich Hans Freyers „Politischer Ethik" ein gewisser kompensatorischer Charakter nicht abzusprechen sein wird und er nie zu einer wirklich systematischen Ausarbeitung und kontinuierlichen Entwicklung seiner Gedanken hierzu gekommen ist, so zeigt doch gerade der ausgesprochen sprunghafte und erratische - stark vom wechselnden Zeitkontext beeinflußte - Fortgang seiner Überlegungen und Wertungen die versuchte Wendung zum „politischen Realismus" (in all ihrer Problematik) besonders deutlich. Besondere Schwierigkeiten beim Aufweis dieser Wendung bietet allerdings die Interpretation der „Pallas Athene", die bei ihrem Erscheinen wohl schon nicht mehr als „zeitgemäß" bezeichnet werden kann. Konzipiert als „Ethik der konservativen Revolution" 304 , im unmittelbaren Zusammenhang mit der „Revolution von rechts" (erschienen 1931), erscheint sie um Jahre verspätet 1935, nun jedoch mit dem Untertitel „Ethik des politischen Volkes", der vom Inhalt her - vergleicht man die Ausführungen mit anderen Arbeiten zur Volkwerdung305 - aber wohl kaum gerechtfertigt ist. Wenn dieser neue Titel den damaligen Machthabern genehm sein sollte, so ist doch bemerkenswert, daß diese Schrift, die heute - im Rückblick und in der unbewußten Vermengung oder auch bewußten Verwechslung der Zeitkontexte - als Rechtfertigung oder Lobpreisung des nationalsozialistischen Regimes gelesen wird, von dessen politischen wie soziologischen Vertretern völlig ignoriert worden ist und ihnen tatsächlich ja auch in vielfacher Hinsicht (nochmals ein Aufruf zu einer „Revolution", die ihrer Meinung nach mit der „Machtergreifung" längst vollzogen war) verdächtig erscheinen mußte. Eine historisch zuverlässige Beurteilung der Zusammenhänge ist derzeit kaum zu leisten, da nicht einmal die Datenlage einwandfrei festzustellen ist. So kann es im folgenden nur um eine Darstellung der theoretischen Transformationen gehen, die Freyers Ethik von der „Pallas Athene" (1935) über den „Machiavelli" (1938) bis zu „Preußentum und Aufklärung" (1944) erfährt. Im Vordergrund stehen dabei vor allem die Kategorien „Theorie" und „Praxis", „Erkenntnis" und „Tat", aber auch „politische Legitimität" und „politische Macht". 1) „Pallas Athene" oder: Zur Ethik der politischen
Ausnahmesituation
Wenn man sich dem Verständnis der „Pallas Athene" annähern will - obgleich zunächst nur von einer Seite, die nicht gleich das ganze Bild erfassen kann - so wird man die provokatorische Verhöhnung der Kantischen Formel vom „Sittengesetz in mir" und dem „gestirnten Himmel über mir" ernst nehmen müssen und davon ausgehen, daß diese Politische Ethik wenn sie überhaupt als eine solche gelten kann - einen totalen Ausnahmezustand proklamiert, also nicht Ethik im Sinne des kategorischen Imperativs (daß die Maxime meines Handelns jederzeit geeignet sein müsse, Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung zu sein) sein kann und nicht sein will. Die Maximen dieser „Ethik" sind nicht generalisierbar, vielmehr werden „Ethik" und (bürgerliche) „Moral" gegeneinander ausgespielt, wird da, wo vom „Lob des Gewissens" die Rede ist, dem „Gewissen aus der Welt des kleinen Mannes", der „Moral der Hausgötter", ein Gewissen mit „politischem Format", eben die „Göttin der politischen Tugend" gegenübergestellt,306 erinnert der „Aufbruch" in seiner Doppeldeutigkeit fatal an Vergewaltigung. Diese Ethik will auch gar keine „allgemeine" Ethik sein, sondern eine
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„besondere": „Darum ist die politische Tugend nicht eine über die ganze Erde hinweg. Sie entsteht immer neu, wenn ein Staat erwächst".307 Die Frage aber ist, ob es eine solche „Ausnahme-Ethik" geben kann, ob damit nicht die Ethik sich selbst aufhebt: wenn zwischen den Staaten nochmals der „Naturzustand" verkündet wird, droht auch die Sittlichkeit innerhalb der Staaten zusammenzubrechen. Gefährlich undifferenziert ist diese Ethik schon in ihrem dichotomischen Aufbau, in dem „stark oder schwach, Freund oder Feind, Ich oder Du" antagonistisch einander entgegengesetzt werden und in der es - ganz im Unterschied zu Freyers Schriften vorher und nachher keine Entwicklung gibt: die „Geschichte der Macht" ist „nicht Entwicklung: kein Weiterbau eines Begonnenen und keine produktive Verwandlung des bleibenden Erbes. Sondern sie ist Getriebe und atemberaubende Gegenwart, Wiederkehr des Gleichen, freilich mit so viel Erneuerungsimpulsen, daß es selten als das Gleiche erkennbar ist und sich nie als das Gleiche fühlt". In einer Ethik des „Sein oder Nichts" bewährt sich der Staat erst im Krieg,308 gibt es nicht nur keine Kooperation der Staaten untereinander, nur Eroberung und Unterwerfung,309 sondern auch innerhalb der Staaten kann es eine konstruktive Zusammenarbeit kaum geben. Jedenfalls ist das, was Freyer die „Alchimie der Politik" nennt, in großem Umfang nur eine „Alchimie der Gewalt", in der die politische Körperschaft unentwickelt bleibt, in der es angeblich nur „Führer" und „Volk" gibt (oder geben soll), jedoch keine Eigeninteressen der funktionalen Eliten, keine soziale Schichtung, keine Organisationsmacht außerhalb des Staates. Das Freyersche Zitat reicht von der magischen Beschwörung bis zum nackten Zynismus, und läßt kaum einen Interpretationsspielraum offen: „Immer handelt es sich darum, in dem Leben, das sich auf seine Weise zusammengelebt hat, ein neues magisches Zentrum aufzurichten, auf das die Menschen nun hinstarren, welcher Segen von ihm komme oder welches Unheil. Das ist eine Vergewaltigung der menschlichen Natur, und die Menschen entgleiten der Politik immer wieder, weil sie mit ihren eigenen Dingen so viel zu tun haben. Aber die Leistung der politischen Tugend besteht darin, daß diese Vergewaltigung immer aufs neue gelingt, so gründlich gelingt, daß die Erde nicht bloß Wohnhäuser und nützliche Anstalten, sondern Tempel, Burgen und Paläste trägt. Aus dem arbeitssamen und verspielten Menschenwesen, das höchstens im Kampf für seine Brut eines Heldentums fähig wird, eine Heldenschar zu machen für ferne Ziele, ihm, das gegen diesseitige Autoritäten im Grunde skeptisch ist und ihnen gerne ausweicht, den absoluten Glauben an die sichtbare Macht aufzuzwingen, ihm, das so gerne lebt, den freiwilligen Tod zu versüßen, ihm eine neue Ehre einzupflanzen, die nur Opfer kostet, kurz diese weiche Materie in ein hartes Metall zu verwandeln, mit dem man stoßen und schlagen kann - das ist die merkwürdige Alchimie, die immer neu erfunden werden muß, wenn politisch etwas geschehen soll." 310 Doch diese Sätze sind nicht nur im Überschwang gesprochen, sie sind durchaus systematisch angelegt in einer „Ethik", die nichts von theoretischer Erkenntnis und - ganz im Gegensatz zur „Theorie des objektiven Geistes" von 1923 - auch nichts mehr vom Werk wissen will. In der Perspektive einer „Ethik des Willens" oder der „Tat" 3 " erscheint eine „Ethik der Werke" eng und kleinbürgerlich: „In der Welt des Willens ist kein Platz für selbstgenügsame Formen von so rundem Sinn (...) Die tätige Seele steht ihren Werken und ihrem eigenen Schöpfertum viel freier gegenüber: selbstsicher, leger, fast reserviert. Das einsame Selbstopfer des Genies wird zur banausischen Mühewaltung und zur unedlen Besessenheit gegen die königliche Könnerschaft, mit der der tätige Wille das Notwendige immer an seiner Stelle hervorbringt ...Von dem übermächtigen Schaffensdrang, der die Seele verwüstet und die Freiheit in Bann schlägt, wird er nicht geschüttelt, und sein Schicksal ist
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nicht an das Gelingen eines einzelnen Gebildes verkauft". 3 1 2 Freyer scheint hier nichts weniger als sein eigenes Werk u n d seine Gelehrtenkarriere zu verraten, denn die „Ethik des Willens" ist vor allem auch gegen die theoretische Vernunft gerichtet, die Ausschau nach dem G a n z e n hält u n d die Begründung sucht, damit aber die Tat begrenzen könnte. 3 1 3 E r scheut sich auch nicht, eine neue „Logik" dieser „Willensethik" zu erfinden, wenn er postuliert: „Sie folgert v o n hinten nach vorn, aber es stimmt. Sie schließt völlig unerlaubterweise: ich hasse dich, also bist d u häßlich - sieh wie d u dich entstellst u n d dich selber hassenswert findest. Sie argumentiert, ganz ohne Gefühl f ü r die Würde der Logik: ich will diesen Berg stürmen, also ist er nicht uneinnehmbar". 3 1 4 D o c h dies kann n u r eine „Logik des Wunschdenkens" genannt werden, deren Willkür durch keine Realität m e h r begrenzt wird, weder durch die von Menschen, die letztlich doch immer wieder aufeinander angewiesen sind, noch d u r c h die der N a t u r , die dem Menschen n u r zu einem geringen Teil verfügbar ist. Wenn Freyer in dieser sonderbaren „Ethik" auch keinen Platz f ü r das „Wissen" hat, beruft er sich dennoch auf das „Gewissen". Freilich ist es ein „Gewissen" ganz anderer Art, als es den ängstlichen Kleinbürger mit seiner „banalen Moral" kennzeichnet: „Natürlich fällt hier alles weg, was an ängstliche Selbstprüfung u n d redliches Bemühen, an stilles H e l d e n t u m und edle Einfalt, an gute Gesinnung u n d kategorischen Imperativ erinnert". 3 1 5 Dieser Satz gießt H o h n u n d Spott über all das aus, was einmal den Inhalt des deutschen Idealismus ausmachte, von Winckelmanns Definition der Klassik („edle Einfalt u n d stille G r ö ß e " ) bis zu Kant und der „Protestantischen Ethik". D e m angeblich niedrigeren Gewissen wird ein höheres Gewissen gegenübergestellt, das von Zweifeln und auch v o n Schuld freigestellt ist, denn: „Das Gewissen hat weder Zeit noch Laune, alles was in der Seele geschieht von G r u n d auf zu deuten, alles im voraus zur bündigen Gestalt zu ordnen und jede Regung, noch ehe sie recht z u m Ausbruch k o m m t , mit einem wohlbestimmten Sinn in ihr eigenes Gefüge einzufügen. Die Theorie mag auf die Fragen, wie das Ganze zusammenhängt u n d was jedes einzelne bedeutet, eine plausible A n t w o r t wissen. Das Gewissen stellt nicht einmal die Fragen. Es liebt in sich selber das Ungedeutete wie eine innerlichste M u t p r o b e u n d hat eine höhere Gewißheit als die Erkenntnis". 3 1 6 Die Gewißheit dieses Gewissens jedoch beruht auf seiner H o r i z o n t losigkeit: „Es denkt in lauter Entscheidungen. Es mißt immer absolut. U n d weil es nie vergleicht, sondern immer zielt, nie Angst hat, sondern sich immer einsetzt, errechnet es, ohne rechnen zu müssen, das schlichteste Resultat: das G u t e hier u n d jetzt". 3 1 7 Tatsächlich kann das Ergebnis dieser H o r i z o n t - u n d Maßlosigkeit nur eine Ethik des „hier u n d jetzt" sein, ohne Z u k u n f t s h o r i z o n t und o h n e Bindung an die Vergangenheit, ohne innere Bindung aber auch an die anderen Menschen, jedenfalls an die unheroischen, „gewöhnlichen" Menschen. D e n n so soll es schon immer gewesen sein: „Die Gewissen, die auf Erden schlagen, waren wie eine Handvoll Edelsteine, die, jeder f ü r sich v o n absolutem Wert, in dem Schutthaufen der Welt verstreut sind". 3 1 8 Was immer sie tun, diese heroischen Menschen sind ohne Schuld; denn sie sind von der Göttin (von Pallas Athene) gewählt: „von Fall zu Fall lockt, erwählt, erzwingt sich die Göttin ihre Helden, und erst mit ihnen entsteht, mit ihnen versinkt das Gebot, das an sie gerichtet wird, die Verantwortung, die ihnen auferlegt ist, und die Schuld, in die sie sich verstricken". 3 1 9 Pallas Athene nämlich wählt - der Hegeischen Emanation der „Volksgeister" aus dem „Weltgeist" folgend - die „politischen Völker" bzw. jeweils das „politische Volk", das einer Epoche seine Signatur geben wird. 3 2 0 Dieses „politische Volk" entsteht aus einem „natürlichen Volk", aber es geht darüber hinaus dadurch, daß das „Wunder der Polis" geschieht, d. h. daß es zu einer neuen Staatsgründung oder zu einer Revolution kommt. 3 2 1 Im Gegensatz zu einem (parlamentarischen) Gesetzgeber, der n u r „den
J. Vom politischen Utopismus zum politischen Realismus Ausgleich der Interessen und die Befriedigung der schwebenden Gegensätze"
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anstrebt,
flammt hier „das Gesetz auf wie ein Fanal. E s verkündet einen Schwur, den alle leisten wider das H e r k o m m e n und wider ihr natürliches Interesse. E s greift in die Substanz der Menschen ein und verändert sie. Es reißt das L e b e n aus seinem R h y t h m u s . E s weckt Triebe und Tugenden, die, wenn das F e u e r nur auf den Herden glüht, immer schlafen". 3 2 2 Was F r e y e r hier verkündet, kann bestenfalls eine „ E t h i k der R e v o l u t i o n " genannt werden, mit seinem „politischen V o l k " hat sie jedenfalls nur wenig zu tun. Dieses erscheint jetzt nur mehr als „ B l o c k des V o l k e s " , an dem der Staatsmann wie ein Bildhauer arbeitet. 3 2 3 D i e Anklänge an Nietzsches „Artisten der M a c h t " , an jene „höhere A r t herrschaftlicher und cäsarischer Geister (...), welche diese neue Sklaverei nun auch - nöthig h a t " , sind nicht zu überhören; n u r vermißt man bei F r e y e r die implizite Anklage Nietzsches, daß es so weit k o m m e n mußte, und auch die differenzierte Dialektik zwischen Gesellschaft, Staat und h ö h e r e m Menschen, das M o d e l l des Staates als Aufgabe wie als Auslöser von Elitenbildung, die Nietzsches „Züchtung des höheren M e n s c h e n " immer noch zugrunde liegt. 3 2 4 Freyers „ P r o m e t h e u s " und „Revolution von rechts" standen mit der Idee der plebiszitaren Führerdemokratie einem Nietzscheanischen Staatsmodell wahrscheinlich viel näher als der R e v o l u tionsmythos der „Pallas A t h e n e " , in dem zur Beherrschung der Massen nur n o c h die einfachsten Leitbilder genügen: „Die J u g e n d will den Helden. D e r Jüngling will die Idee. D e r M a n n will die Disziplin. D e r Bürger will die Ruhe. Alle wollen das S y m b o l " . A b e r was dabei herauskommt, ist nur noch eine E t h i k der Desperados u n d der politischen Verführung: „Desperados sind die besten Stürmer. Ehrliche Begeisterung drängt am stärksten nach. Solide Treue hält am festesten f e s t " . 3 2 5 N i c h t erst rückblickend kann man kaum umhin, diese K o m b i n a t i o n von Desperado-Mentalität und hochgepriesener Fahnentreue mit dem Schicksal und den Verbrechen des Dritten Reiches in Verbindung zu bringen - R e n é K ö n i g hat die politischen K o n s e q u e n z e n schon 1937 in seiner Züricher Habilitationsschrift klar herausgestellt. 3 2 6 Wenn sich auch die „Pallas A t h e n e " in diesem K o n t e x t weithin als Rechtfertigung des Machtaufstieges des Dritten Reiches lesen läßt, so ist dennoch nicht zu übersehen, daß es selbst in dieser Schrift sozusagen eine zweite Schicht oder Sichtweise gibt, aus der bereits die Enttäuschung über einen „zweitrangigen Principe", über die Geistlosigkeit der an die M a c h t gelangten nationalsozialistischen Bewegung und das D e n k e n in „Räuberkategorien" herauszuhören ist: „...daß es herrlich ist, von einem Schicksal gepackt zu werden, das eine Aufgabe b e d e u t e t " 3 2 7 , diese Zuversicht und diese H o f f n u n g auf mannigfaltige Entwicklungsmöglichkeiten der Zeit v o r 1933 ist in „Pallas A t h e n e " jedenfalls nicht mehr der Ausgangspunkt. „Wirklichkeit" bedeutet mehr denn je „Auseinandersetzung" 3 2 8 , und der Stil wechselt bereits hier v o m euphorischen gegenwartsbezogenen Aufruf zur rätselhaften Allegorie.
Freyer
schreibt nun auch: „Irdisches ist so zusammenzuraffen, daß seine Erhaltung z u m überzeugenden Wert (...) wird. (...) So revolutionär sie ihrem B e g i n n nach sei, ihrem endgültigen Sinn nach ist alle Politik konservativ". D i e aufgerüttelten Kräfte müssen verwandelt werden zu nüchterner O r d n u n g : „Es ist die Frage der zweiten Stunde, o b das gelingt". 3 2 9 Eine D e u t u n g dieser Stellen, die allerdings seltener sind und sich nicht zu einem konsistenten Bild zusammenschließen, ist bereits hier kaum möglich. K o n n t e dies n o c h ein A u f r u f zur Konsolidierung der 1935 gegebenen Verhältnisse sein? -
„Es ist armselige R o m a n t i k zu
glauben, daß in der politischen Welt der Instinkt den rechten Weg fände, und daß der Staatsmann u m so genialer sei, je mehr er sich auf sein Gefühl statt auf seinen Verstand verlasse...". 3 3 0 U n d eines erläßt die G ö t t i n der politischen Tugend ihren Lieblingen nicht: „daß
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Soziologie der Herrschaft
ihre H a n d l u n g e n Adel, Reinheit und die Spannung des guten Gewissens haben (...) Wer beim ersten Schritt, den er aus der Welt der bürgerlichen Arbeit heraustut, dem Kitzel der Zwecke, die die Mittel heiligen, verfällt u n d sich höchst politisch d ü n k t , w e n n er aus großen Niederträchtigkeiten eine kleine Intrige zussammensetzt, beweist damit nur, daß er lieber in der Welt der bürgerlichen Arbeit hätte bleiben sollen (...) Ein Principe aus zweiter H a n d ist immer eine traurige oder je nachdem eine lächerliche Figur". 3 3 1 Die gegenwärtige politische Lage w a r offenbar nicht die Erfüllung der ursprünglichen H o f f n u n g e n . In diesem Zusammenhang steht w o h l eine Warnung hinter Freyers Zitat: „Geschichte ist, daß das Geschehen selbst etwas taugt", 3 3 2 - ein Zitat, das H e r b e r t Marcuse in Verbindung mit der Schuldzuweisung an den Aktivismus so heftig kritisierte. 333 Die Schwierigkeiten der Interpretation liegen offenbar darin, daß hier Innen- und Außenperspektive weit auseinandertreten. Aus der Innenperspektive verstanden, stellten die Kategorien „Tat" u n d „Entscheidung", die schon bei Fichte gewissermaßen als Kategorien des „Widerstands" literaturfähig gemacht w o r d e n sind, keineswegs eine Ä u ß e r u n g der politischen Reaktion, eine Festschreibung der bestehenden Verhältnisse dar, sondern viel eher die noch aufrechterhaltene H o f f n u n g in die Kraft des „politischen Volkes" oder eines echten politischen Führers. Das Verhängnisvolle daran ist, daß beide, N S - K ä m p f e r u n d NS-Gegner, in der gleichen U m w e l t an die gleichen Adressaten auch die gleiche Sprache sprechen mußten. Solange ihre Schriften noch öffentlich herauskamen, konnten auch die Gegner ihre Botschaften n u r in Allegorien verstecken. In der A u ß e n p e r spektive aber verliert man den Sinn f ü r den historischen Kontext, sieht man keine N o t w e n digkeit, in Allegorien u n d alten Kategorien zu sprechen - also kann ihnen n u r der Sinn ihres aktuellen Kontextes - von außen gesehen - unterstellt werden, u n d der ist eben Aktivismus, Gewalt und Diktatur. Gegenüber der „Revolution von rechts" 1931 zeigen sich einige einschneidende Veränderungen, die zusammengefaßt als der Umschlag von der „Revolution von u n t e n " z u r „Revolution von oben" charakterisiert werden können. Die Revolution v o n unten, bei Freyer vom „politischen Volk" vollzogen, ist doch noch v o m G e d a n k e n der Selbstkonstitution einer politisch-sozialen Kollektivität erfüllt, u n d damit nach wie vor eng verbunden mit dem Gedanken einer „objektiven", in langer Entwicklung gewachsenen Gesamtheit, auf der die Sicherheit einer kontinuierlichen Selbstproduktion ja erst aufbauen kann. Im „Antäus" war diese Sicherheit vorerst auf subjektiver Ebene begründet - w e n n Freyer das Vertrauen in das „Leben selbst" als die erste sittliche G r u n d h a l t u n g definiert, so ist damit bereits der objektive Gesamtzusammenhang: das „Leben" als Gesamtheit von N a t u r u n d Sozialität mit einbezogen. Diese erste Stufe einer sozusagen natürlichen Naivität, auf der man sich „den Sinn des Lebens selbst zu jeder Zeit vom Leben selbst zutragen" läßt, m u ß jedoch, u m als allgemeine Ethik gelten zu können, ergänzt werden durch die Reflexion als „harte Helligkeit" und „abstrakte Strategie". „Ethik, das heißt: der Geist ist in die Wüste gegangen, u m gegenüber dem verführerischen Zauber des fruchtbaren Lebens abstrakt, (...) m o d e r n zu werden". 3 3 4 Sie entsteht erst in einer neuen Synthese von Leben u n d Bewußtheit: „Wo der Geist den R a u m unseres Daseins aus seinen klaren Kräften noch einmal baut, da ist das bewußte Leben". 3 3 5 Es gibt nicht die geringste Andeutung eines „Verdammtseins" zur absoluten Freiheit oder eines haltlosen Treibens im ständigen Z w a n g z u m Handeln; der H a n d e l n d e wird getragen von der Mannigfaltigkeit und dem „ R h y t h m u s der lebendigen Gesamtlagen", wenn er sich mit Bewußtheit, Willen u n d Pflichtgefühl dem „Leben" - den n u n bewußt erkannten Kollektivformen u n d ihrer D y n a m i k - wieder einfügt. „Wir sind Liebende der Erde wie zuvor und gläubige Vollstrecker unseres Wesens auf ihr, n u r nicht mehr mit blinden Augen u n d aus
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bloßer Empfindung, sondern indem wir aus der mystischen Schönheit der Erde eine erhabene Logik zu entwickeln streben und durch das Dunkel gleichsam auf erleuchteten Pfaden schreiten". 3 3 6 Ethik, „das ist kurz und gut eine Art und Weise, wie die Erde Ziele festlegt, gliedert, beglaubigt, erreicht" einbezogen in das „einzige absolute System, das es gibt, in die Wirklichkeit". 3 3 7 In dieser Ethik, die sich aus der ständigen Reziprozität von natürlicher Ordnung und bewußter Reflexion ergibt, ist noch keine politische Ebene vorhanden. Im „Prometheus" wird diese als „Geschichte der Macht" einbezogen, aber ebenso in das Wesen des Menschen und das „absolute System" der Erde integriert. „Wer's wagen darf auf Grund seiner Kraft, dem ist schon vorgegeben, und wer sich den Frevel lange gefallen läßt, beweist, daß er zur Niedrigkeit geboren ist". 3 3 8 Die reziproke Dynamik bewegt sich nun zwischen der ursprünglichen menschlichen „Gemeinschaft der Herde" und der „Macht" als zeitlich gebundenes menschliches Willenswerk 3 3 9 ; sie soll in einer zukünftigen Synthese des „sinnvollen, selbstgewollten (...) und in alle Winkel durchlebten Raum unseres Geistes" als „Reich" i.S. einer Gesamtkultur münden, wie auf der individuellen Ebene die Reziprozität von Leben und Bewußtheit im „bewußten L e b e n " ihre höchste F o r m findet. 340 So sehr der Wille und die „herrscherliche" Tat herausgehoben werden, eine Ethik der Entscheidung, die zwischen mehreren Möglichkeiten auswählen muß, ist hier ebensowenig enthalten. Richtig ist die Entscheidung, die die dauerhafte F o r m der Gesamtkultur vorausahnt und mitvollzieht; frivole Abenteurer, radikale Theoretiker oder auch Nutznießer der Reaktion, sie alle können Stoff der „Idee" sein, die ihr Reich verwirklichen will. 341 Die ethische Aufgabe besteht alleine in der „Ahnung der F o r m " und im „Blick auf das Werden", wie Freyer die letzten Kapitel des „Prometheus" überschrieben hat. D e r menschliche Wille, so sehr er in die konkreten Spannungen eingefügt ist, kann doch nur einen unausweichlichen Spruch der Geschichte vollstrecken und die Kräfte, die wir nicht verändern können, verwirklichen; allerdings ist nur durch den Menschen als „Helfershelfer der Zukunft" eine Weiterentwicklung möglich. Wenn Freyer Hegel ergänzt: „Alles was wesentlich ist, erscheint auch. Was freilich erscheinen soll, muß erst einmal wesentlich sein", so impliziert das nicht eine uneingeschränkte Freiheit, unterschiedliche Möglichkeiten „wesentlich" zu machen. 342 Die Soziologie als „Ethoswissenschaft" ist es, die beliebige Möglichkeiten, in F o r m von transzendenten, abstrakten oder lebensfremden Zielkonstruktionen, vermeiden hilft dadurch, daß sie die spezifische Dynamik einer Gesellschaft erkennt und so zur Erfüllung dieser Ethik der kollektiven Selbstverwirklichung beitragen wird. D e r große Bogen zwischen Geschichte und Zukunft wird genau ein Jahr später radikal verkürzt auf den Augenblick des revolutionären Umschlags in der „Revolution von rechts"; aber sogar hier wird die Begründung noch in einer langfristigen geschichtlichen Entwicklung gesucht: Die „Revolution von rechts" soll die Antithese zur „Revolution von links" des 19. Jahrhunderts sein, ist deshalb das genaue Gegenteil der „permanenten Revolution" des internationalen Klassenkampfes und der Diktatur des Proletariats. Freyers Deutung des revolutionären Umbruchs seiner Zeit kann als Gegenentwurf zu Trotzkis „Theorie der permanenten Revolution" gelten, die ein Jahr vorher in deutscher Sprache erschien und die damalige politische Diskussion beeinflußte. Trotzki hat mit seinem Theorem der „kombinierten Entwicklung" die Partialität und Mehrschichtigkeit der Wandlungsprozesse betont; nicht allein das Proletariat ist Träger der Revolution, der komplexe Prozeß umfaßt Bauernschaft wie Proletariat, nationale Bewegungen und soziale Weltrevolution. Die Definition der „revolutionären Klasse" beruht bei Trotzki nicht mehr auf dem Mythos der „letzten" Klasse, die sich emanzipiert, sie wird viel breiter bestimmt durch die soziale Funktion und ihre spezifische
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revolutionäre Wirksamkeit; auch nimmt der soziale Wandel nicht mehr nach dem Klassenmechanismus und einer linear progressiven Gesellschaftsentwicklung seinen Lauf. Trotzki wehrt sich gegen eine theoretische Trennung vieler ineinandergreifender Grundprozesse und gegen eine Zerlegung in polar-dialektisch umschlagende Stadien.343 Für Freyer gibt es keine partiale Revolution - Umsturzbewegungen mögen oft nur interne Verschiebungen im etablierten System bedeuten. Dagegen steht der Begriff „Revolution" alleine für „die Geburt eines neuen Prinzips in der Geschichte der Gesellschaft. Revolutionäre sind diejenigen Menschen, die dieses Prinzip sind, ehe es geschichtliche Realität geworden ist". In dieser Kulmination kann es keine mehrschichtigen Prozesse mehr geben, „die Zeit ist zerrissen in Ja und Nein (...) die Gesellschaft zum Schlachtfeld zweier Welten geworden".344 Freyer vertritt ein streng polares Wandlungsschema - vom totalen Nichts zum totalen Alles - die eine Integration von konkreten Wechselbeziehungen und von nationalen und internationalen Bewegungen von vorneherein ausschließt; Freyers Revolutionsbegriff ist total, national und auf eine kurze Periode des Umsturzes beschränkt, nach der wieder eine Entwicklungsperiode unter dem neuen Geschichtsprinzip einsetzen kann; keineswegs denkt er dabei an eine Mehrschichtigkeit und Überlagerung von verschiedensten Verlaufsformen, die bei Trotzki die „permanente Revolution" der modernen Gesellschaft bestimmen. Die politische Ethik für Freyers „neues Subjekt der Geschichte", für das „politische Volk", das noch das totale Nichts ist, aber als Revolutionär ja das neue geschichtliche Prinzip schon in sich trägt, kann deshalb nur noch eine Ethik der Negativität sein, „Sie lassen sich nicht einbauen. Sie legen keinen Wert auf das Bürgerrecht des herrschenden Systems. Denn sie wissen, daß ihre Negativität eine überschwengliche Position ist (...) Auch sie haben ein Interesse. Aber ohne daß sie ein Verdienst daran haben, ist ihr Interesse mit der Zukunft des Ganzen identisch".345 Wenn jede neue Wirklichkeit „ihr Wissen um sich selbst und um das Ganze mitbringt", bleibt für den Revolutionär eigentlich nur noch die Aufgabe, sich dem etablierten System radikal zu verweigern, bis sich das neue Prinzip durchgesetzt hat. In der Umsturzethik der „Pallas Athene" kündigt sich die machiavellistische Polarität bereits an: der Principe oder Desperado und das ohnmächtige, zerstörte Volk, die Freyers nachfolgende Arbeiten bestimmt. 2) „ Machiavelli" oder: Zur Ethik des passiven
Widerstands
Die Erwartung einer eigenständigen Entscheidung des „politischen Volkes" ist 1938 jedenfalls endgültig begraben; auf einen mit virtù begabten Volkswillen und Staatsgründer kann man nicht mehr warten. Jetzt steht das Problem an, wie ein lediglich durch die willkürlichen Schicksalsschläge zusammengekommenes Staatsgebäude doch noch Voraussetzungen schaffen kann, daß wieder ein konstruktiver Volkswille entsteht. Freyers Kapitel „Ethik der geschichtlichen Stunde", Höhepunkt seiner Machiavelli-Schrift, behandelt genau dieses Problem. Da der Mythos des politischen Volkes verblaßt ist, bleibt nur noch eine vage Hoffnung auf das „verschüttete Volk". 346 Die Vision des gerissenen modernen Staatsmannes, der mit harter Hand Ordnung in das Staatsgebilde bringt und damit wenigsten die Voraussetzungen für das „Verwandlungswunder" zu einem konstruktiven Gemeinwillen schafft, hat nichts mehr vom Optimismus des stürmenden Helden der „Pallas Athene"; sie ist zum Mythos des absoluten Tiefpunkts einer politischen Krise geworden: jetzt gilt nicht mehr die Konstruktion von Wirklichkeit, sondern Wirklichskontrolle von harter Hand, nicht mehr „Ethik des politischen Volkes" oder der „konservativen Revolution", sondern „Standhalten" und „passive Resi-
J. Vom politischen
Utopismus
zum politischen
Realismus
129
Stenz"; denn nach wie vor kann die „politische Emanzipation" eines Volkes nicht technisch konstruiert werden. U m die gleiche Zeit hat Hermann Rauschning in T h o m a s Manns Exilzeitschrift „ M a ß und Wert" alle in Deutschland Gebliebenen zu dieser passiven Resistenz und damit z u m Glauben an das verschüttete andere Deutschland aufgerufen. 3 4 7 „Passiv" bedeutet, bei Rauschning wie bei Freyer, keineswegs ein Erdulden und Erleiden des politischen Zustandes,sondern soll nur „Beschränkung auf gewisse im allgemeinen nicht als aktiv geltende politische Mittel" sein. 3 4 8 D i e Resistenz kann in einer Zeit des Zwanges durch Parteiherrschaft nicht illegale Parteiarbeit, unter der Diktatur der Massenpropaganda auch nicht Massenbeeinflussung sein. Ihre einzigen Möglichkeiten liegen in der Aufklärung des Einzelnen, in der Aufrechterhaltung einer privaten Sphäre und in einer die verlogene Propaganda kontrastierenden Wahrhaftigkeit. 3 4 9 Die klassischen historischen Gestalten als N o r m b i l d e r konnten diese Funktionen für eine breite Leserschaft erfüllen und die Schriften und Vorträge aus der Zeit über Goethe, Friedrich den Großen, über Antike u n d H u m a n i s m u s , müßten unter diesem Aspekt völlig neu bewertet werden. Die in einer Zeit der Krise notwendige Rücknahme von weltgeschichtlichen Entwicklungskonzepten und Utopien, von allgemeinen N o r m e n und Weltanschauungen stellt H a n s Freyer in Machiavellis Werk heraus, wenn er anhand Machiavellis zentraler Begriffe „ f o r t u n a " und virtù diesen Weg z u m Realismus aufzeigt und als Geburt der politischen Wissenschaft aus der Praxis bezeichnet. 3 5 0 Beide Begriffe blieben Jahrhunderte hindurch in der Machiavelli-Rezeption verdächtig. D i e Aufklärung vermutete in „fortuna" eine erschlichene Hereinnahme überirdischer Kräfte in das wissenschaftliche Denken; dieser Begriff konnte nicht in das Weltbild der fortschreitenden Rationalität durch wissenschaftliche Planung integriert werden. D i e christliche Rezeption mußte in ihm einen Rückfall in das Heidentum, eine Verweltlichung der göttlichen Vorsehung erblicken. „ F o r t u n a " bekam in jedem Fall eine irrationale, archaische oder religiöse Konnotation. Desgleichen wurde „virtù" zu einer mystischen Eigenschaft umgedeutet, z u m überirdischen Charisma eines mythischen Helden oder eines urgeschichtlichen Eroberungsstammes. Freyer hingegen will nun diesen Begriffe wieder ihren realpolitischen Gehalt zurückgeben. „Virtù" als historisch gewachsene Gestaltungskraft einer politischen Gemeinschaft bedeutet für Freyer nicht empirisch gewonnene anwendbare Regel, sie ist als gewachsener G r u n d der Sittlichkeit des Volkes eine eher unspezifische Grundlage, ein Potential, das Voraussetzung des politischen Handelns ist, aber nicht direkt dem menschlichen Einfluß unterliegt. 3 5 1 Hier klingt eine viel ältere Leipziger Theorie nochmals an: F ü r Wilhelm Wundt hatte schon in jedem geschichtlichen Fortschritt die Erfahrung gleichzeitig Postulat z u sein, das seine Grundlage zwar in der Erfahrung hat, aber über die Grenzen der Erfahrung hinaus auf ein zukünftiges Ideal hinweist. Dieses Ideal kann nach Wundt nicht eine einfache Folgerung aus dem bisherigen G a n g der Geschichte sein, sie stellt eine ethische Forderung an die Gemeinschaft, ihre geschichtliche Sendung zu erfüllen. 3 5 2 H a n s Freyers Analyse steht immer noch in der Tradition seines Lehrers Wilhelm Wundt, wenn er bei Machiavelli die politische Leistung aus gewachsenem G r u n d , aus der intakten Sittlichkeit des Volkes darstellt und den in der Machiavelli-Rezeption vergessenen Zusammenhang zwischen Politik und Moral wieder herausstellt. Durch den von der Gegenwart her strukturierten Geschichtsbegriff der Leipziger Schule wird aus dem angelegten Potential gleichzeitig ein politischer Begriff. „Virtù" ist damit keine statische sittliche Tugend mehr, sie ist vielmehr die Kraft, die gemeinsame politische O r d n u n g zu vollziehen; sie b e k o m m t prozessuale Q u a l i t ä t und ist sowohl vollzogene
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III
Soziologie der Herrschaft
Ordnung als auch produktiver Machtwille, 353 Der Begriff „metaphysische Substanz" als Qualifikation der „virtù" darf deshalb nicht zur Annahme einer statischen „Ganzheit" verleiten, denn Freyer stellt nun wieder die dualistische Einheit von politischer Struktur und zielgerichtetem Handeln heraus: Der Prüfstein für die „virtù" eines Staatswesens bleibt nach wie vor allein die Unterstützung des Volkes. 354 „Fortuna" stellt dagegen die Summe der objektiven Gegebenheiten, die konkrete Situation dar, die nun aber zum aktiven Pol wird: sie hat den Staat in Verderbnis gebracht, ein politischer Abenteurer erlangte dank ihrer Zufallsbedingungen die Macht. Für Machiavelli und seine Gegenwart ist der Staat als Ordnungsgebilde ein Wert ersten Ranges, denn erst in einem solchen Staat kann der Mensch zum moralischen Wesen werden. Der zufallsgeborene Staat muß also auf jeden Fall konsolidiert werden, „fortuna" als zufälliger Wechsel der Lagen, als sich wandelnde Zeitstruktur, muß besiegt werden. Die Rechtfertigung dieses Zieles und damit Abschluß der Ethik bildet der Glaube, daß „virtù", zwar nur noch als verschütteter Volkswille, nach wie vor zugrundeliegt und wieder aktiviert werden kann. Nun bringt Freyer die tiefste Begründung für Machiavellis Rückzug auf Mythos und Metapher, der ihm selbst auch als einziger geblieben ist: Die Analyse der Vergangenheit kann man wohl mit funktionalen Handlungsregeln und mit einem System von Strukturen bewerkstelligen, denn sie liegt gleichsam als abgeschlossenes Objekt vor uns. In bezug auf die krisenhafte Gegenwart und ihrer geschichtlichen Aufgabe kann man jedoch aus der Vergangenheit kein Rezept mehr lesen; das wäre die Fortschreibung einer Geschichtsteleologie, für Machiavelli die Fortsetzung von „fortunas" Willkürherrschaft und Verderbnis. In einer solchen Situation kann nur theoretisch der Typus beschworen werden, der der Aufgabe gewachsen ist, kann sowohl „fortuna" als Konstellation der Mächte, wie auch der „principe" als Typus des Staatsgründers, nur mehr zur mythischen Gestalt verdichtet werden. 355 In der „Wirklichkeitswissenschaft" lautete die Forderung gerade umgekehrt - kollektive Vorstellungen und Utopien sollten zu heuristischen Arbeitshypothesen „entwertet" werden, damit dann eine wissenschaftliche Aussage über maßgebliche Zukunftstrends gemacht werden kann. Jetzt ist es für Freyer, wie für Machiavelli, unmöglich, die gegenwärtigen verbrecherischen politischen Zustände wissenschaftlich zu verallgemeinern, er bleibt ebenfalls „vom Ideal der systematischen Wissenschaft aus gesehen auf der Vorstufe" 356 des „Mythos Machiavelli" und „Mythos Friedrich der Große" stehen.
3) „Antimachiavel" oder: Zur Ethik des „politischen Realismus" Obgleich auch „Preußentum und Aufklärung" von 1944 (diese erste Auflage wurde damals aus politischen Gründen nicht mehr ausgeliefert) von einer historischen Figur ausgeht - von dem im Dritten Reich hochgepriesenen und zum politischen Ideal erhobenen Preußenkönig Friedrich II. - , ist diese Abhandlung über den „Antimachiavel" des jungen Friedrich historisch weit weniger mit alten Begriffen, Gleichnissen und Analogien beladen, dafür theoretisch klarer und in der politischen Aussage eindeutiger. Die „Wesensgesetze der Politik", die hier formuliert werden, lassen an Deutlichkeit eigentlich nichts mehr zu wünschen übrig. Was ist nach Hans Freyer diese Staatsidee? Gegen die NS-Ideologie des durch natürliche Gaben auserwählten Herrenvolkes setzt er eher prozessuale Tugenden: zum einen den Dienst am Staat, der aber keinesfalls den Menschen total vereinnahmen darf; zum anderen die „Prägekraft" des Staates, der dem Kollektiv ein höheres Ziel gibt, aber dennoch die Menschenwürde seiner Bürger und ihre Freiheit bewahrt. „Preußentum" in diesem Sinne ist ein „erworbener
J. Vom politischen Utopismus zum politischen Realismus
131
Charakter"; und die Wahlpreußen, die sich diesem Charakter freiwillig verpflichtet haben, sind gerade die eigentlichen Kulturträger Preußens. Auch dem „genialen" König wurden seine Qualitäten nicht in die Wiege gelegt; in harter Selbsterziehung erwirbt er sich diesen „preußischen" Charakter und wird damit zum Prototyp eines Preußen. 3 5 7 Mit Hilfe dieses historisch gesättigten Idealtypus konstruiert Hans Freyer - in der Intention ähnlich wie schon anhand von Machiavellis „Principe" - wiederum eine „Ethik der geschichtlichen Stunde", die nun aber einer nach „preußischen" Grundsätzen korrupten Reichsführung klare und deutliche Maximen einer rechtmäßigen Herrschaft und einer entwicklungsfähigen Außenpolitik ins Stammbuch schreibt. Auch heute haben diese Grundsätze für uns nicht nur historische Bedeutung. Zwar ist Deutschlands Lage heute grundlegend verändert: Es ist weder ein „kleiner" Staat, der durch geschickte Politik seinen Rang im internationalen Staatengefüge verbessern könnte, noch ist es (auch nach der Vereinigung beider deutscher Staaten) ein „großer" Staat im Sinne Friedrichs des Großen, der durch eine auf Jahrhunderte angelegte Geschichte eine unentbehrliche und dauerhafte Figur im Gesamtsystem der Staaten wäre, 3 5 8 und nur durch die äußerste Anspannung seiner Entwicklungskräfte in wirtschaftlicher wie in kultureller und geistiger Hinsicht wird es ein Wort in der Geschichte mitzureden haben. Genau für diese Situation aber sind Freyers „Wesensgesetze der Politik" geschrieben; so gibt es nach wie vor historische Konstanten, die Preußen und Deutschland damals und heute miteinander verbinden. In der Darstellung der Legitimität als absolutem Gesetz jeder Politik gelingt Hans Freyer eine beispielhafte dialektische Verknüpfung des Herrschaftsgedankens als einem naturrechtlichen Erbe mit der klassischen bürgerlich-humanitären Aufklärung zu einer F o r m der Aufklärung, die im preußischen Staat wenigstens der Idee nach verkörpert ist. 359 Die naturrechtliche Herleitung der Herrschaft, die darin besteht, daß zur Wahrung der gemeinsamen Interessen schon immer der Stärkste als Richter und Beschützer eingesetzt werden müsse, wird in Freyers Auslegung des Antimachiavel nicht benützt, um Herrschaft einzugrenzen oder zu relativieren, auch nicht, um das Widerstandsrecht der Bürger zu begründen, wie es dem klassisch-französichen Aufklärungsdenken entspräche; im Gegenteil - sie fungiert als Ausgangspunkt jenes höheren Begriffs vom Recht und Beruf des Fürsten, den Friedrich zu verwirklichen sucht: „Die Fürsten können und sollen das ,lebendige Bild der Gottheit' sein". Indem so der Begriff des Fürsten hier nicht relativiert, sondern in eine Sphäre der absoluten Verpflichtung gehoben wird, 3 6 0 erwächst aus dem naturrechtlichen Begründungszusammenhang eine Dimension, die in Machiavellis „Physik des Politischen" gerade fehlt, die aber unter keinen Umständen fehlen darf, wenn das Wesen des Politischen begriffen werden soll: „Nur diejenige Herrschaft ist legitim, die das leistet, wozu sie eingesetzt' ist (...), die dem sittlichen Sinn ihres Ursprungs entspricht". Deshalb ist die Klassifikation der Regierungsformen, wie sie Machiavelli zum Ausgangspunkt seiner Erörterungen wählt, von völlig untergeordneter Bedeutung. O b eine Herrschaft legitim ist, entscheidet „nicht der titulus, sondern das exercitium"; es muß das erfüllt werden, was das Volk mit der Einsetzung der Herrschaft gewollt hat. Legitimität ist nach wie vor nicht aus der formalen Staatslehre zu begründen, nur aus der Tatsache, daß der Herrscher der „premier serviteur de l'état" ist. 361 Die daraus entstehenden Pflichten des Fürsten: Gerechtigkeit, Schutz und Verteidigung des Staates, ganz allgemein die „Arbeit am Glück der Menschen" - werden zusammengefaßt in der Formel: „Herrschaft nicht als Summe der Macht, sondern als O r t bestimmter Pflichten". N u r die wechselseitige Verpflichtung ist nach dieser These Friedrichs der Rechtsgrund für die Herrschaft - nur aus ihr lassen sich Normen für die Herrschaft selbst gewinnen. Wird die Frage
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III
Soziologie der Herrschaft
nach dem Rechtsgrund aber nicht so gestellt, k o m m t man über naturalistische Gesetzmäßigkeiten und empirische Regeln, k o m m t man also über das machiavellistische D e n k e n 3 6 2 und über eine bloße Situationsethik niemals hinaus. Aus dem von Friedrich entwickelten Legitimitätsdenken ergeben sich aber nicht nur die Pflichten des Fürsten; darüber hinaus wird Herrschaft als ein umfassendes sittliches L e b e n s verhältnis von Führern und G e f ü h r t e n , von Verpflichtung und Vertrauen verstanden. D i e Verbindung von „Treue und Gefolgschaftsbereitschaft (des Volkes) gegen die unablässige Sorge für das allgemeine W o h l und unermüdliche Wachsamkeit gegen äußere G e f a h r e n " (des Herrschers) ist nicht in einem förmlichen Vertrag festzulegen, sondern sie ist in der Sittlichkeit einer politischen O r d n u n g selbst begründet: „ D e r Fürst habe das Werkzeug des G l ü c k s seiner Untertanen zu sein, so wie die Völker dasjenige seines R u h m e s sind". D e r Herrschaft als der b l o ß faktischen Machtposition wird die höhere F o r m der Herrschaft als ein sittlicher Tatbestand gegenübergestellt, „der in der menschlichen N a t u r und in der O r d n u n g der geschichtlichen Welt seinen Rechtsgrund hat". 3 6 3 N u r eine illegitime, nicht durch gegenseitige sittliche Verpflichtung, sondern lediglich durch zufällige Machtkonstellation erreichte H e r r schaft m u ß die einmal usurpierte M a c h t ständig mit neuen Mitteln stützen, mit künstlichen und willkürlichen M a ß n a h m e n , welche von selbst immer schärfer und grausamer werden müssen: Diese „Cascade des Verbrechens" ist das eherne G e s e t z der Illegitimität. 3 6 4 E i n e echte Herrschaft als sittliche O r d n u n g ist aber gerade dadurch gekennzeichnet, „daß sie in sich selbst ruht, sich nicht zu beweisen braucht, keiner nachhelfenden Kunstgriffe und Gewaltsamkeiten bedarf". 3 6 5 D i e s e N o r m des Staates als sittliche O r d n u n g war schon 1934, als warnende Forderung enthalten: Das „politische V o l k " war als Wertegemeinschaft das Volk, das sich bewußt zu seinem politischen System bekennt und den Staat trägt, dem andererseits aber auch die Staatsform in ihrer gewachsenen Tradition entspricht; einen echten Staat sollte man v o n einem unechten dadurch unterscheiden können, daß er nicht durch den Befehl eines Tyrannen, sondern durch den Glauben eines Volkes zusammengehalten wird. E i n Zwangsstaat mag mit Mitteln des Schreckens und der Massensuggestion als Machtgebilde einige Zeit unangreifbar sein; „aber Staaten sind weder bloße Machtgebilde n o c h K o n s t r u k t i o n e n auf dem G r u n d e der Gegenwart". 3 6 6 A u c h das Widerstandsrecht des Volkes war auf der N i c h t e r füllung der sittlichen O r d n u n g durch den Staat begründet. D i e damalige gegenwartsbezogene „ E t h i k des politischen Volkes", die sich ja bald als unrealistisch erwiesen hatte, wird jetzt zur „réfutation", zur abstrakten Widerlegung als letzter Waffe der passiven résistance. In der réfutation liegt auch heute der entscheidende G e w i n n für die Diskussion; denn die abstraktere Formulierung und die Einbettung in „klassische" Gestalten ist frei v o m früheren A u f b r u c h spathos und seinen verführerischen Tönen. „Preußentum und A u f k l ä r u n g " ist eine ernüchterte, eine „realistische" politische Schrift in einem höheren Sinn, der die geistigen Faktoren mit einbezieht. N o c h 1938 hatte H a n s F r e y e r in der Interpretation von Machiavellis „Principe" die H o f f n u n g e n seiner Gegenwart in die Möglichkeit einer nachträglichen Konsolidierung und Legitimation einer m e h r zufällig an die M a c h t gekommenen und im G r u n d illegitimen Herrschaft ausgedrückt. E b e n s o stand seine „ E t h i k der geschichtlichen Stunde" 3 6 7 unter der Grundannahme, daß der Staat ein O r d n u n g s gebilde ersten Ranges ist, das unter allen Umständen zu bewahren sei. D a nur in einer staatlichen O r d n u n g eine kontinuierliche soziale Weiterentwicklung und kulturelle Entfaltung gesichert werden könne, wäre auch die Aufrechterhaltung der nun einmal bestehenden staatlichen O r d n u n g ein G e b o t der Stunde - und wenn es auch nur ein kläglicher Abglanz einer ernstzunehmenden politischen O r d n u n g sei. N i c h t aus der totalen Negierung einer
3. Vom politischen
Utopismus
zum politischen
Realismus
133
wenn auch illegitimen Ordnung, nur durch die Aufrechterhaltung eines letzten Grundbestandes von Staat könne die Hoffnung auf eine neue, echte Staatsordnung erwachsen. In „Preußentum und Aufklärung" stellt Hans Freyer nun aber den Rechtsgrund der Herrschaft heraus, der nicht in der tatsächlichen geschichtlichen Entstehung einer Herrschaft, sondern nur im „Sinn" des betreffenden Staatsgebildes liegen kann. Ohne den Erweis eines historischen Sinns, d. h. einer die Integration und die Entwicklung des politischen Volkes auf lange Sicht gewährleistenden Perspektive, hat der Staat kein Recht über das Individuum: seine Legitimation geht nur so weit, als ihm „diejenigen, aber auch nur diejenigen Rechte über das Individuum zustehen, auf die ein vernünftiges Wesen zugunsten der Gemeinschaft sinnvollerweise verzichten kann".368 Auch die 1930 aufgestellte These, daß nur vom Staat her entschieden werden könne, ob individuelle und kollektive Ethik divergieren oder zu einer beide übergreifenden Sittlichkeit vereinigt werden können, hat jetzt einen konkreteren Gehalt.369 Der Staat darf in seinen Forderungen über den ihnen sinnvoll erscheinenden Verzicht der Individuen jedenfalls nicht hinausgehen. Das bedeutet, daß die naturrechtliche These der unumgänglichen, aus der Natur des Menschen begründeten Staatsmacht nun durch die Begrenzung dieser Macht, durch eine Ethik der Einschränkung auf das Notwendige als sittliche Begründung der Herrschaft kontrastiert wird, die das Maß der handelnden Person mit enthält.370 Auf dieser Dialektik beruht nun die Synthese von individueller und kollektiver Ethik: eine wechselseitige Begründung von Untertanen und Herrschaft, die nicht auf Hervorbringung und Selbstverwirklichung, sondern auf wechselseitiger Verpflichtung beruht. Dies ist jedenfalls die praktisch-realistische Begründung des Staates, wie sie im Verständnis Freyers schon in der preußischen Form der Aufklärung gefunden war. Als Legitimationsausweis eines Staates können nun nicht mehr die großen Absichten und Programme gelten, auch nicht für eine provisorische Ubergangsordnung, sondern allein die realpolitische und auf lange Sicht angelegte Entwicklung: nur die Hebung des allgemeinen Wohlstandes und der Kultur ist Grund genug. Die Entwicklung der kreativen geistigen Kräfte eines Volkes muß das Ziel des Staates sein, nicht die Projektion der Macht nach außen. Nur so ist die Herrschaft durch die Unterstützung des Volkes auf Dauer und in einer produktiven Weise gesichert. „Achtung und Zutrauen sind die Stützen jedes Reichs".371 Es gibt also eine zweite und antimachiavellistische Art der Entfaltung und Konsolidierung staatlicher Macht: „Volkswohlstand und Kultur sind unmittelbar Macht". Diese Aufgabe verlangt mehr von der Führung als die bloße Machtübernahme: ein genaues Studium der Lebensbedürfnisse und vor allem einen langfristigen, gut ausgearbeiteten und sauber geführten Plan - „Güte und Plan - mit diesen beiden Begriffen ist der echte Herrscher geradezu definiert".372 Hans Freyer hat damit einen weiten Weg zurückgelegt, der von einer revolutionären Ausnahme- und Situationsethik wieder zurückführt zu einer Allgemeinen oder Systemethik, die für alle Staaten - für die Regelung ihrer äußeren wie inneren Verhältnisse - zu gelten hat. Die „Pallas Athene" erweist sich so in ethischer Hinsicht als ein gefährlicher Irrweg. Dennoch scheint dieser Irrweg für Freyer - und für viele seiner Zeitgenossen - notwendig gewesen zu sein, um sich der großen Illusionen seiner Zeit: eines „deutschen" Sonderweges, der Volkwerdung in einem industriellen Zeitalter, der Herauslösung der Führungsfrage aus dem Interessenkampf der Gruppen - endgültig zu entschlagen.
IV Kultursystem und Kulturwandel
1. Der Kampf um den Kulturbegriff
a) Kultur zwischen Säkularisierung
und
Sakralisierung
Die Idee, eine moderne Kultursoziologie zu begründen, wuchs zum einen aus wissenschaftlicher Tradition: Lorenz von Stein, Jacob Burckhardt, Wilhelm Dilthey, Wilhelm Wundt und Karl Lamprecht bemühten sich um die Erarbeitung eines wissenschaftlichen Kulturbegriffs, der einerseits die Überwindung der idealistischen Idee der Emanation des Weltgeistes wie der romantischen Idee der Kultur als „Seelensprache", aber auch die Uberbewertung der Geschichte als politischer Handlungsgeschichte oder Geschichtsphilosophie zurückdrängen sollte. In dem langen Säkularisierungsprozeß spekulativer und metaphysischer Konzepte durch die Wissenschaften spielte gerade die Kultur als erlebbare gegenständliche Konkretion der Idee eine große Rolle. Diese kulturwissenschaftliche Diskussion wurde jedoch niemals mit analytischer Akkuratesse und Sachlichkeit geführt. Die Verflechtung der wissenschaftlichen Diskussion mit gesellschaftlichen und politischen Leitideen war kaum zu entwirren. So konnte auch der Kulturbegriff kaum je als abstraktes wissenschaftliches Konzept verwendet werden, der politische Kontext schwang immer mit. Als die hochtrabenden Rechtfertigungen des I.Weltkrieges als letztem Kampf der abendländischen „Kultur" gegen die „westliche Zivilisation" Gehör fanden, lag das Ende von Bismarcks Kulturkampf gegen den dezentralistischen, übernationalen politischen Katholizismus gerade gut zwanzig Jahre zurück. Damit war er der deutschen Bevölkerung 1914 wohl ebenso präsent wie die Ideologisierung der deutschen Kultur durch die Nationalsozialisten der bundesdeutschen Bevölkerung in den 60er Jahren. Den preußischen Kulturkampf als Ringen um Säkularisierung, Modernisierung und Emanzipation des Staates und der Gesellschaft von der katholischen Kirche zu interpretieren, zeigt nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite war Bismarcks Angst um den protestantischen kleindeutschen Staat gegenüber einer katholischen Koalition ÖsterreichFrankreich und innenpolitisch die Ausschaltung der Opposition der 1870 gegründeten Zentrumspartei.1 Für große Teile der Bevölkerung bedeutete der Kulturkampf staatliche Zwangsmaßnahmen gegen die kulturelle Vielfalt - also im Grunde einen Kampf des Staates gegen die Kultur. Aus diesem noch in kollektiver Erinnerung präsenten obrigkeitsstaatlichen
136
IV Kultursystem
und
Kulturwandel
Kulturdirigismus konnte bestimmt nicht die Erfahrung einer staatlichen Kulturförderung oder der Emanzipation der Kultur als eines autonomen Gesellschaftsbereiches gemacht werden. Schließlich mußten die Maßnahmen des Kulturkampfes ja auch wieder entschärft werden, um ein politisches Dilemma zu vermeiden. Sieht man vor diesem Hintergrund die staatstheoretischen und philosophischen Entwürfe des Staates als Kulturnation, so bekommt deren heute euphorisch anmutende Ubersteigerung der Einheit von Staat und Kultur, des Staates als höchster Vollendung der Kultur, eine sehr konkrete Funktion 2 : Durch eine neue theoretische Gesamtkonzeption sollte der Abgrund zwischen Staat und Kultur überbrückt werden, denn hiermit konnten ja die verschiedensten politischen Positionen befriedigt werden. Die Vertreter einer rigorosen staatlichen Lenkung der Kultur konnten sich ebenso zu diesem Gesamtkonzept bekennen, wie die Verteidiger einer Kulturvielfalt, die erst im Gesamtgefüge des Staates ihren Sinn bekommt und ihre Bedrohlichkeit verliert. Derartig geschlossene und umfassende Systemkonzepte sind immer geeignet, konfliktträchtigen Gegensätzen den Stachel zu nehmen. Die gleiche Idee gewann auch nach dem Il.Weltkrieg wieder an Einfluß, als dem politisierten Kulturbegriff des Nationalsozialismus wiederum die Idee des „Kulturstaates" entgegengesetzt wurde. 3 In diesem Sinne sind auch die weltanschaulich-politischen Ubersteigerungen des Begriffs der Kulturnation - sei es die sozialistische Forderung, alle Kultur müsse politisch sein, oder die künstlerisch-ästhetische Utopie, Politik, Gesellschaftsleben, Alltag und Kultur seien zum Gesamtkunstwerk zu vereinen - einerseits als Gegenkonzepte zur repressiven Kulturpolitik im wilhelminischen Reich gedacht; als solche sind sie Entwürfe eines durchaus neuen Kulturstaates, dem die Kulturgebilde nicht religiös-metaphysisch als Repräsentation einer eigenen geistigen Welt übergeordnet oder entgegengesetzt sind (um dann immer wieder als „staatsfeindlich" und „gesellschaftsfremd" bekämpft zu werden). Hermann Heller und Gustav Radbruch (um nur zwei der bekanntesten Namen zu nennen) verstanden den Sozialismus als kulturelle Lebensform, geradezu als Gegenpol zu einer materialen Gesellschaftsauffassung; der Kulturnation schrieben sie die neue entscheidende staatsbildende Kraft zu 4 . Andererseits konnte die Integration der Kultur in Staat und Gesellschaft erst dann zum Ziel und Ideal erhoben werden, als die einzelnen kulturellen Sphären sich von der Gebundenheit an Religion und Weltanschauung befreit hatten. Erst in der Verselbständigung und im Sichtbarwerden ihrer spezifischen Gesetzlichkeit und eigenständigen Entwicklung, die schon durch die Geistes- und Sozialwissenschaften des 19. Jahrhunderts reflektiert wurden, konnte die Kultur in ihrer Wandelbarkeit als historischer Prozeß zum Eigenwert werden. Karl Mannheim geht sogar so weit, das Ergebnis dieses weltanschaulich-kulturellen Prozesses, der „das Werden der Kultur und die Kultur in ihrem Werden als letzten Wert erlebt", darin zu sehen, daß unsere gesamte Wissenschaft (mit Ausnahme der Naturwissenschaft) zur „Kulturwissenschaft", unsere Philosophie zur „Kulturphilosophie" geworden sei. 5 So „idealistisch" die weltanschaulich-politischen oder auch philosophischen Entwürfe der „Kulturnation" heute auch klingen mögen, sie sind ein Ergebnis der Verzeitlichung und Vergegenwärtigung der Kultur. Die ursprüngliche Einheit des gesellschaftlichen Lebens, die bis zum Zeitalter der Renaissance ohne Reflexion auf „Kultur" als eine eigene Sphäre der Gesellschaft gegeben war, wird jetzt durch die Erkenntnis der Historizität und des Prozeßcharakters der Kultur auf einer höheren Ebene angestrebt. Angesichts des politischen Zusammenbruchs im I.Weltkrieg erwächst nun gerade aus der theoretischen Erfassung der dynamischen Potenzen der Kultur die große gesellschaftliche Verpflichtung, durch den neuen Staat eine neue Gesamtkultur hervorzubringen. Gleichzeitig entsteht aber auch die Vision des Kulturverfalls und eines mit
1. Der Kampf um den Kulturbegriff
137
ihm einhergehenden gesellschaftlichen Untergangs. Es bedarf nur noch geringer polemischer Zuspitzungen und die Kultur wird zum alleinigen Richtmaß über Gedeih und Verderb der jungen Weimarer Republik und auch über den Wert oder Unwert anderer Staaten. Die Säkularisierung eines begrifflichen Konzeptes hat hier - besonders durch den öffentlichen Widerhall - ungewollt und indirekt zu einer erneuten Sakralisierung desselben Begriffes geführt. 6
b) Dimensionen
der Kulturdiskussion der zwanziger
Jahre
Die These, daß die Zeit des Expressionismus eine „Epoche einer latenten, aber weitgehend fortgeschrittenen Kultur-und Gesellschaftskrise" wäre, „in der die individuellen und kollektiven Muster gesellschaftlicher Selbstdeutung mit dem sozioökonomischen und soziopolitischen Wandel nicht mehr Schritt halten konnten" 7 , das bedeutet, hinter dem allgemeinen sozialen Wandel zurückgeblieben seien, ist in diesem umfassenden Sinn doch sehr fraglich; denn spätestens seit Ende des 19. Jahrhunderts haben Kunst und Literatur ihre Themen und Darstellungsmodelle aus den immensen Fortschritten der Wissenschaften geschöpft, wie sie früher aus dem religiösen und philosophischen Bereich entnommen waren. Die Entdeckung der Evolution und des elektrischen Feldes, die Fortschritte in Psychologie und Psychiatrie, sowie die neuen technischen und naturwissenschaftlichen Erkenntnisse wurden wenigstens ansatzweise in den künstlerischen Ausdruck der Gesellschaft eingearbeitet. Die Wissenschaften, Philosophie und Mathematik und die künstlerischen Tätigkeitsfelder zeigen deshalb gewiß mehr Gemeinsamkeiten als Kunst und Politik; zurückgeblieben ist umgekehrt offenbar der realpolitische Bereich gegenüber dem kulturellen und wissenschaftlichen Aufbruch. Die restriktive Kulturpolitik des Wilhelminismus gerade in einer Zeit der expansiven Industrialisierung war wohl ein wesentlicher Faktor in dieser Diskrepanz. Daß Spannungen und Unsicherheiten aus dieser Diskrepanz entstanden sind, hat die Intellektuellen-Debatte erwiesen 8 : D e r Mangel an Legitimation der gesellschaftlichen Rolle des Intellektuellen, die Tatsache, daß die Identität als Intellektueller zum Bruch mit den herkömmlichen öffentlichen Vorstellungen dieser Rolle führen mußte, weist auf eben diese Retardierung der politischen Sphäre hin. Die Ursachen der Kulturkrise wurden oft voreilig bei den Intellektuellen selbst als den vermeintlichen Trägern von Kultur gesucht; die Vielschichtigkeit der Krise aber blieb unreflektiert und wird auch heute noch auf „die spezifisch deutsche Misere" 9 oder auf die der Politik ablehnend gegenüberstehende „Gemütstiefe" und Kulturbesessenheit der Deutschen abgeschoben. Die Polaritäten der damaligen Kulturdiskussion zeigen jedoch, daß der Kultur eine eminent politische Bedeutung beigemessen wurde, sowohl von den Künstlern, die den Beginn eines neuen Zeitalters proklamierten, als auch von den Politikern, die sich in den zahlreichen Bildungsreformen der zwanziger Jahre engagierten. Die heute berechtigt erscheinende Frage, warum die Hoffnungen in Deutschland nach dem I.Weltkrieg sich weniger auf die politische Sphäre gerichtet haben, sondern in den Kulturbereich ausgewichen sind, ist also aufgrund des damals aktuellen Kulturkonzeptes in dieser Weise gar nicht zu stellen. Man kann hier nicht von einem Ausweichen oder einer Flucht sprechen; denn die Verwirklichung einer neuen Gesamtkultur sollte ja identisch mit einer neuen Politik sein. Ausgehend von einem heute gefestigten pragmatischen, die institutionelle Segmentierung akzeptierenden Politikverständnis, ist man einer irrtümlichen Annahme über das Politikverständnis der zwanziger Jahre besonders ausgeliefert und geneigt, das damalige Engagement für die geistige Erneuerung oder für eine neue Gesamtkultur als schöngeistige Flucht aus der
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IV Kultursystem
und
Kulturwandel
Politik zu bewerten. Wenn sich damals jedoch ζ. B. Hochschullehrer zwar der allgemein suspekten praktischen Parteipolitik weitgehend entzogen haben, so verstanden sich diese „Männer der Feder, nicht der Tat" in ihren Aufrufen zur Besinnung auf höchste geistige Werte dennoch als wichtige politische Akteure - die Wissenschaft habe doch „in der geistigen Totalität, die als sinngebende Voraussetzung für die wissenschaftliche Arbeit gewonnen werden muß, letzte Richtlinien und Wertschätzungen auch für die Politik aufzuweisen". 10 Den „Geistigen" als Verfechter eines ganzheitlichen Kulturbegriffs wurde damit gleichzeitig eine wichtige politische Rolle zugedacht: Sie sollten die neue führende politische Elite sein, die an die Stelle der bürgerlich-kapitalistischen „Kriegsverursacher" tritt.11 Zu dieser irrtümlichen Annahme eines unpolitischen Bildungsbürgertums gesellt sich aus heutiger Perspektive eine weitere: Die Auffassung, daß die Schriftsteller und freischaffenden Künstler als „Rebellen" nicht zum Bildungsbürgertum gerechnet werden könnten. Gerade diese kamen aber meist aus dem bildungsbürgerlichen Milieu und hatten das Privileg der freien kreativen Arbeit meist einem materiell gesicherten und angesehenen familiären Hintergrund zu verdanken. 12 Diese Untergruppe des Bildungsbürgertums hat die politische Bedeutung der kulturellen Lebensgestaltung nicht nur in Manifesten proklamiert, sondern in Ausbildungszentren und didaktischen Schriften praktisch umgesetzt (wie ζ. B. im Bauhaus), mit den verschiedensten Parteibindungen und politischen Zielen.13 Auch in der Jugendbewegung bezog sich die Kulturdiskussion immer gleichzeitig auf eine Reformierung der Politik - erwiesen durch die politische Reorientierung der Jugendbewegung in der Zeit nach 1925.14 Man mag aus heutiger Sicht einen Verlust der politischen Dimension in diesen Proklamationen und Bewegungen beklagen - obwohl auch heute ein „alternativer" Politikbegriff besonders im Umfeld der „Grünen" die politische Dimension in ökologische Probleme und in einen „Wertewandel" bis hin zu Vorstellungen einer integrativen persönlichen Lebensführung aufzulösen scheint15 und diese Proklamationen als Ausflüchte bezeichnen. Zu bedenken ist jedoch, daß nach totaler Zerstörung der politischen Eigenständigkeit und der politischen Institutionen, in Perioden, in denen die eigentlichen politischen Entscheidungen von fremden Staaten getroffen werden, der Bereich der Kultur und der Kulturpolitik zunächst als einziger die Möglichkeit des Neuaufbaus von Institutionen bot. Das war sowohl nach dem I. wie nach dem Il.Weltkrieg unter der Herrschaft der Siegermächte der Fall. Kultur bot die Möglichkeit zur „Nischenpolitik", zum ersten politischen Neuanfang, der sich keineswegs nur auf konservative Parteipolitik beschränkte. Auf der politisch-institutionellen Ebene kommt es ebenfalls zu erheblichen Nachwirkungen des preußischen Kulturkampfes: Schon der verhältnismäßig neue Begriff der „Kulturpolitik" stammte aus dem Ideenbereich des Kulturkampfes und erhielt in dessen Verlauf seinen modernen politischen Akzent. Kultur war seitdem nicht nur Gegenstand einer ordnenden Verwaltungstätigkeit, sondern Gegenstand des politischen Machtkampfes. 16 Die Herrschaft über bestimmte Kulturbereiche, insbesondere Wissenschaft und Bildung, bedeutete politischen Einfluß (oder die Hoffnung darauf) und deshalb wurde nach 1918 insbesondere auf dem Gebiet der Wissenschaft ein radikaler internationaler Kulturkampf gegen Deutschland geführt. Der Versailler Vertrag erklärte (nach Art. 282 ff.) alle bisherigen internationalen Ubereinkommen mit Deutschland auf wissenschaftlichem Gebiet für nichtig (mit Ausnahme weniger Organisationen und Abkommen, wie der Meter-Konvention in Paris, in denen Deutschlands Ausschluß einen Zusammenbruch der Arbeit bedeutet hätte), die interalliierten Akademien der Wissenschaft sprachen in London im Oktober 1918 ihren Bannfluch gegen die gesamte deutsche Wissenschaft aus und nahmen mittels zweier großer internationaler
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Organisationen auch ganz aktiv und systematisch den Kampf gegen die deutschen Wissenschaftsorganisationen auf: mit dem Conseil International de Recherches (International Research Council) in Brüssel im Bereich der Naturwissenschaften, und der Union Académique Internationale in Brüssel im Bereich der Geisteswissenschaften. Die deutschen Gesellschaften blieben aus diesen Neugründungen ausgeschlossen, und deutsche Gelehrte durften nicht zu den Kongressen eingeladen werden. Die internationalen Institute und Geschäftsstellen, die sich noch in Deutschland befanden, wurden ins Ausland verlegt; die deutschen Zeitschriften wurden boykottiert und zum Teil durch deckungsgleiche Neugründungen ersetzt; deutsche wissenschaftliche Publikationen wurden in den einschlägigen Bibliographien nicht mehr aufgeführt. 17 Die zahlreichen, heute oft chauvinistisch erscheinenden Plädoyers aus der Zeit nach dem I.Weltkrieg für die deutsche Kultur und Wissenschaft waren - in diesem Kontext - zum großen Teil Kompensationen für diesen Ausschluß und die erlittene Schmach; vor allem aber wurde das Niveau der deutschen Kultur - Kunst, Philosophie und Wissenschaft - deshalb so herausgestellt, um sich wieder einen legitimen Platz im internationalen Kultur- und Wissenschaftsaustausch zu verschaffen. Die gesamte Kulturpolitik der Weimarer Republik war deshalb nicht allein und gar nicht in erster Linie von der Notwendigkeit bestimmt, die Kriegsschäden, die materiellen und personalen Notstände zu beseitigen; vielmehr wurde die Förderung der deutschen Wissenschaft und Kultur zu einem entscheidenden Faktor zur Wiedererlangung des verlorenen internationalen Ansehens und zum Anschluß an die zu dieser Zeit doch schon weltweit sich organisierenden Diskursgemeinschaft der Wissenschaftler und Künstler. In der Reichskulturpolitik der Weimarer Republik ging es in dieser Zwangslage vor allem darum, die verfassungsrechtlich in der Zuständigkeit der Länder liegende Kulturpolitik durch die Einrichtung von kulturpolitischen Abteilungen im Reichsministerium des Innern und im Auswärtigen Amt indirekt unter die Reichshoheit zu bringen; dies gelang durchaus wirkungsvoll und ohne nennenswerte Opposition. Die Zentralisierung und die Konzentration der Reichspolitik auf die Kultur- und Wissenschaftsförderung hatte zum einen eine eminente außenpolitische Bedeutung - der totale Boykott der deutschen Wissenschaften sollte vor allem durch die Gründung der „Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaften" aufgefangen werden. 18 Aus dem Reichsetat finanziert, konnte diese in ihrer Rechtsform als privater eingetragener Verein den internationalen Boykott weitgehend umgehen und durch die private Entsendung von Gelehrten, durch die Beschaffung von Literatur, Materialien und Instrumenten aus dem Ausland (zum Teil auch als großzügige Spenden ehemaliger Studenten) und durch die Finanzierung neuer internationaler Projekte den Anschluß an die wissenschaftlichen Großleistungen des Auslandes in wenigen Jahren wieder herstellen. Die zentrale Kulturpolitik auf Reichsebene leistete neben der Pflege der kulturellen Güter und dem Wiederaufbau vor allem auch eine Verhinderung des Ausverkaufs von einmaligen Kunstwerken an das zahlungskräftige Ausland während der Jahre der Inflation. Zum anderen wurde - im Gegensatz zur Kulturpolitik des Kaiserreiches - zum ersten Mal die gesellschaftliche Bedeutung der Kulturpolitik voll erkannt. Die Institutionalisierung der Erwachsenenbildung, des Arbeitertheaters und der Arbeiterkunst, die Neuentdeckung des Volksliedes und der Volkskunst, die Gartenstadtsiedlungen und Volkssportanlagen usw. gehörten zum politischen Programm vor allem der linken Parteien. Verständlicherweise standen deshalb bildungspolitische Fragen im Vordergrund der politischen Debatten; Artikel über die Schule spielten in der Schaffung der Weimarer Verfassung eine besondere Rolle, insbesondere weil zwischen den politischen Parteien eine grundlegende Auseinandersetzung in Bildungsfragen stattgefunden hat. Auch
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IV Kultursystem
und
Kulturwandel
die Wissenschaften wurden - nicht zuletzt wegen der internationalen Ächtung - als eine der wichtigsten Grundlagen allen staatlichen Lebens gesehen, und ihnen wurde in großer Einigkeit von allen politischen Parteien eine eminente gesellschaftspolitische Bedeutung zugemessen, sei es nun, um das Bildungsmonopol des Besitzbürgertums zu brechen, oder sei es, um Deutschland als Kulturnation wieder zu einigen. Die explosive Entwicklung der von Parteien, Verbänden und informellen Zusammenschlüssen getragenen Reformbestrebungen war also eine direkte Folge des Kulturkampfes gegen Deutschland in diesen Jahren. Insgesamt kann dieser kulturelle Aufbruch keinesfalls nur als „konservative Reaktion" oder als „Kulturchauvinismus" gewertet werden; die Kulturkrise und der Zusammenbruch der bürgerlichen Kultur waren fest im allgemeinen Bewußtsein verankert und alle Bewegungen sahen sich vor die Aufgabe gestellt, eine neue Kulturgesamtheit zu schaffen. Nach Pierre Viénot, einem zeitgenössischen französischen Beobachter der deutschen Verhältnisse, ist dieser Aufbruch „beinahe ein antibürgerlicher Geist in Reinkultur zu nennen" 19 - antibürgerlich in seiner Opposition gegen die Konventionen des bürgerlichen Lebens, aber auch im tieferen Sinn durch das Streben nach einer antiindividualistischen, menschlicheren und nicht vom persönlichen Nutzen geleiteten Lebenspraxis; schließlich antibürgerlich im politischen Sinn, daß man durch den Zusammenschluß in neuen, großen nichtstaatlichen Verbänden auch nach außen eine antiparlamentaristische Position bezieht. Kein Land hat nach Viénot den Glauben an die moderne Welt und an die Kulturkrise so sehr auf die Spitze getrieben wie Deutschland, wo er nicht verdrängt, sondern mit Eifer bejaht wurde. Die Bedrohung des Provisorischen und des Übergangs verwandelt sich zum Heilmittel gegen die Beklemmung. „Alle Philosophien des Werdens scheinen in das allgemeine Empfinden übergegangen zu sein. Ganz Deutschland malt sich ein Morgen aus, das anders als das Gestern und selbst als das Heute ist. Es wartet darauf, ersehnt es und liebt es im voraus (...), aber wie soll man bis dahin leben?" Für Viénot eine äußerst problematische Frage - und trotzdem empfliehlt er seinen Landsleuten die Nachfolge: Wenn auch Deutschlands Suche nach der Zukunft Irrwege und Rückfälle mit einschließen kann, muß Frankreich sich deshalb durch einen blinden Konservativismus abschirmen? „Kann es nicht aus der Drohung den Appell heraushören und ihm antworten - kann Frankreich nicht Deutschlands Liebe zur Zukunft teilen?" Auch in der Retrospektive wird heute die Kultur der Weimarer Jahre als „immerhin erster wahrhaft moderner Kulturabschnitt" bezeichnet. 20 Aufgrund der prekären politischen Position Deutschlands bot die Berufung auf die „Kultur" selbstverständlich auch eine Ausflucht aus der realistischen Politik. Die zeitgenössische Kulturdiskussion zeigt nur zu deutlich, daß doch gewisse Einschränkungen in bezug auf die Weimarer „Kultur der Moderne" zu machen sind.
c) Polaritäten des
Kulturbegriffs
Einige Charakteristika der Kulturdiskussion im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, die das Umfeld für die Entstehung einer modernen Kultursoziologie und für die Kulturtheorie Hans Freyers und der Leipziger Schule prägten, sind als typische Erscheinungen einer tiefgreifenden Kulturkrise zu interpretieren. Zum Beispiel ist in diesem kulturellen Umbruch, der, zwar bereits um die Jahrhundertwende vorbereitet, nach dem durch den I.Weltkrieg ausgelösten politischen und wirtschaftlichen Zusammenbruch mit immenser Beschleunigung und Breitenwirkung vonstatten ging, eine Regression von sekundärsozialen Mechanismen zu primärsozialen Mechanismen des Kulturprozesses eindeutig festzustellen. 21 Die Jugendbewegung, eine
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der auffallendsten Erscheinungen einer Entkoppelung des alten Systemzusammenhangs durch Pluralisierung bzw. Entregelung von Subsystemen, ist geradezu exemplarisch für einen kollektiven Rückzug aus verhärteten sekundären Institutionen in einen primären Sozialmodus. Als Quasi-Primitiv-Gemeinschaft, mit Führer-Gefolgschaftsbeziehungen und rituell geeinten Massenversammlungen, war sie einer der wichtigsten Kanäle, durch die überkommene, nicht mehr anpassungsfähige gesellschaftliche Funktionen entwertet werden konnten. Als eine ganz ähnliche „Entregelungserscheinung", nämlich des konventionellen und für überholt gehaltenen Typs der politischen Parteien, können die sogenannten „politischen Bünde" gelten. Sie entstanden ebenso zunächst als kleine Gruppen, in Opposition zu den Lebensformen der bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts, und sie waren als Gegenkräfte zu den Parteien gedacht. Man war des Parteiengezänks, der Funktionärswirtschaft und der erstarrten Bürokratie einer politischen Großorganisation überdrüssig und versuchte, die Partei, „die seelenlose Maschine, die das Leben unlebendig macht, Geist und Seele ertötet, und die Minderwertigkeit an die Spitze trägt", 22 durch neue Gemeinschaften zu ersetzen, die durch das „bündische Prinzip", d. h. ebenfalls durch Führer-Gefolgschaftsbeziehungen und den gemeinschaftlichen Zusammenhalt einer Quasi-Primärgruppe gekennzeichnet waren. 23 „Regression auf einen primärsozialen Modus" soll in diesem Zusammenhang keineswegs pejorativ verstanden werden, sondern ist als die charakteristische Dynamik des Kulturwandels, als Prozeß der „schöpferischen Zerstörung" zu betrachten, die einer Neuordnung der sekundären gesellschaftlichen Institutionen generell vorangeht. 24 Daß auch eine Reintegration stattfand, wird schon daran sichtbar, daß sich aus den unzähligen Bünden und Orden vier Großorganisationen herauskristallisierten, die, wenn auch grob, den dominierenden Parteirichtungen entsprachen: Der „Jungdeutsche Orden", aus den Freikorps hervorgegangen, später jedoch mit republikfreundlichen Tendenzen; der „Stahlhelm - Bund der Frontsoldaten", der die Aufgabe einer Schutztruppe der rechtsradikalen Deutschnationalen Partei wahrnahm; das „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold", mit 3,5 Millionen Mitgliedern der mit Abstand größte Bund, der eine überparteiliche Abwehrformation gegen die „Vaterländischen Verbände" zum Schutze der Republik darstellte und sich zum größten Teil aus der Arbeiterschaft rekrutierte; schließlich der „Rotkämpferbund", die militante Kampforganisation der KPD, die 1929 verboten wurde, aber intensive illegale Tätigkeit entfaltete. 25 Diese politischen Bünde sind ein markantes Beispiel dafür, daß auf „niedrigerer" gemeinschaftlicher Ebene durchaus auch komplexe politische Tendenzen und Ziele transformiert werden konnten. Mit dieser sozialorganisatorischen „Regression" und Reintegration ging eine Revision der Kulturgehalte oder Sinndeutungen einher, die im Zusammenhang mit der Leipziger Kulturtheorie natürlich von besonderem Interesse ist. Der Kulturbegriff selbst als integrative Einheit wurde aufgelöst. Nach Jacob Burckhardt - er war der letzte, der „Kultur" von den übrigen Teilsystemen der Gesellschaft: „Staat", „Religion" und „Wirtschaft" getrennt definiert hatte 2 6 wurde der Kulturbegriff später wieder integrativ als Suprasystem betrachtet, das bestimmte Dimensionen aus Staat, Wirtschaft, Wissenschaft, Kunst und Religion einschloß. Als allumfassender Einheitsbegriff stellte er entweder eine Dimension des gesellschaftlichen Gesamtsystems dar oder aber er wurde zum Monomythos, auf dessen Basis eine einheitliche Staatsund Gesellschaftskonzeption beruhte. Durch die Zerstörung des wilhelminischen Deutschen Reiches im I.Weltkrieg aber verlor dieser Monomythos seine Überzeugungskraft. Die Einheit einer Gesamtkultur war zerbrochen und die Sinnfrage mußte neu gestellt werden. Von einer pragmatischen „Polymythie", die das Nebeneinander verschiedener Sinngehalte und Wahr-
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IV Kultursystem
und
Kulturwandel
heiten beinhaltet, war man jedoch noch weit entfernt. Die Utopie einer neuen „Gesamtkultur" stand immer als Lichtstreifen am Horizont; sie sollte mit allen Mitteln erreicht werden, denn erst damit konnte man die Konsolidierung der neuen Gesellschaft als endgültig geglückt annehmen. Alle Massenbewegungen der zwanziger Jahre haben die Sinnfrage in dieser Hinsicht neu gestellt und ins Utopische projiziert - und gerade darin besteht ihre historische Bedeutung. 27 Man nöchte annehmen, daß aus diesen Massenbewegungen - da sie von anderen geistigen und künstlerischen Aufbruchsbewegungen begleitet waren, die sich von einer teleologischen Vorbestimmtheit zu lösen begannen und zu einer offenen Dynamik tendierten - es zu einer breiteren aufgeklärten Akzeptanz alternativer Weltdeutungen hätte kommen können, wenn die offiziellen politischen Institutionen (wie ζ. B. die Parteien) nicht hoffnungslos hinter einer progressiven, aber für sie nicht realisierbaren Verfassung zurückgeblieben wären. Dieses politische Dilemma wurde schon damals von Sigmund Neumann (der übrigens Schüler von Hans Freyer war) auf das Versagen der politischen Parteien zurückgeführt - sie hätten es versäumt, den „bündischen Charakter", d. h. menschliche Bindungen, Führungsqualitäten und Repräsentanz, mit sachlicher Integration zu verbinden. 28 In einer neuen Untersuchung über die Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik wird das mangelnde Integrationsvermögen der SPD auf vielen Ebenen dargestellt; weder gelang ihr die Integration der gewerkschaftlichen Bewegungen (die angesichts der akuten Krise auf dem Arbeitsmarkt zu einer gewissen Zusammenarbeit mit den Unternehmern bereit war), noch war sie fähig, den linken Intellektuellen-Bewegungen der Künstler, Schriftsteller und Arbeiterdichter einen angemessenen Status im Parteigefüge zu verschaffen. 29 In den bündischen Organisationen wurde die Vereinigung alternativer Weltdeutungen bereits vollzogen, wenn auch noch nicht ausreichend reflektiert, sondern eher auf primärer gemeinschaftlicher Ebene gelebt. 30 In diesen primärsozialen Gemeinschaften wurde von der zukünftigen Totalität einer Gesamtkultur im Sinne einer „complexio oppositorum" geträumt; aber man war offenbar nur fähig, vorwiegend mit negativen Formulierungen und mit extremen Polarisierungen auszuloten, wie diese vollkommen neue Kultureinheit nicht aussehen soll. Diesen Vorgang kann man durchaus als Rückgang und Absicherung in einer „archaischen Logik" bezeichnen, als Sicherung durch eine Dialektik zwischen Dualismus und Synchronizität, die die Struktur des archaischen Denkens repräsentiert und die in Zeiten des krisenhaften Wandels vorherrschend zu sein scheint, da ja nur über den Rückgang auf ursprüngliche Zustände das Einschlagen einer neuen Richtung möglich wird. 31 So ist es auch verständlich, daß diese Kulturdiskussion mit extremer - vom Kulturbegriff her gar nicht zu rechtfertigender - Polemik geführt wurde. Völlig den Gesetzen des regressiven Denkens folgend, vollzog sich die Diskussion vor allem in Gegensatzbegriffen und negativen Abwertungen: Kultur stand gegen Zivilisation, Volk gegen Masse, Geist gegen Macht, kulturelle Tradition gegen Fortschritt. Damit wurde jedoch gerade nicht der Relationscharakter oder das normalerweise zu beobachtende Oszillieren der konkreten Kulturerscheinungen herausgearbeitet. Da es in dieser Diskussion ja um die fiktive Einheit einer neuen Gesamtkultur ging, erfuhr der Kulturbegriff eine extreme Normativierung 32 , und die Polaritäten konnten gleichzeitig und unmittelbar in großen Synthesen metaphysisch verschmolzen werden: Kultur als die große Tradition und die große Utopie, die Vereinigung von Masse und Kultur in einer neuen Massenkultur oder Arbeiterkultur, die Verschmelzung von Kultur und Zivilisation in einer neuen technischen Kultur usw. Einem gespaltenen und dissoziativen Kulturbegriff steht auf diese Weise meistens ein integrativer, die gleichen Polaritäten vereinigender Kulturbegriff unmittelbar gegenüber.
