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German Pages 517 [518] Year 2001
JÖRG VÖGELE
Sozialgeschichte städtischer Gesundheitsverhältnisse während der Urbanisierung
Schriften zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte In Verbindung mit Rainer Fremdling, Carl-Ludwig Holtfrerich, Hartmut Kaelble und Herbert Matis herausgegeben von Wolfram Fischer
Band 69
Sozialgeschichte städtischer Gesundheitsverhältnisse während der Urbanisierung
Von
Jörg Vögele
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme
Vögele, Jörg:
Sozialgeschichte städtischer Gesundheitsverhältnisse während der Urbanisierung I Jörg Vögele.- Berlin: Duncker und Humblot, 2001 (Schriften zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte ; Bd. 69) Zugl.: Düsseldorf, Univ., HabiL-Sehr., 1999 ISBN 3-428-10611-3
Alle Rechte vorbehalten Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Wemer Hildebrand, Berlin Printed in Germany
© 2001 Duncker &
ISSN 0582-0588 ISBN 3-428-10611-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 97069
Vorwort Die hier vorgelegte Arbeit ist die gekürzte Fassung der Habilitationsschrift, die von der Philosophischen Fakultät der Heinrich-Reine-Universität DUsseldorf 1999 zum Druck freigegeben worden ist. Die Ergebnisse gehen auf Forschungen zurück, die vom Wellcome Trust, London, und der Alexander von Humboldt-Stiftung, Bad Godesberg, unterstützt wurden. Ausgeführt wurde die Projektarbeit in der Fachgruppe Geschichte der Universität Konstanz, am Department of Economic and Social History der Universität Liverpool und am Institut fiir Geschichte der Medizin der Universität Düsseldorf. Über die Jahre unterstützten und begleiteten zahlreiche Personen meine Forschungsarbeiten. Ihnen allen sei an dieser Stelle recht herzlich gedankt. Horst Rabe weckte mein Interesse an demographischen und quantitativ-statistisch orientierten Arbeiten. Durch seine Lehrveranstaltungen und meine Mitarbeit in dem von ihm geleiteten Forschungsprojekt 'Regionale Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft im Bodenseeraum ( 16.-19. Jahrhundert)' wurden die Grundsteine gelegt. Reinhard Spree ermöglichte mir, meine Forschungsinteressen in einem Forschungsprojekt zu institutionalisieren. Darüber hinaus vermittelte er erste Kontakte zu Forschungskollegen und führte mich in die Scientific Community ein. Unsere Zusammenarbeit in Konstanz formte die Grundlage fiir die hier vorliegenden Forschungsarbeiten. Robert Lee, Direktor des Departments of Economic and Social History der Universität Liverpool, begleitete das Forschungsprojekt von den ersten Schritten bis zum gegenwärtigen Abschluß und war ein stetiger Ansprechpartner. Für die herzliche Aufnahme im Department, zunächst als Research Assistant und später als FeodorLynen Stipendiat der Alexander von Humboldt-Stiftung, sei ihm und allen Mitgliedern des Departments herzlich gedankt. Alfons Labisch unterstützte das Projekt in späteren Phasen. Seine konstruktive Kritik war jedoch nicht minder grundlegend fiir die vorliegende Arbeit. Als wissenschaftlicher Assistent an dem von ihm geleiteten Institut fiir Geschichte der Medizin an der HeinrichReine-Universität DUsseldorfwurden mir nicht nur Zeit und Mittel eingeräumt, die vorliegende Arbeit fertigzustellen; die fruchtbare Diskussion und Zusammenarbeit mit Mitgliedern der Düsseldorfer Arbeitsgruppe brachte vielmehr zahlreiche Anregungen und eröffnete eine Vielzahl neuer Perspektiven. Eine auf Massendaten beruhende Arbeit ist nicht möglich ohne die Unterstützung vieler hilfreicher Hände. Gedankt sei an dieser Stelle Janine Illian,
Vorwort
6
Brigitte Kaletha, Bärbel Schürmann sowie Achim Raiser, der mich bei der Anfertigung des Kartenmaterials unterstützte. Mein besonderer Dank gilt schließlich Wolfram Fischer und dem Verlag Duncker & Humblot, die sich bereit erklärten, die Arbeit in die vorliegende Reihe aufzunehmen. Düsseldorf, Frühjahr 2001 Jörg Vögele
Inhaltsverzeichnis I. Einleitung .. .. .......... .... .. ... .. ....... ........ .. .... .. .. .. .. .. .. .. .. .... .. .... .. .. .. .. .. .. .. .. .. .... ... ..... .. ... 1. Einführung .... .. .. .. ....... .. .. .. ....... ...... .... .. ........ ........ ........ ...... ...... .. .. .. .. .. ... ..... .. ... 2. Stand der Forschung ....................................................................................... 3. Ziele, Methodologie und Vorgehensweise ..................................................... 4. Zu den Quellen ............................................................................................... 5. Zusammenfassung ................................................................................ ..........
15 15 22 44 63 84
II. Stadt, Sterblichkeit und Lebenserwartung .................................................... I. Die Entwicklung der Sterblichkeit in deutschen Städten ............................... 2. Städtische Risikogruppen - Zur Entwicklung der altersspezifischen Sterblichkeit und Lebenserwartung ............................................................... .... .. .. . 3. Der Wandel des Todesursachenpanoramas in deutschen Städten .................. a) Die Entwicklung der Todesursachen ...................................................... b) Altersspezifische Gesundheitsrisiken ..................................................... c) Geschlechtsspezifische Ungleichheit vor Krankheit und Tod ................ d) Interstädtische Variabilität ...................................................................... 4. Zur Entwicklung der Säuglingssterblichkeit .................................................. 5. Verstädterung und der Wandel der Sterblichkeit ........................................... 6. Zusammenfassung ... .. ....... .... .. .. .. .... .. .. .. .. .... ...... .. ... .. ... .. .. .. .. .. ..... .... .. .. ....... .. .. ..
87 87
111. Lebensstandard, Wohnverhältnisse und soziale Ungleichheit vor Krankheit und Tod .... .... .... .................... .... .. .. .................. .................. ............... ........... 1. Einführung .. .. .. .. ..... .. .. .. .. .. ........................................ ............................. .... .. .. . 2. Wirtschaftliches Wachstum und die Entwicklung der städtischen Gesundheitsverhältnisse ... .. .. .. .. .. ... ......................................... .... .. .. .... .. .. .. .. .. .. ... .. .. .. .. . 3. Dimensionen sozialer Ungleichheit vor Krankheit und Tod .......................... 4. Einkommen und Sterblichkeitswandel ................ .......... ........................ .... ..... 5. Frauenerwerbsarbeit und Säuglingssterblichkeit............................................ 6. Wohnen und der Wandel der städtischen Gesundheitsverhältnisse ................ a) Gesundheitsrelevante Aspekte städtischen Wohnens im Kaiserreich ........ b) Wohnen und Gesundheit ........................................................................... c) Im Haus...................................................................................................... 7. Zusammenfassung .......................................................................................... IV. Verbesserte Umweltbedingungen. Sanitäre Reformen und der Wandel der Sterblichkeit ... .. ......... ..... .... .. .... ...... .... .......... .... .. .......... ......... ..................... 1. Einführung ... .. .. .... ........... ........... ...... ............ .... .. ...... .. .. .. ..... .. .. .. ...... .. ... .. ...... .. 2. Städtische Infrastrukturmaßnahmen und der Wandel der Sterblichkeit ......... a) Der Ausbau der zentralen Wasserversorgung und der Kanalisationsanlagen ....................................................................................................
97 109 109 114 122 126 130 161 170 173 173 178 186 208 213 221 225 234 244 247 251 251 253 253
8
Inhaltsverzeichnis b) 'Civitas oder Hygieia'- Zu den Motiven des Ausbaus infrastruktureller Maßnahmen .. .. .. .. .. .. .. ..... ...... ...... .... ..... .. ..... .. ...... ...... .. .. ....... ........ ...... ..... c) Sanitäre Reformen und der Sterblichkeitsrückgang in deutschen Städten ... .. .. .. .. .. ... .. .. ...... .. .... .. .. ..... ..... ...... .. .... ............. .. .. .. .. .... .. ............... 3. Städtische Milchversorgung und die Entwicklung der Säuglingssterblichkeit ................................................................................................................. a) Einführung und Forschungsstand ........................................................... b) Der Ausbau der kommunalen Milchversorgung ..................................... c) Demographische Analyse und Interpretation ............ ..................... .... ..... 4. Zusammenfassung ..........................................................................................
V. Stadt, Medizin und Gesundheit ....................................................................... 1. Einflihrung ... .. .......... ............... .... .... .. .. .... .. .. .. .. .. ... ............ ........ .......... .... ..... ... 2. Medizinische Versorgung und die Entwicklung der Volksgesundheit ........... 3. Pforten zum Tod ? - Die Krankenanstalten und ihre Patienten: Das Beispiel Düsseldorf ...................................................................................................... 4. Systeme der sozialen Sicherung und Erziehung zu gesundheitsbewußtem Verhalten ........................................................................................................ a) Zur Hygienisierung der Unterschichten .................................................. b) Säuglingsflirsorge ................................................................................... 5. Zusammenfassung ..........................................................................................
265 278 307 307 308 313 320 323 323 325 343 366 371 377 393
VI. Zusammenfassung und Schluß ...................................................................... 397 VII. Quellen- und Literaturverzeichnis ............................................................... I. Quellenverzeichnis ...... .... .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .... .. .... ..... .. .. .. .. ...................... a) Archivalien und serielle Quellen zur Statistik ........ ...... .. .. ......... .... .. .. .... . b) Gedruckte Quellen .... .... .......... ...................... .... .......................... ............ 2. Literaturverzeichnis ........................................................................................
415 415 415 417 437
VIII. Anhang .......................................................................................................... Anhang I : Zur Klassifizierung der Todesursachen ............................................ Anhang 2: Alters- und geschlechtsspezifische Todesursachen: Quellen ............ Anhang 3: Alters- und geschlechtsspezifisches Todesursachenpanorama in den größten deutschen Städten und in Preußen ............ Anhang 4: Sterblichkeitsprofil und Todesursachenpanorama in den zehn größten deutschen Städten .. .. ...................... .... .... .. .. ... .. ... ... Anhang 5: Der Ausbau von Trinkwasserversorgung und Kanalisation in den zehn größten deutschen Städten .......... .... .. .. .. .... Anhang 6: Regressionsanalyse .. ........................... .... .......................... ...... ..........
473 473 477 480 488 493 494
IX. Register . ....... .... .. .. .... ........... .......... ... ... ... .. ..................... .............................. .... . 496
Verzeichnis der Tabellen, Schaubilder und Karten Tabellenverzeichnis Tabelle 101:
Modellierte Todesursachenklassifikation fiir deutsche Städte im 190und frühen 200 Jahrhundert .................................... 0000 00000000
71
Tabelle 201:
Die Entwicklung der städtischen und ländlichen Sterblichkeit in Deutschland (pro 1.000 Lebende) ........ 00000o0o0o00000o000000000o0000 00 000000000
90
Tabelle 202:
Die Entwicklung der Sterberaten in den zehn größten deutschen Städten, im Durchschnitt aller Städte über 150000 Einwohner und in Preußen bzwoim Deutschen Reich (pro 10000 Lebende)
92
Tabelle 203:
Rohe Sterberaten (CDR) und standardisierte Sterberaten (SMR) im Durchschnitt der zehn größten deutschen Städte und in Preußen (pro 100000 Lebende)
96
Tabelle 204:
Durchschnittliche Lebenserwartung fiir Männer und Frauen in den zehn größten deutschen Städten, 1877, 1885, 1900 und 1907 00 0000
99
Tabelle 205:
Durchschnittliche Lebenserwartung flir Männerund Frauen in preußischen Stadt- und Landgemeinden, 1877 und 1905 00 00000000000
I 02
Tabelle 206:
Altersspezifische Sterberaten in Preußen, 1905/06 (pro 1.000 Lebende) ..................................
00 00 00o0 0000 103
Altersspezifische Sterberaten in Preußen, 1895/96 (pro 1.000 Lebende)
104
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ooooOOOOoo oo ooOo OO o o o o o o o o o o o o o o O O O O o o o o O O o o O O oo ooooOO
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Tabelle 20 7:
OOOO oOOO OO OO OO oOOO OOOO . . . . . . . . OO OO OO oO OOOO OO oooO OOOOoOoooo OO OO o o o o o o o o
Tabelle 208:
Durchschnittliche Lebenserwartung flir Männerund Frauen in Preußen, 1900/0 I 00 00 00 00 00 0000 00 00" 0000 0000 0000 00 000.... 00 0000.. 00 000.... 0 I 05 OO OO oOoOO oo . . . .
Tabelle 209:
Durchschnittliche Lebenserwartung flir Männerund Frauen in Preußen, 1905/06 o00000000000000000000000000o00 00000000000000 00 00 00 00 00 ...... 000000 00 00
I 06
Tabelle 2010:
Durchschnittliche Lebenserwartung flir Männerund Frauen in ausgewählten deutschen Großstädten, 1877 und 1907 00 00 00 00 00 000000 00
I 08
Tabelle 2011:
Der Wandel des Todesursachenpanoramas in deutschen Groß00 00 00 .. 0000 00 00 00 0000000000 städten, 1877 - 1907 000000 00 0000 0000000000
112
Tabelle 2012:
Altersspezifische Todesursachen in deutschen Großstädten und in Preußen (pro 100000 Lebende), 1877
118
Tabelle 2013:
Altersspezifische Todesursachen in deutschen Großstädten und in Preußen (pro 100000 Lebende), 1885
119
Altersspezifische Todesursachen in deutschen Großstädten und in Preußen (pro 100000 Lebende), 1900
120
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OO oO oO OO OOoOoOoooOOOOOoooooooooo o o o o oo oo
OO OO OOoOOOOO OO oOoOOOOO OO ooOOooOO oo ooooOO
Tabelle 2014:
OO OO OoOoOOOOOOOO oO oOoOoO oOoO oOoO . . . . . . . .
10
Verzeichnis der Tabellen, Schaubilder und Karten
Tabelle 2.15 :
Altersspezifische Todesursachen in deutschen Großstädten und in Preußen (pro 10.000 Lebende), 1907 ........................................
121
Tabelle 2.16:
Der Wandel des Todesursachenpanoramas in ausgewählten deutschen Großstädten, 1877- 1907 ....................................................
129
Tabelle 2.17:
Die Entwicklung der Säuglingssterblichkeit in Deutschland während des 19. Jahrhunderts (pro 100 Geburten) ..............................
133
Tabelle 2.18:
Die Entwicklung der Säuglingssterblichkeit in den zehn größten deutschen Städten, im Durchschnitt aller Städte ilber 15.000 Einwohner und in Preußen bzw. im Deutschen Reich, 1877- 1913 (pro 100 Geburten) ........................................................................
135
Die Sterblichkeit legitimer und illegitimer Säuglinge in preußischen Großstädten (mit ilber 200.000 Einwohnern), 1875 - 1910 (pro 100 Geburten) ........................................................................
143
Tabelle 2.20:
Die Entwicklung der Geburten- und der Fertilitätsraten in Stadt und Land in Preußen, 1876- 1910 ................................................
146
Tabelle 2.21:
Stadtgröße, Wachstum, Sterblichkeit und ausgewählte Todesursachen in den zehn größten deutschen Städten ... ... ... .... ... .. .. .... .. 162
Tabelle 2.22:
Bevölkerungsdichte in den zehn größten deutschen Städten ......... 165
Tabelle 3.1:
Sterblichkeit an Lungentuberkulose in Breslau ( 1891 - 1900), Harnburg (1896- 1900) und Charlottenburg (1908- 1912) nach durchschnittlichem Einkommen pro Stadtteil bzw. Familieneinkommen (pro 10.000 Lebende) ................................................
191
Tabelle 3.2:
Sterblichkeit an Lungentuberkulose in Paris, Berlin und Wien nach Einkommen (pro 10.000 Lebende). ......................................
192
Tabelle 3.3:
Wirtschaftliche Grundlage, Hauptberufsgruppen (im Jahr 1907) und ausgewählte Indikatoren der Sterblichkeit in den zehn größten deutschen Städten (rohe allgemeine Sterberaten (pro 1.000 Lebende), 1877- 1889 und 1900- 1913, und ausgewählte Todesursachen (pro 100.000 Lebende), 1900 - 1913) ............................ 198
Tabelle 3.4:
Soziale Ungleichheit vor Tod in Harnburg während der 1880er Jahre - Korrelationskoeffizienten ..... ....... ...... .... .. .. .. .. .. .. .... ..... .. .. .. . 204
Tabelle 3.5:
Korrelationskoeffizienten von durchschnittlichen Tagelöhnen von Arbeitern ilber 16 Jahren (1912) und der allgemeinen Sterberate, der Sterblichkeit an ausgewählten Todesursachen, der Säuglingssterblichkeit sowie der Geburtenrate in den zehn größten deutschen Städten (1907; 1900- 1913) ............................................... 212
Tabelle 3.6:
Anteil der im Haushalt tätigen Frauen und der Frauen ohne Beruf ilber 14 Jahre (in Prozent aller Frauen ilber 14 Jahre) im Jahr 1907 und ausgewählte Indikatoren der Sterblichkeit in den zehn größten deutschen Städten, 1900 - 1913 ..................................... .......... 220
Tabelle 3.7:
Die Entwicklung der Belegungsdichte in den zehn größten deutschen Städten, 1875, 1885, 1900 und 1910 ................................... 227
Tabelle 2.19:
Verzeichnis der Tabellen, Schaubilder und Karten
11
Tabelle 3.8:
Die Anzahl der Kellerwohnungen und ihr Anteil an allen bewohnten Wohnungen in den zehn größten deutschen Städten, 1875, 1885, 1900 und 1910 .......................................................... 229
Tabelle 3.9:
Wohndichte in den zehn größten deutschen Städten, 1875 und 1900, rohe allgemeine Sterberaten (pro 1.000 Lebende) sowie die Sterblichkeit an Tuberkulose (pro I 00.000 Lebende), 1877 und 1900 ... ..... .. .... ............................ .... .. .... ...... ...... ........... .. ..... ..... 243
Tabelle 4.1:
Zunahme der Anzahl deutscher Städte mit zentraler Wasserversorgung (absolute Zahlen und prozentualer Anteil je Größenklasse (in Klammer)), 1870- 1900 ................................................ 255
Tabelle 4.2:
Ausbau der sanitären Infrastruktur in den zehn größten deutschen Städten, 1888 - 1912 ... .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ........ .. .. ...... .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..... ..... 263
Tabelle 4.3:
Finanzielle Ergebnisse des Wasserwerksbetriebs in den zehn größten deutschen Städten, 1889/90 und 1903/04 (in Mark) ........ 272
Tabelle 4.4:
Mortalität an Abdominaltyphus in preußischen Gemeinden (pro 10.000 Lebende), 1876, 1881 und 1891 ................................ 286
Tabelle 4.5:
Morbidität und Mortalität an Abdominaltyphus in Hamburg, 1884- 1895 (pro 1.000 Lebende).................................................. 289
Tabelle 4.6:
Soziale Ungleichheit und Abdominaltyphus-Erkrankungen und -Sterbefalle in Hamburg, 1885- 1888 (pro 1.000 Lebende) ......... 294
Tabelle 4.7:
Soziale Ungleichheit und Abdominaltyphus-Erkrankungen und -Sterbefalle in Hamburg, 1885- 1888 (pro 1.000 Lebende)Korrelationskoeffizienten .. .. .... .... .. ..... ... .. .... .. .. .. .. .. .. ....... .. ...... .. ..... 295
Tabelle 5.1:
Indikatoren des Grads der medizinischen Versorgung in ausgewählten deutschen Großstädten, die rohe allgemeine Sterberate (pro 1.000 Lebende) sowie ausgewählte Todesursachen (pro 100.000 Lebende), 1907 ........................................................ 329
Tabelle 5.2:
Zahl der behandelten Kranken in den drei Düsseldorfer Krankenanstalten, 1870-1910 ................................................................... 350
Tabelle 5.3 :
Die Finanzierung der Patienten im Evangelischen Krankenhaus,
Tabelle 5.4:
Krankheitspanorama im Evangelischen Krankenhaus, 1886 und 1901 (in Prozent) ........................................................................... 361
Tabelle 5.5:
Behandlungsresultate im Evangelischen Krankenhaus (in Prozent), 1886 und 1901 .............................................................................. 364
Tabelle 5.6:
Stillprämien in den zehn größten deutschen Städten ..................... 384
1901 ······················ ························ ································ ················ 355
12
Verzeichnis der Tabellen, Schaubilder und Karten
Verzeichnis der Schaubilder Schaubild 2.1: Die Entwicklung der Sterblichkeit in den zehn größten deutschen Städten und im Durchschnitt aller Städte über 15.000 Einwohner, 1877- 1913 ...................................................................................
89
Schaubild 2.2: Die Alters- und Geschlechtsstruktur der Bevölkerung in Preußen, 1877, und in den zehn größten deutschen Städten, 1877 (in Prozent) ......................................... ...........................................
95
Schaubild 2.3: Die Alters- und Geschlechtsstruktur der Bevölkerung in Preußen, 1907, und in den zehn größten deutschen Städten, 1907/10 (in Prozent) ............................................................................ ........
95
Schaubild 2.4: Altersspezifische Sterblichkeit in den zehn größten deutschen Städten, 1877 und 1907/10 ...........................................................
98
Schaubild 2.5: Die relative Lebenserwartung in Stadt und Land in Preußen, 1877 .............................................................................................. 101 Schaubild 2.6: Die relative Lebenserwartung in Stadt und Land in Preußen, 1905 ..............................................................................................
101
Schaubild 2.7: Die Übersterblichkeit der Frauen in Preußen in den Großstädten und auf dem Land, 1905/06 .... .... .. ...... ...... .. .... .. .. .... .. .. .. ..... .. .... .. .. . 123 Schaubild 2.8: Inter-lokale Variabilität in der Sterblichkeit nach ausgewählten Todesursachen in deutschen Städten, 1877- 1913 ........................
128
Schaubild 2.9: Die Entwicklung der Säuglingssterblichkeit in deutschen Städten und in Preußen bzw. im Deutschen Reich, 1875/7- 1913 ............ 137 Schaubild 2.10: Die Entwicklung der Säuglingssterblichkeit in den zehn größten deutschen Städten und im Durchschnitt aller Städte über 15.000 Einwohner, 1877 - 1913 ................... .... .... .. .. .. .. .... .. ....................... I 37 Schaubild 2.11: Determinanten der Säuglingssterblichkeit im 19. Jahrhundertein vereinfachtes Modell .................... ............................ .......... ..... 140 Schaubild 2. 12: Die Entwicklung der Geburtenraten in den zehn größten deutschen Städten und im Durchschnitt aller Städte über 15.000 Einwohner, 1877- 1913 ..................................................................... 152 Schaubild 2.13: Säuglingssterblichkeit im Regierungsbezirk Düsseldorf zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach der Ernährungsweise und Geburtenfolge ..... ... .. .. .. .. .... .. .. .. .. .. .. .. .... .......... .... .. .. .. ..... .... ... ... .......
157
Schaubild 2.14: Bevölkerungsentwicklung und Mortalität in Düsseldorf, 1850- 1913 ................................................................................... 163 Schaubild 4.1 : Ausbau der Kanalisationsanlagen in deutschen Städten, 1850-1910 ................................................................................... 256 Schaubild 4.2: Durchschnittlicher privater Wasserverbrauch in deutschen Städten pro Kopf und Tag, 1888 - 1912 .. .. .... .... .. ................ .... .. .... 263
Verzeichnis der Tabellen, Schaubilder und Karten
13
Schaubild 4.3: Die Entwicklung der Sterblichkeit an Abdominaltyphus in den zehn größten deutschen Städten und im Durchschnitt aller Städte über 15.000 Einwohner, 1877- 1913 ............................................ 287 Schaubild 4.4: Die Entwicklung der Sterblichkeit an Abdominaltyphus, an akuten gastro-intestinalen Erkrankungen sowie die Entwicklung der Säuglingssterblichkeit in Hamburg, 1877 - 1913 .................................. 289 Schaubild 4.5: Die Entwicklung der Sterblichkeit an akuten gastro-intestinalen Erkrankungen in den zehn größten deutschen Städten und im Durchschnitt aller Städte über 15.000 Einwohner, 1877- 1913 ... 304 Schaubild 4.6: Die Entwicklung der Säuglingssterblichkeit in ausgewählten deutschen Städten, 1877 - 1913 .............. ........ .. .. .... .... .. .. .... .. .. ..... .. .. .... 306 Schaubild 4.7: Saisonale Verteilung der Säuglingssterblichkeit in ausgewählten Großstädten, 1898 - 1902 (in Prozent) .......................................... 317 Schaubild 4.8: Saisonale Verteilung der Säuglingssterblichkeit in Düsseldorf, 1905 .............................................................................................. 317 Schaubild 4.9: Saisonale Verteilung der Säuglingssterblichkeit in Berlin nach der Ernährungsweise, 1908 (in Prozent) ............................. .......... 318 Schaubild 4.10: Saisonale Verteilung der Säuglingssterblichkeit in Hamburg, 1820- 1918 .......................................................... :........................ 318 Schaubild 4.11 : Saisonale Verteilung der Säuglingssterblichkeit in ausgewählten Großstädten, 1926 - 1928 (in Prozent) .......................................... 319 Schaubild 4.12: Saisonale Verteilung der Säuglingssterblichkeit in Stadt und Land in Preußen, 1911 ........................................................................... 3 19 Schaubild 5.1: Die Entwicklung der Sterblichkeit an Tuberkulose in den zehn größten deutschen Städten, 1877- 1913 ....................................... 334 Schaubild 5.2: Die Entwicklung der Sterblichkeit an Erkrankungen der Atmungsorgane in den zehn größten deutschen Städten, 1877 - 1913 ........ 334 Schaubild 5.3: Die Entwicklung der Sterblichkeit an Scharlach in den zehn größten deutschen Städten, 1877- 1913 ............................................... 335 Schaubild 5.4: Die Entwicklung der Sterblichkeit an Diphtherie und Krupp in den zehn größten deutschen Städten, 1877 - 1913 ........ ........ ...... .. 342 Schaubild 5.5: Die Entwicklung der Sterblichkeit an Diphtherie in den zehn größten englischen Städten sowie in England und Wales, 1877- 1913 ................................................................................... 342 Schaubild 5.6: Morbidität, Mortalität, Letalität an Diphtherie in Hamburg, 1872-1900 ······································· ·············· ···················· ·········· 343 Schaubild 5.7: Die Altersstruktur in Düsseldorf(l900) und im Evangelischen Krankenhaus (1901) ...................................................................... 357 Schaubild 5.8: Die relative Altersstruktur im Evangelischen Krankenhaus ( 190 I) und die altersspezifische Sterblichkeit der Bevölkerung Düsseldorfs(1900) ................................................................................... 357
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Verzeichnis der Tabellen, Schaubilder und Karten
Schaubild 5.9: Die altersspezifische Sterblichkeit der Patienten im Evangelischen Krankenhaus ( 1901) und der Bevölkerung Düsseldorfs ··················· ·································· ························ 362 (1900) ··············· Schaubild 5.10: Das Todesursachenpanorama in Düsseldorf, 1877 und 1907 (pro 100 Gestorbene) .................................................................... 362
Verzeichnis der Karten Kartel.l :
Die geographische Lage der zehn größten deutschen Städte (im Jahr 1910) ................................................................................
Karte 3.1:
Die interne Bevölkerungsdichte (Einwohner pro Zimmer ohne Küche) in Harnburg nach Stadtteilen, 1885 .................................... 200
Karte 3.2:
Die Sterblichkeit in Harnburg nach Stadtteilen (pro 1.000 Lebende), 1887 ............................................................................... 201
Karte 3.3:
Das jährlich im Durchschnitt zu versteuernde Einkommen pro Kopf in Harnburg nach Stadtteilen (in Mark), 1886 ....................... 202
Karte 3.4:
Die Sterblichkeit an Tuberkulose in Harnburg nach Stadtteilen (pro 10.000 Lebende), 1887 ........................................................... 203
Karte 3.5:
Die durchschnittliche Höhe der Mietpreise in Düsseldorf nach Stadtteilen (in Mark), 1905 ............................................................ 206
Karte 3.6:
Die Sterblichkeit in Düsseldorfnach Stadtteilen (pro 1.000 Lebende), 1901 - 1905 ......................... ..................... .. .. .. .. ... .. .. .. .. .. 207
Karte 3.7:
Die Bevölkerungsdichte in Harnburg nach Stadtteilen (Einwohner pro 10.000 qm), 1885 ..................................................................... 235
Karte 4.1 :
Die Sterblichkeit an Abdominaltyphus in Harnburg nach Stadtteilen (pro 10.000 Lebende), 1885- 1887 ...................................... 291
Karte 4.2:
Die Morbidität an Abdominaltyphus in Harnburg nach Stadtteilen (pro 1.000 Lebende), 1885- 1887 ........................................ 292
Karte 4.3:
Die Letalität an Abdominaltyphus in Harnburg nach Stadtteilen (pro 1.000 Erkrankte), 1885- 1887 ................................................ 293
Karte 5.1:
Deutsche Städte mit Säuglingsflirsorgestellen, 1907 ....................... 383
47
I. Einleitung 1. Einnihrung Die Lebenserwartung hat sich in Westeuropa in den letzten 200 Jahren mehr als verdoppelt und beläuft sich inzwischen auf nahezu 80 Jahre. 1 Der Nobelpreisträger fiir Wirtschaftswissenschaften des Jahres 1993, der amerikanische Historiker Robert Fogel, bezeichnet diesen Vorgang als eines der größten Ereignisse der Menschheitsgeschichte und gleichzeitig als eines der letzten großen Rätsel, da die Ursachen und Mechanismen dieses bemerkenswerten Sterblichkeitsrückgangs nach wie vor im Dunkeln Iiegen. 2 Wurden diese· Entwicklungen traditionell Fortschritten in der medizinischen Technologie zugeschrieben, so bemessen Forschungsarbeiten der letzten Jahrzehnte den Beitrag der kurativen Medizin eher als bescheiden und diskutieren dagegen vor allem eine verbesserte Qualität und Quantität der Ernährungslage als Folge gestiegenen Lebensstandards, Verbesserungen der Umweltbedingungen und präventive Maßnahmen zur Hebung der Hygiene. 3 Insbesondere den Städten kommt in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle zu. Die Stadt gilt einerseits als die Wiege zivilisatorisch moderner Lebensformen - ihr Name steht fiir Fortschritt und Modernität -, andererseits flackerte in der Geschichte immer wieder Kritik an der städtischen Lebensweise auf. Vor allem den Großstädten gegenüber entwickelte sich zeitweise eine regelrecht feindliche Einstellung.4 Sie galten traditionell als besonders ungesunde Orte mit extrem hohen Sterberaten.5 Bereits im 17. Jahrhundert wurde dieses Bild von John Graunt entworfen und im 18. Jahrhundert von Johann
1 In Deutschland betrug die Lebenserwartung bei der Geburt im Zeitraum 1993/95 flir Männer 73,0 Jahre und fur Frauen 79,5 Jahre. Quelle: Daten des Gesundheitswesens, Ausgabe 1997 (Schrifienreihe des Bundesministeriums flir Gesundheit, Bd. 91), Baden-Baden 1997, S. 25. 2 R. W. Fogel, Nutrition and the Decline in Mortality since 1700: Some additional Preliminary Findings, National Bureau of Economic Research, Inc. Working Paper, No. 1802, Cambridge 1986,5.1 und 105. 1
T. McKeown, The Modern Rise ofPopulation, London 1976.
Vgl. etwa K. Bergmann, Agrarromantik und Großstadtfeindschafi, Meisenheim a. Glan 1970. 5 Vgl. beispielsweise A. F. Weber, The Growth of the Cities in the Nineteenth Century. A Study in Statistics, New York 1899. 4
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I. Einleitung
Peter Süssmilch in seiner Schrift über die 'göttliche Ordnung' aufgenommen.6 Die Industrialisierung verschärfte noch die Gesundheitsgefährdungen des Stadtlebens. In seinem berühmten Bericht über die Lage der arbeitenden Klasse in England lieferte Friedrich Engels eine detaillierte Beschreibung der verheerenden Lebensbedingungen in den großen nordenglischen Industriestädten der 1840er Jahre, die als archetypisch für die Auswüchse des Frühkapitalismus in England gelten. 7 Eng verbunden mit dem Industrialisierungsprozeß war eine rapide steigende Bevölkerungskonzentration in den Städten während der Urbanisierungsphase. Da im allgemeinen eine hohe Bevölkerungsdichte die Ausbreitung der vorherrschenden akuten und chronischen Infektionskrankheiten begünstigt, soll sich das nachhaltig auf die städtischen Gesundheitsverhältnisse ausgewirkt haben. Um die traditionell hohen Sterberaten in den schnell wachsenden englischen Industrie- und Handelsstädten des 19. Jahrhunderts, welche die Durchschnittswerte für ländliche Gebiete oder den gesamten Staat bei weitem übertrafen, erneut in den Blick zu rücken, wurde der Ausdruck 'Urban Penalty' eingefilhrt. 8 Insbesondere die Tuberkulose wurde dabei als die archetypische Krankheit der Industrialisierung herausgestellt. In jüngster Zeit häufen sich jedoch die Stimmen, die darauf hinweisen, daß der englische Weg zu den modernen Gesundheitsverhältnissen kein typischer war, vor allem deshalb, weil gastro-intestinale Störungen, von denen hauptsächlich Säuglinge betroffen waren, in England zwar eine wichtige, aber keine so herausragende Rolle spielten wie in vielen anderen Staaten Westeuropas und in Nordamerika. 9 Entsprechend müssen die Mechanismen des globalen Sterblichkeitswandels neu gewichtet werden. Gemeinsames Merkmal der säkularen Sterblichkeitsentwicklung ist jedoch, daß sich die städtischen Sterberaten gegen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts sowohl absolut als auch relativ gesehen substantiell verbesserten, die Unterschiede zwischen den Sterberaten von Stadt und Land sich verringer-
6 J. Graunt, Natural and political Observations mentioned in a following index, and made upon the bills of mortality, London 1662; J. P. Süssmilch, Die göttliche Ordnung in den Veränderungen des menschlichen Geschlechts, aus der Geburt, dem Tode und der Fortpflanzung desselben erwiesen, Berlin 1741 . Zu den Anfllngen der Mortalitätsstatistik ist noch immer lesenswert: H. Westergaard, Die Lehre von der Mortalität und Morbidität. Anthropologisch-statistische Untersuchungen, Jena 2 1901 (erste Auflage 1881), S. 1-64. Ausneuerer Perspektive: J. D. Willigan I K. A. Lynch, Sources and Methods ofHistorical Demography, New York 1982. 7 F. Engels, Die Lage der arbeitenden Klasse in England. Nach eigener Anschauung und authentischen Quellen, Leipzig 1845. Zur zeitgenössischen Großstadtrezeption vgl. A. Lees, Cities Perceived. Urban Society in European and American Thought, 1820-1940, Manchester 1985.
8 G. Kearns, The Urban Penalty and the Population History of England, in A. Brandström I L. Tedebrand (Hgg.), Society, Health and Population during the Demographie Transition, Stockholm 1988, S. 213-236. 9 J. Vögele, Urban Mortality Change in England and Germany, 1870-1910, Liverpool 1998; G. A. Condran I R. A. Cheney, Mortality trends in Philadelphia: age- and cause-specific death rates, 1870-1930, in: Demography 19 (1982), S. 97-127, hier S. 106.
I. Einfiihrung
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ten und die städtische Übersterblichkeit sich abschwächte oder sogar gänzlich verschwand. Vorreiter dieser Entwicklung waren im wesentlichen die Großstädte. Offenbar hatten diese das Potential, auf die hohen Sterberaten zur Jahrhundertmitte schnell und effizient reagieren zu können. Deshalb betonen einschlägige Arbeiten die Wechselbeziehungen zwischen Urbanisierung und Bevölkerungsentwicklung und legen nahe, daß die Auswirkungen der öffentlichen Gesundheitsfürsorge auf den säkularen Mortalitätsrückgang bislang unterschätzt worden sind. 10 Eine Analyse großstädtischer Gesundheitsverhältnisse während der Industrialisierung und ihrer Determinanten kann mithin als paradigmatisch für die allgemeine gesundheitliche Situation in modernen Industriegesellschaften gelten. Übertragen auf Deutschland kommt somit der Periode des Kaiserreichs eine besondere Bedeutung zu. Sie gilt allgemein als ein wichtiger Grundstein auf dem Weg zu einer modernen Gesellschaft, 11 denn Deutschland wandelte sich endgültig von einem Agrarstaat zu einem Industriestaat: Die Zahl der im primären Sektor Beschäftigten reduzierte sich von 49 Prozent um 1875 auf 34 Prozent am Vorabend des Ersten Weltkriegs, dagegen stieg die Zahl der im sekundären Sektor Beschäftigten von 30 auf 3 8 Prozent. 12 Gleichzeitig hielt das Bevölkerungswachstum auf hohem Niveau an. Die Industriewirtschaft expan-
1° Kearns, Urban Penalty; S. Szreter, The lmportance of Social Intervention in Britain's Mortality Decline 1850-1914, a Reinterpretation of the Role of Public Health, in: Social History of Medicine I (1988), S. 1-37; G. Kearns I W. R. Lee I J. Rogers, The Interactions of Political and Economic Factors in the Management of Urban Public Health, in: M. C. Nelson I J. Rogers (Hgg.), Urbanisation and the Epidemiologie Transition, Uppsala 1989, S. 9-81 (in gekürzter Fassung erschienen als W. R. Lee I G. Kearns I J. Rogers, Urbanisierung und Professionalisierung als Bestimmungsfaktoren des deutschen Gesundheitssystems im 19. Jahrhundert im internationalen Vergleich, in: H.-G. Haupt I P. Marschalck (Hgg.), Städtische Bevölkerungsentwicklung in Deutschland im 19. Jahrhundert. Soziale und demographische Aspekte der Urbanisierung im internationalen Vergleich, St. Katharinen 1994, S. 258-281); J. Mokyr, Technical Progress and the Decline of European Mortality, in: The American Economic Review 83 (1993), S. 324-330; J. P. Mackenbach, The Contribution of Medical Care to Mortality Decline: McKeown Revisited, in: Journal ofCiinical Epidemiology 49 (1996), S. 1207-1213.
11 Vgl. dazu die umfassenden Gesamtdarstellungen L. Gall, Europa auf dem Weg in die Moderne 1850-1890, München 3 1997; W. J. Mommsen, Das Ringen um den nationalen Staat. Die Gründung und der innere Ausbau des Deutschen Reiches unter Otto von Bismarck 1850-1890, Frankfurt a.M. 1993; Th. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866-1918, 2 Bde., München 1992; HP. VI/mann, Das Deutsche Kaiserreich 1871-1918, Frankfurt a. M. 1995; H.-U. Weh/er, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, München 1995. 12 F.-W. Henning, Die Industrialisierung in Deutschland 1800 bis 1914, Paderborn 1973, S. 20 und 203-272; R. H. Tilly, Vom Zollverein zum Industriestaat. Die wirtschaftlich-soziale Entwicklung Deutschlands 1834 bis 1914, München 1990, S. 77-152. Im Überblick ebenfalls: K. E. Born, Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Deutschen Kaiserreiches ( 1867171-1914), Stuttgart 1985; W. Fischer (Hg.), Europäische Wirtschafts- und Sozialgeschichte von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg, Stuttgart 1985; F.-W. Henning, Handbuch der Wirtschafts- und Sozialgeschichte Deutschlands, Bd. 2, Paderborn 1996, H. Kiesewel/er, Industrielle Revolution in Deutschland 1815-1 9 14, Frankfurt a. M. 199 1.
2 Vögele
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I. Einleitung
dierte in einem solchen Maße, daß Deutschland am Vorabend des Ersten Weltkriegs in der internationalen Rangskala vor England als dem Pionierland der Industriellen Revolution auf Platz zwei hinter den Vereinigten Staaten lag. Mit der modernen Industriewirtschaft bildeten sich auch die marktbedingten Erwerbs-, Besitz- und Berufsklassen zu den dominierenden Sozialformationen aus. 13 Bildungspolitik und Sozialpolitik wurden nach und nach den Anforderungen der Industriegesellschaft angepaßt. Diesem 'Muster an Modernität' stehen spannungsreiche Widersprüche gegenüber, die durch die Vorherrschaft traditioneller Machteliten, von Obrigkeitspolitik und Untertanenmentalität sowie durch das erstarrende politische Ordnungsgefüge hervorgerufen wurden. 14 Steigende Reallöhne im Zuge der wirtschaftlichen Entwicklung kamen keineswegs allen Bevölkerungsschichten gleichmäßig zugute, 15 selbst die soziale Ungleichheit vor Krankheit und Tod verschärfte sich. 16 Kristallisationspunkt der Chancen und Risiken der industriellen Gesellschaft waren die Städte: 17 Ohne die neuen technologischen und organisatorischen Entwicklungen industrieller Wirtschaftsweise wäre die Entstehung der modernen Großstadt nicht möglich gewesen; umgekehrt spielten die Städte eine Rolle für die Industrialisierung, indem sie eine adäquate Infrastruktur in Form von leistungsfähigen Verkehrs- und Kommunikationsnetzen sowie ein System verdichteter Siedlungen, die sowohl als Wohngebiete der industriellen Arbeiterschaft als auch als Verteilungsmärkte fllr die produzierten Güter fungierten, zur Verfügung stellten. Das wiederum war nur mit Hilfe der Industrie als bedeutendem Arbeitgeber und Steuerzahler möglich. In ihrer Rolle als Dienstleistungsorganisation konnten die Städte ihre Anziehungskraft als Industriestandorte sicherstellen und günstige Rahmenbedingungen fllr die Ansiedlung weiterer Industrieanlagen bieten. Über die Zuwanderung neuer Arbeitskräfte und ein starkes natürliches Bevölkerungswachstum sorgte das flir rapide steigende Einwohnerzahlen. Industrialisierung und Verstädterung veränderten das Leben der Menschen in zentralen Strukturmerkmalen und führten schließlich
13 G. A. Ritter I K. Tenje/de, Arbeiter im Deutschen Kaiserreich 1871 bis 1914, Bonn 1992, insbesondere S. 113-154. I< Weh/er, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, S. 489. 15 Zusammenfassend H. Kaelble, Industrialisierung und soziale Ungleichheit. Europa im 19. Jahrhundert. Eine Bilanz, Göttingen 1983. 16 R. Spree, Soziale Ungleichheit vor Krankheit und Tod. Zur Sozialgeschichte des Gesundheitsbereichs im Deutschen Kaiserreich, Göttingen 198 I, S. 22-30 (beachtenswert auch die konzise, teilweise Oberarbeitete englische Ausgabe: R. Spree, Health and Social Class in Imperial Germany. A Social Study ofMortality, Morbidity and lnequality, Oxford 1988). 17 Vgl. dazu P. Marschalck, Zur Rolle der Stadt flir den lndustrialisierungsprozeß in Deutschland in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: J. Reutecke (Hg.), Die deutsche Stadt im Industriezeitalter. Beiträge zur modernen deutschen Stadtgeschichte, Wuppertal 1978, S. 57-66; auch W. Köllmann, Der Prozeß der Verstädterung in Deutschland in der Hochindustrialisierungsperiode, in: W. Köllmann, Bevölkerung in der industriellen Revolution, Göttingen 1974, S. 125-139.
I. Einführung
19
zu einer neuartigen städtischen Lebensform, der Urbanität. 18 Dieser qualitative Prozeß der Urbanisierung wirkte langfristig über die Städte hinaus; Urbanität ist mittlerweile zum allgemein herrschenden Lebensstil geworden, der nicht mehr an das Leben in der Stadt gebunden ist. Auf der anderen Seite schuf diese Entwicklung neue soziale Brennpunkte und stellte die Städte vor bislang so nicht gekannte Umweltprobleme. Urbanisierung und Soziale Frage werden in einem Atemzug genannt. 19 Desintegration und Entwurzelung der Zuwanderer, Zerfall der persönlichen und familiären Bindungen durch eine hohe Mobilität, überfüllte Wohnungen, hohe Kriminalitätsraten, steigende Luft- und Wasserverschmutzung und sanitäre Mißstände sind Schlagworte, die in diesem Zusammenhang immer wieder genannt werden. In der folgenden Untersuchung wird deshalb die Entwicklung der städtischen Gesundheitsverhältnisse in Deutschland während des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts diskutiert, in einer wichtigen Urbanisierungsphase also, die von Bevölkerungsexplosion und Großstadtbildung gekennzeichnet ist. 20 Neben der bereits angesprochenen wichtigen Industrialisierungsperiode gilt die Zeit des Kaiserreiches fiir Deutschland auch allgemein als Haupturbanisierungsphase.21 Lebten 1871 erst 36,1 Prozent der Bevölkerung in Gemeinden über 2.000 Einwohnern und, dem statistischen Stadtbegriff folgend, somit in Städten, so waren es 1910 bereits 60 Prozent, davon allein 21 ,3 Prozent in Großstädten (über 100.000 Einwohner). 22 Dadurch änderten sich die städtischen Lebensbedingungen radikal. Gleichzeitig gilt diese Periode auch als Blütezeit der kommunalen Selbstverwaltung, in der sich eine umfassende Leistungsverwaltung entfalten konnte, die wesentliche Aspekte des öffentlichen Gesundheitswesens abdeckte: 23 zentrale Wasserversorgung und Kanalisation, Straßenreinigung, Müllabfuhr, Lebensmittelüberwachung, Milchversorgung, Krankenhäuser - um nur einige zu nennen.
J Reulecke, Geschichte der Urbanisierung in Deutschland, Frankfurt a. M. 1985, S. II . Zusammenfassend: Tilly, Vom Zollverein zum Industriestaat, S. 130-152. 20 Reutecke, Urbanisierung. 21 Vgl. W. Köllmann, Bevölkerung in der industriellen Revolution, Göttingen 1974; H. Matzerath, Urbanisierung in Preußen 1815-1914, Stuttgart 1985; Reulecke, Urbanisierung; H.-D. Laux, The Components of Population Growth in Prussian Cities, 1875-1905 and their Jnfluence on Urban Population Structure, in: R. Lawton I R. Lee (Hgg.), Urban Population Development from the Late-Eighteenth to the Early-Twentieth Century, Liverpoo11989, S. 120-148. 22 G. Hohorst l J Kocka I G. A. Riller (Hgg.), Sozialgeschichtliches Arbeitsbuch. Materialien zur Statistik des Kaiserreichs 1870-1914, München 1975, S. 43 . 23 W. R. Krabbe, Die deutsche Stadt im 19. und 20. Jahrhundert. Eine Einführung, Göttingen 1989; A. Sutcliffe, Towards the Planned City: Germany, Britain, the United States and France, 1780-1914, Oxford 1981. 18 19
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I. Einleitung
Ziel der Arbeit ist es nun, (1.) die Entwicklung der städtischen Gesundheitsverhältnisse in Form des Sterblichkeitswandels sowie der Veränderungen der Lebenserwartung und des Todesursachenpanoramas zu rekonstruieren, wobei die Großstädte als Kristallisationspunkt des Geschehens im Zentrum stehen. Als Untersuchungsgegenstand wurden deshalb die zehn bevölkerungsreichsten deutschen Städte ausgewählt. Eine solche historische Epidemiologie liegt für Deutschland bislang noch nicht vor, obwohl sie eine unerläßliche Voraussetzung darstellt, um spezifisch städtische Strategien und Maßnahmen, die als Antwort auf die Gesundheitsbedrohungen ergriffen wurden, analysieren zu können. So werden (2.) die Determinanten des städtischen Sterblichkeitswandels erörtert. Konkret stehen dabei die Wirkungen sanitärer Reformen sowie der medizinischen und sozialen Versorgung zur Diskussion. Um deren Beitrag letztendlich evaluieren und in den gesamtgesellschaftlichen Wandel einbetten zu können, müssen sie zusätzlich in den allgemeinen Kontext der sozioökonomischen Entwicklung in den Städten der Zeit eingeordnet werden. Diskutiert werden in diesem Zusammenhang vornehmlich die soziale Ungleichheit vor Krankheit und Tod, die Bedeutung der Frauenarbeit für die Säuglingssterblichkeit, die Wohnverhältnisse sowie die Wirkung steigenden Lebensstandards auf die Senkung der Sterberaten. Damit bietet das Thema zudem zahlreiche Anknüpfungspunkte zur Diskussion gegenwärtiger Probleme. So wurde in in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erneut die Unwirtlichkeit der Städte beklagt und eine Krise der Stadt proklamiert. 24 Heute gelten insbesondere die riesigen städtischen Agglomerationen in Europa, Süd- und Mittelamerika sowie Asien mit ihren sozialen und umweltbedingten Problemen als unbeherrschbar. 25 Dabei geraten insbesondere die durch hohe Geburtenraten und massive Einwanderungsströme rapide wachsenden 'Megastädte' in der Dritten Welt zunehmend außer Kontrolle. Arbeitslosigkeit und sinkender Lebensstandard, verstärkte Slumbildung sowie fehlende Infrastruktur lassen sich in ihren Konsequenzen am deutlichsten an der hohen Sterblichkeit und einer entsprechend geringen Lebenserwartung festmachen. Aber auch in nordamerikanischen und europäischen Städten rücken mit einer verschärften ungleichen Verteilung des Wohlstandes Armut und damit auch Krankheit und Tod vor. Unter der männlichen schwarzen Bevölkerung im New Yorker Stadtteil Harlem etwa liegt die Lebenserwartung im Alter von 20 Jahren unter derjenigen der entsprechenden Altersgruppe Bangladeschs. Ebenso birgt die in Deutschland vielzitierte Zwei-Drittel-Gesellschaft nicht nur ein soziales Spannungsfeld, sondern zugleich auch ein völlig unterschätztes gesundheitliches Risiko. Zwar gehen bekanntlich Armut und
,. A. Mitscherlich, Die Unwirtlichkeit unserer Städte. Anstiftung zum Unfrieden, Frankfurt a.
M . 1965.
25 Vgl. beispielsweise die Diskussion auf der Weltsiedlungskonferenz Habitat II der UN im Juni 1996 in Istanbul.
I. Einflihrung
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Krankheit Hand in Hand, aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis die zurückkehrenden, längst besiegt geglaubten Volksseuchen - wie etwa die Tuberkulose oder auch neue Infektionskrankheiten von sozialen Randgruppen in weitere Bevölkerungskreise vordringen. Verstärkt wird diese Bedrohung durch die extrem hohe Mobilität in und zwischen den Industrienationen; die vielbeschworene Globalisierung bedeutet gleichzeitig die weltweite Verbreitung von Krankheitserregern und Gesundheitsrisiken. Zugleich stoßen Medizin und Gesundheitspolitik immer häufiger an ihre Grenzen. Die neuen Seuchen sind bislang medizinisch nicht beherrschbar; es gibt beispielsweise kein Heilmittel gegen die Immunschwäche AIDS, zahlreiche Tuberkuloseerreger zeigen sich gegenüber modernen Behandlungsmethoden zunehmend resistent. Medizinische Intervention schließlich wird inzwischen verstärkt unter finanziellen Aspekten diskutiert und scheitert besonders in den Entwicklungsländern an den Kosten. Wenn das Heilmittel flir AIDS ein Glas sauberes Wasser wäre, so ist vielerorts zu lesen, könnte es sich dort nur ein kleine Minderheit leisten. 26 Hier wie dort ist mithin eine adäquate und umfassende Sozialpolitik als präventive Gesundheitspolitik gefragt. So lanciert die Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Rahmen des Projekts 'Healthy Cities' derzeit eine Wiederbelebung des öffentlichen Gesundheitswesens auf Interventionsebene der Städte. Somit kann die Geschichtswissenschaft auch für die derzeitigen Entwicklungen unmittelbar einen wichtigen Beitrag liefern. Gerade die Beschäftigung mit der Historie, der Blick auf ein Zeitalter niedriger Lebenserwartung und vorherrschender Infektionskrankheiten kann Lösungsmöglichkeiten, aber auch Irrwege aufzeigen. Welchen Weg beschritten die modernen Industrienationen hin zu den gegenwärtigen Gesundheitsverhältnissen mit einer bislang nicht gekannten hohen Lebenserwartung? Wie beeinflußten Lebensstandard und industrielle Lebenswelt die Überlebenschancen? Welche Strategien zur Bekämpfung von Krankheit, Seuchen und Tod konnten sich durchsetzen, welche waren erfolgreich, welche scheiterten und warum? Mit der Erörterung solcher Fragen trägt diese Forschungsarbeit nicht nur dazu bei, die historisch folgenreichen Umwälzungen von Industrialisierung und Urbanisierung zu klären, sondern auch gegenwärtige internationale Strategien der öffentlichen Gesundheitsflirsorge, wie etwa Strategien im Kampf gegen die Immunschwäche AIDS, die in Afrika und Südamerika endemisch herrschende Cholera, die Rückkehr von Tuberkulose und Pest sowie die Konzepte des 'Healthy Cities Project' der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu verorten und weiter zu entwickeln.
"' Vgl. Newsweek, December 8, 1997, S. 40-47.
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I. Einleitung
2. Stand der Forschung Einordnung des Themas
In den letzten Jahrzehnten hat die Geschichtswissenschaft die Bedeutung des Themenkomplexes Krankheit und Gesundheit entdeckt. Ausgangspunkt war wiederholt die Verbindung von großen Seuchen und der Entwicklung der öffentlichen Gesundheitsflirsorge.27 In diesem Zusammenhang hat Alfons Labisch die Interaktionsmuster von Geschichte, Medizin und Stadt historischtypisierend herausgearbeitet und das Verhältnis von Medizin und Gesellschaft über Deutungen und Wirkung zeittypischer Gesundheitsbegriffe idealtypisch dargestellt. 28 Gesundheit wurde in der Hochindustrialisierung zu einem Begriff, "der die Gesellschaft durchdrang und gestaltende Kraft entfaltete. Gesundheit wurde zur allgemein verbindlichen Lebens- und Verhaltensrichtlinie. Gesundheit wurde zur alleinigen Existenzgrundlage Iohnabhängiger Schichten. Gesundheit wurde zur scheinbar entpolitisierten, weil naturwissenschaftlich begründeten Stützkonzeption staatlicher, kommunaler und industrieller Sozialpolitik. Die wissenschaftliche Deutung von Gesundheit war wert- und klassenneutraL Gesundheit erlaubte, die elementaren Lebensrisiken Krankheit, Invalidität, Alter und deren soziale Bedingungen und Folgen politisch zu kanalisieren. Gesundheit erlaubte, das Verhalten der Arbeiter, der Unterschichten insgesamt, zu regulieren." 29
Aus diesem Wandel des Verständnisses von 'Gesundheit' leitete sich in Deutschland seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert ein Bedeutungszuwachs kommunaler Gesundheitspolitik ab. Jürgen Reulecke stellt hierzu einzelne Entwicklungsstufen gesundheitspolitischer und gesundheitsfürsorgerischer Aktivitäten auf: Nach dem freien Engagement der bürgerlichen Sozialreformer übernahm die Kommunalbürokratie ab den 1860er Jahren die Initiative. 30 Das führte dazu, daß die Kommunen schrittweise gesundheitspflegerische und gesundheitsfürsorgerische Aufgaben übernahmen und - oft in Zusammenarbeit
27 A. Labisch, Gemeinde und Gesundheit. Zur historischen Soziologie des kommunalen Gesundheitswesens, in: B. Blanke I A. Evers I H. Wollmann (Hgg.), Die Zweite Stadt. Neue Formen der Arbeits- und Sozialpolitik, Opladen 1986, S. 275-305; A. Hardy, The Epidemie Streets. Infectious Disease and the Rise of Preventive Medicine, 1856-1900, Oxford. 1993. - Zum Forschungsstand siehe R. Otto I R. Spree I J. Vögele, Seuchen und Seuchenbekämpfung in deutschen Städten während des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Stand und Desiderate der Forschung, in: Medizinhistorisches Journal 25 (1990), S. 286-304.
A. Labisch, Homo Hygienicus, Gesundheit und Medizin in der Neuzeit, Frankfurt a. M. 1992. Labisch, Homo Hygienicus, S. 315-316. 311 J. Reu/ecke, Von der Fürsorge über die Vorsorge zur totalen Erfassung. Etappen städtischer Gesundheitspolitik zwischen 1850 und 1939, in: J. Reulecke (Hg.), Die Stadt als Dienstleistungszentrum. Beiträge zur Geschichte der "Sozialstadt" in Deutschland im 19. und frühen 20. Jahrhundert, St. Katharinen 1995, S. 395-416. Zur bürgerlichen Sozialreform vgl. R. vom Bruch (Hg.), "Weder Kommunismus noch Kapitalismus": Bürgerliche Sozialreform in Deutschland vom Vormärz bis zur Ära Adenauer, München 1985. 28
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2. Stand der Forschung
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mit der bürgerlichen Vereinskultur - ausbauten. Die Ausdifferenzierung des Systems der sozialen Sicherung und eine parallel hierzu erfolgende systematische Erweiterung des kommunalen Engagements im Sozial- und Gesundheitsbereich, das häufig Versuchs- und Innovationscharakter besaß, sieht Reulecke dabei als weitere Entwicklungsstufe an. Seit der Jahrhundertwende wurde die Thematik in bevölkerungspolitischer Richtung ausgeweitet. 31 Gleichzeitig setzte eine Kommerzialisierung von 'Hygiene und Sauberkeit' ein. Eine letzte Stufe der Ausdifferenzierung kommunaler Gesundheitspolitik kann für den Zeitraum nach dem Ersten Weltkrieg festgestellt werden, in der ein von den Kommunen forcierter Ausbau des Sozialstaates erfolgte. Damit ist die Verbindung zur Stadtgeschichte hergestellt. Sie ist mittlerweile zu einem wichtigen Gegenstand der historischen Forschung in Deutschland geworden; die Stadtgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts hat Hochkonjunktur32 Im Blickpunkt der Forschung stehen die Grundlagen der Urbanisierung, die mit dem Sprung von Bevölkerungswachstum und Verstädterung zur Bewältigung der dadurch entstandenen Probleme in Deutschland während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gelegt wurde. Die Stadt wurde zum Vorreiter der Modemität. 33 Eng verbunden mit diesem Prozeß war ein grundlegender Wandel der Gesundheitsverhältnisse, dem sich die historische Forschung in zunehmendem Maße zuwendet. Hygiene- und Gesundheitsprobleme kumulierten in den Städten während der Industrialisierung, hier wurden aber auch Lösungsstrategien entworfen und angewandt. So hat auch das Thema Stadt und Gesundheit inzwischen Hochkonjunktur. Das zeigen allein mehrere Forschungsberichte,34 verschiedene neuere Sammelbände zum Thema35 und
31 Vgl. beispielsweise D. Dwork, War is Good for Babies and Other Young Children. A History ofthe Infant and Child Welfare Movement in England 1898-1918, London 1987. 32 Krabbe, Die deutsche Stadt, S. 5. Zur Bandbreite der Diskussion siehe F. Lenger, Urbanisierungs- und Stadtgeschichte - Geschichte der Stadt, Verstädterungsgeschichte oder Geschichte der Stadt, in: AfS 26 (1986), S. 429-479; L. Niethammer, Stadtgeschichte in einer urbanisierten Gesellschaft, in: W. Schieder I V. Sellin (Hgg.), Sozialgeschichte in Deutschland, Bd. 2, Göttingen 1986, S. I 13-136; J. Reulecke, Stadtentwicklung und Urbanisierung: Aktuelle Diskussion, in: SOWII6 (1987), S. 73-78; Ch. Engeli I H Matzerath (Hgg.), Modeme Stadtgeschichtsforschung in Europa, USA und Japan, Stuttgart 1989; H Matzerath, Loka1geschichte, Stadtgeschichte, historische Urbanisierungsforschung?, in: GG 15 (1989}, S. 62-88; F. Lenger, Neuzeitliche Stadtund Urbanisierungsgeschichte als Sozialgeschichte, in: AfS 30 (1990}, S. 376-422; J. Reulecke, Fragestellungen und Methoden der Urbanisierungsforschung in Deutschland, in: F. Mayrhofer (Hg.), Stadtgeschichtsforschung. Aspekte, Tendenzen, Perspektiven, Linz 1993, S. 55-68. 33 Nipperdey, Deutsche Geschichte, Bd. 2, S. 165. 34 Zum Stand der Forschung siehe A. Labisch I J. Vögele, Stadt und Gesundheit- Anmerkungen zur neuerensozial-und medizinhistorischen Diskussion in Deutschland, in: AfS 37 (1997), S. 396424; A. Labisch, Stadt und Gesundheit - Eine Analyse der neueren (sozial-)historischen Literatur, in: Zbl. Hyg. 197 (1995), S. 111 - 133; R. lütte, "Stadtluft macht krank". Neuere Arbeiten zum Thema "Stadt und Gesundheit" im 19. und 20. Jahrhundert, in: Die alte Stadt 21 (1994), S. 368371;1. Vögele, Gesundheitspolitik in Stadt und Region. Zu einigen neueren Darstellungen, in: IWK Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung 32,3 (1996), S. 394-398.
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I. Einleitung
zahlreiche Einzeldarstellungen. Am häufigsten diskutiert wird dabei die kommunale Hygienepolitik als Geschichte der Daseinsfürsorge und Leistungsverwaltung im Kontext eines komplexen bürgerlichen Lemprozesses: 36 Als der Staat sich zur Mitte des 19. Jahrhunderts weitgehend aus dem Bereich der Wohlfahrtspflege zurückgezogen hatte, stieß die kommunale Selbstverwaltung in diese Lücke und übernahm die Initiative bei der Ausgestaltung einer umfassenden Gesundheitssicherung. 37 Diese Aktivitäten wurden unter dem Begriff 'Munizipalsozialismus' zusammengefaßt und stellten den Übergang zur modernen Leistungsverwaltung dar. 38 Unter dem Aspekt einer eher deskriptivphänomenologisch als theoretisch aufgefaßten Modemisierung beschreibt W. R. Krabbe den Wandel in der Sozial- und Gesundheitsverwaltung der deutschen Städte unter dem Einfluß der Industrialisierung im ausgehenden 19. Jahrhundert.39 Speziell geht es dabei um die Frage, welche Veränderungen die den
15 J. Reu/ecke I A. Gräfin zu Casteil Rüdenhausen (Hgg.), Stadt und Gesundheit. Zum Wandel von "Volksgesundheit" und kommunaler Gesundheitspolitik im 19. und frühen 20. Jahrhundert, Stuttgart 1991; D. Machufe I 0. Miseher I A. Sywottek (Hgg.), Macht Stadt krank? Vom Umgang mit Gesundheit und Krankheit, Harnburg 1996; J Vögele I W. Woelk (Hgg.), Stadt, Krankheit und Tod. Geschichte der städtischen Gesundheitsverhältnisse während der Epidemiologischen Transition (vom 18. bis ins frühe 20. Jahrhundert), Berlin 2000. Zur aktuellen Situation B Stumm I A. Trojan (Hgg.), Gesundheit in der Stadt. Modelle- Erfahrungen - Perspektiven, Frankfurt a. M. 1994. 36 J. Reu/ecke, Die Politik der Hygienisierung. Wandlungen im Bereich der kommunalen Daseinsfilrsorge als Elemente fortschreitender Urbanisierung, in: I. Behnken (Hg.), Stadtgesellschaft und Kindheit im Prozeß der Zivilisation, Opladen 1990, S. 13-25; Reu/ecke, Von der Fürsorge, S. 395-416; J. Reulecke, Gesundheitsflir- und -vorsorge in den deutschen Städten seit dem 19. Jahrhundert, in: D. Machute I 0 . Miseher I A. Sywottek (Hgg.), Macht Stadt krank? Vom Umgang mit Gesundheit und Krankheit, Harnburg 1996, S. 70-83 . 37 J. Reulecke, Stadtbürgertum und bürgerliche Sozialreform im 19. Jahrhundert in Preußen, in: L. Gall (Hg.), Stadt und Bürgertum im 19. Jahrhundert, München 1990, S. 171-197. Vgl. auch A. Labisch, Kommunale Gesundheitssicherung im rheinisch-westn!lischen Industriegebiet (18691934) -ein Beispiel zur Soziogenese öffentlicher Gesundheitsleistungen, in: H. Schadewaldt I K.H. Leven (Hgg.), XXX. Internationaler Kongreß filr Geschichte der Medizin, Düsseldorf 31.8.5.9.1986, Actes/Proceedings, Düsseldorf 1988, S. 1077-1094.- Allgemein zum Rückzug des liberalen Bürgertums in die kommunale Politik siehe D. Langewiesche, "Staat" und "Kommune". Zum Wandel der Staatsaufgaben in Deutschland im 19. Jahrhundert, in: HZ 248 (1989), S. 621-635 38 Grundlegend dazu W. R. Krabbe, Munizipalsozialismus und Interventionsstaat Die Ausbreitung der städtischen Leistungsverwaltung im Kaiserreich, in: GWU 30 (1979), S. 265-283; W. R. Krabbe, Die Entfaltung der modernen Leistungsverwaltung in deutschen Städten des späten 19. Jahrhunderts, in: H. J. Teuteberg (Hg.), Urbanisierung im 19. und 20. Jahrhundert. Historische und geographische Aspekte, Köln 1983, S. 373-391; W. R. Krabbe, Kommunalpolitik und Industrialisierung. Die Entfaltung der städtischen Leistungsverwaltung im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Fallstudien zu Dortmund und Münster, Stuttgart 1985; H. H. Blotevogel (Hg.), Kommunale Leistungsverwaltung und Stadtentwicklung vom Vormärz bis zur Weimarer Republik, Köln 1990. Unter juristischen und verwaltungspolitischen Aspekten behandelt diese Thematik H. Gröttrup, Die kommunale Leistungsverwaltung. Grundlagen der gemeindlichen Daseinsvorsorge, Stuttgart 1973. 39 W. R. Krabbe, Von der Armenpflege zur lokalen Sozial- und Gesundheitsverwaltung. Wandlungen im kommunalen Pflichtaufgabenbereich unter dem Druck der Moderhisierung am Beispiel westfiliischer Städte (1800-1914), Beiträge zur Geschichte Dortmunds und der Grafschaft Mark 76177 (1984/85), S. 155-215. Eine prägnante theoriegerichtete Zusammenfassung der Thesen bei
2. Stand der Forschung
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Städten seit der frühen Neuzeit als Pflichtaufgabe übertragene Armenverwaltung durchlief, um angemessen auf das Wachstum der Städte, die neuen Produktionsweisen, die veränderten Lebensbedingungen und den technologischen Fortschritt reagieren zu können. 40 Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Hygiene der Stadt unter dem Aspekt der allgemeinen Umweltgeschichte,41 insbesondere der Zusammenhang zwischen Städtebau und Stadthygiene,42 die industrielle Luftverschmutzung43 sowie die Assanierung, hier vor allem der Ausbau von zentraler Wasserversorgung und Kanalisation. 44 Die dramatischen
W. R. Krabbe, Die Modemisierung der kommunalen Sozial- und Gesundheitsvorsorge im Zeitalter der Industrialisierung, in: Zeitschrift für Sozialreform 30 (1984), S. 424-432. 40 Neuere Überblicksdarstellungen bei M Hietala, Services and Urbanization at the Turn of the Century. The Diffusion of Innovations, Helsinki 1987; Krabbe, Die deutsche Stadt; Matzerath, Urbanisierung in Preußen; H. J. Teufeberg (Hg.), Urbanisierung im 19. und 20. Jahrhundert. Historische und geographische Aspekte, Köln 1983. International vergleichend Sutcliffe, Towards the Planned City; F Lenger, Großstädtische Eliten vor den Problemen der Urbanisierung. Skizze eines deutsch-amerikanischen Vergleichs 1870-1914, in: GG 21 (1995), S. 313-337. 41 K.-G. Wey, Umweltpolitik in Deutschland. Kurze Geschichte des Umweltschutzes in Deutschland seit 1900, Opladen 1982; Th. Kluge I E. Schramm, Wassernöte. Umwelt- und Sozialgeschichte des Trinkwassers, Aachen 1986. Im Überblick: E. Schramm, Historische Umweltforschung und Sozialgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, in: AfS 27 (1987), S. 439-455; A. Andersen, Umweltgeschichte. Forschungsstand und Perspektiven, in: AfS 33 (1993), S. 672-701; U. Kappilz I J. Vögele, Über Umwelt- und Gesundheitsschutz in historischer Perspektive, in: E. Kais (Hg.), Umwelt und Gesundheit. Die Verbindung ökologischer und gesundheitlicher Ansätze, Weinheim 1998, S. 7-19. 42 J. Rodriguez-Lores I G. Fehl (Hgg.), Städtebaureform 1865-1900. Von Licht, Luft und Ordnung in der Stadt der Gründerzeit. Teil I: Allgemeine Beiträge und Bebauungsplanung; Teil 2: Bauordnungen, Zonenplanung und Enteignung, Harnburg 1985; J. Rodriguez-Lores, Stadthygiene und Städtebau. Am Beispiel der Debatten im Deutschen Verein für öffentliche Gesundheitspflege 1869-1911, in: J. Reulecke I A. Gräfin zu Casteil Rüdenhausen (Hgg.), Stadt und Gesundheit. Zum Wandel von "Volksgesundheit" und kommunaler Gesundheitspolitik im 19. und frühen 20. Jahrhundert, Stuttgart 1991, S. 63-75; H. Berndt, Hygienebewegung des 19. Jahrhunderts als vergessenes Thema von Stadt- und Architektursoziologie, in: Die alte Stadt 14 (1987), S. 140-163; M Rodenstein, "Mehr Licht, mehr Luft". Gesundheitskonzepte im Städtebau seit 1750, Frankfurt a. M. 1988; S. Fisch, Stadtplanung im 19. Jahrhundert. Das Beispiel München bis zur Ära Theodor Fischer, München 1988. Vgl. auch Sutc/ijfe, Towards the Planned City.
43 F-J. Brüggemeier, Luftverschmutzung und Luftreinhaltung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: J. Reulecke I A. Gräfin zu Casteil Rüdenhausen (Hgg.), Stadt und Gesundheit. Zum Wandel von "Volksgesundheit" und kommunaler Gesundheitspolitik im 19. und frühen 20. Jahrhundert, Stuttgart 1991, S. 49-61 ; F-J. Brüggemeier I Th. Rommelspacher, Blauer Himmel über der Ruhr. Geschichte der Umwelt im Ruhrgebiet 1840-1990, Essen 1992; M Stolberg, Ein Recht auf saubere Luft? Umweltkonflikte am Beginn des Industriezeitalters, Erlangen 1994; U. Gi/haus, "Schmerzenskinder der Industrie". Umweltverschmutzung, Umweltpolitik und sozialer Protest im Industriezeitalter in Westfalen 1845-1914, Paderborn 1995; F-J. Brüggemeier, Das unendliche Meer der Lüfte. Luftverschmutzung, Industrialisierung und Risikodebatten im 19. Jahrhundert, Essen 1996.
