Sozialpsychologie [Reprint 2020 ed.] 9783112315446, 9783112304259


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German Pages 181 [204] Year 1956

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INHALTSÜBERSICHT
I. Die Rolle der Sozialpsychologie
II. Systematische Ansätze
III. Methoden der Forschung
IV. Theoreme der Psychologie
V. Der Sozialisierungsprozeß
VI. Theoreme der Gruppendynamik
Autorenregister
Sachregister
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INHALTSVERZEICHNIS
Geisteswissenschaften
Naturwissenschaften
Technik
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Sozialpsychologie [Reprint 2020 ed.]
 9783112315446, 9783112304259

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SAMMLUNG

GÖSCHEN

BAND

104/104a

SOZIALPSYCHOLOGIE von

DR. P E T E R

R.

HOFSTÄTTER

o. ö. Professor der Psychologie an der Hochschule für Sozial Wissenschaften

Wilhelmshaven

WALTER DE GRUYTER & CO. vormals G. J. Göscben'sche Verlagshandlung « J . Guttcntag, Verlagsbuchhandlung • Georg Reimer • Karl J . T r l i b n e r • Veit & Comp.

BERLIN

1956

Alle Rechte» einschl. der Rechte der Herstellung von Photokopien und Mikrofilmen, von der Verlagshandlung vorbehalten

Copyright 1956 by WALTER DE GRUYTER & CO. IferÜo W 35, C e m h i n e r Str. 13

Archiv-Nr. II Ol 04 Satz und D r u c k : Paul F u n k , Berlin W 3.1 Printe«! in Cermuuv

INHALTSÜBERSICHT Seile 1. Die Rolle der S o z i a l p s y c h o l o g i e II. S y s t e m a t i s d i e 1.

Allgemeine

2.

Historische Ansätze

3.

4

Ansätze

15

Orientierung

Neuere theoretische

15 18

Positionen

26

a) P s y c h o a n a l y s e

26

b) L e r n t h e o r i e

31

c) R o l l e n t h e o r i e

35

d) F e l d t h e o r i e

44

III. M e t h o d e n der Forschung

48

1.

Allgemeine

Erwägungen

2.

Einstellungsmessung

48

3.

Erforschung

4.

Soziometrie

5.

Gruppenexperimente

89

6.

A n a l y s e von Kulturbeständen

99

56

d e r öffentlichen M e i n u n g und der S t e r e o t y p e

..

71 86

IV. T h e o r e m e der P s y c h o l o g i e

104

1.

Enzephalisation

2.

Reifungstempo

105 106

3.

Familienbedingungen

107

4.

Potential

108

5.

A b s t r a k t i o n und O r d n u n g

6.

Varlationsweite

7.

Schutz d e s A r t g e n o s s e n

114

8.

Stabilisierung

116

9.

E n t s c h e i d u n g , I n f o r m a t i o n und L a s t e n

117

10.

Bezugspunkte von Beurteilungen

125

11.

Wirkungsfortpflanzung

128

V . Der Sozialisierungsprozefi

137

des Z e n t r a l n e t z c s

109

von Stellungnahmen

des Lebensraums

VI. T h e o r e m e der G r u p p e n d y n a m i k unabhängiger

113

149

1.

Kombination

Wahrscheinlichkeiten

2.

I n t e r d e p e n d e n z v o n K o n t a k t , S y m p a t h i e und A k t i v i t ä t

155

150

3.

U n g l e i c h h e i t und R o l l e n s p e z i f i z i e r u n g

161

4.

Gruppengröße

172

Autorenregister

177

Sachregister

180

I. Die Rolle der Sozialpsychologie Als Teilgebiet der Psychologie beschäftigt sich auch die Sozialpsychologie mit den Stellungnahmen individueller Lebewesen, wobei es ihr im wesentlichen um menschliche Individuen geht. Als eine Stellungnahme bezeichnen wir einerseits das durch einen außenstehenden Beobachter registrierbare Verhalten, andererseits aber auch die eventuell nur der Introspektion zugänglichen gefühlsmäßigen und gedanklichen Bezugnahmen eines Individuums auf Sachverhalte und Personen seiner U m w e l t bzw. auch die reflektierenden Bezugnahmen auf die eigene Person. Diese auf Sachverhalte und Personen bezogenen Erlebnisse werden allerdings erst dann Gegenstände einer auf O b j e k t i v i t ä t Anspruch erhebenden Wissenschaft, wenn das erlebende Individuum sie entweder aus der privaten U n m i t t e l b a r keit des Geschehens heraus deutend objektiviert, d . h . wenn es ihnen z. B. sprachlichen Ausdruck verleiht, oder wenn der außenstehende Beobachter sie aus dem Verhalten des Individuums erschließt. Es ist dabei durchaus möglich, daß der auf Schlußfolgerungen angewiesene Beobachter die Erlebnislage eines Individuums anders beurteilt als dieses selbst dies in seinen kommunikativen Deutungsakten tut. Es mag sich hier um den Fall einer intendierten aber nicht völlig gelungenen Täuschung handeln, oder um eine Selbsttäuschung des Individuums hinsichtlich seiner Einstellungen zu Sachverhalten und Personen; schließlich können solche Unterschiede auch darauf zurückgehen, daß die Ausdrucksmittel des Individuums vom Beobachter anders verstanden werden als sie gemeint waren. W ä h rend sich z. B. der Abendländer erhebt, um seinen R e spekt vor einem Höherstehenden zu bekunden, setzen sich manche Südseeinsulaner nieder, womit sie das „ H ö h e r stehen" des anderen durchaus sinnfällig machen. Die

D i e R o l l e der Sozialpsychologie

5

Stellungnahmen des Individuums, mit denen sich die Psychologie beschäftigt, sind somit Beobachtungsdaten, auf Grund deren die Erlebnislage dieses Individuums schlußfolgernd objektiviert wird. D e r Ausdruck „Stellungnahme" vermeidet die E i n schränkung auf ein passives Gebaren, die in dem geläufigeren W o r t „ R e a k t i o n " enthalten ist. Stellungnahmen können durch Ereignisse in der U m w e l t mehr oder weniger weitgehend bedingt sein; im F a l l e eines „mehr" denken wir an Reaktionen, im F a l l e eines „weniger" an Aktionen. Das Grundkonzept muß aber so angesetzt sein, daß es die Möglichkeit eines spontanen, d. h. nicht durch U m w e l t reize ausgelösten Verhaltens offen läßt. W i r müssen uns weiterhin die Möglichkeit wahren, daß erst die Stellungnahmen des Individuums gewissen Umweltereignissen „ R e i z - C h a r a k t e r " verleihen. Dies ist etwa dann der Fall, wenn das Individuum gewisse Umweltereignisse als bedeutungsvoll auswählt, die andere Lebewesen gar nicht beachten. Zu einer systematischen Wissenschaft wird die Psychologie in eben dem M a ß e , als sie die struktuellen Zusammenhänge zwischen den ihr zugänglichen Beobachtungsdaten darzulegen vermag. Jedes der Teilgebiete der Psychologie stellt einen Versuch in Richtung auf dieses Ziel dar. Das Anliegen der Experimental-Psychologie l ä ß t sich z. B. darin erblicken, daß wir die situativen G e gebenheiten für ein Individuum variieren und sodann die K o v a r i a t i o n seiner Stellungnahmen verfolgen. I n der Charakterologie und Begabungsforschung richtet sich das Augenmerk auf die korrelativen Beziehungen zwischen Stellungnahmen bzw. zwischen Handlungserfolgen. D e r Entwicklung-Psychologie geht es hinwiederum um die K o variation der Stellungnahmen mit dem Lebensalter. D i e Sozial-Psychologie schließlich, hat es mit der K o v a r i a t i o n der individuellen Stellungnahmen im Wechsel der mit-

6

D i e R o l l e der Sozialpsychologie

menschlichen U m w e l t eines I n d i v i d u u m s zu tun. D a ß es eine solche K o v a r i a t i o n gibt, w i r d durch die Erlebnis-Sachv e r h a l t e der Einsamkeit, des Wohlseins in anregender Gesellschaft, der Bangigkeit angesichts eines schwer z u f r i e d e n zustellenden Vorgesetzten usw. belegt. D i e Bezeichnung der Sozialpsychologie als eines Teilgebietes der Psychologie impliziert zugleich die Behauptung, d a ß w i r es hier z w a r mit einer eigenen Perspektive im R a h m e n der Psychologie zu tun haben, d a ß aber die k o n k r e t e Arbeit in diesem Teilgebiet auf M e t h o d e n und B e f u n d e angewiesen ist, die vielfach aus anderen Teilgebieten des Faches stammen. In diesem Sinne k ö n n t e m a n z. B. v o n einer experimentellen Sozialpsychologie sprechen, deren Interesse der p l a n m ä ß i g e n V a r i a t i o n der mitmenschlichen U m w e l t des I n d i v i d u u m s gelte. Ein G u t teil des in den letzten J a h r e n so eifrig gepflogenen Studiums der „ G r u p p e n d y n a m i k " f ä l l t u n t e r diese Kategorie. Zweifelsohne gibt es auch einen charakterologischen, b z w . einen entwicklungspsychologischen A k z e n t in der Sozialpsychologie; w i r w e r d e n seiner beim Studium des sog. „Sozialisierungsprozesses" ansichtig w e r d e n . A n dieser Stelle sei jedoch die unabdingliche Einheit der Psychologie betont. Ich h a l t e diese F o r d e r u n g der T e n d e n z zur Isolierung der Teilgebiete, wie m a n sie z. B. in den U.S.A. sehr deutlich erkennt, entgegen. Freilich ist nicht zu übersehen, d a ß der Forscher d a m i t angesichts der jährlich e t w a 10 000 P u b l i k a t i o n e n im Gesamtgebiet der Psychologie in ein n a h e z u unlösbares D i l e m m a gerät. M i t ihren Teilgebieten grenzt die Psychologie an eine Reihe v o n N a c h b a r d i s z i p l i n e n , mit denen sie in eben diesen Teilgebieten in einem Austauschverhältnis steht. D a s gilt z. B. v o n dem V e r h ä l t n i s zur Physiologie in der experimentellen Psychologie; es gilt nicht weniger v o n der wechselseitigen B e f r u c h t u n g v o n Sozialpsychologie u n d Soziologie einerseits u n d Ethnologie („kultureller A n t h r o pologie") andererseits. I m P r i n z i p l ä ß t sich die G r e n z e zwischen diesen Disziplinen leicht ziehen: beschäftigt sich

Die Rolle der Sozialpsychologie

7

die Sozialpsychologie mit den Stellungnahmen des I n dividuums, so steht im Zentrum des soziologischen Interesses ein „ V e r b a n d " bzw. eine Gruppe, während das Gefüge einer „Kultur" der Ethnologie ihren Integrationskern gibt. In der Praxis sind diese Grenzen aber keineswegs scharf. Die überspitzte Betonung der Unterschiedsmerkmale schiene auch im Sinne des uneingeschränkten Gedankenaustausches zwischen diesen Disziplinen nicht sonderlich wünschenswert. Tatsächlich ist die Sozialpsychologie als wohl das jüngste der psychologischen Teilgebiete ganz besonders reich an mehr oder weniger scharf definierten Nachbarschaftsbeziehungen. Es ist dabei neben den bereits genannten Disziplinen auch an die Geschichtswissenschaft, die Nationalökonomie und die Rechtswissenschaft zu denken. Letztere ist für uns darum besonders wichtig, weil die europäische Soziologie, wie übrigens auch die Nationalökonomie, vorzüglich im Rahmen der Jurisprudenz herangewachsen ist. Die Empirie hat sich hier vielfach in Abhebung von den normativen Satzungen eingestellt. D a da:s jeweils gültige Recht und das Ausmaß der jeweils geübten Rechtspflege die Beziehung des Individuums zu seiner mitmenschlichen Umwelt sehr nachdrücklich strukturiert, ist der K o n t a k t zwischen Jurisprudenz und Sozialpsychologie durchaus notwendig. D i e Psychologie des Rechtsbrechers, namentlich des Jugendlichen, ist ohne einen interdisziplinären Gedankenaustausch schlechterdings unmöglich. Viel zu wenig wird bisher die Grenzscheide zwischen Nationalökonomie und Sozialpsychologie beachtet, vgl. aber G. Schmölders verdienstliche Abhandlung über „ökonomische Verhaltungsforschung" (Ordo, 5, 1952). Diese Nachbarschaft ist in zweierlei Hinsicht wichtig: einmal formen die Strukturtatsachen eines bestimmten Wirtschaftssystems sehr viele der in ihm möglichen mitmenschlichen Beziehungen; zum andern haben die Nationalökonomen Methoden zur rationalen Analyse von Geschehnisabläufen entwickelt, deren Übertragung auf psychologische Zeit-

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Die Rolle der Sozialpsychologie

reihen möglich und sehr wünschenswert wäre 1 . Der Gedankenaustausch mit dem Historiker ist schließlich notwendig, weil seine Disziplin uns Aufschlüsse über die Wechselwirkungen zwischen mitmenschlichen Umwelten im weitesten Sinne gibt. Die Frage des „Nationalcharakters" ist z. B. von einer Untersuchung der Geschichte einer Nation kaum zu trennen 2 . Angesichts dieser sehr vielfältigen Randbeziehungen zu anderen Disziplinen erhebt sich sehr ernsthaft die Frage, ob es überhaupt noch im Rahmen der Möglichkeiten eines Einzelforschers liege, „die" Sozialpsychologie zu vertreten. Eine negative A n t w o r t . scheint kaum vermeidbar; sie lenkt unser Augenmerk aber zugleich auf die Tatsache, daß heute wohl keine einzige "Wissenschaft mehr vom Einzelforscher völlig ausgeschöpft werden kann. Die moderne Wissenschaft ist im wahrsten Sinne zur Gruppenleistung geworden. Was man früher einmal als die „Republik der Gelehrten" bezeichnete, realisiert sich somit 1) Die Psychologie hat sich allzu lange mit dem Studium relativ starrer zeitlicher Querschnitte zufrieden g e g e b e n ; sie konstruiert damit eine Gegenwart, in die sie die Vergangenheit als „Spuren" und die Zukunft als „Erwartungen" einbezieht. Das W e s e n des zeitlichen Flusses, der Verlaufs-Gestalten, läßt sich aber auf diese W e i s e kaum erfassen. Es.ist mit Bestimmtheit anzunehmen, daß der Ubergang zur Verlaufsbetrachtung die Züge der psychologischen Forschung im nächsten Jahrzehnt bestimmen wird. Die statistische Theorie der „stochastischen" Prozesse dürfte dazu unentbehrlich sein. Es handelt sich hier um ein Modell, in dem die Zustände (Sj . . . Sj.) im Augenblick t x durch Wahrscheinlichkeitsrelationen mit den Zuständen (Sj . . . Sj) im Augenblick t x — 1 verknüpft sind. Das Wort selbst w u r d e von J . Bernoulli um 1700 aus dem griechischen oxox^Cto^oa = „vermuten" abgeleitet und von W. Bortkiewicz (Die Interationen, Berlin 1917) wieder aufgegriffen.. Vgl. W. Feller, Zur Theorie der stochastischen Prozesse, Math. Ann.; 113, 1936; Probability theory and its applications, New York 1950; ferner: M. S. Bartlett, Stochastic t>rocesses, New York 1955. Anwendungen auf psychologische Probleme finden sich in P. F. Lazarsfeld (Hgb,): Mathematical thinking in the social sciences, Glencoe 1954. R. R.' Buhs u. C. F. Mosteller (Stodiastic models for iearning, New York 1'355) geben eine höchst eindrucksvolle Anwendung des Modells auf. die Psychologie der Lernprozesse. 2) Als ein Auskunftsmittel, das wohl dazu bestimmt ist, den Kontakt mit der Geschichtswissenschaft zu erübrigen, imponiert die Beschränkung der ethnologischen Forschung auf „gesdiichtslose" menschliche Umwelten, d. h. auf sog. „primitive" Stämme. Die Grenzen der Tauglichkeit einer solchen Abstraktion dürften leicht zu erkennen sein.