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(1) In der bildenden Kunst, Literatur und Musik werden dem Naturalismus, der als phantasielose Nachahmung der Natur denunziert wird, neue Kunstformen entgegengestellt und so die „Kultur" der „Natur" übergeordnet. Das Wesentliche des menschlichen Lebens soll nun in „geistigen Formen" seinen Ausdruck finden, die vom Symbolismus eines Max Beckmann oder Franz Kafka bis zur geometrischen Abstraktion eines Piet Mondrian, von der konstruktivistischen Zwölftonmusik Arnold Schönbergs bis zur Neuformulierung archaischer Volksmusikformen bei Béla Bartok oder Carl Orff reichen. Die „Modephilosophie" der zwanziger Jahre, die Kulturphilosophie, 33 verstand sich ebenfalls als Reflexion über die vom Menschen geschaffene „künstliche" Welt, sei es in einer Ausformung als formale oder materiale Kulturphilosophie bzw. Kulturkritik. So ging es ihr immer mehr um die Gesetzlichkeit der Objektivationen des menschlichen Geistes als um die Gesetzlichkeiten in der menschlichen Natur. In diesem Sinne konnte sich die Kulturphilosophie auch als Gegeninstanz zu der zu sehr an der Biologie und den Naturwissenschaften orientierten Anthropologie verstehen. Die Kulturphilosophie wird damit näher der Soziologie zugeordnet, 34 denn für sie gelten die Formen der Vergesellschaftung ja ebenfalls als Kulturformen. Die Jugendbewegung trug den Kampf zwischen Kultur und Natur exemplarisch aus, war doch der Ursprungsgedanke der Wandervogelbewegung kurz vor der Jahrhundertwende die Flucht aus den entfremdeten Lebensformen der militarisierten und bürokratisierten wilhelminischen Gesellschaft und die Rückkehr zur Natur. Später, in der Institutionalisierungsphase der Bünde, setzte sich sowohl die bürgerliche Jugendbewegung in ihrem Kampf gegen Schule und Konvention, wie auch die Arbeiterjugendbewegung in ihrem Kampf gegen Parteibürokratie und Rationalisierung des Arbeitslebens, für eine neue gesellschaftliche Synthese von „Natur" und „Kultur" ein. Es handelt sich hier um ein nahezu klassisches Beispiel einer Regression auf eine Primärebene, von der aus die Bildung neuartiger Kulturformen möglich ist. In sozialer Hinsicht erscheint sie als Rückkehr zu einer quasi-primären Gruppenbildung, die zunächst zur Pluralisierung der Lebenswelten und zur Bildung einer Sub- oder Gegenkultur führte; auf kognitiver Ebene kommt es zunächst zu einer Ablehnung des gesamtgesellschaftlichen Deutungsmonopols durch eine Vielfalt von spezifischen Gruppenzielen (das Erlebnis des Wanderns und der großen Fahrt, die Entdeckung des Körpers im Tanz und im Turnen, das Erlebnis der Musik als spontanes Gemeinschaftsereignis) „rein gegenwartsbejahend, ohne Tendenz und Ziel". 35 Sehr bald aber kam es in der Idee des „Jugendreiches" zu einer erneuten Ideologisierung, 36 denn damit wurde das naturhafte spontane „jugendgemäßge Leben" zur neuen, allgemeinen Lebensform für alle Generationen erklärt. Das „Jugendreich" als neue gesamtgesellschaftliche Utopie trieb damit den Konflikt „Kultur-Natur" auf die Spitze; denn hierzu wäre eine Institutionalisierung der jugendlichen Lebensformen auf breiter gesellschaftlicher Ebene nötig gewesen, die jedoch gerade das Gegenteil des erträumten jugendlichen Heroismus und der Unmittelbarkeit bedeutet hätten. Und so mündete der jugendliche Aufbruch in sehr hierarchisch und realistisch durchorganisierten Bünden, in Institutionen der Volksbildung, des Sports, der Musikerziehung, was natürlich auch sofort als „geringbejahrtes" und „mechanisiertes Erwachsenentum" und als „Taylorismus der Bildung in einem Typensystem starrer Art" kritisiert wurde, dessen Verfechter nur als Marionetten im Dienste der Erwachsenenwelt tanzen würden. 37 Die utopische Synthese von Kultur und Natur: das selbstläufige Wachsen einer neuen politischen Form aus der neuen Gemeinschaft heraus - der Staat als „höhere Natur" - blieb nach wie vor die Hoffnung aller politischen Lager der Jugendbewegung. 38
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IV
Kultursystem und Kulturwandel
D i e elementarste Entgegensetzung der Begriffe „ N a t u r " versus „ K u l t u r " bildete die Polarität von K u l t u r und Rasse. D a ß „Rasse" über der „ K u l t u r " stünde und daß deshalb ihr E i n f l u ß auch eine jahrhundertelange Enkulturation überdauern würde, war die Grundannahme des europäischen Antisemitismus in den zwanziger Jahren. Andererseits war gerade das K o n z e p t der Enkulturation die Grundlage einer neuen „völkischen" Argumentation, die die widersprüchlichen und wissenschaftlich unhaltbaren Rassentheorien 3 9 durch einen „ K u l t u r antisemitismus" zu ersetzen suchte. „Enkulturation" sollte mit ihren aus der R o m a n t i k abgeleiteten K o n z e p t e n der historisch gewachsenen K u l t u r als „Volkstum" die Andersartigkeit u n d Fremdheit des jüdischen Volkes durch seine jahrhundertelange „Exilkultur" begründen. 4 0 D i e gleiche Argumentation diente aber genauso dazu, gerade die Daseinsberechtigung der spezifisch jüdischen Kultur in Deutschland nachzuweisen. Werner C a h n m a n n ζ. B . bekannte sich damals zu einem romantischen Kulturbegriff als einem höheren Wert, zu einem „durch Rassenmischung, historische Schicksale und geistige Prägung entstandenen V o l k s t u m " , das auch z u r „neuen geistigen Position des deutschen J u d e n t u m s " geworden sei, da die „neuvölkische B e w e g u n g " nicht nur eine Modeerscheinung, sondern ein bleibender Zug des deutsch-jüdischen D e n k e n s sei. E b e n s o wie in der R o m a n t i k die besonderen Lebensrechte der einzelnen Volkstümer gegen die aufklärerischen Gleichheitsideen zu verteidigen gewesen seien, so sei heute die neue völkische Bewegung gegen die Nivellierungsbestrebungen des europäischen Rationalismus, und zwar sowohl in der F o r m des marxistischen Sozialismus wie des Liberalismus, wie auch des Naturalismus oder Biologismus, zu verteidigen. H i e r begegne sich in glücklicher Weise das jüdische D e n k e n „mit derjenigen Tendenz der deutschen Bildung, die den höheren Wert persönlicher, ständischer und stammlicher Besonderheiten gegenüber den Nivellierungsbestrebungen einer rationalistischen Weltauffassung b e t o n t " . 4 ' D e r einmal h o c h gelobte Status der „cultura" als Gegenbild z u m „status naturalis", einem glücklosen D a h i n l e ben bzw. -vegetieren außerhalb der Gesellschaft, scheint nun wieder zurückgekehrt zu sein zu einer ursprünglich mittelalterlichen theologischen A n n a h m e , die den „status naturalis" als den paradiesischen menschlichen U r z u s t a n d deutete. D i e ursprünglich durchaus als Säkularisierung einer theologischen Weltanschauung fungierenden M e r k m a l e des klassischen K u l t u r b e griffs (die Bezogenheit auf das W e r k und auf die menschliche Gemeinschaft bzw. die Historizität der Kultur) 4 2 werden nun z u m P r o b l e m . D i e angenommene „ E i g e n d y n a m i k " der modernen rationalistischen Wissenschaft und der technischen Zivilisation, die sich angeblich zur D i k t a t u r gegen den M e n s c h e n verkehrt, führte nun zur D e u t u n g des „Volkstums" als eines quasi-natürlichen, im G r u n d geschichtslosen Zustandes. Das Volkstum galt insofern als rettende Kraft, als es bei allem politischen, wirtschaftlichen, technischen u n d auch gesellschaftlichen Wandel als eine relative Konstante angesehen werden konnte. (2) I n der Bezichtigung, die wissenschaftliche Rationalität würde die persönliche und soziale Spontaneität vergewaltigen, k o m m t eine zweite grundlegende Polarität der Kulturdiskussion z u m Tragen: Kultur gegen Zivilisation. Diese Kontroverse ist w o h l die bekannteste und im Zusammenhang einer auch heute wieder aktuellen Zivilisationskritik immer noch die populärste. „Eindringliche M a h n - und Weckrufe an das deutsche Kulturgewissen" 4 3 waren für die Intellektuellen schon immer ein bewährter Weg, ihre Sehergabe zu beweisen und ihre prophetische Mission zu erfüllen. D i e dogmatische Kritik der technischen Zivilisation wurde hier bereits im politischen Zusammenhang beschrieben. N a m h a f t e Gelehrte - E r n s t R o b e r t C u r t i u s oder auch H e l m u t h Plessner und Karl Jaspers 4 4 - riefen auf zur R ü c k k e h r zu einer nur den Deutschen eigenen, seit dem Idealismus sozusagen als „ewiger W e r t " geltenden philo-
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sophischen Kultur, um der abstrakten Zersplitterung in zahllose wissenschaftliche Fachreservate, die losgelöst von einer übergreifenden Lebensperspektive wären, entgegenzuwirken. 45 Karl Jaspers fürchtete, daß im objektivierenden Denken, das er der technischen Zivilisation anlastete, der Weg von einem „gewesenen unermeßlichen Schlafzustand" des Naturdaseins der Menschheit zu einem neuen Schlafzustand des technischen Daseins führe, unterbrochen nur von einer kurzen Periode der Freiheit als „Ubergang in der Zeit, die für sich selbst in ihrer Transzendenz sich als das eigentliche Menschsein wußte, mit dem Ergebnis des technischen Apparats, den nur sie hervorbringen konnte". 4 6 Die Emanzipation des Menschen ist demnach keine zukünftige Möglichkeit mehr; sie ist in die Vergangenheit projiziert und ist bereits verspielt. Eine neue Substanzialität des menschlichen Daseins - nach Jaspers in der Spannung von Zivilisation und Philosophie, von Autorität und Freiheit - könne nicht mit dem Riesenapparat und mit der Nivellierung des äußeren Daseins, sondern nur in Lücken desselben und am Rande des Untergangs entstehen. 47 Für die im technischen Fortschritt stehende und auf ihn hoffende Bevölkerung waren das wahrhaftig keine rosigen Aussichten. Daß der „Ingenieurtypus", der technische Mensch, als Personifizierung der beweglichen und technischen Intelligenz, das amerikanische Leben als Leitbild technischer Vernunft, die technisierte Vergnügungsindustrie, der Sport und das freie Großstadtleben als moderne Errungenschaften ebenfalls idealisiert wurden, machte gerade die Brisanz dieser Polarität „Zivilisation-Kultur" aus. Die Weimarer Popularkultur war besonders von dieser, die technische Zivilisation als Befreiung betrachtenden Denkströmung ergriffen; 48 aber auch in den technischen Wissenschaften entstand eine geradezu euphorische Vision einer neuen technischen, weltumspannenden Einheitskultur. Die „klassenlose Gesellschaft" hatte ihr technisches Pendant gefunden. 49 Damit fand auch die neue „Massenkultur" ihre Thematisierung innerhalb dieser Kontroverse. „Arbeiterkultur" und „proletarische Kultur" wurden zur Mission der Parteiarbeit der Linken, aber auch zum großen Schlagwort linksgerichteter Künstlergruppen, wie der November-Gruppe, der Roten Gruppe, oder der Association Revolutionärer Bildender Künstler: „Wir wissen, daß wir Ausdruck der revolutionären Kräfte, Instrument der Notwendigkeit unserer Zeit und der Massen zu sein haben, und w i r leugnen jede Verwandtschaft mit den ästhetischen Schiebern und Akademikern von morgen ab. Uns ist das Bekenntnis zur Revolution, zur neuen Gemeinschaft, kein Lippenbekenntnis, und so wollen wir mit unserer erkannten Aufgabe Ernst machen: mitzuarbeiten am Aufbau der neuen menschlichen Gemeinschaft, der Gemeinschaft der Werktätigen". 5 0 In literarischen expressionistischen Werken erscheint „Masse" zum einen geradezu als die selbständige Macht der modernen Gesellschaft: Masse „hat einen höheren Willen, einen, der so hoch und total ist, daß er einem Schicksal gleichkommt". 5 1 Uber Differenzierungen wie Paul Tillichs „mechanische", „dynamische" und „organische" Masse 52 bis zu totalen Entgegensetzungen in emphatischer Verherrlichung des Individualismus in der neu gegründeten Zeitschrift „Der Einzige" 53 und nicht zuletzt im wissenschaftlichen Individualismus der soziologischen Handlungstheorie 5 4 reicht die Kontroverse und zeigt die unüberwindliche Kluft zwischen den einzelnen Dogmen. Die moderne Demokratie als Massenphänomen wurde in dieser Diskussion genauso dogmatisiert und damit zum politisch brisanten Thema. Wenn Paul Tillich eine jenseits der politischen Parteien entstehende religiös-demokratische Gesellschaft aus „dynamischer Masse" und „sittlicher Führergemeinschaft" entwirft, die zur noch unverwirklichten „organischen Masse" werden kann (welche nicht mehr revolutionär umstürzend, sondern „in mystisch-kultischer Frömmigkeit" eine „ewig-seiende Wahrheit" im Leben verwirklichen wird 55 ), wenn andererseits
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IV Kultursystem
und
Kulturwandel
Ernst Robert Curtius im demokratischen Prinzip eine „antiliberale Staatsdogmatik" gegen den echten Humanismus und die deutsche Bildungstradition sieht,56 - immer handelt es sich um eine dogmatische Überhöhung der Begriffe. (3) Mit der Kulturleistung als politischer Mission ist zugleich eine dritte grundlegende Polarität in der Kulturdiskussion benannt: Kultur versus Geschichte. Die Einheit und damit die Vorbestimmtheit des Gangs der Weltgeschichte und auch die Annahme einer zyklischen Abfolge in sich geschlossener Kulturkreise sollte durch einen neuen Kulturbegriff überwunden werden. Im Einklang mit der zunehmenden Dominanz der Kulturphilosophie im obigen Sinn veränderte sich auch der Geschichtsbegriff in der Geschichtsphilosophie. 57 Die Kultur wurde mit ihren beiden Merkmalen der sich wandelnden Konkretisierung der menschlichen Aktivität und gleichzeitig der Objektivation sachlogischer Gesetzlichkeiten besonders von der Phänomenologie zum Gegenstand der philosophischen Diskussion erhoben. 58 Die ständig neu zu schaffende Kultur war in diesem Sinn ein Gegenbegriff gegen weltanschaulich-politische Utopien und die ihnen innewohnende Eschatologie. Die Zielsetzungen aller Bildungsbewegungen - der Volkshochschulbewegung und Arbeiterbildung 59 , der Jugendmusikbewegung oder auch des Bauhauses - waren von der Idee der Selbsterschaffung des neuen Menschen in einer neuen, von aller Tradition und Geschichte befreiten Kultur erfüllt. An die Selbstläufigkeit der allgemeinen kulturschaffenden Kompetenz glaubte man dort aber doch nicht so recht; denn es wurden zum Teil strenge Regeln aufgestellt, durch welche Kulturformen allein der von der bisherigen Tradition verdorbene und geknechtete Mensch befreit werden könnte. Die offene Geschichtsdynamik durch die gemeinschaftliche Tat wurde damit indirekt wieder verraten. Autoritäre Kulturgestaltung bedeutete vielfach den Anbruch einer neuen Heilsgeschichte, die zwangsläufig zum gesellschaftlichen Gesamtkunstwerk, zum „großen Bau" (im Falle des Bauhauses), zum proletarischen Einheitsstaat oder zum „neuen Reich" als Einheit von Kultur, Politik und Gesellschaftsstruktur führen müsse.60 Andererseits beharrt Ernst Robert Curtius mit Nachdruck auf einer Einheit von Geschichte und Kultur, wenn er gegen einen „neuen Nationalismus" als nihilistischer Verabsolutierung der Bewegung wettert und ihn als mißverstandene Lebensphilosophie, aber auch als kaschierte Herrschaft destruktiver Analytiker bezeichnet; er will am Erbe der Antike und des Christentums im abendländischen Humanismus festhalten und nach seiner Aufassung muß jeder Nationalismus die Autonomie der geistigen Kultur leugnen. Wahrend aber der französische oder italienische Nationalismus der Sphäre des Geistigen einen großen Platz eingeräumt hätten, sei Deutschland das erste Land, das in seiner Zukunftsorientierung und seinem Modernismus eine geschlossene Front gegen den Geist gebildet hätte. Die deutschen nationalistischen Intellektuellen würden mit ihrem Soziologismus, d. h. geistigen Nihilismus, die geistige Substanz und die Seele des Volkes verraten (dieser Vorwurf ist vor allem an den Tatkreis gerichtet!). 61 In einer Zeit der politischen Krise scheint die Entgegensetzung von Nation und Geschichte ein willkommener Abwehrmechanismus zu sein, mit dem ein nicht akzeptierter politischer Wandel in Mißkredit gebracht werden kann. Anzumerken ist jedoch, daß zur gleichen Zeit die Soziologie, die von Curtius als „geistiger Nihilismus" gebrandmarkt worden war, von Georg Simmel und Max Weber als „Kulturwissenschaft" etabliert worden ist. Kulturkritik und Kulturwissenschaft bedingen sich so gegenseitig. Die eigentlich nicht schlüssig in Georg Simmeis dialektischer Theorie von Leben und Form sich einpassende Annahme der Kultur als hohles Gehäuse wird nun verständlich als Kritik an den dogmatischen Überhöhungen und der Sakralisierung der Kultur. Um so mehr wird die objektive Dimension der Kultur, ihr Werkcharakter herausgestellt, die Dimension der sozialen Aktua-
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lisierung und der ständig notwendigen Neuschöpfung oder des „Kulturwertes" wird dabei jedoch leicht vernachlässigt. Die unauflösbare Reziprozität von Leben und Form wird einer fernen Utopie der Gesamtkultur geopfert. Simmeis lebensphilosophische Kulturkritik ist vor allem die Kritik am Zurückbleiben der individuellen Kultur hinter dem Schatz von vergegenständlichten Kulturprodukten, dem „objektiven Geist". So wichtig der Prozeß der Vergegenständlichung der Kulturinhalte für die kulturelle Evolution der Menschheit ist, so erweist sich die praktische Kulturbedeutung seiner einzelnen Gebilde doch erst daran, daß sie zu Entwicklungsmomenten von Individuen werden: „Der ganze Stil des Lebens einer Gemeinschaft hängt von den Verhältnissen ab, in dem die objektiv gewordene Kultur zu der Kultur der Subjekte steht". 62 Um die Jahrhundertwende (die „Philosophie des Geldes" wurde 1897 zum ersten Mal veröffentlicht) sieht er den Hauptgrund der verhängnisvollen Trennung von objektiver und persönlicher Kultur noch in der Arbeitsteilung - eine Begründung, die sich gegen den extremen Industrialismus der Zeit wendet; etwa zehn bis fünfzehn Jahre später weist bereits der Titel seiner erneuten Kulturkritik: „Der Begriff und die Tragödie der Kultur" 6 3 auf seine Wendung zum erleidenden Subjekt hin; schon deshalb kann seine Hervorhebung des Fetischcharakters und der „Hohlformen" der Kultur auch als Kritik an den oben skizzierten autoritären kulturellen Heilslehren verstanden werden. Simmeis Beispiel zeigt, wie schwierig eine distanzierte wissenschaftliche Haltung in Krisenzeiten zu erreichen ist. Alleine die Dominanz bestimmter Grundbegriffe in Wissenschaft und öffentlicher Diskussion trägt bereits dazu bei, daß wissenschaftliche und weltanschauliche Positionsbestimmungen ständig ineinander verschwimmen. Hinzu kommt die öffentliche Anforderung an die Wissenschaft, die neue tragende Säule in der Gesellschaftsgestaltung zu sein; die Errichtung der ersten soziologischen Lehrstühle gleich nach dem I.Weltkrieg und die Universitätsreformpläne Carl Heinrich Beckers, auch die Neugründung zahlreicher wissenschaftlicher Reichsinstitute, sind ein gutes Beispiel dafür. Diese Rolle der Wissenschaft konnte von allen politischen Kräften sofort akzeptiert werden, weil sie schon von Seiten der Kulturpolitik legitimiert worden war, und gleichzeitig konnte die öffentliche Verantwortung der Wissenschaft den konservativen Kräften dazu dienen, ihre Ablehnung der neuen Entwicklung mit der genuin deutschen wissenschaftlichen und philosophischen Tradition zu begründen. Der Versuch einer gesamtgesellschaftlichen Sinndefinition ging mit den drei Polaritäten Kultur-Natur, Kultur-Zivilisation, Kultur-Geschichte zurück auf die grundlegenden Ebenen des menschlichen Lebens überhaupt, auf Bios, menschliches Werk und kollektive Erfahrung. Diese äußerst metaphysische Wahl deutet an, daß man auf konkreter Ebene - etwa durch Reform oder Revolutionierung bestehender Institutionen, wie politischer Parteien, Bildungseinrichtungen, Kirche - keine Möglichkeit gesehen hat, eine neue Sinnrichtung der Geschichte zu finden. Man mußte symbolisch-politisch wieder von „ganz unten auf" anfangen.64 Die Kulturkritik als „symbolische Politik" - vor dem I.Weltkrieg in der Krise der wilhelminischen Gesellschaft begonnen und von metaphysischen Weltdeutern in Apokalypsen oder auch integrativen Visionen verabsolutiert - hat den in den Wissenschaften zum Teil bereits ausgearbeiteten Mehrebenencharakter des Kultursystems wieder in Frage gestellt bzw. sogar gefährlich erscheinen lassen. Die wissenschaftlich fruchtbare Spannung zwischen Integration und Dissoziation oder auch zwischen persönlicher Kultur und objektivierter Kultur, 65 zwischen systematisch-theoretischen und kritisch-praktischen Methoden der Kulturwissenschaft 66 , wurde aufs Spiel gesetzt. Entweder wurde mittels eines dissoziativen Kulturbegriffs die Kultur auf Kosten ihrer Antithese („Masse", „Natur", „Geschichte") als einzige Rettung verabsolutiert, oder aber mittels eines falsch verstandenen integrativen Kulturbegriffes wurde
148
IV
Kultursystem und Kulturwandel
das Heil in einer visionären Synthese gesucht, in der die gegenwärtig als negativ empfundene Antithese geläutert aufgeht. In beiden Fällen handelt es sich doch nur u m eine U t o p i e der H a r m o n i e , gegen die sich nun der, u.a. auch v o n Hans F r e y e r postulierte, Begriff der „Realdialektik" wandte. „Realdialektik" hatte hier nichts mehr mit marxistischer, materialistischer Geschichtsauffassung zu tun - sie sollte vielmehr eine offene Zukunft o h n e festgelegtes Ziel und Eschatologie kennzeichnen, die im Sinne Hegels „einen dialektischen
Prozeß
dialektisch durchführen wie vorführen" wollte. 6 7 D i e Gegensätze der dogmatischen Kulturkritik eigneten sich selbstverständlich bestens zur Ausfüllung mit fast beliebigen politischen Inhalten. Das Schreckensbild der technischen Zivilisation konnte gut auf die westliche oder amerikanische Zivilisation projiziert werden, wie andererseits die Fähigkeit zur Vereinigung v o n Kultur und Zivilisation nur d e m A b e n d land mit seiner alten Kulturtradition zugesprochen werden konnte. D a b e i blieb die Kulturkritik nicht auf dieser argumentativen Deutungsebene stehen, sondern institutionalisierte sich in großen Reformbewegungen; sie hat in wenigen Jahren die E b e n e der sekundärsozialen Mechanismen wieder erreicht und damit ihre Ideen in institutionalisierte B a h n e n geleitet, die gesellschaftlich doch allgemein anerkannt waren. Diese U b e r f ü h r u n g in sekundäre Gesellschaftszusammenhänge wird besonders im Bereich v o n Bildung und Wissenschaft sichtbar. D i e G r ü n d u n g v o n Landschulheimen, Arbeiterbildungsstätten und Volksbüchereien, die soziale Betreuung der Studenten durch A S T A , Mensen und Darlehenswerke, die Organisation der Jugendherbergen in einem großen Verband, nicht zuletzt die Legitimation der Sozialwissenschaften durch Lehrstühle und teilweise Professionalisierung durch ein B e r u f s bild und eine Diplomprüfungsordnung, die G r ü n d u n g statistischer Landesämter, oder auch der zahlreichen Jugendmusik- und Werkkunstschulen - alle diese M a ß n a h m e n dienten einer in der wirtschaftlichen N o t erstaunlich schnellen und effektvollen Transformation
von
sozialen Bewegungen in öffentlich anerkannte Institutionen. Fast alle der bisherigen Beschreibungen der Weimarer Kultur machen den Fehler, daß sie sich nur auf die Propheten der Krise als die einzigen Zeugen berufen und diesen sozialorganisatorischen A s p e k t meist völlig außer A c h t lassen. Sie leiten vielfach aus den Untergangsprophetien einiger konservativer H i s t o r i k e r einen generellen Konservativismus der deutschen Bildungsinnstitutionen ab u n d übersehen alle damals auch im Bereich der Bildung und Universität schon institutionalisierten R e f o r m ansätze, die noch die R e f o r m e n der sechziger und siebziger Jahre prägten. 6 8
d) Programmformulierungen
der Kultursoziologie
im Spektrum der
Kulturkontroversen
In der deutschen Soziologie sind in der Periode der Kulturkrise nach dem I.Weltkrieg ähnliche Erscheinungen des Rückganges auf „primäre" kognitive Strategien und Organisationsformen festzustellen wie in den weltanschaulich-politischen Positionsbestimmungen und Gruppierungen. Diese Parallelentwicklung soll j e d o c h auf keinen Fall als Indiz für einen direkten Zusammenhang Wissenschaft-Gesellschaft g e n o m m e n werden, denn in anderen Wissenschaftszweigen, z. B . in der Physik oder der Mathematik könnte sich eine Krisenbewältigung in ganz anderer Weise oder zunächst vielleicht überhaupt nicht bemerkbar machen. D i e gegenseitige Beeinflussung von Wissenschaft und Zeitkontext, d. h. die Filterwirkung, die der wechselnde Zeitkontext auf die in der Wissenschaft angelegten Entwicklungsmöglichkeiten ausübt (Freyers W e r k in seinen Veränderungen ist hierfür ja das treffende Beispiel), hängt offensichtlich wesentlich von der wissenschaftlichen Selbsteinschätzung als gesellschaftlicher F a k t o r und von der gesellschaftlichen „Ideologisierung" eines bestimmten Wissenschafts-
1. Der Kampf um den Kulturbegriff
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zweiges ab, während die Weiterentwicklung wissenschaftlicher Konzepte ein kontinuierliches und einsames Unternehmen kreativer Individuen bleibt. Das wissenschaftliche Selbstverständnis der deutschen Soziologie in dieser Zeit äußert sich ( ganz typisch für die oben angesprochene Ideologisierung) in Schlagworten wie „Krisenwissenschaft" oder auch „wissenschaftliche Politik" 69 , und diese Vereinigung von wissenschaftlicher Reflexion und gesellschaftlicher Aktion, von Theorie und Handeln, damals als „höhere Synthese" oder revolutionäre Umgestaltung der Wissenschaft gepriesen, erweist sich aber im Rückblick als eine „Regression" im bereits beschriebenen Sinn, als ein Rückgang auf eine primäre Ebene der organischen Einheit, auf den quasi-natürlichen Zustand, ähnlich wie in der öffentlichen Kulturdebatte. Auch hier im wissenschaftlichen Zusammenhang soll die Regression als durchaus notwendiger Erneuerungsmechanismus gelten. Die entscheidende Frage ist dann aber, ob die Soziologie zu einer theoretischen Ausarbeitung der neuen dynamischen Sichtweise gefunden hat. Daß ihre frühzeitige institutionelle Einbindung in die Universität 70 kein entscheidender Faktor zur Konsolidierung wissenschaftlicher Arbeit war, ist zumindest im Fall der Kultursoziologie zu schließen; denn diese ist keineswegs zu einer theoretischen Fundierung gekommen, die eine wissenschaftliche Weiterentwicklung ermöglicht hätte. Die durchaus fruchtbaren Ansätze einer Mehrebenenanalyse und Dialektik der Kultur wurden durch die Vermengung mit den Polaritäten der weltanschaulichen Diskussion und durch die Belastung eines unerfüllbaren gesellschaftlichen Anspruchs an die Soziologie zum größten Teil wieder zunichte gemacht. 71 Von der Kluft zwischen gesellschaftlichem Anspruch und theoretischem Rüstzeug sind besonders die ersten Programmformulierungen der mit so großen Hoffnungen begleiteten Kultursoziologie geprägt. Georg Lukács hat alle drei Polaritäten: Kultur-Natur, Kultur-Zivilisation und Kultur-Geschichte, in seiner rein weltanschaulichen Programmformulierung der Kultursoziologie 72 mit dem Kulturbegriff als Selbsterschaffung des Menschen exemplarisch in Einklang gebracht. N u r die bisherige, alte Kultur ist nach Lukács in der zwangsläufigen Entwicklung des Kapitalismus durch wirtschaftliche Motive entstellt. Werde einmal die letzte Phase dieser Entwicklung, der proletarische Sieg, erreicht, so werde damit auch die erste soziologische Vorbedingung der echten Kultur: der „Mensch als Selbstzweck", erfüllt. Dann erst höre der kulturzerstörende Einfluß der Wirtschaft auf und könne an seine Stelle die „wirkliche Entwicklung" als „organisches Kontinuum (...), in der jedes einzelne Moment aus den sachlichen Vorbedingungen des vorherigen Moments notwendig folgt", treten. Diese Entwicklung „aus dem Wesen der Dinge (und nicht aus den Konjunkturen)" ermögliche die zweite soziologische Vorbedingung der neuen Kultur: „Das sich Anknüpfen an die Arbeit des anderen, die Fortsetzung der Arbeit des anderen" und die Kultur verlöre damit endlich ihren Warencharakter. So unsoziologisch diese Vorbedingungen formuliert sind - der Mensch als Selbstzweck und die harmonische wesenhafte Entwicklung sind geradezu biblische Vorstellungen des paradiesischen Urzustandes außerhalb jeder sozialen Differenzierung - , so unsoziologisch ist Lukács' Kulturbegriff: „Die Kultur ist ebenso die innere Herrschaft des Menschen über seine Umgebung, wie die Zivilisation seine äußere Herrschaft über seine Umgebung bedeutet". Natur, Zivilisation und Geschichte sind dann auf ewig in der wesenhaften Kultur aufgehoben - eine soziologische Reflexion der Kulturerscheinungen wird damit scheinbar überflüssig. Nach Lukács bleibt der Soziologie auch nur noch ihre letzte Aufgabe: durch eine Analyse des Rahmens für diese neue Kultur zur Umorganisation der kapitalistischen Wirtschaft beizutragen, damit die Möglichkeit der freien Selbstbetätigung der proletarischen Gesellschaft herbeigeführt wird; danach, im neuen Paradies, wird jede Sozialwissen-
150
IV Kultursystem und Kulturwandel
schaft überflüssig. Somit steht die Idee der Wissenschaft als totalitäre und entfremdende Macht doch letztendlich hinter Lukács' Soziologieverständnis - die spontane Schöpferkraft des Proletariats würde durch eine wissenschaftliche Verfremdung ja nur bedroht. Hans Freyers Diktum der „Soziologie als Philosophie eines gesellschaftlichen Übergangs" wird durch Lukács geradezu pervertiert zu einer Philosophie ihres eigenen Untergangs. Die Dichotomie „neue Kultur" statt „Wissenschaft" geht parallel mit der Entgegensetzung „Kultur" statt „Zivilisation" und gipfelt in der Hoffnung auf einen „neuen Idealismus" statt „Materialismus": Es gibt für Lukács doch noch ein Erbe der Vergangenheit, das die neue Zukunft freisetzt: Die „Idee des Menschen als Selbstzweck, die Grundidee der neuen Kultur, ist die Erbschaft des klassischen Idealismus des neunzehnten Jahrhunderts". Gleichzeitig mit den wirtschaftlichen Bedingungen zu seiner Vernichtung habe der Kapitalismus in der Philosophie von Kant bis Hegel seine eigene Erlösung erzeugt: die „Idee der neuen Gesellschaft, die seine Vernichtung notwendig herbeizuführen berufen ist". Lukács' Programm einer „neuen Kultur", eine Reflexion seiner Tätigkeit als Volkskommissar für das Unterrichtswesen in der ungarischen Räteregierung Béla Kun, kann also doch nicht alle früher vertretenen wissenschaftlichen Erkenntnisse einfach über Bord werfen. Das Weiterwirken seiner lebensphilosophischen Umsetzung des Idealismus im Sinne einer „Selbstkonstruktion von Wirklichkeit" (in „Die Seele und die Formen", 1911, und auch noch in der „Theorie des Romans", 1920, eine der tragenden Grundannahmen) ist unübersehbar und kann als Indiz gelten, daß sogar bei radikalen politischen Veränderungen, auch wenn sie vom Autor sogar bewußt mitvollzogen werden, die einmal vertretenen wissenschaftlichen Denkmodelle nicht so ohne weiteres verworfen werden können. Sie müssen, und wenn auch noch so erzwungen, zunächst aufgenommen und uminterpretiert werden. Hier, im Falle dieses Programms, findet sich eine ähnliche Negation wieder, wie sie Lukács an der Soziologie vorgenommen hat: Der „Geist" kommt nicht am Ende zu sich selbst, sondern wird erst in der Vernichtung geboren. 73 Eine ähnlich „idealistische" Hoffnung des Marxismus wird später von Ernst Bloch ausgedrückt, indem er in jedem vollendeten Kunstwerk außer der standortgebundenen Ideologie einen „kulturellen Uberschuß" feststellt, der Möglichkeiten zu einer besseren Zukunft freisetzt. Und die „Frankfurter Schule" orientierte sich in den sechziger Jahren immer noch an einem utopischen Endzustand, in dem die Zivilisation dann „zur Kultur" geworden wäre. 74 Die Vision ist - wie Lukács schon deutlich ausgesprochen hat - die Uberwindung des Kapitalismus oder Materialismus durch einen neuen eschatologischen Idealismus, der Hegels noch „theologisch" anmutende Erwartung des Erscheinens des Weltgeistes am Ende aller Geschichte säkularisiert zur „objektiven Möglichkeit", die - vorausgesetzt, daß man dieser heilsamen Dynamik nicht zuwiderhandelt - in naher Zukunft die „neue Kultur" anstelle der kapitalistischen Zivilisation bringen wird. Die „Uberwindung des Materialismus" findet sich desgleichen als letztes Ziel im kultursoziologischen Programm eines ansonsten in Opposition zu Lukács stehenden Theoretikers - bei Alfred Weber. Seine dezidierte Entgegensetzung von „Kultur" und „Zivilisation" dient ihm letztlich doch nur dazu, die Sphäre des „Geistigen" aus der materiellen Bedingtheit zu retten. Rein wissenschaftlich kann er diesen ideengeschichtlichen Rückschritt nirgends begründen, ja die Trennung von Gesellschaft und Kultur ist sogar der generellen Auffassung seines eigenen Faches, der soziologischen Annahme ihrer gegenseitigen Bedingtheit, vollkommen entgegengesetzt. Mit einer quasi-phänomenologisch-soziologischen Methode windet er sich um damals bereits allgemein akzeptierte realsoziologische Erkenntnisse herum und endet, ähnlich wie die Marxisten, bei einem total mystifizierten Begriff von Kultur, welche nun allerdings nicht erst in der Zukunft erreichbar erscheint,
1. Der Kampf um den Kulturbegriff
151
sondern ein immer mögliches unfaßbares Wunder ist, „spontane, unvorhergesehene Schöpfung in einem jeweils neuen Lebensstoff" oder „in uns arbeitende transzendente Mächte". Die marxistische Zukunftshoffnung verwandelt sich hier in eine manichäistische Annahme des Kampfes überpersonaler Mächte, des Guten und des Bösen, des Schönen und des Häßlichen - nach dem Il.Weltkrieg immer noch beibehalten als Kampf des „homo europeensis" gegen den roboterisierten und verapparateten Menschen. 75 Die wissenschaftlich niemals zureichend begründete Suche nach einer „Uberwindung des Materialismus" bringt diese Ansätze in eine Ebene mit der geschilderten polarisierten, weltanschaulichen Kulturkritik. Der damals allgemein gegen die Soziologie vorgebrachte Verdacht, sie würde dem Dogma der „materialistischen Geschichtsauffassung" im Sinne eines philosophischen Materialismus anhängen 76 , hat im Fall der Kultursoziologie ganz konkrete Folgen in der wissenschaftlichen Entwicklung gezeigt. O b w o h l bereits wissenschaftlich brauchbare kultursoziologische Grundfragen vorlagen - etwa G. Lukács' noch 1914 f o r m u liertes Ausgangsproblem: Welche neuen Gesichtspunkte entstehen, wenn wir Kultur objektiv als gesellschaftliche Erscheinungen betrachten 77 , oder Karl Mannheims Grundproblem: Kulturgebilde als Funktionen der Gesellschaft, deren Funktion aber wiederum ist, vergesellschaftend zu wirken 7 8 - und obwohl bereits vielversprechende methodische Konzepte, z. B. von Max Scheler und Karl Mannheim, vorlagen 79 , konnte „Kultur" als wissenschaftliches Problem offensichtlich schwerlich ohne Ideologie behandelt werden. Wie unspezifisch jedoch auch die ideologische Einordnung vorgenommen wurde, zeigt z. B. Emil Lederers berechtigte Kritik, daß die soziologische „materialistische Geschichtsauffassung" im Sinne einer allgemeinen sozialwissenschaftlichen Annahme der Wechselwirkung von „materiellen" und „sozialen" Elementen zu Unrecht mit einem marxistischen „Materialismus" verwechselt würde. Der Begriff „marxistisch" wurde aber selbst von Sozialwissenschaftlern, die sich dem marxistischen Lager zurechneten, äußerst verschwommen gebraucht. Alfred Kleinberg bemühte sich unter anderem nachzuweisen, daß aus Alfred Webers kultursoziologischem Schema „nicht viele Züge zu streichen (wären), um den Abriß einer gut marxistischen kultursoziologischen Theorie vor sich zu haben". Die Geschichtskörper als elementarste Produktionskräfte, das „Wechselspiel zwischen erlebenden Kollektiven und Erlebnissen", der ökonomisch bestimmte Zivilisationsprozeß und seine Einwirkung auf Gesellschafts- und Kulturbewegung - alle diese Aussagen sind nach Kleinberg bereits „marxistische" Begriffe. 80 In diesem Sinne skizziert er denn auch eine marxistische Kultursoziologie, deren Klärung er besonders auch Max Weber zu verdanken meint und erweitert damit den Bereich der „marxistischen" Soziologie zur allgemeinen Theorie einer Interdependenz von „Sein" und „Bewußtsein", die es erlaubt, praktisch alle soziologischen Konzepte der Zeit als Erbe des Marxismus zu deklarieren. Im gleichen Zug vertritt er aber dann doch wieder einen sehr strengen Marxismus, wenn er Karl Mannheim vorwirft, durch die Erfassung von Sekten, Schulen etc. als ideell gebundener Kollektive eine „Neutralisierung" der Schichten zu bewirken, während doch der Marxismus weiter fragen muß nach den dahinter stehenden ökonomischen Kräften. Hinter Kleinbergs Annahme, daß weltanschauliche Neutralität und Klassendenken nicht vereinbar seien, steht jetzt doch wieder eine weltanschauliche Idee der „entfremdeten" Kultur und der Aufruf (besonders an die Wissenschaften), durch Aufdeckung der zugrundeliegenden Kräfte zu ihrer Uberwindung beizutragen. Es ist aus dieser Perspektive wohl zu verstehen, daß methodisch und systematisch arbeitende Gelehrte sich schnell einem begrenzteren, „abstrakten" - und damit weltanschaulich nicht so überstrapazierten - Gegenstand zuwandten, 8 1 und daß andererseits der Gegenstand
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IV Kultursystem
und
Kulturwandel
„Kultur" sich bestens zur wissenschaftlichen Verbrämung weltanschaulicher oder politischer Anliegen eignete. Gleichwohl kann man diesen Ansätzen die Wissenschaftlichkeit nicht pauschal absprechen. Jeder dieser Ansätze hat ein bereits erprobtes theoretisches Modell als Ausgangspunkt, auf dessen Basis neue soziologische Hypothesen gewagt wurden, trotz einer für nicht kausal determinierte Entwicklungstheorien äußerst unsicheren wissenschaftstheoretischen Basis und einer höchst dürftigen Methodologie. In einer längeren gesellschaftlichen Stabilisierungsphase hätte es vielleicht zu einer wissenschaftlichen Differenzierung und Konsolidierung der Kultursoziologie kommen können; denn auf rein wissenschaftlicher Ebene gab es eine beachtenswerte Konzentration auf die Sozialwissenschaften als Kulturwissenschaft82 und vielversprechende Ansätze waren doch vorhanden. Spätestens seit Max Webers großem Programmaufsatz „Die Objektivität sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis" 83 war eine allgemeine Diskussion über die Soziologie als „Kulturwissenschaft" im Gang. Hermann Kantorowicz stellt als Spezifikum der bürgerlichen Gesellschaft die wechselseitige Beziehung aller Kulturgüter heraus - Staat, Politik und Wirtschaft mit eingeschlossen - und weist der Soziologie die Aufgabe zu, Kulturwissenschaft i.S. einer synthetischen Kulturtheorie zu sein, die ihre Gegenstände nicht nach ihrem rein sachlichen Bedeutungszusammenhang, nicht als Sinngebilde, sondern nach ihrem tatsächlichen sozialen Gewußt-werden, ihrer Geltung und sozialen Wertung analysiert 84 . Karl Mannheims kultursoziologische Arbeiten hätten ζ. B. zu einem theoretischen Bezugsrahmen ausgebaut werden können, wenn er es nicht vorgezogen hätte, sie - wahrscheinlich aufgrund der Polemisierung des Kulturbegriffs - nicht zu veröffentlichen. 85 Daß auch nicht interdisziplinär weitergearbeitet wurde, obwohl doch alle damals wirkenden Sozialwissenschaftler aus den unterschiedlichsten anderen Disziplinen kamen, erstaunt nur auf den ersten Blick: Wenn sie auch als Philosophen, Juristen, Nationalökonomen ausgebildet waren und meist in ihren Stammgebieten weiterarbeiteten - als Soziologen waren sie doch Puristen. Offensichtlich war das ebenfalls eine Auswirkung der falsch verstandenen universitären Institutionalisierung der deutschen Soziologie - galt es doch ständig, die Berechtigung einer soziologischen Fragestellung in Abhebung zu den anderen Disziplinen zu verteidigen. Nicht so einfach zu begründen ist, daß auch dezidiert soziologische Programmskizzen, wie Emil Lederers „Aufgaben einer Kultursoziologie", nicht weiter bearbeitet wurden. Er hat darin bereits das (von Freyer ebenso angesprochene) Problem einer nicht-kausalen Abhängigkeit der Kulturschöpfungen von den sozialen Grundverhältnissen und den Einfluß der kulturellen Objektivationen auf die Sozialität als Rückwirkung zweiten Grades methodisch schärfer durchdacht und eigentlich hätte eine soziologische Theorie der Kulturobjektivationen und -entwicklungen darauf aufbauen können. 86 Vielleicht war es aber notwendig, sich zunächst auf die einzelnen Kulturgebiete zu konzentrieren, um dann anhand der Einzelresultate zu besseren Grundlagen für eine dynamische allgemeine Theorie zu gelangen. Auf jeden Fall spricht der Rückzug auf besser zu erfassende Einzelgebiete, wie die Wissenssoziologie (bei Karl Mannheim) oder die philosophische Anthropologie (bei Max Scheler), für wissenschaftlichen Ernst und Redlichkeit. 87 Es herrschte in den Sozialwissenschaften insgesamt, den kühnen Programmen und Zielformulierungen der zeitgenössischen sozialen Experimenten und Bewegungen durchaus entsprechend, ein experimenteller Denkstil vor, eine sehr problematische Anleihe aus den experimentellen Naturwissenschaften 88 , die vor allem durch den Mangel an systematisch vorgehenden Forschungsprogrammen und -methoden bedingt war. Allerdings - daß Experimente schief gehen können, ja sogar müssen, haben die Sozialwissenschaften in Deutschland erst durch
2. Hans Freyers Kulturtheorie
in der Entwicklung
seines Gesamtwerkes
153
Karl Poppers Falsifikationsthese in den fünfziger Jahren allgemein zu akzeptieren gelernt. Die dazu notwendige „analytische" statt einer „synthetischen" Sicht war in den zwanziger Jahren, wie schon dargestellt, schon durch die eng mit Philosophie verwobenen weltanschaulichen Zielformulierungen (die in derartigen Krisenperioden eben nicht wegzudenken sind) verstellt. Dennoch muß die These, daß das akademische Bildungsbürgertum seit der wilhelminischen Ära einem allgemeinen konservativen Kulturpessimismus verfallen sei, durch diese wissenschaftlichen Bemühungen, die ja von dieser Schicht getragen wurde, als widerlegt angesehen werden. 89 Die allgemeinen Erscheinungen der Moderne wurden, wenn auch im krisenhaften Übergang, als gegeben, ja als der modernen Gesellschaft inhärent, angesehen. Und die den deutschen Gelehrten immer wieder zugeschriebene „protestantische Ethik" 9 0 hat sie nicht gehindert, im Gegenteil wahrscheinlich sogar entscheidend dazu getrieben, die neuen wirtschaftlichen Gegebenheiten der Industriegesellschaft durch eine moderne Kulturtheorie zu ergänzen, um sie dadurch - wie Max Weber die Sachgesetzlichkeit bzw. den „Geist" des Kapitalismus durch die Ethik mit dem menschlichen Handeln verbunden hat - mit dem Bereich des menschlichen Schaffens zu versöhnen.
2. Hans Freyers Kulturtheorie in der Entwicklung seines
a) Kulturtheoretische
Traditionen der „Leipziger
Gesamtwerkes
Schule"
Die kulturtheoretische Diskussion hat gewiß durch die geschilderte politische Brisanz des Bereichs der Kultur einen aktuellen Akzent erhalten; alleine verursacht oder entscheidend gefördert wurde sie jedoch durch die politische Situation keineswegs. Als wissenschaftliches Konzept sollte das Thema „Kultur" bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts aus den Sackgassen einer physiologisch, subjektivistisch oder introspektiv orientierten Psychologie und einer auf den Bereich des Staates und der politischen Entscheidungen fixierten Geschichtsschreibung herausführen. Die Geistes- oder „Kultur"-Wissenschaften hatten im 19. Jahrhundert entscheidende Fortschritte gemacht in der Erfassung der Eigengesetzlichkeit der einzelnen Kulturgebiete. U m so mehr stand nun das Problem an, diese Eigendynamik wieder mit der kulturschöpferisch
wirkenden
sozialen
Gemeinschaft
zu verbinden. Zu
den
bedeutendsten
Gelehrten, die dieses Problem der Verknüpfung von Sachlogik der Kulturgebilde und sozialer Trägerschaft zu ihrem zentralen Anliegen machten, gehören Karl Lamprecht und Wilhelm Wundt. Beide wirkten an der Universität Leipzig und waren einflußreiche Lehrer von Hans Freyer. Beide hatten maßgeblich zur Weiterentwicklung der Soziologie beigetragen - ihr Einfluß wird heute in der Soziologiegeschichtsschreibung leider weitgehend ignoriert. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn sie wurden bereits von ihren direkten Schülern (u.a. Alfred Vierkandt, Willy Hellpach), die sich später der Soziologie zuwandten, kaum umfassend gewürdigt und zitiert. Auch Hans Freyer ehrt zwar seinen Lehrer Karl Lamprecht mit einem Aufsatz über dessen Hauptanliegen, der Verknüpfung von Geschichte und Soziologie; ansonsten sind aber kaum längere Zitationen seiner Lehrer, weder aus Lamprechts noch aus Wundts Werken, zu finden. Indirekte Verarbeitungen lassen sich aber in großer Anzahl feststellen - immer wenn Hans Freyer von der Uberwindung des 19. Jahrhunderts spricht, geht es ihm neben der Philosophie in erster Linie auch um die Uberwindung der großen
154
IV
Kultursystem und
Kulturwandel
Theoriesysteme von Karl Lamprecht und Wilhelm Wundt, die als die letzten großen Konstrukteure von Universalsystemen der kulturellen Entwicklung und Geschichte gesehen werden können. 91 D a ß der Historiker Karl Lamprecht sich mit empirischer Sozialforschung auseinandergesetzt hat, oder daß der Physiologe und Psychologe Wilhelm Wundt zugleich ein System der Logik und Ethik ausgearbeitet hat, ist heute unter den Standards einer hochspezialisierten Wissenschaft eher verdächtig; für die Grundlegung der heutigen Fachdisziplinen war diese fachübergreifende Arbeit jedoch von größter Bedeutung. Wenn auch die Studenten in Leipzig schon in den zwanziger Jahren über die voluminösen Werke der „Alten" spotteten und ihre Nachfolger Felix Krueger, Walter Goetz und Hans Freyer sich als „Uberwinder", nicht als „Nachfolger" dieser beiden Schulengründer verstanden, haben sie dennoch geistige Traditionslinien fortgesetzt, die für mehrere wissenschaftliche „Generationen" danach in Leipzig bestimmend waren. Im Fall der „Leipziger Schule" ist besonders charakteristisch, daß weder Lamprecht noch Wundt mit einem in sich geschlossenen Theorieansatz auf den Plan getreten sind. Ihre wissenschaftliche Arbeit galt vielmehr einer Vielfalt von Gegenständen, deren jeder mit oft sehr unterschiedlichen theoretischen Ansätzen bearbeitet wurde. Wenn auch ihr Bemühen vor allem einer theoretischen Synthese galt, so beruht die Fruchtbarkeit der Leipziger gerade auf den „Hybridkreuzungen" zwischen naturwissenschaftlichen (Physiologie, Psychologie), geisteswissenschaftlichen (Kulturgeschichte, geisteswissenschaftliche „Seelenlehre") und sozialwissenschaftlichen Disziplinen (Statistik, Völkerkunde). Außerdem standen sie in einem äußerst regen internationalen Informationsaustausch, so daß ihre Ergebnisse nur als Teil einer großen kollektiven Leistung zu bewerten sind, und heute kaum noch rekonstruierbar ist, wer wen inspiriert hat. 92 Es war weniger eine ausgearbeitete Theorie als vielmehr das allgemeine Problembewußtsein, das die weitere Entwicklung vorangetrieben hat. Infolge der Interdisziplinarität dieses Unternehmens können viele der gegenwärtigen wissenschaftssoziologischen Modelle der wissenschaftlichen Entwicklung, die von der Institutionalisierung einer Fachwissenschaft oder gar einer noch weitergehenden Ausdifferenzierung in „Spezialitäten" und damit von einer engen Netzwerk- und Clusterbildung ausgehen, in diesem Fall nicht angewandt werden. Hier ist es viel aufschlußreicher, den wissenschaftlichen Diskurs quer durch verschiedene Disziplinen und in seiner Wirkung auf die größere Öffentlichkeit zu verfolgen. Karl Lamprechts Verdienste um eine wissenschaftliche Geschichtsforschung und sein maßgeblicher Einfluß auf die deutsche Soziologie im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts wurden von Hans Freyer selbst gewürdigt. 93 Sein Einfluß reicht nicht nur in eine historische Soziologie und in eine kulturtheoretisch orientierte Sozialpsychologie hinein, sondern geht auch bis zur Neuorientierung der amerikanischen „New H i s t o r y " und der französischen „histoire synthetique". 9 4 Wilhelm Wundts Einfluß reicht, von der Physiologie ausgehend, über die Durkheim-Schule der Soziologie bis zum amerikanischen Behaviorismus in seinen verschiedenen Richtungen. 9 5 Was Karl Lamprecht zu einem der „Vollender" des wissenschaftlichen Denkens des 19. Jahrhunderts machte, war seine kühne Verbindung von Romantik und Positivismus. In seinem Bemühen, von einer politischen Ereignisgeschichte zu einer Zustands- und Entwicklungsgeschichte von ganzen Kultureinheiten zu kommen, gingen sowohl die Herdersche Konzeption des kulturell gewachsenen Volkes wie auch Schäffles Ideen des sozialen Körpers ein. 96 Mit seinem Begriff des „seelischen Diapason" als der sozialtypischen Ausgrägung des Individuums hält Lamprecht zwar an einer Grundvorstellung der organischen Einheit fest, wie sie für das 19. Jahrhundert typisch war, gleichzeitig gelingt ihm damit aber auch die Verankerung des Kollektivums im Individuum (vergleichbar etwa dem später
2. Hans Freyers Kulturtheone
in der Entwicklung seines Gesamtwerkes
155
geprägten Begriff des „Me" bei George Mead), die später im Rollenbegriff eher wieder verloren geht. 97 Im Bemühen um eine wissenschaftliche Vereinigung von materieller und ideeller Kultur legt Lamprecht großes Gewicht auf den Begriff der menschlichen Praxis als dem ständigen Vollzug von Kultur. In dieser Bedeutung ist der Begriff auch von Hans Freyer übernommen worden. Spätestens nach der Kritik an den ersten Bänden seiner „Deutschen Geschichte" sucht Lamprecht - im Anschluß an Wundt - nach einer kulturpsychologischen Deutung des Wirtschaftshandelns. 98 Mit Schmollers „Handels- und Unternehmungsgeist" oder auch mit Sombarts oder Max Webers „Geist des Kapitalismus" liegt er hier in einer Gedankenlinie, durch die die Wirtschaftstätigkeit mit den Kategorien des „Sinns" und der „Wertbedeutung" erklärt werden soll, wobei hier allerdings die kollektiv-psychologische Determination die individuelle Entscheidung mit einschließt. Dieses Thema hat Freyer in seiner Habilitationsschrift „Die Bewertung der Wirtschaft im philosophischen Denken des 19. Jahrhunderts" wieder aufgenommen, und wenn er später feststellt, daß jeder soziologische Strukturbegriff „psychologisch erfüllt" sein muß, so meint er damit ebenfalls nie eine individualpsychologische Befindlichkeit, sondern knüpft an die Lamprechtschen und Wundtschen kollektiv-psychologischen Muster an. 99 Lamprechts Bemühen, die Geschichtswissenschaft zu einer objektiven, empirisch überprüfbaren („nomothetischen") Wissenschaft zu machen, entfachte einen äußerst polemischen Kampf gegen ihn, 100 der trotz seines umfangreichen Werkes und seiner hohen Anerkennung zu einem fast vollständigen Boykott von Seiten der deutschen Historikerzunft führte. Doch dies war eher zum Nachteil der deutschen Historiker, die damit ihre Beschäftigung mit den sozialen und wirtschaftlichen Massenphänomenen vernachlässigten (eine Aufgabe, die erst durch die Geschichtsschreibung der „Annales" wieder in die deutsche Geschichtsforschung eingeführt wird). Für die Freyersche Kulturtheorie war vor allem Lamprechts Idee der historischen Synthese von Belang, die den Entwicklungsgang der Vergangenheit von der Gegenwart her strukturiert (und nicht umgekehrt) und das Gesamtbild der verschiedenen Kulturepochen durch je ein spezifisches Strukturgesetz im Sinne von Lamprechts „Diapason" („soul of society", „history of the inner man", „conscience collective") 101 zu erklären sucht. Obwohl Hans Freyer Lamprecht in diesem Punkt tief verpflichtet ist, wehrt er sich doch gegen einen falschen Entwicklungsbegriff, der sich aus der Leipziger Tradition ergibt. Weder kann die Entwicklung organizistisch und zyklisch, noch kann sie utopistisch als linearer Fortschritt verstanden werden. 102 Beide Lösungen sind bei Wundt und Lamprecht noch zu finden; Wundts Völkerpsychologie wie auch Lamprechts Kulturtheorie liegt ein organologisches Konzept zugrunde. 103 Besonders Karl Lamprecht hat in seiner Stufentheorie des Gesamtablaufes der kulturellen Zustände (von der „symbolischen" über die „typische", die „konventionelle", die „subjektivistische" bis zur „reizsamen" Kulturepoche) gleichzeitig Vorstellungen des linearen Fortschritts vertreten. 104 Wundt dagegen entwickelte ein sehr viel differenzierteres Konzept der Evolution: Während er einen unversalen Evolutionsbegriff ablehnt, der die Kulturformen in eine progressive und wertende Folge von Entwicklungsstufen (von der primitiven zur heutigen fortgeschrittenen Kultur) einordnet, ist es gerade sein Ziel, die Evolution als Entstehen neuer Kulturformen durch Adaptation an neue Gesamtsituationen aufzuzeigen. 105 Freyer übernimmt von Lamprecht zwar den Begriff einer „Gesetzeswissenschaft vom genetischen Zusammenhang der kulturellen Gebilde" 106 , lehnt jedoch eine (undialektische) Stufentheorie mit ihren eschatologischen Vorstellungen von der Herauf kunft einer Endzeit ab. Sein Bestreben ist vielmehr, ein dynamisches Konzept der ständigen Spannung von Objektivation und sozialem Vollzug, von Theorie und Praxis zu entwickeln.
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IV Kultursystem
und
Kulturwandel
In diesem Sinn ist ζ. B. Freyers Begriff des „werdenden Volkes" auch als Gegenkonzept zu Lamprechts Begriff einer Nationalkultur zu verstehen, während er damit eigentlich den Wundtschen Entwicklungsbegriff kultursoziologisch anzuwenden versucht. Freyers Kulturkonzeption steht auf der anderen Seite aber auch in engem Zusammenhang mit dem sogenannten Werturteilsstreit. M a x Weber hat sich in seinen Aufsätzen zur Wissenschaftslehre mehrfach zu Wilhelm Wundts und Karl Lamprechts theoretischen Annahmen und Methoden geäußert. In der Kultur gibt es für Weber keine sachlogische O r d n u n g : „Kultur ist ein v o m Standpunkt des Menschen aus mit Sinn und Bedeutung bedachter endlicher Ausschnitt aus der sinnlosen Unendlichkeit des Weltgeschehens". Mehrmals betont er den „chaotischen Strom von Geschehnissen" - „flüssig bleibt damit der U m k r e i s dessen, w a s aus jenem stets gleich unendlichen Strome des Individuellen Sinn und Bedeutung für uns erhält. (...) Die Ausgangspunkte der Kulturwissenschaften bleiben damit wandelbar in die grenzenlose Zukunft hinein". Aus diesem Grunde w ä r e ein System der Kulturwissenschaften - „auch nur in dem Sinne einer definitiven, objektiv-gültigen, systematisierenden Fixierung der Fragen und Gebiete, von denen sie zu handeln berufen sein sollen, (...) ein U n s i n n in sich". 1 0 7 Mit dieser Auffassung stellt sich Weber gegen Wundts evolutionistische Darstellung der Völkerpsychologie, in der die Kategorien „Anpassung" oder „Auslösung" eine zentrale Stelle einnehmen, weil hier die Kategorie der „ N o r m " fehle und „Erkenntnisweit" und „praktischer Wert" konfundiert würden. 1 0 8 Während nach Weber W u n d t das „Prinzip der schöpferischen Synthese" nur unzureichend erfaßt, weil er lediglich „vom Wachstum der psychischen Energie" ausgehe, sieht Weber die eigentliche schöpferische Leistung in der „Wertbeziehung". Deshalb stellt er sich auch gegen Lamprechts Versuch, kollektiv-psychologische Entwicklungsgesetzlichkeiten (im Sinne von W u n d t ) auch auf die Nation a n z u w e n den. 1 0 9 Freyer will nun beide Auffassungen miteinander verbinden: Gegenüber dem „methodologischen" (gelegentlich aber auch sozialontologischen) Individualismus von Weber versucht er, die Entwicklungsgesetzlichkeiten der Kultur makrosoziologisch zu definieren; dem Chaos der subjektivistisch-willkürlichen Wertentscheidungen Webers setzt er den Schwerpunkt entgegen, die kulturellen „Objektivationen" herauszustellen und die Wertfrage im Kontext (weitgehend u n b e w u ß t e r ) kollektiver Werthaltungen abzuhandeln. Die Bedeutung des Individuums w i r d damit nicht abgewertet - im Gegenteil hebt Freyer ja immer wieder die Bedeutung von „Entscheidung", „Tat" und „Führerschaft", hervor - aber die individuelle Wertentscheidung w i r d immer in größere strukturelle Zusammenhänge eingebettet. Nichtsdestoweniger folgte die Entwicklung der Kultursoziologie in Deutschland mehr den wissenschaftstheoretischen Weichenstellungen von M a x Weber, so daß makrosoziologische Darstellungen in diesem Bereich weitgehend ausgeblendet w o r d e n sind. Bis heute noch beherrscht die Idee der gesellschaftlichen „Emanzipation" im individualistischen sinnvollen Handeln die soziologische Szene, während die „soziale Konstruktion der Wirklichkeit" in den amerikanischen systemtheoretischen Ansätzen und im französischen Strukturalismus sehr viel besser zur Geltung kommt. Es ist z w a r anzuerkennen, daß M a x Webers Betonung des Sinns und des tatsächlichen aktuellen Wertbezugs dazu beitrug, allzu spekulative und abstrakte theoretische Konstruktionen z u vermeiden. Sein Begriff und seine Methode des „Idealtypus" scheitert aber in d e m Bemühen, individuelle Wertung und kollektive Verbindlichkeit in einer wissenschaftlich objektivierbaren Weise miteinander zu verklammern. Freyers historisch-strukturale U m d e u t u n g des Idealtypus laboriert noch immer an diesem Problem. Für die Konzeption und Rezeption der Freyerschen Kultursoziologie ist von großer Bedeutung, daß er diesem schier unversöhnlichen Gegensatz zwischen der kollektiv-psycho-
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seines Gesamtwerkes
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logischen Traditionslinie der Leipziger Schule mit Wundt und Lamprecht einerseits und den individualistisch-handlungstheoretischen Konzeptionen Max Webers andererseits niemals entkommen konnte. Die Verurteilung Lamprechts im „Historikerstreit" und die Zurücksetzung Wundts im „Werturteilsstreit" haben außerdem Rezeptionsbarrieren geschaffen, die im Grunde niemals zu überwinden waren. Viele Verdachtmomente, die gegen Freyer ins Feld geführt werden, beruhen auf der konzeptionellen und methodologischen Vernachlässigung oder der Verdrängung der kollektiv-psychologischen und makrosoziologischen, der nur tiefenhermeneutisch und strukturell zu erfassenden Erscheinungen der Kultur, während die eigentliche synthetische Leistung von Freyer vielfach mißdeutet wird, auf jeden Fall aber unterbewertet bleibt.
b) Die Einheit und das Apriori der Kultur: Die Soziologie als
Kulturwissenschaft
An Dilthey anknüpfend geht Freyer von der Beobachtung aus, daß jede geisteswissenschaftliche Arbeit - sei es in den Sprach- oder Kunstwissenschaften oder in der Völkerkunde - von der kulturphilosophischen Vorannahme getragen ist, daß allen Kultursystemen eine eigene innere Struktur und Gliederung zugrunde liege, die mit sozialen oder psychologischen Kategorien allein nicht erfaßt werden könne. 110 Zumindest liegt jeder geisteswissenschaftlichen Einzelarbeit eine ungefähre, nicht geklärte Anschauung von der Einheit und dem Aufbau dieser zu beschreibenden Welt zugrunde. Auf diesem idealistischen Apriori aufbauend, haben die Geisteswissenschaften bisher, anstatt nach dem realen Aufbau der geistigen und geschichtlichen Welt zu fragen, die Frage umgewendet zu dem Problem, wie die Geistes-„Wissenschaften" möglich sind und wie sie ein Gesamtsystem der Geisteswissenschaften entwickeln können. Diese mehr erkenntnispsychologische und wissenschaftsinterne Perspektive bedarf nach Freyer einer systematischen Erweiterung oder vielmehr Umkehrung durch eine Kulturphilosophie, die die objektive Beschaffenheit der historischen Welt darlegt: „nicht mehr Strukturzusammenhang der geisteswissenschaftlichen Erkenntnis, sondern Strukturzusammenhang der menschlichen Kultur (...); nicht mehr (...) Theorie der Kulturwissenschaften, sondern (...) Theorie der kulturellen Welt". 111 Die Zweidimensionalität der „geistigen Wirklichkeit" - diese ist immer als „Kultur" im Gegensatz zu „Natur" zu verstehen - ist dafür der Ausgangspunkt, den Freyer in Diltheys Werk auch wissenschaftlich abgesichert sieht: geistige Inhalte und seelische Akte, Sinnzusammenhang und Erlebniszusammenhang, „objektiver Geist" und „subjektiver Geist" oder auch „Logos" und „Psyche". In dieser Tradition sah die Leipziger Wissenschaftsgemeinschaft sich aufgefordert, die Kulturwirklichkeit wissenschaftlich stets „unter diesen zwei wohlgeschiedenen Gesichtspunkten" 112 zu erfassen. Legt man dieses Postulat auch dem Werk Freyers zugrunde, so läßt sich in seinen so unterschiedlichen Schriften vor 1933 sehr wohl ein Zusammenhang erkennen. Während die „Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft" die Wirklichkeit unter dem Aspekt der Lebensrealität, der prozessualen oder Geschehensrealität betrachtet, legt Freyer in der „Theorie des objektiven Geistes" den Schwerpunkt auf die Sinnzusammenhänge, auf die Objektivationen der Kulturwirklichkeit. Diese beiden Schriften Freyers können also ohne weiteres als komplementäre Analysen der gesellschaftlich-kulturellen Welt betrachtet werden. Die Komplementarität besteht jedoch nicht in den Gegenständen; es handelt sich nicht um die Analyse von Kulturphänomenen einerseits und die Untersuchung gesellschaftlich-politischer Erscheinungen andererseits, sondern um eine den oben genannten Dimensionen entsprechende unterschiedliche wissenschaftliche Betrachtungsweise ein- und desselben Lebenszusammenhangs.
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IV Kultursystem
und
Kulturwandel
Was die Einheit einer Gesamtkultur in ihren vielfältigen Ausprägungen ausmacht, wäre nach Freyer somit am besten durch die inhaltliche Analyse der apriorischen Tatsachen der Lebenswelt zu analysieren, d. h. der Urphänomene oder „Grundhaltungen des Menschentums", wie ζ. B. das Verhältnis zu Raum und Zeit, zum Mitmenschen, zum Tier oder zum Kosmos. Dieses System der anthropologischen Grundtatsachen müßte allerdings erst in einer „allgemeinen Philosophie des Lebens" erstellt werden, damit in der Folge ein „System der Kultursysteme" erarbeitet werden kann. 113 Mit den anthropologischen Grundtatsachen der Kultur hatte Freyer jedoch keineswegs die verhaltenstheoretische Annahme einer zeitlich unabhängigen generellen menschlichen Anlage gemeint; diese Grundtatsachen sind vielmehr historisch und kulturanthropologisch, als Grundhaltungen einer ganz bestimmten Gesamtkultur, zu verstehen. Auch ein einheitlicher weltanschaulicher Sinngehalt als Grundlage der Gesamtkultur kann nach Freyer für die Kulturphilosophie nicht der richtige Ausgangspunkt sein, denn dieser würde letztlich nur zu einer Beschränkung auf die Annahme eines Volkscharakters und auf die Analyse ihrer Außerungserscheinungen als dessen Ausdruck hinauslaufen. Diese Aufgabe wäre damit nicht Sache der Kulturphilosophie, sondern der Völkerpsychologie. Hier will er nun zum Schritt über Wundt und Lamprecht hinaus ansetzen und die Frage nach dem Prinzip der Einheit der Kulturphilosophie und nach dem Gesetz ihrer Gliederung anders lösen: Um zu einem kulturanthropologischen Apriori vorzustoßen, hat die Kulturphilosophie im Gegensatz zur Völkerpsychologie die Aufgabe, den „gegenständlichen Sinngehalt", der in allen Objektivationen, und zwar erst in ihrem Zusammenhang, ganz ausgeformt wird, zu formulieren. Wieder betont Freyer die gegenständliche Hermeneutik und die objektive Geschlossenheit der einzelnen Werke. Aber um die Einheit des Systems darzustellen, kann er weder die Annahme von einer Summe von Teilen akzeptieren, noch die These gelten lassen, daß jede Objektivation in sich als Mikrostruktur das Abbild der Makrostruktur der Gesamtkultur berge. Auch Nietzsches Begriff „Stil" konnte für Freyer nur „Einheitlichkeit", nicht aber eine „Einheit" der Kultur kennzeichnen; denn „Stil" ist ja von vorneherein mit der Annahme des Dualismus von „Form" und „Inhalt", von Abstraktion und Ausgestaltung belastet. Kulturphilosophie sollte deshalb nach Freyer „Prinzipienlehre der objektiv-geistigen Welt" sein, den „gegenständlichen Sinngehalt" als Einheit des Formensystems der Kultur begreifen und das „kategoriale Gefüge seiner Formen erfassen". Nur in dieser Richtung also könnte die „realistische Wendung" in der Kulturphilosophie vollzogen werden. Daß Kultur überhaupt als Objektivation aus der Aktualität des Lebens möglich ist, kann nicht das Problem einer Kulturphilosophie sein - es ist für sie gegebene Voraussetzung. Sie hat lediglich nach den Strukturen und Gesetzlichkeiten zu fragen, unter denen dies geschieht. Da der „objektive Geist", d. h. die Gesamtkultur erst in allen Objektivationen zusammen ausgeformt wird - in Hegelscher Formulierung: erst am Ende nach voller Ausfaltung zu sich selbst kommt - gehört die Frage nach der Einheit der Kultur für Freyer letztlich doch in den Bereich der Metaphysik. 114 Die metaphysische Annahme einer sich ausdifferenzierenden, aber erst am Ende einer Entwicklungsreihe vorstellbaren Einheit dient Freyer aber zunächst als logisches Denkmittel, um Struktur und Dynamik im System zu verknüpfen und die eigentlich gegensätzlichen Begriffe „System" und „Offenheit", zu verbinden,denn eine derartige logische Annahme liegt implizit ja jeder theoretischen Darstellung von Entwicklungsdynamiken zugrunde. Auch später, in der „Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft", bezeichnet Freyer die Gesellschaftsstrukturen und sozialen Erscheinungen als „werdende Formen" oder „werdende Strukturen" und auch hier verankert er die Offenheit des Systems der Soziologie in der Annahme, daß die Einheit erst vom Ende her vorstellbar
2. Hans Freyers Kulturtheorie
in der Entwicklung seines Gesamtwerkes
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ist: Erst die Geschichte beweist das System der Soziologie. 115 Hat er in der Soziologie jedoch eine Theorie des Umbruchs oder der Krise entworfen, so handelt es sich dagegen in seiner davor konzipierten Kulturtheorie um eine eher harmonische gegenseitige Dynamik, eine Reziprozität von Objektivation und Aktualisierung oder sozialer Verwirklichung der Kultur. Was die formallogische Seite der Analyse dieser „werdenden Einheit", die Begriffsbildung, betrifft, so muß Freyer feststellen, daß eine Logik des Typus oder der Individualität als System bisher nicht geschaffen wurde. 116 Die Leistung einer solchen Logik bestünde für ihn in der Ausbildung von Begriffen, die nicht Klassenbegriffe sind, die also die wirklichen Fälle nicht nach einer endlichen Anzahl abstrakter (also nicht dem Fall inhärenter) Merkmale klassifizieren, sondern „das Konkret-Wirkliche" auf die immanente Notwendigkeit seines Gefüges zurückführen, ohne den Umweg über die Generalisation zu nehmen. Freyer hat damit das gleiche Problem des historischen Idealtypus behandelt wie Max Weber. Allerdings akzeptiert Freyer weder die reine Abstraktion, die Webers durch reines Denken erstellte und durch Plausibilität gerechtfertigte Idealtypen als bloße Gedankenmodelle kennzeichnet, noch die Generalisierung durch lediglich ordnende Klassenbegriffe; die Begriffe der Kulturphilosophie sollten vielmehr die immanente Grundarchitektonik der Kultursysteme erfassen. Viel später hat Howard Becker eigentlich eine Freyersche Version des Idealtypus weiter verfolgt, wenn er das „geistige Laborexperiment" des Weberschen Idealtypus durch den „konstruierten Typus" ersetzen wollte; anstelle der modellhaften reinen Gedankenkonstruktion soll die Herausfilterung der gemeinsamen „typischen" Strukturmerkmale durch einen Vergleich möglichst vieler empirischer Fallstudien zu diesem methodologischen Werkzeug der „konstruierten Typen" führen. 117 In beiden Fällen, bei Becker wie bei Freyer, wird von einer idealtypischen Methode gesprochen, mittels derer die soziokulturellen Strukturen, die als „geologische Ablagerungen" oder „Sedimentbildungen" oder als „elementare Strukturformeln" 118 den Erscheinungen immanent sind und nicht nur als Gedankengebilde oder Generalisation von außen an das Forschungsobjekt angelegt werden. Howard Becker will als Soziologe auf empirischem Weg, durch Sammlung möglichst vieler Näherungsfälle, diese Grundstruktur herauskristallisieren; Freyers Ziel ist dagegen eine logische Grundlegung der wissenschaftlichen Begriffsbildung zur Herausarbeitung dieser Strukturformel oder -grammatik als „universale in re" 119 - das Ziel des Philosophen. In beiden Fällen wurde jedoch die idealtypische Methode mit dieser Idee der „Sedimente" oder der „immanenten Strukturformel" eigentlich aufgegeben, die Max Weber doch immer als reines, d. h. abstraktes Modell, wenn auch in unterschiedlicher Nähe zur Empirie, verstanden hatte. Freyer, mit Max Webers Wissenschaftslehre wohl vertraut, sieht wichtige zeitgenössische Ansätze zu einer neuen Logik, die „das Konkret-Wirkliche auf die immanente Notwendigkeit des Gefüges zurückführt, ohne den Umweg in die Generalisierung zu nehmen" - „aber die eigentliche aristotelische Tat ist noch nicht getan" 120 . Das heißt: Die formallogische Begriffsbestimmung ist noch nicht geleistet, folglich müssen andere philosophische Begriffe in analogischer Übertragung zuhilfe genommen werden. Piatons Begriff der „Idee" oder Kants Begriff des „Apriori" (obwohl sie nach Freyer aufgrund ihrer weiteren systematischen und metaphysischen Implikationen nicht einfach zu übertragen sind) wären für Freyer die Begriffe, mit denen man diese allgemeine Sturkturformel eines Kultursystems, den „einheitlichen Sinngehalt", als wesenhaften Kern konkreter Realitäten vorerst bezeichnen könnte. Als solcher ist er kein abstrakter Begriff, kann aber auch in der Wirklichkeit in seiner Reinheit nicht vorkommen, da die Erscheinungen immer mannigfaltige Ausformungen der Strukturformel sind - ähnlich einer physikalischen Formel, die die immanenten Gesetzmäßigkeiten darstellt und doch in der Natur niemals rein festzustellen ist.