"G. Rath, Die Hygiene der Stadt im 19. Jahrhundert, in: W. Artelt I E. Heischkel I G. Mann I W. Rüegg (Hgg.), Städte-, Wohnungs- und Kleidungshygiene des 19. Jahrhunderts in Deutschland. Vorträge eines Symposiums vom 17. bis 18. Juni 1967 in Frankfurt am Main, Stuttgart 1969, S. 7084; sehr technikgeschichtlich orientiert J. von Simson, Kanalisation und Städtehygiene im 19. Jahrhundert, Düsseldorf 1983; P. Münch, Stadthygiene im 19. und 20. Jahrhundert. Die Was-
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I. Einleitung
Wohnverhältnisse des 19. und frühen 20. Jahrhunderts sind zwar eingehend untersucht worden, 45 selten allerdings systematisch unter hygienischen oder gesundheitlichen Aspekten. 46 In jüngster Zeit wendet sich die Aufmerksamkeit zusätzlich der auf Personen gerichteten Hygienepolitik zu. Im Mittelpunkt stehen hierbei die Genese des kommunalen Krankenhauswesens47 sowie Fürsorgebestrebungen für einzelne besonders gefährdete Risikogruppen, wie etwa die Säuglinge.48 Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang, daß die Stadt mittlerweile nicht mehr ausschließlich als Einheit gesehen wird, sondern auch innerstädtische Differenzierungsprozesse herausgearbeitet werden. 49
serversorgung, Abwasser- und Abfallbeseitigung unter besonderer Berücksichtigung Münchens, Göttingen 1993. 4 s L. Niethammer unter Mitarbeit von F. Brüggemeier, Wie wohnten Arbeiter im Kaiserreich?, in: AfS 16 (1976), S. 61-134; H J. Teuteberg (Hg.), Homo Habitans. Zur Sozialgeschichte des ländlichen und städtischen Wohnens in der Neuzeit, Münster 1985; C. Wischermann, Wohnen in Harnburg vor dem Ersten Weltkrieg, Münster 1983; E. Gransehe I F. Rothenbacher, Wohnbedingungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts 1861-1910, in: GG 14,1 (1988), S. 64-95; F. W Bratvogel, Stadtentwicklung und Wohnverhältnisse in Sielefeld unter dem Einfluß der Industrialisierung im 19. Jahrhundert, Dortmund 1989; C. Zimmermann, Von der Wohnungsfrage zur Wohnungspolitik. Die Reformbewegung in Deutschland 1845-1914, Göttingen 1991. - Im europäischen Kontext C. G. Pooley (Hg.), Housing Strategies in Europe, 1880-1930. Leicester 1992. 46 Rein deskriptiv bleiben ältere Arbeiten wie beispielsweise H Goerke, Wohnhygiene im 19. Jahrhundert, in: W. Artelt I E. Heischkel I G. Mann I W. Rüegg (Hgg.), Städte-, Wohnungs- und Kleidungshygiene des 19. Jahrhunderts in Deutschland. Vorträge eines Symposiums vom 17. bis 18. Juni 1967 in Frankfurt am Main, Stuttgart 1969, S. 52-69. Eine vorzügliche Arbeit über bürgerliche Hygienevorstellungen hinsichtlich der Wohnverhältnisse von Arbeitern findet sich bei B. Koller, "Gesundes Wohnen" - Ein Konstrukt zur Vermittlung bürgerlicher Werte und Verhaltensnormen und seine praktische Umsetzung in der Deutschschweiz 1880-1940, Zürich 1995. Der direkte Zusammenhang von Wohnen und Gesundheit ist allerdings nicht Gegenstand der Studie.
" A. Labisch I R. Spree, Die Kommunalisierung des Krankenhauswesens in Deutschland während des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, in: Schriften des Vereins fiir Socialpolitik, Gesellschaft fiir Wirtschafts- und Sozialwissenschaften N.F. 240 (1995), S. 7-47; A. Labisch I R. Spree (Hgg.), "Einem jeden Kranken in einem Hospitale sein eigenes Bett". Zur Sozialgeschichte des Allgemeinen Krankenhauses in Deutschland im 19. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1996. 48 A. Gräfin zu Casteil Rüdenhausen, Volksgesundheit und Fürsorgestaat Die Bekämpfung der Tuberkulose und der Säuglingssterblichkeit zwischen Reichsgründung und Inflation unter besonderer Berücksichtigung Preußens (1871-1924), Habilitationsschrift, Universität Bochum 1987. A. Gräfin zu Casteil Rüdenhausen, Die Erhaltung und Mehrung der Volkskraft. Die Anfllnge der sozialhygienischen Gesundheitsfursorge im Regierungsbezirk Düsseldorf, in: I. Behnken (Hg.), Stadtgesellschaft und Kindheit im Prozeß der Zivilisation, Opladen 1990, S. 26-42.
•• Unter verschiedenen sozialhistorischen Perspektiven SI. Bleek, Das Stadtviertel als Sozialraum. Innerstädtische Mobilität in München 1890 bis 1933, in: W. Hardtwig I K. Tennfelde (Hgg.), Soziale Räume in der Urbanisierung. Studien zur Geschichte Münchens im Vergleich 1850-1933, München 1990, S. 217-234; SI. Bleek, Quartierbildung in der Urbanisierung. Das Münchner Westend 1890-1933, München 1991; G. Neumeier, München um 1900. Wohnen und Arbeiten, Familie und Haushalt, Stadtteile und Sozialstrukturen, Hausbesitzer und Fabrikarbeiter, Demographie und Mobilität - Studien zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte einer deutschen Großstadt vor dem Ersten Weltkrieg, Frankfurt a. M. 1995; C. Wischermann, Wohnen in Hamburg. Unter Einbeziehung der Gesundheitsverhältnisse vgl. R. Evans, Death in Hamburg. Society and Politics in the Cholera Years 1830-1910, Oxford 1987.
2. Stand der Forschung
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Ergänzt werden diese Ansätze durch eine Reihe von Studien zur lokalen Armen- und Gesundheitspolitik. 50 Allerdings ist ein häufig auftretendes Problem solcher Ansätze, daß durch die enge verwaltungsgeschichtliche Ausrichtung weder die Grenze zwischen lokaler Besonderheit und allgemeiner struktureller Entwicklung erkennbar wird, noch die gesamte gesellschaftliche Relevanz des Themas zum Ausdruck kommt. Zumindest teilweise gelöst ist dies in Richard Evans' monumentaler Arbeit über Hamburg. 51 Evans gelingt es, Sozial-, Politik-, Technik-, Wissenschafts- und Mentalitätsgeschichte miteinander zu verbinden. Dabei stellt er Harnburg in entsprechende Entwicklungen in Deutschland, Frankreich oder England, um so jeweils übergreifende Strukturen vom speziellen Geschehen unterscheiden zu können. Die differenzierte Analyse der Ursachen und des Verlaufs der Cholera-Epidemie von 1892/93 dient Evans vor allem dazu, den Zusammenhang von Seuchengeschehen und sozialem Wandel herauszuarbeiten. Über die seuchenhistorischen Erkenntnisse hinaus gelingt es Evans daher, das überaus komplexe Bedingungsgeftige einer Epidemie in ihren sozialen, wirtschaftlichen und politischen Bezügen darzustellen. Evans kann zeigen, wie durch eine Seuche der Wandel einer traditionellen Kaufmannsstadt zu einer modernen Handels- und Industriemetropole beschleunigt worden ist. Kritisch anzumerken ist allerdings, daß die epidemiologische Analyse der Gesundheitsverhältnisse Hamburgs zwar weit über die Cholera hinausgeht, in diesen Teilen aber im wesentlichen deskriptiv bleibt und nur punktuell Bezüge zu anderen Regionen Deutschlands oder Europas herzustellen versucht. 52 So bleiben Evans' Ergebnisse auf dieser Ebene letztendlich nicht verallgemeinerbar, insbesondere weil Harnburg die einzige westeuropäische Großstadt war, die von dieser Epidemie heimgesucht wurde.
50 Um nur einige - in alphabetischer Reihenfolge - zu nennen: H. Brüchert-Schunk, Städtische Sozialpolitik vomwilhelminischenReich bis zur Weltwirtschaftsktise. Eine sozial- und kommunalhistorische Untersuchung am Beispiel der Stadt Mainz 1890-1930, Stuttgart 1994; R. Münch, Gesundheitswesen im 18. und 19. Jahrhundert. Das Berliner Beispiel, Berlin 1995; H. Schwanitz, Krankheit, Armut, Alter. Gesundheitsflirsorge und Medizinalwesen in Münster während des 19. Jahrhunderts, Münster 1990; R. Stremme/, Gesundheit - unser einziger Reichtum? Kommunale Gesundheits- und Umweltpolitik 1800- 1945 am Beispiel Solingen, Solingen 1993; I. Tamm, Die Entwicklung des öffentlichen Gesundheitswesens an Beispielen aus Hannover und Linden (18501914). Ein Beitrag zur Urbanisierungsforschung, Teekienburg 1992; M Wey er-von Schoultz, Stadt und Gesundheit im Ruhrgebiet 1850-1929. Verstädterung und kommunale Gesundheitspolitik dargestellt am Beispiel der jungen Industriestadt Gelsenkirchen, Essen 1994.
51 R. Evans, Death in Hamburg. Bei der deutschen Übersetzung (Tod in Hamburg. Gesellschaft und Politik in den Cholera-Jahren 1830-1910, Reinbek bei Harnburg 1991) handelt es sich leider nur um eine gekürzte Version des Originaltextes. Eine weitere gelungene Lokalstudie zur Bedeutung der Cholera fllr die Entwicklung der städtischen Daseinsvorsorge im 19. Jahrhundert am Beispiel Osnabrücks liefert M HaverlaJmp, "... herrscht hier seit heute die Cholera". Lebensverhältnisse, Krankheit und Tod. Sozialhygienische Probleme der städtischen Daseinsvorsorge im 19. Jahrhundert am Beispiel der Stadt Osnabrück, Osnabrück 1996. 52 In der deutschen Ausgabe fehlt der statistische Anhang, der in der englischen Originalversion die Zusammenhänge wesentlich deutlicher erscheinen läßt.
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I. Einleitung
Einen anderen Weg schlägt Beate Witzler in ihrer Arbeit über die Hygienepolitik in sechs deutschen Großstädten ein.53 Sie versucht, eine mittlerweile dringend notwendige zusammenfassende Darstellung auf Makroebene zu leisten, hat aber leider versäumt, ein theoretisches Konzept zu entwickeln oder aus der Forschung zu übernehmen. Neuere Arbeiten werden bei ihr zwar bibliographisch aufgelistet, allerdings erfolgt keine Auseinandersetzung mit deren wichtigsten Thesen und Kontroversen. Das hat zur Folge, daß einzelne gesundheitspolitische Maßnahmen im empirischen Teil weitgehend unkritisch nacherzählt werden. Auch methodisch hat die Arbeit große Defizite. Die extensive Auflistung absoluter Sterberaten fiir die einzelnen Städte birgt keinerlei Aussage, da diese nicht auf die Einwohnerzahl, geschweige denn auf den Alters- und Geschlechtsaufbau der Bevölkerung bezogen werden. Denn das Rohmaterial allein erlaubt weder Rückschlüsse auf die Entwicklung der Oesundheitsverhältnisse in einer bestimmten Stadt noch einen zumindest ansatzweisen Vergleich zwischen den Städten. So mangelt es an einem Raster, in das die von ihr als Hauptquelle herangezogenen städtischen Verwaltungsberichte kritisch eingeordnet werden können. Kaum behandelt wird daher das Ineinandergreifen von Gesundheitsverhältnissen, gesundheitspolitischer Diskussion und städtischer Gesundheitspolitik. Es ist der Arbeit deshalb nur begrenzt möglich, die zeitgenössischen Diskurse kritisch zu verfolgen und die tatsächlich ergriffenen Maßnahmen adäquat zu bewerten. Durch diesen methodischen Mangel verfällt die Autorio häufig ungewollt in die Argumentationsführung des 19. Jahrhunderts und berichtet im wesentlichen eine unkritische 'Erfolgsgeschichte' der städtischen Gesundheitspolitik. Eigentümlich ist Untersuchungen solcher Art, daß sie sich in der Regel nicht oder nur marginal fiir den Gesundheitszustand der betroffenen Bevölkerungsgruppen sowie die Auswirkungen städtischer Lebensbedingungen und städtischer Gesundheitspolitik auf die Entwicklung der Gesundheitsverhältnisse interessieren. Diese Themenfelder sind bislang nahezu unbearbeitet, obwohl eine differenzierte und methodologisch robuste demographisch-epidemiologische Analyse eine grundlegende Voraussetzung bildet, um die Ergebnisse der verschiedenen Fallstudien und Untersuchungen zu Einzelaspekten einordnen und bewerten zu können. Demographische und epidemiologische Arbeiten ermöglichen zunächst bemerkenswerte und aufschlußreiche Erkenntnisse über die Bevölkerungs- und Mortalitätsstrukturen in ihrem Wandel in der Zeit; spezifisch städtische Risikogruppen und Risikofaktoren können so isoliert werden. Die quantitative Analyse erlaubt weiterhin zumindest zweierlei: Einmal ist es möglich zu prüfen, ob die im öffentlichen Raum wirksam skandalisierten Krankheiten tatsächlich auch epidemiologisch, also mit Blick auf die übrigen Krankheiten und Todesursachen, so 'bedeutend' waren, wie sie den Zeitgenossen erschienen, oder ob
53 B. Witz/er, Großstadt und Hygiene. Kommunale Gesundheitspolitik in der Epoche der Urbanisierung, Stuttgart 1995.
2. Stand der Forschung
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nicht gänzlich unbekannte, zumindest ungenannte Krankheiten die tatsächlichen 'Killer' waren, wie etwa die banale Sommerdiarrhöe der Säuglinge; zum zweiten erlauben entsprechende Untersuchungen festzustellen, welche der durchgesetzten gesundheitspolitischen Maßnahmen tatsächlich und in welchem Umfang wirkten. Mit dieser Vergehensweise wird eine Bewertungsgrundlage ftir die Auswirkungen städtischer Lebensbedingungen und gesundheitspolitischer Maßnahmen auf die Gesundheitsverhältnisse geschaffen und somit eine historisch-kritische Aufarbeitung des Themas erst ermöglicht. Vor allen Dingen aber erweitert eine solche Analyse die Perspektive des Untersuchungsansatzes und liefert den Schlüssel, das Thema in eine breite Sozial- und Gesellschaftsgeschichte städtischer Lebensbedingungen münden zu lassen, wobei folgende Fragen in den Blickpunkt rücken: Wie bestimmte Urbanität als Lebensform die individuellen Gesundheitsrisiken bzw. Überlebenschancen und damit zentrale Elemente der Lebensfuhrung? Welche Rolle spielten dabei Veränderungen im sozialökologischen Lebensraum 'Stadt'? Zunehmend größere Beachtung wird in Deutschland deshalb dem Wandel der Sterblichkeit als Indikator fur die Entwicklung der Gesundheitsverhältnisse zuteil. 54 Hier möchte die vorliegende Untersuchung ansetzen. Während dieser wichtige Themenkomplex international seit einigen Jahren eingehend analysiert wird, 55 liegen fur Deutschland dagegen bislang relativ wenige einschlägige Studien vor. 56 Deshalb soll im folgenden der internationale Forschungsstand ausfuhrlieh diskutiert, eine detaillierte Fragestellung entwickelt sowie Quellensituation und Vorgehensweise erläutert werden. Ausgangspunkt der folgenden Ausfuhrungen sind dabei zwei grundlegende Konzepte, derer sich die moderne historische Forschung bedient, um den Wandel der Sterblichkeit modellhaft zu charakterisieren. Sie bilden eine Grundvoraussetzung ftir die Diskussion der Forschungsliteratur über die Mechanismen des Sterblichkeitswandels und sollen deshalb zunächst vorgestellt und kritisch kommentiert werden.
Konzepte des Demographischen und des Epidemiologischen Übergangs Die Lebenserwartung in Westeuropa hat sich in den letzten 200 Jahren mehr als verdoppelt. Das entsprechende Absinken der Sterberaten läßt sich im Rah-
54 Spree, Soziale Ungleichheit, S. 22-30; R. Spree, Zu den Veränderungen der Volksgesundheit zwischen 1870 und 1913 und ihren Determinanten in Deutschland (vor allem in Preußen), in: W. Conze I V. Engelhardt (Hgg.), Arbeiterexistenz im 19. Jahrhundert. Lebensstandard und Lebensgestaltung deutscher Arbeiter und Handwerker, Stuttgart 1981, S. 235-292. 55 Vgl. etwa die Ergebnisse einer Sektion auf dem XVIIIth International Congress on Historical Seiences in Montreal 27.8.-3.9.1995, publiziert in: A. Brändström I L.-G. Tedebrand (Hgg.), Population Dynamics During lndustrialization, Umeä 2000.
56
Vgl. Otto I Spree I Vögele, Seuchen und Seuchenbekämpfung, S. 286-304.
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I. Einleitung
men der Modelle des Demographischen und Epidemiologischen Übergangs erfassen. Beim Konzept des Demographischen Übergangs handelt es sich um die modellhafte Fassung des natürlichen Bevölkerungswachstums, das während des gesellschaftlichen Modernisierungsprozesses mit einer gewissen Regelmäßigkeit bestimmte Phasen durchlaufen soll, die durch typische Beziehungen zwischen den Fruchtbarkeits- und Sterblichkeitsniveaus geprägt sind: I. In der traditionellen Gesellschaft (Prätransfonnative Phase) und auch noch während früher Phasen des Modernisierungsprozesses fluktuiert die Sterblichkeit auf hohem Niveau. Ein Bevölkerungswachstum ist nur bei sehr hoher Geburtenrate möglich; Geburtenbeschränkung findet nicht prinzipiell, sondern höchstens periodisch statt. Das Bevölkerungswachstum wird sofern überhaupt - über die Variablen Heiratsalter und Heiratshäufigkeit gesteuert.
2. Mit fortschreitender Modernisierung setzt ein allmählich sich verstärkender Sterblichkeitsrückgang ein. Da die Geburtenrate nicht unmittelbar darauf reagiert, öffnet sich eine Schere zwischen Geborenen- und Sterberate: Ein starkes Bevölkerungswachstum ist die Folge (1 . transfonnative Phase). 3. Mit ein bis zwei Generationen Verzögerung reagiert die Bevölkerung im Demographischen Übergang auf das erhöhte Wachstum: Immer häufiger wird Geburtenbeschränkung betrieben. Der säkulare Geburtenrückgang setzt ein und, obwohl die Sterblichkeit weiterhin sinkt, beginnt sich die Schere zwischen Geburten und Gestorbenen allmählich zu schließe11 (2. Transformative Phase). Die Bevölkerung wächst weiter, allerdings mit abnehmender Rate. Diese zweite transfonnative Phase fällt im allgemeinen zusammen mit dem Durchbruch zur Hochindustrialisierung. 4. Schließlich stabilisiert sich die Zahl der Geborenen und der Gestorbenen auf relativ niedrigem Niveau (posttransfonnative Phase); der Demographische Übergang ist abgeschlossen. Die Bevölkerung wächst nur noch mit einer sehr niedrigen Rate und kann sogar schrumpfen, wenn die Geborenenrate längere Zeit die Sterberate unterschreitet. Hatten vor dem Einsetzen des Demographischen Übergangs periodische Schwankungen der Sterblichkeit infolge von Kriegen, Seuchen und Hungersnöten das Bevölkerungswachstum bestimmt, sind es nun periodische Schwankungen der Geborenenrate. Heiratsalter und -häufigkeit sind beinahe zu Konstanten geworden, die Fruchtbarkeit wird innerehelich geregelt. Die klassische Version des Modells entstand während des Zweiten Weltkriegs in der amerikanischen Administration. Auf der Grundlage der historischen Bevölkerungsbewegung europäischer Länder konzipiert, sollte es dazu dienen, die künftige Entwicklung der Weltbevölkerung einschätzen zu können. Mittlerweile wurden zahlreiche modelltheoretische und empirisch fundierte Bedenken dagegen vorgebracht. 57 So ist inzwischen deutlich, daß die dritte Phase des demographischen Übergangs in den meisten Ländern der Erde noch
2. Stand der Forschung
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immer auf sich warten läßt. Für die Geschichtswissenschaft bedeutsam ist, daß die bahnbrechenden, in Deutschland leider wenig rezipierten Arbeiten von Tony Wrigley und Roger Schofield über das Bevölkerungswachstum Englands darauf hinweisen, daß weder von einem allgemeinen hohen Niveau von Fertilität und Mortalität in der vorindustriellen Gesellschaft ausgegangen, noch das Bevölkerungswachstum im 18. und frühen 19. Jahrhundert allein auf eine zurückgehende Sterblichkeit zurückgeführt werden kann. 58 Vielmehr spielte die Fertilität, geregelt durch das Heiratsverhalten, ebenfalls eine bedeutende Rolle. 59 Die Ursache für den Fertilitätsanstieg lag wiederum in sozioökonomischen Veränderungen begründet, Bruttoreproduktionsrate und Heiratsquote liefen im langfristigen Trend mit der Reallohnentwicklung parallel. Demgegenüber sei die Sterblichkeitsentwicklung während dieser Periode kaum durch die Reallohnentwicklung beeinflußt worden. Allerdings ist in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam zu machen, daß die Quellenlage zur Reallohnentwicklung Englands in der Frühen Neuzeit äußerst dürftig ist. In der englischen Forschung ziehen sich die Auseinandersetzungen darüber in der sogenannten Lebensstandarddebatte seit Jahrzehnten hin. Noch wichtiger ist jedoch festzuhalten, daß das Modell des Demographischen Übergangs rein deskriptiv angelegt ist und keinerlei analytische Aussagen über die Ursachen der einschlägigen Entwicklungen zuläßt. Festhalten läßt sich allerdings immerhin, daß der Beginn der transformativen Phase in Deutschland auf die l865/70er Jahre und deren Ende unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg angesetzt wird. Im Verlauf dieser vier Jahrzehnte reduzierten sich zunächst die Mortalität und dann schließlich die Fertilität von den traditionellen Durchschnittswerten zwischen 30 und 40 je 1000 Einwohner aufrund ein Drittel. 60
57 Zur Kritik noch immer lesenswert: P. Marscha/ck, Zur Theorie des demographischen Übergangs, in: Ursachen des Geburtenrückgangs - Aussagen, Theorien und Forschungsansätze zum generativen Verhalten. Dokumentation von der Jahrestagung 1978 der Deutschen Gesellschaft für Bevölkerungswissenschaft e.V., Stuttgart 1979, S.43-60. Ein kritischer wissenschaftsgeschichtlicher Rückblick findet sich bei S Szreter, The ldea of Demographie Transition and the Study of Fertility Change: A Critical lntellectual History, in: Population and Development Review 19 (1993), S. 659-701. Mit der Situation der historischen Demographie in Deutschland und insbesondere der Rezeption englischer Arbeiten setzt sich auseinander Th. Sokol/, Historische Demographie und historische Sozialwissenschaft, in: AfS 32 (1992), S. 405-425. 58 E. A. Wrigley I R. S Schofield, The Population History of England 1541-1871. A reconstruction, London 1981. 59 Diese These wurde im neuesten Band der Arbeitsgruppe wieder etwas abgeschwächt und dagegen die Bedeutung der Sterblichkeitsentwicklung für das Bevölkerungswachstum stärker betont: E. A. Wrigley IR. S Davies I J. E. Oeppen I R. S Schofield, English Population History from Family Reconstitution, 1580- 1837, Cambridge 1997. "" A. E. Jmhof, Mortalität in Berlin vom 18. bis 20. Jahrhundert, in: R. Münch (Hg.), Pocken zwischen Alltag, Medizin und Politik, Berlin 1994, S. 81-91 , hier S. 82-84; P. Marschalck, Bevölkerungsgeschichte Deutschlands im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1984, hier insbesondereS. 183; P. Marschalck, The Age of Demographie Transition: Mortality and Fertility, in:
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I. Einleitung
Während sich die historische Demographie zunächst besonders mit der Entwicklung der Fertilität auseinandersetzte,61 rückte in den letzten Jahren die Analyse des historischen Sterblichkeitswandels in den Vordergrund. 62 Im Mittelpunkt steht dabei das Konzept des Epidemiologischen Übergangs, das entwickelt wurde, um die Rolle der Sterblichkeit im Rahmen der Bevölkerungsentwicklung präzisieren zu können. Es konzentriert sich dementsprechend auf die säkulare Entwicklung der Sterblichkeit mit besonderer Berücksichtigung des Wandels im Todesursachenpanorama. Drei Phasen werden unterschieden: 63 1. die Periode der Seuchen und Hungersnöte (The Age of Pestilence and Famine), gekennzeichnet durch eine hohe und stark schwankende Sterberate, wodurch ein stetiges Bevölkerungswachstum verhindert wird. Die durchschnittliche Lebenserwartung bei der Geburt ist niedrig und liegt zwischen 20 und 40 Jahren; 2. die eigentliche Übergangsphase, die Periode der rückläufigen großen Epidemien (The Age of Receding Pandernies); die Sterberate verstetigt sich und nimmt allmählich ab, besonders in dem Umfang, in dem die schweren Epidemien seltener werden und später ganz ausbleiben. Die Lebenserwartung bei der Geburt steigt auf rund 50 Jahre, das Bevölkerungswachstum nimmt kontinuierlich zu und beschleunigt sich; 3. die bis heute andauernde Periode der degenerativen und gesellschaftlich verursachten Krankheiten {The Age of Degenerative and Man-Made Diseases)
K. J. Bade (Hg.), Population, Labour and Migration in 19th- and 20th-Century Germany, Leamington Spa 1987, S. 15-33. 61 Die Standardanalyse flir Deutschland ist noch immer J Knodel, The Decline of Fertility in Germany, 1871-1939, Princeton 1974. Filr die Entwicklung in Westeuropa vgl. A. J Coale I S. C. Watkins (Hgg.), The Decline ofFertility in Europe, Princeton 1986. 62 V gl. etwa die jilngsten Themenhefte der Annales de demographie historique zur Entwicklung der Sterblichkeit in Europa. - Bahnbrechend in Deutschland waren vor allem die Arbeiten von Arthur Imhof, Robert Lee und Reinhard Spree. Hier seien nur einige zentrale Arbeiten genannt: A. E. Imhof (Hg.), Historische Demographie als Sozialgeschichte. Gießen und Umgebung vom 17. zum 19. Jahrhundert, 2 Bde., Darmstadt 1975; A. E. lmhof, Die gewonnenen Jahre. Von der Zunahme unserer Lebensspanne seit dreihundert Jahren oder der Notwendigkeit einer neuen Einstellung zu Leben und Sterben. Ein historischer Essay, Milnchen 1981; A. E. Jmhof, Lebenserwartungen in Deutschland vom 17. bis 19. Jahrhundert, Weinheim 1990; A. E. Imhof (Hg.), Lebenserwartungen in Deutschland, Norwegen und Schweden im 19. und 20. Jahrhundert, Berlin 1994; A. E. Imhof, Historische Demographie I, Milnchen 1996 (CD-ROM); W R. Lee, The Mechanism ofMortality Change in Germany, 1750-1850, in: Medizinhistorisches Journal 15 (1980), S. 244-288; W R. Lee, Germany, in: W. R. Lee (Hg.), European Demography and Economic Growth, London 1979, S. 144-195; Spree, Soziale Ungleichheit; Spree, Veränderungen der Volksgesundheit; in: R. Spree, Der RUckzug des Todes. Der epidemiologische Übergang in Deutschland während des 19. und 20. Jahrhunderts, Konstanz 1992. 63 A. R. Omran, Epidemiologie Transition in the United States. The Health Factor in Population Change, in: Population Bulletin 32,2 (1977), S. 1-42, hier S. 9; A. R. Omran, The Epidemiologie Transition. A Theory of the Epidemiology of Population Change, in: Milbank Memorial Fund Quarterly 49,1 (1971), S. 509-538, hier S. 516-517.
2. Stand der Forschung
33
mit niedriger Sterberate und hoher durchschnittlicher Lebenserwartung bei der Geburt, die 70 Jahre übersteigt. Dieses klassische westeuropäische Modell des Epidemiologischen Übergangs beschreibt den Übergang von hohen Sterberaten (über 20 pro 1.000 Lebende) zu niedrigen Raten (weniger als zehn pro 1.000 Lebende), der den Modernisierungsprozeß in den meisten westeuropäischen Gesellschaften begleitete. Nach einer Phase von Pestilenz und Hunger in der prä-modernen und früh-modernen Zeit, wich ein langsamer und immer wieder unterbrochener Sterberückgang allmählich einem relativ kontinuierlichen stärkeren Rückgang um die Wende zum 20. Jahrhundert. Eine kritische historisch-ausgerichtete Auseinandersetzung mit diesem Modell fehlt bislang nahezu völlig. Einerseits ist fraglich, ob die Dominanz der Infektionskrankheiten in den entsprechenden Phasen tatsächlich so ausgeprägt war. Bei den gastro-intestinalen Störungen des Säuglingsalters, die eine wesentliche Komponente des Todesursachenpanoramas in vielen Ländern des 19. Jahrhunderts ausmachten, handelte es sich wahrscheinlich keineswegs um Infektionskrankheiten im klassischen Sinne, sondern vielmehr um durch Fehlernährung hervorgerufene Krankheiten. Andererseits wird die Bedeutung der Infektionskrankheiten in der Gegenwart möglicherweise unterschätzt: Immer mehr scheinbar degenerative und gesellschaftlich bedingte Todesursachen werden mittlerweile auf virale Infektionen zurückgefuhrt (so etwa Magengeschwüre oder vielleicht sogar Herzinfarkte). Angesichts des gegenwärtigen Auftretens neuer, aber auch der Rückkehr längst besiegt geglaubter Infektionskrankheiten muß dieses Modell zumindest modifiziert und möglicherweise um eine weitere Phase ergänzt werden. 64 Zum gegenwärtigen Zeitpunkt allerdings bietet es eine noch unverzichtbare Arbeitsgrundlage fur empirisch ausgerichtete historische Arbeiten. Insbesondere die englische historische Forschung hat in diesem Kontext die Rolle sozioökonomischer Determinanten betont:65 Die Pest ist bereits seit dem späten 17. Jahrhundert aus Mittel- und Westeuropa verschwunden. Obwohl die Ursachen daflir noch nicht vollkommen geklärt werden konnten, deutet der Zeitpunkt der letzten Seuchenzüge eine enge Verbindung mit zunehmend verstärkten Quarantänemaßnahmen an. Geringere Militäraktivitäten und eine veränderte Militärorganisation trugen dazu bei, daß sich die allgemeinen Sterberaten zunächst stabilisierten und anschließend zurückgingen. Intensivierungen
64 Vgl. dazu auch die Diskussion in S. J. 0/shansky I B. Carnes IR. G. Rogers I L. Smith, Infectious Diseases- New and Ancient Threats to World Health, in: Population Bulletin 52 (1997), S. 2-46, hier S. 10-12.
r.s M. W Flinn, The Stabilisation of Mortality in Pre-Industrial Western Europe, in: Journal of European Economic History 3 ( 1974), S. 285-318; M. W. Flinn, The European Demographie System 1500-1820, Brighton 1981 , S. 47ff; S. J. Kunitz, Speculations on the European Mortality Decline, in: EHR, 2. Ser. 36,3 (1983), S. 349-364; E. A. Wrigley I R. S. Schofield, The Population History of England 1541-1871. A reconstruction, London 1981. 3 Vögele
I. Einleitung
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in der Landwirtschaft, insbesondere der Anbau neuer Feldfrüchte (Kartoffel) und Verbesserungen in der kommerziellen Organisation, ftihrten zu einem Rückgang der Hungerkrisen und brachten eine insgesamt verbesserte allgemeine Versorgung mit Nahrungsmitteln. Schließlich wandelten sich die sogenannten 'Human-Crowd Diseases' (insbesondere Pocken, Masern, Scharlach und Keuchhusten) im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert im Zuge wachsender, mit zunehmender Bevölkerungs- und Kommunikationsdichte einhergehender Marktintegration von altersunspezifischen zu typischen Kinderkrankheiten. Dieser Prozeß war mit einer wachsenden relativen Bedeutung von gastro-intestinalen Krankheiten verbunden, die wiederum primär Säuglinge und Kleinkinder bedrohten. Da dieser Krankheitskomplex besonders empfindlich auf die sozio-ökonomischen Lebensbedingungen (etwa die Arbeits-, Einkommens-, Ernährungs- und Wohnverhältnisse) reagiert, wurde die Lebenserwartung zunehmend durch schichtenspezifische Unterschiede bestimmt, die sich in der differentiellen Höhe der Säuglingssterblichkeit spiegelten.66 Regional differenziert waren hohe Sterblichkeitsmuster assoziiert mit Gebieten großlandwirtschaftlicher Betriebe, in denen eine verarmte Bauemsehaft arbeitete, 67 so zum Beispiel in Ostpreußen. 68 Für England sind die Zusammenhänge, die den Epidemiologischen Übergang ausmachen, und auch die Determinanten dieses Prozesses verhältnismäßig gut erforscht. Mit dem Epidemiologischen Übergang in Deutschland haben sich dagegen bisher relativ wenige Arbeiten beschäftigt. Diese beruhen zudem auf einer schmalen Informationsbasis und steuern im Grunde nur mehr oder weniger plausible Thesen zum Verlauf und zu den Ursachen des Wandlungsprozesses bei.69 Eine umfassende Analyse der sozioökonomischen Grundlagen und Auswirkungen stellt nach wie vor ein Desiderat der Forschung dar.
66 Vgl. Spree, Soziale Ungleichheit, S. 49ff., A. E. Imhof, Unterschiedliche Säuglingssterblichkeit in Deutschland, 18. bis 20. Jahrhundert- Warum?, in: Zeitschrift fiir Bevölkerungswissenschaft 7,3 (1981), S. 343-382.
Kunitz, Speculations, S. 356. W R. Lee, Mortality Ievels and agrarian reform in early 19th century Prussia: Some regional evidence, in: T. Bengtsson I G. Fridlizius I R. Ohlsson (Hgg.), Pre-lndustrial Population Change. 61
68
The Mortality Decline and Short-Term Population Movements, Stockholm 1984, S. 161-190, hier S. 168-172; W R. Lee, The Impact of Agrarian Change on Women's Work and Child Care in EarlyNineteenth-Century Prussia, in: J. C. Fout (Hg.), German Women in the Nineteenth Century. A Social History, New York 1984, S. 234-255 . 69 Vgl. lmhof, Die gewonnenen Jahre, S. 199-202; A. E. lmhof, From the Old Mortality Pattern to the New: lmplications ofa Radical Change from the Sixteenth to the Twentieth Century, in: Bulletin ofthe History ofMedicine 59 (1985), S. 1-29; F Rothenbacher, Zur Entwicklung der Gesundheitsverhältnisse in Deutschland seit der Industrialisierung, in: E. Wiegand I W. Zapf (Hgg.), Wandel der Lebensbedingungen in Deutschland. Wohlfahrtsentwicklung seit der Industrialisierung, Frankfurt a. M. 1982, S. 335-424, hier S. 361; R. Spree, Veränderungen des TodesursachenPanoramas und sozio-ökonomischer Wandel -Eine Fallstudie zum "Epidemiologischen Übergang", in: G. Gäfgen (Hg.), Ökonomie des Gesundheitswesens, Berlin 1986, S. 73-100; Spree, Soziale Ungleichheit, S. 22-30; Spree, Veränderungen der Volksgesundheit; Spree, Rückzug des Todes.
2. Stand der Forschung
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Für Deutschland ist selbst die Datierung der einzelnen Phasen umstritten. 70 Im Mittelpunkt der Diskussion steht die Phase 2, da der Beginn von Phase I und das Ende von Phase 3 offen sind. Der Beginn von Phase 2 wurde in den 1870er Jahren 71 oder um die Wende zum 20. Jahrhundert gesehen. 72 Geht man von der merklichen Verstetigung des Bevölkerungswachstums seit den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts aus (Beginn des 'Zeitalters der verdeckten Bevölkerungskrisen' im Gegensatz zu den 'offenen Krisen' des Ancien Regime mit seinen Sterbeüberschüssen), 73 berücksichtigt man zudem die Veränderungen des Todesursachen-Panoramas (Ausbleiben der 'großen Seuchen' im überregionalen Maßstab; Wandel der 'Human-Crowd Diseases' zu Kinderkrankheiten; sinkende Häufigkeit der Pocken-, Typhus- und Tuberkulosesterbefalle), so kann das Auslaufen der Phase I des Epidemiologischen Übergangs (das 'Zeitalter der Seuchen und Hungersnöte') und der Beginn von Phase 2 in Deutschland allerdings bereits in die 20er/30er Jahre des 19. Jahrhunderts datiert werden.74 Das Ende von Phase 2 wiederum wird je nach Datengrundlage und Gewichtung der einzelnen Kriterien zwischen der Wende zum 20. Jahrhundert und den 1920er Jahren angesetzt, 75 wobei es angesichts der beschleunigten Entwicklung in den Großstädten dort eher zum früheren Zeitpunkt, zwischen Jahrhundertwende und Ausbruch des Ersten Weltkriegs - zu suchen ist. 76 Welcher Interpretation man beim gegenwärtigen Forschungsstand auch folgen mag, auf jeden Fall stellt das Kaiserreich die Periode dar, in der die entscheidenden Weichen flir den Übergang zu Phase 3 und damit zu den modernen Gesundheitsverhältnissen gestellt wurden.
Zum Wandel der Sterblichkeit Die Mechanismen des Wandels zu den modernen Gesundheitsverhältnissen sind nach wie vor ungeklärt. Intensive internationale Forschungsvorhaben von Historikern, Demographen und Geographen versuchen, dieses Desiderat zu schließen. Bis in die 1950er Jahre wurde die zurückgehende Sterblichkeit weitgehend Verbesserungen im Bereich der Medizin zugeschrieben. Während der letzten Jahrzehnte gingen jedoch wesentliche Impulse flir neue Erklärungsmuster von den Arbeiten Thomas McKeowns aus. Seine Analyse bezieht sich vor allem auf England und Wales sowie einige wenige andere europäische Länder,
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71
Spree, Veränderungen des Todesursachenpanoramas, S. 78. Rothenbacher, Entwicklung, S. 361.
Jmhoj, Die gewonnenen Jahre, S. 199. Vgl. /mhoj, Die gewonnenen Jahre, S. 202. "Spree, Rückzug des Todes, S. 17-1 9. 75 Imhoj, Die gewonnenen Jahre, S. 199 und 211. 72
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76 J. Vögele, Differences entre ville et campagne et evolution de Ia mortalite en Allemagne pendant l'industrialisation, in: Annales de demographie historique 1996, S. 249-268.
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I. Einleitung
allerdings ohne die deutschen Verhältnisse zu berücksichtigen. Er konnte hauptsächlich am Beispiel Englands zeigen, daß zahlreiche Todesursachen bereits entscheidend zurückgegangen waren, bevor spezifische medizinische Therapien überhaupt zur Verfugung standen. 77 Daher sieht er flir die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts eine sowohl quantitativ als auch qualitativ verbesserte Ernährungssituation als den primären Faktor an, der die Sterblichkeit an Tuberkulose reduziert und damit zur Hälfte zum Rückgang der Gesamtmortalität beigetragen habe. An zweiter Stelle betont McKeown die Rolle der sanitären Reformen. Sie hätten die Abnahme der fieberartigen Krankheiten und der Erkrankungen der Verdauungsorgane bewirkt, so daß sie flir ein Viertel des säkularen Sterblichkeitsrückgangs verantwortlich zeichneten. Ein Fünftel führt er auf Veränderungen in der Virulenz bestimmter Krankheitsorganismen zurückbesonders bei Scharlach. Medizinische Intervention schließlich sei nur im Falle der Kuhpockenimpfung sowie der Serum-Therapie gegen Diphtherie effektiv gewesen und habe lediglich marginal zum gesamten Rückgang der Sterblichkeit beigetragen. McKeown geht in seiner Kritik sogar soweit, daß er der Medizin einen negativen Einfluß auf den Sterblichkeitswandel zuschreibt. Die Krankenhäuser seien in der Geschichte oft Todesfallen flir ihre Patienten gewesen, weil dort ohne klare Vorstellung über die Ätiologie und Übertragbarkeit infektiöse Kranke in einer Station oder sogar in einem Bett mit anderen Patienten zusammengelegt worden seien. Gemeinsam mit gefahrliehen medizinischen Praktiken hätte das flir eine extrem hohe Sterblichkeit in den Anstalten gesorgt. McKeowns Forschungsansatz ist in seiner Gesamtheit rein deduktiv. Da der Großteil des Sterblichkeitsrückgangs im 19. Jahrhundert- zumindest in den von ihm untersuchten Ländern - in der Gruppe der Infektionskrankheiten registriert wird, bezieht er die Mechanismen des Rückgangs auf zwei primäre Umstände: einerseits auf Veränderungen in der Exponiertheit gegenüber Krankheit sowie, andererseits, auf die potentielle Resistenz ihr gegenüber. Da Reformen der Umweltbedingungen höchstwahrscheinlich die Sterblichkeit an durch Wasser und Nahrungsmittel übertragenen Krankheiten (wie zum Beispiel Abdominaltyphus) beeinflußten, erlaubt der Rückgang dieses Krankheitskomplexes, einen Maßstab anzulegen, um die Auswirkungen der sanitären Reformen auf den gesamten Sterblichkeitsrückgang zu evaluieren. Eine Haupttodesursache in dieser Periode (in den von McKeown untersuchten Ländern), die Tuberkulose, assoziiert er mit der Höhe des Lebensstandards; entsprechend ist der Rückgang an Tuberkulose direkt in Verbindung mit der durch den gestiegenen Lebensstandard verbesserten Ernährungslage zu sehen. McKeowns Vorgehensweise ist dabei im wesentlichen reduktionistisch, oder, wie er es nennt, eine
77 Vgl. T. McKeown I R. G. Record, Reasons for the Decline ofMortality in England and Wales during the Nineteenth Century, in: Population Studies 16 (1962), S. 94-122; T. McKeown I R. G. Brown IR. G. Record, An Interpretation ofthe Modem Rise of Population, in: Population Studies 26 (1972), S. 345-382; McKeown, Modem Rise; T. McKeown, Die Bedeutung der Medizin. Traum, Trugbild oder Nemesis, Frankfurt a. M. 1979.
2. Stand der Forschung
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'Sherlock-Holmes'-Argumentation: Da der Hauptbeitrag weder medizinischer Intervention, sanitären Reformen noch Veränderungen der Mikro-Organismen zugeschrieben werden kann, bleiben lediglich verbesserte Ernährungsverhältnisse als Restkategorie. 78 Ob und wie sich die Versorgungslage mit Nahrungsmitteln tatsächlich verändert hat, ist nicht Gegenstand seiner Untersuchung: Die historischen Rahmenbedingungen werden somit vollkommen ausgeblendet. Die Wirkung von McKeowns Veröffentlichungen sowohl auf die historische Forschung als auch auf die gegenwärtigen gesundheitspolitischen Maßnahmen ist dennoch kaum zu überschätzen. Seine Arbeiten stellen das am weitesten verbreitete Erklärungsmodell flir den Sterblichkeitsrückgang im 19. Jahrhundert bereit und bestimmen bis heute wesentlich die strategischen Konzepte der Weltgesundheitsorganisation (WH0). 79 Die historisch ausgerichteten Teile seiner Arbeit lösten eine Welle von Publikationen aus, die sich mit seinen Thesen auseinandersetzten. Sein Ansatz ist nach wie vor heftig umstritten; 80 die Kritikpunkte sind mannigfaltig. Dabei geht es inzwischen weniger um die Frage, welcher dieser Faktoren den säkularen Sterblichkeitsrückgang auslöste, sondern zu welchem Anteil sie in verschiedenen Phasen des Mortalitätsrückgangs daran ursächlich beteiligt waren: 81 Zunächst waren die verschiedenen Altersgruppen
78 So formuliert Sherlock Holmes: "When we have eliminated the impossible, whatever remains, however improbable, must be the truth". Vgl. McKeown, Modem Rise, S. 129. 79 Vgl. zum Beispiel J. Ashton (Hg.), Healthy Cities, Milton Keynes I 992. 8° Für einen aktuellen Überblick siehe R. Schofleid I D. Reher I A. Bideau (Hgg.), The Decline of Mortality in Europe, Oxford I 991. Bezeichnenderweise findet sich in dem Band kein Beitrag über die deutschen Verhältnisse. Besonders im städtischen Kontext wird die Sterblichkeit analysiert von R. Woods I J. Woodward (Hgg.), Urban Disease and Mortality in Nineteenth Century England, London 1984. Für die frühe Neuzeit vgl. M Livi-Bacci, Population and Nutrition. An Essay on European demographic history, Cambridge 1991. Grundlegend fur die deutschen Verhältnisse ist immer noch Lee, Mechanism.
81 Weniger im Mittelpunkt der Diskussion stehen die Auswirkungen von Klimaveränderungen und die Rolle der Insekten. Vgl. dazu A. Perrenoud, Contribution ill'histoire cyclique des maladies. Deux siecles de variole il Geneve (1580-1810), in: A. E. lmhof(Hg.), Mensch und Gesundheit in der Geschichte, Husum 1980, S. I 75- I 98; A. Perrenoud, Le biologique et l'humain dans le declin seculaire de Ia mortalite, in: Annales E.S.C. 40 (1985), S. 113-135; H. Zie/insky, Klimatische Aspekte bevölkerungsgeschichtlicher Entwicklung, in: A. E. lmhof (Hg.), Historische Demographie als Sozialgeschichte. Gießen und Umgebung vom 17. zum 19. Jahrhundert, 2 Bde., Darmstadt 1975, S. 919-1015; J. C. Riley , lnsects and the European Mortality Decline, in: AHR 91 (1986), S. 833-858. Wenig Beachtung fand bislang auch der Zusammenhang von Alkoholkonsum und Sterblichkeit. Vgl. dazu Th. Norström, Per capita alcohol consumption and total mortality: an analysis ofhistorical data, in: Addiction 91,3 (1996), S. 339-344. Unter Verwendung von preußischen Daten (unter anderen) aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert wird in dieser Studie anhand einer Zeitreihenanalyse ein bescheidener Einfluß des Alkoholkonsums auf die Gesamtsterblichkeit ausgemacht.
Besonders wenig berücksichtigt jedoch wurden von den Historikern bislang eher synthetische Ansätze zur Ökologie der Krankheiten, die den Wandel des Todesursachenpanoramas auf eine Dynamik der Pathozönose und damit auf symbiotische bzw. antagonistische Verhältnisse der Krankheiten untereinander zurückfuhren. Beispielsweise begründen Vertreter dieser These das Verschwinden der Lepra aus Westeuropa mit einem Anstieg der Tuberkulose, der wiederum mit sozialen, wirtschaftlichen und demographischen Veränderungen zusammenfiel. Das aber bedeutet,
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I. Einleitung
wie auch die beiden Geschlechter in den europäischen Gesellschaften unterschiedlich vom Sterblichkeitsrückgang betroffen, und bestimmte Krankheiten, wie zum Beispiel die Pest, die als nicht abhängig von der Höhe des Lebensstandards angesehen werden, waren auf dem Rückzug oder bereits vollkommen verschwunden. Das legt nahe, daß zumindest zusätzlich andere Faktoren wirkten, die nicht direkt mit dem Anstieg des Lebensstandards in Verbindung gebracht werden können und trotzdem substantiell zum Verschwinden der städtischen Übersterblichkeit in Westeuropa beitrugen. Sicherlich wird McKeown dem Beitrag der Medizin nicht gerecht, wenn er sich in seinen Überlegungen auf kurative medizinische Interventionsstrategien beschränkt, ohne Aspekte der Gesundheitsvorsorge zu berücksichtigen. In diese Interpretationsrichtung deuten auch methodische Schwächen der McKeownschen Analyse. Brennpunkt der Kritik waren die Vernachlässigung altersspezifischer Sterberaten sowie der deduktive Ansatz. Inwieweit kann etwa die Sterblichkeit an Tuberkulose mit dem Ernährungszustand in Verbindung gebracht werden? Ist sie möglicherweise stärker abhängig von den Arbeits- und insbesondere den Wohnbedingungen (Wohndichte, Beheizbarkeit der Wohnungen, Feuchtigkeit in den Wohnungen)?82 Besondere Aufmerksamkeit wurde in den letzten Jahren einer Hauptrisikogruppe, den Säuglingen, zugewandt. Hier wurde ein komplexes Geflecht von Determinanten fur die Höhe und Entwicklung der Sterberaten verantwortlich gemacht. Als Schlüsselvariablen gelten etwa die Legitimität der Säuglinge, die Fertilität, die lokal und regional vorherrschenden Ernährungspraktiken, die Wohnsituation sowie die aBierneinen Lebensbedingungen, Bildungsgrad, Wohlstand und Beruf der Eltern. 3 Zudem waren die Wirkungen bestimmter Maßnahmen komplex und wirkten kumulativ. Das kann jedoch ohne Information über die Morbidität, den Krankheitszustand einer Risikobevölkerung, nicht kontrolliert werden. Angenommen, die sanitären Reformen hatten einen substantiellen Effekt auf die Magen-DarmKrankheiten, die vor allen Dingen das Todesursachenpanorama der jüngeren Bevölkerung dominierten, hätte das möglicherweise weitreichende Implikationen fiir die Resistenz gegenüber anderen Krankheiten gehabt, die sich potentiell lebenslang auf den Gesundheitszustand auswirken konnten. Samuel Preston und Etienne van de Walle argumentieren beispielsweise, daß ein Rückgang der
daß die Ursachen letztendlich doch im sozio-ökonomischen Bereich gesucht werden müssen. Vgl. M D. Grmek, Vorbemerkungen zu einer Geschichte der Krankheiten, in: A. E. lmhof (Hg.), Biologie des Menschen in der Geschichte. Beiträge zur Sozialgeschichte der Neuzeit aus Frankreich und Skandinavien, Stuttgart 1978, S. 79-96. 82 G. Cronje, Tuberculosis and mortality decline in England and Wales, 1851-1900, in: R. Woods I J. Woodward (Hgg.), Urban Disease and Mortality in Nineteenth-Century England, London 1984, S. 79- I 01, hier S. I 0 I; Kearns, Urban Penalty, S. 232; Szreter, Importance, S. 13; N. McFarlane, Hospitals, Housing and Tuberculosis in Glasgow, 1911-51, in: Social History of Medicine 2 (1989), S. 59-86; Hardy, Epidemie Streets. 83 Imhof, Lebenserwartungen in Deutschland, Norwegen und Schweden; R. Woods I P. A. Wal/ersan I J H. Woodward, The Causes ofRapid Infant Mortality Decline in England and Wales, in: Population Studies 42 (1988), S. 343-366; 43 (1989), S. I 13-132.
2. Stand der Forschung
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Krankheiten im Kindesalter (insbesondere bezüglich der gastro-intestinalen Störungen) nicht nur die Sterblichkeit im Kindesalter reduzierte, sondern über ein verbessertes physisches Wachstum die lebenslange Resistenz gegenüber zahlreichen anderen Krankheiten (und nicht nur gegenüber Infektionskrankheiten) erhöhte. 84 Ähnlich betont auch Fogel, daß Individuen bei einem gegebenen Lebensstandard weniger Resistenz gegenüber anderen Krankheiten haben, wenn sie unter Störungen der Verdauungsorgane leiden, da diese die Aufnahme von Nahrung und Nährstoffen reduzierten.85 Besonders problematisch am McKeownschen Ansatz ist allerdings die Verwendung von Daten, die auf nationaler Ebene aggregiert sind. Denn das fuhrt zu einer Vernachlässigung der großen Unterschiede in der Sterblichkeit zwischen Stadt und Land, die sich in einer traditionellen städtischen Übersterblichkeit in zahlreichen Ländern des 19. Jahrhunderts äußerten. 86 In diesem Kontext spricht die Forschung häufig von 'Städtegräbern'87, einem 'Handicap urbain' oder einer 'Urban Penalty', die bereits kleinere Städte ab 2.500 Einwohnern betroffen haben soll. 88 Ebenso bleibt in dieser Analyse der Wandel der Städte von solchen traditionellen 'Städtegräbern', gekennzeichnet durch extrem hohe Sterberaten, zu Orten mit relativ günstigen Gesundheitsverhältnissen verborgen. Die entscheidende Entwicklung fallt in die zweite Hälfte des 19. und in die ersten Jahre des 20. Jahrhunderts, in das Zeitalter der (Hoch-)Industrialisierung, das von starkem Bevölkerungswachstum und einer zunehmenden Verstädte-
84 S. H Preston I E. van de Walle, Urban French Mortality in the Nineteenth Century, in: Population Studies 32 (1978), S. 275-297. 85 R. W Fogel, Nutrition and the Decline in Mortality since 1700: Some Preliminary Findings, in: S. L. Engerman IR. E. Gallmann (Hgg.), Long-Term Factors in American Economic Growth, Chicago 1986, S. 439-555. 86 Allgemein dazu Weber, Growth of the Cities. Für England: D. V. Glass, Some lndicators of Differences between Urban and Rural Mortality in England and Walesand Scotland, in: Population Studies 17 (1964), S. 263-267; Kearns, Urban Penalty, S. 213-236; Woods I Woodward, Urban Disease. Für Frankreich: S. H Preston I E. van de Walle, Urban French Mortality in the Nineteenth Century, in: Population Studies 32 (1978), S. 275-297. Für USA: G. A. Condran I E. Crimmins, Mortality differentials between rural and urban areas of states in the northeastern United States 1890-1900, in: Journal ofHistorical Geography 6,2 (1980), S. 179-202. Für Spanien: M. Arbaiza Vilallonga, Causas sociales de Ia mortalidad durante Ia industrializaci6n vizcaina (1877-1930), in: Asclepio. Revista de Historia de Ia Medicina y de Ia Ciencia 49,1 (1997), S. 245-283. Für Deutschland bislang: J. Vögele, Die Entwicklung der (groß)städtischen Gesundheitsverhältnisse in der Epoche des Demographischen und Epidemiologischen Übergangs, in: J. Reulecke I A. Gräfin zu Casteil Rüdenhausen (Hgg.), Stadt und Gesundheit. Zum Wandel von "Volksgesundheit" und kommunaler Gesundheitspolitik im 19. und frühen 20. Jahrhundert, Stuttgart 1991, S. 21-36; Vögele, Differences entre ville et campagne, S. 249-268.
87 Vgl./mhoj, Die gewonnenen Jahre, S. 91; M. Blohmke, Stadt-Land-Unterschiede im Gesundheitszustand historischer und heutiger Bevölkerungen, in: A. E. lmhof (Hg.), Leib und Leben in der Geschichte der Neuzeit. L'homme et son corps dans l'histoire moderne. Vorträge eines internationalen Colloquiums Berlin 1.-3.12. 1981, Berlin 1983, S. 63-75, hier S. 63. 88 Kearns, Urban Penalty, S. 213-236; G. Kearns, Le handicap urbain et le declin de Ia mortalite en Angleterre et au Pays de Galles 1851-1900, in: Annales de demographie historique (1993), S. 75-105.
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I. Einleitung
rung geprägt war. In dieser Zeit schwächt sich die in ganz Europa herrschende städtische Übersterblichkeit in zahlreichen Ländern spürbar ab oder verschwindet sogar vollkommen - begleitet von einem starken Bevölkerungszuwachs der Städte während der Urbanisierung. Neuere Forschungen haben deshalb vor allem die Wechselbeziehungen zwischen Urbanisierung und Bevölkerungsentwicklung betont und legen nahe, daß die Auswirkungen der öffentlichen Gesundheitsfürsorge auf den säkularen städtischen Mortalitätsrückgang bislang unterschätzt worden sind. 89 Inzwischen liegen diesbezüglich eine Reihe von Fallstudien flir den englischen Raum vor, die diese These unterstützen. Sie konzentrieren sich in der Regel auf die Epidemiologie bestimmter Krankheiten und Todesursachen in einer spezifischen Stadt oder beschäftigen sich insbesondere mit den Auswirkungen sanitärer Maßnahmen auf die Gesundheitsverhältnisse einer ausgewählten Stadt: So untersucht Bill Luckin, wie sich der Ausbau von Wasserversorgung und Kanalisation Londons auf die Sterblichkeit an Abdominaltyphus auswirkte und schreibt damit eine ausgezeichnete Sozialgeschichte der Themse im 19. Jahrhundert.90 Anne Hardy beschäftigt sich mit ausgewählten epidemischen Krankheiten, die London während des 19. Jahrhunderts heimsuchten; 91 M. E. und C. G. Pooley konzentrieren sich auf sanitäre Reformen in Manchester,92 Bob Woods auf Birmingham,93 Sally Sheard auf Liverpool, Belfast und Glasgow.94 Zunehmend skeptisch gegenüber dem Einfluß der öffentlichen Gesundheitsfürsorge auf den Sterblichkeitsrückgang im England des 19. Jahrhunderts äußert sich Robert Woods in seinen neueren Arbeiten und macht einen konkreten Einfluß erst im 20. Jahrhundert aus. 95 Gemeinsames Problem aller dieser Studien ist, daß einzelne gesundheitspolitische Elemente isoliert und nicht in ihrem Zusammenspiel betrachtet werden. Ebenso problematisch ist die Beschränkung auf einzelne Todesursachen. Spezifische Maßnahmen hatten möglicherweise Auswirkungen auf die Sterblichkeit
89 Kearns I Lee I Rogers, lnteractions, S. 9-81 ; Szreter, lmportance, S. 1-37; vgl. auch A. C/iffl P. Haggett I M Smallman-Raynor, Deciphering global epidemics: Analytical approaches to the disease records ofworld cities, 1888-1912, Cambridge 1998.
90 B. Luckin, Evaluating the sanitary revolution: thyphus and thyphoid in London, 1851-1900, in: R. Woods I J. Woodward (Hgg.), Urban Disease and Mortality in Nineteenth-Century England, London 1984, S. 102-119; B. Luckin, Pollution and Control. A Social History ofthe Thames in the Nineteenth Century, Bristol 1986. 91 Hardy, Epidemie Streets. 92 M E. Pooley I C. G. Pooley, Health, society and environment in nineteenth-century Manchester, in: R. Woods I J. Woodward (Hgg.), Urban Disease and Mortality in Nineteenth-Century England, London 1984, S. 148-175.
93 R. Woods, Mortality and sanitary conditions in late nineteenth-century Birmingham, in: R. Woods I J. Woodward (Hgg.), Urban Disease and Mortality in Nineteenth-Century England, London 1984, S. 176-202. 94 S. Sheard, Nineteenth Century Public Health. A Study ofLiverpool, Belfast and Glasgow, unveröffentlichte Ph.D.-thesis, Liverpool 1993.
95 R. Woods, The rote ofpublic health initiatives in the nineteenth-century mortality decline, in: J. Caldwell (Hg.), What we know about Health Transition: The Cultural, Social, and Behavioural Determinants ofHealth, Canberra 1990, S. 110-115.
2. Stand der Forschung
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an Krankheiten, die in diesen Studien nicht berücksichtigt werden. Ebenfalls können solche Untersuchungen nicht bewerten, welchen Einfluß das Herausbrechen einer Todesursache auf das gesamte Todesursachenpanorama und damit auf die säkulare Sterblichkeitsentwicklung hatte. Die Beschränkung auf eine Stadt erlaubt zudem keine Verallgemeinerungen über die städtische Situation insgesamt. Ohne Vergleiche zu ländlichen Regionen zu ziehen, bleibt zudem auch unklar, inwieweit es sich um spezifisch städtische Phänomene handelte. Diese Einschränkungen entheben die Autoren schließlich der Notwendigkeit, ihren Untersuchungsgegenstand, die Stadt, zu problematisieren und zu differenzieren, worauf später noch ausführlich eingegangen wird. Im Augenblick kann festgehalten werden, daß selbst für England diese Sachverhalte nach wie vor weitgehend ungeklärt sind. Für Deutschland liegen mittlerweile einige allgemeine demographische und epidemiologische Arbeiten vor. So wurden die Grundzüge der demographischen Entwicklung seit der fiühen Neuzeit analysiert. 96 Pionierarbeit leistete Arthur E. Imhof, der wesentliche Aspekte der säkularen Entwicklung und regionalen Ausprägung der Sterblichkeitsverhältnisse in Deutschland auf der Grundlage von Kirchenbüchern vornehmlich fiir die frühe Neuzeit rekonstruierte. W. Robert Lee hat sich vor allem mit den Sterblichkeitsverhältnissen in Preußen während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auseinandergesetzt und unter anderem gezeigt, wie sich Veränderungen in der Landwirtschaft auf die Gesundheit von Mutter und Kind auswirkten. Nach Regionen differenziert ergaben sich hohe Sterblichkeitsmuster in Gebieten großlandwirtschaftlicher Betriebe in Ostpreußen, in denen eine verarmte Bauemsehaft arbeitete. 97 Eine moderne historische Epidemiologie für Deutschland während des späten 19. und fiühen 20. Jahrhunderts steht noch immer am Anfang. 98 Reinhard Spree hat die Grundlagen hierfür entwickelt, indem er die sozial und regional differentielle Sterblichkeit in Preußen dazu benutzte, ausgewählte Mechanismen des Sterblichkeitswandels zu evaluieren.99 Besondere Aufmerksamkeit erlangte wiederholt die Entwicklung der Säuglingssterblichkeit, deren Rückgang im wesentlichen für die gestiegene Lebenserwartung verantwortlich zeichnete. 100
96 Grundlegend fur die demographische Entwicklung in Deutschland: Lee, Germany; G. Mackenroth, Bevölkerungslehre. Theorie, Soziologie und Statistik der Bevölkerung, Berlin 1953; Marschalck, Bevölkerungsgeschichte. Mit besonderer Berücksichtigung der Sterblichkeit: Jmhoj, Die gewonnenen Jahre; lmhoj, Old Mortality Pattern; lmhoj, Lebenserwartungen; Jmhoj, Lebenserwartungen in Deutschland, Norwegen und Schweden; Lee, Mechanism; Spree, Soziale Ungleichheit. 97
Lee, Mortality Ievels, S. 168-172; Lee, Impact, S. 234-255.
98
Einen Überblick bieten Otto I Spree I Vögele, Seuchen und Seuchenbekämpfung.
•• Spree, Soziale Ungleichheit; Spree, Veränderungen der Volksgesundheit; Spree, Veränderungen des Todesursachen-Panoramas. 100 Insbesondere lmhoj, Unterschiedliche Säuglingssterblichkeit. Siehe auch H J. Kintner, The Deterrninants of Infant Mortality in Germany from 1871 to 1933, unveröffentlichte Ph.D.-thesis, Michigan 1982; R. Spree, On Infant Mortality Change in Germany since the Early 19th Century, München 1995.
42
I. Einleitung
Spree machte darauf aufmerksam, daß eine wachsende soziale Ungleichheit bei der Säuglingssterblichkeit während der letzten Dekaden des 19. Jahrhunderts, die nicht mit der Klassenbildung identisch lief, darauf hindeutet, daß wirtschaftliches Wachstum zumindest nicht die alleinige treibende Kraft des Sterblichkeitsrückgangs war. Imhof hat in diesem Zusammenhang auf regional unterschiedliche Mentalitäten in bezug auf Leben und Sterben hingewiesen, beschäftigt sich aber in jüngster Zeit eher mit den sozialen Folgen fur das einzelne Individuum als mit den Ursachen des säkularen Sterblichkeitswandels. 101 Die vorliegenden epidemiologisch orientierten Studien fur das deutsche Kaiserreich basieren in der Regel auf einer Auswertung der preußischen Regierungsbezirke. 102 Diese großen Verwaltungseinheiten waren allerdings zu heterogen, um die differentielle Entwicklung der Sterblichkeit in Stadt und Land präzise verorten zu können. Lediglich einige wenige Arbeiten beschäftigen sich speziell mit der städtischen Entwicklung auf der Grundlage der Gemeindestatistik.103 Im Vordergrund stehen regionale Variationen des städtischen Todesursachenpanoramas in Preußen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, 104 bestimmte städtische Risikogruppen 105 sowie der Einfluß der sanitären Reformen, insbesondere der zentralen Wasserversorgung und Kanalisation, auf den säkularen Sterblichkeitsrückgang. 106 Häufig werden dabei ausgefeilte und komplizierte
101 So etwa in A. E. Imhof I R. Weinknecht (Hgg.), Erfullt leben - in Gelassenheit sterben. Geschichte und Gegenwart. Beiträge eines interdisziplinären Symposiums vom 23.-25. November 1993 an der Freien Universität Berlin, Berlin 1994.
102 Arbeiten über die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts beziehen sich gelegentlich auch auf Bayern mit seiner frühen und ausgezeichneten Statistik. Vgl. etwa W R. Lee, Population growth, economic development and social change in Bavaria 1750-1850, New York 1977; Lee, Germany; Lee, Mechanism. 1113 Eine kurze Zusammenfassung des Forschungsstandes bieten Kearns I Lee I Rogers, lnteractions; Vögele, Entwicklung. - Ausgezeichnete Grundlage bieten einige ältere Arbeiten, so etwa W Kruse, Die Verminderung der Sterblichkeit in den letzten Jahrzehnten und ihr jetziger Stand, in: Zeitschrift filr Hygiene und lnfectionskrankheiten 25 (1897), S. 113-167; W Kruse, Über den Einfluss des städtischen Lebens auf die Volksgesundheit, in: Centralblatt filr allgemeine Gesundheitspflege 17 (1898), S. 312-345, 377-420.
104 H-D. Laux, Mortalitätsunterschiede in preussischen Städten 1905: Ansätze zu einer Erklärung, in: F.-J. Kernper I H.-0. Laux I G. Thieme (Hgg.), Geographie als Sozialwissenschaft. Beiträge zu ausgewählten Problemen kulturgeographischer Forschung. W. Kuls zum 65. Geburtstag, Bonn 1985, S. 50-82. Vorläufige Ansätze anhand ausgewählter Fallbeispiele des rheinisch-westflllischen Industriegebiets bei A. Gräfin zu Casteil Rüdenhausen I J Reulecke, Kommunale Daseinsfiirsorge und "Volksgesundheit". Zur Entstehung und Wirkung der städtischen Gesundheitspolitik im 19. und 20. Jahrhundert, in: J. Reulecke (Hg.), Stadtgeschichte als Zivilisationsgeschichte. Beiträge zum Wandel städtischer Wirtschafts-, Lebens- und Wahrnehmungsweisen, Essen 1990, S. 61-75. Als ältere Arbeit ebenso Geissler, Rückblick auf die Fruchtbarkeits- und Sterblichkeits-Verhältnisse in den grösseren Städten während des Jahrfunfis 1877-1881 , in: Schmidts Jahrbücher 200 (1883), S. 281-297. 105 J Vögele, Urban Infant Mortality in Imperial Germany, in: Social History of Medicine 7 (1994), S. 401-425.
106 J Vögele, Sanitäre Reformen und der Wandel der Sterblichkeitsverhältnisse in deutschen Städten, 1877-1913, in: VSWG 80 (1993), S. 345-365.
2. Stand der Forschung
43
statistische Methoden angewendet, trotzdem bleiben einige Arbeiten im Grunde ahistorisch, da sie diachrone Aspekte vollkommen vernachlässigen. 107 HansDieter Laux etwa untersuchte die Sterblichkeit und das Todesursachenpanorama von 85 preußischen Städten im Jahre 1905. 108 Ohne die historischen Entwicklungslinien auch nur anzudeuten, kommt er zu der weitreichenden Schlußfolgerung, daß regionale Lage und sozio-kulturelle Faktoren den stärksten Einfluß auf Variationen der Gesamtsterblichkeit und vor allem auf die Häufigkeit von Selbstmorden und Erkrankungen der Verdauungsorgane gehabt hätten. Die Sterberaten an Erkrankungen der Atmungsorgane seien insbesondere durch die spezifischen Lebens- und Arbeitsbedingungen bestimmt gewesen, die Sterblichkeit an degenerativen Krankheiten durch die medizinische Infrastruktur, diejenige an anderen Todesursachen schließlich hauptsächlich durch inter-städtische Unterschiede der Umweltbedingungen. Ohne eine historische Analyse der Lebens-, Arbeits- und Umweltbedingungen bleiben solche Feststellungen oberflächlich und trivial. Einige davon sind zudem, wie die vorliegende Analyse zeigen wird, nicht zu halten. Unberücksichtigt bleiben ~leichfalls in der Regel entsprechende Analysen der ländlichen Verhältnisse, 10 obwohl diese zumindest als Vergleichsebene flir die Entwicklung in den Städten herangezogen werden müssen, um spezifisch städtische Besonderheiten greifen und einschlägige städtische Maßnahmen letztendlich evaluieren zu können. 110 Wenn etwa John C. Brown mit einer Regressionsanalyse die Effekte sanitärer Einrichtungen auf den Sterblichkeitsrückgang untersucht und einen positiven Einfluß feststellt, da die Inzidenz umweltsensitiver Todesursachen zurückging, mag dieses Ergebnis zwar statistisch korrekt sein; aber ohne zu prüfen, ob sich die Sterberaten in ländlichen Gebieten, die diese speziellen Einrichtungen nicht besaßen, ähnlich entwickelten, bleiben die Schlußfolgerungen des Autors in ihrer Aussagekraft sehr eingeschränkt. 111 107 J C. Brown, Public Health Reform and the Decline in Urban Mortality. The Case of Germany, 1876-1912, in: G. Kearns I W. R. Lee IM. C. Nelson I J. Rogers (Hgg.) 1mproving the Public Health: Essays in Medical History, Liverpool (im Druck). 108 Laux, Mortalitätsunterschiede.
109 Ausnahme ist der grundlegende Aufsatz von J Knode/, Town and Country in NineteenthCentury Germany: A Review of Urban-Rural Differences in Demographie Behaviour, in: Social Science History 1,3 (1977), S. 356-382. Schwerpunkte in dieser Arbeit liegen auf Stadt-LandUnterschieden bezüglich des Heiratsverhaltens, der Fertilität, der lllegitimität sowie der Säuglingssterblichkeit. Die Entwicklung der allgemeinen Sterblichkeit wird dagegen nicht berücksichtigt. 110 Dazu liegen lediglich einige ältere Arbeiten vor, in chronologischer Reihenfolge vor allem R. Finke/nburg, Ueber den hygieinischen Gegensatz von Stadt und Land, insbesondere in der Rheinprovinz, in: Centralblatt flir allgemeine Gesundheitspflege I (1882), S. 4-15 und 43-54; C. Ba/Iod, Die mittlere Lebensdauer in Stadt und Land, Leipzig 1899; F. Prinzing, Die Kindersterblichkeit in Stadt und Land, in: Jahrbücher fur Nationalökonomie und Statistik, lll. Serie, 20 ( 1900), S. 593644; L. Teleky, Vorlesungen über Soziale Medizin, Jena 1914; F. Prinzing, Stadt und Land, in: A. Grotjahn II. Kaup (Hgg.), Handwörterbuch der sozialen Hygiene, Bd. 2, Leipzig 1912, S. 494-512. 111
Brown, Public Health Reform. - Der Beitrag wird in Kapitel1V2c ausfuhrlieh kommentiert.
44
I. Einleitung
Als Fazit kann also festgehalten werden: Eine Analyse des säkularen städtischen Sterblichkeitswandels während des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, die auf einer ausreichend breiten Datengrundlage beruht, um eine effektive Generalisierung zu ermöglichen, liegt für Deutschland bislang nicht vor. Das stellt ein schwerwiegendes Defizit dar wegen ihrer zentralen Bedeutung für eine Analyse sowohl des Kontexts der sich ändernden Sterblichkeitsmuster als auch der verschiedenen Maßnahmen, die angelegt waren, um die spezifischen Krankheiten zu kontrollieren. Es fehlt somit eine wesentliche Bewertungsgrundlage städtischer Lebensverhältnisse und kommunaler Gesundheitspolitik Die folgenden Ausführungen sollen dazu beitragen, diese Forschungslücke zu schließen, indem die Mechanismen des Sterblichkeitwandels sowie der Veränderungen des Todesursachenpanoramas flir die zehn größten deutschen Städte des 19. und frühen 20. Jahrhunderts untersucht werden.