Die Rolle der Sozialpsychologie

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zwangsläufig. Damit ist die pragmatische Unvermeidbarkeit von Spezialisierungen eingeräumt; ihr wird aber die Forderung gegenübergestellt, daß der auf einen engeren Problemkreis spezialisierte „Bürger" der Gelehrtenrepublik den Standort seiner eigenen Arbeit im Gesamtgefüge abzuschätzen wisse. D a es sich beim Konzept der Gelehrtenrepublik um die Idee eines durch Staatsgrenzen nicht wesentlich eingeschränkten Gebildes handelt, muß die Frage der Internationalität der Sozialpsychologie zumindest angeschnitten werden. Dies ist um so dringlicher, als die Praxis hier erheblich hinter dem Ideal zurückbleibt. Im Augenblick besteht ein durchaus erfreulicher Gedankenaustausch innerhalb der westlichen Machtsphäre, und man darf wohl analoge Verhältnisse innerhalb der östlichen Machtsphäre vermuten. Das Gespräch zwischen diesen beiden Bereichen ist aber höchst stockend und wortkarg. Das bringt mit sich, daß auch die vorliegende Darstellung in keiner Weise in der Lage sein wird, die Arbeiten unserer östlichen Kollegen mitzuerfassen. Eine zweite Schwierigkeit erwächst aus dem Umstand, daß wie so viele andere Disziplinen auch die Sozialpsychologie zu Zeiten in den Dienst der nationalen Politik eines bestimmten Landes tritt. Im letzten Weltkrieg fanden sich z. B. zahlreiche amerikanische Sozialpsychologen in der Rolle politischer Propagandisten, die ein Bild des deutschen (bzw. des japanischen) Nationalcharakters entwickelten, das sich zwar als wissenschaftlich ausgab, dem dazu aber nahezu jede Voraussetzung fehlte 3 . Dieser Sachverhalt ist um seiner selbst willen bedauerlich; der Sozialpsychologe wird aber 3) Bis in die letzten Jahre hinein enthielt fast jedes amerikanische Lehrbuch der Sozialpsychologie (z. B. H. Bonner, Social psydiology, an interdisciplinary approach, New York 1953) eine Darstellung dieses Zerrbildes, demzufolge „der Deutsche" den Begriff der Liebe garnicht kenne. Man erfuhr weiterhin, daß „der Deutsche" nur auf Rang u n d Ansehen bedacht sei, daß er als Familienoberhaupt Frau und Kinder in einem sklavischen Abhängigkeitsverhältnis halte, und daß die Kinder zwar zur Ehrfurcht vor der väterlichen Autorität „gedrillt", nicht aber zur Wahrnehmung ihrer persönlichen Freiheit erzogen würden. Die Betonung der Begriffe „Sauberkeit" und „Pflicht" im deutschen Lebensstil

10

JJie Rolle d e r Sozialpsychologic

wohl gut daran tun, ihn nicht bloß zu rügen, sondern aus ihm auch wesentliche Züge der Bedingungsstruktur seiner eigenen Tätigkeit zu erschließen. Er kann sich z. B. nicht verhehlen, daß seine durchaus wissenschaftlichen Arbeiten über die Wirksamkeit von Propagandamitteln politische Nutzanwendungen finden können. Die als „psychologische Kriegsführung" bezeichnete Unternehmung stützt sich ia in erster Linie auf sozialosychologische Ergebnisse oder zumindest Vermutungen. Tatsächlich wäre eine Reihe umfangreicherer und zueleich kostspieligerer Untersuchungen wohl überhauot nicht möglich gewesen, wenn f ü r sie nicht öffentliche Mittel aus dem nicht-akademischen Bereich — z. B. aus dem Rüstungsbndp-et — zur Verfügung gestellt worden wären. Im Parallelfall der Physik ist es in den letzten Jahren zu ernsthaften Gewissenskonflikten gekommen: diese dürften auch der Sozialnsychologie nicht erspart bleiben. In unserem Zusammenhang ist dieser an sich schwer zu behandelnde Fragenkomplex d a r u m besonders wichtig, weil er uns erstmalig auf Rollenkonflikte aufmerksam macht, die aus der Zugehörigkeit zu und der Loyalität gegenüber verschiedenen Gruppen resultieren. Die vorstehenden Erörterungen haben zur Frage der sozialen Rolle des Sozialpsychologen geführt. In Anbetracht der Exklusivität der akademischen Laufbahn in Europa (sehr zum Unterschied von den U.S.A.) wird man hier wohl vor allem an Lebensstellungen denken müssen, die nicht in erster Linie auf Lehre und Forschung gründen. Der Blickrichtung des Faches entsprechend sind alle die f ü h r t e schließlich z u r D i a g n o s e , d a ß „der D e u t s c h e " e n t w e d e r ein Z w a n g s n e u r o t ' k e r o d e r ein P a r a n o i k e r o d e r b e i d e s zugleich. Dieses Bild, d e s s e n n a i v s t e D a r s t e l l u n g B. Schaffner ( F a t h e r l a n d , N e w York 1948) gibt, ä n d e r t sich im A u g e n b l i c k , w i e m a n z. B. a u s R. H. L o w i e ' s ( T o w a r d u n d e r s t a n d i n g G e r m a n y , C h i c a g o 1954) F e s t s t e l l u n g e r s i e h t , d a ß d i e d e u t s c h e F a m i l i e k e i n e s w e g s a u t o r i t ä r e r f u n k t i o n i e r e als die a n d e r e r e u r o p ä i s c h e r N a t i o n e n . Zur Zeit b e o b a c h t e t m a n — auch in der Fachliteratur — einen gegenläufigen Trend bezüglich der Schilderung d e s r u s s i s c h e n N a t i o n a l c h a r a k t e r s (vgl. H. V. Dicks, H u m . Rel., 5, 1952), w o b e i d e r in f r e u n d l i c h e r W e i s e (als „oral") g e s c h i l d e r t e n B e v ö l k e r u n g eine „ a n a r - s t i g m a t i s i e r t e Führerschicht gegenübergestellt wird.

Die Rolle der Sozialpsychologie

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Problemsituationen zu beachten, in denen die Stellungnahmen von Individuen zu ihrer mitmenschlichen U m w e l t kritisch werden. Solche Situationen ergeben sich zwangsläufig in allen größeren Organisationen, z. B. also in der Rechtspflege, in Industrie, Schule und bewaffneter Macht, sowie — im deutschen Falle — in der Flüchtlingsfürsorge. D a z u kommen Probleme, in denen die mitmenschliche U m w e l t einen engeren R a h m e n ausfüllt, d. i. Probleme der Familien- und Erziehungsberatung, der Berufswahl und schließlich die Schwierigkeiten des psychologischen Außenseiters, das Problem der Psychotherapie. In all diesen Bereichen lassen sich Beratungs- und Forschungspositionen etablieren, deren Inhaber gründliche sozialpsychologische Kenntnisse und die charakteristische Blickrichtung des Faches benötigen. Viele dieser Positionen sind aber im Augenblick in E u r o p a noch nicht geschaffen worden; zum andern T e i l sind sie durch Personen besetzt, deren Ausbildung nicht in erster Linie im Gebiet der Sozialpsychologie erfolgte. Dies erklärt sich einmal aus der relativen Jugendlichkeit dieser Disziplin und zum andern aus traditionellen Rollenstrukturen. Ich habe dabei z. B. die W a h r n e h m u n g sozialpsychologischer Probleme (im praktischen Leben) durch den Juristen im Auge. Es bleibt abzuwarten, inwieweit sich hier ein W a n d e l vollziehen wird, der entweder zu einer wesentlichen Intensivierung der Sozialpsychologie im Studienplan der J u r i sprudenz führen könnte, oder zu einer Übernahme gewisser Positionen durch Nicht-Juristen. I m Augenblick ist schwer zu entscheiden, welche Entwicklungsrichtung vorteilhafter schiene 4 . D i e dominierende R o l l e des römischen Rechts in der Geistesentwicklung K o n t i n e n t a l - E u r o p a s ist schließlich eine Tatsache, an der die privaten Wünsche des Sozialpsychologen nicht zu rütteln vermögen. Aus diesem 4) W i r h a b e n a l l e n G r u n d zur d a n k b a r e n A n e r k e n n u n g d e s g a s t l i c h e n D a c h e s , das d i e J u r i s p r u d e n z d e r e u r o p ä i s c h e n S o z i a l w i s s e n s c h a f t gew ä h r t h a t , o b w o h l a n d e r e r s e i t s f e s t z u s t e l l e n ist, d a ß d a m i t e i n e ausges p r o c h e n n i c h t - n a t u r w i s s e n s c h a f t l i c h e E n t w i c k l u n g d e s G e b i e t e s H a n d in Hand g i n g .

12

Die Rolle der Sozialpsychologie

Grunde kann wohl auch die soziale Funktion des Sozialpsychologen in Europa nicht völlig nach dem Vorbild der Verhältnisse in den U.S.A. gedacht werden. Ein zweiter Grund d a f ü r ist schwieriger zu fassen. Ich glaube aber G. Gorer (The American People, N e w York 1948) zustimmen zu müssen, der die Intensitätsschwäche bzw. die vergleichsweise Seichtigkeit, der Freundschaftsbande in den U.S.A. betont. Vor die W a h l zwischen einem sehr weiten aber dünnfädigem N e t z der nachbarlichen Hilfsbereitschaft und einem jeweils engeren aber festeren Netz der Freundschaft gestellt, hat sich Amerika offenbar f ü r die erste Alternative entschieden. Das Ausmaß der horizontalen (Ortswechsel) und vertikalen (sozialer Rangwechsel) Mobilität des Amerikaners steht in einem Interdependenzverhältnis zu dieser Entscheidung 5 . Im Rahmen dieser Alternative findet der Berater, z. B. der Sozialpsychologe, leicht den Platz eines nachbarlichen Vertrauten, doch bleibt die Beziehung zu ihm auf ein Segment der eigenen Lebenssitutation und auf einen bestimmten zeitlichen Abschnitt beschränkt. Man tritt in eine solche Beziehung leichter ein, weil sie an sich geringere Konsequenzen hat und weil man außerdem mit seinen übrigen „Nachbarn" (hinsichtlich Wohngegend, Beruf usw.) kaum über die bewegenden Probleme seines Privatlebens sprechen könnte 6 . Allgemein mag daher gelten, daß die Abschätzung der möglichen Rolle des Sozial5) Zwei Variable {A und B) stehen in einem Interdependenz-Verhältnis, wenn Änderungen der einen (A) Variationen der anderen (B) im Gefolge haben und wenn die Variationen von B ihrerseits Veränderungen von A nach sich ziehen. Selbstsicherheit und die Wertschätzung durch andere dürften in dieser Weise zusammenhängen. Dies ist aber nur ein Beispiel, an dessen Stelle sidi viele andere setzen ließen, da — wie sdion Pareto betont hat — zwischen den für das soziale Geschehen maßgeblichen Variablen sehr häufig Interdependenz-Relationen anzutreffen sind. Dieser Umstand macht die Beantwortung einfacher Kausalfragen in den Sozialwissensdiaften so schwierig, ja oft unmöglich. 8) Damit hängt einmal wohl der „Erfolg" der Psychotherapie im Leben Amerikas zusammen und zum andern der Umstand, daß amerikanische Psychotherapeuten im allgemeinen weniger intensiver Ubertragungs-Situationen ansichtig werden als ihre europäischen Kollegen.

D i e Rolle der Sozialpsychologie

13

Psychologen in einer bestimmten Kultur eine sorgfältige Analyse des Lebensstils dieser Kultur voraussetzt. Damit wird natürlich, nicht die absolute Unveränderlichkeit dieses Stiles postuliert; man muß sich aber darüber im klaren sein, daß der Zeitbedarf des Kulturwandels sich nach Generationen bemißt. D a die Ergründung der eigenen Rolle eine sehr wertvolle Denkschulung für den Sozialpsychologen darstellt, sei noch eine weitere Beschränkung dieser Rolle ins Auge gefaßt. Jeder Berater ist von der Bereitwilligkeit des Zu-Beratenden abhängig. Diese Bereitschaft kann entweder individuell motiviert sein, wie z. B. im Falle eines Familienvaters, der selbst keinen Ausweg aus den Spannungen seines Heimes sieht; sie kann auch institutionell begründet sein, wie z. B. im Falle des an seinem Arbeitsplatze Unzufriedenen, der sich an einen Vorgesetzten oder an einen Gewerkschaftsführer mit der Bitte um Rat wendet. Die Wirksamkeit der Beratung zehrt in beiden Fällen sehr erheblich von dem Prestige, das dem Berater eingeräumt wird, sie zehrt von der Gesichertheit der Rolle des Beratenden und ist damit — indirekt — vom Vorhandensein eines Rollensystems abhängig. W o eine Gesellschaft kein entsprechendes Rollensystem entwickelt hat, bleibt auch die Beratungsfunktion fast völlig Undefiniert. Diese Problematik ist z. B. aus der Tätigkeit der Psychologen in der Deutschen Wehrmacht erinnerlich. Sie mag zugleich als eine nachdrückliche Warnung vor der Inangriffnahme von Fragenkomplexen gelten, hinsichtlich derer eine Einigung über die Rolle des sozialpsychologischen Beraters in absehbarer Zeit kaum zu erwarten ist. Es sind damit die Fragen des internationalen Zusammenlebens gemeint. Die Auffassung ist vielfach vertreten worden, daß die Sozialpsychologie die Wege zum Völkerfrieden weisen könnte und sollte; leider dürfte es sich hier um eine Illusion handeln. Der Sozialpsychologe schafft nämlich seine eigene Rolle weniger; er ist mehr darauf angewiesen, diese — als eine schon vorhandene Rolle — zu

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Die Rolle der Sozialpsychologie

spielen. Die Schaffung von Rollen selbst ist ein P h ä n o m e n des K u l t u r w a n d e l s . Es will mir aber scheinen, als m ü ß t e der K u l t u r - R e f o r m e r über wesentlich andere Persönlichkeitsvoraussetzungen v e r f ü g e n als der sozialpsychologische Berater. Die andeutungsweise A u f z ä h l u n g der d e n k b a r e n E i n satzgebiete der Sozialpsychologie gibt den Schlüssel zum Verständnis der S t r u k t u r des Faches, wie sie sich in den U S A seit dem Erscheinen seiner ersten beiden Lehrbücher im J a h r e 1908 entwickelt h a t . Die Gesamtdarstellungen der Sozialpsychologie folgen sozusagen einem doppelten A u f b a u p l a n ; sie entwickeln das T h e m a einerseits im H i n blick auf die sozialpsychologischen Beiträge zum V e r s t ä n d nis der F u n k t i o n e n des I n d i v i d u u m s (Denken, Fühlen, W o l l e n usw.), andererseits bauen sie das T h e m a v o n den P r o b l e m s i t u a t i o n e n a u f , in denen die H i l f e des Sozialpsychologen e r w a r t e t w i r d (z. B. S p a n n u n g e n zwischen M a j o r i t ä t u n d M i n o r i t ä t e n , industrielle Probleme, E r forschung der öffentlichen Meinung, Fragen des K u l t u r austausches usw.). Wahrscheinlich ist diese Doppelschichtigkeit des A u f b a u e s in erheblichem M a ß e f ü r den keineswegs befriedigenden S t a n d der T h e o r i e n b i l d u n g in der Sozialpsychologie v e r a n t w o r t l i c h zu machen. Andererseits ist es natürlich durchaus verständlich u n d sogar begrüßenswert, w e n n eine junge Disziplin ihre Forschungsimpulse aus der Praxis bezieht. D e r Versuch eines einschichtigen A u f b a u e s des Gebietes scheint aber verlockend genug, u m in der vorliegenden D a r s t e l l u n g u n t e r n o m m e n zu w e r d e n . Diese einleitenden Betrachtungen lassen sich mit dem H i n w e i s d a r a u f abschließen, d a ß die Sozialpsychologie im wesentlichen aus drei Q u e l l e n s t a m m t : 1. Aus der E r k e n n t n i s , d a ß vieles, was wir an den Menschen unserer U m g e b u n g f ü r schlechthin menschlich halten, durch den mitmenschlichen R a h m e n bedingt ist. 2. Aus dem Versuch, die V a r i a t i o n s b r e i t e des Menschlichen, so wie es sich in verschiedenen mitmenschlichen

Systematische Ansätze / Allgemeine Orientierung

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Situationen darlebt, mit den Mitteln der Psychologie zu erfassen. 3. Aus dem Verlangen, gewisse kritische mitmenschliche Situationen und die in ihnen auftretenden Stellungnahmen des Individuums so zu lenken, daß ein bestimmtes System mitmenschlicher Beziehungen (d. i. eine weitere oder engere Gruppe) die Ziele, die es sich stellt oder gestellt hat, besser erreichen kann.

II. Systematische Ansätze 1. Allgemeine Orientierung Die Sozialpsychologie hat zwar eine lange Vorgeschichte, aus der einzelnes herauszuheben sein wird, ihre Geschichte als systematisches Teilgebiet der Psychologie beginnt aber wohl erst mit den ersten beiden Lehrbüchern im Jahre 1908. D a ß das eine (W. McDougall: Introduction to social psychology, London 1908) von einem Psychologen stammt, das andere aber von einem Soziologen (E.A.Ross: Social Psychology, N e w York 1908), ist bedeutungsvoll, weil auch die mittlerweile erschienenen fünf Dutzend Lehrbücher (eine Liste der 52 angelsächsischen Publikationen gibt G. W . Allport in seinem Beitrag zu Lindzey's Handbuch, 1954) zu nahezu gleichen Teilen aus diesen beiden Disziplinen hervorgegangen sind. Die im Lauf der letzten drei Jahrzehnte zu beobachtende stetige Zunahme des Publikationsstromes (namentlich in der angelsächsischen Literatur) erlaubt zwei Rückschlüsse: 1. eine Kultur muß ihrer eigenen sozialen Probleme in akuter Weise ansichtig geworden sein und zugleich die Überzeugung erworben haben, daß diese einer empirischen Behandlung zugänglich sind; 2. das Gebiet muß als in schneller Entwicklung begriffen vorgestellt werden, so daß es in ihm noch zu keinem weithin befriedigendem systematischen Abschluß gekommen ist. Beide Annahmen können wohl als gültig betrachtet werden. Sie bestätigen sich

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Systematische Ansätze

auch im kontinental-europäischen Raum, o b w o h l hier das Anwachsen der Literatur sehr viel langsamer vor sich geht. Als Marksteine der Entwicklung des sozialpsychologischen Schrifttums können neben den beiden genannten Werken wohl die folgenden Veröffentlichungen angesehen werden: W. Wundt: Völkerpsychologie; eine Untersuchung der Entwicklungsgesetze von Sprache, Mythus und Sitte. 10 Bde., Leipzig 1900—1920. N . Triplett: The dynamogenic factors in pacemaking and competition. Am. J. Ps., 9, 1897 (Beginn des sozialpsydiologischen Experiments!). A. Mayer• Über Einzel- und Gesamtleistung der Schulkinder. Arch. ges. Ps., 1, 1903. W. Moede: Experimentelle Massenpsychologie. Leipzig 1920. F. H . Allport: Social Psychologie. Boston 1924. V. M. Bechterew u. M. de Lange: Die Ergebnisse der Experimente auf dem Gebiete der kollektiven Reflexologie. Z. ang. Ps., 24, 1924. R. Thurnwald: Forschungen zur Völkerpsychologie und Soziologie. 14 Bde., Leipzig 1925—1935. Diese ältere Entwicklung wird durch zwei Gesamtdarstellungen abgeschlossen: C. Murchison (Hgb.): Handbook of social psychology, Worcester 1935. G. u. L. B. Murphy u. T.M. Newcomb: Experimental social psychology, New York 1937 2 . Uber den gegenwärtigen Stand orientiert am besten: G. Lindzey (Hgb.): Handbook ob social psychology. 2 Bde., Cambridge, Mass. 1954. Deutschsprachige Gesamtdarstellungen stammen von: W. Beck: Grundzüge der Sozialpsychologie, München 1953. Ch. Blondel: Einführung in die Kollektivpsychologie, Wien 1948 (Orig. franz., 1928). W. Hellpach: Elementares Lehrbuch der Sozialpsychologie, Stuttgart 1951 3 . —: Kulturpsychologie, Stuttgart 1953.