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IV Kultursystem
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Kulturwandel
Die inhaltliche Bestimmung dieser Strukturformel oder des Apriori der Kultur kann vorerst nur als „spontane Grundhaltung des Typus Mensch" bezeichnet werden. Durch eine charakteristische Weise, Mensch zu sein, werden alle Probleme des Menschseins gelöst - jedes Individuum und jede menschliche Gemeinschaft ist gelebtes, d. h. ausgestaltetes „Gefüge", Formel oder „Sinn" des Menschseins überhaupt. 121 Da nun die Logik des konkreten Typs noch nicht gefunden ist, gibt es auch in der inhaltlichen Erfassung solcher Grundhaltungen Schwierigkeiten. Wie kann der Bedeutungsgehalt einer Gesamtkultur aus ihrem entfalteten wirklichen Zustand zur einfachen unbewußten Haltung, zur „reinen Potenz" adäquat zusammengezogen werden? Hierauf bezieht sich die bereits erwähnte Erwartung, die Freyer in die Lebensphilosophie gesetzt hat: Das von ihr herauszuarbeitende System kulturanthropologischer Grundzüge sollte die inhaltliche Bestimmung des Apriori einer konkreten Gesamtkultur leisten und damit wäre sein von Lamprecht übernommenes Ziel einer „Gesetzeswissenschaft vom genetischen Zusammenhang der kulturellen Gebilde" endlich erreicht. Im Unterschied zu Lamprecht strebt Freyer jedoch kein kausales, sondern ein dialektisches System an. Inhaltlich sind die Apriori der Kultursysteme bei Freyer noch sehr unspezifisch. Auf die wichtigsten (der Intention nach) theologie- und metaphysikfreien Ansätze einer philosophischen Anthropologie konnte Freyer sich noch nicht beziehen; die „Weltoffenheit" und „Selbstverwirklichung" des Menschen (Max Scheler 1928), die „exzentrische Positionalität" des Menschen (Helmuth Plessner), und der „Mensch als Mängelwesen", der seine Defizite in künstlichen Welten kompensiert (Arnold Gehlen 1940), standen ihm als Konzepte noch nicht zur Verfügung. Auch der Begriff des „Habitus" wird erst viel später von Pierre Bourdieu ausgearbeitet. 122 Deshalb kann hier eine positive Bestimmung der methodologischen Grundsätze Freyers immer nur im „vorgreifenden" Vergleich mit viel späteren und weitaus differenzierteren Ansätzen geleistet werden. Eine Uberinterpretation von Freyers doch noch sehr allgemeinen und nicht ausgearbeiteten Annahmen ist dabei immer die Gefahr, aber seine Intentionen werden damit doch klarer ersichtlich. Was Freyer vermeiden wollte, ist die Vernachlässigung der sich verselbständigenden Objektivationen, die Nicht-Berücksichtigung ihres vom Menschen abgelösten eigenlogischen Zusammenhangs. Damit wäre für ihn erneut der Fehler der Rücknahme der Kulturtheorie auf die menschliche Natur begangen, ein Kurzschluß, den Paul Ricoeur später als „direkte Ontologie" bezeichnet, die den „kurzen Weg der intuitiven Erkenntnis seiner selbst durch sich selbst" einschlägt und sich damit „aus dem Zirkel der Interpretationen, den sie selbst theoretisiert, heraushält". 123 Gerade dieser Zirkel der Interpretation stellt für Freyer das konstitutive Element der „realistischen Wendung" des Idealismus dar. Für ihn gilt, wie für Ricoeur, der „lange Weg" in der Kulturphilosophie über die Interpretation der Objektivationen zur Interpretation der Reflexion, d. h. der Rückbindung der Objektivationen an die Sozialität, um über diese reflektierten Objektivationen, jetzt als „Geräte des Lebens", das Allgemein-Geistige im Menschlichen - und das ist ja mit diesem Apriori der Kultur gemeint - zu erschließen. Wie Ricoeur sieht auch Freyer in diesem Weg über die Objektivationen und durch Einbeziehung der Einzelwissenschaften, die diese analysieren können, die einzige Möglichkeit für die Kulturphilosophie, aus der Sackgasse des „kurzen Weges der intuitiven Erkenntnis" herauszufinden. Die doppelte Interpretation, der Objektivation und der Reflexion, ergibt, daß die gesuchten Apriori der Kultur nicht mit den grundlegenden natürlichen Verhaltensformen oder Trieben verwechselt werden dürfen. Freyer sieht sie als zugrundeliegenden Code auf einer höheren Ebene, der in langen kulturellen Entwicklungsprozessen erst allmählich entsteht, ähnlich wie eine Grammatik sich erst mit der Entwicklung einer Sprache ausdifferenziert. Freyers erste Kulturtheorie läuft so auf eine
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Hermeneutik hinaus, die aus dem verstehenden Erfassen des „gegenständlichen Sinngehalts" auf die allgemeinen Grundstrukturen des Geistigen schließt, die allen Teilnehmern an einer Kultur im Verlauf der Kulturentwicklung zum gemeinsamen Besitz werden. Man könnte also in Analogie zu Paul Ricoeurs „Hermeneutik des Ich-bin" bei Freyer von einer „Hermeneutik des Wir-sind" sprechen. 124 Sein „Apriori" der Kultur hat dabei nicht die idealistische Bedeutung einer vor jeder Kultur gegebenen Bedingung der Möglichkeit von Kultur überhaupt; es bezeichnet vielmehr die sich erst im Kulturprozeß herausdifferenzierende und in ständiger Veränderung begriffene reine Potenz oder die „Grammatik" des Geistigen. Damit hat Freyer eine prozessuale Bestimmung des „Apriori" in kulturwissenschaftlicher Sicht versucht, ähnlich wie Konrad Lorenz fünfzig Jahre später das Kantische Apriori in naturwissenschaftlicher Sicht neu interpretiert: als Potenz des in ständiger Wechselwirkung mit einer objektiven Umwelt sich entwickelnden menschlichen physiologischen Apparates. 125 Das Apriori einer sich ausdifferenzierenden Grammatik ist für Freyer der Schlüssel, mit dem das weltanschauliche Paradigma, das er als grundlegend für alle Geisteswissenschaften des 19. Jahrhunderts annimmt, überwunden werden kann: ihre „gemeinsame Anschauung vom Volk, vom Individuum, vom Geist, vom Unbewußten und von der ,Produktion'" 1 2 6 . Dieses nicht mehr haltbare Paradigma besteht für ihn erstens im Begriff des „Volksgeistes" in der Version, daß in allen Erscheinungen einer bestimmten Kultur sich ein charakteristischer einheitlicher „organisch-geistiger Körper" ausdrückt; zweitens gehört dazu die damit verbundene Annahme des natürlichen Wachstums, der „stillen, stetigen Entwicklung des Volksgeistes zu seiner Reife", die durch willkürliche Eingriffe nur gestört würde. Sie ist für Freyer nur die Folgerung aus der bis in die positivistische Abwandlung der Geisteswissenschaften hinein verfolgbaren idealistischen metaphysischen Idee, „daß im Kosmos des Geistes jedes geistige Sein seinen Sinn und Wert unmittelbar in sich trage; daß das Wirkliche zugleich (in einem überrationalistischen Sinn) das Vernünftige sei". Durch diesen geschlossenen Strukturbegriff einer teleologischen Ganzheit des Geistes in seiner Entwicklung konnte sowohl die Ideengeschichte der Geisteswissenschaften als auch der psychologische Zirkel von „Erleben" und „Verstehen" zugleich Grundlage der Logik der Geisteswissenschaften sein. Karl Lamprechts Kampf gegen eine der tatsächlichen Geschichte aufoktroyierte Teleologie, die in der irrtümlichen Annahme der Selbstläufigkeit einer Volkskultur endet, hat hier bei Freyer seinen Niederschlag gefunden. Anstelle dieser organischen Entfaltung setzt Freyer nun ein „Apriori" des „Kanons" i.S. einer generativen Grammatik, die sich erst im Zuge der Kulturleistungen ausdifferenziert. Bereits bei Freyer ist also der logische Schritt von der Teleologie als einer durch ein vorgefaßtes Ziel bestimmten Entwicklung hin zur teleonomischen Dynamik angelegt, die durch eine in der bisherigen Geschichte herauskristallisierte Grundarchitektonik bestimmt ist, jedoch in der zukünftigen Entwicklung die Freiheit einer vielfältigen Ausgestaltung unter neuen Einflüssen zuläßt. 127 Daß diese methodologische Neuorientierung so allgemein und unausgearbeitet bleibt, kann wohl damit begründet werden, daß es Freyer nicht so sehr um den Aufbau einer speziellen Kultursoziologie geht, sondern um die geschichtsphilosophische und logische Begründung der Soziologie ganz allgemein als „Kulturwissenschaft". Die Abkehr von der Annahme einer selbstläufigen Kulturentwicklung ist für Freyer kein bloßes Gedankenexperiment, sie ist selbst historisch bedingt. Er sieht sie bereits im 19. Jahrhundert vorbereitet und geschichtlich möglich geworden, und sie wird zur Ursache der Entstehung der Soziologie als Wissenschaft. Bei Auguste Comte ist nach Freyer mit dem Anbruch des wissenschaftlichen Zeitalters, nach dem theologischen und metaphysischen Stadium der menschlichen Intelligenz, das dritte und
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endgültige Stadium der bisher selbstläufigen Entwicklung der Vernunft erreicht. Die „Positive Wissenschaft", die die naturgesetzliche O r d n u n g erkennt, ist z w a r selbst das letzte Produkt einer naturgesetzlichen Entwicklung, begründet aber nun eine ganz neuartige vernunftgemäße Gestaltung des Lebens. 1 2 8 Die letzte Stufe der wissenschaftlichen B e w u ß t w e r d u n g hat der naturgesetzlichen Entwicklung sozusagen ihre Unschuld genommen - durch die Soziologie als letzte, d. h. höchste Naturwissenschaft springt „die Natur, sich selbst transzendierend, in die Autonomie des Geistes", in die bewußte Lebensgestaltung, Planung und Sozialtechnik um. Ein ähnlicher Gestaltumschlag fand nach Freyer statt, als die emanatistische E n t w i c k lungstheorie der idealistischen Systeme mit den modernen Geisteswissenschaften z u m H ö h e p u n k t und gleichzeitig an ihr Ende gekommen ist. An die Stelle der naturgesetzlichen Einheit tritt die Einheit des Sinns, der „Geist" als Welt von autonomer Gesetzlichkeit. U n d auch hier endet der eigengesetzliche Zusammenhang mit der Einbeziehung von Geschichte und gesellschaftlicher Entwicklung im Hegeischen Postulat: „Alles Wirkliche ist vernünftig und alles, w a s wesentlich ist, erscheint auch". Für Freyer ist es die Wissenschaft der Soziologie, die in Familienformen, Gemeinschaftsbildungen, Herrschaftsformen usw. Zusammenhänge nachweist mit Sprachentwicklung, Rechtssystemen und Kunststilen; sie definiert damit die soziologische Struktur einer Kultur als Träger desselben Sinngehaltes, der als „Geist" einer Kultur auch in Wissenschaft, Kunst und Recht ausgeformt wurde. So m u ß auch die Soziologie ihre Objekte als Gebilde mit eigenständigem gegenständlichen Sinngehalt sehen. Sie ist damit die letzte und auch höchste Geisteswissenschaft, weil sie ihr wissenschaftliches System auf dieser Annahme der Einheit u n d des Zusammenhangs der Kultur begründet hat. U n d auch hier wird der entscheidende wissenschaftliche Schritt getan zu den gesetzlichen Zusammenhängen von kulturellen Formen mit biologischen und psychologischen Faktoren; mit dem Grenzbegriff der „Formen aus Leben" trat auch die Soziologie als Geisteswissenschaft aus dem Stadium der eigengesetzlichen „Unschuld" heraus. „Voir p o u r prévoir pour pouvoir" - die Comtesche Zielformulierung für die gesamte Wissenschaft - kennzeichnet für Freyer nicht nur ein positivistisches Ideal, sondern die Schwelle zu einem neuen Zeitalter der menschlichen B e w u ß t w e r d u n g . Seine „Schwelle der Zeiten", im J a h r 1965 inhaltlich als epochaler U m b r u c h der Menschheitsgeschichte z u m Industriezeitalter dargestellt, ist bereits in der Kulturtheorie der zwanziger Jahre logisch und geschichtstheoretisch fundiert. Die erstmals in der Menschheitsgeschichte möglich gewordene wissenschaftliche Einsicht in die Gesetze der sozialen Welt begründet gleichzeitig die Fähigkeit und Forderung zu ihrer Gestaltung: zu rationaltechnischen Praktiken aufgrund erkannter Kausalzusammenhänge in den Naturwissenschaften, z u ethischer, d. h. intentionaler Gestaltung aufgrund erkannter Sinnzusammenhänge in den Geisteswissenschaften. Soziologie ist in diesem Sinne „Geisteswissenschaft". Der Wechsel von der Vorstellung der Einheit als „Substanz" zur funktionalen und prozessualen Einheit ist so gesehen nicht nur eine neue wissenschaftliche Methode neben anderen, sondern hat einen bestimmten historischen Ursprung und ist selbst A u s d r u c k des Sinnzusammenhangs einer bestimmten Kultur. In der historischen „Wende" des Erwachens der Menschheit z u m wissenschaftlichen Zeitalter (A. Comte), z u m subjektivistischen Zeitalter (Karl Lamprecht), fortgeführt in Freyers Gedanken der Fähigkeit der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Selbstreflexion, ist die entscheidende U m w e r t u n g aller wissenschaftlicher Erkenntnis angelegt. Die Wendung von „idealen Sinnzusammenhängen" zu „realen W i r kungszusammenhängen", von der „Idealdialektik" zur „Realdialektik", läßt jede wissenschaftliche Erkenntnis unter zwei polar entgegengesetzten Aspekten erscheinen: als „Träger und Vollstrecker einer logischen Eigenbewegung" und gleichzeitig als „Manifestationen sich
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auswirkender Lebenseinheiten". 129 Die Soziologie - damit nicht nur „Geisteswissenschaft" sondern auch „Wirklichkeitswissenschaft" - wird, da sie den letzteren Aspekt aller wissenschaftlicher Erkenntnis zu ihrem Gegenstand hat 130 , durch Erkenntnis der Sinnzusammenhänge zur „praktisch-rationalen"(d. h. nicht mehr weltanschaulich und auch nicht zeitlos wissenschaftlich vorgegebenen) Selbsterkenntnis und Selbstgestaltung der modernen Kultur sie ist für Freyer nur als „Kulturwissenschaft" in diesem ethischen Sinn denkbar. Als „Selbstbewußtsein einer gesellschaftlichen Wirklichkeit" ist die Soziologie gerade eine gegen die vermeintlichen „Naturgesetze" der gesellschaftlichen Entwicklung gerichtete kulturschöpferische Aktivität. Mit diesem emanzipatorischen Anspruch konnte sie als Wissenschaft überhaupt erst entstehen und kann deshalb auch nicht mehr hinter diesen Anspruch - zu einer zeitlos gültigen allgemeinen Gesetzlichkeit - zurückkehren. Der Ubergang zur modernen Gesellschaft - von ihren materialistischen und industriellen Anfängen im 19. Jahrhundert übergehend nach 1918 zum „politischen" Volk, nach 1945 zur weltweit sich ausbreitenden Industriekultur - ist der übergeordnete Gesamtzusammenhang in Freyers Soziologie, dem auch die politische Soziologie unterzuordnen ist. Freyers Gesamtwerk ist der Intention nach vor allem Kultursoziologie in diesem ganz umfassenden Sinn. Das Konzept der „Kulturwissenschaft" kann nicht ohne einen Seitenblick auf Max Weber gewürdigt werden - und zwar auf eine sehr aktuelle Interpretation seiner wissenschaftlichen Fragestellung, die das akademische „Seminarwissen" darüber entscheidend revidiert. Hat nicht Weber den gleichen historischen Umbruch in die Moderne angesprochen, wenn er von „Rationalisierung" spricht? Daß sein Werk nicht als Darstellung des universalhistorischen Prozesses der Entwicklung des okzidentalen Rationalismus zu gelten hat, vielmehr die Rationalisierungsprozesse bei Weber sich auf die „Rationalisierung der Lebensführung" als praktische Ethik des modernen Menschen beziehen 131 , hat Wilhelm Hennis neuerdings zu belegen versucht; eine ähnliche These wurde aber schon früher von Walter Hildebrandt, einem Freyer-Schüler, diskutiert. 132 Dabei ist wohl derselbe „Gestaltumschlag" im modernen Denken zugrundegelegt, wie ihn Hans Freyer gesehen hat. In der modernen Industriegesellschaft ist - im Unterschied zu anderen kulturellen Epochen - die Entwicklung der „alltäglichen", praktisch-rationalen Methodik der Lebensführung kulturprägend geworden (z. B. in der Berufsidee als Neuinterpretation der christlichen Askese 133 ), die Max Weber deutlich vom wissenschaftlichen Rationalismus unterscheidet. Für Weber ist die „praktische", methodische Einbeziehung der Naturwissenschaften in den Dienst der Wirtschaft einer der Schlußsteine jener Entwicklung der „Lebensmethodik" überhaupt, zu der diese „Wendung" der Lebensführung entscheidend beigetragen habe. Nach Hennis ist somit Webers Thema „nicht irgendein Rationalisierungsprozeß .überhaupt', sondern der Prozeß der Rationalisierung der praktischen Lebensführung'". 134 Die Soziologie als „Kulturwissenschaft" übernimmt damit die Aufgabe der „objektiven", d. h. wissenschaftlichen Reflexion der Wertprobleme, der qualitativen Kulturbedeutung in dieser Entwicklung des modernen „Menschentums", wie Freyer sie als „Selbstreflexion" einer gesellschaftlichen Wirklichkeit bezeichnet hat. Nach Hennis wird bei Weber die Wissenschaft der praktischen Rationalität untergeordnet: „Webers Kampf galt der Freiheit zur praktischen Wertung, frei von Bevormundung durch die Anmaßungen der Wissenschaft". 135 In seinem Kampf um die „Werturteilsfreiheit" handelt es sich genau so um das Ringen um Freiheit gegen die „Bevormundung" durch universalhistorische Determination und unilineare Fortschrittsmodelle, wie sie Freyer in den Wissenschaftssystemen des 19. Jahrhunderts und in morphologischen und teleologischen Geschichtstheorien seiner Zeitgenossen sah und überwinden wollte. Bei Hennis heißt es: „Sein (Webers) Kampf
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um die sogenannte ,Werturteilsfreiheit' ist nicht mehr und nicht weniger als sein Kampf um ,Unbefangenheit', das ist geistige Freiheit in einer Zeit, in der die (,bürgerliche') Wissenschaft mit ihrer Art von ,Befangenheit', insbesondere im Glauben an den durch sie zu bewirkenden Fortschritt', sich wie Mehltau auf die Geister legte". 136 Für Frey er bedeutet es ebenso eine Vergewaltigung der praktischen Rationalität, wenn universalhistorische Modelle, wie Spenglers „Untergang des Abendlandes" auf die gegenwärtige subjektive Stimmung übertragen werden. „Spätherbstliche Taten wollen ebenso getan werden wie frühlingshafte. Beide sind von gleichem Wert und Recht vor der unendlichen Objektivität der mütterlichen Erde". 137 Bei Max Weber wird die „endgültige Gliederung" der historischen Wirklichkeit aufgrund der gleichen „unendlichen Objektivität" sinnlos, die er mit seiner berühmten Metapher des endlosen Stromes des unermeßlichen Geschehens beschreibt. Das stete praktische Schaffen von Kultur (bei Weber vom Standpunkt des Menschen aus mit Sinn bedacht) wird bei Freyer nur noch deutlicher als Forderung an die Gegenwart formuliert: „Es ist ein grotesker Irrtum, Einsicht in das Urphänomen der Kultur könne deduzieren, was immer und ewig nur geschaffen werden kann". 138 Es wird nun klar, warum sich Max Weber, der sich so unermüdlich für die Objektivität sozialwissenschaftlicher Erkenntnis eingesetzt hat, so entschieden gegen die Bemühungen Karl Lamprechts um die Geschichtswissenschaft als nomothetische Wissenschaft wandte. 139 Das kritische Problem ist hier aber, ob Webers Unterordnung der wissenschaftlichen Erkenntnis unter die „praktische Rationalität der modernen Lebensführung", die ja wie bei Freyer eine Einheit von Theorie und Handeln impliziert, nicht doch der wissenschaftlichen Sanktionierung oder mindestens Verschleierung „irrationaler" Entwicklungen Tür und Tor öffnet - eine Kritik, die hier bereits in der Darstellung von Freyers Konzept der „Wirklichkeitswissenschaft" angesprochen worden ist. Es muß angenommen werden, daß beide, Weber und Freyer, dieses Wissenschaftsverständnis nicht aus kurzfristigen politischen Aspekten gewonnen haben, sondern von einer impliziten universalhistorischen Annahme des Entwicklungsganges der Menschheit ausgegangen sind: Die moderne Gesellschaft hat nun erst eine Entwicklungsstufe erreicht, in der „Wissenschaft" nicht mehr als ewiggültige Logik gefunden und geglaubt wird, sondern als zeitgebundenes theoretisches „Modell" dem aktuellen Verständnis und der aktuellen Strukturierung von Wirklichkeit dient. Die „Rationalität" schien ja gerade durch diese Umwälzung vor jeder Weltanschauung gesichert zu sein. Hans Freyer hat diese „Schwelle" zur Moderne als Erwachen der Menschheit zum wissenschaftlichen Selbstbewußtsein (an der Soziologie als Wissenschaft zum ersten Mal möglich wird) gekennzeichnet; und auch Max Weber kann doch die Einbeziehung der Wissenschaft in den Dienst der praktischen Lebensführung nur deshalb vertreten, weil er diese Einbeziehung als Krönung oder Schlußstein der „Entwicklung der ,Lebensmethodik' überhaupt" ansieht, zu der ja gerade die (historische) Wendung hin zur praktisch-rationalen Lebensführung beigetragen habe. 140 Gerade in der nun erreichten Fähigkeit zur wissenschaftlichen Reflexion, die die Lebenspraxis begleitet, sehen beide die Möglichkeit zur rationalen Lebensführung, die nun von der Verdinglichung durch den Naturalismus (Max Weber) und von der Diktatur der universalhistorischen Entwicklungsgesetzlichkeit (Hans Freyer) frei ist. Damit können auch beide getrost die Wissenschaft der praktischen Wertung, dem „Willen" unterordnen; er ist ja nicht mehr weltanschaulich-dogmatisch, sondern „praktisch-rational" geformt. Und da in der gegenwärtigen modernen Gesellschaft alleine dieser „kollektive Wille" das Chaos der Möglichkeiten ordnet, ist er auch als Grundlage jeder sozialwissenschaftlichen Erforschung dieser Gesellschaft unabdingbar: „nur sofern sich eine Ordnung aus ihm
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gestaltet, ist ein Chaos dem Begriff erfaßbar". 141 Für Max Weber ist der Forscher in der Anwendung seiner Erkenntnisse immer an die Wertideen, die Normen seiner Gesellschaft gebunden: „Denn wissenschaftliche Wahrheit ist nur, was für alle gelten will, die Wahrheit wollen". Hans Freyer geht noch einen Schritt weiter, indem er die Soziologie eindeutig als wissenschaftliche Manifestation der praktischen Rationalität sieht und damit die Kontingenz der zukünftigen Entwicklung vor einer pseudowissenschaftlichen Kanalisierung in „Sachzwänge" retten will. Auch aus dieser Perspektive ist sein Zitat „Wahres Wollen fundiert wahre Erkenntnis" zu lesen. Auf der Ebene der Logik und Wissenschaftstheorie müßte für ihn das System der Soziologie im Idealfall gleichzeitig die Strukturformel oder „Grammatik" des jeweiligen Kultursystems sein.142 c) Kultur als Objektivation:
Von den „werdenden
Formen"
zu den „haltenden
Mächten"
Kultur ist immer auf Dauer ausgerichtet; Verewigung und Universalität ist ihr Bestreben, nicht Verschleiß und Ethnozentrismus. Gegen Politisierung und Regionalisierung, gegen Konsummentalität und „Moden" als Verursacher des gegenwärtigen Kulturverfalls wird auch heute wieder die zeitlos gültige Form als tragendes Element der Kultur hervorgehoben. Die Gegenständlichkeit, die überdauernde Form scheint vor allem in Zeiten einer Kulturkrise in den Mittelpunkt der Kontroversen zu rücken, und dieses Grundproblem des kulturellen Wandels wird vor und nach dem I. Weltkrieg sowohl in der Kunstdiskussion wie auch in der Philosophie und in den Kulturwissenschaften auf neue, originelle Weise angegangen: Sowohl im Begriff der „art simultanée" von Robert und Sonja Delaunay, oder auch in der Dichtung Johannes R. Bechers (nur als Beispiele für viele andere), soll die „wahre Form" durch die „Coincidentia oppositorum" sichtbar werden, das bedeutete, sie sollte (genauso wie die Wissenschaft) nicht mehr in einer höheren Einheit oder ewigen Idee aufgehen. „Simultan" hieß in der Kunstdiskussion ja: nicht logisch und kausal determiniert - die Spannung und die Widersprüche sollten erhalten bleiben und in der Form vergegenständlicht erscheinen. Nach dem Zeitzeugen Kurt Pinthus radikalisierte sich die Diskussion und polarisierte zwischen „Form" und „Leben", zwischen „Simultanismus" und „Vitalismus", zwischen „Verdinglichung" und „Subjektivismus".143 Auf jeden Fall galt nur mehr das zerrissene Gegenwärtige, der Gedanke einer übergeordneten Synthese der Werte oder Ideen war verpönt. In dieser Gedankenwelt sind sowohl die Gestaltpsychologie und die Phänomenologie als Ganzheitslehren - und auch Freyers Kulturtheorie entstanden, in der er zunächst die „gegenständliche Hermeneutik" herauszuarbeiten versuchte und die „Kultur als Sein", die Objektivation in den Vordergrund stellte. Auch für eine zeitgemäße Soziologie sollte nach Freyer der Gesichtspunkt der „Objektivation" als „Kategorienlehre des sozialen und politischen Lebens" maßgeblich für die theoretische Grundlegung sein.144 Und um der Diktatur einer „ewig gültigen Gesetzlichkeit" zu entkommen (auch die Expressionisten wandten sich gegen die Unterordnung des menschlichen Lebens unter statistische und psychologische und naturwissenschaftliche Gesetze 145 ) - stellt er „simultan" die Spannung zwischen „Leben" und „Form", zwischen Sachgesetzlichkeit und sozialem Vollzug unaufgelöst in das Zentrum seiner Analyse der Kulturformen: Einerseits der „gegenständlichen Bündigkeit", denn schließlich kann die Menschheit erst „auf dem Umweg übers Objekt", d. h. in der Kultur (sehr weit definiert als der „Inbegriff aller menschlichen Werke") einen „übervitalen Sinn des Lebens" finden;146 andererseits stellt der „Lebenszusammenhang" für die typologische Anordnung der Kulturkategorien das maßgebliche Ordnungsprinzip dar, denn Freyer klassifiziert diese ja nach
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IV
Kultursystem und
Kulturwandel
Abhängigkeit bzw. Unabhängigkeit vom sozialen Vollzug. Dieses Zusammenspiel mit unterschiedlicher Gewichtung der strukturellen Dimension mit der Dimension der Aktualisierung oder des Prozesses - hier im Problem der Wirklichkeit als „geistiges Sein" bereits dargestellt - zieht sich folgerichtig als grundlegendes Konstruktionsprinzip durch alle kultursoziologischen Arbeiten Freyers. In der „Theorie des objektiven Geistes" liegt die Betonung noch deutlich auf der strukturellen Dimension: auf der „erlebnistranszendenten Existenz", gleichgültig ob als „äußerliche Verkörperung oder in der sublimeren Form der Regelhaftigkeit, die die aktuellen Erlebnisse in ihre Bahnen zwingt". 147 Der Objektivation wird eindeutig Vorrang eingeräumt gegenüber der Bestimmung durch die „Tat" oder dem sozialen Handeln realer Gemeinschaften - eine Tatsache, die, wie bereits dargelegt 148 , in dieser Werkphase eine realistische Politische Soziologie verhindert hat. Man kann Freyer trotzdem nicht so ohne weiteres wegen der Hervorhebung der Objektivation oder strukturalen Dimension eines unkritischen „Kulturfetischismus" bezichtigen. Es gibt zwei theoretische Gründe, warum dieser Weg ihm zunächst als der einzig mögliche erschien: erstens sein Ziel, zu einem „konkreten Begriff" von Sprache, Mythus, Wirtschaft, Kunst, Wissenschaft, Recht und Staat zu kommen 149 , der struktural verstanden werden muß und nicht psychologisch reduziert sein soll. Zum zweiten spielt hier wiederum sein von Karl Lamprecht beeinflußtes wissenschaftliches Ziel, eine „Gesetzeswissenschaft vom genetischen Zusammenhang der kulturellen Gebilde" aufzubauen, eine dominante Rolle. Die Abwendung von der politischen Ereignisgeschichte hin zum Aufweis der „Sachgesetzlichkeit" der aufeinander folgenden gesellschaftlichen Zustände war für Lamprecht ja die Garantie der Wissenschaftlichkeit der Geschichtswissenschaft. Lediglich die Monokausalität wollte nun Freyer vermeiden mittels seiner strengen Trennung von gegenständlichem und seelischem Sinngehalt. Die Unabhängigkeit des gegenständlichen Sinngehalts von der physiognomischen Deutung will er niemals verstanden wissen als „kausal-genetische Unabhängigkeit des realen Werkes vom realen Produktionsakt", sondern er fordert nur, daß beide „ontologisch getrennt" werden müssen „als in sich vollständiger Zusammenhang ohne Anleihen beim anderen". Nicht einmal in den tiefsten Schichten der wissenschaftlichen Analyse sollen sie „in einem seelischen Sinn vereint" sein. 150 Das Beispiel einer kulturellen Objektivation in dieser ersten Kulturtheorie, womit Freyer seine Methode expliziert, ist interessanterweise nicht eine „klassische" Kulturkategorie wie das Kunstwerk oder die Sprache, sondern der „Sinngehalt der kapitalistischen Wirtschaftsordnung". 151 Seine Darstellung der einzelnen Sinnebenen der kapitalistischen Wirtschaftsordnung liest sich wie die Gliederung einer strukturalen soziologischen Analyse. Der „Gesamtsinn" der kapitalistischen Wirtschaftsordnung besteht aus 1. einer bestimmten Ordnung der Eigentumsverhältnisse; 2. einem auf der Grundlage eines bestimmten Entwicklungsstandes der Naturwissenschaften hervorgehenden Entwicklungsstadium der Technik. Auf dieser Grundlage der Technisierung beginnt 3. ein ökonomisches Gesetz der Konzentration, das in seinen Grenzen, Hemmungen und Variationen analysiert werden kann. 4. kommt ein bestimmtes Verhältnis von Bodenfläche, Bevölkerungsdichte, Vermehrungsindex und verfügbarem Freiland hinzu, damit der Ubergang des Produktionsprozesses von Eigenwirtschaft zur Lohnarbeit in Gang gesetzt wird. Mit derartigen Elementen (ohne Anspruch auf Vollständigkeit): „ökonomische, juristische, geographische, politische, technische Elemente, Sätze über Menschenmengen, Güterwerte, Produktionsformen, Rechtsverhältnisse und Naturbedingungen, allgemeine Sätze über Preisbildung, Rentabilität und desgleichen" soll es gelingen, das Gefüge des Kapitalismus nachverstehend aufzubauen. Die tiefere Ebene dieser
2. Hans Freyers Kulturtheorie in der Entwicklung seines Gesamtwerkes
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Ordnung, die jedoch ebenfalls „gegenständlicher Sinngehalt" ist, bildet sich nach Freyer aus Weltanschauungselementen, aus einer bestimmten Ausformung der Moral, Metaphysik und Lebenslehre - vom Sinn des Berufs bis zum Sinn des Lebens, zum Gottesbegriff und zur Beziehung von Diesseits und Jenseits. Auch diese Ethik ist in ihrem Sinngehalt nicht beschränkt auf einen seelischen Erlebnisverlauf oder Habitus, sondern ist als gegenständlicher Sachverhalt zu verstehen; in ihrer Formgesetzlichkeit liegt eine Gesetzmäßigkeit des „Geistes". Daß Freyer auch den entgegengesetzten Pol, die psychologische Hermeneutik, als Strukturgesetzlichkeit versteht, die sich aus bestimmten Erlebnislagen und Situationen ergibt - z. B. die Protestanten als Emigranten, die Juden in der Diaspora - betont er deutlich. Die sich daraus ergebende einheitliche Gesetzmäßigkeit ist für ihn wiederum „gegenständlicher Sinngehalt". Kultur ist immer Objektivation: „Kultur beginnt, wo derart im aktuell seelischen Leben ein objektiver Sinn aufgeht" 152 . Dürkheims „faits sociaux" würden dieser Konzeption weitgehend entsprechen - Wundt und Lamprecht waren ja auch für Durkheim wichtige Anreger. An Freyers kultursoziologischer Begriffsbildung wird seit seiner Habilitationsschrift folgendes klar ersichtlich: Seine Begriffe für kulturelle Objektivationen, wie eine bestimmte Wirtschaftsordnung, ein Glaube oder ein bestimmter Wissenskanon beziehen sich immer auf einen großen zeitlichen und strukturellen Zusammenhang. Wenn er z. B. von Wirtschaftsordnung spricht, bezeichnet er damit nie eine gerade aktuelles Detailproblem, sondern das sich im Lauf der europäischen Industrialisierung herauskristallisierende Gesamtgebilde, das eine vielschichtige Struktur in sich vereint. Erst in diesem großen Zusammenhang wird die Einheit der vielfältigen Spannungen und Prozesse sichtbar. Aus dieser Makroperspektive heraus kann er deshalb auch von einer „Einheit der sinnerfüllten Form, des formgewordenen Sinns" 153 ausgehen. Er spricht in ebenso umfassenden Dimensionen über sein eigenes Zeitalter, wie wir heute vergangene Kulturepochen, etwa die „Kultur der Florentiner Renaissance" erfassen. Der Staat selbst ist für ihn ein säkulares kulturelles Gebilde, in seinem Gefüge der Entwicklung der europäischen modernen Gesellschaft nach der Französischen Revolution entsprungen und in seinen Kategorien typisch unterscheidbar von klassischen Hochkulturen oder dem absolutistischen Zeitalter. Die „Gemeinschaft" und ihr „Held", die „Herren" und die „Hörigen", der „Führer" und sein „Volk" werden in dieser kulturellen Makroperspektive „Idealtypen", besser gesagt „Metaphern" für Herrschaftsverhältnisse in einer bestimmten Kulturepoche. Er hat doch immer die Einheit des Gesamtsystems (im Sinne Hegels) schon auf der Ebene der Konkretion einzelner Formen als zentralen Gesichtspunkt unterstellt; das birgt natürlich die Gefahr in sich, daß die Einheit als metaphysische Verbrämung der gegenwärtigen politischen Spannungsverhältnisse mißdeutet wird. Der Gefahr ist Freyer auch zum Teil selbst erlegen, wenn er in seinen „expressionistischen Dichtungen" „Antäus", „Prometheus" und „Pallas Athene" die gegenständliche Hermeneutik der kulturellen Gebilde in eine Art Kulturmetaphysik auflöst. Mit der gleichen Perspektive der spannungsvollen kulturellen Einheit gelingen Freyer aber auch sehr feinsinnige Betrachtungen über einzelne Kulturgebilde wie „Sprache" oder „Musik". Auch hier definiert er die aktuelle kulturelle Bedeutung durch die Einordnung solcher Kulturerscheinungen in „den Haushalt einer Gesamtkultur" - im Falle der „Sprache" durch Aufweis der Entwicklung des Sprachbegriffs in der Philosophie und den empirischen Sprachwissenschaften des 19. Jahrhunderts. In der strukturellen Eigenheit der Sprache (übernommen aus der französischen Soziologie) sieht er das logische Vorbild für alle kulturwissenschaftlichen Gesetze. 154 Seine Wesensbestimmung der Sprache gewinnt er vor allem aus den Grundgedanken Hegels, Herders und Humboldts: Sie ist „vorgeschichtlich", d. h. anthropologisch
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IV
Kultursystem
und
Kulturwandel
verankert und Ausdruck der menschlichen theoretischen Intelligenz schlechthin; sie ist im Unterschied zu anderen Kulturformen, die aus Teilen zum Ganzen zusammengesetzt sind, strukturaler Zusammenhang als reine „Synthesis (...): daß jede einzelne Bedeutung in ihr von der Totalität der Bedeutungen getragen ist"; ihr drittes Merkmal ist die Intentionalität, ihr Zeichencharakter. Mit Humboldt zieht er daraus zwei Folgerungen: 1. die Spannung zwischen Sprachfähigkeit allgemein und Sprache als geistiger Individualität, als Idiom, also zwischen sermo und lingua, langue und language; daraus folgend: 2. Sprache als geistige Welt eines Volkes, für das Individuum der Weg der Bildung vor allen anderen. Aus dieser „Logik der Sache", die in der Entwicklung der Sprachphilosophie und den Sprachwissenschaften der Epoche der Moderne Schritt um Schritt herausgearbeitet wurde, leitet Freyer die Forderung an die Pädagogik ab, daß Sprache zum einen im „reinen Sprachunterricht" als „absolute Form" zu lehren und ihre Welthaltigkeit zu vergessen sei; andererseits sei die Sprache als Königsweg des Verstehens von Sinnwelten, eigenen und fremden, aufzufassen: „als ein Stück Staatswirklichkeit, als ein Stück Geistwirklichkeit, als ein Stück Leben, das sich selber ausgesprochen hat". Dieses Beispiel führt zu zwei weiteren Überlegungen: Zum einen konnte nur aus einer Makroperspektive des großen kulturellen Zusammenhangs eine Spaltung von „Kultur" und „Zivilisation", von „Kultur" und „Natur", von „Kultur" und „Geschichte" und damit pessimistische Vorhersagen des Untergangs oder ideologisch-utopische Entwürfe einer besseren Zukunft vermieden werden. In einer Krisenperiode sollte der Einheitsgedanke nicht immer als konservatives Harmoniedenken und kulturelles „Glätten" einer aktuellen Krise gewertet werden (obwohl das dabei die große Gefahr darstellt); zum Einheitsdenken gehört in solchen Situationen oft mehr Mut als zu pessimistischer Kulturkritik. Ahnlich wie der Expressionismus in seiner Spätphase in den zwanziger Jahren im „Neuen Realismus" oder in der „Neuen Sachlichkeit" die Synthese mit der Moderne sucht, hat auch Hans Freyer sich also zu den „Modernen" geschlagen.155 Wie anders sollte auch ein wissenschaftlicher Diskurs in einer Epoche des fundamentalen Umbruchs aufrechterhalten werden, als durch einen Perspektivenwechsel auf den größeren Zusammenhang? Offensichtlich können nur so Gestaltumschläge und strukturelle Veränderungen größeren Ausmaßes bewältigt werden. Zum zweiten zeigt dieses Beispiel, daß Freyers integrative Auffassung von Kultur und ihren Gebilden der humanistischen Tradition zuzurechnen ist und keinesfalls nur eine völkische Ideologie vertritt. In diesem humanistischen Geist konzipierte Freyer die Reihe „Staat und Geist", die er 1926 zusammen mit seinen Leipziger Kollegen André Jolies, Professor der vergleichenden Literaturgeschichte und der flämischen und niederländischen Sprache, und Gunther Ipsen, damals der Vertreter einer modernen Sprachwissenschaft, herausgab 156 und zu der noch eine Abhandlung über die Formgestalt von Goethes Faust und eine Analyse der attischen Tragödie gehörte. 157 Mit expressionistischem Pathos übersetzt Freyer die wissenschaftlich-abstrakten Eigenschaften der Kulturgebilde in künstlerisch-visionäre Skizzen: die anthropologische Verankerung wird literarisch „erhöht" zur prometheischen Macht der „geistigen Tat" mit ihren zwei Gipfeln: „Verwirklichung" und „Gestaltung" 158 ; die strukturale Synthese schwebt über der gegenwärtigen „Kulturdämmerung" als „Ahnung der Form", oder als „heiliger Realismus", der „das Wirkliche in seiner höchsten Dichtigkeit denkt, statt seine Würde an transzendente Bezüge zu verkaufen". 159 Die Intentionalität verwandelt sich in einen seherischen „Blick auf das Werden" - sie lebt „als geheimer Sinn in vielen Herzen", muß aber von „einzelnen wenigen", die „ohne Auftrag und Befugnis (...) die Einheit des Ideals wissen", gehütet und zusammengehalten werden: „Sie überlassen den Jünglingen den Griff nach der
2. Hans Freyers Kulturtheorie
in der Entwicklung seines Gesamtwerkes
169
absoluten Wahrheit" und gestalten das Kulturwerk, auf vorgegebenem Raum und in einem vorgegebenen Geist als endliches Gebilde in der Zeit. 160 Diese expressionistische Vision des Hüters der Einheit mit ihrer seltsamen Mischung von Askese, Verzicht und Erneuerung ist hier eine eigenartige Synthese mit kulturphilosophischer Systematik eingegangen, bekommt aber dabei den Makel, die Vorrangstellung des Intellektuellen zu preisen, der dennoch jede Verantwortung der Wahrheit gegenüber ablehnt. Heute erliegen wir im Gegensatz zur damaligen Gefahr, die politischen Kontroversen zu schnell in große Synthesen einmünden zu lassen, wohl eher der Versuchung, alle Erkenntnis nur noch im engen Rahmen der aktuellen politischen Kontroversen zu interpretieren. Nach 1945 hat sich das Vorgehen Freyers in der Analyse von Kulturgebilden auf den ersten Blick nicht grundsätzlich geändert. Ahnlich wie die „kapitalistische Wirtschaftsordnung" zeigt er nun die Ordnung des zivilisatorischen Fortschritts auf, indem er die historische Herausbildung des Fortschrittsbegriffs im wissenschaftlichen und philosophischen Denken der letzten zwei Jahrhunderte darstellt. E r entwirft auch jetzt ein Modell des gegenseitigen Antriebs von eigengesetzlich fortschreitender Entwicklung und aktivem menschlichen Gestalten und weist nach, wie diese Fortschrittsordnung zum tragenden Kulturfaktor wird mit all ihren Teilentwicklungen: der Technik, der Siedlung, der Arbeit, mit ihren Tiefenschichten des Bevölkerungswachstums, der Einstellungen und Wertungen. 161 Aus der historischen Entwicklung wird wiederum der strukturale Aufbau abgeleitet, aber jetzt fehlt die integrative Perspektive der Gesamtkultur völlig. Die „Entfremdungen" des zivilisatorischen Fortschritts können nun nicht mehr in die menschliche Substanz zurückgenommen werden als neue Kulturformen und so endet Freyer doch auch bei einer impliziten Spaltung von „Kultur" und „Zivilisation". D i e „haltenden Mächte", die schon in der Diskussion der Politischen Soziologie Freyers keinen systematisch aussagekräftigen Gehalt mehr hatten, 162 gewinnen auch in seiner Kultursoziologie zunächst nicht die Bedeutung von kulturellen Objektivationen oder vielschichtigen Sinngehalten, sondern werden, angesichts des übermächtigen Zivilisationsprozesses, zu deren auf die private Lebenswelt beschränkten Surrogaten: intakte Lebensform, Lebendigkeit, menschlicher Sinn, menschliche Fülle und Fruchtbarkeit. 1 6 3 Es gibt kaum noch eine Spur der früheren strukturgenetischen Konzeption, auch wenn z. B. von „Bodenständigkeit" oder von „Gesetz und Recht, das sich fortsetzt", gesprochen wird. 164 Diese „Entwertung" des Konzeptes der Kulturform nimmt Freyer aber ganz bewußt vor, er stuft sie ein als notwendige Erscheinung einer bestimmten historischen Situation, die er wiederum mit einer weit ausholenden geschichtsphilosophischen These begründet: Wir stehen in einer nur im Abstand mehrerer Jahrtausende stattfindenden großen Zäsur der Menschheitsgeschichte - im Ubergang zum industriellen System. In einer derartigen Periode des extremen Wandels, in denen der Fortschritt in großen Sprüngen voraneilt und große Entfremdungen zu überwinden sind, kann nach Freyer keine konstruktive Synthese von fortschrittlichen und beharrenden Kräften in der stetigen Entwicklung der Kulturformen mehr erwartet werden. Die beharrenden Kräfte der gewachsenen Kultur werden dann zurückgenommen in den „Modus der Möglichkeiten", d. h. aufbewahrt und zurückgezogen in der primären
lebensweltlichen
Sphäre. Sie werden in den Schichten des menschlichen Lebens aufgehoben, die von der Entfremdung der modernen Zivilisation noch am wenigsten betroffen werden können. Freyer spricht demnach ebenfalls eine Regression auf primärsoziale Mechanismen an, wie sie heute in der systemtheoretischen Kultursoziologie diskutiert wird. Allerdings gilt diese Regression für Freyer keineswegs allein als theoretisches Modell, sondern betrifft alle Bereiche der sozialen Realität: Nach ihm kann in einer so extremen Dynamik des Systems das Erbe nicht
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IV
Kultursystem und Kulturwandel
mehr in gewachsenen Kulturformen, wie Bauwerken, Institutionen u n d Gerätschaften gefunden und weiterentwickelt werden. D a s kulturelle „ E r b e " ist nicht mehr K u l t u r als „ F o r m " , sondern nur mehr eine in den Individuen n o c h vorhandene „Potentialität" - K u l t u r als „ M e n s c h l i c h k e i t " - und diese kann nur noch als „Gegenpol z u m Sachzwang der objektiven O r d n u n g e n " behauptet werden. D a aber die Industriekultur mit ihren extrem künstlichen Welten einen übermäßigen Anpassungsdruck auf den M e n s c h e n ausübt und mit ihrer P e r f e k tion den Menschen seine Freiheit gar nicht m e h r vermissen läßt, dominieren die künstlichen Sachwelten über eine „Menschlichkeit", die sich in jene „hineinopfert". N u r noch ein vager H o f f n u n g s s c h i m m e r (der aber theoretisch nicht begründbar ist) trennt F r e y e r v o m „negativen" H e r o i s m u s H e r b e r t Marcuses, der zugibt, daß die Kritische T h e o r i e unfähig ist, theoretisch die Kluft zwischen Gegenwart und Zukunft zu überbrücken, die aber erfolglos u n d negativ bleiben will, „um jenen die Treue (zu) halten,, die ohne H o f f n u n g ihr L e b e n der großen Weigerung hingegeben haben und h i n g e b e n " . 1 6 5 A u c h das E r b e der „ G e s c h i c h t e " wird zur bloßen „Geschichtlichkeit" des einzelnen M e n s c h e n , aus der in Z u k u n f t vielleicht wieder Kulturformen entstehen können, die aber genau so gut in totaler Anpassung des M e n s c h e n an das „Sekundäre S y s t e m " des Fortschritts enden könnte, in einer R e d u k t i o n der „Menschlichkeit auf ein humanitäres Sozialprogramm, das die Grausamkeiten des Systems notdürftig ü b e r d e c k t " . D i e F o r m e l , daß Geschichte ein zweistrahliges Geschehen ist, gilt nur mehr als polare Gegensätzlichkeit von (sachgesetzlichem) „ F o r t s c h r i t t " und den „haltenden M ä c h t e n " (als rein individueller Habitus) und kann w o h l als extrem zugespitzte Wiederaufnahme der Simmelschen Entgegensetzung v o n „ o b j e k tiver K u l t u r " und „subjektiver K u l t u r " bezeichnet werden. D a s Insistieren Freyers auf „Offenheit der G e s c h i c h t e " hat seinen optimistischen Zug verloren; wir stehen am Entscheidungspunkt - das Scheitern ist eine ebenso konkrete Möglichkeit. 1 6 6 D e r hiermit verbundene Aufruf zur geistigen Besinnung mag dem „Zeitgeist" ganz besonders entsprechen, er mag auch besonders wirkungsvoll gewesen sein in Freyers zahlreichen Festansprachen zu illustren kulturellen Ereignissen. Systematisch ist die Abwertung der Objektivation und der R ü c k z u g auf ein reines H a b i t u s - K o n z e p t nicht zu rechtfertigen, denn F r e y e r hat bis zur „Schwelle der Zeiten" die methodologischen Grundlagen seiner Kulturanalyse nie maßgeblich geändert; der säkulare E p o c h e n u m s c h l a g hatte doch ebenso die Begründung für die Konkretisierung der Kulturphilosophie (und damit die K o n z e n t r a t i o n auf die Analyse der Objektivationen), wie auch für die Proklamation der Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft geliefert. Es waren bemerkenswerterweise die Historiker, die - im Vergleich zu den Soziologen - die A b w e r t u n g der kulturellen Objektivationen und der Geschichte weit weniger rezipierten; nach einer neueren Darstellung der deutschen Geschichtswissenschaft nach 1945 wurde F r e y e r s „Schwellentheorem" z u m wichtigsten Interpretament. M i t Freyers Modell der weltgeschichtlichen Schwelle (insbesondere des U m b r u c h s u m 1800 in das Industriezeitalter) k o n n t e in der deutschen Geschichtswissenschaft der fünfziger J a h r e die K o n z e p t i o n einer evolutionären Entwicklungsgeschichte endlich überwunden werden und eine sozialwissenschaftlich orientierte „Strukturgeschichte" etabliert werden (sehr verspätet im Vergleich etwa zu Frankreich oder den U S A ) . D i e A n n a h m e der „Sachgesetzlichkeit" oder Eigendynamik der „sekundären Systeme" war für diesen theoretischen Schritt offensichtlich sogar ausschlaggebend. Was also in der zeitgenössischen Soziologie ein Hindernis darstellte, die Entwicklung der technischen Zivilisation auch als soziale Entwicklung zu begreifen und eine adäquate wissenschaftliche Erfassung des sozialen Handelns, der neuen Institutionen, der Interdependenz sozialer und technisch-industrieller Prozesse ausschloß, trug andererseits bei zur w i c h -
2. Hans Freyers Kulturtheorie
in der Entwicklung seines Gesamtwerkes
171
tigsten Erneuerung einer benachbarten wissenschaftlichen Disziplin. Ein solches Ergebnis zeigt bereits, daß eine enge Fachgeschichtsschreibung eigentlich unzulässig ist. Hans Freyer wurde übrigens von den Historikern - bei aller Respektierung seiner „historischen" Arbeiten - nicht als einer aus ihren Reihen gesehen, sondern immer als Soziologe eingeladen; mit ihm spielten Werner Conze und Reinhart Koselleck eine zentrale Rolle in dieser Neuorietierung, die durch ihren wissenschaftlichen Werdegang im Umkreis von Gunther Ipsen sozusagen als die „Enkel" der Leipziger Schule gelten können. 167 In der Kultursoziologie bzw. Kulturphilosophie weht dagegen auch heute noch, nunmehr im Ubergang von der „industriellen" zur „postindustriellen" Gesellschaft, ein pessimistischer und kulturkritischer „Zeitgeist". Wenn Jürgen Habermas auf die (gewiß nicht von Husserl abzuleitende) Dichotomie von „System" und „Lebenswelt" verweist, 168 so greift er nochmals auf eine derartige kulturkritische These wie Freyer bzw. Simmel zurück. Allerdings hat sich der politische Wertakzent verschoben, wenn nicht völlig umgekehrt, da einerseits die in einem evolutionären Prozeß sich quasi naturgesetzlich vollziehende Ausdifferenzierung des „Systems" nicht mehr mit dem „Fortschritt" identifiziert wird, andererseits aber auch in der „Kolonialisierung der Lebenswelt" 169 die prinzipielle Unmöglichkeit eines Rückzugs konstatiert wird. Die „Objektivationen" des sozialen Systems sind in diesem Sinn kaum noch als Schöpfungen hervorragender Individuen anzusehen, sondern sie sind zu einem unbegriffenen (und vielleicht auch unbegreifbaren) Ergebnis eines „unübersichtlich" gewordenen kollektiven Zusammenhandelns im Rahmen mehr oder weniger unkontrollierbarer Situations- und Systemzwänge abgesunken. Die Kultursoziologie des heroischen Schöpfer-Ichs scheint damit endgültig am Ende zu sein, gleichzeitig aber auch die Hoffnung auf den überragenden Wert und einheitsstiftenden Charakter der Kultur, und es ist zu fragen, ob nicht auch in der Kultursoziologie durch eine sachlichere Rezeption eine „strukturalistische" Erneuerung hätte eingeleitet werden können.
d) Kultur als System:
Stufen und Schichten
der
Gesamtkultur
Eine Gliederung der Gesamtkultur, die - wie ihre Objektivationsformen - hierarchisch geordnet ist nach ihrer Spannung zwischen „Leben und Form", deutet Freyer auf den letzten Seiten seiner „Theorie des objektiven Geistes" noch an: Die grundlegenden und zeitlich frühesten Kulturformen sind die auf die „Gemeinschaft" am engsten bezogenen kulturellen Formen: Sprache, Mythen, Kulte und Sitten und grundlegende Formen des Wirtschaftens, die nur dadurch zur Existenz gelangen, daß eine lebendige Gemeinschaft „gläubig mit ihnen lebt". Darauf baut sich eine zweite Schicht von Kulturformen auf: „Kunst", „Wissenschaft", „Recht", die von der handelnden Gemeinschaft insofern abgelöst sind, als sie bereits einen „objektiven" Zusammenhang ausgebildet haben, „Träger eines Stils" sind. Die systematische Ordnung der Kulturformen wird durch den „Staat" als übergeordnete geistig-soziale Einheit noch einmal einem dritten synthetisierenden Bildungsprinzip unterworfen. 170 Diese (deutlich an Hegel orientierte) hierarchische Ordnung „Glaube-Stil-Staat" ist dann auch die Hauptgliederung des I. Teils des anschließend publizierten Werkes: „Der Staat" (1925), das damit als Fortsetzung der Kulturtheorie einzuordnen ist. Analog zur These einer neuen menschlichen Bewußtwerdung in der bürgerlichen Epoche wertet Freyer nun den modernen Staat, der nicht mehr als „Stellvertreter Gottes" oder als traditionale Herrschaft einer sozialen Gemeinschaft auferlegt ist, vielmehr von ihr als „rationale", d. h. säkularisierte Herrschaft getragen wird, zum „Zusammenschluß einer Gesamtkultur zur Einheit einer Gesamtform" 171 oder zur „Gesamtheit der objektiven Werke der Kultur" auf. 172 Nicht ein organischer „Volksgeist",
172
IV Kultursystem
und
Kulturwandel
sondern die konkrete und kontinuierliche Konstruktion von Sinnzusammenhängen in der Gesamtkultur, die ständige Interaktion von „Leben", „Form" und „Schicksal", soll jetzt als Grundlage dieser neuen, unter dem Prinzip „Staat" zusammengeschlossenen Gesamtkultur gelten. „Schicksal" hat dabei bei Freyer eine konstruktive Bedeutung. Es ist nicht „Zufall" als passiv hingenommene Situation und es ist nicht „Eigenlauf" einer Entwicklung, sondern es ist eine „Folge von schöpferischen Reaktionen durch Selbstgestaltung des Subjekts". Nach einer dreiteiligen Formel: „daß jedes Leben in seiner eigenen Welt lebt, sich in ihr entwickelt und in ihr sein Schicksal findet" (besser sollte es heißen: sein Schicksal in die Hand nimmt), ist das Reich des Lebens aufgebaut. 173 Was hier zunächst so konkretisiert bzw. „säkularisiert" erscheint, wird aber sofort wieder überhöht in einen unerschütterlichen Glauben an die Gestaltung einer neuen Einheit von Kultur und Politik. Die „politische Wendung Europas" werde die vollkommenste sein, weil sie in dem durch Jahrhunderte gewachsenen Kulturzusammenhang des Abendlandes vorbereitet ist; und sie müßte deshalb auch nicht vor dem Gespenst der Zivilisation zurückschrecken. 174 So positiv dieses Vertrauen auf die abendländische Kulturtradition gemeint sein mochte, so konnte doch der große kulturphilosophische Bogen über die europäische Entwicklung mitten in der Krise der zwanziger Jahre nicht mehr überzeugen. Wie in der Soziologie der Herrschaft muß Freyer das Postulat der hierarchischen und metaphysischen Einheit auch in der Kultursoziologie revidieren. Spätestens seit der „Weltgeschichte Europas" läßt Freyer das Postulat vollständig fallen, schwankt aber ebenfalls unentschlossen zwischen unvereinbaren Annahmen: Die polare Auseinanderentwicklung verschiedener Teilsysteme sei nicht aufzuhalten und könnte alles Menschliche vernichten; gleichzeitig bleibt diese doch unüberwindliche Kluft aber eine Erscheinung des epochalen Ubergangs in eine völlig neue Kulturperiode. Die Einheit von „Leben" und „Form", von Struktur und Funktion, von Menschlichkeit und technischer Zivilisation - zwar noch keineswegs erreicht und durch Fehlentscheidungen äußerst gefährdet - bleibt für Freyer der Inbegriff jeder wirklich fundierten Kultur, in der gegenwärtigen Krise unmöglich, aber durchaus denkbar „jenseits der Schwelle", wenn nach dem Ubergang, der sich bisher ganz auf die Gewinnung eines neuen Lebensmilieus und die ihr gemäße Technik konzentriert hat, sich einmal eine neue geschichtliche Epoche der weltumspannenden Industriekultur konsolidieren wird. 175 Wie dieser Ubergang aber ohne die Reziprozität von Objektivation und gesellschaftlichem Vollzug erreicht werden soll, bleibt völlig im Dunkeln. Das „sekundäre System", für Freyer gleichbedeutend mit Entfremdung, soll sich doch in Zukunft einmal „als Jahresring (...) an die Geschichte der Menschheit" anlegen können 176 , wenn durch menschliches Handeln das aber drastisch verengt ist auf ein bloßes Durchhalten - sich der „Kanon" oder das Apriori der Industriekultur manifestieren kann. 177 Das System der Entwicklungsstufen wird also beibehalten, auch die geschichtete Einheit ist nach wie vor nicht auf einen archimedischen Punkt, auf ein geschlossenes System hin gedacht. Jedoch die notwendige Spannung zwischen der Lebenswelt, dem menschlichen Handeln in ihr und der Eigengesetzlichkeit der gegenständlichen Kultur ist dabei nicht mehr reflektiert, die früher so positiv definiert wurde. In seinem ersten Entwurf einer Kulturtheorie bleibt Freyer, trotz aller Anstrengungen, die universalhistorische Gesamtschau zu korrigieren, ganz in der Leipziger Tradition. Die vorangegangenen Stufen der abendländischen Kulturentwicklung von der Epoche des „Glaubens" über die Epoche des „Stils" bis zur gegenwärtigen Epoche des „Staates" werden von ihm mit geschichtsphilosophischer und dialektischer Meisterschaft entwickelt. (1) Die Epoche des „Glaubens" ist zeitlich und strukturell die grundlegendste oder früheste, in Urzeiten der Menschheit ausgelöst durch die „theoretische Wendung des Lebens".
2. Hans Freyers Kulturtheorie
in der Entwicklung
seines Gesamtwerkes
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Die Schwelle vom „Organismus" als „spontaner Kraft" zum „Geist" wird erstmals überschritten (dabei bleibt „Geist" oder Kultur ganz Organismus, jedoch werden alle Teile und Gesetze zu neuem Sinn transzendiert) durch „Mythus", „Kult", und „Sprache": Mythus ist „formgewordene Welt", d. h. kulturüberformte Erklärung der Naturvorgänge 1 7 8 ; in ihm wird die Welt weder „vermenschlicht", noch ist er eine systematische selbständige Gesamtordnung; im Gegenteil zeigt er sich höchst pluralistisch und vielfältig, als eine Welt lebendiger Gestalten, die in gemeinschaftlicher Beziehung mit ihm stehen. Der „Kult" ist „formgewordene Natur", erste kulturelle Umformung der menschlichen Natur, „gleichsam die Formwerdung des Gläubigen selbst". 179 Die „Sprache" transzendiert als Synthese die beiden Kulturformen Mythus und Kult. Sie ist erstens aktuelle Äußerung, spontan wie der Schrei eines Tieres, wie auch aktuelle Äußerung von vorgegebenen Formen; sie ist zweitens als „Kult" zur Gültigkeit erhoben; drittens ist sie „Name", „Zeichen" - genau in der Mitte zwischen Dinghaftigkeit und Intentionalität - eine Ubersetzung des Gegenstandes in eine logische Formel, die ein neues Ich-Welt-Verhältnis begründet: „die Formwerdung der geistigen Beziehung selbst". Die Welt dieser ersten Kulturstufe der „gläubigen Gemeinschaft" ist also: „geformte Welt", „geformtes Menschentum", „geformte Beziehung zwischen beiden". 180 Freyer operiert hier sowohl mit einer binären dialektischen Reziprozität, mit der Spannung zwischen Leben und Form, zwischen Objektivation und sozialem Handeln, gleichzeitig mit dem dialektischen Dreischritt von Form-Leben-Schicksal, gleichzusetzen mit „Mythus-KultSprache" als Strukturformel und mit der (ebenfalls schon beschriebenen) Prozeßformel der dreifachen, sich objektivierenden Ablösung: vom unmittelbaren Erleben der Welt (hier z. B.als Mythus), vom Entstehungszusammenhang in menschlichen Trieben und Wünschen (hier als Kult), und vom unmittelbaren Akt oder Reaktion (als Sprache). 181 Die sehr metaphysische und abstrakte Kulturtheorie in „Der Staat", wird erst nach dem II.Weltkrieg in seiner „Weltgeschichte Europas" und vor allem in seinem letzten Werk „Schwelle der Zeiten" 182 vorwiegend inhaltlich definiert und als Analyse der abendländischen Kulturentwicklung ausgearbeitet. Die in „Schwelle der Zeiten" aufgestellten kultursoziologischen Kategorien der Nomadenkultur: Weg, Wanderung, Kampf Herde, wie auch die Kategorien des „seßhaften Lebens", d. h. der Ackerbaukultur: Hegen, Stauen, Bauen und Werken, Bannen, Arbeiten und Haushalten, sind Ausformungen der kulturellen Entwicklungsstufe, die Freyer schon 1925 unter der Kategorie „Glaube" gekennzeichnet hat. Die Kategorien des „seßhaften Lebens" von 1965 explizieren die Kategorien Mythus, Kult und Sprache von 1925: „Hegen" als „Heiligung" von Räumen und Gegenständen; Sprache und Mythus als „gehegte Zeit"; „Stauen", „Bauen" und „Werken" als früheste Wirtschaftsformen an Mythus und Kult gebunden - bereits in „Der Staat" weist Freyer auch auf den kultischen Ursprung des Wirtschaftshandelns hin. 183 Die „Schwelle der Zeiten" erweist sich, zumindest was die Theorie der frühen Kulturstufen anbelangt, als die inhaltlich und kultursoziologisch ausgefüllte Kulturtheorie des „Staats". Freyer verwendet, wenn auch jetzt nicht mehr abstrakt-theoretisch entwickelt, immer noch das gegensätzliche Begriffspaar „Gerät-Gebilde", in den Charakterisierungen der Häuser und Werkzeuge als „dienende" im Gegensatz zu „triumphierenden" Gegenständen (z. B. Kunstwerke), oder auch in der Charakterisierung der Kunst in frühen Kulturstufen, die keine „Werke", sondern „Geräte" oder „Idole" herstellt. Mythus und Kult als typische Struktur der Vielgötterreligionen werden nun mit zahlreichen Beispielen aus der griechischen und babylonischen Geschichte belegt und mit Bezügen auf neue kulturanthropologische Arbeiten untermauert (Arnold Gehlen, Mircea Eliade). Der „Kult" als spannungsreiche „formgewordene menschliche Natur" wird unter dem Begriff „Bannen" in seinem Doppelsinn geschildert: die Ackerbauriten
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IV Kultursystem
und
Kulturwandel
einerseits als aktives Einwirken und menschlicher Entschluß - sie zwingen Hilfe herbei oder besänftigen den Zorn der Götter; „andererseits bannen sie das schon durch die Sitte und durch die N o t w e n d i g k e i t der Sache befestigte Tum der Menschen in zusätzliche Regeln, normieren seine Ausführung und seine Zeiten". 1 8 4 (2) Freyers Theorie der Hochkulturen ist ebenfalls theoretisch bereits in „Der Staat" als Epoche des „Stils" vorbereitet u n d w i r d kultursoziologisch in „Schwelle der Zeiten" ausgearbeitet. In beiden Werken w i r d der entscheidende U m b r u c h zur Hochkultur mit dem Terminus „Die gegenständliche Wendung des Geistes" gekennzeichnet. 1 8 5 Nachdem im grundlegendsten, zeitlich auch frühesten Kultursystem die Kulturformen als „Geräte" oder „Zeichen" sich lediglich vom unmittelbaren Erleben abgelöst haben (auch hier der dreiteilige Objektivations- und Rückbindungsprozeß) und sie ihre Bedeutung als „Werkzeuge" oder „Idole" umgekehrt alleine wieder aus dem Lebenszusammenhang schöpfen, 1 8 6 verselbständigen sich die Kulturformen nun in einem zweiten Objektivationsschritt aus diesem Entstehungszusammenhang des menschlichen Lebens u n d entfalten eine unabhängige Formgesetzlichkeit, die nicht alleine menschlich bedeutungsvoll, sondern eigengesetzlich, d. h. „wissenschaftlich" erfaßbar ist. Die tragenden Kulturformen der Epoche des „Stils" oder der H o c h k u l t u r sind nun „Wissenschaft", „Kunst" und „Recht", konzipiert als „Antithese" von „ M y t h u s " , „Kult" und „Sprache". Die U m f o r m u n g der N a t u r geschieht nun nicht mehr im M y t h u s , sondern in absoluter Gegenständlichkeit in der Kunst - sie bleibt nicht begrenzt auf den A u s d r u c k des Lebens,, sie ist das objektivierte Leben einer Hochkultur. Der zeitgenössische Kampf u m die „absolute Form" in der modernen Kunst klingt hier an, und z w a r als Eigenheit der Epoche der Hochkultur. Eine ebenso absolute Vergegenständlichung löst den „Kult" von seiner Gebundenheit an die menschliche N a t u r und läßt ihn im „Recht" aufgehen, das nun als „ewige O r d n u n g " souveräne Gültigkeit hat, das nicht stirbt, auch wenn es nicht geübt w i r d und dessen Verletzung nur seine absolute Gültigkeit bestätigt. N u n erstellt nicht die Gemeinschaft akzeptable Regeln des Zusammenlebens, im Gegenteil - es w i r d „im Recht die Menschenwelt zu einer F o r m erhoben, die absolut ist gegenüber der Menschenwelt selbst". 1 8 7 Die in den zwanziger Jahren umstrittenen Begriffe des „Naturrechts" oder auch des „reinen Rechts" w e r d e n hier als typische Rechtsformen der Epoche der H o c h k u l t u r eingeordnet. A u c h die „Wissenschaft" ist eine tragende Kategorie der Hochkultur, in der die „Sprache", die in der Epoche des „Glaubens" noch unmittelbar ans Leben gebunden war, zur absoluten F o r m aufsteigt. Sie nimmt die „tiefste Verwandlung" an der natürlichen Struktur des Menschen vor; denn sie schafft ein System von objektiven Relationen, die in sich geschlossen sind und vom menschlichen Subjekt unabhängig sein müssen. „Wissenschaft" als absolutes System völlig neutraler Objekte und Beziehungen, das auf das Ziel gerichtet ist, einmal im System aller Wissenschaften, im logischen Zusammenhang ihrer Axiomensysteme das Universum als absolute O r d n u n g z u begreifen, nimmt den Menschen in diese Absolutheit hinein. Freyer steht dieser „Objektivation" durchaus nicht negativ gegenüber: „Der Mensch denkt sich hier, als w ä r e er selbst keiner. Er setzt sich gleichsam absolut gegenüber sich selbst, u m sich als Realität in das große System der Relationen einrechnen zu können". U n s c h w e r erkennt man hier die Anspielung auf die damals aktuelle Diskussion über die „Wertfreiheit" u n d Objektivität der wissenschaftlichen Erkenntnis. Es geht Freyer in diesem Theorieaufbau eindeutig nicht nur u m die Charakterisierung vergangener Epochen; seine strukturgenetische These, daß einmal entstandene historische Gegenheiten im folgenden immer potentiell vorhandene Möglichkeiten bleiben, enthielt immer auch die Vision einer nun neu entstehende moderne Hochkultur. Daß er 1925 noch einen „klassischen" Begriff der Objektivität vertrat
2. Hans Freyers Kulturtheorie
in der Entwicklung
seines Gesamtwerkes
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und erst 1930, in der Wirklichkeitswissenschaft, zu einer „reflexiven" Objektivität fand, ist ebenfalls deutlich erkennbar. 188 Viel später, in „Schwelle der Zeiten", weist Freyer das „harte Recht" und die Kunst immer noch als grundlegende Kategorien der Hochkultur auf, nur spricht er jetzt nicht mehr formal von Objektivationsformen und ihrer dialektischen Transzendierung, sondern belegt seine im Grunde gleichbleibenden Theoreme mit historischem Material und soziologischen Thesen. Der Abschnitt über den „triumphierenden Gegenstand" beschreibt die Vergegenständlichung nicht in der rigorosen Weise, wie er die logische Deduktion 1925 durchgeführt hat; aber dennoch bleibt das „herstellende Tun" ein Prozeß, dessen Gliederung nach wie vor nicht aus der subjektiven Bedürfnisbefriedigung kommt, sondern „aus dem in Gedanken vorausgeworfenen, dann allmählich zur Bündigkeit sich fügenden Gegenstand, der im Herstellen entsteht". 189 Auch jetzt löst sich der Gegenstand vom Tun ab, steht dem Herstellenden gegenüber, überdauert den Gebrauch und wird Teil der objektiven Werkwelt. Es ist die gleiche These wie in „Der Staat", aber nun abgestützt durch einen Verweis auf Hannah Arendts „Vita Activa". Auch jetzt gipfelt der Sachverhalt der Vergegenständlichung im Kunstwerk als totaler Selbstgenügsamkeit des Gegenstandes, und immer noch verbindet Freyer, sich auf Hegel beziehend, die dialektische Bewegung zwischen Entfremdung des Menschen in der Objektivation und der daraus erfolgenden „Transzendenz des Menschlichen im Diesseits", jetzt aber mit dem Gedanken H . Arendts vom Kunstwerk als einem „Wink möglichen Unsterblichseins". In der hohen Kultur ist nach wie vor alles Tun „demiurgisches Tun" mit dem geheimen Ziel, „diese Welt zu voller Gegenständlichkeit zu objektivieren". Die Zerstörung des geschlossenen Horizonts der „gemeinschaftlichen" Welt durch die „reine Form" wurde 1925 noch expressionistisch dargestellt: „(...) aus lauter absoluten Formen ein Ring geschmiedet; nicht Horizont eines Lebens, sondern Werk eines Geistes (...)". Der Gegenpol: Die Menschen als ihnen absolut Untertane. 190 1965 ist dagegen von der absoluten Herrschaft der reinen Form nicht mehr die Rede. Jetzt ist die Werkwelt der hohen Kultur kein Ganzes aus einem Guß. Die demiurgische Leistung wird jetzt erbracht durch „viele schöpferische Kräfte, miteinander konkurrierend, einander übertrumpfend", und die Stileinheit ist lediglich ein ästhetischer Eindruck a posteriori - man darf dahinter kein einziges geistiges Prinzip annehmen. 191 Hier liegt der gravierendste Unterschied zur frühen Konzeption. Dort bedeutete die dialektische Verschränkung von „Wissenschaft, Kunst, Recht", ihre Synthese im Begriff des „Stils", noch ein einheitliches „geistige Prinzip", auch wenn es als „gegenständliche Wendung des Geistes" nicht mehr „idealistisch" verstanden werden sollte. Die Dialektik in ihrer strengen Durchführung These-Antithese-Synthese ging anfangs doch immer auf die Emanation eines einheitlichen Prinzips hinaus. Erst in der späten Kulturtheorie hat Freyer sich davon befreit und den vielschichtigen Prozeß zwischen dieser „gegenständlichen Wendung des Geistes", den politischen Herrschaftsformen, der Ethik und der Religion in soziologischen Zusammenhängen gesucht, sie aber doch nach wie vor in eher metaphorischen, bildhaften Bezeichnungen dargestellt. „Landnahme" und „Herrschaft" bleiben auch jetzt die Übergänge zur Hochkultur; sie können jedoch nicht immer als gewaltsame Ausbeutung der Besiegten (wie L. Gumplowicz und Franz Oppenheimer den Ursprung der Hochkultur vereinfacht haben) verstanden werden, sondern sozusagen „sanft" in einem langen Prozeß des Einmischens und der gegenseitigen Beeinflussung von Bodenständigen und Zuwanderern geschehen. In „Der Staat" war der Ursprung der Epoche des Stils noch das „absolute Gebilde von Herren und Hörigen", ebenbürtig absolut wie die absoluten Formen des Geistes, ohne Beziehung auf das lebendige Subjekt. „Die ständisch zerteilte, herrschaftlich zusammengehal-
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IV
Kultursystem und
Kulturwandel
tene Gesellschaft liefert den Formen des Stils dasjenige Subjekt, dessen sie bedürfen": Den „Hörigen", der in diesen Formen lebt, ohne zu verstehen, die „amorphe Masse" und den „Herren", der dieser Absolutheit gewachsen ist und die Kraft hat, mit ihnen zu leben, ohne sie zu Geräten des Lebens werden zu lassen.192 Die Krönung dieses früheren Systems ist dann gerade „das Genie", der Demiurgos, der einsame Verneiner der Gemeinschaft, der sich nur im Werk verströmt und Formen schafft, dabei sein Leben opfert. 1965 erscheint die Darstellung der ständischen Herrschaft als typische Herrschaft einer Hochkultur: „durch Macht Ordnung stiften", zwar als intendierter Dauerzustand, der jedoch immer durch weiterwirkende Leistungen und Kräfte aufrechterhalten werden muß 193; und die Herrschenden bedürfen gerade des ständigen Drucks und Gegendrucks der Untertanen, um die große kulturelle Integrationsleistung der Rechtssysteme, der Bauten und Werke zu vollbringen. Der Gedanke der „Kultur der Wenigen" bleibt, wie die Genialität der Künstler, Merkmal der Hochkultur, aber nun kultursoziologisch begründet durch die stete Steigerung der Ansprüche dieser Herrschaftsform, die die schöpferischen Kräfte in Gang setzt und aus den Regeln der Zünfte befreit, die die Künste aber auch gerade deswegen frei und souverän werden läßt, weil die Herrschenden geistig in dieser Dynamik überfordert waren und aus reinem Prestigedenken den Künsten freien Lauf lassen mußten. Nicht mehr das „Opfer des Genies" ist die ausschlaggebende Kraft, vielmehr der „eigentliche Triumph des Gegenstandes". Die „realistische Wendung" in der Kultursoziologie Freyers fand ihren ersten Niederschlag in Freyers „Weltgeschichte Europas" (1939 bei Kriegsausbruch bewußt von ihm in Angriff genommen, um sich den Schrecken des Krieges geistig zu widersetzen), einer äußerst komprimierten und auf die markanten Grundstrukturen und -prozesse konzentrierten Kulturgeschichte des Abendlandes. Hier sind seine kulturtheoretischen Grundkonzepte: kulturell geformte Begriffe von Raum und Zeit, der sozialen Gemeinschaft und politischen Herrschaft, die „Objektivation" in Kultursystemen des Rechts, der Kunst, der Politik - jeweils in ihren typischen Uberschichtungen zum ersten Mal ohne idealistische Metaphysik durchgeführt. 194 Die Kategorien einer Hochkultur, wie die gestaltete Landschaft, die Städte als Mikrokosmos, die sternförmigen, auf ein geistiges und politisches Zentrum hin gebildeten Straßensysteme, die Häfen und Schiffe als Garanten der Herrschaft, ebenso wie die Götterwelt als sichtbare Form des hohen Lebens - alle diese historisch-idealtypisch dargestellten Ausformungen 195 haben zur „Form im Geiste des Stils" (1925), von „Herren" getragen und vom „Genie" aufopfernd geschaffen, keine rechte Verbindung mehr. Trotzdem bleibt anzumerken, daß die „realistische Wendung" dieser Geschichts- und Kulturphilosophie nicht zu einer empirischen Kultursoziologie geführt hat. Denn auch die späteren Freyerschen Begriffsbildungen, wie der „triumphierende Gegenstand", die „verzauberte Landschaft", oder auch das „harte Recht", können nicht als Idealtypen zur qualitativen wissenschaftlichen Analyse benützt werden und das war von Freyer auch gar nicht beabsichtigt. Seine „Beiträge zur Soziologie der Kultur" (so der Untertitel zu „Schwelle der Zeiten") bleiben im Grunde kulturphilosophische Essais, in denen der „Geist" einer Epoche mit literarischer Brillanz interpretiert wird. (3) Die letzte, in die Gegenwart (1965) ausmündende Kulturstufe bildet die Industriekultur, die insofern dem „Kulturstaat" entgegengesetzt ist, als von einer deckungsgleichen Einheit von Staat und Kultur nicht mehr die Rede sein kann. Wiederum ist diese Wendung ein „Gestaltumschlag" des Gesamtsystems: Das Ergebnis einer „Generalisierung" der vom Bürgertum entwickelten ökonomischen Mittel, die nun systematisch miteinander verbunden und für die Massenproduktion eingesetzt werden. Der Ursprung dieses Gestaltumschlags ist nach Freyer jedoch wesentlich tiefer in einem Umschlag des Systems der Religion anzusetzen, nämlich im
2. Hans Freyers Kulturtheorie
in der Entwicklung
seines Gesamtwerkes
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„Einbruch der Transzendenz in die Geschichte", in dem die pluralistische Götterwelt durch den „einen Gott" des Judentums ersetzt wurde. Freyer greift hier viel weiter zurück als Max Weber, der den Beginn der Industrialisierung in der „Protestantischen Ethik" und ihrer säkularisierten Arbeitshaltung sieht. Jahwe, ursprünglich zwar der Gott des jüdischen Volkes, ist durch das Christentum zum Gott der Weltgeschichte geworden, der damit das Individuum aus seinen Stammesbindungen loslöst und es geradezu in seiner Vereinzelung und individuellen Freiheit erst ermöglicht. 196 Die theoretischen Grundannahmen Freyers bleiben auch bei diesem Ubergang die gleichen: Wiederum geht er von einem System des Nacheinanders aus, von Stadien, die eindeutig voneinander getrennt sind und eine Einheit für sich darstellen, dennoch aufeinander aufbauen. Was sich ändert, ist der Akzent auf eines der Entwicklungsprinzipien, die in seinem schichtenmäßigen Aufbau schon impliziert sind. War die Hochkultur vom Prinzip der in sich geschlossenen Form bestimmt, so wird die Epoche der Industriekultur nun von einem dynamischen Prinzip, vom Fortschritt und einer zunehmenden Säkularisierung getragen. Das Fortschrittsprinzip zieht sich latent zwar durch die ganze Menschheitsgeschichte hindurch, nun wird es jedoch zum dominanten und verallgemeinerten (damit aber auch trivialisierten) Prinzip. Die Systeme der Industriekultur sind von der Eigendynamik der „sekundären Systeme" bestimmt; sie bilden die Antithese zum in sich geschlossenen „Gebilde" der Hochkultur, denn sie verselbständigen sich, ohne daß noch eine „geformte Gemeinschaft" als Gegengewicht gedacht werden kann. 197 Bis in die sprachliche Gestaltung hinein kennzeichnet Freyer diese Veränderungen: Die Kategorien des seßhaften Lebens hat er anhand von Verben gekennzeichnet, als „Tätigkeitswörter" charakteristisch für die Handhabung von Geräten (hegen, bauen, bannen etc.); für die Kategorien der Hochkultur stehen Substantiva als Ausdruck von Seinszuständen oder geschlossenen „Gebilden" (Recht, Gegenstand, Landschaft etc.). Für die Charakterisierung der Industriekultur benützt er dagegen mediale Prozeßbegriffe, die eine totale Vereinnahmung des Menschen ausdrücken sollen: „Produktion", „Konsum", „Serie", „Anpassung"; auch die Kategorien „sozial" und „Sicherheit" haben keinen Klang von menschlicher Aktivität mehr in sich. Es geht ja nicht mehr um Prozesse, die von der sozialen Gemeinschaft bewirkt oder getragen werden müssen, sondern um Wandlungen eines Systems, das seine eigenen Gesetzmäßigkeiten rigoros entfaltet, es gilt die Verselbständigung und Automation (sozusagen die „Un-Menschlichkeit") der Strukturen hervorzuheben. Die säkularisierte bürgerliche Gesellschaft mit ihrer dualistischen Struktur von Bourgeoisie und Proletariat entwickelt sich nun zur vereinheitlichten „Arbeitsgesellschaft" - zu einer Art „Nachbürgertum". In der Aufbrechung der Klassengesellschaft, der Ausdehnung des tertiären Sektors der Dienstleistungen und der allgemeinen Hebung des Bildungsniveaus (die eigentlich doch sehr positive Tendenzen der modernen Gesellschaft darstellen), sieht Freyer keine positiv definierte neue „Alltagskultur" entstehen; vielmehr gibt es nur neue Konsummuster (Motorisierung, Ferienreisen, Wohnkomfort), die für Freyer offensichtlich keine kulturelle Eigenleistung des einzelnen mehr voraussetzen. 198 Auch bei der Charakterisierung der für das System konstitutiven Kultursektoren der Arbeitswelt, der Wissenschaft, der Kunst und Literatur, überwiegen resignative, wenn nicht pessimistische Züge. Obwohl er z. B. die Arbeitswelt einerseits als vielschichtige Integration alter und neuer Arbeitsformen darstellt, ist sie andererseits dann doch wieder ganz vom Prototyp des Industriebetriebs vereinnahmt. Rationalisierung, Ersatz personaler Verantwortung durch Funktionszuordnungen usw. führen zur Bevorzugung eines neuen Typs des Arbeitnehmers, dem „Anstelligkeit, Disziplin, Pünktlichkeit, Bereitschaft zur
178
IV Kultursystem
und
Kulturwandel
Kooperation", wichtiger sind als Selbstverantwortung. A u c h w e n n in diesem System Mechanismen der Selbstkorrektur eingebaut sind, die (ζ. B. über neue Arbeitsaufgaben oder auch über die längere Freizeit) Möglichkeiten zur Entfaltung der Persönlichkeit bieten, bleibt Freyer dennoch skeptisch und hier auch wenig dialektisch: das Bewußtsein der unbewältigten Probleme überwiegt die H o f f n u n g e n auf eine positive Fortsetzung der Kulturentwicklung. Im ganzen haben Freyers Ausführungen einen viel pessimistischeren Ton als etwa Arnold Gehlens Hoffnung, es könne auch unter den gegenwärtigen technischen Anfechtungen noch „Persönlichkeit" möglich sein, d. h. die anspruchsvollen Tendenzen des Geistes im Apparat selbst zur Geltung zu bringen. Daran anschließend hofft einer der noch lebenden Schüler Freyers, Franz Zwilgmeyer, ebenfalls auf eine neue Sozialform, die über „Apparat" und „Masse" hinausführen könnte: die „Persongemeinschaft". 1 9 9 Freyer stellt lediglich in der Entwicklung der Wissenschaften positivere Trends dar, die durch die Naturwissenschaften in Gang gesetzt w o r d e n sind. Die Kultur- und Geschichtswissenschaften haben zu abstrakten Denkmodellen gefunden, die die Vieldimensionalität geschichtlicher Situationen erfassen können u n d ihre Resultate nicht mehr als „Synthesen mit Endgültigkeitsanspruch" zusammenschließen - eine neue A r t der Aufklärung, die eine offene Welt des Wissens schafft. Desgleichen konstatiert er einen Wandel der Kulturkritik, die allmählich aus ihrer traditionellen Rolle des „Richters" über das ganze Zeitalter herausfindet und nun eher die Einstellung des „Physiologen oder des Zeithistorikers" annimmt, der den Ablauf eines Prozesses mit „innerer Beteiligung, doch mit der des Theoretikers", beobachtet. Damit sieht er sowohl die zunehmende Verschränkung und Überschneidung von früher scharf geschiedenen Ideologien, als auch ein Aufbrechen monolithischer Denkmodelle einhergehen, die aber für ihn notwendigerweise zur Ideologisierung anderer kultureller Bereiche, wie Kunst und Literatur, führen. Trotz der Anerkennung einiger durchaus hoffnungsvoller Grundzüge der Industriekultur in Richtung größerer Komplexität, Beweglichkeit u n d Offenheit besteht Freyer auf der Eigendynamik der „sekundären Systeme", die diametral entgegengesetzt zur schwindenden Selbstbestimmung des Individuums ständig zunimmt. Er hat sich den neuen Wissenschaften offenbar nicht mehr anschließen können und findet in seinem Spätwerk zu keiner positiven Konzeption, die diese Charakteristika in einem neuen Systemkonzept vereinigen könnte. Z u m Teil mag dies daher rühren, daß Freyer doch noch am Kulturkonzept seiner Jugend haftet (unter dessen Einfluß er sein erstes - und einziges systematisches - kulturphilosophisches Werk geschrieben hat), nämlich der bürgerlichen Hochkultur, die sich in einem Kulturstaat vollendet; z u m Teil ist es aber auch das Ergebnis seiner deduktiven theoretischen Konstruktion, die sehr stark von ontologischen Kategorien ausgeht - Tätigkeit, System, Prozeß - und jeweils einen Umschlag der Prinzipien postuliert, ohne auf die tatsächlich viel komplexeren Interaktionen und N e t z w e r k e der Menschen einzugehen. In dieser rigorosen theoretischen Konstruktion ging die politische Dimension, die Freyers Arbeiten über Technik, Gesellschaft und Politik so fruchtbar gemacht hatten, völlig verloren. Die politische Planung als Sphäre der Geschichtsführung, die die D y n a m i k veränderbar macht, k o m m t nicht mehr vor. 200 Wenn man ihm, v o m Aspekt der Politischen Soziologie gesehen, zugute halten kann, daß er die politische Herrschaft u n d ihre Legitimation durch ihre Subjekte nicht aus den A u g e n verloren hat, m u ß man im Rahmen seiner Kulturtheorie feststellen, daß die politische Dimension nicht mehr z u m Tragen kommt; denn das gesamte System der Industriekultur ist „sekundäres System", das sich, hart wie Zement, über die Erde gelegt hat, und der Staat ist völlig in die Verselbständigung der sekundären Systeme mit eingeschlossen, als Hypertrophie bürokratischer Funktionen, als „despotisme administratif". 2 0 1 Die Entwicklung hin zur
3. Erfolg und Scheitern der Freyerschen Kultursoziologie
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Bürokratisierung, zu Interessenverbänden und Großinstitutionen, auch die doppelte, ebenbürtige Ausprägung der Industriekultur im westlichen Sozialstaat und im zentralistischen K o m m u n i s m u s , hat F r e y e r zwar prägnant dargestellt; aber „das Politische" als E b e n e der Integration von Selbstläufigkeit der T e c h n i k und Gestaltungskraft des kollektiven „Willens" fehlt. I m m e r wieder deutet er zwar komplexe Zusammenhänge an, führt sie aber dann nicht weiter aus. E r schreibt beispielsweise sowohl über die Möglichkeit der Verschmelzung der Industriekultur mit anderen kulturellen Traditionen und von der positiven C h a n c e , die die modernen Institutionen gerade durch ihre Partialität und „ E n t f r e m d u n g " für andersartige Kulturen bieten k ö n n e n 2 0 2 , wie er auch auf die Kybernetik, das neue Prinzip der R ü c k k o p p lung und auf „ultrastabile" Systeme (nach A s h b y ) hinweist, oder auch die Möglichkeit anspricht, partielle Struktureinheiten in einer Komplexität zu sehen, die „viele Potenzen höher liegt als selbst in den kompliziertesten H o m ö o s t a s e n " . 2 0 3 Vielleicht hätte er den entscheidenden Schritt zur Anwendung dieser Ideen in seinem letzten, unabgeschlossenen W e r k , der „Theorie der Industriegesellschaft", noch leisten können. 2 0 4 So ist aber seine Kulturtheorie letztlich unvollendet geblieben, genauso wie seine Politische Soziologie unter widrigen Zeitumständen nur begrenzt ausgearbeitet werden konnte. T r o t z d e m ist letztere ihm in all ihren Einschränkungen doch eher gelungen. D o r t , w o er Widersprüchlichkeiten gelten ließ, war sein soziologisches D e n k e n doch am fruchtbarsten.