3. Ziele, Methodologie und Vorgehensweise Aufbau der Arbeit
Die Grundvoraussetzung, um die Mechanismen des Sterblichkeitswandels im Deutschen Kaiserreich ausloten zu können, ist eine Rekonstruktion der zeitgenössischen epidemiologischen Entwicklung. Der erste Teil der vorliegenden Untersuchung beschäftigt sich deshalb mit dem Wandel der Sterblichkeit in deutschen Städten während dieser wichtigen Urbanisierungsphase (Kapitel II). Konkret sollen dabei die spezifisch städtischen Sterblichkeitsverhältnisse herausgearbeitet sowie spezielle Risikogruppen und Todesursachen identifiziert werden. Das schließt eine Analyse der alters-, geschlechts- und ursachenspezifischen Sterblichkeit sowie der geographischen Inzidenz der wichtigsten Todesursachen in einem städtischen Kontext ein. Gesonderte Aufmerksamkeit gilt darüber hinaus den Säuglingen als einer speziellen städtischen Risikogruppe - soweit sei den Ergebnissen vorgegriffen - sowie dem Zusammenhang von Bevölkerungsdichte und Sterblichkeit. Um die spezifisch städtischen Merkmale herausarbeiten zu können, wird dabei soweit wie möglich auf die entsprechende nationalstaatliche Entwicklung als Vergleichsebene rekurriert. Die sich daraus ergebenden Analysen der Ursachen des Sterblichkeitswandels in den anschließenden Kapiteln folgt in weiten Teilen den Grundstrukturen der Arbeit McKeowns. Allerdings werden diese entsprechend des Forschungsstandes und der Fragestellung verfeinert und flir die historische Analyse vom Kopf auf die Füße gestellt: Ausgangspunkt jeden Kapitels wird eine Diskussion der jeweils behandelten Determinanten sein, die schließlich, in einem zweiten Schritt, mit dem Sterblichkeitswandel in Verbindung gebracht werden.
3. Ziele, Methodologie und Vorgehensweise
45
Da sich mit Industrialisierung und Urbanisierung die Lebensverhältnisse grundlegend änderten, muß in diesem Kontext selbstverständlich die RoHe der städtischen Lebensbedingungen und insbesondere die des gestiegenen Lebensstandards diskutiert werden (Kapitel III). Zentrale Punkte sind dabei die soziale Ungleichheit vor Krankheit und Tod, der Zusammenhang zwischen Frauenarbeit und Säuglingssterblichkeit sowie die Wirkung steigenden Lebensstandards auf die Senkung der Sterberaten. Eng verbunden mit diesen sozioökonomischen Aspekten ist die Entwicklung der Wohnverhältnisse während der Urbanisierung und ihre Auswirkung auf die städtischen Gesundheitsverhältnisse. Einerseits könnten die differentiellen Sterberaten ursächlich zu unterschiedlichen Strategien öffentlicher Gesundheitsftirsorge geftihrt haben, andererseits waren sie eventuell Resultat verschiedener solcher Vorgehensweisen. Zusätzlich könnten ähnliche Strategien zu abweichenden Ergebnissen geführt haben, wenn sie auf anders strukturierte Todesursachenpanoramen stießen. Wenn zum Beispiel eine steigende Bevölkerungsdichte mit einer sehneUeren Ausbreitung von (Infektions-)Krankheiten assoziiert war, so waren die verschiedenen Strategien zu ihrer Bekämpfung möglicherweise ebenso bestimmt von den Handlungskompetenzen der städtischen Autoritäten wie von sozialen, ökonomischen und geographischen Faktoren. Deshalb werden die unterschiedlichen Vorgehensweisen öffentlicher Gesundheitsfürsorge und differentielle Arten medizinischer Intervention, die während dieser Zeit in den einzelnen Städten eingefuhrt wurden, analysiert. Da die Städte gegenüber den vorherrschenden Infektionskrankheiten besonders exponiert waren, entwickelten sie eigene Strategien und Maßnahmen, um diese Bedrohungen zu kontroiiieren. Gefragt wird, welche gesundheitsbezogenen Maßnahmen geplant und ausgefiihrt wurden, um Krankheit im Rahmen zeitgenössischer epidemiologischer, medizinischer, sozio-ökonomischer und politischer Bedingungen zu kontrollieren und wie diese die Gesundheitsverhältnisse der städtischen Bevölkerung beeinflußten. Besondere Betonung liegt dabei zunächst auf der Rolle der sanitären Reformen im Zuge der Industrialisierung (Kapitel IV). Hierbei werden vor aiiem der Ausbau zentraler Wasserversorgungs- und Kanalisationsanlagen als bedeutendste Elemente der Städteassanierung sowie die Einrichtung städtischer Milchdepots, die spezieil zur Bekämpfung der hohen Säuglingssterblichkeit entwickelt wurden, diskutiert. Im Anschluß daran wird nach dem Grad und der Effizienz der medizinischen und sozialen Versorgung gefragt (Kapitel V). Einen Schwerpunkt bildet dabei zunächst die Entwicklung der Serum-Therapie zur Behandlung von Diphtherie, die als eine der wenigen erfolgreichen medizinischen Interventionen in der zweiten Hälfte des I 9. Jahrhunderts gilt. Anschließend wird nach dem Beitrag der Krankenhäuser zum Sterblichkeitsrückgang gefragt, indem Patientenstruktur und Behandlungserfolge an einem ausgewählten Beispiel analysiert werden. In einem weiteren Kontext geht es in diesem Kapitel
46
I. Einleitung
schließlich um verschiedene Strategien, die Unterschichten zu 'hygienisieren'. Letzteres wird vornehmlich am Beispiel der Säuglingsfürsorge dargestellt. Den Städten kommt in der Analyse mithin eine doppelte Rolle sowohl als Subjekt - eines sozialen Agens - wie auch als Objekt zu: Sie werden somit einerseits als Ereignisebene begriffen- es werden die Gesundheits- bzw. Sterblichkeitsverhältnisse in den Städten analysiert -, andererseits wird aber auch ihre aktive Rolle hinsichtlich der von ihnen betriebenen Politik und Planung betont. Zusammengefaßt sind die Ziele der folgenden Untersuchung, das Ausmaß, den Charakter und die Entwicklung der städtischen Übersterblichkeit zu rekonstruieren und ausgewählte, besonders im städtischen Kontext relevante Determinanten des Sterblichkeitswandels eingehender vorzustellen und Möglichkeiten zu deren Evaluierung aufzuzeigen. Gefragt wird, inwieweit der Sterblichkeitswandel das Resultat spezifisch städtischer Anstrengungen oder Folge der veränderten Lebensbedingungen war.
Zur Vorgehensweise
Die vorliegende Untersuchung konzentriert sich insbesondere auf die spezifischen Entwicklungen in den Großstädten. Einerseits verzeichneten gerade sie im Untersuchungszeitraum die höchsten Wachstumsraten, die im allgemeinen mit einer schnelleren Übertragung von (Infektions-)Krankheiten assoziiert werden. Andererseits besaßen sie aber auch das politische und finanzielle Potential, auf die akuten Gesundheitsgefährdungen reagieren und die oft teuren gesundheitsvorsorgenden Maßnahmen großflächig anwenden zu können. 112 Gleichzeitig waren sie Vorreiter auf dem Weg zu den modernen Gesundheitsverhältnissen. In diesem Sinn kann die Entwicklung in den Großstädten als Paradigma fur die Situation in hoch urbanisierten modernen Industriegesellschaften gelten. Konkret wurden für die Analyse die zehn bevölkerungsreichsten deutschen Städte (im Jahr 191 0) als Untersuchungsgegenstand ausgewählt. 113 In alphabe-
112 Ein zusätzliches methodisches Argument, die Großstädte zu untersuchen, liegt schlicht in der Größe der Risikobevölkerung begründet. In den Kleinstädten wirkten einzelne intervenierende Faktoren auf die Sterblichkeit potentiell so stark, daß das Bild ihrer tatsächlichen Gesundheitsverhältnässe verzerrt wird. In den kleinen Universitätsstädten etwa lag die Sterblichkeit relativ hoch. Ursache dafilr ist nicht die konkrete städtische Umwelt, sondern daß die zahlreichen Ortsfremden, die zur Behandlung ihrer Leiden in die örtlichen Krankenhäuser kamen, die Durchschnittswerte der Sterblichkeit nach oben trieben. Vgl. F. Prinzing, Handbuch der medizinischen Statistik, Jena 2 1930/31, S. 344. - Die Sterbeverhältnisse der Militärpersonen wurden aus den Statistiken ausgeschlossen, so daß von dieser Seite keine Verzerrungen vorliegen. 113 Die relative Position der Städte innerhalb dieser Hierarchie änderte sich im Untersuchungszeitraum geringfl.lgig. Da aber das Stichjahr gegen Ende des ausgewählten Untersuchungs-
3. Ziele, Methodologie und Vorgehensweise
47
tischer Reihenfolge sind dies: Berlin, Breslau, Dresden, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Hamburg, Köln, Leipzig, München und Nürnberg (Karte 1.1). Mit etwas über 7 Millionen Einwohnern repräsentierten sie ll, 1 Prozent der gesamten Bevölkerung des Deutschen Reiches.
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-
w 44,8 55,2 57,2 57,5 57,3 56,8 53,2 48,8 44,6 40,6 36,6 32,7 28,9 25,1 21,4 17,8 14,5 11,5 8,9 6,7
5,0
3,7 2,8 2,5
m 40,0 50,0 51,9 52,1 51,9 51,4 47,7 43,3 39,3 35,2 31,3 27,4 23,8 20,5 17,3 14,4 11 ,8 9,4 7,3 5,5 4,2 3,3 2,5
-
w 48,9 54,2 56,3 56,5 56,4 55,9 52,4 48,1 44,0 40,0 36, 1 32,2 28,5 24,7 20,9 17,4 14,1 11 ,1 8,5 6,3 4,7 3,5 2,9 2,5
Kleinstädte < 20.000 m 40,5 51,0 52,7 52,8 52,5 52,0 48,2 43,8 39,8 36,0 32,2 28,3 24,8 21,4 18,2 15,3 12,5 10,0 7,7 5,9 4,4 3,2 2,6 2,6
w 45,1 54,6 56,2 56,4 56,1 55,6 52,0 47,7 43,6 39,7 36,0 32,3 28,5 24,7 21,0 17,4 14,1 11 ,0 8,5 6,3 4,7 3,5 2,9 2,5
(•) einschl. Landgemeinden mit 20.000-100.000 Einwohnern. Quelle: C. Ba/Iod, Die Fortschritte der Sterblichkeitsforschung in Preussen, in: A. Manes (Hg.), Berichte, Denkschriften und Verhandlungen des Fünften Internationalen Kongresses fllr Versicherungs-Wissenschaft zu Berlin vom 10. bis 15. September 1906, Bd. 2: Denkschriften, Berlin 1906, S. 7-16, hier S. 11.
II. Stadt, Sterblichkeit und Lebenserwartung
106
Tabelle 2.9 Durchschnittliche Lebenserwartung für Männer und Frauen in Preußen, 1905/06 Alter
0 I 2 3 4
5
10 15 20 25 30 35 40 45
50 55
60 65 70 75 80 85 90
Preußen m 44,8 54,8 56,2 56,0 55,6
55,0
51,1 46,7 42,6 38,6 34,6 30,6 26,7 23,0 19,6 16,3 13,4 10,6 8,2 6,2 4,6 3,4 2,6
w
48,5 57,2 58,6 58,5 58,0 57,5 53,7 49,4 45,2 41,2 37,3 33,4 29,5 25,6 21,7 18,0 14,5 11,4 8,8 6,6 4,9 3,7 2,9
Land m 46,3
56,5
57,9 57,8 57,3 56,7 52,8 48,4 44,3 40,5 36,4 32,3 28,2 24,3 20,7 17,2 14,0 11,0 8,4 6,3 4,7 3,4 2,5
Großstädte >100.000
w
48,9 57,6 58,9 58,7 58,3 57,7 53,9 49,6 45,5 41,5 37,6 33,7 29,7 25,8 21,8 18,0 14,5 11,3 8,7 6,5 4,9 3,7 2,9
m 42,7 52,4 53,9 53,9 53,5 52,9 49,0 44,5 40,4 36,3 32,2 28,3 24,5 21,8 17,8 14,9 12,2 9,8 7,7 6,0 4,6 3,3 2,6
w
48,4 57,1 58,8 58,7 58,3 57,8 53,9 49,5 45,3 41,2 37,3 33,3 29,4 25,6 21,8 18,9 14,8 I 1,8 9,1 6,9 5,1 3,8 2,8
Mittelstädte 20.000- I 00.000 m 42,6 52,1 53,8 53,8 53,3 52,8 48,9 44,8 40,4 36,3 32,3 28,4 24,6 21,1 17,9 14,9 12,2 9,8 7,6 5,8 4,4 3,4 2,50
w
47,6 56,2 57,9 57,9 57,5 57,0 53,2 48,9 44,7 40,7 36,8 32,9 29,0 25,2 21,4 17,8 14,5 I 1,5 8,8 6,7
5,0
3,8 2,8
Kleinstädte 60[
M
O,tl 0,5[ o,oj
o.oi
5,0[ 2,1! 10,2! 50,9! 102.4' 0,1[ 51,3: 63,4; 102,2[ 14,4\ 0,2j 171,0[ 8,5' 98,8[ 681 ,81 0,0[ 0,0[ 0,2[ 0,2' o,o' 7,8[ 0,9! 5,2J 81 ,1[ 56,0l 0,0[ 15,3[ 55,0[ 59,5[ 5,0[ 0,0[ 353,3[ 11,1[ 85,41 736, lj
Alle[ SMR 5,0[ 2,2j 9,1J 2,9! 27,3, 4,7! 1.41 61,3! 38,1! 29,2' 0,9! 6,9[ 9,4[ 21 ,5\ 3,1[ I ,R 9,9! 6,1, 26,9 267,7! 7,8[ 4,6J 16,4[
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Schaubild 2.13: Säuglingssterblichkeit im Regierungsbezirk Düsseldorf zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach der Ernährungsweise und Geburtenfolge
Was einzelne Städte angeht, so wiesen Essen und Bannen nach detaillierten Untersuchungen eine fiinffache Sterblichkeit der Flaschenkinder gegenüber den Brustkindem auf.146 Nach anderen lokalen Erhebungen in Berlin, Bannen, Hannover und Köln lag die Sterblichkeit der künstlich ernährten Säuglinge drei- bis siebenmal so hoch wie unter den gestillten. 147 Dabei wurde immer wieder auf das deutlich höhere Gewicht der Brustkinder im Vergleich zu den Flaschenkindem hingewiesen. 148 Reichsweit wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts geschätzt, daß die Sterblichkeit der Flaschenkinder bis zu siebenmal höher war als diejenige der Brustkinder. Selbst unter ungünstigsten wirtschaft-
146 H. Lübbering, Die Sterblichkeit der Säuglinge in Essen mit besonderer BerUcksichtigung ihrer Ernährungsweise. AufGrund amtlichen Materials des Statistischen Amts der Stadt Essen, in: Zeitschrift filr Säuglingsfilrsorge 6 (1912), S. 329-357 und 377-400, hier S. 378-379. 147 Berechnet nach Angaben in Prinzing, Handbuch, 1930/31, S. 395-398. 148 Reinach I Grimm, Bericht, S. 154.
158
II. Stadt, Sterblichkeit und Lebenserwartung
liehen und sozialen Bedingungen starben weniger Brustkinder als in guten wirtschaftlichen Verhältnissen lebende künstlich ernährte Säuglinge. Erhebungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus dem Regierungsbezirk DUsseldorf sowie Hannover und Linden (bei Hannover) offenbaren, daß die Stillgewohnheiten als eine Hauptkomponente der Säuglingssterblichkeit die sozialen Unterschiede bei weitem ausstachen. Gestillte Kinder aus den niedrigeren Schichten hatten wesentlich höhere Überlebenschancen als nicht-gestillte aus wohlhabenderen Familien. 149 Besonders gefährdet waren die künstlich ernährten Säuglinge im ersten Lebenshalbjahr. In ausgewählten Kreisen des Regierungsbezirks DUsseldorf lag die Sterblichkeit der Flaschenkinder aus wohlhabenderen Familien (über 1.500 Mark Jahreseinkommen des Vaters) um die Jahrhundertwende mit 30 Prozent im ersten Lebensvierteljahr und 18 Prozent im zweiten wesentlich höher als die der Brustkinder aus ärmeren Familien (unter 1.500 Mark Jahreseinkommen) mit 14 bzw. 7 Prozent. Die ungünstigsten Verhältnisse herrschten allerdings unter den künstlich ernährten Säuglingen aus armen Familien mit einer Sterblichkeit von 56 Prozent im ersten und 32 Prozent im zweiten Vierteljahr. 150 Reichsweit wurde die Säuglingssterblichkeit unter den Flaschenkindem der wohlhabenden Schicht mit 10,3 Prozent mehr als doppelt so hoch geschätzt wurde wie unter den Brustkindem der Minderbemittelten, die bei 4,9 Prozent 1ag. 151 Die Ernährungsweise der Säuglinge ist mithin eine bedeutende Determinante fur die Höhe und Entwicklung der Säuglingssterblichkeit. Die starken lokalen Variationen in der Höhe der Sterblichkeit an Erkrankungen der Verdauungsorgane, wie sie bereits dargestellt wurden, können jedoch nicht ausschließlich auf unterschiedliche Ernährungspraktiken zurückgefuhrt werden; 152 sie reflektierten ebenso die Rolle lokaler Umweltbedingungen. Unterschiedliche Ernährungsweisen können beispielsweise nicht die sehr unterschiedliche Höhe der Sterblichkeit in den westlichen Teilen des Deutschen Reiches erklären, wo die Sterblichkeit an Magen-Darmkrankheiten von 29,2 (pro 10.000 Lebende) in Frankfurt am Main, 58,2 in Düsseldorf, bis zu 78,9 Todesfällen in Köln (1877)
149 M. Baum, Lebensbedingungen und Sterblichkeit der Säuglinge im Kreise Grevenbroich, in: Zeitschrift fur Säuglingsfiirsorge 6 (1912), S. 197-208 und 309-316, hier S. 313; Komitee zur Ermittlung der Säuglingsernährung in Hannover-Linden, Säuglingsernährung, Säuglingssterblichkeit und Säuglingsschutz in den Städten Hannover und Linden, Berlin o. J. (1913), S. 69 und 94. Ähnliche Resultate finden sich flir Dresden bei M. Baum, Stillbeihilfen und ihre Verbreitung im Regierungsbezirk Düsseldorf, in: Mutter und Kind. Monatsschrift flir Säuglingsflirsorge 5 (1913), Heft I 0, S. 4-8, hier S. 5. 159M. Baum, Grundriss der Säuglingsfiirsorge, Wiesbaden 5.6 1917, S. 172-173. 151 Vgl. Langstein I Roll, Atlas, Tafel 8. Vgl. auch Baum, Lebensbedingungen, S. 313. 152 Vgl. auch H. J Kintner, The Impact of Breastfeeding Patterns on Regional Differences in Infant Mortality in Germany, 1910, in: European Journal ofPopulation 3 (1987), S. 233-261.
4. Entwicklung der Säuglingssterblichkeit
159
reichte, also in Orten, in denen die Ernährungspraktiken vergleichbar waren. Die Säuglingssterblichkeitsrate in Köln etwa war sogar höher als in der Stadt Breslau, die in einem Nicht-Still-Gebiet lag (beide Städte hatten übrigens in dieser Zeit ähnliche Geburten- und Fruchtbarkeitsraten). In diesem Fall haben Umweltfaktoren wahrscheinlich eine bedeutendere Rolle gespielt. Diese Hypothese wird dadurch gestützt, daß die stärksten Variationen in den Sterberaten von gastro-intestinalen Störungen nicht unter den Säuglingen auftraten (filr das Jahr 1877 beträgt der Variationskoeffizient 0,33), sondern mit zunehmendem Alter anstiegen und ihren Höhepunkt in der Altersgruppe über 60 Jahren erreichten (mit einem Variationskoeffizienten von 1,37 in 1877). Zudem veränderte sich die Bedeutung des Stillens für die Überlebenschancen der Säuglinge über die Zeit. In diesem Zusammenhang ist von entscheidender Bedeutung, daß der Rückgang der Säuglingssterblichkeit in den deutschen Großstädten von einer Abnahme der Stillquote begleitet war. 153 In Köln stillten 1902 lediglich 40 Prozent aller Frauen ihre Kinder, die Mütter dieser Frauen hatten jedoch zu über 90 Prozent gestillt. 154 In Berlin wurden die Stillquoten regelmäßig im Rahmen der Volkszählungen erfaßt. 155 Danach wurden dort im Jahr 1885 55,2 Prozent aller Säuglinge ausschließlich von ihren Müttern gestillt, 2, 7 Prozent erhielten Ammenmilch, 6,7 Prozent Muttermilch mit zusätzlicher Beinahrung und 33,9 Prozent wurden ausschließlich mit Tiermilch aufgezogen; im Jahr 1910 wurden nur noch 30,5 Prozent von der Mutter gestillt, 0,4 Prozent erhielten Ammenmilch, 3,7 Prozent wurden mit Muttermilch und Beinahrung versorgt, während bei 62,6 Prozent ausschließlich auf die Tiermilch zurückgegriffen
153 Seiler, Nothwendigkeit, S. 382-385 ; M Hoh/feld, Ueber den Umfang der natürlichen Säuglingsernährung in Leipzig, in. Deutsche Medizinische Wochenschrift, 31 (1905), S. 1391-1394, hier S. 1392; Prinzing, Handbuch, 1906, S. 294; H J Kintner, Trendsand Regional Differences in Breastfeeding in Germany from 1871 to 1937, in: Journal of Family History (1985), S. 163182, hier S. 169-172. 154 Selter, Nothwendigkeit, S. 384. Über Untersuchungen zur Stillhäufigkeit im Kaiserreich sowie zu deren Methoden und Erfassungskriterien siehe S. Rosenfe ld, Die Erhebung der Stillhäufigkeit bei der Volkszählung 1920, in: Statistische Monatsschrift 3 (1919), S. 185-206; F. Prinzing, Die Statistik des Stillens, in: Deutsche medizinische Wochenschrift 33 (1907), S. 184-185. 155 R. Böckh, Tabellen betreffend den Einfluss der Ernährungsweise auf die Kindersterblichkeit, in: Bulletin de !'Institute International de Statistique 2,2 (1887), S. 14-24; Böckh, Die statistische Messung, S. 3-48. Vgl. auch H. Si/bergleit, Säuglings- und Säuglingssterblichkeitsstatistik, in: F. Zahn (Hg.), Die Statistik in Deutschland nach ihrem heutigen Stand, Bd. I, München 1911, S. 434-455, insbesondere S. 448.
11. Stadt, Sterblichkeit und Lebenserwartung
160
wurde. 156 In den traditionellen Nichtstill-Gebieten lag der Anteil ausschließlich künstlich ernährter Säuglinge noch wesentlich höher. Nach Angaben eines Münchener Kinderkrankenhauses lag der Prozentsatz niemals gestillter Säuglinge in den Jahren 1861-1869 bei 78,3 Prozent, und stieg in den folgenden Jahrzehnten auf 82,3 (1870-78) bzw. 86,4 (1879-86) Prozent an. 157 Angesichts dieser Veränderungen im Stillverhalten der Mütter erscheinen die sinkenden Sterberaten unter den Säuglingen frappierend. Offensichtlich gewannen Umweltfaktoren an Bedeutung. Denn mit angemessenen hygienischen Bedingungen verbesserte sich die Qualität künstlicher Ernährung und der dargereichten Tiermilch, die mit Wasser verdünnt wurde, und verminderte so den Überlebensnachteil der nichtgestillten Säuglinge. 158 Entsprechend ging die Säuglingssterblichkeit der künstlich ernährten Säuglinge stärker zurück als die der gestillten. 159 Während in Berlin beispielsweise die Sterberate unter den künstlich ernährten Säuglingen aus verheirateten Familien im Jahr 1885 fast siebenmal höher gelegen hatte als unter gestillten Säuglingen aus entsprechenden Familien, 160 lag sie im Jahr 1910 nur noch dreimal so hoch. 161 Zusammen mit den abnehmenden lokalen Schwankungen von Sterbefällen an gastro-intestinalen Erkrankungen weist das darauf hin, daß der Ausbau der gesundheitsbezogenen Infrastruktur in den Städten einen wesentlichen Einfluß auf die Entwicklung der Säuglingssterblichkeit hatte. Anscheinend profitierten die
156
Die Stillquoten in Berlin entwickelten sich wie folgt 1885
1890
1895
1900
1905
1910
55,2
50,7
43,1
31,4
31,2
30,5
2,7 6,7
2,2 4,8
1,4 9,9
0,7 14,4
0,6 4,2
0,4 3,7
Tiermilch allein
33,9
42,3
45,3
49,7
63,7
62,6
Unbekannt
1,5
0,0
0,2
3,8
0,3
2,8
Muttermilch Ammenmilch Muttermilch u. Beinahrung
...
Quelle. F. Prmzmg, Handbuch der med1Z1mschen Stat1stlk, Jena 1930/31, S. 395. 157 F. Büller, Ursachen und Folgen des Nichtstillens in der Bevölkerung Münchens, in: Jahrbuch fur Kinderheilkunde 16 (1887), S. 313-340, hier S. 320; T Escherich, Die Ursachen und Folgen des Nichtstillens bei der Bevölkerung Münchens, in: Münchener Medicinische Wochenschrift 34 (1887), S. 233-235 und 256-259, hier S. 233; Seidlmayer, Geburtenzahl, S. 29. 158 Vgl. auch J. D. Wray, Matemal Nutrition, Breast-Feeding and Infant Survival, in: W. H Mos/ey (Hg.), Human Nutrition and Reproduction, New York 1978, S. 197-230, hier S. 213-219. 159 Wolf, Geburtenrückgang, S. 216. 160 R. Böckh, Tabellen betreffend den Einfluss der Ernährungsweise auf die Kindersterblichkeit, in: Bulletin de l'Institute International de Statistique 2,2 (1887), S. 14-24, hier S. 18. 161 Statistisches Jahrbuch der Stadt Berlin 32 (1913), S. 212.
5. Verstädterung und der Wandel der Sterblichkeit
161
Säuglinge zu einem großen Teil von den verbesserten städtischen Lebensbedingungen. Das wird in Kapitel V ausführlich analysiert. Zunächst soll im folgenden jedoch die Rolle der Urbanisierung als Verstädterungsprozeß im Zusammenhang mit dem Sterblichkeitswandel diskutiert werden.
5. Verstädterung und der Wandel der Sterblichkeit "Stadtluft macht krank!", so könnte man in Abwandlung des bekannten Ausspruchs sagen, wenn man die Literatur zu den städtischen Gesundheitsverhältnissen im letzten Jahrhundert studiert. Als eine der Hauptursachen schlechter Lebens- und Arbeitsbedingungen und damit letztendlich der hohen Sterberaten machte man die hohe Bevölkerungskonzentration insbesondere in den Großstädten aus. In diesem Sinne soll Urbanisierung als Verstädterung die Ausbreitung von Infektionskrankheiten gefördert haben und gleichzeitig durch eine Verschlechterung der Umweltbedingungen auch der Verbreitung anderer Krankheiten Vorschub geleistet haben. Die ältere Forschung betonte dabei vor allem den Zusammenhang von Bevölkerungsdichte und Säuglingssterblichkeit. 162 Andererseits hatte die Einwanderung insbesondere von Menschen in den relativ gesunden jungen Altersgruppen einen positiven Effekt auf die rohen städtischen Sterberaten. Dieser wurde in den vorangegangenen Kapiteln bereits angesprochen und durch die Anwendung standardisierter Sterberaten herausgerechnet bzw. durch die Verwendung altersspezifischer Sterberaten berücksichtigt. Darüberhinaus ist allerdings zu bedenken, daß die wandemden Personen ihre heimische Krankheitsumgebung verließen und an ihrem Ziel einer neuen ausgesetzt sein konnten: Kamen substantielle Teile der Einwanderer aus ländlichen Gebieten und entfernten sich so aus dem Krankheitssystem ihrer Kindheit und Jugend, waren sie möglicherweise weniger resistent gegenüber drohenden Infektionsrisiken ihrer neuen Umgebung als die stadtgeborenen Einwohner oder vergleichbare Einwanderer aus anderen Städten. Leider können hierzu aus dem fiir die Analyse vorliegenden Datenmaterial keinerlei Schlüsse gezogen werden, zumindest soll diese Problematik aber innerhalb dieses Kapitels angesprochen und an einigen vorliegenden Spezialuntersuchungen diskutiert werden. Damit gliedern sich die folgenden Ausfiihrungen in zwei Unterpunkte: erstens, die Auswirkungen einer steigenden Bevölkerungs-
162 R. Finkelnburg, Ueber den hygieinischen Gegensatz von Stadt und Land, insbesondere in der Rheinprovinz, in: Centralblatt fllr allgemeine Gesundheitspflege I (1882), S. 4-15 und 43-54, hier S. 10; W. Kruse, Über den Einfluss des städtischen Lebens auf die Volksgesundheit, in: Centralblatt fllr allgemeine Gesundheitspflege 17 (1898), S. 312-345, S. 377-420, hier S. 332.
II Vögele
II. Stadt, Sterblichkeit und Lebenserwartung
162
konzentration in den Städten auf die Sterblichkeit und, zweitens, die Unterschiede in der Sterblichkeit zwischen Einheimischen und Zugewanderten. Erstens: Im Städtesampie läßt sich kein Zusammenhang zwischen Städtewachstum und der Sterblichkeit allgemein, an Todesursachen ausgewählter Infektionskrankheiten (Tuberkulose und Abdominaltyphus) sowie der Säuglingssterblichkeit festmachen (Tabelle 2.21 ). So verzeichnete etwa DUsseldorf in der untersuchten Periode die stärkste Bevölkerungszunahme, gehörte aber trotzdem zu den gesünderen Städten mit einer durchschnittlichen Sterberate von 15,7. Eine ähnlich hohe Sterberate wies Berlin auf(l5,8), das in dieser Zeit das geringste Wachstum verzeichnete. Dahingegen gehörte Breslau mit einer ähnlichen Wachstumsrate wie Berlin zu den Städten mit den höchsten Sterberaten. Betrachtet man die Entwicklung anhand der chronologischen Entwicklung differenzierter, so bestätigt sich dieser Eindruck. Schaubild 2.14 zeigt das Bevölkerungswachstum in Düsseldorf und die Entwicklung der allgemeinen Sterblichkeit in der Stadt. Da Eingemeindungen dort erst 1907 erfolgten, scheinen gerade die Phasen stärksten Wachstums auf dem ursprünglichen Stadtgebiet von sinkenden Sterberaten begleitet worden zu sein. Ähnliche Sachverhalte lassen sich auch filr die anderen Städte des Sampies festmachen. Das ist nicht weiter überraschend, wurde doch bereits in den früheren Kapiteln festgestellt, daß ein entscheidendes Merkmal dieser Periode ein Rückgang der Sterberaten bei steigenden Bevölkerungszahlen besonders in den Großstädten war.
Tabelle 2.21
Stadtgröße, Wachstum, Sterblichkeit und ausgewählte Todesursachen in den zehn größten deutschen Städten Stadt
Düsseldorf Leipzig Köln Nürnberg Frankfurt a.M. München Harnburg Dresden Breslau Berlin
Bevölkerung 1913
401.734 616.776 543.032 353.145 439.604 634.867 1.021.455 561.865 539.314 2.079.662
Wachstum 1877-1913 (%) 476,4 455,2 395,0 370,7 370,4 295,3 286,4 273,7 209,8 209,1
I
CDR-I• ' CDR 1877-1913 1900-1913 (pro 1.000 Lebende) 12,8 12,7 14,8 14,3 13,1 15,8 14,6 14,1 17,8 13,7
15,7 16,0 18,6 18,1 14,5 18,5 15,4 15,6 21,7 15,8
.I
IMR Th Typhus•• 1900- 1913 1900-1913 1900-1913 (pro 100.000 Lebende) (pro 100 Geburten) 16,9 153,0 3,0 19,8 204,5 3,9 191,8 4,6 20,3 248,7 1,5 21 ,9 208,6 2,4 14,0 269,0 2,8 20,6 15,8 173,6 4,1 207,9 4,2 16,3 312,6 6,0 22,6 18,1 213,5 3,8
• CDR ohne IMR; • • Abdominaltyphus Quelle: Veröffentlichungen des Kaiserlichen Gesundheitsamtes (Beilagen) 25 (1901)-38 (1914).
163
5. Verstädterung und Wandel der Sterblichkeit
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Schaubild 2.14: Bevölkerungsentwicklung und Mortalität in Düsseldorf, 1850 - 1913
Ein präziseres Bild der potentiellen Risiken mag der Zusammenhang von Bevölkerungsdichte, gemessen als Zahl der Einwohner pro Hektar, und Sterblichkeit geben. Zusammen mit der Bevölkerungszahl nahm auch die Bevölkerungsdichte in den Großstädten zu. Im Durchschnitt aller 37 Großstädte (im Jahr 1910) stiegen die Werte von 36,6 Personen pro Hektar im Jahr 1871 auf 55,0 im Jahr 1910 an. Auch in den ausgewählten zehn größten Städten war das in der Regel der Fall, erneut bestanden allerdings große Unterschiede (Tabelle 2.22): Köln und Berlin waren die dichtbesiedeltsten Orte, in Köln lag die Einwohnerzahl pro Hektar bei 167,8 im Jahr 1871, in Berlin bei 139,4. Während sich die Verhältnisse in Köln durch die Entfestigung der Stadt in den 1880er Jahren deutlich verbesserten 163 - die entsprechenden Werte betrugen 188,0 im
163 Köln in hygienischer Beziehung. Festschrift filr die Teilnehmer an der XXIII. Versammlung des deutschen Vereins ftlr öffentliche Gesundheitspflege zur Feier des XXVjährigen Seslehens des Vereins. Im Auftrage der Verwaltung und Vertretung der Stadt Köln und des niederrheinischen Vereins ftlr öffentliche Gesundheitspflege herausgegeben vom Geh. Sanitäts-Rat Dr.
164
II. Stadt, Sterblichkeit und Lebenserwartung
Jahr 1880, aber nur noch 25,9 im Jahr 1890, danach erfolgte wiederum ein leichter Anstieg auf34,3 bzw. 44,9 in den Jahren 1900 bzw. 1910- verschärfte sich die Situation in Berlin: Die Bevölkerungsdichte stieg dort beständig an bis auf 326,1 im Jahr 1910. Die günstigsten Verhältnisse herrschten trotz einer starken Zunahme der Bevölkerungsdichte in Frankfurt am Main und DUsseldorf: Hier stiegen die entsprechenden Werte von 13,1 auf 30,8 bzw. von 14,3 auf 32,2. Die Lage im ungesunden Köln, mit relativ hohen Sterberaten - insbesondere bezüglich der Säuglingssterblichkeit -, lassen einen Zusammenhang zwischen der Enge des Zusammenlebens und der Höhe der Sterblichkeit vermuten. Um diese Hypothese großflächiger zu testen, wurden die Bevölkerungsdichte, die rohen allgemeinen Sterberaten, die Säuglingssterblichkeitsraten sowie die Sterberaten von Tuberkulose in den 37 deutschen Großstädten für die Stichjahre 1880 und 1910 erhoben und einer linearen Regressionsanalyse unterzogen. Die Ergebnisse zeigen, daß scheinbar ein Zusammenhang bestand, vor allem im ersten Stichjahr gegen Ende des 19. Jahrhunderts, dieser allerdings lange nicht so ausgeprägt war, wie erwartet. 164 In der Tat wird nur ein geringer Teil der Varianz in der Sterblichkeit durch die Bevölkerungsdichte erklärt. 165 Gegen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die
Eduard Lent. Mit vielen Plänen und Abbildungen, Köln 1898, S. 11-12 S. 55. - Vgl. auch K. Jasper, Der Urbanisierungsprozess dargestellt am Beispiel der Stadt Köln, Köln 1977, S. 21-36. 164 Zu ähnlichen Ergebnissen gelangt C. Galley fllr den Zusammenhang von Säuglingssterblichkeit und Bevölkerungsdichte in England und Wales 1861-70. Vgl. C. Galley, Zur Entwicklung der Säuglingssterblichkeit in englischen Städten, 1750-1850, in: J. Vögele I W. Woelk (Hgg.), Stadt, Krankheit und Tod. Städtische Gesundheitsverhältnisse während der Epidemiologischen Transition, Berlin 2000, S. 81-97. - Vgl. auch die Untersuchung des Zusammenhangs von Behausungs- und Belegungsziffem in Kapitel Ill 6. 165 Zum Zusammenhang von Bevölkerungsdichte und CDR: Trägt man fllr die Jahre 1880 und 1910 die Sterblichkeit in Abhängigkeit von der Bevölkerungsdichte auf und legt mit Hilfe der Methode der kleinsten Quadrate eine Regressionsgerade hindurch, so scheint sich besonders im Jahre 1880 ein positiver Zusammenhang zu ergeben. Jedoch fllllt auf, daß die Bevölkerungsdichte im Jahre 1880 in den Städten Berlin (185,2), Köln (188,0) und Mainz (171,3) und im Jahre 1910 in Berlin (326, I) deutlich von der in den anderen Städten abweicht (siehe Tabelle 2.22), so daß hierdurch eine Verflllschung der Berechnung zu befürchten wäre, d.h., daß ein Zusammenhang vermutet wird, der in Wirklichkeit so gar nicht vorhanden ist. Deshalb wurde hier der Rangkorrelationskoeffizient nach Kendall, der im allgemeinen robust gegenüber Einflüssen von Ausreißern ist, berechnet. In der Tat ergeben sich dabei geringe Werte (1880: tau = 0,03; 1910: tau = 0,09), d.h., es scheint tatsächlich keinerlei Zusammenhang zu existieren. Bei der Berechnung einer linearen Regression erhält man den Kennwert R2, der angibt, wieviel Prozent der Varianz einer Variablen durch eine andere erklärt werden kann. Hier ergaben sich ebenfalls geringe Werte (1880: R2 = 0,012; 1910: R2 = 0,003). Es wird mithin nur ein verschwindend geringer Teil der Varianz in der Sterblichkeit durch die Bevölkerungsdichte erklärt. Bevölkerungsdichte und Säuglingssterblichkeit: Mit der gleichen Argumentation wie oben wurde auch hier der Kendallsche Rangkorrelationskoeffizient und der Kennwert R2 berechnet. Die folgenden Ergebnisse zeigen, daß jeglicher Zusammenhang angezweifelt werden muß:
5. Verstädterung und Wandel der Sterblichkeit
165
Dichte des Zusammenlebens offenbar nicht oder nicht mehr ausschlaggebend fiir die Höhe der Sterblichkeit. Das gilt selbst flir die 'klassische' Infektionskrankheit Tuberkulose. Tabelle 2.22 Bevölkerungsdichte in den zehn größten deutschen Städten Stadt
1871 pro ha Index 100 139,4 Berlin 100 Breslau 68,5 59,0 100 Dresden 100 Düsseldorf 14,3 Frankfurt a.M. 13,1 100 100 Harnburg 47,4 Köln 167,8 100 100 Leipzig 61,5 100 München 47,8 Nümberg 73,7 100 Alle Großstädte 36,6 100
1880 pro ha Index 185,2 133 89,9 131 73,6 125 19,6 137 141 18,5 64,7 137 188,0 112 85,8 140 48,9 102 88,2 120 46,2 126
1890 pro ha Index 249,1 179 110,4 161 92,1 156 29,7 208 24,5 187 89,7 189 25,9 15 84,1 137 54,5 114 126,0 171 55,4 151
1900 pro ha Index 298,3 214 117,2 171 91,9 156 43,9 307 30,9 236 91,8 194 34,3 20 79,9 130 57,5 120 47,3 64 59,0 161
1910 pro ha Index 326,1 234 121,1 177 81,1 138 32,2 225 30,8 235 119,5 252 44,9 27 80,1 130 67,2 141 50,8 69 55,0 150
Quelle: S. Scholl, Die großstädtischen Agglomerationen des Deutschen Reichs, 1871-1910, Breslau 1912, S. 90-97.
Zweitens: Es wurde bereits angesprochen, daß die Städte im wesentlichen durch Zuwanderung wuchsen. Die dadurch veränderten Strukturen im Bevölkerungsautbau von Stadt und Land wurden in den vorangegangenen Kapiteln durch die Anwendung verschiedener statistischer Methoden berücksichtigt, es wurden standardisierte sowie alters- und geschlechtsspezifisch differenzierte Sterberaten berechnet. Ungeklärt ist allerdings bislang, welche Auswirkungen dies darüber hinaus auf die städtischen Gesundheitsverhältnisse hatte. Konkret handelt es sich dabei um die Frage, ob sich die ortsgebürtige und die zugewanderte Bevölkerung in ihrer Sterblichkeit unterschieden und, wenn ja,
1880: tau = 0,09, R2 = 0,013 1910: tau= 0,08, R2 = 0,006. Bevölkerungsdichte und Tuberkulosesterblichkeit In diesem Fall liegen die Werte der Korrelation leicht höher als im Falle der CDR bzw. der Säuglingssterblichkeit, sind jedoch immer noch so niedrig, daß man nicht von einem deutlichen Zusammenhang sprechen kann, was sich auch in den Ergebnissen bezüglich des Kennwertes R2 zeigt: 1880: tau= 0,06, R2 = 0,017 1910: tau = 0,24, R2 = 0,062. Quellen: S. Schott, Die großstädtischen Agglomerationen des Deutschen Reichs, 1871-1910, Breslau 1912, S. 111-113; Veröffentlichungen des Kaiserlichen Gesundheitsamtes (Beilagen) 5 (1881)-35 (1911).
166
II. Stadt, Sterblichkeit und Lebenserwartung
welche Ursachen dafiir verantwortlich zeichneten. Bereits unter den damaligen Zeitgenossen herrschte ein wissenschaftlicher Disput darüber, ob die Landbevölkerung gesünder sei als die Stadtbevölkerung bzw. ob die Städte ohne ständigen Zuzug vom Land langfristig überhaupt Bestand haben könnten. Dieser Streit entzündete sich an der Militärtauglichkeit von Stadt- und Landbewohnem. Je nach Standpunkt wurden Belege gebracht, daß die eine Gruppe mehr Rekruten stelle bzw. tauglicher sei als die andere. 166 Wenige Untersuchungen berücksichtigen dabei jedoch die Rolle der Migranten. Eine der wenigen Ausnahmen sind die anthropometrischen Studien von C. Röse über die Rekrutierungsergebnisse eines Geburtsjahrganges in Dresden zu Beginn des 20. Jahrhunderts.167 Neben Stadt- und Landgeborenen bildet er die Kategorie der sogenannten 'Halbstädter', wenn der Sohn und höchstens ein Elternteil in der Stadt geboren waren. Nach seinen Ergebnissen waren die Stadtbewohner im Durchschnitt größer als die Landbewohner, hatten aber ein geringeres Körpergewicht. Die 'Halbstädter' nahmen in beiden Fällen mittlere Werte ein. Über Gesundheit oder Sterberisiko lassen sich mithin aber auch hier keine eindeutige Aussage machen. Direkt auf die Sterblichkeit bezogen, liegen einige zeitgenössische Arbeiten über Berlin vor, allerdings kommen auch sie zu keinem eindeutigen Ergebnis. Nach Berechnungen Kuczynskis lag in Berlin die Sterblichkeit der Ortsgeborenen und der Zugezogenen gleich hoch, 168 nach Ballods differenzierteren Berechnungen fiir 1891 bis 1895 lag die Sterblichkeit der gebürtigen Berliner in den Altersgruppen bis 15 Jahre fiir beide Geschlechter unter derjenigen der zugezogenen Bevölkerung, in den Altersgruppen von 15 bis 60 Jahren dagegen über derjenigen der Zugezogenen (obwohl bei letzteren die in Krankenanstalten gestorbenen Ortsfremden miteinbezogen sind). 169
166 Eine Zusammenfassung der Diskussion bieten H Schwiening, Neuere Arbeiten über Rekrutierungsstatistiken des In- und Auslandes, in: Deutsche Militärärztliche Zeitschrift 37 (1908), S. 651-663; Teleky, Vorlesungen, S. 31-49; A. von Vog/, Die Sterblichkeit der Säuglinge in ihrem territorialen Verhalten in Württemberg, Bayern und Oesterreich und Die Wehrflthigkeit der Jugend mit besonderer Rücksichtnahme auf die Anforderungen der Marschflthigkeit, München 1909. Intensiv behandeln die zeitgenössische Diskussion: L. Brentano I R. Kuczynski, Die heutige Grundlage der deutschen Wehrkraft, Stuttgart 1900. Allgemein dazu A. Lees, Cities Perceived. Urban Society in European and American Thought, 1820- 1940, Manchester 1985, S. 142-149. 167 C. Röse, Beruf und Militärtauglichkeit, in: Politisch-anthropologische Revue 4 (1905/06), S. 124-150.
168 R. Kuczynski, Die Sterblichkeit der Ortgeborenen in Berlin, in: Jahrbücher fur Nationalökonomie und Statistik, 3 F., 35 (1908), S. 110-114. 169 C. Ba/Iod, Sterblichkeit und Fortpflanzung der Stadtbevölkerung, in: Jahrbücher fllr Nationalökonomie und Statistik, 3 F., 38 (1909), S. 521-541 , insbesondere S. 524.
5. Verstädterung und Wandel der Sterblichkeit
167
Am deutlichsten manifestierten sich die Unterschiede in den jüngeren AltersgruppenY0 Laut Teleky hatten in Berlin 1891-95 die Einheimischen eine größere Tuberkulosesterblichkeit als die Zugewanderten. 171 Moderne Untersuchungen bestätigen dieses Bild im wesentlichen. 172 Stärker berücksichtigt werden müßten in diesem Zusammenhang die regionale Herkunft sowie die soziale Stratifikation der Migranten. Die Stadt Düsseldorf beispielsweise verzeichnete im Vergleich zu anderen Städten der Rheinprovinz in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zwar eine starke Zuwanderung, 173 allerdings mit einem relativ geringen Anteil an Arbeitern. 174 Der größte Teil der Einwanderer, 40 Prozent, kam zudem aus benachbarten rheinländischen und westfalischen Städten und war deshalb wohl bereits mit einem urbanen Lebensstil bzw. seinen Risiken vertraut. 175
170 Berechnet man aus Baiiods Angaben die Übersterblichkeit der ortsgeborenen Bevölkerung (in Prozent der Sterblichkeit der zugezogenen), so verhielten sich die Unterschiede wie folgt:
Altersgruppe S-10 10-15 15-20 20-25 25-30 30-35 35-40 40-45 45-50
S0-55 55-60 60-65 65-70 50-75 75-80 80-85 85-90
Übersterblichkeit Männer Frauen -20,3 -14,2 -1,1 -17,5 0,5 21,7 67,1 36,2 50,8 16,0 24,4 11,6 11,4 0,0 5,7 9,6 8,8 2,7 1,6 10,0 4,3 -3,3 -1,3 5,0 -1,5 -4,8 11,3 1,6 -1,3 6,1 -6,0 -2,8 -5,2 -16,6
17 1 L. Teleky, Die Tuberkulose, in: A. Gottstein I A. Schlossmann I L. Teleky (Hgg.), Handbuch der sozialen Hygiene und Gesundheitsflirsorge, Bd. 3, 1926, S. 115-402, hier S. 179-184.
172 A. Sharlin, Natural Decrease in early modern cities: a reconstruction, in: Past and Present 79 (1978), S. 126-138. 173 174
Brückner, Entwicklung, S. 182. W. Köllmann, Bevölkerung in der industriellen Revolution, Göttingen 1974, S. 110-112, S.
120-124.
175 0. Most, Die Nichteinheimischen in DUsseldorf nach der Volkszählung vom I . Dezember 1905, DUsseldorf 1908.
168
II. Stadt, Sterblichkeit und Lebenserwartung
Diese Verhältnisse konnten sich über die Zeit ändern. In einer differenzierten Untersuchung am Beispiel der Hansestadt Bremen konnten Peter Marschalck und Robert Lee zeigen, daß, während die Sterblichkeit zuwandernder Männer in den 1870er Jahren zunächst die der Einheimischen übertraf, diese im Jahre 1905 deutlich niedriger als die der einheimischen Bevölkerung lag. 176 Zu einem großen Teil dürften diese Unterschiede in der ungleichen Verteilung von Einheimischen und Fremden auf die Wirtschaftssektoren der Stadt und deren Wandel begründet liegen. Zur Jahrhundertmitte waren viele der männlichen Einwanderer unausgebildete Arbeiter, die eine entsprechend schlecht bezahlte und ungelernte Arbeit fanden. Das schlug sich in den Sterberisiken nieder: Insbesondere in der Altersgruppe zwischen 24 und 32 Jahren registrierten die Zuwanderer höhere Sterberaten als die Einheimischen als Folge von gehäuften Sterbefällen durch Unfälle und sonstige Gewalteinwirkung. Ab den 1880er veränderten sich die Merkmale der Wanderungsströme: Industriearbeiter, die auch aus weiteren Entfernungen kamen, wurden zu einer bedeutenden Komponente der nach Bremen einwandemden Personen und fanden Beschäftigung in Handel und Industrie. Das aber würde bedeuten, daß eher die soziale Lage als die regionale Herkunft prägend wirkten. Die soziale Ungleichheit vor Krankheit und Tod wird im anschließenden Kapitel ausführlich behandelt werden, an dieser Stelle muß jedoch noch auf einen weiteren Punkt aufmerksam gemacht werden, nämlich auf die Frage, was es für die wandemden Personen bedeutete, das gewohnte ökologische Krankheitenumfeld zu verlassen und sich in einem neuen anzusiedeln. Insbesondere beim Zug von dünnbesiedelten Landstrichen in die dichtbesiedelten Städte bot sich den Zugewanderten gegebenenfalls ein völlig anderes Potential ansteckender Infektionskrankheiten. Um das zu klären, müßten die Wanderungsströme genau untersucht und sowohl zwischen Fern- und Nahwanderern als auch nach der Herkunft der Zugewanderten nach Regionen, aber auch nach Stadt oder Land, unterschieden werden. Gleichzeitig müßte dieses Material direkt auf die Sterberaten der einzelnen Gruppen bezogen werden können. Das ist leider für die meisten Städte aufgrund der Quellenlage nicht möglich und wäre auch für die Großstädte während der Urbanisierungsphase vom Arbeitsaufwand her nicht zu leisten. Steven King hat deshalb den umgekehrten Weg gewählt: Er untersuchte am Beispiel ausgewählter Gemeinden des Textilbezirks von
176 P Marschalck I W R. Lee, Krankheit und Geschlecht - Die Übersterblichkeit der männlichen Arbeiter in der Hansestadt Bremen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: J. Vögele I W. Woelk (Hgg.), Stadt, Krankheit und Tod. Städtische Gesundheitsverhältnisse während der Epidemiologischen Transition, Berlin 2000, S. 141-157; W R. Lee I P. Marschalck, The Dynarnies ofDemographic Change in a Port City Context: Bremen 1820-1910, in: Les ehernins de Ia Recherche 32 ( 1996): Les Systemes demographiques du passe, hrsg. von A. Bideau, S. 123-138.
5. Verstädterung und Wandel der Sterblichkeit
169
West Riding in Yorkshire, warum diese die hohe Sterblichkeit der benachbarten Großstadt Leeds häufig teilten. 177 Als eine der Hauptursachen erscheinen die Migrationsbewegungen, und zwar nicht der langsame aber beständige Zustrom von Einwanderern aus anderen ländlichen Gebieten, sondern die abrupte und intensive Abwanderung aus der Großstadt in diese umliegenden kleinen Gemeinden. Dieser Personenkreis nahm in den Zielorten häufig eine ökonomisch deprivilegierte Position ein, so daß wiederum das Zusammenspiel von Wanderung und sozialer Lage deutlich hervortritt. Von hoher Bedeutung fiir die Säuglingssterblichkeit innerhalb der Gemeinde' war darüber hinaus, ob die entsprechenden Familien auf ein durch Verwandtschaft geprägtes soziales Netzwerk zurückgreifen konnten. War das der Fall, so lagen in der Regel günstige Säuglingssterblichkeitsraten vor. 178 Für Großstädte ist dies schwierig zu untersuchen. Gerade fiir die Hochphase der Industrialisierung und Urbanisierung kann angenommen werden, daß diese Sicherungsverbände durch die extreme Mobilität nachhaltig gestört wurden. Für die Verhältnisse in den zehn größten deutschen Städten im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert lassen sich abschließend lediglich einige verallgemeinernde Bemerkungen machen, die die krankheits-ökologische Rolle der Wanderungsbewegungen für die städtischen Gesundheitsverhältnisse eher gering erscheinen lassen. Erstens spielte, mit Ausnahme Berlins, die Nahwanderung eine wesentlich bedeutendere Rolle als die Fernwanderung, das Krankheitenpanorama war demnach fiir die Migranten so unterschiedlich nicht. Das relativiert gleichzeitig die Möglichkeit, die Untersuchungsergebnisse von Berlin auf die anderen Städte des Sampies zu übertragen. Zweitens hatten sich diejenigen Infektionskrankheiten, die eine Immunität zur Folge hatten, wie etwa Masern oder Röteln, bereits von altersurrspezifischen zu Kinderkrankheiten gewandelt. Besiedlung und Kommunikation waren offenbar bereits so dicht, daß selbst die Fernwanderer auf keine vollkommen anderen Infektionskrankheiten stießen. Drittens profitierten die Säuglinge absolut gesehen am
177 S. King, Sharing the Urban Graveyard: Mortality Dynamics in Town Hinterlands, 16801820, in: J. Vögele I W. Woelk (Hgg.), Stadt, Krankheit und Tod. Städtische Gesundheitsverhältnisse während der Epidemiologischen Transition, Berlin 2000, S. 61-79; vgl. auch S. King, Dying with Style: Infant Death and its Context in a Rural lndustrial Township 1650-1830, in: Social History ofMedicine 10 (1997), S. 3-24. 178 Die Bedeutung eines sozialen Netzwerkes flir die Höhe der Säuglingssterblichkeit betont auch M Bengtsson, Det Hotade Bamet. Tre generationers spädbarns- och barnadödlightet i 1800talets Linköping, Linköping 1996. Für das Gebärverhalten siehe R. G. Fuchs I L. P. Moch, Invisible cultures: Poor women's networks and reproductive strategies in nineteenth-century Paris, in: S. Geenhalgh (Hg.), Situating Fertility. Anthropology and demographic inquiry, Cambridge 1995, S. 86-107. Die klassische Arbeit zur Solidarität unter Migranten ist noch immer L. Chevalier, La formation de Ia population parisienne au X!Xe siecle, Paris 1950.
170
II. Stadt, Sterblichkeit und Lebenserwartung
stärksten von den sinkenden städtischen Sterberaten, d.h., offensichtlich sind die niedrigen Sterberaten weniger Migrationseffekten als tatsächlichen Verbesserungen der städtischen Lebensbedingungen zuzuschreiben.
6. Zusammenfassung Die städtische Übersterblichkeit kam im Deutschland des 19. Jahrhunderts deutlich zum Tragen. Nachdem die Sterberaten in den Städten nach der Mitte des Jahrhunderts ihren Höhepunkt erreicht hatten, waren sie in den folgenden Jahrzehnten rückläufig. Dabei war der Rückgang der städtischen Übersterblichkeit von einer deutlich erhöhten Bevölkerungskonzentration in den Städten begleitet. Nahezu alle Altersgruppen waren zunächst von dieser 'Urban Penalty' betroffen, vor allem aber die Säuglinge sowie die Männer in den mittleren Altersgruppen registrierten im städtischen Umfeld erhöhte Sterberaten. Verantwortlich fiir die städtische Übersterblichkeit waren fast alle wichtigen Todesursachen, wobei jedoch die Haupttodesursachen der Zeit, Erkrankungen der Atmungsorgane (inklusive Tuberkulose) und insbesondere der Verdauungsorgane, eine herausragende Rolle spielten. Während die Sterberaten von Tuberkulose und Erkrankungen der Atmungsorgane fiir eine hohe Hintergrundmortalität in den Städten sorgten, trugen unterschiedliche Sterberaten der Verdauungskrankheiten, einschließlich des Abdominaltyphus, wesentlich zur interstädtischen Variabilität der Sterblichkeit bei. Die Verminderung der Sterberaten der genannten Haupttodesursachen bildete eine zentrale Komponente des städtischen Sterblichkeitsrückgangs, wobei der Sterblichkeit an Erkrankungen der Verdauungsorgane beim Abbau der städtischen Übersterblichkeit besondere Bedeutung zufiel. Entsprechend können einschneidende Verbesserungen hauptsächlich in den jüngeren Altersgruppen festgestellt werden. Insbesondere nach der Jahrhundertwende verzeichnete die Säuglingssterblichkeit einen substantiellen Rückgang. Dagegen stieg die Sterblichkeit an sogenannten degenerativen Krankheiten des fortgeschrittenen Lebensalters (Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs) in den Städten überproportional an. Die Städte, darunter vor allem die Großstädte im westlichen Preußen, waren somit Vorreiter auf dem Weg zu den modernen Gesundheitsverhältnissen. Auf die Effekte spezifisch städtischer Maßnahmen zur Verbesserung der Gesundheit auf den säkularen Sterblichkeitswandel wird an anderer Stelle noch ausfUhrlieh eingegangen werden. Bereits an dieser Stelle läßt sich jedoch festhalten, daß sich Industrialisierung und Urbanisierung nach einer kurzen krisenhaften Zuspitzung der Gesundheitsverhältnisse um die Jahrhundertmitte langfristig offenbar positiv auswirkten. Das bedeutet gleichzeitig, daß die Auswirkungen von Migration auf die Gesundheitsverhältnisse nicht überschätzt wer-
6. Zusammenfassung
171
den dürfen, denn eine wichtige Position in diesem Prozeß nahm die Sterblichkeit der Säuglinge ein, wobei Höhe und Entwicklung der Säuglingssterblichkeit von einem komplexen Faktorenbündel bestimmt wurden. In diesem Kapitel wurde insbesondere die Rolle des städtischen Geburten- und Fertilitätsrückganges, die Höhe der Illegitimenquote sowie der Ernährung auf die Entwicklung der Säuglingssterblichkeit in den zehn größten deutschen Städten diskutiert. Als zentrales Element erwies sich vor allem die Ernährung der Säuglinge: Ein negativer Effekt stellte dabei die künstliche Ernährung dar. Dahingegen konnte das Stillen die Gesundheitsrisiken im Säuglingsalter drastisch senken, was sogar soweit ging, daß durch das Stillen eine Nivellierung von sozioökonomisch bedingten Ungleichheiten möglich war. Als besonders wichtig festzuhalten bleibt, daß sich die Bedeutung des Stillens fiir die Überlebenschancen der Säuglinge über die Zeit änderte. Der Rückgang der städtischen Säuglingssterblichkeit war begleitet von einem Rückgang der Stillquoten, was auf Verbesserungen in der Qualität der künstlichen Ernährung schließen läßt. Im weiteren Verlauf der Arbeit müssen deshalb die Auswirkungen der sanitären Reformen, insbesondere von Trinkwasser- und Milchversorgung, auf die Entwicklung der Säuglingssterblichkeit diskutiert werden.
111. Lebensstandard, Wohnverhältnisse und soziale Ungleichheit vor Krankheit und Tod 1. Einf"tihrung Thomas McKeown vermutete in seinen zentralen Arbeiten, daß quantitative und qualitative Verbesserungen der Ernährungssituation irrfolge eines steigenden Lebensstandards die treibende Kraft hinter dem Sterblichkeitsrückgang in Europa waren.1 Diese sollen die Resistenz der Risikobevölkerung gegenüber Infektionskrankheiten erhöht und die Sterblichkeit entsprechend gesenkt haben. McKeown ging dabei von einem durchschnittlich erhöhten Pro-Kopf-Verbrauch an Nahrungsmitteln aus, der durch Strukturreformen im Primären Sektor sowie durch die Einfiihrung neuer Feldfrüchte - hier wäre an erster Stelle die Kartoffel mit ihrem günstigeren Verhältnis von Aussaat zu Ernte zu nennen2 - erzielt wurde. Seine Analyse konzentrierte sich im wesentlichen auf die spezifischen Entwicklungen in fiinf europäischen Staaten: England und Wales, Irland, Schweden, Frankreich und Ungarn; die deutschen Verhältnisse wurden leider nicht berücksichtigt. Bereits an dieser Stelle lassen sich jedoch allgemeine Einwände gegen diese These anfuhren: Man denke etwa an die nach 1750 rasch steigende Lebenserwartung beim englischen Adel, einer Bevölkerungsgruppe, die auch vor Einsetzen dieser Entwicklung nicht unter mangelnder oder schlechter Ernährung litt/ oder daran, daß AIDS heute auf eine
1 T McKeown I R. G. Brown, Medical Evidence Related to English Population Changes in the Eighteenth Century, in: Population Studies 9 (1955), S. 119-141; T McKeown I R. G. Record, Reasons for the Decline of Mortality in England and Wales during the Nineteenth Century, in: Population Studies 16 (1962), S. 94-122; T McKeown I R. G. Brown I R. G. Record, An Interpretation of the Modern Rise of Population, in: Population Studies 26 (1972), S. 345-382; T McKeown, The Modem Rise ofPopulation, London 1976. 2 Als umfassende Arbeit zur Einfuhrung der Kartoffel in Europa - mit besonderer Berücksichtigung des 'Potato Famine' in Irland - ist noch immer lesenswert: R. N. Salaman, The History and Social Influence ofthe Potato, Cambridge 1949 (Neudruck: Cambridge 1985).
3 T H Hollingsworth, A Demographie Study of the British Duca! Families, in: M. Drake, Population in Industrialization, Trowbridge 2 1973, S. 73-102, hier S. 79-80. - Vgl. auch andere Erklärungsversuche bei R. W Fogel, Nutrition and the Decline in Mortality since I 700: Some Preliminary Findings, in: S. L. Engerman I R. E. GaBmann (Hgg.), Long-Term Factors in American Economic Growth, Chicago 1986, S. 439-555, hier insbesondere S. 480-484. Fogel setzt sich vor allem mit der Frage auseinander, warum der Adel vor 1750 ein ähnliches Sterblich-
174
III. Lebensstandard, Wohnverhältnisse und soziale Ungleichheit
wohlernährte Gesellschaft trifft. 4 Da McKeown, wie im ersten Kapitel ausführlich dargelegt, methodisch rein deduktiv und somit fragwürdig vorging, muß diese These grundsätzlich erneut überprüft werden, indem Indikatoren zur sozio-ökonomischen Lage der Risikobevölkerung herangezogen und in Zusammenhang mit den Sterblichkeitsverhältnissen und deren Wandel gebracht werden. Für Deutschland im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert wurde die Verbindung von steigendem Output im Primären Sektor und abnehmenden Sterberaten bislang nicht untersucht. 5 Zwar haben jüngere Forschungsergebnisse auf Verbesserungen der Ernährungslage im 19. Jahrhundert hingewiesen, von der in der zweiten Jahrhunderthälfte auch zunehmend die unteren Schichten profitiert haben sollen. 6 Nach W. G. Hoffmann übertraf die geschätzte tatsächliche Kalorienzufuhr seit den 1870/80er Jahren die empfohlene Menge. 7 Für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts hatjedoch W. Robert Lee herausgearbeitet, daß die McKeownsche Hypothese, auf Deutschland angewandt, zumindest auf regionaler Ebene problematisch ist: Für Bayern konnte kein direkter Zusammenhang zwischen dem Trend im landwirtschaftlichen Output und dem Niveau der Gesamtsterblichkeit ausgemacht werden. 8 In diesem Fall waren Verbesserun-
keitsniveau registrierte wie die allgemeine Bevölkerung. Er führt dies einerseits darauf zurück, daß sich die Ernährungsweisen beider Bevölkerungsgruppen während des Säuglingsalters und der Kindheit kaum unterschieden, andererseits argumentiert er fiir das Erwachsenenalter, daß genügend finanzielle Mittel keineswegs eine entsprechend gesunde Ernährungsweise implizieren. ' Für weitere Einwände vgl. A. Perrenoud, The Mortality Decline in a long-term Perspective, in: T. Bengtsson I D. Fridlizius I R. Ohlsson (Hgg.), Pre-industrial Population Change. The mortality decline and short-term population movements, Stockholm 1984, S. 41-69. ' Einige knappe, eher spekulative Ausfiihrungen finden sich bei R. Spree, Soziale Ungleichheit vor Krankheit und Tod. Zur Sozialgeschichte des Gesundheitsbereichs im Deutschen Kaiserreich, Göttingen 1981 , S. 129-133. 6 H. J. Teuteberg, Studien zur Volksernährung unter sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen Aspekten, in: H. J. Teuteberg I G. Wiegelmann (Hgg.), Der Wandel der Nahrungsgewohnheiten unter dem Einfluß der Industrialisierung, Göttingen 1972, S. 21-221; R. A. Dickter, Labour Market Pressure Aspects of Agricultural Growth in the Eastern Region ofPrussia, 1840-1914: A Case Study of Economic-Demographic Interrelations during the Demographie Transition, unveröffentlichte Ph.D.-thesis, Pennsylvania 1975; H. J. Teuteberg, Der Verzehr von Nahrungsmitteln in Deutschland pro Kopf und Jahr seit Beginn der Industrialisierung (1850-1975). Versuch einer quantitativen Langzeitanalyse, in: AfS 19 (1979), S. 331-388; W. Abel, Stufen der Ernährung. Eine historische Skizze, Göttingen 1981 ; H. J. Teuteberg I G. Wiegelmann (Hgg.), Unsere tägliche Kost. Geschichte und regionale Prägung, Münster 1986. - Für einen neueren Überblick in einem breiteren geographischen Kontext vgl. H. J. Teufeberg (Hg.), European Food History. A Research Review, Leicester 1992. 7 W. G. Ho.ffmann, Das Wachstum der deutschen Wirtschaft seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, Berlin 1965, S. 659. 8 W. R. Lee, Population growth, economic development and social change in Bavaria 17501850, New York 1977; W. R. Lee, Germany, in: W. R. Lee (Hg.), European Demography and
I. Einfiihrung
175
gen der Ernährungslage offensichtlich nicht direkt mit sinkenden Sterberaten verbunden. 9 Dieses Ergebnis mag allerdings durch den zu groben Indikator zustandegekommen sein, denn ein Anstieg des Nahrungsmittelverbrauchs pro Kopf war nämlich ebenfalls abhängig von der Nahrungsmittelverteilung, wie sie sozial, regional und auch innerhalb der Familie stattfand. 10 Dies ist im städtischen Kontext von besonderer Bedeutung, da die betroffenen Bevölkerungskreise zunehmend von Geldlöhnen abhängig waren, um Nahrungsmittel erwerben zu können. Desweiteren ist die Menge und Zusammensetzung der benötigten Nahrung abhängig von den individuellen Lebens- und Arbeitsbedingungen: Ein körperlich hart arbeitender Tagelöhner des 19. Jahrhunderts bedurfte im Idealfall einer grundsätzlich anderen Diät als etwa eine Schreibkraft. Um solche Aspekte zu berücksichtigen, wurde der Fachausdruck 'Nutritional Status' eingefiihrt! 1 Forschungsansätze zum Ernährungszustand historischer Populationen widmen sich der anthropometrischen Analyse von Quellen über Gewicht und Größe. 12 Entsprechende Massendaten wurden vor allem beim Militär sowie beim Sklavenhandel erhoben. Bezugspunkt dabei ist flir Erwachsene das Verhältnis von Gewicht und Größe, bei Kindem ein Parameter, der
Economic Growth, London 1979, S. 144-195; W. R. Lee, The Mechanism ofMortality Change in Germany, 1750-1850, in: Medizinhistorisches Joumal15 (1980), S. 244-288. 9 Umgekehrt wurde fiir das Königreich Württemberg während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts festgestellt, daß Getreidepreise lediglich in den 1850er Jahren eng mit der rohen Sterberate korrelieren. Siehe W. von Hippe/, Bevölkerungsentwicklung und Wirtschaftsstruktur im Königreich Württemberg 1815164. Überlegungen zum Pauperismusproblem in Südwestdeutschland, in: U. Engelhardt I V. Sellin I H. Stube (Hgg.), Soziale Bewegung und politische Verfassung. Beiträge zur Geschichte der modernen Welt, Stuttgart, 1976, S. 270-371, hier insbesondere S. 293-294. 10 Innerhalb der Familie nahm der Ehemann und Vater eine bevorzugte Stellung ein. Die Mutter hatte erst fiir die Kinder und dann für sich selbst zu sorgen. Die Sonderposition des Vaters wird nicht nur mit einem Verweis auf seine Arbeit und Ernährerrolle begründet, sondern auch auf einen traditionellen strukturellen Statusvorsprung des Mannes. Vgl. H. Rosenbaum, Proletarische Familien. Arbeiterfamilien und Arbeiterväter im frühen 20. Jahrhundert zwischen traditioneller, sozialdemokratischer und kleinbürgerlicher Orientierung, Frankfurt a. M. 1992, S. 159-162.
11 Vgl. Foge/, Nutrition, S. 446-447; R. Floud I K. Wachter I A. Gregory, Height, Health and History: Nutritional Status in the United Kingdom, Cambridge 1990.- Einen Überblick bietet B. Harris, Health, Height, and History: An Overview of Recent Developments in Anthropometrie History, in: Social History of Medicine 7 (1994), S. 297-320. Vgl. auch J. Kom/os, Über die Bedeutung der Anthropometrischen Geschichte, in: Historical Social Research - Historische Sozialforschung 18 ( 1993), S. 4-21. -Zur Problematik des Lebenstandards vgl. J. Kom/os, The Biological Standard of Living in Europe and America, 1700-1900, Aldershot 1995. 12 Ein breiteres Konzept des 'Nutritional Status' hat R. Floud entwickelt, der neben Ernährung auch Gesundheitsfursorge und medizinische Therapien miteinschließt Der Erkenntnisgewinn eines solch weiten Konzepts erscheint mir allerdings gering, denn die entscheidende Frage zielt gerade nach dem Anteil dieser verschiedenen Faktoren. - R. Floud, Medicine and the Decline of Mortality: Indicators of Nutritional Status, in: R. Schofleid I D. Reher I A. Bideau (Hgg.), The Decline ofMortality in Europe, Oxford 1991, S. 146-157, hier S. 155.