Allgemeine Orientierung

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t . L. u. R. E. Hartley: Die Grundlagen der Sozialpsychologie, Berlin 1955 (Orig. amer., 1952). P. R. Hofstätter: Einführung in die Sozialpsychologie, WienStuttgart 1954. G. Maletzke: Zur Systematik der Sozialpsychologie. Ps. Rundsch., 5, 1954. W. Steinberg: Der Einzelne und die Gemeinschaft, München 1951. Aus den unmittelbaren Nachbargebieten sind zu nennen: W. Bernsdorf (Hgb.): Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, 1955. C. Brinkmann (Hgb.): Soziologie und Leben, 1952. A. Gehlen: Sozialpsychologische Probleme in der industriellen Gesellschaft, 1949. A. Gehlen u. H . Schelsky (Hgb.): Soziologie; ein Lehr- und Handbuch zur modernen Gesellschaftskunde, 1955. P. Reiwald: Vom Geist der Massen; Handbuch der Massenpsychologie, 1946. J. P. Ruppert: Sozialpsychologie im Raum der Erziehung, 1951. —: Sozialpsychologie im Raum der Schule, 1954. 1. Schwidetzky: Grundzüge der Völkerbiologie, 1950. I m Augenblick überwiegt der angelsächsische Anteil an der Sozialpsychologie so stark, daß ein ernsthaftes Studium des Faches ohne die Vertrautheit mit der englischen Sprache und Literatur nicht möglich ist. K a u m weniger wichtig ist die Erwerbung des in der neueren Forschung immer größere Bedeutung erlangenden statistisch-mathematischen Rüstzeuges 1 . 1} Diese Entwicklung ist in der deutschen Tradition kaum vertreten, sie wird sogar von zahlreichen deutschen Psychologen als „mechanistisch" und „seelenlos" abgelehnt. Ich glaube, daß es sich hier um sachlich nicht berechtigte Vorurteile handelt, deren Abbau anstrebenswert ist. Zur Einführung eignen sich: P. R. Hofstätter, Einführung in die quantitativen Methoden der Psychologie, München 1953; F. Klezl-Norberg, Allgemeine Methodenlehre der Statistik, Wien 1946; A. Linder, Statistisdie Methoden für Naturwissenschaftler, Mediziner und Ingenieure, Basel 1951. 2

Hofstätter, Sozialpsychologie

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Systematische

Ansätze

2. Historische Ansätze Wir wenden uns nun den älteren Systemansätzen zu, wie sie uns im wesentlichen aus den Jahren vor und um 1900 überkommen sind. D a vor diesem Zeitpunkt die Verselbständigung der Sozialpsychologie noch nicht erfolgt ist, muß hier vielfach auf das Quellenmaterial der Philosophie, namentlich der Rechts- und Staats-Philosophie, zurückgegriffen werden. Sehr oft ist dabei auf Abhandlungen über „Ethik" Redacht zu nehmen. In diesem Sinne stellen z. B. die sog. „französischen Moralisten" eine wahre Fundgrube scharfer Beobachtungen dar; dies gilt auch von den „Pensées" des B. Pascal (1670). Um das Thema nicht allzu sehr anschwellen zu lassen, wollen wir uns auf die mit Adam Smith (1776) einerseits und mit A. Comte (1839, 1854) andererseits anhebende Periode beschränken 2 . Das bedeutet u. a. den Verzicht auf die Darstellung der f u n damentalen Dialektik des Verhältnisses zwischen Individuum und Gesellschaft, die f ü r das abendländische Denken in der Gegenüberstellung von Plato und Aristoteles greifbare Gestalt gewinnt. Von Plato leitet sich die Organismus-Auffassung des Gemeinwesens her, auf Aristoteles geht die Suche nach im Individuum gelegenen Tendenzen zurück, aus denen sich dessen soziales Verhalten erklären läßt. Das Titelblatt des „Leviathan" von Hobbes (1651) zeigt eine mit Szepter und Schwert ausgestattete Riesenfigur, die sich aus lauter kleinen Einzelpersonen zusammensetzt. Darüber steht als Motto ein Spruch aus dem Buche H i o b (41; 24): N o n est potestas super terram quae comparetur ei. Dieses Bild gibt der Organismus-Hypothese beredten Ausdruck. Diese Hypothese selbst hat eine Reihe verschiedener Gestalten angenommen. Sehr o f t tritt sie als eine bloße Form der analogischen Darstellung auf. In diesem Sinne schlüpft sie in beinahe jede Redewendung, die eine 2) Eine sehr g u t e historische D a r s t e l l u n g gibt bei v. W i e s e , Soziologie, Samml. Göschen, Bd. 101, 19545.

aller

Kürze

L.

Historische Ansätze

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bestimmte G r u p p e oder eine ihrer Institutionen (z. B. „die" Familie) zum Subjekt eines Aussagesatzes macht. Das Gedankenspiel mit Analogien ist legitim und kann lruchtbar sein, solange man sich seiner metaphorischen N a t u r b e w u ß t bleibt 3 . Keineswegs bloß metaphorisch gemeint ist aber die Behauptung einer Gruppenseele, die z. B. mit E. Dürkheim „Kollektivvorstellungen", mit C. G. Jung ein „kollektives U n b e w u ß t e s " oder mit der Hegelsehen T r a d i t i o n den „objektiven Geist" entweder einer bestimmten N a t i o n („Volksgeist" bei Lazarus und Steinthal\ 1860; „Volksseele" bei Schaeffle, 1878 u n d Wundt) oder einer bestimmten Klasse (K. Marx) oder schließlich einer bestimmten Rasse (Gobineau) postuliert. Ebenfalls nicht bloß metaphorisch gemeint ist die Darstellung einer K u l t u r als eines lebenden, wachsenden und eventuell sterbenden Organismus bei Spengler und zum Teil auch bei Toynbee. Die empirische Sozialpsychologie hat wenig G r u n d , Begriffsbildungen so hohen Abstraktionsgrades anzunehmen oder auch zu kritisieren, da weder Annahme H) Dies gilt auch v o n d e n d e r P h y s i k e n t n o m m e n e n A n a l o g i e n , d i e s e i t d e m X V I I . J a h r h u n d e r t i m m e r w i e d e r a u f t r e t e n (vgl. P. S o r o k i n , C o n t e m p o r a r y s o c i o l o g i c a l t h e o r i e s , N e w York 1928). A l s b e s o n d e r s v c r l o d c e n d e r w i e s sich d a s N e w t o n ' s c h e G r a v i t a t i o n s g e s e t z . E i n e r d e r j ü n g s t e n V e r t r e t e r d i e s e r Richtung ist N . R a s h e v s k y ( M a t h e m a t i c a l biol o g y of social b e h a v o i r , C h i c a g o 1951). In v i e l f a c h e r Hinsicht richtungw e i s e n d ist A . J . L o t k a (Elements of p h y s i c a l b i o l o g y , B a l t i m o r e 1925). I m m e r w i e d e r f a s z i n i e r t die auf D e s c a r t e s , Leibniz u n d E. W e i g e l (1669) zurückgehende Idee der „mathesis universae". Man kann dabei das a n a l o g i s c h e E l e m e n t leidit auf s e i n g e r e c h t e s M a ß z u r ü c k s c h r a u b e n , w e n n m a n sich ü b e r l e g t , d a ß die D i f f e r e n t i a l g l e i c h u n g e n d e r P h y s i k D e n k m o d e l l e sind, d e r e n A n w e n d b a r k e i t sich k e i n e s w e g s auf e i n e n b e s t i m m t e n G e g e n s t a n d b e r e i c h b e s c h r ä n k t . S e l b s t im F a l l e d e s V o r h a n d e n s e i n s n u r recht p r i m i t i v e r M e ß m e t h o d e n l a s s e n sich v i e l e S a c h v e r h a l t e am k l a r s t e n durch D i f f r e n t i a l g l e i d i u n g e n b e s c h r e i b e n . E i n e n d e n k w ü r d i g e n V o r s t o ß in d i e s e R i d i t u n g h a t W . K o e h l e r (Die p h y s i s c h e n Ges t a l t e n in R u h e im s t a t i o n ä r e n Z u s t a n d , B r a u n s c h w e i g 1920) u n t e r n o m m e n . Ein B e i s p i e l f ü r d i e s e D e n k w e i s e w i r d s p ä t e r (vgl. S. 156 f.) geg e b e n w e r d e n . V i e l zu w e n i g w i r d in d i e s e m Z u s a m m e n h a n g m e i s t d a s h i s t o r i s c h e V e r d i e n s t H e r b a r t ' s (1824) u m d a s Q u a n t i f i z i e r u n g s p r o b l e m in d e r P s y c h o l o g i e g e w ü r d i g t . H e r b a r t ist leicht zu k r i t i s i e r e n , da er s e i n S y s t e m n a h e z u v ö l l i g a b s t r a k t , d. h. o h n e k o n k r e t e M a ß w e r t e , k o n s t r u i e r e n m u ß t e . Die t h e o r e t i s c h e n M o d e l l e a b e r , d e r e n er sich d a b e i b e d i e n t e , f i n d e n w i r zum Teil in d e n m o d e r n s t e n S y s t e m e n (z. B. b e i C. L. Hull, 1943, und bei N. R a s h e v s k y , „ M a t h e m a t i c a l B i o p h y s i r s " , 1948) w i e d e r . 2«

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Systematische Ansätze

noch A b l e h n u n g sich auf beobachtbare Sachverhalte g r ü n den ließen. Es h a n d e l t sich u m ein D e n k m o d e l l , das f ü r die empirische Forschung erst d a n n zu einer p r ü f b a r e n H y p o t h e s e würde, w e n n sich die Bedingungen seiner V e r i fikation b z w . Falsifikation, angeben ließen. D e r Sozialpsychologe h a t allerdings zwei besondere G r ü n d e , dieses W e l t b i l d als eine mögliche kosmische Existenz nicht unberücksichtigt zu lassen; einmal sollte er sich den ästhetischen G e n u ß u n d die geistige A n r e g u n g nicht entgehen lassen, die Spengler's „ U n t e r g a n g des A b e n d l a n d e s " u n d Fechner's „ Z e n d a v e s t a " in so reichem M a ß e bieten; zum a n d e r n leitet dieses W e l t b i l d zu einer Vorstellung v o n der Rolle des Einzelindividuums, die dessen Stellungnahmen nachhaltig beeinflussen k a n n . M a n m u ß sich nämlich d a r über im klaren sein, d a ß in den Sozialwissenschaften auch der eventuelle Nachweis der U n h a l t b a r k e i t einer T h e o r i e diese keineswegs ihrer psychagogischen W i r k s a m k e i t ber a u b t . D a s T h e m a des kosmischen Überorganismus — in religiöser Sicht des „corpus m y s t i c u m " — e n t f a l t e t sich als eine interessante Gegenstimme zum M o t i v des (bürgerlichen) I n d i v i d u a l i s m u s ; seine A f f i n i t ä t zu „ t o t a l i t ä r e n " Gesellschaftskonzeptionen ist allerdings stärker als die zu „ demokratischen". In der aristotelischen T r a d i t i o n findet m a n eine Reihe v o n Ansätzen, in denen jeweils eine besondere — meist als „ i n s t i n k t i v " vorgestellte — T e n d e n z z u r E r k l ä r u n g des sozialen Geschehens herangezogen w i r d . Die älteste und am wenigsten spezifische F o r m u l i e r u n g beinhaltet wohl das auf die A n t i k e zurückgehende hedonistische P r i n z i p , d e m z u f o l g e O r g a n i s m e n nach „Lust" streben u n d „Schmerz" zu vermeiden trachten. M i t der A u f k l ä r u n g einerseits u n d m i t den englischen „ U t i l i t a r i s t e n " a n d e r e r seits ( z . B . J . Bentbam, 1789 u n d J. St. Mill, 1863) ist dieses Modell zu einer f a s t allgemeinen, o f t jedoch u n eingestandenen Voraussetzung des psychologischen D e n kens geworden. D e r „ökonomische Mensch" der V o l k s wirtschaftler u n d das nach Freud zwischen „ L u s t p r i n z i p "

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und „Realitätsprinzip" ausgespannte Lebewesen folgen aus diesem Modell ebenso w i e die D y n a m i k des modernen Behaviorismus (Hull, Dollard und Miller, usw.), in deren Sicht jedes Verhalten letzten Endes auf Spannungsverringerung bzw. auf eine Gleichgewichtswiederherstellung abzielt. Dieser Grundgedanke ist seinerseits kaum weniger allgemein als die Lehre von einer Gruppenseele; es fehlt auch ihm die Spezifizierung der Tatbestände, die — gegebenenfalls — seine Zurückweisung („Falsifikation") erfordern würden 4 . A n speziellen Verhaltenstendenzen („Triebkräften" oder „propensities", Mc Dougall) sind die folgenden namhaft gemacht worden: Geselligkeits- und Herdentrieb (Kropotkin, 1902; Trotter, 1916; Ashley-Montagu, 1950), Sympathie (A. Smith, 1759; Spencer, 1870; Ribot, 1897; Scheler, 1923), Nachahmungstrieb (W. Bagehot, 1873; G. Tarde, 1903; J. M. Baldwin, 1895; E. B. Holt, 1931) 5 und Suggestibilität (Le Bon, 1895; Charcot, 1888—1894; Bernheim, 1884; Sighele, 1891). In dieser Aufzählung darf auch der sog. „Wille zur Macht" bzw. die „egoistische Tendenz" nicht fehlen (Stirner, 1845; Nietzsche, 1887; A. Adler, 1917; Le Dantec, 1918), da sich bereits mit Hobbes (1651) die sozialen Einrichtungen als Schutzmittel gegen die Destruktivität des reinen Egoismus auffassen lassen. 4) Die Einräumung der Möglichkeit eines „masochistischen Lustgewinns" sichert das Modell vor der Falsifikation. Der Spekulation erscheint ein soldies Ergebnis nicht selten als ein besonderer Erfolg, für die Empirie wird eine Behauptung dadurch allerdings nahezu wertlos. Philosophen und philosophisch orientierte Psychologen streben sehr oft nach Formulierungen, die in keiner Weise falsch sein können; der Empiriker zielt hingegen auf Behauptungen ab, die deutlich erkennen lassen, unter welchen Umständen sie als falsch bezeichnet werden müßten. In seiner Blickrichtung tragen falsifizierte Behauptungen mehr zur Erkenntnis bei als nicht-falsifizierbare. Vgl. die ausgezeichnete Darstellung K. Popper's (Logik der Forschung, Wien 1935). 5) Eine wesentliche Verfeinerung dieses Ansatzes gibt S. Freud's Identifikationsprinzip bzw. G. H. Mead's Betonung der Übernahme fremder Rollen durch das Individuum. N. E. Miller & J. Döllard (Social learning and imitation, New Häven 1941) machen die Annahme plausibel, daß „das Nachahmen" selbst nicht eine angeborene Tendenz sondern eine gelernte Verhaltensweise sei.

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Systematische Ansätze

Das Postulat eines einzigen zur Sozialisierung führenden Grundinstinkts besitzt nur geringe theoretische Aufschlußkraft, da in ihm ein menschliches Universale angenommen wird, das an sich zur völligen Uniformität der sozialen Erscheinungen führen müßte. Die Annahme mehrerer Triebkräfte, die miteinander eventuell in Konflikt geraten können, liegt daher nahe. Freud hat diesen Weg mit der Gegenüberstellung von Eros und Thanatos (Libido und Todestrieb, „Mortido" nach Federn) beschritten. Am bekanntesten ist wohl Mc Dougall's (1908) Aufzählung eines Dutzend von Triebkräften. Diesen und ähnlichen Modellen läßt sich einmal entgegenstellen, daß der Beobachter im Rahmen seines Kultursystems leicht dessen Selbstverständlichkeiten mit den Grundzügen der Natur „des Menschen" verwechselt (vgl. die Angriffe von K. Dunlap, 1919, und L. L. Bernard, 1926, gegen die Triebdoktrinen). Nicht weniger bedenklich ist der im wesentlichen statische Charakter des Modells, in dem Tendenzen und Konfliktmöglichkeiten vorgegeben sind, ohne daß in der Regel dem Faktor des Lernens Gerechtigkeit widerführe. Nachdem in den dreißiger Jahren die Suche nach menschlichen Instinkten erheblich in Mißkredit gekommen war, erkennt man in der jüngeren Literatur ein erneutes Interesse an der Frage, das einmal auf die bahnbrechenden Arbeiten der Tier-Ethologen (K. Lorenz, N. Tinbergen) zurückgeht und zum andern auf faktorenanalytische Befunde, die z. B. R. B. Cattell (Personality, New York 1950) zu einer Wiederaufnahme des Themas McDougall's veranlassen 6 . Ich glaube, daß man in der T a t nicht ohne die Annahme gewisser allgemein-menschlicher und angeborener (eventuell reifungsbedürftiger) Verhaltenstendenzen auskommen wird 7 . Eine systema6) Da sich d i e s e k o r r e l a t i o n s - a n a l y t i s d i e n S t u d i e n b i s h e r auf das V e r halten von Personen innerhalb einer einzigen Kultur beschränken, bleibt die U n i v e r s a l i t ä t s f r a g e noch offen. M a n e r k e n n t ü b r i g e n s l e i c h t , daß die I n s t i n k t - T h e o r i e n das h e d o n i s t i s c h e Prinzip i m p l i z i e r e n . 7) Ich n e i g e z. B . zur A n n a h m e e i n e s „ F a m i l i e n i n s t i n k t s " o d e r b e s s e r : F a m i l i e n s i n n e s , als d e s s e n nicht v ö l l i g a u s g e r e i f t e s V o r s t a d i u m der s o g .