3. Erfolg und Scheitern der Freyerschen Kultursoziologie D e r Versuch einer rein wissenschaftlichen E i n o r d n u n g und Bewertung der Freyerschen Kultursoziologie bleibt eine Frage der hervorzuhebenden analytischen D i m e n s i o n e n und der Maßstäbe, damit aber implizit auch eine Frage unserer eigenen O r t s b e s t i m m u n g in dem zweifellos gewonnenen historischen Abstand, der uns jedoch nicht der Begrenztheit und Parteilichkeit unserer eigenen historischen Perspektive enthebt. Man muß generell infragestellen, o b eine streng fachsoziologische B e w e r t u n g überhaupt möglich ist, nachdem einerseits doch von einem allgemeinen Scheitern der kultursoziologischen Begründungsversuche in den zwanziger und dreißiger Jahren auszugehen ist 2 0 5 , und andererseits auch H a n s Freyer selbst kaum je von „Kultursoziologie" redet, vielmehr stets beansprucht, für die „Kulturwissenschaften"
im allgemeinen zu sprechen. 2 0 6 In diesem P u n k t aber unterscheidet sich die
Kultursoziologie Freyers nicht grundsätzlich von der Alfred Webers, der den Terminus „Kultursoziologie" in der deutschen und internationalen Fachsprache durchgesetzt hat, o h n e jedoch wesentlich Spezifischeres für die begriffliche oder methodologische Begründung der Kultursoziologie beigetragen zu haben. 2 0 7 D i e eigentliche Problematik der „kulturwissenschaftlichen" Soziologie Freyers (oder das D i l e m m a ihrer Bewertung aus der engeren „kultursoziologischen" Perspektive von heute) liegt darin, daß sie stets „allgemeine" Kultursoziologie
ist,
ohne
je
„speziell"
zu
werden,
und
daß
sie
kühn
versucht,
die
(nur
geschichtsphilosophisch zu begründenden) „ G r o ß p e r i o d e n der Menschheitsgeschichte (...) auf F o r m e l n a b z u z i e h e n " 2 0 8 , ohne diese makrohistorischen Einheiten in ihrer sozialen P r o zeßstruktur auf den untergeordneten E b e n e n hinreichend empirisch erhellen zu können. B i s zuletzt gilt sein Bestreben einem extrem abstrakten Kategoriensystem der „Kultur- und Geschichtsphilosophie", das in den Hegeischen Begriffen von „Entfremdung, Vergegenständ-
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IV
Kultursystem und Kulturwandel
lichung, Verdinglichung" immer gleich u m die „Wirklichkeit" (oder „ E n t w i r k l i c h u n g " ) des M e n s c h e n 2 0 9 , bzw. u m das Schicksal des „ G e i s t e s " 2 1 0 kreist. Gerade weil die „Kulturwissenschaften fähig geworden sind, das P r o b l e m des Strukturzusammenhangs einer K u l t u r empirisch in Angriff zu n e h m e n " , 2 1 1 fühlt sich F r e y e r veranlaßt, in n o c h höhere E b e n e n der Abstraktion hinaufzusteigen. A u f diese Weise aber verflüchtigt sich auch seine K u l t u r s o z i o logie gewissermaßen ins Allgemeine: Z w a r ist sein G e s a m t w e r k eine ins G r o ß e entworfene Kultursoziologie oder vielmehr Kulturphilosophie - auch seine „Politische Soziologie" ist, wie nachzuweisen versucht worden ist, im wesentlichen Kultursoziologie oder „Kulturpolit o l o g i e " - , aber spezielle kultursoziologische Analysen (etwa ü b e r die Literatur oder K u n s t , die Wissenschaften oder auch die kritisierte Massenkultur) finden sich selten, bzw. sie gehen über ein gerafftes sekundäranalytisches Referat nicht hinaus. Wenn es aber zu explizit kultursoziologischen Ausführungen k o m m t , verbleiben sie ganz im K o n t e x t einer systemtypologischen Makroanalyse: eine T h e o r i e der „Kulturstufen" steht am A n f a n g („Theorie des objektiven G e i s t e s " , 1923) und am E n d e („Schwelle der Z e i t e n " , 1965) seines Werkes; immer geht es u m den epochalen Perspektivenwechsel. Freyers Kultursoziologie ist eine T h e o r i e des epochalen Übergangs (oder später, wenn N o m a d e n t u m und Ackerbaukultur explizit einbezogen werden und das E n d e der Industriekultur angekündigt wird, der E p o c h e n - U b e r g ä n g e der Menschheit), d. h. aber auch: sie hat keinen empirischen B o d e n ; denn gerade im Ubergang ist alles unsicher, täuscht der phänomenale Schein, sind die wesentlichen Tendenzen der Zukunft in den Überschneidungen der Gegenwart kaum zu entwirren. Insofern ist sie - und kann und will sie nichts anderes sein als -
spekulative „Kulturtheorie" oder „kritische
H i s t o r i e " in dem doppelten Sinn, daß nicht nur eine „Abrechnung mit der Vergangenheit" v o r g e n o m m e n wird, sondern auch ein „neuer A n f a n g " gemacht wird. 2 1 2 Freyers Beitrag zur Kultursoziologie kann also gewiß nicht verstanden werden als ein Beitrag zu einer empirischen Kultursoziologie, die ja notwendigerweise eine Spezialsoziologie sein muß (bzw. sich heute weiter in viele Subspezialitäten von der Literatur- und M u s i k - oder Kunstsoziologie bis zur Soziologie der Massenkommunikation, der Freizeit oder des Sports aufspaltet). Was von dieser Seite als ein M a n k o erscheint, kann für die theoretische Weiterentwicklung der Soziologie bzw. für die Diffusion der soziologischen Sichtweise in die anderen Wissenschaften hinein aber als ein unschätzbarer Vorteil angesehen werden: daß nämlich nun die G e s c h i c h t s - und Kulturphilosophie direkt Eingang gefunden hat in eine systemtheoretisch konzipierte M a k r o s o z i o l o g i e bzw. daß die kulturwissenschaftliche Perspektive sich nun zwanglos mit der Analyse von Politik und Wirtschaft, Technik und Wissenschaft verbindet, ohne daß die geisteswissenschaftliche gegen eine natur- oder sozialwissenschaftliche Interpretation ausgespielt werden könnte. Freyers Kultursoziologie steht an der Schnittstelle zwischen Philosophie und Soziologie, und insofern an einer „ m o d e r n e n " Schnittstelle, als parallel mit der „Entsakralisierung" der K u l t u r auch eine „Soziologisierung" der philosophischen Reflexion einhergeht. Was auf der einen Seite (der empirischen soziologischen Disziplinen) als G e f a h r der „spekulativen Verführung" erscheint, erhöht auf der anderen Seite doch das Reflexionsniveau und erweitert den historischen H o r i z o n t der gesellschaftlichen Selbstinterpretation, die nun nicht mehr allein den Prinzipien ö k o n o m i s c h e r oder technischer Effizienz oder politischer O p p o r t u n i t ä t folgen kann, sondern auf einen (in irgendeiner F o r m ) systemgeschichtlichen Zusammenhang ausgerichtet sein muß. Diese Leistung ist aber vor allem in politischer
Hinsicht
nicht geringzuschätzen,
wenn
man
die kulturpolitischen
Fronten
bedenkt, die intranational durch den „ K u l t u r k a m p f " im wilhelminischen R e i c h und international durch den I.Weltkrieg und den Versailler Vertrag aufgerissen worden sind. A u f
J. Erfolg und Scheitern der Freyerschen Kultursoziologie
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diesem Hintergrund scheint eine Polarisierung der kultursoziologischen Grundbegriffe (Kultur vs. Zivilisation, Kultur vs. Natur, Kultur vs. Geschichte) wie auch der kulturpolitischen Dogmen und „Schulen" selbst (bürgerliche vs. marxistische, völkische vs. individualistische Kulturauffassung) unvermeidlich gewesen zu sein, so daß gerade die Kulturpolitik und die kulturwissenschaftliche Programmatik zu einem Mittel der politischen Desintegration zu werden drohte. Unter diesen Bedingungen bleibt für eine Kultursoziologie, die sich nicht in bloß negativer „Kulturkritik" erschöpfen will, die vielmehr konstruktiv sein und zum Wiederaufbau Deutschlands bzw. Europas beitragen möchte, fast keine andere Wahl, als sich dem Einheitsgedanken zu verschreiben und die einigende Kraft in einer idealisierten Kultur zu suchen, gerade in der Zeit, als in den „realsoziologischen" Spaltungen und Umschichtungen, in den sozialen Auflösungsprozessen und Entinstitutionalisierungserscheinungen jede Integration verloren zu gehen drohte. Der Begriff der Kultur wurde damit aber unvermeidlicherweise „zu hoch" angesetzt. Das heißt einmal, die Kultur konnte nur als makrosoziologische Größe verstanden werden: vor dem Krieg als deutsche Nationalkultur, nach dem Krieg als „abendländische" oder mehr oder weniger gesamteuropäische Kultur. Daß die Kultur auch eine mikrosoziologische Größe ist, wurde immer noch durch das neuhumanistische Konzept der Korrespondenz von Makround Mikrokosmos, von Nationalkultur und Persönlichkeitskultur überbrückt, wobei diese Uberbrückung bereits durch die „Sprache" oder jedenfalls durch die kanonisierten Kunstwerke der Nationalkultur oder abendländischen Kultur geleistet werden sollte. Insbesondere aber wurde alles Kulturelle zu sehr der Kategorie „Geist" angenähert, damit jedoch einerseits die Verführbarkeit des „Geistes" übersehen (und die Funktion der Intellektuellen glorifiziert) und andererseits ein schroffer Gegensatz zur Alltags- und Trivialkultur, zum kulturellen Massenkonsum und zur Unterhaltungskultur gesetzt. Daß bei dieser Überheblichkeit der „Geist" im Alltag wenig fruchten konnte, daß Avantgarde und Massenpublikum sich ohne Verständnis gegenüberstanden, ja daß aus der „geistigen Kultur" keine „politische Kultur" erwuchs, wurde nur allzuleicht mit der These von der „Ohnmacht des Geistes" entschuldigt. 213 Außerdem wurde in den Kulturwissenschaften die Kultur zu sehr in die „Objektivationen" verlagert, vor allem in die Kunstproduktionen, aber auch in die hochkulturellen Institutionen, so daß die Berücksichtigung der tatsächlichen sozialen Aktualisierung der Kultur in Kommunikation und Interaktion, durch die alten und neuen Medien wie durch die zunehmende soziale Mobilisierung zu kurz kam. Wenn Freyer auch stets die Notwendigkeit der Aktualisierung betonte, so blieb diese Prozeßkomponente - indem er sich mehr mit „Inhalt" und „Form" des Kulturgegenstandes beschäftigte - doch soziologisch weitgehend unausgeführt. Dem Ziel, durch die Betonung der „Objektivation" oder „Konkretion" der Kultur den weltanschaulichen Deutungen des 19. Jahrhunderts zu entkommen, steht das Defizit gegenüber, daß ohne diese Prozeßkomponente die Kultur kaum als eigenständige und weithin auch unabhängige Dimension erfaßt werden konnte, die keineswegs deckungsgleich ist mit der staaatlichen und gesellschaftlichen Einheit, sondern teils weit darüber hinausgreift, teils darunter bleibt, sich in jedem Fall aber mit den anderen gesellschaftlichen Dimensionen in vielfacher und oft überraschender Weise überschneidet. Obwohl die zunehmende Pluralisierung und Differenzierung der Kultur schon in der Weimarer Republik deutlich geworden ist - nach dem Il.Weltkrieg steht allerdings mehr die Nivellierung und die Angleichung an die als „amerikanisch" empfundene Weltzivilisation im Vordergrund - , so war es aus dieser politischen Notlage (und gewissermaßen aus einem „moralischen Impetus") heraus kaum möglich, die Kultur als ein mehrschichtiges und
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IV
Kultursystem und Kulturwandel
teilweise auch widersprüchliches, oft nur l o c k e r verbundenes und nicht selten unter Streß stehendes S y s t e m 2 1 4 zu verstehen, in dem dem Kulturkonflikt und dem P r o z e ß der „schöpferischen Z e r s t ö r u n g " 2 1 5 durchaus eine positive Rolle z u k o m m e n kann. D o c h ist man zu dieser erweiterten und dynamischeren Systemkonzeption erst heute, in einer weltpolitisch ruhigeren, funktional weitaus stärker verflochtenen und auf Ausgleich ausgerichteten Welt g e k o m men, in der die F r o n t e n eines provinziellen deutschen „Kulturkampfes" k a u m noch eine R o l l e spielen. D i e Freyersche Kultursoziologie bleibt auch in dieser Hinsicht die T h e o r i e eines bestimmten historischen Ubergangs, die nicht ohne weiteres zu generalisieren ist auf andere Kulturen und E p o c h e n . Eine typische „Theorie des Ü b e r g a n g s " ist sie aber auch schon darin, daß deskriptive und normative K o m p o n e n t e n , daß Wirklichkeitsbeschreibung und „Wirklichkeitswillen" ineinsgesetzt oder miteinander vertauscht werden. D e n n o c h zeichnet sich in Freyers Kultursoziologie -
die in einer fast vierzigjährigen Arbeitszeit und unter sehr
verschiedenen politischen U m s t ä n d e n entstanden ist - t r o t z seines Festhaltens an „ O b j e k t i vation" und „ G a n z h e i t " ein erheblicher theoretischer Fortschritt ab: zum einen von einer apriorischen Kultureinheit zu einer strukturellen Analyse und z u m anderen von einer m e h r statischen zu einer m e h r prozeßhaften Darstellung der Kultur. Steht am Anfang das „Apriori der K u l t u r " , oder auch die k a u m problematisierte „Stileinheit" einer E p o c h e , ja sogar die deckungsgleiche Integration von Staat und Kultur, so steht am E n d e doch ein erheblicher Grad nicht nur an Differenzierung, sondern auch an Pluralisierung, stehen „primäre" und „sekundäre" Systeme vielfach im Gegensatz und es gibt zumindest N i s c h e n und R ü c k z u g s möglichkeiten im System. D o m i n i e r t e am Anfang ganz die „ O b j e k t i v a t i o n " , die vollendete Institution, tritt mit der Zeit doch der Prozeßcharakter der Kultur immer deutlicher hervor erstens indem der K u l t u r eine A r t „generativer G r a m m a t i k " zugrunde gelegt wird, die sich von Schritt zu Schritt entfaltet und weiterentwickelt, jedenfalls nicht vorhergesagt werden kann; zweitens im Prozeßbegriff der „Sekundarisierung", der die Geschlossenheit der N a t i o nalkulturen durch den globalen Zivilisationsprozeß aufbricht. A m E n d e steht die Erkenntnis, daß wir „in einen offenen P r o z e ß hineinhandeln, der uns unsere Intentionen früher oder später aus der H a n d nimmt und sie zu immer neuen Anforderungen konkretisiert". 2 1 6 A u c h wenn dieser P r o z e ß vage bleibt und konzeptionell nicht geklärt werden kann, so hat F r e y e r doch die „ O f f e n h e i t " als C h a n c e begriffen und letztendlich auf eine Kulturprogrammatik verzichtet, durch die ja nur die allgemeine Wunschvorstellung v o n Einheit u n d Voraussicht befriedigt worden wäre. D o c h soviel von der Prozessualität und Historizität der K u l t u r die R e d e ist, auch von „ D i a l e k t i k " und „Realdialektik", so bleiben die Prozesse des Kulturwandels doch im D u n keln. Eine „ D i a l e k t i k " , die im G r u n d e immer noch antithetisch konzipiert ist, eignet sich besser zur kulturkritischen P o l e m i k als zur Analyse soziokultureller Prozesse. Besonders in der Darstellung der Industriekultur - w o es erste Ansätze zu einer prozessualen Analyse gibt - wird schmerzlich deutlich, wie hier F r e y e r die konzeptionellen Möglichkeiten des im wesentlichen von ihm eingeführten „sekundären S y s t e m s " wieder verspielt. Indem das „sekundäre S y s t e m " seinen negativen und derivativen oder reduktiven C h a r a k t e r behält, vergibt er die C h a n c e , ζ. B . im Sinne einer modernen Bezugsgruppentheorie 2 1 7 die strukturellen Verflechtungen von „primären" und „sekundären" Systemen bzw. das Ineinandergreifen der Prozesse der Universalisierung und Regionalisierung, der Vereinheitlichung und der (funktionalen und segmentalen) Differenzierung, der wechselseitigen Profilierung oder auch Nivellierung usw. zu erkennen. 2 1 8 D a er die Prozeßstruktur des sekundären Systems schematisiert und den „Kreisläufen" auf der einen Seite nur die „Heroisierung des Widerstands" auf
J. Erfolg und Scheitern der Freyerschen Kultursoziologie
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der anderen Seite entgegensetzt, bleibt er letztlich doch dem Dogmatismus des geschlossenen Gleichgewichtssystems verhaftet; die Entgegensetzung v o n „mechanischem S y s t e m " („sekundäre S y s t e m e " ) und „organischem S y s t e m " („primäre S y s t e m e " ) bietet keine L ö s u n g m e h r in einer Situation der funktionalen Interpénétration, und v o r allem: sie scheint die Erforschung von Prozeßstrukturen überflüssig zu machen. Es ist nicht verwunderlich, daß aus dieser unrealistischen Alternative nur das D o g m a v o m „Ende der G e s c h i c h t e " abgeleitet werden kann: die „Zielvorstellung einer Erde, die in das Endstadium ihrer Geschichte eingemündet ist". 2 1 9 A m bedenklichsten für die Entwicklung der Kultursoziologie bleibt jedoch das Fehlen einer wenigstens in Grundzügen ausgearbeiteten Methodologie. F r e y e r schwankt zwischen einer sinnverstehenden, einer phänomenologischen und einer strukturalistischen Methode, doch keine wird ernsthaft ausgearbeitet, und am E n d e überwiegt ein spekulativer Intuitionismus, der nur das G e s p ü r des Forschers, seine Erlebnistiefe und seine Verbundenheit mit dem „Zeitgeist" für sich geltend machen kann. Versuchte er sich in der „Theorie des objektiven G e i s t e s " von 1923 noch in einer A r t hermeneutischer M e t h o d e , die er selbst zwar „kulturpsyc h o l o g i s c h " nennt, (obgleich er die Ergebnisse der zeitgenössischen neueren Psychologie nicht einarbeitet und sich mit einem eher künstlerisch-pragmatischen „Verstehen" begnügt, das sich alleine schon aus dem Nachvollzug, aus dem „tätigen Hantieren mit geistgeladener M a t e r i e " 2 2 0 ergeben soll), so bekennt er sich in der „Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft" von 1930 zum „phänomenologischen Ausgangspunkt", wenngleich es ihm um eine „systematische Strukturlehre der geistigen Wirklichkeit" 2 2 1 geht. D e r gemeinsame N e n n e r bleibt eben immer noch Hegels „Phänomenologie des Geistes", die einmal mehr strukturgenetisch und kulturtypologisch oder einmal mehr strukturlogisch und systematisch, die entweder mehr essentialistisch oder mehr historisch gelesen wird. Z w a r ist Frey er bemüht, als Soziologe stets den „langen W e g " über die Wissenschaften und über die historische Darstellung zu gehen; letztlich ist er aber doch zu ungeduldig: er zitiert immer weniger, er weist seine Quellen nicht aus; in der „Weltgeschichte E u r o p a s " und in der „Schwelle der Z e i t e n " scheint er ganz zum zeitkritischen Essay, zur „schönen Literatur" übergewechselt zu sein. N u r im weitesten Sinne ist Freyers M e t h o d e „dialektisch" zu nennen; doch als „Selbstreflexion einer gesellschaftlichen W i r k l i c h k e i t " ist sie keine operative Methode 2 2 2 , die darauf angelegt wäre, soziokulturelle Prozesse der U m f o r m u n g von Kulturgütern oder des kulturellen Habitus, des F u n k tionswandels in kulturellen Einrichtungen oder des Entstehens neuer kultureller F o r m e n und Sinnbezüge im einzelnen nachzuweisen. Ihm geht es gleich um den „ G e i s t " selbst, der in der Welt verschiedene „ P o s i t i o n e n " einnehmen kann, „sich im K a m p f der Interessen und der politischen M ä c h t e auf die eine Seite schlagen" kann oder auf die andere 2 2 3 , also offenbar doch der eine und gleiche bleibt und der die Geschichte selbst „dialektisch" weitertreibt. F r e y e r ist in der Verwendung dialektischer Grundkategorien äußerst wendig, er wechselt schnell von der A n t i n o m i e von „ L e b e n " und „ F o r m " in den Dreischritt von „ F o r m " , „ L e b e n " und „Schicksal" oder von „ M y t h o s " , „ K u l t " und „Sprache"; aber die Dialektik bleibt auf der Stufe dieser mehr ontologischen als soziologischen Grundkategorien stehen, sie mündet in keine operativen Begriffe, und die H y p o t h e s e n über den Verlauf der Kulturentwicklung - wie eben die „Vollendbarkeit der G e s c h i c h t e " oder des Umschlags von einem Kulturtypus
zum
anderen - ergeben sich direkt aus diesen Grundkategorien selbst. O b w o h l Freyers Kultursoziologie auf diese Weise weitgehend spekulativ geblieben ist, war sie - von der „Theorie des objektiven Geistes" an und zumindest bis zur „Theorie des gegenwärtigen Zeitalters" - ein großer Publikumserfolg. A b e r gerade darin zeigt sich viel-
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IV
Kultursystem
und
Kulturwandel
leicht der tiefere Grund seiner fachwissenschaftlichen „Sackgassen"; er hat sich - was für die „deutsche Kulturkritik" insgesamt durchaus typisch ist - zunehmend einem großen und unbestimmbaren Publikum zugewandt, das sich gewissermaßen „heilsgeschichtliche" Deutungen der Zeitsituation in einprägsamen Begriffen und in einfachen Entwicklungsformeln („Umschlag", „Entwirklichung", „Sekundäres System", usw.) erwartete. Die Abwendung von einem wissenschaftlichen Fachpublikum war, wenigstens in der Zeit nach 1945, keineswegs eine freiwillige Entscheidung; Freyer wurde als „Nicht-Emigrant" von der nachfolgenden Generation der Fachsoziologen weitgehend ignoriert. Viele Grundzüge seiner Kultursoziologie erklären sich aus dieser Wendung an das breite Publikum bzw. aus der Spaltung zwischen einer kleinen und in sich fürchterlich verfeindeten Fachgenossenschaft und einem großen „bildungsbürgerlichen" Publikum; an ein solches Publikum war doch die rhetorische Brillanz in Freyers Schriften (die in großen Partien aus dem Vortrag leben und auch daraus entstanden sind), die häufige Verwendung einprägsamer Metaphern und anekdotischer Episoden und auch die beschwörende Repetition formelhafter Begriffe und Wendungen, gerichtet. 224 Zentral ist die Überhöhung des Kulturbegriffs, der dem Bildungsbürgertum nicht hoch genug angesetzt sein kann, weil nur so sein Sozialprestige durch Kulturbeflissenheit erhöht werden kann, schließlich aber auch der prophetische Blick ins Große, die Beanspruchung von Seherqualitäten - nicht für sich persönlich, jedoch (in dieser zeitlichen Abfolge) für die Philosophie, für die Soziologie und schließlich für die „Kulturwissenschaften"; nicht zuletzt die Anknüpfung an die großen Klassiker der deutschen Philosophie (an Hegel, Marx, Lorenz von Stein, Dilthey) und das Sich-Reiben an den zeitgenössischen Fachgenossen, die klassikerverdächtig sind (Max Weber, Alfred Weber, Karl Mannheim). Es ist nicht zu verwundern, daß eine so angelegte Kultursoziologie, keineswegs nur bei Freyer, sondern ebenso bei Georg Lukács, Ernst Bloch, Alfred Weber oder Max Scheler, allzu leicht in politische Programmatik - für den „Kulturstaat" oder die „deutsche Kultur", aber auch für den „Widerstand" gegen den Staat, der die hochgerühmten kulturellen Qualitäten nicht hat - abgleitet, oder daß umgekehrt die Kultursoziologie in der Kulturpropaganda und Kulturkritik politisch verwertet wird. Dieser Erfolg nach außen aber ist gleichzeitig mit einem Scheitern der Kultursoziologie allgemein als einem wissenschaftlichen Unternehmen verbunden: er hat dazu geführt, daß sich keine gemeinsame Fachsprache herausgebildet hat, daß keine Forschungsexempla entstanden sind, die über die weltanschaulichen Fronten hinweg für alle verbindlich gewesen wären, daß keine gesicherten empirischen Ergebnisse akkumuliert werden konnten, daß kein Netzwerk von kooperativen Kultursoziologen sich herausgebildet hat.
V Dialektische Methode und Geschichte
1. Das Problem der Dialektik als Methode und als Geschichtsdeutung D e r Intention Hans Freyers nach ist die Methode der Soziologie von Grund auf dialektisch 1 in dem Sinn, daß der Inhalt oder der Sinn aller geistigen Gebilde wesentlich sozialer (gesellschaftlicher und historischer) Sinn ist, eben eine „Funktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit": „Eine geistige F o r m trägt, wenn auch ganz in Objektivität verwandelt, ihren Schaffensakt, ihren geschichtlichen Ursprung, ihre gesellschaftliche Herkunft in sich." Umgekehrt gilt aber auch, daß die Gesellschaft gewissermaßen eine Funktion dieses Sinnes der geistigen Gebilde ist, insofern die Soziologie als „Wirklichkeitswissenschaft" die gesellschaftlichen und historischen Bedingungen „als das System der Realbedingungen für die geistigen Inhalte" auffaßt. Gesellschaft und Geschichte werden in diesem Sinn geradezu mediatisiert: „Das geschichtliche Geschehen wird zu demjenigen Medium, aus dem sich die Gebilde der geistigen Welt herausheben und in dem sich ihr Formwandel vollzieht. D i e geschichtliche Zeit wird zu dem Raum, in dem das Gestaltenreich des Geistes existiert. D i e gesellschaftliche Wirklichkeit mit ihren Gegensätzen, Kämpfen, Entwicklungen und Entscheidungen wird zu dem Kräftespiel, in dem sich der Sinnzusammenhang der Kulturformen verwirklicht". 2 Solange man diese dialektische Grundbestimmung wechselseitig auffaßt und solange in der methodologischen Anweisung keine ontologische Entscheidung für die eine oder andere Seite unterstellt wird, ist gegen diese dialektische Formel eines aktualen Verstehens aus dem Schnitt der Gegenwart nicht viel einzuwenden. Das Problem von Freyers Dialektik liegt jedoch darin, daß er nicht nur von einer methodologischen Dialektik, sondern von einer „Realdialektik" ausgeht, bzw. daß für ihn diese „Realdialektik" die „methodologische Dialektik" impliziert und daß diese ihre Rechtfertigung nur in jener findet. Das eigentliche Dilemma der Freyerschen Dialektik liegt dabei vor allem darin, daß beide Aspekte: Methode und Gegenstand, die Dialektik als Methode und die Dialektik als reale geschichtliche Bewegung - nicht bewußt auseinandergehalten werden, daß ihr Verhältnis zueinander nicht explizit problematisiert wird, ja daß viele Aussagen über Gesellschaft und Geschichte sozusagen durch einen methodologisch-ontologischen Wechselbezug eingeführt werden. Indem - wie in Kapitel II. nachgewiesen - die Gesellschaft zum selbstreferentiellen System erklärt wird, in dem gerade die Soziologie als „Wirklichkeitswissenschaft" die Kontroll- oder Umsetzungsstelle zwischen
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V Dialektische Methode und
Geschichte
Praxis und Theorie oder auch Theorie und Praxis einnimmt, wird diese Gleichsetzung (oder jedenfalls die Verdunklung dieser Beziehung) gerade zum innersten Konstruktions- und Erklärungsprinzip seiner Soziologie. Diese Gleichsetzung ist jedoch schon von G.W. F. Hegel her - dem Begründer dieser deutsch-idealistischen und historisierenden, zur Geschichte gewordenen Dialektik - nicht zu rechtfertigen, der zwar von der Hypothese einer „logisch-ontologischen Entsprechung" ausging (oder auszugehen sich gezwungen sah, weil es keinen anderen Weg der Einsicht als über das Denken gibt), der jedoch diese Differenz zwischen Logik und Realphilosophie niemals verleugnete (wenn auch die Trivialisierung Hegels oft zu diesem Ergebnis führte). 3 Noch viel weniger kann sie aus den Prinzipien einer empirisch-wissenschaftlichen Soziologie, wie sie insbesondere von Georges Gurvitch dargestellt werden, abgeleitet werden: Die Fruchtbarkeit der Dialektik als „Forschungs- und Darstellungsweise" 4 beruht gerade auf dieser grundsätzlichen Trennung, die immer nur hypothetisch - in Einzelhypothesen, und nicht in einer Generalthese der Entsprechung - übersprungen werden kann. Wenn die Dialektik „dogmatisch" wird, d. h. wenn der Forscher behauptet, tatsächlich aus der Totalität heraus urteilen zu können, und wenn er die erst noch zu ermittelnde Komplexität und Wandelbarkeit der dialektischen Verhältnisse verleugnet, indem er sich auf ein einziges und vorgefaßtes dialektisches Grundverhältnis (ζ. B. des antinomischen Widerspruchs) festlegt, wird die Dialektik jedoch „apologetisch" und als Methode unbrauchbar. 5 Mit einer auf diese Weise unbrauchbar gemachten Methode aber werden auch alle „dialektischen" Aussagen über Gesellschaft und Geschichte diskreditiert. Diese Gefahr ist bei Freyer zweifellos gegeben, der von einer idealdialektisch-realdialektischen Entsprechung in dreierlei Hinsicht ausgeht (allerdings im Laufe der Zeit von dieser Voraussetzung mehr und mehr abgeht). Als erstes gibt es eine nur unklar thematisierte (oder vielfach changierende) Entsprechung zwischen „Sein" und „Denken", d. h. zwischen „Lebensbewegungen" und „Sinnzusammenhängen": „Der Gegensatz von Leben und Sinn bezeichnet nicht eine materiale Teilung, sondern eine Zweiheit der Aspekte; richtiger: den dialektischen Aufbau der geistigen Wirklichkeit selbst." Wenn an dieser Stelle noch unklar ist, ob diese Aussage methodologisch oder substanzialistisch gemeint ist, so kippt seine Forderung nach „maximaler historischer Sättigung" der Begriffe und nach einer „konkreten Soziologie" 6 in der Folge doch leicht in eine Hypostasierung der Dialektik um. Entgegen der proklamierten dialektischen Methode kommt es dann zum Selbstlauf der Idee oder sozusagen zu einer Agententheorie des Weltgeistes, in der nacheinander der „Staat", das „Volk" oder der einsam gewordene Existenzphilosoph die Zeichen der Zeit zu erkennen und zu verwirklichen sucht. Besonders exaltiert sind in dieser Hinsicht die vor der „Wirklichkeitswissenschaft" geschriebenen Bekenntnisschriften. So heißt es in „Der Staat" von 1925 noch sehr zuversichtlich: „Der Sinn sucht in allen seinen Erscheinungen sich selbst und findet sich selbst in seiner Entwicklung". Die höchste Erscheinungsform dieser Sinnfindung und -werdung jedoch ist der Staat: „Der Staat (das ist die These) ist der Geist am Ziel, ist die Kultur als vollkommenste Verwirklichung ihres Sinns, ist bündigste Form und objektivster Schicksalsraum, der sich auf Erden denken läßt". 7 Ist hier der Staat gleicherweise „Agent" und „Ziel" des Weltgeistes, so fallen im übrigen Werk doch beide auseinander. Im „Prometheus" von 1923 war es ein staatstragender „männlicher Bund", der „auf vorgegebenen Raum aus dem Geist eines vorgegebenen Volkstums ein endliches Gebilde auf Zeit zu gestalten" versuchen sollte. Seine Mitglieder waren sich sicher, daß sie, getragen von den Bewegungen der Geschichte, ihren notwendigen Gang in die Realität umsetzen. 8 Doch in der „Revolution von rechts" von 1931 werden aus den im Strom der Zeit
1. Das Problem der Dialektik als Metbode und als Geschichtsdeutung
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schwimmenden Helfershelfern plötzlich Revolutionäre, die hart in den Gang der Geschichte eingreifen, die „mit den Resten des neunzehnten Jahrhunderts, wo es noch festsitzt, aufräumen und die Geschichte des zwanzigsten freimachen". Diese Revolutionäre, die den Staat im Antagonismus des Klassenkampfes gespalten sehen, stehen nun auf der Seite des „werdenden Volkes" das als ein „neues Subjekt der Geschichte" 9 die Industriegesellschaft überwinden wird. Die Dialektik kennt hier nur die antinomische Antithese, während eine These oder neue Synthese nicht mehr ausformuliert werden kann. Daß sich Freyer jedoch keineswegs sicher ist, zeigt sich in der „Wirklichkeitswissenschaft", wo der Sozialwissenschaftler zum „Propheten" geworden ist, 10 offenbar seines Volkes schon nicht mehr so sicher. Im „Machiavelli" von 1938 und in „Preußentum und Aufklärung" von 1944 schließlich muß sich der Sozialforscher hinter „Machiavell" und „Antimachiavell" verstecken, um überhaupt noch Gehör zu finden und nicht unter die Räder der nun von einem Zerrbild seines „politischen Volkes" vorangetriebenen Staatsmaschinerie zu kommen." „Sinn" und „Leben", „Geist" und „Staat", individuelle und kollektive Sinnerfüllung sind nun endgültig auseinandergebrochen, die „Realdialektik" hat sich von der „Idealdialektik" abgelöst, der Sozialforscher ist vom „Errater" der Zeit zum „vereinzelten" Individuum geworden, das nur noch im heroischen Widerstand gegen das „sekundäre System" bestehen kann. 12 Die Vermengung des methodologischen Aspekts der Dialektik mit dem geschichtlichen Werden selbst hat sich so im Werk Freyers mit der Zeit selbst widerlegt. Zweitens geht Freyer von einem logischen und historischen Umkehrverhältnis von Theorie und Praxis aus. Doch auch hier verkehren sich die Akzente in ihr Gegenteil. In der „WirklichkeitsWissenschaft" noch heißt es: „Während in der großen, in sich zurücklaufenden Kurve der Hegeischen Geschichtsphilosophie am Schluß die geschichtliche Praxis in geschichtsphilosophie Theorie umsprang, springt nun - in der prägnanten Situation einer dialektisch gebauten Gegenwart - die soziologische Theorie in politische Praxis um". Freyer ist sich in dieser These durchaus mit dem „historischen Materialismus" einig, wenngleich er die „materialistische" eben durch eine „wirklichkeitswissenschaftliche" Wendung überholen möchte. Dabei gehen aber wieder verschiedene Bedeutungen von „Praxis" ineinander über. In der „Theorie des objektiven Geistes" sind es die Objektivationen der Kultur, in denen der Geist praktisch und politisch wird. In der „Wirklichkeitswissenschaft" geht es um eine „geistige Haltung" und um das „Umschnappen" von der theoretischen Erkenntnis zum praktischen (politischen) Wollen. 13 In der „Revolution von rechts" dagegen wird „Praxis" ganz im Sinne der „revolutionären Aktion" 14 verstanden. In „Preußentum und Aufklärung" jedoch tritt das (individuelle) „Handeln" an die Stelle der (gesellschaftlichen) „Praxis", wobei die „Theorie" letztlich nicht mehr viel nützen kann, eher „immerzu verwirren": „Es gibt einen höheren Realismus des Handelnden, der sich aber nur aus der absoluten Nähe zur Handlung, nur aus der Identität mit ihr ergeben kann, während alle Reflexion über das Handeln gleichsam selbstläufig wird und sich von der Wirklichkeit unmerkbar, aber unaufhaltsam entfernt". 15 Die dialektische Umkehrbarkeit von Theorie und Praxis scheint damit erledigt, oder der Wertakzent hat sich so von der Theorie auf die Praxis verschoben, daß eine Kritik des praktischen Handelns unmöglich wird (oder illegitim gemacht werden soll). Drittens wird eine unmittelbare Entsprechung von (statischem) Aufbau und (dynamischer) Abfolge, von Gesellschaft und Geschichte postuliert. Aber auch hier gibt es grundlegende Wandlungen in der Freyerschen Gesellschafts- und Geschichtstheorie, die zwar die Mehrdeutigkeit nicht aufheben, aber den schönen Schein der Synthese verblassen lassen. In „Der Staat" wird diese Entsprechung noch ganz aus dem Sinngehalt erklärt: „Wie im spontanen Zentrum eines Lebewesens, so ist im Sinngehalt einer geistigen Gestalt eine Folge von Stadien angelegt,
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V Dialektische Methode und
Geschichte
die zur Entfaltung drängen. Immer am Ziel und immer unterwegs: das ist die neue Synthesis, die der konkrete Begriff zu vollziehen hat. Der konkrete Begriff rechnet nicht nur auf, was eine Gestalt alles ist (indem er ihre Schichten zusammennimmt), sondern auch, was eine Gestalt alles werden kann: indem er ihre Stufen auseinanderfaltet. Er gewinnt das System der Stufen, wie er das System der Schichten gewann: durch Besinnung auf die Prinzipien, die, als die Möglichkeiten seiner Umformung und seiner vollständigen Gestaltwerdung, im Sinngehalt beschlossen liegen". 16 Doch bald muß Freyer feststellen, daß nicht alle Sinnmöglichkeiten realisiert werden, daß es keine notwendige Abfolge gibt, die aus dem Aufbau folgt. So reduziert sich in der „Wirklichkeitswissenschaft" diese dialektische Entsprechung auf das „gesellschaftliche Wollen" der Menschen, denen der Soziologe (oder politische Philosoph) allerdings erst Klarheit über ihr Wollen verschaffen muß: „Die ,Dialektik' der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung, ihre Entwicklungstendenzen', ihre ,Bewegung' - alles das bedeutet, auf seine Substanz reduziert, reales Wollen realer Menschengruppen in realen Situationen". 17 Die unablässige Repetition der Beschwörungsformel der „Realität" zeigt aber bereits an, wie sehr diese postulierte Korrespondenz in der Luft hängt. In der „Theorie des gegenwärtigen Zeitalters" (1955) schließlich ist die Korrespondenz völlig aufgekündigt: „Die Geschichte der Menschheit ist in ihrem ganzen bisherigen Verlaufe eine Vielheit von Ansätzen, Vollendungen und Fehlschlägen gewesen, ein Plural von Völkern, die sich formierten und versickerten, von Kulturen, die aufblühten und verwelkten, von Reichen, die gegründet wurden und zerfielen. An den einen Tageslauf, von dem Hegel sprach (...), können wir nicht mehr glauben". 18 Aber das war doch der geheime Glaube dieser gesellschaftlich-geschichtlichen Entsprechung: daß nämlich im Gang der „Volksgeister" der „Weltgeist" zu sich selbst kommt, daß die weltgeschichtliche Entwicklung einfach als „das Weiterrücken des Akzents von einer Schicht auf die andere" 19 zu interpretieren ist. Ohne diesen Glauben jedenfalls bleibt die dialektische Korrespondenz von Gesellschaftsaufbau und -abfolge ein Mysterium. Mit Hilfe dieser drei dialektischen Entsprechungen und Vertauschungen gelingt es Freyer, die Dialektik zu einem höchst wendigen Erklärungs- und Prognoseinstrument zu machen, das scheinbar nichts unerklärt läßt, meist aber auch alles offenläßt. Die „Offenheit" wird immer wieder zum Hauptprinzip seiner Soziologie erklärt; 20 dennoch bleibt diese „Offenheit" methodologisch unerhellt, sozusagen ein dunkles Existenzial, zu dem der Mensch sich bekennen muß, eine offene und unbestimmbare Stelle, die aber auch - je nach der Definition der Zeitlage - politisch ganz unterschiedlich gefüllt werden kann. Dies ist eine ganz andere Art der „Offenheit", wie sie etwa durch Karl R. Poppers Interpretation der Dialektik als einer Methode von Versuch und Irrtum definiert wird, nämlich als eine Methode der versuchsweisen Aufstellung einer Hypothese, ihrer Testung und der eventuellen Formulierung einer oder mehrerer Gegenhypothesen, schließlich Verwerfung der unbestätigten und der Zusammenfügung der nicht falsifizierten Hypothesen zu einem logischen Gefüge. 21 Insofern „These", „Antithese" und „Synthese" in diesem Sinn verstanden werden, ist die dialektische Methode tatsächlich empirisch offen. Die Dogmatik und Metaphysizierung der Dialektik beginnt jedoch zum einen mit der Hochstilisierung der Dialektik zu einem deduktiven Verfahren, und zum anderen mit der Hypostasierung des Widerspruchsprinzips. Wenn die Dialektik als ein deduktives Verfahren gehandhabt wird, dann wird unterstellt, daß Antithese und Synthese schon in der These impliziert sind und daß die „Logik" des Fortschreitens von der einen zur anderen konstant und bekannt sei. Doch die „These" impliziert alles und nichts, sie kann immer nur in der Retrospektive gefüllt werden, kein Dialektiker aber ist am Ende der Zeiten angekommen und keiner kann dialektisch begründete Vorhersagen machen. Vor allem aber
2. Zur Ortsbestimmung der Freyerschen Dialektik
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muß die „dialektische L o g i k " völlig unbestimmt bleiben, wenn schon das Widerspruchsprinzip auf die verschiedenste Weise (als partielle Negation, als totale Negation und „Liquidation", als aufrechterhaltene polare Spannung, als positive oder negative Widerspiegelung, usw.) verstanden wird. Man braucht noch kein „Positivist" oder „Rationalist" zu sein, um auf der Nachvollziehbarkeit, d. h. der Operationalisierbarkeit und Rationalität, der dialektischen Methode zu beharren; im Gegenteil kann der Verzicht auf methodologische Sauberkeit als ein Verrat an der wahren oder geduldigen Dialektik, als eine Flucht in den Dogmatismus und Obskurantismus verstanden werden. „Nachvollziehbarkeit" meint nach Rüdiger Bubner, daß das dialektische Verfahren „jedermann zugänglich zu bleiben hat, der sich auf das Verfahren einläßt, und es hat allen Teilnehmern gleiche Ergebnisse in Aussicht zu stellen". 22 Diese Nachvollziehbarkeit beruht vor allem auf der Klärung der „operativen dialektischen Verfahren", um die Georges Gurvitch so bemüht ist; d. h. um die Klärung der logischen Schlußverfahren, die von der Antinomie bis zur dialektischen Komplementarität reichen können, in der Regel aber gerade nicht in den Schlußverfahren einer zweiwertigen (aristotelischen) Logik zu erfassen sind. 23 Rationalität meint zumindest die argumentative Ausweisung des angewandten Verfahrens. Das Widerspruchsprinzip gilt in diesem Zusammenhang als ein heuristisches Prinzip; es kann mithin nicht zum universellen logischen Prinzip und Alibi f ü r Inkonsistenz, f ü r Mehrdeutigkeit, für Bedeutungswandel und Vagheit erhoben werden. 24 Diese methodologischen Regeln haben dann aber auch f ü r die Interpretation der Geschichte zu gelten, über deren Gang auch der Dialektiker kein Vorzugswissen beanspruchen kann. Wenn auch der Dialektiker aufgeschlossen sein mag gerade für historische Fragen, so unterliegt er doch leicht der Selbsttäuschung, die Gesetze der „historischen Vernunft" schon zu kennen oder aus retrodiktiven „Voraussagen f ü r die Z u k u n f t " ableiten zu können. Georges Gurvitch führt an dieser Stelle, um dem Mißbrauch der Dialektik als Methode zu begegnen, das Postulat von der „Vielfalt der Zeiten" oder der „Ambiguität der historischen Zeit" 2 5 ein. Dieses Postulat kann zumindest den historisch denkenden Sozialwissenschaftler daran hindern, ein totales Kontinuum oder auch Diskontinuum zugrundezulegen, die Geschichte aus bloßen Extrapolationen oder auch aus einem Undefinierten Widerspruchsprinzip erklären zu wollen, das in der „Negation der Negation" zu allen möglichen und doch keinem wahrscheinlichen Ergebnis gelangen kann. Die Rückseite dieser scheinbaren Deutungsbeliebigkeit wäre doch nur der Voluntarismus und Dezisionismus, die Verkündung einer doch sehr zeitgebundenen Wunschvorstellung mit dem Anspruch der Prophetie. Genau das aber scheint die Versuchung gewesen zu sein, der Hans Freyer erlegen ist und der er erliegen mußte, weil er in seinem ganzen umfangreichen Werk sich zwar immer auf die Dialektik als den soziologischen Erkenntnisweg berufen hat, jedoch niemals das Problem der dialektischen Methode genauer erörtert hat.
2. Zur Ortsbestimmung der Freyerschen Dialektik Wie schon dargestellt, bedeutet „Offenheit" bei Hans Freyer nicht so sehr empirische Offenheit oder Aufgegebenheit, als vielmehr eine metaphysische oder existenzielle Situation, in der gerade die „Negativität der gegenwärtigen Epoche Schicksals wert, ja weltgeschichtliche Bedeutung" hat und offenbar im Sinne des „ U m s o schlimmer, umso besser" 26 zu den größten
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V Dialektische Metbode und Geschichte
Hoffnungen berechtigt - glaubt doch Freyer, mit den „Zersetzungserscheinungen" seiner Zeit „einen Pakt schließen" zu können. 2 7 In der „Wirklichkeitswissenschaft" ist es schon keine Dialektik mehr sozusagen „auf der Höhe der Zeit", sondern bereits eine Dialektik der Krise oder der Not, eine Dialektik aus dem tiefsten Umschlagpunkt, der paradoxerweise gerade deshalb Hoffnung gibt, weil er eine Entscheidung - so oder so - unausweichlich macht. „Die Soziologie weiß sich an einen Tiefpunkt der geschichtlichen Entwicklung, damit aber an den O r t einer unausweichlichen Entscheidung gestellt. Ein dialektisches Geschehen wird in ihr zu wissenschaftlichem Selbstbewußtsein, weil es ohne diese theoretische Wendung nicht weiterkäme". 2 8 In dieser Krisensituation wird auch die Soziologie in eine Ausnahmesituation versetzt, die alle möglichen methodologischen Alibis und wissenschaftstheoretischen Immunisierungsstrategien von vorneherein zu rechtfertigen scheint. D e r Glaube an die Realdialektik bzw. die substantielle (und gerade nicht methodologische) Begründung der dialektischen Methode muß so auch negativ und als ein Resultat der mangelnden methodologischen Durchdringung der Dialektik interpretiert werden. Freyer ist den letzten Schritt einer konsequenten dialektischen Methode nicht mehr gegangen, nämlich auch den Bezug zwischen Gegenstand und Methode, zwischen Gesellschaft bzw. Geschichte und Soziologie dialektisch aufzufassen und ihn empirisch offen zu lassen, statt ihn zu logifizieren oder zu ontologisieren. Dies geschieht jedoch unweigerlich, nur aus dem Defizit oder der Antinomie heraus argumentiert oder wenn - wie Karl Marx sagen würde - mit Hegeischen „Weiheformeln" operiert wird, die letztlich doch leer und unbestimmt bleiben. Diese Gefahr wird aber schon in Freyers seltsamen Konstrukt des „konkreten Begriffs" deutlich, von dem er fordert: „Er hat die Antithesis als Antithesis, das heißt auf Synthesis hin zu denken". 2 9 Unabhängig davon, wie diese Forderung nun zu interpretieren sein wird, scheint sie bereits die rudimentäre Form der Freyerschen Dialektik zu enthalten, die zwischen den logischen oder zugleich ontologischen Grenzbegriffen der „Antithese" und „Synthese" schwankt, ohne auf die Ebene einer soziologischen oder historischen Verhältnisbestimmung herabzusteigen. Durch die von Freyer postulierte dreifache Koppelung zwischen Denken und Sein, zwischen Theorie und Praxis, bzw. gesellschaftlichem Aufbau und historischer Abfolge bleibt am Ende gar keine andere Möglichkeit als die einer logifizierten oder/und ontologisierten Dialektik im Rahmen einer zweiwertigen Identitätsphilosophie. 30 So sehr sich auch der Wertakzent seiner Dialektik im Laufe der Zeit und in der vielleicht unbewußten Antwort auf einschneidende politische Ereignisse verlagert, es bleibt doch immer ein Bezugsrahmen der sich ausschließenden Extreme von „Leben" und „Geist", von „Idealismus" und „Materialismus", von „Subjekt" und „Objekt", von „Individuum" und „Kollektivum". Und es bleibt das „Umschnappen" von der totalen Identität zur totalen Nichtidentität (Diversität), d. h. vom vollständigen Aufgehen des Individuums im Kollektivum (als Kulturnation, als idealer Staat, als Volk) in die totale „Entfremdung" und einen heroischen, wenn auch sinnlosen „Widerstand" des Individuums gegen dieses Kollektiv (nun als Konsumgesellschaft, als korrupter Staat und „Sekundäres System"). Es gibt praktisch keine Zwischenverhältnisse und keine Ubergangserscheinungen und wenn es sie dennoch gibt, sind sie uninteressant für den Dialektiker, für den alle „konkreten Begriffe" ja „reine" Begriffe zu sein haben. 31 D e r soziologische Bezugsrahmen bleibt auf diese Weise jedoch seltsam unausgeführt, die wenigen
soziologischen
Kategorien
(„Gesellschaft",
„Gemeinschaft",
„Staat",
„Volk",
„Stand", „Klasse") gehen wie These und Antithese auseinander hervor, wobei dieses Verhältnis oft nur logisch bestimmt, jedenfalls nur zum Teil soziologisch ausgeführt wird. Gerade diese
2. Zar Ortsbestimmung der Freyerschen Dialektik
191
geringe soziologische Festlegung und die Bewegung in logischen Gleichsetzungen und Umkehrverhältnissen bzw. die schwankende Definition des „Wirklichen" als „Möglichkeit" und „Notwendigkeit" 3 2 (und die Nichtbeschäftigung mit den Graden und Bedingungen der Wahrscheinlichkeit) ermöglicht aber seiner „Wirklichkeitswissenschaft" eine außerordentliche Beweglichkeit in der Argumentation. Diese Theorie scheint gegen jedes Scheitern immunisiert, sie hat scheinbar immer recht; jedenfalls kann sie nicht widerlegt werden - insbesondere wenn die „Synthesis" weit in die Zukunft gelegt und unbestimmt gehalten wird. Gleichzeitig ist diese große „Wendigkeit" 33 jedoch mit dem Vorwurf der Beliebigkeit verbunden: Erfüllt die deutsche „Kultur" nicht mehr die Erwartungen auf Weltgeltung, soll sie ein neuer „Staat" erfüllen; hat sich der Staat als korrupt entpuppt, setzt er die H o f f n u n g auf das „Volk"; ist schließlich das Volk v o m untergehenden Dritten Reich heillos vereinnahmt, bleibt noch das daraus unbeschädigt oder sogar gestärkt hervorgehende freie „Individuum". Diese Substitutionen erfolgen oft in kürzesten Abständen und ohne jeden Kommentar, so als sei die neue Lösung nur eine Fortsetzung der alten Lösung mit anderen Mitteln. U n d in der Tat, das „System" und seine „ L o g i k " scheint im wesentlichen die gleiche geblieben zu sein, auch wenn die Umkehrposition an die Stelle der ursprünglichen Position tritt. U m das methodologische Defizit Freyers und dessen Folgen f ü r die Theoriebildung bewerten zu können, muß man ein Gegenkonzept zum Vergleich heranziehen. Genau um dieser Ontologisierung der Dialektik zu entgehen, entwickelt Georges Gurvitch in seinem Versuch einer „empirisch-realistischen Dialektik" seinen Ansatz nicht von diesen logischen oder ontologischen Extremen (von „ N a t u r " und „Geist", „Subjekt" und „Objekt"), sondern von der Mitte her, nämlich (mit Marx) v o m „Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse" bzw. vom „sozialen Akteur" her. Erkenntnistheoretisch wird dabei von der Komplexität und der Wandelbarkeit des Untersuchungsgegenstandes ausgegangen, den wir durch unser Handeln ja miterzeugen oder modifizieren. Niemals kann diese dialektische Methode die logischen Extrembegriffe als Bezugsgrundlage nehmen; vielmehr stellt die dialektische Methode nach dieser Auffassung „eine Methode des Kampfes gegen jede Vereinfachung, Kristallisierung, Unbeweglichmachung oder Sublimierung der realen menschlichen Totalitäten in der Erkenntnis dar. Sie bedeutet Herausstellung der Komplexitäten, Verschlungenheiten, Flexibilitäten, der immer neuen Spannungen und unerwarteten Wendungen, über die das Erfassen, Verstehen und die Erkenntnis dieser Ganzheiten sich Rechenschaft geben muß, will es ihnen gerecht werden". 3 4 Nach Gurvitch müssen wir diese Komplexitätsannahme schon aus wissensstrategischen Gründen zugrundelegen: denn einerseits haben wir immer wieder erfahren müssen, wie wenig wir wissen, wie wenig wir die „totalité en marche" durchschauen konnten zum anderen würden wir uns mit einer formelhaften und selbstgewissen Dialektik nur jede weitere Erkenntnis verbauen. Ein Problem ist nun allerdings, wie man sich auf die Vielfalt und Wandelbarkeit der in der Beobachtungswirklichkeit vermuteten dialektischen Verhältnisse einstellen kann, ohne sich in der idiographischen Deskription zu verlieren, ohne den Anspruch auf generalisierbare E r kenntnis von vorneherein aufzugeben. Es ist hier ein Kompromiß zwischen zwei Extremen zu schließen: Z u m einen kann man annehmen, daß es in der erfahrbaren Wirklichkeit, wenn man nur tief genug eindringt, keine zwei Verhältnisbestimmungen zwischen den sozio- und biographisch doch sehr unterschiedlich lokalisierten Akteuren gibt, die sich genau gleichen. Tatsächlich aber können wir - sowohl in unserem praktischen Handeln den anderen gegenüber wie in unserer wissenschaftlichen Analyse - niemals einen sehr hohen Grad der Individualisierung erreichen; wir müssen uns mit einer Typisierung der mit einer gewissen Häufigkeit und
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V Dialektische Methode und Geschichte
Regelmäßigkeit wiederkehrenden Ereignisse u n d Relationen begnügen. Z u m anderen dürfen wir aber nicht so weit gehen, alle Ereignisse und Relationen nach dem gleichen Schema zu begreifen, ζ. B . nach dem Schema einer totalen universalen Negation. Wenn A nur zu N i c h t - A negiert wird, N i c h t - A aber (in der „Negation der N e g a t i o n " ) zu N i c h t - N i c h t - A , wird es keineswegs wieder zu A , sondern der Gehalt der Aussage wird i m m e r dünner und u n b e s t i m m ter. In der mangelnden Definierberkeit des einfach oder mehrfach negierten A j e d o c h reduziert man die Welt auf (total) identische u n d (total) nicht-identische Verhältnisse, und man ist in die logisch-ontologische Falle der zweiwertigen L o g i k geraten. M a n muß sich deshalb auf einen pragmatischen K o m p r o m i ß zwischen diesen beiden E x t r e m e n einigen. Gurvitch will deshalb nicht behaupten, „daß die dialektische M e t h o d e genau der Vielfältigkeit der realen dialektischen Bewegungen entspräche, denn man würde sie so n u r bis ins Unendliche zersplittern. U n d im Gegensatz dazu erweist sich die Behauptung eines einzigen operativen Verfahrens der dialektischen M e t h o d e , das auf die ganze Vielfältigkeit der in verschiedener Weise ausgerichteten und manchmal unreduzierbaren dialektischen B e w e g u n gen anwendbar wäre, als ebenso unhaltbar; das brächte nur eine Inflation und einen Fetischismus der A n t i n o m i e n mit sich u n d würde dadurch nur eine R ü c k k e h r z u m D o g m a t i s m u s heraufbeschwören". 3 5 D e r einzugehende K o m p r o m i ß aber scheint durch die E n g e unseres Bewußtseins und die Gesetzlichkeiten der Gestaltpsychologie auf wenige prägnant unterschiedene dialektische Grundverhältnisse beschränkt zu sein. In der sehr wandelbaren Geschichte der Dialektik, in der einzelne A u t o r e n meist ein einziges dialektisches Verfahren zu ihrer H a u p t - oder Universalmethode erhoben haben, unterscheidet Gurvitch nur sehr wenige solcher „operativen" Verfahren der Dialektisierung oder der dialektischen Erhellung, w o b e i alle diese Verfahren der dialektischen M e t h o d e entstammen, aber auch entweder für sich oder in K o n k u r r e n z zu anderen oder mit anderen Verfahren anwendbar sind. „ D i e Zahl dieser Dialektisierungsverfahren scheint uns nicht begrenzt zu sein. N e u e Dialektisierungsverfahren k ö n n e n immer entdeckt werden. B e i m gegenwärtigen Stand unseres Wissens glauben wir fünf operative Verfahren unterscheiden zu können, in denen die dialektische M e t h o d e zum Tragen kommt: 1. D i e dialektische Komplementarität. 2. D i e gegenseitige dialektische Implikation. 3. D i e dialektische Ambiguität. 4. D i e Reziprozität der Perspektiven. 5. D i e dialektische Polarisierung". 3 6 Alle diese Verfahren liegen zwischen den logisch- ontologischen Limesfällen der reinen Identifikation (dem die „dialektische Komplementarität" am nächsten liegt) und der reinen N e g a t i o n (dem die „dialektische Polarisierung" am nächsten liegt), in der Mitte liegt das Verhältnis der „dialektischen A m b i g u i t ä t " , das weder einer „positiven" noch einer „negativen D i a l e k t i k " zuzurechnen ist. 1. B e i der dialektischen Komplementarität, die im Gegensatz von Wellen- und K o r p u s k e l theorie breit diskutiert worden ist, geht es nach Gurvitch darum, „den Anschein einer gegenseitigen Ausschließung von Begriffen oder gegensätzlichen Elementen auszuräumen; diese erweisen sich für die dialektische Erhellung als Zwillinge, als Dubletten, die sich jeweils als F u n k t i o n der anderen bestätigen u n d dadurch in die gleichen Ganzheiten eintreten, w o b e i diese Ganzheiten von sehr verschiedener A r t sein k ö n n e n " . 3 7 D i e dialektische K o m p l e m e n t a rität setzt immer eine gestalthafte Ganzheit voraus, in der beide Aspekte sich wie Figur und Hintergrund zueinander verhalten. D i e Komplementarität kann synchron aufgefaßt werden als
2. Z«r Ortsbestimmung der Freyerscben Dialektik
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das gleichzeitige Ausgewogensein der Gegensätze oder diachron als Kompensation
des
Versäumten in einer späteren Entwicklungsphase. D i e Komplementarität nähert sich einer positiven „Synthese", in der die Gegensätze „aufgehoben" sind o h n e „Liquidation" der „These" oder „Antithese". 2. D a s dialektische Verfahren der „gegenseitigen dialektischen Implikation" besteht darin, „in auf den ersten Blick heterogenen oder gegensätzlich erscheinenden Elementen oder Begriffen sozusagen sich überschneidende Sektoren zu finden, die sich kreuzen, sich gegenseitig durchdringen oder teilweise einander immanent s i n d " . 3 8 G i b t es bei der „dialektischen Komplementarität" eine ganzheitliche Integration der Gegensätze, so gibt es bei der „dialektischen Implikation" nur eine gemeinsame Uberschneidungszone, während sich außerhalb dieser Schnittfläche die Aspektstrukturen (ζ. B . von Psychischem und Sozialem, oder die sozialen Kreise in der „Kreuzung der sozialen K r e i s e " ) eigenständig entfalten. 3. „ D a ß alles, was aus der menschlichen Realität hervorgeht, das Siegel der Ambiguität trägt, ist durch Freud entdeckt w o r d e n " . 3 9 D i e Ambiguität kann sich zur Ambivalenz steigern, und sie weist dann in Richtung einer „negativen D i a l e k t i k " ; sie kann aber auch in Richtung der „Komplementarität" und einer „positiven Synthese" verweisen. D i e Ambiguität
kommt
besonders im Symbolgebrauch und in den Wertungen der Menschen z u m Vorschein, insofern im Wandel der gesellschaftlichen Beziehungen niemals eine klare und endgültige Entscheidung zu treffen ist. D i e „dialektische Ambiguität" ist der Ausgangspunkt jeder soziologischen Analyse, in der diachron die weitere Entwicklung in Richtung Integration oder Konflikt, oder in der ( s y n c h r o n ) das G e w i c h t der „positiven" und „negativen" Faktoren, von funktionaler „ K o n s o n a n z " und „ D i s s o n a n z " usw. noch nicht abzusehen ist. 4. In einer Dialektik der Reziprozität der Perspektiven liegt der A k z e n t darauf, „in Elementen, die weder Gleichsetzung n o c h Trennung gestatten, ihre reziproke I m m a n e n z hervortreten zu lassen, die so stark geworden ist, daß sie zu einem Parallelismus oder zu einer mehr oder weniger strengen Symmetrie zwischen ihren Erscheinungsformen f ü h r t " . 4 0 D i e „Reziprozität der Perspektiven" setzt bereits besonders kräftige Totalisierungserscheinungen voraus, die das ganze Bezugssystem durchziehen; solange sich die Kräfte und Bewegungen jedoch symmetrisch gegenüberstehen, ist ein Zerbrechen der Integration nicht zu fürchten, auch wenn sich verschiedene F o r m e n des „Wir" oder des „ I c h " gegenüberstehen.
Die
„Reziprozität der Perspektiven" repräsentiert somit den „positiven" oder konstruktiven Konflikt. 5. Das Verfahren der dialektischen Polarisation schließlich ist dem Antagonismus am nächsten, doch in der A n w e n d u n g auf die soziale Realität ihm keineswegs gleichzusetzen. V o r allem aber ist - im Gegensatz zu den Postulaten der marxistischen Soziologie - die Polarisation nicht das einzige mögliche dialektische Verfahren: „ D e r kurze R e k u r s auf die Polarisation ist niemals ,an sich' zwingend für den Vertreter einer empirischen realistischen Dialektik, der in den A n t i n o m i e n und ihrer Erforschung weder etwas Heilbringendes noch etwas E r s c h r e c k e n des sehen kann. E s k o m m t v o r allem darauf an, die künstliche Inflation der Antinomien wie ihre Fetischisierung zu vermeiden. E b e n s o m u ß man u m jeden Preis mit d e m Mystizismus der Antinomien aufhören, der nicht weniger gefährlich ist als der der ,Synthese', den er angeblich überwinden will, der aber b e w u ß t oder unbewußt durch den M i ß b r a u c h der Polarisation vorbereitet ist". 4 1 D i e Polarisation repräsentiert somit einen „negativen" oder unproduktiven Konflikt, wie er gewöhnlich dem Klassenkampf zugrunde gelegt wird. D e n n o c h ist bereits in der Marxschen Klassenanalyse das Zugeständnis enthalten, daß sich nicht alle gesellschaftlichen Gruppierungen in dieser Klassenspaltung polarisieren. A u ß e r d e m kann Polarisation
im
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V Dialektische
Methode und Geschichte
sozialen Leben normalerweise nicht „Liquidation" einer der gegnerischen Klassen bedeuten; denn mit der Schwächung einer Klasse tritt auch das Klassenverhältnis oder die Polarisation zurück, ζ. B. zugunsten einer stärkeren „Reziprozität der Perspektiven". D e r Weg von der „dialektischen Polarisation" zur „dialektischen Implikation" ist nach dieser Auffassung allerdings nur über die Mitte der „dialektischen Ambiguität" gangbar, während der direkte Umschlag von der „Polarisation" zur „Implikation", von der „negativen" zur „positiven" Dialektik ins Reich der dialektischen Mystifikation gehört. Wenn man nun versucht, die Freyersche Dialektik in diesen Bezugsrahmen einzuordnen, so ist zum einen schon einmal festzustellen, daß sie sich - insofern sie sich überhaupt auf eine empirische soziologische Analyse einläßt - zwischen „Reziprozität der Perspektiven" und der „dialektischen Polarisation" bewegt. „Positive" und „negative" Deutung oder Wertung liegen hier außerordentlich nahe beisammen, wobei sich an der dialektischen Grundstruktur nicht viel zu ändern braucht. Zum anderen aber ist nicht zu übersehen, daß diese Dialektik - insofern sie sich als „Realdialektik" versteht und beansprucht, weit über eine bloß „deskriptive" zu einer „erklärenden" Dialektik fortzuschreiten - leicht dazu tendiert, den soziologischen Bezugsrahmen überhaupt zu verlassen und sich in eine logifizierend-ontologisierende Dialektik zu flüchten. In diesem Bezugsrahmen sind nun auch die weiteren Charakteristika der Freyerschen Dialektik zu sehen. Erstens ist sie eine stark totalisierende Dialektik, der es immer um den „gesellschaftlichen Gesamtprozeß" geht. Ist dieser Gesamtprozeß nicht erkennbar, hat er sich noch nicht formiert, wird auf das zugrundeliegende oder vermutete „gesellschaftliche Wollen", auf den verborgenen „Willensgehalt" einer Gesellschaftsordnung rekurriert. 42 In der „Theorie des objektiven Geistes" schien sich diese methodologische Tendenz zu spiegeln, 43 die Totalisierung war positiv in den Objektivationen des „objektiven Geistes" auszuweisen, Gesellschaft und Objektivationen waren reziprok aufeinander verwiesen. In der „Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft" hingegen äußert sich die Totalisierung eher negativ: das „Bewußtsein der Dialektik" erhebt sich gerade aus der „Negativität der gegenwärtigen E p o c h e " ; dennoch ist der Auftrag hier noch die Wiederherstellung der Ganzheit in synchroner und diachroner Hinsicht. In der Perspektive der Diachronie wird vorausgesetzt, daß die „Reihe der gesellschaftlichen Grundstrukturen" weiter vorangetrieben wird vom „Stand" über die „Klasse" hinaus zum „Volk". Dabei wird sozusagen die ganze Weltgeschichte umspannend - impliziert: „Die Reihe der soziologischen Strukturbegriffe verhält sich dann zum Ganzen der gesellschaftlichen Wirklichkeit so, wie sich der einzelne Strukturbegriff zum individuellen Gesellschaftsgebilde verhält (...). Das System der Soziologie ist gleichsam der universale Strukturbegriff des gesellschaftlichen Gesamtprozesses". In der Synchronie liegt die Ganzheit darin, daß gegen die Einseitigkeit des „historischen Materialismus" der Gedanke der „wirklichkeitswissenschaftlichen Soziologie" zu setzen sei, die eben als eine „Realsoziologie der geistigen Kultur" zu konzipieren sei. 44 N o c h in der „Theorie des gegenwärtigen Zeitalters" scheinen die „sekundären Systeme" alle gesellschaftlichen Beziehungen total zu durchdringen, wenn die Totalisierung nun auch negativ geworden ist und sozusagen nach innen geht: „Sekundäre Systeme, anders gesagt, sind Systeme der sozialen Ordnung die sich bis zum Grunde, das heißt bis in die menschlichen Subjekte hinein entwerfen". Immer aber geht es um eine totalisierende Dialektik, selbst noch im verzweifelten und aussichtslosen Widerstand gegen diese „sekundären Systeme", die irgendwann einmal in einer höheren Synthese zu überwinden seien, denen „irgendwann einmal ein menschlicher Grund zuwachsen" könne. 4 5
2. Zar Ortsbestimmung
der Freyerschen Dialektik
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Zweitens ist die Freyersche Dialektik - im Rahmen des Hegeischen Dreischritts von These, Antithese und Synthese - eine betont antithetische Dialektik mit einer nur geringen Ambiguitätstoleranz. Dabei liegt die Antithese typischerweise im Schnittpunkt der Gegenwart, während die These der zu überwindenden Vergangenheit zugeordnet wird, die Synthese aber völlig unbestimmt bleibt und in der Zukunft liegt. Besonders stark ist diese Zuspitzung in der „Wirklichkeitswissenschaft", in der die „soziale Wirklichkeit beständig durch den Moment der gegenwärtigen Entscheidung hindurchgezwängt" wird, und in der gerade aus dem „Zerfall'' heraus argumentiert wird. Aber dieses antithetische Verhältnis gilt grundsätzlich, sind doch alle gesellschaftlichen Gebilde „Gebilde, die zugleich die Revolution gegen sich selbst" sind. 46 Gerade in diesem Moment einer existenziellen Zuspitzung aber hat Freyer keinen Sinn für die Ambiguität der Verhältnisse: je unentschiedener sie sind, um so mehr drängt er auf „Entscheidung" und „Entschiedenheit", wenngleich er selten inhaltlich sagen kann, wofür. Besonders in seinen politischen Schriften überwiegt die totale bis zum Antagonismus gesteigerte Polarisation, aus der sich wie ein Wunder die neue Synthese erheben soll. So ist in „Revolution von rechts" der Klassenkampf ein totaler Kampf: „In jeder echten Revolution ist die Wirklichkeit derart auf zwei vollwertige Gegner, auf zwei Ganzheiten mit entgegengesetzten Vorzeichen zusammengezogen; und nur wo ein solcher Dualismus hart auf hart steht, ist echte Revolution". 4 7 Dementsprechend herrscht in diesem Buch auch die Rhetorik der „Liquidation", eine andere Lösungsmöglichkeit für Konflikte scheint es nicht zu geben. D o c h ist der Hang zur antithetischen Konstruktion generell festzustellen. Das Dilemma ist dabei, daß die Soziologie praktisch immer in der Gegenposition zur Gesellschaft steht, daß sie schärfste Kritik an den Zeitumständen übt, ohne doch angeben zu wollen und zu können, wie diese zu ändern wären. Die Soziologie ist damit immer „Kritische Soziologie", allerdings auch fast immer in einem defizitären Sinn: Kann sie nicht mehr politische Kritik sein, weil sie sich selbst diskreditiert hat, ist sie nicht mehr nach vorne gewandt, dann ist sie um so schärfer nach rückwärts gewandte Kulturkritik. 4 8 Drittens ist festzustellen, daß die Freyersche Dialektik in ihrer historischen Entwicklung eine Wendung von der positiv definierten „Reziprozität der Perspektiven" zu einer im wesentlichen negativ definierten „dialektischen Polarisation" vollzieht. In der „Theorie des objektiven Geistes" noch versucht Freyer, sein Programm eines „objektiven Idealismus" auszuführen, in dem die Spannungen im System positiv als „schöpferische Spannungsobjektivationen" definiert werden. D e r Bogen der schöpferischen Spannung wird „vom Subjekt über O b j e k t zum Subjekt" zurückgebunden, wenngleich auch hier schon ein negatives Moment der Polarisierung sich einschleicht, indem angeblich „Lebensspannung (...) an die objektive Welt geopfert (wird)". 4 9 Aber der durch die Objektivationen sich immer weiter erhöhende Aufbau der Kultur vermag hier noch die „Reziprozität der Perspektiven" zu sichern. N o c h emphatischer, aber auch schon mit einem Zug ins Irreale, wird die Reziprozität in „Der Staat" dargestellt, wenn hier der Weg zum Staat schlichtweg als ein Weg der Vergeistigung und die Vergeistigung als ein Weg zum Staat beschrieben wird. 50 D o c h die Euphorie dieser ins Grandiose gesteigerten Reziprozität ist nur von kurzer Dauer. In der „Wirklichkeitswissenschaft" reduziert sich diese Reziprozität bereits auf die geheime Korrespondenz des „gesellschaftlichen Wollens" mit dem prophetischen Gespür des Soziologen, und auf die inhaltlich völlig unbestimmte Reziprozität von „wahrem Wollen" und „wahrer Erkenntnis". 5 1 Die Reziprozität ist nun schon vom Makrosoziologischen und Gesamtgesellschaftlichen abgerutscht ins Mikrosoziologische und Erkenntnistheoretische. Wenn in „Machiavelli" und in „Preußentum und Aufklärung" die Polarisierung (zwischen „Macht" und „Geist", zwischen
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V Dialektische Methode und
Geschichte
„Staat" und „Volk", zwischen „Individuum" und Gemeinschaft") noch hinter Metaphern und heroischen Geschichtsfiguren versteckt wird, so kommt sie schließlich in der „Theorie des gegenwärtigen Zeitalters" voll zum Ausdruck in der Entgegensetzung von „sekundärem System" und „primordialem System", von „Rationalisierung" und eigentlicher „Menschlichkeit", von „Sachgesetzlichkeit" und „politischer Entscheidung", ja von „Gesellschaft" und „Individuum" welches letztere nur noch in der Mobilisierung seiner Kräfte des „Widerstands" bestehen kann. Das Modell ist nun das der Ab- oder Eininselung; 52 es ist das eximierte Individuum, in dem sich die Polarisierung oder nun schon der ernsthafte Antagonismus bis in den Kern der Personwerdung eingenistet hat. Für Freyers Ansatz einer ontologisierenden dialektischen Soziologie ist damit ein Ende erreicht, für eine empirisch-realistische Dialektik aber war es eher ein Anfang des Nachdenkens über ihre methodologischen Möglichkeiten und Grenzen. Viertens beansprucht die Freyersche Dialektik - trotz ihrer geringen deskriptiven Leistung „erklärende" Soziologie im Sinne epochenübergreifender Gesetze zu sein. Dagegen betont Gurvitch ausdrücklich: „Die empirisch-realistische Dialektik kann nur Fragen stellen, sie gibt selber keine Antworten. (...) Die Dialektik bereitet nur die Rahmen der Erklärung vor. Diese letztere aber bleibt jedesmal neu zu finden für jeden besonderen gesellschaftlichen Rahmen, für jede Struktur und selbst für jede konkrete Konstellation". 53 Der Zweck der Bescheidenheit ist natürlich die Vermeidung einer dogmatischen und kurzschlüssigen dialektischen Erklärung nach einem vorgefaßten und auf seine Voraussetzungen nicht überprüften Schematismus. Tatsächlich kann keine Wissenschaft, die nicht zuvor die Aufgabe der Deskription (der Zustands- und der Prozeßbeschreibung) 54 wie der Vergleichsanalyse geleistet hat, die keine Prognose abgegeben hat und sich nicht dem Scheitern diese Prognose ausgesetzt hat, die nicht eine große Fülle von Fällen systematisiert hat,55 hoffen, eine stichhaltige Erklärung abgeben zu können. Genau dies aber ist der Anspruch von Freyer, der - wie dargestellt - 56 glaubt, seine Begriffe ohne Vergleichsanalysen bilden und die umfassendsten Erklärungen abgeben zu können, ohne die kleinste Prognose zu wagen, und ohne sich im großen philosophischen Schwung noch mit deskriptiven soziologischen Analysen seiner Zeit auseinandersetzen zu wollen. Das wissenschaftliche Scheitern dieser Art von Dialektik ist vorprogrammiert allerdings auch ihr Erfolg bei einem Publikum, das seine Wünsche und Ängste in den großartigen Bezugsrahmen des Autors hineinprojizieren kann, ohne jedoch eine konkrete Antwort zu erwarten (und dann selbst auch geben zu müssen).
3. Gesellschaft und Geschichte: das Problem der „Realdialektik" Hans Freyer beansprucht in allen seinen Werken von der „Realdialektik" der Geschichte zu handeln, und vor allem in der „Wirklichkeitswissenschaft", auch eine „realdialektische" Methode entwickelt zu haben. Das Schicksal dieser „Realdialektik" in seinem Werk scheint jedoch zu sein, daß sie um so mehr beschworen wird und beschworen werden muß, je weniger er auf ihre Durchsetzungskraft vertrauen kann. Wenn noch in der „Theorie des objektiven Geistes" der Gang des Weltgeistes durch die Kulturen völlig sicher schien, wenn die Kulturen noch als Einheit und als „höhere Ganzheiten in der Welt des objektiven Geistes" 57 konzipiert werden konnten, so wird schon in der „Wirklichkeitswissenschaft" die „Realdialektik" nur
J. Gesellschaft und Geschichte: das Problem der „Realdialektik"
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noch an der dunkelsten und verzweiflungsvollsten Stelle beschworen: im Schnittpunkt der Gegenwart, in dem die „Intention gesellschaftlichen Wollens" realisiert werden soll und doch kein anderer Maßstab und keine andere Richtungsanzeige gegeben ist als die Tautologie des „Wahres Wollen fundiert wahre Erkenntnis". 5 8 In der „Schwelle der Zeiten" schließlich scheint die Geschichte nicht mehr über die Schwelle der Gegenwart zu kommen, könnte das, was als Schwelle beginnt, „im Weglosen enden, als Sackgasse oder als Absturz ins Bodenlose". Aber gerade in diesem möglichen oder schon unvermeidlichen Absturz sieht Freyer dann doch paradoxerweise die große Chance zur Bewährung oder Entzündung der „Flamme der Menschlichkeit": „sie ist ein Ewiges, doch ein Ewiges unter den Bedingungen der Zeitlichkeit und Vorläufigkeit, hineingeschickt in das Medium der Geschichte, die erst dadurch zu der ihren wird, daß sie sich in sie einbringt". 5 9 Dank der „Realdialektik" ist eine Rettung offenbar immer möglich, und wenn nun die Geschichte mediatisiert werden muß und die Dialektik gewissermaßen ewig geworden ist. Das aber scheint wissenssoziologisch gesehen - auch die Hauptfunktion der Freyerschen Realdialektik zu sein: zu trösten, eine Zukunftshoffnung zu eröffnen in der Verzweiflung. Doch wie soll sie dies zuwege bringen, wenn die Konstruktion dieser Dialektik so vieldeutig bleibt, wenn sie methodologisch so wenig gesichert ist? Ist sie dann nicht Selbstbetrug? Wenn man sich die Konstruktionsprinzipien dieser Dialektik ansieht, dann scheint sie sich, in dem Bestreben, Unmögliches zu leisten, nur in Paradoxien selbst aufzuheben: im unlösbaren Widerspruch von Historizität und Allgemeinheit, in der Vertauschung von Synchronie und Diachronie, in der Unbestimmtheit des Subjekts, im Umkehrverhältnis von Theorie und Praxis, oder im Dilemma von Offenheit und Vagheit. a) Historizität
und
Allgemeinheit
Das erste und vor allem wissenschaftstheoretische Problem der „Realdialektik" ist, wie Geschichte und wissenschaftliches Verstehen zusammengebracht werden können, wie einerseits die zu verwendenden Begriffe „historisch gesättigt" sein können, obwohl sie andererseits aber auch völlig „allgemein" sein sollen im Sinne „soziologischer Strukturbegriffe", die wenngleich stets in einer bestimmten historischen Epoche und unter spezifischen gesellschaftlichefi Umständen zur vollen Ausprägung gelangt - künftig als Glieder einer „dialektischen Reihe" (ζ. B. „als Ubergang der Klassengesellschaft zu einer neuen Ordnung, deren Grundlage sich in ihren Bewegungen vorbereitet" 6 0 ) fungieren und insofern als Begriffe der allgemeinen Soziologie gelten sollen. „Die Einlagerung der gesellschaftlichen Phänomene in die geschichtliche Zeit, ihre Bindung an eine bestimmte, wenn auch noch so weit zu greifende Epoche, ihr zeitloses Verhältnis zueinander" läßt sich aber nur dann mit einer historischen und zugleich gesetzmäßigen Begriffsbildung erfassen, wenn es realiter einen „Pfeil" der Geschichte gibt, wenn beispielsweise „Gemeinschaft" und „Gesellschaft", wenn Stand und Klasse, usw., „durch einen eindeutig gerichteten, unumkehrbaren Prozeß miteinander verbunden werden" können. 61 Genau das aber wäre durch historische Vergleichsuntersuchungen doch erst zu belegen. Nach der Meinung von Freyer widerstreitet „die Formel: wenn die Bedingungen a bis * gegeben sind, tritt y ein (...) im tiefsten der Soziologie; wenigstens erschöpft sie in einer (?) Weise ihren Erkenntniswillen. Die Soziologie hat, wenn sie nicht dem Formalismus verfallen will, jene Formel zu konkretisieren zu der anderen: nur an diesem bestimmten geschichtlichen O r t können die Bedingungen a bis χ samt ihrem Erfolg y gegeben sein". So verweigert er in der
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V Dialektische Methode und
Geschichte
Überzeugung des Historismus die Vergleichsuntersuchung, die er für eine falsche Angleichung an die naturwissenschaftliche Methode hält. Er meint vielmehr, daß es möglich sein müsse, „neben der historischen Begriffsbildung eine generalisierende, auf Gesetze abzielende" Begriffsbildung zu versuchen. Er ist der festen Überzeugung, daß „das geschichtliche Geschehen - und zwar als geschichtliches Geschehen - die gegenständliche Grundlage für eine doppelte Begriffsbildung in sich enthält, nämlich außer der geschichtswissenschaftlichen Erkenntnis die Erfassung durch soziologische Strukturbegriffe zuläßt, vielleicht erfordert. Diese Strukturbegriffe dürfen die geschichtlichen Tatsachen nicht zu Fällen eines zeitlos gültigen Gesetzes machen. Sie sind natürlich Resultate einer Abstraktion und werden insofern nicht den ganzen Gehalt ihres Objekts in sich aufnehmen. Sie müssen aber in sich aufnehmen: die Geschichtlichkeit der gesellschaftlichen Tatsachen, ihr Wirklichsein in der konkreten Zeit". 62 Obwohl Freyer selbstverständlich kritisch genug ist zu wissen, daß auch die „Wirklichkeitswissenschaft" keinen direkten Zugang zur „Wirklichkeit" hat, obwohl er weiß, daß jede Wissenschaft generalisiert, versäumt er doch, mehrere Ebenen dieser „Wirklichkeit" explizit zu unterscheiden und die durch die Wissenschaft vermittelte Beziehung dieser Ebenen zueinander darzustellen. Dieses Problem ist ja nicht mehr neu in der Wissenschaftsgeschichte; es wurde beispielsweise schon von John Stuart Mill formuliert, der in seiner „Logic", Buch VI, die „axiomata media" einführt, um Beobachtungsebene und Theorieebene durch eine Konstellationsanalyse der Randbedingungen miteinander zu verbinden. 63 Karl Mannheim bildet daraus später den Begriff der „principia media", nun jedoch im spezifischen Sinn historischer Konstellationen und Epochengesetze. 64 Dabei wäre der entscheidende Punkt für eine empirische dialektische Soziologie, daß das Verhältnis dieser Ebenen zueinander nicht apriorisch konstant gesetzt werden kann, weder im Sinne der bloßen „Widerspiegelung" noch im Sinne einer „wechselseitigen" Implikation. Vielmehr sind hier - wiederum nach Gurvitch - die verschiedensten, von ihm aufgezeigten, dialektischen Verhältnisse möglich. Welches das erklärungsmächtigste sein kann, ist eine Sache der empirischen Überprüfung. Bei Freyer jedoch bleibt dieses Verhältnis ungeklärt. Zwar geht er ganz explizit von einer mittleren Ebene aus, wenn er schreibt: „Die wahren Gegenstände der Soziologie aber, die großen geschichtlichen Strukturen der gesellschaftlichen Wirklichkeit, liegen in der Mitte zwischen diesen beiden Extremen" 65 (nämlich zwischen den empirischen Beziehungen, Begegnungen und Gruppenbildungen der Menschen und den allgemeinen oder „Wesensgesetzen" des „gesellschaftlichen Lebens überhaupt"). Doch er diskutiert dieses Verhältnis der Ebenen zueinander nicht, vermutlich weil er glaubt - eingebettet in eine bestimmte gesellschaftliche Epoche - , diese aus dem Moment der Gegenwart direkt erfassen zu können: „ diese Möglichkeit beruht auf der dialektischen Struktur der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Die gesellschaftliche Wirklichkeit ist einerseits durch und durch Geschehen; sie ist die reale Substanz der geschichtlichen Bewegung (...). Andererseits ist die gesellschaftliche Wirklichkeit in jedem Moment Gebilde aus Leben (...), sie ist Ordnung mit irgendeinem Grad von Dauerhaftigkeit und Formcharakter". 66 Aber die Frage ist: wie kann er über das Geschehen hinausblicken, wie kann er es zuordnen, wenn er nicht schon die dauerhaften, überhistorischen Ordnungsformen kennt? Ganz im Gegensatz zu seiner Intention, die allgemeinen gesellschaftlichen Strukturen im historischen Moment erfassen zu können, ja „auch an einem individuellen Phänomen, das wesentlich einmal und nur einmal in der geschichtlichen Zeit da war und infolgedessen für eine fruchtbare generalisierende Betrachtung keinen geeigneten Gegenstand bildet", die „doppelte Begriffsbildung" ansetzen zu können, 67 verwendet Freyer im wesentlichen nur die überlieferten konventionellen Struktur- und Gebildebegriffe wie „Gemeinschaft" und „Gesellschaft", „Staat" und
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„Volk", „Stand" und „Klasse" und vertraut auf deren realdialektische D y n a m i k v o m Einfachen z u m Differenzierten, (von „Gemeinschaft" zu „Gesellschaft") ebenso wie auf ihre strukturelle Synthese (in jeder „Gesellschaft" bleiben gemeinschaftliche Elemente erhalten). D i e E b e n e der „principia media" bleibt in der sozialwissenschaftlichen Erkenntnis damit unberücksichtigt. Dies gilt jedenfalls für die „Wirklichkeitswissenschaft". Weil Freyer das E b e n e n p r o b l e m ignoriert, ist die empirische Reichweite seiner Aussagen nicht zu klären, ist zwischen (empirischer) Generalisierung (durch Vergleich) und (metaphysischer) Hypostasierung (durch Analogien und Metaphern) nur schwer zu unterscheiden, fällt die wissenschaftliche Aufgabe der Operationalisierung überhaupt aus. „Tatsachen" scheinen sich direkt in „Erkenntnisse" zu übersetzen, ja F r e y er fordert immer wieder zur „Entscheidung" und z u m „wahren W o l l e n " auf, das allein die wahre „ E r k e n n t n i s " garantieren könne. D i e „principia media" werden ersetzt durch die Vorstellung, daß jede Kollektivität ihren Platz finden muß, da sie die „Willenslinie" ihrer eigengesetzlich verlaufenen, realdialektischen Entwicklung erkennen muß. Alles andere wäre nach F r e y e r wohl „falsche E r k e n n t n i s " für eine Soziologie, die doch „Selbsterkenntnis" und „Standortbestimmung" einer geschichtlichen Wirklichkeit sein soll: 6 8 „ A b e r unberührt bleibt bei alledem die Notwendigkeit der Entscheidung für eine bestimmte Willenslinie in bezug auf die gesellschaftliche Entwicklung. Sie bildet, in ihrer theoretischen Transformation, die apriorische Voraussetzung für das System der Soziologie. Pointiert gesprochen: nur w e r gesellschaftlich etwas will, sieht soziologisch etwas". 6 9 Allerdings kann das gegenteilige D i k t u m ebensoviel Plausibilität für sich beanspruchen: W e r zuviel will, der sieht soziologisch nichts mehr. O d e r wie Karl Mannheims ausdrückt: „Wer glaubt, daß er schon im vorhinein weiß, welchen Weg die einzelnen,principia media' nehmen werden und w e r vorher schon weiß, welche Struktur die Gesellschaft haben wird, schwächt von Anfang an seine Fähigkeit für die empirische B e o b a c h t u n g von neu entstehenden Wandlungen, und behandelt die erst entstehende Struktur so, als hätte sie schon ihre letzte Gestalt g e n o m m e n " . F ü r M a n n h e i m wie für F r e y e r besteht das P r o b l e m der Soziologie darin, daß sie Analyse „in statu nascendi" sein muß, daß es keinen archimedischen P u n k t für den Sozialwissenschaftler gibt. A b e r gerade deshalb bemüht sich M a n n h e i m so sehr, „eine Technik für die Beschreibung des sich entwickelnden historischen Prozesses" auszuarbeiten. Diesem Z w e c k dient gerade das K o n s t r u k t der „principia media", das helfen soll, historische Konstellationen von allgemeinen Gesetzmäßigkeiten zu unterscheiden. D i e „principia media" sind nach seiner Definition „allgemeine Kräfte in einer konkreten Verklammerung der verschiedenen, an einem bestimmten O r t und zu einer bestimmten Zeit wirkende Faktoren, wobei sich eine vielleicht nie wiederholbare Verknüpfung besonderer U m s t ä n d e ergibt. Sie sind also einerseits immer noch auf die in ihnen enthaltenen allgemeinen Prinzipien reduzierbar (...). Sie sind aber andererseits in ihrem konkreten Zusammenhang zu beobachten, wie sie uns in einer bestimmten Phase der Entwicklung entgegentreten, und müssen in ihrer besonderen Konstellation mit den ihnen eigentümlichen Unterprinzipien gesehen w e r d e n " . 7 0 Diese Definition sieht ganz ähnlich aus wie die der „historischen G e s e t z e " von H a n s Freyer. Ein entscheidender Unterschied ist jedoch, daß bei M a n n h e i m jede E p o c h e nicht durch ein „principium m e d i u m " , sondern durch mehrere „principia media" bestimmt wird, die eine mehrdimensionale komplexe Struktur bilden. Eine „ R i c h t u n g " kann damit nicht vorausgesagt werden. Wenn es - wie zwar vermutet allgemeine Prinzipien oder G e s e t z e gibt, so sind sie jedenfalls nur hypothetisch, nur aus dem Vergleich vieler Fälle und nur im nachhinein zu erschließen. A u c h hier ist der Vergleich im R ü c k b l i c k , von einer später konzipierten M e t h o d e auf Freyers viel frühere K o n z e p t i o n nur zulässig, u m Freyers M e t h o d e klarer herauszuarbeiten. D e r Gerechtigkeit halber soll dabei
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aber auch betont werden, daß Karl Mannheim in seiner „geschichtsphilosophischen" Periode vor 1933, sowohl in der Behandlung des Theorie-Praxis-Problems, wie auch mit der „Realdialektik" ähnliche Probleme hatte wie Hans Freyer.71 b) Die Vertauschbarkeit von Synchronie und Diachronie In seiner Konzeption einer „dialektischen" oder „systematischen Reihe" der „reinen" gesellschaftlichen Grundstrukturen, in der die Strukturprinzipien dialektisch auseinander hervorgehen bzw. ineinander umspringen·72 geht Hans Freyer - in einer modernen, strukturalistischen Terminologie gesprochen73 - davon aus, daß Synchronie und Diachronie ohne weiteres ineinander transformierbar sind. Zweifellos vereinigen sich „Synchronie" und „Diachronie" im Schnittpunkt der Gegenwart; trotzdem ist es methodologisch unmöglich, von dem einen auf das andere zu schließen oder beide Wege zugleich zu gehen. „Synchronie" meint die Analyse der gleichzeitig vorherrschenden Beziehungen. Das Ergebnis dieser Analyse ist nach Freyer der „soziologische Strukturbegriff", es ist „das Baugesetz des Gebildes", in dem allerdings dann „seine Dynamik nur als wesentliches Moment seiner Struktur" impliziert werden kann.74 Die „Diachronie" betrifft die historische Dimension, das zeitliche Nacheinander der (in synchronistischer Zurechnung als konstitutiv erachteten) Ereignisse, Beziehungszusammenhänge und Systemzustände. Nach Freyer geht es hier um den „historischen Begriff", der die „Kette der Gegenwarten", die Abfolge der Systemzustände zu erfassen hat, wobei diesmal die synchronen Strukturgesetze nur per Implikation aufscheinen können. Die wissenschaftliche Methode aber kann immer nur in einer Richtung vorgehen, Dies ist schon aus wissenschaftstheoretischen Gründen verständlich, hat sich aber auch in der Geschichte des Strukturalismus bestätigt, in der diachrone und synchrone Methoden (und Geschichtsphilosophien) immer wieder gegeneinander ausgespielt worden sind.75 Geht nämlich die Analyse in Richtung der Diachronie, dann kann sie erstens nicht voraussetzen, daß die Geschichte (dank einer „List der Vernunft" oder auch einer „List der Natur") insgesamt (trotz aller Widersprüche und Ausfälle) doch irgendwie kontinuierlich fortschreitet.76 Zweitens kann eine rein diachrone Analyse nur höchst unsicher voranschreiten, da es ihr an zuverlässigen Kriterien für die Auswahl der in der Rekonstruktion zu verwendenden Ereignisse und Beziehungen fehlt (welche nur durch eine Serie systematischer synchroner Analysen zu gewinnen wären). Die Gefahr, daß der Historiker einem gemeinsamen Mythos oder auch nur der Projektion einer persönlichen Wunschvorstellung in die Geschichte nachläuft, ist also groß. 77 Geht die Analyse aber in Richtung der Synchronie, so geht die Geschichte in den synchronen Querschnitten verloren. Denn diese Analysen verbleiben - je systematischer und gewissenhafter sie durchgeführt werden, um so mehr - innerhalb des zu untersuchenden Systemzustandes, während ein „Abbruch" oder ein „Umschlag" dieser Grundstruktur nicht wahrgenommen werden kann. Die synchrone Analyse ist weitgehend Gleichgewichts- oder Konsistenzanalyse, während die „strukturale Dauer" des untersuchten Systemzustandes nur vermutet werden kann.78 Zudem fehlt es der rein synchronen Analyse an (historischen) Kriterien, wo ein Querschnitt anzusetzen ist, wo ein Querschnitt historisch relevant ist. Freyer meint, eine solche doppelseitige Analyse eines sozialen Gebildes oder Strukturgefüges sozusagen aus dem Stand unternehmen zu können, „ohne daß es mit anderen verglichen oder als Einzelfall eines generellen Gesetzes gedacht werden müßte". 79 Allerdings ist nicht zu übersehen, daß auch bei ihm methodologische Postulation und tatsächliche Werkausführung auseinanderklaffen. Das eigentliche Dilemma, daß es den archimedischen Punkt nicht gibt, in
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dem beide Analyseperspektiven zu vereinigen wären, kann auch von F r e y e r nicht geleugnet werden. O b w o h l in einem fortlaufenden F o r s c h u n g s p r o z e ß beide Perspektiven einander abwechseln werden und immer wieder aufeinander bezogen werden müssen, ist auch dieser B e z u g nur hypothetisch, und er ist sozusagen hypothetisch z u m Quadrat. A u f jeden Fall ist der aus einer bestimmten Gegenwart urteilende Einzelforscher der unsicherste Bezugspunkt, der sich denken läßt. F r e y e r selbst weiß sehr wohl, daß „der Winkel, um den sich der E r k e n n t n i s wille dreht, wenn er die gesellschaftliche Wirklichkeit erst als Geschehen und Entscheidung, dann als Strukturgesetz d e n k t " , klein ist, aber er meint, er sei „völlig scharf b e s t i m m b a r " . 8 0 D e n n o c h macht er deutlich, daß er in diesem Punkt als Sozialwissenschaftler am E n d e ist b z w . keine M e t h o d e vorweisen kann, mit deren Hilfe er imstande wäre, diesen A c h s e n p u n k t zu bestimmen. D e n n am E n d e steht der P r o p h e t und nicht der Wissenschaftler. So wie (nach Friedrich Schlegel) die Historie „rückwärts gekehrte P r o p h e t i e " ist, so ist für F r e y e r die Soziologie eine nach „vorwärts gekehrte Prophetie". D e r Soziologe als Wirklichkeitswissenschaftler wird nun eigentlich zum Propheten, „der im Gegenwärtigen das Zukünftige erkennt, der die F o r d e r u n g e n der Zeit ausspricht, der die Entscheidungen, die in der Gegenwart reifen, v o r diejenigen, die es angeht, hinstellt und sie unausweichlich macht". 8 1 U m an diesen Punkt zu k o m m e n aber hätte es der methodologischen Abkanzelung der anderen Soziologen und eines großen wissenschaftstheoretischen Aufwands nicht bedurft. D e n n o c h ist dies ein nachträglicher, d. h. wissenschaftstheoretisch zwar berechtigter, historisch aber ungerechtfertigter, Vorwurf; denn zur Zeit Freyers war dieses Verhältnis von S y n c h r o n i e und D i a c h r o n i e noch ungeklärt. E s bedurfte offenbar einer jahrzehntelangen Debatte im Französischen Strukturalismus zwischen Jean-Paul Sartre, Claude Lévi-Strauss, Paul R i c o e u r und Michel Foucault, bis die notwendigen methodologischen Konsequenzen gezogen werden konnten. D a ß F r e y e r wie selbstverständlich von der Vertauschbarkeit von Synchronie und Diachronie ausgehen konnte, scheint wiederum an den Voraussetzungen der Hegeischen Geschichts- und Religionsphilosophie zu liegen, die er in seinem „objektiven Idealismus" mehr oder weniger unbefragt ü b e r n o m m e n
hat. Vor allem spielt hier das
T h e o l o g o u m e n o n von der „Einheit v o n Archäologie und E s c h a t o l o g i e " 8 2 eine große Rolle. Wenn Hegel von der „Gegenwart G o t t e s " ausgeht, d. h. dem Bereits-Wirksamsein G o t t e s in der Gegenwart, auch wenn sein Reich erst in der Zukunft sich vollenden wird, so geht F r e y e r gewissermaßen von der Gegenwart des „absoluten G e i s t e s " bereits in den gegenwärtigen O b j e k t i v a t i o n e n des „objektivierten G e i s t e s " aus. Wie für Hegel ist für F r e y e r die K u l t u r und der Staat eine solche O b j e k t i v a t i o n . So wird in der „Theorie des objektiven G e i s t e s " dargestellt, wie im „seelischen Kreislauf des Verstehens" der „Ertrag der G e s c h i c h t e " schon auf die zukünftige Entwicklung des Menschen verweist, die zu etwas führen wird, „das mehr als er selbst ist". 8 3 So ist sich F r e y e r in „ D e r Staat" der Austauschbarkeit von Synchronie und Diachronie völlig sicher, wenn er „Schicht" und „Stadium" vertauscht und meint: „Es ist, als o b ein A k k o r d mehrmals erklänge: immer der ganze A k k o r d , doch jeweils läge ein anderer seiner Teiltöne betont im B a ß , und die andern bauten sich, nicht führend, sondern mitgeführt, auf ihm auf. Entwicklung ist das Weiterrücken des A k z e n t s von einer Schicht auf die andere". 8 4 Erst in der „Wirklichkeitswissenschaft" polemisiert er gegen einen metaphysischen wie soziologischen „ E m a n a t i s m u s " , den er nun bei O t h m a r Spann ankreidet, den er w o h l aber auch für seine eigene „Theorie des objektiven Geistes" feststellen m u ß . D e r Fehler des „Emanatismus" liege darin, daß er insbesondere die zeitlich-geschichtlichen
Veränderungen
der Wirklichkeit zugunsten ihrer
„logisch-meta-
physischen R a n g o r d n u n g e n " entwerte. 8 5 A b e r die Lösung, die F r e y e r vorschlägt, erinnert noch
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mehr an Hegel als seine intendierte Loslösung von Hegel; denn nun tritt der Soziologe in das Kontrollzentrum der Gesellschaft und dieser tritt an die Stelle des Philosophen. 86 Bei Hegel aber trat bereits der Philosoph an die Stelle des Theologen, und seine Aufgabe war es gewesen, „die Versöhnung Gottes mit sich selbst" im endlichen Geist schon der diesseitigen Welt aufzuweisen. 87 Und fast noch stärker kommt die Vertauschbarkeit von Synchronie und Diachronie in der „Schwelle der Zeiten" zum Ausdruck, wenn die Geschichte im Grunde aufgehört hat oder ungeschichtlich geworden ist und nur noch der „Fortschritt" bleibt, d. h. „eine Art Naturprozeß", in dem nur noch eine Richtung festgelegt ist (die Richtung auf Sachgesetzlichkeit und Potenzierung der Macht), in dem jedoch kein „Ziel" mehr impliziert ist und von dem „kein kategorischer Wertentscheid und keine Sollensforderung" mehr ausgeht: „Wenn der Fortschritt so übermächtig im Gange ist, wirkt er mit der ganzen normativen Kraft des Faktischen. Nicht ein von der Vernunft gebotenes Endziel, sondern er selbst in seiner unwiderstehlichen Tatsächlichkeit wird dann zur Norm". 88 Die Synchronie, die geschichtslos gewordene Gegenwart, hat sozusagen die Diachronie eingeholt; die Diachronie ist nun tatsächlich nicht viel mehr als eine zeitlich ausgezogene Synchronie. Die Diskussion des Französischen Strukturalismus nimmt eher einen gegenteiligen Ausgangspunkt: sie beginnt bei der Finalisierung der Geschichte und der totalen Diachronie, die vor allem von Jean-Paul Sartre und seiner „Kritik der dialektischen Vernunft" (1960) postuliert wird. Zum einen ist für ihn jede menschliche Geschichte nur von den Zielen her verstehbar, von den individuellen Zielen her, wobei allerdings in einer „Zeit der Entfremdung" die Kollektive „die für die menschlichen Beziehungen charakteristische Finalität an sich reißen". 89 Zum anderen werden Vergangenheit und Zukunft, Kausalität und Finalität zueinander in ein symmetrisches Verhältnis gesetzt, wenn die Forschung in gleicher Weise regressiv „in Form des Hinabsteigens vom absolut Konkreten, zu ihren abstraktesten Bedingungen" wie progressiv über „die materiellen und sozialen Bedingungsverhältnisse bis zum Werk" fortschreiten kann 90 und in beiden Fällen die gleiche Geschichte rekonstruiert wird. Für Claude Lévi-Strauss aber entstammt diese Rekonstruktion nur der Hypertrophie des „Ich", das hier mit der „Menschheit" gleichgesetzt wird; denn nur wenn wir „unser persönliches Werden als einen kontinuierlichen Wandel" in die Geschichte hineinprojizieren, „kommt es uns so vor, als fiele die historische Erkenntnis mit der Gewißheit des inneren Sinns zusammen". 91 Wenn wir diese Projektion aufgeben, dann fällt aber auch die Kontinuitätskonstruktion dahin, nach der die Geschichte in einem Pfeil von der Vergangenheit in die Zukunft gespannt ist,92 in der aber auch der Eigenwert der historischen Kollektive vernichtet wird. So setzt Lévi-Strauss dagegen die These: „Die Geschichte ist ein diskontinuierliches Ganzes, das aus Geschichtsgebieten besteht, von denen jedes durch eine Eigenfrequenz und ein différentielle Kodierung des Vorher und Nachher definiert ist. Zwischen den Daten, aus denen jedes sich zusammensetzt, ist der Übergang ebensowenig möglich wie zwischen rationalen und irrationalen Zahlen. Genauer gesagt: die jeder Klasse eigenen Daten sind irrational in bezug auf alle Daten der anderen Klassen". 93 Deshalb besteht Lévi-Strauss darauf, zuerst einmal die synchronen Beziehungsstrukturen zu ermitteln, bevor - wenn überhaupt noch - zu einer diachronen Analyse weitergegangen werden kann. Paul Ricoeur hingegen, der vor allem an der Diachronie und historischen „Ereignis" interessiert ist,94 geht wie Freyer von Hegel (aber auch von Sigmund Freud) aus, wenn er das Verhältnis von „Archäologie" und „Teleologie" in der Geschichte zu bestimmen sucht. Doch für ihn ist dieses Verhältnis eben eine nicht abzuschließende hermeneutische Aufgabe, niemals apriorisch zu entscheiden. Schreibt Hegel die Geschichte des „Bewußtseins" und des „Selbst",
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so Freud die Geschichte (oder vielmehr: das Schicksal) der „Begierde" oder des „Es". Die Geschichte des Bewußtseins ist „teleologisch" ausgerichtet, die Geschichte der Begierde „archäologisch" zu ordnen: „Der Geist ist das, was seinen Sinn in späteren Gestalten hat, die Bewegung, die stets ihren Ausgangspunkt vernichtet und erst am Ende gesichert ist; das Unbewußte dagegen bedeutet, daß die Intelligibilität stets von früheren Gestalten herrührt, ob man diese Vorgänglichkeit nun rein chronologisch oder aber metaphorisch versteht". 95 Freyer ließe sich am besten an diese Konstruktion anschließen, wenn auch nicht zu übersehen ist, daß die Freyersche Dialektik nicht so „geduldig" ist wie die von Ricoeur. Noch einen Schritt weiter geht wohl Michel Foucault, der in seiner Rekonstruktion einer „archäologischen" oder „seriellen" Geschichte 96 Freyers Konzept der „Reihe" 97 - entgegen dessen Intention - nicht als „realdialektisch", sondern als höchst „idealistisch" erscheinen läßt. Idealistisch erstens in dem Sinn, daß die Geschichte im wesentlichen doch als Bewußtseinsgeschichte begriffen wird, wobei das Bewußtseinssubjekt als „Ich" häufig gleichgesetzt wird mit einem „Makrosubjekt", sei es die „Nation" oder die „Menschheit". Gegen diese „gedachte Denkgeschichte" stellt Foucault die Geschichte der diskursiven Praktiken, in denen es nicht selten gerade um die Verdrängung des Bewußtseins, um Nichtthematisierung und Pathologisierung geht. 98 Idealistisch aber auch in dem Sinn, daß die Geschichte trotz aller Widersprüche als Kontinuum gedacht wird, wonach das Spätere das Frühere und die Makrostruktur die Mikrostruktur impliziert. Foucault setzt dagegen die Begrenztheit und die Brüchigkeit der diskursiven Beziehungen, die Skansionen und Schwellen zwischen den historischen Formationen, die Diskontinuitäten und die Katastrophen; selbst der Zufall spielt eine nicht zu unterschätzende Rolle. Das Problem der Geschichtsschreibung sind gerade die Ubergänge von Schicht zu Schicht, von Periode zu Periode, die in jedem Fall zu problematisieren sind, für die kein Generalnenner zu erwarten ist. 99 Der Begriff der „Reihe" oder „Serie" in diesem Sinn dient hier gerade dazu, die grandiose Volksgeist-Weltgeist-Geschichte herunterzutransformieren auf die Ebene konkreter historischer Diskurse und Diskursgemeinschaften, die teils groß, teils klein, teils offen teils verdeckt, immer aber fragmentarisch und erratisch sind. Eine totalisierende Geschichtsbetrachtung dagegen würde die Geschichte auf jeden Fall verfehlen.