176
111. Lebensstandard, Wohnverhältnisse und soziale Ungleichheit
Gewicht und Alter berücksichtigt. Individuelle Variationen bleiben bei diesem Verfahren leider ausgeschlossen. Für Deutschland liegen bislang lediglich erste punktuelle Analyseversuche vor, die sich zudem - mit einer später zu erwähnenden Ausnahme - leider nicht auf den hier gewählten Untersuchungszeitraum beziehen. 13 Die klassische einschlägige Studie kommt vielmehr aus den USA: Robert Fogel entwarf fiir die Vereinigten Staaten eine Kurve des Größenwachstums von Männern seit dem frühen 18. Jahrhundert, die spiegelbildlich erstaunliche Übereinstimmungen mit der langfristigen Sterblichkeitsentwicklung zeigt. 14 Danach stieg das Größenwachstum dieser ausgewählten Population bis in die 1830er Jahre, sank dann mehrere Jahrzehnte deutlich, um ab den 1890er Jahren wiederum verstärkt anzusteigen. Ähnliche Ergebnisse sind inzwischen fiir England von der Arbeitsgruppe um Roderick Floud erzielt worden.15 In Österreich-Ungarn nahm die Körpergröße von Männern während des 18. Jahrhunderts ebenfalls zu. 16 W. P. Ward argumentierte in einer neueren Studie, daß das Geburtsgewicht von Säuglingen zusätzlich einen aufschlußreichen Indikator fiir den allgemeinen Ernährungszustand der Mütter liefert. 17 Seine Analyse von Daten aus wohlfahrtspflegerischen Entbindungsanstalten in funf westeuropäischen und nordamerikanischen Großstädten (Boston, Dublin, Edinburgh, Montreal und Wien) ergab dramatische Rückschläge im Ernährungszustand armer Frauen während des späten 19. Jahrhunderts. Zu ähnlichen Ergebnissen gelangte auch Sophia Nora Twarog, die langfristige Veränderungen der Körpergröße während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Württemberg im Hinblick auf Informationen über den durchschnittlichen Gesundheitszustand, die Säuglingssterblichkeit und Lebenserwartung diskutierte und verschiedene Phasen konstatierte, in denen sich die Gesundheitsverhältnisse verschlechterten. 18
13 H. Wurm, Über die Schwankungen der durchschnittlichen Körperhöhe im Verlauf der deutschen Geschichte und die EinflUsse des Eiweißanteils der Kost, in: Homo. Zeitschrift filr vergleichende Forschung am Menschen 33 (1982), S. 21-42; J. Kom/os, Height and Social Status in Eighteenth-Century Gennany, in: Journal of lnterdisciplinary History 20 (1990), S. 607 - 621; J. Baten, Der Einfluß von Einkommensverteilung und Milchproduktion auf die regionalen Unterschiede des Ernährungsstandards in Preußen um die Mitte des 19. Jahrhunderts, in: AfS 36 (1996), s. 69-83.
14
Foge/, Nutrition, S. 439-555.
15
Floud I Wachter I Gregory, Height, Health and History.
J. Kom/os, Nutrition and Economic Development in the Eighteenth-Century Habsburg Monarchy: An Anthropometrie History, Princeton 1989. 17 W P. Ward, Birth Weight and Economic Growth, Women's Living Standards in the Industrializing West, Chicago 1993. 18 S. N. Twarog, Heights and Living Standards in Industrializing Gennany: The Case of Wurttemberg, 2 Bde., unveröffentlichte Ph.D.-thesis, Ohio 1993. 16
I. Einführung
177
Insgesamt jedoch sind die Informationen über den tatsächlichen Ernährungszustand der europäischen Bevölkerung des 19. Jahrhunderts nach wie vor lückenhaft. Bisherige Untersuchungen bezogen sich auf wenige ausgewählte Bevölkerungskreise (Daten aus dem Sklavenhandel, Rekruten, Schüler, in Entbindungsheimen geborene Kinder), deren Repräsentativität sehr einbeschränkt ist. Somit muß der Verallgemeinerungswert der Ergebnisse solcher Studien relativiert werden. 19 Von epidemiologischer Seite ist als Kritikpunkt zu betonen, daß der Zusammenhang zwischen 'Nutritional Status' und Krankheit sehr komplex ist und sich abhängig von der jeweiligen Krankheit unterschiedlich gestalten kann: Einige Erreger können so virulent sein, daß nicht die Disposition, sondern die Exposition ausschlaggebend ist. So werden inzwischen auch die klassischen vorindustriellen Hungerkrisen mittlerweile weniger auf Unter- oder Mangelernährung, sondern auf veränderte soziale Gegebenheiten - wie etwa eine erhöhte Mobilität, die zur Nahrungsmittelversorgung notwendig war- zurückgeftihrt.20 Unklar bleibt auch, inwieweit Mangelernährung Ursache oder Folge einer Infektionskrankheit war. Sicherlich fördert eine unausgewogene Ernährung einerseits die Anfalligkeit ftir Infektionskrankheiten, andererseits verhinderten besonders häufig aufgetretene gastro-intestinale Beschwerden die Nahrungsaufnahme und waren deshalb auch eine Ursache von Mangelernährung.21 Für die vorliegende Analyse schließlich kommen die oben angesprochenen Verfahren nicht in Betracht, da ftir die ausgewählten städtischen Bevölkerungen keine differenzierten Angaben über Körpergröße oder Gewicht vorliegen. Im folgenden wird deshalb ein anderer Ansatz gewählt: Sozioökonomische Bedingungen und Wirtschaftswachstum sollen als Indikator des vorherrschenden allgemeinen Lebensstandards fungieren und auf die Sterblichkeit bezogen werden. Im Mittelpunkt des Kapitels stehen vor allem die Verbindungslinien zwischen Wirtschaftswachstum und dem Wandel der Sterblichkeit im deutschen Kaiserreich. Den Anschluß bilden einige Ausruhrungen über den potentiellen Zusammenhang zwischen der primären ökonomischen Basis einer Stadt
19 Ungeklärt ist ebenfalls, inwieweit sich in diesen Generationen Mangelernährung in der Kindheit oder in der Jugend auf Anfalligkeit gegenüber Krankheiten in späteren Lebensphasen auswirkte. Vgl. dazu die Bemerkungen in Kapitell. 20 Die klassische Subsistenzkrisentheorie wurde in den 1940 Jahren von Jean Meuvret entwickelt. Vgl. J. Meuvret, Les crises de subsistances et Ia demographie de Ia France d'Ancien Regime, in: Population I (1946), S. 643-650. Zum neueren Forschungsstand vgl. J. D. Post, Nutritional Status and Mortality in Eighteenth-Century Europe, in: L. F. Newman (Hg.), Hunger in History. Food Shortage, and Deprivation, Cambridge 1990, S. 241-280. 21 R. Murtoreil I C. Yarbrough, The Energy Cost of Diarrheal Diseases and Other Common Illnesses in Children, in: L. C. Chen IN. S. Scrimshaw (Hgg.), Diarrhea and Malnutrition, New York 1983, S. 125-141.
12
Vögele
178
III. Lebensstandard, Wohnverhältnisse und soziale Ungleichheit
und ihren entsprechenden Sterblichkeitsniveaus mit besonderer Berücksichtigung der sozialen Ungleichheit vor Krankheit und Tod. Weiterhin stehen die möglichen Interdependenzen zwischen städtischen Löhnen in den unteren Schichten und Höhe sowie Trend der Sterblichkeit zur Debatte, einschließlich einer detaillierten Analyse des Zusammenhangs zwischen der Beteiligung der Frauen am Erwerbsarbeitsmarkt und der Höhe und Entwicklung der Säuglingssterblichkeit. Ein zentraler Bestandteil der sozioökonomischen Entwicklung ist schließlich der Zustand und der Wandel der Wohnverhältnisse während der Urbanisierung und ihre Wirkung auf die städtischen Gesundheitsverhältnisse.
2. Wirtschaftliches Wachstum und die Entwicklung der städtischen Gesundheitsverhältnisse Im allgemeinen wird ein zwar nicht exklusiver, aber doch starker Zusammenhang zwischen Lebensstandard und Gesundheit einer Bevölkerung angenommen. Deshalb gilt es im folgenden, diesen im Verlauf der Industrialisierung zu analysieren. Da ein direkter Nachweis der Interdependenz über eine längere Zeitspanne sowohl methodisch als auch durch die Quellenlage bedingt schwer zu erbringen ist/2 soll hier zunächst ein Umweg über einen supra-nationalen komparatistischen Ansatz gewählt werden. Eher deskriptiv verglichen wird die Situation in Deutschland mit derjenigen Englands als dem Pionierland der Industrialisierung. 23 Ein solcher Ansatz weist zunächst auf eine klare Verbindung zwischen wirtschaftlichem Wachstum und Sterblichkeitswandel hin: Durchweg lagen die nationalen Sterberaten in Deutschland in den 1870er Jahren wesentlich höher als in England. In Preußen belief sich die standardisierte Sterberate im Jahr 1877 beispielsweise auf 252 (pro 10.000 Lebende), in England und Wales auf212 im Zeitraum von 1871 bis 1880; nach der Jahrhundertwende lagen die entsprechenden Raten bei 183 in Preußen (1907) bzw. bei 161 in England und Wales (1901-1910). 24 Dies entspricht der wirtschaftlichen Situation in beiden Ländem: 25 Am Vorabend des Ersten Weltkriegs war
22 Vgl. auch S. J Kunitz I S. L. Engerman, The ranks of death: secular trends in income and mortality, in: Health Transition Review. The cultural, social and behavioural determinants of health (1992). Supplement to Volume 2: Historical Epidemiology and the Health Transition, hrsg. von J. Landers, S. 29-46. 23 Ausfuhrlieh dazu J Vögele, Urban Mortality Change in England and Germany, 1870-1910, Liverpool 1998. 24 Jeweils standardisiert auf die Bevölkerungsstruktur von England und Wales 1871-80. Quelle: Vögele, Urban Mortality Change, S. 41-45.
zs Lebensstandard ist ein komplexes Konzept, das wesentlich mehr Variablen enthält als Löhne und Preise. Bereits die Zeitgenossen - besonders auch im Ausland - wiesen in diesem Zusammen-
2. Wirtschaftliches Wachstum und städtische Gesundheitsverhältnisse
179
Deutschland gemessen am Bruttosozialprodukt verglichen mit England noch immer ein ärmeres Land. 26 Sein Pro-Kopf-Einkommen wurde auf etwa f44 gegenüber iSS in Britannien geschätzt, die Realeinkommen lagen etwa zehn bis 20 Prozent unter den englischen. 27 Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren die tatsächlich an deutsche Abeiter gezahlten Geldlöhne wesentlich niedriger, obwohl die Arbeitszeiten substantiell länger dauerten als in England. Dazu kam, daß das allgemeine Preisniveau in Deutschland deutlich höher lag als in England. 28 Ein zeitgenössischer Bericht über die Lebensbedingungen in beiden Ländern schätzt das Verhältnis der Pro-Kopf-Ausgaben flir Nahrungsmittel, Heizmaterial und Miete auf 119 zu 100, das der durchschnittlich gezahlten Stundenlöhne dagegen auf 75 zu 100. 29 Da der Zusammenhang von Einkommensentwicklung und dem Wandel der Lebenserwartung als nicht-linear angenommen wird, d.h., an der Schwelle zur Mangelernährung bewirkt zusätzliches Einkommen eher eine Verlängerung der Lebenszeit als bei bereits hohem Lebensstandard/ 0 und da Deutschland im Vergleich zu England noch ein relativ armes Land war, wäre zu erwarten, daß bei einer ähnlichen Zunahme des Lebensstandards in beiden Ländern in Deutschland mehr Personen über die kritische minimale Einkommensschwelle befördert und dementsprechend mehr Leben gerettet worden wären als in England.
hangwiederholt auf die Bedeutung der deutschen Sozialversicherung hin. Vgl. dazu W. J. Ashley, The Progress oftheGerman Working Classes in the Last Quarter of a Century, London 1904, S. 16-18. Allgemein zur Problematik der statistischen Messung von Lebensstandard vgl. P. von der Lippe, Die Messung des Lebensstandards, in: W. Fischer (Hg.), Lebensstandard und Wirtschaftssysteme, Frankfurt a. M. 1995, S. 57-102. 26 S. Pollard, "Made in Germany" - die Angst vor der deutschen Konkurrenz im spätviktorianischen England, in: Technikgeschichte 53,3 (1987), S. 183-195, hier S. 189. - Eine vergleichende Analyse zum Stand und zur Entwicklung der Volkswirtschaft in beiden Ländern liefert S. B. Sau!, lndustrialisation and De-Industrialisation? The Interaction of the German and British Economies before the First World War. The 1979 Annual Leelure of the German Historical Institute London, London 1980. Vgl. auch W. Fischer, Germany in the World Economy during the Nineteenth Century. The 1983 Annual Lecture of the German Historical Institute London, London 1984; D. S. Landes, The Unbound Prometheus, Cambridge 1969.
27 Saut, Industrialisation, S. I 0; V. Zamagni, An International Comparison of Real Industrial Wages, 1890-1913: Methodological lssues and Results, in: P. Scholliers (Hg.), Real Wages in 19th and 20th Century Europe. Historical and Comparative Perspectives, New York 1989, S. 107244, hier S. 114-118; W. Zapf, Die Wohlfahrtsentwicklung in Deutschland seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, in: W. Conze IM. R. Lepsius (Hgg.), Sozialgeschichte der Bundesrepublik Deutschland. Beiträge zum Kontinuitätsproblem, Stuttgart 1983, S. 47-65, hier S. 57-58.
Zamagni, An International Comparison, S. 119. Cost of Living in German Towns. Report of an Enquiry by the BoardofTrade into Working Class Rents, Housing and Retail Prices, Together with the Rates of Wages in Certain Occupations in the Principal Industrial Towns of the German Empire, in: British Parliamentary Papers: Accounts and Papers, Bd. 108, London, 1908, Prefatory note, LI-LJJ. 30 Vgl. Fogel, Nutrition. 28
29
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111. Lebensstandard, Wohnverhältnisse und soziale Ungleichheit
Die beschleunigte Industrialisierung in Deutschland seit den späten 1860er und fiühen 1870er Jahren führte offensichtlich zu einer schnelleren relativen Zunahme des Lebensstandards mit sowohl quantitativen als auch qualitativen Verbesserungen der Emährungslage, was wiederum noch schnellere Verbesserungen der deutschen Gesundheitsverhältnisse nach sich zog. Gemessen an der globalen industriellen Produktion verlor England ab den 1880er Jahren seine führende Rolle an die USA; um 1900 hatte Deutschland in vielen Bereichen aufgeholt und im Produktionsniveau annähernd mit England gleichgezogen.31 Die Reallöhne in Deutschland verdoppelten sich zwischen 1871 und 1913 nahezu, wobei sich der Anstieg relativ gleichmäßig über den Untersuchungszeitraum verteilte. 32 Dadurch lag die durchschnittliche Wachstumsrate der Reallöhne über den gesamten Zeitraum gemessen mit 1,3 Prozent pro Jahr signifikant höher als in England (0,9 Prozent);33 besonders deutlich aber überstieg ·sie
31 C. P. Kindleberger, Germany's Overtaking ofEngland 1806-1914, in: Weltwirtschaftliches Archiv 111 (1975), S. 253-281 und S. 477-504; J Kuczynski, Die Geschichte der Lage der Arbeiter unter dem Kapitalismus, Teil 2, Bd. 24: Darstellung der Lage der Arbeiter in England von 1832 bis 1900, Berlin 1965, S. 154. -Im Überblick: W. Fischer, Deutschland 1850-1914, in: W. Fischer (Hg.), Europäische Wirtschafts- und Sozialgeschichte von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg, Stuttgart 1985, S. 357-442; F.-W Henning, Die Industrialisierung in Deutschland 1800 bis 1914, Paderborn 1973, S. 203-275 : H. Kiesewetter, Industrielle Revolution in Deutschland 1815-1914, Frankfurt a. M. 1991, S. 75 -115; T. Pierenkemper, Umstrittene Revolutionen. Die Industrialisierung im 19. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1996, S. 90-126; R. H. Tilly, Vom Zollverein zum Industriestaat. Die wirtschaftlich-soziale Entwicklung Deutschlands 1834 bis 1914, München 1990, S. 77- 152. Vgl. auch G. Ambrosius I D. Petzina I W. Plumpe (Hgg.), Moderne Wirtschaftsgeschichte. Eine Einfllhrung fllr Historiker und Ökonomen, München 1996; Ch. Buchheim, Industrielle Revolutionen. Langfristige Wirtschaftsentwicklung in Großbritannien, Europa und in Übersee, München 1994; R. Waller, Einfllhrung in die Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Paderborn 1994.- Zur zeitlichen Dimension der wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland vgl. R. Spree , Wachstumstrends und Konjunkturzyklen in der deutschen Wirtschaft von 1820 bis 1913. Quantitativer Rahmen fllr eine Konjunkturgeschichte des 19. Jahrhunderts, Göttingen 1978. - Allgemein die wirtschaftliche Entwicklung zusammenfassend: W. J Mommsen, Das Ringen um den nationalen Staat. Die Gründung und der innere Ausbau des Deutschen Reiches unter Otto von Bismarck 1850-1890, Frankfurt a. M, 1993, S. 283-307; Th. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866-1918, Bd. 2, München 1992, S. 268-290; H.-P. V I/mann, Das Deutsche Kaiserreich 1871-1918, Frankfurt a. M. 1995, S. 95-117; H.-U. Weh/er, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, München 1995, S. 547-699.
32 T. J Orsagh, Löhne in Deutschland 1871-1913. Neue Literatur und weitere Ergebnisse, in: Zeitschrift fllr die gesamte Staatswissenschaft 125 ( 1969), S. 4 76-483, hier S. 483 . Leicht abweichende Berechnungen finden sich bei A. V. Desai, Real Wages in Germany 1871-1913, Oxford 1968; J Kuczynski, Die Geschichte der Lage der Arbeiter unter dem Kapitalismus, Teil 1: Die Geschichte der Lage der Arbeiter in Deutschland von 1789 bis zur Gegenwart, Bd. 3 (1871-1900), Berlin 1962, Bd. 4 (1900-1917/ 18), Berlin 1967.- Zusammenfassend: R. Til/y, Germany, in: R. Sylla I G. Toniolo (Hgg.), Patterns ofEuropean Industrialization. The nineteenth century, London 1991 , S. 175-196, hier S. 185-188. 33
Orsagh, Löhne, S. 483.
2. Wirtschaftliches Wachstum und städtische Gesundheitsverhältnisse
181
jene seit den 1880er Jahren. 34 Zusätzlich sorgte der in dieser Zeit aufkommende Getreideweltmarkt für sinkende Preise, 35 was eine bessere Nahrungsversorgung unabhängig von steigenden Einkommen ermöglichte. 36 Reallöhne sind, zusammen mit zahlreichen anderen Variablen, ein signifikanter Indikator der sozioökonomischen Verhältnisse,37 und die Parallelen zwischen ihrer Entwicklung und den Trends der Sterberaten sind augenfällig. Die Sterberaten gingen in Deutschland ab den 1870er Jahren von einem sehr hohen Niveau aus drastisch zurück, während die Verbesserungen in England gleichmäßiger über das 19. und frühe 20. Jahrhundert verteilte. Die Ergebnisse dieser Analyse entsprechen den Aussagen einiger allgemeiner demo-ökonomischer Modelle ftir die gegenwärtige Situation in Ländern der Dritten Welt, welche die Notwendigkeit eines starken wirtschaftlichen Aufschwungs für dauerhafte Veränderungen betonen, während kleinere Einkommensverbesserungen einen Sterblichkeitsrückgang und damit ein stärkeres Bevölkerungswachstum hervorbringen, das die Bevölkerung wieder auf ihr ursprüngliches Einkommensniveau zurückwirft. 38 Eine ähnliche Entwicklung war auch in Deutschland während des späten 19. Jahrhunderts zu verzeichnen; so hat die beschleunigte Industrialisierung wohl einen beschleunigten Sterblichkeitsrückgang nach sich gezogen: Im Zeitraum zwischen 1888 und 1912 sollen steigende Löhne die Sterblichkeit in deutschen Städten mit mehr als 15.000 Einwohnern in fast allen Fällen reduzierten haben.39 Die Städte profitierten dabei stärker vom steigenden Lebensstandard als die ländlichen Gebiete, die der wirtschaftlichen Entwicklung nur langsam nachfolgten. Dies würde auch die höheren Sterberaten in den weniger industrialisierten östlichen Lan-
14 R. Gömmel, Realeinkommen in Deutschland. Ein internationaler Vergleich, Nürnberg 1979, S. 18. Vgl. auch Orsagh, Löhne; Zamagni, An International Comparison; Zapf, Wohlfahrtsentwicklung. - Eine neuere Zusammenfassung der Literatur zu Löhnen und Lebensstandard deutscher Arbeiter bieten G. A. Ritter I K. Terifelde, Arbeiter im Deutschen Kaiserreich 1871 bis 1914, Bonn 1992, S. 469-536. -Für die weitere Entwicklung im Verlauf des 20. Jahrhunderts siehe J. Mooser, Arbeiterleben in Deutschland 1900-1970. Klassenlagen, Kultur und Politik, Frankfurt a. M. 1984, insbesondere S. 73-100.
35 J. Vögele, Getreidemärkte am Bodensee im 19. Jahrhundert. Strukturen und Entwicklungen, St. Katharinen, 1989, S. 39. Vgl. auch J. Vögele, Umsätze und Preise als Indikatoren fllr die Entwicklung des Überlinger Getreidemarktes im 19. Jahrhundert, in: ZGO 139 (1991), S. 239-267. 36 Dick/er, Labour Market Pressure, S. 177-178. 37 Zu Reallöhnen als Indikator des Lebensstandards vgl. P. Schol/iers, Real Wages and the Standard of Living in the Nineteenth and Early-Twentieth Centuries. Some Theoretical and Methodological Elucidations, in: VSWG 83 (1996), S. 307-333. 38 Einen Überblick bietet S. H. Preston, The Changing Relation between Mortality and Level of Economic Development, in: Population Studies 29 (1975), S. 231-248. 39 J C. Brown, Public Health Reform and the Decline in Urban Mortality. The Case of Germany, 1876-1912, in: G. Kearns I W. R. Lee IM. C. Nelson I J. Rogers (Hgg.): 1mproving the public health: essays in medical history, Liverpool (im Druck).
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111. Lebensstandard, Wohnverhältnisse und soziale Ungleichheit
desteilen erklären, da sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts die regionalen ökonomischen Unterschiede akzentuierten, die weder vom Zollverein noch von Transportverbesserungen ausgeglichen werden konnten. 40 So registrierten beispielsweise die östlichen Provinzen Preußens hohe Säuglingssterblichkeitsraten mit Spitzenwerten zwischen 24 und 27 (pro 100 Geburten) in Schlesien nach der Jahrhundertmitte, während die entsprechenden Raten im Rheinland dagegen zwischen 13 bis 20 schwankten. 41 In Ostpreußen etwa brachte das Wachstum der auf Getreidemonokultur beruhenden Junkerwirtschaft eine Bauemsehaft hervor, die ihre weiblichen Mitglieder verstärkt zur Feldarbeit heranziehen mußte, um das Subsistenzminimum zu erreichen. Das ftihrte nicht nur zu einer hohen Sterberate unter den Frauen, sondern auch zu einer hohen Säuglingssterblichkeit, die vor allem durch die Stillunfahigkeit der physisch überlasteten Mütter verursacht wurde. 42 Im Gegensatz dazu ermöglichten Landreformen im westlichen Preußen zu Anfang des 19. Jahrhunderts vermehrten bäuerlichen Eigenbesitz mit verschiedenen Feldfrüchten und Viehhaltung, was insgesamt die Gesundheitsverhältnisse verbesserte.43 Dagegen setzte sich in Süddeutschland die Verarmung weiter Teile der Bevölkerung infolge des Dreißigjährigen Krieges auch langfristig bis in das 19. Jahrhundert fort. Gerade Gebiete, die zusätzlich unter den napoleonischen Kriegen 1796-1809 gelitten hatten, registrierten eine hohe Säuglingssterblichkeit. Kampfhandlungen, Truppendurchzüge, die Zerstörung der Ernten, das Abtreiben des Viehs sowie Kriegskontributionen brachten diesen Regionen tiefste Armut. 44 Insbesondere der Mangel an Vieh konnte zu den - im zweiten Kapitel beschriebenen - berüchtigten Praktiken der Säuglingsernährung mit dickem, gesüßtem Mehlbrei führen. Zudem wurden diese ackerbautreibenden Gebiete durch die Ausbreitung der Kartoffelkrankheit stark getroffen. Doch selbst in Hungerperioden wurde Getreide ins benachbarte Ausland exportiert. 45 Die an Kaufkraft arme Bauemsehaft schließlich verhinderte die Rentabilität von Kleingewerbe in den Städten. Während insgesamt Wirtschaftswachstum und steigender Lebensstandard langfristig eher ausgleichend auf die regionale
40 W R. Lee, Economic development and the role of the state in nineteenth-century Germany, in: Economic History Review 41 (1988), S. 346-367, hier S. 355. 41 F. Prinzing, Die Entwicklung der Kindersterblichkeit in den europäischen Staaten, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, III. Serie, 17 (1899), S. 577-635, hier S. 587. 42 W R. Lee, Mortality Ievels and agrarian reform in early 19th century Prussia: Some regional evidence, in: T. Bengtsson I G. Fridlizius I R. Ohlsson (Hgg.), Pre-Industrial Population Change. The Mortality Decline and Short-Term Population Movements, Stockholm 1984, S. 161-190, hier S. 168-172. - Zur Stillunfl!higkeit und anderen Ursachen des NichtstilJens vgl. Kapitel III 5. 43 Lee, Mortality Ievels, S. 168-172. 44
Prinzing, Kindersterblichkeit in den europäischen Staaten, S. 598.
•s Vögele, Getreidemärkte, S. 37. Vgl. auch Vögele, Umsätze, S. 239-267.
2. Wirtschaftliches Wachstum und städtische Gesundheitsverhältnisse
183
Verteilung der Lebenschancen wirkten, stellten sich unterschiedliche Normen und Einstellungen der sozialen Gruppen in Familienplanung, Hygiene und Säuglingspflege diesem Trend entgegen. Das soll soweit gegangen sein, daß wiederholte traumatische Katastrophen wie Seuchen und Kriege in manchen deprivilegierten Regionen in katholischen Gebieten Süddeutschlands zu einer indifferenten Einstellung gegenüber Leben und Tod fuhrten. 46 Arthur E. Imhof unterstellt diesen Bevölkerungsgruppen die Entwicklung einer durch diese mißliche Situation bedingten fatalistischen Mentalität und konstruiert ein hauptsächlich in katholischen Gebieten herrschendes 'System of Wastage of Human Life', also eine Verschwendung menschlichen Lebens. 47 Insbesondere in katholischen Gebieten sei der Tod eines Säuglings gleichgültig oder, wenn bereits viele Kinder vorhanden waren, sogar mit Erleichterung hingenommen worden. Als berühmtestes Beispiel aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gilt das sogenannte 'Himmeln'. Während die ersten Kinder den Eltern noch sehr willkommen waren, wuchs mit den später Geborenen die Sorge, ob das Vermögen der Familie ausreichen werde. Durch eine bewußte Vernachlässigung der höheren Geburtsränge waren deren Überlebenschancen sehr gering. Was heute als postnatale Familienplanung erscheint, ersparte den Säuglingen in den Augen der Eltern das 'irdische Jammertal' und ermöglichte der zurückbleibenden Familie, die Subsistenzmittel zu wahren. Je 'unschuldiger', d.h., je früher die Säuglinge starben, desto sicherer galt ihnen das Himmelreich. Schließlich glaubte man, so einen 'Engel im Himmel' zu haben, der fur den überlebenden Teil der Familie Fürbitte leisten konnte. 48 Konsequenterweise erhielt nicht das Überleben des Säuglings höchste Priorität, zentral war vielmehr, daß er getauft wurde. Es war durchaus üblich, den Säugling bereits wenige Stunden 'oder Tage nach der Geburt zur Kirche zu tragen, auch im Winter und wenn die Kirche mehr als eine Stunde Fußweg entfernt lag. 49 War die Geburt mit Komplikationen verbunden oder das Leben des Säuglings akut gefahrdet, konnte eine Nottaufe vorgenommen werden. 50 Dies ging sogar soweit, daß Ärzte ein medi-
46 A. E. /mhoj, Unterschiedliche Säuglingssterblichkeit in Deutschland, 18. bis 20. Jahrhundert -Warum?, in: Zeitschrift filr Bevölkerungswissenschaft 7,3 (1981), S. 343-382. 47 Jmhoj, Unterschiedliche Säuglingssterblichkeit, S. 375-397. Allgemeiner: A. E. Jmhoj, Die gewonnenen Jahre. Von der Zunahme unserer Lebensspanne seit dreihundert Jahren oder der Notwendigkeit einer neuen Einstellung zu Leben und Sterben. Ein historischer Essay, München 1981. 48 K. Maier, Die Sterblichkeit der Kinder im ersten Lebensjahr in Bayern, in: Journal flir Kinderkrankheiten 57 (1871), S. 153-198, hier S. 194.
49 Maier, Sterblichkeit, S. 194. - Zu den Auswirkungen dieser Praktiken auf die Erfassung der Säuglingssterblichkeit vgl. Kapitel li. 50 Ein aufschlußreiches Beispiel hierzu gab W. Rödel auf dem Herbsttreffen des Arbeitskreises filr Historische Demographie der Deutschen Gesellschaft filr Bevölkerungswissenschaft (DGBw) in Osnabrück 1996. Nach einem Eintrag der Mainzer Kirchenbücher starb am 9. August 1755 ein _J!ugling bei der Geburt, der als legitimer Sohn eines hiesigen Ehepaares irrtümlich (in errore
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III. Lebensstandard, Wohnverhältnisse und soziale Ungleichheit
zinisches Gerät, eine Art Spritze, konstruierten, um notfalls eine intrauterine Taufe vornehmen zu können. 5 1 Allerdings ist die Tragfähigkeit dieser These durchaus problematisch, da die Gebiete, die durch Kriege verwüstet worden waren, und Regionen hoher Säuglingssterblichkeit geographisch nicht deckungsgleich sind. Robert Lee hat in diesem Zusammenhang überdies darauf hingewiesen, daß die Religion eher dazu gedient haben könnte, solches Verhalten zu rechtfertigen als es zu verursachen. 52 Mit Bezug auf Preußen betont Lee, daß das bäuerliche Leben in allen Gebieten hart war, der kritische Unterschied allerdings in einem strukturellen Wandel im Osten des Landes lag, der eine Schlüsselvariable, nämlich den Charakter der weiblichen Arbeit außerhalb des Hauses im Unterschied zu westlichen Gebieten zum Negativen veränderte. 53 Auch flir die ausgewählten Städte läßt sich eine konfessionelle Differenzierung nicht aufrecht halten: So wiesen beispielsweise die überwiegend protestantischen Städte Frankfurt und Breslau völlig unterschiedliche Niveaus in ihrer Säuglingssterblichkeit auf; 54 Frankfurt zeichnete sich dabei durch traditionell niedrige Sterberaten aus, Breslau dagegen hatte durchweg eine extrem hohe Säuglingssterblichkeit zu verzeichnen. 55 Für den Süden Deutschlands bleibt die angesprochene These ebenfalls zweifelhaft angesichts der Tatsache, daß mit dem wirtschaftlichen Aufschwung am Ende der 1860er Jahre aufgrund der industriellen Entwicklung, des Ausbaus des Eisenbahnnetzes, zahlreicher guter Ernten, etc. auch die Säuglingssterblichkeit zurückging, bevor der Rückgang in Norddeutschland einsetzte. 56 Dagegen konnte sich die Situation in anderen süddeutschen Gebieten, die vollkommen agrarisch ausgerichtet waren, sogar noch verschlechtert haben. Der Grund liegt darin, daß sinkende Getreidepreise in Folge des aufkommenden Weltmarktes
subnomine) auf den Namen Maria Walburga Tecla zu Hause noch während des Geburtsvorgangs notgetauft wurde. 51 D. Schäfer, Geburt aus dem Tod. Der Kaiserschnitt an Verstorbenen in der abendländischen Kultur, Masch. Manuskript (basierend auf D. Schäfer, Sectio in mortua. Untersuchungen zum Kaiserschnitt an der verstorbenen schwangeren Frau, Med.Diss., Universität Freiburg (Breisgau), 1995), o.O., o.J., S. 86 und S. 247. 52 W. R. Lee, The Impact of Agrarian Change on Women's Work and Child Care in Early-Nineteenth-Century Prussia, in: J. C. Fout (Hg.), German Women in the Nineteenth Century. A Social History, New York 1984, S. 234-255, hier S. 236. 53
Lee, Impact, S. 248.
In Frankfurt waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts 61 Prozent der Bevölkerung evangelisch und 32 Prozent katholisch, in Breslau 60 Prozent evangelisch und 36 Prozent katholisch. Berechnet aus Preussische Statistik 206, I (1908), S. 25 und 74; Gesundheits- und Wohlfahrtspflege der Königl. Haupt- und Residenzstadt Breslau. Festschrift herausgegeben vom Magistrat der Königl. Haupt- und Residenzstadt Breslau, Breslau 1912, S. 20. 54
55
Vgl. Kapitel II und insbesondere Tabelle 2.18.
56
Prinzing, Kindersterblichkeit in den europäischen Staaten, S. 599.
2. Wirtschaftliches Wachstum und städtische Gesundheitsverhältnisse
185
Deutschland von einem getreideexportierenden zu einem -importierenden Land transformierten. Dies destabilisierte die wirtschaftliche Grundlage der getreideproduzierenden Regionen, wie etwa das nördliche Bodenseegebiet 57 Ihrer traditionellen Funktion als Komkammer der stärker protoindustrialisierten Nordostschweiz beraubt, scheiterten die Bemühungen, neue Einkommensquellen zu erschließen. Als Folge sank der Lebensstandard der Menschen in diesem Gebiet, begleitet von einem Anstieg der Sterberaten. Umgekehrt profitierten von den sinkenden Getreidepreisen andere Gebiete, die auf den Kauf von Getreide angewiesen waren. Die billigen Kompreise kamen insbesondere den Städten zugute.58 Dennoch blieben auf den ersten Blick konfessionelle Unterschiede in der Säuglingssterblichkeit bestehen. In der Stadt Konstanz beispielsweise lagen die Säuglingssterblichkeitsraten unter der katholischen Bevölkerung mehr als doppelt so hoch wie unter der evangelischen. Dieser Unterschied spiegelt allerdings weniger konfessionelle denn soziale Unterschiede wider: Die protestantische Oberschicht der Stadt lebte unter wesentlich besseren wirtschaftlichen Bedingungen als der katholische Teil der Bevölkerung.59 Während sich konfessionelle Unterschiede innerhalb Deutschlands zunehmend verwischten oder Ausdruck der sozioökonomischen Lage wurden, so bleibt darauf hinzuweisen, daß, international gesehen, kulturelle Faktoren durchaus eine Rolle spielten. Beispielsweise waren um die Jahrhundertwende in den USA berufsspezifische Unterschiede wesentlich geringer ausgeprägt als ethnische Variationen. 60 Irische und deutsche Familien behielten auch in der Neuen Welt ihre im 19. Jahrhundert traditionell hohen Säuglingssterblichkeitsraten. Allgemein bleibt festzuhalten, daß das Leben und Überleben eines Säuglings noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts häufig nicht viel galt. Im Gegenteil, bürgerliche Beobachter beklagten ständig, daß man - hauptsächlich in den unteren Schichten - der hohen Säuglingssterblichkeit nicht nur indifferent, sondern durchaus auch positiv gegenüberstand. So äußerte sich etwa Marie Baum, die Geschäftsfuhrerin des Düsseldorfer Vereins flir Säuglingsflirsorge - darauf wird in Kapitel V ausfuhrlieh eingegangen -, schockiert über das "grauenhafte Wort" mancher Frauen, daß die Nachbarin "Glück im Sterben" gehabt habe. 61 Dennoch ist beim derzeitigen Forschungsstand Vorsicht geboten, wenn auf kulturelle Faktoren verwiesen wird. Oft wird dieser Begriff entweder bis zur Bedeutungslosigkeit ausgeweitet oder fungiert als Restkategorie, auf die zu-
57 58
Vögele, Getreidemärkte, S. 37. Dick/er, Labour Market Pressure.
59 Vgl. H. Krümmer, Wirtschafts- und Sozialstruktur von Konstanz in der Zeit von 1806 bis 1850, Sigmaringen 1973, S. 37-39 und S. 97-102. 60 S. H. Preston IM R. Haines, Fatal Years. Child Mortality in Late Nineteenth-Century America, Princeton 1991. 61
M Baum, Rückblick aufmein Leben, Heidelberg 1950, S. 144.
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111. Lebensstandard, Wohnverhältnisse und soziale Ungleichheit
rückgegriffen wird, wenn andere Faktoren nicht zu greifen scheinen.62 Bei genauerer Analyse werden dann unter Umständen handfeste ökonomische, soziale oder ökologische Beschränkungen entdeckt. Die angedeuteten Zusammenhänge drängen deshalb sofort die Frage nach der differentiellen sozialen Verteilung der Lebenschancen auf. In Preußen zum Beispiel sank die Säuglingssterblichkeit bei Arbeitern vor dem Ende des 19. Jahrhunderts nicht ab, so daß sich die sozialspezifischen Unterschiede im Niveau der Säuglingssterblichkeit sogar verstärkten. 63 Erst das fortschreitende 20. Jahrhundert brachte einen Rückgang der Säuglingssterblichkeit in allen sozialen Gruppen. Es gilt deshalb im folgenden, die soziale Ungleichheit vor Krankheit und Tod herauszuarbeiten.
3. Dimensionen sozialer Ungleichheit vor Krankheit und Tod Sterben müssen zwar alle Menschen, dennoch sind die Risiken vor Krankheit und Tod nach wie vor gesellschaftlich ungleich verteilt und abhängig etwa von Alter, Geschlecht, Region und, in diesem Kapitel Gegenstand der Untersuchung, von sozialer Zugehörigkeit. Innerhalb der industrialisierten Gesellschaften Westeuropas, der USA und Japans sind diese Unterschiede heutzutage scheinbar relativ gering ausgeprägt und werden häufig übersehen. Ein jeder geht in seiner Lebensplanung von 'sicheren Jahren' aus. Kinder überleben in der Regel ihre Eltern, und der Tod findet fernab in Kliniken und Pflegeheimen statt. Doch schon ein Blick in die von Hunger und zahlreichen Seuchen, wie etwa Cholera und AIDS, geschüttelten Länder Afrikas und Südamerikas eröffnet einen Einblick in die global ungleich verteilten Sterberisiken. Aber auch in der industrialisierten Welt lassen sich bei genauerem Hinsehen immense Differenzen in den Lebenschancen aufdecken. Unter der männlichen schwarzen Bevölkerung der Vereinigten Staaten von Amerika lag die Lebenserwartung bei der Geburt im Jahr 1996 6,7 Jahre unter derjenigen der entsprechenden weißen Bevöl.kerung;64 diese verkürzte Lebenszeit wird eindeutig auf die im Durchschnitt geringeren Einkommen und einen niedrigeren sozialen und wirtschaftlichen Status der Schwarzen in den USA zurückgeführt. Angesichts des Wiederauftretens längst überwunden geglaubter Seuchen und lnfektionskrankhei-
62 Vgl. etwa die entsprechenden Beiträge in der Zeitschrift Health Transition Review. The cultural, social and behavioural determinants ofhealth I (1991)ff. 63 Spree, Soziale Ungleichheit, S. 56-66. 64 U.S. Department of Health and Human Services, Vital Statistics Report 1996, WWW-Press Release 11 .9.1987, S. 3.
3. Dimensionen sozialer Ungleichheit vor Krankheit und Tod
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ten, wie etwa der Tuberkulose, mag ein kurzer Rekurs in die eigene, häufig nicht einmal so ferne Vergangenheit nicht nur eine präzise historische Analyse liefern, sondern auch allgemein die Sensibilität für die ungleiche Verteilung der Lebenschancen schärfen. Schon die mittelalterliche Pest betraf verstärkt Berufsgruppen, in deren Häusern Nahrungsmittel aufbewahrt und die so zum bevorzugten Schlupfwinkel für Ratten wurden, während Personen, die ein mit Lärm verbundenes Handwerk ausübten, etwa die Schmiede, die Tiere verscheuchten und entsprechend weniger von der Seuche betroffen waren. 65 Der Adel suchte sein Heil häufig in der Flucht. 66 Klassisches Beispiel dafür ist die Rahmenhandlung von Boccaccios Novellensammlung Dekameron: 67 Zur Zeit der großen Pest von 1348 haben sich zehn Personen aus der Stadt Florenz auf ein nahegelegenes Landgut geflüchtet und erzählen sich dort die berühmten Geschichten. Allerdings, wie von Edgar Allan Poe in den 1840er Jahren in 'The masque of the Red Death' literarisch verarbeitet, war dies nicht immer von Erfolg gekrönt, da die Flüchtenden oft bereits infiziert waren und auf diese Art und Weise sogar zur Verbreitung der Seuche beitrugen.68 Insgesamt jedoch war die soziale Ungleichheit besonders hinsichtlich der großen Seuchen in der vorindustriellen Gesellschaft relativ gering ausgeprägt. Dies änderte sich mit der einsetzenden Industrialisierung. Bereits zeitgenössische Statistiker des 19. Jahrhunderts wiesen auf die erhöhte Sterblichkeit der armen Bevölkerung hin. Epidemische Krankheiten verbreiteten sich rasch bei den ungenügenden sanitären Verhältnissen insbesondere in den Städten, wo die Lebensbedingungen für die Unterschichten allgemein schlecht waren. Während viele Zeitgenossen dies auf fehlende Moral und Ignoranz der Unterschichten 65 Vgl. dazu noch immer eine der besten und grundlegensten Lokalstudien zur Pest von E. Wöhlkens, Pest und Ruhr im 16. und 17. Jahrhundert. Grundlagen einer statistisch-topographischen Beschreibung der großen Seuchen, insbesondere in der Stadt Uelzen, Hannover 1954, insbesondere S. 70-75. Vgl. ferner N. Bulst, Vier Jahrhunderte Pest in niedersächsischen Städten, in: C. Meckseper (Hg.), Stadt im Wandel. Kunst und Kultur des Bürgertums in Norddeutschland 1150-1650. Ausstellungskatalog, Bd. 4, Stuttgart!Bad Cannstadt 1985, S. 251-270; N. Bulst I R. Deiort (Hgg.), Maladies et Societe (XIIe-XVIIIe siecle). Actes du colloque de Bielefeld, Nov. 1986, Paris 1989. Als klassische Arbeit zur Pest sei noch immer empfohlen: G. Sticker, Abhandlungen aus der Seuchengeschichte und Seuchenlehre, Bd. I : Die Pest, Erster Teil : Die Geschichte der Pest, Gießen 1908; Bd. I : Die Pest, Zweiter Teil : Die Pest als Seuche und Plage, Gießen 1910. 66 Dies ist zu bedenken bei Untersuchungen über die soziale Ungleichheit vor der Pest oder anderen epidemisch auftretenden Seuchen nach Stadtteilen oder Straßen. Die niedrige Sterblichkeit in den Vierteln der wohlhabenderen Bevölkerung mag zumindest zum Teil darauf zurückzufuhren sein, daß diese schlicht nicht anwesend war, sondern versuchte, sich durch Flucht einer Ansteckung zu entziehen. 67 G. Boccaccio, Das Dekameron, München 1971 (erster Druck 1470); G. Boccaccio, Poesie nach der Pest. Der Anfang des Dekameron, Mainz 1992. 68 E. A. Poe, Complete Stories and Poems ofEdgar Allan Poe, New York, 1966.
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III. Lebensstandard, Wohnverhältnisse und soziale Ungleichheit
schoben und sie fur eine Bedrohung der Gesellschaft hielten, betonen moderne Historiker die schwierigen Lebensumstände. Seit den Arbeiten von Louis Chevalier in den 1950er Jahren ist dieses Thema Gegenstand zahlreicher historischer Untersuchungen gewesen. 69 Danach verstärkten sich die sozialen Disparitäten von Gesundheit und Lebenserwartung seit der Mitte des 18. Jahrhunderts. Nach Arthur E. Imhof erreichten sie ihren Höhepunkt in Deutschland zwischen 1860 und 1880 im Zuge der Industrialisierung. 70 Während die höheren Schichten zunehmend von verbesserter Hygiene und besonders von einer günstigeren Ernährungslage profitierten, schufen Urbanisierung und Industrialisierung schwierige Lebensbedingungen fur die unteren Schichten. Rapide steigende Bevölkerungszahlen brachten neue, bislang nicht gekannte Gesundheitsrisiken. Überfullte Wohnungen, katastrophale Arbeitsbedingungen, fehlende sanitäre Einrichtungen und mangelhafte Ernährung schraubten die Sterberate in den Städten nach oben. Wiederholte verheerende Cholerazüge seit den 1830er Jahren machten die Städte schließlich zu Todesfallen. Häufig waren die meisten Opfer von Krankheit und Tod unmittelbar in der schwächsten Bevölkerungsgruppe, den Säuglingen, zu finden . Entsprechend konzentriert sich die historische Forschung auf die soziale Ungleichheit im Spiegel der Säuglingssterblichkeit, der großen Seuchen - insbesondere der Cholera - sowie der Tuberkulose. Als sich die Zeitgenossen um die Jahrhundertwende intensiv mit der Säuglingssterblichkeit auseinanderzusetzen begannen, unterstrichen sie wiederholt die unterschiedliche Höhe der Sterberaten nach 'Wohlhabenheit'.71 Dazu faßten sie ihre Daten nach Straßenzügen, nach Steueraufkommen oder nach Beruf der Eltern zusammen. Aufgrund dieser unterschiedlichen Erhebungseinheiten sind die Daten zwar kaum vergleichbar, vermitteln aber doch einen deutlichen Eindruck der Dimensionen sozialer Ungleichheit hinsichtlich der Säuglingssterblichkeit. In Bremen etwa betrug die Säuglingssterblichkeit der ärmeren Bevölkerung um die Jahrhundertwende das Fünffache derjenigen der wohlhabenden Einwohner. 72 Georg Lomatsch untersuchte fur Sachsen ebenfalls um die Jahr69 L. Chevalier, Classes laborieuses et classes dangereuses a Paris pendant Ia premiere moite du X!Xe siecle, Paris 1958. Einen Überblick über die Forschung in Frankreich, England und Deutschland gibt H Kae/ble, Industrialisation and Social Inequality in 19th-Century Europe, Leamington Spa 1986. Für Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert zusammenfassend F. Rothenbacher, Soziale Ungleichheit im Modemisierungsprozeß des 19. und 20. Jahrhunderts, Frankfurt a. M. 1989. Für Schweden siehe A. Brändström I L.-G. Tedebrand (Hgg.), Health and Social Change. Disease, health and public care in the Sundsvall district 1750-1950, Umeä, 1993. 70
Imhof, Die gewonnenen Jahre, S. 14lff.
71 Zusammenfassung
des damaligen Forschungsstandes beiM Masse I G. Tugendreich, Einleitung, in: M. Mosse I G. Tugendreich (Hgg.), Krankheit und Soziale Lage, München 1913, S. 3-23. 72 J. Funk, Die Sterblichkeit nach sozialen Klassen in der Stadt Bremen, in: Mitteilungen des Bremischen Statistischen Amts im Jahre 1911, Heft I (1911), S. 1-12, hier S. 10.
3. Dimensionen sozialer Ungleichheit vor Krankheit und Tod
189
hundertwende die differentielle Säuglingsterblichkeit nach dem Beruf der Eltern. Danach lag beispielsweise die Sterberate von ehelichen Kindem bei Fabrikarbeitern mit 31,6 (pro 100 Geborene) nahezu dreimal so hoch wie bei höheren Beamten mit 11,1.73 Während diese Untersuchungen lediglich Momentaufnahmen bieten, hat Reinhard Spree die immensen Unterschiede in der Säuglingssterblichkeit nach dem Beruf der Eltern auf der Basis preußischer Regierungsbezirke systematisch herausgearbeitet und nachgewiesen, daß die sozialen Unterschiede bezüglich der Säuglingssterblichkeit im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert trotz eines allgemein steigenden Lebensstandards zunahmen.74 Dies war durch ein stärkeres Absinken der Säuglingssterblichkeit vor allem in der Gruppe der Beamten, Selbständigen und Angestellten bedingt. Exorbitant hohe Sterberaten herrschten dagegen weiterhin unter den Kleinkindern von Dienstboten und Gesinde. Hier trieb der hohe Anteil der unehelichen Kinder, der beim ländlichen Gesinde zwischen 20 und 50 Prozent, bei städtischen Dienstboten zwischen 50 und 70 Prozent schwankte, die Sterberaten in die Höhe. Spree hat jedoch weiterhin darauf aufmerksam gemacht, daß die soziale Ungleichheit im Spiegel der Säuglingssterblichkeit nicht deckungsgleich mit der spezifischen Schichtenzugehörigkeit und entlang der Linien von Kapital und Arbeit verlief, der Sterblichkeitswandel in Deutschland also nicht ausschließlich mit ökonomischen Faktoren erklärt werden kann. 75 Das ist nicht weiter verwunderlich, wurde doch bereits im zweiten Kapitel darauf aufmerksam gemacht, daß das Stillen der Säuglinge sozial ausgleichend auf die Überlebenschancen der Säuglinge wirkte, während die sozialen Unterschiede insbesondere bei künstlicher Ernährung in ihrer vollen Schärfe auftraten. 76 Dazu noch einmal ein Beispiel: Nach Erhebungen in Hannover und Linden im Jahr 1912 lag die Säuglingssterblichkeit bei einem Einkommen von un:ter 1.800 Mark unter den gestillten Säuglingen bei 9,6 (pro 100 Geborene), unter den künstlich ernährten bei 27,3; bei einem Einkommen von über 1.800 Mark lagen die entsprechenden Werte bei 5,8 und 11,2. 77 Aber es wirkten auch noch andere 13 G. Lommatsch, Die Säuglingssterblichkeit in den Jahren 1899 bis 1903 mit Rücksicht auf den Beruf der Eltern, in: Zeitschrift des König!. Sächsischen Statistischen Landesamtes, 52 (1906), S. 17-159, hier S. 134-135. 14 Spree, Soziale Ungleichheit; R. Spree, On Infant Mortality Change in Germany since the Early 19th Century, München 1995, insbesondere S. 14-17. 15 Für einen neueren Überblick zu dieser Problematik allgemein siehe M R. Haines, Conditions of Work and Mortality Decline, in: R. Schofield I D. Reher I A. Bideau (Hgg.), The Decline ofMortality in Europe, Oxford 1991, S. 177-195.
16
Vgl. Kapitel II 4.
K. Seutemann, Säuglingsernährung und Säuglingssterblichkeit in der Stadt Hannover, in: Säuglingsernährung, Säuglingssterblichkeit und Säuglingsschutz in den Städten Hannover und Linden, veröffentlicht von dem Komitee zur Ermittlung der Säuglingsernährung in HannoverLinden, Berlin 1913, S. 34-74, hier S. 69. Zu Linden vgl. auch Rosenbaum, Proletarische Familien, S. 84-91. 11
190
III. Lebensstandard, Wohnverhältnisse und soziale Ungleichheit
Faktoren auf diesen Zusammenhang. Naomi Williams hat kürzlich an englischen Beispielen eindrucksvoll herausgearbeitet, daß schichtenspezifische Unterschiede in der städtischen Säuglingssterblichkeit bei schlechten Umweltbedingungen besonders akzentuiert auftraten. 78 Zu den permanent herrschenden ungünstigen Gesundheitsverhältnissen kamen wiederholt Epidemien. Die am meisten gefürchtete Seuche des 19. Jahrhunderts, die Cholera, suchte ihre Opfer in der Regel besonders unter den ärmeren Teilen der Bevölkerung.79 In den englischen Städten Liverpool, London und Hull wütete sie in den armen Stadtteilen, während die reicheren Distrikte von den Epidemien weitgehend verschont blieben. 80 Die letzte große CholeraEpidemie, die Westeuropa zu Beginn der 1890er Jahre heimsuchte und von der Harnburg mit über 8.000 Todesfallen als einzige europäische Großstadt betroffen war, ist besonders gut dokumentiert. Die Mortalität an Cholera, differenziert nach der Zugehörigkeit zu verschiedenen Steuerklassen, legt offen, daß der Unterschied zwischen den Einkommensgruppen gleichbedeutend mit einem Unterschied in der Sterbehäufigkeit war: Während bei einem Jahreseinkommen von 800 - 1.000 Mark 62 von 1.000 Steuerzahlern starben, waren dies bei einem Jahreseinkommen von 5.000 - 10.000 Mark 16, bei einem Jahreseinkommen über 50.000 Mark sogar lediglich 5 Personen. 81 Indizien weisen darauf hin, daß Hamburgs wohlhabende Bevölkerung während der Epidemie peinlich auf Sauberkeit achtete. 82 Nicht nur Milch, Trink- und Spülwasser wurden abgekocht, sondern selbst das Wasser zum Reinigen der Fußböden, während viele Arme, die in Ufernähe wohnten, die eigens aufgestellten Verbotstafeln ignoriert und das Wasser weiterhin aus der Eibe geschöpft haben sollen. Allerdings blieben die Grenzen durchlässig. Die Epidemie erreichte die Bessergestellten über soziale Kontakte und über die zentrale Wasserversorgung. Und, einmal an der Cholera erkrankt, war das Risiko, an ihr zu sterben, flir arm und
78 N. Williams, Death in its Season: Class, Environment and the Mortality of Infants in Nineteenth-Century Sheffield, in: Social History ofMedicine 5 (1992), S. 71-95. 79 Barbara Dettke schreibt in ihrer Dissertation über die erste Cholerapandemie 1830/31 der Seuche zumindest in den preußischen Ostprovinzen dagegen eher nivellierende Eigenschaften zu. - Vgl. B. Dellke, Die Asiatische Hydra. Die Cholera von 1830/31 in Berlin und den preußischen Provinzen Posen, Preußen und Schlesien, Berlin 1995.
so F B. Smith, The People's Health 1830-1910, London 1979, S. 229-238.
u Die Gesundheitsverhältnisse Hamburgs im neunzehnten Jahrhundert. Den ärztlichen Theilnehmern der 73. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte gewidmet von dem MedicinaiCollegium, Harnburg 1901, S. 261. " 2 R. Evans, Death in Hamburg. Society and Politics in the Cholera Years 1830-1910, Oxford 1987, S. 409-410.
3. Dimensionen sozialer Ungleichheit vor Krankheit und Tod
191
reich gleich groß, die Letalität schwankte für nahezu alle Einkommensgruppen zwischen 50 und 57 Prozent. 83 Die klassische Krankheit der Armen im 19. Jahrhundert war jedoch die Tuberkulose.84 Obwohl die bekannten, von Robert Koch entwickelten Tuberkulintests eröffneten, daß nahezu alle Erwachsene den Erreger trugen, starben Arbeiter und Ungelernte weit häufiger an dieser Krankheit als Angestellte und Selbständige. Ein zeitgenössisches Beispiel für die Städte Breslau, Harnburg und Charlottenburg zeigt die Dimension sozialer Ungleichheit gegenüber der Sterblichkeit an Tuberkulose (Tabelle 3.1). In Harnburg und Charlottenburg lagen die Sterberaten in den Bezirken mit geringem Einkommen um ein Vielfaches höher als in den wohlhabenden Bezirken, auch in Breslau ist die differentielle Sterblichkeit deutlich zu erkennen, allerdings war sie dort, möglicherweise aufgrund einer anderen Einkommensskalierung, weniger ausgeprägt. Tabelle 3.1 Sterblichkeit an Lungentuberkulose in Breslau (1891 - 1900), Harnburg (1896- 1900) und Charlottenburg 1908- 1912) nach durchschnittlichem Einkommen pro Stadtteil bzw. Familieneinkommen (pro 10.000 Lebende) Breslau FamilienSterbeeinkommen Rate 36,1 unter 300 Mk. 300-400 37,8 400-500 31,4 500-600 28,7 600-700 31,8 700-800 25,6 800-900 25,6 Über 900 21,7
Harnburg FamilienSterbeeinkommen rate 900- 1.200 65,7 55,9 1.200- 2.000 2.000- 3.500 36,3 3.500- 5.000 22,8 5.000-10.000 18,3 10.000-25.000 17,2 25.000-50.000 22,1
Charlottenburg FamilienSterbeeinkommen rate 16,3 Unter 900 900-3.000 9,2 3000-6.500 4,5 3,3 Über 6.500
Quelle: 'F. Winkler, Tuberkulose und Wohnung in Charlottenburg, in: Zeitschrift fllr Tuberkulose 22 (1914}, S. 313 • 342, hier S. 316 und S. 318.
83 Ausnahmen bildeten die beiden höchsten Einkommensklassen von 25.000-50.000 und über 50.000 Mark mit einer Letalität von 64 bzw. 80 Prozent. Allerdings waren hier die Fallzahlen zu gering (es erkrankten lediglich 25 Personen), um aussagekräftig zu sein. Berechnet aus Gesundheitsverhältnisse Hamburgs, S. 261. Vgl. auch Evans, Death in Hamburg, S. 408. 84 Zusammenfassend D. Blasius, Tuberkulose: Signalkrankheit deutscher Geschichte, in: GWU 5/6 (1996), S. 320-332.
192
III. Lebensstandard, Wohnverhältnisse und soziale Ungleichheit
Im europäischen Kontext wurde auf die Dimension sozialer Ungleichheit hingewiesen. Der berühmte französische Statistiker Jacques Bertillon demonstrierte diese an den Städten Paris, Berlin und Wien (Tabelle 3.2). Auch wenn äie Kriterien für seine Gliederung der Stadtbezirke in 'sehr reich', 'reich', 'wohlhabend' und 'arm' recht unpräzise bleiben, kommt die soziale Ungleichheit klar zum Ausdruck. In Berlin lag die Sterblichkeit an Lungentuberkulose in den armen Bezirken doppelt so hoch wie in den sehr reichen, in den Armenvierteln von Paris und Wien betrug sie mehr als das Dreifache. Tabelle 3.2 Sterblichkeit an Lungentuberkulose in Paris, Berlin und Wien nach Einkommen (pro 10.000 Lebende)
Bezirke Sehr reich Reich Wohlhabend Arm
Paris 1886-95 15,3 26,6 41,5 52,2
Berlin 1886-95 15,8 21,4 31 ,8 30,5
Wien 1891-97 14,8 32,1 42,2 55,8
Quelle: J. Bertillon, Mouvements de population et causes de deces selon le degre d'aisance a Paris, Berlin, Vienne, in: Xe Congres international d'Hygiene et de Demographie Paris en 1900, Compte Rondu, Paris 1900, S. 961 - 970, hier S. 969.
a
Einen systematischen Zugang zu den Dimensionen sozialer Ungleichheit vor Krankheit und Tod bietet eine Untersuchung der berufsspezifischen Gesundheitsverhältnisse, im Englischen etwas eleganter als 'Occupational Hea1th' bezeichnet, d.h., die Sterblichkeit wird nach verschiedenen Berufsgruppen ausdifferenziert. Verfolgt man die sich ändernde Wechselbeziehung von Gesundheit und der beruflich bedingten sozialen Schichtenzugehörigkeit über die Zeit, erlaubt dies eine Evaluierung des Faktors Lebensstandard auf die Gesundheitsverhältnisse. Hier stellen sich jedoch gleich mehrere Probleme ein. Zwar wurden zahlreiche einschlägige Erhebungen von den Zeitgenossen zur Sterblichkeit einzelner Berufsgruppen durchgeführt, auf keinem anderen Gebiet, so einer der führenden Statistiker der damaligen Zeit (F. Prinzing), existiere aber so viel sinn- und damit wertloses Material. 85 Zunächst sind die historischen Daten zur berufsspezifischen Sterblichkeit unbefriedigend. Das Material ist sehr heterogen; lokale Erhebungen beziehen sich häufig nur auf erwachsene Männer in ausgewählten Berufen. Entscheidend ist aber, daß entsprechende Infor-
85 Vgl. dazu auch P. Mayet, Berufliche Morbiditätsstatistik, in: F. Zahn (Hg.), Die Statistik in Deutschland nach ihrem heutigen Stand, Bd. I, München 1911, S. 362-386.
3. Dimensionen sozialer Ungleichheit vor Krankheit und Tod
193
mationen über die Risikobevölkerung fehlen: So ist zwar fiir zahlreiche Städte des Sampies die absolute Zahl der Todesfcille in bestimmten Berufsgruppen bekannt, ohne genaue Angaben über die aktuelle Zahl und die Altersstruktur der in diesen Gruppen beschäftigten Menschen kann ein berufsspezifisches Sterberisiko allerdings nicht ermittelt werden. Hier könnte nur eine sehr aufwendige sogenannte 'Record-Linkage'-Studie auf lokaler Ebene Abhilfe schaffen, die verschiedene Datenquellen kombiniert, welche sowohl die Berufsangaben als auch die vitalstatistischen Ereignisse namentlich erfassen. Allerdings liegen solche Daten leider nur vereinzelt vor. Selbst deren Bearbeitung erforderte die Aufbereitung einer immensen Datenmenge. Erschwerend kommt hinzu, daß bereits die Zeitgenossen darauf hinwiesen, daß die Berufsgruppen der offiziellen Statistik viel zu grob sind, um die tatsächliche Verteilung von Wohlstand abzubilden. 86 Und nicht zuletzt trägt der Historiker auch bei der Umkehrung dieser Frage Bedenken: Zwar bestehen viele Berufsgruppen über den gesamten Zeitraum, sind diese Kategorien aber inhaltlich vergleichbar gefiillt? Ist beispielsweise ein gelernter Arbeiter in den 1870er Jahren vergleichbar mit einem solchen zu Beginn des 20. Jahrhunderts? Und bleiben die Abgrenzungen zwischen den einzelnen groben Berufsgruppen gleich? Schließlich befinden wir uns im Zeitalter einer intensiven Urbanisierung und Industrialisierung, also in einer Periode grundlegender gesellschaftlicher und ökonomischer Veränderungen. Eine direktere Verbindung zwischen ökonomischer Situation bzw. Entwicklung und der demographischen Entwicklung kann durch eine Untersuchung der primären wirtschaftlichen Grundlage der ausgewählten Städte erreicht werden. Konkret heißt das, wenn der Lebensstandard eine grundlegend treibende Kraft des Sterblichkeitswandels war, sollten sich Unterschiede in der Höhe und Entwicklung der Sterblichkeit in den einzelnen Städten auf aggregierter Ebene manifestieren, die Ausdruck ihrer wirtschaftlichen Grundlage sind. Besonders deutlich sollten diese zu Beginn der Untersuchungsperiode zutage treten, denn nach der Jahrhundertwende ebneten sich die Unterschiede zwischen den Städten trotz weiterhin bestehender regionaler Besonderheiten wahrscheinlich ein, da Verbesserungen der Ernährung als Folge des entstehenden Weltmarktes in allen Städten zum Tragen kamen. Das würde auch die augenfälligen Gemeinsamkeiten der westeuropäischen Entwicklung erklären. Die Analyse konzentriert sich deshalb im folgenden zunächst auf die Wechselbeziehung zwischen wirtschaftlicher Grundlage der zehn Städte und ihrem
' 6 F. Prinzing, Die Gesundheitsstatistik, in: R. Abel (Hg.), Handbuch der praktischen Hygiene, Bd. I, Jena 1913, S. 13-42, hier S. 31; H. Silbergleit, Kindersterblichkeit in europäischen Grossstädten, in: Huitieme Congres International D'Hygiene Et Oe Demographie, Tome VII, Budapest 1896, S. 443-456, hier S. 456.
13 Vögele
194
III. Lebensstandard, Wohnverhältnisse und soziale Ungleichheit
Sterblichkeitsniveau auf der Basis etablierter ökonomischer Klassifikationen. Anband der Ergebnisse der Berufszählung von 190787 und methodischen Ansätzen, wie sie von H. H. Blotevogel,88 M. Hietala89 und H.-D. Laux90 entwickelt wurden, werden die zehn ausgewählten Städte auf der Basis ihrer primären wirtschaftlichen Funktion und ihrer Berufsstruktur analysiert. 91 Dabei muß berücksichtigt werden, daß das Zensus-Material ein relativ statisches Bild der sozioökonomischen Struktur einer Stadt wiedergibt. Diachrone Aspekte bleiben ausgeschlossen, obwohl sie gegebenenfalls eine bedeutende Rolle spielten. H.-D. Laux behauptet zwar, daß, sobald der funktionale Charakter einer Stadt sich etabliert hatte, dieser auch über die Zeit stabil blieb. 92 Das mag ftir einen großten Teil der Städte zutreffen, stimmt aber beispielsweise keinesfalls ftir die Stadt Düsseldorf, die sich, wie bereits erwähnt, innerhalb weniger Jahrzehnte von einer relativ kleinen Residenz- und Garnisonsstadt in eine moderne Industriestadt mit kommerziellen und administrativen Funktionen wandelte. Weiterhin haben großflächige Eingemeindungen, wie sie zum Beispiel in Berlin stattfanden, die ökonomische Grundlage substantiell beeinflussen können.93 Dieser Beschränkungen eingedenk, werden im folgenden die Beziehungen zwischen Berufsstruktur und ausgewählten Indikatoren städtischer Sterblichkeit erkundet. Als Indikatoren der Sterblichkeit wurden neben der Gesamtsterblichkeit die Sterberaten an Tuberkulose und an Abdominaltyphus als Vertreter der beiden Hauptkrankheitskomplexe ausgewählt, da sie im wesentlichen berufstätige erwachsene Menschen betrafen. Im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Ländern ist eine Klassifizierung der Städte nach ihrer ökonomischen Basis ftir Deutschland nicht eindeutig
87 Die Ergebnisse sind veröffentlicht in: Statistik des Deutschen Reichs NF 207 (1909/10). Zu den Gewerbe- und Berufszählungen im Deutschen Reich vgl. Hoffmann, Wachstum, S. 182-185. 88 H. H. Blotevoge/, Methodische Probleme der Erfassung städtischer Funktionen und funktionaler Städtetypen anhand quantitativer Analysen der Berufsstatistik 1907, in: W. Ehbrecht (Hg.), Voraussetzungen und Methoden geschichtlicher Städteforschung, Wien 1979, S. 217-269. 89 M Hietala, Services and Urbanization at the Turn of the Century. The Diffusion of Innovations, Helsinki 1987.
90 H.-D. Laux, Demographische Folgen des Verstädterungsprozesses. Zur Bevölkerungsstruktur und natürlichen Bevölkerungsentwicklung deutscher Städtetypen 1871-1914, in: H. J. Teuteberg (Hg.), Urbanisierung im 19. und 20. Jahrhundert. Historische und geographische Aspekte, Köln 1983, S. 65-93.
91 Vgl.
dazu auch die kurze Charakterisierung der ausgewählten Städte in Kapitel I 3. H.-D. Laux, The Components ofPopulation Growth in Prussian Cities, 1875-1905 and their lnfluence on Urban Population Structure, in: R. Lawton IR. Lee (Hgg.), Urban Population Development from the Late-Eighteenth to the Early-Twentieth Century, Liverpool 1989, S. 120-148. 93 Auch in Frankfurt am Main wurde die industrielle Komponente durch Eingemeindungen zunehmend verstärkt. Vgl. D. Rebentisch, Industrialisierung, Bevölkerungswachstum und Eingemeindung. Das Beispiel Frankfurt am Main 1870-1914, in: J. Reulecke (Hg.), Die deutsche Stadt im Industriezeitalter, Wuppertal 1978, S. 90-113, hier S. II I. 92
3. Dimensionen sozialer Ungleichheit vor Krankheit und Tod
195
durchzufiihren, da ein Großteil der Städte multifunktionalen Charakter aufwies. 94 Dies wurde verstärkt durch ein starkes föderalistisches Element, das auch nach der politischen Vereinigung im Jahr 1871 weiterbestand. Damit kamen zahlreichen Städten aus dem Sampie zusätzlich Regierungsfunktionen zu, da sie Hauptstädte von Bundesstaaten waren. Dies mag erklären, warum in den erwähnten Versuchen, die Städte zu klassifizieren, häufig die Komponente Verwaltung auftaucht (siehe Tabelle 3.3). Trotz des multifunktionalen Charakters waren die Strukturen der ausgewählten Städte nach den Resultaten der Berufszählung von 1907 klar dominiert von Arbeitern, die in der Kategorie Industrie, Bergbau und Bauwesen zusammengefaßt wurden. Ihr Anteil lag im Durchschnitt der zehn größten Städte bei 45 Prozent der gesamten arbeitenden Bevölkerung und reichte von 36 Prozent in Harnburg und München bis zu 58 Prozent in Nümberg. Zweitstärkste Gruppe mit durchschnittlich 24 Prozent waren im Handel, Verkehr und in der Gastronomie beschäftigte Personen. Harnburg bildete mit 37 Prozent die Spitze, an letzter Stelle lag Nürnberg, wo nur 19 Prozent im Handel tätig waren. Die Hansestadt Harnburg ist gleichzeitig die einzige Stadt im Sample, in der mehr Personen im Handel als in der Industrie beschäftigt waren. Im Staatsdienst und in freien Berufen tätige Personen bildeten mit weitem Abstand die drittstärkste Gruppe (Tabelle 3.3). 95 Hier dominierten München und Dresden mit 11 bzw. 10 Prozent, am unteren Ende der Skala lagen Hamburg, Nürnberg und Leipzig mit jeweils 6 Prozent. Stellt man diese Ergebnisse ausgewählten Indikatoren der Sterblichkeit gegenüber, zunächst der Gesamtsterblichkeit, dann den Sterberaten von Tuberkulose und Typhus, erscheint das Niveau der Sterblichkeit in den ausgewählten Städten insgesamt relativ unabhängig von der wirtschaftlichen Grundlage. Ob Industrie, Handel oder Regierungsverwaltung eine zentrale Aktivität waren, ist zumindest nach dieser groben Betrachtungsweise kein signifikanter Faktor fiir die Gesundheitsverhältnisse. 96 So haben beispielsweise diejenigen Städte mit dem geringsten Anteil von in der Industrie beschäftigten Arbeitern (München, Harnburg und Frankfurt am Main) vollkommen unterschiedliche Positionen in Tabelle 3.3, in der die Städte nicht alphabetisch, sondern nach der Höhe ihrer
94 Blotevogel, Methodische Probleme; P. Schäl/er, Die Großstadt des 19. Jahrhunderts - ein Umbruch der Stadtgeschichte, in: H. Stoob (Hg.), Die Stadt. Gestalt und Wandel bis zum industriellen Zeitalter, Köln 1985, S. 275-314, hier S. 283; Laux, Components.
95 Alle Berufsgruppen des Zensus wurden in die Analyse einbezogen; in Tabelle 3.3 sind jedoch lediglich die wichtigsten dargestellt.
96 Die Korrelationskoeffizienten von den Anteilen der Werktätigen in den Hauptberufsgruppen (1907) und der rohen allgemeinen Sterberate (1900-1913) liegen durchweg niedrig: Industrie: r = 0,0176, p (zweiseitig) = 0,962; Handel: r =-0,3727, p (zweiseitig) = 0,289; Staatsdiener: r = 0,1921, p (zweiseitig) = 0,595. Quellen: Siehe Tabelle 3.3.