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tische O r d n u n g dieser Grundtendenzen ist z. Zt. aber noch nicht möglich, weil wir zunächst die in Frage kommenden Größenordnungen noch gar nicht kennen. Die vergleichenden Verhaltungsforscher isolieren relativ stabile und kurzfristige Bewegungsmelodien, die z. B. im Werbeund Paarungs-Verhalten von Tierarten auftreten, während die Faktorenanalytiker im allgemeinen recht globale Tendenzen (z. B. Cattell's „Parental Erg") annehmen 8 . Instinkttheorien stützen sich in der Regel auf die Beobachtung, daß das menschliche Verhalten häufig weniger „rational" und „intelligent" ist, als es sein könnte oder als dies wünschenswert wäre, daß aber das sich in bestimmter Weise verhaltende Individuum sehr o f t seine Handlungen als rational erlebt. Bacon's Lehre von den „Idolen" (1620)) gibt dieser Beobachtung prägnanten Ausdruck. In neuerer Zeit hat man hier von „Lebenslügen", „Derivationen" (Pareto), „Mythen" und „Ideologien" (Marx und Engel, 1847; K. Mannheim, 1936; T . Geiger, 1953) gesprochen. Die Schwierigkeit dieses Ansatzes liegt im Fehlen verbindlicher Kriterien für die Rationalität von Stellungnahmen 9 . In diesem Sinne wird auch die o f t wiederholte, am nachdrücklichsten von Le Bon (1896) formulierte These einer gesteigerten Irrationalität in Massen„ G e s c h l e c h t s t r i e b " a n z u s e h e n w ä r e ( H o f s t ä t t e r , 1. c. 1954). Auch h i e r h a n d e l t es sich e i n s t w e i l e n n u r um die A u f w e i s u n g e i n e r D e n k m ö g l i c h k e i t , noch nicht j e d o c h um e i n e p r ü f b a r e H y p o t h e s e . I m m e r h i n scheint mir d i e s e D e n k m ö g l i c h k e i t mit s e h r v i e l e n B e o b a c h t u n g e n v e r t r ä g l i c h zu s e i n , die C. L e v y - S t r a u s s (Les s t r u c t u r e s é l é m e n t a i r e s de la p a r e n t é , P a r i s 1949) b e r i c h t e t . Vgl. auch A . G e h l e n ' s B e i t r a g zu G e h l e n u n d S c h e l s k y , 1955. S) Vgl. auch die auf W . I. T h o m a s & F. Z n a n i e d c y (The Polish p e a s a n t in E u r o p e a n d A m e r i c a , B o s t o n 1918—20) z u r ü c k g e h e n d e T h e o r i e d e r v i e r G r u n d a n s p r ü c h e ( „ w i s h e s " ) , d e n A n s p r u c h auf Sicherheit, auf n e u e E r f a h r u n g e n , auf p e r s o n a l e A n e r k e n n u n g u n d auf R e s o n a n z ( h e u t e w ü r d e m a n w o h l „feedback" s a g e n ) . D i e s e T h e o r i e g r ü n d e t z w a r nicht in f a k t o r e n - a n a l y t i s c h e n U n t e r s u c h u n g e n , doch g e l a n g t m a n m i t H i l f e d i e s e r M e t h o d e zu e i n e m s e h r ä h n l i c h e n Bild ( H o f s t ä t t e r , Z. a n g . Ps., 65, 1943). 9) Die F r a g e ob „der M e n s c h " v o n N a t u r a u s r a t i o n a l h a n d l e , g e h ö r t in d i e P h i l o s o p h i e ; die auf s i e g e g e b e n e n A n t w o r t e n s i n d a l l e r d i n g s legitime G e g e n s t ä n d e der Sozialpsychologie.

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Situationen zweifelhaft 1 0 . Eine Möglichkeit, die meist durch implizite Werturteile belastete Unterscheidung zwischen „rationalem" und „irrationalem" Verhalten zu vermeiden, ergibt sich im Rahmen des Systems von W . Wundt (1832—1920), in dem einander „Triebwille" und „Zweckwille" gegenübergestellt werden. Diese Dichotomie ist insofern von Bedeutung, als sie in der ihr durch Y.Tönnies (1855—1936) verliehenen Gestalt besonderen Einfluß erlangte. Im Anschluß an Schopenhauer („der bewußtlose Wille") hebt dieser Autor den „Wesenwillen" (als Ausdruck des Charakters) vom „Kürwillen" (als Ausdrude zweck gerichtet er Entscheidungen) ab. Max Weber' s U n terscheidung zwischen „wertrationalem" und „zweckrationalem" Verhalten kann wohl in Parallele dazu gesetzt werden. „Soziale Wesenheiten", die vorwiegend dem „Wesenwillen" entspringen, bezeichnet Tönnies als „Gemeinschaften" (z. B. die Familie), die ihren Ursprung in erster Linie dem „Kürwillen" verdankenden hingegen als „Gesellschaften" (z. B. den Staat). Er setzt damit zu einer Kategorienlehre der Sozialwissenschaften (sog. „reine Soziologie") an, die durch G. Simmel (1858—1918) und vor allem durch L. v. Wiese (1876— ) ausgestaltet wurde. Im Zuge dieser Bemühungen erfolgte allerdings — namentlich. durch v. Wiese — eine prinzipielle Abhebung der (hauptsächlich phänomenologisch betriebenen) Soziologie von der Psychologie des Einzelindividuums. In Frankreich hat diesen Schritt E. Dürkheim (1858—1917) getan. Diese Entscheidung ist begrüßenswert, da die von den älteren Autoren, z. B. noch von Tönnies, der Psychologie entlehnten (oder angelehnten) Begriffsbildungen — wie z. B. 10) Le Bon's Wirkung auf das Denken der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts erscheint sehr im Zwielicht; einerseits hat er dem sozialpsychologischen Denken sicherlich starke Impulse gegeben, andererseits haben seine vorschnellen Verallgemeinerungen die wissenschaftliche Bearbeitung dieses Gebietes verzögert. In sehr empfindlicher Weise fehlt bei Le Bon die Unterscheidung zwischen strukturierten Gruppen (Direktorien, Wehrformationen usw.) und amorphen Massen. Letztere faßt man heute wohl besser als strukturierte Gruppen in statu nascendi auf; sie erscheinen damit als relativ kurzfristige Ubergangsstadien.

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die Unterscheidung zwischen zwei W i l l e n s - T y p e n — sich in dieser Wissenschaft selbst inzwischen als recht unbrauchbar erwiesen haben. Dies gilt zweifelsohne auch von der spekulativen Psychologie, auf die G. Tarde (1843—1904) seine Soziallehre gründete. D e r dialektischen Trias entsprechend werden in ihre „ I m i t a t i o n " , „Opposition" und „ A d a p t i o n " als einander ablösende Phasen eines G r u n d prozesses definiert. Tarde's Einfluß ist in dem einen der ersten beiden Lehrbücher der Sozialpsychologie (E. A. Ross, 1908) besonders deutlich. Es wäre aber sicher nicht sinnvoll, wenn sich die m o d e r n e Sozialpsychologie die A u f gabe stellte, den Anschluß an die spekulative Psychologie des ausgehenden X I X . J a h r h u n d e r t s zu finden. Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, d a ß nahezu alle Forschungsprobleme, auf die von den älteren Autoren hingewiesen wurde, heute noch zur Diskussion stehen, z. B. das Problem der „öffentlichen Meinung", das sowohl von Tarde (1901) als auch v o n Tönnies (1922) monographisch dargestellt wurde. G a n z besonders reich an Problemaufweisungen sind die zahlreichen Einzeluntersuchungen Simmeis (z. B. dessen „Philosophie des Geldes", 1900), in denen beinahe alle in der vorliegenden Schrift behandelten Fragen — z u m Teil erstmalig — anklingen. D a z u k o m m t , d a ß nicht nur die Probleme sondern auch die zu ihrer Bewältigung ersonnenen Systemansätze der älteren A u t o r e n in unserer Zeit f o r t w i r k e n — dies nicht zuletzt wohl darum, weil sie dem I n d i v i d u u m relativ bequeme Selbstdeutungsmöglichkeiten an die H a n d geben 11 . V o n der empirischen Forschung k a n n man andererseits k a u m erwarten, d a ß sie zu einem Weltbild führen werde, das zugleich in seinen G r u n d z ü g e n einfach u n d daher leicht überschaubar und in den aus ihm abgeleiteten Voraussagen gültig ist. Auf diese Weise bleibt die Empirie den Ansprüchen des Außenseiters stets etwas schuldig, woraus sich denn wohl die P o p u l a r i t ä t (und das H ) V g l . P. R. H o f s t ä t t e r , Die P s y c h o l o g i e u n d d a s L e b e n , W i e n 1951.

Systematische Ansätze

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Fortbestehen) übermäßig verallgemeinernder Thesen erklärt. Lessings denkwürdige Entscheidung zugunsten des Weges zur Wahrheit an Stelle der Wahrheit selbst klingt im Denken der Fachvertreter, denen Methoden wichtiger sind als intuitive Eröffnungen, nach. Sie haben dazu ihre guten Gründe: W o immer es nämlich statthaft erscheint, eine intuitive Eröffnung in Zweifel zu ziehen, läßt sich das Vertrauen in eine Aussage nur auf die Prüfung des Weges gründen, der zu ihr führt.

3. Neuere theoretische Positionen a)

Psychoanalyse

W i r beginnen die Erörterung der neueren Systemansätze mit dem Hinweis auf die Freud'sehe Psychonanalyse, da in ihr der mitmenschlichen Umwelt eine größere und unmittelbarere Bedeutung für die Stellungnahmen des Individuums eingeräumt wird als etwa in der Fechner-Wundt'schen Tradition der akademischen Psychologie. Tatsächlich sind die Sozialwissenschaften durch Freud'sches Gedankengut auch weit stärker beeinflußt worden als durch irgend eine andere psychologische Lehrmeinung 12 . Entscheidend ist hier einmal die Lehre von den Kindheitstraumen gewesen und andererseits der Begriff des Über-Ich, das sich als eine wertende Instanz beim Übergang von den affektiven Spannungen zu den Eltern („Oedipus-Komplex") zur Identifikation mit diesen entwickeln soll. Mit der Annahme, daß diese einmal erworbene IdentifikationsBereitschaft auch gegenüber anderen Personen (z. B. T r ä 12) V g l . C. K l u c k h o h n . T h e i n f l u e n c e of p s y c h i a t r y in a n t h r o p o l o g y in A m e r i c a during the p a s t o n e h u n d r e d y e a r s , i n : J . K. Hall u. G . Z i l b o o r g (Hgb.), O n e h u n d r e d y e a r s of A m e r i c a n p s y c h i a t r y , N e w Y o r k 1944. S o w i e : S . S c h e i d l i n g e r , P s y c h o a n a l y s i s and g r o u p b e h a v i o r , N e w Y o r k 1952; G . R o h e i m , T h e o r i g i n a n d f u n c t i o n o f c u l t u r e , N e w Y o r k 1942j G . R o h e i m (Hgb.), P s y c h o a n a l y s e a n d t h e s o c i a l s c i e n c e s ( b i s h e r 4 B d e . , N e w Y o r k 1947—1954); A . K a r d i n e r T h e i n d i v i d u a l and h i s s o c i e t y , N e w Y o r k 1939; T h e p s y c h o l o g i c a l f r o n t i e r s of s o c i e t y , N e w Y o r k 1945; E. H . E r i k s o n , C h i l d h o o d and s o c i e t y , N e w Y o r k 1950.

N e u e r e theoretische P o s i t i o n e n

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gern der Führerrolle) zur Auswirkung kommen kann, hat Freud uns in der T a t eine höchst wertvolle Denkmöglichkeit eröffnet. Dies gilt auch vom Ambivalenz-Prinzip, das die D o p p e l n a t u r vieler unserer Gefühlsbindungen ("im E x t r e m : Haß-Liebe) sehr gut beschreibt. Auf die behauptete formende W i r k u n g der frühkindlichen Erlebnisse wird später noch einzugehen sein. Als anregend, wenn auch höchst f r a g w ü r d i g , sind Freud's G e d a n k e n über den U r s p r u n g der Gesellschaft zu betrachten (Totem u n d T a b u , 1913; Moses und M o n o theismus, 1939). Die U r - H o r d e , in der ein tyrannischer Vater die Söhne zur sexuellen Abstinenz zwingt, und in der schließlich die Söhne den V a t e r töten, ist eine romantische Konstruktion, die im höchsten M a ß e unwahrscheinlich ist, da archaische Familiensysteme in der Regel nicht die K o n z e n t r a t i o n aller Macht in der H a n d eines V a t e r T y r a n n e n zeigen (vgl. den Begriff der „Trustee-Family" bei C. C. Zimmerman, Family and Civilization, N e w York 1947). Zudem impliziert Freud's H y p o t h e s e eine Lamarckistische Phylogenie (Vererbung erworbener Eigenschaften), damit von einem erbmäßig überkommenen U r t r a u m a der Menschheit gesprochen werden könne. Hartmann und Kris (1945) revidieren diesen Teil des Systems mit dem treffenden Ausdruck, d a ß die Kastrationsfurcht eher „in der L u f t " (d. h. in einer bestimmten kulturellen Atmosphäre) liege als in den Genen. Ebenso z w e i f e l h a f t ist die Annahme, d a ß die Gesellschaft als solche die tyrannische, triebunterdrückende Rolle des U r v a t e r s weiterspiele, wobei es d a n n zur oedipusartigen A u f l e h n u n g bzw. zur Identifikation mit der Gesellschaft (etwa in Gestalt des Patriotismus) kommen soll. Diese Vorstellung scheint sich nämlich nur dann aufrecht erhalten zu lassen, wenn man die zentrale Stellung des Geschlechtstriebes einzuräumen bereit ist. N u r in diesem Falle lassen sich nämlich die vitalen (oralen und analen) Tendenzen des Kleinkindes als Vorstadien der genitalen

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Systematische Ansätze

Aktivität und die sehr viel komplexeren Handlungsimpulse des Erwachsenen als deren Sublimationsprodukte deuten 13 . Das triebhafte Es, aus dem sich nach Freud das die Realität in Rechnung stellende Ich und das wertgerichtete Über-Ich entwickeln, wird von der älteren psychoanalytischen Schule als asozial, oder sogar antisozial gekennzeichnet. Es fragt sich aber allen Ernstes, ob „Lust" nicht an sich schon einen das Individuum transzendierenden Bezug enthält, ob nicht zu den Wesensvoraussetzungen der Lust ein Partnerschaftserlebnis (mit Personen oder mit personifizierten Dingen) gehört. Der Orgasmus im Konzept Freud's ist in seltsamer Weise partnerlos, als ob die Verschmelzung mit dem Du nur eine unwesentliche Zutat zum masturbatorischen Akt wäre. T a t sächlich besitzt jedoch auch der masturbatorische Akt fast immer einen Phantasie-Partner. Ein Wort Tertulliah's abwandelnd ließe sich dem isolierten Individuum Freud's wohl der Begriff der „anima naturaliter socialis" gegenüberstellen. Die soziale Bezogenheit des menschlichen Strebens hat als erster A. Adler (1912) gegen Freud ins Treffen geführt; er schied damit aus der psychoanalytischen Schule aus. Inzwischen hat sich allerdings die merkwürdige Situation ergeben, daß — namentlich in den U.S.A. — die neo-freudischen Schulen (K. Horney, E. Fromm) im wesentlich auf eine Synthese zwischen Freud und Adler abzielen. Das auch die „orthodoxe" Psychoanalyse zu einer Revision älterer Anschauungen bereit ist, belegen zahlreiche Beiträge zu dem von Anna Freud herausgegebenen Jahrbuch „The psychoanalytic study of the child" (bisher 8 Bände); vgl. im besonderen die Aufsätze von H. Hartmann (1950, 1952). Im Zuge dieser Bemühungen werden dem Ich nun13) Ein wesentlich anderes Bild ergibt sidi, wenn man die genitale Sexualität für ein Reifungsstadium des „Familiensinnes" hält. Eine abermalige Umorientierung erzwingt die Feststellung, daß u. U. das Hungermotiv wesentlich stärker verhaltensprägend wirken kann als das Geschlechtsmotiv. Hier werden die historischen Eigenheiten der Kultur sichtbar, aus der heraus Freud sein Thema entwickelte.