c) Dilemma einer dualistischen
Dialektik
Die Freyersche Dialektik leitet sich ab aus der „materialistischen Wendung" der Hegeischen Dialektik durch Karl Marx, wobei jedoch die „marxistische Konzentrations- und Verelendungstheorie" ebensowenig mitvollzogen werden soll wie die „marxistische Werttheorie und Ideologienlehre". An ihre Stelle soll eine „Realsoziologie der geistigen Kultur" treten, soll „das gesellschaftliche Sein als wesenhaft ideenhaltig" anerkannt werden. 100 Die Gefahr dieser erneuten Wendung ist jedoch, daß Freyer nun zu einem idealisierten Hegeischen Subjekt zurückkehrt, jedoch die verarmte Grundstruktur der Marxschen Dialektik beibehält, wenngleich er den Wertakzent von den materiellen Gegebenheiten auf die ideellen umpolt. Die Dialektik bleibt eine dualistische Subjekt-Objekt-Dialektik; dabei wird das Subjekt weitgehend nur als ein Erkenntnis- oder Bewußtseins-Subjekt (nicht eigentlich als in der sozialen Interaktion sich konstituierendes soziales Subjekt) verstanden. Dies wird erstens sichtbar im ständigen Umspringen vom theoretischen zum praktischen Subjekt, vom Erkennenden zum Schaffenden, vom Schaffenden zum Täter usw., in dem jedoch immer die Analogie zum („gottgleichen") schöpferischen Ich erhalten bleibt. Im Grunde wird der schöpferische Charakter des Subjekts nicht problematisiert; es bleibt das Hegeische
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Subjekt: ungebrochen, integrativ und universell - es sei denn, daß es untergeht: wandeln kann es sich nicht. In Freyers „Theorie des objektiven Geistes" ist das Subjekt noch ungebrochen „schöpferisches" oder „schaffendes" Subjekt; sogar das „soziale Schaffen" 101 wird in Analogie zum künstlerischen Schaffen begriffen. In „Der Staat" aber wird der Schaffende zum „Táter", das „Schaffen" wird nur noch als Vorstufe der „Tat" gewürdigt: „die Passion des Schaffens macht die Form bündig, die Aktivität der Tat macht sie wirklich". Das Gebot der Stunde ist nun die „Tat": „So ist der Mensch der einzige mögliche Täter von Taten auf Erden, er ist das einzige historische Wesen. Tat nämlich ist dasjenige Handeln, dessen Gehalt Geist ist. Historisches Wesen sein, heißt die Forderungen des Geistes, die an der Zeit sind, in Taten vollstrecken". 102 Selbstverständlich wird der „Täter" in der „Revolution von rechts" geradezu zum „Aktionisten"; 103 aber schon in der ungefähr gleichzeitigen „Wirklichkeitswissenschaft" ist mehr vom „Wollen" die Rede als von der „Tat", und der eigentlich Tätige ist der „Erkennende", dessen Aufgabe die „denkende Teilnahme an einem Geschehen" ist, „das im Willen der Gegenwart seine prägnante Existenz und seine potenzielle Weiterführung gefunden hat". 104 In der „Theorie des gegenwärtigen Zeitalters" jedoch ist dieses Hegeische Subjekt offenbar erledigt: „Hegel fand, der Mensch sei frei, weil er in einer von ihm selbst gebauten oder bearbeiteten Welt lebe; so trete ihm die Umwelt nicht als fremde Natur entgegen, sondern vorgeformt durch menschliche Arbeit. Sie sei Geist von seinem Geist; vom Eigenen aber bestimmt zu werden, das eben sei Freiheit". Weil es aber nicht so ist, weil die Welt nun bestimmt ist durch die unpersönliche „Machbarkeit der Sachen" und durch die nur arbeitsteilig zu gewährleistende „Organisierbarkeit der Arbeit", deshalb sei das „Subjekt" untergegangen, d. h. geschichtslos geworden. 105 Das Hegeische Subjekt ist eben ganz oder es ist gar nicht; es ist schöpferisch oder es ist unterworfenes Objekt; es ist vollkommen selbstbestimmt oder es ist entfremdet. Zweitens kommt die idealisierte Subjekt-Objekt-Dialektik darin zum Ausdruck, daß die soziale Konstitution der Kollektivsubjekte nicht eigens problematisiert wird: die Kollektivitäten sind vielmehr sozusagen Makro-Subjekte, die im Prinzip aufgebaut sind und handeln wie die individuellen Subjekte auch. Die Kollektivität wird in der antagonistischen Klassengesellschaft geradezu als Schreckbild gesehen, denn in ihr ist kein Platz mehr für eine ständische Ordnung, in ihr weiß sich „ein Gesellschaftsteil als „Träger der Zukunft" und „auf Grund dieses Bewußtseins" will dieser „die gesellschaftliche Macht schrankenlos für sich erobern". Doch diese Klassenspaltung ist auf jeden Fall zu überwinden. Die Soziologie, „wo sie konkret dachte", hat die Klassengesellschaft „als Ubergang verstanden und nur als Ubergang gerechtfertigt". Die Aufgabe der Soziologen ist es, das „eigentliche Subjekt" 106 einer bestimmten historischen Epoche ausfindig zu machen, d. h. jenes Kollektivsubjekt, in dem die Individualsubjekte ohne Entfremdung aufgehen, in dem ihr Handeln schöpferisch werden kann. Für Freyer ist dieses positive Subjekt fast in seinem ganzen Werk das „Volk", das jedoch nie konkrete Züge annimmt, um schließlich in der „Theorie des gegenwärtigen Zeitalters" völlig zu verschwinden. Zwischen den beiden logischen oder ontologischen Extremen der vollen Integration und der antagonistischen Spaltung scheint es keine Zwischenstufe zu geben, bleibt die soziale Konstitution der Kollektivsubjekte völlig ungeklärt. Das Dilemma dieser Art von Subjekt-Objekt-Dialektik ist allerdings, daß das „eigentliche Subjekt", das im Volksbegriff erfaßt werden soll, in den Schriften von Freyer völlig unbestimmt bleibt bzw. daß seine Definition permanent wechselt. Obwohl in der Zeit seiner Hauptwerke eine heftige Diskussion um den Volksbegriff entbrannt ist, - schließlich war im I. Weltkrieg die Donaumonarchie zusammengebrochen und die Nachfolgestaaten mußten sich um eine politisch realistische Nationwerdung bemühen 107 - obwohl auch in Deutschland „Volk" und
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das Problem der „Realdialektik"
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„Staat", „Kulturnation" und „Staatsnation" auseinanderklaffen und in der Entwicklung zu einer notwendigerweise arbeitsteiligen, vielfach im Außenfeld verflochtenen und völkisch heterogenen Industriegesellschaft gefunden werden muß, 108 nimmt Freyer praktisch keinen dieser grundsätzlichen Diskussionsbeiträge zur Kenntnis. Unbeeindruckt hält er an der schon damals als lebensfremd erwiesenen Deckungsgleichheit von „Staat" und „Volk" fest, notfalls gegen die „Industriegesellschaft", wenn es sich fügt, mit ihr. 109 In der „Theorie des objektiven Geistes" kann dieses größte Kollektivsubjekt nichts anderes sein als Meineckes „Kulturnation" - auch wenn dieser Terminus vermieden wird und eine politische Diskussion nicht stattfindet bzw. die Ableitung dieser höchstmöglichen Integrationsform streng „transzendental" bleibt. 110 Kurz darauf, in „Der Staat", aber beruft sich Freyer bereits auf die Idee der „Staatsnation", wobei er jedoch vom „Reich" spricht: „Alle Systeme von Formen, in die sich der Geist entfaltet hat, kehren also in der Formenwelt des Staats wieder und indem sie sich miteinander verschränken, schließt sich der Schicksalsraum des Reiches. Jedes einzelne System wird dabei umgeprägt bis ins Innerste; umgeprägt nach dem Bildungsgesetz des Staates: daß jede einzelne Form in sich festgegründete Objektivität, dabei aber dem Volk zu eigen gegeben und ein Stück im Ganzen des Reiches sei". Es ist kaum daran zu zweifeln - auch in bezug auf Freyers Europakonzeption, nach der ein Reich in der Mitte stehen sollte 111 - , daß das Reich einen Vielvölkerstaat darstellen müßte, auch wenn das Zentralvolk die Oberherrschaft beansprucht. Die nächste Wendung aber ist, daß in der „Wirklichkeitswissenschaft" das „Volk" mehr als eine Utopie dargestellt wird, als „daß ein heutiges Volk Gemeinschaft im prägnanten Sinne sei oder werde", 1 1 2 während die „Revolution von rechts" ein Jahr später aber diese Utopie zu realisieren sucht, indem „Staat" und „Volk" endlich zur Deckung gebracht werden sollen: „Während alle frühere Politik über das Land hinhandelte, es bestenfalls als Gebiet zusammenraffte und als Grenze verteidigte, während alle frühere Politik das Volk wie ein edles, aber unmündiges Material bearbeitete, (...) wird der Staat, der die Revolution des Volks führt und der als Zustand aus ihr hervorgeht, die Essenz des Volks sein: erst die konzentrierte Energie seines Stoßes, dann die konzentrierte Energie seines dauernden Handelns. Das Kraftfeld des Volkes wird frei, und der Staat ist die Integration dieses Kraftfeldes zur politischen Geschichte." Ziel dieser Revolution, die eindeutig unter dem Zeichen des „Staatssozialismus" steht, ist: „daß das Kraftfeld des Volks von den heterogenen Querschlägen der industriellen Gesellschaft freigemacht wird, und daß dadurch das Volk, Herr seiner Welt, zum politischen Subjekt, zum Subjekt seiner Geschichte wird". 1 1 3 Uber den Realitätsgehalt dieser Einheitsfiktion ist heute nicht mehr zu streiten. Anzumerken im Zusammenhang der Konzeption der „Realdialektik" ist nur einerseits die Unbestimmtheit des Subjekts, das jedoch andererseits durch einen totalen Umschwung (eine „Revolution") zu sich selbst kommen soll. Drittens ist bemerkenswert, wie leicht bei Freyer „Theorie" in „Praxis" umschlägt, wie sie dasselbe oder nur zwei Seiten ein und derselben Willensrichtung oder Intention sind. Obwohl er Hegel kritisiert, der sich am Ende einer Epoche wähnte, von dem aus das Ganze überblickbar schien, so daß nun für ihn gelten konnte: „Praxis schlägt in Theorie um", hat er doch diesem extremen Dualismus nichts anderes entgegenzustellen als den Umkehrschluß, wonach „nun in der prägnanten Situation einer dialektisch gebauten Gegenwart - die soziologische Theorie in politische Praxis umschlägt". 1 1 4 Dieser geschichtlichen Situation entspricht auf der anderen Seite „das Erlebnis der Umstellung, des ,Umschnappens' aus der einen in die andere Haltung", das heißt von der „theoretischen" zur „praktischen" Erkenntnis. 115 Diese extreme Wendigkeit, in der gerade die schwierigste Umstellung sozusagen mit einem Schlag erfolgt, scheint dem nach wie vor geltenden Widerspiegelungsprinzip zu entstammen.
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V Dialektische Methode und
Geschichte
Wie gerade in seiner aktionistischsten Schrift, in der „Revolution von rechts", ausgeführt wird, gibt es allerdings eine „falsche" und eine „richtige" Widerspiegelung. Über die Marasche Klassentheorie heißt es: „Die Theorie, die die industrielle Gesellschaft im akuten Klassenkampf auseinanderreißt, ist nichts als die glanzvolle Spiegelung dessen, was in der Substanz des Zeitalters real geschieht; die Idee der Weltrevolution nichts als die geschichtsphilosophische Konsequenz aus der Bewegung der Gegenwart". Dennoch ist nach der Meinung von Freyer „diese Dialektik der industriellen Gesellschaft von der Geschichte nicht legitimiert worden, das heißt: sie ist nicht geschehen". Was statt dessen geschehen kann und soll, ist die „Erledigung" des Klassenprinzips, ist die „Liquidation" des 19. Jahrhunderts durch das „Prinzip Volk", 116 das nun aber als eine vollgültige Widerspiegelung der neuen Zeit gelten könne. Erst in „Preußentum und Aufklärung" von 1944 treten „Theorie" und „Tat" auseinander, wird das Verhältnis zueinander wirklich problematisiert, wenn auch die „Theorie" dabei nun ziemlich abgewertet wird. In der Wendung zu einem „höheren Realismus des Handelnden" in der „alle Reflexion über das Handeln gleichsam selbstläufig wird und sich von der Wirklichkeit unmerkbar, aber unaufhaltsam entfernt" ist die „Tat" gefordert, „die alle Theorie transzendiert" während die politische Theorie nur die Aufgabe haben kann, „die Grundsätze zu klären, denen die Tat zu folgen hat, ohne daß sie aus ihnen wie ein notwendiges Resultat - denn das ist sie nicht hervorginge". An die Stelle des „Selbstlaufs" der Theorie tritt nun der Selbstlauf der Handlung, theoretische Perspektive und praktische Perspektive sind jedenfalls nicht identisch: „Für den politisch Handelnden dagegen hat die Theorie, falls sie überhaupt zu seinem geistigen Haushalt gehört (...), eine ganz andere Bedeutung.(...) Sie will gar nicht die konkrete gegenwärtige Situation zum Begriff erheben oder zum Bild klären, diese soll ja vielmehr tathaft angegriffen und dadurch gestaltet werden. Sie will auch nicht die Tat als theoretisch formulierte Forderung vorwegnehmen; diese soll vielmehr zu ihrer Zeit getan werden". 117 Der theoretische Impetus der „Wirklichkeitswissenschaft" ist nun dahin, „Handlung" und „Reflexion", „Praxis" und „Theorie" brechen auseinander. Der Hegeische Ausgangspunkt, wonach „das Theoretische (...) wesentlich im Praktischen enthalten" ist oder wonach wir tätig sind, „indem wir denken", 118 ist damit verloren, aber eine neue Vermittlung wird nicht gesucht und nicht gefunden. 119 Dieses dualistische Verhältnis von Subjekt und Objekt, von Theorie und Praxis wird erst von Gotthard Günther aufgelöst und empirisch geöffnet, indem er von der Intersubjektivität der Erfahrung und Erkenntnis ausgeht. Das heißt, daß das empirische Subjekt nicht mehr als autonom und völlig selbstbestimmt angenommen werden kann, daß dann aber auch das Subjekt niemals einem absoluten Objekt, sozusagen einem Objekt mit dem Index Null (0), gegenübersteht. Objekte sind dann immer nur in bezug auf Subjekte definierbar, sie tragen den Index des Beobachtungsstandpunktes und des Beobachtungsinstrumentariums des Subjekts bzw. der Subjektsgemeinschaft, die in Kooperation und Konflikt diese Objekte schafft oder jedenfalls mitkonstituiert. Umgekehrt gibt es kein So, sondern nur Si, S2, usw. Das Subjekt ist in jedem Fall sowohl denkendes wie gedachtes Subjekt, nämlich „Ich" und „Du"; aber selbstverständlich ist auch das „Du" lebendiges Akt- und Reflexionszentrum, so daß es niemals zum reinen Objekt degradiert werden kann. In einer triadischen Logik und Ontologie, in der „Ich" und „Du" einerseits und „Ich" und „Es" andererseits unterschieden werden, 120 gibt es kein einfaches Umkehrverhältnis mehr von „Subjekt" und „Objekt", aber auch nicht von „Denken" und „Sein", von „Geist" und „Natur" („Materie"), von „Reflexion" und „Handlung" von „Theorie" und „Praxis", gibt es auch keine Gleichsetzung mehr von „Du" und „Es" oder von „Subjekt" und „Reflexion", bzw. von „Objekt" und „Reflexivität", sondern sie liegen nun in verschiedenen Ebenen. Aus der „Negation der Negation" entsteht keine „Position" mehr, die
3. Gesellschaft und Geschichte: das Problem der „Realdialektik"
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mechanisch als R ü c k k e h r z u m Ausgangspunkt definiert werden könnte. D i e „ R e f l e x i o n " vernichtet nicht die „subjektive H a n d l u n g " , indem sie sie auf ihre „objektiven" Voraussetzungen zurückführt; vielmehr eröffnet die als Ausgangsbasis dienende Intersubjektivität immer wieder historisch neue Möglichkeiten, die nicht aus der M e c h a n i k einer zweiwertigen L o g i k gefolgert werden können.
d) Offenheit und Vagheit H a n s F r e y e r stellt immer wieder die „ O f f e n h e i t " seiner Soziologie heraus, die immer so konstruiert sei, „daß die Geschichte nach vorn offen ist und irgendein sinnvoll-verstehbarer Z u g des Werdens aus den Tiefen der Vergangenheit in die Gegenwart herein und durch sie hindurch in die Zukunft strömt". 1 2 1 M a n gewinnt jedoch bald den Eindruck, daß diese Offenheit, die besonders in der „Wirklichkeitswissenschaft" betont wird, eher ein Ergebnis der politischen Resignation ist bzw. daß sie nicht empirisch, sondern sozusagen als metaphysische Fluchtidee zu verstehen ist. I n der „Theorie des objektiven G e i s t e s " ist noch alles wunderbar geordnet, wenn F r e y e r die U b e r z e u g u n g formuliert, „daß im P h ä n o m e n der K u l t u r eine notwendige innere O r d n u n g gründet, nach der die Richtungen, in denen ein menschlicher Sinngehalt objektiviert werden muß, festgelegt sind", so daß es nur noch die Aufgabe des Kulturphilosophen (oder -Soziologen) sei, „das Prinzip dieser O r d n u n g anzugeben und nach ihm das System der notwendigen und zureichenden Kultursysteme abzuleiten". 1 2 2 In der „Wirklichkeitswissenschaft" aber gerät diese notwendige und festgefügte O r d n u n g ins Schwimmen, oder ihr Verpflichtungscharakter schwindet, wenn F r e y e r betont, daß die „Aufstellung einer solchen systematischen R e i h e der gesellschaftlichen Grundstrukturen keine zeitlose und freischwebende Gültigkeit hat, sondern - wie alle geschichtliche und soziologische Erkenntnis - v o m Willensgehalt der Gegenwart her ihre kategoriale Struktur b e k o m m t " . N u n erst hat der Soziologe die Aufgabe und - folgt er F r e y e r - offenbar auch die Fähigkeit, „im Gegenwärtigen das Zukünftige" zu erkennen und die „Forderungen der Z e i t " auszusprechen und „unausweichlich" zu machen. D i e Z u k u n f t mit einem langen Zeithorizont scheint nun auf einen engen Entscheidungsmoment zusammengedrängt, die „ O f f e n h e i t " wird damit aber zur Unsicherheit und Unbestimmtheit: gerade weil der „Willensgehalt der G e g e n w a r t " 1 2 3 so unbestimmt bleibt, wird an die „Entscheidung" appelliert, gleichzeitig aber auch an die „Dialektik", deren Inhalt als „Realdialektik" damit eigentlich in Frage gestellt wird. D e r Angelpunkt der „ O f f e n h e i t " und „ U n b e s t i m m t h e i t " liegt in der mehrdeutigen H e g e l schen „ A u f h e b u n g " begründet, deren Mehrdeutigkeit F r e y e r teils eher beiläufig, teils aber mit systematischer Intention noch erheblich erweitert. E h e r fahrlässig scheint die Aufzählung von „dialektischen" Möglichkeiten in der ideologiekritischen oder wissenssoziologischen Analyse, wenn diese das Verhältnis von „geistigem Gehalt der F o r m " und „existenziellen Voraussetzungen" dahingehend bestimmen kann, daß es „Abbild oder Wunschbild, Vorklang oder N a c h klang, Bekenntnis oder Anklage, Lebenslüge oder Selbstdeutung sein" kann. 1 2 4 In dieser Aufzählung ist wirklich nichts ausgelassen: getreue Widerspiegelung und bloßes Hirngespinst, zeitliche Vorwegnahme und nachträgliche Erfüllung, Bejahung und Verneinung, Selbstreflexion und Projektion. D i e wissenssoziologische Interpretation kann so auf keinen Fall scheitern, der so produzierte „Sinn" dürfte aber auch höchst unsicher sein; die Dialektik im Sinne der Deutungsbeliebigkeit ist nur ein gutes Kampfmittel zur Erledigung des Gegners, der eigenen Wirklichkeitsdeutung kann sie keine Leitlinie geben.
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V Dialektische Methode und
Geschichte
Zum systematischen Konstruktionsprinzip wird diese Unbestimmtheit oder Mehrdeutigkeit jedoch im Prinzip der „systematischen" oder „dialektischen Reihe", denn hier sind zum einen sowohl die Prozesse der Segmentation, der Überlagerung und der Sequenzierung zugelassen, zum anderen kann jedes Glied der Reihe sowohl als „Bestätigung" wie auch als „Uberwindung" des vorhergehenden aufgefaßt werden. 125 Durch dieses Verfahren bleibt zwar die Geschichte „offen", andererseits aber sinkt der Wert der empirischen Beobachtung oder einer empirisch orientierten Vergleichsanalyse auf Null; denn es ist alles zugleich möglich: Inklusion, Integration, und Antagonismus. Diese Dialektik ist methodologisch nicht mehr kontrollierbar. Daß sie aber schon dadurch zur „Realdialektik" würde, ist ein Trugschluß. Ein Maximum an Verwirrung wird jedoch erreicht, wenn Freyer überhaupt keine strukturellen Unterscheidungen mehr versucht, sondern drei unvereinbare Prinzipien gleichzeitig und nebeneinander gelten läßt: das Prinzip der Aktualität, „daß die ,Geschichte' aus dem Willensgehalt der Gegenwart ihre kategoriale Struktur bezieht"; das Prinzip der Finalität: „Von ihrem Ende her. von dem noch nicht Geschichte Gewordenen gestaltet sich die Geschichte"; schließlich das Prinzip der Konservation, „daß sich diese Entscheidungen auf geschichtliche Wirklichkeiten, wenn auch auf eben erst ansetzende und in der Bildung begriffene, beziehen". 126 Das Prinzip der Aktualität könnte als epistemologisches oder methodologisches Prinzip in dem Sinne verstanden werden, daß ein anderes Begreifen als das aus der gegenwärtigen Situation (mit all ihren Standortvor- und -nachteilen bzw. Sichtverzerrungen) gar nicht möglich ist; in der starken Betonung des „Wollens" und der „Entscheidung" jedoch wird es „realdialektisch" verstanden als ein Prinzip von Gesellschaft und Geschichte selbst. Dem widerspricht im Grunde das Prinzip der Finalität, so wie es hier reifizierend formuliert wird, daß sich die Geschichte selbst gestalte, wobei die Menschen offenbar nur als Agenten dieser Geschichte tätig werden können. Das Prinzip der Konservation der vergangenen Strukturformen in den aktuellen, die in der Segmentation oder in der Uberschichtung das Vergangene positiv integrieren, während sie es in der Herausbildung einer neuen Strukturform wenigstens negativ bewahren, aber geht davon aus, daß auch bei Geltung des Aktualitäts- und des Finalitätsprinzips offenbar nichts mehr verloren gehen kann. Wenn nun in Freyers „Uberdialektik" alle drei Prinzipien gleichzeitig gelten, bedeutet das, daß keine geschichtliche Bewegung mehr möglich ist, ja daß jede beliebige geschichtliche Bewegung als „notwendig" erklärt werden kann. Aber das ist gerade das Dilemma dieser immer wieder beschworenen „Realdialektik", 127 daß sie über ihr Ziel hinausschießt, daß sie sich nur noch mit dem logisch Möglichen, nicht aber mit dem empirisch Wahrscheinlichen beschäftigt, ja daß sie kein Kriterium mehr hat, zwischen beidem zu unterscheiden.
4. Das Ende der
„Realdialektik"
Die Dialektik Freyers unterliegt der Täuschung „Realdialektik" zu sein; durch die Vagheit ihrer Konstruktionsprinzipien ist es nur zu leicht, sie mit einer höheren (sei es kulturphilosophischen, sei es existenzialistischen, sei es politischen) Weihe zu versehen. Ihr Hang zur Totalisierung und die Übersteigerung der Polaritäten zum logisch-ontologischen Antagonismus scheint eine Gesamtschau des langen weltgeschichtlichen Horizonts zu eröffnen und gleichzeitig einen konkreten Fingerzeig für die weitere Entwicklung zu geben, doch es handelt
4. Das Ende der » Realdialektik "
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sich hier (nach der Definition von Karel Kosik) doch um eine „falsche Totalität", die abstrakt bleibt und sich auf ein eher mythologisches Subjekt beruft. 1 2 8 Die antithetische Konstruktion von Subjekt und O b j e k t , von Theorie und Praxis scheint die Heilsgewißheit zu vermitteln, daß der „Knecht" den „Herrn" besiegen, daß endlich die lebendige Praxis die graue Theorie ablösen wird; doch die Interaktion der Subjekte, der mühselige Prozeß der Umsetzung der Theorie in Praxis bleibt außer acht. D e r voluntaristische Kurzschluß der Methode, in der das „wahre Wollen" unmittelbar zur „wahren Erkenntnis" führen soll, öffnet den falschen Propheten die Tür. 1 2 9 Diese Dialektik hat als „Realdialektik" - und sie ist wohl gerade deshalb methodologisch so schlecht entwickelt - Großes, Heilsgeschichtliches zu leisten, die Rettung der Vergangenheit in eine hoffnungsvolle Zukunft über die unsicher und unheilvoll gewordene Schwelle der Gegenwart hinweg. Wie groß diese Unsicherheit - und wie groß dementsprechend auch die methodologische Verdunkelung - gewesen ist, läßt sich vielleicht daraus erschließen, daß es nicht genügte, den II. Weltkrieg bis zu seinem bitteren Ende durchzustehen, daß erst der Stalinismus und der marxistisch-linkshegelianische Anspruch auf die Kenntnis der „Realdialektik" und die Beherrschung der absoluten Geschichtsgesetze zurückgewiesen werden mußte, bis auch die deutschen und französischen Philosophen Abstand nahmen von den nie eingelösten (oder nur in einer pervertierten F o r m eingelösten) „Abenteuern der Dialektik". 1 3 0 Es mußten wohl die Linkshegelianer sein, die diesen Prozeß weiter- und zuendeführten; denn der Rechtshegelianismus hatte seine Legitimität mit dem Untergang der faschistischen Regime in Europa gründlich verspielt. A m Ende steht die Erkenntnis, die von keinem so klar formuliert werden konnte wie von George Gurvitch, daß die Dialektik - wenn sie methodologisch überlegt eingesetzt und nicht dogmatisiert wird - „weder zum Heil zu führen (vermag) noch zur Verzweiflung noch durch diese hindurch zu jenem. Sie enthält keinerlei Universalheilmittel zur Versöhnung der Menschheit oder der Gottheit mit sich selbst". 1 3 1 Die methodologisch zu verantwortende Dialektik muß „die Beziehungen zwischen der Dialektik als realer Bewegung im menschlichen Bereich und den Methoden, die diese Bewegung erforschen", selbst wieder dialektisch behandeln. 1 3 2 In der sogenannten „Realdialektik" aber wird diese Beziehung dogmatisch und apriorisch festgelegt (wenn nicht die Dogmatiker es vorziehen, nur Leerformeln zu gebrauchen); die „Realdialektik" kann so das Heil versprechen, aber die Wahrscheinlichkeit des Unheils ist umgekehrt proportional zu diesem Heilsversprechen. Seltsam ist der Anspruch dieser „Realdialektik", daß sie „historisch" sei, daß - wie bei Freyer - immer wieder die „Geschichte" beschworen wird, während doch der Geschichte als Geschichte praktisch kein Raum eingeräumt wird, vielmehr vorgegeben wird, den Gang der Geschichte oder wenigstens die Prinzipien ihrer Bewegung zu kennen. Freyer erkennt methodologisch doch nicht an, 1 3 3 daß die Geschichte kontingent ist, eine Kreuzung der Kreise, daß sie ein unabschließbarer Diskurs oder auch ein unentschiedener Kampf ist zwischen vielen Gruppen und Staatsverbänden, die sich für bestimmte Zwecke und kurze Perioden zusammenschließen, um sich für andere Perioden wegen anderer Zwecke wieder zu trennen, ein Diskurs, der nie endgültig anzuschließen und der nur über kurze Frist vorherzusehen ist; stattdessen geht Freyers Dialektik von der Vertauschbarkeit von Synchronie und Diachronie aus und setzt dazu noch voraus, daß der dialektische Philosoph oder Soziologe sozusagen im Zentrum der Gesellschaft sitze, konzentrisch eingebettet in eine ständisch-völkische Gesellschaft, in der sich die sozialen Kreise nicht mehr überschneiden, in der der Gelehrte tatsächlich „Prophet" seiner Zeit sein könne und müsse. Ahistorisch ist die Auffassung , daß es „konkrete Begriffe" gebe, die einerseits historisch gesättigt, andererseits aber völlig allgemein sind. I m Grunde ahistorisch
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V Dialektische Methode und
Geschichte
ist aber auch eine Soziologie, die - um in der Situation der Unsicherheit selbst keine Wertentscheidung treffen zu müssen oder auch, um sich auf keine Prognose festzulegen - die Gesellschaft zum selbstreferentiellen System erklärt, das seinen Weg schon finden und notwendigerweise immer die ihm gemäßen Propheten und Politiker hervorbringen wird. Eine historische Dialektik aber kann nur eine kontingente Dialektik sein, wie als erster wohl Merleau-Ponty klargestellt hat,' 34 d. h. eine Dialektik, die nicht mehr mit dem Möglichen und mit dem Notwendigen (dem Denknotwendigen oder auch dem unbedingt Seinsollenden) argumentiert, sondern nur noch mit dem empirisch Gegebenen und Wahrscheinlichen, das auch vom Zufall abhängt, von der einmaligen und unwiederholbaren historischen Konstellation, von der Entscheidung einer historischen Persönlichkeit oder einer Gruppe von Personen, die in einem Gabelungspunkt der Geschichte die Weichen stellt, vielleicht ohne selbst die Lage zu überblicken. Doch die Kontingenz ist nur die Ausgangsbestimmung der Dialektik: Das bloße Bekenntnis zur Kontingenz oder gar die Erhebung des Zufalls zum Hauptakteur der Geschichte ermöglicht auch noch keine Einsicht in den dialektischen Gang der Geschichte, sie macht vielmehr struktur- und geschichtsblind: die Kontingenzen der Geschichte müssen selbst wieder relativiert werden, 135 sie müssen zueinander in Beziehung gesetzt und auf ihre Ausgangsbedingungen hin überprüft werden. Nicht alles ist kontingent. Es gibt sowohl wohlstrukturierte Perioden der Geschichte, in denen sich die sozialen Systeme mit großer Regelmäßigkeit und Konsequenz weiterbewegen. Aber es gibt auch Perioden des Strukturumbruchs und der Fluktuation; bisher scheinbar unilineare Wege stehen vor einer Abzweigung, die Uberlagerung der Strukturen und Bewegungen führt zu Interferenzerscheinungen, in denen das normalerweise Unwahrscheinliche dennoch eintreten kann. 136 Der Erforscher der Kontingenzen muß sozusagen eine mittlere Distanz zu den historischen Ereignissen gewinnen: er kann sich nicht völlig dem Zeitstrom überlassen (und er darf nicht vorgeben, inmitten der Zeit als ihr Agent und Sprecher zu leben); er würde ja sonst jede Distanz, jede Möglichkeit der Zuordnung der Ereignisse zu einer größeren Epochenstruktur verlieren; er kann aber auch nicht einen archimedischen Punkt außerhalb der Zeit für sich beanspruchen, denn sonst herrscht nur noch die angeblich apriorische Evidenz und das Dogma, d. h. es ist nur noch vom Notwendigen und Möglichen, nicht mehr vom empirisch Wahrscheinlichen die Rede. Damit diese mittlere Distanz gewahrt werden kann, müssen jedoch zwei Voraussetzungen erfüllt werden, eine methodologische und eine soziale: Diese Dialektik muß sich selbst methodisch relativieren. Wie Theodor Litt bereits in „Individuum und Gemeinschaft" (1923) herausgearbeitet hat, ist eine soziologische Analyse undenkbar, solange die Position eines Sozialforschers als einem Erkennenden und einem selbst in die Gesellschaft einbezogenen Erlebenden und Handelnden nicht bewußt auseinander gehalten werden können. Das kann jedoch nur in einem methodischen Dreischritt gelingen, in dem (erstens) die Beschreibung und die Analyse auf der Gegenstandsseite (zweitens) verbunden wird mit einer expliziten historischen Ortsbestimmung des Forschers oder der Forschergemeinschaft, ihrer Stellung in der Gesellschaft, ihrer Interessen und ihrer sozialisations- wie interessenbedingten Sichtverzerrung, wodurch erst (drittens) Erkenntnisobjekt und -Subjekt durch Methodenüberlegungen aufeinander bezogen werden, in denen die auszuwählende Methode auf ihre Geeignetheit, ihre Voraussetzungen und ihre mögliche Reichweite bzw. Erfolgswahrscheinlichkeit beurteilt werden kann. 137 Bei Freyer unterbleibt vor allem der (wissenssoziologische) zweite Schritt, und deshalb bleibt auch der dritte Schritt - trotz vieler Abgrenzungsversuche - undeutlich.
4. Das Ende der „ Realdialektik "
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Zweitens ist eine solche Dialektik nur möglich auf der sozialen Basis des Dialogs oder des Diskurses; denn wenn Subjekt und Objekt aufeinander relativiert und wenn ihre Beziehung methodisch vermittelt werden muß, wenn es kein einfaches (positives oder negatives) „Widerspiegelungsverhältnis" zwischen beiden mehr gibt, dann kann die dialektische Bewegung nur auf die Interaktion von Menschen zurückgeführt werden, ihren Widerspruch und ihre Zustimmung, aber auch ihre Kurzsichtigkeit und ihren Gruppenegoismus, ihre Handlungsbeschränkungen und Selbsttäuschungen. Der Dialog meint eine Ich-Du-Beziehung, in der der andere als aktuale und unersetzbare Einheit angesprochen wird, die aber im allgemeinen nicht - oder nur in sehr abstrakter und analogisierender Form - aus dem Bezugsrahmen der Primärbeziehungen heraustritt. 138 Der Diskurs ist im Rahmen der Sekundärbeziehungen zu sehen. Wenn hier die persönlichen Beziehungen zurücktreten, so bietet der Diskurs andererseits eine größere Chance, den Subjektivismus des Dialogs zu überwinden, den empirischen Bezug und die theoretische Relevanz der Aussagen zu sichern und den Diskurs selbst auf seine Voraussetzungen und Verlaufsproblematik zu reflektieren. 139 Als Basis einer historischen Dialektik kann nur der Diskurs dienen, wenngleich sich innerhalb dieses auf Fortsetzung angelegten Diskurses - vorübergehend und regional - auch Dialoge herausbilden können. 140 So unvollkommen und verzerrt auch Dialog und Diskurs sein mögen, sie sind normalerweise durchaus in der Lage, eine triadische Struktur der Dialektik im Sinne von Gotthard Günther zu realisieren. Dort, wo es eine nur zweistellige Erkenntnisrelation gibt, wo also die Polarität von Si und S2 (S3, usw.) verschoben wird auf die logisch-ontologische Polarität von So und Oo dort setzt sich der Mensch außerhalb der menschlichen Interaktionsgemeinschaft: er beansprucht einen archimedischen Beobachterplatz, der, weil er eine Illusion ist, nur zu Dogma und Monolog führt. Dagegen setzt Martin Buber das „dialogische Prinzip", das kurz mit dem Aphorismus von Ludwig Feuerbach (1843) charakterisiert ist: „Die wahre Dialektik ist kein Monolog des einsamen Denkers mit sich selbst, sie ist ein Dialog zwischen Ich und Du". 141 Im Grunde kann nur eine „unbegrenzte Kommunikationsgemeinschaft" des „universal discourse" 142 als Basis des Dialogs oder des Diskurses gelten: sie ist das einzig denkbare „transzendentale Subjekt" der Weltgeschichte. Das Problem der Dialektik in ihrer häufig antithetischen Struktur, in ihrem Hang zur Totalisierung und Dogmatisierung, in ihrem Hängenbleiben am „dialektischen Schein" - rührt nach Karl-Otto Apel vor allem daher, daß die „ideale" Kommunikationsgemeinschaft nie realisiert ist, daß sie im wesentlichen eine normative Forderung bleibt, an der aber das dialektische Denken - notfalls „kontrafaktisch" - immer wieder gemessen werden muß, wenn es in seiner Unabschließbarkeit und meist vorwiegend negativen Intention der „Zerstörung aller überkommenen Begriffe" 143 richtig beurteilt werden soll. In dieser Verzerrung der idealen Kommunikationsgemeinschaft durch Zwang und Ausschluß, durch Unterdrückung und Redeverbot, kann die Dialektik auch zu einer nur negativen und zweiwertigen Dialektik degenerieren, in der „Herr" und „Knecht" mit „Subjekt" und „Objekt" gleichgesetzt werden. 144 In diesem Sinn kann Jürgen Habermas sagen: „Wenn Dinge kategorial, Menschen aber in ihrem Verhältnis zu den Dingen wie auch untereinander nur dialogisch angemessen gefaßt werden können, darf Dialektik aus dem Dialog begriffen werden; nicht zwar selber als Dialog, sondern als Folge seiner Unterdrückung". 1 4 5 Diese „Entschuldigung" oder Erklärung einer antithetischen Dialektik kann aber auch für Hans Freyer in Anspruch genommen werden, der - jedenfalls in seiner subjektiven Überzeugung - vom Ressentiment der nationalen Zurücksetzung ausging. Auch noch auf dieser diskursiv-methodologischen Ebene ist die Gefahr einer Ontologisierung der Dialektik niemals völlig auszuschließen. Eine Gefahr ist die Dogmatisierung der
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V Dialektische Methode und
Geschichte
Methode dadurch, daß nur ein einziges dialektisches Verfahren (im Sinne von Gurvitch) zugelassen wird, oder schlimmer noch: daß überhaupt kein Verfahren operational definiert wird oder zwischen mehreren (Undefinierten) Verfahren unkontrolliert changiert wird. Es ist vor allem Georg Simmel, der sich gegen jede Vergegenständlichung in der soziologischen Begriffsbildung wehrt, in der alles auf Gebildekategorien hinausläuft oder in der selbst noch den historischen Prozessen ein „jambischer" Rhythmus unterstellt wird, indem Konflikt und Krieg als vorübergehende Abirrungen betrachtet werden, während der historische Akzent auf der Normalität oder der Zielerreichung, auf Einheit, Ubereinstimmung und Frieden gesetzt wird. 146 Indem er auf den notwendigen Zusammenhang von Prozeß und Kristallisation und auf den aus der „Kreuzung der sozialen Kreise" sich ergebenden Perspektivismus verweist, versucht er immer wieder eine Verflüssigung der festgefahrenen Begriffsstrukturen. Vor allem aber will er die Dialektik im Bereich der Ambiguität halten, von dem ausgehend sowohl eine Verschärfung der Gegensätze wie auch eine Steigerung ihrer Komplementarität oder Reziprozität denkbar ist, ohne daß die sich in historischer Bewegung befindliche Dialektik vorschnell auf ein bestimmtes Verhältnis fixiert würde. 147 Allerdings werden bei Simmel die verschiedenen Verlaufsformen der Dialektik und ihre unterschiedlichen Voraussetzungen nicht deutlich unterschieden. Dies leistet erst George Gurvitch, der mit Simmel „Antinomie" und „Synthese" nur als ontologisch-logisch konstruierte Limesfälle gelten lassen will; bei ihm haben diese nichts mit der sozialen Realität zu tun, denn auch die äußerste Polarisation schließt noch die Anerkennung des Anderen, mindestens als gleichwertigen Gegners ein, und jede soziale Vereinigung oder Gemeinschaft bleibt partiell und unabschließbar. Vor allem aber bedeutet Dialektik auch prozessuale Dialektik, also den Wandel der dialektischen Verhältnisbestimmungen, sobald ein sozialer Diskurs und sobald die Methodenreflexion in Gang gesetzt worden ist. 148 Eine weitere Gefahr liegt in der „Transzendentalisierung" des Diskurses, die praktisch immer dann stattfindet, wenn nicht die empirischen, sich überkreuzenden und vielleicht ziemlich erratischen Diskursgemeinschaften der Dialektik zugrundegelegt werden, sondern eine höchste und letzte (überempirische) Diskursgemeinschaft, die die gesamte Menschheit bzw. die Entwicklung der Menschenvernunft selbst repräsentiert. Dies geschieht immer dann, wenn vom Menschen als „Gattungswesen" gesprochen wird, 149 in ähnlicher Form aber auch dann, wenn von einem Modell der „herrschaftsfreien Kommunikation" ausgegangen wird, wenn die „Sprache" oder die „Sprachfähigkeit" - in politischer Hinsicht dann die „Mündigkeit" und die „Emanzipation" des Menschen 150 - nicht nur zum normativen Ziel erhoben wird, sondern wenn diese zugleich zur Richterinstanz der aktuellen - und dann notwendigerweise defizienten - Dialektik erhoben wird. Die Gefahr ist dann unabweisbar, daß die aktuelle Dialektik als scheinhaft und verzerrt abgewertet, daß an ihre Stelle jedoch eine ideale und universale Dialektik gesetzt wird, die von Imputationen und Antizipationen ausgeht, deren Realitätsgehalt nie nachzuprüfen ist. 151 Die Folge wäre dann wieder, daß ein Dialektik-Papst die Urteile der Geschichte spricht, daß die „Universaldialektik" dogmatisch und ideologisch mißbraucht wird; das bedeutet aber: daß die ablaufende und auf die „Fortsetzung des Spiels" angelegte soziale Dialektik verlassen oder zum „Stillstand" gebracht wird. Eine noch größere Gefahr ist zum dritten allerdings, wenn der Hegeische Gedanke der „Selbstproduktion des Menschen" 152 in die Konstruktion des sich selbst organisierenden oder selbstreferentiellen Systems aufgenommen wird. Die Verderblichkeit dieser Konstruktion, die - begrifflich kaum ausgeführt und in den Konsequenzen noch undeutlich - schon bei Hans Freyer angedeutet worden ist, wird noch deutlich in der neueren Systemtheorie von Niklas Luhmann. 153 Zwar will Luhmann mit seinem übergeneralisierten Konzept des „auto-
4. Das Ende der „Realdialektik"
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poietischen Systems" 1 5 4 auf keinen Fall mehr einen statischen und ahistorischen Systembegriff postulieren; doch mit seiner totalen Temporalisierung des Systems und mit der Deklaration der Fluktuation als der beinahe einzigen Systemdynamik wird die historische Dynamik gewissermaßen von der anderen Seite - der totalen Fluktuation - aufgehoben. Mit seiner Gleichsetzung von Gesellschaft und Kommunikation 1 5 5 wird zudem - ähnlich wie bei Freyer - das System total spiritualisiert und endogenisiert: entscheidend ist (ähnlich dem „Willen" bei Freyer) die „Definition der Situation" in der wechselseitigen Kommunikation; materielle Vorbedingungen, Grenzen des Könnens, externe Faktoren aber spielen dann kaum noch eine Rolle. Im Grunde bleibt das Hegeische Subjekt erhalten, wenn nun auch an seine Stelle die Gesellschaft als System getreten ist und der Vorgang der Selbstproduktion stärker verteilt und verdeckt ist. 156 Vor allem aber wird mit Luhmanns Dogma der „Binarität" - ähnlich wie in Freyers „antithetischer" Dialektik - alles „anschließbar"; die Soziologie weicht damit auf „ein ständiges Neuformieren der sinnkonstitutiven Differenz von Aktualität und Möglichkeit", 1 5 7 also auf eine bloße „Möglichkeits-Soziologie" aus, die jedoch keinerlei Handhabe mehr bietet für eine empirische Kontrolltheorie oder eine realistische Planungssoziologie. Eine diskursive und methodologisch reflektierte Dialektik ist notwendigerweise eine offene oder unabschließbare Dialektik, die ihrerseits wiederum eine offene Geschichte voraussetzt, die nicht zuende gekommen ist und - solange es Menschen gibt - niemals zuende kommen wird. Eine offene Geschichte bedeutet aber auch den Verzicht auf die „wahre Gesellschaft", d. h. auf eine systematisch vollkommen nach bekannten Prinzipien durchorganisierte und endgültig geordnete Gesellschaft. Vielmehr beruht sie auf der relativen Freiheit der Individuen und der Zulassung einer fortgesetzten Opposition zwischen Interessengruppen und größeren gesellschaftlichen Kollektiven: „Ohne Opposition und ohne Freiheit gibt es keine Dialektik (...)." 158 Die Berufung auf eine „konkrete Geschichte", d. h. eine Geschichte, „die von den wechselseitigen Aktionen und Reaktionen der Menschen aufeinander erarbeitet wird", 1 5 9 bedeutet auch den Verzicht auf eine homogene Geschichtsdeutung, sei es im Sinne einer linearen Fortschrittsgeschichte (wie im Bereich von Technik und Weltzivilisation) 160 , sei es im Sinne einer zyklisch sich bewegenden Geschichte (wie im Bereich der Sinndeutung, der psychischen Motivation oder der politischen Periodik von Revolution und Restauration). 161 Die Geschichte muß dann als mehrsinnig und mehrdeutig gelten. Man braucht sich deswegen nicht dem Skeptizismus und dem Relativismus hinzugeben, sondern man kann mit Paul Ricoeur annehmen: „Es gibt eine Einheit des Sinns; der Sinn ist das Prinzip des Lebensmuts in der Geschichte". Aber man wird dann gleichzeitig auch davon ausgehen müssen, daß dieser Sinn verborgen ist: „niemand kann ihn nennen, auf ihn zählen, eine Gewißheit, eine Versicherung gegen die Gefahren der Geschichte aus ihm ableiten (...)". 162 Es gibt dann auch keine Form der Dialektik, die diesen einen Sinn erschließen könnte, die es tatsächlich fertigbrächte, gleichzeitig „konkret" und „universell" zu sein. Die Aufgabe der Dialektik ist eher negativ zu definieren: sie kann anrennen gegen die „Mumifizierung" der Begriffe und der durch sie definierten Verhältnisse, sie kann die Geschichtsdeutung und die immer mit dieser Geschichtsdeutung im Zusammenhang stehenden Humanwissenschaften (von der Nationalökonomie über die Soziologie und Politologie bis zur Psychologie) öffnen für neue Möglichkeiten des Menschseins und der Vergesellschaftung. In der Bestimmung von positiven Zielen ist sie aber den gleichen Risiken ausgesetzt wie alle anderen wissenschaftlichen Methoden (oder noch größeren, da die „dialektische Methode" bis heute ziemlich schwer zu kodifizieren und standardisieren ist, vielmehr ihr wichtigstes Ziel vielleicht das Aufbrechen der Standardisierung ist). So ist auch Hans Frey er die Vagheit und Unbestimmtheit seiner Aussagen
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kaum vorzuwerfen. Eine Verkennung der dialektischen Aufgabe und ihrer Möglichkeiten und Grenzen liegt jedoch offenbar vor, wenn er - nachdem sich seine Konzeption von Geschichte (die der Entfaltung des Weltgeistes über die Volksgeister, d. h. über die Einheit von Volk und Staat in den großen Nationalkulturen, vor allem auch der deutschen) nicht erfüllt hatte, vom „Ende der Geschichte" sprach (wie Arnold Gehlen vom „posthistoire"): in der Industriezivilisation ist der „Weltgeist" scheinbar unter Auslöschung dieser „Volksgeister" zu seiner trivialen Selbstvollendung gekommen. Hier hat Freyer einen voreiligen Schluß gezogen - seine „konkrete Dialektik" war offenbar doch nicht offen genug.
y Schlußbemerkung Wollte man nach dieser, selbstverständlich vom gegenwärtigen Diskussionsstand der Soziologie beeinflußten, Beschäftigung mit Hans Freyers soziologischen Theoremen und seiner Methode Bilanz ziehen - nach welchen Kriterien wäre der Freyersche Beitrag zur Soziologie zu bewerten? Nach seiner intendierten oder ungewollten politischen Wirkung? Nach seiner kulturwissenschaftlichen Bedeutung in der Vermittlung zwischen Philosophie, Geschichtswissenschaft, Politikwissenschaft und Soziologie? Nur nach seiner fachwissenschaftlichen Bedeutung für eine zu begründende dynamische Soziologie? Und auch hier: Was soll mehr zählen, seine konzeptionelle oder methodologische Leistung, oder seine Sinndeutung des Zeitgeschehens und die Erschließung eines größeren historischen (und auch kulturanthropologischen) Fragehorizontes? Wie so oft in der Wissenschaftsentwicklung ist hier rückblickend keine einheitliche Bilanzsumme zu ziehen 163 ; die verschiedenen Bewertungsdimensionen bleiben doch weitgehend voneinander getrennt, Vorteile und Verdienste in der einen Ebene verbinden sich mit Defizienzen und Entwicklungsblockaden in einer anderen Dimension. Man wird nicht umhin können, die ganze „Wissenschaftsgemeinschaft" - so schwer sie generell abzugrenzen ist - für die Entwicklung der Soziologie im deutschen Kulturraum verantwortlich zu machen. Der einzelne Forscher und Gelehrte jedenfalls ist schicksalhaft einbezogen in Traditionslinien, mit denen er sich zwar auseinandersetzen kann, die er aber nicht frei wählen konnte; er wird in wissenschaftliche Positions- und Statuskämpfe oder politische Frontenstellungen verwickelt, die seinen geistigen Horizont bestimmen und seine soziale Wirkung kanalisieren. Insgesamt ist der komplexe historische Zusammenhang, in den ein solches Werk gestellt ist, natürlich niemals definitiv zu erschließen. Der Blick auf den theoretischen Aufbau eines Gesamtwerkes, das nur in einer Person zentriert ist, führt notwendigerweise zur Fokussierung - und damit auch zur Verzerrung - der historischen Wirkungszusammenhänge, die zugunsten der Hervorhebung der schöpferischen Leistung eines einzelnen zurücktreten und nivelliert werden. Aber auch für den Kritiker gilt, was für den Autor selbst gilt: daß er Glied einer großen Wissenschaftsgemeinschaft ist, daß jeder nur eine begrenzte Perspektive erfassen kann, daß es dann aber die Aufgabe dieser Wissenschaftsgemeinschaft ist, für Korrektur und Gegenkritik zu sorgen, vor allem aber den im Grunde unabschließbaren wissenschaftlichen Diskurs konstruktiv und im Geiste der Kooperation fortzuführen.
Anmerkungen
Anmerkungen
zu Kapitel I: Soziologie als „geistige
Bewegung"
1. Vgl. Walter Laqueur, Die deutsche Jugendbewegung. Eine historische Studie. Köln 1962, S. 7. 2. Es wäre eine lohnende Aufgabe, die Folgen dieses Bekenntnisses zur Jugendbewegung in der späteren wissenschaftlichen Arbeit zu verfolgen - eine Reihe von bekannten Wissenschaftlern käme in Betracht. Aktiv in der Jugendbewegung waren, um nur einige Namen aus den Sozial- und Geisteswissenschaften zu nennen: Siegfried Bernfeld, Paul Lazarsfeld und Marie Jahoda, Hermann Heller, Gustav Radbruch, Paul Tillich, Fritz Borinski, Karl Wittfogel, die im allgemeinen der sozialistischen Richtung zugerechnet werden; weitere wichtige Namen (deren weltanschauliche oder politische Richtung nicht immer genau festzulegen ist): Arnold Bergsträßer, Paul Natorp, Rudolf Carnap, Wilhelm Flitner, Max Adler, Theodor Litt, Hans Bohnenkamp, Theo Gläß, Theodor Schieder, Hans Raupach, Otto Friedrich Bollnow, Eduard Spranger, Hermann Nohl und Alfred Weber. René König erwähnt in seiner Biographie den großen Einfluß, den der Wandervogel auf ihn ausgeübt hat (Leben im Widerspruch, München 1980, S. 23), und es wären sicher noch viele zu finden, die zwar in den Dokumentationen der Jugendbewegung nicht erscheinen, da sie keine führende Position innehatten, die aber ihre spätere wissenschaftliche Tätigkeit in der Gesinnung der Jugendbewegung weiterführten. 3. Der Name „Sera" kommt von einem alten Schreittanz. Zur Charakterisierung des Serakreises vgl. Werner Kindt, Hg., Dokumentation der Jugendbewegung. Band II, Die Wandervogelzeit. Quellenschriften zur deutschen Jugendbewegung 1896-1919, Düsseldorf-Köln 1968, S. 469-483. 4. Durch sein Mitglied Karl Brügmann. Vgl. ebenda S. 1007. 5. Durch die Mitglieder Wilhelm Flitner (Pädagoge), Rudolf Carnap (Wissenschaftstheoretiker) und Hermann Nohl (Pädagoge), vgl. ebenda S. 471. 6. Laut Privatkorrespondenz an Frau Dr. Hilde Fischer-Reisig, Oldenburg, hat Freyer in Wickersdorf 1911 und 1912 als Lehrer gewirkt und war Führer einer „Kameradschaft" (die in dieser Schule die übliche Einteilung in Klassen ersetzt hat). 7. Vgl. Walter Laqueur, Die deutsche Jugendbewegung, a. a. O . S. 66-69. Ebenso wollte Kurt Eisner seinen Sohn in Wickersdorf ausbilden lassen; vgl. Brief von Kurt Aeschlimann an Gustav Wyneken vom 4.3.1919 (Archiv der deutschen Jugendbewegung Adjb. Wyn. 1119). 8. Vgl. Gustav Wyneken, Der Gedankenkreis der Freien Schulgemeinde, Jena 1919, S. 2 f., Zitat S. 3. 9. Vgl. Werner Kindt, Hg., Dokumentation der Jugendbewegung, Band III, Die bündische Zeit, a. a. O . 1974, S. 131f. 10. Vgl. ebenda S. 128-133. Es wäre natürlich noch mehr zu sagen über die einzelnen pädagogischen Erneuerungen, die Einbeziehung der Leibeserziehung, des Landbaus etc. - auch war Wickersdorf eine der ersten Schulen, die die Koedukation einführte.
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Anmerkungen
zu Kapitel I: Soziologie
als „geistige
Bewegung"
11. Ζ. B. in der Zeitschrift „Freideutsche Jugend", Jg. 5, 1919, in mehreren Heften Anzeigen von Hans Freyer, Antäus. Jena 1918. 12. Vgl. Kurzbiographie „Hans Freyer" in Werner Kindt, Hg., Dokumentation der Jugendbewegung, Band II, a. a. O. S. 1041. 13. Zur folgenden Charakterisierung der Jugendbewegung vgl. Theodor Wilhelm, Der geschichtliche Ort der deutschen Jugendbewegung, in: Werner Kindt, Hg., Dokumentation der Jugendbewegung, Band I, Grundschriften der deutschen Jugendbewegung. Düsseldorf-Köln 1963, S. 7-29, Zitat S. 20. 14. Vgl. Walter Riiegg, Jugend und Gesellschaft um 1900, in: Walter Rüegg, Hg., Kulturkritik und Jugendkult. Frankfurt/Main 1974, S. 47-59. Zitate S. 55. Weitere Charakteristika einer derartigen sozialen Bewegung würden den Rahmen dieser Theorieanalyse sprengen. Diese, sowie die sozialstrukturellen Voraussetzungen, eine Ursachenanalyse, Theorien einer Soziologie der Jugend, Generationenkonflikt, soziale Kontrolle und gesellschaftlichpolitische Faktoren usw. wurden in zwei soziologischen Analysen der Wandervogelbewegung herausgearbeitet: Ulrich Aufmuth, Die deutsche Wandervogelbewegung unter soziologischem Aspekt. Göttingen 1979; Otto Neuloh, Wilhelm Zilius, Die Wandervögel. Eine empirisch-soziologische Untersuchung der frühen deutschen Jugendbewegung. Göttingen 1982. 15. Hans Freyer, Antäus, a. a. O . S. 5, S. 12, S. 17. 16. Ebenda S. 94, S. 95. 17. Hans Freyer, Rezension von: Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, in: Die Tat, 11, 1919/20,1, S. 308. 18. Eva Kolinsky Engagierter Expressionismus. Politik und Literatur zwischen Weltkrieg und Weimarer Republik. Stuttgart 1970, S. 4. 19. Vgl. Werner Kindt, Hg., Dokumentation der Jugendbewegung, Band III, Die bündische Zeit, a. a. O. S. 1722. Als Beispiele hierfür können u.a. aufgeführt werden: Der Greifenkalender, die künstlerische Ausgestaltung der Zeitschrift „Freideutsche Jugend" nach dem I. Weltkrieg, ausführliche Rezensionen expressionistischer Autoren, u.a. in: Freideutsche Jugend, Jg. 6, 1920, S. 246-250; Veröffentlichungen expressionistischer Dichter, ζ. B. Franz Werfel, Rainer Maria Rilke, Walter Hasenclever, in: Freideutsche Jugend, Jg. 4, 1918. 20. Vgl. Reinhold Lenz, Zum Verständnis des Expressionismus in der bildenden Kunst, in: Freideutsche Jugend, Jg. 7, 1921, S. 212-215. 21. Vgl. Hans Much, Expressionismus, Heimatkunst und Gotik, in: Freideutsche Jugend, Jg. 6, 1920, S. 49 f., Zitat S. 49. 22. So lautet der Kern der „Meißnerformel" - der Einigungsformel der Freideutschen Jugend anläßlich der Jahrhundertfeier auf dem Hohen Meißner am 11. und 12. Oktober 1913. Vgl. Werner Kindt, Hg., Dokumente, Band II, a. a. O. S. 495. 23. Vgl. hierzu Kurt Pinthus, Hg., Menschheitsdämmerung. Ein Dokument des Expressionismus (1920). Hamburg 1959, 2. Aufl. Darin die Einleitung von Kurt Pinthus: Nach Vierzig Jahren, S. 7-21; ebenso seine Einleitung zur 1. Aufl.:Zuvor, S. 22-32; Zitate S. 27 und S. 29. 24. Vgl. Eva Kolinsky, Engagierter Expressionismus, a. a. O. S. 59. Zitate aus Kurt Pinthus, Rede für die Zukunft, in: Die Erhebung I. Jahrbuch für neue Dichtung und Wertung. Herausgegeben von Alfred Wolfenstein. Berlin 1919, S. 403. 25. Vgl. Eva Kolinsky, a. a. O. S. 60. Kolinsky stellt aber in diesem Zusammenhang die Geschichte als selbständigen Träger von Erneuerung, als naturhaften Wandel neben das handelnde Subjekt und zeigt das Subjekt ambivalent, einerseits aller Bedingtheit entbunden, andererseits Spielball geschichtlicher Gewalten. Diese Sicht von Geschichte als naturhaftem Wandel und ihre Eigendynamik ist jedoch dem Naturalismus zuzurechnen und verfälscht eigentlich das autonome Menschenbild des Expressionismus. 26. Hans Freyer, Prometheus, a. a. O. S. 92. 27. Vgl. Herder Lexikon der Weltliteratur im 20. Jahrhundert. Freiburg 1961, Stichwort Expressionismus. 28. Hans Freyer, Prometheus, a. a. O. S. 104. 29. Ebenda S. 2, S. 7. 30. Casimir Edschmid, Uber den Expressionismus in der Literatur und die neue Dichtung, zit. in Herder Lexikon der Weltliteratur im 20. Jahrhundert, a. a. O., Stichwort Expressionismus. 31. Vgl. Hans Freyer, Prometheus, a. a. O. S. 1-5. 32. Ebenda S. 8 f.
Anmerkungen
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33. Christoph Eykman, Zur Sozialphilosophie des Expressionismus, S. 28, in: ders., Denk- und Stilformen des Expressionismus. München 1974, S. 28-43. Die folgende Zusammenfassung der Bedeutung dieser Begriffe und die Zitate dieses Abschnittes sind ebenfalls diesem Aufsatz entnommen. 34. Alle hier aufgeführten Beispiele ebenda S. 30-43. 35. Nachweisbar schon durch die immer dichter werdende Auflagenfolge: 2. veränd. Aufl. 1912; 3. durchges. Aufl. 1920; 4. u. 5. Aufl. 1922; 6. und 7. Aufl. 1926; 8. Aufl. 1935. Dann durch die Aktualisierung des Werkes für die jeweilige gesellschaftliche Bewegung in Tönnies' Vorworten; ζ. B. widmet Tönnies sein Werk 1922 der „schaffenden deutschen Jugend", weil er „an der deutschen Zukunft nicht verzweifelt" und „dem sinnvollen Zusammenwirken einer neuen Generation, in Arbeit und Gedanken, das Verständnis für die soziale Baukunst (zutraut), dessen die Volksgemeinschaft so dringend bedarf". Vgl. ebenda (Neudruck der 8. Aufl. 1935), Darmstadt 1979, S. XXXVIII. 36. Zu diesem Abschnitt: Dietz Bering, Die Intellektuellen. Geschichte eines Schimpfwortes. Stuttgart 1978. Diese Untersuchung ist für den hier dargestellten Zusammenhang besonders aufschlußreich, da sie sich auf den öffentlichen Gebrauch des Begriffs „Intellektueller" in Reden, Tageszeitungen etc. stützt.Vgl. besonders S. 205-256 und S. 327 f. 37. Nach einem Zitat von Kurt Hiller, in: Dietz Bering, Die Intellektuellen, a. a. O. S. 83. 38. In der hier benutzten Literatur über den Expressionismus (Chr. Eykman und K. Pinthus) den expressionistischen Bewegungen zugerechnet. Vgl. zu dieser politischen Organisation der „Geistigen" Dietz Bering, Die Intellektuellen, a. a. O. S. 77-88. 39. Vgl. Thomas Mann, Betrachtungen eines Unpolitischen. (1918). Politische Schriften und Reden, Bd. 1, Frankfurt/Main 1968, S. 50. Diese Schrift hat 1922 bereits die 18. Auflage erreicht; der Ruf des Intellektuellen als Volksfeind hat sich auf breiter Ebene verfestigt. Vgl. hierzu auch Dietz Bering, Die Intellektuellen, a. a. O. S. 88. 40. Da es offensichtlich noch keine zusammenfassende Untersuchung über das Verhältnis der Jugendbewegung zur Wissenschaft gibt, werden hier nur wenige Quellen zitiert, die jedoch sehr typisch erscheinen. Wie auch zu allen anderen Problemen ist die Stellungnahme der Jugendbewegung zur Wissenschaft nicht in Grundsatzartikeln publiziert, sondern wurde nach Ausssagen von Zeitzeugen vorwiegend in Diskussionen und im persönlichen Gespräch artikuliert. Zeitschriftenbeiträge geben also bei dieser Art von informeller Gemeinschaft immer nur einen Bruchteil der tatsächlichen Stellungnahme wieder. 41. Dieser Abschnitt ist ein Auszug aus: Paul Bommersheim, U m die Erneuerung der Wissenschaft, in: Freideutsche Jugend, Jg. 8, 1922, S. 134-141. 42. Ebenda S. 137; hier beruft sich der Autor auf: A. Salz, Für die Wissenschaft, München 1921; A. Bogdanow, Die Wissenschaft und die Arbeiterklasse, Wilmersdorf 1920; und auf Ernst Krieck, Die Revolution der Wissenschaft, Jena 1920. 43. Vgl. ebenda S. 137-141; Zitate S. 137f. und S. 139. 44. Paul Tillich, Das System der Wissenschaften nach Gegenständen und Methoden. Göttingen 1923; vgl. u.a. S. 4. 45. Zitate ebenda S. 165 und S. 166. 46. Carl Heinrich Becker, Vom Wesen der deutschen Universität. Leipzig 1925, S. 39 ff. Zitate S. 39, S. 41. Der Einfluß der beiden Sozialdemokraten C.H. Becker und Robert Ulich (Hochschulreferent im sächsischen Bildungsministerium und Schul- und Studienkollege Freyers) auf Freyers Berufung nach Leipzig, als Kompromißkandidat zwischen Oswald Spengler bzw. Othmar Spann einerseits und dem Austromarxisten Max Adler andererseits, ist dokumentiert in Jerry Z. Muller, The Other God That Failed. Princeton 1987, S. 138-141. 47. Wie ζ. Β. bei Dirk Käsler, Die frühe deutsche Soziologie 1909 bis 1934 und ihre Entstehungsmilieus. Opladen 1984, S. 45-49, S. 280 f. 48. Vgl. M. Rainer Lepsius, Die Soziologie der Zwischenkriegszeit: Entwicklungstendenzen und Beurteilungskriterien, in: M. Rainer Lepsius, Hg., Soziologie in Deutschland und Österreich 1918-1945, S. 12 f., ZitateS. 12. 49. Hans Freyer, Die Bewertung der Wirtschaft im philosophischen Denken des 19. Jahrhunderts. Leipzig, Phil. Habilitationsschrift 1921. Reprogr. Nachdruck, Hildesheim 1966, S. 161.
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Anmerkungen
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als „geistige
Bewegung"
50. Als solcher fand er allgemeine Zustimmung: Die Vossische Zeitung über „Antäus": „Zum erstenmal wieder produktive Philosophie, lebendiges und schöpferisches Philosophieren, kein historisches und historisierendes Denken". - Die Kasseler Post: „Hans Freyer ist ebenso Dichter wie Denker. Man darf schon den Namen Nietzsche nennen, um die Art Freyers, Philosophie zu treiben und Philosophie auszusagen, anzudeuten; Freyer ist kein Systematiker, Freyer philosophiert mit seinem ganzen Wesen, nicht nur mit der Vernunft seines Gehirns". Zitate in Hans Freyer, Revolution von rechts, Jena 1931. Redaktioneller Teil am Ende der Schrift, O.S. 51. Zur Beschreibung des Instituts s. Hans Linde, Soziologie in Leipzig 1925-1945, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 23, 1981, S. 102-130, vgl. S. 102-105; ebenfalls bestätigt im Brief einer Schülerin Freyers, Dr. Hildegard Fischer-Reisig, Oldenburg, an die Verfasserin vom 15.12.1979. 52. Vgl. hier Kap. IV, 2a und 2b. 53. So der Titel zu seiner Aufsatzsammlung: Kritische Empirie. Beiträge zur Soziologie und Bevölkerungswissenschaft 1937-1987. Opladen 1988. Die folgenden Zitate ebenda S. 14. (Unterstreichungen nach dem Original). 54. Laut mündlicher Auskunft von Dr. Ludwig Döderlein (jetzt wissenschaftlicher Reakteur), am 26.10.1979, der damals in Leipzig Musikwissenschaft studierte und Kontakte zu Freyers Institut pflegte. 55. Hierzu gehören Wilhelm Ahlmann, Willy Bloßfeldt, Karl Günzel, Konrad Hecker, Heinrich Drucker, Johannes Kupfer, Hans Politt. Freyers Auffassung der Soziologie als Ergänzungsstudium wird dokumentiert im Brief von Dr. H. Fischer-Reisig an die Verf. vom 19.5.1981. 56. Zur Charakterisierung des Leuchtenburgkreises vgl. Fritz Borinski, et al., Hg., Jugend im politischen Protest. Der Leuchtenburgkreis 1923-1933-1977. Frankfurt/Main 1977, S. 21 ff. und S. 98 ff. Zur Parteimitgliedschaft vgl. S. 211 ff. (Biographien der Mitglieder). Der Kreis hat sich 1930 gegen die „Bündigung" der Deutschen Freischar (seiner Dachorganisation) mit dem konservativ-nationalistischen Großdeutschen Jugendbund ausgesprochen, da diese Vereinigung eine einseitige politische Festlegung bedeutete — vgl. ebenda S. 43 ff. Zur besonderen Auffassung des Sozialismus vgl. ebenda S. 102; das letzte Zitat ist aus Fritz Borinski, Wolfgang Heybey u.a., Der Leuchtenburgkreis, in: Werner Kindt, Hg., Dokumentation der Jugendbewegung, Band III: Die bündische Zeit, a. a. O. S. 1049. 57. Vgl. Wolfgang Heybey, Der Leuchtenburgkreis II, in Werner Kindt, Hg., Dokumentation der Jugendbewegung, Band III, a. a. O. S. 1046 f., Zit. S. 1046. 58. Vgl. Fritz Borinski, Wolfgang Heybey, u.a., Der Leuchtenburgkreis, in: Werner Kindt, Hg., Dokumentation der Jugendbewegung III, a. a. O., S. 1045-1049. 59. Vgl. Fritz Borinski, et al., Hg., Jugend im politischen Protest, a. a. O. S. 21 ff., S. 25 f. und S. 98 ff. 60. Ebenda S. 123. 61. So erinnerte sich Fritz Borinski, der Organisator der Leipziger Gruppe des Leuchtenburgkreises. Gespräch mit der Verfasserin am 18.6.1983. 62. Vgl. Tagungsbericht vom 5. Treffen 1927 des Leuchtenburgkreises, Archiv der deutschen Jugendbewegung, o. Sign. Uber Freyers Warnung hat Fritz Borinski - in Rückerinnerung - berichtet im Gespräch mit der Verf. am 18./19. Juni 1983. 63. Dies beschränkt sich auf den engsten Schülerkreis Freyers vor 1933, der im Fach Soziologie eine Dissertation fertigte oder zumindest damals begann. Als wissenschaftliche Karriere wurde eingestuft: eine weitere akademische Laufbahn mit Habilitation, Lehrtätigkeit an einer akademischen Institution und nachfolgende wissenschaftliche Publikationen. 64. Biographische Angaben in Martin Jay, Dialektische Phantasie, Frankfurt/Main 1976. 65. Nach Korrespondenz und mehreren Gesprächen der Verf. mit Joseph Maier; außerdem Korrespondenz Ernst Manheim mit der Verf. und biographische Angaben des Herausgebers Norbert Schindler, in: Ernst Manheim, Aufklärung und öffentliche Meinung. Stuttgart 1979 - die bei Freyer verfaßte Habilitationsschrift von 1933. 66. Vgl. Hans Freyer, Die geistige Gestalt der Gegenwart und die Volkshochschule. Vortrag, gehalten auf einer Schulungswoche für Volkshochschullehrer in Leipzig. In: Die Erziehung, Jg. 4, 1929, S. 283-300. 67. Vgl. Helmut Keim, Josef Olbrich, Horst Siebert, Strukturprobleme der Weiterbildung. Düsseldorf 1973, S. 38-40.
Anmerkungen
zu Kapitel I: Soziologie als „geistige Bewegung"
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68. Vgl. Helmut Keim, etc., Strukturprobleme der Weiterbildung, a. a. O., S. 39. Im vorangegangenen Absatz über den Leuchtenburgkreis wurde das besondere Verständnis von „Sozialismus" bereits skizziert. 69. Von insgesamt 33 Beiträgen in Zeitschriften und Sammelwerken zwischen 1918 und 1932 erschienen 12 Beiträge in Fachblättern seines Wissenschaftsgebietes (Philosophie, Soziologie und Geschichte), 15 Beiträge in Fachblättern anderer Gebiete und nur sechs Beiträge in allgemeinen Zeitschriften; diese sind: Die Tat; Deutsche Rundschau; Deutsche Allgemeine Zeitung; Rheinisch-Westfälische Zeitung; Berliner Börsenzeitung; Rhein-Mainische Volkszeitung. Vgl. Hans Freyer-Bibliographie, Primärliteratur. Zusammengestellt von Elfriede Üner. In: Hans Freyer, Herrschaft, Planung und Technik. Weinheim 1987, S. 175-197. Auch die intensive Beschäftigung des Freyerschen Instituts mit empirischen Studien weist auf die wissenschaftliche Ausrichtung hin. Vgl. Hans Linde, Soziologie in Leipzig 1925-1945, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 23/1981, S. 102-130. 70. Vgl. Theodor Wilhelm, Der geschichtliche Ort der deutschen Jugendbewegung, a. a. O. S. 13. 71. Hans Freyer war seit der Wiederbegründung nach dem I. Weltkrieg 1922 Mitglied (von Ferdinand Tönnies vorgeschlagen) der Deutschen Gesellschaft für Soziologie und seit 1929 Ratsmitglied. Er tritt jedoch nicht auf den Deutschen Soziologentagen in Erscheinung und publiziert nur einmal in den Kölner Vierteljahrsheften für Soziologie (Rezension von: Othmar Spann, Gesellschaftsphilosophie. München 1928, im Jg. 8, 1929/30, S. 233-238). Aus dem Leipziger Mitarbeiterkreis Freyers erscheint lediglich Joachim Wach als Diskussionsredner auf dem 6. Soziologentag in Zürich 1928. 72. Seit 1927 ist der Philosoph und Kollege Freyers, Hugo Fischer der Herausgeber, ab Band 4,1930/31 ist Gunther Ipsen Mitherausgeber; der Leipziger Psychologe Felix Krueger ist ab 1927 Vorsitzender des Gesamtvorstandes der Deutschen Philosophischen Gesellschaft. Alle drei legten ihre Tätigkeit 1934 nieder. 73. U.a. Heinrich Drucker, Hans Kupfer in Bd. 5, 1931/32; Willy Bloßfeldt, Konrad Hecker, Helmut Klocke in Bd. 6 1932/33. Ernst Manheim, Hans Polin, Werner Marken in Bd. 7, 1933/34. Ankündigung der Dissertationen von Arkadij Gurland und Friedrich Bassenge in Band 5, 1931/32. Hier sind nur die Schüler und Assistenten Freyers genannt; auch die Mitarbeiter und Schüler von Felix Krueger, vom Leipziger Philosophen Hans Driesch und dem Pädagogen Theodor Litt lieferten laufend Beiträge. 74. Vgl. Mitteilungen der Deutschen Philosophischen Gesellschaft, ausgegeben im Juni 1920, S. 4-5. 75. Die ursprüngliche Bezeichnung der Zeitschrift „Beiträge zur Philosophie des deutschen Idealismus" ist geändert worden, um eine Beschränkung auf eine reine Idealismus-Exegese auszuschließen. Vgl. Vorwort zum 1. Band der „Blätter für Deutsche Philosophie", 1927, von Felix Krueger, S. 1-3. 76. Bei den Dissertationen fällt auf, daß kein ausdrücklicher Bezug auf Freyers Publikationen genommen wird, aber deutlich auf die für Freyer wichtigen Klassiken Hegel, Marx, Lorenz v. Stein, ζ. B. Heinz Nitzschke, Die Geschichtsphilosophie Lorenz von Steins. Phil. Diss. Leipzig 1931; Karl Günzel, Der Begriff der Freiheit bei Hegel und Lorenz von Stein. Phil. Diss. Leipzig 1934. Weitere Schwerpunkte sind soziale Probleme im politischen Kontext und soziologische Analyse geschichtlich gewachsener Strukturen: Sigmund Neumann, Die Stufen des preußischen Konservatismus. Phil. Diss. Leipzig 1928; Arkadij Gurland, Produktionsweise-Staat-Klasseridiktatur. Versuch einer immanenten Interpretation des Diktaturbegriffes der materialistischen Geschichtsauffassung. Phil. Diss. Leipzig 1929; Erich Thier, Rodbertus/Lassalle/Adolph Wagner. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Staatssozialismus. Phil. Diss. Leipzig 1930; Hildegard Reisig, Die Rolle der Bildung für die Befreiung des Proletariats im politischen Denken der deutschen Arbeiterbewegung von den 40er Jahren bis zum Weltkrieg. Phil. Diss. Leipzig 1932; Konrad Hecker, Mensch und Masse. Situation und Handeln der Epigonen gezeigt an Immermann und den Jungdeutschen. Phil. Diss. Leipzig 1933; Ernst Manheim, Die Träger der öffentlichen Meinung. Studien zur Soziologie der Öffentlichkeit. Habilschrift Leipzig 1933 (nicht mehr in Leipzig, sondern in Prag eingereicht). Themen, die sich mit aktuellen soziologischen Problemen beschäftigen: Wasil Handjieff, Dr. med., Zur Soziologie des bulgarischen Dorfes. Phil. Diss. Leipzig 1929; Wolf Kuerten, Zur Soziologie der großstädtischen Wohnbevölkerung. Dargestellt an der Entwicklung des Wohnungswesens der Stadt Leipzig von 1890 an. Phil. Diss. Leipzig 1931; Hermann Wedell, Der Berufsgedanke und die Frage seiner Wiederbelebung durch berufsständische Gebilde. Phil. Diss. Leipzig 1932; Alfred Neumann, Friedrich Naumanns christlicher Sozialismus, mit einleitenden Betrachtungen über Naumanns Rolle in der sozialen Bewegung. Phil. Diss. Leipzig 1926. Nur eine Arbeit befaßte sich mit einem
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77. 78.
79. 80. 81. 82. 83. 84. 85. 86. 87. 88. 89. 90. 91. 92. 93. 94.
95. 96.
97.
98.
Anmerkungen
zu Kapitel I: Soziologie als „geistige
Bewegung"
formalsoziologischen Ansatz: Ryukyo Nitta, Die Idealtypen Gemeinschaft und Gesellschaft als Beispiele einer reinen formalsoziologischen Begriffsbildung; seltsamerweise ging Nitta mit diesem Thema von L. v. Wiese in Köln zu Freyer nach Leipzig. S. hierzu auch Hans Linde, Soziologie in Leipzig, a. a. O. Vgl. Hans Linde, Soziologie in Leipzig, a. a. O. S. 128 f. Gemeint ist vor allem Nicholas C. Mullins und Carolyn Mullins, Theories and Theory Groups in Contemporary American Sociology. New York 1973. Terry N. Clark, Die Stadien wissenschaftlicher Institutionalisierung, in. Peter Weingart, Hg., Wissenschaftssoziologie 2. Determinanten wissenschaftlicher Entwicklung. Frankfurt/Main 1974, S. 105-121. George Gurvitch, Dialektik und Soziologie. Neuwied 1965, S. 191, spricht von einer „totalité en marche", in die natürlich auch die Theoriebildung und Wissenschaftssoziologie einbezogen werden muß. Vgl. N.C. Mullins' Definition des Network-Stadiums, a. a. O. S. 27 f. Diana Crane, Invisible Colleges: Diffusion of Knowledge in Scientific Communities. Chicago 1972, S. 13. Vgl. Diana Crane, Transnational Networks in Basic Science, in: Robert Keohane und Joseph Nye, Hg., Transnational Relations and World Politics. Cambridge, Mass. 1972, S. 235-251. Vgl. Thomas Kuhn, Die Entstehung des Neuen, Frankfurt/Main 1977, S. 389-420. Thomas Kuhn, Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, Frankfurt/Main 1976, S. 58 ff. Gerard Radnitzky, Zur Rolle der Fachsprachen in der Produktion von wissenschaftlichem Wissen, in: 9. Deutscher Kongreß für Philosophie, Hg., Philosophie und Wissenschaft. Meisenheim/Glan 1973, S. 195-226. Zur folgenden Charakteristik der „Bewegung" vgl. Elfriede Uner, Hans Freyer in der deutschen Soziologie bis 1933. Diplomarbeit, Institut für Soziologie der Universität München, 1980, S. 17 ff. Vgl. Max Scheler, Vom Umsturz der Werte; unter diesem Titel von 1919 sind Aufsätze der Jahre 1911-1914 versammelt. Gesammelte Werke, Band 3, Bern 1972, S. 8 f. Hier als Beispiel der „Göttinger" und „Münchener Kreis" der Phänomenologischen Bewegung. Vgl. Hans Spiegelberg, The Phenomenological Movement. Den Haag 1969, S. 168-175. Vgl. Joseph Ben-David, The Scientist's Role in Society. Englewood Cliffs, N.J. 1971, S. 78 ff. Vgl. Wolfgang Van den Daele, Die soziale Konstruktion der Wissenschaft, in: Gernot Böhme, et al., Experimentelle Philosophie. Frankfurt/Main 1977, S. 134 f. Vgl. Joseph Ben-David, a. a. O. S. 182. Vgl. Bernhard Schäfers, Gruppenbildung als Reflex auf gesamtgesellschaftliche Entwicklungen am Beispiel der deutschen Jugendbewegung, in: Friedhelm Neidhardt, Hg., Gruppensoziologie. Sonderheft 25/ 1983 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, S. 119 ff. In dieser Hinsicht unterscheidet sich die „Frankfurter Schule" allerdings grundsätzlich von der „Leipziger Schule". Vgl. Martin Jay, Dialektische Phantasie. Die Geschichte der Frankfurter Schule. Frankfun/Main 1981; Rolf Wiggershaus, Die Frankfurter Schule. München 1986. Dieser Typus von „Schule" ist in der wissenschaftssoziologischen Literatur, ebenso wie die „Wissenschaft als Bewegung" eigentlich bisher nicht deutlich genug herausgearbeitet worden. Vgl. z. B. Jerzy Szacki, Schools in Sociology, in: Social Science Information 14, 1975, S. 173-182; Edward Shils, Tradition, Ecology and Institution in the History of Sociology, S. 81 ff., in: Daedalus 99, 1970, S. 760-825. Vgl. Richard Whitley, Cognitive and Social Institutionalization of Scientific Specialties and Research Areas, in: Richard Whitley, Hg., Social Processes of Scientific Development. London 1974, S. 69-95, dessen Kategorien hier allerdings nur negativ anzuwenden sind. Ernst Bloch zählt zu den „langsam aussterbenden enzyklopädischen Köpfen" auch Wilhelm Wundt, „der freilich, da er so lange lebte, zu einem Lexikon geworden ist, in dem alles steht, also unter dem Buchstaben Ρ auch Philosophie". Vgl. Bloch, Ernst, Durch die Wüste. Kritische Essays. Berlin 1923, S. 81. Prof. Dr. phil., Dr. theol. R.c. Johannes Volkelt, königlich-sächsischer Geheimer Hofrat, o. Prof. der Philosophie und Pädagogik, Direktor des philosophisch-pädagogischen Seminars, 1894 an die Universität Leipzig berufen. Umfang und Charakterisierung seines Werkes sind den Beiträgen zu entnehmen in: Festschrift Johannes Volkelt zum 70. Geburtstag. Leipzig 1918, (o.Hg.). Vgl. Universität Leipzig - Verzeichnis der Vorlesungen, SS 1908, SS 1909, SS 1910.