196
III. Lebensstandard, Wohnverhältnisse und soziale Ungleichheit
Gesamtsterblichkeit geordnet sind. Selbstverständlich mag auch dies wieder ein Resultat der vereinfachten Klassifikation sein. Insgesamt jedoch hatte die regionale Verteilung der Sterblichkeitsmuster, insbesondere der starke Ost-WestGradient, - gemessen an der rohen allgemeinen Sterberate - einen stärkeren Einfluß auf das Niveau der städtischen Sterblichkeit. Ähnlich schwach ausgeprägt sind die Korrelationskoeffizienten bei Beruf und Tuberkulose. 97 Hinsichtlich der Sterblichkeit an Tuberkulose wiesen die neuen Industriestädte des Westens, einschließlich Düsseldorf, aber auch beispielsweise Essen und Dortmund, vergleichsweise niedrige Raten auC8 Das liegt bis zu einem gewissen Grad an einem indirekten ökonomischen Einflußfaktor. Die emporstrebenden Städte des rheinisch-westfälischen Industriegebiets registrierten einen relativ kleinen prozentualen Gesamtanteil an Einwanderem,99 da das natürliche Wachstum - durch eine hohe Geburtenzahl - eine starke und signifikante Komponente des Bevölkerungswachstums war. 100 In der Stadt Düsseldorf, die im Vergleich zu anderen Städten der Region zwar eine vergleichsweise hohe Anzahl an Einwanderem aufnahm, 101 lag der Anteil von zuwandernden ungelernten Arbeitern jedoch relativ niedrig. 102 Zudem lagen diese Städte großenteils in katholischen Gebieten, die im Gegensatz zu protestantischen Regionen traditionell eine hohe eheliche Fruchtbarkeit und damit hohe Geburtenraten verzeichneten (siehe Kapitel li 4), die wiederum das Resultat anderer Einstellungen und Normen zu Sexualität und Geburtenkontrolle 97 Die Korrelationskoeffizienten von den Anteilen der Werktätigen in den Hauptberufsgruppen (1907) und der Sterberate an Tuberkulose (1900-1913) lauten wie folgt: p (zweiseitig) = 0,890; Industrie: r =-0,0505, Handel: r =-0,4027, p (zweiseitig)= 0,249; Staatsdiener: r =-0,1435, p (zweiseitig)= 0,692. Quellen: Siehe Tabelle 3.3. 98 Die Tuberkulose-Sterberaten (pro 100.000 Lebende) lagen 1900-1912 in Essen bei 157,5; in DUsseldorf bei 153,0; in Dortmund bei 140,4. Quelle: Veröffentlichungen des Kaiserlichen Gesundheitsamtes (Beilagen) 2 (1878)-38 (1914). 99 H Bleicher, Statistische Beschreibung der Stadt Frankfurt am Main und ihrer Bevölkerung (=Beiträge zur Statistik der Stadt Frankfurt am Main, I, Teil II), Frankfurt a. M. 1895, 2; N. Brückner, Die Entwicklung der grassstädtischen Bevölkerung im Gebiete des Deutschen Reiches, in: Allgemeines Statistisches Archiv, I (1890), S. 135-184 und 615-672, hier S. 182; Laux, Components, S. 134. 100 H. Matzerath, Regionale Unterschiede im Verstädterungsprozeß: Der Osten und Westen Preußens im 19. Jahrhundert, in: H. Matzerath (Hg.), Städtewachstum und innerstädtische Strukturveränderungen. Probleme des Urbanisierungsprozesses im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart 1984, S. 65-95; H. Matzerath, Urbanisierung in Preußen 1815-1914, Stuttgart 1985, S. 310. 101 Brückner, Entwicklung, S. 182.
102 W. Köllmann, Bevölkerung in der industriellen Revolution, Göttingen 1974, S. 110-112, 120-124. Für eine geriaue berufsspezifische AufschlUsseJung der zu- und abgewanderten Personen vgl. Bericht Ober den Stand und die Verwaltung der Gemeinde-Angelegenheiten der Stadt Düsseldorftur den Zeitraum vom I. April 1905 bis 31. März 1906, Dilsseldorfo.J. (1906), S. 7.
3. Dimensionen sozialer Ungleichheit vor Krankheit und Tod
197
darstellen. Dieser große Anteil von Säuglingen und Kleinkindem an der Gesamtbevölkerung findet seinen Ausdruck in einer dadurch ebenfalls traditionell hohen Sterblichkeit an Erkrankungen des Verdauungssystems, wie sie etwa in Köln und Düsseldorf (im Vergleich zu anderen Städten im Westen) anzutreffen war. Alle diese Faktoren fiihrten zu einer abweichenden Alterszusammensetzung der Bevölkerung, die wiederum das vorherrschende Todesursachenpanorama beeinflußte. Berücksichtigt man die differentiellen altersspezifischen Sterbeverhältnisse, wie sie in Kapitel II ausführlich erörtert wurden, wird dieser Effekt deutlich. Beispielsweise können die niedrigen rohen Sterberaten an Tuberkulose in Düsseldorf zu einem großen Teil auf diese besondere Altersstruktur der dortigen Bevölkerung zurückgefiihrt werden. In den höheren Altersgruppen (von 40 Jahren aufwärts) war dagegen die Sterblichkeit an Tuberkulose in dieser Stadt sogar höher als im Durchschnitt der ausgewählten Städte: In der Altersgruppe 40-60 Jahre lag sie etwa im Jahr 1907 in Düsseldorf bei 29,9 Sterbefällen auf 10.000 Lebende; im Durchschnitt der Städte bei 28,3; in der Altersgruppe über 60 Jahren waren die entsprechenden Werte 35,0 fiir Düsseldorf bzw. 28,0 fiir alle Städte. 103 In dieser Hinsicht bot Düsseldorf keinesfalls bessere Gesundheitsverhältnisse. Die als besonders umweltsensitiv angesehene Typhussterblichkeit schließlich zeigte keinerlei Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Situation in den einzelnen Städten. 104 Hier spielten offensichtlich andere Faktoren eine gewichtigere Rolle; insbesondere die Wirkung der sanitären Reformen ist in diesem Zusammenhang zu nennen, auf die im vierten Kapitel noch ausruhrlieh eingegangen wird.
103 Quellen:
Siehe Anhang 2.
Die Korrelationskoeffizienten von den Anteilen der Werktätigen in den Hauptberufsgruppen (1907) und der Sterberate an Abdominaltyphus (1900-1913) lauten wie folgt: : Industrie: r =-0,3183, p (zweiseitig) = 0,370; Handel: r = 0,1348, p (zweiseitig) = 0,710; p (zweiseitig)= 0,535. Staatsdiener: r = 0,2234, Quellen: Siehe Tabelle 3.3. 104
198
III. Lebensstandard, Wohnverhältnisse und soziale Ungleichheit
Tabelle 3.3
Wirtschaftliche Grundlage, Hauptberufsgruppen (im Jahr 1907) und ausgewählte Indikatoren der Sterblichkeit in den zehn größten deutschen Städten (rohe allgemeine Sterberaten (pro 1.000 Lebende), 1877- 1889 und 1900- 1913, und ausgewählte Todesursachen (pro 100.000 Lebende), 1900- 1913) Stadt
Wirtschaft!. Grundlage
(%)•
Industrie Handel München Breslau Köln Nümberg Berlin Harnburg Düsseldorf Dresden Leipzig Frankfurt a.M
Verwaltung Handel Verwaltung Handel Handel Industrie Verwaltung Handel Handel Industrie Verwaltung Industrie Handel Handel
Sterblichkeit
Hauptberufsgruppen 1907
36 43 44 58 49 36 50 45 50 40
24 21 25 19 23 37 21 22 25 27
SD
II
9 8 6 7 6 8 10 6 7
CDR 1877-1889 31,7 30,5 26,5 26,4 26,3 26,2 24,1 24,1 22,3 20,0
CDR 18,5 21,7 18,6 18,1 15,8 15,4 15,7 14,9 16,0 14,5
TB
1900-1913 269,0 312,6 191,8 248,7 213,5 173,6 153,0 207,9 204,5 208,6
Typhus# 2,8 6,0 4,6 1,5 3,8 4,1 3,0 4,2 3,9 2,4
Prozentsatz der gesamten arbeitenden Bevölkerung. Industrie Industrie einschließlich Bergbau und Baugewerbe; Handel und Verkehr, einschließlich Gast- und Schankwirtschaft; Handel Militär-, Hof- bürgerlicher und kirchlicher Dienst, auch sogenannte freie Berufsarten. so Abdominaltyphus. # Quellen: Veröffentlichungen des Kaiserlichen Gesundheitsamtes (Beilagen) 2 (1878)-38 (1914).Wirtschaftliche Grundlage nach Statistik des Deutschen Reichs NF 207 (1909/1 0); H. H. Blotevoge/, Methodische Probleme der Erfassung städtischer Funktionen und funktionaler Städtetypen anhand quantitativer Analysen der Berufsstatistik 1907, in: W. Ehbrecht (Hg.), Voraussetzungen und Methoden geschichtlicher Städteforschung, Wien 1979, S. 217-269, hier S. 250; M Hietala, Services and Urbanization at the Turn of the Century. The Diffusion of Innovations, Helsinki 1987, S. 97; H.-D. Laux, Demographische Folgen des Verstädterungsprozesses. Zur Bevölkerungsstruktur und natürlicher Bevölkerungsentwicklung deutscher Städtetypen 1871 -1914, in: H. J. Teuteberg, Urbanisierung im 19. und 20. Jahrhundert. Historische und geographische Aspekte, Köln 1983, S. 65-93, hier S. 72-73.
Zunächst aber soll ein Weg gewiesen werden, wie die Dimensionen sozialer Ungleichheit vor Krankheit und Tod tur die Städte präziser analysiert werden können. Da direkte personenbezogene Quellen entweder nicht vorliegen oder in ihrer Aussagekraft zu begrenzt sind, kann eine sozialepidemiologische Auswertung durch den Umweg über eine Ausdifferenzierung nach Stadtteilen vorgenommen werden. Das soll an den Beispielen Hamburgs und Düsseldorfs demonstriert werden.105
105 Eine systematische Differenzierung der Sterblichkeit nach Stadtteilen für Frankfurt 1890/91 findet sich in Statistische Beschreibung der Stadt Frankfurt am Main und ihrer Bevölkerung. Im Auftrage des Magistrats hrsg. durch das Statistische Amt. Erstes Heft: Statistische Beschreibung
3. Dimensionen sozialer Ungleichheit vor Krankheit und Tod
199
Die Stadt des späten 19. Jahrhunderts war durch eine zunehmende sozialräumliche Segregation gekennzeichnet. Im Kern der Stadt entstanden die typischen Geschäfts- und Einzelhandelszentren. Wer es sich leisten konnte, zog aus der Innenstadt in die angrenzenden besseren Stadtviertel. Um diese legte sich ein Gürtel von Arbeitervierteln nahe den Fabriken am Rande der Stadt. Die zentralen Zonen zogen dagegen eine große Anzahl von Einwanderen an, die häufig von niedrigem sozioökonomischen Status waren. 106 In zahlreichen deutschen Großstädten setzte sich die Citybildung nur zögerlich durch und berührte die eigentliche Altstadt nicht. 107 Hier verfielen die Wohnungen und Häuser zusehends und waren bald von so niedrigem Standard, daß man von 'unternormalen Wohnungen' oder, wie im angelsächsischen Sprachgebrauch, von Slums sprach. 108 Hier lebten die Ärmsten der Armen. Viele Neuzuwanderer begannen hier ihre erste Station in der städtischen Lebenswelt, bevor ein gesichertes Einkommen und ein gestiegener Lebensstandard es ihnen ermöglichte, in die Arbeiterviertel am Rande der Stadt zu ziehen. Zunehmende soziale Segregation charakterisierte somit die innerstädtischen Strukturen. Insbesondere die ärmsten und die reichsten Bevölkerungsschichten lebten räumlich deutlich getrennt. 109 Ethnische Strukturen wirkten sich in der deutschen Stadt des 19. Jahrhunderts- im Gegensatz zu den angelsächsischen Ländern- dagegen kaum aus. 110
der Stadt Frankfurt am Main und ihrer Bevölkerung. II. Theil : Die innere Gliederung der Bevölkerung, Frankfurt a. M. 1895, S. 276-283. 106 H Carter, An Introduction to Urban Historical Geography, London 1983, S. 190-199. Die Herausbildung von sogenannten 'Suburbs' fand vor allem in den angelsächsischen Ländern statt, in Deutschland war diese Entwicklung weniger ausgeprägt. Siehe R. Dennis, English Industrial Cities ofthc Nineteenth Century: A Social Geography, Cambridge 1984, S. 200-249; A. Sutcliffe, Towards the Planned City: Germany, Britain, the United States and France, 1780-1914, Oxford 1981.- Vgl. auch Kapitel III 6. 107 Matzerath, Urbanisierung in Preußen, 284; S. Fisch, Stadtplanung im 19. Jahrhundert. Das Beispiel München bis zur Ära Theodor Fischer, München 1988, S. 15. 108 R. Eberstadt, Handbuch des Wohnungswesens und der Wohnungs frage, Jena' 1920, S. 366373. 109 Vgl. etwa Sr. Bleek, Quartierbildung in der Urbanisierung. Das Münchner Westend 18901933, München 1991, S. 93-100; G. Neumeier, München um 1900. Wohnen und Arbeiten, Familie und Haushalt, Stadtteile und Sozialstrukturen, Hausbesitzer und Fabrikarbeiter, Demographie und Mobilität - Studien zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte einer deutschen Großstadt vor dem Ersten Weltkrieg, Frankfurt a. M. 1995, S. 61. 110 Weder die Einwanderung von Polen ins Ruhrgebiet noch die steigende Präsenz italienischer Einwanderer in den Städten zu Beginn des 20. Jahrhunderts fllhrte zu einer scharfen ethnischen Segregation in der Siedlungsstruktur der deutschen Großstädte. Die polnischen Einwanderer etwa wohnten häufig außerhalb der Städte in von den Bergwerksgesellschaften errichteten Siedlungen nahe den Gruben. Vgl. C. K/eßmann, Polnische Bergarbeiter im Ruhrgebiet 1870-1945. Soziale Integration und nationale Subkultur einer Minderheit in der deutschen Industriegesellschaft, Göttingen 1978; V.-M Stefanski, Zum Prozeß der Emanzipation und Integration von Außen-
200
IIl. Lebensstandard, Wohnverhältnisse und soziale Ungleichheit
D Cd
< 1.2 1.2 - 1.4
lllillil ) 1.4
Karte 3.1: Die interne Bevölkerungsdichte (Einwohner pro Zimmer ohne Küche) in Harnburg nach Stadtteilen, 1885
Diese idealtypische Gliederung war in den Städten des ausgewählten Sampies unterschiedlich ausgeprägt. In Harnburg kann sie anband der Bevölkerungsdichte als Indikator flir den sozioökonomischen Status, ausgedrückt als Zahl der Einwohner pro Zimmer (ohne Küche), klar identifiziert werden: Im Jahr 1885 lag die höchste Bevölkerungsdichte in den Stadtvierteln an der Eibe, insbesondere in Steinwärder (I ,89 Personen pro Zimmer), Klein Grasbrook (1,75) und Billwärder Ausschlag (I,70), gefolgt von der Altstadt und der Neustadt, Horn und St. Pauli, und in den Arbeitervierteln am Rande der Stadt, in Barmbeck (I ,65) und Winterhude (I ,48) (Karte 3.1).111
seitem: Polnische Arbeitsmigranten im Ruhrgebiet, Dortmund 1984. Allgemein dazu U. Herbert, Geschichte der Ausländerbeschäftigung in Deutschland 1880 bis 1980. Saisonarbeiter, Zwangsarbeiter, Gastarbeiter, Berlin 1986. Zu England siehe Vögele, Urban Mortality Change. 111 Quellen: Siehe Tabelle 3.4.
3. Dimensionen sozialer Ungleichheit vor Krankheit und Tod.
0 Cd
[2]
201
< 15 15 - 28 > 28
Karte 3.2: Die Sterblichkeit in Harnburg nach Stadtteilen (pro 1.000 Lebende), 1887
Hier übertraf die Bevölkerungsdichte den gesamtstädtischen Durchschnitt von 1,40 Einwohnern pro Zimmer. 112 Diese sozialräumliche Gliederung findet ihre Entsprechung in der stadtgeographischen Verteilung der Sterberaten (Karte 3 .2), 113 und einem entsprechend positiven Korrelationskoeffizienten zwischen den beiden Variablen. 114
112 Zu weiteren Indikatoren siehe Tabelle 3.4 sowie C. Wischermann, Wohnen in Harnburg vor dem Ersten Weltkrieg, Münster 1983. 113 Quellen: Siehe Tabelle 3.4. 114 Der Korrelationskoeffizient aus der Anzahl der Bewohner pro Zimmer (ohne Küche) im Jahr 1885 und der Gesamtsterblichkeit im Jahr 1887 lautet: r = 0,5469, p (zweiseitig)= 0,008. Dabei muß allerdings berücksichtigt werden, daß zahlreiche Krankheiten u·nd Todesursachen (Verdauungskrankheiten, Abdominaltyphus, etc.) nicht mit der Dichte des Zusammenlebens in Verbindung gebracht werden können. Ails diesem Grunde wurde auch das Jahr 1887 (und nicht 1885) als Stichjahr ftir die Gesamtsterblichkeit gewählt, da Harnburg im Jahr 1885 von Abdomi-
202
III. Lebensstandard, Wohnverhältnisse und soziale Ungleichheit
D
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lli2l
< SBB SBB - 1. BOB
> 1.000
Karte 3. 3: Das jährlich im Durchschnitt zu versteuernde Einkommen pro Kopf in Harnburg nach Stadtteilen (in Mark), 1886
Die Beziehungen zwischen den Wohnverhältnissen und der Gesundheit sind jedoch sehr komplex, weshalb sie ausführlich in einem gesonderten Kapitel diskutiert werden (Vgl. Kapitel III 6).
naltyphus-Epidemien heimgesucht wurde (vgl. Kapitel IV). Wenn der Indikator zur Wohndichte mit der Sterberate an Tuberkulose korreliert wird, ist der Zusammenhang stärker, r = 0,6564, p (zweiseitig) = 0,001. Quellen: Siehe Tabelle 3.4. Zu weiteren Indikatoren siehe Tabelle 3.4 und Wischermann, Wohnen in Hamburg. Quellen: Statistik des Harnburgischen Staates 15, 2. Abteilung (1894), 57; Die Gesundheitsverhältnisse Hamburgs im neunzehnten Jahrhundert. Den ärztlichen Theilnehmern der 73. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte gewidmet von dem Medicinai-Collegium, Harnburg (1901), S. 291 ; C. Wischermann, Wohnen in Harnburg vor dem Ersten Weltkrieg, Münster 1983, S. 443.
3. Dimensionen sozialer Ungleichheit vor Krankheit und Tod
0
LJ
[ilil
203
< 20 20 - 30
> 30
Karte 3.4: Die Sterblichkeit an Tuberkulose in Harnburg nach Stadtteilen (pro 10.000 Lebende), 1887
Die Verwendung anderer Indikatoren sozialer Segregation filhrt zu ähnlichen Ergebnissen. Das Hamburger Beispiel zeigt gleichfalls eine starke Korrelation zwischen dem jährlich zu versteuernden Einkommen (pro Kopf) und den rohen allgemeinen Sterberaten, sowie insbesondere mit der Sterblichkeit an Tuberkulose (Tabelle 3.4). Stadtbezirke mit einem hohen Pro-Kopf-Einkommen registrierten die niedrigste Tuberkulosesterblichkeit und umgekehrt (Karten 3.3 und 3.4). 115 Dieser Zusammenhang wird unterstrichen durch starke negative Korrelationen zwischen anderen Indikatoren zeitgenössischen Lebensstandards, wie etwa der Anzahl der Wohnungen mit Bad oder der Anzahl der Haushalte mit Bediensteten, und den Sterberaten an Tuberkulose. Angesichts der allgemeinen Bedeutung der Tuberkulose im zeitgenössischen Todesursachenpanorama verwundert die ähnliche signifikante negative Korrelation zwischen diesen beiden Variablen und der allgemeinen rohen Sterberate wenig.
115
Quellen: Siehe Tabelle 3.4.
CDR 1,0000 ,2523 ••,6685 -,0165 ,5194 ••-,6989 -,4985 ••-,6679 ••-,6780 •,6170 ••-,6987 •,5469 ,5029 ,2851
22
Tb
- ••,6685 •,5455 1,0000 -,1917 ,3439 ••-,7282 -,4753 ••-,7624 ••-,7270 ,2037 •-,5575 ••,6564 •,5827 ,3808
2-seitige Signif:
Ty ,2523 1,0000 •,5455 ,2531 -,1662 -,1375 -,3673 -,2411 -, 1892 -,2895 -,1106 ,1574 ,3954 -,2059 IMR ,5194 -,1662 ,3439 -,2186 1,0000 •-,5758 -,0440 -,5221 •-,6006 •,5747 -,4783 ,4272 ,0187 ,3983
*- ,01 ** - ,001
GI -,0165 ,2531 -,1917 1,0000 -,2186 ,1638 -,3070 ,1593 ,1997 -,1291 ,1816 -,3406 ,0792 -,4673
Eink ••-,6989 -,1375 ••-,7282 ,1638 •-,5758 1,0000 ,4602 ••,9835 •• ,9628 •-,5944 ••,8427 ••-,8360 •-,5626 ••-,6541
Bz
-,4985 -,3673 -,4753 -,3070 -,0440 ,4602 1,0000 ,4435 ,3478 -,1729 ,3217 -,1724 -,4236 -,0047
Bad ••-,6679 -,2411 ••-,7624 ,1593 -,5221 ••,9835 ,4435 1,0000 •• ,9795 -,5239 ••,8482 ••-,8730 •-,6092 ••-,6670
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IIDb
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-:1892 : ••-,7270 : ,1997 : •-,6006 i ••,9628 : ,3478 i ••,9795 : 1,0000 i ·- 6012 ··:8683 i ••-,9204 : •-,6141 : ••-,7500
i ··- 6780
Kind •,61 70 -,2895 ,2037 -,1291 •,5747 • -,5944 -,1729 -,5239 •-,6012 1,0000 ••-,7636 ,4905 ,4027 •,5793
FrA -------seR ••-,6987 • ,5469 -,1106 , 1574 •• ,6564 •-,5575 ,1816 -,3406 -,4783 ,4272 •• ,8427 ••-,8360 ,3217 -,1724 ••,8482 ••-,8730 ••,8683 ••-,9204 ••-,7636 ,4905 1,0000 ••-,8256 ••-,8256 I ,0000 ••-,7020 ••,6810 ••-,6813 ••,8481
BeDi - Ubbe ,5029 ,2851 ,3954 -,2059 • ,5827 ,3808 -,4673 ,0792 ,0187 ,3983 •-,5626 ••-,6541 -,4236 -,0047 •-,6092 ••-,6670 •-,6141 ••-,7500 ,4027 • ,5793 ••-,7020 ••-,6813 ••,6810 ••,8481 ,4449 I ,0000 ,4449 I ,0000
Quellen:J J Reincke, Der Typhus in Harnburg mit besonderer Berücksichtigung der Epidemien von 1885 bis 1888, Harnburg 1890, S. 16, 17 und 19; Die Gesundheitsverhältnisse Hamburgs im neunzehnten Jahrhundert. Den arztliehen Theilnehmem der 73. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte gewidmet von dem Medicinai-Collegium, Harnburg 1901 , S. 221 und 291; Statistik des Harnburgischen Staates 14 (1887), 14; 15, 2. Abteilung (1894), S. 57; 17 (1895), S. 8; C. Wischermann, Wohnen in Harnburg vor dem Ersten Weltkrieg, Münster 1983, S. 443,445, 460,463,469,475 und 476.
CDR=Rohe allgemeine Sterberate (1887); Ty=Sterblichkeit an Abdominaltyphus (1885-88); Tb=Sterblichkeit an Tuberkulose (1887); GI=Sterblichkeit an gastro-intestinalen Störungen (1894); IMR=Slluglingssterblichkeit (1894-1900); Eink=Jllhrlich versteuertes Einkommen pro Kopf (in Mark) (1886); Bz=Belegungsziffer, Bewohner pro Wohnung (1885); Bad=Anteil der Wohnungen mit Bad (1885); HDb=Anteil der Haushaltungen mit Dienstboten (1885); Kind=Anteil der Kinder unter 15 Jahren (1885); FrA=Anteil der weiblichen Erwerbstätigen (1900), BeR=Bewohner pro Raum (ohne Küche); BeDi=Bevölkerungsdichte pro ha (1885); Übbe=Umfang der Überbevölkerung (1885).
Anzahl der Fälle:
Bad IIDb Kind FrA BeR BeDi Übbe
Bz
IMR Eink
GI
'Th
,CDR Ty
Tabelle 3.4 Soziale Ungleichheit vor Tod in Harnburg während der 1880er Jahre -Korrelationskoeffizienten
3. Dimensionen sozialer Ungleichheit vor Krankheit und Tod
205
Eine relativ ausgeprägte Korrelation zwischen Indikatoren der Überbelegung der Wolmungen und der Sterblichkeit an Tuberkulose deutet den wichtigen Stellenwert der Wohnverhältnisse an, was in einem späteren Kapitel ausführlich diskutiert wird. Die Interdependenz zwischen der Verteilung der Einkommen und der Säuglingssterblichkeit ist in Harnburg nicht so stark ausgeprägt wie im Falle der Tuberkulose. Dies liegt primär daran, daß keine direkte Verbindung zwischen Wohlstand und Todesfallen an Magen- und Darmerkrankungen vorlag, die im späten 19. Jahrhundert die Haupttodesursache unter den Säuglingen darstellten. Hier deutet sich bereits an, daß in Harnburg zusätzlich Umweltfaktoren eine substantielle Rolle spielten. Die am Beispiel Hamburgs veranschaulichtesoziale Segregation innerhalb der Stadt ist durchaus typisch, wenn sie auch in den Städten des Sampies unterschiedlich ausgeprägt war. In der jungen Stadt Düsseldorf war die Differenzierung zu Beginn des 20. Jahrhunderts weniger extrem, wie ein Überblick über die Verteilung der Mieten innerhalb der Stadt als Indikator flir die sozialräumliche Gliederung nahelegt (Karte 3.5). 116 Die durchschnittlichen Mieten waren nach Erhebungen der Grundstücks- und Wohnungszählung vom 1.12.1905 am niedrigsten in den Arbeitervierteln am Rande der Stadt, im Äußeren Nordosten, in Oberbilk-Lierenfeld, im Äußeren Südosten und im Äußeren Süden. Auf dem Weg zur Stadtmitte lagen die teuersten Viertel, das Zoologische Gartenviertel, das Hofgartenviertel und, mit den höchsten Mietpreisen, die Mittelstadt Abweichend vom Idealtypus waren in der Innenstadt mittelhohe Mieten fällig; als relativ junge Stadt schritt die Verslumung der Innenstadt langsamer voran. Dennoch, legt man darüber eine Karte mit der innerstädtischen Verteilung der Sterblichkeit (Karte 3.6), 117 entsprechen sich beide Verteilungen nahezu, die soziale Ungleichheit vor Krankheit und Tod hebt sich deutlich hervor: Die höchste Gesamtsterblichkeit - ausgedrückt als durchschnittliche rohe Sterberate der Jahre 190 I bis 1905 - wurde in den Arbeitervierteln Äußerer Nordosten (24,1) und Oberbilk-Lierenfeld (17,8) sowie in der direkt am Rhein gelegenen Altstadt (18,8) registriert. Umgekehrt weisen die Stadtteile mit den höchsten Mieten die geringsten Sterberaten auf, insbesondere das Zoologische Gartenviertel (13,4), das Hofgartenviertel (12,6) und die Mittelstadt (12,5). Die enorme Übersterblichkeit im Äußeren Südosten (59,4) ist ein statistisches Artefakt, sie resultiert im wesentlichen aus der geringen Bevölkerungsdichte des Bezirks.
116 Quelle: 0. Most, Die Grundbesitz- und Wohnungsverhältnisse in DUsseldorf und ihre Entwicklung seit 1903, DUsseldorf 1912. 117 Quellen: Jahresbericht des Statistischen Amts der Stadt DUsseldorffllr 1905, 2; Statistische Monatsberichte der Stadt DUsseldorf 1911, Beilagen, 24; Mitteilungen zur Statistik der Stadt DUsseldorf, Nr. 2, DUsseldorf 1907.
206
III. Lebensstandard, Wohnverhältnisse und soziale Ungleichheit
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D < ,,5 Cd ,,5 - 11.5
lliB] Legende I Altstadt II Hafenviertel III Ständehaus-Floraviertel IU Innerer Südosten UHittelstadt UI Hofgartenviertel UII äusserer Horden
> 11.5
UIII äusserer Nordosten IXa Zool. 6artenviertel IXb Flingern X Oberbilk-Lierenfeld XI äusserer Südosten XII äusserer Süden
Karte 3.5: Die durchschnittliche Höhe der Mietpreise in Düsseldorfnach Stadtteilen (in Mark), 1905
Damit werden die Sterberaten in den dort gelegenen städtischen Krankenanstalten in der Darstellung überbetont (vgl. Kap. V3). Insgesamt aber läßt sich festhalten, daß das Ausmaß innerstädtischer Variationen in der Sterblichkeit,
207
3. Dimensionen sozialer Ungleichheit vor Krankheit und Tod
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D < u.o Cd u- 17 llli2l
Legende I Altstadt II HafenYiertel III Ständehaus-FioraYiertel IU Innerer Südosten UMittelstadt UI HofgartenYiertel UII äusserer Norden
> 17.0
UIII äusserer Nordosten IXa Zoo!. 6artenYiertel IXb Flingern X Oberbilk-Lierenfeld XI äusserer Südosten XII äusserer Süden
Karte 3.6: Die Sterblichkeit in Düsseldorf nach Stadtteilen (pro 1.000 Lebende), 1901-1905
mit extrem schlechten Bedingungen in den Zentren der Altstadt, das der interstädtischen noch übertraf. Die Analyse auf Stadtteilebene läßt somit die scharfen Konturen der sozialen Ungleichheit erkennen.
208
111. Lebensstandard, Wohnverhältnisse und soziale Ungleichheit
4. Einkommen und Sterblichkeitswandel Trotz zunehmenden Wohlstands und steigendem Lebensstandard in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts lebten große Teile der Bevölkerung in ärmlichen und unsicheren Lebensverhältnissen, da sich das steigende Einkommen nicht gleichmäßig über alle Schichten verteilte. Nach Wemer Sombarts zeitgenössischer Analyse der Berufszählung von 1895 führten zwei Drittel der deutschen Bevölkerung eine "proletarische" oder "proletarier-ähnliche" Existenz.118 Modeme Zeitreihenanalysen zur Lohnentwicklung im 19. Jahrhundert schätzen, daß zur Mitte des 19. Jahrhunderts zwei Drittel der Bevölkerung unter ärmlichen Bedingungen lebten und am Ende des Jahrhunderts immerhin noch die Hälfte der Bevölkerung in diesen Umständen verharrte. 119 Das Leben der städtischen Unterschichten blieb inhärent instabil. Auch wenn viele Sti.mden gearbeitet wurde, konnten wegen der geringen Löhne keinerlei Ersparnisse angesammelt werden. Erschwerend kam hinzu, daß der Arbeitsmarkt starken saisonalen Schwankungen unterworfen war; viele Arbeiter konnten nicht mit einer ganzjährigen Beschäftigung rechnen. 120 In diesem Kontext wurden wiederholte oder ausgedehnte Arbeitslosigkeit, Krankheit oder sogar Tod des Haupternährers einer Familie zur existentiellen Bedrohung. Krankheit und physische Erschöpfung konnten rasch den Abstieg vom gelernten Arbeiter zum Tagelöhner bedeuten. Bevor soziale Sicherungssysteme, etwa Unfall- oder Krankenversicherung, ausreichend etabliert waren, ging Arbeitsunfähigkeit, ob durch Behinderung, Krankheit oder Gebrechlichkeit im Alter bedingt, mit einem beträchtlichen Rückgang des Lebensstandards einher. Sprangen in solchen Fällen weder die Kinder noch die weitere Familie ein, blieb lediglich die Armenfürsorge. Selbst nach der Einführung entsprechender Versicherungsleistungen wurde lediglich ein Minimum an Unterstützung gewährt und auch das nur für einen relativ kleinen Personenkreis der Versicherten, ohne daß die gesamte Familie erfaßt worden wäre. 121 Insgesamt stiegen diese Risiken mit zunehmendem Alter an, da die starken Unterschiede im Lebensstandard nicht nur durch soziale Schichtenzugehörigkeit, sondern auch von den verschiedenen
118 119
W Sombart, Die deutsche Volkswirtschaft im 19. Jahrhundert, Berlin 1903, S. 531-532. Zapf, Wohlfahrtsentwicklung, S. 52.
120 Einschlägige Studien liegen hierzu hauptsächlich fur England vor. Es wird geschätzt, daß in der Spät-Viktorianischen Zeit etwa ein Viertel der männlichen Arbeiter mit einer Unterbrechung ihrer Einkommen innerhalb eines Jahres zurechtkommen mußte. Vgl. G. Stedman Jones, Outcast London: a Study in the Relationship Between Classes in Victorian Society, Oxford 1971, S. 5266; J H. Treble, Urban Poverty in Britain 1830-1914, London 1979, S. 72-80. 121 Vgl. dazu Kapitel V 4.
4. Einkommen und Sterblichkeitswandel
209
Stadien des Lebenszyklus bestimmt waren. 122 Nach Jahren harter Arbeit unter ungesunden Bedingungen und in gesundheitsschädlicher Umgebung war das Schicksal eines Industriearbeiters in der Regel geprägt durch einen Verlust der beruflichen Position mit gleichzeitigem Einkommensverlust - ein Abstieg, der bereits um das 40. Lebensjahr beginnen konnte. 123 So verwundert das Ergebnis der altersspezifischen Analyse in einem früheren Kapitel, wo ein erhöhtes Sterberisiko insbesondere der männlichen Bevölkerung der fortgeschrittenen Altersklassen in den Städten festgestellt wurde, in keiner Weise (Schaubilder 2.8 und 2.9). Verschleißerscheinungen gingen offensichtlich Hand in Hand mit sozialem Abstieg, so daß die altersspezifische Verteilung des Sterberisikos zu einem gewissen Grad auch eine schichtenspezifische Komponente darstellen mag. Um trotz der geschilderten Quellenprobleme Aufschluß über den Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Lage und Gesundheit vornehmlich in den unteren Schichten zu erlangen, sollen im folgenden Löhne als Indikator benutzt werden. Da ftir die Städte keine verläßlichen systematischen Daten über die Einkommensverhältnisse vorliegen, wurde auf Angaben über die 'durchschnittlichen ortsüblichen Tagelöhne' zurückgegriffen, die Frauen und Männer über 16 Jahren in den ausgewählten Städten in den Jahren 1884, 1902 und 1912 gezahlt wurden. 124 Einerseits beziehen sich diese Löhne auf Personen am unteren Ende der Einkommenskala, bei denen sich Einkommensunterschiede unmittelbar auf den Lebensstandard (im Sinne ihrer Emährungssituation) auswirkten, andererseits korrelieren sie stark mit der regionalen Einkommensverteilung, 125
122 H Schomerus, Lebenszyklus und Lebenshaltung in Arbeiterhaushalten des 19. Jahrhunderts, in: W. Conze I V . Engelhardt (Hgg.), Arbeiter im lndustrialisierungsprozeß. Herkunft, Lage und Verhalten, Stuttgart 1979, S. 195-200. Vgl. auch J. Ehmer, Lohnarbeit und Lebenszyklus, in: GG 14 (1988), S. 448-471. Dort auch weiterfUhrende Literaturangaben. 123 A. Weber, Das Berufsschicksal der Industriearbeiter, in: Archiv flir Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 34 (1912), S. 377-405; A. Syrup-Gleiwilz, Der Altersaufbau der industriellen Arbeiterschaft, in: Archiv filr exacte Wirtschaftsforschung (Thünen-Archiv) 6 (1914), S. 14-115; B. S. Rowntree, Poverty: A Study of Town Life, New York 1971 (Neudruck der Ausgabe von 1922); A. Fischer, Grundriss der sozialen Hygiene, Karlsruhe 1925, S. 86. 124 Diese Erhebungen gehen auf das Krankenversicherungsgesetz von 1883 zurück; danach sollte sich die Höhe des Krankengelds nach dem durchschnittlichen ortüblichen Tagelohn richten, der zu diesem Zweck nach Anhörung der Gemeindebehörden, der beteiligten Arbeitgeber und Versicherungspflichtigen von der höheren Verwaltungsbehörde festgesetzt wurde. Vgl. Statistisches Jahrbuch deutscher Städte 19 (1913), S. 823-828.
125 K. Borchardt, Regionale Wachstumsdifferenzierung in Deutschland im 19. Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung des West-Ost-Geflilles, in: W. Abel I K. Borchardt I H. Kellenbenz I W. Zorn (Hgg.), Wirtschaft, Geschichte und Wirtschaftsgeschichte. Festschrift zum 65. Geburtstag von Friedrich Lütge, Stuttgart 1966, S. 325-339; K. Borchardt, Germany, 17001914, in: C. M. Cipolla (Hg.), The Emergence oflndustrial Societies, Part I, New York 1976, S. 76-160, hier S. 139; H Kiesewetter, Regionale Lohndisparitäten und innerdeutsche Wanderungen
14 Vögele
210
III. Lebensstandard, Wohnverhältnisse und soziale Ungleichheit
weshalb sie hier wohl trotz aller Unzulänglichkeiten als Indikator fiir die Untersuchung des Zusammenhangs von Einkommen und Sterblichkeit herangezogen werden können. 126 Da hierbei einerseits eine geschlechtsspezifische Differenzierung möglich ist, und andererseits komplexere Zusammenhänge zu erwarten sind, wird die Anzahl der Indikatoren erweitert. Die Einkommensverhältnisse werden den allgemeinen Sterberaten, der Säuglingssterblichkeit sowie der Sterberate an Tuberkulose, an Erkrankungen des Verdauungssystems, an Abdominaltyphus, an Diphtherie und der Sterblichkeit der Frauen im Kindbett gegenübergestellt. Ein besonderer Schwerpunkt gilt dabei der Frage, wie stark der Beitrag der Frauen zum Familieneinkommen die Säuglingssterblichkeit beeinflußte. In den ausgewählten Städten herrschten große Unterschiede hinsichtlich der Höhe der durchschnittlichen ortsüblichen Tagelöhne. 127 In den 1880er Jahren (1884) wurden die höchsten Tagelöhne in Harnburg gezahlt: Die Männer erhielten 2,50 Mark, die Frauen 1,85 Mark. In Köln erhielten die Männer die gleiche Summe wie in Berlin, die Frauen wurden dort mit 1,50 Mark schlechter bezahlt als diejenigen in Harnburg (1,85 Mark) und Frankfurt am Main (1,70 Mark). Am unteren Ende der Skala lagen die Löhne in Dresden (Männer: 1,80 Mark; Frauen: 1,20 Mark) und Bres1au (Männer: 1,60 Mark; Frauen: 1,00 Mark). Um die Jahrhundertwende wurden die höchsten Löhne in Frankfurt am Main, Harnburg und München gezahlt, die niedrigsten in Breslau und Köln letztere war übrigens die einzige Stadt, in der die Tagelöhne nicht angestiegen waren. Im Jahr 1912 schließlich wurden die höchsten durchschnittlichen Löhne
im Kaiserreich, in: J. Bergmann u. a. (Hgg.), Regionen im historischen Vergleich. Studien zu Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert, Opladen 1989, S. 133-199, hier S. 155-160. 126 Vgl. auch den Versuch, Arztdichte und Schülerdichte als Funktionen des Durchschnittseinkommens zu sehen, bei Borchardt, Regionale Wachstumsdifferenzierung, S. 332-336.
127 In den einzelnen Städten entwickelten sich die durchschnittlichen ortsüblichen Tagelöhne fur Frauen und Männer über 16 Jahren wie folgt:
Ort
Tagelöhne (Mark) 1902 w m w m Ber1in 2,40 1,50 2,90 1,60 Breslau 1,60 1,00 2,45 1,40 Köln 2,50 1,50 2,50 1,50 Dresden 1,80 1,20 2,80 1,75 Düsse1dorf 2,40 1,50 3,00 1,80 2,40 Frankfurt 1,70 3,10 2,20 Harnburg 2,50 1,85 3,00 2,00 Leipzig 2,00 1,33 3,00 1,50 1,50 München 2,30 3,00 2,00 Nümberg 2,00 1,30 2,90 1,70 . . Quelle. Stallstisches Jahrbuch deutscher Städte 19 (1913), S. 826-828. 1884
m 3,60 3,00 3,25 3,50 3,50 3,40 3,40 3,50 3,70 3,40
1912
w 2,20 1,70 2,00 2,10 2,00 2,50 2,00 2,00 2,20 1,90
4. Einkommen und Sterblichkeitswandel
211
fiir männliche Tagelöhner mit 3,70 Mark in München gezahlt, gefolgt von 3,60 Mark in Berlin, 3,50 Mark in Dresden, Düsseldorf und Leipzig, 3,40 Mark in Frankfurt am Main. Die niedrigsten erhielten die Tagelöhner in Köln mit 3,25 Mark und Breslau mit 3,00 Mark. Für die weiblichen Tagelöhner lagen die Beträge wesentlich niedriger, am meisten wurde in Frankfurt am Main mit 2,50 Mark sowie in Berlin und München mit je 2,20 Mark gezahlt. Es folgten Dresden mit 2,10 Mark, Düsseldorf, Hamburg, Köln und Leipzig mit je 2,00 Mark, am Ende der Skala lagen Nümberg und wiederum Breslau mit 1,90 Mark bzw. 1,70 Mark. Korreliert man die Tagelöhne mit den Gesamtsterberaten, ergibt sich durchweg ein negativer Koeffizient, allerdings von unterschiedlich starker Ausprägung. 128 Versucht man einen Trend abzulesen, zeigt sich bei den Männem eine klare Zunahme des Zusammenhangs von Geldlöhnen und Sterberate im Verlauf der Untersuchungsperiode. Bei den Frauen ist eine solche Entwicklung nicht eindeutig erkennbar, jedoch herrschte auch hier im Jahr 1912 der stärkste Zusammenhang. Das bietet Anlaß genug, die Verhältnisse im Jahr 1912 differenzierter zu betrachten: Mit einem Korrelationskoeffizienten von r = -0,7947 liegt ein relativ starker umgekehrt proportionaler Zusammenhang zwischen den durchschnittlichen Tagelöhnen fiir Männer und der allgemeinen Sterberate vor; je höher die Löhne ausfielen, desto niedriger lag die Sterberate. Ähnlich stark ausgeprägt ist die Beziehung der Löhne der Männer mit den Sterberaten der Frauen an Tuberkulose (r = -0, 7218). Das Lohnniveau der Männer wirkte sich offensichtlich nicht nur auf ihre eigene Gesundheit, sondern auch auf diejenige der Frauen aus. Das deutet die existentielle Bedeutung des männlichen Einkommens für die gesamte Familie an, was nicht weiter überraschend ist, denn nach Berechnungen des Statistischen Amts aus dem Jahr 1907 trugen die Männer durchschnittlich etwas über 80 Prozent zum Familieneinkommen bei.129 Dagegen ist
128 Die Korrelationskoeffizienten aus der Höhe der Tagelöhne und der rohen allgemeinen Sterberaten lauten wie folgt: Männer 1884: r= -0,4410, p (zweiseitig) = 0,202 Frauen 1884: r= -0,5516, p (zweiseitig) = 0,098
Männer 1902: Frauen 1902:
r = -0,6908, r = -0,4481 ,
p (zweiseitig) = 0,027 p (zweiseitig) = 0,194
Männer 1912: r = -0,7947, p (zweiseitig)= 0,006 p (zweiseitig)= 0,043 Frauen 1912: r = -0,6473, Quelle: Statistisches Jahrbuch deutscher Städte 19 (1913), S. 826-828; Veröffentl ichungen des Kaiserlichen Gesundheitsamtes (Beilagen) 9 (1885), 27 (1903), 37 (1913). 129 Weber, Einkommen und Wohnkosten, S. 211. Ähnliche Angaben flir die Städte München und Nürnberg finden sich bei Plössl, Weibliche Arbeit, S. 23. Vgl. auch Kapitellll 5.
111. Lebensstandard, Wohnverhältnisse und soziale Ungleichheit
212
die Korrelation der Löhne der Männer und der Säuglingssterblichkeit schwach (Tabelle 3.5). Möglicherweise hatten Männer mit niedrigem Einkommen grundsätzlich Schwierigkeiten, eine Familie zu gründen. Mit zusätzlichem Einkommen durch die Frau, das den künftigen Lebensstandard der Familie erhöhte, war dies eher möglich. Tabelle 3.5
Korrelationskoeffizienten von durchschnittlichen Tagelöhnen von Arbeitern über 16 Jahren (1912) und der allgemeinen Sterberate, der Sterblichkeit an ausgewählten Todesursachen, der Säuglingssterblichkeit sowie der Geburtenrate in den zehn größten deutschen Städten (1907; 1900- 1913). CDR 1907
1b 1907 i
j ;
GI 1907
j
Ty 1907
! !! i
Dip icoRw! ThW j TyW 1907 !: 1907 !: 1907 . 1907
;
I
! KB ; IMR i 1900~1913 i
i
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M
-,7947 ! ·,6013! ·,5395! ·,3728! ·,1841 j -,6652 · ·,7218: ,6803! ,1739 ! -,4559 j -,2138 P=,006/ P=,066 ! P=,108 j P:,289 ! P=,611 ; P=,051 · P=,028 P:,044 ! P=,631 ! P=,185 [ P=,553
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-,6473! -,3852 ! -,739o ! -,2157 ! -,4339! -,421o ! -,2094 [ ,3766! -,1m ! -,6974 ! -,4843 P=,043 , P=,272! P=,015 j P=,549 j P=,210 / P=,259 j P=,S89 j P=,318j P=,684j P=,025j P=,156
LM=Durchschnittliche Tagelöhne ftlr Männer über 16 Jahren; LW=Durchschnittliche Tagelöhne filr Frauen über 16 Jahren; CDR=Rohe allgemeine Sterberate; Tb=Sterblichkeit an Tuberkulose; GI=Sterblichkeit an gastro-intestinalen Störungen; Ty=Sterblichkeit an Abdominaltyphus; Dip=Sterblichkeit an Diphtherie; CDRW=Rohe allgemeine Sterberate der Frauen; TbW=Sterblichkeit der Frauen an Tuberkulose; TyW= Sterblichkeit der Frauen an Abdominaltyphus; KB=Sterblichkeit im Kindbett; IMR=Säuglingssterblichkeit; Gr=Geburtenrate; P=zweiseitige Signifikanz. Quellen: Statistisches Jahrbuch deutscher Städte 19 (1913), S. 826-828; Veröffentlichungen des Kaiserlichen Gesundheitsamtes (Beilagen) 25 (1901)-38 (1914); Anhang 2.
Die Höhe der Löhne weiblicher Arbeitskräfte verhält sich umgekehrt proportional zu nahezu allen hier ausgewählten Indikatoren der Sterblichkeit. Auffälligerweise fällt die Korrelation mit den Sterberaten der Frauen schwächer aus als diejenige mit der Gesamtsterblichkeit aller städtischen Einwohner. Die Doppelbelastung der Frauen scheint die potentiellen Vorteile zusätzlichen Familieneinkommens wieder aufgewogen zu haben. Dagegen profitierten Ehemann und Kinder stärker vom Beitrag der Ehefrauen zum Familieneinkommen als diese selbst. So weisen die Löhne der Frauen eine negative Korrelation sowohl mit der Sterblichkeit an Erkrankungen des Verdauungssystems (r = -0,7390), die hauptsächlich Säuglinge und Kleinkinder betrafen, als auch mit der Säuglingssterblichkeit insgesamt (r = -0,6974) auf. Die Höhe des Beitrags der Frau zum Familieneinkommen hatte demnach einen erheblichen Einfluß auf die Überlebenschancen der Kinder. 130 Das unterstreicht den komplexen Effekt, den die Teilnahme der Frauen am offiziellen Arbeitsmarkt
5. Frauenerwerbsarbeit und Säuglingssterblichkeit
213
auf die Gesundheit der Säuglinge hatte, auf den im folgenden Kapitel gesondert eingegangen wird. Schwach ausgeprägt sind dagegen die Bezüge von männlichem wie weiblichem Einkommen und der Sterblichkeit an Abdominaltyphus und Diphtherie sowie Todesfällen im Kindbett. Das Risiko, an diesen Todesursachen zu sterben, war demnach stärker von anderen Faktoren bestimmt.
5. Frauenerwerbsarbeit und Säuglingssterblichkeit Nach den Ergebnissen der vorigen Kapitels wirkte sich das Lohnniveau vor allem in den unteren Schichten substantiell auf die Überlebenschancen der Säuglinge aus. Wie war es aber grundsätzlich um den Zusammenhang von Frauenerwerbsarbeit und Säuglingssterblichkeit bestellt zu einer Zeit, in der die Arbeitsumgebung vollkommen auf männliche Lebensführung ausgerichtet war und weder Still- noch Betreuungsmöglichkeiten angeboten wurden? 131 Für die Zeitgenossen war das Urteil eindeutig. Sie schrieben die enorme Höhe der Säuglingssterblichkeit vor allem der Teilnahme der Frauen am Arbeitsmarkt zu, insbesondere die Industriearbeit geriet ins Kreuzfeuer der Kritik. Die Tätigkeit außer Haus wurde mit einer niedrigen Stillquote und einer allgemeinen Vernachlässigung der Säuglinge und Kleinkinder in Verbindung gebracht. 132 Untersuchungen und Befragungen der Mütter nach den Gründen des NichtStillens weisen darauf hin, daß viele Frauen als Folge harter Arbeit und schlechter Arbeits- und Lebensbedingungen physisch dazu nicht in der Lage waren. Erhebungen in einem Münchener Kinderhospital in den l880er Jahren
130 Bis zu einem gewißen Grad mag dies auch das hohe Sterberisiko illegitimer Säuglinge reflektieren. Allerdings ergibt eine Korrelation der ortsüblichen Tagelöhne im Jahr 1912 in preußischen Städten über 200.000 Einwohner mit den für diese Städte vorliegenden Sterberaten illegitimer Säuglinge (1901-1 0) ledigliehe einen Koeffizienten von r =-0,3261 , p (zweiseitig)= 0,235.
Quellen: Statistisches Jahrbuch deutscher Städte 19 (1913), S. 828; Taschenbuch des Statistischen Amts der Stadt Düsseldorf, 5. vermehrte Auflage, Düsseldorf, 1913, S. 23. 131 Vgl. dazu auch Vgl. M Ellerkamp, Industriearbeit, Krankheit und Geschlecht. Zu den sozialen Kosten der Industrialisierung: Bremer Textilarbeiterinnen 1870-1914, Göttingen 1991, S. 153-156. Aufgrund des umfangreichen Materials noch immer lesenswert: R. Hofstätter, Die arbeitende Frau. Ihre wirtschaftliche Lage, Gesundheit, Ehe und Mutterschaft, Wien 1929. 132 Beispiele bei H. R. Jones, The Perils and Protection of Infant Life, in: Journal of the Royal Statistical Society 57 (1894), S. 1-103, hier S. 54-56; St. Engel, Grundriss der Säuglingskunde. Ein Leitfaden für Schwestern, Pflegerinnen und andere Organe der Säuglingsfürsorge nebst einem Grundriss der Säuglingsfürsorge von M. Baum, Wiesbaden'· 6 1917, S. 52; G. Tugendreich, Die Mütter- und Säuglingsfürsorge. Kurzgefasstes Handbuch, Stuttgart 1910, S. 136- 13 7.
214
III. Lebensstandard, Wohnverhältnisse und soziale Ungleichheit
ergaben beispielsweise, daß dies in 58 Prozent aller Fälle zugetroffen haben soll. 133 Als Hauptgründe ft.ir das Nichtstillen gaben beispielsweise Mütter, die eine Münchener Milchküche im Jahr 1908 besuchten, in 43 Prozent aller Fälle Krankheit der Mutter an, 27 Prozent führten dies auf Milchmangel und 13 Prozent auf ihre berufliche Tätigkeit (insbesondere bei unehelichen Kindern) zurück.134 In der angeschlossenen Fürsorgestelle lagen die entsprechenden Angaben bei 33, 31 und 22 Prozent. 135 Allerdings verwundem die rückläufigen Stillquoten angesichts steigenden Lebensstandards. Zudem nahm die Stillhäufigkeit mit zunehmendem Einkommen ab, "die reicheren bürgerlichen Kreise geben hinsichtlich der Stillsitten ein außerordentlich schlechtes Beispiel!" 136 Was immer die tatsächlichen Gründe ft.ir dieses Verhalten waren, Mediziner und Ärzte machten regelmäßig die Mütter daft.ir verantwortlich und äußerten vollkommenes Unverständnis gegenüber nichtstillenden Müttern, da das Stillen der Säuglinge kostengünstiger sei, so daß die Frauen gar nicht zur Arbeit gehen müßten. Konsequenterweise propagierten sie, die Frauen zum Wohle der Kinder vom Erwerbsleben auszuschließen. Das war ein krasses Fehlurteil, da die Mütter ihre Milch häufig verkauften, um zumindest ein geringes zusätzliches Einkommen zu erlangen. Erhebungen des Kaiserlichen Statistischen Amtes sowie des Deutschen Metallarbeitervereins zu Beginn des 20. Jahrhunderts ergaben überdies, daß Arbeiterfamilien ohne die zusätzliche Erwerbstätigkeit von Familienangehörigen in Schulden gerieten. 137 Diese Argumentation zeigt aber auch eine vollkommen unrealistische Vorstellung von der weiblichen Ökonomie und der Frauenarbeit. Dieses Kapitel wird deshalb der Art und Struktur weiblicher Arbeit allgemein und, anhand der Berufszählung 1907, für
133 T. Escherich, Die Ursachen und Folgen des NichtstilJens bei der Bevölkerung Münchens, in: Münchener Medicinische Wochenschrift 34 (1887), S. 233-235 und S. 256-259, hier S. 257.Allgemein zum Thema: A. Bluhm, Stillflihigkeit, in: A. Grotjahn I I. Kaup (Hgg.), Handwörterbuch der Sozialen Hygiene, Bd. 2, Leipzig 1912, S. 555-570.
n• Reinach I Grimm, Bericht über die Tätigkeit des "Prinzessin-Arnulfhauses flir Säuglinge (e.V.)" in München. Säuglingsheilanstalt und Säuglingsflirsorgestelle mit spezieller Berücksichtigung der Milchküchenfrage, in: Zeitschrift ftlr Säuglingsfllrsorge 3 (1909), S. 107-123, S. 143177, hier S. I I 8 und I 50. Ähnliche Aussagen flir Berlin bei E. Graetzer, Einiges über die Ernährungsweise der Säuglinge bei der Berliner Arbeiterbevölkerung, in: Jahrbuch ftlr Kinderheilkunde 35 (1893), S. 229-244. 135 Reinach I Grimm, Bericht, S. 145. - Verständlicherweise nicht erwähnt wird in einer solchen offiziellen Befragung als Grund, daß künstlich ernährte Säuglinge wegen der geringeren Verdaulichkeit der Nahrhung ruhiger als gestillte Kinder sind. 136 M Baum, Stillbeihilfen und ihre Verbreitung im Regierungsbezirk DUsseldorf, in: Mutter und Kind. Monatsschrift filr Säuglingsflirsorge 5 (1913), Heft 10, S. 4-7, hier S. 6. Dort auch eine Graphik zur Verbreitung des StilJens nach dem Familieneinkommen.
m Die Ergebnisse finden sich zusammengestellt bei Fischer, Grundriss der sozialen Hygiene, S. 88-89.
5. Frauenerwerbsarbeit und Säuglingssterblichkeit
215
das Städtesampie nachgehen und ihre Wirkung auf die Gesundheitsverhältnisse analysieren, insbesondere hinsichtlich der Gesundheit von Mutter und Kind. Bei der Auswertung offizieller Quellen zur Frauenerwerbsarbeit, insbesondere der Berufszählungen ist zu bedenken, daß diese traditionell unterregistriert wurde. 138 Denn die Berufszählungen erfaßten in der Regel weder Saison- noch Gelegenheitsarbeit. Nebenberuflich tätige Personen wurden in der Berufszählung 1907 zu den Haushaltsangehörigen gezählt. Das aber betraf fast ausschließlich Frauen. Umgekehrt sind das Ausmaß und der Stellenwert der versteckten weiblichen Ökonomie kaum abzuschätzen. Gerade in den Städten wurde die Hausarbeit von Ehefrauen und Töchtern häufig verschwiegen, 139 um der Besteuerung zu entgehen oder um einen zumindest kleinbürgerlichen Lebenswandel vorzugeben. Mündliche Interviews enthüllen flir das frühe 20. Jahrhundert eine bedeutende versteckte weibliche Ökonomie. 140 Die Frauen trugen zum Familieneinkommen durch Wäsche waschen, Nähen und Handarbeiten, dem Hacken und Verkaufen von Brennholz etc. bei. Auch die Prostitution wäre in diesem Zusammenhang zu nennen. Und schließlich arbeitete ein Großteil der Frauen 'full-time' zu Hause, ohne irgendeinen Geldlohn dafür zu bekommen. Was den offiziellen Arbeitsmarkt betrifft, stieg der Anteil der Frauen am Erwerbsleben im Untersuchungszeitraum beständig an, von 24 Prozent im Jahr 1882 auf immerhin 30,7 Prozent im Jahr 1907.141 Fast ein Drittel aller Erwerbstätigen waren somit Frauen; einschließlich der Dienstboten waren 1907 rund zehn Millionen Frauen offiziell erwerbstätig. Wichtigster Sektor weiblicher Erwerbstätigkeit blieb im 19. Jahrhundert die Landwirtschaft. 142 Im
138 E. Higgs, Women, Occupations and Work in the Nineteenth Century Censuses, in: History Workshop 23 (1987), S. 59-80; E. Roberts, Women's Work 1840-1940, Houndmills 1988, S. 1720; L. A. Tillyl J. W Scott, Women, Work, and Family, New York 1978, S. 125. 139 B. Franzoi, Domestic Industry. Work Options and Women's Choice, in: J. C. Fout (Hg.), German Women in the Nineteenth Century. A Social History, New York 1984, S. 256-269,259. 140 Vgl. die wenigen einschlägigen Arbeiten dazu von P. Ayers I J Lambertz, Marriage relations, money and domestic violence in working-class Liverpool, 1919-39, in: J. Lewis (Hg.), Labour and Love. Women's Experience ofHome and Family, 1850-1940, Oxford 1986, S. 195219; P. Ayers, The hidden economy of dockland families : Liverpool in the 1930s, in: P. Hudson I W. R. Lee (Hgg.), Women's work and the family economy in historical perspective, Manchester 1990, s. 271-290. 141 Berechnet aus Statistisches Bundesamt (Hg.), Bevölkerung und Wirtschaft 1872-1972, Stuttgart 1972, S. 90 und 140. - Vgl. dazu auch H. Rosenbaum, Formen der Familie. Untersuchungen zum Zusammenhang von Familienverhältnissen, Sozialstruktur und sozialem Wandel in der deutschen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts, Frankfurt a. M. 1982, S. 396-409. 142 Eine Einfuhrung in den Themenbereich und einen Überblick Uber die insbesondere im angelsächsischen Raum intensiv betriebenen Forschungen bieten Higgs, Women, Occupations and Work; P. Hudson I W R. Lee, Womens work and the family economy in historical perspective, in: P. Hudson I W. R. Lee (Hgg.), Women's work and the family economy in historical perspective,
III. Lebensstandard, Wohnverhältnisse und soziale Ungleichheit
216
städtischen Umfeld dagegen war die Frauenerwerbsarbeit trotz Industrialisierung auf wenige Berufe beschränkt, die häufig Affinitäten zur Hausarbeit aufwiesen.143 Auch Großbetriebe und krisenanfällige Branchen rekrutierten zunehmend Frauen als billige ungelernte Arbeiter. 144 Allgemein läßt sich sagen, daß in Deutschland wie in anderen westeuropäischen Ländern Frauenarbeit in der Regel arbeitsintensiv, ungelernt, unregelmäßig und schlecht bezahlt war. Frauen falteten Kartons, nähten, flochten Körbe, knüpften Fischnetze oder rollten Tabak. 145 Im Kaiserreich waren fast 50 Prozent der arbeitenden Frauen in der Textilindustrie angestellt, ein Drittel arbeitete in der Nahrungsmittel- und Tabakindustrie. 146 In den ausgewählten Städten war die Mehrzahl der werktätigen Frauen über I4 Jahre nach der Berufszählung von I907 in den Berufsgruppen Industrie, häusliche Dienste (inklusive Dienende flir häusliche Dienste und Lohnarbeit wechselnder Art) sowie Handel, Verkehr und Gastronomie tätig. Industriearbeit dominierte in Nürnberg (mit 43,8 Prozent), in Berlin (39, I Prozent), in Leipzig (38,3 Prozent), in Dresden (34,0 Prozent) und in Breslau (3I ,5 Prozent), während häusliche Dienste in Frankfurt am Main (30,3 Prozent, die bei ihrem Arbeitgeber wohnten, plus 5,8 Prozent, die außerhalb lebten und Lohnarbeit mit wechselnder Beschäftigung), in Düsseldorf (24,6 und 6,2 Prozent), in Harnburg (22,0 und 8,5 Prozent), in Köln (2I, I und 4,9 Prozent) und in München (I9,0 und 8, I Prozent) vorherrschendes Gewerbe waren. Zwischen I5 und 22 Prozent aller Frauen waren registriert als ohne Beruf (ausschließlich der Haushaltsangehörigen), dazu kommt eine unbekannte
Manchester (1990), S. 2-47; A. V John (Hg.), Unequal Opportunities. Women's Employment in England 1800-1918, Oxford 1986; J. Lewis, Women in England 1870-1950: Sexual Divisionsand Social Change, Brighton 1984; J Lewis, The Warking-Class Wife and Mother and State Intervention, 1870-1918, in: J. Lewis (Hg.), Labour and Love. Women's Experience ofHome and Family, 1850-1940, Oxford 1986, S. 73-98; Roberts, Women's Work; Tilly I Scott, Women, Work, and Family. - Für Deutschland siehe insbesondere J C. Foul (Hg.), German Women in the Nineteenth Century. A Social History, New York 1984; B. Franzoi, At the Very Least She Pays the Rent. Women and German Industrialization, 1871-1914, Westport 1985, U. Knapp, Frauenarbeit in Deutschland, 2 Bde., München 1984; W. Müller I A. Wi/lms I J. Hand/ (Hgg.), Strukturwandel der Frauenarbeit 1880-1980, Frankfurt 1983; H Pohl (Hg.), Die Frau in der deutschen Wirtschaft, Stuttgart 1985; Ritter I Tenfelde, Arbeiter im Deutschen Kaiserreich, S. 163-174 und S. 205-218; R. Stockmann, Gewerbliche Frauenarbeit in Deutschland 1875-1980, in: GG II (1985), S. 447-475. - Allgemein dazu J. Kocka, Arbeitsverhältnisse und Arbeiterexistenzen. Grundlagen der Klassenbildung im 19. Jahrhundert, Bonn 1990, S. 471-473; Mommsen, Das Ringen um den nationalen Staat, S. 316-325. 143
Hudson I Lee, Women's work, S. 21; Stockmann, Gewerbliche Frauenarbeit, S. 459.
E. Plössl, Weibliche Arbeit in Familie und Betrieb. Bayerische Arbeiterfrauen 1870-1914, München 1983, S. 149-151. 144
14s Franzoi,
Domestic Industry, S. 258; vgl. auch Plössl, Weibliche Arbeit, S. 152-164. Die Frauenerwerbsarbeit im Deutschen Reich nach den Ergebnissen der Berufszählungen von 1882-1910, in: Statistische Beilage des Correspondenz-Blatts 3 (April 27, 1912), S. 68-77; Franzoi, Domestic lndustry, S. 258. 146
5. Frauenerwerbsarbeit und Säuglingssterblichkeit
217
Anzahl Haushaltsangehöriger mit einer Nebenerwerbstätigkeit, so daß insgesamt auch in diesen konkreten Fällen von einer substantiellen versteckten weiblichen Ökonomie auszugehen ist. 147 Während in anderen westeuropäischen Ländern der Druck der organisierten Arbeiterbewegung in Richtung eines Familieneinkommens wie auch staatliche Interventionen zu einem zunehmenden Ausschluß verheirateter Frauen aus dem Erwerbsleben fiihrten, 148 stieg in Deutschland die Anzahl der verheirateten Frauen, die in der Industrie tätig waren, zwischen 1895 und 1907 um 78 Prozent149 und die Zahl der im Hauptberuf erwerbstätigen Frauen um 57 Prozent an. 150 Tatsächlich waren nach Angaben aus Berufszählungen, die den Familienstand berücksichtigten, die meisten berufstätigen Frauen unverheiratet. 151 Verheiratete Frauen, einschließlich der Witwen und getrennt Lebender, machten im Jahr 1907 etwa 21 Prozent der gesamten weiblichen Erwerbstätigen Deutschlands aus, sie repräsentierten jedoch annähernd 50 Prozent der Heimarbeiterinnen, was bedeutet, daß sie in einem ungeregelten, wenig geschützten und
••7 Vorherrschende weibliche Berufstätigkeit und der Anteil der dort arbeitenden Frauen (in Prozent aller werktätigen Frauen über 14 Jahre) in den zehn größten deutschen Städten, 1907: ID HA SD OB HD LA DHD 0,1 39,1 Berlin 18,1 3,9 16,6 8,2 13,9 0,9 31,5 14,5 Breslau 5,1 22,5 6,2 19,0 Köln 1,1 23,4 18,2 5,7 22,2 4,9 21,2 0,6 34,0 Dresden 16,7 16,8 4,4 21,5 6,0 Düsseldorf 1,7 21,6 18,4 5,2 22,1 6,2 24,6 Frankfurt!M. 1,6 22,9 16,5 17,6 5,3 5,8 30,3 Harnburg 0,2 22,6 20,3 20,9 8,5 22,0 5,5 Leipzig 0,6 38,3 18,4 3,6 18,0 4,5 16,6 0,5 22,4 24,0 München 8,1 19,0 5,7 20,2 1,9 43,8 17,4 Nümberg 3,0 15,6 2,3 15,5 .. LA=Landw1rtschaft, Gärtnerei und Tierzucht, Forstwirtschaft und F1schere1; ID=lndustne einschließlich Bergbau und Baugewerbe; HA=Handel und Verkehr, einschließlich Gast- und Schankwirtschaft; SD=Militär-, Hof-, bürgerlicher und kirchlicher Dienst, auch sogenannte freie Berufsarten; OB=Ohne Beruf und Berufsangabe (ausschließlich der Haushaltsangehörigen ohne Erwerbstätigkeit oder nur nebenberuflich tätig); HD=Häusliche Dienste (einschließlich persönliche Bedienung), auch Lohnarbeit wechselnder Art; DHD=Dienende für häusliche Dienste, im Haushalt ihrer Herrschaft lebend. Quelle: Statistik des Deutschen Reichs NF 207,2 (1910). 148 Hudson I Lee, Women's work, S. 23-26. ••9 Franzoi, At the Very Least She Pays the Rent, S. 17; Vgl. auch Fischer, Grundriss der sozialen Hygiene, S. 69-72.
•so J. Pierstorff, Weibliche Arbeit und Frauenfrage, in: J. Conrad I L. Elster I W. Lexis I E. Loening (Hgg.), Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Bd. 8, Jena 1911 , S. 679-732, hier insbesondere S. 681. •s• Siehe auch Tilly I Scott, Women, Work, and Family.
218
III. Lebensstandard, Wohnverhaltnisse und soziale Ungleichheit
schlecht bezahlten Produktionssektor arbeiteten, bevor gesetzliche Maßnahmen zur Regelung der Heimarbeit schließlich im Jahre 1911 in Kraft traten. 152 Allerdings kann die hohe Säuglingssterblichkeit nicht grundsätzlich der Teilnahme der Frauen am Arbeitsmarkt zugeschrieben werden. Eine hohe Beteiligung wird zwar allgemein mit einer niedrigen Stillquote und einer entsprechend hohen Säuglingssterblichkeit in Verbindung gebracht. 153 Das trifft aber nicht immer und unter allen Umständen zu: In den ausgewählten Städten reichte der Anteil der Frauen über 14 Jahre, die nicht erwerbstätig waren, nach der Berufszählung des Jahres 1907 von über 50 Prozent in den südöstlichen und östlichen Städten (54,5 Prozent in München, 54,6 Prozent in Nümberg und 57,7 Prozent in Breslau) bis zu wesentlich höheren Raten in den westlichen Städten, mit 66,8 Prozent in Köln und 68,9 Prozent in Düsseldorf (Tabelle 3 .6). Das scheint auf den ersten Blick nahezu die regionalen Höhe der Säuglingssterblichkeit widerzuspiegeln und somit zunächst fur die nachteilige Wirkung der Frauenerwerbsarbeit, wie sie im Kaiserreich organisiert und strukturiert war, zu sprechen. Eine Korrelation des Anteils der Frauen, die im Jahr 1907 am offiziellen Arbeitsmarkt partizipierten, und der Säuglingssterblichkeit (19001913) zeigt fiir die zehn größten Städte jedoch keinen statistischen Zusammenhang. 154 Offensichtlich wurden mit den hygienischen Verbesserungen die Unterschiede in der Mortalität zwischen gestillten und künstlich ernährten Säuglingen zunehmend nivelliert. So wurde der Lohn der arbeitenden Mutter, welcher der Familie einen höheren Lebensstandard verschaffte, fiir die Überlebenschancen der Säuglinge wichtiger als die Emährungsweise. 155 In den deutschen Städten reduzierten um die Jahrhundertwende im allgemeinen höhere Löhne der weiblichen Arbeiterschaft die Säuglingssterblichkeit, die statistische Korrelation zwischen der Höhe der Tagelöhne fiir Frauen und der Säuglingssterblichkeit, wie bereits erwähnt, ist substantiell. 156 Allerdings sind wiederum
152 Franzoi, Domestic Industry, S. 258; Hudson I Lee, Women's work, S. 29-30. Siehe auch die gelungenen Lokalstudien von R. Beier, Frauenarbeit und Frauenalltag im Deutschen Kaiserreich. Heimarbeiterinnen in der Berliner Bekleidungsindustrie 1880-19 I 4, Frankfurt I 983 und Ellerkamp, Industriearbeit
ISJ C. Dyhouse, Working-Class Mothers and Infant Mortality in England, 1895-1914, in: Journal ofSocial History 12 (1978), S. 248-267, hier S. 251-253; C. Holdsworth, Women's work and family health: evidence from the Staffordshire Potteries, 1890-1920, in: Continuity and Change 12 (1997), S. 103-128. 154
r =-0, I I 06, p (zweiseitig) = 0, 76 I .
Quellen: Statistik des Deutschen Reichs N.F. 207 (1907); Veröffentlichungen des Kaiserlichen Gesundheitsamtes (Beilagen) 25 (1901)-38 (1914). Iss Dyhouse, Working-Ciass Mothers, S. 254-257. 1s6 Zur Erinnerung: r =-0,6974,
p (zweiseitig)= 0,025.