N e u e r e theoretische P o s i t i o n e n

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mehr außer den früher einseitig betonten „Abwehi-mechanismen" (A. Freud, 1936) auch synthetische Funktionen eingeräumt. Selbst die Annahme einer Entwicklung des Ich aus dem Es wird dabei vielfach aufgegeben. In methodologischer Hinsicht stattet die Psychoanalyse den Beobachter sozialer Erscheinungen mit dem Prinzip der Deutbarkeit aus. Durch dieses wird die Legitimität von Sinnzusammenhängen postuliert, auch wenn diese dem stellungnehmenden Individuum nicht klar (oder bewußt) sind, ¡a auch wenn diese von ihm abgelehnt werden sollten. Freud selbst hat hier mit seinen Abhandlungen über Leonardo da Vinci" und den „Moses des Michelangelo" einen Weg gewiesen, dem gegenüber größte Zurückhaltung am Platze scheint. Selbst im vergleichsweise einfacheren Fall* der psychotherapeutischen Beratung lassen sich nämlich nur sehr dürftige Kriterien für die objektive Gültigkeit von Deutungen beibringen. Dieser Umstand beraubt jedoch die „Deutung" innerhalb des therapeutischen Gespräches nicht ihrer therapeutischen Wirksamkeit, da in ihr der Berater seinem Gegenüber neue Möglichkeiten der Selbstdeutung anbietet und da er durch sie Stellungnahmen des Individuums herausfordert. Ohne den kommunikativen Kreisprozeß des Gesprächs sind Deutungen aber nichts anderes als mehr oder minder gewagte Analogieschlüsse. Geradezu grotesk wirkt es, wenn wir in einer Abhandlung über Cromwell lesen: „Da wir nichts über die fundamentalen Konflikte seiner Kindheit wissen, haben wir uns diese vorzustellen . . . Der Prozeß einer gewaltsamen und trotzdem unvollständigen Verdrängung des Oedipus-Komplexes muß zweifelsohne stattgefunden haben" (G. Bychowski, J . clin. Psychotherapy, 7, 1945). Eine bestimmte Konstellation, auf die sich Deutungen mit besserem Recht gründen lassen, verdient besonders hervorgehoben zu werden, weil sie inzwischen auch einer experimentellen Behandlung zugänglich geworden ist. Anläßlich seiner Beschäftigungen mit Träumen, Witzen und Fehlerinnerungen beobachtete Freud, daß sich Affekte oftmals

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Systematische A n s ä t z e

an Gestalten und Begebenheiten k n ü p f e n , die um ihrer selbst willen als recht u n b e d e u t e n d erscheinen, d. h. so als ob sie die ihnen g e w i d m e t e A f f e k t b e s e t z u n g gar nicht verdienten. Es w a r eine der Genieleistungen Freud's, d a ß er diese Gestalten u n d Begebenheiten als die Stellvertreter der eigentlich intendierten O b j e k t e e r k a n n t e . I m „Conipleat English T r a d e s m a n " (1725) Daniel Defoe's. des Robinson-Autors, findet sich eine Schilderung, die diesen Z u s a m m e n h a n g erhellt: „Die Ärgernisse, denen die Geschäftsleute in ihren Läden ausgesetzt waren, regten diese so auf, d a ß sie bei der R ü c k k e h r in ihre W o h n u n g e n ihre W u t an den allerunschuldigsten O b j e k t e n ausließen, an ihren Frauen u n d K i n d e r n , an den Mägden . . " Die a n t i k e (bzw. feudale) Einrichtung des „Sündenbocks", der als Stellvertreter f ü r die eigentlich zu b e s t r a f e n d e Person f u n g i e r t , belegt den gleichen Sachverhalt 1 4 . In allgemeiner F o r m läßt sich daher die Gesetzmäßigkeit f o r m u l i e r e n : W i r d eine bestimmte S t e l l u n g n a h m e zu einem bestimmten O b j e k t blockiert (z. B. durch die Regeln des Anstandcs, die auch den sich u n a n g e n e h m a u f f ü h r e n d e n K u n d e n im L a d e n des Geschäftsmannes schützen), d a n n verschiebt sich diese gleiche S t e l l u n g n a h m e auf andere O b i e k t e ; sie t u t dies (bezüglich I n t e n s i t ä t u n d Wahrscheinlichkeit ihres A u f t r e t e n s ) nach M a ß g a b e der Ähnlichkeit zwischen dem U r - O b j e k t u n d dem E r s a t z - O b j e k t . Dieses Gesetz w i r d in der Psychologie der L e r n v o r g ä n g e als das Generalisationsprinzip bezeichnet. Es findet sich seit Pawlow (der es — wahrscheinlich in unzureichender Weise — aus der I r r a d i a t i o n v o n Erregungen im K o r t e x ableiten wollte) in allen zeitgenössischen Lerntheorien 1 5 . D e r Sozialpsychologe 14) Die Q u e l l e n f i n d e n sich b e i J. G. F r a z e r , T h e g o l d e n b o u g h , N e w York 1922. Der Begriff d e s S ü n d e n b o c k s ( „ s c a p e g o a t " ) s p i e l t in d e r A n a lyse der gegen die Mitglieder gewisser Minoritäten gerichteten negativen S t e l l u n g n a h m e n ( „ p r e j u d i c e " ) e i n e g r o ß e Rolle. 15) In t h e o r e t i s c h e r Hinsicht b e s t e h t a l l e r d i n g s d i e S c h w i e r i g k e i t e i n e r O b j e k t i v i e r u n g des Sachverhältnisses der Ähnlichkeit. Definiert man d a s Ä h n l i c h k e i t s k o n t i n u u m u n t e r B e z u g n a h m e auf d i e a b n e h m e n d e Gen e r a l i s a t i o n s w a h r s c h e i n l i c h k e i t , d a n n w i r d d a s Prinzip zu e i n e m t a u t o l o g i s c h e n Z i r k e l . Dies ist a b e r nicht n o t w e n d i g , d a w i r h e u t e M e t h o d e n z u r Ä h n l i c h k e i t s m e s s u n g b e s i t z e n (vgl. H o f s t ä t t e r , Psyche, 9, 1955).

Neuere theoretische Positionen

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hat es mit Generalisations-Erscheinungen zu tun, wenn er feststellt, daß gewisse W o r t e (z. B. N a m e n ) an der Affektbesetzung des durch sie bezeichneten Gegenstandes partizipieren. Magische Bräuche (z. B. auch die Hinrichtung „in effigie") sind hier zu erwähnen. Im A l l t a g wird man vielfach feststellen können, daß gewisse Gestalten der mitmenschlischen U m w e l t eines Individuums zu Objekten von Stellungnahmen werden können, die ursprünglich im Bezug auf andere Personen, etwa die Eltern, entwickelt wurden. Nicht selten bemühen sich daher auch die T r ä g e r von Führerrollen darum, von ihren Untergebenen als Vater-Imagos (d. h. als Generalisationsobjekte für die auf den Vater gerichteten Stellungnahmen) angesehen zu werden. b) L e r n t h e o r i e Die vorstehenden Erörterungen haben uns bereits zum zweiten Systemansatz der Gegenwart geleitet. Den älteren Trieb-Theorien erwuchs in der Lerntheorie ein ernsthafter Gegenspieler. Zur Einführung zwei Beispiele: Selbst im Schlaf können wir noch unsere Muttersprache (oder auch die Sprache unseres täglichen Umganges, sofern dies nicht die Muttersprache sein sollte) sprechen. Diese Sprache haben wir aber einmal gelernt; wir haben sie so ausgiebig gelernt, daß ihr Gebrauch nahezu automatisch geworden ist. Amerikanische Kinder „wissen", daß der Christbaum in Flammen aufgeht, wenn man auf ihm Wachskerzen anzündet. D a ß er dies in der Regel nicht tut, haben sie niemals erfahren, da die Stadtverwaltung Wachskerzen zu Weihnachten verbietet. Die beiden Beispiele zielen auf gelernte Stellungnahmen ab, im ersten Fall handelt es sich um ein motorisches Verhalten (Sprechen), im zweiten um eine Wissensorientierung. Dabei könnte man freilich argumentieren, daß auch dem motorischen Vollzug eine Wissensorientierung zu Grunde liegt, bzw. daß das „Wissen" um die Gefährlichkeit der Wachskerzen am Verhalten erworben worden sei. Im Augenblick schließt man sich mit seiner Entscheidung hinsichtlich dieser an sich recht miißi-

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Systematische Ansätze

gen Frage einer der beiden Hauptrichtungen der Lerntheorie an. Die sich von Pawlow und Thorndike herleitende Schule C. L. Hull's (The principles of behavior, N e w York 1943) sieht im Lernen den Erwerb von Verhaltenstendenzen („Reaktionspotentialen"); die Richtung E C. Tolman's (Purposive behavior in animals and men, N e w York 1932) betont die kognitiven Aspekte des Lernens (Wissensorientierung). Hull muß daher die Dynamik des Lernens aus dem Verhaltenserfolg („Lohn" oder „Strafe") entwickeln („reinforcement theory"), während Tolman sich auf die erfaßte Regelmäßigkeit von Abfolgen und Nachbarschaftsbeziehungen stützt („contiguity theory"). Es scheint in unserem Rahmen nicht nötig, auf diese Kontroverse näher einzugehen, da sich eine Versöhnung der Standpunkte bereits am Horizont erkennen läßt. Diese dürfte sich im wesentlichen durch die Ausgestaltung des Begriffs der „Erwartung" („expectancy") herbeiführen lassen16. Der Verhaltenserfolg wird in eben dem Maße für unser zukünftiges Verhalten wirksam, als er erwartungsmäßig vorausgenommen wird; unser „Wissen" ist aber in weiten Bereichen nichts anderes als das Reservoir, aus dem wir in konkreten Situationen Erwartungen schöpfen' 7 . 16) Systematische Ansätze in dieser Richtung geben: K. MacCorquodale & P. E. Meehl, Ps.Rev., 60, 1953; J. B. Rotter, Social learning and clinical psychology, New York 1954. Die Intensität einer Erwartung korrespondiert einmal mit der Bewertung bestimmter Klassen zukünftiger Ereignisse und zum andern mit der (statistischen) Regelmäßigkeit der bereits erfahrenen Abfolgeordnung („erst A dann B"). In diesem Sinne lassen sich die beiden Pfeiler der herkömmlidien .Lerntheorien (Motivation und Wiederholungsanzahl) in einer Erwartungs-Theorie einbauen. 17) Das Erwartungsprinzip ist ein Hauptbestandteil des Modells des „Regelkreises" (feedback), das sidi in der Verhaltensforschung einzubürgern beginnt. Der Kreis selbst setzt sich aus Stellungnahmen des Individuums, -deren Erfolgen oder Mißerfolgen, der Rück-Erfahrung dieser Resultate und schließlich aus der Vorwegnahme dieser Resultate in der Erwartung zusammen. Dieses Modell stammt aus dem Denken des XVIII. Jahrhundert (D. Hartley, 1749); es ist später von A. Bain (1855), J. M. Baldwin (1897) und W . Bechterew (1913) benutzt worden; neuere Anwendungen stammen von F. H. Allport (1924) und E, B. Holt (1931). Im deutschen Schrifttum haben A. Gehlen (Der Mensch, seine

Neuere theoretische Positionen

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D a gelernte Stellungnahmen in einem sehr hohen Maße automatisiert sein können, laufen sie vielfach ohne ein Erlebnis des Vorsatzes oder der Entscheidung ab. In diesem Sinne benimmt sich dann das Individuum so, als ob sein Verhalten aus angeborenen Triebquellen stammte. Seine Stellungnahmen erscheinen ihm dann auch selbst als „selbstverständlich" und als unabdingliche Charakteristika seines Wesens. D a ß die Ausbildung von Erwartungskonstellationen schon in den ersten Lebensjahren beginnen kann, hat bereits Freud, gesehen. Die neuere Sozialpsycho logie behandelt daher das Hineinwachsen des Individuums in eine bestimmte Kultur als einen Lernprozeß, in dessen Verlauf sich auch spezifische Generalisationstendenzen einstellen (vgl. N . E. Miller und J. Dollard: Sozial learning and imitation, N e w H ä v e n 1941; J. Dollard und N . E. Miller: Personality and psychotherapy, N e w York 1950; B. F. Skinner: Science and human behavoir, N e w York 1953; J. W . M. Whiting und I. L. Child: Child training and personality, N e w H ä v e n 1953). Als ein Lernvorgang läßt sich auch die Beeinflussung individueller Stellungnahmen durch propagandistische und reklameartige Maßnahmen darstellen (vgl. C. I. Hovland, I. L. Janis und H . H . Kelley: Communication and persuasion, New Häven 1953, sowie Noviand's Beitrag zu Lindzey's Handbuch, 1954). Einer der interessantesten Lernvorgänge spielt sich auf dem Gebiet des Spracherwerbs ab 18 ; in seinem Verlauf entwickeln wir mit dem motorischen Vollzug sehr komNatur und seine Stellung in der Welt, Berlin 1940) und V. v. Weizsäckei (Der Gestaltkreis, Leipzig 1940) von ihm ausgiebigen Gebrauch gemacht Zur. Zeit wird es im Bereich der sog. „Cybernetics (N. Wiener, 1949), in den wahrnehmungspsychologischen Untersuchungen der Princeton Sdiule (H. Cantril, The „why" of man's experience, New York 1950) sowie in der Bruner-Postman'sdien Hypothesentheorie (vgl. L. Postman, Toward a general theory of cognition, in: J. H. Rohrer & M. Sherif, Hgb., Social psychology at the crossroads, New York 1951) ausgebaut. 18) Richtungweisende Analysen dieses Gebietes finden sidi in dem von C. E. Osgood & T. A. Sebeok herausgegebenen Symposium über „Psycholinguistik" (J. abn. soc. Psydiol,, 49, 1954). 3

Hofstätter, Sozialpsydiologie

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Systematische Ansätze

plexer Bewegungsgestalten (für die das koordinierte Funktionieren von nicht weniger als 72 Muskelpaaren erforderlich ist) auch ein Strukturbild des Universums bzw. das System der Kategorien, nach welchen wir unsere E r f a h r u n gen ordnen können, ja, im Bereich einer bestimmten Kultur ordnen müssen. Es ist darum nicht verwunderlich, daß die antiken Griechen den kulturellen Außenseiter als einen Sprachfremden („Barbaren" von altind. „barbarah" = stammelnd, vgl. W . Brandenstein: Griechische Sprachwissenschaft, Sammlung Göschen, Bd. 117, 1954) charakterisierten. Er drückt sich nicht nur in den täglichen Kontaktbeziehungen ungeschickt aus, er sieht auch sich anders als dies etwa der im Denkstil der griechischen Grammatik (und, was nahezu dasselbe ist, der aristotelischen Logik) aufgewachsene Hellene tut 1 9 . Wilhelm v. Humboldt (1836) hat auf diesen Zusammenhang schon aufmerksam gemacht; sein Hinweis wurde von den heute bereits als „älter" erscheinenden Anthropologen (Boas, Sapir), von den Soziologen in der Tradition Comte's und Dürkheim's, sowie in in der Philosophie durch E. Cassirer übernommen, und schließlich von B. L. Whorf (Four articles on metalinguistics, Washington 1950) und D . D . L e e (1938, 1950) weiter ausgebaut. W i e die kritischen Referate von H . Hoijer (in: A. L. Kroeber, Hgb., Anthropology today, Chicago 1953) und von E. H . Lenneberg (Language, 29, 1953) jedoch zeigen, besteht auch die Gefahr einer Übersimpiifizierung des Zusammenhanges. Für den Bereich der Sozialpsychologie ist der Gedankengang wichtig, daß wir uns nur in dem M a ß e unserer eigenen Befindlichkeit bewußt sein können, als wir gelernt haben, die betreffenden Zustände durch Benennungen zu objektivieren (Dollard und Miller, I.e., 1950; Hofstaetter, 1. c., 1951). Diese T a t lö) Eine etwas hypertrophische Ausgestaltung findet dieses Thema in der Sdiule der „Semantizisten" (A. Korzybski, Science and sanity, Lancaster 1933; S. I. Hayakawa, Language in thought and action, New York 1949), die (größtenteils unwissentlich) an den mittelalterlidien Nominalismus anknüpfen.

N e u e r e theoretische Positionen

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sache spielt sehr wesentlich in die Theorie des psychotherapeutischen Prozesses hinein, weil die Kodifizierung der affektiven Erlebnisse des Kindes durch die Eltern (im Sprachverkehr) o f t unscharf und bisweilen in sinnloser Weise verallgemeinernd (z. B. „schlimm") ist. Ein zweiter Problemkreis erwächst der Sozialpsychologie aus der Generalisations-Beziehung zwischen Ereignissen und deren Benennungen. Der Wertakzent der gewählten W o r t m a r k e bestimmt in vielen Fällen (z. B. in der P r o p a g a n d a ) die Erscheinungsweise des gemeinten Sachverhaltes. c)

Rollentheorie

Eine vollständige Aufzählung all dessen, was wir normalerweise zu lernen haben, ist natürlich unmöglich, jedoch muß ein Gebiet unseres Lernens herausgegriffen werden, weil es einen der heute am häufigsten verwendeten Integrationskerne der sozialpsychologischen Theorienbildung enthält. Gemeint ist die Erfassung der Rolle, die wir selbst in dieser oder jener Situation zu spielen haben, sowie das Ansichtigwerden der Rollenhaftigkeit im Verhalten anderer Personen. D a s sozialpsychologische Denken zeigt hier den Fortbestand einer mythologischen Weltbetrachtung, die aus der Analogie zwischen Schauspiel und Leben schöpft. Offenbar liegt diesem Ansatz die häufig anzustellende Beobachtung zu Grunde, daß ein und dasselbe Individuum im Wechsel der mitmenschlichen U m welten, zu denen es Stellung nimmt, in recht verschiedener Weise erscheinen kann. Als Erwachsene gestehen wir uns diese Variationsweite in der Regel nicht gerne ein; wir können aber nicht umhin, das Ausmaß und den Eifer zu vermerken, mit dem Kinder sich dem Rollenspiel widmen. Buben spielen „ R ä u b e r und G e n d a r m " , Mädchen praktizieren die Mutterrolle mit ihren Puppen. D a ß im Spiel hier gelernt wird, dürfte keines weiteren Hinweises bedürfen. Dieses Lehrmittel benützen sogenannte „primit i v e " Kulturen sehr ausgiebig; es wird neuerdings auch in unserer eigenen Kultur zu Ausbildungszwecken (Führer3«