Anmerkungen
zu Kapitel I: Soziologie als „geistige Bewegung"
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99. Leipzig, Phil. Diss, vom 20.6.1911. Leipzig Voigtländer 1911. Auch veröffentlicht als Heft 16 der „Beiträge zur Kultur- und Universalgeschichte", herausgegeben von Karl Lamprecht, Leipzig 1912. 100. Vgl. ebenda S. 1-6. 101. Ebenda S. 150. 102. Vgl. ebenda S. 8-12; Zitat S. 12. 103. Herbert Schönebaum, Zum hundertsten Geburtstag Karl Lamprechts am 25. Februar 1956, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Karl-Marx-Universität Leipzig, 5. Jg. 1955/56, Gesellschafts- und sprachwiss. Reihe Heft 1, S. 8. 104. Laut Personalverzeichnis der Universität Leipzig WS 1907/08: Dr. ph. Karl Lamprecht, o. Prof der Geschichte und Direktor der Abteilung für Kultur- und Universalgeschichte am Historischen Seminar, Ehrendoktor der Columbia-Universität in New York, königl. sächsischer Geheimer Hofrat. Den organisatorischen Rahmen für seine umfangreichen kulturhistorischen Forschungen schaffte sich Lamprecht durch Gründung des Königlichen Instituts für Kultur- und Universalgeschichte im Jahr 1909, ein selbständiges staatliches Forschungsinstitut, das in die Universität Leipzig integriert war, aber direkt dem Staatsministerium in Dresden unterstand. Dies bedeutete größtmögliche Freiheit in der Planung von Forschungsaufgaben. 105. Karl Lamprecht, Deutsche Geschichte. 12 Teile in 16 Bänden, nebst Ergänzungsbänden I und 11,1.2. Berlin 1891-1909. 106. Zur folgenden Zusammenfassung vgl. Walter Goetz, Lamprechts Deutsche Geschichte (1912). In Walter Goetz, Historiker in meiner Zeit. Köln 1957 S. 299-302. 107. Vgl. neben Walter Goetz, a. a. O. auch Ernst Engelberg, Zum Methodenstreit um Karl Lamprecht. In: Karl-Marx-Universität Leipzig 1409-1959. Beiträge zur Universitätsgeschichte. Redaktion E. Engelberg. Leipzig 1959, 2. Band, S. 23, S. 30-34. 108. Vgl. Walter Goetz, Lamprechts Deutsche Geschichte, a. a. O. S. 300-302. 109. Ebenda S. 76. 110. Vorlesungen von Lamprecht während Freyers Studienzeit, u.a. Deutsche Kulturgeschichte in den Zeiten des Klassizismus, der Romantik und des Realismus (1750-1870) im SS 1908. Deutsche Kulturgeschichte in der Zeit der Romantik und des Realismus (1790-1870), im WS 1908/09. 111. Im Gespräch mit der Verf. hervorgehoben von dem Historiker Karl Buchheim (am 6.8.1979). Er studierte gleichzeitig mit Freyer am Lamprechtschen Institut. 112. Freyer erwähnt ihn weder als Lehrer, noch ist eine eingehende Beschäftigung mit Plenges System der Soziologie zu finden. Plenge jedoch hat zu Freyers Soziologie nur deshalb eine sehr zwiespältige Haltung, weil dessen Position ihm unter allen anderen Ansätzen am nächsten steht, in Freyers „Synthese von Marx und Hegel" jedoch „das ganze Schülerverhältnis" (zu Plenge) verschwiegen wird. Vgl. Bernhard Schäfers, Hg., Soziologie und Sozialismus, Organisation und Propaganda. Stuttgart 1967, S. 106. S.a. hier Kap. 11,4. 113. Walter Goetz, Lamprechts Gegner im Methodenstreit, übernahm i.J. 1915 nach dessen Tod das Institut. Goetz hatte sich vorher der nationalsozialen Bewegung Friedrich Naumanns angeschlossen und kann als politischer Erbe Naumanns angesehen werden. Er war Mitherausgeber der Zeitschrift „Hilfe" und von 1920-1930 als Demokrat Mitglied des Reichstages; er wurde deshalb 1933 sofort aus seinem Lehramt entbunden. Vgl. Internationales Biographisches Archiv (Munzinger-Archiv) ΜΕ-GO v. 3.1.1959, Bl. 1172. Institut für Zeitgeschichte München. 114. Leipzig, Phil. Habilitationsschrift, 1921. Zugleich veröffentlicht als 5. Heft Nr. 6 der Arbeiten zur Entwicklungspsychologie, hrsg. von Felix Krueger. Leipzig 1921. 115. Vgl. Hans Freyer, Die Bewertung der Wirtschaft im philosophischen Denken des 19. Jahrhunderts, a. a. O., Vorwort. 116. D. ph. jur. et med. Wilhelm Wundt, o. Prof. der Philosophie (seit 1875) und Direktor des Instituts für Experimentelle Psychologie (von ihm begründet 1879), Ehrendoktor der Rechte der Universität Göttingen, königl. sächs. Geh. Rat. Ehrenbürger der Stadt Leipzig. 117. Wilhelm Wundt, Logik. Eine Untersuchung der Prinzipien der Erkenntnis und der Methoden wissenschaftlicher Forschung. 3 Bände. 3. umgearb. Aufl. Stuttgart 1908. Vgl. 3. Band, Logik der Geisteswissenschaften. S. 460-462. 118. Vgl. ebenda S. 464-480. 119. Vgl. ebenda S. 480 f. 120. Vgl. ebenda s. 534.
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Anmerkungen
zu Kapitel I: Soziologie
als „geistige
Bewegung"
121. Felix Krueger, o. Prof. der Philosophie, seit 1917 Direktor des Instituts für Experimentelle Psychologie und des staatl. Forschungsinstituts für Psychologie, Ehrendoktor der Columbia-Universität, New York (lt. Personalverzeichnis von 1917). Hans Freyer lehrte von 1920-1922 als Privatdozent an Kruegers Institut. Krueger beschäftigte sich in dieser Zeit im Rahmen der sozialen Entwicklungspsychologie mit den wirtschaftlichen Erscheinungen, die zunächst in ihren Frühformen psychologisch in kulturelle Ganzheiten eingeordnet wurden. Vgl. Freyer, Hans, Die Bewertung der Wirtschaft im philosophischen Denken des 19. Jahrhunderts, a. a. O. Vorwort. 122. Vgl. Graf Karlfried von Dürckheim, Gemeinschaft, in: Ganzheit und Struktur. Festschrift zum 60. Geburtstag von Felix Krueger. Neue Psychologische Studien, 12. Band, 1. Heft, 1934, S. 196; ZitatS. 196. 123. Albert Wellek, Die Wiederherstellung der Seelenwissenschaft im Lebenswerk Felix Kruegers. Hamburg 1950, S. 21. 124. Die Berliner Schule der Gestaltpsychologie wurde zur gleichen Zeit von Wolfgang Köhler, Kurt Koffka und Max Wertheimer begründet; die Würzburger Schule von Oswald Külpe (einem Schüler von Wilhelm Wundt), und Karl Bühler, der wiederum Hans Freyers Frühwerk „Theorie des objektiven Geistes" in seine „Kulturpsychologie" einbezog und mit dieser „Leipziger" Richtung seine Lehre von der „Funktionslust" und der schöpferischen Leistung des Menschen gegen Freuds axiomatisches Denken und dessen Reduktion des Menschen auf das animalische Lustprinzip theoretisch ausbauen wollte. Vgl. Bühler, Karl, Krise der Psychologie (1927). Ungekürzter Neudruck Frankfurt 1978, S. 138 ff. 125. Das Institut für Experimentelle Psychologie genoß bereits seit Wilhelm Wundt weltweite Beachtung aufgrund seiner empirischen Laborversuche. Krueger gründete um 1910, noch als Mitarbeiter von Wundt, das erste psychologische Laboratium Südamerikas in Buenos Aires, Argentinien. Zu den empirischen Arbeiten an Freyers Institut für Soziologie vgl. Hans Linde, Soziologie in Leipzig, 1925-1945, a. a. O., S. 107. 126. Vgl. hierzu auch Freyers Interpretation von Karl Lamprechts Theorie in „Geschichte und Soziologie", in: Vergangenheit und Gegenwart, 16. Jg., 1926, S. 205-208. 127. Vgl. Ferdinand Fellmann, Gelebte Philosophie in Deutschland. Freiburg-München 1983, S. 7-11. 128. Vgl. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, Leipzig-Berlin 1930, S. 300. 129. Walter L. Bühl, Einführung in die Wissenschaftssoziologie. München 1974. S. 22 (nach Max Schelers Einteilung der Wissensformen). 130. Vgl. Peter Gay, Die Republik der Außenseiter. Geist und Kultur in der Weimarer Zeit: 1918-1933. Frankfurt/ Main 1970, S. 111. 131. Herbert Marcuse, Zur Auseinandersetzung mit Hans Freyers „Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft", in: Philosophische Hefte, 3. Band, 1931/32, S. 83. S. a. hier Kap. 11,4. 132. Hans Freyer, Revolution von rechts. Jena 1931. 133. Freyers Schüler während der Jahre des Nationalsozialismus, Heinz Maus, hat damit wohl die Verurteilung Freyers durch die nachfolgende Soziologengeneration in den sechziger Jahren eingeleitet. Vgl. Heinz Maus, Bericht über die Soziologie in Deutschland 1933-1945, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 10. Jg., H. 1,1959, S. 73. Während seiner Studentenzeit hatte Maus es jedoch ausschließlich Freyers Unterstützung zu verdanken, in dieser Zeit über das Tabu-Thema „Karl Marx" arbeiten zu können. Hierzu Hans Linde, Soziologie in Leipzig 19251945, a. a. O. S. 112. 134. Hier liegt auch der Grund, warum nach dem II. Weltkrieg die Begriffe „Gemeinschaft" und „Gesellschaft" ersetzt wurden durch die „wertneutralen" Begriffe „Primärgruppe" und „Sekundärgruppe", obwohl sie bereits wissenschaftlich fundierte und gut bearbeitete Begriffe waren. Vgl. Walter Rüegg, Soziologie, Funkkolleg. Frankfurt 1969, S. 123. 135. Wie z. B. formuliert in Peter Weingart, On a Sociological Theory of Scientific Change, in R. Whitley, Hg., Social Processes of Scientific Development. London/Boston 1974, S. 45-68.
Anmerkungen
zu Kapitel II: Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft
223
Anmerkungen zu Kapitel II: Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft 1. Das ist doch noch der Anspruch eines der strengsten und nüchternsten Denker, Edmund Husserl, in: Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie (1936), Hamburg 1977, S. 15. 2. Vgl. zu einer zusammenfassenden Analyse dieser Literatur Hermann Lübbe, Politische Philosophie in Deutschland, Basel-Stuttgart 1963, S. 173-238. 3. Max Scheler, Die Wissensformen und die Gesellschaft (1925), Gesammelte Werke, Band 8, Bern 1960, S. 227. 4. Karl Mannheim, Historismus (1924), in: Karl Mannheim, Wissenssoziologie: Hg. von Kurt H. Wolff, Neuwied-Berlin 1970, 2. Aufl., S. 246-307. 5. Victor Kraft, Der Wiener Kreis. Der Ursprung des Neupositivismus, Wien 1968, 2. Aufl., S. 1-10. 6. Die politische Soziologie beginnt in Deutschland wie in den Vereinigten Staaten erst in den zwanziger Jahren, etwa mit: Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft (1921), Robert Michels, Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie (1912, deutsch 1925), Karl Kautsky, Die materialistische Geschichtsauffassung (1921), Hermann Heller, Sozialismus und Nation (1925), Karl Mannheim, Ideologie und Utopie (1929), oder Harold D. Lasswell, Politics: Who Gets What, When, How? (1929). 7. Edmund Husserl, Philosophie als strenge Wissenschaft (1911), Frankfurt 1965, S. 71. 8. Zum emphatischen Wirklichkeitsbegriff der Phänomenologie vgl. Ferdinand Fellmann, Phänomenologie und Expressionismus. Freiburg-München 1982, S. 44ff. 9. Vgl. Gerd Brand, Edmund Husserl: Zur Phänomenologie der Intersubjektivität. Texte aus dem Nachlaß, in: Phänomenologische Forschungen 6/7, 1978, S. 28-117. 10. Alfred Schütz, über die mannigfaltigen Wirklichkeiten (1945), in: Alfred Schütz, Gesammelte Aufsätze, Band 1: Das Problem der sozialen Wirklichkeit, Den Haag 1971, S. 237-298. 11. Ulrich Claesges, Zweideutigkeiten in Husserls Lebenswelt-Begriff, in: Ulrich Claesges & K. Held, Hg., Perspektiven transzendentalphänomenologischer Forschung, Den Haag 1972, S. 85-101. Kurt Rainer Meist, Monadologische Intersubjektivität: Zum Konstitutionsproblem von Welt und Geschichte bei Husserl, in: Zeitschrift für Philosophische Forschung 34, 1980, S. 561-589. 12. Edmund Husserl, Zur Phänomenologie der Intersubjektivität. Band III. Den Haag 1973, S. 201f. 13. Ebenda S. 392. 14. Alfred Schütz, Wissenschaftliche Interpretation und Alltagsverständnis menschlichen Handelns (1953), in: Alfred Schütz, Gesammelte Aufsätze, Band 1, a. a. O. S. l l f . Peter Berger und Thomas Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, Frankfurt 1969, S. 21 ff. 15. Walter L. Bühl, Wirklichkeit, in: Werner Fuchs, Rolf Klima u.a., Hg., Lexikon zur Soziologie, Tb.-Ausg., Reinbeck 1975 S. 763. 16. Der Ausdruck „Existenzphilosophie" stammt von Fritz Heinemann, Neue Wege der Philosophie, Leipzig 1929, S. 400ff. 17. Vgl. Karl Löwith, Das Individuum in der Rolle des Mitmenschen, München 1928, S. 169ff. 18. Franz Rosenzweig, Der Stern der Erlösung, Frankfurt 1921, S. 262ff. 19. Karl Jaspers, Die geistige Situation der Zeit, Berlin 1932, S. 161 ff. 20. Typisch dafür: Martin Buber, Ich und Du, Leipzig 1923; vorher schon Martin Buber, Daniel. Gespräche von der Verwirklichung, Leipzig 1913. 21. So vor allem: Martin Heidegger, Sein und Zeit (1927). Tübingen 1957, S. 114ff. 22. Karl Jaspers, Psychologie der Weltanschauungen, Berlin 1919, S. 220ff., S. 229ff.; Karl Jaspers, Philosophie, Berlin 1932, S. 467ff. 23. Dies ist der Versuch von Karl Löwith, Das Individuum in der Rolle des Mitmenschen, a. a. O. S. 14ff., im Vergleich zu Martin Heidegger, Sein und Zeit, a. a. O. S. 117ff. 24. Karl Jaspers, Die geistige Situation der Zeit, a. a. O. S. 181. 25. Ebenda S. 25ff. 26. Martin Heidegger, Sein und Zeit, a. a. O. S. 126ff. 27. Vgl. Alfred Vierkandt, Zur Theorie der Revolution, in: Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reiche, 46, 1922, S. 325-347. 28. Martin Heidegger, Sein und Zeit, a. a. O. S. 128.
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Anmerkungen
zu Kapitel II: Soziologie
als
Wirklichkeitswissenschaft
29. Karl Jaspers, Die geistige Situation der Zeit, a. a. O. S. 86ff.; Karl Jaspers, Philosophie, a. a. O. S. 632f. 30. Martin Heidegger, Sein und Zeit, a. a. O. S. 372ff. Zur Kritik des Heideggerschen Geschichtsbegriffes vgl. Karl Löwith, Heidegger, Denker in dürftiger Zeit, Göttingen 1960, S. 69f. 31. Martin Heidegger, Sein und Zeit, a. a. O. S. 436. 32. Ebenda S. 323ff. 33. Karl Jaspers, Philosophie, a. a. O. S. 863ff. 34. So besonders in Arnold Gehlen, Wirklicher und unwirklicher Geist (1931), in: Arnold Gehlen Gesamtausgabe, Philosophische Schriften Band I, Frankfurt 1978, S. 113-381. 35. Vgl. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O. S. 13ff. und Arnold Gehlen, Wirklicher und unwirklicher Geist, a. a. O. S. 170ff. Zum Vergleich dieser beiden Arbeiten s.a. Elfriede Uner, Hans Freyer und Arnold Gehlen: Zwei Wege auf der Suche nach Wirklichkeit, Referat zum Sonderseminar der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer: Zur geisteswissenschaftlichen Bedeutung Arnold Gehlens, 5.-7. April 1989. Tagungsband, hg. von Helmut Klages Helmut Quaritsch, Berlin 1992. 36. Vgl. Ferdinand Fellmann, Gelebte Philosophie in Deutschland, Freiburg-München 1983, insbes. S. 108f., S. 120-125, S. 178-181. 37. Theodor Litt, Philosophie und Zeitgeist, Leipzig 1935, S. 50f. 38. Hans Freyer, Theorie des objektiven Geistes (1923), zitiert nach der 3. Aufl. 1935. Nachdruck Darmstadt-Stuttgart 1966, S. 153. 39. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O. S. 213. 40. Arnold Gehlen, Wirklicher und unwirklicher Geist, a. a. O. S. 129, S. 134. 41. Arnold Gehlen, Idealismus und Existentialphilosophie (1933). Philosophische Schriften I, a. a. O. S. 395. 42. Helmut Schelsky, Auf der Suche nach Wirklichkeit, Gesammelte Aufsätze, Düsseldorf 1965, S. 8. 43. Arnold Gehlen, Wirklicher und unwirklicher Geist, a. a. O. S. 367f. 44. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O. S. 214f. 45. Arnold Gehlen, Wirklicher und unwirklicher Geist, a. a. O. S. 341. 46. Theodor Litt, Individuum und Gemeinschaft, Leipzig 1919, S. 171ff. 47. Hans Freyer, Theorie des objektiven Geistes, a. a. O. S. 129ff. 48. Hans Freyer, Gesellschaft und Geschichte, Leipzig 1937, S. 18. 49. Hans Freyer, Die Aufgabe der Soziologie, in: Die Volksschule 25, 1929, S. 631. 50. Ebenda S. 629. 51. Bei Wilhelm Wundt, Probleme der Völkerpsychologie, Stuttgart 1921, S. 10, heißt es: „Alle geistigen Erscheinungen sind eben jenem Fluß des geschichtlichen Werdens unterworfen, bei dem das Vorangegangene zwar immer die Anlagen in sich enthält, aus denen sich die für das Folgende gültigen Gesetze entwickeln werden, wo aber diese Gesetze selbst aus jenen Anlagen niemals erschöpfend vorausbestimmt werden können. Darum kann in einem gegebenen Moment höchstens die Richtung einer kommenden Entwicklung, nie diese selbst vorausgesagt werden". 52. Vgl. Arnold Gehlen, Wirklicher und unwirklicher Geist, a. a. O. S. 341f. 53. Hans Freyer, Gesellschaft und Geschichte, a. a. O. S. 14. 54. Hans Freyer, Die Aufgabe der Soziologie, a. a. O. S. 626. 55. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O. S. 206. 56. A.P. Simmonds, Mannheim's Sociology of Knowledge as a Hermeneutic Method, in: Cultural Hermeneutics 3/1975, S. 81-105. 57. Nicolai Hartmann, Möglichkeit und Wirklichkeit, Berlin 1938, S. 57f.: „Realwirklichkeit"; Georg Simmel, Der Begriff und die Tragödie der Kultur, in: Georg Simmel, Philosophische Kultur (1923), Berlin 1983, S. 183-207. 58. Hans Freyer, Theorie des objektiven Geistes, a. a. O. S. 153. 59. Vgl. ebenda S. 148-153; Zitate S. 148, S. 151 und S. 153. 60. Ebenda S. 69. 61. Hans Freyer, Soziologie als Geisteswissenschaft, S. 122, in: Archiv für Kulturgeschichte 16 (1926), S. 113-126. 62. Vgl. Hans Freyer, Theorie des objektiven Geistes, a. a. O. S. 150f. 63. Vgl. ebenda S. 23f. und S. 33. 64. Vgl. ebenda Einleitung S. 10-15 und S. 48f.; Zitat S. 152.
Anmerkungen 65. 66. 67. 68.
69. 70. 71. 72. 73. 74. 75. 76.
77. 78. 79. 80. 81. 82. 83.
84. 85. 86. 87. 88. 89. 90. 91. 92. 93. 94.
95. 96. 97.
98. 99. 100. 101. 102.
zu Kapitel II: Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft
225
Vgl. Soziologie als Geisteswissenschaft, a. a. O. S. 114-121. Ebenda S. 113. Ebenda S. 120-122; Zitate S. 122. Zu den folgenden Ablösungsprozessen vgl. Hans Freyer, Theorie des objektiven Geistes, a. a. O. S. 20-32; zur Synthese und Ganzheit vgl. ebenda S. 137f. zur Anwendung auf den Staat vgl. Hans Freyer, Der Staat, Leipzig 1925. Vgl. Theorie des objektiven Geistes, a. a. O. S. 50f. Vgl. zu folgendem ebenda S. 56-59. Vgl. ebenda S. 59-62. Vgl. ebenda S. 62-64. Vgl. Edmund Husserl, Logische Untersuchungen, Band II, 1. Teil, Kap. I, Paragraphen 1-16, Halle: Max Niemeyer 1913. Vgl. Hans Freyer, Theorie des objektiven Geistes, a. a. O. S. 64-69; Zitat S. 65. Die gleiche Annäherung an Durkheim erscheint auch, zwar nur als kurze Erwähnung, in: Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O. S. 179. Vgl. Theorie des objektiven Geistes, a. a. O . S. 65-67; Freyer ergänzte erst ab der 2. Auflage 1928 (a. a. O. S. 67-69) die Definition der Kategorie „Sozialform" mit Gedanken aus seiner „Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft" (konzipiert ab 1926, veröffentlicht 1930), die hier unberücksichtigt bleiben müssen, um den Unterschied des kulturphilosophischen Wirklichkeitsbegriffes vom soziologischen nicht zu verwischen. Vgl. Hans Freyer, Theorie des objektiven Geistes, a. a. O. S. 72-74. Vgl. ebenda S. 50f. und S. 76. Vgl. zu folgendem Absatz ebenda S. 77-82. Ebenda S. 82. Vgl. ebenda S. 84-88; Zitate S. 87 und S. 88. Ebenda S. 85. Vgl. ebenda S. 93. Karl Bühler sah in diesem dialektischen Modell Freyers einen bedeutenden Beitrag zur Kulturpsychologie, um die subjektivistischen, atomistischen und mechanistischen Denkmodelle der bisherigen Psychologie zu überwinden. Vgl. Karl Bühler, Die Krise der Psychologie (1927), Stuttgart 1965, S. 138ff. Vgl. Hans Freyer, Theorie des objektiven Geistes, a. a. O. S. 138f. Ebenda S. 136. Vgl. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O. S. 148ff. Vgl. Hans Freyer, Theorie des objektiven Geistes, a. a. O. S. 143f. Vgl. ebenda S. 64-67. Vgl. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O. S. 16f. Vgl. Max Weber, Die Objektivität sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis (1904), in: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, Tübingen 1973 (4. Aufl.), insbes. S. 214f. Vgl. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O. S. 80. Vgl. ebenda S. 79f. Vgl. ebenda S. 81f., vgl. auch ders., Einleitung in die Soziologie, Leipzig 1931, S. 7f. Vgl. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O. S. 82. Derselbe Vergleich wird in der „Theorie des objektiven Geistes", 2. Aufl. 1928, eingeschoben; in der 1. Aufl. erscheint er nicht. Freyer ist also zu dieser soziologischen Sichtweise erst später gelangt. Vgl. Theorie des objektiven Geistes, 2. Aufl. 1928 und spätere, S. 67ff. Vgl. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O. S. 82. Vgl. Hans Freyer, Einleitung in die Soziologie, a. a. O. S. 15. Nach Johann Plenge, Fachdisziplin, Totalgesellschaft, Pantologie, in: Zeitschrift für Völkerpsychologie und Soziologie 5/1929, S. 385ff.; zit. von Hans Freyer in: Einleitung in die Soziologie, a. a. O. S. 15. Vgl. Hans Freyer, Einleitung in die Soziologie, a. a. O. S. 128f. Vgl. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O. S. 80-86. Vgl. auch ders., Einleitung in die Soziologie, a. a. O. S. 10. Vgl. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O. S. 84f.; Zitat S. 85. Martin Heidegger, Sein und Zeit, Tübingen 1957, S. 436. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O. S. 86.
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Anmerkungen
zu Kapitel II: Soziologie als
Wirklichkeitswissenschaft
103. Ebenda S. 117. 104. Hans Freyer, Einleitung in die Soziologie, a. a. O . S. 12; vgl. auch S. 130, sowie ders., Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O. S. 87. 105. Vgl. Hans Freyer, Einleitung in die Soziologie, S. 12. 106. Vgl. Wirklichkeitswissenschaft, S. 217; Einleitung S. 128. 107. Vgl. Wirklichkeitswissenschaft, S. 13f. und S. 20f. 108. Ebenda S. 14. 109. Vgl. ebenda S. 14f. und S. 19. 110. Vgl. ebenda S. 191f. und S. 198. 111. Vgl. ebenda S. 194. 112. Vgl. ebenda S. 85. 113. Die Gebundenheit an das „Ewig-Menschliche" sollte natürlich für die Sozialformen weiterhin gelten. Vgl. Theorie des objektiven Geistes, a. a. O. S. 141-146 und Einleitung S. 128. 114. Einleitung in die Soziologie, S. 128; vgl. auch Wirklichkeitswissenschaft, S. 212. 115. Vgl. Einleitung in die Soziologie, S. 129 und Wirklichkeitswissenschaft, S. 218f. und S. 227f. 116. Vgl. ebenda S. 177. 117. Vgl. Einleitung in die Soziologie, S. 125; Wirklichkeitswissenschaft, S. 223f. 118. Vgl. Einleitung in die Soziologie, S. 126 und S. 129. 119. Vgl. Wirklichkeitswissenschaft, S. 226. 120. Vgl. ebenda S. 243. 121. Vgl. ebenda S. 249. 122. Vgl. ebenda S. 227. 123. Siehe Punkt 1 dieses Kapitels. 124. Einleitung in die Soziologie, S. 10, S. 11. 125. Vgl. ebenda S. 145. 126. Ebenda S. 11; vgl. auch Wirklichkeitswissenschaft S. 200. 127. Vgl. Wirklichkeitswissenschaft, S. lOOf. 128. In seiner Interpretation des Begriffs „fortuna" bei Machiavelli hat Freyer dieses Konzept der Aktualität verdeutlicht. Vgl. Hans Freyer, Machiavelli (1938). Weinheim 1986, S. 77f. 129. Vgl. Karl Mannheim, Zur Problematik der Soziologie in Deutschland (1929), in: Volker Meja und Nico Stehr, Hg., Der Streit um die Wissenssoziologie, 2. Bd., Frankfurt/M. 1982, S. 427-437. 130. Vgl. Wolf Lepenies, Die drei Kulturen. Soziologie zwischen Literatur und Wissenschaft, München 1985, S. 377-380. 131. Vgl. E. Weingarten, F. Sack, J. Schenkein, Ethnomethodologie, Frankfurt 1976, S. 35f. 132. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O . S. 11. 133. Dem ist der größte Teil von Kapitel III, S. 221-294 der Wirklichkeitswissenschaft gewidmet. 134. Ebenda, S. 89, heißt es: „Wie durch ein Nadelöhr wird die soziale Wirklichkeit durch den Moment der gegenwärtigen Entscheidung hindurchgezwängt". 135. Ebenda S. 17. 136. Sehr pathetisch, allgemein und sibyllinisch heißt es in der Wirklichkeitswissenschaft, S. 89: „Mit bestimmten gesellschaftlichen Gebilden - eben den gegenwärtigen - sind wir in besonderer und unleugbarer Weise, existentiell, verbunden; sie sind einfach wir selbst, und sonst nichts. Ihr Fortbestehen und ihre Veränderung ist unser Schicksal oder ist jedenfalls ein wesentlicher Teil unseres Schicksals. Ja: Ihr Fortbestand und ihre Veränderung ist in irgendeinem Grade unserem Willen, unserer Entscheidung anheimgegeben, weil wir das lebendige Material sind, aus dem sich ihre Formen bilden. Alle Bewegungen, die durch sie hindurchgehen, alle offenen Widersprüche, die in ihnen treiben, alle Unbündigkeiten, die sie in sich tragen, sind Fragen an unseren Willen und Fragen unseres Willens an sie. Wir sind in der Dialektik ihres Geschehens Partei, aktive Kraft. Die gesellschaftliche Ordnung unseres Zeitalters ist, vielleicht unangreifbar, unsere Gegenwart. Aber wir sind, früher oder später, ihre Zukunft". Das Problem, wer zu entscheiden hat, wessen Wille entscheidet, bleibt in diesem allgemeinen „Wir" und „unser" jedoch gerade ausgespart, um später mit wechselnden politischen Umständen - unterschiedlich gefüllt zu werden. 137. Max Scheler, Die Wissensformen und die Gesellschaft, (1926), in: Gesammelte Werke Band 8, Bern und München 1960, S. 19. 138. Vgl. ebenda S. 39-51. 139. Hans Freyer, Wirklichkeitswissenschaft S. 305.
Anmerkungen
zu Kapitel II: Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft
227
140. Hierzu von Interesse: Renato Poggioli, The Theory of the Avant-Garde. New York 1971, S. 4ff. 141. Vgl. Wilhelm Wundt, Logik, III. Band: Logik der Geisteswissenschaften, Stuttgart 1908, (3. Aufl.). Zu Spranger vgl. Hans Freyer, Wirklichkeitswissenschaft S. 205. Gemeint ist wohl: Eduard Spranger, Lebensformen, Halle 1925, (5. Aufl.). 142. Wilhelm Dilthey, Einleitung in die Geisteswissenschaften. Stuttgart 1863, Wilhelm Dilthey, Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften. Stuttgart 1926. 143. Hans Freyer, Wirklichkeitswissenschaft S. 222. 144. Ebenda S. 22, S. 29. 145. Ebenda S. 27, S. 23. 146. Ebenda, S. 69f. Frey er bezieht sich vor allem auf Othmar Spann, Gesellschaftsphilosophie, (Handbuch der Philosophie), München 1928. 147. Hans Freyer, Wirklichkeitswissenschaft S. 76. 148. Ebenda S. 72. 149. Ebenda S. 76f. 150. Vgl. Hans Freyer, Rezension von Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, in: Die Tat 1919/20 S. 304-308. 151. Hans Freyer, Wirklichkeitswissenschaft S. 37. 152. Hans Freyer, Oswald Spengler, 1880-1936, S. 443f., in: Hermann Heimpel, Theodor Heuß und Benno Reifenberg, Hg., Die großen Deutschen, Berlin 1957, Bd. IV, S. 440-448. 153. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O. S. 92. 154. Ebenda S. 105f. 155. Ebenda S. 110f., bezugnehmend auf Karl Mannheim, Ideologische und soziologische Interpretation der geistigen Gebilde, in: Jahrbuch für Soziologie 2, 1926, S. 424-440. 156. Vgl. Wirklichkeitswissenschaft ebenda S. 109-112. 157. Georg Simmel, Soziologie: Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung. Berlin 1908. 158. Leopold von Wiese, Allgemeine Soziologie, Band 1, Beziehungslehre, München und Leipzig 1924, S. 13. 159. Hans Freyer, Wirklichkeitswissenschaft S. 113. 160. Ebenda S. 51 und S. 56. 161. Ebenda S. 65. 162. Ebenda S. 50, S. 53, S. 57. 163. Ebenda S. 66. 164. Ebenda S. 302. 165. Ebenda S. 228f. 166. Beide Zitate ebenda s. 206. 167. Ebenda S. 89, S. 90, S. 91. 168. Ebenda S. 89. 169. Ebenda S. 302. 170. Ebenda S. 90. 171. Ebenda S. 305. 172. Ebenda S. 305. 173. Ebenda S. 206. 174. Ebenda S. 206. 175. Vgl. ebenda S. 190; hierzu auch: Wilhelm Windelband, Geschichte und Naturwissenschaft (1882), in ders., Präludien, Aufsätze und Reden. Freiburg und Tübingen 1884. Heinrich Rickert, Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft, Tübingen 1910. 176. Hans Freyer, Wirklichkeitswissenschaft S. 191. 177. Vgl. ebenda S. 151. 178. Vgl. ebenda S. 156. 179. Vgl. ebenda S. 191; bezugnehmend auf Siegfried Landshut, Kritik der Soziologie (1929), in: Kritik der Soziologie und andere Schriften zur Politik, Neuwied 1969, S. 37ff. 180. Vgl. Hans Freyer, Wirklichkeitswissenschaft S. 179ff., S. 190ff. 181. Hans Freyer, Theorie des objektiven Geistes, 3. Aufl. a. a. O. 1934, S. 129f. 182. Hans Freyer, Wirklichkeitswissenschaft S. 216. 183. Ebenda S. 220. 184. Ebenda S. 220. 185. Ebenda S. 221.
228
Anmerkungen
zu Kapitel II: Soziologie als
Wirklichkeitswissenschaft
186. Ebenda S. 218, S. 218, S. 221. 187. Ebenda S. 223. 188. Ebenda S. 227. Vgl. G.W.F. Hegel, Wissenschaft der Logik I, Theorie-Werkausgabe Bd. 5, Frankfurt 1969, S. 113f.; hier wird zwischen „aufheben" im Sinne von „aufbewahren, erhalten" und „aufhören lassen, ein Ende machen" unterschieden. Daneben findet sich aber auch noch die Bedeutung von „erhöhen, emporheben". 189. Hans Freyer, Wirklichkeitswissenschaft S. 226. 190. Ebenda S. 228. 191. Ebenda S. 229. 192. Ebenda S. 226. 193. Vgl. Niklas Luhmann, Soziale Systeme: Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt 1984; darin wird S. 60ff. eine Theorie der „autopoietischen" Systeme entwickelt. Luhmann geht allerdings noch einen Schritt weiter als Freyer, wenn er an die Stelle der „Handlung" die „Kommunikation" setzt und wenn er die Prozeßstrukturen des Systems vollkommen temporalisiert oder punktualisiert. Die perfekte „Selbstbeweglichkeit des Sinngeschehens" (a. a. O. S. 101) bringt aber die gleichen methodologischen Probleme mit sich wie bei Freyer. Vgl. zur Kritik: Walter L. Bühl, Die Grenzen der Autopoiesis, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 39 (1967), S. 225-254. 194. Hans Freyer, Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O. S. 305, S. 307. 195. Alle Zitate S. 307. 196. Vgl. Richard L. Henshel, The Boundary of the Self-fulfilling Prophecy and the Dilemma of Social Prediction, in: The British Journal of Sociology 33 (1982), S. 511-528. 197. Hans Freyer, Wirklichkeitswissenschaft S. 210. Ob man Freyers „Selbsterkenntnis" der Gesellschaft in der Soziologie als bloßes Abbild eines Pluralismus von Wertvorstellungen interpretieren kann, wobei jeder einzelne Soziologe - ganz für sich in persönlicher Entscheidung - einen (seinen?) der vielen möglichen Willen als gültig setzen muß (so Helmut Klages, Geschichte der Soziologie, München 1972, 2. Aufl., S. 156), ist hiernach doch sehr fraglich. Freyer bringt hier deutlich zum Ausdruck, daß in der Soziologie als der für die gegenwärtige Gesellschaft repräsentativen Kulturerscheinung das „Substantielle", die eigentliche Entwicklungslinie dieser Gesellschaft, enthalten ist und zur Verwirklichung kommen muß. 198. Ebenda S. 90. 199. Ebenda S. 210 200. Zu diesem Absatz vgl. ebenda S. 200 f. 201. Vgl. ebenda S. 207 ff. 202. Max Weber, Die „Objektivität" sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis (1904), in: Max Weber, Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre. Tübingen 1973, 4. Aufl. S. 146-214. Erst viele Jahre später nimmt Weber Stellung zum pauschalierenden Begriff der „Wertfreiheit", wobei er ihn jedoch polemisch verwendet und (weithin vergeblich) versucht, das mit diesem Begriff verbundene „unendliche Mißverständnis" zu bereinigen. Vgl. Max Weber, Der Sinn der „Wertfreiheit" der soziologischen und ökonomischen Wissenschaften (1917), ebenda S. 489-540. 203. Max Weber, Die „Objektivität" sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis, a. a. O. S. 148 ff. 204. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O. S. 307. 205. Ebenda S. 304 206. Ebenda S. 211, S. 198 207. Ebenda S. 155 208. Vgl. Theodor Haering, Die Materialisierung des Geistes. Tübingen 1919; Carl Schmitt, Der Hüter der Verfassung, Tübingen 1931; Rudolf Smend, Verfassung und Verfassungsrecht. München 1928. 209. Vgl. Hans Kelsen, Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts. Tübingen 1920. 210. Vgl. etwa Hermann Heller, Rechtsstaat oder Diktatur? Tübingen 1930. Zur Wendung Hellers in Richtung der „Wirklichkeitswissenschaft" Freyers vgl. hier Kap. III, 2a. 211. Vgl. Otto Ernst Schüddekopf, Linke Leute von rechts. Stuttgart 1960, S. 167 f.; vgl. Walter Laqueur, Weimar: Die Kultur der Republik. Frankfurt 1974, S. 135 ff.; vgl. Karl O. Paetel, Versuchung oder Chance? Zur Geschichte des deutschen Nationalbolschewismus. Göttingen 1965, S. 15-34. Paetel hält die Beschreibung des Revolutionärs, wie sie von Freyer in „Revolution von rechts" gegeben wird, für typisch für eben diese Art von Nationalbolschewisten oder -revolutionäre (ebenda S. 34 f.).
Anmerkungen
zu Kapitel II: Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft
229
212. Diese Nähe läßt sich ja auch bei Hans Freyer immer wieder feststellen, der eine erste realistische Wendung der Hegeischen Philosophie durch Karl Marx und Lorenz von Stein geleistet sieht (vgl. Wirklichkeitswissenschaft, S. 91 ff.), wenngleich er selbst noch eine „Realsoziologie der geistigen Gebilde" (S. 109) hinzufügen möchte. 213. Hubert Kiesewetter, Von Hegel zu Hitler, Hamburg 1974, S. 204. 214. Vgl. Gary Ulmen, Politische Theologie und Politische Ökonomie - über Carl Schmitt und Max Weber. In: Helmut Quaritsch, Hg., Complexio Oppositorum, über Carl Schmitt, Berlin 1988, S. 341-365. Demnächst als Buch: Gary Ulmen, Politischer Mehrwert. Max Weber, Carl Schmitt und die Kritik der Politischen Ökonomie, Weinheim 1991. Zu Max Webers Tendenzen zu einem plebiszitären Führerstaat vgl. Wolfgang Mommsen, Max Weber, Frankfurt 1974, S. 44-71. Vgl. Theodor Geiger, Die Masse und ihre Aktion (1926), Stuttgart 1980; ebenso Theodor Geiger, Die Gesellschaft zwischen Pathos und Nüchternheit, Kopenhagen 1960. 215. Vgl. Kurt Lenk, Deutscher Konservatismus, Frankfurt 1989, S. 40-48. Wie sehr man heute bemüht ist, den politischen Kampfbegriff des Konservativismus zu „verwissenschaftlichen", bzw. einen wissenssoziologischen Begriff des „konservativen Denkens" in der Tradition Karl Mannheims parteipolitisch umzuformen, ist zu verfolgen u.a. bei Hans-Gerd Schumann, „Konservativismus" als analytischer Strukturbegriff, in: Eike Hennig, Richard Saage, Hg., Konservatismus. Eine Gefahr für die Freiheit? München 1983, S. 13-25, s. insbes. auch die Zusammenfassung der Diskussion von Herfried Münkler, ebenda S. 26-28. Vgl. dagegen Karl Mannheim, Das konservative Denken (1927), in Karl Mannheim, Wissenssoziologie, Hg. von Kurt H. Wolff, Neuwied-Berlin 1970, 2. Aufl. S. 507f., der umgekehrt eine wissenssoziologische Bearbeitung erst durch die Rückführung des politischen Denkens auf die philosophischen Richtungen für möglich hält. Daß Mannheim Freyer damals als „konservativen Denker" eingestuft hätte, ist keinesfalls anzunehmen; daß er dagegen den theoretischen Aufbau der „Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft" sorgfältig studiert hat und zu der Zeit größtenteils mit Freyer übereinstimmte, ist den handschriftlichen Notizen Mannheims in seinem Handexemplar der „Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft" zu entnehmen. Vgl. hierzu Herry Z. Müller, The Other God That Failed, a. a. O. S. 182, Anm. 98. 216. Freyers Habilitationsschrift: Die Bewertung der Wirtschaft im philosophischen Denken des 19. Jahrhunderts. Leipzig 1921; eine geschichtstheoretische und wissenssoziologische Verknüpfung von ökonomischen Denken und Philosophie. 217. Vgl. Karol Szemkus, Gesellschaftliche Bedingungen zur Entstehung der deutschen Jugendbewegung, in: Walter Rüegg, Hg., Kulturkritik und Jugendkult, Frankfurt 1974, S. 39-46. 218. Nach Charlotte Lütkens, Die Deutsche Jugendbewegung, Frankfurt 1925, S. 17ff. 219. Als Programmschrift vgl. Hermann Schmalenbach, Die soziologische Kategorie des Bundes, in: Die Dioskuren I, Jahrbuch für Geisteswissenschaften, München 1922. 220. Luise Fick, Die Deutsche Jugendbewegung, Jena 1940, vgl. S. 168ff. 221. Vgl. Hans Freyer, Der Staat, a. a. O. S. 199-207. 222. Zur „Entscheidung" vgl. Hans Freyer, Antäus, a. a. O., insbes. S. 12; die Interpretation von Christian Graf von Krockow, Die Entscheidung, Stuttgart 1958, S. 35f. 223. Vgl. Wolf Lepenies, Die drei Kulturen, a. a. O. S. 409-418. 224. Vgl. hier Kap. 1.3. 225. Doch war hier wenigstens die politische Reaktion einhellig: Fritz Borinski (Revolution des 20. Jahrhunderts - Revolution von rechts?, in: Neue Blätter für den Sozialismus 2 (1931), S. 387392) sieht nur in der Unklarheit der „Revolution von rechts" eine Verbindung mit dem Faschismus (S. 391), während Edgar Zilsel (Die geistige Situation der Zeit?, in: Der Kampf: Sozialdemokratische Monatsschrift, Wien 1931, S. 168-176) Freyer für einen „Edelfaschisten" (S. 175) hält, der in einer Art „negativer Theologie" sich um konkrete Aussagen über das kommende „Volk" herumdrückt und im übrigen sich „auf so irdische Dinge wie Parlamente, Diktaturen, Friedensverträge nirgends einläßt" (S. 175). Selbstverständlich begrüßt der Tat-Kreis Freyer als Mitkämpfer bei der „Revolution von rechts" (S. 240), hätte jedoch in der Terminologie eine „Revolution der Mitte" vorgezogen (H. G. in: Die Tat 23, 1931, S. 240f.) Vgl. hierzu auch Kap. III, 3b dieser Arbeit. 226. Theodor Geiger, Rezension von Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 92 (1932), S. 520-525. 227. Diesen Punkt hebt allerdings J. Kraft in seiner Rezension in der Zeitschrift für Nationalökonomie 3, 1932 hervor, der „Dialektik" für eines der Freyerschen „Lieblingsworte" ohne eigentlichen Inhalt hält. Vgl. S. 60.
230
Anmerkungen
zu Kapitel II: Soziologie
als
Wirklichkeitswissenschaft
228. Siegfried Landshut, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, in: Blätter für Deutsche Philosophie 6, 1932/33, S. 172. 229. Gerhard Lehmann, Freyers „Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft", in Archiv für angewandte Soziologie 3, 1930/31, S. 211. Ganz ähnlich aber auch W. Bloßfeldt, Der Standort der Soziologie, in: Blätter für Deutsche Philosophie 5, 1931/32, vgl. S. 130. 230. Max Müller, Freyer H., Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, in: Historisches Jahrbuch 1935, S. 245. 231. Die sehr gründliche und ausgewogene Rezension von Josef Pieper, „Wirklichkeitswissenschaftliche" Soziologie: Kritische Randbemerkungen zu Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 66, 1931, S. 400, spricht von einem „überspitzten, übersteigerten Verdammungsurteil". 232. Alfred Kleinberg, Soziologie der goldenen Mitte, in: Die Gesellschaft 9, 1932, vgl. S. 73f. 233. Gerhard Ledig, Hans Freyers Soziologie und der Sozialismus, in: Neue Blätter für den Sozialismus 2, 1931, S. 295. 234. Siegfried Marek, Uberfaschismus? Betrachtungen zu Hans Freyers „Revolution von rechts", in: Die Gesellschaft 8, 1931, S. 415. 235. Otto Koellreutter, H. Freyer: Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, in: Archiv des öffentlichen Rechts 21, 1931, S. 159-167. 236. Vgl. Josef Pieper, „Wirklichkeitswissenschaftliche Soziologie", a. a. O. S. 404. Vgl. Karl Mannheim, Die Gegenwartsaufgaben der Soziologie, Tübingen 1932, S. 40. 237. Herbert Marcuse, Zur Auseinandersetzung mit Hans Freyers „Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft", in: Philosophische Hefte 3, 1931/32, S. 83. In seiner zur gleichen Zeit entstandenen Habilitationsschrift „Hegels Ontologie und die Grundlegung einer Theorie der Geschichtlichkeit" (Freiburg 1932) bearbeitet Marcuse das gleiche Frey ersehe Problem. Wegen dieser Schrift, in der er nach Theodor W. Adorno den entscheidenden Schritt vom „Sinn zum Sein", von „Geschichtlichkeit zu Geschichte" getan habe, wurde Marcuse in den Kreis der „Frankfurter Schule" aufgenommen. Vgl. hierzu Martin Jay, Dialektische Phantasie, Frankfurt 1981, S. 47 f. Marcuse wiederum bezeichnet es a. a. O. als Freyers große Leistung, daß die Wissenschaftstheorie endlich durch Wirklichkeit und Geschichtlichkeit durchbrochen wäre. 238. Erich Winter, Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft; Einleitung in die Soziologie, in: Zeitschrift für Sozialforschung 1, 1932, S. 156, Johann Plenge, Acht Glossen zum Betrieb der Gesellschaftslehre, in: Kölner Vierteljahrshefte für Soziologie 9/1930-31, Glosse VI, S. 159ff. 239. Andreas Walther, Das Problem einer „deutschen" Soziologie, in: Kölner Vierteljahrshefte für Soziologie 9, 1930/31, S. 513-530. 240. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O. S. 212. 241. Ebenda S. 252f., S. 306. 242. Ebenda S. 290. 243. Hans Freyer, Revolution von rechts, Jena 1931, S. 53. 244. Hans Freyer, Die politische Insel, Leipzig 1936, S. 11 und S. 12. 245. Hans Freyer, Pallas Athene, Jena 1935, S. 60. 246. Hans Freyer, Machiavelli und die Lehre vom Handeln, in: Zeitschrift für Deutsche Kulturphilosophie 4, 1938, S. 122f. 247. Hans Freyer, Machiavelli (1938), Weinheim 1986, S. 89. 248. Hans Freyer, Preußentum und Aufklärung (1944), Weinheim 1986, S. 67f. 249. Vgl. ebenda S. 30. 250. Helmut Schelsky mit der Dissertation: Theorie der Gemeinschaft nach Fichtes „Naturrecht" von 1795, Berlin 1935; Arnold Gehlen mit: Wirklicher und unwirklicher Geist, Leipzig 1931; Gotthard Günther mit: Grundzüge einer neuen Theorie des Denkens in Hegels Logik, Leipzig 1933. 251. Hans Freyer, Theorie des gegenwärtigen Zeitalters, Stuttgart 1955, S. 79-93. 252. Ebenda S. 159. 253. Hans Freyer, Gesellschaft und Kultur, in: Golo Mann & Alfred Heuß, Hg., Propyläen-Weltgeschichte, Band 10, Die Welt von heute. Berlin-Frankfurt-Wien 1961, S. 499-591.
Anmerkungen
zu Kapitel II: Soziologie
als Wirklichkeitswissenschaft
231
254. Hermann Lübbe, Die resignierte konservative Revolution, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 115, 1959, S. 131-138, charakterisiert Frey er als einen Propheten des Unheils, der die Tendenz der soziologischen Kritik, die in der Regel auf Zukunft und auf den Fortschritt ausgerichtet ist, umkehrt zur „romantischen" Kulturkritik, die ressentimentbeladen und in diffamierender Ausdrucksweise nur noch durch den Rekurs auf die „Paradoxie" und die „Dialektik" rechtbehalten kann. 255. Helmut Schelsky, Der Realitätsverlust der modernen Gesellschaft (1954), in: Helmut Schelsky, Auf der Suche nach Wirklichkeit, a. a. O. S. 392. 256. Ebenda S. 398. 257. Ebenda S. 403. 258. Helmut Schelsky, Ortsbestimmung der deutschen Soziologie, Düsseldorf 1959, S. 99. 259. Ebenda S. 125f. 260. Arnold Gehlen, Die Seele im technischen Zeitalter, Hamburg 1957, S. 57ff. 261. Vgl. z.B. „Konsum und Kultur" (1955), „Die öffentliche Meinung" (1954), „Bürokratisierung" (1950), „Industrielle Gesellschaft und Staat" (1956), alle in: Arnold Gehlen, Einblicke, Gesamtausgabe Band 7, Frankfurt/Main 1978. 262. Arnold Gehlen, Ende der Geschichte? (1972), in: Arnold Gehlen, Einblicke, Frankfurt 1975, S. 115-133. 263. Gotthard Günther, Idee und Grundriß einer nichtaristotelischen Logik, Hamburg 1959. 264. Gotthard Günther, Life as Poly-contexturality (1973), in: Gotthard Günther, Beiträge zur Grundlegung einer operationsfähigen Dialektik, Band II: Wirklichkeit als Poly-Kontexturalität, Hamburg 1979, S. 283-306. 265. Vgl. Gotthard Günther, Idealismus, Materialismus und Kybernetik, in: Gotthard Günther, Das Bewußtsein der Maschinen, Krefeld 1963, S. 89-166. 266. Peter L. Berger und Thomas Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, Frankfurt/Main 1969. 267. Harold Garfinkel, Studies in Ethnomethodology, Englewood Cliffs 1967. 268. Vgl. Hugh Mehan & Houston Wood, The Reality of Ethnomethodology, New York 1975, Jeff Coulter, The Social Construction of Mind. London 1979. 269. Ulf Matthiesen, Das Dickicht der Lebenswelt und die Theorie des kommunikativen Handelns, München 1983. 270. Besonders schmerzhaft zeigt sich dies, wenn versucht wird, eine Theorie der Politik aus dem phänomenologischen Geist zu schreiben, wie etwa Fred R. Dallmayr, Beyond Dogma and Despair: Toward a Critical Phenomenology of Politics, Notre Dame 1981. 271. Vgl. Robert A. Gorman, The Dual Vision: Alfred Schutz and the Myth of Phenomenological Social Science, London 1977, S. 142-165. Barry Smart, Sociology, Phenomenology and Marxian Analysis, London 1976. 272. Jean-Paul Sartre, Kritik der dialektischen Vernunft, Reinbek 1967, S. 672. 273. Jack D. Douglas, Existential Sociology, in: J. D. Douglas & John M. Johnson, eds., Existential Sociology, Cambridge 1977, S. 18. 274. Theodor Geiger, Gesellschaft zwischen Pathos und Nüchternheit, a. a. O. S. 56ff. 275. Ebenda S. 79. 276. Ebenda S. 194. 277. Karl Mannheim, Mensch und Gesellschaft im Zeitalter des Umbaus, Bad Homburg v.d.H. 1967. 278. Der Begriff „transnational" wird verwendet i. S. von Walter L. Bühl, Transnationale Beziehungen, in: H. Krings, Hg., Staatslexikon der Görresgesellschaft, Band 5. Freiburg 1989.
232
Anmerkungen
zu Kapitel III: Soziologie der
Herrschaft
Anmerkungen zu Kapitel III: Soziologie der Herrschaft 1. Dies gilt vor allem für die - im übrigen gehaltvolle - Dissertation von Walter Giere, Das politische Denken Hans Freyers in den Jahren der Zwischenkriegszeit (1918-1939), Freiburg i.Br. 1967, die nicht nur alles aus der vermeintlich „nazistischen Periode, von der „Revolution von rechts" bis zu „Pallas Athene", definiert und deshalb bereits den Kulturbegriff der „Theorie des objektiven Geistes" dem späteren Politikbegriff subsumiert (und die Wandlungen in „Machiavelli" und „Preußentum und Aufklärung" schon gar nicht mehr wahrnehmen kann), sondern die sich auch noch bemüht, von allem Anfang an die Zeichen der „Unmenschlichkeit" (Zielsetzung S. 3) ausfindig zu machen. Nur von der „Industriegesellschaft" her gedacht ist die Dissertation von Wolfgang Trautmann, Gegenwart und Zukunft der Industriegesellschaft: Ein Vergleich der soziologischen Theorien Hans Freyers und Herbert Marcuses. Bochum 1976, der unter dem Zeichen einer „technokratischen" Entwicklung Freyer und Marcuse scheinbar eng zusammenrücken läßt, nur noch unterschieden durch die Resignation des einen und die utopische Hoffnung des anderen. Ahnliches geschieht unter dem Zeichen von Revolution und Utopie bei Pedro Demo, Herrschaft und Geschichte: Zur politischen Gesellschaftstheorie Freyers und Marcuses. (Diss. Saarbrücken 1971) Meisenheim am Glan 1973. Ob positiv oder negativ bewertet, die Rekonstruktion des Werkes ist hier fast nur noch eine Funktion dieser politischen Bewertung. 2. So Giere, a. a. O. S. 2 ff., unter Berufung auf Kurt Sontheimer, Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik (1962). Taschenbuchausg. München 1978. Leider wird hier der Argumentationszusammenhang immer verkürzt. Erstens führt Sontheimer drei antidemokratische Gruppierungen an: alte Nationalkonservative, neue Nationalisten (wozu er jedoch so heterogene Namen wie Othmar Spann und Carl Schmitt, Ernst Jünger und Max Hildebert Boehm, Oswald Spengler und Hans Zehrer miteinander verbindet) und schließlich Kommunisten (ebenda, S. 26 ff.). Zweitens wird Freyer hier politisch-organisatorisch nicht verortet, nur später im Kapitel „Der antiliberale Staatsgedanke" (S. 194, 198, 211) und dann unter dem Topos „antiindustrieller Volksstaat" (S. 250, 269) mit der „Revolution von rechts" zitiert. Freyer war zur Zeit der „Revolution von rechts" gewiß kein Propagator einer liberalen und pluralistischen Parteien- und Verbände-Demokratie; aber zu dieser Zeit ist er auch nicht schlicht als „antidemokratisch" zu bezeichnen, solange auch die „demokratischen" Parteien nicht zu einem ernüchterten Begriff von „Demokratie" gekommen sind und beanspruchen, die „Volksgemeinschaft" als ganze zu repräsentieren. 3. Vgl. Ronald Gielke, Hans Freyer - vom präfaschistischen Soziologen zum Theoretiker der „Industriegesellschaft", in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft (DDR), 1981, S. 601; vgl. auch Jerry Z. Muller, Enttäuschung und Zweideutigkeit. Zur Geschichte rechter Sozialwissenschaftler im „Dritten Reich", in: Geschichte und Gesellschaft 12, 1986, S. 289-316. Muller hat zwar die zunehmende Resignation und ihren Niederschlag in seinem Werk nach 1935 herausgearbeitet; der prinzipielle Ausgangspunkt seiner Analyse ist jedoch ebenfalls eine vorgefaßte Festlegung Freyers als „radical conservative ideologist" und Muller leitet daraus die Berechtigung ab, Freyers philosophische und soziologische Werke unberücksichtigt zu lassen und nur die Schriften einzubeziehen, die er (Muller) vorweg als ideologisch einordnet. Vgl. Jerry Z. Muller, The Other God that Failed. Hans Freyer and the Deradicalization of German Conservatism. Princeton, N.J. 1987, S. XI, S. 3. 4. Zur Unmöglichkeit, einen allgemeinen Kanon der hermeneutischen Interpretation aufzustellen vgl. bereits: Joachim Wach, Das Verstehen. Tübingen 1926, Bd. 1, S. 6 ff., ebenso aber auch: Eric D. Hirsch, Prinzipien der Interpretation. München 1972, S. 253. 5. wie z. B. Richard Saage dem Werk Freyers - von der Revolution von rechts bis zur Theorie der Industriegesellschaft - eine „antisozialistische Stoßrichtung" und ein politisches Erkenntnisinteresse unterstellt, das Faschismus und Kommunismus gleichstellen will. Richard Saage, Von der „Revolution von rechts" zum „technokratischen Konservatismus", in: Eike Hennig, Richard Saage, Hg., Konservatismus - eine Gefahr für die Freiheit? München 1983, vgl. S. 136. Zur ersten Regel der Immanenz vgl. Gerhard Frey, Hermeneutische und hypothetisch-deduktive Methode, S. 31, in: Zeitschrift für allgemeine Wissenschaftstheorie 1, 1970, S. 24-40. 6. Emilio Betti, Problematik einer allgemeinen Auslegungslehre als Methodik der Geisteswissenschaft, in: Viktor Warnach, Hg., Hermeneutik als Weg heutiger Wissenschaft. Salzburg 1971, S. 17.
Anmerkungen
zu Kapitel III: Soziologie der Herrschaft
233
7. A. P. Simmonds, Mannheim's Sociology of Knowledge as a Hermeneutic Method, in: Cultural Hermeneutics 2/1975, S. 81-105. 8. Wie dies der Fall ist in der Gegenüberstellung mit der „Frankfurter Schule", wie etwa mit Herbert Marcuse oder Theodor W. Adorno. Vgl. die Dissertationen von Pedro Demo oder Wolfgang Trautmann; vgl. dagegen René König, Soziologie in Deutschland. München 1987, der auf die Nähe des rechten und linken Radikalismus (S. 770) hinweist. 9. Emilio Betti, Problematik einer allgemeinen Auslegungslehre als Methodik der Geisteswissenschaft, a. a. O. S. 18. 10. Gerhard Frey, Hermeneutische und hypothetisch-deduktive Methode, a. a. O. S. 32. 11. Eric D. Hirsch, Prinzipien der Interpretation, a. a. O. S. 216. 12. Dies ist ein Verfahren, das häufig bei Otthein Rammstedt, Deutsche Soziologie, 1933-1945. Frankfurt 1986, angewandt wird. Vgl. in bezug auf Freyer z. B. die Kombination mit Reinhard Höhn (S. 30, Anm. 26/27; S. 31, Anm. 29/30). 13. Eric D. Hirsch, Prinzipien der Interpretation, a. a. O. S. 219. 14. Vgl. Erhard Stölting, Akademische Soziologie in der Weimarer Republik. Berlin 1986, S. 76 ff. 15. Ebenda, S. 133-139. 16. Max Scheler, Die Wissensformen und die Gesellschaft (Gesammelte Werke Bd. 7). Bern 1960, S. 63. 17. Michel Foucault, Archäologie des Wissens. Frankfurt/Main 1973, S. 186. 18. Dieses Wissen sei nur deshalb der Aufmerksamtkeit der Wissenschaft bis jetzt entgangen, weil sie von einem zu Unrecht hypostasierten positivistischen Paradigma des mathematischen und naturwissenschaftlichen Wissens beherrscht ist. Vgl. Karl Mannheim, Ist Politik als Wissenschaft möglich?, in ders. Ideologie und Utopie, Frankfurt 1985, 7. Aufl., S. 144 f. und S. 148 ff. 19. Vgl. Harold Schroder, M.J. Driver, S. Streufert, Menschliche Informationsverarbeitung. Weinheim 1975, S. 34 f. 20. Es ist jedoch eine grobe Vereinfachung, die Soziologie der Weimarer Zeit deshalb der „Realitätsferne" zu bezichtigen; vgl. Sven Papcke, Weltferne Wissenschaft: Die deutsche Soziologie der Zwischenkriegszeit vor dem Problem des Faschismus/Nationalsozialismus, in: S. Papcke, Hg., Ordnung und Theorie. Beiträge zur Geschichte der Soziologie in Deutschland. Darmstadt 1986, S. 168-222. Hier wird ebenfalls gegen die o.a. erste Regel der Textinterpretation verstoßen, die verlangt, den Sinn eines Textes nur aus seinen aufweisbaren Gegebenheiten zu erschließen und nicht von außen heranzutragen. Es ist sehr schwierig, aus unserem heutigen „Realitäts"-Verständnis die Probleme einer „Krisenwissenschaft" angemessen zu beurteilen. 21. Hans Freyer, Theorie des objektiven Geistes, Leipzig und Berlin (1923), hier zitiert nach dem reprografischen Nachdruck der 3. teilweise veränderten Aufl. 1934, Darmstadt 1966, S. 43. 22. Ebenda S. 43. 23. Vgl. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft (1930), reprografischer Nachdruck Darmstadt 1964, a. a. O. S. 221-230. 24. Vgl. Hans Freyer, Theorie des objektiven Geistes, a. a. O., S. 45. 25. Ebenda S. 50. 26. Es ist bekanntlich sehr schwierig, zu einer „operationalen Definition" der dialektischen Methode zu kommen. Ein erster Versuch, der zum Teil aus den gleichen Quellen inspiriert wird wie Freyer (Hegel, Fichte, Marx) stellt die Arbeit von George Gurvitch dar Dialektik und Soziologie (1962). Neuwied und Berlin 1965. 27. Vgl. u.a. Hans Freyer, Der Staat. Leipzig 1925, S. 20. Hans Freyer, Preußentum und Aufklärung (1944), S. 69 in ders., Preußentum und Aufklärung und andere Studien zu Ethik und Politik, hg. von Elfriede Uner, Weinheim 1986. 28. Vgl. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O. S. 103. 29. Vgl. Hans Freyer, Preußentum und Aufklärung, a. a. O. S. 46 f. 30. Otto Pöggeler, Die ethisch-politische Dimension der hermeneutischen Philosophie, in: Gerd-Günther Grau, Hg., Probleme der Ethik. Freiburg 1972, vgl. S. 78. 31. Vgl. Paul Ricoeur, Geschichte und Wahrheit. München 1974, S. 161 f. 32. Vgl. Karl Mannheim, Ideologie und Utopie, a. a. O., S. 147. 33. Vgl. Arnold Gehlen, Nachwort, in: Hans Freyer, Gedanken zur Industriegesellschaft. Mainz 1970, S. 213.
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Anmerkungen zu Kapitel III: Soziologie der Herrschaft
34. Vgl. Hans Freyer, Herrschaft, Planung und Technik. Aufsätze zur politischen Soziologie, hg. von Elfriede Üner. Weinheim 1987; darin die Aufsätze: Zur Philosophie der Technik (1929). Herrschaft und Planung (1933). Vgl. auch Hans Freyer, Die Bewertung der Wirtschaft im philosophischen Denken des 19. Jahrhunderts. (Habilitationsschrift). Leipzig 1921. 35. Vgl. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O . S. 169 f. und S. 286. 36. Helmut Schelsky, Ortsbestimmung der deutschen Soziologie. Düsseldorf 1959, S. 130. 37. Hans Freyer, Das Material der Pflicht. Eine Studie über Fichtes spätere Sittenlehre. (1920). In: Hans Freyer, Preußentum und Aufklärung, a. a. O . S. 71-109. 38. Vgl. Hans Freyer, Theorie des objektiven Geistes, a. a. O. S. 153. 39. Vgl. Hans Freyer, Der Staat, a. a. O . S. 20. 40. Vgl. Hans Freyer, Theorie des objektiven Geistes, a. a. O. S. 153. 41. Als Neuinterpretation Fichtes formuliert. Vgl. Hans Freyer, Das Material der Pflicht, in: ders., Preußentum und Aufklärung, a. a. O . S. 99 f. 42. Vgl. Hans Freyer, Theorie des objektiven Geistes, a. a. O. S. 153. 43. Vgl. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O . S. 182 f. und S. 194. 44. Vgl. Hermann Lübbe, Politische Philosophie in Deutschland. München 1974, S. 176-194. 45. Vgl. u.a. Walter Laqueur, Die deutsche Jugendbewegung. Köln 1983, S. 126-137. Hans Raupach, Nachwort zu Werner Kindt, Hg., Die deutsche Jugendbewegung 1920-1933. (Dokumentation der Jugendbewegung Bd. III). Düsseldorf-Köln 1974, S. 1742-1752. 46. Vgl. Jost Hermand und Frank Trommler, Die Kultur der Weimarer Republik. München 1978, S. 116-120, S. 139-144. 47. Vgl. Hans Freyer, Das Politische als Problem der Philosophie (1935), in: ders., Herrschaft, Planung und Technik, a. a. O. S. 46 f. 48. Vgl. Hans Freyer, Revolution von rechts. Jena 1931, S. 51 ff. 49. Vgl. Hans Freyer, Das Problem der Utopie, in: Deutsche Rundschau, Bd. 183, 46. Jg., 1920, S. 326. 50. Vgl. Hans Freyer, Revolution von rechts, a. a. O. S. 52. 51. Vgl. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O., S. 116. 52. Vgl. auch Hans Freyer, Zur Philosophie der Technik (1929); Das Politische als Problem der Philosophie (1935); beide in: Hans Freyer, Herrschaft, Planung und Technik, a. a. O. S. 7-16 und S. 45-64. 53. Vgl. Hans Freyer, Das Material der Pflicht (1920), in: ders., Preußentum und Aufklärung, a. a. O . S. 101. 54. Vgl. Hans Freyer, Machiavelli und die Lehre vom Handeln (1938), in: ders., Preußentum und Aufklärung, a. a. O. S. 151-179. 55. Hans Freyer, Herrschaft und Planung (1933), in: ders., Herrschaft Planung und Technik, a. a. O . S. 17-43. 56. Hans Freyer, Preußentum und Aufklärung, a. a. O. S. 1-70. 57. Hans Freyer, Weltgeschichte Europas.Wiesbaden 1948, 2 Bde. 2. Aufl. in einem Band, Stuttgart 1954. Diese Arbeit wurde 1939 in Budapest begonnen und etwa um 1943 vollendet - in einer Stadt, die in den Kriegsjahren noch lange eine internationale „Kulturnische" geblieben war. 58. Hans Freyer, Theorie des gegenwärtigen Zeitalters, Stuttgart 1955, 17-19. Tsd. 1967. 59. Vgl. Hans Freyer, Theorie des gegenwärtigen Zeitalters, a. a. O. S. 234-247. Vgl. Auch Hans Freyer, Der Fortschritt und die haltenden Mächte (1952), in: ders., Herrschaft, Planung und Technik, a. a. O . S. 73-83. 60. Hans Freyer, Die Idee der Freiheit im technischen Zeitalter (Rundfunkvortrag 1958), in: Universitas, 14. Jg., H. 3, 1959, S. 225-233. Das soziale Ganze und die Freiheit des Einzelnen unter den Bedingungen der industriellen Gesellschaft (1957), in: ders., Herrschaft, Planung und Technik, a. a. O. S. 99-116. 61. Hans Freyer, Gesellschaft und Kultur, in: Propyläen-Weltgeschichte, hg. von Golo Mann. Bd. 10: Die Welt von heute. Berlin-Frankfurt-Wien 1961, S. 499-591. 62. Hans Freyer, Über das Dominantwerden technischer Kategorien in der Lebenswelt der industriellen Gesellschaft (1960), in: ders., Herrschaft, Planung und Technik, a. a. O . S. 117-129. 63. Hans Freyer, Schwelle der Zeiten. Beiträge zur Soziologie der Kultur. Stuttgart 1965. 64. Hans Freyer, Gedanken zur Industriegesellschaft. Besorgt von Arnold Gehlen. Mainz 1970. 65. Vgl. Reinhard Bendix, und Seymour Martin Lipset, Political Sociology: An Essay and Bibliography, in: Current Sociology 6, 1957, S. 79-91; Seymour Martin Lipset, Political Sociology, in: Robert
Anmerkungen zu Kapitel III: Soziologie der Herrschaft
66. 67. 68.
69. 70. 71. 72. 73. 74. 75. 76. 77. 78. 79.
80.
81. 82. 83. 84. 85. 86.
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K. Merton, L. Broom, L.S. Cottrell, Hg., Sociology Today. New York 1959, S. 81-127; Seymour Martin Lipset, Soziologie der Demokratie. (Political Man, 1960). Neuwied 1962. Während politische Makrostrukturen und -prozesse in der amerikanischen Soziologie der zwanziger Jahre kein Thema waren (hierzu Helmut Klages, Geschichte der Soziologie, München (1969), 2. Aufl. 1972, S. 174-180) hat es in der amerikanischen Politikwissenschaft der zwanziger und dreißiger Jahre heftige Kontroversen zwischen den Verfechtern des Behaviorismus (z. B. Charles Edward Merriam) und den Anhängern der „normativen Politischen Theorie" (z. B. Charles Beard) gegeben, die der europäischen Diskussion nicht unähnlich waren. Vgl. Irving Louis Horowitz, Grundlagen der politischen Soziologie. Freiburg 1975 (engl. 1972), Bd. 1, S. 27 ff. Vgl. Hans Freyer, Der Staat, a. a. O . S. 164. Vgl. Carl Gustav Hempel, Aspects of Scientific Explanation. New York 1965; Karl R. Popper, Logik der Forschung. Tübingen 1934, 1959, 1966; Ciaire Seiltitz, Marie Jahoda, Morton Denzik, Stuart W. Cook, Research Methods in Social Relations. New York 1951, 1959. Otto Neurath, Empirische Soziologie. Der wissenschaftliche Gehalt der Geschichte und Nationalökonomie. Wien 1931, S. 135. Irving Louis Horowitz, Grundlagen der politischen Soziologie, a. a. O . S. 27. Hans Morgenthau, Macht und Frieden. Gütersloh 1963 (engl. 1948, 1954, 1960), S. 48 ff. Vgl. Hans Freyer, Machiavelli (1938). Weinheim 1986, S. 70 ff. Vgl. ders., Das Politische als Problem der Philosophie (1935), in: Herrschaft, Planung und Technik, a. a. O. S. 50 ff. Vgl. Hans Freyer, Die politische Insel: Eine Geschichte der Utopien von Piaton bis zur Gegenwart. Leipzig 1936, S. 16. Karl R. Popper, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd. 1/2. Bern 1958 (engl. 1944). Vgl. Hans Freyer, Die Politische Insel, a. a. O. S. 165. Ebenda S. 16. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O . S. 287 f. Vgl. Friedrich Jonas, Geschichte der Soziologie. Reinbek 1968, Bd. 4, S. 61. Hans Freyer, Der Staat, a. a. O. S. 93 ff.; Hans Frey er, Ethische Normen und Politik (1930), in: Preußentum und Aufklärung, a. a. O . S. 117 f.; Hans Freyer, Preußentum und Aufklärung, ebenda S. 38. Zur Kulturtheorie der „Leipziger Schule" vgl. Kap. IV, 2a dieser Arbeit. Zum Begriff der Politischen Kultur im letzteren Sinn vgl. Gabriel A. Almond, und Sidney Verba, The Civic Culture. Princeton 1963; Lucian W. Pye, und Sidney Verba, Political Culture and Political Development, Princeton 1965; Dirk Berg-Schlosser, Politische Kultur. München 1972; Martin und Sylvia Greiffenhagen, Ein schwieriges Vaterland. Zur politischen Kultur Deutschlands. München 1979. Vgl. Gottfried Salomon-Delatour, Moderne Staatslehren. Neuwied 1965, S. 498 ff. Vgl. Hans Freyer, Preußentum und Aufklärung, a. a. O. S. 66 f. Zum Begriff des „Politischen Realismus" bei Freyer vgl. vor allem: Preußentum und Aufklärung, a. a. O . S. 40, S. 67; Ethische Normen und Politik, ebenda S. 115. Karl Mannheim, Freiheit und geplante Demokratie. Köln 1970, S. 39-63. Karl Mannheim, Ideologie und Utopie. Frankfurt 1985, S. 110 ff. Karl Mannheim, Man and Society in an Age of Reconstruction. New York 1951, S. 117 ff. Obwohl Karl Mannheim mit seinen Arbeiten in der Emigration bewiesen hat, daß er von einer Selbsteinkapselung als Exilwissenschaftler nichts hielt, sondern sich engagiert am wissenschaftlichen Diskurs der Aufnahmeländer England und USA beteiligte, war ihm kein unmittelbarer durchschlagender Erfolg beschieden. Der Einfluß der Emigration auf die wissenschaftliche Entwicklung ist sicher viel diffuser, als bisher in wissenschaftsgeschichtlichen Arbeiten dargestellt wurde. Hierauf hat M. Rainer Lepsius hingewiesen: Die sozialwissenschaftliche Emigration und ihre Folgen, in: M. Rainer Lepsius, Hg., Soziologie in Deutschland und Österreich 1918-1945. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 23, 1981, vgl. S. 469 und S. 471 ff. Hermann Heller, Staatslehre (1934). 3. Aufl. Leiden 1963, S. 32 ff., S. 37 ff., S. 48 ff. S.a. Abschnitt 2.a dieses Kap., Punkt 2): Die Wendung zum „Politischen Realismus des Staates". So etwa das Analyseschema von Gabriel A. Almond, und G.B. Powell, Comparative Politics. Boston 1966. Ganz ähnlich aber auch die deutschen Lehrbücher Otto Stammer und Peter Weingart, Politische Soziologie. München 1972; Kurt Lenk, Politische Soziologie. Stuttgart 1982; wie auch
236
89.
90. 91. 92. 93. 94. 95. 96. 97. 98. 99. 100.
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Anmerkungen
zu Kapitel III: Soziologie der
Herrschaft
schon der Handbuch-Artikel von Otto Stammer, Politische Soziologie, in: Arnold Gehlen und Helmut Schelsky (Hg.), Soziologie. Düsseldorf 1955, S. 256-312. Hans Freyer, Das soziale Ganze und die Freiheit des Einzelnen unter den Bedingungen des industriellen Zeitalters (1957), in: ders., Herrschaft, Planung und Technik, a. a. O., S. 99-116, vgl. S. 111. Vgl. Hans Freyer, Theorie des gegenwärtigen Zeitalters, a. a. O. S. 174 ff. Vgl. Helmut Schelsky, Ortsbestimmung der deutschen Soziologie. Düsseldorf 1959, S. 119 ff. und S. 122-125. So das Programm einer „empirischen" Herrschaftssoziologie von Otto Stammer, Herrschaft und Herrschaftssysteme, S. 219, in: Wilhelm Bernsdorf und Friedrich Bülow (Hg.), Wörterbuch der Soziologie. Stuttgart 1955, S. 217-219. Hans Freyer, Volkwerdung. Gedanken über den Standort und über die Aufgaben der Soziologie, in: Der Volksspiegel, 1. Jg. 1934, S. 3. Hans Freyer, Revolution von rechts, a. a. O. S. 44. Hans Freyer, Einleitung in die Soziologie. Leipzig 1931, S. 148. Zum „realdialektischen Umschlag" vgl. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O. S. 98. Hans Freyer, Gemeinschaft und Volk, S. 15, in: Felix Krueger, Hg., Philosophie der Gemeinschaft. Berlin 1929, S. 7-22. Hans Freyer, Volkwerdung, a. a. O. S. 3. Karl Mannheim, Ist Politik als Wissenschaft möglich?, a. a. O. S. 97. Wenn Mannheim auch schon damals zu einer wissenssoziologischen Ausarbeitung des Problems gefunden hat, so ist doch die ideelle Überhöhung des Begriffs des Politischen nicht zu übersehen. Vgl. Carsten Klingemann, Soziologen vor dem Nationalsozialismus: Szenen einer Selbstgleichschaltung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, in: Josef Hülsdünker & Rolf Schellhase, Hg., Soziologiegeschichte: Identität und Krisen einer,engagierten' Disziplin. Berlin 1986, S. 59-84. Vgl. die zwar sehr polemische, im Hinblick auf die Freyer-Rezeption aber wohl doch berechtigte Kritik von Helmut Schelsky: „In der autistischen Fachgeschichtsschreibung der bundesdeutschen Soziologie von heute wird nach den politischen Aussagen der ,Leipziger Schule' eindringlich gefahndet, aber die Fähigkeit geschichtlichen Verstehens, daß ,Volk', Gemeinschaft', selbst Volksgemeinschaft' als Begriffe oder Selbstbewußtseinsformeln einen ganz anderen existentiellen Inhalt in den zwei Jahrzehnten vor Hitler als in den 12 Jahren des Hitlerreiches und in den nun gut drei Jahrzehnten der deutschen Hitler-Bewältigung hatten, geht diesen Sozialwissenschaftlern ab. Sie argumentieren begriffs-, ja wortimmanent wie die ganze Journalistik und das politische Halbdenkertum". Helmut Schelsky, Rückblicke eines „Antisoziologen". Opladen 1981, S. 135. Die „Theorie des objektiven Geistes" (Leipzig-Berlin 1923), eine Einleitung in die Kulturphilosophie, entstand während Freyers Tätigkeit als Privatdozent für Philosophie an der Universität Leipzig 1920-1922. 1922 wurde Hans Freyer, im Wettbewerb mit Ernst von Aster, Max Wertheimer und Julius Stenzel, einstimmig von der Philosophischen Fakultät der Universität Kiel als Nachfolger des Philosophen und Psychologen Götz Martius berufen - eine überraschende Ernennung, die er seinem Ruf eines jungen, genialen Außenseiters zu verdanken hatte. (Nach Unterlagen im Schleswig-Holsteinischen Landesarchiv). Dort arbeitete er an „Der Staat" (Leipzig 1925). Hans Freyer, Der Staat, a. a. O., vgl. u.a. S. 20. Zu Freyers „Der Staat" als kulturtheoretisches Konzept s.a. Kap. IV,2 dieser Arbeit. Vgl. Hans Freyer, Der Staat, a. a. O., S. 37. Vgl. ebenda S. 37. Die Polemik galt offensichtlich dem konservativen Historiker Georg von Below, der in einer öffentlichen Kontroverse mit dem damaligen preußischen Kultusminister dessen Hochschulreform und vor allem die Soziologie als neue Universitätsdisziplin scharf angegriffen hatte. Vgl. hierzu seine Streitschrift „Soziologie als Lehrfach: Ein kritischer Beitrag zur Hochschulreform". München 1920. Die „Insel" ist aber auch Freyers Metapher für Utopie. (Vgl. seinen Titel: Die politische Insel. Eine Geschichte der Utopien von Piaton bis zur Gegenwart. Leipzig 1936, vgl. auch Das Problem der Utopie. In: Deutsche Rundschau, 46. Jg. 1920, S. 321-345.) Als Utopie wollte er diesen Entwurf des Staates keinesfalls verstanden wissen.
Anmerkungen zu Kapitel III: Soziologie der Herrschaft
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106. Hans Freyer, Das Material der Pflicht. Eine Studie über Fichtes spätere Sittenlehre (1920), in: ders., Preußentum und Aufklärung, a. a. O. S. 71-109. Diese Arbeit entstand zwischen 1913 und 1914 in Berlin, als Freyer bei Georg Simmel Ergänzungsstudien betrieb zur Vorbereitung seiner Habilitation. Sie ist zugleich eine Auseinandersetzung mit Simmeis ästhetischen Persönlichkeitsbegriff, dem Freyer in einer Zeit des Wertewandels und der Krise einen ethischen Persönlichkeitsbegriff, dem die soziale Verpflichtung wesentlich ist, entgegensetzt. Letztlich geht es darin um die Uberwindung von Simmeis „individuellem Gesetz". Freyers Antrittsvorlesung (als Privatdozent an der Universität Leipzig 1920) hatte das Thema: Das individuelle Gesetz in der Ethik. Der Text dieses Vortrags ging verloren. Vgl. Michael Landmann, Einleitung zu Georg Simmel, Das individuelle Gesetz. Frankfurt/Main 1968, S. 24. 107. Vgl. Hans Freyer, Der Staat, a. a. O . S. 29-41. 108. Vgl. Hans Freyer, Das Material der Pflicht, a. a. O. S. 97 ff., Zit. S. 97. 109. Zitate ebenda S. 101, S. 106; zur Materialisierung vgl. S. 109. 110. Vgl. Kurt Sontheimer, Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik, a. a. O. S. 198. 111. Vgl. Hans Freyer, Der Staat, a. a. O . S. 23, S. 27 f. Vgl. hierzu auch Kap. II,2b dieser Arbeit. 112. Vgl. ebenda S. 98 f. und S. 104; Zit. S. 28. 113. Vgl. ebenda S. 95 f. Zitate S. 96. 114. Vgl. Hans Freyer, Das Material der Pflicht, a. a. O . S. 108. Zur Bedeutung des schöpferischen Intellektuellen im Gesamtsystem vgl. auch Kap. II, 4 dieser Arbeit. 115. Vgl. Wilhelm Sauer, Sammelrezension „Rechts- und Staatsphilosophie", in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 49/1929, S. 119. 116. Vgl. Ferdinand Tönnies, Rezension „Der Staat", in: Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform, 18/1927, S. 218 f. 117. Vgl. Andreas Walther, Rezension Hans Freyer, „Der Staat", in: Literarische Wochenschrift, Jg. 1925, S. 879 f. 118. Anonym, Rezension Hans Freyer, Der „Staat", in: Der Gerichtssaal 97/1928, S. 116. 119. Vgl. ebenda S. 107 und S. 128 f.; Zit. S. 129. 120. Vgl. ebenda S. 99; Zitat S. 96. 121. Vgl. ebenda S. 108; Zitat S. 113; vgl. auch Kap. 1,3 und II, 4 dieser Arbeit. 122. Alfons Söllner, Geschichte und Herrschaft. Frankfurt 1979, S. 91. 123. Vgl. hier Kap. 1,3; zur Vereinfachung der theoretischen Ansätze vgl. hier Kap. IV,ld. 124. Vgl. Wolfgang Schluchter, Entscheidung für den sozialen Rechtsstaat. Köln/Berlin 1968, S. 26 ff. 125. Ebenda S. 79. Vgl. Rudolf Smend, Verfassung und Verfassungsrecht (1928), in: Rudolf Smend, Staatsrechtliche Abhandlungen. Berlin 1955. 126. Vgl. Wolfgang Schluchter, a. a. O. S. 66 und S. 79. 127. Vgl. Othmar Spann, Der wahre Staat. Leipzig 1921, S. 203-207. 128. Vgl. Franz Oppenheimer, System der Soziologie, 2. Band: Der Staat. Jena 1926, S. I X . 129. Vgl. Franz Oppenheimer, System der Soziologie, 1. Band: Allgemeine Soziologie. Jena 1922/23, Vorwort. 130. So auch Hans Freyers Urteil über Oppenheimers Ansatz in: Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O . S. 125 ff. 131. Jakob von Uexküll, Staatsbiologie. Sonderheft der Deutschen Rundschau, Berlin 1920. Vgl. S. 47 ff; Zitat S. 47. 132. Ein Indiz hierfür ist ζ. B. auch, daß die in den zwanziger Jahren in Rußland entstehende staatstheoretische Diskussion um die Stabilisierung des neuen Staates und das Problem der Rechtsordnung, die eine originelle Weiterentwicklung der marxistischen Grundsätze nach den neuen Bedürfnissen darstellte, von der K P D der Weimarer Republik, so sehr sie sonst ihre Ideologie von Moskau abhängig machte, nicht rezipiert wurde. Vgl. Alfons Söllner, a. a. O. S. 98. 133. Vgl. Theodor Litt, Individuum und Gemeinschaft. Leipzig-Berlin 1919, S. 154-188; zum Abstand von Staat und Massen vgl. insbes. S. 156-162; Zitat S. 181. 134. Hermann Heller war seit 1921 in Leipzig tätig, als Privatdozent an der Juristischen Fakultät der Universität Leipzig lehrte er vor allem Rechtsphilosophie und Staatsbürgerkunde; daneben war er Leiter des städtischen Volksbildungsamtes; er war Mitbegründer der Leipziger Volkshochschule und wirkte maßgeblich an der wissenschaftlichen Fundierung der Erwachsenenbildung in Theodor Litts neuem „Seminar für freies Volksbildungswesen" an der Universität Leipzig mit. Die Leipziger Volksbildungsarbeit war in diesen Jahren ein allgemeines Vorbild in Deutschland. In den Jahren
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Anmerkungen
zu Kapitel III: Soziologie
der
Herrschaft
1921 und 1922 hatte Heller durch das gemeinsame Engagement in der Volksbildungsarbeit guten Kontakt zu Freyer. (Laut Brief an die Verf. von Prof. Fritz Borinski vom 12.7.1982). Ein Gedankenaustausch ist jedoch schon seit 1918 anzunehmen, denn Heller schrieb seine Habilitationsschrift „Hegel und der nationale Machtstaatsgedanke in Deutschland" (1921) in Leipzig (eingereicht in Kiel 1920, vermutlich aufgrund der engen persönlichen Beziehungen zu Gustav Radbruch), zur gleichen Zeit, als Freyer dort ebenfalls an seiner Habilitationsschrift arbeitete. Auf jeden Fall gab es intensive Kontakte zwischen beiden nach Freyers Berufung nach Leipzig 1925. Zur Biographie Hellers vgl. Klaus Meyer, Hermann Heller, eine biographische Skizze, in: Christoph Müller, Ilse Staff Hg., Der soziale Rechtsstaat. Gedächtnisschrift für Hermann Heller 1891-1933. Baden-Baden 1984, S. 65-87. 135. Vgl. Hermann Heller, Sozialismus und Nation. Berlin 1925, S. 26, S. 16; dazu auch S. 19. 136. Hermann Heller, Staatslehre. Leiden 1934. Sie wurde 1930-1933 in Berlin und Frankfurt geschrieben und ist unvollendet geblieben. Nach Hellers plötzlichem Tod in Madrid wurde sie postum veröffentlicht von Gerhart Niemeyer. Zum Einfluß Freyers vgl. Wolfgang Schluchter, Entscheidung für den sozialen Rechtsstaat. Köln-Berlin 1968, S. 261-268. Die Umorientierung Hellers (von „Sozialismus und Nation" 1925 zur Staatslehre nach 1930), die praktisch parallel zur Umorientierung Freyers verlief (von „Der Staat" und „Soziologie als Geisteswissenschaft" 1925 zur „Wirklichkeitswissenschaft" 1930), wird in der heutigen Heller-Rezeption eigentlich zu wenig beachtet und seine „geisteswissenschaftliche Selbstbeschränkung" zu sehr betont. Vgl. ζ. B. Wolfgang Abendroth, Die Funktion des Politikwissenschaftlers und Staatsrechtslehrers Hermann Heller in der Weimarer Republik und in der Bundesrepublik Deutschland, S. 219, in: Christoph Müller, Inge Staff, Hg., Der soziale Rechtsstaat, a. a. O. S. 213-233. Unter wenigen stellt Ingeborg Maus Hellers Dialektik zwischen der Kraft des Normativen und gesellschaftlichen Realitätsstrukturen (mitsamt ihrer Problematik) in Hellers Staatsrechtslehre heraus. Vgl. Ingeborg Maus, Hermann Heller und die Staatsrechtslehre in der Bundesrepublik, S. 131, in: Chr. Müller, I. Staff, a. a. O . S. 113-139. 137. Vgl. hierzu Ingeborg Maus, ebenda S. 131. 138. Hierzu auch der anregende Beitrag von Pier Paolo Portinaro, Staatslehre und sozialistischer Dezisionismus. Randbemerkungen zu Hellers Rechts- und Staatstheorie, im gleichen Band, S. 573584, auf dessen Darstellung von Hellers Staatslehre als „Vermittlung" zwischen Hans Kelsen und Carl Schmitt in diesem Rahmen leider nicht eingegangen werden kann. 139. Vgl. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O. S. 305 ff. 140. Vgl. ebenda S. 102 f., Zitat S. 103. 141. Ebenda S. 307. (Erläuterungen in Klammern von der Verf.) Hier kommt sowohl der expressionistische Zeitgeist zum Ausdruck (vgl. hier Kap 1,2), wie auch eine liberalistische Tendenz zur Betonung der subjektiven praktischen Rationalität, wie sie (einer neueren Interpretation von Wilhelm Hennis zufolge) auch bei Max Weber zu finden ist. Vgl. hierzu Kap. IV, Punkt 2b dieser Arbeit. 142. Vgl. Hans Freyer, Herrschaft und Planung, in: Herrschaft, Planung und Technik, a. a. O . S. 43. 143. Vgl. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O. S. 300 f. 144. Vgl. René König, Kritik einer historisch-existenzialistischen Soziologie (1937). München 1975. 145. Vgl. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O., Kap. 11,5: Die Soziologie selbst als geschichtliches Phänomen, S. 158-169; Zit. S. 163. Daß Freyers Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, gerade auch als „intentionale Krisenwissenschaft", eine Weiterführung der deutschen „Socialwissenschaft" im 19. Jahrhundert, besonders der Ideen Lorenz von Steins, darstellt, hat Eckart Pankoke nachgewiesen in Sociale Bewegung - Sociale Frage - Sociale Politik. Stuttgart 1970; vgl. die Einleitung und S. 131 ff. 146. Daß auch eine auf metaphysische Wesensgesetze begründete Soziologie für möglich gehalten wurde, die trotzdem den wissenschaftlichen Charakter nicht verlieren soll, und die genauso mit der neuesten „phänomenologischen Methode" arbeiten sollte, wie sie Max Scheler, aber auch Freyer und Gehlen anstrebten, zeigt die Schrift von Siegfried Kracauer, Soziologie als Wissenschaft (1922), in: Siegfried Kracauer, Schriften I. Frankfurt 1971, S. 7-101. Für ihn soll die Soziologie „die Wandlung vorbereiten helfen, die (...) eine vertriebene Menschheit wieder in die neu-alten Bereiche der gotterfüllten Wirklichkeit führt". Ebenda S. 11. 147. Vgl. Gerhard Robbers, Hermann Heller: Staat und Kultur. Baden-Baden 1983, S. 60 f. 148. Hermann Heller, Krisis der Staatslehre, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 55/1926, S. 310. 149. Vgl. Wolfgang Schluchter, Entscheidung für den sozialen Rechtsstaat, a. a. O. S. 270.