5. Frauenerwerbsarbeit und Säuglingssterblichkeit
219
starke regionale Unterschiede zu berücksichtigen. Während in den hochindustrialisierten Gebieten Westdeutschlands die Unterschiede in der Sterblichkeit von gestillten und künstlich ernährten Säuglingen zunehmend verschwanden, blieben sie im weniger industrialisierten Osten und Südosten bestehen. Damit verstärkte die Industrialisierung zunächst die regionalen Unterschiede. 157 Städte aus dem Sample, die in diesen traditionellen Nichtstillgebieten lagen, d.h. Breslau, München und Nümberg, wiesen sowohl eine hohe Beteiligung der Frauen am Arbeitsmarkt als auch eine hohe Säuglingssterblichkeit auf. Dies ist keineswegs ausschließlich auf den hohen Anteil illegitimer Kinder in diesen Städten zurückzuführen, die ledige Mütter verstärkt zur Teilnahme am Arbeitsmarkt zwangen: Alle drei Städte registrierten einen ähnlich hohen Anteil der Frauen am Arbeitsmarkt, gleichzeitig aber deutliche Unterschiede in der Illegitimenquote: München nahm hier mit über 30 Prozent im Jahr 1911 einen Spitzenwert ein, Breslau und Nümberg wurden aber noch von Leipzig, Berlin und Dresden übertroffen, die wiederum eine geringere Beschäftigungsquote der Frauen verzeichneten. 158 Vielmehr konnte in den genannten Orten eine starke Beteiligung am Arbeitsmarkt den niedrigeren Lebensstandard einer Familie offenbar nicht ausgleichen, so daß das Ausweichen auf künstliche Ernährung weiterhin einen negativen Effekt auf die Überlebenschancen der Säuglinge hatte. Im Zuge der Industrialisierung stieg der Lebensstandard in den neuen westdeutschen Industriestädten beträchtlich, hier waren die Löhne sowohl flir Frauen als auch für Männer überdurchschnittlich. 159 In Düsseldorf etwa lagen sie zeitweise höher als in den Weltstädten Berlin, Harnburg oder Frankfurt am Main. 160 Gleichzeitig war der Anteil der Frauen am offiziellen Arbeitsmarkt mit am geringsten. Im Jahr 1907 wies Düsseldorf unter den zehn größten deutschen Städten mit 31,1 Prozent die geringste Beteiligung der Frauen im Alter über 14 Jahren am offiziellen Arbeitsmarkt auf. In Berlin lag, zum Vergleich, die Quote bei 41,7, in München und Nümberg bei über 45 Prozent. 161 Selbst wenn die Frauenerwerbsarbeit an männlichen Erwerbsstrukturen orientiert war, kann ihr mithin keine grundsätzlich nachteilige Wirkung auf die Gesundheit der Säuglinge unterstellt werden. Gerade für die industrialisierte Lebenswelt scheint das negative Urteil der Zeitgenossen nicht generell zugetroffen zu haben; im Gegenteil, der Beitrag der erwerbstätigen Frauen zum Fa-
Quellen: Statistisches Jahrbuch deutscher Städte 19 (1913), S. 826; Veröffentlichungen des Kaiserlichen Gesundheitsamtes (Beilagen) 25 (1901)-38 (1914). Vgl. auch Brown, Public Health Reform. 157
Lee, Gennany, S. 156.
158
Vgl. Kapitel II 4.
159
Statistisches Jahrbuch deutscher Städte 19 (1913), S. 826.
160
Statistische Monatsberichte der Stadt DUsseldorf 1907, Beilagen, X.
161
Quelle: Statistik des Deutschen Reichs N.F. 207,2 (1910). Vgl. Tabelle 3.6.
220
III. Lebensstandard, Wohnverhältnisse und soziale Ungleichheit
milieneinkommen konnte die Überlebenschancen der Säuglinge sogar erhöhen. Versuche, die EIWerbstätigkeit der Frauen zu stigmatisieren, scheinen daher eher die zeitgenössischen bürgerlichen Vorstellungen einer idealen Mutterschaft zu transportieren als auf tatsächliche Gesundheitsgefahren aufmerksam zu machen. 162 Tabelle 3.6
Anteil der im Haushalt tätigen Frauen und der Frauen ohne Beruf über 14 Jahre (in Prozent aller Frauen über 14 Jahre) im Jahr 1907 und ausgewählte Indikatoren der Sterblichkeit in den zehn größten deutschen Städten, 1900- 1913
Stadt München Nümberg Breslau Berlin Dresden Frankfurt a.M. Leipzig Harnburg Köln Düsse1dorf
Frauen >14 im Haushalt /ohne Beruf (1907) (%) 54,5 54,6 57,7 58,3 61,0 61,4 61,9 65,6 66,8 68,9
CDR w 1907 *16,6 ++ 18,1 19,0 14,7 *13,7 13,9 +12,3 **12,8 17,2 14,6
Tuberkulose w 1907 *216,0 ++248,7 274,2 186,7 *150,8 200,3 +156,4 **141,6 170,9 157,5
Sterblichkeit# Typhus Kindbett w 1907 1900- 13 *2,1 ++1,5 0,7 3,4 *2,7 1,7 +2,0 **2,4 2,7 1,6
5,7 4,2 5,0 8,7 7,6 2,5 7,8 9,0 6,9 3,0
IMR 1900-13 20,6 21,9 22,6 18,1 16,3 14,0 19,8 15,8 20,3 16,9
GeburtenRate 1900-13 28,1 32,6 29,5 23,4 26,2 26,1 27,6 25,1 33,5 32,6
# CDR pro 1.000 Lebende; Tuberkulose, Typhus und Kindbett pro 100.000 Lebende; IMR pro I 00 Geborene; Geburtenrate pro 1.000 Lebende.
* 1910 Sterberate fur beide Geschlechter; Geschlechter.
** 191 0;
+ 1912; ++ 1900-1913 Sterberate filr beide
Quelle: Statistik des Deutschen Reichs NF 207,2 (1910); Veröffentlichungen des Kaiserlichen Gesundheitsamtes (Beilagen) 25 (1901)-38 (1914); Anhang 2.
162 Dies mag auch zumindest teilweise erklären, warum Bestimmungen zum Mutterschutz unzureichend blieben. Vgl dazu auch Kapitel V 4 b.
6. Wohnen und der Wandel der städtischen Gesundheitsverhältnisse
221
6. Wohnen und der Wandel der städtischen Gesundheitsverhältnisse Allgemein werden die städtischen Wohnverhältnisse der Zeit als extrem schlecht und gesundheitsbedrohend gekennzeichnet. Durch das rapide Bevölkerungswachstum und die steigende Bevölkerungsdichte während der Urbanisierungsperiode spitzten sich die Probleme der städtischen Wohnverhältnisse eklatant zu. Der Wohnungsmarkt konnte mit den Wachstumsraten der städtischen Agglomerationen nicht Schritt halten, denn Bevölkerungszunahme und Wohnungsbauzyklen waren in Deutschland nicht kongruent. 163 Der Druck auf den Wohnungsmarkt wurde zusätzlich verstärkt durch die zunehmende Trennung von Wohn- und Arbeitsstätte mit der Notwendigkeit, in der Nähe des Arbeitsplatzes zu wohnen, und durch fortwährende Bevölkerungsumschichtungen durch die Neuansiedlung von Gewerbe und Industrie sowie durch Straßen- und Eisenbahnbau. 164 Der funktionale Wandel vieler Städte des 19. Jahrhunderts mit ihrer zunehmenden sozialen Segregation brachte eine Zunahme von überfiillten innerstädtischen Wohngebieten, in denen extrem schlechte Lebensbedingungen herrschten. Dieses rapide Wachstum der Städte im 19. Jahrhundert fuhrt~ zu den schrecklichen Wohnverhältnissen, wie sie von prominenten zeitgenössischen Beobachtern aus bürgerlichen Kreisen besonders fiir England detailliert beschrieben wurden (zum Beispiel Edwin Chadwick, Henry Duncan, Friedrich Engels, James Kay-Shuttleworth)' 65 und Untersuchungsgegenstand zahlreicher zeitgenössischer Studien bildeten. Seit den 1970er Jahren beschäftigen sich auch moderne historische Analysen mit dem Thema, wobei vor allem Wohnungsversorgung, Wohnkosten, Wohnbedingungen sowie der zeitgenössische Diskurs über Wohnungspolitik und Wohnungsreform im Mittelpunkt neuerer Arbeiten stehen. 166
163 R. H Tilly I T. Wellenreuther, Bevölkerungswanderung und Wohnungsbauzyklen in deutschen Großstädten im 19. Jahrhundert, in: H. J. Teuteberg (Hg.), Homo Habitans. Zur Sozialgeschichte des ländlichen und städtischen Wohnens in der Neuzeit, Münster 1985, S. 273-300. 164 A. S. Wohl, The Housing ofthe Working Classes in London, 1815-1914, in: S. D. Chapman, The History ofWorking-Ciass Housing. A Symposium, Totowa 1971 , S. 13-54, S. 17-21 . 165
Vgl. dazu Dennis, English lndustrial Cities, S. 48-109.
So beispielsweise L. Niethammer unter Mitarbeit von F. J Brüggemeier, Wie wohnten Arbeiter im Kaiserreich?, in: AfS 16 (1976), S. 61-134; A. von Saldern, Häuserleben. Zur Geschichte städtischen Arbeiterwohnens vom Kaiserreich bis heute, Bonn 1995; H. J Teufeberg (Hg.), Homo Habitans. Zur Sozialgeschichte des ländlichen und städtischen Wohnens in der Neuzeit, Münster 1985; H. J Teufeberg I C. Wischermann, Wohnalltag in Deutschland 18501914. Bilder - Daten - Dokumente, Münster 1985. Eine beeindruckende Lokalstudie bietet Wischermann, Wohnen in Hamburg. Eine quantitativ-statistische Analyse der Wohnverhältnisse ausgewählter Städte bieten E. Gransehe I F. Rothenbacher, Wohnbedingungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts 1861-1910, in: GG 14,1 (1988), S. 64-95. Eher politikgeschichtlich ist dagegen C. Zimmermann, Von der Wohnungsfrage zur Wohnungspolitik. Die Reformbewegung 166
222
III. Lebensstandard, Wohnverhältnisse und soziale Ungleichheit
Während im Rahmen von Untersuchungen zur städtebaulichen Entwicklung die Verbindung zu stadthygienischen Konzepten immerhin thematisiert wurde, 167 liegen bislang lediglich einige wenige, zudem meist oberflächliche und unsystematische moderne Arbeiten zum Thema Wohnen und Gesundheit vor, 168 obwohl die Wohnungssituation als ein Kernpunkt der Sozialen Frage gilt, und bereits die damaligen Zeitgenossen die Bedeutung der Wohnung fiir die Gesundheitsverhältnisse zunehmend herausgestrichen haben. 169 Als typische Wohnungskrankheiten galten ihnen die Magen-Darm-Erkrankungen der Säuglinge, insbesondere die erhöhte Sommersterblichkeit in den schlecht isolierten Dachwohnungen, und vor allem die Sterblichkeit an Tuberkulose. 170
in Deutschland 1845-1914, Göttingen 1991. Zum Forschungsstand in den frühen 1990er Jahren vgl. W Hofmann, Wohnen und Wohnungspolitik im 19. Jahrhundert, in: Informationen zur modernen Stadtgeschichte 1993, Heft 2, S. 11-16. Für eineneuere Zusammenfassung der Wohnverhältnisse im Kaiserreich siehe Nipperdey, Deutsche Geschichte, Bd. I, S. 136-150; speziell zur Wohnsituation von Arbeitern Ritter I Tenfelde, Arbeiter im Deutschen Kaiserreich, S. 582-617. Im europäischen Kontext C. G. Pooley (Hg.), Housing Strategies in Europe, 1880-1930, Leicester 1992. Für ausgewählte europäische und amerikanische Städte siehe M J Daunton (Hg.), Housing the Workers, 1850-1914. A Comparative Perspective, London 1990. Zu den Wohnverhältnissen im breiteren Kontext der Städteplanung vgl. Sutc/iffe, Towards the Planned City. 167 J. Rodriguez-Lores I G. Fehl (Hgg.), Städtebaureform 1865- 1900. Von Licht, Luft und Ordnung in der Stadt der Gründerzeit. Teil I : Allgemeine Beiträge und Bebauungsplanung; Teil 2: Bauordnungen, Zonenplanung und Enteignung, Harnburg 1985; J. Rodriguez-Lores, Stadthygiene und Städtebau. Am Beispiel der Debatten im Deutschen Verein fiir öffentliche Gesundheitspflege 1869-1911, in: J. Reulecke I A. Gräfin zu Casteil Rüdenhausen (Hgg.), Stadt und Gesundheit. Zum Wandel von "Volksgesundheit" und kommunaler Gesundheitspolitik im 19. und frühen 20. Jahrhundert, Stuttgart 1991, S. 63-75; H Berndt, Hygienebewegung des 19. Jahrhunderts als vergessenes Thema von Stadt- und Architektursoziologie, in: Die alte Stadt 14 (1987), S. 140-163; M Rodenstein, "Mehr Licht, mehr Luft". Gesundheitskonzepte im Städtebau seit 1750, Frankfurt a. M. 1988; Fisch, Stadtplanung. Vgl. auch A. Sutc/iffe, Towards the Planned City. 168 Im wesentlichen deskriptiv bleiben J Burnett, Housing and Health, in: R. Schofleid I D. Reher I A. Bideau (Hgg.), The Decline of Mortality in Europe, Oxford 1991 , S . 158-176; W Treue, Haus und Wohnung im 19. Jahrhundert, in: W. Artelt I E. Heischkell G. Mann I W. Rüegg (Hgg.), Städte-, Wohnungs- und Kleidungshygiene des 19. Jahrhunderts in Deutschland. Vorträge eines Symposiums vom 17. bis 18. Juni 1967 in Frankfurt am Main, Stuttgart 1969, S. 34-51; H Goerke, Wohnhygiene im 19. Jahrhundert, in: W. Artelt I E. Heischkell G. Mann I W. Rüegg (Hgg.), Städte-, Wohnungs- und Kleidungshygiene des 19. Jahrhunderts in Deutschland. Vorträge eines Symposiums vom 17. bis 18. Juni 1967 in Frankfurt am Main, Stuttgart 1969, S. 52-69.
So etwa R. Eberstadt, Handbuch des Wohnungswesens und der Wohnungsfrage, Jena und 4 1920; C. Flügge, Großstadtwohnungen und Kleinhaussiedlungen in ihrer Einwirkung auf die Volksgesundheit, Jena 1916. Für die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg siehe B. Schwan, Die Wohnungsnot und das Wohnungselend in Deutschland, Berlin 1929. 169
11909, 1 1917
170 Die Anzahl der zeitgenössischen Untersuchungen über den Zusammenhang von Wohnung und Tuberkulose ist Legion. Deshalb werden an dieser Stelle lediglich einige Überblicksdarstellungen und Standardwerke zitiert. In diesen findet sich auch weiterfuhrende Literatur: Flügge, Großstadtwohnungen; M v. Gruber, Wohnung und Gesundheit, in: M. Rubner IM. v. Gruber I M. Ficker (Hgg.), Handbuch der Hygiene, Bd. 2,1, 1927, S. 1-42; A. Oldendorff, Einfluß der Wohnung auf die Gesundheit, in: Th. Weyl (Hg.), Handbuch der Hygiene, Bd. 4: Allgemeine Bau- und
6. Wohnen und der Wandel der städtischen Gesundheitsverhältnisse
223
Diese Untersuchungen konzentrierten sich in der Regel auf die sanitären Mißstände und, seit den 1880er Jahren, zunehmend auf die Überfiillung der Wohnungen und das Auftreten von Tuberkulose. Danach waren bestimmte Bezirke und Straßen einer Stadt stärker exponiert gegenüber der Tuberkulose als andere. Diese Örtlichkeiten zeichneten sich gewöhnlich durch besonders schlechte Wohnverhältnisse und eine hohe Belegungsdichte aus. Daraus wurde die Schlußfolgerung abgeleitet, die Tuberkulose sei die 'Wohnkrankheit' schlechthin. 171 Neuere demographische und epidemiologische Forschungen vor allem in Großbritannien konzentrieren sich gleichfalls auf die Tuberkulose. Angesichts der verheerenden Wohnverhältnisse im Europa des 19. Jahrhunderts haben sie McKeowns enge Verbindungslinie zwischen Ernährung und Tuberkulose kritisiert und gleichzeitig einen starken Zusammenhang zwischen Überbelegung der Wohnungen und der Sterblichkeit an dieser Krankheit postuliert. Sie behaupten, daß die armseligen Wohnverhältnisse primär fiir die städtische Übersterblichkeit verantwortlich gewesen wären, 172 da die Hauptursache flir die hohe Inzidenz von Tuberkulose im engen und regelmäßigen Kontakt mit Personen liege, die Tuberkelbakterien ausscheiden. Besonders bei offener Tuberkulose war das Ansteckungsrisiko in der Tat enorm. Konsequenterweise wurde argumentiert, daß der Rückgang der Sterblichkeit an Tuberkulose und anderen Erkrankungen der Atmungsorgane eher auf Verbesserungen der Wohnsituation als auf eine verbesserte Ernährung zurückzufUhren sei. Da diese Studien in der Regel aber- genau wie McKeown - deduktiv arbeiten, ohne auf die Wohnverhältnisse konkret einzugehen, wirken sie keinewegs überzeugend. Für Deutschland liegen allerdings nicht einmal solche Untersuchungen vor.
Wohnungshygiene, Jena 1896, S. 1-12; F. Prinzing, Handbuch der medizinischen Statistik, Jena 19301 1931 (2), S. 599-609; L. Teleky, Die Tuberkulose, in: A. Gottstein I A. Schlossmann I L. Teleky (Hgg.), Handbuch der sozialen Hygiene und Gesundheitsflirsorge, Bd. 3, 1926, S. 115-402, hier S. 191- 200; E. Wernicke, Die Wohnung in ihrem Einfluß auf Krankheit und Sterblichkeit, in: M. Mosse I G. Tugendreich (Hgg.), Krankheit und Soziale Lage, München 1913, S. 45-120. 171 Flügge, Großstadtwohnungen, S. 44. 172 G. Cronje, Tuberculosis and mortality decline in England and Wales, 1851-1900, in: R. Woods I J. Woodward (Hgg.), Urban Disease and Mortality in Nineteenth-Century England, London 1984, S. 79-101, hier S. 101; G. Kearns, The Urban Penalty and the Population History of England, in: A. Brllndström I L.-G. Tedebrand (Hgg.), Society, Health and Population during the Demographie Transition, Stockholm 1988, S. 213-236, hier S. 232; S. Szreter, The lmportance of Social Intervention in Britain's Mortality Decline 1850-1914, a Reinterpretation of the Rote of Public Health, in: Socia1 History of Medicine I (1988), S. 1-37, hier S. 13; N. McFar/ane, Hospitals, Housing and Tuberculosis in Glasgow, 1911-51, in: Social History of Medicine 2 (1989), S. 59-86; A. Hardy, The Epidemie Streets. lnfectious Disease and the Rise of Preventive Medicine, 1856-1900, Oxford 1993.
224
III. Lebensstandard, Wohnverhältnisse und soziale Ungleichheit
Da wegen der oben beschriebenen Situation kaum auf Vorarbeiten zurückgegriffen werden kann, sollen im folgenden zunächst einige methodische Probleme, die aus der Quellensituation resultieren, diskutiert werden. Im Anschluß wird die Entwicklung der Wohnverhältnisse in deutschen Städten während des Kaiserreichs skizziert und schließlich das Beziehungsgeflecht zwischen Wohnen und Gesundheit analysiert. Dabei werden Indikatoren zu gesundheitsrelevanten Aspekten der Wohnverhältnisse entwickelt und diese auf Niveau und Trends der rohen allgemeinen Sterberate und insbesondere der Sterberate an Tuberkulose bezogen. Leithypothese ist dabei die Umkehrung des Arguments: Bereits im zweiten Kapitel wurde herausgearbeitet, daß die Sterblichkeit an Tuberkulose in den Städten zurückging. Wenn der Zusammenhang zwischen der Wohnsituation und den Gesundheitsverhältnissen so stark ist, wie jüngst postuliert wurde, müßten sich die Wohnverhältnisse und die Belegungsdichte entsprechend geändert haben. Die Analyse konzentriert sich konkret auf die Frage, ob während dieser Periode tatsächlich Veränderungen der Wohnverhältnisse auftraten, und wie sie sich gegebenenfalls auf die Gesundheitsverhältnisse der Stadtbevölkerung auswirkten. Dazu gehören schließlich einige eher im spekulativen Bereich angesiedelte Überlegungen über die Gesundheitsverhältnisse innerhalb eines Hauses, die das Kapitel abschließen. In diesem Zusammenhang wird auch der von den damaligen Zeitgenossen formulierte Einfluß der Wohnverhältnisse auf die Höhe der Säuglingssterblichkeit aufgegriffen. Das einschlägige Quellenmaterial ist leider häufig ungenügend differenziert und unsystematisch, so daß eine umfassende Analyse der Wohnverhältnisse der unteren Schichten fast unmöglich ist. 173 Entsprechende qualitative Angaben zur Wohnsituation im Kaiserreich hinterlassen in der Regel ein rein impressionistisches Bild. Quantifizierbares Material aus der amtlichen deutschen Wohnungsstatistik, die zwar bereits im Jahr 1861 mit der ersten Berliner Wohnungszählung begann und bis zum Ersten Weltkrieg als kommunale Aufgabe bezeichnet wurde, 174 stützt sich auf grobe Erfassungsmerkmale, die das Wohnungselend nicht in seiner vollen Schärfe vermitteln. Diachrone und synchrone Vergleiche können oft nur auf der Basis der sogenannten Behausungsrate, d.h. die Anzahl der Bewohner pro bewohntem Gebäude, oder der Belegungsziffer,
Niethammer, Wie wohnten Arbeiter, S. 63-68. Vgl. dazu L. Achner, Wohnungsstatistik, in: F. Burgdörfer (Hg.), Die Statistik in Deutschland nach ihrem heutigen Stand, Bd. 2, Berlin 1940, S. 1204-1215; H. Lindemann, Wohnungsstatistik, in: Schriften des Vereins ftlr Socialpolitik 94: Neuere Untersuchungen über die Wohnungsfrage, Bd. 1: Deutschland und Österreich, Leipzig 1901 , S. 261-384; K. Seutemann, Die deutsche Wohnungsstatistik, ihr gegenwärtiger Stand und ihre Bedeutung fur die Wohnungsreform, Göttingen 1902; B. Franke, Grundstücks- und Wohnungsstatistik, in: F. Zahn (Hg.), Die Statistik in Deutschland nach ihrem heutigen Stand, Bd. 2, München 1911, S. 884-912. 173 174
6. Wohnen und der Wandel der städtischen Gesundheitsverhältnisse
225
also der Anzahl der Bewohner pro Wohnung, angestellt werden. Die Behausungsziffer ist zwar ein sehr oberflächliches Raster, da hier die allgemein vorherrschende Bauweise in einer Stadt durchschlägt: Berlin mit seinen berüchtigten Mietskasernen wies beispielsweise regelmäßig eine sehr hohe Behausungsziffer auf, gleichwohl muß diese Kennziffer im Auge behalten werden, da der Bauweise ein erheblicher Einfluß auf die Gesundheit der Hausbewohner zugeschrieben wurde. Die Belegungsziffer dagegen ist ein genaueres Maß der Dichte des Zusammenlebens, da sie unabhängig von der vorherrschenden Bauweise der Häuser ist. Zu bedenken bleibt allerdings, daß sie keinen Aufschluß über die absolute Größe der Wohnung und damit über die tatsächliche Enge des Zusammenlebens gibt.
a) Gesundheitsrelevante Aspekte städtischen Wohnens im Kaiserreich
Charakteristisch fiir die Wohnverhältnisse der deutschen Arbeiterschicht in den Städten war das Leben in einer Mietwohnung innerhalb eines großen mehrstöckigen Gebäudes. Das kontinentale Europa sah den Aufstieg eines neuen Haustyps. 175 Die Gründe fiir die Hochbauweise in Deutschland sind komplex, die Wurzeln gehen bis ins Mittelalter zurück, als viele Städte auf dem Kontinent durch Stadtmauem befestigt wurden, die den Raum innerhalb der Stadt einschränkten und damit eine vertikale Bauweise begünstigten.176 Dieser Prozeß wurde während der Industrialisierung durch das Verhältnis von Bodenund Hausbesitz verstärkt, Landbesitzer und Hauseigentümer waren in der Regel identisch. 177 Der Erwerb von neuem Bauland wurde häufig von kapitalkräftigen Firmen getätigt, die ihrerseits mit großen Investmentbanken in Verbindung standen. 178 Die hohen Kosten von Land und Baukapital förderten die Konstruktion mehrstöckiger Häuser auf möglichst engem Raum. In der Extremform waren dies die sogenannten Mietskasernen, große und mehrstöckige Gebäude, die um einen oder mehrere Innenhöfe, sogenannte 'Lichthöfe' von vielfach weniger als einem Meter Breite, gruppiert waren. 179
175 Vgl. dazu die englischen Verhältnisse im Zusammenhang mit der Sterblichkeitsentwicklung bei Vögele, Urban Mortality Change. 176 A. Sutc/iffe, lntroduction, in: A. Sutcliffe (Hg.), Multi-Storey Living. The British WorkingCiass Experience, London 1974, S. 1-18, hier S. 6-1 I. 177 Im Gegensatz etwa zu den englischen Verhältnissen. Vgl. dazu Eberstadt, Handbuch, 1920, S. 596-597.
Sutcliffe, Towards the Planned City, S. 14-15. H. Schülke, Gesunde Wohnungen. Eine gemeinverständliche Darstellung der Einwirkungen des Lichtes, der Wärme, der Luft, des Wassers und des Untergrundes der Gebäude und ihrer Umgebung auf die Gesundheit der Bewohner, Berlin 1880, S. 19. 178
179
15 Vögele
226
III. Lebensstandard, Wohnverhältnisse und soziale Ungleichheit
Die Hauptstadt Berlin erlangte bei dieser Konstruktionsweise eine Führungsrolle in Europa. 180 Von dort verbreitete sich der Baustil in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf andere deutsche Großstädte, in kleineren und mittleren Städten war er dagegen kaum zu finden. Die Mietskasernen waren zunächst besonders im Osten anzutreffen und nahmen später auch im Westen zu. Allerdings herrschte dort meist eine mildere Form vor, wobei kleinere Mietshäuser das Stadtbild dominierten - in Köln etwa sprach man von einem typischen rheinischen Dreifensterhaus. 181 Absolute Ausnahmen bildeten lediglich einige Gebiete in Nordwestdeutschland, besonders in und um Bremen, sowie die Städte Süd- und Südwestdeutschlands. 182 Dieser Entwicklung entsprach ein klarer OstWest-Gradient in der Wohndichte, mit einer relativ niedrigen Behausungsziffer im Westen und einer hohen im Osten. 183 Aus dem Sampie der ausgewählten Städte wiesen Berlin und Breslau eine entsprechend hohe Behausungsziffer auf: Dort betrug die Anzahl der Personen pro bewohntem Grundstück im Jahr 1875 durchschnittlich 57,9 bzw. 45,0 Menschen. In den anderen ausgewählten Städten beliefen sich diese Werte auf 38,0 in Leipzig, 32,0 in Dresden, 26,0 in Harnburg und 16,5 in Frankfurt. 184 Bis 1900 hatte sich der Trend zur vielstöckigen Bauweise in den meisten Städten des Sampies wesentlich verstärkt, d.h., die Anzahl der Personen pro bewohntem Gebäude nahm zu. So stieg beispielsweise die Behausungsziffer in Berlin von 57,9 im Jahre 1875 auf77,0 im Jahr 1900. Ähnlich, wenn auch weniger dramatisch, sah es in Hamburg, Breslau und Frankfurt am Main aus. In Harnburg stieg die Behausungsziffer auf 35,6, in Breslau auf 53,3, und in Frankfurt am Main auf 18,7. Rückläufige Behausungsziffem zeigten Dresden (28,7) und Leipzig (27,8). 185
180 Vgl. die Ausftlhrungen bei J. Wietog, Der Wohnungsstandard der Unterschichten in Berlin. Eine Betrachtung anhand des Mietsteuerkatasters 1848-1871 und der Wohnungsaufuahmen 18611871, in: W. Conze I U. Engelhardt (Hgg.), Arbeiterexistenz im 19. Jahrhundert. Lebensstandard und Lebensgestaltung· deutscher Arbeiter und Handwerker, Stuttgart 1981, S. 114-137; Der Städtebau nach den Ergebnissen der allgemeinen Städtebau-Ausstellung in Berlin nebst einem Anhang: Die internationale Städtebau-Ausstellung in DOsseldorf, 2 Bde., Berlin 1911 und 1913, insbesondere Bd. I, S. 21-24. 181 Vgl. K. Jasper, Der Urbanisierungsprozess dargestellt am Beispiel der Stadt Köln, Köln 1977, S. 115-116; K. Novy (Hg.), Wohnreform in Köln. Geschichte der Baugenossenschaften, Köln 1986, S. 11-13. 182 R. Hartog, Stadterweiterungen im 19. Jahrhundert, Stuttgart 1962; J. Jaeger, Die Wohnungsfrage, Kempten 1909.
Flügge, Großstadtwohnungen, S. 4 und S. 9. Quellen: Siehe Tabelle 3.9. For Dosseldorf, Köln, MOnehen und NOrnberg liegen nach diesen Quellen keine Angaben vor. 185 Quellen: Siehe Tabelle 3.9. 183
184
227
6. Wohnen und der Wandel der städtischen Gesundheitsverhältnisse
Die Städte, die fiir ihre Mietskasernen berühmt oder berüchtigt waren, hatten jedoch nicht die höchste Belegungsdichte der Wohnungen. Nach Tabelle 3.7 gab es 1875 in Berlin und Breslau sogar die niedrigsten Ziffern, die durchschnittliche Anzahl der Personen pro Wohnung dagegen lag bei 4,4 in Berlin bzw. 4,3 in Breslau. Das war ein günstigeres Verhältnis als in Dresden (4,6), Frankfurt am Main (4,7), Harnburg (4,7) und Leipzig (5,1). Im folgenden Jahrzehnt stieg die Belegungsdichte in Dresden, Frankfurt am Main, Harnburg und Leipzig sogar an, zur Jahrhundertwende lagen mehrheitlich niedrigere Belegungsziffern vor, ein Trend der sich bis zum Vorabend des Ersten Weltkriegs fortsetzte. Im Jahr 1910 war die Belegungsdichte in Berlin (3,6), Dresden (3,8), Breslau (3,8) und München (4,0) am niedrigsten; Spitzenwerte wiesen dagegen Frankfurt am Main, Düsseldorf und Nürnberg mit je 4,5 Bewohnerpro Wohnung auf(Tabelle 3.7). Tabelle 3. 7
Die Entwicklung der Betegongsdichte in den zehn größten deutschen Städten, 1875, 1885, 1900 und 1910 Stadt
Ber1in Breslau Dresden Düsseldorf Frankfurt/M. Harnburg Köln Leipzig München Nümberg
Bewohner pro bewohnter Wohnung 1875 1885 1900 1910 4,4 4,3 3,9 3,6 4,3 §3,7 4,0 3,8 4,6 §4,6 4,1 3,8 - 4,5 4,7 5,1 4,7 4,5 4,7 4,9 4,4 4,1 4,1 §4,5 +4,3 *5,1 5,8 4,5 4,2 3,8 4,0 - §4,7 - 4 ,5
-
-
1875 4,4 4,1 3,9
-
3,5 4,4 *4,3
-
Kellerwohnung 1885 1900 1910 4,2 3,80 3,3 §3,7 3,5 3,80 §3,8
-
3,9 4,5 §3,6 4,3 §3 ,8
-
-
4,36
3,79
-
-
3,9 3,9 3,6 3,4
-
Wohnung mit heizbarem Zimmer 1875 1885 1900 1910 3,9 3,7 3,4 §3,7 3,4 3,6 *3,6 §3,6 3,5 -
-
3,6 3,8
3,4 3,8
3,8
3,8 §3, I
-
-
-
3,0 3,6 +2,1 3,7
-
-
-
• Angabe aus 1880; § Angabe aus 1890; + Angabe aus 1897 Quellen: H. Lindemann, Wohnungsstatistik, in: Schriften des Vereins für Socialpolitik 94: Neuere Untersuchungen über die Wohnungsfrage, Bd. I: Deutschland und Österreich, Leipzig 190 I, S. 261-384; Statistisches Jahrbuch deutscher Städte II (1903) und 21 (1916).
Ähnlich berüchtigt wie das Leben in den Mietskasernen waren die sogenannten Kellerwohnungen, die meist ohne Fenster waren. Der Mangel an Licht und Luft sowie die Feuchtigkeit des Mauerwerks machten sie besonders ungesund. 186 Auch hier nahm Berlin bis in die 1890er Jahre eine unrühmliche 186 Siehe beispielsweise 0 . Lehnert, Ueber Kellerwohnungen, insbesondere die Berliner, in higienischer und sanitätspolizeilicher Beziehung, in: Vierteljahrsschrift für gerichtliche und öffentliche Medicin N.F. 8 (1868), S. 250-277.
228
III. Lebensstandard, Wohnverhältnisse und soziale Ungleichheit
Führungsrolle ein und wurde in einem Atemzug mit New York, London und Liverpool genannt. 187 Im Jahr 1875 beispielsweise wurden in Berlin 21.639 Kellerwohnungen registriert; das waren knapp über zehn Prozent aller bewohnten Wohnungen. Bis 1885 stieg die Anzahl der Kellerwohnungen auf 28.023, prozentual allerdings verringerte sich ihr Anteil auf etwas über 9 Prozent. Nach der Jahrhundertwende ging auch die absolute Zahl zurück, der prozentuale Anteil verringerte sich drastisch auf etwas über 5 Prozent im Jahr 1900 bis auf etwas über 3 Prozent im Jahr 1910. Nach der Jahrhundertwende hatte Harnburg die fuhrende Position übernommen, was den prozentualen Anteil der Kellerwohnungen anging. Die 10.000 Kellerwohnungen machten zwischen 5 und 6 Prozent aller Wohnungen aus. 188 Eine hohe Anzahl von Kellerwohnungen gab es ebenfalls in Breslau und Dresden. In Köln, Leipzig und München, sowie insbesondere in Düsseldorf, Frankfurt am Main und Nümberg war ihr Anteil dagegen gering (Tabelle 3.8).' 89 Allerdings waren die Kellerwohnungen keineswegs - wie fiir englische Städte so häufig beschrieben durch Überfiillung gekennzeichnet. Im Gegenteil, die Belegungsdichte der Kellerwohnungen lag fiir alle Städte meist unter der durchschnittlichen Belegungsdichte aller Wohnungen, in einigen Fällen gleichauf (Berlin 1875, Breslau 1885), aber in keinem Fall darüber (Tabelle 3.7). Das darf keineswegs als Hinweis auf bessere Verhältnisse in diesen Wohnungen gedeutet werden; vielmehr waren diese in der Regel sehr klein und von armen Neuankömmlingen in der Stadt bewohnt, die ledig waren oder vor der Familiengründung standen. Wie sehr sich aber die finanzielle Kapazität auf die Enge des Zusammenlebens auswirkte, zeigt ein Vergleich der bisherigen Angab~n mit der Belegungsdichte von Wohnungen mit heizbarem Zimmer, bei denen die Werte deutlich unter dem Durchschnitt der Kellerwohnungen bzw. aller Wohnungen lagen (Tabelle 3.7): Im Jahr 1875 reichte die Belegungsdichte in diesen Wohnungen von 3,6 Personen in Breslau, Dresden und Frankfurt bis zu 3,9 Personen in Berlin. Ein Jahrzehnt später schwankten die Werte zwischen 3,4 und 3,8. Bis zur Jahrhundertwende waren sie weiter zurückgegangen auf 3,7 in Leipzig, 3,6 in Hamburg, 3,5 in Dresden, 3,4 Berlin und Breslau und 3,0 in Frankfurt am Main. In der Stadt Köln, für die leider keine früheren Angaben vorliegen, betrug die Belegungsziffer lediglich 2, 1.
187
Lehnert, Kellerwohnungen, S. 261.
188
Gransehe I Rothenbacher, Wohnbedingungen, S. 72-73.
Quelle: H. Lindemann, Wohnungsstatistik, in: Schriften des Vereins für Socialpolitik 94: Neuere Untersuchungen über die Wohnungsfrage, Bd. 1: Deutschland und Österreich, Leipzig 1901, S. 261-384; Statistisches Jahrbuch deutscher Städte II (1903) und 21 (1916). 189
229
6. Wohnen und der Wandel der städtischen Gesundheitsverhältnisse
Tabelle 3.8
Die Anzahl der Kellerwohnungen und ihr Anteil (in Prozent) an allen bewohnten Wohnungen in den zehn größten deutschen Städten, 1875, 1885, 1900 und 1910 Stadt Berlin Breslau Dresden Düsseldorf Frankfurt/M. Harnburg Köln Leipzig München Nümberg
1875
Anzahl
Kellerwohnungen
Anteil
1885
Anzahl
21.639 2.611 1.650
10,2 4,9 3,8
28.023 3.576 1.534
36 4.439
0,2 6,0
*575
*2,1
62 6.948 52 532 135
-
. . .
-
-
-
-
Anteil 9,4 4,6 2,7
.
0,2 6,9 0,1 1,7 0,2
-
1900
Anzahl
24.088 3.853 2.107 149
.
Anteil 5,1 3,8 2,3 0,3
.
9.919
6,4
611
0,6
.
. .
.
.
1910
Anzahl 18.170 3.109 3.005 81 61 10.869 753 424 506 52
Anteil 3,3 2,4 2,2 0,1 0,1 4,9 0,6 0,3 0,4 0,1
• bezogen auf Alt-Leipzig, 1880. Quellen: H. Lindemann, Wohnungsstatistik, in: Schriften des Vereins fur Socialpolitik 94: Neuere Untersuchungen über die Wohnungsfrage, Bd. I: Deutschland und Österreich, Leipzig 190 I, S. 261-384; Statistisches Jahrbuch deutscher Städte II (1903) und 21 (1916).
Bei wichtigen Stadtplanerischen Elementen, wie etwa der Regulierung von Zonen, die verschiedene Städte seit den l890er Jahren einführten, nahm Deutschland eine Führungsrolle in der Welt ein. Sie griffen jedoch erst relativ spät, so daß sie für die Stadtentwicklung vor dem Ersten Weltkrieg kaum von Bedeutung waren. 190 Zudem ließen sie den Baubestand in den Innenstädten - im Gegensatz zu anderen westeuropäischen Ländern - nahezu unberührt. 191 Die Bauzonenpläne basierten auf der Grundidee, einzelne Bauzonen sowohl funktionell als auch hinsichtlich Bebauungsdichte und Bebauungsart festzulegen. 192 In der Praxis schufen sie vor allem neue Arbeiterviertel in den Außenbezirken. Eine wichtige Ausnahme dabei war der Entwicklungsplan für Berlin, der sogenannte Hobrecht-Plan, der von James Hobrecht, einem Beamten im Baupolizeidepartment, entwickelt und im Jahr 1862 veröffentlicht wurde. 193 Im Inter-
190 H. J. Teuteberg I G. Wiegelmann, Germany, in: C. G. Pooley (Hg.), Housing Strategies in Europe, 1880-1930, Leicester 1992, S. 240-267, hier S. 242. 191 Zimmermann, Wohnungsfrage, S. 179. Vgl. auch S. Fisch, Die zweifache Intervention der Städte. Stadtplanerische Zukunftsgestaltung und Kontrolle der Wohnverhältnisse um 1900, in: J. Reulecke I A. Gräfin zu Casteil Rüdenhausen (Hgg.), Stadt und Gesundheit. Zum Wandel von "Volksgesundheit" und kommunaler Gesundheitspolitik im 19. und frühen 20. Jahrhundert, Stuttgart 1991, S. 91-104, hier S. 101-102. 192 A. von Saldern, Kommunalpolitik und Arbeiterwohnungen im Deutschen Kaiserreich, in: L. Niethammer (Hg.), Wohnen im Wandel. Beiträge zur Geschichte des Alltags in der bürgerlichen Gesellschaft, Wuppertal (1979), S. 344-362, hier S. 348. 193
Hartog, Stadterweiterungen, S. 32.
230
lll. Lebensstandard, Wohnverhältnisse und soziale Ungleichheit
esse des Verkehrs, der Feuersicherheit und der öffentlichen Gesundheit sollten möglichst breite Straßen angelegt werden. Da die Beteiligungskosten am Straßenbau von der Frontlänge des Hauses abhängig war, wurden die Häuser in die Tiefe des Grundstücks (Hinterhäuser) und in die Höhe gebaut, in der Praxis produzierte der Bebauungsplan hohe Kosten flir Bauland und förderte die Verbreitung der Mietskasernen, die nun sogar in die Vorstädte eindrangen. 194
Die Folge der geschilderten Entwicklungen war, daß in den Großstädten 90 Prozent aller Wohnungen auf Mietbasis beruhten; 195 insgesamt waren in Deutschland mindestens 80 Prozent der Arbeiter vom freien Wohnungsmarkt abhängig. 196
Mit zunehmender Urbanisierung nahmen die Preise für Bauland zu. Diese erhöhten Kosten wurden an die Mieter weitergegeben und machten das Wohnen in Deutschland im Vergleich zu anderen westeuropäischen Ländern teuer, 197 zumal noch lokale Steuern hinzukamen, die in anderen Ländern, etwa in England, bereits in der ohnehin schon niedrigeren Miete mit eingeschlossen waren. 198 Angesichts steigender Nachfrage in den rapide wachsenden Städten stiegen die Mieten zudem beträchtlich und zwar stärker als die Baukosten. 199 In Berlin beispielsweise verdreifachten sich die Mietsätze pro Kopf zwischen 1855 und 1895. 200 Danach folgte ein weiterer Anstieg bis 1914; besonders extrem war er nach 1905 und in den Jahren unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg.201 Trotzdem wuchsen die Einkommen insgesamt stärker als die Mieten.zoz
194
Sutcliffe, Towards the Planned City, S. 20-21; von Saldern, Kommunalpolitik, S. 348.
C. von Tyszka, Löhne und Lebenskosten in Großbritannien im 19. Jahrhundert, in: Schriften des Vereins filr Socialpolitik 145 (1914), Teil 3: Löhne und Lebenskosten in Westeuropa im 19. Jahrhundert (Frankreich, England, Spanien, Belgien). Nebst einem Anhang: Lebenskosten deutscher und westeuropäischer Arbeiter früher und jetzt, S. 69-224, hier S. 178. 196 Niethammer, Wie wohnten Arbeiter, S. 69. 195
197 Leuthold, Von welchen gesetzlichen Bestimmungen kann Minderung der Wohnungsnoth in unseren Großstädten erwartet werden?, in: Schriften des Vereins fUr Socialpolitik 30 (1886), S. 140, hier S. 9; Eberstadt, Handbuch, 1920, S. 600; Sutcliffe, Towards the Planned City, S. 14. 198 Das Verhältnis der Nettorenten wurde in England und Deutschland auf 100 zu 123 geschätzt.- Vgl. Cast ofLiving in German Towns, XL. 199 Niethammer, Wie wohnten Arbeiter, S. 78. Für die Großstädte vgl. Pohle, Wohnungsstatistik und Wohnungspflege. Die Ergebnisse der Wohnungsstatistik in Deutschland, Bericht über den XIX. Internationalen Kongress flir Hygiene und Demographie, Berlin, 23.-29. September 1907, Bd. 3, Berlin 1908, S. 1385-1417, hier S. 1411.
E. Reich, Der Wohnungsmarkt in Berlin von 1840-1910, München 1912, S. 127. Desai, Real Wages in Germany, S. 112-117; Hoffmann, Wachstum, S. 592-600; Auch J. Kuczynski, Die Geschichte der Lage der Arbeiter in Deutschland von 1800 bis in die Gegenwart, Bd. 1: 1800 bis 1932, Berlin 1947, S. 266. 200
2111
202 Vgl. die Ausführungen bei C. Wischermann, Wohnungsnot und Städtewachstum. Standards und soziale Indikatoren städtischer Wohnungsversorgung im späten 19. Jahrhundert, in: W. Con-
6. Wohnen und der Wandel der städtischen Gesundheitsverhältnisse
231
Die Teuerung betraf aber vor allem die kleinen Wohnungen (Einzimmetwohnungen), so daß die ärmere Bevölkerung relativ höhere Aufwendungen für die Mietkosten aufbringen mußte. 203 Gerade diese Bevölkerungsgruppen wiesen wohl deshalb besonders hohe Migrationsraten innerhalb der Stadt auf. Im Jahr 1876 wechselten die Mieter in 45,9 Prozent aller Wohnungen mit einer Miete bis zu 100 Talern pro Jahr im Vergleich zu 24 Prozent bei Wohnungen, für die eine Miete von mehr als 1.000 Talern gezahlt werden mußte. 204 Insgesamt wird der Anteil der Miete am Einkommen in Arbeiterhaushalten auf um die 15 Prozent geschätzt, als Höchstgrenze, die nicht überschritten werden sollte, wurden 20 Prozent angesetzt. 205 Für die Großstädte liegen die Schätzungen weit höher, wobei nach dem Schwabesehen Gesetz zu berücksichtigen ist, daß die Ausgaben für die Wohnungen bei steigendem Einkommen verhältnismäßig geringer wurden: 206 Danach lag der Anteil der Wohnungsmiete am Einkommen der betreffenden Wohnungsmieter in Breslau, Dresden, Harnburg und Leipzig während der 1880er Jahre für Wohnungen mit einer Miete von weniger als 600 Mark zwischen 26,5 Prozent in Harnburg und 29,9 Prozent in Leipzig; bei einer Miete zwischen 600 und 1.200 Mark zwischen 21 Prozent in Breslau und 23,5 Prozent in Hamburg. Knapp unter 20 Prozent sank er in den nächst höheren Mietstufen. 207
ze/ U. Engelhardt (Hgg.), Arbeiter im lndustrialisierungsprozeß. Herkunft, Lage und Verhalten, Stuttgart 1979, S. 201-226, hier S. 215-216. 203 Niethammer, Wie wohnten Arbeiter, S. 81. Anders dagegen sehen dies Wischermann, Wohnen in Hamburg, S. 198 und Neumeier, München um 1900, S. 232. Danach hatte die innerstädtische Lage der Wohnung einen stärkeren Einfluß auf die Höhe des Mietzinses pro Quadratmeter als ihre Größe. 204 Reich, Wohnungsmarkt in Berlin, 9. Nach Untersuchungen von Marie Baum, der Geschäftsfilhrerin des Düsseldorfer Vereins fllr Säuglingsfilrsorge - darauf wird ausfuhrlieh in Kapitel V eingegangen - waren kinderreiche Familien wesentlich unmobiler: In DUsseldorf wohnte nahezu die Hälfte dieser Familien länger als drei Jahre in einer Wohnung. Dies lag nicht zuletzt daran, daß es für solche Personengruppen schwierig war, eine Wohnung zu finden. Vgl. M Baum, Wohnweise kinderreicher Familien in DUsseldorf-Stadt und Land. Eine statistische Studie, Berlin 1917, insbesondere S. 24-27.
'"s Treue, Haus und Wohnung, S. 47; Gransehe I Rothenbacher, Wohnbedingungen, S. 83; A. Triebe/, Soziale Unterschiede beim Konsum im Ersten Weltkrieg und danach - Bruch mit der Vergangenheit, in: T. Pierenkernper (Hg.), Haushalt und Verbrauch in historischer Perspektive. Zum Wandel des privaten Verbrauchs in Deutschland im \9. und 20. Jahrhundert, St. Katharinen 1987, S. 90-122, hier S. II I. 206 Der damalige Direktor des Statistischen Amts der Stadt Berlin, von Schwabe, entwickelte dieses Gesetz bereits 1867 aus eigenen Untersuchungen über das Verhältnis von Einkommen und Miete. Das Gesetz ist nicht unumstritten; ob es filr den Untersuchungszeitraum allgemeine Gültigkeit besitzt, ist bislang nicht hinreichend untersucht. Siehe dazu die Ausführungen bei Wischermann, Wohnen in Hamburg, S. 200-213. Dort auch weiterfuhrende Literatur.
207 E. Weber, Einkommen und Wohnkosten, in: G. Albrechtet al. (Hgg.), Handwörterbuch des Wohnungswesens, Jena 1930, S. 209-232, hier S. 217; Vgl. auch P. G. Honigmann, Die Woh-
III. Lebensstandard, Wohnverhältnisse und soziale Ungleichheit
232
Trotz lokaler Unterschiede waren die Wohnverhältnisse allgemein charakterisiert durch Überbelegung und Mangel an Licht und frischer Luft. Im frühen 20. Jahrhundert gab es etwa in Berlin 251.550 Einzimmerwohnungen, in denen insgesamt 768.837 Personen wohnten. 208 Diese hohe Wohndichte wurde durch Untermieter und Schlafgänger oder Schlafleute noch verschlimmert. 209 So waren in München nach der Jahrhundertwende 45.000 bis 50.000 Menschen, das sind immerhin 8-9 Prozent der Bevölkerung, ohne eigenen Haushalt. 21 0 In Berlin hatten im Jahr 1880 mehr als 15 Prozent aller Haushalte zwischen einem und 34 Schlafgängem. 211 In einigen Fällen wurden die Betten tagsüber vermietet, während der Hauptnutzer bei der Arbeit war. 212 AufBreslau bezieht sich die folgende Schilderung: "... ,dass es in Breslau noch 3200 Wohnungen gibt, in denen nichtjeder Bewohner ein Bett für sich allein besitzt. Es müssen mithin mehrere Personen in einem Bett schlafen. Das wäre noch nicht das schlimmste. In Wirklichkeit steht es viel schlimmer! Nämlich: Unter den erwähnten 3200 Wohnungen befinden sich 2400 Wohnungen, in denen die Betten überhaupt nicht ausreichen, auch nicht, wenn zwei oder gar drei Menschen beisammen in einem Geniste lägen, die wir hier als Betten gelten lassen wollen. Eine sehr grosse Anzahl von Menschen ist auf die Streu oder auf die Bank oder auf den blanken Fussboden angewiesen. Nebenher sei erwähnt, nicht aufgrund der Statistik, sondern aufgrund eigener Wahrnehmungen, dass es in Breslau Eltern gibt, die ihre Kinder des Nachts mit Zeitungspapier bedecken, weil sie andere Decken nicht besitzen."21l Der begrenzt zur Verfügung stehende Raum machte eine multifunktionale Nutzung der Zimmer notwendig. Wohn- und Schlafzimmer waren häufig identisch und wurden zusätzlich noch als Küche oder als Arbeitsplatz genutzt, besonders im Texti1gewerbe, wo viele Frauen in Heimarbeit beschäftigt waren.
nungsverhältnisse in Breslau, in: Die Wohnungsnot der ärmeren Klassen in deutschen Großstädten und Vorschläge zu deren AbhUife. Gutachten und Berichte hrsg. im Auftrage des Vereins ftlr Socialpolitik (=Schriften des Vereins filr Socialpolitik, Bd. 31), Bd. 2, Leipzig 1886, S. 249-286, hier S. 278; Pohle, Wohnungsstatistik, S. 1413. 208
Flügge, Großstadtwohnungen, S. 6.
Vgl. auch F. J. Brüggemeier I L. Niethammer, Schlafgänger, Schnapskasinos und schwerindustrielle Kolonie. Aspekte der Arbeiterwohnungsfrage im Ruhrgebiet vor dem Ersten Weltkrieg, in: J. Reulecke I W. Weber (Hgg.), Fabrik, Familie, Feierabend. Beiträge zur Sozialgeschichte des Alltags im lndustriezeitalter, Wuppertal 1978, S. 135-175. 209
21 n Neumeier, 211
MOnehen um 1900, S. 220.
C. J. Fuchs, Wohnungsfrage, in: J. Conrad I L. Elster I W. Lexis I E. Loening (Hgg.), Hand-
wörterbuch der Staatswissenschaften, Bd. 8, Jena 1911, S. 873-928, hier S. 884. 212 Flügge, Großstadtwohnungen, S. 6.
m Denkschrift zur ersten Wohnungs-Enquete der Orts-Krankenkassen in Breslau. Im Auftrage des Verbandes der Orts-, Betriebs- (Fabrik-) Krankenkassen zu Breslau bearbeitet von A. Bergmann, Breslau 1906, S. 20.
6. Wohnen und der Wandel der städtischen Gesundheitsverhältnisse
233
Insgesamt wird der Anteil der Heimarbeiter um die Jahrhundertwende auf etwa 3 Prozent geschätzt/ 14 in den Großstädten lag er jedoch wesentlich höher. In München waren es nach der Jahrhundertwende etwa 7 Prozent. 215 Im Berlin der Jahrhundertwende wurde in 20.000 Wohnungen Heimarbeit von 9.919 Männern und 11.749 Frauen ausgeübt. 216 Als besonders gesundheitsschädlich muß in diesem Zusammenhang noch das sogenannte Trockenwohnen erwähnt werden: Neue Wohnungen wurden, solange sie noch feucht waren, fiir einen kurzen Zeitraum relativ günstig vermietet, galten sie als trocken, konnte der Mietpreis erhöht und neue finanzkräftigere Mieter angesprochen werden. Lakonisch heißt es dazu in einem Bericht über die Berliner Wohnverhältnisse von 1884/85: "Der öffentlichen Armenpflege würden viele Kosten erspart, wenn neugebaute Häuser bis zum wirklichen Trockensein unbewohnt bleiben müßten." 217 Die hygienischen Einrichtungen der Wohnungen ließen ebenfalls sehr zu wünschen übrig. In Berlin beispielsweise hatten im Jahr 1880 lediglich 3,6 Prozent aller Wohnungen Bäder, 1910 waren es immer noch bescheidene 13,7 Prozent; dagegen stieg der Prozentanteil der wohnungseigenen Wasserklosetts im selben Zeitraum immerhin von 14,4 auf 52,2. 218 In Harnburg nahm die Zahl der Wohnungen mit Bad von 9 Prozent im Jahr 1890 auf 21 Prozent im Jahr 1910 zu; relativ gering war und blieb die Zahl in den Arbeitervierteln. Noch 1910 wurden Wohnungen mit einem oder zwei Zimmern (mit Küche) selten mit Bad gebaut; eine Wohnung von drei Zimmern mit Bad erforderte eine jährliche Miete von etwa 550 Mark, was flir die Arbeiterschaft und selbst ftir große Teile der kaufmännischen Angestellten gänzlich unerschwinglich war.219 In München hatten 1904-07 lediglich 0,4 Prozent der Wohnungen der unteren Unterschicht ein Bad, selbst in der oberen Mittelschicht lag die Quote lediglich bei 22,8 Prozent. Die Versorgung mit Wes war etwas günstiger, 19,1 Prozent aller Haushalte der unteren Unterschicht und immerhin 83,7 Prozent der oberen Mittelschicht verfUgten über entsprechende Einrichtungen zur alleinigen Benutzung.220 Häufig lagen die Wes auch außerhalb der Wohnungen und
Kocka, Arbeitsverhaltnisse und Arbeiterexistenzen, S. 231. Neumeier, München um 1900, S. 189. 216 Fuchs, Wohnungsfrage, S. 879. 214 215
217 Zitiert nach G. Berthold, Die Wohnverhältnisse in Berlin, insbesondere die der ärmeren Klassen, in: Die Wohnungsnot der ärmeren Klassen in deutschen Großstädten und Vorschläge zu deren Abhülfe. Gutachten und Berichte, hrsg. im Auftrage des Vereins flir Socialpolitik (=Schriften des Vereins fllr Socialpolitik, Bd. 31 ), Bd. 2, Leipzig 1886, S. 199-235. 218 Treue, Haus und Wohnung, S. 47. 219 Wischermann, Wohnen in Hamburg, S. 337-338. 220 C. Wischermann, "Familiengerechtes Wohnen": Anspruch und Wirklichkeit in Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg, in: H. J. Teuteberg (Hg.), Homo habitans. Zur Sozialgeschichte des
234
111. Lebensstandard, Wohnverhältnisse und soziale Ungleichheit
mußten von verschiedenen Haushalten benutzt werden. Während sich in Nürnberger Arbeiterwohnungen beispielsweise in den 1890er Jahren durchschnittlich 3,1 Personen einen Abort teilten, 221 waren es in der Arbeiterschaft Münchens sogar durchschnittlich 7-8 Personen. 222 Insgesamt barg die Wohnsituation der Arbeiterschicht im Kaiserreich eine Fülle von potentiell gesundheitsschädigenden Faktoren. Waren akute oder chronische Infektionskrankheiten erst einmal ausgebrochen, fanden sie durch die hohe Wohndichte ideale Verbreitungswege.
b) Wohnen und Gesundheit
Schlechte Wohnverhältnisse, hohe Wohndichte und häufiges Umziehen innerhalb der Stadt kennzeichneten die Situation in den meisten Städten, wobei in den Innenstädten angesichts ihrer zunehmenden Verslumung besonders dramatische Verhältnisse vorherrschten. Die Entwicklung in den zehn größten Städten bestätigt das Ausmaß und die Effekte der wachsenden sozialen Segregation. Am inzwischen wiederholt herangezogenen Beispiel von Harnburg wird dies deutlich: Die zentral gelegene Altstadt registrierte eine beinahe doppelt so hohe Bevölkerungsdichte wie die typischen Arbeiterviertel am Rande der Stadt (Karte 3.7),223 und war begleitet von einer hohen Sterblichkeit an Tuberkulose, wie in Karte 3.4 bereits dargestellt wurde. In Bres1au lag die Sterberate nach einer Erhebung aus dem Jahr 1890 bei Einwohnern, die eine Miete bis zu 300 Mark zahlten, mit 20,7 (auf 1000 Einwohner mit der entsprechenden Miete) nahezu doppelt so hoch wie bei denjenigen, die sich höhere Mietausgaben leisten konnten.224 Für Berlin existieren Berichte, nach denen spezifische Krankheiten in bestimmten Häusern gehäuft auftraten. Im Jahr 1873 beispielsweise lebten 150 der 153 im gesamten 61. Medizinalbezirk an Typhus erkrankten Personen in der Müllerstraße 31.
ländlichen und städtischen Wohnens in der Neuzeit, Monster 1985, S. 169-198, hier S. 179. Vgl. auch die Angaben in MOnehen unter dem Einflusse der öffentlichen Wohlfahrtspflege. Festschrift zur 27. Versammlung des deutschen Vereins filr öffentliche Gesundheitspflege, MOnehen 1902, insbesondere S. 23 und S. 45. 221 H Hess, Wohnungsverhältnisse der Nürnberger Arbeiterbevölkerung (Beigabe zum Jahrbuch des Technikvereins), Nomberg 1893, Tabelle I. 222
Neumeier, MOnehen um 1900, S. 300.
223
Quellen: Siehe Tabelle 3.4.
224 Bei einem Mietzins von 300-750 Mark lag die Sterberate bei 11,2, bei 750-1.500 Mark bei I 0,7 und bei Ober 1.500 Mark bei 6,5. In der Summe belief sich die Sterberate in diesem Jahr auf 17,6. Quelle: M Neeje, Ueber den Einfluss der Wohlhabenheit auf die Sterblichkeit in Breslau, in: Zeitschrift filr Hygiene und lnfectionskrankheiten 24 (1897), S. 247-288, hier S. 252.
6. Wohnen und der Wandel der städtischen Gesundheitsverhältnisse
0 ES]
flliill
235
< 1.099 1.999 - 2.999 > 2.999
Karte 3.7: Die Bevölkerungsdichte in Harnburg nach Stadtteilen (Einwohner pro 10.000 qm), 1885
Von den 575 erkrankten Armen des 18. Medizinalbezirks stammten 31 Prozent (177 Fälle) aus einem einzigen Wohnhaus des Bezirks. Alle registrierten Cholerafalle des Distrikts, 46 Prozent aller an Ruhr Erkrankten und 80 aller Fälle von Diphtherie traten in diesem Haus auf. Ein Häuserkomplex desselben Besitzers in der Johanniterstraße 215, in dem mehr als 1.000 Personen wohnten, meldete 53 Prozent aller Erkrankungen des 13. Medizinalbezirks.225 Ergebnisse einer Analyse der Patientenjournale der Düsseldorfer Krankenanstalten im späten 19. Jahrhundert deuten ähnliche Sachverhalte an. 226 Sozialtopographisch nach Wohnsitz differenziert, stammte ein Großteil der Patienten aus einer relativ kleinen Anzahl von Häusern in den ärmeren Vierteln der Stadt. Nahezu ganze Familien wurden mit ansteckenden Infektionskrankheiten in die
225
Leuthold, Von welchen gesetzlichen Bestimmungen, S. 10.
226
Zur Quelle und Auswertung der Patientenjournale vgl. ausfuhrlieh Kapitel V.
236
111. Lebensstandard, Wohnverhältnisse und soziale Ungleichheit
Krankenanstalten eingeliefert. 227 Hierzu zwei Beispiele aus dem Patientenjournal der Düsseldorfer Krankenanstalten 1886/87: Am I 0.8.1886 wurden beispielsweise vier Kinder des Anstreichers Conrad Schweflinghaus, wohnhaft in der Citadellstr. 13 in Düsseldorf, mit Krätze in das Evangelische Krankenhaus eingeliefert. Nach drei Tagen wurden Conrad (3 Jahre alt), Rosalie (5 Jahre alt), Toni (9 Jahre alt) und Wilhelm (13 Jahre alt) als geheilt entlassen. Am 3l.l2.1886 wurde Albert Kölchens, fünfjähriger Sohn des Schlossers Carl Kölchens aus der Oststraße in Düsseldorf, mit der Doppeldiagnose Scharlach und Diphtherie in das Marienhospital gebracht. Das Kind starb am nächsten Tag. Zur selben Zeit wurde die 34jährige Ehefrau des Schlossers, Helene Kölchens, und Sohn Emil (6 Monate alt) mit identischer Diagnose eingeliefert, einen Tag später folgte Sohn Erich (2 Jahre alt). In den letzten drei Fällen verlief die Krankheit weniger tragisch; Frau und Kinder wurden gemeinsam am 12.2.1897 entlassen. Für Charlottenburg konnten solche Häufungen ebenfalls nachgewiesen werden. Angesichts des engen Zusammenlebens überrascht das keinesfalls. Ausfuhrliehe Erhebungen der dortigen städtischen Fürsorgestelle für Lungenkranke sowie die Praxis, auf den Totenscheinen die Wohnungssituation der Verstorbenen festzuhalten, ermöglichen konkrete Angaben: Danach teilten in 85 Prozent aller von der Fürsorge registrierten EinzeWillen (wo nur ein Familienmitglied erkrankt war) mehrere Personen mit dem Erkrankten den Schlafraum, nur in der Hälfte aller Fälle hatte der Tuberkulosekranke ein eigenes Bett. 228 Bei den Gruppenfällen (mehrere erkrankte Personen) lagen die Verhältnisse noch wesentlich schlimmer. Im Vergleich zur Gesamtbevölkerung lebten die Tuberkuloseerkrankten in deutlich beengteren Verhältnissen, die durchschnittliche Personenzahl pro Wohnung, differenziert nach der Anzahl der Wohnräume, belief sich wie foige29
Einzeltlilie Gruppenfl!lle Gesamtbevölkerung
I 1,82 2,60 1,50
Anzahl Wohnräume 2 3 3,89 4,70 3,26
4,99 5,47 3,92
4 5,21 5,38 3,86
StA Düsseldorflll 17525: Patientenjournal der Düsse!dorfer Krankenanstalten 1886-1893. F. Wink/er, Tuberkulose und Wohnung in Charlottenburg, in: Zeitschrift fllr Tuberkulose 22 (1914), S. 313-342, hier S. 324. 229 Wink/er, Tuberkulose und Wohnung, S. 327. 227 228
6. Wohnen und der Wandel der städtischen Gesundheitsverhältnisse
237
Dennoch kann letztendlich nicht nachgewiesen werden, inwieweit die hohen städtischen Sterberaten auf die Wohnverhältnisse zurückzuführen sind. Schließlich muß betont werden, daß die moderne Forschung keine gravierenden Unterschiede zwischen den städtischen und den ländlichen Wohnverhältnissen ausmachen konnte. In europäischer Perspektive wird zwar die Wohndichte auf dem Land in der Regel leicht niedriger eingeschätzt, was die ländlichen Wohnverhältnisse etwas erträglicher gemacht haben soll. 230 Geht man von den statistischerfaßten Wohnungsmerkmalen aus, scheint die Situation filr Deutschland aber nicht eindeutig zu sein: 231 Nach den wenigen vorhandenen Angaben, vor allem filr Baden und Württemberg, war die Wohndichte auf dem Land und in den Großstädten nahezu gleich, wurde aber auf dem Land durch Hofräume und Gärten entlastet, während die Wohnungsausstattung in ländlichen Gebieten allerdings durchweg schlechter war als in den Großstädten. Zudem wurden die Wohnungen auf dem Land im Tagesablauf vollkommen anders (weniger) genutzt. Kehrt man zu den ausgewählten Großstädten zurück, ergeben sich im Städtevergleich bei einer Korrelation von Wohndichte - ausgedrückt in der durchschnittlichen Anzahl der Personen pro Wohnung - und der Höhe der Gesamtsterblichkeit sowie der Sterblichkeit an Tuberkulose für die beiden Koeffizienten relativ schwach ausgeprägte Werte, die sogar negative Vorzeichen tragen (zur Anschauung sind in Tabelle 3.9 Behausungs- und Belegungsziffem für die Jahre 1875 und 1900 entsprechenden Indikatoren der Sterblichkeit gegenübergestellt).232 Auch der viel beschworene negative Effekt der Mietskaser230 C. G. Pooley, England and Wales, in: C. G. Pooley (Hg.), Housing Strategies in Europe, 1880-1930, Leicester 1992, S. 73-104, hier S. 77. Gegenteilig wird die Situation fUr Österreich eingeschätzt von R. Sandgruber, Gesindestuben, Kleinhäuser und Arbeiterkasernen. Ländliche Wohnverhältnisse im 18. und 19. Jahrhundert in Österreich, in: L. Niethammer (Hg.), Wohnen im Wandel. Beiträge zur Geschichte des Alltags in der bürgerlichen Gesellschaft, Wuppertal (1979), S. 107-131; flir England von E. Gau/die, Cruel Habitations. A History ofWorking-Ciass Housing 1780-1918, London 1974. -Für zeitgenössische epidemiologische Schilderungen der Wohnsituation auf dem Lande vgl. beispielsweise A. Friedländer, Über die Wohnverhältnisse der ärmeren Classen der ländlichen Bevölkerung in hygienischer Beziehung, in: Deutsche Vierteljahrsschrift filr öffentliche Gesundheitspflege 9 (1877), S. 126-156; Marx, In welcher Weise ist den heutigen gesundheitlichen Mißständen der üblichen Arbeiterwohnungen auf dem Lande, in Ackerbau treibenden und gewerbetreibenden Gegenden erfolgreich entgegenzutreten?, in: Deutsche Vierteljahrsschrift fllr öffentliche Gesundheitspflege 25 (1893), S. 18-34. Allgemein zu Stadt-LandUnterschieden Jaeger, Wohnungsfrage, S. 65-77. 231
Gransehe I Rothenbacher, Wohnbedingungen, S. 88-93.
Die Korrelationskoeffizienten zwischen der Belegungsdichte im Jahr 1900 (flir DUsseldorf und Ntirnberg im Jahr 1910) mit der allgemeinen Sterberate und der Sterblichkeit an Tuberkulose (1900) ergeben folgende Ergebnisse: CDR: r =-0,4715, p (zweiseitig) = 0,169; Tb.: r =-0,4761, p (zweiseitig) = 0,164. Quellen: Siehe Tabelle 3.8 und 3.9. 232
238
III. Lebensstandard, Wohnverhältnisse und soziale Ungleichheit
nen läßt sich ebenso wenig festmachen wie die ungesunde Wirkung der Kellerwohnungen.233 Dies mag möglicherweise an den groben Indikatoren liegen. Greift man deshalb auf das bereits mehrfach herangezogene Beispiel Hamburgs während der 1880er Jahre zurück und korreliert ausgewählte differenziertere Indikatoren, wie die Belegungsziffer (Bewohner pro Wohnung), die Anzahl der Bewohner pro Raum (ohne Küche) sowie den Umfang der Überbevölkerung nach Stadtteilen mit der allgemeinen Sterberate, ist die Korrelation relativ schwach ausgeprägt - bei der Belegungsziffer ist das Vorzeichen sogar negativ.234 Bei der Korrelation dieser Indikatoren mit der Sterberate an Tuberkulose zeichnen sich - wie die kartographischen Darstellungen bereits nahelegten - dagegen deutlichere Zusammenhänge ab, am stärksten korrelieren die Anzahl der Bewohner pro Raum und die Sterberate an Tuberkulose. 235 Der relativ hohe positive Korrelationskoeffizient deutet auf einen deutlichen Zusammenhang zwischen den Wohnverhältnissen und der Sterblichkeit an Tuberkulose hin. Allerdings bleibt als Problem bestehen, inwieweit dieser Zusammenhang ein Kausalverhältnis repräsentiert, bei dem eine hohe Tuberkulosesterblichkeit eine
m Die Korrelationskoeffizienten zwischen der Behausungsziffer im Jahr 1900 mit der allgemeinen Sterberate und der Sterbli.chkeit an Tuberkulose (1900) ergeben folgende Ergebnisse: CDR: r =-0,0254, p (zweiseitig) = 0,941. p (zweiseitig) = 0,480. Tb.: r = 0,2387, Eine Korrelation der durchschnittlichen Anzahl der Personen pro Wohnung mit den Sterblichkeitsindikatoren fuhrt zu ähnlichen Werten. Die lnzidenz von Tuberkulose bewegte sich danach relativ unabhängig von der Wohndichte. Die Korrelation der allgemeinen Sterberate sowie der Sterblichkeit an Tuberkulose mit dem Anteil der Kellerwohnungen an der Gesamtzahl der bewohnten Wohnungen liefert folgende Koeffizienten: CDR: r =-0,0440, p (zweiseitig) = 0,904; Tb. : r = 0,0431, p (zweiseitig) = 0,906. Quellen: Siehe Tabelle 3.8 und 3.9 . 21 ' Die Korrelation der allgemeinen Sterberate mit der Belegungsziffer (Bewohner pro Wohnung), Bewohner pro Raum (ohne KUche) und dem Umfang der Überbevölkerung (im Jahr 1885) liefert folgende Koeffizienten: Belegungsziffer: r =-0,4985, p (zweiseitig)= 0,018; Bewohner pro Raum: r = 0,5469, p (zweiseitig) = 0,008; Überbelegung: r = 0,2851, p (zweiseitig) = 0, 198. Quellen: Siehe Tabelle 3.4. 235 Die Korrelation der Sterblichkeit an Tuberkulose mit der Belegungsziffer (Bewohner pro Wohnung), Bewohner pro Raum (ohne KUche) und dem Umfang der Überbevölkerung (im Jahr 1885) liefert folgende Koeffizienten: Belegungsziffer: r =-0,4753, p (zweiseitig) = 0,025; Bewohner pro Raum: r = 0,6564, p (zweiseitig) = 0,00 I; Überbelegung: r = 0,3808, p (zweiseitig) = 0,080. Quellen: Siehe Tabelle 3.4. Vgl. dazu auch Kapitellll3.