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Systematische Ansätze

training nach A. Bavelas; Interviewer-Vorbereitung nach Barron) adaptiert. Die wissenschaftliche Etablierung des Rollenbegriffs ist vor allem G. H. Mead (Mind, seif and society, Chicago 1934) zu danken, für seine weitere Ausgestaltung sind N. Cameron (1947), W. Coutu (1949), T. M. Newcomb (1950) und T. R. Sarbin (1950, 1954) heranzuziehen. Moreno's „Psychodrama" (Who shall survive? Washington 1934; Psychodrama, New York 1946) stellt den — offensichtlich sehr aussichtsreichen — Versuch einer psychotherapeutischen Auswertung des Rollenspiels dar. Dieses ist diagnostisch aufschlußreich; es erlaubt zudem die Abfuhr innerer Spannungen und schließlich ermöglicht es die Wahrnehmung der Realität zwischenmenschlicher Beziehungen in einer Situation, die nur einen halben Einsatz verlangt, dafür aber eine erhöhte Freiheit („Narrenfreiheit") gewährt. Als eine Rolle kann man eine in sich zusammenhängende Verhaltenssequenz definieren, die auf die Verhaltenssequenzen anderer Personen abgestimmt ist. Was diese Sequenz charakterisiert, ist somit erstens ein Moment der Gestalthaftigkeit (d. h. der Umstand, daß der Beobachter einen notwendigen Zusammenhang zu erkennen vermag, ein „Leitmotiv"), zweitens ihr Bezug auf und die Verflechtung mit den Rollen anderer Personen, und drittens ihre Abhebbarkeit von ihrem jeweiligen Träger bzw. die Möglichkeit ihrer Übernahme durch verschiedene Individuen. Eine Rolle muß sowohl deutbar als auch systembezogen sein. Der Verlauf der Stimmen im polyphonen Satz und das Zusammenspiel der Mitglieder eines Quartetts lassen sich zur Illustration heranziehen. Da Rollen prinzipiell auf andere Rollen angewiesen sind, führt dieser Begriffsansatz wohl am unmittelbarsten an die Probleme der Sozialpsychologie heran. Schwieriger ist freilich der Schritt vom theoretischen Modell zur empirischen Verwertung des Modells, da wir es hier mit einem Komplex zahlreicher Variabler zu tun haben. Im Falle

Neuere theoretische Positionen

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des Schausoieler X, der den „Hamlet" spielt, map man sich z . B . fragen: a) Wie sieht X seine Rolle? b) In welchem Ausmaße vermag er diese Auffassung darzustellen? c) In welchem Umfange zeigt der „Hamlet" des Schauspieler X die Züge anderer Rollen, die der gleiche Akteur soielt (z.B. des „Mephisto")? dl In wieweit richtet sich der Schausoieler nach den Auffassungen, die seine Mitspieler bezüglich ihrer Rollen heeen? Analoge f r a g e n lassen sich stets stellen, wenn ein bestimmtes Verhalten als „rollen-haft" bezeichnet wird. Zur Veranschaulichung diene eine experimentelle Untersuchung T . R. Sarbin's (vel. dessen Beitrag zu Lindzey'a Handbuch, 1954), in der ieder von 14 Studenten in drei verhältnismäßig ungekünstelten Rollen „ a u f t r a t " : I. mit einem gleichaltrigen Partner gleichen Geschlechts, II. mit einem gleichaltrigen Partner des anderen Geschlechts, ITI. mit einem älteren männlichen Partner, einem Autoritäts-Imago. Der Rollenauftrag lautete in jeder dieser drei Situationen daraufhin, sich gegenseitig kennen zu lernen. Die im Experiment ja niemals ganz vermeidbare U n n a t ü r Iidikeit des Arrangements lag darin, daß diese Begegnungen vor Zuschauern (ebenfalls Studenten) stattfanden, wobei jede Beobachtergruppe aber jeweils nur einen männlichen und einen weiblichen Akteur in nur einer einzigen Rolle zu sehen bekam. Die Beobachter hatten anschließend die Akteure („Sozialobjekte") an H a n d einer Eigenschaftsliste zu charakterisieren. W i r haben hier eine dreidimensionale Versuchsanordnung vor uns, da die von den Beobachtern gelieferten Beschreibungen einmal etwas über diese selbst aussagen (z.B.: Um wieviel leichter ist der Beobachter A dazu bereit, jemanden als intelligent zu bezeichnen, als der Beobachter B?), zum andern lassen sich diese Beschreibungen auf die Darsteller (unabhängig von deren Rollen) und schließlich lassen sie sich auf die Rollen (unabhängig vom jeweiligen Darsteller) beziehen (Abb. 1). Mit H i l f e der sogenannten „Zerlegung des Streuungsquadrats" („analysis of variance") lassen sich komplexe

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Systematische Ansätze

Probleme dieser Art sehr elegant behandeln; Sarbin scheint aber von dieser Methode keinen Gebrauch gemacht zu haben. Es soll im Augenblick nicht darauf eingegangen werden, daß sich aus diesem Experiment sehr interessante Ähnlichkeitsrelationen zwischen Beobachtern einerseits und

zwischen den Rollen und den Darstellern andererseits herleiten lassen20. Wir beschränken uns vielmehr auf die hervorstechenden Eigenschaften der drei Rollen. Die nachfolgende Übersicht gibt die am häufigsten (für männliche Sozialobjekte) gebrauchten Kennzeichnungen. 20) Durdi Einbezug von als verläßlidi betrachteten A n g a b e n über die Persönlichkeiten der Beobachter einerseits und der Darsteller andererseits ließe sich diese Versuciisanordnung nodi um zwei weitere Dimensionen erweitern.

N e u e r e theoretische Positionen

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Tabelle 1 Rolle

Partner

I

gleichaltrig, gleichgeschlechtig

entspannt, aufrichtig, ernsthaft

II

gleichaltrig, gegengeschlechtig

manierlich, intelligent

männliche Autoritäts-Figur

ambitioniert

III

Eigenschaften

Daß dieses Ergebnis nicht sonderlich überrascht, tut dem Wert des Experiments keinen Abbruch, da wir uns auf diesem wie ja auf sehr vielen Gebieten unseres Faches noch immer um die „Eichung" von Forschungsmethoden bemühen. Das nichtüberraschende Resultat gibt uns somit einiges Vertrauen in die Anwendung der Methode auf Zusammenhänge, bezüglich deren wir einstweilen noch keine konkreten Erwartungen hegen. Eine Reihe von Persönlichkeitsvariablen dürfte sich mit Hilfe des Rollenexperiments aufklären lassen. Einmal spielen hier vermutlich mindestens zwei Begabungsfaktoren herein, die Befähigung zur Darstellung einer Rolle und die Befähigung zur Wahrnehmung der Partnerrollen. Diese Begabungen dürften zum Teil angeboren sein; dabei ist aber natürlich die Bedeutung der Übung und des Lernens keinesfalls zu übersehen. Offenbar steht die Möglichkeit der Übernahme einer beobachteten Rollen-Sequenz auch in einem innigen Zusammenhang mit der Sprache. So konnte z. B. H. Head (Aphasia and kindred disorders of speech, London 1926) zeigen, daß viele Aphasiker die direkt beobachteten Bewegungen des Versuchsleiters (dieser führt z. B. seinen linken Mittelfinger an sein rechtes Ohr) nicht nachahmen können. In diesem Falle ist nämlich eine Seiten-Transposition erforderlich, d. h. das Sich-Versetzen in die Position des Gegenübers. Die gleichen Patienten hatten aber nur geringe Schwierigkeiten, wenn sie die in einem Spiegel beobachteten Bewegungen des Versuchsleiters kopieren sollten, da nunmehr der Spiegel die

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Systematische Ansätze

Transpositionsleistung f ü r sie übernahm 2 1 . C. H . Cooley ( H u m a n nature a n d the social order, N e w York 1902; Sociological theory and social research, N e w York 1930) hat darauf a u f m e r k s a m gemacht, d a ß der Gebrauch und das Verständnis der Personalpronomina Transponierungen verlangt: „ich" bin, was „ D u " du nennst, usw. Die Verwechslungen, die in diesem Zusammenhang bei Kindern auftreten, hat F. Goodenough (J. genet. Psydiol., 52, 1938) untersucht. I m Zuge des Rollen-Transponierens scheint sich auch der Begriff des Selbst allmählich zu kristallisieren, er wird damit zu einem P r o d u k t des sozialen K o n t a k t s (Cooley, Mead, Sullivan). T . R. Sarbin (1954) gibt eine Übersicht dieses Prozesses: Si Sa



Das Körper-Selbst des Neugeborenen, aus dem sich später das Körper-Schema (P. Schilder) entwickelt. Das Rezeptor-Effektor-Selbst, das sich aus der erfahrenen Rückmeldung des Erfolges eigener Akte entwickelt (vgl. Anm. 17, p. 32). Die primitive Selbst-Konstruktion, auf G r u n d deren das Kind (um die Mitte des ersten Lebensjahres) seine eigenen Zuständlichkeiten auszudrücken beginnt u n d zwischen den Gestalten seiner mitmenschlichen U m w e l t zu unterscheiden a n f ä n g t .

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54

Methoden der Forschung

begünstigen dürfte, nämlich die größere oder geringere Stabilität der betreffenden Individuen. Kendali und Lazarsfeld (in: Continuities in social research, hgb. v. P. F. Lazarsfeld und R. K. Mertön, Glencoe 1950) glauben diese Interpretationsmöglichkeit nicht ausschließen zu können. Dem kann jedoch nicht beigepflichtet werden, da in diesem Falle ein wesentlicher Unterschied zwischen den beiden Mannschaftsgruppen zu erwarten wäre; deren eine ist psychiatrisch unauffällig, während die andere neurotische Tendenzen zeigt. Die Analyse läßt jedoch erkennen, daß die Unterschiede in keiner der drei Phasen (am wenigsten in III) die Zufallsgrößen übersteigen 7 . Leider gestatten die vorliegenden Daten die Überp r ü f u n g einer dritten Hypothese nicht. Die zukünftigen Offiziere hatten im Durchschnitt eine wesentlich höhere schulische Vorbildung als die anderen beiden Gruppen. Es läßt sich daher nicht ausschließen, daß u. U. dieser Faktor die beiden anderen Variablen (Beförderungs-Chance und Heiratsneigung) in eine Scheinkorrelation gezwungen haben könnte. Schließlich muß der heiratslustige Mann ja auch eine Partnerin finden, die seinen Antrag annimmt. Diese Annahmebereitschaft könnte aber sowohl durch das Ausmaß der Vorbildung (als mehr oder minder sichere Garantie eines Lebensstandards) als auch durch erfolgte Beförderungen des anzunehmenden Mannes positiv beeinflußt werden. Mit einem Male verschiebt sich hier das ganze Problem von den Probanden der Studie zu anderen Personen, in diesem Falle deren weiblichen Partnern, über die wir in direkter Weise gar nichts wissen. Eine solche Problemwendung ist f ü r sozialpsychologische Untersuchungen sehr typisch; Die einfache Frage, inwieweit nämlich der Heiratsüberschuß der Offiziersgruppe auf das Bildungsdifferential zurückgeht, hätte sich selbstverständlich 7) Hinsichtlich i h r e r Richtung w i d e r s p r e c h e n d i e s e W e r t e d e r H y p o t h e s e , d a d e r H e i r a t s p r o z e n t s a t z d e r „ N e u r o t i k e r " in a l l e n d r e i P h a s e n d e n ¿der ü b r i g e n M a n n s c h a f t e n ü b e r t r i f f t ; d i e s e sind a l l e r d i n g s auch im Durchschnitt ä l t e r .

Allgemeine Erwägungen

55

in recht müheloser Weise durch eine Zerlegung dieser Gruppe nach Bildungsstufen beanworten lassen. Das vorstehende Beispiel, in dem wir leider zu keinem bündigen Schluß gelangt sind, wurde relativ breit ausgeführt, da es zur Veransdiaulichung gewisser Interpretationsoperationen dient, die sich bei der Auswertung sozialpsychologischer Daten fast immer als nötig erweisen. Einen sehr eleganten Ansatz zur Systematisierung dieser Operationen gibt Lazarsfeld (in der genannten Arbeit gemeinsam mit Kendali, sowie in: T h e language of social research, hgb. von P. F. Lazarsfeld und M. Rosenberg, Glencoe 1955). Die von ihm vorgeschlagene Strategie läßt sich in symbolischer Form wie folgt charakterisieren:

[XY] = [XY,t+] + [ X Y , r ] + [Xt] [tY] Die beobachtete Beziehung zwischen den beiden Variablen x und y, [ X Y ] , wird dabei versuchsweise durch einen Test-Faktor (t) interpretiert (in unserem Falle: x = . militärischer Rang, y = Heiratsneigung, t = Beförderungschancen). [ X Y , t + l und fXY,t — ] sind die beiden Partialrelationen, die sich zwischen x und y ergeben, wenn das Material hinsichtlich der Variablen t in (mindestens zwei) Gruppen aufgespalten wird. [ X t ] und [tY] sind die Beziehungen zwischen den beiden Ausgangsvariabein (einzeln betrachtet) und dem Test-Faktor. Von diesem Modell leitet Lazarsfeld drei Grundtypen der Analyse ab: a) Die Interpretation (Die Wirksamkeit zeitlich zwischen x und y).

von t fällt

b) Die Erklärung (Die Wirksamkeit von t geht x und y zeitlich voran). In diesen beiden Fällen gilt: [ X Y , t + ] und [ X Y , r ] = 0. c) Die Spezifikation (Entweder die Beziehung [ X t ] oder [tY] geht gegen Null). Die relative Größe der Partialrelationen gibt dann Hinweise auf die Bedin-

56

Methoden der Forschung gungen, unter denen die A u s g a n g s r e l a t i o n [ X Y ] mehr oder weniger stark in Erscheinung tritt.

Bisher liegen nur sehr wenige A n w e n d u n g e n dieses Analyse-Schemas vor, dieses selbst erscheint jedoch als sehr empfehlenswert.

2. Einstellungsmessung Stellungnahmen können direkt beobachtet werden, sie sind, sozusagen, historische D a t e n . Indem wir diese aber z u verstehen suchen, konstruieren wir auf Seiten des Ind i v i d u u m s , dessen G e b a r e n u n d Sprechen wir registriert haben, Dispositionen, auf G r u n d deren sich bestimmte Stellungnahmen erwarten lassen. W i r deuten d a m i t Stellungnahmen als den Ausdruck v o n Einstellungen. Zu diesen v o n uns konstruierten „ E i n s t e l l u n g e n " gelangen wir durch die mehr oder minder systematische E r m i t t l u n g der Stellungnahmen des I n d i v i d u u m s zu Personen und Sachverhalten. I m freien Gespräch ergibt sich manche Gelegenheit zu S t e l l u n g n a h m e n ; eine A u s w a h l solcher Gelegenheiten findet in der p l a n m ä ß i g e n E x p l o r a t i o n statt. Sowohl d a s freie Gespräch als auch d a s g e p l a n t e I n t e r v i e w (die Ü b e r g ä n g e sind fließend) setzt eine soziale S i t u a t i o n v o r aus, an der mindestens zwei Personen beteiligt sind. I m Endergebnis ist somit auch die Persönlichkeit des E x p l o r a t o r s (bzw. seine Einstellung zu den behandelten Gegens t ä n d e n ) in Rechnung zu stellen. Dieser F a k t o r spielt bereits in den G a n g der Aussprache hinein ( R a p p o r t ) , er macht sich vielleicht noch stärker in der Schlußausw e r t u n g durch den Interviewer geltend. S o f e r n sich die Einstellung des P r o b a n d e n wesentlich v o n der des E x p l o rators unterscheiden sollte, d ü r f t e dieser Unterschied im R e s u m e des Interviewers in der Regel nur in abgeschwächter F o r m in Erscheinung treten. Eine Ü b e r t r e i b u n g b z w . V e r s c h ä r f u n g des Unterschiedes ist natürlich auch möglich, doch d ü r f t e dieser Fall im großen u n d ganzen seltener eintreten.

Einstellungsmessung

57

Die diagnostische Valenz des Explorations-Gesprächs ist zur Zeit umstritten. Sehr viele Psychologen und Psychiater „schwören" auf die Aussprache, diese stelle das „Rüdegrat" einer jeden Diagnose dar (Simoneit, Wellek). Objektiv durchgeführte Untersuchungen von Kelley und Fiske (1951) sowie von Holt und Luborsky (Bull. Menninger Clin., 16, 1952) haben f ü r die Exploration erschreckend niedrige Valenz-Koeffizienten ergeben. Eysenck (The scientific study of personality, London 1952) weist darauf hin, daß die Aufgabe der laufenden Auswertung des Gesprächs durch den Explorator die menschliche Leistungsfähigkeit überfordern könne. Es ist jedenfalls nicht so, daß die Lebensnähe einer Methode und das oftmals berichtete Zufriedenheitserlebnis des Mannes, der sie handhabt, allein schon den wissenschaftlichen Wert dieser Methode verbürgen. Sollte Eysenck recht haben, dann besteht eine mögliche Erleichterung der Aufgabe in der Zugrundelegung eines Frageschemas, das im Gang der Exploration ausgefüllt wird. Damit sind wir aber beim „Fragebogen" (Questionnaire) angelangt. Dieses Instrument wird vielfach — wie mir scheint zu Unrecht — belächelt (es sei „seelenlos" — besäße es aber eine Seele, dann wäre es kein Instrument). Nach allen vorliegenden Erfahrungen besitzt sowohl der vom Probanden selbst ausgefüllte Fragebogen als auch der mit ihm gemeinsam durch den Explorator ausgefüllte eine höhere diagnostische Valenz als die freie Aussprache. Fragebogen lassen sich auch im voraus sorgfältiger planen als freie Explorationen. Zum Unterschied von der psychologischen Charakterdiagnose hat es die sozialpsychologische Einstelhingsuntersuchung mit einer engeren Problemstellung zu tun; der Forscher mag z. B. an der Einstellung des Probanden zu einer politischen Tagesfrage interessiert sein. Er wird sich in diesem Falle wohl kaum darum bemühen, die etwa vorhandenen Spannungen zwischen dem Probanden und dessen Vater zu erfassen, obwohl diese selbstverständlich am

58

Methoden der Forschung

Zustandekommen einer bestimmten Einstellung beteiligt sein können. Der Forscher wird aber nach dieser Verzweigung des Themas erst dann eigens Ausschau halten, wenn ihn seine Hypothese dazu veranlaßt. Daß er sich dabei sozusagen selbst mit Scheuklappen ausstattet, läßt sich im Hinblick auf die notwendige Entlastung seiner Rolle in der Aussprache rechtfertigen. Der am schärfsten auf einen bestimmten Sachverhalt eingeengte Typus des Fragebogens wird durch die sog. „Einstellungsskala" repräsentiert. Hier geht es dem Untersucher nur um die Bewertung der Richtung (dafür oder dagegen) und des Grades einer bestimmten Einstellung (z.B. zur Programmgestaltung des Fernsehdienstes). Heute schon ein wenig veraltet sind die ersten drei systematischen Ansätze zur Konstruktion von Einstellungs-Skalen. a) Die soziale Distanz-Skala von Bogardus,- bei der sich die Einstellung des Probanden zu einer bestimmten Menschengruppe (Berufsgruppe, Minorität, Nation) nach dem Kontaktverhältnis bemißt, das er mit Angehörigen dieser Gruppe einzugehen bereit ist. Tabelle 5 zeigt die sieben Grade der Intimität sowie die Prozentsätze (pO mit denen die Angehörigen einer untersuchten Gruppe diesen oder jenen Intimitätsgrad akzeptieren 8 . Die Schwäche des Verfahrens liegt in seiner willkürlichen Metrik (Gewichtszahlen gj) und darin, daß die sieben Intimitätsgrade bestimmt nicht in eine Dimension fallen. b) Thurstone's Skalen 9 kommen so zustande, daß eine Gruppe von Beurteilern mehrere Hundert auf den Gegenstand ein und derselben Einstellung bezügliche Behauptungen in eine Reihe von z. B. N = 11 Kategorien sortiert. 8) Nadi E. S. Bogardus, Immigration and race atitudes, Boston 1928. Der Skalenwert einer Gruppe ergibt sich zu: SW =

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= ^ 9i Die im Jahre 1926 gewonnenen Skalenwerte für 35 Gruppen korrelieren mit den im Jahre 1946 gewonnenen sehr hoch (r = 0,95) i das System ist somit bemerkenswert stabil (E. S. Bogardus, Int. J. op. att. res., 1, 1947). 9) L. L. Thurstone u. E. J. Chave: The measurement of attitudes, Chicago 1929.