Anmerkungen
zu Kapitel III: Soziologie der Herrschaft
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150. Vgl. Ingeborg Maus, Hermann Heller und die Staatsrechtslehre der Bundesrepublik, a. a. O. S. 131; zur Kritik der Annahme, daß eine Soziologisierung die Entleerung der normativen Verfassung bedeuten müsse, vgl. Diane Schefold, Hellers Ringen um den Verfassungsbegriff, ebenda S. 555-572. 151. Vgl. Hermann Heller, Staatslehre, a. a. O. S. 62. Zu Freyers Weber-Interpretation vgl. Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O. S. 148 ff. Zum Vergleich Weber-Heller-Schmitt s. Ernst Vollrath, Max Weber: Sozialwissenschaft zwischen Staatsrechtslehre und Kulturkritik, in: Politische Vierteljahrsschrift 31/1990, S. 102-108; vgl. S. 104 und Anm. 19. 152. Max Weber, Die Objektivität sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis (1904), in ders.: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, Tübingen 1973, 4. Aufl., S. 200. 153. Vgl. Gerhard Robbers, Hermann Heller: Staat und Kultur, a. a. O. S. 86. 154. Vgl. Hans Freyer, Ethische Normen und Politik (1930), in: Preußentum und Aufklärung, a. a. O. S. 123 f. 155. Vgl. Ingeborg Maus, Hermann Heller und die Staatsrechtslehre in der Bundesrepublik, a. a. O. S. 117 f. Zur Relativität der legalen Ordnung: Ilse Staff, Der soziale Rechtsstaat. Zur Aktualität der Staatstheorie Hermann Hellers, in: Christoph Müller, Ilse Staff, Hg., Der soziale Rechtsstaat, a. a. O. S. 25-43, vgl. S. 26 f. 156. Gerhard Robbers, Hermann Heller: Staat und Kultur, a. a. O. S. 67. Vgl. hierzu auch Hermann Heller, Staatslehre, a. a. O., S. 225-228. 157. Nachweise bei Gerhard Robbers, ebenda S. 66 f. 158. Vgl. Hans Freyer, Pallas Athene. Ethik des politischen Volkes, a. a. O. S. 92. Das „politische Volk" ist hier nicht populistisch zu verstehen, sondern als Volk, das die säkulare Idee des Staates in einer Zeit des Staatsverfalls aufrechterhält und „politisch" wird, um diese Staatsidee zu verteidigen. Diese Version (1935 - als der konservative Flügel der NSDAP im sogenannten „Röhm-Putsch" liquidiert wurde) dürfte den Machthabern des Dritten Reiches nicht sehr genehm gewesen sein. 159. Zu diesem Vergleich Helmut Klages, Geschichte der Soziologie. München 1972, 2. Aufl., vgl. S. 156 f; Zitat S. 156. 160. Vgl. Hans Freyer, Das Politische als Problem der Philosophie, in ders., Herrschaft, Planung und Technik, a. a. O. S. 64, S. 47. 161. Hans Freyer, Ethische Normen und Politik (1930), in: ders., Preußentum und Aufklärung, a. a. O. S. 113. 162. Vgl. Hans Freyer, Das Politische als Problem der Philosophie, in ders., Herrschaft, Planung und Technik, a. a. O. S. 50 und S. 57; Zitat S. 50. 163. Zitat in Hans Freyer, Uber Fichtes Machiavelli-Aufsatz, in ders., Preußentum und Aufklärung, a. a. O. S. 149. Uber die Parallelen Freyer-Fichte-Machiavelli vgl. Elfriede Uner, Normbilder des Standhaltens. Nachwort zu Freyer, Hans, Machiavelli. Weinheim 1986, S. 117-121. 164. Vgl. Hans Freyer, Herrschaft und Planung, in ders., Herrschaft, Planung und Technik, a. a. O. S. 33; vgl. auch Beiträge zur Theorie der Herrschaft, ebenda S. 71. 165. Vgl. Hans Freyer, Herrschaft und Planung, ebenda S. 37-40. 166. Vgl. Hans Freyer, Theorie des objektiven Geistes, a. a. O. S. 64-69. 167. Vgl. Hans Freyer, Beiträge zur Theorie der Herrschaft, in ders., Herrschaft, Planung und Technik, a. a. O. S. 70. 168. Vgl. Hans Freyer, Preußentum und Aufklärung, a. a. O. S. 40-44; Zitat S. 43. 169. Vgl. ebenda S. 46 f. 170. Alle Zitate in Hans Frey er, Beiträge zur Theorie der Herrschaft, in ders., Herrschaft, Planung und Technik, a. a. O. S. 70 f. Zur Ausnahmestellung der „Pallas Athene" vgl. Punkt 3b dieses Kapitels. 171. Vgl. Hans Freyer, Preußentum und Aufklärung, a. a. O. S. 49-56. 172. Vgl. ebenda S. 54 f. 173. Vgl. ebenda S. 30; Zitat S. 30. 174. Der Kontakt Freyers zu Aron, wahrscheinlich entstanden während der zahlreichen Arbeitsaufenthalte Freyers in Paris seit den frühen fünfziger Jahren, muß sehr gut gewesen sein, denn es wurde im v. Hase & Koehler-Verlag (dem Auftraggeber des letzten Buches „Theorie der Industriegesellschaft") erwogen, Raymond Aron für die Herausgabe des Fragments dieses Buches nach dem Tode Freyers zu gewinnen. Aron soll auch die französische Übersetzung von Freyers „Theorie des gegenwärtigen Zeitalters" (Les Fondements du Monde Moderne. Théorie du Temps Présent. Paris 1965) veranlaßt haben. Gespräch mit Dr. Hansen, v. Hase & Köhler-Verlag, Mainz, Dezember 1983. 175. Vgl. Raymond Aron, Frieden und Krieg. Frankfurt/M. 1963, S. 682-703.
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Anmerkungen zu Kapitel III: Soziologie der Herrschaft
176. Einen guten Überblick über den Stand der Forschung bis in die achtziger Jahre gibt Walter L. Bühl, Zwischen Kalkül und Katastrophe: Systematische Überlegungen zur Dynamik des Krieges, in: Zeitschrift für Politik, 34/1987, S. 233-248; S. 339-369. 177. Vgl. Christoph Zöpel, Fragen des Staates an die Zukunftsforschung, S. 13 f., in: J . J. Hesse, Chr. Zöpel, Hg., Zukunft und staatliche Verantwortung. Forum Zukunft, Bd. 1, Baden-Baden 1987, S. 13-44. 178. Vgl. u.a. Helmut Willke, Entzauberung des Staates. Überlegungen zu einer sozietalen Steuerungstheorie. Königstein/Ts. 1983; oder andererseits Ted Robert Gurr, Revolution and the Growth of the Coercive State, in: Comparative Political Studies 21 (1988) S. 45-65. 179. Vgl. Hermann Heller, Staatslehre, a. a. O . S. 230. 180. Vgl. Theda Skocpol, Bringing the State Back In: Strategies of Analysis in Current Research, in: Peter B. Evans, D. Rueschemeyer, T. Skocpol, Hg., Bringing the State Back In. Cambridge 1985, S. 3-43. James A. Caporaso, Introduction (to the Special Issue on the State in Comparative and International Perspective) in: Comparative Political Studies 21, 1988, S. 3-12. James W. Rosenau, The State in an Era of Cascading Politics, ebenda S. 13-44. Bert A. Rockman, Minding the State - or a State of Mind?, in: Comparative Political Studies 23, 1990, S. 25-55. 181. Vgl. ζ. Β. Friedrich Fürst, Die Neubelebung der Staatsdiskussion, in: Jahrbuch für Staats- und Verwaltungswissenschaft 1, 1987, S. 261-284. Ernst Hasso Ritter, Staatliche Steuerung bei vermindertem Rationalisierungsanspruch, ebenda S. 321-344. 182. Zur Entwicklung in der B R D und zur Neudefinition der Staatsform vgl. Walter L. Bühl, Deutschland als föderativer und transnationaler Staat, in: Zeitschrift für Politik 3, 1990, S. 233-263. 183. Hierzu die bereits zitierten Arbeiten in Anm. 1-3 dieses Kapitels. 184. Vgl. Hans Freyer, Herrschaft und Planung, in ders., Herrschaft, Planung und Technik, a. a. O . S. 17-24; Zitat S. 24. 185. Vgl. ebenda S. 29 ff. und S. 39 ff.; Zitat S. 36. 186. Zu diesem Absatz vgl. Hans Freyer, Beiträge zur Theorie der Herrschaft, ebenda S. 65-70. 187. Der gleiche Entwicklungsgedanke ist allerdings bereits in seiner „Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft" angelegt. Vgl. S. 210 f. 188. Hierzu auch Hans Freyer, Das Politische als Problem der Philosophie, in: Hans Freyer, Herrschaft, Planung und Technik, a. a. O. S. 58 ff. 189. Vgl. Hans Freyer, Herrschaft und Planung, ebenda S. 36 f. 190. Vgl. Beiträge zur Theorie der Herrschaft, ebenda S. 68 f.; ebenso Herrschaft und Planung, ebenda S. 43. 191. Vgl. Das Politische als Problem der Philosophie, ebenda S. 61 f. 192. Zu den Grundsätzen einer politischen Ethik vgl. auch Hans Freyer, Machiavelli (1936). Weinheim 1986; Kap. II, l,d: Ethik der geschichtlichen Stunde, S. 73-90. 193. Vgl. Hans Freyer, Beiträge zur Theorie der Herrschaft, in: Herrschaft, Planung und Technik, a. a. O . S. 69. 194. Vgl. ebenda S. 72. 196. Die wichtigsten Aufsätze Freyers zu diesem Thema sind in dem Band: Hans Freyer, Herrschaft, Planung und Technik, a. a. O. enthalten. 197. Vgl. Hans Freyer, Das soziale Ganze und die Freiheit des Einzelnen unter den Bedingungen des Industriellen Zeitalters, ebenda S. 109 f. 198. Hans Freyer, Der Geist im Zeitalter der Technik, in: Wort und Wahrheit 7, 1952, S. 189. 199. Vgl. Hans Freyer, Herrschaft und Planung, in ders., Herrschaft, Planung und Technik, a. a. O., S. 34 f.; vgl. ebenso Beiträge zur Theorie der Herrschaft, ebenda S. 65. 200. Vgl. Hans Freyer, Herrschaft und Planung, ebenda S. 18. 201. Vgl. Hans Freyer, Das Politische als Problem der Philosophie, ebenda S. 53. 202. Vgl. Herrschaft und Planung, ebenda S. 39 f. und S. 35; vgl. auch Die Vollendbarkeit der Geschichte, ebenda S. 87. 203. Vgl. Friedrich Tenbruck, Zur Kritik der planerischen Vernunft. Freiburg und München 1972, S. 150-155, Zitat S. 155. 204. Vgl. ebenda S. 155. 205. Vgl. ebenda S. 141 f. 206. Bernard Willms, Planungsideologie und revolutionäre Utopie. Stuttgart 1969. 207. Vgl. ebenda s. 77, S. 92.
Anmerkungen 208. 209. 210. 211. 212.
213. 214. 215. 216. 217. 218. 219. 220. 221.
222. 223. 224. 225. 226. 227. 228. 229.
230.
231.
232.
233. 234. 235. 236.
237. 238. 239.
zu Kapitel III: Soziologie
der Herrschaft
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Ebenda S. 73, S. 74. Vgl. ebenda S. 92-98. Ebenda S. 46. Vgl. Hermann Lübbe, Zur politischen Theorie der Technokratie, in: Der Staat, Jg. 1962, S. 30; Zitat ebenda. Hierzu auch Nicolaus Sombart, Planung und Planetarisierung, in: Robert Jungk und Hans Joseph Mündt, Hg., Modelle für eine neue Welt, Band 2: Wege ins neue Jahrtausend. München 1964, S. 35-67. Vgl. Hermann Lübbe, Herrschaft und Planung, in: Modelle einer Gesellschaft von Morgen. Evangelisches Forum, H. 6, Göttingen 1966, S. 23-26. Helmut Schelsky, Funktionäre. Stuttgart 1982. Vgl. Thomas Ellwein, Politik und Planung. Stuttgart 1968, S. 8. Thomas Ellwein, Politik und Planung, a. a. O. S. 11 (Zitat nach Niklas Luhmann). Beide Zitate ebenda S. 12. Hans Freyer, Die Vollendbarkeit der Geschichte (1955), in: Hans Freyer, Herrschaft, Planung und Technik, a. a. O. S. 91. Vgl. Ernst Forsthoff, Führung und Planung, in: Das Reich, vom 15.2.1937, H. 3/4, S. 48 f. Vgl. Thomas Ellwein, Politik und Planung, a. a. O. S. 26 ff. Hans Freyer gehörte seit 1952 als eines der sechs Mitglieder dem Wissenschaftlichen Rat des Institue für Raumforschung in Bonn an. Das Institut war bis 1952 dem Bundesminister für den Marshallplan, danach dem Bundesministerium des Innern zugeordnet; den Vorsitz des Wissenschaftlichen Rates führte der jeweilige Vizekanzler der B R D . Dieses Institut war die erste regierungsberatende Planungsinstitution der Bundesrepublik. Auch zur Sozialforschungsstelle Dortmund hatte er, u.a. durch seinen früheren Kollegen Gunther Ipsen und durch seinen ehemaligen Schüler Helmut Schelsky, engen Kontakt. Vgl. Kap. IV, 2d, Kultur als System, in dieser Arbeit. Karl Mannheim, Mensch und Gesellschaft im Zeitalter des Umbaus (1935). Bad Homburg v.d.H. 1967. Vgl. Dieter Boris, Krise und Planung. Stuttgart 1971, S. 212-218. Vgl. Karl Mannheim, Mensch und Gesellschaft im Zeitalter des Umbaus, a. a. O. S. 230, Anm. 1. Vgl. hierzu auch Dieter Boris, Krise und Planung, a. a. O. S. 228. Vgl. Hans Freyer, Herrschaft und Planung, a. a. O. S. 28 f., S. 39 f. Vgl. Walter L. Bühl, Eine Zukunft für Deutschland, a. a. O. S. 211. Vgl. Werner Sombart, Technik und Kultur, in: Verhandlungen des Ersten Deutschen Soziologentages. Tübingen 1911, S. 63-83. Zur Werturteilsenthaltung vgl. die dem Vortrag folgende Debatte, ebenda S. 84-110. Die Projekte der empirischen Sozialforschung in Deutschland im Rahmen der genannten Institute sind aufgeführt in: Irmela Gorges, Empirische Sozialforschung in der Weimarer Republik 19181933. Frankfurt/Main 1986. Werbetext zu einer populärwissenschaftlichen Buchreihe, „Wege der Technik", der Cotta'schen Buchhandlung in den zwanziger Jahren. Vgl. Dessauer, Friedrich und K.A. Meissinger, Befreiung der Technik. Stuttgart und Berlin 1931, nach S. 120. Als meist beachtete Veröffentlichungen dieser Zeit sind u.a. zu nennen: Friedrich Dessauer, Philosophie der Technik. Bonn 1927. Eberhard Zschimmer, Philosophie der Technik. Jena 1914, 2. Aufl. 1919. Leopold von Wiese, Artikel „Technik", in: Alfred Vierkandt, Hg., Handwörterbuch der Soziologie. Stuttgart 1931, S. 640. Vgl. Friedrich Dessauer, und Karl August Meissinger, Befreiung der Technik, a. a. O. S. 50 ff. So Dessauers Vorwurf an Sprangers Technikauffassung, vgl. ebenda S. 17 f. Dies ist die gemeinsame Grundüberzeugung in den Werken von Friedrich Dessauer, Philosophie der Technik, a. a. O., S. 98-116; Ulrich Wendt, Technik als Kulturmacht in sozialer und geistiger Beziehung. Berlin 1906. Eberhard Zschimmer, Philosophie der Technik, a. a. O. Vgl. Nikolaj Berdjajew, Der Mensch und die Technik (1934). Zürich 1971, S. 21-25. Vgl. ebenda S. 33, S. 36 und S. 47. Vgl. José Ortega y Gasset, Betrachtungen über die Technik (1933), in: Gesammelte Werke, Band IV, Stuttgart 1978, S. 67 und S. 36 f.
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zu Kapitel III: Soziologie der
Herrschaft
240. Expressionistische Denkfiguren haben sich auch hier fortgesetzt; vgl. Kap. 1,3, dieser Arbeit. Zur Dichotomie Kultur-Zivilisation vgl. Kap. IV,lc. 241. Vgl. Helmuth Plessner, Das Schicksal deutschen Geistes im Ausgang seiner bürgerlichen Epoche. Zürich und Leipzig 1935, S. 157-160; Zitat S. 160. 242. Vgl. Karl Jaspers, Die geistige Situation der Zeit. Berlin und Leipzig 1932, S. 170-179. 243. Vgl. Johan Huizinga, Im Schatten von Morgen. Bern und Leipzig 1935, S. 190-196. 244. Vgl. Georg Simmel, Philosophie des Geldes. Berlin, 6. Aufl. 1958, S. 548 ff. 245. Zu diesem Absatz vgl. Hans Freyer, Zur Philosophie der Technik (1929), in ders., Herrschaft, Planung und Technik, a. a. O. S. 11-16. 246. Vgl. Max Scheler, Die Stellung des Menschen im Kosmos, in: Der Leuchter VIII. Darmstadt 1927. Wieder veröffentlicht in: Gesammelte Werke, Band 9. Bern und München 1960. 247. Vgl. Arnold Gehlen, Der Mensch. (1940). Frankfurt, 9. Aufl. 1971, S. 63 f.; sowie Arnold Gehlen, Die Seele im technischen Zeitalter. Hamburg 1957, S. 7 ff. 248. Vgl. Kap. IV, 2 dieser Arbeit. Vgl. Hans Freyer, Schwelle der Zeiten, a. a. O. S. 327 ff., ebenfalls Theorie des gegenwärtigen Zeitalters, a. a. O. S. 160 f. 249. Vgl. Hans Freyer, Schwelle der Zeiten, a. a. O. S. 223-291 (Kategorien der Industriekultur). 250. Vgl. Hans Freyer, Theorie des gegenwärtigen Zeitalters, a. a. O. S. 79-92. Seine pessimistische Polarität - Sekundäre Systeme einerseits, der auf die persönliche Verweigerung beschränkte Mensch andererseits, wird als einzige Grundstruktur rezipiert, weil Freyers gesamte Technikdiskussion und vor allem sein kulturtheoretischer Abschluß in „Schwelle der Zeiten" nicht einbezogen werden. Vgl. Otto Ullrich, Technik und Herrschaft. Frankfurt/Main 1977, S. 32-36 und S. 48. 251. Hans Freyer, Herrschaft und Planung, a. a. O. S. 17. Wenn jedoch von vorneherein Freyers Techniktheorie unter einem bestimmten politischen Vorzeichen, dem des „reactionary modernism" eingeordnet wird und sowohl seine „Bewertung der Wirtschaft im philosophischen Denken des 19. Jahrhunderts", wie auch seine Dialektik von „objektiver" und „subjektiver" Kultur in „Theorie des objektiven Geistes" als äußerst wichtige Beiträge zum politischen Bewußtsein der reaktionären Rechten gelesen werden, ist jede Entwicklung stimmig zu konstruieren. Ein Beispiel für derartige Fehleinschätzungen der Technik- und Kulturdiskussion der zwanziger Jahre, die alle von einem zeitgebundenen politischen (jedoch als allgemein gültig postulierten) Standpunkt eines amerikanischen Liberalismus aus urteilen, ist Jeffrey Herf, Reactionary Modernism, Cambridge 1984; vgl. hierzu besonders S. 121-129. Auf diese Weise kann natürlich im nachhinein auch eine direkte Entwicklungslinie von den deutschen Technischen Hochschulen im späten 19. Jahrhundert zu Hitlers paradoxer Kombination von Irrationalismus und Technik konstruiert werden. Vgl. ebenda S. 220. 252. Vgl. Hans Freyer, Herrschaft und Planung, a. a. O. S. 18. 253. Vgl. ebenda S. 19 ff. 254. Arnold Gehlen, Die Seele im technischen Zeitalter, a. a. O. S. 9. 255. Vgl. ebenda S. 70-74, S. 76 ff.,S. 107-112. Hierzu auch Kap. II,2a dieser Arbeit. 256. Freyer selbst hatte in seiner frühen „Propädeutik einer Kulturphilosophie" (so die theoretische Absicht der „Theorie des objektiven Geistes") die soziologische Dimension zumindest in der abschließenden Bemerkung angedeutet, daß auch die reinsten Objektivationen auf einer höheren sozialen Ebene zu „Geräten des Lebens" werden. Vgl. Theorie des objektiven Geistes, a. a. O. S. 78. 257. Gotthard Günther begann Ende der zwanziger Jahre sein Philosophiestudium in Berlin, wechselte wegen untragbarer politischer Einflüsse auf das Studium an die Universität Leipzig zu Arnold Gehlen und hatte guten Kontakt zu Hans Freyer. In dieser Zeit entstand auch eine gemeinsame Veröffentlichung mit seinem engen Studienfreund Helmut Schelsky: Christliche Metaphysik und das Schicksal des modernen Bewußtseins. Leipzig 1937. (Gespräch der Verfasserin mit Gotthard Günther am 26. August 1983 in Hamburg). 258. Gotthard Günther, Das Bewußtsein der Maschinen. Krefeld und Baden-Baden 1963, S. 137. 259. Ebenda S. 151. 260. Ebenda S. 156. 261. Vgl. ebenda S. 105, S. 110 f. 262. Vgl. Helmut Schelsky, Der Mensch in der wissenschaftlichen Zivilisation (1961) in ders., Auf der Suche nach Wirklichkeit. Düsseldorf-Köln 1965, S. 448 f.; Zitat S. 449. 263. Vgl. ebenda S. 471. 264. Ebenda S. 446.
Anmerkungen
zu Kapitel III: Soziologie
der Herrschaft
243
265. Hierzu auch Helmut Schelsky, Über die Stabilität von Institutionen, besonders Verfassungen, in: Helmut Schelsky, Auf der Suche nach Wirklichkeit, a. a. O. S. 33-55. 266. Hans Freyer, Die Technik als Lebensmacht, Denkform und Wissenschaft. (Vortrag anläßlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde an der Technischen Hochschule München), in: Hans Freyer, Gedanken zur Industriegesellschaft, a. a. O. S. 159. 267. Vgl. Jürgen Habermas, Technik und Wissenschaft als „Ideologie". Frankfun 1968, S. 97 f. 268. Vgl. Talcott Parsons, Culture and the Social System, in: Talcott Parsons, E. Shils, K.D. Naegele und J.R. Pitts, Hg., Theories of Society, Band II. New York 1961, S. 963-993. 269. Vgl. Jürgen Habermas, Technik und Wissenschaft als „Ideologie", a. a. O. S. 83. 270. Vgl. Hans Freyer, Theorie des gegenwärtigen Zeitalters, a. a. O. S. 116, S. 113. 271. Vgl. ebenda S. 100 f. 272. Vgl. ebenda S. 100 f., S. 115 f. 273. Vgl. Jürgen Habermas, Technik und Wissenschaft als „Ideologie", a. a. O. S. 83. 274. Vgl. Hans Freyer, Theorie des gegenwärtigen Zeitalters, a. a. O. S. 96 f. 275. Vgl. ebenda S. 93-100; Freyer hebt im Unterschied zu Habermas allerdings stets den Modellcharakter seiner Konstruktion und der daraus abgeleiteten Trends hervor; die Wirklichkeit hat stets noch andere Züge, ermöglicht Nischen und bietet Ansatzpunkte zum Widerstand. 276. Vgl. Arnold Gehlen, Urmensch und Spätkultur. Bonn 1956, S. 231 ff. Vgl. auch Friedrich Jonas, Die Institutionenlehre Arnold Gehlens. Tübingen 1966. 277. Vgl. Jürgen Habermas, a. a. O. S. 83. Vgl. auch David Riesman, Die einsame Masse. Darmstadt und Berlin 1956, zu dem Helmut Schelsky ein Vorwort geschrieben hat, S. 9-25. 278. Vgl. Hans Freyer, Theorie des gegenwärtigen Zeitalters, a. a. O. S. 94-100. 279. Vgl. Jürgen Habermas, Einleitung, in ders., Hg., Stichworte zur geistigen Situation der Zeit, Frankfurt/Main 1979, 1. Band, S. 7-35. 280. Michael T. Greven, Konservative Kultur- und Zivilisationskritik in „Dialektik der Aufklärung" und „Schwelle der Zeiten", in: Eike Hennig, Richard Saage, Hg., Konservatismus - Eine Gefahr für die Freiheit?. München 1983, S. 144-159. 281. Helmut Schelsky, Rückblicke eines „Antisoziologen ". Opladen 1981, S. 134. 282. Daß die „Pallas Athene" zwischen „Dichtung" und „politischer Propaganda" changiert, das ist allen Rezensenten aufgefallen, wenngleich ihre politische Bewertung unterschiedlich ausfällt. Während Herbert Marcuse „nichts weiter" darin sehen kann, „als die Verklärung der politischen Ethik der neuen deutschen ,Bewegung'", dargestellt „mit einer unerträglich blumigen, feierlich-kruden Sprache" (Herbert Marcuse, Besprechung von Hans Freyer, Pallas Athene, in: Zeitschrift für Sozialforschung 5/1936, S. 108), kennt der Rezensent der Zeitschrift „Geistige Arbeit" keine Literaturgattung, der dieses „bilderreiche Furioso" zugeordnet werden könnte (J. v. K.-R., Rezension von Frey er, Pallas Athene, in: Geistige Arbeit 2/1935, Nr. 22, S. 11); Arnold Gehlen, der Frey er im politischen Urteil weitgehend zustimmt, sieht darin durchaus ein „politisches Buch in dichterischer Sprache", in dem „keine Kunst gewollt ist, sondern eine deutliche, tendenzlose, ja propagandistische Mitteilung" (S. 147. Arnold Gehlen, Besprechung von Hans Freyer, Pallas Athene, in: Europäische Revue 36/ Feb. 1936). 283. Vgl. Hans Freyer, Machiavelli (1938). Weinheim 1986. 284. Hans Frey er, Über Fichtes Machiavelli-Aufsatz. Vortrag vor der Sächsischen Akademie der Wissenschaften am 16. Mai 1936. Leipzig 1936. Wieder veröffentlicht in: ders., Preußentum und Aufklärung, a. a. O. S. 129-150. 285. Vgl. Hans Freyer, Über Fichtes Machiavelli-Aufsatz, a. a. O. S. 142. 286. Vgl. ebenda S. 25 f., Zitat S. 26. 287. Vgl. hierzu u.a.: Arnold Gehlen, Deutschtum und Christentum bei Fichte (1935); Arnold Gehlen, Der Idealismus und die Lehre vom menschlichen Handeln (1935); Arnold Gehlen, Der Idealismus und die Gegenwart (1935); Arnold Gehlen, Rede über Fichte (1938); Alle in: Arnold Gehlen Gesamtausgabe, Band 2, Philosophische Schriften II. Frankfurt 1980. In diesem Geist ist auch die Dissertation von Helmut Schelsky, damals Schüler von Gehlen und Freyer, geschrieben: Theorie der Gemeinschaft nach Fichtes Naturrecht von 1796. Berlin: Junker und Dünnhaupt, 1935. Eine aufschlußreiche Quelle für die Bedeutung Machiavellis als Leipziger Thema nach 1933 wäre Helmut Schelskys Habilitationsvortrag über die „Rezeption Machiavellis in der europäischen Philosophie" zu entnehmen, den er, thematisch von Hans Freyer angeregt, im Jahr 1939 in Königsberg hielt (vgl. Helmut Schelsky, Rückblicke eines „Antisoziologen". Opladen 1982, S. 26.) Es ist offenbar keine
244
Anmerkungen
ζ» Kapitel III: Soziologie der
Herrschaft
schriftliche Ausarbeitung erhalten. Im Jahr 1937 hielt der Leipziger Historiker Erich Brandenburg einen Akademie-Vortrag „Machiavelli und sein Principe" (Erich Brandenburg, Machiavelli und sein Principe. Berichte über die Verhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse, Band 89, H.4, Leipzig 1937). In der Konzeption rein historisch, gibt es doch auch wichtige Hinweise auf den logischen Zusammenhang der „Discorsi" und des „Principe", auf die Psychologie des politischen Menschen, auf das moderne technische Denken und insbesondere auf die theoretische Bedeutung der idealtypischen Konstruktion. Die in intensiver Diskussion mit Hans Freyer entstandene und von ihm betreute Dissertation von Marianne Weickert, Die literarische Form von Machiavellis „Principe". Eine morphologische Untersuchung. Würzburg 1937, ist für den hier diskutierten Zusammenhang besonders interessant. Hans Freyer zitiert diese textmorphologische Untersuchung als Grundlage seiner Interpretation des Principe als politische Gestalt und konkretes Normbild; René König zitiert die gleiche Arbeit als Beleg für seine Deutung des Werkes von Machiavelli als künstlerische Ästhetisierung und Dekadenzerscheinung. (René König, Machiavelli. Zur Krisenanalyse einer Zeitenwende. Erlenbach-Zürich 1941; Neuauflage München 1979). 288. Vgl. hierzu auch Hans Freyer, Einleitung zu Johann Gottlieb Fichte, Reden an die deutsche Nation. Leipzig 1935. Hans Freyer, Johann Gottlieb Fichte. In: Sächsische Lebensbilder. Herausgegeben von der Sächsischen Kommission für Geschichte. Leipzig 1938. 289. Vgl. Hans Freyer, Machiavelli, a. a. O. S. 137 f. 290. Hans Freyer, Machiavelli, a. a. O. S. 149. Hans Freyer hatte engen persönlichen Kontakt zum konservativen Widerstand, und zwar zu Carl Goerdeler, Johannes Popitz, Wilhelm Ahlmann, Ulrich von Hassell u.a. (Gespräche der Verf. mit Frau Käthe Freyer im August und September 1983 in Münster). 291. Hans Freyer, Machiavelli und die Lehre vom Handeln (1938), in ders., Preußentum und Aufklärung, a. a. O. S. 151-179; vgl. S. 165-168, Zitat S. 174. 292. An das Hauptamt Wissenschaft wurde die Schrift von Hans Freyer, „Der politische Begriff des Volkes", Neumünster 1933, als marxistisch denunziert, weil er seinen Volksbegriff auf den Überlieferungszusammenhang des Geschaffenen und nicht auf die lebendige Substanz als Kern des Rassenbegriffs aufgebaut hätte. Archiv des Instituts für Zeitgeschichte München, MA-141/4, S. 0345313/14. 293. Vgl. Carlo Schmid, Einleitung, in: Machiavelli. Auswahl und Einleitung von Carlo Schmid. Frankfurt/Main 1956, S. 7-43. 294. Jürgen von Kempski, Von Theorie und Mythos der Macht. In: Europäische Revue, XVIII. Jg., 1942, H. 1, S. 48-55, vgl. S. 49. 295. Paul Kern, (Pseudonym für René König), Rezension von Hans Freyer, Machiavelli, in: Maß und Wert, II. Jg., Juli/August 1939, H. 6, S. 848-854. 296. Er schreibt vielmehr „Es fällt schwer, sich mit diesem wirklich bedeutenden und in seiner Konsequenz so aufrichtigen Buche auseinanderzusetzen, ohne das Buch selber von Grund auf neu zu schreiben", (ebenda S. 851) und er hat daraufhin das Buch über Machiavelli tatsächlich „von Grund auf" neu geschrieben, vermutlich als Gegenentwurf zu Freyers Buch, und hat diesem aus der Perspektive des Emigranten andere Normbilder entgegengesetzt. René König, Machiavelli. Zur Krisenanalyse einer Zeitenwende, a. a. O. 297. Vgl. René König, Machiavelli, a. a. O. S. 75. 298. Vgl. ebenda S. 107. 299. Vgl. ebenda S. 140; Zitat S. 145. 300. Vgl. ebenda S. 214 f., Zitat S. 218. 301. Ebenda S. 21. 302. Hans Freyer, Preußentum und Aufklärung, a. a. O., vgl. S. 61-64. 303. Freyer ist als Gastprofessor und besonders als Direktor des Deutschen Wissenschaftlichen Instituts in Budapest oft als offizieller Repräsentant des NS-Regimes betrachtet worden. Sicher entstanden beide Stellen durch ein von den politischen Gremien beschlossenes Kulturabkommen (ein solches existierte aber auch schon vor 1933). Die Berufung Freyers wurde jedoch hauptsächlich von der Philosophischen Fakultät der Universität Budapest betrieben, da sie die Vergabe dieser Professur an einen Günstling des Nationalsozialismus verhindern wollte. Es gelang ihr auch, die eigentlich nur für jeweils ein Jahr gedachte Professur, trotz der intensiven Bemühungen der Universität Leipzig um einen Rückruf, jährlich bis zum Kriegsende zu verlängern. (Kopien von Sitzungsberichten der
Anmerkungen zu Kapitel III: Soziologie der Herrschaft
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Universität Budapest bei der Verf.) Die Tätigkeit Hans Freyers als Direktor des Deutschen Wissenschaftlichen Instituts war gewiß in vieler Hinsicht „politisch"; im Nationalsozialismus gab es praktisch keine „unpolitischen" Institutionen. Zieht man jedoch die internen Streitigkeiten um die ausländische Kulturarbeit zwischen der Auslandsabteilung der N S D A P und der „Deutschen Akademie", die damals (als Vorgängerin des Goethe-Instituts) für die deutsche Kulturarbeit verantwortlich war, in Betracht (Gespräch mit Dr. Helmut Klocke am 26.3.1983 in Tisens, Südtirol, und Unterlagen der „Deutschen Akademie" im Bundesarchiv Koblenz), dann wird man Freyers Tätigkeit, die in Zusammenarbeit mit der Deutschen Akademie und der deutschen Gesandtschaft ein Gegengewicht gegen die Parteiarbeit der N S D A P bilden sollte, anders einschätzen müssen. Es gibt offenbar noch keine genauere historische Analyse dieser Zusammenhänge. 304. Der damaligen Korrespondenz zwischen Eugen Diederichs und Hans Freyer zu entnehmen. (Kopie aus dem Verlagsarchiv bei der Verf.) 305. Vgl. die vorher oder zur gleichen Zeit erschienenen Aufsätze zum Volksbegriff und zur Volkwerdung, wie ζ. B. Hans Freyer, Volkwerdung. Gedanken über den Standort und die Aufgaben der Soziologie. In: Volksspiegel, 1. Jg. 1934, S. 3-9; Hans Freyer, Das Volk als werdende Ganzheit. In: Ganzheit und Struktur. Festschrift zum 60. Geburtstag von Felix Krueger. Neue psychologische Studien, 12. Jg., H. 3, 1934, S. 1-8. 306. Hans Freyer, Pallas Athene, a. a. O. S. 30 f. 307. Ebenda S. 89. 308. Alle Zitate ebenda S. 48 f.; zur Bewährung im Krieg schreibt Freyer: „Der Zustand des Krieges deckt in seiner brutalen Einfachheit sehr viele Wahrheiten über den Staat auf, die sonst verschlossen und schwer sichtbar sind. Indem er den Staat auf die letzte Probe stellt, zeigt er nicht nur dem Freund und dem Feind die Intensität seiner Lebenskraft, sondern er enthüllt auch dem Nachdenklichen die Gesetze seiner Struktur". (Ebenda S. 68). 309. Vgl. ebenda S. 121. 310. Ebenda S. 50f. 311. Ebenda S. 19, S. 21, S. 25. 312. Ebenda S. 24 f. 313. Dieser gegenüber behauptet Freyer nun: „Der Wille im Augenblick der Tat weiß unendlich viel. Er ist hellseherisch bis zum glatten Wunder, eulenäugig in der schwärzesten Nacht. Sein Wissen ist freilich nach Ausmaß, Ziel und Verfahren gründlich anders als alle Theorie. An der schauenden und wissenden Kraft des theoretischen Geistes gemessen, ist es bruchstückhaft, rhapsodisch, willkürlich und keineswegs wahr, nicht einmal vom Willen zur Wahrheit beseelt. Dort löst sich der Geist, indem er erkennt, von den Gegenständen los (...) Hier aber spannt sich der Wille scharf gegen ein bestimmtes Ziel, und je schärfer er sich spannt, desto klarer hebt sich der Gegenstand aus der Masse der Nebensachen heraus (...) Nie sieht jemand ein Ding richtiger als der gute Schütze sein Ziel". (Ebenda S. 21 f.) 314. Ebenda S. 22. 315. Ebenda S. 30. 316. Ebenda S. 26. 317. Ebenda S. 28. 318. Ebenda S. 28. 319. Ebenda S. 47. 320. „Pallas Athene aber überblickt, sehr von oben her, die Völker, die wie gesunde Pflanzen auf der Erde wachsen und wählt zwischen ihnen, welches sie zum Menschen mache. Sie wählt oft nach Gesichtspunkten, die für unseren Verstand seltsam oder völlig unverständlich sind. Aber ihre Wahl macht Epoche, nicht nur im Schicksal des einen Volkes, sondern im Schicksal der Erde". (Ebenda S. 72). 321. Ebenda S. 74. 322. Ebenda S. 74. 323. Ebenda S. 98. 324. Zum Einfluß Nietzsches auf die deutsche Soziologie vgl. Horst Baier, Die Gesellschaft - ein langer Schatten des toten Gottes, in: Wolfgang Müller-Lauter, Volker Gebhardt, Hg., Nietzsche-Studien, Band 10/11 1981/82. Berlin, New York 1982, S. 6-33; zu diesem Absatz vgl. bes. S. 18 ff., NietzscheZitate S. 19.
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Anmerkungen
zu Kapitel III: Soziologie der Herrschaft
325. Beide Zitate ebenda S. 54. Daß Freyer ein ausgewiesener Nietzsche-Kenner war, bleibt dennoch unbestritten; vgl. ζ. B. seinen Beitrag „Friedrich Nietzsche 1844-1900", in: Die großen Deutschen. Neue deutsche Biographie, Bd. IV, herausgegeben von Willy Andreas und Wilhelm Scholz. Berlin 1936, S. 39-60; oder auch Freyers Nachwort zu Friedrich Nietzsche, Zum Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben. Leipzig 1937, S. 89-95. 326. René König, Kritik der historisch-existenzialistischen Soziologie (1937). München 1975, S. 135 ff. 327. Hans Freyer, Prometheus, a. a. O. S. 5. 328. Hans Freyer, Pallas Athene, a. a. O. S. 17. 329. Ebenda S. 60, S. 61. 330. Ebenda S. 112. 331. Ebenda S. 30 f. und S. 31. 332. Ebenda S. 8. 333. Herbert Marcuse, Sammelrezension, in: Zeitschrift für Sozialforschung, Jg. 5, 1936, S. 108. 334. Hans Freyer, Antäus, a. a. O . S. 95 f. 335. Ebenda S. 99. 336. Ebenda S. 101. 337. Ebenda S. 94. 338. Ebenda S. 13. 339. Vgl. ebenda S. 10f., S. 17. 340. Vgl. ebenda S. 25 f. S.a. hier, Kap. IV,2. 341. Vgl. ebenda S. 127. 342. Vgl. ebenda S. 130, Zitat S. 128. 343. Vgl. Leo Trotzki, Theorie der permanenten Revolution. Berlin 1930, insbesondere seine Zusammenfassung S. 158-163. Vgl. hierzu Walter L. Bühl, Evolution und Revolution. München 1970, S. 116-121. 344. Hans Freyer, Revolution von rechts, a. a. O. S. 18 345. Vgl. Hans Freyer, Revolution von rechts, a. a. O. S. 14 f., S. 17 f., Zitate S. 18 und S. 38. 346. Vgl. Hans Freyer, Machiavelli, a. a. O . S. 152. 347. Hermann Rauschning, Die passive Resistenz. Bemerkungen über eine revolutionäre Waffe im Kampfe gegen die Diktatur der Gewaltsamkeit, in: Maß und Wert, II. Jg., H . 6, Juli/August 1939, S. 715-734. 348. Ebenda S. 719. 349. Vgl. ebenda S. 722-725. 350. Vgl. Hans Freyer, Machiavelli, a. a. O . S. 8-10. 351. Vgl. ebenda S. 57-61. 352. Vgl. Wilhelm Wundt, Logik, III. Band: Logik der Geisteswissenschaften. Stuttgart 1908, S. 455. 353. Vgl. Hans Freyer, Machiavelli, a. a. O . S. 61-65. 354. Vgl. ebenda S. 70. 355. Vgl. ebenda S. 81-85, S. 89. 356. Vgl. ebenda S. 47. 357. Vgl. Hans Freyer, Preußentum und Aufklärung, a. a. O. S. 65 f. 358. Vgl. ebenda S. 56 f., S. 30 f. 359. Vgl. ebenda S. 16 f. 360. Vgl. ebenda S. 23 f., Zitat S. 23. 361. Alle Zitate ebenda S. 25. 362. Vgl. ebenda S. 26; Zitat S. 26. 363. Alle Zitate ebenda S. 27. Hinweise in Klammern von der Verf. 364. Vgl. ebenda S. 37 f. Die teuflische Dynamik der nationalsozialistischen Herrschaft wurde eindringlich beschrieben von Albert Speer, Der Sklavenstaat. Stuttgart 1981. Hans Freyer hat genau diese, zum Teil schon selbst erlebte Dynamik gemeint. 365. Ebenda S. 38. 366. Vgl. Hans Freyer, Pallas Athene, a. a. O . S. 89 f., Zitat S. 91. 367. Vgl. das gleichnamige Kapitel in Hans Freyer, Machiavelli, a. a. O. S. 73-90. 368. Hans Freyer, Preußentum und Aufklärung, a. a. O. S. 24 f. 369. Vgl. Hans Freyer, Ethische Normen und Politik, in: Preußentum und Aufklärung, a. a. O . S. 126.
Anmerkungen
zu Kapitel IV: Kultursystem und Kulturwandel
247
370. Für die Wissenschaftsgemeinschaft um Hans Freyer in Leipzig - hauptsächlich für Arnold Gehlen, Helmut Schelsky und Gotthard Günther - war die Formulierung einer konkreten politischen Ethik ein zentrales Thema. Aus „zeitbezogener" Perspektive betrachtet, hat die „Leipziger Schule" mit der Konkretisierung des im Nationalsozialismus verpönten „Idealismus" in einer Ethik des politischen Handelns eine markante Gegenposition zum zeitgenössischen, anti-idealistischen Aktivismus bezogen. In diesen Argumentationszusammenhang gehören wiederum Arnold Gehlens Arbeiten über Fichte und den Idealismus nach 1935 und Helmut Schelskys Habilitationsschrift über Thomas Hobbes und die von Schelsky und G. Günther zusammen verfaßte Schrift: Christliche Metaphysik und das Schicksal des modernen Bewußtseins, ebenso wie Schelskys Dissertation über Fichte 1935 und seine Arbeit über Thomas Hobbes. 371. Diese These von Novalis wird von Freyer übernommen und für seine Zeit umformuliert. Vgl. Freyer, Preußentum und Aufklärung, a. a. O. S. 33. 372. Beide Zitate ebenda S. 33 f.
Anmerkungen zu Kapitel IV: Kultursystem und Kulturwandel 1. Allgemeine Darstellungen des preußischen Kulturkampfes J. B. Kißling, Geschichte des Kulturkampfes im Deutschen Reiche, 3 Bde. Freiburg i.B. 1911-1916, insbes. Bd. 1 (aus katholischer und antipreußischer Perspektive); Georg Franz, Kulturkampf. München 1954; Erich Schmidt-Volkmar, Der Kulturkampf in Deutschland 1871-1890. Göttingen 1962. 2. Vgl. ζ. B. Hans Freyer, Der Staat. Leipzig 1925. 3. Vgl. Deutsche UNESCO-Kommission, Kulturförderung und Kulturpflege in der BRD. Pullach 1974. 4. Hans-Peter Schneider, Heller und Radbruch. In: Christoph Müller, Ilse Staff, Hg., Der soziale Rechtsstaat, Baden-Baden 1984, S. 585-602; vgl. S. 597. 5. Karl Mannheim, Strukturen des Denkens. Hg. David Kettler, Volker Meja und Nico Stehr. Frankfurt 1980, S. 44; zur Entwicklung des Kulturbegriffs vgl. ebenda S. 41-44. 6. Diese „Sakralisierung" im Sinne einer ideologischen Kompensation des Glaubensverlustes wurde nach dem II. Weltkrieg in der protestantischen theologischen Diskussion eingehend erörtert. In ähnlicher Weise übernahm sich in der Zeit nach dem I. Weltkrieg die öffentliche Kulturdiskussion ständig in ideologischen Ubersteigerungen und säkularisierten Heilsbotschaften. Trotzdem wäre es jedoch falsch, jede wissenschaftliche Kulturdiskussion zu diesen Heilsbotschaften zu zählen. Zur theologischen Diskussion vgl. Hermann Lübbe, Säkularisierung. Freiburg-München 1975 (2. Aufl.), S. 123 f. 7. Michael Stark, Für und wider den Expressionismus. Stuttgart 1982, S. VII. 8. Vgl. ebenda S. 7 f.; zur Intellektuellendebatte vgl. hier Kap. 1,2. 9. Rezension des Buches von Michael Stark, Für und wider den Expressionismus. In Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 2. Mai 1983, No. 101, S. 22. 10. Kurt Töpner, Gelehrte Politiker und politisierende Gelehrte. Göttingen 1970, S. 7, S. 26. 11. Vgl. hier Kap. 1,2. 12. Eine umfassende Analyse der sozialen Herkunft der „Künstler-Rebellen" ist nicht bekannt. Für viele der „Rebellen" in den Sozialwissenschaften steht jedoch fest, daß sie das Privileg, sich der neuen Wissenschaft der Soziologie zu widmen, sich nur aufgrund eines wohlhabenden familiären Hintergrunds leisten konnten (z. B. Max Weber, Max Horkheimer, Georg Lukács, T.W. Adorno). 13. Vgl. Uwe M. Schneede, Hg., Die Zwanziger Jahre. Manifeste und Dokumente deutscher Künstler. Köln 1979. 14. Vgl. Walter Laqueur, Die deutsche Jugendbewegung. Köln 1983, S. 146 und S. 171-181. 15. Zur Zweideutigkeit des proklamierten Wertewandels vgl. Manfred Prisching, Grenzen des Wertwandels, in: Schweizerische Zeitschrift für Soziologie 1, 1986, S. 49-70. 16. Vgl. Manfred Abelein, Die Kulturpolitik des Deutschen Reiches und der Bundesrepublik Deutschland. Köln 1968, S. 199 ff. 17. Vgl. ebenda S. 24 ff.
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Anmerkungen
zu Kapitel IV: Kultursystem und
Kulturwandel
18. Vgl. ebenda S. 24-27, S. 29 f., S. 59, S. 69. 19. Vgl. zu folgendem Absatz Pierre Viénot, Ungewisses Deutschland. Frankfurt a.M. 1931, S. 39 f., S. 63, S. 79; Zitate S. 39 und S. 132. 20. Walter Laqueur, Weimar. Die Kultur der Republik. Frankfurt 1977, S. 7 und S. 234. 21. Zu den Mechanismen des Kulturwandels vgl. Walter L. Bühl, Kulturwandel, a. a. O., Kap. VIII: Grundprozesse soziokulturellen Wandels; insbes. S. 120-126. 22. E. J. Jung, Die Herrschaft der Minderwertigen, ihr Zerfall und ihre Ablösung durch ein neues Reich. Berlin 1929, S. 246. 23. Vgl. Κ. H. Dederke, Reich und Republik. Stuttgaart 1984, S. 134 f. 24. Vgl. Walter L. Bühl, Kulturwandel, a. a. O. S. 121 f. 25. Vgl. Κ. H. Dederke, a. a. O. S. 134 f. 26. Vgl. Jacob Burckhardt, Weltgeschichtliche Betrachtungen. Stuttgart 1978. 27. Vgl. Walter L. Bühl, Kulturwandel, a. a. O. S. 124 ff. 28. Die Anfänge dieser Arbeit über die Weimarer Parteien sind in Freyers Seminaren zur politischen Soziologie zu suchen. Vgl. Sigmund Neumann, Die Parteien der Weimarer Republik (1932 unter dem Titel „Die politischen Parteien in Deutschland" erschienen). Stuttgart 1965, S. 96 ff. 29. Vgl. Heinrich August Winkler, Der Schein der Normalität. Arbeiter und Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik 1924-1930. Berlin-Bonn 1985, S. 510-514; S. 709-726. 30. Als Beispiel kann wieder der „Leuchtenburgkreis" dienen (vgl. Kap. 1,3 dieser Arbeit); dort verzeichnete man mit Stolz, daß seine Veranstaltungen von Vertretern aller politischer Couleurs, von den Kommunisten bis zu den Nationalsozialisten, frequentiert wurden. Vgl. Fritz Borinski, Hg., Jugend im politischen Protest. Der Leuchtenburgkreis 1923-1933-1977. Frankfurt 1977, S. 201 f. 31. Vgl. Raymond Adolph Prier, Archaic Logic. The Hague-Paris 1976. Vgl. auch Walter L. Bühl, Kulturwandel, a. a. O. S. 122 ff. 32. Vgl. Walter L. Bühl, Kulturwandel, a. a. O. S. 5. 33. Vgl. Artikel „Kulturphilosophie" in: J. K. Ritter, F. Gründer, Hg., Historisches Wörterbuch der Philosophie. Basel-Stuttgart 1976, Spalte 1310. 34. Vgl. Aloys Dempf, Kulturphilosophie, in: Handbuch der Philosophie. München-Berlin 1932, S. 36-42. 35. Gustav Wyneken, Schule und Jugendkultur. Jena 1919, S. 37. 36. Vgl. Theodor Wilhelm, Der geschichtliche Ort der Jugendbewegung, in: Werner Kindt, Hg., Dokumentation der Jugendbewegung, Band I: Grundschriften der deutschen Jugendbewegung. Düsseldorf-Köln 1963, S. 11 f.; vgl. Gustav Wyneken, Schule und Jugendkultur, Jena 1919, S. 41; s.a. hier Kap. 1,1 und 1,2. 37. Vgl. Siegfried Kawerau, Zur Soziologie der Jugendbewegung. In: Ethos, 1. Jg. 1925, S. 161 ff. 38. Vgl. Theodor Wilhelm, Der geschichtliche Ort der Jugendbewegung, a. a. O. S. 19 f., S. 115 ff. 39. Z.B. Hans F. K. Günther, Rassenkunde des deutschen Volkes. Jena 1930. 40. Vgl. Werner Cahnmann, Völkische Rassenlehre. Berlin 1932, S. 26. Er nennt als wichtigste Repräsentanten Oswald Spengler, Othmar Spann, Josef Nadler, Wilhelm Stapel und Ernst Jünger. 41. Zitate von Werner Cahnmann, ebenda S. 18, S. 30; vgl. auch S. 26 f. 42. Vgl. E. Hirsch, Der Kulturbegriff, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft 3, 1925, S. 399. Vgl. B. Kopp, Beiträge zur Kulturphilosophie der deutschen Klassik. Meisenheim/Glan 1974, S. 21. 43. So wurde die dogmatische Kulturkritik von Curtius auf dem Umschlag angepriesen. Vgl. Ernst Robert Curtius, Deutscher Geist in Gefahr. Stuttgart-Berlin 1932. 44. Helmuth Plessner, Das Schicksal deutschen Geistes im Ausgang seiner bürgerlichen Epoche. Zürich-Leipzig 1935. Karl Jaspers, Die geistige Situation der Zeit. Berlin-Leipzig 1932. Vgl. auch Kap. III, 2 c dieser Arbeit. 45. Vgl. Helmuth Plessner, Das Schicksal deutschen Geistes im Ausgang seiner bürgerlichen Epoche, a. a. O. S. 155-158. 46. Karl Jaspers, Die geistige Situation der Zeit, a. a. O. S. 190. 47. Vgl. Karl Jaspers, ebenda S. 190 f. 48. Vgl. Jost Hermand und Frank Trommler, Die Kultur der Weimarer Republik, München 1978, S. 49-79. Vgl. Walter Laqueur, Weimar. Die Kultur der Republik, a. a. O. 1977, S. 279-321.
Anmerkungen
zu Kapitel IV: Kultursystem und Kulturwandel
249
49. Die wichtigsten Vertreter dieser euphorischen Technikphilosophie, Friedrich Dessauer und Manfred Zschimmer, waren selbst namhafte Techniker. Vgl. hierzu Kap III,2c dieser Arbeit. 50. Otto Dix, George Grosz, Hannah Hoch u.a., Offener Brief an die Novembergruppe (1920/21). In: Uwe M. Schneede, Hg., Die zwanziger Jahre. Manifeste und Dokumente deutscher Künstler. Köln 1979, S. 101. 51. Zitat von Alfred Wolfenstein in: Christoph Eykmann, Zur Sozialphilosophie des Expressionismus, S. 33, in ders., Denk- und Stilformen des Expressionismus. München 1974 (Tb.-Ausgabe), S. 28-43. 52. Vgl. Paul Tillich, Masse und Geist (1922), in ders., Gesammelte Werke Bd. II: Christentum und soziale Gestaltung. Stuttgart 1962, S. 45, 58, 74. 53. Vgl. Christoph Eykmann, Zur Sozialphilosophie des Expressionismus, a. a. O . S. 32. 54. Vgl. u.a. Max Weber, Soziologische Grundbegriffe, in: Wirtschaft und Gesellschaft, I. Teil, Kap. 1. Tübingen 1921. Vgl. Theodor Litt, Individuum und Gemeinschaft. Leipzig-Berlin 1919. 55. Vgl. Paul Tillich, Masse und Geist, a. a. O. S. 45-78. 56. Vgl. Ernst Robert Curtius, Deutscher Geist in Gefahr, a. a. O. S. 74. 57. Vgl. Fritz Kaufmann, Geschichtsphilosophie. In: Fritz Heinemann, Hg., Die Philosophie im 20. Jahrhundert. Stuttgart 1959, S. 494. 58. Vgl. Michael Landmann, Kulturphilosophie. In: Fritz Heinemann, Hg., Die Philosophie im 20. Jahrhundert, a. a. O. S. 556. 59. Vgl. Hilde Reisig, Der politische Sinn der Arbeiterbildung. Berlin 1975. Diese Arbeit ist eine bei Hans Freyer entstandene Dissertation aus dem Jahr 1932. Vgl. auch hier, Kap. 1,3. 60. Hierzu zählte vor allem die moderne Bewegung in der Architektur. Sie sollte (und dieses Verständnis teilte das „Bauhaus" durchaus mit den von Städten und Gewerkschaften verfolgten Siedlungsbauprogrammen) durch ihre „kulturelle" Revolution die „soziale Revolution" ersetzen. (Die theoretische Programmschrift ist jedoch interessanterweise Le Corbusier, „Vers une architecture" (1923), Paris 1958, insbes. das letzte Kapitel: „Architecture ou revolution".) Anhand der Einheitsform, die reiner „Apparat" ist und damit keine subjektive oder traditionelle Ästhetik mehr aufzwingt, sollte sowohl die proletarische Befreiung erwirkt wie auch die einheitliche Lebensform der modernen egalitären Industriegesellschaft gefunden werden. Bereits die folgende Generation von jungen Architekten hat Ende der zwanziger Jahre diesen Einheitsgedanken entschieden abgelehnt. Vgl. Julius Posener, Vorlesungen zur Geschichte der Architektur, in: Arch+, Heft 48, Dezember 1979, S. 62-67. 61. Vgl. Ernst Robert Curtius, Deutscher Geist in Gefahr, a. a. O. S. 40-47. 62. Georg Simmel, Philosophie des Geldes, Berlin 1958, 6. Aufl., vgl. S. 505 f.; Zitat S. 511. 63. Georg Simmel, Der Begriff und die Tragödie der Kultur (vor 1918 verfaßt). Postum veröffentlicht in: Georg Simmel, Philosophische Kultur. Berlin 1923. 64. Vgl. Walter L. Bühl, Kulturwandel, a. a. O. S. 122 ff. 65. Vgl. Theodor Litt, Individuum und Gemeinschaft, a. a. O.; Eduard Spranger, Lebensformen. (1921, 2. Aufl.) Halle 1925, 5. Aufl. 66. Vgl. Wilhelm Dilthey, Einleitung in die Geisteswissenschaften (1883). Gesammelte Schriften, Bd. 1, Stuttgart-Göttingen 1959, S. 26 f. 67. Fritz Kaufmann, Geschichtsphilosophie, a. a. O. S. 489. Vgl. auch Kap. V,3 dieser Arbeit. 68. Fritz K. Ringer z. B. überträgt den „Antipositivismus" und die Skepsis gegenüber der modernen technologischen Zivilisation, das Resultat seiner Untersuchungen von Historikern und frühen Sozialwissenschaftlern an deutschen Universitäten zwischen 1890 und 1933, auf die gesamte „academic community" in Deutschland, ohne zu berücksichtigen, daß die immensen Fortschritte in Technik und Naturwissenschaften in eben denselben Universitäten errungen wurden. Vgl. Fritz K. Ringer, The Decline of the German Mandarins. Cambridge, Mass. 1969. Vgl. auch Walter Laqueur, Weimar. Die Kultur der Republik, a. a. O. S. 234-238. 69. Vgl. hierzu Kap.1,6 dieser Arbeit. Hans Freyer verfestigt diese Hoffnungen und legitimiert sie geradezu, wenn er die positivistische Idee der „wissenschaftlichen Politik", zurückgehend auf Auguste Comte, als einen der beiden Ursprünge der deutschen Soziologie (neben dem deutschen Idealismus) definiert. Vgl. Freyer, Soziologie als Geisteswissenschaft, in: Archiv für Kulturgeschichte 16, 1926, S. 113-126. 70. Vgl. hier Kap. 1,2. 71. Vgl. Walter L. Bühl, Kulturwandel, a. a. O. S. 44 f.
250
Anmerkungen
zu Kapitel IV: Kultursystem und
Kulturwandel
72. Vgl. zu folgendem Absatz Georg Lukács, Alte und neue Kultur, in: Kommunismus. Zeitschrift der kommunistischen Internationale, 1, 1920, S. 1538-1549; Zitate S. 1547, S. 1546, S. 1549. 73. Wie explizit Lukács diesen lebensphilosophischen Idealismus beibehalten hatte, weist seine Schülerin Agnes Heller nach in ihrem Aufsatz „Jenseits der Pflicht. Das Paradigmatische der Ethik der deutschen Klassik im Oeuvre von Georg Lukács". Ob der junge Lukács die Ethik als die Form des Lebens definiert und die Verpflichtung daraus ableitet, „daß man aus Geist Form zu gestalten hat", oder ob der alte Lukács sagt, „man müsse die Partikularität zur Gattungsmäßigkeit erheben" oder die „Persönlichkeit" als den zur „Gattungsmäßigkeit erhobenen Einzelmenschen" verstehen, für den dann Moral nicht mehr Pflicht im kantischen Sinne, sondern „Natur" im Sinn einer „individuellen Beziehung zur Gattungsmäßigkeit, zu den gattungsmäßigen Objektivationen" sei, - die lebensphilosophische Variante des Idealismus wurde auf jeden Fall von Lukács durchgehend beibehalten. Vgl. Agnes Heller, Jenseits der Pflicht, in: Revue Internationale de Philosophie, 27. année No. 106, 1973, fasc.4, S. 439-456, vgl. S. 433 f. und S. 446. 74. Vgl. Walter L. Bühl, Kulturwandel, a. a. O. S. 28-31. 75. Vgl. Walter L. Bühl, Kulturwandel, a. a. O. S. 18 ff; Zitate von Alfred Weber ebenda. 76. Vgl. Emil Lederer, Aufgaben einer Kultursoziologie, S. 147, in: M. Palyi, Hauptprobleme der Soziologie. Erinnerungsgabe für Max Weber, Bd.II, München-Leipzig 1923, S. 147-171. 77. Georg Lukács, Zum Wesen und zur Methode der Kultursoziologie. In: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, 39, 1914/15, S. 218. 78. Vgl. Karl Mannheim, Uber die Eigenart kultursoziologischer Erkenntnis, in: David Kettler, Volker Meja und Nico Stehr, Hg., Karl Mannheim, Strukturen des Denkens. Frankfurt 1980, S. 59. 79. Vgl. Walter L. Bühl, Kulturwandel, a. a. O. S. 20-24. 80. Vgl. zu diesem Absatz Emil Lederer, Aufgaben einer Kultursoziologie, a. a. O., ebenso Alfred Kleinberg, Bürgerliche und marxistische Kultursoziologie, in: Die Gesellschaft, IX, Nr. 9, Sept. 1932, S. 252, S. 256 f. und S. 259. 81. Vgl. Walter L. Bühl, Kulturwandel, a. a. O. S. 17. 82. Schon das Inhaltsverzeichnis des für den wissenschaftlichen Stand der Soziologie repräsentativen „Handwörterbuch der Soziologie" verrät einen sehr umfassenden und differenzierten Kulturbegriff, wenn sowohl Technik, Staat und Wirtschaft, Kunst, Sprache, Erziehung und Sittlichkeit als „einzelne Kulturgüter" aufgeführt werden. Vgl. Alfred Vierkandt, Hg., Handwörterbuch der Soziologie, a. a. O., S. X I f. 83. Anläßlich der Übernahme der Herausgeberschaft (zusammen mit Werner Sombart, und Edgar Jaffé) sozusagen als „Programm" der Soziologie im „Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik" 19, 1904, S. 22-87. Auch in: Max Weber, Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, Tübingen (1922), 4. Aufl. 1973, S. 146-214. 84. Hermann Kantorowicz, Der Aufbau der Soziologie, in: Melchior Palyi, Hg., Erinnerungsgabe für Max Weber. München-Leipzig 1923, Band I, S. 73-96, vgl. S. 76 f. und s. 80 ff. 85. Sie wurden erst 60 Jahre nach ihrem Entstehen publiziert. Vgl. Karl Mannheim, Strukturen des Denkens. Hg. David Kettler u.a., a.a.0,1980. Es spricht ebenfalls für eine heute noch angenommene Dubiosität des Kulturbegriffs, wenn die Herausgeber einen so unspezifischen Titel wählen, statt explizit die Hauptthematik, die Kulturtheorie, zu nennen. 86. Emil Lederer, Aufgaben einer Kultursoziologie. In: Melchior Palyi, Hg., Erinnerungsgabe für Max Weber, a. a. O., Bd. II, S. 145-171, vgl. S. 163 f. 87. Vgl. Walter L. Bühl, Kulturwandel, a. a. O. S. 21 f. und S. 24. 88. Vgl. Wolfgang Sauer, Weimar culture. Experiments in Modernism. In: Social Research 39, 1972, S. 284. 89. Es ist erstaunlich, daß nach bereits vorliegenden differenzierten Einzeluntersuchungen - eine ganze Reihe ist bereits 1972 im bereits genannten Sonderheft „Weimar Culture" der Zeitschrift „Social Research", Vol. 39, No. 2, 1972, erwähnt - heute noch diese These vertreten wird. Vgl. Stephen Kalberg, The Origin and Expansion of Kulturpessimismus: The Relationship between Public and Private Spheres in Early Twentieth Century Germany, in: Sociological Theory 5, 1987, S. 150-165. 90. Vgl. ebenda S. 153-156. 91. Vgl. insbes. das Kapitel: Soziologie und Geschichtsphilosophie, in: Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O. S. 114-125; ebenso Hans Freyer, Gesellschaft und Geschichte, (erschienen in der Reihe: Stoffe und Gestalten der deutschen Geschichte, als Band 2, Heft 6). Leipzig 1937.
Anmerkungen
zu Kapitel IV: Kultursystem
und Kulturwandel
251
92. Für das Werk Karl Lamprechts wurde dies bereits festgestellt. Vgl. Luise Schorn-Schütte, Karl Lamprecht. Göttingen 1984, S. 296 f. 93. Hans Freyer, Geschichte und Soziologie. (Anläßlich des 10. Todestages von Karl Lamprecht). In: Vergangenheit und Gegenwart, 16. Jg 1926, S. 201-211. 94. Vgl. Luise Schorn-Schütte, Karl Lamprecht, a. a. O. S. 287-336. 95. Zur Wirkung von Wilhelm Wundt in den USA vgl. Joseph Ben-David und Randall Collins, Soziale Faktoren im Ursprung einer neuen Wissenschaft: Der Fall der Psychologie. In: Peter Weingart, Hg., Wissenschaftssoziologie. Frankfurt/Main 1974, Bd. 2, S. 122-152. Allerdings können die von den Autoren angegebenen sozialen Faktoren auf keinen Fall als alleinige Gründe für die Ausstrahlung Wundts akzeptiert werden. Zur Rezeption Wundts in Frankreich: Emile Durkheim, La science positive de la morale en Allemagne, in: Revue philosophique de la France et de l'Etranger, Tome 24, 1887, S. 113-142, vgl. S. 113-124; Emile Durkheim, La philosophie dans les universités Allemandes, in: Revue Internationale de l'Enseignement, Tome 13, 1887, S. 313-338, vgl. S. 328-333; Emile Durkheim et P. Fauconnet, Sociologie et sciences sociales, in: Revue philosophique de la France et de l'Etranger, Tome 55/56, 1903, S. 465-497, vgl. S. 492. Vgl. auch Jan Jacob de Wolf, Wundt and Durkheim. A reconsideration of a relationship, in: Anthropos 82, 1987, p. 1-23. 96. Vgl. Luise Schorn-Schütte, Karl Lamprecht, a. a. O. S. 117 ff. 97. Vgl. ebenda S. 121. Ebenso Karl Lamprecht, Ausgewählte Schriften zur Wirtschafts- und Kulturgeschichte und zur Theorie der Geschichtswissenschaft. Aalen 1974, S. 263 f. 98. Vgl. Karl Lamprecht, Deutsche Geschichte, Bd. 1, 3. Aufl. Berlin 1920, S. X I V f. 99. Vgl. Hans Freyer, Einleitung in die Soziologie, a. a. O. S. 124. Die Habilitationsschrift: Die Bewertung der Wirtschaft im philosophischen Denken des 19. Jahrhunderts. Leipzig 1921. 100. Vgl. hier Kap. 1,5. 101. Diese Begriffe waren die „Leitmotive" der amerikanischen „New History" bzw. der französischen „histoire synthetique". In allen diesen theoretischen Neuansätzen handelt es sich um eine Anlehnung an Lamprechts „seelisches Diapason" und um den Versuch, einen kollektiven „Habitus" und „Sinn" mit modernen sozialwissenschaftlichen Methoden herauszufinden. Vgl. Luise Schorn-Schütte, Karl Lamprecht, a. a. O. S. 302 f. In den USA wurde Lamprecht vor allem von den Historikern Carl L. Becker und James H. Robinson rezipiert, in Frankreich hatte er persönlichen Kontakt zu dem Historiker Gabriel Monod, dem führenden Gelehrten der neuen Bewegung der „histoire synthetique" und Herausgeber der wichtigsten Zeitschrift der damaligen französischen Geschichtswissenschaft, der „Revue Historique"; noch größer war Lamprechts Einfluß auf Henri Berr, der unter Zuhilfenahme von Dürkheims Soziologie auf die Bildung „Sozialer Typen" in der Geschichtswissenschaft hinarbeitete. Er war der Herausgeber der Zeitschrift „Revue de Synthèse Historique", die „Wiege" der französischen „histoire des structures". In der Hierarchisierung langzeitlicher Strukturen, ihrer Ausfüllung durch soziale, ökonomische und politische Variablen und ihrer Erklärung durch eine „conscience collective", aber auch im positiven Wissenschaftsverständnis und in den quantifizierenden Methoden sind die auffallenden Parallelen zu Karl Lamprechts Konzept zu finden. Vgl. Luise Schorn-Schütte, ebenda S. 310-316. Vgl. Auch Karl Heinz Metz, Grundformen historiographischen Denkens. München 1979, S. 481 f. 102. Vgl. Hans Freyer, Die Bewertung der Wirtschaft im philosophischen Denken des 19. Jahrhunderts, a. a. O. S. 159 f. Hier in seiner Habilitationsschrift sind die Verbindungen mit seinen Leipziger Lehrern natürlich noch besonders deutlich. 103. Zu Lamprecht vgl. Karl Heinz Metz, Grundformen historiographischen Denkens, a. a. O. S. 464 f. Zu Wundt vgl. Robert W. Rieber, Wilhelm Wundt and the making of scientific psychology. New York-London 1980 (wenn die einzelnen Beiträge sich auch mehr auf die subjektivistische experimentelle Psychologie konzentrieren. Man scheint mit dem Begriff „Völkerpsychologie" heute große Schwierigkeiten zu haben; in englischen Übersetzungen findet man Versionen von „folk psychology" bis zu „racial psychology". Vgl. hierzu Horst Gundlach, Folk psychology oder Social psychology oder? Diskussionspapier Psychologisches Institut Heidelberg, historische Reihe Nr. 5, Heidelberg 1983.) 104. Vgl. Karl Heinz Metz, Grundformen historiographischen Denkens, a. a. O. S. 480; vgl. auch Walter Goetz, Historiker in meiner Zeit, a. a. O. S. 299-302.
252
Anmerkungen
zu Kapitel IV: Kultursystem und
Kulturwandel
105. Zu Wundts Evolutionsbegriff vgl. J. W. Berry, Wundts Völkerpsychologie and the Comparative Study of Human Behavior. In: Georg Eckardt und Lothar Sprung, Advances in Historiography of Psychology (22nd International Congress of Psychology, Leipzig 1980). Berlin (DDR) 1983, vgl. S. 96 f. Gute zusammenfassende Darstellungen von Wundts und Lamprechts Werk von Wilhelm E. Mühlmann, Geschichte der Anthropologie. Frankfurt/M. 1968. 106. Vgl. Hans Freyer, Die Bewertung der Wirtschaft im philosophischen Denken des 19. Jahrhunderts, a. a. O. S. 161. 107. Vgl. Max Weber, Die Objektivität sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis. In: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, herausgegeben von Johannes Winckelmann. 4. Aufl. Tübingen 1973; S. 180, S. 184. 108. Max Weber, Roscher und Knies und die logischen Probleme der historischen Nationalökonomie. 1903-1906. In: Max Weber, Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, a. a. O. vgl. S. 55 und S. 58. 109. Vgl. ebenda S. 25. 110. Der Urheber dieses Grundgedankens bei Freyer ist offensichtlich Wilhelm Wundt, der sich, wie später auch Freyer, damit gegen die Reduktion der Kulturerscheinungen auf psychologische Grundkonstanten des Menschen wendet. Aus dieser Grundannahme der Eigengesetzlichkeit der Kultur heraus sieht Wundt sich veranlaßt, seine zehnbändige Völkerpsychologie (Wilhelm Wundt, Völkerpsychologie. Eine Untersuchung der Entwicklungsgesetze von Sprache, Mythus und Sitte. 10 Bände. Leipzig 1900-1920) klar von Theorie und Methode seiner „Experimentellen Psychologie" zu trennen. 111. Vgl. Hans Freyer, Theorie des objektiven Geistes, Darmstadt 1966, S. 11 f.; Zitat S. 11. 112. Ein Zitat von Theodor Litt in Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O. S. 13. 113. Vgl. Hans Freyer, Theorie des objektiven Geistes, a. a. O. S. 143 f. 114. Vgl. ebenda S. 130-134. 115. Vgl. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O. S. 305. 116. Zu diesem Absatz vgl. Hans Freyer, Theorie des objektiven Geistes, a. a. O. S. 135 f. 117. Vgl. Howard Becker, Soziologie als Wissenschaft vom sozialen Handeln. Würzburg 1958, S. 173176. 118. Vgl. Howard Becker, ebenda S. 181; vgl. Hans Freyer, Theorie des objektiven Geistes, a. a. O. S. 133 f. 119. Vgl. Hans Freyer, Theorie des objektiven Geistes, a. a. O. S. 138. 120. Ebenda S. 136; zu diesem Absatz vgl. auch S. 138 f. 121. Vgl. ebenda S. 141. 122. Der Begriff des „Habitus" wird im Anschluß an Erwin Panofsky ausgearbeitet von Pierre Bourdieu in: Zur Soziologie der symbolischen Formen, Frankfurt 1970, vgl. S. 125 ff., wobei es aber auch hier ein Problem bleibt, die Beziehungen zwischen den sozialstrukturellen Bedingungen und der psychischen Reaktion darauf zu verallgemeinern. Vgl. dazu auch: Pierre Bourdieu, Sozialer Sinn, Frankfurt 1987, S. 97 ff. 123. Paul Ricoeur, Hermeneutik und Strukturalismus. Der Konflikt der Interpretation I. München 1973, vgl. S. 171 und S. 15; zit. von O. F. Bollnow, Paul Ricoeur und die Probleme der Hermeneutik. In: Zeitschrift für philosophische Forschung 30, 1976, S. 170. 124. Vgl. Paul Ricoeur, Hermeneutik und Strukturalismus, a. a. O. S. 123 f., S. 135, S. 169, S. 172; zitiert in O. F. Bollnow, ebenda S. 168. 125. Vgl. Konrad Lorenz, Die Rückseite des Spiegels. München und Zürich 1973, S. 24-32 und S. 326. 126. Vgl. zu diesem Absatz Hans Freyer, Theorie des objektiven Geistes, a. a. O., S. 4-9; Zitate S. 4 und S. 5. 127. Vgl. Ernst Mayr, Teleological and Teleonomic: An New Analysis.In: Boston Studies in the Philosophy of Science, Bd. 14. Dordrecht 1974, S. 90-117. 128. Zu diesem Absatz vgl. Hans Freyer, Soziologie als Geisteswissenschaft. In: Archiv für Kulturgeschichte 16, 1926, S. 118-126. 129. Vgl. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O. S. 19. 130. Vgl. Kap. V,3 dieser Arbeit.
Anmerkungen
zu Kapitel IV: Kultursystem und Kulturwandel
253
131. Vgl. Wilhelm Hennis, Max Webers Fragestellung. Tübingen 1987, S. 25 ff. Da spätestens durch Wundt der universalhistorische Entwicklungsbegriff abgelehnt worden war, und Weber sich doch so deutlich gegen die universalhistorische Vorbestimmtheit bei Lamprecht geäußert hat, ist es unwahrscheinlich, daß Weber nun an einem bereits überkommenen Konzept der fortschreitenden Rationalisierung festgehalten hätte. 132. Walter Hildebrandt, Lob des Pragmatismus. Die Praxis des Lebens: Von Justus Moser zu Max Weber. (1976) In: ders., Versuche gegen die Kälte. München 1987, S. 21-32. 133. Vgl. Wilhelm Hennis, Max Webers Fragestellung, a. a. O. S. 12. 134. Ebenda S. 34. Dieser Rationalisierungsbegriff würde auch dem Wundtschen Konzept der Evolution als fortlaufender Adaptation an neue Situationen entsprechen. 135. Wilhelm Hennis, Max Webers Fragestellung, a. a. O. S. 45. 136. Ebenda S. 46. 137. Hans Freyer, Rezension von Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes (Bd. 1: Gestalt und Wirklichkeit. Wien-Leipzig 1918), in: Die Tat, 11, 1919/20, Bd. I, S. 308. Vgl. auch Wilhelm Hennis, Max Webers Fragestellung, a. a. O. S. 45. 138. Hans Freyer, Rezension von Oswald Spengler, a. a. O. S. 308. 139. Vgl. Punkt le dieses Kapitels. 140. Vgl. Wilhelm Hennis, Max Webers Fragestellung, a. a. O. S. 34. 141. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O. S. 304. 142. Max Weber, Die Objektivität sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis, a. a. O. S. 184. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O. S. 307. 143. Zu diesem Absatz vgl. Kurt Pinthus, Hg., Menschheitsdämmerung. Ein Dokument des Expressionismus (1920). Hamburg 1959, S. 7, S. 9, S. 14. Zur Polarisierung der Diskussion vgl. darin die Kommentare „Zuvor" (1919), „Nachklang" (1922), S. 22-35. 144. Vgl. Hans Freyer, Theorie des objektiven Geistes, a. a. O. (3. Aufl. 1933), S. III, S. IV. 145. Vgl. Kurt Pinthus, Menschheitsdämmerung, a. a. O. S. 26. 146. Vgl. Hans Freyer, Theorie des objektiven Geistes, a. a. O. S. 50, S. 99. 147. Vgl. Hans Freyer, Theorie des objektiven Geistes, a. a. O. S. 53; Zitat ebenda. 148. Vgl. hier Kap. III, 2a. 149. Vgl. Hans Freyer, Theorie des objektiven Geistes, a. a. O. S. 151; vgl. ders., Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O. S. 13. 150. Hans Freyer, Theorie des objektiven Geistes, a. a. O. S. 45, S. 46. 151. Vgl. zum folgenden Absatz ebenda S. 46-51, Zitat S. 47. 152. Ebenda, S. 50. 153. Hans Freyer, Der Staat, a. a. O. S. 189. 154. Zu diesem Absatz Hans Freyer, Sprache und Kultur. In: Die Erziehung, 3. Jg., H. 2, 1927, S. 65-78, vgl. S. 66-70. Zitate S. 70 und S. 78. Das humanistische Bildungsideal der „formalen" Sprachbildung, das im 19. Jahrhundert zur Gründung der humanistischen Gymnasien geführt hat, wurde auch im 20. Jahrhundert wieder aufgenommen (Eduard Spranger) und findet sich ebenso in der expressionistischen Forderung nach der absoluten Form. Die Expressionisten konnten ja auch im Rückblick von Kurt Pinthus als „enttäuschte Humanisten" bezeichnet werden. Vgl. Kurt Pinthus, Hg., Menschheitsdämmerung, a. a. O. S. 15. 155. Das Ergebnis aus einer Analyse der Literatur um die gleiche Zeit zum Vergleich: In aller Vielfältigkeit war die Literatur am Ende der wilhelminischen Epoche in zwei Richtungen gespalten: in die Literatur der Modernität, die die neue Wirklichkeit der Großstädte, Industrie und des sozialen Elends thematisiert und zugleich die Widerstände und Möglichkeiten zur Konstitution einer neuen Identität behandelt; daneben die gründerzeitliche Literatur, die die Probleme der Gegenwart nicht angeht, sondern ihnen im Genre „Heimatkunst" vermeintlich naturhafte Lebensformen entgegensetzt. Vgl. Eva Kolinsky, Engagierter Expressionismus, a. a. O. S. 3 f. 156. Gunther Ipsen habilitierte sich 1925 in Leipzig mit der Schrift: Zur Theorie des Erkennens. Untersuchungen über Gestalt und Sinn sinnloser Wörter. München 1926. Siehe auch: Stand und Aufgabe der Sprachwissenschaft, Leipzig 1924; Die Sprachphilosophie der Gegenwart. München 1930. Seine Dorfforschungen begann er erst Ende der zwanziger Jahre als Mitarbeiter in Freyers Soziologischem Institut.
254
Anmerkungen
zu Kapitel IV: Kultursystem und
Kulturwandel
157. Staat und Geist. Arbeiten im Dienste der Besinnung und des Aufbaus. Herausgegeben von Hans Freyer, Gunther Ipsen und André Jolies. Band I: Hans Freyer, Der Staat. Band II: Julius Frankenberger, Walpurgis. Zur Formgestalt von Goethes Faust. Band III: Walter Porzig, Aischylos. Die attische Tragödie. Alle in Leipzig 1926 veröffentlicht. Die Reihe wurde nicht fortgesetzt. 158. Vgl. Hans Freyer, Prometheus, Kap. „Die Geschichte der Macht" a. a. O. S. 8-36, bes. S. 30 f. Die Einordnung der Schriften „Antäus" und „Prometheus" als expressionistische Essays ist nicht nur eine Interpretation aus heutiger Sicht. Sie stützt sich zum einen auf eine Rezension von Hellmuth Falkenfeld, Antäus, in: Kant-Studien, 25. Band, H. 2/3, 1920, S. 441, in der Freyer mit Rilke und Däubler verglichen wird; zum anderen auf einige zeitgenössische Ankündigungen und Urteile: Der Eugen Diederichs-Verlag kündigt die bei ihm verlegten Schriften „Antäus" und „Prometheus" an als „Fanfare der jüngeren Generation" (in: Hans Freyer, Pallas Athene, Jena 1935, Reklameseite nach S. 122). Urteile über den „Antäus": Karl Joel: „ ...Ein Buch wie ein Baum mit Wurzelkraft und voll Kronenrauschen, ganz Plastik, in Musik getaucht, halb Hodler, halb Hölderlin". Alfred Kurella: „...vielleicht seit Plato zum erstenmal wieder ein Werk der Worte, nicht Gedicht, nicht Abhandlung, nicht Aphorismensammlung, sondern ein Gedankenablauf gleich einer Musikschöpfung". Harald Schulz-Henke: „... doch formt sich aus dem zerrissenen Flutenden mit unbeugsamer Bestimmtheit das Soll, nicht als Formel, nicht als Begriff, sondern als klingendes sichtbares Leben selbst". Es gibt aber auch Urteile von Philosophen über den „Antäus" z. B. Georg Simmel: „Der Verfasser ist durch das Tor eingezogen, das Nietzsche aufgestoßen hat". Paul Natorp: „Freyer versteht etwas von dem Kontrapunkt des Gedankens, den Nietzsche nie gezwungen, im Grund gehaßt hat. In den Resultaten trifft er mit Fichte, vielfach Leibniz und der besten Mystik überein". Ernst Troeltsch: „Das Buch ist wirklich bedeutend und ideenreich, zugleich von einer großen Reife und Geschlossenheit der Denkweise und Sprache". Alle In: Freyer, Hans Prometheus, a. a. O. Verlagsreklame nach S. 129. Wenn heute diese überschwenglichen Lobpreisungen unverständlich oder unbegründet erscheinen, so wohl deshalb, weil die expressionistische oder rhetorische Komponente jeder Wissenschaft und Philosophie seit dem Untergang der Weimarer Republik und der nachfolgenden Selbstwiderlegung der nationalsozialistischen Demagogie (und Propaganda) in den Geruch der Massenagitation geraten ist. Ein neuerwachtes Verständnis für eine mögliche „Vorreiterrolle bei der Erkundung der sich ankündigenden neuen Welt" auf Seiten dieser „sozialen Rhetorik" zeigt sich jedoch nun in der französischen Soziologie. Vgl. Michel Maffesoli, Das ästhetische Paradigma, S. 462, in: Soziale Welt 38 (1987), S. 460-470. 159. Vgl. Hans Freyer, Prometheus, a. a. O., Kap. „Ahnung der Form", S. 69-101, Zitat S. 74. 160. Vgl. ebenda, Kap. „Blick auf das Werden", S. 102-130, bes. S. 129 f. 161. Hans Freyer, Der Fortschritt und die haltenden Mächte (1952), in ders., Herrschaft, Planung und Technik, a. a. O. S. 73-83; vgl. S. 73-79. 162. Vgl. hier Kap. III,2c. 163. Vgl. Hans Freyer, Der Fortschritt und die haltenden Mächte, a. a. O. S. 82 f. 164. Hans Freyer, Theorie des gegenwärtigen Zeitalters. Stuttgart 1955, S. 239. 165. Herbert Marcuse, Der eindimensionale Mensch. Neuwied 1967, S. 268. 166. Vgl. Hans Freyer, Theorie des gegenwärtigen Zeitalters, a. a. O. S. 247. 167. Vgl. Winfried Schulze, Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945. München 1989, S. 261 f., insbes. S. 283 ff. und S. 308-311. 168. Vgl. Jürgen Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 2, Frankfurt 1981, S. 229 ff. 169. Jürgen Habermas, Einleitung, S. 28, in: Jürgen Habermas, Hg., Stichworte zur „Geistigen Situation derZeit", Band 1. Frankfurt 1979, S. 28. 170. Vgl. Hans Freyer, Theorie des objektiven Geistes, a. a. O. S. 152. 171. Hans Freyer, Soziologie als Geisteswissenschaft, a. a. O. S. 125. 172. Hans Freyer, Musik und Erziehung. In: Halbmonatsschrift für Schulmusikpflege 20, H. 14, Okt. 1925, S. 98. 173. Vgl. Hans Freyer, Der Staat, a. a. O. S. 6 f. (Zitate ebenda S. 6). Auch in diesen Zusammenhang fällt der bereits erwähnte Begriff der „Entelechie", mit dem zur gleichen Zeit Hans Driesch zu einer Erneuerung der Naturphilosophie beitragen wollte. 174. Vgl. Hans Freyer, Der Staat, a. a. O. S. 212 ff. 175. Vgl. Hans Freyer, Schwelle der Zeiten, Stuttgart 1965, S. 324 f. 176. Hans Freyer, Theorie des gegenwärtigen Zeitalters, a. a. O. S. 260. 177. Zu folgendem vgl. Hans Freyer, Schwelle der Zeiten, a. a. O., S. 330-333. Zitat S. 332. 178. Vgl. Hans Freyer, Der Staat, a. a. O. S. 49-52.