6. Wohnen und der Wandel der städtischen Gesundheitsverhältnisse
239
direkte Folge schlechter Wohnverhältnisse war. Denn die Tuberkulose flihrte als eine chronische Krankheit in durchschnittlich 6,5 Jahren nach Ausbruch der Krankheit, so zeitgenössische Angaben ftlr das Kaiserreich, zum Tod. 236 Angesichts der hohen innerstädtischen Mobilität im späten 19. Jahrhundert könnte damit die Wohnung, in der der Tod des Tuberkulosekranken eintrat, eine ganz andere und sehr viel schlechtere gewesen sein als diejenige, in der die Krankheit ausbrach. 237 Oder, um es emphatischer zu formulieren: Die Wohnung, in der der Tod registriert wurde, mag nicht die Ursache der Krankheit gewesen sein, sondern das Resultat, da der Ausbruch der Tuberkulose den ökonomischen Niedergang der ganzen Familie mit sich brachte. Wenn beispielsweise der Haupternährer der Familie Tuberkulose hatte - bereits an früherer Stelle wurde gezeigt, daß in den Städten hauptsächlich Männer in den höheren Altersgruppen einem erhöhten Tuberkuloserisiko ausgesetzt waren 238 -, so ftlhrte der Ausbruch der Krankheit häufig zum Verlust des Arbeitsplatzes, im fortgeschrittenen Stadium der Krankheit wurde der Patient vollkommen arbeitsunfahig. In diesem Falle ging das Familieneinkommen drastisch zurück. Die Familie mußte deshalb in eine andere, billigere und damit wohl ungesündere Wohnung ziehen. Zugleich versuchte man die Verdiensteinbußen durch die vermehrte Aufnahme von Untermietern (sogenannten 'Aftermietern') oder Schlafgängern aufzufangen. 239 Damit wurden die Wohndichte und mit ihr das Infektionsrisiko weiter erhöht. Hier ist der entscheidende Punkt, an dem soziale
Flügge, Großstadtwohnungen, S. 48. Moderne Untersuchungen gehen von einer Mobilitätskennziffer von jährlich zwischen 300 und 600 Umziehenden pro 1.000 Einwohner aus. Vgl. St. Bleek, Mobilität und Seßhaftigkeit in deutschen Großstädten während der Urbanisierung, in: GG 15 (1989), S. 1-33, hier S. 31. Für Angaben zu den einzelnen ausgewählten Städten hier einige zeitgenössische Angaben: Danach waren in den 1880er Jahren in Leipzig 26,6 Prozent, in Dresden 29,1, in Berlin 35,0, und in Breslau 35,2 Prozent aller Häuser weniger als ein Jahr von denselben Mietern bewohnt. Über 40 Prozent in Leipzig und Dresden, und über 50 Prozent in Breslau und Berlin waren flir weniger als zwei Jahre entsprechend genutzt. Vgl. M. Neefe, Hauptergebnisse der Wohnungsstatistik deutscher Großstädte, in: Die Wohnungsnot der ärmeren Klassen in deutschen Großstädten und Vorschläge zu deren Abhülfe. Gutachten und Berichte hrsg. im Auftrage des Vereins für Socialpolitik (=Schriften des Vereins für Socialpolitik, Bd. 30), Bd. I, Leipzig 1886, S. 161-191, hier S. 194. Der Artikel gibt gleichzeitig einen Überblick über die Wohnungsstatistik von den 1860er bis in die 1880er Jahre. m Vgl. Kapitel II. 239 Wink/er, Tuberkulose und Wohnung, S. 314. Dies ging bis zur Doppelaftermiete. Aus Leipzig wird berichtet, daß eine von ihrem Mann getrennt lebende Frau mit ihren sechs Kindern als Aftermieterin eine Zweizimmerwohnung bewohnte, wovon sie das Hinterzimmer mit zwei Betten filr jeweils zwei Mark pro Woche an Schlafleute weitervermietet hatte. Vgl. E. Hasse, Die Wohnverhältnisse der ärmeren Volksklassen in Leipzig, in: Die Wohnungsnot der ärmeren Klassen in deutschen Großstädten und Vorschläge zu deren Abhülfe. Gutachten und Berichte hrsg. im Auftrage des Vereins flir Socialpolitik (=Schriften des Vereins für Socialpolitik, Bd. 31), Bd. 2, Leipzig 1886, S. 288-378, hier S. 365. 236 237
240
III. Lebensstandard, Wohnverhältnisse und soziale Ungleichheit
Sicherungssysteme, in Deutschland etwa die allgemeine Krankenversicherung, ansetzten. Ihr ursprüngliches Ziel war konsequenterweise nicht die medizinische Versorgung, sondern eine zumindest minimale finanzielle Absicherung. 240 Trotz gesetzgeberischer Maßnahmen hegt die aktuelle Forschung große Zweifel, ob grundlegende qualitative Verbesserungen der Wohnverhältnisse während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stattfanden. 241 Zwar wurden behördliche Vorschriften erlassen, die Mindestanforderungen an die Größe des Luftraumes der Wohnungen stellten - in der Regel ging man von zehn cbm Luftraum pro erwachsener Person (und bei Kindem die Hälfte) in den Wohnund Schlafzimmern aus -, 242 in der Praxis zog dies jedoch kaum Folgen nach sich, da die Wohnungsordnungen keine Polizeiverordnungen waren und zudem zahlreiche Ausnahmebestimmungen enthielten. 243 Lediglich in Dresden wurden ab 1907 überfüllte Wohnungen in großem Stil geräumt/44 wobei allerdings unklar bleibt, wie es um die Ersatzwohnungen bestellt war. Eine Verbesserung lag zweifelsohne im Rückgang des Anteils der Wohnungen mit keinem oder nur einem heizbaren Zimmer. 245 Es gab zweifellos auch Fortschritte in der Bauweise, die Verwendung von festerem Material führte zu verbessertem Schutz gegen Kälte, Feuchtigkeit und Lärm/46 allerdings bleibt fraglich, inwieweit die Arbeiterschichten von diesen Entwicklungen profitierten. Von Industrieunternehmen angelegte Arbeitersiedlungen blieben in ihrer Gesamtzahl relativ ge2•" Vgl. dazu Kapitel V 4. w Zu diesem Urteil kommen Historiker mit unterschiedlichstem Forschungsansatz. Vgl. beispielsweise Kuczynsky, Geschichte der Lage der Arbeiter in Deutschland, Bd. I, S. 217-223; Gransehe I Rothenbacher, Wohnbedingungen; Ritter I Tenfelde, Arbeiter im Deutschen Kaiserreich, S. 600. Selbst Autoren, die von einem substantiellen Einfluß hygienischer Vorstellungen auf die Stadtplanung ausgehen, beschränken dies auf Wasserversorgung und Kanalisation, Versuche zur Linderung des Wohnungselends werden dagegen als gescheitert erklärt. Siehe beispielsweise Berndt, Hygienebewegung, S. 150. 242 Morgenroth, Wohnungstiberfilllung und ihre Bekämpfung in deutschen Städten. Wohnungsstatistische Untersuchungen, München 1914, S. 6 und aufS. 9-22 die Vorschriften für die einzelnen Großstädte. - Vgl. dazu auch B. Koller, "Gesundes Wohnen" - Ein Konstrukt zur Vermittlung bürgerlicher Werte und Verhaltensnormen und seine praktische Umsetzung in der Deutschschweiz 1880-1940, Zürich 1995.
w Gesundheits- und Wohlfahrtspflege der König!. Haupt- und Residenzstadt Breslau, S. 54. 244 Morgenroth, Wohnungsüberfilllung, S. 62-63. 245 Lindemann, Wohnungsstatistik, S. 287-293 . Vgl. auch Ritter I Tenfelde, Arbeiter im Deutschen Kaiserreich, S. 587-589.
Ein Test, ob sich der Anteil der Wohnungen ohne heizbares Zimmer auf die allgemeine Sterberate sowie die Sterblichkeit an Tuberkulose auswirkte, zeigt flir die Städte im Jahr 1900 allerdings keinen Zusammenhang. Die Korrelationskoeffizienten betragen: p (zweiseitig) = 0, 779; CDR: r = 0, I 095, Tb.: r = 0,2160, p (zweiseitig) = 0,577. Quellen: Siehe Tabelle 3.9 sowie Statistisches Jahrbuch deutscher Städte II (1903), S. 76. 246
J. Burnett, A Social History of Housing, Newton Abbot 1978, S. 158.
6. Wohnen und der Wandel der städtischen Gesundheitsverhältnisse
241
ring. 247 Zudem waren sie nicht unumstritten, da die Bewohner der ständigen Kontrolle durch den Arbeitgeber ausgesetzt waren und das Wohnrecht direkt an die Beschäftigung geknüpft war, das Ende der Beschäftigung damit auch die sofortige Kündigung der Wohnung bedeutete. Der kommunale Wohnungsbau steckte noch in seinen Anfängen und stellte ab der letzten Dekade des 19. Jahrhunderts lediglich eine beschränkte Menge von Wohnraum zur Verfügung. 248 Insgesamt konnten öffentliche Maßnahmen die schlimmen Wohnverhältnisse der ärmeren Schichten während dieser Zeit selten mildern. 249 Auch die seit Ende der 1890er Jahre nach französischem und englischem Vorbild vom Staat und den Kommunen entwickelte Wohnungsaufsicht und -inspektion konnte zwar Mißstände registrieren, aber kaum Abhilfe verschaffen. 250 Spezielle Programme mit dem Ziel, die Wohnverhältnisse der Arbeiterschichten zu verbessern, wie etwa die Gartenstadt-Bewegung, blieben in kleinem Maßstab und kamen lediglich einigen wenigen Privilegierten zugute. 251 So änderte sich am Wohnungsstandard ftir die Mehrzahl der Arbeiterfamilien im Kaiserreich wenig, Badezimmer mit Toilette, die Trennung von Wohn- und Schlafzimmern sowie von Küche und Wohnraum blieben auch am Vorabend des Ersten Weltkriegs eine Ausnahme. Auch in quantitativer Hinsicht verbesserte sich die Situation nur leicht. Der private Wohnungsbau verschaffte zwar den besserverdienenden Arbeitern neuen Wohnraum, trug aber wenig zum Ausbau billiger Wohnungen ftir die ärmeren Bevölkerungsschichten bei. In Harnburg beispielsweise stieg zwischen
w Vgl. zu diesem Themenkomplex E. Führ I D. Stemmrich, "Nach gethaner Arbeit verbleibt im Kreis der Eurigen". Bürgerliche Wohnrezepte fllr Arbeiter zur individuellen und sozialen Formierung im 19. Jahrhundert, Wuppertal 1985. m W R. Krabbe, Die Anflinge des "sozialen Wohnungsbaus" vor dem Ersten Weltkrieg. Kommunal politische Bemühungen um eine Lösung des Wohnungsproblems, in: VSWG 71 (1984), S. 30-58. Im internationalen Kontext: J. Rodriguez-Lores, Sozialer Wohnungsbau in Europa. Die Ursprünge bis 1918: Ideen, Programme, Gesetze, Basell994. 249 L. Niethammer, Ein langer Marsch durch die Institutionen. Zur Vorgeschichte des preußischen Wohnungsgesetzes von 1918, in: L. Niethammer (Hg.), Wohnen im Wandel. Beiträge zur Geschichte des Alltags in der bürgerlichen Gesellschaft, Wuppertal 1979, S. 363-384; Rodenstein, "Mehr Licht, mehr Luft", S. 145-150; von Saldern, Kommunalpolitik, S. 360. 250 Vgl. Rodenstein, "Mehr Licht, mehr Luft", S. 148- 150; von Saldern, Kommunalpolitik, S. 350. Vgl. auch A. Gottsiein, Aufgaben der Gemeinde- und der privaten Fürsorge, in: M. Mosse I G. Tugendreich (Hgg.), Krankheit und Soziale Lage, München 1913, S. 721-786, hier S. 774-776; H v. d. Go/tz, Die Wohnungsinspektion und ihre Ausgestaltung durch das Reich, Göttingen 1900; C. Hugo, Die deutsche Städteverwaltung. Ihre Aufgaben auf den Gebieten der Volkshygiene, des Städtebaus und des Wohnungswesens, Stuttgart 1901, S. 461-487.
251 Flügge, Großstadtwohnungen, S. 27-28. Zu verschiedenen Maßnahmen zur Bekämpfung der Wohnungsnot vgl. auch F. Zahn I J. Kleindienst, Bekämpfung der sozialen Krankheitsursachen durch den Staat, in: M. Mosse I G. Tugendreich (Hgg.), Krankheit und Soziale Lage, München 1913, S. 639-720, hier S. 646-655.
16 Vögele
242
111. Lebensstandard, Wohnverhältnisse und soziale Ungleichheit
den 1870er und frühen 1880er Jahren lediglich die Anzahl der teueren Wohnungen, während die Anzahl der billigen Wohnungen mit einer Miete bis zu 150 Mark sogar abnahm, obwohl nach den Steuerlisten während dieser Periode keine Einkommenssteigerung stattfand. 252 Ähnliches wird filr Düsseldorf berichtet, wo der Neubau von Kleinwohnungen insbesondere in den Jahren 1900 bis 1911 weit hinter dem Bedarf zurückblieb, wogegen verstärkt Drei- und Vierzimmerwohnungen errichtet wurden. 253 Der Anteil der Kellerwohnungen ging zwar - wie berichtet - reichsweit zurück, absolut aber vergrößerte sich die Zahl der Kellerwohnungen bis zur Jahrhundertwende, in manchen Städten sogar bis 1910 (Tabelle 3 .8). 254 Leichte Verbesserungen, die sich nach der Entwicklung der Behausungs- und Belegungsziffer ergaben, sind deshalb wohl weniger auf verstärkten Wohnungsbau zurückzufilhren, sondern auf Veränderungen der Bevölkerungsweise in den Städten. Eine Ursache filr diesen Rückgang lag darin, daß immer weniger Haushalte familienfremde Mitglieder (Dienstboten, Gewerbegehilfen, 'Aftermieter' und Schlafgänger) aufwiesen. Während in Berlin etwa im Jahr 1875 nahezu 50 Prozent aller Haushalte nur aus Familienmitgliedern bestanden hatten, waren es 1910 beinahe 70 Prozent.255 Ein weiterer Umstand, den viele moderne historische Arbeiten nicht berücksichtigen, ist, daß Veränderungen dieser Relationen über die Zeit möglicherweise eine Folge reduzierter Familiengröße waren, die wiederum aus einer eingeschränkten Fruchtbarkeit und aus sinkenden Geburtenraten resultierten. Da diese Veränderungen in den Städten zuerst auftraten, 256 stand dahinter möglicherweise sogar eine bewußte Familienbeschränkung wegen der miserablen Wohnverhältnisse. In Preußen beispielsweise ging die durchschnittliche Größe der Familienhaushalte in den Städten von 4,7 im Jahr 1875 auf 4,4 im Jahr 1910 zurück, wohingegen sie in ländlichen Gebieten im seihen Zeitraum mit ca. 5 Personen unverändert blieb. 257 Führend waren wiederum die Großstädte: In Berlin veränderte sich die durchschnittliche private Haushaltsgröße in dem entsprechenden Zeitraum von 4,4 auf 3,6, in Breslau von 4,4 auf 3,8, in Dresden von 4,3 auf 3,8, in Frankfurt am Main von 4,9 auf 4,4 (1905), in
m G. Koch, Ueber die Wohnverhältnisse, insbesondere der unbemittelten Bevölkerungsklassen Hamburgs, sowie Versuche, welche zur Besserung dieser Verhältnisse unternommen worden sind, in: Schriften des Vereins fur Socialpolitik 30 (1886), Bd. I, S. 41-55, hier S. 45. m Most, Die Grundbesitz- und Wohnungsverhältnisse in Düsseldorf; H. Albrecht, Die Entwicklung der Düsseldorfer Arbeiterwohnung. Untersuchungen über die Wohnfläche der in den letzten 6 Jahrzehnten erbauten Arbeiterwohnungen in Düsseldorf, Med.Diss., Medizinische Akademie Düsseldorf, DUsseldorf 1939, S. 7. 254
Siehe auch Gransehe I Rothenbacher, Wohnbedingungen, S. 73.
m Quelle:
F. Rothenbacher, Historische Haushalts- und Familienstatistik von Deutschland 1815-1990, Frankfurt a. M. 1997, S. 277. 256 Vgl. Kapitel li. m Quellen: Preussische Statistik 39,1 (1877) und 234 (1913).
243
6. Wohnen und der Wandel der städtischen Gesundheitsverhältnisse
Harnburg von 4,3 (1880) auf 4,1 (1905), in Leipzig von 4, 7 auf 4,1 und in München von 4 auf 3,9. 258 Dabei nahm insbesondere die Zahl der Familienhaushalte mit 5 Personen und mehr ab. 259 Dennoch bestanden die schrecklichen Slums fort. In einigen Städten aus dem Sampie blieben die Wohnverhältnisse quantitativ stabil (Frankfurt am Main) oder verschlechterten sich sogar (was die Behausungsziffer angeht). Trotzdem registrierten auch diese Städte ein Sinken der Tuberkulose-Sterblichkeit, während andere Städte mit Verbesserungen in der Wohndichte (wie etwa Breslau) sogar einen Anstieg der Tuberkulose in Kauf nehmen mußten. Erst das 20. Jahrhundert brachte substantielle Verbesserungen in den Wohnverhältnissen der Arbeiterschichten. Aber auch in diesem Zeitraum war eine sinkende Wohndichte gleichfalls sowohl auf Verbesserungen des Wohnungsmarkts als auch auf schrumpfende Familiengrößen infolge sinkender Fertilitätsraten zurückzuführen. Tabelle 3.9
Wohndichte in den zehn größten deutschen Städten, 1875 und 1900, rohe allgemeine Sterberaten (pro 1.000 Lebende) sowie die Sterblichkeit an Tuberkulose (pro 100.000 Lebende), 1877 und 1900 Stadt
Berlin Breslau Dresden Düsseldorf Frankfurt a.M . Harnburg Köln Leipzig München Nümberg
Durchschnittliche Anzahl von Personen pro bewohntem Gebäude Wohnung 1875 1875 *57,9 4,4 *45,0 4,3 32,0 4,6
-
16,5 *26,0
4,7 4,7
*38,0
5,1
-
-
-
Sterberate
CDR 29,8 29,5 24,6 22,0 19,5 26,5 25,7 23,6 34,0 26,3
1877
1b 355,0 298,4 379,4 330,8 379,2 348,8 462,7 341,7 387,9 542,7
Durchschnittliche Anzahl von Personen pro bewohntem Gebäude Wohnung 1900 1900 *77,0 3,9 *53,3 4,0 28,7 4,1 20,0 18,7 4,7 *35,6 4,4 15,8 4,3 27,8 4,5 *36,6 3,8 19,5
-
Sterberate
CDR 18,9 26,1 18,9 19,4 17,4 17,6 23,2 19,5 25,0 23,8
1900
1b 235,3 339,1 244,2 200,8 256,1 204,0 239,7 227,5 322,9 295,7
• Personen pro bewohntem Grundstück Quellen: R. Eberstadt, Handbuch des Wohnungswesens und der Wohnungsfrage, Jena 1909 (1), S. 129; H Lindemann, Wohnungsstatistik, in: Schriften des Vereins flir Socialpolitik 94: Neuere Untersuchungen über die Wohnungsfrage, Bd. 1: Deutschland und Österreich, Leipzig 1901, S. 261-384, hier S. 285; Statistisches Jahrbuch deutscher Städte II (1903), S. 72-83; Veröffentlichungen des Kaiserlichen Gesundheitsamtes (Beilagen) 2 ( 1878) und 25 (190 I).
258 Quelle: F. Rothenbacher, Historische Haushalts- und Familienstatistik von Deutschland 1815-1990, Frankfurt a. M. 1997, S. 271-272.
m Erst ab den 1930er Jahren waren auch die Familienhaushalte ab vier Personen rückläufig. Quelle: F. Rothenbacher, Historische Haushalts- und Familienstatistik von Deutschland 18151990, Frankfurt a. M. 1997, S. 273-276.
244
Ill. Lebensstandard, Wohnverhältnisse und soziale Ungleichheit
c) Im Haus
Im 19. Jahrhundert war städtisches Wohnen in Deutschland außer durch die sozialtopographische Segregation nach Stadtteilen durch zunehmende soziale Unterschiede innerhalb eines Hauses charakterisiert. Neu in die Stadt zugewanderte Personen von niedrigem sozioökonomischen Status zogen nicht nur in die billigsten und schlechtesten Stadtviertel, sondern bewohnten in den Häusern dieser Gebiete auch noch die entsprechenden Zimmer oder Wohnungen. Als sehr ungesund wurde das Wohnen in den feuchten und dunklen Kellerwohnungen angesehen, die in den Großstädten besonders zahlreich waren. In Berlin lebten im Jahr 1880 über 100.000 Personen in solchen Kellerwohnungen. 260 Auch mehrstöckiges Wohnen, vor allem in den berüchtigten Mietskasernen, galt als extrem gesundheitsschädlich/61 da es ftir die Bewohner der höher gelegenen Stockwerke schwierig war, nach draußen an die frische Luft zu gelangen oder genügend körperlicher Bewegung außerhalb des Hauses nachzugehen. 262 Nach mehreren Besuchen in Londoner Arbeitervierteln war Alfred Grotjahn, ein führender Vertreter der Sozialen Hygiene in Deutschland/63 vom guten Gesundheitszustand der Bevölkerung überrascht. Er schrieb dies neben dem traditionellen Selbststillen der englischen Mütter vor allem dem ftir England typischen einstöckigen Wohnen zu, da die Kinder dort schnell und leicht und deshalb oft ins Freie an die frische Luft gehen konnten: "Das Londoner Arbeiterkind ist eben trotz der ungeheuren Größe der Stadt in viel höherem Maße Freiluftwesen als die deutschen Kinder in den mit Mietskasernen bebauten Groß- und Mittelstädten Deutschlands, die mit Treppen und Korridorabschlüssen dem Kinde den Weg ins Freie erschweren und namentlich den eigentlich selbstverständlichen Aufenthalt des kleinen Kindes in Hof und Straße immer erst zu einer Aktion machen, die wegen ihrer Umständlichkeit kaum täglich und dann nur für kurze Zeit ins Werk gesetzt wird. Es ist sicher kein Zufall, daß man in den schottischen Großstädten, die in deutscher Art mit hohen Mietskasernen bebaut sind, auch wieder zahlreiche rachitische Kinder antrifft. "264
260
Fuchs, Wohnungsfrage, S. 878.
261
Eindrückliche Beschreibungen finden sich bei Treue, Haus und Wohnung, S. 34-51. Flügge, Großstadtwohnungen, S. 123.
262
263 Eineneuere Synthese bietet C. Kaspari, Alfred Grotjahn (1869-1931)- Leben und Werk, Med.Diss., Universität Bonn 1989. 264 A. Grotjahn, Soziale Pathologie. Versuch einer Lehre von den sozialen Beziehungen der menschlichen Krankheiten als Grundlage der sozialen Medizin und der sozialen Hygiene, Berlin 2 1915, S. 260.
6. Wohnen und der Wandel der städtischen Gesundheitsverhältnisse
245
Ob dies allein auf die Wohnverhältnisse zurückzufuhren war oder inwieweit Beruf, Lebensstandard, Ernährung etc. eine Rolle spielten, soll hier nicht weiter verfolgt werden. Auf jeden Fall aber spiegelt mehrstöckiges Wohnen auch soziale Ungleichheiten innerhalb des Hauses wider. Nach James Hobrecht reichten die Mieten in einer typischen Berliner Mietskaserne in den späten 1860er Jahren von 50 Talern in den Kellerwohnungen, unterm Dach und im Hinterhaus bis zu 500 Talern im ersten Stock, der Belle Etage. 265 Folglich lebten die Ärmsten in den oft dunklen und feuchten Kellerwohnungen oder in den stark der Witterung ausgesetzten, engen Mansarden. Auf ein und demselben Stockwerk boten die Wohnungen oder Zimmer zur Straße mehr Luft und Licht als diejenigen, die zum dunklen Hinterhof hinaus führten, der von anderen Häusern umgeben war. Ein statistischer Nachweis über die Verteilung der Gesundheitsrisiken innerhalb des Hauses ist schwer zu erbringen, da das Quellenmaterial hier noch unsystematischer und beschränkter ist als zu den Wohnverhältnissen allgemein, vor allen Dingen fehlen in der Regel Angaben über Zahl und Struktur der Risikobevölkerung (wie etwa die Alters- und Geschlechtsverteilung oder die Familiengröße) innerhalb des Hauses. Darüber hinaus veränderte sich die Position eines Individuums mit dem Lebenszyklus. Arme Zuwanderer aus ländlichen Gebieten oder anderen Städten zogen in die billigen Keller- oder Mansardenwohnungen. Wurde eine berufliche Anstellung gefunden, tendierten die Mieter mit steigendem Einkommen, in die mittleren Stockwerke eines Hauses oder vom Hinterhof zur Straße hin umzuziehen. Obwohl Unterschiede in der Altersstruktur und das Geschlechterverhältnis der Bewohner nicht kontrolliert werden können, gibt es Hinweise, daß das Sterblichkeitsrisiko innerhalb des Hauses ungleich verteilt war. Bereits frühe zeitgenössische Untersuchungen machten darauf aufmerksam, daß schwere Infektionskrankheiten, wie Cholera, Typhus, Diphtherie und Scharlach besonders häufig bei den Mietern von Kellerwohnungen auftraten. 266 Nach systematischeren Erhebungen war in Berlin die allgemeine Sterberate in den Jahren 1875/6 in den Kellerwohnungen (35,6 pro 1.000 Lebende) und unter dem Dach (36,5) am höchsten, während die mittleren Etagen niedrigere Raten verzeichneten (Erdgeschoß: 29,4; Erstes Stockwerk: 28,6; Zweites Stockwerk: 29,2, Drittes Stockwerk: 32,9). 267 In den folgenden Jahren ebneten sich die Unterschiede etwas ein. In den 1890er Jahren schließlich hatten die Kellerwohnungen ihren Nachteil verloren, während die höchsten
265 J. Hobrecht, Ueber öffentliche Gesundheitspflege und die Bildung eines Centrai-Amts für öffentliche Gesundheitspflege im Staate, Stettin 1868, S. 15. 266 L. Betcke, Untersuchungen über Kellerluft und Kellerwohnungen, in: Deutsche Vierteljahrsschrift flir öffentliche Gesundheitspflege 2 1 (1889}, S. 456-488; Lehnert, Kellerwohnungen, S. 250-277. 267
Fuchs, Wohnungsfrage, S. 890.
246
111. Lebensstandard, Wohnverhältnisse und soziale Ungleichheit
Sterberaten noch immer in den Wohnungen im obersten Stockwerk auftraten: In den Jahren 1890/91 belief sich die allgemeine Sterberate in Berliner Häusern auf 21,3 (pro 1.000 Lebende) im Keller, 20,7 im Erdgeschoß, 22, I im Ersten Stockwerk, 21,4 im Zweiten Stockwerk, 20,3 im Dritten Stockwerk und 22,8 im Vierten Stockwerk. 268 Für Breslau lassen sich 1876 und 1880 die höchsten Sterberaten ebenfalls in den Dachwohnungen feststellen, während sie in den Kellerwohnungen relativ günstig lagen. 269 Eine Ausdifferenzierung nach Todesursachen ist für Berlin in den Jahren 1900-02 möglich, aber leider liegt keinerlei Information über die Risikobevölkerung vor. Friedrich Prinzing berechnete deshalb die Verteilung der unterschiedlichen Todesursachen im Haus auf 100 Sterbefälle. Danach trat ein niedriger Prozentsatz von Schwindsucht (5,2 pro 100 Todesfälle) sowie Diarrhöe und Ruhr (5,4) in den Kellerwohnungen auf, 270 was wohl eher auf das junge Durchschnittsalter der dortigen Bewohner zurückzufuhren ist, die höchstwahrscheinlich neu in der Stadt und nicht verheiratet waren, so daß nur eine kleine Anzahl von Säuglingen und Kindem in solchen Räumen lebte. In der Tat lag die Belegungsdichte der Kellerwohnungen um die Jahrhundertwende - wie bereits erwähnt (siehe auch Tabelle 3.7) - in der Regel wesentlich niedriger als der Gesamtdurchschnitt für eine Stadt. Evident ist der hohe Anteil an Todesfällen von Diarrhöe oder Ruhr im Obergeschoß (22,6). Direkt unter dem Dach waren die Mieter und ihre Kinder Klima und Witterung nachhaltig ausgesetzt: heiß im Sommer und kalt sowie mit dem Rauch der Öfen oder Herde gefüllt im Winter. Solche ungesunden Lebensbedingungen waren zusammen mit dem niedrigen sozioökonomischen Status der dort wohnenden Personen für die hohen Sterberaten verantwortlich. Diese Zustände führten zu einer wachsenden Kritik an den Mietskasernen, die aber zurückgewiesen wurde, indem man auf den erzieherischen Wert dieses Systems verwies. James Hobrecht argumen-
268 Die Sterberaten (pro 1.000 Lebende) in Berliner Wohnungen nach Stockwerken ausdifferenziert lauten: Sterbeziffern/Index (I. Stockwerk= I 00) 1885/86 1889/90 1875176 Keller 35,6 124 21,1 11 5 21,3 96 103 20,4 Erdgeschoß 29,4 111 20,7 94 18,4 I00 22, I I00 Erstes Stockwerk 28,6 I 00 Zweites Stockwerk 29,2 102 18,8 102 21,4 97 19,0 103 20,3 92 Drittes Stockwerk 32,9 115 Viertes Stockwerk 36,5 128 21,4 116 22,8 I 03 Quelle: C. J Fuchs, Wohnungsfrage, in: Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Bd. 8, Jena 1911, S. 873-928, hier S. 890; F Prinzing, Handbuch der medizinischen Statistik, Jena 1906, S. 448. Vgl. auch Jaeger, Wohnungsfrage, S. 33. 269 Honigmann, Wohnungsverhältnisse in Breslau, S. 283. 270 Prinzing, Handbuch, 1906, S. 448-449.
7. Zusammenfassung
247
tierte, daß das Zusammenleben verschiedener sozialer Schichten in einem Gebäude zwangsläufig zu sozialem Frieden fuhren sollte. Zudem würde die gute Erziehung der wohlhabenderen Mieter bzw. Vermieter (die häufig in den besseren Etagen wohnten), insbesondere bei der persönlichen und häuslichen Hygiene auf die ärmeren Bewohner des Hauses abfarben. 271 In der Praxis war jedoch häufig das Gegenteil der Fall. Zwischen den verschiedenen Bewohnern herrschte eine klare Trennung; zeitgenössische Berichte verweisen auf I~noranz und Arroganz auf der einen und Neid und Haß auf der anderen Seite.27 Einen Kulminationspunkt fand diese Entwicklung im Straßenaufstand der Mieter im Sommer 1863 im Berliner Louisenviertel, dessen 120.000 Einwohner fast ausschließlich in Mietskasernen wohnten. Angesichts der ungleich verteilten Lebenschancen überrascht dies nicht. Auch die soziale Segregation nach Stadtvierteln wurde durch den Mietskasernenbau in der Praxis keineswegs aufgehoben, sondern blieb ein typisches Merkmal der Städte. 273
7. Zusammenfassung Insgesamt wurde eine enge Verbindung zwischen ökonomischer Entwicklung und Verbesserungen der Gesundheitsverhältnisse ausgemacht. Vor allem die Städte und die Großstädte litten als Zentren der Industrialisierung zunächst am stärksten unter den radikal gewandelten und instabilen Lebensbedingungen, die Urbanisierung und Industrialisierung mit sich brachten. In der langfristigen Entwicklung profitierten die städtischen Gebiete jedoch am stärksten vom steigenden Lebensstandard. Das Verhältnis von Wirtschaftswachstum und Sterblichkeitswandel gestaltete sich dabei recht komplex. Zunächst zeigten sich keine klaren Zusammenhänge zwischen ökonomischer Basis einer Stadt, wie sie anhand vorliegender Städtetypisierungen sowie auf der Basis der Berufszählung von 1907 ermittelt wurde, und der Höhe des Sterblichkeitsniveaus an ausgewählten Todesursachen. Dimensionen sozialer Ungleichheit vor Krankheit und Tod zeigten sich aber deutlich bei einer Analyse auf Stadtteilebene: Die Stadtteile, in denen die ärmere Bevölkerung wohnte, wiesen deutlich erhöhte Sterberaten auf. Ähnliche Zusammenhänge zeigten sich bei der Hobrecht, öffentliche Gesundheitspflege, S. 15. R. Beier, Leben in der Mietskaserne. Zum Alltag Berliner Unterschichtsfamilien in den Jahren 1900 bis 1920, in: G. Asmus (Hg.), Hinterhof, Keller und Mansarde. Einblicke in Berliner Wohnungselend 1901-1920, Reinbek bei Harnburg 1982, S. 244-270, hier S. 267. 273 J. H Schwippe, Zum Prozeß der sozialräumlichen innerstädtischen Differenzierung im Industrialisierungsprozeß des 19. Jahrhunderts. Eine faktorialökologische Studie am Beispiel der Stadt Berlin 1875-1910, in: H. J. Teuteberg (Hg.), Urbanisierung im 19. und 20. Jahrhundert. Historische und geographische Aspekte, Köln 1983, S. 241-307. 271
272
248
111. Lebensstandard, Wohnverhältnisse und soziale Ungleichheit
Analyse der durchschnittlichen Tagelöhne als Indikator fiir das lokale Einkommensniveau: Je höher die Löhne ausfielen, desto niedriger lagen die Sterberaten sowohl beim Lohnempfänger als auch bei dessen Familienangehörigen. Eine bedeutende Rolle spielten dabei die Löhne weiblicher Tagelöhner fiir die Höhe der Säuglingssterblichkeit und der damit eng verbundenen Sterblichkeit an gastro-intestinalen Störungen. Aber auch in diesem Fall gestalteten sich die Zusammenhänge sehr komplex. Dies wird deutlich, wenn man die Auswirkungen der Beteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt auf die Gesundheit analysiert. Die Frauenerwerbsarbeit wirkte sich keineswegs grundsätzlich negativ auf die Sterblichkeit der Säuglinge aus. Vielmehr konnten die Frauen gerade durch die von den damaligen Zeitgenossen so verurteilte Arbeit in der Industrie häufig einen so substantiellen Beitrag zum Familieneinkommen leisten, daß die Überlebenschancen der Säuglinge stiegen. Da im deutschen Kaiserreich mindestens 80 Prozent der Arbeiterschicht vom spekulativen Wohnungsmarkt abhängig waren, wurden in diesem Kapitel ebenfalls die gesundheitlichen Auswirkungen der städtischen Wohnverhältnisse analysiert. Das rapide Bevölkerungswachstum der Städte flihrte zu einer hohen Wohndichte, die eine schnelle und weite Diffusion von Krankheit und Tod begünstigte. Eine häufige Überbelegung der Wohnungen und die schlechte Qualität der Wohnstandards trugen ihren Teil zu den schlechten städtischen Gesundheitsverhältnissen bei. Andererseits waren die ländlichen Wohnverhältnisse keineswegs so entscheidend besser, um die extremen Unterschiede in der Sterblichkeit von Stadt und Umd restlos erklären zu können. Zu bedenken ist gleichwohl, daß schlechte Wohnverhältnisse sowohl Ursache als auch Folge von Krankheit sein konnten, da eine Erkrankung des Haupternährers häufig den sozialen Abstieg einer gesamten Familie mit sich brachte. Was die zeitliche Entwicklung angeht, sind weitreichende qualitative und quantitative Verbesserungen der Wohnbedingungen im Kaiserreich kaum belegbar. Qualitative Verbesserungen, insbesondere bei der Bausubstanz, gab es zwar, jedoch konnten die breiten Bevölkerungsschichten davon nicht profitieren. Da Wohnungsbauzyklen und Bevölkerungswachstum nicht gleichmäßig verliefen, konnte der private Wohnungsbau, über weite Strecken nicht genügend Wohnraum zur VerfUgung stellten. Vor allen Dingen mangelte es an billigen Wohnungen. Private Programme, die Wohnsituation der Arbeiter zu verbessern, waren in ihrer Zahl relativ begrenzt und wurden von der Zielgruppe keineswegs uneingeschränkt beflirwortet. Auch der kommunale Wohnungsbau wurde während dieser Periode lediglich in kleinem Maßstab betrieben. Verbesserungen in der Wohndichte müssen deshalb zu weiten Teilen nicht auf verstärkte Bautätigkeit, sondern auf eine Beschränkung der Familiengröße zurückgefiihrt werden. Insgesamt können somit die substantiellen Verbesserungen der städtischen Gesundheitsverhältnisse, insbesondere der Rückgang der Sterblichkeit an Tuberkulose sowie die Sterberate der Säuglinge wohl kaum auf veränderte Wohnverhältnisse zurückgefiihrt werden.
7. Zusammenfassung
249
Schlußendlich weisen die Ergebnisse dieser Analyse daraufhin, daß die wirtschaftliche Entwicklung und die soziale Lage einen erheblichen Einfluß auf die Gesundheitsverhältnisse hatten. Diese wirkten besonders stark auf bestimmte Todesursachen und spezielle Risikogruppen. Die Sterblichkeit an Tuberkulose reagierte sehr sensitiv auf die differentiellen Lebensbedingungen. Auch die Höhe und Entwicklung der Säuglingssterblichkeit war stark von den sozioökomischen Rahmenbedingungen abhängig. Deutlich wurde dabei allerdings auch, daß diese keineswegs isoliert wirkten, sondern in einem komplexen Wirkungsgeflecht standen. Vor allem die Rolle der städtischen Umweltbedingungen wurde wiederholt als intervenierender Faktor identifiziert. Dieser Themenkomplex ist deshalb Gegenstand des nächsten Kapitels.
IV. Verbesserte Umweltbedingungen: Sanitäre Reformen und der Wandel der Sterblichkeit 1. Einführung Bereits die Zeitgenossen am Ende des 19. und zu Anfang des 20. Jahrhunderts faßten das Feld der sanitären Reformen weit und bezeichneten mit dem Begriff 'Assanierung' sämtliche infrastrukturellen Maßnahmen, die eine Verbesserung der hygienischen Zustände zum Ziel hatten. Dazu gehörten in den Städten neben der zentralen Trinkwasserversorgung sowie der Abwasser- und Müllbeseitigung auch die Straßenreinigung, die Errichtung von Schlachthöfen und Desinfektionsanstalten, ferner die Sorge für gesunde Nahrungsmittel und mit erheblicher Verzögerung - die kommunale Wohnungsfiirsorge; sogar die Reduzierung städtischen Lärms wurde unter diesen Begriff subsumiert. 1 Gesundheit und Krankheit galten nicht länger als Schicksalsfrage, sondern man glaubte, sie durch Verbesserungen der Umweltbedingungen positiv beeinflussen und vorbeugend eingreifen zu können, insbesondere indem man eine adäquate sanitäre Infrastruktur schuf. Gefordert war hier die Kommune mit ihrer sich entwickelnden umfassenden Leistungsverwaltung, die im Rahmen der Daseinsfürsorge wesentliche Aspekte des öffentlichen Gesundheitswesens abdeckte:2 So wurden in Deutschland spezifische Maßnahmen in den letzten Dekaden des 19. und im frühen 20. Jahrhundert zunehmend systematisch ergriffen. Bis zur Jahrhundertwende wurden Ausgaben fiir einschlägige Maßnahmen zur öffentlichen Gesundheitsfürsorge bereits zu einer bedeutenden und weiterhin wachsenden Komponente im städtischen Haushalt: In München beispiels-
1 Vgl. T. Weyl, Assanierung, in: T. Weyl (Hg.), Soziale Hygiene. Handbuch der Hygiene. 4. Supplement-Band, Jena 1904, S. 1-27, hier S. I. 2 J Reulecke, Geschichte der Urbanisierung in Deutschland, Frankfurt a. M. 1985, insbesondere S. 56-67 und 118-131; W R. Krabbe, Die deutsche Stadt im 19. und 20. Jahrhundert. Eine Einflihrung, Göttingen 1989, S. 110-113. Vgl. auch Kapitel12.
252
IV. Verbesserte Umweltbedingungen: Sanitäre Refonnen und Sterblichkeitswandel
weise wurden im Jahre 1894 etwa 16,3 Prozent des gesamten städtischen Budgets flir diese Zwecke eingesetzt. 3 Von den vielfältigen Assanierungsmaßnahmen konzentriert sich das folgende Kapitel vornehmlich auf zwei Komponenten, denen während des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts eine Schlüsselstellung zukam: (1.) die zentralen Wasserversorgungseinrichtungen und Kanalisationsanlagen als umfassendste Komponenten der sanitären Reformen sowie (2.) die städtische Milchversorgung, die speziell zur Versorgung der Säuglinge und Kleinkinder konzipiert war. Beiden Bereichen öffentlicher Intervention wurde von den Zeitgenossen besondere Aufmerksamkeit gewidmet, weswegen sie Schwerpunkte der öffentlichen Gesundheitsfürsorge bildeten. Bedenkt man weiterhin die herausragende Rolle der gastro-intestinalen Erkrankungen im städtischen Todesursachenpanorama sowie die dadurch extrem hohe Säuglingssterblichkeit, so ist von diesen beiden Interventionsstrategien der öffentlichen Gesundheitsfürsorge nach heutigem Wissensstand auch die größte Breitenwirkung auf die städtischen Gesundheitsverhältnisse zu erwarten gewesen. Andere Teilbereiche der sanitären Reformen (wie etwa die Nahrungsmittelkontrolle) funktionierten während der Untersuchungsperiode lediglich in einem so kleinen Maßstab, daß ihnen aus epidemiologischer Perspektive nur ein sehr beschränkter Einfluß auf den Gesundheitszustand der städtischen Bevölkerung zugeschrieben werden kann. 4 Obwohl sie den Rückgang der hohen städtischen Sterberaten unterstützt haben mögen, sind sie ftir eine Analyse der Mechanismen des säkularen Sterblichkeitswandels im Untersuchungszeitraum zu vernachlässigen.
3 K. Singer, Die Abminderung der Sterblichkeitsziffer Münchens. Ein Beitrag zur Frage hygienischer und sozialpolitischer Maassnahmen auf die Gesundheit der Städte, München 1895, S. 19.
• So liegen bislang auch Oberhaupt wenige Arbeiten zu diesen Bereichen vor. Filr einzelne Aspekte siehe etwa H. Si/berg/eil, Die Lage der preussischen Schlachthöfe und die Freizügigkeit des frischen Fleisches, Magdeburg 1903; J. Grüne, Anfllnge staatlicher Lebensmittelüberwachung in Deutschland. Der "Vater der Lebensmittelchemie" Joseph König (1843-1930), Stuttgart 1994; U. Kappilz I W Woelk, Die Desinfektionsmaschinerie, in: Paedagogica Historica. International Journal ofthe History ofEducation 33 (1997), S. 833-860.
2. Städtische Infrastrukturmaßnahmen und der Wandel der Sterblichkeit
253
2. Städtische Infrastrukturmaßnahmen und der Wandel der Sterblichkeit a) Der Ausbau der zentralen Wasserversorgung und der Kanalisationsanlagen
Der Schwerpunkt der Städteassanierung lag zunächst auf dem Ausbau von zentraler Trinkwasserversorgung und Kanalisation. Er stellte einen zentralen Eingriff in die städtische Umwelt dar. Die Kommunen, vor allem die Großstädte, vollbrachten in diesem Zeitraum technische und finanzielle Pionierleistungen. Mit enormem Aufwand wurden Tiefbauarbeiten ausgeführt, die Städte wurden gleichsam untergraben, Röhrensysteme verlegt, Häuser angeschlossen und Kläranlagen konstruiert. Großbritannien war auch hier Vorreiter dieser Entwicklung gewesen: 5 Im Anschluß an Edwin Chadwicks dramatischen Report über die Sanitary Conditions ofthe Labouring Population (1842) begann dort nach einer organisatorischen und gesetzgeberischen Vorlaufphase in den 1840er Jahren der Ausbau der sanitären Infrastruktur ab der Jahrhundertmitte.6 Deutschland importierte wesentliche Elemente dieser Städtetechnik mit einer zeitlichen Verspätung. Zunächst setzte der Ausbau der gesundheitsbezogenen Infrastruktur nur zögerlich ein, und das eingesetzte Kapital war im Vergleich zu den britischen Groß-
5 J. Uffe lmann, Darstellung des auf dem Gebiete der öffentlichen Gesundheitspflege in ausserdeutschen Ländern bis jetzt Geleisteten, Berlin 1874. - Zur Geschichte der öffentlichen Gesundheitsfursorge in Europa und den Vereinigten Staaten G. Rosen, A History of Public Health, New York 1958. Administrative Aspekte dieser Entwicklungen in England werden besonders betont bei J. L. Brand, Doctors and the State: The British Medical Profession and Government Action in Public Health, 1870-1912, Saltimore 1965; C. F Brockington, Public Health in the Nineteenth Century, Edinburgh und London 1965; C. F. Brockington, A Short History of Public Health, London 1966; W M Frazer, A History of English Public Health, 1834-1939, London 1950; A. S. Wohl, Endangered Lives. Public Health in Victorian Britain, London 1983. -Zusammenfassend zur Entwicklung in England siehe die entsprechenden Abschnitte bei G. Kearns I W R. Lee I J. Rogers, The Interactions of Political and Economic Factors in the Management of Urban Public Health, in: M. C. Nelson I J. Rogers (Hgg.), Urbanisation and the Epidemiologie Transition, Uppsala 1989, S. 9-81. 6 Vgl. E. Chadwick, Report on the Sanitary Condition of the Labouring Population of Great Britain, edited with an introduction by M. W. Flinn, Edinburgh 1965 (Originalausgabe 1842). Zu E. Chadwick vgl. R. E. Lewis, Edwin Chadwick and the Public Health Movement, 1832-1914, London 1952 (Neudruck: New York 1970); S. E. Finer, The Life and Times ofSir Edwin Chadwick, New York 1952.
254
IV. Verbesserte Umweltbedingungen: Sanitäre Reformen und Sterblichkeitswandel
städten bescheiden. 7 Da es in Deutschland keinen entsprechenden legislativen Rahmen gab, lag die Initiative vollkommen in der Hand der sich selbst verwaltenden Kommunen. 8 Versuche, im Reichstag eine nationale Gesetzgebung zu verankern, scheiterten wiederholt; erst nach der Jahrhundertwende konnten von staatlicher Seite gesetzliche Regelungen getroffen werden. 9 Dennoch wurden private Unternehmungen, wie sie in den 1850er und 1860er Jahren nicht selten unter englischer Leitung und mit englischem Kapital betrieben worden waren, 10 zunehmend seltener: 11 Im Jahr 1907 befanden sich lediglich 4,5 Prozent aller Wasserwerke im Besitz privater Unternehmen. 12 Da ein System mit zentraler Wasserversorgung und Kanalisation eine sehr kapitalintensive Technik war, besonders in bezug auf die Konstruktion, handelten die Gemeinden vorsichtig. Begonnen wurde in der Regel zunächst - im Unterschied zu England 13 - mit der Errichtung einer zentralen Wasserversorgung. Während nur wenige Städte eine Anlage dieser Art bereits in den 1840er (Hamburg, 1849, staatlich finanziert) und 1850er Jahren (Berlin, 1852 begonnen und seit 1856 in Betrieb; Würzburg, 1854; Glauchau, 1856; Homburg,
7 J. Strang, On Water Supply to Great Towns, in: Journal of the Statistical Society of London 12 (1859), s. 232-249. 8 Vgl. W Krabbe, MunizipalsoziaUsmus und Interventionsstaat Die Ausbreitung der städtischen Leistungsverwaltung im Kaiserreich, in: GWU 30 (1979}, S. 265-283 . Wie dies aus englischer Perspektive gesehen wurde, beschreibt ein fuhrender zeitgenössischer Deutschlandexperte: W H. Dawson, Municipal Life and Government in Germany, London 1914. Er faßt die Unterschiede zwischen englischen und deutschen Kommunen wie folgt zusammen: "... while the German town, grown to man's estate, exercises the freedom and independence of manhood, the English town is still protected and chaperoned by its ever present and often fussy nurse, the "Board above"."(S. 36). Vgl. dazu auch A. Lees, Cities Perceived. Urban Society in European and American Thought, 1820-1940, Manchester 1985, S. 239-247. - Ausnahmen bildeten die Anlagen Berlins, wo erste Initiativen vom Polizeipräsidium ausgingen, sowie die Wasserversorgung des Stadtstaats Hamburg. Siehe R. Münch, Gesundheitswesen im 18. und 19. Jahrhundert. Das Berliner Beispiel, Berlin 1995, S. 214-225; H. Bärthel, Wasser für Berlin: Die Geschichte der Wasserversorgung, Berlin 1997, S. 31-55 und R. Evans, Death in Hamburg. Society and Politics in the Cholera Years 1830-1910, Oxford 1987, S. 144-161. 9 Dazu später ausflihrlich. - Vgl. auch Das Deutsche Reich in gesundheitlicher und demographischer Beziehung. Festschrift den Theilnehmern am XIV. Internationalen Kongresse für Hygiene und Demographie Berlin 1907 gewidmet vom Kaiserlichen Gesundheitsamte und vom Kaiserlichen Statistischen Amte, Berlin 1907, S. 141-152; K.-G. Wey, Umweltpolitik in Deutschland. Kurze Geschichte des Umweltschutzes in Deutschland seit 1900, Opladen 1982, S. 37- 104.
w So zum Beispiel in Berlin bis in die 1870er Jahre. - Vgl. dazu auch Bärthe/, Wasser fur Berlin, S. 43-85. 11 Th. Kluge I E. Schramm, Wassernöte. Umwelt- und Sozialgeschichte des Trinkwassers, Aachen 1986, S. 39-42.
12 Quelle: P. Mombert, Die Gemeindebetriebe in Deutschland. Allgemeine Darstellung, in: Schriften des Vereins fllr Socialpolitik 128 (1 908}, S. 1-77, hier S. 10. 13 Siehe J. Vögele, Sanitäre Reformen in deutschen und englischen Städten - Ansätze eines Vergleichs, in: Informationen zur modernen Stadtgeschichte (1992}, Heft I, S. 11-14.
2. Städtische Infrastrukturmaßnahmen und der Wandel der Sterblichkeit
255
1858 und Altona, 1859) eingerichtet hatten, 14 folgten andere Städte in den anschließenden Dekaden, wobei die Hauptausbauphase eindeutig in den 1870er und 1880er Jahren lag. Von den Städten des Sampies eröffneten Düsseldorf ein Wasserwerk im Jahr 1870, Breslau und Köln 1871, Frankfurt am Main 1873 und 1885, Dresden 1875 und München 1883. 15 In Nümberg wurde nach 1865 ein weiteres Wasserwerk 1885 in Betrieb genommen, in Leipzig nach 1866 ein weiteres 1887. Stark ausgebaut wurde die Wasserversorgung in Berlin Ende der 1870er und in den 1880er Jahren. In allen diesen Städten machten jedoch rapides Bevölkerungswachstum und vermehrter Wasserbedarf der Industrie eine ständige Erweiterung der Förderkapazität sowie des Versorgungsgebiets auch in den folgenden Dekaden erforderlich. Bis 1900 hatten alle größeren Städte des Deutschen Reichs (mit mehr als 25.000 Einwohnern) eine zentrale Wasserversorgung, während lediglich 47 Prozent der kleineren Städte (2.000-25.000 Einwohner) auf eine solche Einrichtung zurückgreifen konnten (Tabelle 4.1 ). Zu berücksichtigen sind dabei große regionale Unterschiede: 67 Prozent der kleineren Städte in Preußen und 35 Prozent in den anderen deutschen Staaten hatten an der Jahrhundertwende noch keine zentrale Wasserversorgung. 16 Tabelle 4.1
Zunahme der Anzahl deutscher Städte mit zentraler Wasserversorgung (absolute Zahlen und prozentualer Anteil je Größenklasse (in Klammern)), 1870- 1900 Städte
1870
1870-80
1880-90
1890-1900
Unter 25.000 Über 25.000 Total
20 (I) 23 (15) 43 (3)
94 (6) 58 (39) !52 (9)
201 (14) 35 (23) 236 (15)
381 (26) 34 (23) 415 (25)
bis 1900
Zahl der Städte
696 (47) 150 (100) 846 (52)
1.490 150 1.640
Quelle: E. Grahn, Die städtischen Wasserwerke, in: R. Wuttke (Hg.), Die deutschen Städte, Bd. I, Leipzig 1904, S. 309.
Der Ausbau der Kanalisationsanlagen folgte in der Regel mit einem zeitlichen Abstand von mehreren Dekaden der Anlage der zentralen Wasserversor-
14 E. Grahn, Die städtischen Wasserwerke, in: R. Wuttke (Hg.), Die deutschen Städte, Bd. 1. Leipzig 1904, S. 301-344; Ph. Steuer, Die Wasserversorgung der Städte und Ortschaften. Ihre wirtschaftliche Entwicklung und Analyse, Berlin 1912.
15 Quellen: Statistisches Jahrbuch deutscher Städte I (1890)- 21 (1916); E. Grahn, Die Art der Wasserversorgung der Städte des Deutschen Reiches mit mehr als 5000 Einwohnern, München 1883; E. Grahn, Die städtische Wasserversorgung im Deutschen Reiche sowie in einigen Nachbarländern. Bd. I : Königreich Preussen, München 1898; Bd. 2, Teil I: Königreich Bayern. München 1899; Bd. 2, Teil2: Die deutschen Staaten außer Preussen und Bayern, München 1902. 16 Grahn, Wasserwerke, S. 309.
256
IV. Verbesserte Umweltbedingungen: Sanitäre Reformen und Sterblichkeitswandel
gung (vgl. Anhang 5). Unter den zehn größten deutschen Städten verfuhr man so in Berlin (1873), Nümberg (1874), Breslau und Köln (1881), Düsseldorf (Baubeginn 1884) und Dresden (1890). Lediglich Harnburg (Baubeginn 1842), Leipzig (1860), Frankfurt am Main (Baubeginn 1867) und München (1880/81) verfUgten zuerst über eine Kanalisation im modernen Sinn (als systematisch angelegtes unterirdisches Röhrensystem), bevor sie mit dem Ausbau der Wasserversorgung begannen. 17 Insgesamt gesehen setzte die Hauptphase beim Ausbau der Kanalisation erst um die Wende zum 20. Jahrhundert ein (Schaubild 4.1): 18 Von 1851 bis 1880 eröffueten 60 Städte eine Kanalisationsanlage, allein in der folgenden Dekade 1881-90 waren es 104, im Jahrzehnt vor der Jahrhundertwende 216, im Jahrzehnt danach 313.
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Schaubild 4.1: Ausbau der Kanalisationsanlagen in deutschen Städten, 1850 - 1910
17 Quellen: Statistisches Jahrbuch deutscher Städte 1 (1890)- 21 (1916); J. Brix I K. Imhoff I R. Weldert, Die Stadtentwässerung in Deutschland. Bd. I, Jena 1934; H Salomon, Die städtische Abwasserbeseitigung in Deutschland. Wörterbuchartig angeordnete Nachrichten und Beschreibungen städtischer Kanalisations- und Kläranlagen in deutschen Wohnplätzen. (Abwässer-Lexikon), Bd. 2. Jena 1907; Erster Ergänzungsband, Jena 1911. 18 Quellen: H Salomon, Die städtische Abwasserbeseitigung in Deutschland. Wörterbuchartig angeordnete Nachrichten und Beschreibungen städtischer Kanalisations- und Kläranlagen in deutschen Wohnplätzen. (Abwässer-Lexikon), Bd. 2, Jena 1907. Erster Ergänzungsband, Jena 1911.
2. Städtische Infrastrukturmaßnahmen und der Wandel der Sterblichkeit
257
Auch dabei erfolgte der Ausbau zunächst in den Großstädten; kleinere Städte folgten mit deutlichem Abstand, und dörfliche Gemeinden waren bis weit in das 20. Jahrhundert hinein unversorgt. 19 Im internationalen Vergleich holten die deutschen Großstädte rasch und merklich auf; ihre Infrastrukturanlagen galten sogar bald als Vorbild. Ermöglicht wurde dies größtenteils durch zwei Faktoren: Einerseits verschaffte die in der Praxis großzügig gehandhabte finanzielle Autonomie der Gemeinden weitgehende Besteuerungsmöglichkeiten, etwa durch Einkommen- oder Grundsteuern, aber auch Zuschläge zu den Staatssteuern; gleichzeitig konnten langfristige Kommunalanleihen zum Ausbau der städtischen Infrastruktur (Wasser-, Gas- und E-Werke, Verkehr) und öffentlichen Betriebe relativ leicht aufgenommen werden, womit sich ein System ausgeprägter kommunaler Schuldenwirtschaft herausbildete. 20 Andererseits erlaubte die Machtverteilung in den Städten eine rasche und unproblematische Durchsetzung der Reformen: 21 Be-
19 In Preußen hatten im Jahr 1907 lediglich ein Prozent aller Gemeinden mit weniger als 2.000 Einwohnern eine Kanalisation. Vgl. H Matzerath, Urbanisierung in Preußen 1815-1914, Stuttgart 1985, S. 339. 20 0. Most, Die Schuldenwirtschaft der deutschen Städte, Jena 1909; Dawson, Municipal Life, insbesondere Kapitel 13 bis 17. - Zur Finanzsituation der Städte zusammenfassend Krabbe, Die deutsche Stadt, S. 155-165; Reulecke, Geschichte der Urbanisierung, S. 109-118. Vgl. auch R. Tilly, Städtewachstum, Kommunalfinanzen und Munizipalsozialismus in der deutschen Industrialisierung: eine vergleichende Perspektive 1870-1913, in: J. Reutecke (Hg.), Die Stadt als Dienstleistungszentrum. Beiträge zur Geschichte der "Sozialstadt" in Deutschland im 19. und frühen 20. Jahrhundert, St. Katharinen 1995, S. 125-152; R. 111/y, Investitionen der Gemeinden im deutschen Kaiserreich. Ein Überblick, in: K. H. Kaufhold (Hg.), Investitionen der Städte im 19. und 20. Jahrhundert, Köln 1997, S. 39-59; R. Tilly, Kommunalfinanzen und -investitionen im Deutschen Kaiserreich, 1870-I9I4: Quantifizierungsansätze, in: H.-J. Gerhard (Hg.), Struktur und Dimension. Festschrift fiir Kar! Heinrich Kaufhold, Bd. 2, Stuttgart 1997, S. 134-I66. Für eine differenzierte Untersuchung am Beispiel von Dortmund und Düsseldorf siehe W. Steilz, Kommunale Infrastruktur und Gemeindefinanzen in der Zeit der deutschen Hochindustrialisierung, in: K. Düwell I W. Köllmann (Hgg.), Rheinland-Westfalen im Industriezeitalter, Bd. 2: Von der Reichsgründung bis zur Weimarer Republik, Wuppertal 1984, S. 412-443.
21 In England dagegen wurden die Reformen durch die eigentümliche Struktur des kommunalen Steuersystems häufig jahrelang blockiert, da die Ausgaben fllr neue Investitionen direkt auf die Haus- und Grundbesitzer als Steuerzahler umgelegt wurden. Insbesondere mittelständische Haus- und Ladenbesitzer sperrten sich deshalb im Gegensatz zu Deutschland erfolgreich gegen den Ausbau von Wasserversorgung und Kanalisation. Vgl. J Vögele, Urban Mortality Change in England and Germany, 1870-19IO, Liverpool I998, S. 150-189. In Deutschland wehrten sich die Haus- und Grundbesitzer - allerdings meistens erfolglos - vor allem gegen die ihrer Meinung nach zu hohen Wassertarife und Kanalisationsgebühren. Vgl. F. Lenger, Bürgertum und Stadtverwaltung in rheinischen Großstädten des 19. Jahrhunderts, in: L. Gall (Hg.), Stadt und Bürgertum im 19. Jahrhundert, München 1990, S. 97-169, hier S. 144-145; P. Münch, Stadthygiene im 19. und 20. Jahrhundert. Die Wasserversorgung, Abwasser- und Abfallbeseitigung unter besonderer Berücksichtigung Münchens, München 1993, S. 165.
17 Vögele
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IV. Verbesserte Umweltbedingungen: Sanitäre Reformen und Sterblichkeitswandel
dingt durch das Dreiklassenwahlrecht oder aufgrund anderer Restriktionen des Wahlrechts übte vielerorts eine weitgehend unternehmerisch ausgerichtete obere Bürgerschicht substantielle Kontrollfunktionen aus. So wurden beispielsweise die Stadtverordnetenversammlungen in den rheinischen Städten zunehmend von Repräsentanten der Großindustrie dominiert, 22 die zugleich auch großen ökonomischen Nutzen aus dem Ausbau der einschlägigen Infrastrukturmaßnahmen zogen: Einerseits konnten sie direkt profitierten, wenn sie als Unternehmer selbst am Ausbau beteiligt waren, andererseits kam ihnen als lokalen Arbeitgebern die verbesserte Gesundheit ihrer Arbeiter zugute.23 Als Fabrikbesitzer zogen sie großen Nutzen aus der Versorgungs- und Entsorgungssicherheit der industriellen Anlagen, als Grund- und Hausbesitzer schließlich konnten sie bei vorhandenen sanitären Einrichtungen höhere Mieten bzw. Grundstückspreise verlangen. 24 Weiterhin besaß dieser Personenkreis ein Übergewicht in verschiedenen kommunalen Ausschüssen, deren Aufgaben von der Vorbereitung der Stadtverordnetensitzungen bis zum Vorsitz der städtischen Gas- und Wasserwerke reichte.25 Im Zusammenspiel mit professionellen Verwaltungsangestellten und gut ausgebildeten Beamten der entstehenden Leistungsverwaltung wurde so eine rasche Akzeptanz und eine schnelle Durchsetzung der Reformmaßnahmen erzielt. 26 Die professionellen Verwal-
Lenger, BOrgerturn und Stadtverwaltung, S. 120-121. Vgl. auch J. C. Brown, Public Reform for Private Gain? The Case oflnvestments in Sanitary Infrastructure: Germany, 1870-1887, in: Urban Studies 26 (1989), S. 2-12, insbesondere S. 8; J. C. Brown, Coping with Crisis? The Diffusion of Waterworks in Late Nineteenth-Century German Towns, in: Journal ofEconomic History 48 (1988), S. 307-318. Allgemein dazu F. B. Smith, The People's Health, 1830-1910, London 1979, S. 216; JA. Hassan, The Growth and Impact ofthe British Water Industry in the Nineteenth Century, in: Economic History Review 38 (1985), S. 531-547; Wohl, Endangered Lives, insbesondere Kapitel4 und 7. 24 Vgl. Der Städtebau nach den Ergebnissen der allgemeinen Städtebau-Ausstellung in Berlin nebst einem Anhang: Die internationale Städtebau-Ausstellung in Düsseldorf. 600 Wiedergaben des Bilder- und Planmaterials der beiden Ausstellungen. Mit Förderung durch die königlichen Preußischen Ministerien des Inneren, des Handels und der Öffentlichen Arbeiten, sowie durch die Städte Berlin, Charlottenburg, Rixdorf, Schöneberg, Wilmersdorf, Potsdam, Spandau, Lichtenberg .und DUsseldorf herausgegeben im Auftrage der ArbeitsausschUsse von Dr. Wemer Hegemann, Generalsekretär der Städtebau-Ausstellungen in Berlin und Düsseldorf, 2 Bde., Berlin 1911 und 1913, insbesondere Bd. I, S. 61 ; M. Rodenstein, "Mehr Licht, mehr Luft". Gesundheitskonzepte im Städtebau seit 1750, Frankfurt a. M. 1988; M. Rodenstein, Wird das Leben in unseren Städten gesUnder?, in: B. Stumm I A. Trojan (Hgg.), Gesundheit in der Stadt. Modelle - Erfahrungen Perspektiven, Frankfurt a. M. 1994, S. 39-55, hier S. 41. Systematisch wurde dies am Beispiel Münchens untersucht von J C. Brown, Wer bezahlte fllr die sanitäre Stadt?, in: J. Vögele I W. Woelk (Hgg.), Stadt, Krankheit und Tod. Geschichte der städtischen Gesundheitsverhältnisse während der Epidemiologischen Transition (vom 18. bis ins frühe 20. Jahrhundert), Berlin 2000, S. 237-257. 25 Lenger, Bürgertum und Stadtverwaltung, S. 133. 22 23
26 A. Sutcliffe, Towards the Planned City: Germany, Britain, the United States and France, 1780-1914, Oxford 1981, S. 26. Vgl. auch Dawson, Municipal Life, S. 81-122; H. Gröttrup, Die
2. Städtische Infrastrukturmaßnahmen und der Wandel der Sterblichkeit
259
tungen lancierten ambitionierte Programme städtischer Reformen und Unternehmungen, die mit Hilfe weitreichender Polizeirechte erfolgreich in Privatbesitzrechte eingreifen und städtische Baumaßnahmen regeln konnten. 27 Bestimmte Partikularinteressen konnten umso leichter verfolgt und wahrgenommen werden, als zwischen den administrativen und ökonomischen Eliten häufig enge soziale und familiäre Bindungen bestanden. 28 Beide Gruppen waren beispielsweise auch stark im Niederrheinischen Verein für öffentliche Gesundheitspflege vertreten, der im Jahr 1869 ins Leben gerufen worden war, um Belange der öffentlichen Gesundheitsfürsorge in den dortigen Städten zu fördem .29 Schließlich profitierte man in technischer Hinsicht von der 'sanitären Rückständigkeit' der deutschen Städte, da britisches Expertenwissen und britische Ingenieursfertigkeiten, die sich bereits auf einem hohen technischen Standard bewegten, direkt übernommen werden konnten. Zahlreiche Anlagen, insbesondere im Frühstadium der sanitären Reformen errichtete, wurden von englischen Ingenieuren geplant und von dortigen Firmen ausgeführt: William Lindley beispielsweise leitete den Ausbau in Harnburg und Frankfurt am Main und fungierte als ein Berater in Düsseldorf, Krefeld und Chemnitz; Joseph Gordon war der verantwortliche bauleitende Ingenieur in Frankfurt am Main und wurde später mit dem Ausbau der Kanalisation in München beauftragt. 30 Selbstverständlich griff man dabei auf die in Großbritannien entwickelten Techniken
kommunale Leistungsverwaltung. Grundlagen der gemeindlichen Daseinsflirsorge, Stuttgart 1973; W R. Krabbe, Kommunalpolitik und Industrialisierung. Die Entfaltung der städtischen Leistungsverwaltung im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Fallstudien zu Dortmund und Münster, Stuttgart 1985; Reulecke, Geschichte der Urbanisierung, S. 118-131 . 27 In England beispielsweise war es wesentlich schwieriger, diese Maßnahmen in die Praxis umzusetzen. Vgl. dazu G. Kearns, Private Property and Public Health Reform in England 183070, in: Social Science Medicine 26 (1988), S. 187-199. 28 Lenger, Bürgertum und Stadtverwaltung, S. 167. 29 A. Labisch, Kommunale Gesundheitssicherung im rheinisch-westfiliisehen Industriegebiet (1869-1934) - ein Beispiel zur Soziogenese öffentlicher Gesundheitsleistungen, in: H. Schadewald! I K.-H. Leven (Hgg.), XXX. Internationaler Kongreß filr Geschichte der Medizin, Düsseldorf 31.8.-5.9.1986, Actes I Proceedings, Düsseldorf 1988, S. 1077-1094; B. Ladd, Urban Planning and Civic Order in Germany, 1860-1914, Cambridge 1990, S. 38-41. Zu Zielen und Aktivitäten des Vereins vgl. auch die Festrede Eduard Lents, abgedruckt in: Köln in hygienischer Beziehung. Festschrift flir die Teilnehmer an der XXIII. Versammlung des deutschen Vereins flir öffentliche Gesundheitspflege zur Feier des XXVjährigen Bestehens des Vereins. Im Auftrage der Verwaltung und Vertretung der Stadt Köln und des niederrheinischen Vereins ftlr öffentliche Gesundheitspflege herausgegeben vom Geh. Sanitäts-Rat Dr. Eduard Lent. Mit vielen Plänen und Abbildungen, Köln 1898, S. 536-545. 30 Zu Lindley und Gordon sowie deren Wirken in Harnburg und Frankfurt am Main vgl. J von Simson, Kanalisation und Städtehygiene im 19. Jahrhundert, Düsseldorf 1983, S. 61 -88 und S. 130-148. Neben den Anlagen in London und Paris wird insbesondere auf die Verhältnisse in Hamburg, Berlin und Frankfurt am Main eingegangen.
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IV. Verbesserte Umweltbedingungen: Sanitäre Reformen und Sterblichkeitswandel
und Konstruktionsprinzipien zurück. 31 Dennoch konnten die deutschen Stadtverwaltungen keine fertige, vollkommen ausgereifte Technik übernehmen. Das sanitäre Ingenieurwesen befand sich insgesamt noch immer in einer Orientierungsphase.32 Dementsprechend bestand kein Konsens über Konstruktion oder Betrieb dieser Anlagen, so daß eine Vielzahl verschiedener Systeme getestet und angewendet wurde und nebeneinander existierte. Gleichzeitig bestanden enge Grenzen des technisch Möglichen: Die Benutzung von Grund- oder Oberflächenwasser war beispielsweise zu einem hohen Maß von den geographischtopographischen Verhältnissen sowie vom Zeitpunkt des Ausbaus abhängig. So griffen die Städte mit einer frühen zentralen Wasserversorgung, wie Harnburg und Berlin, auf Oberflächenwasser zurück, das wesentlich problematischer als Grundwasser zu reinigen war. Immerhin wurde in Berlin das Wasser zumindest künstlich filtriert. Filtriertes Flußwasser benutzten ebenfalls Breslau seit 1873 und zum Teil Frankfurt am Main, Quellwasser schöpfte man teilweise in Dresden und Frankfurt am Main sowie gänzlich in München. Grundwasser wurde in Dresden und Frankfurt am Main zusätzlich gewonnen; auch in Nürnberg sowie in Köln und Düsseldorf verließ man sich, trotz der Nähe der beiden letztgenannten Städte zum Rhein, gänzlich auf Grundwasser bzw. Uferfiltrat. 33 Beim weiteren Ausbau der Anlagen in den folgenden Jahrzehnten mußte aufgrund der rasch steigenden Nachfrage zunehmend auf Oberflächenwasser zurückgegriffen werden. Bei der Städtereinigung diskutierte man in den Jahren zwischen 1860 und 1880, ob die Fäkalien abtransportiert und als Dünger genutzt oder durch die. Schwemmkanalisation abgeführt werden sollten. 34 Dabei setzten sich die Kanalisationsbefiirworter zunehmend durch. Im Untersuchungszeitraum waren die zehn größten Städte alle einheitlich kanalisiert, wobei das Mischsystem, also die Ableitung sämtlicher Niederschlags- und Abwässer einschließlich der
31 R. Hartog, Stadterweiterungen im 19. Jahrhundert, Stuttgart 1962, S. 24; M Knorr, Die Salubrität vor 100 Jahren und ihr Einfluß auf die Entwicklung der Wasserhygiene', in: Das Gas- und Wasserfach, Ausgabe Wasser I Abwasser 99 (1958), S. 681-687, hier S. 685. 32 Vgl. dazu etwa die umfangreiche Korrespondenz und die zahlreichen Gutachten bei der Planung des Düsseldorfer Wasserwerkes in StA Düsseldorfll 826. 33 Quellen: Statistisches Jahrbuch deutscher Städte I (1890)- 2I (1916); E. Grahn, Die Art der Wasserversorgung der Städte des Deutschen Reiches mit mehr als 5000 Einwohnern, München 1883; E. Grahn, Die städtische Wasserversorgung im Deutschen Reiche sowie in einigen Nachbarländern. Bd. 1: Königreich Preussen, München 1898; Bd. 2, Teil I: Königreich Bayern, München 1899; Bd. 2, Teil2: Die deutschen Staaten außer Preussen und Bayern, München 1902. 34 Die verschiedenen Standpunkte sind zusammengefaßt bei G. Varrentrapp, Über Entwässerung der Städte, über Werth oder Unwerth der Wasserclosette, über deren angebliche Folgen: Verlust werthvollen Düngers, Verunreinigung der FlUsse, Benachteiligung der Gesundheit, mit besonderer Rücksicht auf Frankfurt am Main, Berlin 1868. J. von Simson, Die Flußverunreinigungsfrage im 19. Jahrhundert, in: VSWG 65 (1978), S. 370-390, hier insbesondere S. 375-376.