59

Einstellungsmessung

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der Hausfrauen des Ortes ein Reklame-Vers (einer Kaifeefirma) mitgeteilt, außerdem wurde ihnen zugesichert, daß jeder Haushalt, in dem dieser Vers bekannt sei, ein P f u n d Gratis-Kaffee erhalten werde. Nach 48 Stunden erfolgte die Befragung in den einzelnen Haushalten bzw. die Verteilung des Kaffees. Festgestellt wurden die Distanzen (in Einheiten von 5ü Metern) zwischen den Empfängern der Origmalmitteilung und den Wohnungen der Personen, an die diese den Vers weitergegeben hatten. Konstruiert man auf diese Weise Paare von Mitteilern u n d Empfängern, so ergibt sich, daß der größte Teil dieser Paare (i%>) in enger Nachbarschaft (geringer Distanz, D) wohnt. Der Zusammenhang zwischen diesen beiden Variabein ist ungemein regelmäßig: ^ y log i % = 1.79 — 1.80 log D, bzw. : i °/o = ron. 1)1. oü Der allgemeine Typus dieser doppel-logarithmischen Beziehung findet sich in den meisten einschlägigen Untersuchungen (Anzahl der Fahrten und Frachten zwischen zwei Orten, die in einer Distanz D von einander liegten; Distanz zwischen den Adressen von Heiratskandidaten; vgl. G. K. Zipf, H u m a n behavior and the principle of least effort, Cambridge 1949; J. H . S. Bossard, Am. J. Sociol., 38, 1932; M. R. Davie u. R. J. Reeves, ebenda 44, 1939).

Analyse von Kulturbeständen

99

Das Ausmaß des Kontakts (Iab) zwischen zwei Gruppen mit P a und Pi, Mitgliedern bestimmt sich in der Regel nach dem Ausdruck: p . 1p, 1 r

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(vgl. J. A. Cavanaugh, Am. Sociol. Rev., 15, 1950). Das Anschwellen eines „Gerüchts" hat Dodd im Bereich eines College untersucht. Dabei wurden am Stichtag an die Studenten je 12 Karten ausgegeben, deren eine vollständig war, während die anderen 11 Karten der Komplettierung bedurften. Diese konnte durch einen I n f o r m a tions-Austausch zwischen den Studenten erfolgen. Preise waren f ü r diejenigen Studenten ausgesetzt, die ihre 12 vollständigen Karten am frühesten in einen bestimmten Postkasten einwerfen würden. Jede Stunde wurde der Inhalt des Postkastens ausgezählt. Es handelt sich hier um einen Ausbreitungsprozeß, dessen obere Grenze erreicht ist, wenn alle Mitglieder der Population ihre 12 Karten ausgefüllt haben. Charakteristischer Weise zeigen Prozesse dieser Art (z. B. auch solche der Bevölkerungszunahme) anfangs positive und später negative Beschleunigung. Die sog. logistische Funktion beschreibt den Vorgang ziemlich genau. Abbildung 6 gibt das Bild der Funktion: JQQ R0/

" = 1 + 7.37 • e - 1 0 « 5 ' ' ' nach der der Prozentsatz der Lösungen (alle zwölf Karten) zunimmt, t' bedeutet dabei die verflossene Zeit in Stunden und e die Basis der natürlichen Logarithmen.

6. Analyse von Kulturbeständen An der Grenze des Aufgabenbereichs der Sozialpsychologie liegt die Beschäftigung mit den geistigen und materiellen Produkten größerer Gruppen, z. B. von Nationen. Wundt's „Völkerpsychologie" setzte in dieser Richtung an, auf sie folgt die lange Reihe der Bemühungen um eine psychologische Aufschlüsselung kultureller Phänomene (Sprache, Gebräuche, Mythen, normative Systeme usw.). 7»

100

Methoden der Forschung

Diese Belange sind als Fern-Horizonte der Sozialpsychologie zu betrachten, da sie einerseits in die spezifischen Stellungnahmen des in einer bestimmten Kultur aufgewachsenen Individuums eingehen und andererseits weil die Herleitung dieser Phänomene aus psychologischen Gesetzmäßigkeiten zumindest verlockend, wenn auch sicherlich nicht immer möglich ist. Da auf diesem Gebiete die Jagd nach u.U. propagandistisch ausschrotbaren Funden besondes rege ist, scheint große Vorsicht am Platze. Als ein 100-

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Das Anwadisen der Zahl der Problemlösungen in einem Austauschprozeß (nadi Dodd, logistische Funktion)

warnendes Beispiel mag G. Herzog's (Psychiatry, 1945) Anwurf gegen „die Deutschen" gelten, der sich u. a. darauf gründet, daß diese in ihrer Sprache das Wort „Schadenfreude" besitzen, während sich eine analoge Zusammensetzung in der englischen Sprache nicht finde. Die schwarzen Schafe sind wieder einmal (1945!) besonders schwarz, wobei allerdings übersehen wird, daß die (weder als Schafe noch als schwärzenswert betrachteten) Skan-

Analyse von Kulturbeständen

101

dinavier fast genau das gleiche W o r t verwenden (O. Klineberg in: Culture and personality, hgb. v. S. S. Sargent u. M. "W. Smith, N e w York 1949). Im allgemeinen wird sich der Psychologe auf diesem Gebiet der Führung des Ethnologen anvertrauen; er mag diesem freilich seinerseits interessante Hypothesen anzubieten haben. Dies wird z. Zt. im Zusammenhang mit der imponierenden Organisation ethnographischen Materials in den sog. „ H u m a n relations area files" (vgl. G. P. Murdock u. a., Outline of cultural materials, N e w Haven 19503) akut. Aus dieser Quelle sind inzwischen drei größere Monographien hervorgegangen (G. P. Murdock, Social structure, N e w York 1949; C. S. Ford u. F. A. Beach, Patterns of sexual behavior, N e w York 1951; J. W . M. Whiting u. I. L. Child, Childtraining and personality, N e w H a v e n 1953), die darum besonders willkommen sind, weil in jeder einzelnen Kultur die Variationsbreite der in Frage kommenden Variabein recht eng bemessen ist, während der Kulturvergleich mit wesentlich weiteren inter-kulturellen Streuungen vertraut macht. Zur Illustration sei der letztgenannten Studie eine Tabelle entnommen, die den Zusammenhäng zwischen dem altersmäßigen Ansatzpunkt verschiedener Auf zuchtstrategien einerseits und der Stärke des Glaubens an die Schuld des Patienten im Falle einer Krankheit andererseits darstellt (Tabelle 17). Man sieht, daß Gesellschaften (fast ausschließlich Primitivkulturen mit sehr kleinen Bevölkerungen), die ihre Kinder früher unter Erziehungsdrude stellen, im allgemeinen audi ein stärkeres Schuldgefühl des erwachsenen Kranken erzielen, d. h. daß die Korrelationen zwischen Alter auf der einen Seite und Intensität des Schuldgefühls auf der anderen meistenteils negativ sind 34 . Dabei läßt 34) Die Zahlenwerte für die Stärke des Schuldgefühls in Tabelle 17 sind auf Grund von Beurteilungsskalen gewonnen worden; in Klammern steht jeweils die Anzahl der „Kulturen", auf die sidi der Wert bezieht. Ein Stern beim Korrelationskoeffizienten bedeutet dessen Gesichertheit auf dem 5 %-Niveau der Verläßlichkeit, zwei Sterne auf dem 1 °/oNiveau.

102

Methoden der Forschung

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), Wahrscheinlich handelt es sich hier um eine spezifische Funktionsbedingung des menschlichen Zentralnetzes. Dieser kurze Ausflug in das ungeheuer interessante Gebiet der Informationstheorie war zum Verständnis der aus der Funktionsweise des menschlichen Zentralnetzes ableitbaren Folgerungen erforderlich, weil: a) jedes vom Menschen gebrauchte Kategoriensystem hochgradige Redundanz besitzt;

Entscheidung, I n f o r m a t i o n und L a s t e n

121

b) die menschlichen Kategorisierungsprozesse vorwiegend binären Charakter haben. Man denke etwa an die klassischen Tafeln der Gegensätze, die zweiwertige klassische Logik („tertium non datur"), die polare Definition der Phonemene 12 , die Einteilung zahlreicher PrimitivGruppen in „Hälften", die sog. „moieties", das duale Mötiv in Mythos und Weltanschauung, sowie an die Beliebheit von Typen-Dichotomien in der Menschenschilderung. Als Prototyp kommt hier die Tatsache in Frage, daß ein Element des Zentralnetzes, ein Neuron, nach dem Alles-oder-Nichts-Gesetz durch einen zugeleiteten Impuls entweder aktiviert wird oder nicht. In schematischer Weise läßt sich nunmehr auch die Kategorienvereinfachung darstellen, deren sich der „Aberglaube" oder auch der nach Stereotypen Urteilende bedient. Nehmen wir an, unsere Aufgabe bestehe darin, aus acht Kandidaten (vier davon seien Neger und vier „Weiße") einen gescheiten und fleißigen Arbeiter auszusuchen. Wir haben daher die acht Kandidaten bezüglich zweier Eigenschaften (Intelligenz und Fleiß) zu überprüfen, d . h . wir haben 16 zweiwertige Fragen 13 zu beantworten: I = 16 logB 2 = 16. Der Voreingenommene wird aber aus dem Stereotyp „des Negers" folgern, daß dieser weder gescheit noch fleißig sei (z. B. p^g = pNt = 0,10). Zu seiner Entscheidung bedarf es daher nur eines Informationswertes von 1 — 8 (0,50 log2 0,50 + 0,50 log2 0,50) + 8 (0,10 log2 0,10 + 0,90 log2 0,90) = 118 11,8; Red. = 1 + = 26 °/o. Sein Stereotyp verringert lo.U die Entscheidungslast um mehr als ein Viertel; hätte er sich ein noch stärkeres Stereotyp zugelegt (pNg = pNf = 0,00), dann könnte er sogar mit einer Redundanz von 12) Vgl. R. Jakobson, C. G. M. Fant u. M. Halle, Preliminaries to speech analysis. Mass, Inst, of Technology, 1952, 1955. 18) Dabei sei angenommen, daß die Wahrscheinlichkeit eines Negers, gescheit (bzw. fleißig) zu sein ( p N g bzw. p N f ) , ebenso groß sei wie die Wahrscheinlichkeit eines Weißen (p W g bzw. p Wf = 0,50).

122

T h e o r e m e der Psychologie

50 °/o operieren. Da er, wie wir annehmen, niemals einen Neger einstellt, kann er auch die Unrichtigkeit seines Stereotyps gar nicht erkennen. Das Verfahren ist somit völlig „sicher". Im vorstehenden Beispiel könnte man auch an einen zwar nicht im rassischen Sinne voreingenommenen dafür aber im psychologischen Sinne „abergläubischen" Beurteiler denken, der von der Annahme ausgeht, daß intelligente Menschen auch zugleich fleißig seien. Er benimmt sich daher so, als ob diese beiden Eigenschaften im Ausmaße von r g f = 1,00 korrelierten. Für ihn reduziert sich der zur Auswahl notwendige Informationsbestand auf 1 == 8 log 2 2 = 8; abermals eine 50°/o-Entlastung. Dabei kommt uns die „abergläubische" Maxime der Offiziersanwärter-Auswahl in den Sinn, daß sich zum militärischen Führer eigne, wer einem „gerade in die Augen schauen" könne. Die Verlockung zur Annahme solcher Schein-Anzeichen wächst natürlich mit der Schwierigkeit der zu beantwortenden Frage. Die Beliebtheit typologischer Ordnungen läßt sich wohl ebenfalls aus dem Entlastungsprinzip erklären. Im „Idealfall" engt sich dabei die bunte Mannigfaltigkeit des Mensch-Seins auf eine schlichte Dichotomie (introvertiert: extravertiert; ganzheitlich: analytisch, usw.) ein. Charakter-diagnostische Fragen lassen sich nunmehr mit dem "sehr geringen Informationswert von I = 1.00 beantworten. W i e schön und beruhigend! Aus humanitären sowohl als aus sachlichen Gründen wird man diese abergläubischen bzw. voreingenommenen und voreiligen Kategorienvereinfachungen zurückweisen, man darf sich aber nicht darüber täuschen, daß in die meisten Entscheidungssituationen unseres Lebens stereotypische Anzeichen eingehen, deren Verläßlichkeit wir (ohne Prüfung) meist überbewerten, so daß wir tatsächlich fast immer, mit weniger Informationen auskommen zu können glauben, als zur gerechten Entscheidung einer Frage erforderlich wäre. Auf der Gegenseite stehen aller-

Entscheidung, I n f o r m a t i o n und Lasten

123

dings die „Kosten" (Zeitbedarf und Mühe), die zur H e r beisdiaffung der notwendigen Information aufgewandt werden müßten 1 4 . Diese Kosten wachsen in der Regel mit der Größe der Information. Setzt man Kosten und Lasten (L) in die Beziehung: L = f (I), dann wird deutlich, in welchem Sinne die Verwendung von Stereotypen und Schein-Anzeichen entlastet. Offenbar ist hier mit einem Extremal-Problem zu rechnen, da in jedem Einzelfall die Sorgfältigkeit der Entscheidung den Lasten proportional ist. Sollten die Lasten zudem schneller anwachsen als I, dann ergibt sich ein Ioptiimmi < Iniaxumim, bzw. eine Redundanz, die größer als Null ist. Im Modellfall der U m gangssprache gilt dies zweifelsohne in sehr hohem Maße. Wir könnten uns mit H i l f e einer Reihe gleidi-häufiger, stochastisch unabhängiger Laute unterhalten, doch verlangte dieses Unternehmen ein solches Maß an Konzentratition, daß wir es bald wieder aufgeben würden. Ein weniger extremes Beispiel gibt der Fall einer Unterhaltung in einem lärmerfüllten Umfeld, das den Empfang einzelner Redeteile unmöglich macht und das damit die stochastische Struktur der Rede selbst abschwächt. Auch hier gibt man das Gespräch bald auf. Ein hypothetisches Analogon zum Fall der Sprache zeigt Abbildung 7. Hier nehmen die Lasten stärker zu als die mit ihnen erkaufte Information: L = 0,50 + 0,20 I' 52 . Der Quotient—j—, nach dem sich die „Rentabilität" des Verfahrens bemißt, erreicht sein Maximum bei I n f o r m a tionswerten zwischen 5 und 8 bit. Stellt sich das Bemühen somit auf maximale Rentabilität allein ein, so wird es im vorliegenden Falle zu einem sehr vergröberten (u. U. „abergläubischen" oder voreingenommenen) Auswahlverfahren kommen. Das Ergebnis entspräche sodann einer Redundanz von 80 %> bis 90 °/o. 14) Im Laboratoriumsexperiment (vgl. W. E. Hick, Quart. J. exp. Psydiol.,. 4, 1952) läßt sidi zeigen, daß z. B. die zur Entscheidung erforderlidhe Zeit mit dem Wert von I linear zunimmt.