Anmerkungen 179. 180. 181. 182. 183. 184. 185. 186. 187. 188.
189. 190. 191. 192. 193. 194. 195. 196. 197. 198. 199.
200. 201. 202. 203. 204. 205. 206. 207.
208. 209. 210. 211. 212. 213.
214.
215. 216.
zu Kapitel IV: Kultursystem und Kulturwandel
255
Vgl. ebenda S. 52-54; Zitat S. 52. Vgl. ebenda S. 54-56; Zitat S. 56. Vgl. hier Kap. II, 2a. Hans Freyer, Schwelle der Zeiten, a. a. O. Vgl. zu folgendem S. 21-26; S. 29. Vgl. Hans Freyer, Der Staat, a. a. O. S. 54. Vgl. Hans Freyer, Schwelle der Zeiten, a. a. O. S. 36-41; Zitat S. 41. Vgl. Hans Freyer, Der Staat, S. 64; Schwelle der Zeiten, S. 76. Zu folgendem Absatz vgl. Der Staat, a. a. O. S. 68, S. 74, S. 77-81; Zitate S. 81 und S. 77. Ebenda S. 81. Die Aufsatzsammlung von Hans Albert, und Ernst Topitsch, Hg., Werturteilsstreit. Darmstadt 1979, macht deutlich, wie sich die damaligen Kontroversen auch in den fünfziger und sechziger Jahren fortsetzen, polarisierend zwischen einer „klassisch" verstandenen „Objektivität", wie Freyer sie hier als Erscheinung einer Hochkultur darstellt, und einer „reflexiven" Objektivität, die den Menschen wieder in seinen Lebenszusammenhang einbindet. Hans Freyer, Schwelle der Zeiten, a. a. O. S. 77 ff. Zitat Arendt S. 79. Hans Freyer, Der Staat, a. a. O. S. 83. Vgl. Hans Freyer, Schwelle der Zeiten, a. a. O. S. 80. Vgl. Der Staat S. 84-86, S. 89, S. 91 f. Vgl. Schwelle der Zeiten, a. a. O. S. 72; Zitat S. 77. Hans Freyer, Weltgeschichte Europas. 2 Bände. Wiesbaden 1948. Zur Darstellung der griechischen und römischen Hochkulturen Vgl. 1. Band, S. 371-466 und 2. Band, S. 519-559. Vgl. Schwelle der Zeiten, a. a. O. S. 95-105. Vgl. Schwelle der Zeiten, S. 121-156, S. 168 f. Schwelle der Zeiten, a. a. O. S. 168 f. Zum folgenden vgl. auch S. 211 und S. 226. Vgl. zu diesem Absatz Hans Freyer, Gesellschaft und Kultur, a. a. O. S. 519-525; S. 561; S. 570. Franz Zwilgmeyer, Artikel „Kultur" in: Werner Ziegenfuss, Hg., Handbuch der Soziologie. Stuttgart 1956, S. 1102-1196; vgl. insbes. S. 1192 f., zu A. Gehlen vgl. S. 1193. Das letzte Zeugnis einer „Leipziger" Kulturstufentheorie und der Hoffnung auf eine neue integrierte Gesamtkultur wird wohl abgelegt in: Franz Zwilgmeyer, Stufen des Ich. Fellbach 1981. Vgl. Kap. III,2b dieser Arbeit. Vgl. Hans Freyer, Gesellschaft und Kultur, a. a. O. S. 507-510. Vgl. Hans Freyer, Theorie des gegenwärtigen Zeitalters, a. a. O. S. 254-257. Hans Freyer, Gesellschaft und Kultur, a. a. O. S. 557 f. Er konnte nur noch das historische Einleitungskapitel schreiben. Vgl. Gedanken zur Industriegesellschaft, postum besorgt von Arnold Gehlen, a. a. O. Vgl. Walter L. Bühl, Kulturwandel, a. a. O. S. 44-58. Vgl. Hans Freyer, Gesellschaft und Kultur, a. a. O. S. 560. Die Hauptwerke Alfred Webers (wie: Kulturgeschichte als Kultursoziologie, Leiden 1935; Das Tragische in der Geschichte, Hamburg 1943; Abschied von der bisherigen Geschichte, Hamburg 1946; Der dritte oder der vierte Mensch, München 1953) sind sicher nicht weniger „geschichtsphilosophisch spekulativ" als Freyers Arbeiten. Vgl. dazu: Roland Eckert, Kultur, Zivilisation und Gesellschaft. Basel und Tübingen 1970. Hans Freyer, Gesellschaft und Kultur, a. a. O. S. 547. Hans Freyer, Schwelle der Zeiten, a. a. O. S. 117. Hans Freyer, Gesellschaft und Kultur, a. a. O. S. 560. Ebenda S. 560. Hans Freyer, Weltgeschichte Europas, 2. Aufl. Stuttgart 1954, S. 99, S. 105. Diese These, die Max Schelers Wissenssoziologie unterstellt wird (Max Scheler, Die Wissensformen und die Gesellschaft, Gesammelte Werke, Bd. 8, Bern 1960, S. 21 f.), dort allerdings nur als Warnung gegen einen politischen Utopismus formuliert wird, ist ein beliebter Topos in der Weimarer Republik. Vgl. Kurt Lenk, Von der Ohnmacht des Geistes, Tübingen 1959, S. 59 ff. Vgl. Edgar Taschdjian, Culture: A Stressed System, In Cybernetics and Systems 18,1987, S. 425-438; zum weiteren kultursoziologischen Kontext vgl. Walter L. Bühl, Kultur als System, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 27, 1987, S. 118-144. Vgl. Joseph A. Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, Bern 1950, S. 134 ff. Hans Freyer, Gesellschaft und Kultur, a. a. O. S. 591.
256
Anmerkungen
zu Kapitel V: Dialektische
Methode
und
Geschichte
217. Vgl. als klassische Quelle: Robert K. Merton, und Alice S. Kitt, Contributions to the Theory of Reference Group Behavior, in: Robert K. Merton, und Paul F. Lazarsfeld, Hg., Continuities in Social Research: Studies in the Scope and Method of the American Soldier, New York 1950, S. 40-105; Robert K. Merton, Continuities in the Theory of Reference Groups and Social Structure, in: Robert K. Merton, Social Theory and Social Structure, New York 1957, S. 281-386. 218. Die Verschränkung dieser Prozesse wird exemplarisch erst von Hermann Lübbe herausgearbeitet. Vgl. Hermann Lübbe, Zeit-Verhältnisse: Zur Kulturphilosophie des Fortschritts. Graz 1983, S. 19 ff. 219. Hans Freyer, Theorie des gegenwärtigen Zeitalters, a. a. O. S. 78. Diese These von der „Posthistoire" wird später von Arnold Gehlen weiter ausgearbeitet (Ende der Geschichte, 1972, in: Arnold Gehlen, Einblicke, Frankfurt 1975, S. 115-133); aber auch in der Diskussion der „postmodernen Kultur" ist dieser Topos wieder sehr beliebt (vgl. Peter Koslowski, Die postmoderne Kultur. München 1987, S. 21 ff.), wenn nun auch die „Postmoderne als Zeitgewinn" gesehen wird, der einen neuen Weg zu finden erlaubt. 220. Vgl. Hans Freyer, Theorie des objektiven Geistes, a. a. O. S. 80, S. 82. 221. Vgl. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O. S. 13 ff., S. 18. 222. Im Sinne von Georges Gurvitch, Dialektik und Soziologie, Neuwied 1965, S. 230 ff. Die genauere Erörterung des Methodenproblems hier in Kap. V. 223. Hans Freyer, Gesellschaft und Kultur, a. a. O. S. 566. 224. Die hier aufgezählten Charakteristika sind nicht allein für die Kultursoziologie Freyers typisch, sondern sie scheinen allgemein für „Philosophen" zu gelten, die vom großen Publikum leben. Vgl. Michel Lamont, How to Become a Dominant French Philosopher: The Case of Jacques Derrida, in: American Journal of Sociology 91, 1987, S. 591 ff.
Anmerkungen zu Kapitel V: Dialektische Methode und Geschichte 1. Bei der Abfassung dieses Kapitels haben mir meine Notizen aus der Vorlesung von Prof. Dr. Walter L. Bühl zum Thema „Dialektische Soziologie" wertvolle Dienste in der Gewinnung eines analytischen Bezugsrahmens geleistet. 2. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft (1930), Darmstadt-Stuttgart 1964, beide Zitate S. 35. 3. Vgl. Michael Theunissen, Sein und Schein: Die kritische Funktion der Hegeischen Logik, Frankfurt 1978, S. 142 ff.; ebenso vgl. Theodor Litt, Hegel: Versuch einer kritischen Erneuerung. Heidelberg 1953, S. 242 ff. 4. Diese Unterscheidung stammt von Karl Marx und wird dargestellt in Karl Marx, Einleitung und Rohentwurf des .Kapitals', S. 420, in: Karl Marx, Ausgewählte Schriften, herausgegeben von Boris Goldenberg. München 1962, S. 390-423. 5. Georges Gurvitch, Dialektik und Soziologie. Neuwied 1965, S. 37. 6. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O. S. 34, S. 305. 7. Hans Freyer, Der Staat, Jena 1925, Zitate S. 27, S. 20. 8. Vgl. Hans Freyer, Prometheus. Ideen zur Philosophie der Kultur. Jena 1923, S. 130. 9. Hans Freyer, Revolution von rechts. Jena 1931, S. 5, S. 52 f. 10. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O. S. 196. 11. Vgl. Hans Freyer, Machiavelli. Weinheim 1986, S. 73 ff.; vgl. Hans Freyer, Preußentum und Aufklärung. Weinheim 1986, S. 67 ff. 12. Vgl. Elfriede Uner, Nachwort zu Hans Freyer, Machiavelli, a. a. O. S. 121 f., vgl. Hans Freyer, Theorie des gegenwärtigen Zeitalters, Stuttgart 1955, S. 133 ff., S. 161 ff. 13. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O. S. 103, S. 300 f. 14. Hans Freyer, Revolution von rechts, a. a. O. S. 6. 15. Hans Freyer, Preußentum und Aufklärung, a. a. O. S. 40. 16. Hans Freyer, Der Staat, a. a. O. S. 25.
Anmerkungen 17. 18. 19. 20.
21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32.
33. 34. 35. 36.
37. 38. 39. 40. 41. 42. 43. 44. 45. 46. 47. 48. 49. 50. 51. 52.
zu Kapitel V: Dialektische Methode und Geschichte
257
Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O . S. 304. Hans Freyer, Theorie des gegenwärtigen Zeitalters, Stuttgart 1955, S. 247. Hans Freyer, Der Staat, a. a. O . S. 25. Der Ansatzpunkt dieser „Offenheit" scheint schon in der Fichte-Interpretation zu liegen. Vgl. Hans Freyer, Das Material der Pflicht, S. 101 f., in: Preußentum und Aufklärung, a. a. O. S. 71-109. In „Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft" wird diese „Offenheit" zum Problem des Dezisionismus in der Situation des „Nadelöhrs" (vgl. ebd. S. 89). Vgl. Karl R. Popper, Was ist Dialektik? (1949), S. 263 f., in: Ernst Topitsch, Hg., Logik der Sozialwissenschaften. Köln 1965, S. 262-288. Rüdiger Bubner, Dialektik und Wissenschaft. Frankfurt 1973,S. 129. Vgl. Georges Gurvitch, Dialektik und Soziologie, a. a. O. S. 230 ff. Vgl. Nicholas Rescher, Dialectics. Albany 1977, S. 61-68. Vgl. Georges Gurvitch, Dialektik und Soziologie, a. a. O. S. 274 f. Vgl. Ernst Topitsch, Die Sozialphilosophie Hegels als Heilslehre und Herrschaftsideologie. Neuwied 1967, S. 58 f. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O . S. 167. Ebenda S. 167 f. Vgl. ebenda S. 304. Vgl. Walter L. Bühl, Dialektische Soziologie und soziologische Dialektik, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 21, 1969, S. 730 f. Vgl. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O. S. 150 ff. Auch die bei Theodor Litt und Hans Freyer angefertigte Dissertation von Ernst Manheim, Zur Logik des konkreten Begriffs. München 1930 (Diss. Leipzig 1928), fördert hierzu außer den logisch dürren Relationen nichts Neues zutage. Darin vergleichbar der „dialektischen Wendigkeit" Lenins; vgl. Wilhelm Goerdt, Die „allseitige universale Wendigkeit" in der Dialektik V. I. Lenins. Wiesbaden 1962, S. 68. Vgl. Georges Gurvitch, Dialektik und Soziologie, a. a. O. S. 224 ff., S. 219 f. Ebenda S. 223. Ebenda S. 223. Die Reihenfolge wurde hier allerdings umgestellt, insofern die „dialektische Polarisierung" dem Negationspol sicher am nächsten steht, während die „Reziprozität der Perspektiven" sowohl Chancen der Ubereinstimmung wie Risiken des Konflikts in sich birgt. Ebenda S. 231. Ebenda S. 242. Ebenda S. 246. Ebenda S. 258. Ebenda S. 252. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O . S. 228, S. 303. Hans Freyer, Theorie des objektiven Geistes, Darmstadt 1966, S. 129. Vgl. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O . S. 167, S. 226 ff.; Zitate S. 167, S. 226, S. 109. Vgl. Hans Freyer, Theorie des gegenwärtigen Zeitalters, a. a. O., S. 88, S. 245. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O . S. 89, S. 195. Hans Freyer, Revolution von rechts, a. a. O. S. 12. Vgl. Hermann Lübbe, Die resignierte konservative Revolution, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 115 (1959), S. 131-138. Hans Freyer, Theorie des objektiven Geistes, a. a. O. S. 94. Vgl. Hans Freyer, Der Staat, a. a. O . S. 42 ff., S. 130 ff. Vgl. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O . S. 196 f., S. 307. Vgl. Hans Freyer, Theorie des gegenwärtigen Zeitalters, a. a. O. S. 244; dort heißt es: „In der Tat ist die Menschlichkeit in jedem einzelnen Fall eine Insel des Sinns in einer zwar nicht sinnlosen, aber nicht-menschlichen Welt - eine Insel, die, sei es in glückhafter Fahrt, sei es im Abenteuer, sei es im Schiffbruch, erreicht worden ist und die nun gehalten werden muß". Diese Auffassung ist - ziemlich unbefragt - in die deutsche Nachkriegssoziologie übernommen worden, wenn sich Helmut Schelsky und Ralf Dahrendorf, Theodor W. Adorno oder Herbert Marcuse über alle Weltanschauungskämpfe hinweg auf die Grundfigur des „eximierten Individuums" und einer „transzendentalen Soziologie" einigen. Vgl. Helmut Schelsky, Ortsbestimmung der deutschen Soziologie. Düsseldorf 1959, S. 101 ff.
258
Anmerkungen
zu Kapitel V: Dialektische Methode und Geschichte
53. Georges Gurvitch, Dialektik und Soziologie, a. a. O. S. 205. 54. Vgl. Herbert Simon, Die Architektur der Komplexität, in: Walter L. Bühl, Reduktionistische Soziologie. München 1974, S. 255 ff. 55. Vgl. Mario Bunge, Scientific Research I. Berlin 1967, S. 194 f. 56. Vgl. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O. S. 197. 57. Hans Freyer, Theorie des objektiven Geistes, a. a. O. S. 129. 58. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O. S. 305, S. 307. 59. Hans Freyer, Schwelle der Zeiten. Stuttgart 1965, S. 322, S. 333. 60. Vgl. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O. S. 218, Zitat S. 303. 61. Vgl. ebenda S. 187-199; Zitate S. 193, S. 187. 62. Alle drei Zitate ebenda S. 193 f. 63. John Stuart Mill, System of Logic, Ratiocinative and Inductive. London 1843. 64. Vgl. Karl Mannheim, Man and Society in an Age of Reconstruction. London 1951, S. 177 ff. 65. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O. S. 184. 66. Ebenda S. 194. 67. Ebenda S. 194. 68. Etwa zur gleichen Zeit hat Arnold Gehlen die Forderung gestellt, daß das Individuum seinen Platz in der Situation finden müsse, alles andere sei eine Versündigung gegen die Wirklichkeit. Es ist trotz aller Betonungen des Handelns - ein ähnlicher Rekurs auf die Eigengesetzlichkeit der Wirklichkeit enthalten wie bei Freyer. Arnold Gehlen, Wirklicher und unwirklicher Geist (1933). Arnold Gehlen Gesamtausgabe, Philosophische Schriften I, Frankfurt 1978, vgl. S. 138. 69. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O. S. 305. 70. Karl Mannheim, Man and Society in an Age of Reconstruction, a. a. O.; Zitate S. 188, S. 178. 71. Karl Mannheim, Ideologie und Utopie (1929). Frankfurt 1952, vgl. S. 102-128. 72. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O. S. 226. 73. Vgl. Walter L. Bühl, Funktionalismus und Strukturalismus, in: Walter L. Bühl, Hg., Funktion und Struktur. München 1975, S. 35-60. 74. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O. S. 197. 75. Vgl. Paul Ricoeur, Hermeneutik und Strukturalismus. München 1973, S. 59-79. 76. Vgl. vor allem Michel Foucault, Archäologie des Wissens. Frankfurt 1973, S. 23 ff. 77. Dies ist der wesentliche Inhalt der Auseinandersetzung von Lévi-Strauss mit Sartre. Vgl. Claude Lévi-Strauss, Das wilde Denken. Frankfurt 1968, S. 295 ff. 78. So der methodologische Versuch von Max Gluckman, Gleichgewichtsmodell und sozialer Wandel, in: Walter L. Bühl, Hg., Funktion und Struktur, a. a. O. S. 203 ff. 79. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O. S. 194. 80. Ebenda S. 197. 81. Ebenda S. 196. 82. Michael Theunissen, Hegels Lehre vom absoluten Geist als theologisch-politischer Traktat. Berlin 1970, S. 366 ff. 83. Hans Freyer, Theorie des objektiven Geistes, a. a. O. S. 88. 84. Hans Freyer, Der Staat, a. a. O. S. 25. 85. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O. S. 76. 86. Vgl. ebenda S. 220f. 87. Michael Theunissen, Hegels Lehre vom absoluten Geist als theologisch-politischer Traktat, a. a. O. S. 378. In Hegels „Vorlesungen über die Philosophie der Religion", herausgegeben von G. Lasson, Hamburg 1966, Bd. 4, S. 228, heißt es: „Die Philosophie ist insofern Theologie. Sie stellt die Versöhnung Gottes mit sich selbst und mit der Natur dar, daß die Natur, das Anderssein an sich göttlich ist und daß der endliche Geist teils an ihm selbst ist, sich zur Versöhnung zu erheben, teils in der Weltgeschichte zu dieser Versöhnung kommt, diese Versöhnung hervorbringt". 88. Hans Freyer, Der Ernst des Fortschritts, in: Hans Freyer, Schwelle der Zeiten, a. a. O. S. 300, S. 302. 89. Jean-Paul Sartre, Marxismus und Existentialismus. Reinbek 1964, S. 130. 90. Ebenda S. 116, S. 118. 91. Claude Lévi-Strauss, Das wilde Denken. Frankfurt 1968, S. 295. 92. Vgl. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O. S. 199. 93. Claude Lévi-Strauss, Das wilde Denken, a. a. O. S. 299.
Anmerkungen
zu Kapitel V: Dialektische Methode und Geschichte
259
94. Vgl. Paul Ricoeur, Struktur und Hermeneutik, in: Paul Ricoeur, Hermeneutik und Strukturalismus. München 1973, S. 59 ff. 95. Paul Ricoeur, Die Interpretation: Ein Versuch über Freud. Frankfurt 1969, S. 479. 96. Vgl. Claudia Honegger, Michel Foucault und die serielle Geschichte, in: Merkur 36 (1982), S. 500-524; Peter Sloterdijk, Michel Foucaults strukturale Theorie der Geschichte, in: Philosophisches Jahrbuch 1972, S. 161-184. 97. Bei Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O. S. 226, heißt es: „Wir denken systematisch - unter Abstraktion von der Kontinuität der Geschichte - von einem reinen Typus zum andern hin: doch so, daß jeder Typus seinen festen Stellenwert in der Gesamtreihe findet und daß die ihm immanente Dialektik, die ihn in den nächsten weitertreibt, in den Begriffsinhalt aufgenommen wird. Die Reihe der soziologischen Strukturbegriffe verhält sich dann zum Ganzen der gesellschaftlichen Wirklichkeit so, wie sich der einzelne Strukturbegriff zum individuellen Gesellschaftsgebilde verhält". 98. Vgl. etwa Michel Foucault, Wahnsinn und Gesellschaft. Frankfurt 1969. Die Geburt der Klinik. Frankfurt 1973. 99. Vgl. Michel Foucault, Archäologie des Wissens. Frankfurt 1973, S. 213 ff., S. 10. 100. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O. S. 104, S. 109. 101. Hans Freyer, Theorie des objektiven Geistes, a. a. O. S. 100 ff. 102. Hans Freyer, Der Staat, a. a. O. S. 33, S. 32. 103. Vgl. Hans Freyer, Revolution von rechts, a. a. O. S. 6. 104. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O. S. 206. 105. Hans Freyer, Theorie des gegenwärtigen Zeitalters, a. a. O. S. 28, S. 23. 106. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O. S. 278, S. 285, S. 253. 107. Vgl. z. B. Karl Renner, Das Selbstbestimmungsrecht der Nationen. Wien 1918; Thomas G. Masaryk, Das Problem der kleinen Völker in der europäischen Krisis. Prag 1922; Otto Bauer, Die österreichische Revolution. Wien 1923; Eduard Benesch, Der Aufstand der Nationen. Berlin 1928. 108. Vgl. z.. Friedrich Meinecke, Weltbürgertum und Nationalstaat. München 1908; F. Hertz, Wesen und Werden der Nation, in: Jahrbuch für Soziologie, 1927, 1. Ergänzungsband, S. 1-88; H. O. Ziegler, Die moderne Nation. Tübingen 1931; F. W. Jerusalem, Uber den Begriff der Nation. Akademische Antrittsrede. Jena 1922. 109. Zu der Tatsache, daß diese Deckungsgleichheit weithin eine politische Fiktion ist, bzw. zum Problem der Mehr-Staaten-Nation und des Mehr-Nationalitäten-Staates, vgl. Walter L. Bühl, Evolution und Revolution. München 1970, S. 24, S. 195. 110. Hans Freyer, Theorie des objektiven Geistes, a. a. O. S. 146. 111. Vgl. Hans Freyer, Der Staat, a. a. O. S. 211; Zitat S. 128. 112. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O. S. 253. 113. Hans Freyer, Revolution von rechts, a. a. O., alle Zitate S. 67. 114. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O. S. 101, S. 103. 115. Ebenda S. 301. 116. Hans Freyer, Revolution von rechts, a. a. O. S. 25, S. 25, S. 44. 117. Hans Freyer, Preußentum und Aufklärung, a. a. O. S. 40, S. 47, S. 46. 118. Vgl. Ludwig Landgrebe, Das Problem der Dialektik, in: Iring Fetscher, Hg., Marxismus-Studien III.Tübingen 1960, S. 35. 119. Dieses Problem wird unter veränderten Bedingungen wieder aufgenommen bei Jürgen Habermas, der zwischen Reflexion (Theorie), instrumentellem Handeln (Arbeit) und kommunikativem Handeln (Interaktion) unterscheidet und damit den Dualismus überwindet, wenngleich auch hier die Intersubjektivität als „transzendentales Subjekt", nämlich als Menschengattung, gefaßt wird. Vgl. Jürgen Habermas, Erkenntnis und Interesse. Frankfurt 1968, S. 27, S. 81. Vgl. aber auch die Kritik von Michael Theunissen, Gesellschaft und Geschichte. Berlin 1969, S. 24 ff. 120. Gotthard Günther, Idee und Grundriß einer nicht-Aristotelischen Logik, a. a. O. S. 111 ff. 121. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitwissenschaft, a. a. O. S. 116. 122. Hans Freyer, Theorie des objektiven Geistes, a. a. O. S. 147. 123. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O. S. 225, S. 196, S. 304. 124. Ebenda S. 112. 125. Ebenda S. 226. Vgl. die Analyse im Kapitel II, 2b dieser Arbeit. 126. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O. S. 305, S. 306.
260
Anmerkungen
zu Kapitel V: Dialektische
Methode
und
Geschichte
127. Vgl. gerade auch S. 305, wo von „Realdialektik", „konkreter Soziologie" und „voller Strenge" die Rede ist, während sich widersprechende Prinzipien miteinander verbunden werden. 128. Vgl. Karel Kosik, Die Dialektik des Konkreten. Frankfurt/M. 1967, S. 58. 129. Dieses Problem betrifft allerdings nicht nur Freyer; zum „Voluntarismus von Links", der seit der Studentenrevolte von 1968 in Westeuropa und in den USA zu beobachten ist, vgl. Bernd Guggenberger, Die Neubestimmung des subjektiven Faktors im Neomarxismus. Freiburg 1975, S. 23 ff. 130. So der Titel der Abrechnung mit dem Marxismus und Stalinismus durch Maurice Merleau-Ponty, Die Abenteuer der Dialektik. Frankfurt/M. 1968. Es heißt hier S. 246 f.: „Die Abenteuer der Dialektik, deren allerletztes wir verfolgt haben, sind Selbsttäuschungen, die sie unumgänglich durchlaufen muß, weil sie prinzipiell ein Denken mit mehreren Zentren und mehreren Zugängen ist, das Zeit braucht, um sie alle zu erkunden (...) Die Illusion bestand (...) darin, den Gesamtsinn der Geschichte übereilt in ein historisches Faktum (...) zu setzen und zu glauben, daß die Geschichte selbst ihr eigenes Zusichselbstkommen bewerkstellige (...)". 131. Georges Gurvitch, Dialektik und Soziologie, a. a. O. S. 9f. 132. Vgl. ebenda S. 10. 133. Ausgegangen wird hier von der Konstruktion der Dialektik, nicht von der verbalen Beteuerung, die auch bei Hans Freyer zu finden ist: „Die ,Dialektik' der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung, ihre .Entwicklungstendenzen', ihre .Bewegung' - alles das bedeutet auf seine Substanz reduziert, reales Wollen realer Menschengruppen in realen Situationen". (Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. O. S. 305). Genau besehen bedeutet sie natürlich nicht nur das „Wollen" (das man als Sozialwissenschaftler leicht imputieren kann), sondern auch das „Können", das durch materielle und ideelle Faktoren und durch die Konkurrenz mit anderen Gruppen bestimmt wird. Dies übersieht man jedoch, wenn man eo ipso einen einheitlichen Willen voraussetzt. 134. Maurice Merleau-Ponty, Sens et Non-Sens. Paris 1948, S. 163. 135. Rüdiger Bubner, On Hegel's Significance for the Social Sciences, in: R. S. Cohen, und M. W. Wartofsky, Hg., Hegel and the Sciences. Dordrecht 1984, S. 154. 136. Vgl. Ilya Prigogine und Isabelle Stengers, Dialog mit der Natur: Neue Wege naturwissenschaftlichen Denkens. München 1980, S. 190 ff. 137. Vgl. Theodor Litt, Individuum und Gemeinschaft, Leipzig-Berlin 1919, S. 19; vgl. auch Jonas Cohn, Theorie der Dialektik. Leipzig 1923, S. 310. 138. Vgl. Martin Buber, Zwiesprache (1930), in: Werke, Bd. I, München 1962, S. 171-214; Karl Löwith, Das Individuum in der Rolle des Mitmenschen. München 1928, S. 103-126. 139. Vgl. Herbert Schnädelbach, Reflexion und Diskurs. Frankfurt/M. 1977, S. 140 ff. 140. Für die höhere Gewichtung des Diskurses gegenüber dem Dialog in dialektischer Hinsicht vgl. Paul Ricoeur, Geschichte und Wahrheit. München 1974, S. 60 ff., S. 181 ff. 141. Martin Buber, a. a. O. S. 201. 142. Das ist das Theorem von George Herbert Mead, Mind, Self, and Society. Chicago 1934, S. 269. 143. Karl-Otto Apel, Transformation der Philosophie, Bd. 2, Frankfurt/M. 1973, S. 225. 144. Georges Gurvitch, Dialektik und Soziologie, a. a. O. S. 9. 145. Jürgen Habermas, Theorie und Praxis. Frankfurt/M. 1963, S. 318. 146. George Simmel, Der Streit, S. 246, in: ders., Soziologie. Berlin 1923, 3. Aufl., S. 186-255. 147. Peter-Ernst Schnabel, Die soziologische Gesamtkonstruktion Georg Simmeis. Stuttgart 1974, S. 121-135. 148. Georges Gurvitch, Dialektik und Soziologie, a. a. O. S. 253: „In der menschlichen Realität, und speziell in der gesellschaftlichen wie auch in den sie erforschenden Wissenschaften, trifft man keine kontradiktorischen oder antinomischen Elemente an, die es immer, zu allen Zeiten und an allen Orten, unter allen Umständen und Wendungen bleiben würden, und man kann sie auch nicht antreffen. Spannungen von verschiedenen Graden, Konflikte, Kämpfe, in die Beziehungsformen der Komplementarität, der gegenseitigen Implikation oder der Ambiguität gefaßte Gegensätze können sich zu Antinomien steigern und dann allerdings die Erhellung durch das Verfahren der dialektischen Polarität erfordern. Aber sie können auch in anderen Teilabschnitten sich in ganz anderen Beziehungen befinden und infolgedessen zu ihrer Erforschung die Anwendung anderer dialektischer Verfahren als desjenigen der Polarisation verlangen. Umgekehrt kommt es vor, daß Manifestationen der gesellschaftlichen Realität, die normalerweise als am wenigsten antinomisch und vielmehr einer vollständigen Symmetrie sehr nahe erscheinen, die dann die Erhellung durch die Setzung in die Reziprozität der Perspektiven erfordern würde, Überraschungen bereiten".
Anmerkungen
zu Kapitel
V: Dialektische
Methode
und Geschichte
261
149. Ludwig Landgrebe, Das Problem der Dialektik, a. a. O. S. 62. 150. So heißt es bei Jürgen Habermas, Technik und Wissenschaft als „Ideologie". Frankfurt/M. 1968, S. 163: „Das Interesse an Mündigkeit schwebt nicht bloß vor, es kann a priori eingesehen werden. Das, was uns aus Natur heraushebt, ist nämlich der einzige Sachverhalt, den wir seiner Natur nach kennen können: die Sprache. Mit ihrer Struktur ist Mündigkeit für uns gesetzt. Mit dem ersten Satz ist die Intention eines allgemeinen und ungezwungenen Konsensus unmißverständlich ausgesprochen. Mündigkeit ist die einzige Idee, deren wir im Sinne der philosophischen Tradition mächtig sind". 151. Vgl. Harald Pilot, Jürgen Habermas' empirisch falsifizierbare Geschichtsphilosophie, in: Theodor W. Adorno u.a., Hg., Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie. Neuwied 1969, S. 333 f. 152. Ludwig Landgrebe, Das Problem der Dialektik, a. a. O. S. 61. 153. Niklas Luhmann, Soziale Systeme: Grundriß einer allgemeinen Theorie. Frankfurt/M. 1984. 154. Vgl. die Kritik von Walter L. Bühl, Die Grenzen der Autopoiesis, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 39 (1987), S. 225-254. 155. In „Ökologische Kommunikation", Opladen 1986, S. 63, heißt es: „Die Gesellschaft ist zwar ein umweltempfindliches, aber operativ geschlossenes System. Sie beobachtet nur durch Kommunikation. Sie kann nichts anderes als sinnhaft kommunizieren und diese Kommunikation durch Kommunikation selbst regulieren". 156. So die Kritik von Jürgen Habermas, Der philosophische Diskurs der Moderne. Frankfurt/M., 1985, S. 428 f. 157. Niklas Luhmann, Soziale Systeme, a. a. O. S. 100. 158. Maurice Merleau-Ponty, Die Abenteuer der Dialektik, a. a. O. S. 250. 159. Paul Ricoeur, Geschichte und Wahrheit, München 1974, S. 96. 160. So auch Hans Freyer, Der Ernst des Fortschritts, oder „One World", in: Schwelle der Zeiten, a. a. O. S. 292-303; S. 303-314. 161. So vor allem in: Hans Freyer, Revolution von rechts (1931), Machiavelli (1938) und Preußentum und Aufklärung (1944). 162. Paul Ricoeur, Geschichte und Wahrheit, a. a. O., beide Zitate S. 104. 163. Vgl. Gerard Radnitzky, Das Problem der Theoriebewertung, in: Zeitschrift für allgemeine Wissenschaftstheorie 10, 1979, S. 67-97.
Literatur
I.
Werke von Hans Freyer
Es werden nur die zu dieser Arbeit herangezogenen Werke Freyers aufgeführt. Eine vollständige Bibliographie Hans Freyers ist bereits veröffentlicht in: Hans Freyer, Herrschaft, Planung und Technik. Hg. von Elfriede Üner. Weinheim 1987, S. 175-197.
1. Selbständige Schriften Geschichte der Geschichte der Philosophie im achtzehnten Jahrhundert. (Phil. Diss. Leipzig 1911). 16. Heft der Beiträge zur Kultur- und Universalgeschichte, hg. von Karl Lamprecht. Leipzig 1912. Antäus. Grundlegung einer Ethik des bewußten Lebens (1918). 2. Aufl. Jena 1922. Die Bewertung der Wirtschaft im philosophischen Denken des 19. Jahrhunderts (Habilitationsschrift 1921). Arbeiten zur Entwicklungspsychologie Heft 5, hg. von Felix Krueger. Leipzig 1921. Theorie des objektiven Geistes. Eine Einleitung in die Kulturphilosophie (1923). Nachdruck der 3. Aufl. Darmstadt-Stuttgart 1966. Prometheus. Ideen zur Philosophie der Kultur. Jena 1923. Der Staat. Leipzig 1925. Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft. Logische Grundlegung des Systems der Soziologie (1930). Nachdruck Darmstadt-Stuttgart 1964. Einleitung in die Soziologie. Leipzig 1931. Revolution von rechts. Jena 1931. Der politische Begriff des Volkes. Kieler Vorträge Heft 4. Neumünster 1933. Pallas Athene. Ethik des politischen Volkes. Jena 1935. Die politische Insel. Eine Geschichte der Utopien von Piaton bis zur Gegenwart. Leipzig 1936. Gesellschaft und Geschichte. Leipzig-Berlin 1937. Machiavelli (1936). Weinheim 1986. Weltgeschichte Europas. 2 Bände. Wiesbaden 1948; 2. Aufl. in einem Band, Stuttgart 1954.
264
Literatur
Theorie des gegenwärtigen Zeitalters. Stuttgart 1955. Schwelle der Zeiten. Beiträge zur Soziologie der Kultur. Stuttgart 1965.
2. Sammelbände,
postum
veröffentlicht
Gedanken zur Industriegesellschaft. Postum besorgt von Arnold Gehlen. Mainz 1970. Preußentum und Aufklärung und andere Studien zu Ethik und Politik. Herausgegeben und kommentiert von Elfriede Üner. Weinheim 1986. Herrschaft, Planung und Technik. Aufsätze zur politischen Soziologie. Herausgegeben und kommentiert von Elfriede Üner. Weinheim 1987.
3. Veröffentlichungen
in Zeitschriften und
Sammelwerken
Rezension von Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, in: Die Tat 11, Band I, 1919/20, S. 304-308. Das Problem der Utopie, in: Deutsche Rundschau, 183. Band, 46, 1920, S. 321-345. Musik und Erziehung, in: Halbmonatsschrift für Schulmusikpflege 20, 1925, H. 14 S. 97-99; H. 15, S. 105-107. Soziologie als Geisteswissenschaft, in: Archiv für Kulturgeschichte 16, 1926, S. 113-126. Geschichte und Soziologie, in: Vergangenheit und Gegenwart 16, 1926, S. 201-211. Sprache und Kultur, in: Die Erziehung 3, 1927, S. 65-78. Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, in: Zeitschrift für Völkerpsychologie und Soziologie 5, 1929, S. 257-266. Rezension von Othmar Spann, Gesellschaftsphilosophie, in: Kölner Vierteljahrshefte für Soziologie 8, 1929/30, S. 233-238. Gemeinschaft und Volk, in: Philosophie der Gemeinschaft, Sonderheft 2 der Deutschen Philosophischen Gesellschaft, hg. von Felix Krueger. Berlin 1929, S. 7-22. Die geistige Gestalt der Gegenwart und die Volkshochschule, in: Die Erziehung 4, 1929, S. 283-300. Die Aufgabe der Soziologie, in: Die Volksschule 25, 1929/30, S. 625-633. Typen und Stufen der Kultur, in: Alfred Vierkandt, Hg., Handwörterbuch der Soziologie. Stuttgart 1931, S. 294-308. Die Systeme der weltgeschichtlichen Betrachtung, in: Propyläen-Weltgeschichte, hg. von Walter Goetz, Band 1: Das Erwachen der Menschheit. Berlin 1931, S. 3-28. Volkwerdung. Gedanken über den Standort und über die Aufgaben der Soziologie, in: Volksspiegel 1, 1934, S. 3-9. Das Volk als werdende Ganzheit, in: Ganzheit und Struktur. Festschrift zum 60. Geburtstag von Felix Krueger. Neue psychologische Studien 12, H. 3, 1934, S. 1-8. Friedrich Nietzsche 1844-1900, in: Die großen Deutschen. Neue deutsche Biographie, Band IV, hg. von Willy Andreas/Wilhelm Scholz. Berlin 1936, S. 39-60. Nachwort zu Friedrich Nietzsche, Zum Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben. Leipzig 1937, S. 89-95. Johann Gottlieb Fichte, in: Sächsische Lebensbilder, Band 2, hg. von der Sächsischen Kommission für Geschichte. Leipzig 1938, S. 114-132.
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II.
Werke anderer
Autoren
ABELEIN, M A N F R E D , Die Kulturpolitik des Deutschen Reiches und der Bundesrepublik Deutschland. Köln 1968. A B E N D R O T H , W O L F G A N G , Die Funktion des Politikwissenschaftlers und Staatsrechtslehrers Hermann Heller in der Weimarer Republik und in der Bundesrepublik Deutschland, in: Christoph Müller/Ilse Staff, Hg., Der soziale Rechtsstaat. Baden-Baden 1984, S. 213-233. A D O R N O , T H E O D O R W. u.a., Hg., Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie. Neuwied 1969. ALBERT, H A N S / E R N S T T O P I T S C H , Hg., Werturteilsstreit. Darmstadt 1979. A L M O N D , GABRIEL/SIDNEY VERBA, The Civic Culture. Princeton 1963. A L M O N D , GABRIEL/G.B. POWELL, Comparative Politics. Boston 1966. A N O N Y M , Rezension von Hans Freyer, Der Staat, in: Der Gerichtssaal 97, 1928, S. 115-116. APEL, K A R L - O T T O , Transformationen der Philosophie. Band 2. Frankfurt/Main 1973. A R O N , R A Y M O N D , Frieden und Krieg. Eine Theorie der Staatenwelt. Frankfurt/Main 1963. BAIER, HORST, Die Gesellschaft - ein langer Schatten des toten Gottes, in: Wolfgang MüllerLauter/Volker Gebhardt, Hg., Nietzsche-Studien, Band 10/11, 1981/82. Berlin-New York 1982, S. 6-33. BAUER, O T T O , Die österreichische Revolution. Wien 1923. BECKER, CARL H E I N R I C H , Vom Wesen der deutschen Universität. Leipzig 1925. BECKER, H O W A R D , Soziologie als Wissenschaft vom sozialen Handeln. Würzburg 1958. BELOW, G E O R G von, Soziologie als Lehrfach: Ein kritischer Beitrag zur Hochschulreform. München 1920. BEN-DAVID J O S E P H , The Scientist's Role in Society. Englewood Cliffs, N.J. 1971. BEN-DAVID, J O S E P H / R A N D A L L COLLINS, Soziale Faktoren im Ursprung einer neuen Wissenschaft: Der Fall der Psychologie, in: Peter Weingart, Hg., Wissenschaftssoziologie. Frankfurt/Main 1974, S. 122-152. BENDIX, R E I N H A R D / S E Y M O U R M A R T I N LIPSET, Political Sociology: An Essay and Bibliography, in: Current Sociology 6, 1957, S. 79-91. BENESCH, E D U A R D , Der Aufstand der Nationen. Berlin 1928. BERDJAJEW, N I K O L A I , Der Mensch und die Technik (1934). Zürich 1971.
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Personenregister
Abelein, M. 247 Abendroth, W. 238 Achelis, J . D. 12 Adler, M. 1 2 , 2 1 5 , 2 1 7 Adorno, Th. W. 11, 14, 117, 233, 247, 257 Aeschlimann, K. 215 Ahlmann, W. 2 1 8 , 2 4 4 Albert, H. 255 Almond, G. 235 Apel, K . - 0 . 2 1 1 , 2 6 0 Arendt, H. 175 Aron, R. 101,239 Ashby, W. R. 179 Aster, E. von 236 Aufmuth, U. 216 Baier, H. 245 Barth, K. 67 Bartók, Β. 143 Bassenge, F. 219 Bauer, O. 259 Beard, C. 235 Becher, J. R. 165 Becker, C. H. 10, 15, 147, 217, 251 Becker, H. 159, 252 Beckmann, M. 143 Below, G. 236 Ben-David, J. 1 9 , 2 2 0 , 2 5 1 Bendili, R. 234 Benesch, E. 259 Berdjajew, Ν. 111,241 Berg-Schlosser, D . 235 Bergsträßer, Α. 215 Berger, P. 66, 223, 231 Bering, D. 217 Bernfeld, S. 215 Betti, Emilio 7 0 , 2 3 2 , 2 3 3
Binswangen L. 67 Bismarck, O. von 135 Bloch, E. 150, 184, 220 Bloßfeld, W. 12, 218f. Blüher, H. 2 Boehm, M. H. 83, 232 Bogdanow, Α. 217 Bohnenkamp, Η. 215 BoUnow, O. F. 215, 252 Bommersheim, P. 217 Borinski, F. 215, 218, 229, 238, 248 Bourdieu, P. 160, 241, 252 Brand, G. 223 Brügmann, Κ. 215 Buber, M. 7 , 2 1 1 , 2 2 3 , 2 6 0 Bubner, R. 1 8 9 , 2 5 7 , 2 6 0 Buchheim, Κ. 221 Bücher, Κ. 24 Bühl, W. 222f., 228, 231, 240f., 246, 248f., 255f., 257f. Bühler, K. 222, 225 Bunge, M. 258 Burckhardt,]. 1 3 5 , 1 4 1 , 2 4 8 Cahnmann, W. 144,248 Camus, A. 67 Caporaso, J . A. 240 Carnap, R. 215 Claesges, U . 223 Clark, T. N . 220 Cohen, H. 29 Cohn, J . 260 Comte, Α. 90, 161, 249 Conze, W. 171 Crane, D. 220 Curtius, E. R. 144, 145f.
248f.
288
Personenregister
Dallmayr, F. 231 Dederke, Κ. H. 248 Delaunay, S. 165 Demo, P. 232,233 Dempf, A. 248 Dessauer, F. 241, 249 Diederichs, E. lf., 245 Dilthey, W. 25, 35-37, 49, 135, 157, 184, 227, 249 Dix, O. 249 Döderlein, L. 218 Douglas, J. D. 231 Driesch, H. 21,219,254 Drucker, H. 218f. Dürckheim, Graf K. von 222 Durkheim, E. 39, 154, 167, 224, 251 Eckhardt, G. 252 Eckert, R. 255 Ehrenstein, A. 7 Eisner, K. 215 Eliade, M. 173 Ellwein, T. 107f., 241 Engelberg, E. 221 Eschmann, E. W. 61 Eucken, R. 29,76 Evans, P. 240 Eykmann, Ch. 217, 249 Fechner, G. T. 21 Fellmann, F. 222-224 Feuerbach, L. 211 Fichte, J. G. 16, 21, 64, 85f., 91, 97f., 118f., 126, 247, 257 Fick, L. 229 Fischer, H. 15,219 Fischer-Reisig, H. 215, 218 Flitner, W. 215 Forsthoff, E. 108, 241 Foucault, M. 72,201,203, 233, 258f. Frankenfeld, H. 254 Franz, G. 247 Freud, S. 193,202,222 Frey, G. 232,233 Fürst, F. 240 Garfinkel, H. 66,231 Gay, P. 222 Gehlen, A. 21, 32f., 64f., 75, 112-116, 160, 173, 178, 214, 224, 230f., 233, 236, 238, 242f., 247, 255f. Geiger, Th. 32,59, 61, 68,229,231 Gielke, R. 232 Giere, W. 232 Gläß, Th. 215 Gluckman, M. 258 Goerdeler, C. 244
Goerdt, W. 257 Goethe, J. W. von 22, 57, 129, 148 Goetz, W. 13, 24, 154, 221, 251 Gorges, I. 241 Gorman, R. 231 Grau, G.-G. 233 Greifenhagen, M. 235 Greven, M. 243 Günther, G. 64-66, 68, 114f., 211, 230f., 242, 247, 259 Günther, H. F. K. 248 Günzel, K. 12, 218f. Guggenberger, B. 260 Gumplowiciz, L. 175 Gundlach, H. 251 Gurland, A. 14,219 Gurr, T. R. 240 Gurvitch, A. 66 Gurvitch, G. 186, 189, 191f., 196, 198, 209, 212, 220, 256ff., 260 Habermas, J. 116f., 171, 233, 243, 254, 259ff. Haering, Th. 59, 228 Handjieff, W. 219 Hartmann, N. 35, 224 Hasenclever, W. 216 Hassel, U. von 244 Hebbel, F. 22 Hecker, K. 12, 218f. Hegel, G. W. F. 2, 16, 21, 29, 33, 35, 37, 46, 50, 53-60,64,67, 70, 74, 79f., 84f., 98,117,127,148, 150,158, 162, 167, 175,179,183f., 181-188, 190, 195, 201-206,212f., 219, 221, 228, 230,256, 258 Heidegger, M. 31, 44, 62, 67, 223-225 Heimann, E. 13 Heimpel, H. 227 Heinemann, F. 223, 249 Heller, A. 250 Heller, H. 13f., 59, 81, 90f., 93-96, 99, lOlf., 136, 215, 223, 228, 235, 237f., 240 Hellpach, W. 153 Hempel, K. G. 79, 235 Hennig, E. 229,243 Hennis, W. 163,238,253 Henshel, R. L. 228 Herder, J. G. 154, 167 Herf, J. 252 Hermand, J. 234,248 Hermberger, P. 14 Hertz, F. 259 Hesse, J. J. 240 Heuß, Th. 83 Heybey, W. 218 Hildebrandt, W. 163,253 Hiller, K. 7f„ 217 Hirsch, Emanuel 248
Personenregister
289
Hirsch, Eric D. 232, 233 Hitler, A. 117,242 Höhn, R. 83, 233 Honegger, C. 259 Horkheimer, M. 14,117,247 Horowitz, I. L. 235 Hülsdünker, J. 236 Huizinga, J. 112,242 Humboldt, W. von 39, 167f. Husserl, E. 30, 33, 38, 65-67, 171, 223, 225
Kraft, J. 229 Kraft, V. 223 Krieck, E. 217 Krockow, Ch. 229 Krueger, F. 24f., 154, 219, 221f., 245 Kuerten, W. 219 Külpe, O. 222 Kuhn, Th. 18,220 Kun, Bela 150 Kupfer, J. 218f.
Ipsen, G.
Laing, R. 67 Lamont, M. 256 Lamprecht, K. 20-25, 80, 135, 154-158, 160-162, 164, 166f., 221f.,251f. Landgrebe, L. 259ff. Landmann, M. 237, 249 Lang, F. 110 Landshut, S. 53, 61, 227, 230 Laqueur, W. 215, 228, 234, 247f. Lasswell, H . 223 Lazarsfeld, P. 12,215 Lederer, E. 151f., 250 Ledig, G. 230 Leisegang, H. 35 Lehmann, G. 230 Lenin, V. I. 257 Lenk, K. 59,229,235,255 Lenz, R. 216 Leonhard, R. 7 Lepenies, W. 61,226,229 Lepsius, M. R. 217, 235 Lévi-Strauss, C. 201f., 258 Liebknecht, K. 83 Linde, H. 11, 218-220,222 Lipset, S. 234 Litt, Th. 8, 13f., 32f., 35, 89-91, 210, 215, 219, 224, 237, 249, 252, 256f., 260 Löwith, K. 31, 223, 224 Lorenz, K. 161,184,252 Luckmann, Th. 66 Lübbe, H . 223, 231, 234, 241, 247, 256f. Lütkens, Ch. 229 Luhmann, N . 212f., 228, 261 Lukács, G. 83,149-151,184,247,250 Luxemburg, R. 83
llf., 15, 83, 168, 171, 219, 241, 253f.
Jahoda, M. 12,79,215 Jaspers, K. 31, 67, 111, 144f., 223f., 242, 248 Jay, M. 218,220,230 Jerusalem, F. W. 259 Jolies, Α. 168 Jonas, F. 235 Jünger, E. 232,248 Jungk, R. 241,248 Käsler, D. 217 Kafka, F. 143 Kalberg, S. 250 Kant, I. 2, 22, 98, 122, 124, 150, 159, 161 Kantorowicz, H . 152, 250 Kaufmann, F. 249 Kautsky, K. 223 Kawerau, S. 248 Keim, H. 218f. Kelsen, H . 59,228,238 Kempski, J. von 244 Keohane, R. 220 Kern, P. 244 Kerschensteiner, G. 110 Kettler, D. 250 Kierkegaard, S. 111 Kiesewetter, H . 229 Kindt, W. 215f., 218, 234 Kissling, J. B. 96, 224, 235, 247 Klages 62, 151, 228, 230, 239, 250 Klatt, F. 13 Klingemann, C. 236 Klocke, H. 245 Koehler, W. 222 Koellreutter, O . 230 König, R. 120f., 125, 215, 233, 238, 344, 246 Koffka, K. 222 Kolinsky, E. 216,253 Kopp, Β. 248 Korsch, Κ. 83 Koselleck, R. 171 Kosik, K. 208,260 Koslowski, P. 256 Kracauer, S. 12,238
Maier, J. 14,218 Manheim, E. 14, 218f., 257 Mann, Th. 129,217 Mannheim, K. 29, 47, 50, 62, 68, 72, 75, 81f., 84, 108f., 151f., 184,198f., 223, 226f., 229-231,233, 235f., 241, 247, 250, 258 Marek, S. 62, 230 Marcel, G. 67
290
Personenregister
Marcuse, H. 62, 126, 170, 222, 230, 232f., 243, 246, 254, 257 Markert, W. 14,219 Martius, G. 236 Marx, K. 61, 111, 117, 148, 184, 190f., 203, 205, 219, 221 f., 229, 256 Masaryk, T. G. 259 Matthiesen, U. 231 Maus, H. 222 Maus, I. 238f. Mayr, E. 252 Mead, G. H. 155, 260 Mehan, H. 231 Meinecke, F. 76,259 Meist, Κ. R. 223 Meja, V. 226 Merleau-Ponty, M. 66, 210, 260f. Merriam, Ch. E. 235 Merton, R . K . 234,256 Metz, Κ. 251 f. Meyer, Κ. 238 Michels, R. 82, 223 Mill, J. St. 198,258 Mills, C. W. 80 Mommsen, W. 79, 229 Mondrian, P. 143 Monod, G. 251 Morgenthau, H. 235 Mosca, G. 82 Much, H. 216 Mühlmann, W. E. 252 Müller, M. 61,230 Müller, Ch. 238, 246f. Muller, J. 217,229,232 Mullins, Ν. 220 Nadler, J. 248 Natanson, M. 60 Natorp, P. 2 , 2 9 , 7 6 , 2 1 5 Naumann, F. 83, 219, 221 Neidhardt, F. 220 Neuloh, O. 216 Neumann, A. 219 Neumann, S. 14, 142, 248 Neurath, O. 79,235 Niekisch, E. 83 Nietzsche, F. 117, 125, 158, 218, 245f. Nitta, R. 220 Nitzschke, H. 48, 111, 117, 125, 219, 246, 254 Nohl, H. 215 Novalis 247 Novik, I. B. 115 Oppenheim, P. 79 Oppenheimer, F. 90, 175, 237 Orff, C. 143
Ortega Y Gasset, J. Ortutay, G. 12 Ostwald, W. 21
111,241
Paetel, K. O. 228 Palyi, M. 250 Pankoke, E. 238 Panofsky, E. 252 Papcke, S. 233 Parsons, T. 62,80,116,243 Pfänder, A. 66 Pieper, J. 230 Pilot, H. 261 Pinthus, K. 165, 216f., 253 Piaton 120, 159 Plenge, J. 23, 29, 62, 80, 221, 225, 230 Plessner, H. 111,144,160,242,248 Pöggeler, O. 233 Poggioli, R. 227 Pollock, F. 14 Polin, H. 218f. Popitz, J. 244 Popper, K. 79, 152, 188, 235, 257 Portinaro, P. 238 Posener, J. 249 Prier, R. 248 Prigogine I. 260 Prisching, M. 247 Pye, L. 235 Quaritsch, H. 229 Radbruch, G. 136,215,238 Radnitzky, G. 220, 261 Rammstedt, O. 233 Raupach, H. 215,234 Rauschning, H. 246 Reisig, H. 219,249 Renner, K. 259 Rescher, N. 257 Rickert, H. 53, 58 Ricoeur, P. 66, 160f., 201f., 213, 233, 252, 258f., 260f. Riesman, D. 117 Rilke, R. M. 216, 254 Ringer, F. K. 249 Ritter, E. H. 240 Ritter, J. K. 248 Robbers, G. 238f. Robinson, J. H. 251 Rockman, B. A. 240 Rosenau,J.W. 240 Rosenzweig, F. 31,223 Rousseau, J. J. 97 Rubiner, L. 7f. Rüegg, W. 216,222,229
Personenregister Saage, R. 232 Salomon-Delatour, G. 235 Salz, A. 217 Sartre, J. P. 67, 201 f., 231, 258 Sauer, Wilhelm 237 Sauer, Wolfgang 250 Schäfers, B. 220f. Schefold, D. 239 Scheler, M. 29f., 48, 65f., 72, 80, 82, 112, 151f., 160, 184, 220, 223, 226, 233, 238, 242, 255 Schelling, F. W. J. 16,57 Schelsky, H. 32f., 64f., 75, 82, 107, 115, 117, 224, 230f., 234, 236, 241-244, 247, 257 Schieder, W. 215 Schindler, N. 218 Schlegel, F. 201 Schluchter, H. 229 Schmid, C. 119,244 Schmitt, C. 59, 94, 228f., 232, 238 Schmoller, G. 154 Schnabel, P. E. 260 Schnädelbach, H. 260 Schneede, U. 247, 249 Schneider, H.-P. 247 Schönberg, A. 143 Schönebaum, H. 221 Schorn-Schutte, L. 251 Schreyer, L. 7 Schroder, H. 233 Schüddekopf, Ο. E. 228 Schütz, Α. 30, 65, 66, 223 Schulze, W. 254 Schumpeter, J. 255 Seititz, C. 235 Shils, E. 220 Sieyés, E . J . 100 Simmel, G., 29, 35, 41f., 50f., 146f., 171, 212, 237, 242, 249, 254, 260 Simmonds, A. P. 224, 233 Simon, H. 258 Skocpol, Th. 240 Sloterdijk, P. 259 Smend, R. 59, 89, 237 Söllner, A. 337 Sombart, N. 241 Sombart, W. 29, 76, 80, 109f., 155, 250 Sontheimer, Κ. 232, 237 Spann, O. 49, 83, 90, 201, 217, 219, 227, 232, 237, 248 Speer, Α. 246 Spengler, O. 4, 29, 44, 50, 73, 164, 216f., 227, 232, 248 Spiegelberg, Η. 220 Spranger, E. 49,215,235 Staff, I. 239 Stammer, O. 82, 235f.
291
Stapel, W. 248 Stark, M. 247 Stein, Lorenz von 21, 23, 93, 101, 117, 135, 184, 219, 229, 238 Stölting, E. 233 Szacki, J. 220 Szemkus, Κ. 229 Taschdjian, E. 255 Tenbruck, F. 106,240 Theunissen, M. 256, 258f. Thier, E. 219 Tillich, P. 8f., 12-15, 67, 145, 215, 217, 249 Tocqueville, A. de 82 Tönnies, F. 7f., 46, 88, 217, 219, 237 Töpner, K. 247 Toller, E. 8,110 Trautmann, W. 233 Trepp, E. 2 Troeltsch, E. 21, 76, 80 Trommler, F. 248 Trotzki, L. 127f., 246 Ulich, R. 217 Ullrich, O. 242 Üner, E. 219f., 224, 234, 239, 256 Uexküll, J. 90, 237 Ulmen, G. 59,229 Unesco-Kommission 247 Van Den Daele, W. 220 Viénot, P. 140, 248 Vierkant, Α. 53, 80, 153, 223, 241, 250 Volkelt, J. 35,220 Vollrath, E. 239 Wach, J. 12f., 219, 232 Wagner, H. 66 Walther, A. 62, 230, 237 Warnach, V. 232 Weber, A. 29, 80, 150f., 179, 184, 215, 255 Weber, E . H . 21 Weber, M. 41 f., 45, 53, 56-59, 62, 77, 80, 82-84, 93f., 103f., 106, 146, 152f., 155-157, 159, 163-165, 177, 184, 223, 225, 228f., 247, 250, 252f. Wedeil, H. 219 Weickert, M. 244 Weingart, P. 220, 222, 251 Weingarten, E. 226 Wellek, A. 222 Wendt, U. 241 Werfel, F. 216 Wertheimer, M. 222, 236 Whitley, R. 220,222 Wiese, L. von 82, 110, 220, 227, 241
292
Personenregister
Winckelmann, J. 124 Wilhelm, Th. 216, 219, 248 Willke, H. 240 Willms, B. 106,240 Windelband, W. 227 Winkler, H . 248 Winter, E. 62, 230 Wittfogel, Κ. Α. 12,215 Wolfenstein, Α. 216,249 Wolff, Κ. 22,229 Wundt, W. 20f., 24-26, 34f., 49, 80, 90, 129, 135, 154-158, 167, 220-222, 224, 227, 246, 250-252 Wyneken, G. lf., 215, 248
Zehrer, H . 232 Ziegenfuss, W. 255 Ziegler, H . O. 259 Zilius, W. 216 Zöpel, Ch. 229 Zschimmer, E. 241, 249 Zwilgmeyer, E 178, 255
Sachregister
Akt, Aktivität, Aktion - A. als phänomenologischer Begriff 30f. - kulturschöpferische und vollziehende A. 37f., 39ff., 46, 173 - Aktion des „politischen Volkes" 97,187 s. a. Tat Aktualisierung, Aktualität 46f„ 181,208,213 - Aktualitätsprinzip bei W. Wundt 34 s. a. Dialektik, Gegenwart Anthropologie 65,152,160,173 s. a. Technik Bildung - B. als Formtypus der Kultur 39f. - Bildungsauffassung der Jugendbewegung lf., 13ff., 143, 146 - Erwachsenenbildung, Volksbildung 14f., 139, 146 - Bildungsbürgertum 138, 140, 153 - Bildungspolitik 139f. Blätter für Deutsche Philosophie 15f. Budapest, Universität 121 Bund - B. in der Jugendbewegung 2f., 60, 143 - politischer B. 60, 141f., 186 Chaos 58,165 Coincidentia/Complexio s. a. Simultanismus
Oppositorum
142, 165
Demokratie - Auffassung der Jugendbewegung 9,13 - Begriff im Neukantianismus 59 - Plebiszitäre Führerdemokratie 59, 70, 77,125 - D. als Dogma 145f.
Determinismus - „intelligibler D." (Freyer) 86f. s. a. Intentionalität Deutsche Philosophische Gesellschaft 15f. Deutsche Gesellschaft für Soziologie 84, 110, 219 Dezisionismus 34, 92f., 102, 189 Diachronie - D. und Synchronie s. Struktur (S. und Entwicklung/Genese) Dialektik - dualistische und triadische D. 73f., 173ff., 187, 190f., 195, 203-208,211 - D. als deduktives Verfahren 188f. - Ontologisierung der D. 53,183,186f., 190f., 194, 21 lf. - operationale Verfahren der D. 189, 191-194 - Anforderungen an eine wissenschaftliche D. 210-214 - Prinzipien der Aktualität, Finalität, Konservation 208 - Realdialektik 52, 54ff., 61, 63, 81, 83, 148, 162, 182, 185ff., 190, 196-210 Diapason, seelisches (K. Lamprecht) 154f. s. a. Habitus, Kanon, Struktur (Strukturformel) Emanatismus 50, 98f., 201 Entfremdung 64, 67,169, 172, 190, 202 Entscheidung 48, 60, 91,106 s. a. Wille Entwicklung, historische 23, 25, 78, 155f., 161, 169 Ethik - individuelle und kollektive E. 96f., 127, 133 - Kategorischer Imperativ (Kant) 122, 124 - konkrete Ε., E. der Tat, Situationsethik 2ff., 76f., 86f., 97, 123-125, 132 - Protestantische Ε. 177
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Sachregister
- E. der Revolution 122f., 128 - Systemethik 121f., 130-133 - Sittenlehre (Fichte) 85f. - E. des Widerstands 128ff. s. a. Soziologie (S. als Wirklichkeitswissenschaft und Ethoswissenschaft) Ethnomethodologie 66 Europa 77,105, 148,172,176f. Existenzialismus 31f. - existenzialistische Wendung 46f., 51, 61f., 98 - politisches Defizit des E. 67 s. a. Entfremdung, Gemeinschaft, Geschichte, Individuum, Wirklichkeit Expressionismus - E. und Geschichte 5f., 22f., 25 - E. und Jugendbewegung 4ff. - E. als Kulturkrise 137 - E. und Soziologie 7f., 25ff., 145 - expressionistische Elemente in Freyers Schriften 5f., 20,25f., 85, 87f., 117,168f. s. a. Pallas Athene, Prometheus s. a. Form, Führer, Ganzheit, Geschichte, Individuum, Gemeinschaft, Mythos Form - Begriff in Expressionismus und Jugendbewegung 3,5,165 - F. und Leben/Sinn 9, 36ff., 43, 45, 165,186f. s. a. Kultur Fortschritt - zivilisatorischer F. 169,177 Fortuna (Machiavelli) 119,129f. Frankreich 140, 146 Friedrich d. Große (Freyer) 99f., 117, 121f., 130133 Führer, Führung - Bedeutung in der Jugendbewegung 3,141 - Bedeutung im Expressionismus 8 - charismatischer F. 59f., 88, 98 - plebiszitärer Führerstaat 59 - F. als politischer Abenteurer 119f., 123-126, 128 - rechtmäßige Staatsführung 130f. s. a. Herrschaft, Macht Ganzheit - Begriff im Expressionismus 5, 165 - G. als Aufgabe der Wissenschaft 9f., 16, 20, 58,149, 191 ff. - geschichtliche G. 99, 126, 196 - G. als dynamische Komplexität 191f. Gebilde - als Formtypus der Kultur 38, 173, 177, 200 Gegenwart - Willensgehalt der G. 55f., 60, 83, 92
Gegenwärtigkeit - als Dimension von Kultur- und Sozialformen 3, 6, 22f., 4Of., 46f., 85ff., 200 Geist - als autonome Gesetzlichkeit und Kultur 2,6, 35f., 41,150f., 162, 179, 181 s. a. Kultur (K. als Objektivation) - G. und Leben/Wirklichkeit 44,48,54 - Volksgeist und Weltgeist 56, 76, 80, 97, 99, 124, 161, 186, 188,201,214 - „Dienst am Geist", der „Geistige" 6, 8f., 16, 26,111,138 s. a. Intellektueller Gemeinschaft - Begriff der Existenzphilosophie 31f. - Bedeutung im Expressionismus 7,26 - Bedeutung in der Jugendbewegung 2f., 141, 143 - Begriff der Phänomenologie 30f. - G. - Gesellschaft als Entwicklungsstufen 7f., 46,83,173, 177 s. a. Individuum Gerät - als Formtypus der Kultur 38, 173Í. Geschichte - Begriff im Existenzialismus 31f., 67 - Thema der Jugendbewegung 3,5 - Begriff der Phänomenologie 30f., 146 - Ende der G., Posthistoire 65, 183, 202, 214 - Historische Gesetze, principia media (K. Mannheim) 198f. - Kontingenz der G. 23,165,209f. - Kultur- und Universalgeschichte, Weltgeschichte 20f., 23f., 50, 80, 90, 99,146,153f., 166f., 170 - universalhistorische Schwelle/Umbruch 162, 169-171,180 - universalhistorische Stufen 23,155,164,188 - G. als Mehrschichtigkeit und Diskurs 45, 170f., 202f., 209,213 - G. als Normbild, Gleichnis 118f., 121f., 129 - G. und Entscheidung, Gegenwart, Offenheit der G. 6, 22f., 25, 33f., 44, 46, 56, 155, 170, 197 - G. und Gesellschaft, Nation 146, 185, 187f. - G. und Revolution 128 s. a. Expressionismus, Handeln, Kultur, Mythos, Philosophie, Planung, Politik, Rationalismus, Soziologie Geschichtlichkeit - als existentielle Kategorie 47 - als Dimension von Kultur- und Sozialformen 44 - als „haltende Macht" 78,169f. Geschichtsschreibung, -Wissenschaft - G. als Aufklärung 178 - Methodenstreit der G. 23, 155, 157
Sachregister - Methodologische Regeln der G. 189 - G. als Wirklichkeitswissenschaft 49 - Politische G. und nomothetische Sozialwissenschaft 23, 155, 164 - Strukturalistische G. 201 ff. - New History (USA) 154 - Histoire Synthétique (Frankreich) 154 - Schule der Annales (Frankreich) 155 Gestaltumschlag s. System (Systemdynamik, -transformation) Habitus 160, 170, 183 s. a. Diapason, Kanon Handeln, Handlung - H. und Entwicklung/Geschichte 3f., 30f., 77, 86f., 126, 164 - politisches H. 92,119,123-126,130 - H. und Reflexion 29ff., 52, 66, 187 s. a. Kultur (Kulturelle Objektivation und sozialer Vollzug), Praxis und Theorie, Tat Hermeneutik 160,202f. - gegenständliche und psychologische H. (Freyer) 36, 73, 158, 161, 166f. - Prinzipien der hermeneutischen Textinterpretation 69-75 Herrschaft - Aufbaugesetze der H. 98f., 131f. - Forderungen an die H. 99f., 132 - H. als Kulturform 80 - Legitimität der H. 98f., 103f„ 113,120,122, 131ff. - H. und Planung 77, 98, 102f. - H. und Staat 85, 88f. - H. und Technik 78,112ff. s. a. Führer, Macht, Soziologie Humanismus 6f., 16, 60, 146, 168, 181 Idealismus - Entwertung des I. 47f., 63ff. - I. und naturwissenschaftliches Denken 16, 161f. - objektiver I., realistische Wendung des I. 33ff., 41 f., 48, 54, 60, 66, 72, 76f., 79ff., 97f., 150, 158, 162f., 175f.,195,201 - politische Dimension des I., Links-, Rechtshegelianismus 59f., 76f., 79, 97f., 104,119,209 - Uberwindung des I. 65-68 Idealtypus 41, 45, 53, 94, 131, 156, 159 Ideologie 50,81,120 s. a. Technik, Soziologie Individuum - erkennendes und praktisches I. 203f. - im Existenzialismus 31f., 67 - im Expressionismus 6f. - im Neukantianismus und Liberalismus 59f. - in der Phänomenologie 30f., 66
295
- I. und Gemeinschaft 5ff., 33, 50, 65f., 68, 86f., 156, 204 Industriegesellschaft 60, 64f., 68, 77f., 105, 115f., 171, 187, 204ff. Industriekultur 163, 169ff., 172, 176-179,182f. Institution 115ff., 141, 179 Intellektueller, Intellektualismus 2f., 5, 8-11, 137, 144f. - I. und Wissenschaft 18,146,169 s. a. Geist („Dienst am Geist", der „Geistige"), Wissenschaft (Wissenschaftler) Intentionalität 87, 91, 168 Jugendbewegung - Einfluß der J . auf Freyers Werk 2ff., 16,20, 60f., 76, 97 - Kulturdiskussion der J. 3f., 138, 143, 146 - J. und Politik 3, 9, 13f., 60,138, 141,143 - J. und Soziologie/Wissenschaft 1-4, 9f., 11-16 - Freie Schulgemeinde Wickersdorf lf. - Leuchtenhurgkreis 12ff. - Serakreis 1 s. a. Bildung, Bund, Expressionismus, Form, Führer, Gemeinschaft, Geschichte Jugendkultur, Jugendreich iff., 143 Kanon - als kultureller Code 40ff., 46f., 161, 172, 182 s. a. Diapason, Habitus, Struktur (Strukturformel, -gesetze) Kölner Forschungsinstitut für Sozialwissenschaft 110 Konservativismus 59f., 83, 86, 140 Kontingenz s. Geschichte Krieg 29, lOOf., 123 Kritische Theorie 14, 26,170 Kultur - Anthropologisches Apriori der K. 157f., 160f. - Dimensionen und Formtypen der K. 38f., 135f., 166, 168, 170, 172-177,181f. s. a. Bildung, Gebilde, Gerät, Sozialform, Zeichen, Gegenwärtigkeit, Geschichtlichkeit, Menschengebundenheit - Entwicklungsepochen der K. Nomaden-/Ackerbaukultur 172ff., 177 - - Hochkultur 174-177 Industriekultur 176-179 - K. und Geschichte 146f. - K. und Politik 74,80,133,172 s. a. Masse - K. und Natur 143f. - K. als Objektivation 35f., 135, 146f., 152, 160, 166f., 170ff., 174 ff., 181f. Prozesse der K.-Objektivation 37f., 173 - Kulturelle Objektivation und sozialer Vollzug 36-44,47, 88,114, 146f., 155, 157, 159f., 164,172
296
Sachregister
- Κ. als Potentialität 170 s. a. Habitus - Säkularisierung und Ideologisierung der K. 136f., 140-151,177 - K. als System 37, 76ff., 158,171ff., 181f. - Tragik der K. 35,146f. - K. und Zivilisation 9, 13, 24, 111, 135, 144f., 149ff., 169,172 s. a. Jugendbewegung, Leipziger Schule, Mythos, Philosophie, Politik, Soziologie Kultureinheit, -synthese 35, 77,136f., 141f., 147, 158f., 169-172 Kulturgemeinschaft, Kulturnation 33, 48, 76ff., 80, 87f., 91, 140f., 156, 167, 181f. - Bedeutung in der Jugendbewegung 3,138,143 Kulturkampf 135, 138ff. Kulturkrise, -wandel 136ff., 140f. - Entregelungserscheinungen im Kulturwandel 2f., 140ff., 147ff., 165,169f., 181ff. Kulturkritik - der Intellektuellen, der Wissenschaft 144ff., 149f., 153,171,181-184 - K. als symbolische Politik 147f., - K. und Technik 109-112 - K. als Zeitanalyse 178 Kybernetik 114f., 179 Leben 2f., 10, 126 - L. aus zweiter Hand 65 s. a. Form Lebensphilosophie 4,46, 93,146,150,158,160 Lebenswelt - Kolonialisierung der L. 171 - L. als phänomenologischer Begriff 30f., 66 - L. und sekundäre Systeme 78 Legitimität 80, 83, 113, 116, 131 Leipzig, Universität - Seminar für freies Volksbildungswesen 14f. - Institut für Kultur- und Universalgeschichte 20f., 23 - Institut für Experimentelle Psychologie 20f., 24 Leipziger Schule - Mitglieder und Institution der L. Sch. 11-16,20f. - Denktradition der L. Sch. 22-25, 72, 76 - Kulturtheorie der L. Sch. 20f., 33, 140f., 153157, 172 - Staatstheorie der L. Sch. 90f. - Strukturgenetische Theorie der L. Sch. 20, 24f., 87,116,129,169ff., 174 - Technikdiskussion der L. Sch. 113f. - Wirklichkeitsbegriff der L. Sch. 32ff., 64ff. s. a. Psychologie Liberalismus 59f., 83 Machiavelli (Freyer) 187, 195
19, 64, 117-120, 128-132,
- Rezeption des M. 120f. Macht - M. als Gewalt 123,126 - M. und Naturdasein 127 - Perversion der M. lOOf. - M. und Plan 103, 108 s. a. Führer, Herrschaft Marxismus, historischer Materialismus 50, 62, 67, 80, 150f., 203,206 - Kommunistisches Manifest 116 Masse 7f., 32, l l l f . , 142,145f., 181 Materialismus 150f., 187 Menschengebundenheit - als Dimension von Kultur- und Sozialformen 40,112,114 Mythos - Begriff im Expressionismus und Humanismus 6f. - M. und Geschichte 82,130 - M. als Kulturkategorie 173 - M. als Vorstufe der Wissenschaft 83f., 117-121, 130 s. a. Staat, Volk (V. als Mythos) Nationalbolschewismus 83 Nationalsozialismus 14,26, 63, 70, 80, 84, 96, 100, 108f., 122, 125, 130, 135f. Naturalismus 4f., 143, 164 Neukantianismus 58f., 63, 68, 97 Pallas Athene (Freyer) 6, 20, 63f., 100,117f., 122126, 128, 167 Partei, politische 3, 60, 139f., 142 Phänomenologie 30f., 48, 98, 146, 165, 183 s. a. Lebenswelt, Wirklichkeit Philosophie - des 18. Jahrhunderts 22 - des 19. Jahrhunderts 24, 97, 153f., - und Geschichte der Ph. 22 - Geschichtsphilosophie 146,179f. - Kulturphilosophie 34-42, 136, 143, 157f., 179f. - Politische Ph. 79ff., 86f., 97f., - Ph. und Soziologie 180 - Ph. der Technik 11 Of. s. a. Existenzialismus, Idealismus, Neukantianismus, Phänomenologie, Positivismus, Pragmatismus, Romantik Plan, Planung - als Geschichtsführung 102ff., 107, 178 - Grenzen der Planung 103f., 106f. - Politik und Planung 103f., 106-109,133 - als Sozialtechnik 105-109 - Systemplanung 109 s. a. Herrschaft, Technik, Utopie Polis 13,97,124
Sachregister Politik, das Politische - Alchimie der P. 123 - echte und unechte P. 64,104f. - P. als Geschichtsführung 108 - Konkretisierung des Politischen 81,98,102, 108, 179 - P. als Ordnung 64,125 - das Politische als Schicksalsraum 79f. - Wesensgesetze der P. 130-133 s. a. Idealismus, Jugendbewegung, Kultur, Philosophie, Planung, Praxis, Technik, Utopie, Wissenschaft Positivismus 37, 162 Pragmatismus 66,79,81 Praxis und Theorie - als Problem der Geschichtstheorie und dialektischen Methode 74, 155, 186f., 200, 205, 210 - als Problem der politischen Theorie 52, 63, 77, 81, 91f., 94, 99f., 102, 149 s. a. Ethik (konkrete Ε., E. der Tat), Handeln (H. und Reflexion) Produktion - als Gesetz der Zivilisation 115 Prometheus (Freyer) 2, 6, 20, 88,127,167,186 Psychologie - Experimentelle P. 24f. - Genetische Ganzheitspsychologie 24f., 155f. - Gestaltpsychologie 24,165 - Psychologismus (Kritik an Dilthey) 35, 37 - Völkerpsychologie 24, 35, 80, 90, 155, 158 - P. als Wirklichkeitswissenschaft 49 Qualità dei tempi (Machiavelli)
119f.
Rationalismus - und Geschichte 22f., 25,163 - Kritischer R. 79f. Rationalität - Mythologisierung der R. 116 - praktische und universale R. 3f., 78, 107,163f. - R. als wissenschaftliche Forderung 189 Realfaktoren 48f., 100 Realismus - R. und Kulturentwicklung 14 - Politischer R. 81, 99-102,118,121f., 188 Recht - als Norm 89,91 - als Imperativ einer Gemeinschaftsautorität (Heller) 91,93 Rechtslehre 89,91,94 Reflexion 33,77,92,115,207 s. a. Handeln (H. und Reflexion), Praxis und Theorie Reflexivität 47, 66 Reich 63, 77f., 80, 82f., 98, 104f., 127,146,205 Relativismus 29, 47, 65f.
297
Revolution 7, 80, 82,92, 98,100, 122, 127, 187, 195, 205 - R. von unten, von oben 126 - R. des 19. und 20. Jahrhunderts 126f. - Konservative R. 122 - Permanente R. (Trotzki) 127f. - Revolution von rechts (Freyer) 26,61,63,113, 126f., 186f., 205f. s. a. Ethik (E. der Revolution) Reziprozität der Perspektiven 31,193ff. Romantik 23,35,97,154 Schicksal 32, 79,172f., 189 Schwelle, universalhistorische s. Geschichte Simultanismus 5, 142, 16 Sozialform - als Formtypus der Kultur 39 - Eigenschaften der S. 42f. - S. als geschichtliche Ganzheit 99 Sozialismus 9,12ff., 136, 205 - Neue Blätter für den Sozialismus 13f. Soziologie - formaleS. 10,49ff.,61 - ideologisch-programmatische S. 49f., 82, 151f. - Kultursoziologie 23,135,149-152, 156,158f., 179-184 - Politische S., Herrschafts-, Staatssoziologie 11,78-83,90, 92,117f., 178 - Wissenssoziologie 23, 47, 68, 72,152 - Aufgaben der S. 57f. - Institutionalisierung der S. 110,149,152 - S. als Bewegung 8-11,13, 16, 19ff., 26, 148f. - S. als empirische und „positive" Wissenschaft tlf., 23f., 37, 49, 52, 58, 79, 82,110,154, 161f., 180f., 186, 196 - S. als Geisteswissenschaft 37,162 - S. als Krisenwissenschaft 149ff., 158, 190 - S. als Kulturwissenschaft 42ff., 81f., 136,146, 152f., 155f., 161,163,165, 178 - S. als Wirklichkeitswissenschaft und Ethoswissenschaft 16,25ff., 34f., 47ff., 51f., 54, 75, 81f., 92, 94, 98,105,127,150,163, 170,183-188 Abgrenzung derWirldichkeitswissenschaft 49f. Strukturbegriffe, „konkrete Begriffe" der Wirklichkeitswissenschaft 45, 52f., 155, 159f., 166, 186,188, 190, 194,1974., 200,209 Methodologie der Wirklichkeitswissenschaft 45ff., 49, 52-56, 188-191, 194ff., 198-201, 207f. Rezeption und Scheitern der Wirklichkeitswissenschaft 61-65 - S. und Geschichte 20, 23ff., 50f., 54f., 77, 90, 153ff., 180f., 190 - S. und Idealismus 21f., 33f., 37, 54ff., 161f. - S. und Politik/Staat 10f., 54, 61, 82,149 s. a. Expressionismus, Jugendbewegung
298
Sachregister
Staat - Staatsbegriff im Rechtshegelianismus und Neukantianismus 59 - Abwertung des Staatsbegriffs lOlf. - Staatslehre 81, 89ff., 93 - Staatssouveränität 99f., lOlf. - Gewaltstaat, dekadenter S. 64, 119f., 125f., 132 - Internationale Staatengemeinschaft 60, 100 - Sozialer/Materialer Rechtsstaat (Heller) 91, 93f. - S. als Kulturnation/Wertgemeinschaft 3, 33, 37,60,63,76, 80, 85, 87f., 90f., 94f., lOlf., 171f., 186 - S. als Mythos 88, 120, 130 - S. als langfristige Ordnung 64,95, 119f., 130-133 - S. und Gesellschaft 54, 60, 62,68, 82f., 93f., 96f., 101,105 s. a. Herrschaft, Leipziger Schule Struktur - S. und Entwicklung/Genese 20,24f., 44ff., 54f., 87,98, 168f., 172, 187,197-203,209 - Strukturformel, -gesetze 41, 43, 45f., 154f., 159ff., 165 s. a. Kanon, Leipziger Schule Strukturalismus 40, 45, 200-203 Synchronie und Diachronie s. Struktur (S. und Entwicklung/Genese) System - als theoretisches Konzept 20, 35, 45, 48, 53, 89, 98 - Wandlungen des Freyerschen Systemkonzeptes 75-78,179, 182f. - Sekundäres S. 59, 64, 68, 77f., 101,113, 116, 170ff., 177f., 182,187,194 - selbstreferentielles S. 55f., 107, 185, 209, 212 - Umwandlung des Hegeischen S. 53-56, 70 - systematische Reihe 45f., 55, 200, 203, 207 - Systemdynamik, -transformation 158, 162, 181f., 200,205 s. a. Kybernetik, Planung Tat 3f., 48, 60, 79, 91, 95, 204 s. a. Ethik (konkrete Ε., E. der Tat), Akt Tatkreis 146 Technik - als anthropologische und soziologische Kategorie 112-115 - Eigengesetzlichkeit der T. 103, 105f., 112, 114f. - T. und Kultur llOf., 113, 145, 148 - T. und Planung 103,113 - T. als Ideologie 115ff. - T. und Politik, Technokrate 105f., 108, 111, 113,116 s. a. Herrschaft, Kulturkritik, Leipziger Schule, Philosophie
Teleologie 39,76,89,142,161 - T. und Teleonomie 163f. s. a. Determinismus Transnationale Beziehungen 17, 68,102 universale in re 41,159 Utopie - U. und Planung/Politik 63, 79f., 108, 115f. - U. und Wissenschaft 26, 45, 52, 130 Verein für Sozialpolitik 110 Vernunft 7, 99, 104, 106f. s. a. Neukantianismus Verstehen 22, 36, 40f., 201 Virtù (Machiavelli) 118ff., 129f. Volk - Begriff in Expressionismus und Jugendbewegung 3, 7f., 26, 88 - V. und Führung 82f., 88 - V. als Kulturgemeinschaft, als Subjekt der Geschichte 33, 79f., 91, 95, 104, 119, 122, 144, 156,187,204f. - V. als Mythos 88, 128 - das politische Volk 33, 48, 59f., 63, 76ff., 83, 96f., 100,102ff., 119, 122,124ff., 128,130,132, 187, 194 Voluntarismus 52, 61ff., 189, 209 Wertfreiheit, -urteil 52, 57f., 71,110,156f., 163f., 174 Widerstand 64, 81f., 126, 182, 187, 190, 196 - passiver W. 128f., 132 - Widerstandsrecht 95f., 132 Wille - Ethik des W. 123f. - W. und Geschichte 93,102f., 127 - kollektiver W„ Volkswille 6,26, 46ff., 86,90, 93-97,104,128,164f., 188,199 - Soziologie als Erkenntnis des kollektiven W. 49, 55f., 58, 61ff., 82, 164f., 195 s. a. Gegenwart Wirklichkeit - existenzialistischer Wirklichkeitsbegriff 31f., 67 - idealistischer Wirklichkeitsbegriff 29f., 63ff., 191 - phänomenologischer Wirklichkeitsbegriff 30f., 63, 66f. - Dichotomie der W. 36f., 41f., 185, 198 - W. als Polykontexturalität (G. Günther) 65f. - soziale, politische W. 30,33,42,47,65,125 - Soziale Konstruktion von W. 64,126,128,156 s. a. Leipziger Schule Wirtschaft - Kulturpsychologie der W. 155,173
Sachregister - Sinn der kapitalistischen Wirtschaftsordnung 166f. Wissenschaft - Logoswissenschaft 49f., 56f. - Naturwissenschaft 16,20,23,49, 57,178 - Nomothetische und ideographische W. 20, 53, 56f. - W. als Bewegung 8ff., 16-19, 26,148f. - W. als Entfremdung 150 - Entwicklung und Institutionalisierung der W. 10,21,27,148f., 154 - Wertfreiheit, -urteil der W. 52, 57f., 71,110, 156f., 163 f., 174 - W. und Gesellschaft/Politik 8-11, 15, 21, 70f., 77,118ff., 135,138f., 147ff., 180f., 184
299
- Wissenschaftler und Gesellschaft 11,56,61, 87f., 117-121, 144f., 183f., 187, 201,209 - Wissenschaftlicher Diskurs 74f., 154, 178, 21 Off. - Wissenschaftliche Schule 20f., 34 - Wissenschaftliche Zivilisation 115 - Wissenschaftsgemeinschaft l l f . , 15-19 - Wissenschaftskultur 20, 27 s. a. Expressionismus, Ganzheit, Intellektueller, Jugendbewegung, Kulturkritik, Mythos Zeichen - als Formtypus der Kultur 38f., 173 Zukunft - Z. und Gegenwart 5,25 - Z. und Planung 103, 107