Theoreme der Psychologie

124

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zwischen den Mitgliedern der jeweiligen Gruppe hinsichtlich der Träger der Rollen BI und G; in der zweiten Art (U') war diese Übereinstimmung gering. Für unseren besonderen Zweck ist diese Unterscheidung nicht besonders wichtig, da sich in beiden Arten von Gruppen annähernd das gleiche Bild ergibt. Die Korrelationen f ü r die Gruppen U stehen in Tabelle 22 oberhalb der Diagonale, die f ü r die Gruppen U ' unterhalb dieser. Die vom Verfasser stammenden beiden Faktorenanalysen (für beide Gruppenarten einzeln) zeigen, daß es sich hier um ein zweidimensionales System von Rollen handelt, wobei die Gewichtszahlen Fx und F 2 sich auf die U-Gruppen und die Gewichtszahlen F / und F 2 ' auf die U'Gruppen beziehen. Die beiden Faktoren lassen sich leicht als „objektiv festgestellte Aktivität (Fj und F , ' mit den hauptsächlichen Gewichtszahlen für die Variabein A und R) und als „emotionale Resonanz" (F 2 und F./ mit den hauptsächlichen Ge-

Ungleichheit u n d R o l l e n s p e z i f i z i e r u n g

165

wichtszahlen f ü r die Variable G) deuten. Die durch diese beiden Faktoren repräsentierten Beurteilungsaspekte — die früher als „Tüchtigkeit" und „Beliebtheit" bezeichnet wurden — sind voneinander unabhängig; eine Rollendivergenz ist daher sehr wahrscheinlich. Die Tendenz zur Rollenaufspaltung scheint von allergrößter Bedeutung für das Verständnis der Gruppendynamik zu sein. Indem wir annehmen, daß die Laboratoriumsbefunde von Bales, Slater, Solomon und Lemann einer recht freizügigen Verallgemeinerung zugänglich sind, wird nunmehr nämlich deutlich, daß es innerhalb von Gruppen mindestens zwei von einander unabhängige Dimensionen der Wirkungsfortpflanzung gibt. Während zu Beginn des Prozesses das aktivste Mitglied alle Attribute der Ausgezeichnetheit an sich reißt, stellt sich im späteren Verlauf eine Aufteilung dieser Attribute auf mehrere Personen ein, wobei sich auf der einen Seite die Leistungsattribute („Tüchtigkeit") und auf der anderen die emotionalen Attribute der Beliebtheit anzusammeln pflegen. Die Anerkennung der Tüchtigkeit impliziert nun keineswegs audi Beliebtheit, eher das Gegenteil. In belangvollen Verbänden mag man diese Erscheinung als bedauerlich empfinden, etwa wenn ein Mitglied eines wissenschaftlichen Institutes sich bloß durch seine wissenschaftlichen Leistungen unbeliebt macht, man hat mit dieser Tendenz aber trotzdem zu rechnen. Etwas versöhnlicher stimmt vielleicht die Überlegung, daß diese Tendenz die vorhin (erstes Theorem) geforderte U n a b hängigkeit der Gruppenmitglieder bzw. ihrer Stellungnahmen zu fördern scheint. Ich halte es nicht für müßig, die Tendenz zur Rollendivergenz, zur Spannung zwischen anerkannter Tüchtigkeit und Beliebtheit, auf die wichtigste Gruppe unseres Lebens, die Familie, zu übertragen. Die sog. „OedipusSituation" findet damit eine Erklärung, die sehr viel zwangloser zu sein scheint als die Deduktionen aus der IIa

Hofstätter, Sozialpsychologie

166

Theoreme der G r u p p e n d y n a m i k

Freud'schen Theorie. Konzentriert sich die Anerkennung der Tüchtigkeit auf den Vater (oder z. B. auf den Bruder der Mutter, wie bei den von Malinowski untersuchten Trobriandern), dann steht zu erwarten, daß der Vater nicht auch zugleich die beliebteste Person der Gruppe sein wird. Diese Rolle d ü r f t e dann wohl meistens der Mutter zufallen. Dies gilt vornehmlich, aus der Perspektive der Söhne; aus der einer Tochter mag allerdings die Mutter als besonders „tüchtig" und damit eventuell der Vater als besonders „liebenswert" erscheinen. Nicht ohne Grund „bemuttert" daher der Hauptfeldwebel die Kompanie, während der Kompanieführer zwar als tüchtig anerkannt, nicht aber in eben dem Maße als beliebt empfunden wird. In diesem Zusammenhang ist noch einmal an die T e n denz zu primitiven Dichotomien (vgl. S. 121) zu erinnern. An sich gibt es zweifellos eine Menge Eigenschaften, die von Person zu Person in nahezu unabhängiger Weise variieren können. Der Versuch, die Menschen unseres täglichen Umganges hinsichtlich dieser im einzelnen „gerecht" zu beurteilen, erforderte aber ein so großes Informationsausmaß, daß er leicht „unrentabel" werden könnte. In der T a t zeigen freie Persönlichkeitsbeurteilungen fast immer den sog. „Halo-Effekt", demzufolge einzelne Eigenschaften die Beurteilung anderer Eigenschaften in einem durch die objektiv feststellbaren Korrelationen nicht gerechtfertigtem Maße in Mitleidenschaft ziehen. Der Übergang zu größeren Verbänden ergibt sich mit dem Hinweis darauf, daß sozial etablierte Rangordnungen (nach Ansehen, Einfluß, Einkommen usw.) anscheinend niemals im strengen Sinne eindimensional sind (Hofstätter 1954). Der Reichste ist nicht notwendig zugleich auch der Angesehenste; der Mann mit den besten Einfällen ist fast nie der Reichste, und die Schönheitskönigin ist nur selten die beste H a u s f r a u . Sofern das Bezugsmerkmal einer solchen Rangordnung meßbar oder zumindest abzählbar ist, wie z. B. die Anzahl der kommunikativen Akte in den Gruppenstudien von Bales, ergibt sich fast stets ein

Ungleichheit u n d R o l l e n s p e z i f i z i e r u n g

Ahl). 14.

Die K o n s e q u e n z e n e i n e r V e r g r ö ß e r u n g von Ranggradienten

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des Gefälles

(näherungs weise) linearer R a n g - G r a d i e n t (Zipf's Gesetz, vgl. S. 132). Das Gefälle dieses G r a d i e n t e n (p in Abbild u n g 14) l ä ß t sich als ein M a ß der Ungleichheit in einem System v e r w e n d e n . D i e bisher vorliegenden E r f a h r u n g e n sprechen d a f ü r , d a ß übergroße Steilheit des R a n g g r a dienten (zu hohe W e r t e v o n p) den inneren Z u s a m m e n halt einer G r u p p e g e f ä h r d e t (G.K. Zipf, J . Psychol., 29, 1950). I m Falle der Existenz (oder der Absicht der E t a blierung) eines sehr starken Ranggefälles, d ü r f t e sich imm e r die Frage nach dem äußeren Druck erheben, der das b e t r e f f e n d e System, t r o t z der in ihm bestehenden Z e r fallstendenzen, z u s a m m e n h ä l t . Z u r Veranschaulichung d e n k e m a n an ein Wirtschaftssystem, in dem sich der R a n g IIa

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Theoreme der Gruppendynamik

nach der Größe des Anteils an der Gesamtproduktion (Einkommen) bemißt. Das Individuum mit dem höchsten Einkommen (E) habe den Rangplatz R = 1 (log R = 0.00), das ärmste Individuum die Rangnummer R = n, wobei n gleich der Anzahl der Individuen in dem betreffenden System ist. Der Gradient ist somit durch die Gleichung beschrieben log E = a — p log R. Bleibt in unserem System das Volumen der Produktion unverändert, dann ergibt sich im Falle einer Verschiebung des Ranggradienten p = 0.50 auf p = 1.00 (im Sinne der strichlierten Geraden in Abbildung 14) die Notwendigkeit einer Verkürzung der Anteile (der Einkommen) der Inhaber hoher Rangnummern. Tatsächlich würde sich durch diese Maßnahme zwar das Einkommen der reichsten 7 °/o der Bevölkerung erhöhen, das der restlichen 93 °/o aber verringern. Während das Einkommen des Inhabers von Rangplatz 1 von 10 Produktionseinheiten auf etwa 26 stiege, fiele das des ärmsten Individuums von einer Produktionseinheit auf 0.26. Eine solche Maßnahme dürfte sich aber selbst mit diktatorischen Mitteln kaum durchführen lassen. Die im Wirtschaftsleben tatsächlich vorkommenden Schwankungen von p halten sich daher auch in wesentlich bescheideneren Grenzen (z. B. in den U.S.A. seit dem 1. Weltkrieg zwischen p = 0.53 und p = 0.75), wobei hohe p-Werte nur zu Zeiten besonderer Prosperität (oder besonderer Inflation) gefunden werden, d. h. wenn entweder das Produktionsvolumen selbst oder die Zahl der Anteilscheine zunimmt. Es sei aber daran erinnert, daß das „kommunistische Manifest" (1847) aus dem englischen Wirtschaftssystem einer Periode stammt, in der im Verhältnis zum tatsächlichen Produktionsvolumen ein zu steiler Ranggradient (p = 0.67) bestand. Das Ausmaß, in dem das meistbegünstigte Individuum über den Durchschnitt herausragen kann, wird durch drei im Interdependenzverhältnis stehende Variable bestimmt:

U n g l e i c h h e i t und R o l l e n s p e z i f i z i e r u n g

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a) D a s G e s a m t v o l u m e n der V e r t e i l u n g s - G ü t e r ; b) Da« G e f ä l l e des R a n g g r a d i e n t e n ; c) Die Festigkeit der O r g a n i s a t i o n , die bei gleichbleibendem V o l u m e n mit z u n e h m e n d e m G e f ä l l e s t ä r keren Belastungen ausgesetzt ist. Diese Überlegungen lassen sich unschwer auf den h a r m loseren Fall der Diskussionsgruppen v o n Bales ü b e r t r a gen. D e r W e r t v o n p liegt hier (vgl. S. 132) bei 1.00. Risse der a k t i v s t e P a r t n e r noch m e h r v o n der G e s a m t u n t e r h a l t u n g an sich (d. h. m e h r als 43 %> der k o m m u n i k a t i v e n Akte, vgl. T a b e l l e 18), d a n n m ü ß t e n bei k o n s t a n t gehaltener G e s a m t a n z a h l der k o m m u n i k a t i v e n A k t e die am wenigsten a k t i v e n P a r t n e r ( R a n g p l ä t z e 5 u n d 6) g ä n z lich v e r s t u m m e n . Es l ä ß t sich voraussehen, d a ß in diesem Falle die G r u p p e b a l d zerfiele, w ü r d e sie nicht v o n a u ß e n her (durch den Versudisleiter) zusammengehalten. Als ein Anzeichen dieses d r o h e n d e n Zerfalles ist w o h l die v o r h i n besprochene Rollendivergenz a u f z u f a s s e n , d. h. der U m s t a n d , d a ß der aktivste („tüchtigste") P a r t n e r nicht länger auch der beliebteste ist. Zusätzlich l ä ß t sich n u n m e h r die H y p o t h e s e formulieren, d a ß diese R o l l e n divergenz u m so eher a u f t r e t e n w i r d , je steiler der in einer G r u p p e bestehende R a n g g r a d i e n t ist. 5 F ü r den Fall der Familie m a g d a h e r gelten: d a ß die differentielle Bewert u n g der E l t e r n durch den Sohn ( V a t e r = am tüchtigsten; M u t t e r = am liebsten), der sog. O e d i p u s k o n f l i k t , d a n n besonders scharfe F o r m e n a n n e h m e n d ü r f t e , w e n n die Tüchtigkeitsrolle des Vaters sehr s t a r k h e r v o r g e h o b e n 5) Eine Untersuchung in Ferienlagern (R. Lippitt, N. Polansky, F. Redl u. S. Rosen, Hum. Rel., 5, 1952) ergab eine Durdisdinittskorrelation von r = 0.72 zwischen Tüditigkeitsbeurteilung und Beliebtheit. Daß hier sich keine Rollendivergenz einstellte, hängt wohl mit dem geringen Gefälle des Ranggradienten zusammen. Die prestige-reidisten Teilnehmer (Jugendliche zwischen 11 und 15 Jahren) erhielten bloß zweimal so viele Stimmen (hinsichtlich Tüchtigkeit) als die prestigeärmsten (N. Polansky, R. Lippitt u. F. Redl, Hum. Rel., 3, 1950).

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Theoreme der Gruppendynamik

wird. Kluge Väter stellen deshalb „ihr Licht unter den Scheffel" 6 . Die N u t z a n w e n d u n g dieser Überlegungen auf das Verhältnis zwischen Nationen müßte wohl dahin lauten, daß (im stereotypischen Sinne) als besonders „tüchtig" gekennzeichnete Mitglieder der Völkerfamilie mit wenig Beliebtheit zu rechnen haben. Man hat dies in Deutschland sehr schmerzlich erfahren; aktueller ist z. Zt. der amerikanische Versuch, das eigene Stereotyp auf den TüchtigkeitsNenner festzulegen, dessen man aus sehr viel Filmen aber auch in dem (an sich gut-gemeinten) Programm zur technischen Unterstützung „unterentwickelter Länder" („Point four") ansichtig wird. Man geht wohl nicht fehl, wenn man die der Beliebtheit „des Amerikaners" sehr abträglichen Konsequenzen dieses Unternehmens voraussagt; sie deuten sich bereits in dem oben gezeigten Stereotyp (vgl. S. 85) an. Die Problematik der Führerrolle (in kleineren Gruppen oder in nationalen Gebilden) erhellt aus den vorstehenden Betrachtungen in sehr deutlicher Weise: Es handelt sich hier um das klassische Dilemma von anerkannter Tüchtigkeit einerseits und Beliebtheits andererseits. Etwa dieselbe Konstitution des Problems ergibt sich aus Überlegungen, die im wesentlichen auf Freud'sdctes Gedankengut zurückgehen: Der Führer muß sich einerseits genügend von der übrigen Gruppe unterscheiden, damit deren Mitglieder ihre Machtwünsche auf ihn projizieren können. Er darf sich andererseits von ihr nicht zu stark unterscheiden, da ansonsten die emotionale Identifikation des Gefolgsmannes mit dem Führer nicht stattfindet. Bis vor kurzem hat die psychologische Forschung im wesentlichen nach den Unterscheidungsmerkmalen zwischen Führern und Gefolgsmännern gesucht, um auf diese eventuell eine Me6) M i t d e r A b s c h w ä c h u n g d e r v ä t e r l i c h e n T ü c h t i g k e i t s r o l l e in d e n z e i t g e n ö s s i s c h e n U.S.A. g e h t e i n e E n t s p a n n u n g d e r sog. O e d i p u s s i t u a t i o n e i n h e r . In a m e r i k a n i s c h e n A n a l y s e n zeigt sich d i e s e r „Komplex" in ungleich m i l d e r e r F o r m als im O r i g i n a l m a t e r i a l F r e u d ' s .

Ungleichheit und Rollenspezifizierung

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thode der Führerauslese zu gründen. Aus den sehr bescheidenen Erfolgen, die diese Suche einbrachte, läßt sich folgern, d a ß das gruppendynamische F a k t u m des V o r liegens von Unterschieden wichtiger ist als die spezifische Eigenart dieser Unterschiede. Eine analoge Überlegung ist am Fußende des R a n g gradienten notwendig, d. h. hinsichtlich der Rolle und Beh a n d l u n g von Minoritäten. Aussichtsreicher als die bisher bearbeiteten Hypothesen (anlagemäßige Inferiorität, Agressionsverschiebung auf Seiten der Majoritätsangehörigen, der Sündenbock, autoritäre C h a r a k t e r s t r u k t u r auf Seiten der Majoritätsangehörigen usw.) ist wohl die Einsicht, d a ß der Angehörige einer zahlenmäßig schwachen Minorität Besonderheiten (in Farbe, Gesichtsform, Sprachakzent usw.) zeigt, die ihm an sich einen Vorsprung geben, d a n k deren er als ein Projektionsobjekt in Frage k o m m t . Sofern die entsprechende Minorität klein genug ist, d ü r f t e diese Entwicklung auch tatsächlich eintreten; u. U . k a n n es so zur Entstehung einer „Elite" kommen. Sie stellte in diesem Falle (zahlenmäßig schwache Minorität) auch keine Bedrohung f ü r die angestammte M a j o r i t ä t dar, da das Gefäll'e des Ranggradienten ziemlich u n v e r ä n d e r t bliebe. Zahlenmäßig starke Minoritäten werden hingegen als bedrohlich e m p f u n d e n . Die gegen sie zum Einsatz gebrachte Strategie zielt im wesentlichen auf eine Überbetonung der Unterschiedlichkeit ab, w o m i t weitere soziale Distanzen, geringere Kontaktdichte, geringe Sympathie und die U n möglichkeit der Identifikation H a n d in H a n d gehen 7 . Dieses soziale K a m p f m i t t e l setzt die Existenz eines A u t o Stereotyps der M a j o r i t ä t voraus; sein Vorhandensein läßt 7) S o l l t e e i n e v e r f o l g t e M i n o r i t ä t in d e r L a g e s e i n , p r o p a g a n d i s t i s c h e G e g e n s c h l ä g e zu f ü h r e n , so d ü r f t e n d i e s e am e h e s t e n e r f o l g r e i c h s e i n , w e n n in i h n e n die I d e n t i f i k a t i o n d e s u n t e r d r ü c k t e n M i n o r i t ä t s a n g e h ö r i g e n mit d e m „ a r m e n T e u f e l " schlechthin g e l i n g t . I h r e a l l g e m e i n e Linie ist d i e s e r V e r t e i d i g u n g s s t r a t e g i e durch die A u f g a b e v o r g e z e i c h n e t , die v o n d e n V e r f o l g e r n b e t o n t e U n t e r s c h i e d l i c h k e i t als s e h r g e r i n g ers c h e i n e n zu l a s s e n . A l s e i n e u n k l u g e M i n o r i t ä t s s t r a t e g i e e r s c h e i n e d i e H e r v o r h e b u n g der besonderen Tüchtigkeit einzelner Angehöriger der Minorität.

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Theoreme der Gruppendynamik

sich oft an der Entwicklung des Heterostereotyps für die Minorität erkennen. 4. Gruppengröße Die oben aufgestellte Beziehung: p g = 1 — qin besagt, daß mit zunehmender Größe (n) die Erfolgsaussichten der Gruppe (pg) in negativ beschleunigter "Weise zunehmen. Diese Voraussage bestätigt sich tatsächlich (J. R. Gibb, Am. Psychol., 6, 1951), sofern es sich nämlich um relativ kleine Gruppen (n < 100) handelt. Indem n aber weiter anwächst wird die Erfüllung der Postulate (