2. Städtische Infrastrukturmaßnahmen und der Wandel der Sterblichkeit
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Fäkalien, eindeutige Präferenz hatte. 35 Bei der Reinigung des Abwassers kamen verschiedene mechanische, biologische und chemische Verfahren zur Anwendung.36 Für Rieselfelder entschied man sich in Berlin und Breslau, keine Reinigung hatten - sogar noch nach der Jahrhundertwende - lediglich München und Nümberg (vgl. Anhang 5). 37 Bezogen auf technische Standards und die tatsächliche Anzahl der versorgten Grundstücke kann man ab den 1870er Jahren von der eigentlichen Ausbauphase der sanitären Reformen sprechen. In Berlin beispielsweise wurde mit dem Bau der zentralen Wasserversorgung zwar bereits 1853 begonnen, 1873 waren aber lediglich 54 Prozent der Grundstücke und 50 Prozent der Bevölkerung versorgt. 38 Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde die häusliche Wasserversorgung in deutschen Großstädten nahezu universell (Tabelle 4.1): Die Zahl der an die Wasserversorgung angeschlossenen Grundstücke stieg in den zehn größten deutschen Städten zwischen 1888 und 1912 rapide an, durchschnittlich wuchs ihr Anteil in diesem Zeitraum von 76 auf98 Prozent. 39 Allerdings bildet die Anzahl der angeschlossenen Grundstücke oder Häuser lediglich einen groben Indikator fiir die gesamte Wasserversorgung einer städtischen Bevölkerung. Ein aufschlußreicheres Bild gibt hier die zur Verfugung stehende Wassermenge, ablesbar am Wasserverbrauch pro Kopf und Tag. Obgleich dieser zwischen den späten 1880er Jahren und 1913 im Durchschnitt aller deutschen Städte, die diese Angaben meldeten, von 58 auf 102 Liter pro Kopf und Tag anstieg (Schaubild 4.2), 40 bestanden im Städtesampie wesentliche Unterschiede beim tatsächlichen Wasserverbrauch (Tabelle 4.2): Selbst im Jahr 1912 schwankte der durchschnittliche private Wasserverbrauch pro
35 Im Gegensatz zum Trennsystem, bei dem Exkremente, Brauchwasser und Regenwasser getrennt abgeleitet werden. Zu den verschiedenen damals gebräuchlichen Verfahren vgl. F. W. Büsing, Die Kanalisation, in: Th. Weyl (Hg.), Handbuch der Hygiene, Bd. 2: Die Städtereinigung, I. Abteilung, Jena 1897, S. 45-304, insbesondere S. 159-180.
36 Zu zeitgenössischen Techniken und Methoden der Abwasserbehandlung vgl. W. Dunbar, Leitfaden ftlr die Abwasserreinigungsfrage, München 1907.
37 Quelle: H Sa/omon, Die städtische Abwasserbeseitigung in Deutschland. Wörterbuchartig angeordnete Nachrichten und Beschreibungen städtischer Kanalisations- und Kläranlagen in deutschen Wohnplätzen. (Abwässer-Lexikon.), Bd. 2, Jena 1907; Erster Ergänzungsband. Jena 1911.Zu technischen Details vgl. K. R. Imho.ff, Die Entwicklung der Abwasserreinigung und des Gewässerschutzes seit 1868, in: Das Gas- und Wasserfach, Ausgabe Wasser I Abwasser 120 (1979), S. 563-575. 38 Die Anstalten der Stadt Berlin flir die öffentliche Gesundheitspflege und flir den naturwissenschaftlichen Unterricht. Festschrift dargeboten den Mitgliedern der 59. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte von den städtischen Behörden, Berlin 1886, S. 243. 39 Die Berechnungen basieren auf Angaben aus: Statistisches Jahrbuch deutscher Städte I (1890) und 21 (1916). 40
Quellen: Statistisches Jahrbuch deutscher Städte I (1890)- 21 (1916).
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IV. Verbesserte Umweltbedingungen: Sanitäre Reformen und Sterblichkeitswandel
Kopf und Tag in den zehn größten deutschen Städten zwischen 60,7 Liter in Breslau und 158,6 Liter in München. 41 Insgesamt erfolgte der Ausbau demnach mit unterschiedlichem Timing und unterschiedlicher Intensität, so daß die Versorgung recht ungleich verteilt war. In der Frühphase blieb der Verbrauch zudem häufig aufbestimmte Tage oder Stunden beschränkt, und bis ins späte 19. Jahrhundert konnten heiße Sommer die Wasserversorgung unterbrechen. In Düsseldorf etwa schwankte die tägliche Liefermenge in den 1880er Jahren zwischen 11.000-12.000 und 16.000-17.000 cbm. 42 Ein speziell deutsches Problem resultierte aus dem mehrstöckigen Wohnungsbau. So war es keineswegs selbstverständlich, daß die Wasserleitung bis in die oberen Etagen gelegt wurde.43 Selbst wenn das der Fall war, blieb der Wasserdruck - vor allem in der Frühphase - häufig so schwach, daß lediglich die unteren Stockwerke versorgt werden konnten, während die Einwohner in den höheren Etagen ohne fließendes Wasser auskommen mußten. Auch der Ausbau der Kanalisation schritt in den Städten nur langsam voran: In Frankfurt am Main beispielsweise reichen die Anfänge der Entwässerungsanlagen zwar in das Jahr 1866 zurück, aber bis 1874 waren lediglich 21 Prozent der Häuser angeschlossen, 1875 lag ihr Anteil bei 31 Prozent, 1876 bei 42 Prozent und 1883 bei 70 Prozent. 44 Die Länge des Kanalisationsnetzes war in den Städten recht unterschiedlich (Tabelle 4.2) und korrespondierte keineswegs direkt mit der räumlichen Ausdehnung des Stadtgebiets. Bis zum Vorabend des Ersten Weltkriegs wurden die Netze beträchtlich ausgebaut, die Zuwächse lagen zwischen 150 Prozent in Bres1au und 1.000 Prozent in Düsseldorf.
41 Im gesamten durchschnittlichen Wasserverbrauch lag Frankfurt mit 163,5 Liter pro Kopf und Tag an der Spitze. Vgl. Tabelle 4.2. 42 E. Filter, Die Entwicklung der Gas-, Wasser- und Elektrizitätswirtschaft in der Stadt DUsseldorf. Diss. der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Köln 1960, S. 25. Zu DOsseidorf siehe auch V. Koppitz, Umweltaufgaben bei der Entwicklung moderner Wasserwirtschaft, am Beispiel Düsseldorf. Unveröff. Staatsarbeit, Universität Dosseidorf 1992. 43 In einem Rundschreiben an verschiedene Feuerversicherungen fragt der Düsseldorfer Oberbürgermeister Ludwig Hammersam 7.10.1865 an, ob eine Ermäßigung der Versicherungsbeiträge gewährt wird, sofern die Wasserleitung bis in die oberen Etagen gelegt wird. StA DUsseldorf II 826. Vgl. auch: Die Wasserversorgung der Städte mit besonderer Rucksicht auf Düsseldorf, DUsseldorf 1866, S. 10-11. 44 W Ewald, Soziale Medizin, Bd. I, Berlin 1911, S. 379. Detailliert zu Frankfurt: Th. Bauer, "Frankfurt ist rein!" Kanalisation und Stadthygiene vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, Phii.Diss., Universität Frankfurt 1996.
2. Städtische Infrastrukturmaßnahmen und der Wandel der Sterblichkeit
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1900
1905
1910
1915
Jahr
-
Wasserverbrauch
Schaubild 4.2: Durchschnittlicher privater Wasserverbrauch in deutschen Städten pro Kopfund Tag, 1888- 1912 Tabelle 4.2 Ausbau der sanitären Infrastruktur in den zehn größten deutschen Städten,
1888-1912
Stadt
Berlin Breslau Dresden DUsseldorf Frankfurt/M. Leipzig Harnburg Köln München Nümberg
Länge des Rohrnetzes (m) 1888 1912 661.246 1.176.719 157.873 +423.035 165.134 529.730 107.975 481.290 188.626 +848.582 140.457 506.624 394.095 +771.027 137.796 460.028 184.912 +549.906 103.044 285.638
Angeschlossene Grundstücke 1888 20.403 6.242 7.544 6.072 7.788 4.256 16.397 11 .620 5.366 4.551
1912 30.726 11.128 17.244 19.731 26.334 18.468 25.970 29.184 +17.251 14.578
Privater WasserVerbrauch/Kopf Und Tag (Liter) 1912 1888 51,0 80,7 51,3 60,7 70,4 *110,9 69,5 114,9 97,3 *163,5 *92,5 * 70,9 *208,2 133,8 * 158,3 *150,6 8,9 158,6 34,2 65,3
+ inkl. außerhalb der Stadt versorgte Gebiete *gesamter durchschnittlicher Wasserverbrauch pro Kopfund Tag Quellen: Statistisches Jahrbuch deutscher Städte I (1890) und 21 (1916).
Länge der Kanalisation (m) 1888 1912 567.967 1.108.100 231.263 343.600 149.133 455.800 32.000 349.000 191.600 400.000 94.280 435.300 287.731 527.000 56.600 438.500 109.392 327.200 93.418 242.400
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IV. Verbesserte Umweltbedingungen: Sanitäre Reformen und Sterblichkeitswandel
Erst wenn beide Komponenten, zentrale Wasserversorgung und Kanalisation, einen hohen Ausbaugrad erreicht hatten, und eine Reinigungsanlage vorhanden war, konnte großflächig mit der Einrichtung von WCs begonnen werden. Aufgrund der Verzögerungen beim Kanalisationsbau geschah das häufig erst nach der Jahrhundertwende. Wie in Preußen üblich, gestattete die Königliche Regierung den Anschluß der Aborte in der Stadt Düsseldorf nur unter der Maßgabe, daß zuvor eine zentrale Reinigungsanlage für die Abwässer gebaut werden müßte. 45 Da man solches bislang unterlassen hatte, wurden nun Pläne erarbeitet, die von der Bezirksregierung schließlich gebilligt und von der Stadtverordnetenversammlung in ihrer Sitzung vom 30. Juli 1901 gutgeheißen wurden. So konnte man mit den entsprechenden Arbeiten beginnen. Im Rechnungsjahr 1903 wurden daraufhin insgesamt 3.185 Abortanschlüsse genehmigt,46 1904 erreichte die Zahl der Anschlüsse mit 6.131 ihren Höhepunkt; ein Jahr später genehmigte man 1.366 Anschlüsse; 1906 wurden noch 473 Anschlußprojekte ausgeführt. In den folgenden Jahren gingen die Zahlen weiter zurück. Da in den einzelnen Städten Jahre oder Jahrzehnte vergingen, bis die Versorgung ausreichend gewährleistet und die Mehrheit der Einwohnerschaft versorgt war, muß die räumliche Diffusion der sanitären Maßnahmen innerhalb einer Stadt vor dem Hintergrund der sozialräumlichen Gliederung beachtet werden. Wie bereits erwähnt, lebten die ärmsten Teile der Bevölkerung häufig in den verslumten Innenstädten, die aus hygienischen Gründen am ehesten hätten versorgt werden müssen. Da diese Gebiete in der Regel die alten Stadtkerne ausmachten, die in den meisten Fällen an den traditionellen Handelswegen, den Flüssen, lagen, waren sie jedoch - bautechnisch gesehen - schwer zu erschließen und aufgrund des steten Verkehrs in engen Straßen für die Baumaßnahmen kaum abzusperren. So erfolgte der Anschluß an die zentrale Was-
45 Bericht Uber den Stand und die Verwaltung der Gemeinde-Angelegenheiten der Stadt DUsseldorf fiir den Zeitraum vom I. April 1901 bis 31. März 1902, DUsseldorf 1902, S. 165.- Zur rechtlichen Lage allgemein vgl. A. Kloess, Grundriß des preußischen Wasserrechts. Systematische Einfiihrung in das Wasserrecht, MUhlenrecht, Heilquellenrecht und Bergwasserrecht Preussens, Halle 1913; A. Kloess, Das deutsche Wasserrecht und das Wasserrecht der Bundesstaaten des Deutschen Reiches. GrundzUge der geschichtlichen Entwicklung und des Systems auf Grund der deutschen Rechtsquellen, Literatur der Wasser-, MUhlen- und Fischereigesetzgebung der Bundesstaaten, Halle 1908. 46 Quellen: Bericht Uber den Stand und die Verwaltung der Gemeinde-Angelegenheiten der Stadt DUsseldorf filr den Zeitraum vom I. April 1902 bis 31. März 1903, DUsseldorf 1903, S. 189; Bericht Uber den Stand und die Verwaltung der Gemeinde-Angelegenheiten der Stadt DUsseldorf filr den Zeitraum vom I. April 1904 bis 31 . März 1905, DUsseldorf 1905, S. 207; Bericht Uber den Stand und die Verwaltung der Gemeinde-Angelegenheiten der Stadt DUsseldorf tur den Zeitraum vom I. April 1905 bis 31. März 1906, DUsseldorf 1906, S. 237; Bericht Uber den Stand und die Verwaltung der Gemeinde-Angelegenheiten der Stadt DUsseldorf fllr den Zeitraum vom I. April 1906 bis 31. März 1907, DUsseldorf 1907, S. 203.
2. Städtische Infrastrukturmaßnahmen und der Wandel der Sterblichkeit
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serversorgung und die Kanalisationsanlagen häufig zuerst in den wohlhabenderen Stadtteilen,47 während solche Viertel, in denen die änneren Schichten der Bevölkerung lebten, erheblich später versorgt wurden. Ähnliches gilt fUr die Kanalisation, allerdings läßt sich ein systematischer Nachweis hier nur indirekt erbringen. 48 Im Durchschnitt der zehn größten deutschen Städte überstieg der Anteil der an die Kanalisation angeschlossenen Häuser bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts den Anteil der tatsächlich versorgten Bevölkerung: Im Jahr 1890 waren durchschnittlich 80 Prozent der Häuser versorgt, aber nur 66 Prozent der Einwohner profitierten von diesem Service. Da ein großer Teil der Arbeiter in mehrstöckigen Häusern bis hin zu den berüchtigten Mietskasernen wohnte, während die besser gestellten Bevölkerungsteile gewöhnlich in Einfamilienhäusern lebten, kann man auch hier von einem sozial gestuften Ausbau ausgehen: Nach dem Anschluß von öffentlichen Gebäuden und Gewerberäumen wurden zunächst die Stadtteile versorgt, in denen die wohlhabenderen Teile der Bevölkerung wohnten. Erst im Verlauf der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts verbesserte sich dieses Verhältnis entscheidend: Im Jahr 1908 verfUgten durchschnittlich 93 Prozent der Häuser über einen Anschluß, was 90 Prozent der Bevölkerung zugute kam.
b) 'Civitas oder Hygieia'- Zu den Motiven des Ausbaus infrastruktureller Maßnahmen Die Motive, die zum Ausbau der sanitären Einrichtungen fUhrten, bestimmten sowohl den Zeitpunkt als auch die Art und Weise, in der solche Unternehmungen ausgefUhrt wurden. Triebkräfte und ihr Zusammenspiel variierten von Stadt zu Stadt. Erklärungen reichten von ganz praktischen Erwägungen - eine zentrale Wasserversorgung galt als wesentliche Hilfe zur Brandbekämpfung über die Bekämpfung von Geruchsbelästigungen, standortpolitische Prestigegesichtspunkte bis hin zu Machtproben zwischen kommunalen und staatlichen Autoritäten.49 Ein immer wiederkehrendes Argument, das in der Forschungsliteratur entweder in Kombination mit anderen oder als Schlüsselfaktor genannt
47 A. 0/dendorff, Die Sterblichkeitsverhältnisse Berlins mit besonderer Berücksichtigung der Verhandlungen der Berl. med. Gesellschaft über den Einfluss hygienischer Maassnahmen auf die Gesundheit Berlins, in: Centratblatt filr allgemeine Gesundheitspflege 23 (1904), S. 327-352, hier S. 350-351.
48 Die folgenden Berechnungen basieren auf Angaben aus den Statistischen JahrbUchern Deutscher Städte 2 (1892) und 18 (1912). 49 Vgl. C. Hamlin, Muddling in Bumbledom: On the Enormity of Large Sanitary Improvements in Four British Towns, 1855-1885, in: Victorian Studies 32 (1988), S. 55-83; M Hieta/a, Services and Urbanization at the Turn of the Century. The Diffusion of Innovations, Helsinki 1987, S. 188-189; Krabbe, Kommunalpolitik, S. 26-27.
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wird, lautet, daß die Cholera, die seit den 1830er Jahren in Europa epidemisch auftrat, treibendes Element oder gar Auslöser der sanitären Reformen gewesen sei. 50 So wird die Cholera selbst bei Historikern als 'der beste Freund des Reformers' oder als der 'Sanitäre Reformer' personifiziert. 51 Konsequenterweise wurde postuliert, daß die umfassendsten sanitären Reformen in den ungesundesten Orten unternommen worden wären, während in Städten, in denen gesundheitliche Probleme als weniger akut empfunden wurden, kein Handlungsbedarf gesehen wurde. 52 Abgesehen von der Tatsache, daß Selbstwahrnehmung und Realität gelegentlich auseinanderklafften und sich die Städte fiir gesUnder hielten als sie eigentlich waren, 53 trifft die obige These fiir die deutschen Städte keineswegs zu. Einige Städte, in denen nie die Cholera herrschte, bauten frühzeitig ihre Infrastruktur aus, während andere, von Epidemien heimgesuchte Orte untätig blieben. Die lokale und regionale Verteilung der zentralen Wasserversorgungsanlagen in Preußen deutet vielmehr darauf hin, daß der Ausbau weitgehend einkommenselastisch reagierte, d.h. von den finanziellen Möglichkeiten der jeweiligen Städte abhing: 54 Die neuen, reichen Industriestädte des Westens waren relativ gut versorgt; im Unterschied dazu wiesen die östlichen Regionen ein sehr niedriges Versorgungsniveau auf. 55 So wurde die Argumentation dahingehend relativiert, daß nicht die Cholera selbst, sondern die Angst vor der Seuche der Antriebsmotor war, was im Rahmen des Munizipalsozia-
50 A. Gottstein, Geschichte der Hygiene, Berlin 1901, S. 244; A. Fischer, Geschichte des deutschen Gesundheitswesens, 2 Bde, Berlin 1933, Bd. 2, S. 502; G. Rath, Die Hygiene der Stadt im 19. Jahrhundert, in: W. Artelt I E. Heischkel I G. Mann I W. RUegg (Hgg.), Städte-, Wohnungsund Kleidungshygiene des 19. Jahrhunderts in Deutschland. Vorträge eines Symposiums vom 17. bis 18. Juni 1967 in Frankfurt am Main, Stuttgart 1969, S. 70-84, hier S. 76; Labisch, Kommunale Gesundheitssicherung, S. 1079; A. S. Wohl, Endangered Lives. Public Health in Victorian Britain, London 1983, S. 173; Münch, Stadthygiene, S. 127-133; Münch, Gesundheitswesen, S. 222. 51 Rath, Die Hygiene der Stadt, S. 76. 52 P. Hennock, Fit and Proper Persons: Ideal and Reality in Nineteenth-Century Urban Govemment, London 1973, S. 112-113. Vorsichtiger argumentieren L. P. Cain I E. J. Rote/la, Death and Spending: Did Urban Mortality Shocks Lead to Municipal Expenditure Increases?, in: The Newsletter ofThe C1iometric Society, October 1993, Vol. 8, No. 3, S. 6-7. Sie untersuchen den Zusammenhang zwischen Gemeindeausgaben und Sterblichkeitskrisen (an sogenannten 'water-bome diseases') fiir 50 nordamerikanische Städte im Zeitraum 1899-1929 mittels einer Regressionsanalyse. Die Ergebnisse waren in den meisten Regressionen nicht signifikant. Die Autoren schließen, daß die Städte ihre Ausgaben nach solchen Krisen weder regelmäßig noch systematisch erhöhten. 53 Siehe das Beispiel DUsseldorf auf den nachfolgenden Seiten. 54 Vgl. auch J. C. Brown, Reforming the Urban Environment: Sanitation, Housing, and Govemment Intervention in Gennany, 1870-1910, unpubl. Ph.D.-thesis, Ann Arbor 1987, S. 102138; Brown, Coping with Crisis? S. 307-318. 55 Das Sanitätswesen des Preußischen Staates während der Jahre 1898, 1899 und 1900. Bearb. von der Medizinal-Abteilung des Ministeriums der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten, Berlin 1903, S. 386-387; Labisch, Kommunale Gesundheitssicherung, S. 10771094. Vgl. auch Hietala, Services, S. 192-203.
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lismus zu einer umfassenden Daseinsfürsorge führte. Aber auch dies erklärt die unterschiedliche Reaktion der Städte nicht hinreichend. Viele der damaligen Zeitgenossen, darunter Friedrich Engels oder der englische Reformer Edwin Chadwick, versuchten, die städtische Krisensituation im wesentlichen aus den Wohnverhältnissen und den Arbeitsbedingungen zu erklären. Hierbei wurde der Pauperismus als die Hauptbedrohung angesehen, wohingegen die Cholera kaum ihre Aufmerksamkeit erregte. In weiten Kreisen wurde sie überhaupt nicht als Gefahr eingestuft. Im Gegenteil, angesichts der dominierenden malthusianischen Furcht vor Überbevölkerung wurde die Cholera sogar vielfach als ein notwendiger 'Check' empfunden, der die Bevölkerung unter die Grenzen des Nahrungsmittelspielraums senkte, also gleichsam als 'Polizei der Natur' wirkte. 56 Es ist daher nicht weiter überraschend, daß die spezifisch städtischen Gesundheitsverhältnisse in Deutschland keine besondere Rolle im Rahmen der öffentlichen Gesundheitsbewegung spielten, die ab den 1840er Jahren das alte System der medizinischen Polizei ersetzte. 57 Einschlägige Untersuchungen zur Cholera konzentrierten sich nicht auf städtische Lebensbedingungen als soziales Problem. 58 Die Gesundheitsrisiken der Städte galten als so offensichtlich, daß es keiner eingehenden demographischen oder epidemiologischen Untersuchungen bedurfte. In den wenigen wissenschaftlichen Studien zur städtischen Gesundheit rückten die frühen Medizinalstatistiker in Deutschland, wie etwa Friedrich Oesterlen, die Zustände in den englischen Industriestädten in den Mittelpunkt. 59 Zur Jahrhundertmitte, als die städtischen Sterberaten in Deutschland ihren Höhepunkt erreichten, zeigte die zeitgenössische medizinisch-hygienische Literatur lediglich marginales Interesse an den städtischen Lebensbedingungen.60 Gegen Ende des Jahrhunderts jedoch, als die Sterberaten bereits sanken und die Gesundheitsverhältnisse in den Städten inzwischen teilweise besser als in ländlichen Gebieten waren, dramatisierten zahlreiche Autoren der medizinischen Profession die städtischen Gesundheitsbedingungen. 61 Obgleich einschlägige statistisch-epidemiologische Literatur mittlerweile zuhauf vorlag, wurde sie offenbar weder analysiert noch zur Kenntnis genommen. Im Gegenteil, die Großstadtfeindlichkeit und die Vorstellung von den unhygienischen Lebensbedingungen in den Städten wuchs
56 51
Vgl. Kapitel II 4. Vgl. auch Kapitel I 4.
58 J. Bleker, Die Stadt als Krankheitsfaktor. Eine Analyse ärztlicher Auffassungen im 19. Jahrhundert, in: Medizinhistorisches Journal18 (1983), S. 118-136, hier S. 126.
F. Oester/en, Handbuch der medicinischen Statistik, TObingen 21874. Selbst der unpolitische Praktiker Max Pettenkofer erkannte die Bedeutung der stadthygienischen Maßnahmen filr die Lösung der Sozialen Frage zwar an, integrierte diesen Aspekt allerdings nicht in seine konkreten Arbeiten. Zusammenfassend dazu Münch, Stadthygiene, S. 128-129. 6 1 B/eker, Stadt als Krankheitsfaktor, S. 123-132. 59
60
268
IV. Verbesserte Umweltbedingungen: Sanitäre Reformen und Sterblichkeitswandel
sogar. Damit wird offenbar, daß eine Analyse städtischer Gesundheit aus medizinhistorischen qualitativen Quellen nicht nur unvollkommen, 62 sondern vielmehr vollständig irreruhrend sein kann. Das Fehlen einer expliziten Verbindungslinie zwischen der extensiven Literatur der Zeit zur Cholera und den städtischen Lebensbedingungen legt Zweifel nahe, ob die allgemeine Ansicht zutrifft, daß die Cholera wirklich die angesprochene Erklärungsmacht als die initiale Triebkraft sanitärer Maßnahmen besitzt. Vieles spricht vielmehr dafiir, daß die sanitäre Bewegung aus England importiert wurde, und zwar genau zum richtigen Zeitpunkt, als die historischen Gesundheitsrisiken in den deutschen Städten besonders hoch waren. Dies würde auch erklären, warum der systematische Ausbau dieser Einrichtungen in Deutschland erst mit einer Verzögerung von 30 bis 40 Jahren nach dem ersten Auftreten der Cholera erfolgte. Lokale Berichte aus der Anfangsphase des Ausbaus erwähnen die Cholera in der Regel nicht im Zusammenhang mit den sanitären Reformen. Die Cholera kam und ging; danach war die Epidemie schnell vergessen - unabhängig von der Zahl der Todesopfer, die sie gefordert hatte. Zudem gab es, wie in Kapitel I bereits geschildert, keine endgültige Theorie über den Ursprung und die Übertragungswege zahlreicher Krankheiten, und der Konflikt zwischen Anhängern von Trinkwasser- und Grundwassertheorien wurde gerade in Deutschland besonders scharf gefiihrt mit heftigen Auseinandersetzungen über Nutzen und Auswirkung spezifischer sanitärer Techniken.63 In vielen Städten begann der Ausbau der sanitären Infrastruktur ohne drohende Choleragefahr und ohne klares Wissen über Übertragungswege. In Frankfurt am Main beispielsweise wurden bis 1877 etwa 6 Millionen Mark fiir den Ausbau ausgegeben, ohne daß die Stadt je von Cholera-Epidemien berührt worden wäre. 64 In den Düsseldorfer Ratsprotokollen taucht die Cholera während des Zeitraums von 1850 bis 191 0 lediglich neunmal als Tagungsordnungspunkt - meist in Zusammenhang mit dem Ausbau der Düsseldorfer Krankenanstalten - auf;65 als Triebfeder sanitärer Reformen kann sie mithin dort kaum bezeichnet werden. Während die direkte Verbindungslinie von Krankheit und sanitären Reformen von untergeordneter Bedeutung zu sein scheint, wird der Zusammenhang offenkundiger, sobald ökonomische Überlegungen mit einbezogen werden. Die
62
Bleker, Stadt als Krankheitsfaktor, S. 133.
63
Vgl. Kapitel I 4.
6' Frankfurt am Main in seinen hygienischen Verhältnissen und Einrichtungen. Festschrift zur Feier des 50-jährigen Doctorjubiläums des Herrn Geh. Sanitätsrath Dr. G. Varrentrapp, herausgegeben von Collegen, Freunden und Mitbürgern des Jubilars, Frankfurt a. M. 1881, S. 34. 65 Dies ergab die systematische Auswertung einer Datenbank der Stadtverordnetenprotokolle der Stadt Düsseldorf, die von Ulrich Koppitz, Düsseldorf, angelegt und dem Verfasser zur Verfugung gestellt wurde.
2. Städtische Infrastrukturmaßnahmen und der Wandel der Sterblichkeit
269
Pioniere der sanitären Reformen - Edwin Chadwick, William Farr und Max von Pettenkofer - schätzten auf der Basis einer 'human capital'-Ökonomie, daß die durch sanitäre Maßnahmen potentiell geretteten Leben die Investitionskosten dieser Einrichtungen bei weitem überschritten. Auch wenn dieser Ansatz selten in die öffentliche Debatte einfloß - was angesichts weit verbreiteter malthusianischer Ängste wohl auch nicht gefruchtet hätte-, ging der Wert eines produktiven Arbeiters oder eines Menschenlebens zunehmend in eine KostenNutzen-Analyse ein. 66 Zudem wurde erkannt, daß eine ausreichende sanitäre Infrastruktur wesentlich fur das Funktionieren einer modernen Industriestadt war. Traditionelle Formen staatlicher Intervention wie Quarantäne oder Isolation (Cordon Sanitaire), wie sie noch bei der Bekämpfung der ersten Cholerapandemie 1830/31 dominiert hatten, 67 waren im Kontext einer modernen Wirtschaft, die auf dem freien Austausch von Waren und Dienstleistungen basierte, kontraproduktiv. 68 Der einflußreiche Münchener Hygieniker Max von Pettenkofer betonte, daß ein Abbrechen des Handelsverkehrs, um die Ausbreitung der Cholera zu verhindern, ein größeres Übel als die Cholera selbst sei, und viele Menschen eine Epidemie einer schwerwiegenden Einschränkung ihres Lebensstandards vorzögen. 69 So ließen miasmatisch-lokalistische Theorien Isolation und Quarantäne selbst in Zeiten schwerer Epidemien überflüssig erscheinen. Da die Notwendigkeit, das tägliche Funktionieren des ökonomischen Lebens aufrechtzuerhalten, zunehmend betont wurde, ist es nicht weiter verwunderlich, daß sanitäre Reformen zunächst in den Industrie- und Handelsstädten durchgefuhrt wurden, und zwar unabhängig von ihren aktuellen Gesundheitsverhältnissen. Gerade die neuen Industriestädte im westlichen Teil Deutschlands registrierten relativ niedrige Sterberaten, und, was möglicherweise noch wichtiger fiir die Motive zum Ausbau der gesundheitsbezogenen Infrastruktur ist, sie empfanden sich auch als gesund. Gelegentlich hielten sie den Gesundheitszustand ihrer Bevölkerung sogar flir besser, als er tatsächlich war. Dazu sei hier ein prononciertes zeitgenössisches Urteil über die Gesundheitsverhältnisse in Düsseldorf gegen Ende des 19. Jahrhunderts angeflihrt: Ein Vergleich der rohen allgemeinen Sterberate der Stadt (21 ,3 pro 1.000 Lebende) mit dem 66 J G. Williamson, Underinvestment in Britain's Cities during the lndustrial Revolution, Harvard Institute for Economic Research, Discussion Paper No. 1344, Cambridge 1987, S. 30. 67 Siehe B. Dettke, Die Asiatische Hydra. Die Cholera von 1830/31 in Berlin und den preußischen Provinzen Posen, Preußen und Schlesien, Berlin 1995.
68 Vgl. A. Labisch, Gemeinde und Gesundheit. Zur historischen Soziologie des kommunalen Gesundheitswesens, in: 8. Blanke I A. Evers I H. Wollmann (Hgg.), Die Zweite Stadt. Neue Formen der Arbeits- und Sozialpolitik, Opladen 1986, S. 275-305; A. Labisch, Homo Hygienicus. Gesundheit und Medizin in der Neuzeit, Frankfurt a. M. 1992, S. 124-132. 69 M v. Pettenkofer, Was man gegen die Cholera thun kann, München 1873, S. 6. - Vgl. auch Kapitell4.
270
IV. Verbesserte Umweltbedingungen: Sanitäre Refonnen und Sterblichkeitswandel
Rheinland insgesamt (22,0), mit Preußen (22,6) sowie dem Deutschen Reich (22,7) veranlaßte den Autor eines lokalen Verwaltungsberichts zu der Aussage: "Düsseldorf ist also eine sehr gesunde Stadt".70 In der Tat gehörte Düsseldorf unter den zehn größten Städten fast beständig zu den gesünderen und brauchte auch keinen Vergleich mit den direkt umliegenden Städten an Rhein und Ruhr zu scheuen. Wie jedoch anhand einer differenzierteren Analyse in den vorangegangenen Kapiteln dieser Studie gezeigt wurde, ist dies zu weiten Teilen auf Unterschiede in der Altersstruktur der Risikobevölkerung zurückzufiihren. Der Verwaltungsbericht birgt somit klare lokalpatriotische Züge. Dennoch waren die Städte des rheinisch-westflilischen Industriegebiets Vorreiter, sowohl bei der Organisation der öffentlichen Gesundheitsfürsorge als auch in bezug auf die tatsächliche Einrichtung sanitärer Maßnahmen.71 Es gibt darüber hinaus noch direktere Verbindungen zwischen Ökonomie und dem Ausbau der sanitären Infrastruktur: Die Städteassanierung wurde zunehmend zu einem wichtigen wirtschaftlichen und finanziellen Faktor mit entsprechenden Interessen sowohl fiir die Gesamtwirtschaft als auch fiir einzelne Kommunen und Industriezweige - man denke an das Aufblühen des Ingenieurberufs (Tiefbau) im Zuge der Gas- und Wasserversorgung der Gemeinden, aber auch an den verstärkten Wasserbedarf von Industrie und Gewerbe. Das notwendige Ingenieurwesen entwickelte sich rasch zu einem wichtigen Wirtschaftszweig mit starken eigenen finanziellen Interessen. 72 Häufig waren es auch Ingenieure, die die Initiative ergriffen. 73 In Köln beispielsweise ersuchte bereits 1840 ein heimischer Kaufmann zusammen mit einem englischen Ingenieur J. B. Madden die Stadt um eine Konzession dafür, den Bewohnern der Stadt mit Röhrenleitungen "gutes Wasser in hinreichenden Mengen fiir jeden gewerblichen und wirtschaftlichen Zweck um einen billigen Preis zu beschaffen" .74 Bei der Projektierung des Düsseldorfer Wasserwerks in den 1860er Jahren bot der englische Ingenieur und Oberbaurat der Stadt Köln John Moore der noch schwankenden Stadtverwaltung an, die geplante Anlage auf 25 Jahre zu
70 0 . Brandt, Studien zur Wirtschafts- und Verwaltungsgeschichte der Stadt Düsseldorf im 19. Jahrhundert, Düsseldorf 1902, S. 139-140. 7 1 Labisch, Kommunale Gesundheitssicherung, S. 1077-1094 sowie insbesondere das dortige KartenmateriaL 72 Vgl. dazu etwa E. Koch, Die städtische Wasserleitung und Abwasserbeseitigung volkswirtschaftlich sowie finanzpolitisch beleuchtet, Jena 1911; Steuer, Die Wasserversorgung der Städte und Ortschaften. 73 Sutcliffe, Towards the Planned City, S. 22- 28. 74 Zit. nach M Schulze Berndt, Die Geschichte der Gas-, Elektrizitäts- und Wasserversorgung in Köln bis 1914, Diss. phil., Universität Bonn 1989, S. 161. Vgl. auch: Köln in hygienischer Beziehung, S. 100-183 und insbesondere S. 106.
2. Städtische Infrastruktunnaßnahmen und der Wandel der Sterblichkeit
271
pachten. 75 Die meisten Stadtverwaltungen erkannten jedoch die Gewinnmöglichkeiten noch rechtzeitig; man erkundigte sich bei ausländischen und inländischen Gemeinden, die bereits über entsprechende Anlagen verfugten, nach der Rentabilität der Wasserwerke. 76 Mit Anleihen finanziert, wurden die Unternehmen in den folgenden Jahrzehnten eine wichtige Einkommensquelle der Gemeinden, zumal die Preis- und Gebührenpolitik der Städte klar darauf ausgerichtet wurde, Profit zu erwirtschaften: 77 "Die in Deutschland vorkommenden Tarife sind nach dem Muster des Berliner abgefaßt, der beim Entstehen der Berliner Wasserwerke entworfen wurde, und dem hauptsächlich die englischen Usancen als Grundlage dienten. - Das Berliner Werk wird als ein industrielles Unternehmen gehandhabt und sein Hauptinteresse liegt nicht darin, der Bürgerschaft Wasser zu liefern, sondern durch die Anlage, sei sie gut oder schlecht verwaltet, eine möglichst hohe Rendite auf das verwendete Actien-Capital zu erzielen. "78
Nach älteren Berechnungen erhoben die städtischen Wasserwerke Aufschläge von 140 bis über 500 Prozent auf die Produktionskosten/9 nach einer anderen Berechnung blieben nach Abzug von Verzinsung und Amortisation bis zu 12,7 Prozent Reingewinn übrig. 80 In Städten mit mehr als 25.000 Einwohnern wurden bis 1930 durchschnittlich zwischen 15 und 20 Prozent des kommunalen Haushalts durch Einnahmen aus den städtischen Gemeindebetrieben (einschließlich der Gas-, Wasser- und Elektrizitätswerke) gedeckt. 81 Kurzum, das Geschäft mit Wasser wurde zu einem 'big business' (Tabelle 4.3). 82 Die
75 Schreiben von Moore an Oberbürgermeister Ludwig Hammers vom 18.10.1865. Vgl. StA Düsseldorfii 826. Vgl. auch: Köln in hygienischer Beziehung, S. 106.
76 Die Stadt DUsseldorf erbat von zahlreichen Städten entsprechende Gutachten. Vgl. StA DUsseldorf li 828 und 83 7. 77 P. Mombert, Die Gemeindebetriebe in Deutschland. Allgemeine Darstellung, in: Schriften des Vereins filr Socialpolitik 128 (1908), S. 1-77, hier S. 3. - Ähnliche Äußerungen bei E. Busse, Die Gemeindebetriebe Münchens, in: Schriften des Vereins fllr Socialpolitik 129 (1908), Teil I, Bd. 2, S. I 05-106; Ladd, Urban Planning, S. 50-51.
78 So Ingenieur C. Ditmar aus Köln in seinem Bericht aus den Jahren 1868/69, den Tarif für die Benutzung der Wasserwerke betreffend. Vgl. StA DUsseldorf II 837. 79 Mombert, Gemeindebetriebe, S. 28. 80 Vgl. C. Hugo, Die deutsche Städteverwaltung. Ihre Aufgaben auf den Gebieten der Volkshygiene, des Städtebaus und des Wohnungswesens, Stuttgart 1901, S. 203. -In den zehn größten Städten lag der Überschuß bei folgenden Prozentwerten: in DUsseldorf 12,7 Prozent, in Leipzig 8,1 , in Breslau 7,8, in Köln 6,6, in Dresden 6,4, in Frankfurt a. M. 3,6, in Monehen 3,1, in NUrnberg 2,5 und in Berlin 0,9 Prozent. FUr Harnburg liegen keine Angaben vor. 81 G. Ambrosius, Die wirtschaftliche Entwicklung von Gas-, Wasser- und Elektrizitätswerken (ab ca. 1850 bis zur Gegenwart), in: H. Pohl (Hg.), Kommunale Unternehmen. Geschichte und Gegenwart, Stuttgart 1987, S. 125-153, hier S. 141. Vgl. auch Steitz, Kommunale Infrastruktur, S. 437.
82 Eine systematische Analyse der Rolle von Wasserwerken und Kanalisation im städtischen Haushalt ist aufgrund der Quellenlage und der unterschiedlichen Haushaltssystematik der einzel-
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IV. Verbesserte Umweltbedingungen: Sanitäre Reformen und Sterblichkeitswandel
kommunalen Regiebetriebe in den Großstädten waren Großunternehmen. Richard Tilly schätzt die Summe der kommunalen Investitionen im deutschen Kaiserreich auf 120-130 Millionen Mark pro Jahr in den 1890er Jahren und am Vorabend des Ersten Weltkrieges sogar auf300-350 Millionen Mark.83 Tabelle 4.3
Finanzielle Ergebnisse des Wasserwerksbetriebs in den zehn größten deutschen Städten, 1889/90 und 1903/04 (in Mark) Stadt
Berlin Breslau Dresden Düsseldorf Frankfurt a.M. Harnburg Köln Leipzig München Nürnberg
Einnahmeüberschuß 4.920.745 786.131 777.394 352.980 1.065.299 1.395.691 767.872 291.340 553.362 329.607
1889/90
Ausgaben für Neuanlagen und Erweiterungen 2.514.144 89.374 34. 147
-
618.019 286.699 261.282 570.000 83 .100 56.624
1903/04
Einnahmeüberschuß 5.421.635 1.208.435 1.156.933 701.457 2.011.787 2.035.641 1.293.344 1.461.175 1.555.815 507.191
Die EinnahmeOberschOsse ergeben sich aus den Einnahmen ohne EinnahmeOberschOsse des Vorjahres sowie aus Fonds, Anleihen und allgemeinen Gemeindemitteln sowie aus den Ausgaben ohne die Abfiihrungen zur Gemeindekasse, Verzinsung, Amortisation und Abschreibungen sowie Ausgaben fiir Neuanlagen und Erweiterungen. Für 1903/04 liegen keine Informationen Ober Kosten flir Neuanlagen oder Erweiterungen vor. Quellen: Statistisches Jahrbuch deutscher Städte 2 (1892) und 14 (1907).
Darüber hinaus bestand ein rasch wachsender Bedarf der Industrie an Wasser ausreichender Quantität und zufriedenstellender Qualität. In einigen Bergbaustädten des rheinisch-westfälischen Industriegebiets (etwa in Dortmund) hatte der gestiegene Wasserverbrauch zu einem Absinken des Grundwasser-
nen Stadte, die sich gleichfalls über die Zeit änderte, leider nicht durchführbar. Zudem unterschieden sich die Gemeindefinanzgesetzgebung und die Steuersysteme der einzelnen Bundesstaaten. Schließlich wurde mancherorts die Verwaltung einzelner Gemeindeunternehmungen gegen Ende des 19. Jahrhunderts aus dem städtischen Haushalt ausgegliedert. Vgl. allgemein dazu 0. Most, Die Gemeindefinanzstatistik in Deutschland. Ziele, Wege, Ergebnisse, Leipzig 1910; Steitz, Kommunale Infrastruktur, S. 413 und 427. 83 Tilly, Kommunalfinanzen und -investitionen, S. 151.
2. Städtische Infrastrukturmaßnahmen und der Wandel der Sterblichkeit
273
spiegels gefuhrt, so daß zahlreiche Brunnen austrockneten. 84 Außer der Forderung nach ausreichender Wassermenge wurde gleichzeitig wiederholt die Wasserqualität betont. Dabei dachte man allerdings keineswegs in erster Linie an die Trinkwasserqualität, sondern an die Ansprüche von Gewerbe und Industrie: "Es ist indessen zu bedenken, daß erfahrungsgemäß nur etwa der 50. Theil des gesamten Wasserverbrauchs einer Stadt in Trinkwasser besteht, der übrige Theil aber zum häuslichen, gewerblichen und landwirthschaftlichem Bedarfe, sowie zu öffentlichen Zwecken verwendet wird. Wo es sich um die Anlage einer Wasserleitung handelt, wird man daher auf die letztere Verwendungsart den Hauptwerth legen."85
So äußerten sich Eisenbahngesellschaften besorgt über die Qualität "in seinen chemischen Beimischungen", da sie das Wasser hauptsächlich ftir ihre Lokomotiven und Dampfmaschinen benötigten. 86 Insbesondere in der Textilindustrie, im Brauereigewerbe und im Bergbauwesen benötigte man weiches Wasser, das häufig über weite Entfernungen in d\e Stadt geleitet werden mußte. 87 Daraus entstehende Gesundheitsbelastungen ftir den Gebrauch als Trinkwasser wurden dabei durchaus in Kauf genommen. 88 Andere Städte versuchten, neue Industrien anzuziehen, indem sie ausreichende Wassermengen zur Verfugung stellten, 89 wobei sie sogar Oberflächenwasser anstelle von Grundwasser benutzten, obgleich dieses oft verschmutzt und eine effektive Reinigung und Filtration dadurch wesentlich schwieriger und aufwendiger war. 90 Deshalb verwies man die Bevölkerung ftir die Gewinnung von Trinkwasser auf die vorhandenen Brunnen oder erwog sogar mancherorts, wenn diese angesichts starken Bevölkerungswachstums nicht mehr ausreichen würden, eine zusätzliche eigene Trinkwasserleitung zu installieren. 91
8' I. Zadek, Hygiene der Städte, 1: Die Trinkwasser-Versorgung, Berlin 1909, S. 38-39. Vgl. auch Krabbe, Kommunalpolitik, S. 26. 85 Die Wasserversorgung, S. 12.
86 Schreiben der hergiseh-märkischen Eisenbahndirektion an die Stadt Dusseldorf vom 17.2.1886. Vgl. StA DUsseldorfll826. 87 Die Wasserversorgung, S. 12. Vgl. auch Hamlin, Muddling in Bumbledom, S. 72-73; J. A. Hassan, The Growth and Impact ofthe British Water lndustry in the Nineteenth Century, in: Economic History Review 38 (1985), S. 531-547, hier S. 540-543 . 88 A. Silverthorne, London and provincial water supplies with the latest statistics of metropolitan and provincial waterworks, London 1884, S. 31-32. ••J Krabbe, Kommunalpolitik, S. 27.
"" A. Gärtner, Zur Hygiene der Wasserversorgung, in: Schilling's Journal fllr Gasbeleuchtung und verwandte Beleuchtungsarten sowie fllr Wasserversorgung XLVII, Nr. 34, 20. August 1904, S. 757-762, hier S. 759; Zadek, Hygiene der Städte, S. 35 . 9 1 Die Wasserversorgung, S. 12. 18 Vögele
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IV. Verbesserte Umweitbedingungen: Sanitäre Reformen und Sterblichkeitswandel
Etwas anders verhielt es sich mit der Kanalisation. In England wurde der Ausbau der städtischen Kanalisationsanlagen ebenfalls mit der Aussicht auf Profit begonnen, aber in zahlreichen Orten stellte sich rasch heraus, daß die Erwartungen nicht erfiillt wurden. 92 Aufgrund dieser Erfahrungen betrachteten die deutschen Stadtverwaltungen die Kanalisationsanlagen im Vergleich zur zentralen Wasserversorgung als eine wenig profitable kommunale Serviceleistung.93 Dies galt um so mehr, als die Höhe der von den Hausbesitzern erhobenen Gebühren aus politischen Gründen wesentlich geringer festlegt wurde, als zur Verzinsung und Amortisation der Anlagekapitalien notwendig gewesen wäre. 94 Konsequenterweise galt die Kanalisation als Zuschußbetrieb, und ihr Ausbau erfolgtetrotz der weiterhin geltenden miasmatisch-lokalistischen Theorien über den Ursprung und die Ausbreitung zahlreicher Krankheiten in vielen Gemeinden mit einer Verspätung von mehreren Dekaden. 95 Gerade der Ausbau der zentralen Wasserversorgung erhöhte die in der Stadt vorhandene Wassermenge derart, daß eine systematische Drainage unbedingt notwendig wurde. In Düsseldorf beispielsweise waren die niedrig gelegenen Stadtviertel nach Installation der städtischen Wasserwerke im Jahr 1870 angeblich zunehmend Überschwemmungen ausgesetzt,96 es bildeten sich "zahlreiche Lachen und Sümpfe", die nicht nur den Verkehr behinderten und eine wachsende Geruchsbelästigung darstellten, sondern auch die Gesundheit der Bewohner gefährdeten.97 Von einer generellen Verbesserung der Umweltbedingungen kann also kaum die Rede sein. Trotzdem erfolgte der Bau der Kanalisation erst 1884. Schließlich muß in diesem Zusammenhang betont werden, daß die laufenden Kosten der kommunalen Entsorgungsunternehmen relativ begrenzt waren. 98 In Leipzig stiegen diese zwar von 229.687 Mark im Jahr 1898 auf 408.531 Mark im Jahr 1907 an, lagen aber nicht höher als die Ausgaben der Stadt fiir die
Hamlin, Muddling in Bumbledom, S. 67. W. R. Krabbe, Die Entfaltung der kommunalen Leistungsverwaltung in deutschen Städten während des späten I9. Jahrhunderts, in: H. J. Teuteberg {Hg.), Urbanisierung im 19. und 20. Jahrhundert. Historische und geographische Aspekte, Köln 1983, S. 373-391, hier S. 379; Münch, Stadthygiene, S. 169-172. 92 93
9•
Busse, Die Gemeindebetriebe Münchens, S. 140-142.
Zur Miasmatheorie vgl. Kapitel I 4. 96 C. Geusen, Die Kanalisationsanlagen DUsseldorfs, in: T. Weyl {Hg.), Die Assanierung der Städte in Einzeldarstellungen, Bd. 2.2: Die Assanierung von DUsseldorf, Leipzig 1908, S. 31-71, hier S. 31. 95
97 Fritzen, Ueber die Canalisierung resp. Entwässerung der Stadt DUsseldorf, in: Correspondenz-Blatt des Niederrheinischen Vereins fur Öffentliche Gesundheitspflege, Nr. 20, 21 v. September, Oktober 1873, S. 141-144, hier S. 142.
98 Vgl. auch A. L. Schmidtmann, Ueber den gegenwärtigen Stand der Städte-Kanalisation und Abwässer-Reinigung. Einleitende Besprechung, in: A. L. Schmidtmann {Hg.), Gutachten betreffend Städtekanalisation und neue Verfahren für Abwässerreinigung, Berlin 1898, S. I - XXXIX, hier S. VI-VII.
2. Städtische Infrastrukturmaßnahmen und der Wandel der Sterblichkeit
275
Gartenanlagen. 99 Zudem konnten die Verluste der Zuschußbetriebe durch die profitablen städtischen Einrichtungen mehr als gedeckt werden, 100 so daß finanzielle Erwägungen diese Verzögerung des Ausbaus um so viele Jahre keineswegs rechtfertigten. Alle diese Beispiele deuten darauf hin, daß ökonomische Faktoren und unternehmerische Interessen ein wesentliches und schließlich bestimmendes Element beim Ausbau der sanitären Maßnahmen darstellten, während in der Öffentlichkeit gerne medizinische und hygienische Aspekte in den Vordergrund gespielt wurden. So ließen sich die teueren Investitionen eher durchsetzen und rechtfertigen. Die pragmatischer orientierten Angelsachsen registrierten dies schon im letzten Jahrhundert. Arthur Silverthorne bemerkte bereits im Jahr 1884, daß 'the hygienic view is invariably put forward to support schemes which aim at obtaining supplies of magnitude from distant watersheds in preference to extending and improving original sources; but it may be depended upon that the real and less apparent object is to obtain soft waters suited to the manufacturing interests'. 101 In Deutschland konnte mit medizinisch-hygienischen Argumenten überdies die Gemeinnützigkeit der Betriebe begründet werden. In der Tat galten die Wasserwerke in Preußen als kommunalsteuerpflichtige Gewerbebetriebe, sofern sie nicht in direktem Zusammenhang mit einer kommunalen Entwässerungsanlage standen, da der Verkauf von Wasser als gewinnbringendes Geschäft erachtet wurde. Erst ein Erlaß des Innen- und Finanzministers im Jahre 1882 hob diese Veranlagungspflicht mit der Begründung auf, daß die Abgabe von hygienisch einwandfreiem Wasser Hauptzweck der Wasserwerke sei und diese somit als gemeinnützig zu gelten hätten. 102 Dennoch waren gesundheitsbezogene Aspekte in der Regel nur von untergeordneter Bedeutung, da sich die deutschen Staaten weitgehend aus dem Bereich der Gesundheitsmaßnahmen zurückgezogen hatten und den Ärzten bei der Formulierung staatlicher Gesundheitspolitik ohnehin lediglich beratende Funktion zukam. Eine im Kaiserlichen Gesundheitsamt erarbeitete Anleitung flir die Einrichtung, den Betrieb und die Überwachung öffentlicher Wasserversorgungsanlagen, der der Bundesrat im Jahr 1906 zustimmte, sollte lediglich als
99 P. Weige/, Die Gemeindebetriebe der Stadt Leipzig, in: Schriften des Vereins flir Socialpolitik 129, Teil?, Bd. 2., Leipzig 1909, S. 108. 100 Busse, Die Gemeindebetriebe Münchens, S. 60-86; A. Busch, Die Betriebe der Stadt Frankfurt a. M, in: Schriften des Vereins fur Socialpolitik 129 (1909), Teil3, Bd. 2., S. 121-174, hier S. 122-123.- Vgl. auch Münch, Stadthygiene, S. 171-172. 101 Si/yerthorne, London and provincial water supplies, S. 31 . 102 Krabbe, Kommunalpolitik, S. 24, sieht dies dagegen als Nachweis flir die von vorneherein primär hygienische Ausrichtung der Wasserwerke.
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IV. Verbesserte Umweltbedingungen: Sanitäre Reformen und Sterblichkeitswandel
Richtschnur dienen. 103 Dies galt ebenso für die konkrete Ausgestaltung der sanitären Refonnen vor Ort: Initiativen scheinen in der Regel von den Stadtverwaltungen und von Ingenieuren ausgegangen zu sein, 104 ohne daß die medizinische Profession in irgendeiner Weise partizipierte, und richtungsweisende Entscheidungen so längst gefallen waren, bevor die Ärzte in die Diskussion einbezogen oder an den Entscheidungsfindungen beteiligt wurden. Eine zentrale Anlaufstelle für die Kommunen, wie der Ausbau von Wasserversorgung und Kanalisationsanlagen unter hygienischen Aspekten vollzogen werden sollte, existierte trotz ständiger standespolitischer Bemühungen der Ärzte und Hygieniker praktisch nicht 105 - und wäre von den Städten vennutlich auch kaum eingeschaltet worden, da diese selbst lokale oder regionale Ansprechpartner nicht in ihren Kompetenzbereich eindringen lassen wollten. In Preußen wurde beispielsweise erst durch einen Runderlaß vom 30. März 1896 angeordnet, daß zu den Kanalisationsarbeiten außer den Dezernenten für Polizei- und Kommunalsachen und dem Regierungs- und Baurat auch der Regierungs- und Medizinalrat zu beteiligen sei. 106 Ähnliches gilt für den laufenden Betrieb der Werke: Bei den Untersuchungen zur Qualität des Wassers wurde in der Regel
Die Anleitung ist im Wortlaut wiedergegeben in: Das Deutsche Reich, S. 145-148. Kearns I Lee I Rogers, Interactions, S. 31; Sutcliffe, Towards the Planned City, S. 22-28. 105 Im Originalton hören sich solche Einlassungen folgendermaßen an: "Einsichtige Kommunalverwaltungen betrachteten schon damals die Anlage von Wasserleitung und Kanalisation nicht mehr als unrentabel; sie strebten vielmehr danach, diese hygienisch wichtigen Einrichtungen in tunlichster Vollkommenheit einzufiihren. Die Schwierigkeiten der Ausfllhrung lagen filr sie aber darin, daß in Deutschland eine Stelle fehlte, bei der sie filr die Aufstellung ihrer EntwUrfe die umfassende Sachkenntnis zur unparteiischen Prüfung finden konnten, wie das die Bedeutung einer Anlage, die die Entwicklung einer Gemeinde auf Jahrzehnte hinaus in günstigem oder ungünstigem Sinne beeinflußt, verlangte. Mängel und Fehler, mit denen einzelne Anlagen infolge des fehlenden kundigen Beirates sich beim Betrieb behaftet zeigen, hatten vielfach kostspielige Umänderungen erfordert und schwere gesundheitliche Schäden gezeitigt. (... ). Die zuständigen Minister hatten durch einen Erlaß auf die Notwendigkeit der hygienisch unanfechtbaren Beschaffenheit der Wasserentnahmestellen flir zentrale Wasserversorgung bereits vor 1901 besonders hingewiesen. Sie hatten bei Neuanlagen in jedem Falle die vorgängige hygienische Begutachtung und dauernde sanitätspolizeiliche Beaufsichtigung angeordnet. Eine Stelle aber, die fllr solche Zwecke von den in Betracht kommenden Kreisen in Anspruch genommen werden können, konnten die Minister damals noch nicht nennen. Mehr noch als auf dem Gebiet der Wasserversorgung hatte sich auf dem der Abwasserbeseitigung und der damit eng zusammenhängenden Reinhaltung der Wasserläufe das Fehlen einer fachwissenschaftliehen Zentralstelle unangenehm fuhlbar gemacht." Quelle: 25 Jahre Preußische Medizinalverwaltung seit Erlaß des Kreisarztgesetzes 1901-1926. Im Auftrag des preußischen Ministers filr Volkswohlfahrt herausgegeben von der Medizinalabteilung des Ministeriums, Berlin 1927, S. 234-235. 103
104
106 A. Labisch I F. Tennstedt, Der Weg zum "Gesetz Uber die Vereinheitlichung des Gesundheitswesens" vom 3. Juli 1934. Entwicklungslinien und-momentedes staatlichen und kommunalen Gesundheitswesens in Deutschland, 2 Bde., Dosseidorf 1985, Bd. I, S. 18.
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kein biologisch-medizinisch geschultes Personal herangezogen. 107 Entsprechend gaben sich die Ingenieure diesbezüglich keiner Illusion hin. So kursierte in diesen Kreisen noch nach der Jahrhundertwende als gängige Redewendung hinsichtlich der Wasserqualität: "Daran erkennt man den Wassermann, Dass er kein Wasser trinken kann." 108 Mischten sich Ärzte in die Diskussion ein, konnten sie sich in der Regel nicht durchsetzen. Letztendlich blieben die Ärzte des öffentlichen Gesundheitswesens den Macht- und Herrschaftsträgem in den Städten untergeordnet. Wurden ihre hygienisch begründeten Argumente gehört, scheiterte häufig ihre praktische Umsetzung vor Ort. In Breslau beispielsweise trat der Medizinalrat Flügge bei der Erweiterung der Wasserversorgung nach der Jahrhundertwende fiir die Verwendung von Grundwasser anstelle des von der Stadt vorgesehenen filtrierten Flußwassers ein. Er setzte sich mit dem Leipziger Baurat Thiem in Verbindung, der ein entsprechendes Projekt erarbeitete. Gemeinsam trugen sie die Planung den städtischen Behörden vor und konnten einen wesentlichen Teilerfolg verbuchen. Ihr Projekt wurde fiir die Wasserfassungsanlage umgesetzt, während die Betriebsanlage nach den Plänen der Verwaltung ausgefiihrt wurde. 109 Die Anlage wurde 1904 in Betrieb genommen. Allerdings blieb die geförderte Wassermenge weit hinter der berechneten zurück, und auch die Qualität des Wassers erwies sich als so wenig zufriedenstellend, daß die Rohrbrunnen teilweise geschlossen werden mußten. Alle Versuche, die Anlage wieder voll in Betrieb zu bekommen, blieben vergeblich. Man griff auf die verbliebenen Oderwasserfilter zurück. Bei Erweiterungen der Wasserversorgung in den folgenden Jahren konzentrierte sich die Kommune gänzlich auf die Flußwassergewinnung.
107 Um lediglich ein Beispiel zu nennen: "Der von der Hygiene gestellten Forderung, sagt der Physicus in seinem Sanitätsbericht, dass mit der Begutachtung des Trinkwassers auf Grund seiner in der Hygiene erfolgten Ausbildung der Medicinalbeamte beauftragt werde, welcher sein Votum auf Grund eigener bacteriologischer Untersuchung der von ihm selbst entnommenen Wasserproben und unter Berücksichtigung der von dem Chemiker auszufuhrenden Analyse und der Inaugenscheinnahme der örtlichen Verhältnisse abzugeben hat, wird leider meist nicht entsprochen." Quelle: Das öffentliche Gesundheits-Wesen des Regierungsbezirkes DUsseldorf in den Jahren I 892-1894. Sechster Verwaltungsbericht erstattet von Dr. Julius Michelsen, Regierungs- und Medizinalrath, DUsseldorf 1897, S. I 56. 108 So der Vorsitzende auf der 44. Versammlung des Deutschen Vereins von Gas- und Wasserfachmännem in Hannover 1904. Vgl. Schilling's Journal filr Gasbeleuchtung und verwandte Beleuchtungsarten sowie filr Wasserversorgung. Organ des Deutschen Vereins von Gas- und Wasserfachmännem 47 (1904), Heft 35, S. 788. 109 Im folgenden nach: Gesundheits- und Wohlfahrtspflege der König!. Haupt- und Residenzstadt Breslau. Festschrift herausgegeben vom Magistrat der König!. Haupt- und Residenzstadt Breslau, Breslau I9I2, S. 90-91.
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IV. Verbesserte Umweltbedingungen: Sanitäre Reformen und Sterblichkeitswandel
Zusammenfassend kann man festhalten, daß die medizinische Profession, trotz der mannigfachen wissenschaftlichen Literatur zum Thema, in der Praxis beim Ausbau der Infrastrukturmaßnahmen eine eher untergeordnete Rolle spielte. Es waren die Stadtverwaltungen und Ingenieure, die den Ausbau vorantrieben. Bei der zentralen Wasserversorgung gaben vielerorts offenbar eher wirtschaftliche als gesundheitspolitische Motive den Ausschlag fiir den Aufund Ausbau, die Kanalisation wurde als Dienstleistungsbetrieb angesehen, der notwendig war, um den Ver- und Entsorgungskreislauf zu schließen. Trotzdem werden zentrale Wasserversorgung und Kanalisation als wesentliches Element zur Sicherung und Hebung der städtischen Gesundheitsverhältnisse betrachtet. Inwieweit dies tatsächlich der Fall war, wird im nun folgenden Gegenstand der Diskussion sein.
c) Sanitäre Reformen und der Sterblichkeitsrückgang in deutschen Städten Forschungsstand
Obwohl der primäre Impetus fiir den Ausbau der sanitären Infrastruktur offensichtlich in vielen Fällen nicht im Bereich der Gesundheitsverhältnisse veranschlagt werden kann, wurden die positiven Auswirkungen auf die Gesundheit im Sinne sinkender Sterberaten als evident erachtet und propagandistisch verwertet, um die hohen Investitionen durchzusetzen, zu begründen oder im nachhinein zu rechtfertigen. Zur Demonstration des hygienischen Erfolges dieser Maßnahmen wurden anhand von Fallstudien Indikatoren zur zentralen Wasserversorgung und Kanalisation dem säkularen Trend der rohen allgemeinen Sterberaten gegenübergestellt. 110 Aus der gegenläufigen Entwicklung - zunehmende infrastrukturelle Versorgung und abnehmende Sterblichkeit der Einwohner - wurde ein kausaler Zusammenhang postuliert. 111 Angesichts des hohen Anteils zahlreicher Todesursachen, wie etwa der Erkrankungen der Atmungsorgane, die keinesfalls durch das Medium Wasser übertragen werden, ist dies allerdings wissenschaftlich nicht haltbar. Als klassischer Test für die gesundheitsrelevanten Wirkungen von Wasserversorgung und Kanalisation gilt deshalb die Entwicklung einzelner, häufig durch verschmutztes Trinkwasser übertragener Krankheiten, insbesondere der
110
Eine typische Darstellung findet sich am Beispiel von DUsseldorf in der Arbeit von J Brix I
K. Imho.ffI R. Weldert, Die Stadtentwässerung in Deutschland, Bd. I, Jena 1934, S. 255. 111
Vgl. beispielsweise Wey/, Assanierung, S. 16-17.
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Sterblichkeit an Abdominaltyphus. 112 Während die in ihrer Ätiologie vergleichbare Cholera in ihrem epidemischen Auftreten kam und ging, ermöglichte der endemisch herrschende Typhus bereits den Zeitgenossen eine direkte Abschätzung der potentiellen Effekte. 113 Eine rückläufige Typhus-Sterblichkeit galt ihnen als eindeutiger, positiver Beleg fiir den Erfolg der Assanierung. Auch in diesem Fall wurden Indikatoren des Ausbaus der Infrastruktur in einer ausgewählten Stadt - etwa das Eröffnungsjahr der zentralen Wasserversorgungsanlage, die Zahl der Hausanschlüsse, die Eröffnung der Kanalisationsanlage dem Verlauf der Sterblichkeit an Abdominaltyphus gegenübergestellt, und aus der zeitlichen Koinzidenz zwischen zunehmender Versorgung und sinkenden Typhussterberaten wurde abgeleitet, daß zwischen beiden Entwicklungen eine kausale Verbindung bestünde. Modeme Fallstudien gehen diese Problematik in der Regel analog an, können allerdings einen größeren Zeitraum betrachten. 114 Ihre Einschätzungen sind im wesentlichen ebenfalls positiv. Methodisch bleiben aber auch diese Untersuchungen angreifbar: Die Sterblichkeit an Abdominaltyphus nahm in der zweiten Hälfte des 19. und in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts während des Ausbaus der infrastrukturellen sanitären Maßnahmen zweifelsfrei ab; ob zwischen diesen beiden Entwicklungen ein kausaler Zusammenhang besteht, muß jedoch noch systematisch ausgearbeitet und getestet werden. Einen weiteren Ansatz bilden Analysen auf der Mikroebene, die in die Stadtteile hineingehen oder ausgewählte Haushalte beobachten. Zeitgenössische Studien verweisen dabei durchweg auf bessere Gesundheitsverhältnisse
11 2 Vgl. Otto I Spree I Vögele, Seuchen und Seuchenbekämpfung, S. 297-301; J. Vögele, Sanitäre Reformen und der Wandel der Sterblichkeitsverhältnisse in deutschen Städten, 1877-1913, in: VSWG 80 (1993), S. 345-365 . 113 Zur Ätiologie und Bekämpfung des Abdominaltyphus unter wissenschaftsgeschichtlichen Aspekten vgl. Kapitel I 4 sowie J. Vögele, Typhus und Typhusbekämpfung in Deutschland aus sozialhistorischer Sicht, in: Medizinhistorisches Journal33 (1998), S. 57-79. 114 So zum Beispiel E. Sydenstricker, Health and Environment, New York I London 1933, S. 182; J.-P. Gouberl, Eaux publiques et demographie historique dans Ia France urbaine du XIXe siecle: Le cas de Rennes, in: Annales de demographie historique 1975, S. 115-121; J. W. Leavill, The Healthiest City. Milwaukee and the Politics of Health Reform, Madison (Wisconsin) 1982 (repr. 1996); J.-P. Goubert, Public hygiene and mortality decline in Francein the 19th century, in: T. Bengtsson I D. Fridlizius I R. Ohlsson (Hgg.), Pre-industrial Population Change, Stockholm 1984, S. 151-159; J.-P. Goubert, L' eau et l'expertise sanitaire dans Ia France du XIXe siecle, in: Seiences Sociales et Sante 3 (1985), S. 75-102; J.-P. Goubert, La conquete de l'eau, Paris 1986; S. H. Preston I E. van de Walle, Urban French Mortality in the Nineteenth Century, in: Population Studies 32 (I 978), S. 275-297; B. Luckin, Evaluating the sanitary revolution, typhus and typhoid in London, 1851-1900, in: R. Woods I J. Woodward (Hgg.), Urban Disease and Mortality in Nineteenth Century England, London 1984, S. 102-1 19; B. Luckin, Pollution and Control. A Social History ofthe Thames in the Nineteenth Century, Bristol 1986.
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in Bezirken mit sanitären Einrichtungen. 115 Modeme Analysen hingegegen bleiben in der Regel wesentlich vorsichtiger in ihrem Urteil. 116 Für die ungesunde nordenglische Hafenstadt Liverpool führte eine Analyse der räumlichen Verteilung von Kanalisationsanschlüssen im Vergleich den Sterberaten an Abdominaltyphus und Diarrhöe in den Stadtteilen zu keinen eindeutigen Ergebnissen.117 Auch für gesündere Städte, wie etwa Birmingham, konnte keine starke Korrelation zwischen Variablen zum Stand und Ausbau der sanitären Infrastruktur, wie etwa dem Lokationsquotient von Wasserklosetts, und der Sterblichkeit an ausgewählten Todesursachen (Abdominaltyphus, Scharlach, Masern) während der 1880er Jahre festgestellt werden; die stärkste statistische Assoziation (0,771) herrschte zwischen der Sterblichkeit an Masern und dem Anteil der Hinterhäuser. 118 Eine Analyse der historischen Verhältnisse in der niederländischen Stadt Tilburg ergab, daß der Zusammenhang von sanitären Reformen und dem Sterblichkeitsrückgang 'nicht existent' zu sein scheint. 119 Robert Woods schließt für England, daß die sanitären Reformen sicherlich einen Einfluß hatten, der allerdings erst im 20. Jahrhundert zum Tragen kam, dessen Stärke aber nach wie vor ungeklärt sei. 12° Für Deutschland schließlich
115 Weyl, Assanierung, S. 16; T Weyl, Die Einwirkung hygienischer Werke auf die Gesundheit der Städte mit besonderer Rücksicht auf Berlin, Jena 1893, S. 51-64; Würzburg, insbesondere seine Einrichtungen fur Gesundheitspflege und Unterricht. Fest-Schrift gewidmet der 18. Versammlung des deutschen Vereins fur öffentliche Gesundheitspflege. Hrsg. im Auftrag und auf Kosten der Stadt vom Hygienischen Vereine Würzburg unter Redaktion von K. B. Lehmann und J. Röder, Wiesbaden 1892, S. 128. 116 S. Edvinsson, Mortality and the urban environment: Sundsvall in the 1880's, in: A. Brändström I L.-G. Tedebrand (Hgg.), Swedish Urban Demography during Industrialization, Umeä 1995, S. 93-113; M E. Pooley I C. G. Pooley, Health, society and environment in nineteenthcentury Manchester, in: R. Woods I J. Woodward (Hgg.), Urban Disease and Mortality in Nineteenth-Century England, London 1984, S. 148-175; R. Woods, Mortality and sanitary conditions in late nineteenth-century Birmingham, in: R. Woods I J. Woodward (Hgg.), Urban Disease and Mortality in Nineteenth-Century England, London 1984, S. 176-202; S. Sheard, Nineteenth Century Public Health. A Study of Liverpool, Belfast and Glasgow, unpubl. Ph.D.-thesis, Liverpool1993.
Sheard, Nineteenth Century Public Health, S. 69-90. Woods, Mortality and sanitary conditions, S. 176-202. 119 F. van Pappel I C. van der Heijden, Les effects controverses de l'adduction d'eau sur Ia sante des populations. Bilan des recherches et experimentation sur une ville des Pays-Bas (Tilburg), in: Annales de demographie historique 1997, S. 157-204; F. van Pappel I C. van der Heijden, The effects of water supply on infant and childhood mortality: a review of historical evidence, in: Health Transition Review. The cultural, social and behavioural determinants of health 7 (1997), S. 113-148. 120 R. Woods, La sante publique en milieu urbain (XIXe-XXe siecles): hygiene et mesures d'assainissement, in: Annales de demographie historique 1989, S. 183-195; R. Woods, The role of public health initiatives in the nineteenth-century mortality decline, in: J. Caldwell (Hg.), What we know about Health Transition: The Cultural, Social, and Behavioural Determinants of Health, Canberra 1990, S. 110-115. 111
118
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untersuchte Reinhard Spree anhand einer Fallstudie (Berlin) den Einfluß von Verbesserungen der gesundheitsrelevanten Infrastruktur auf die Mortalität auf der Ebene von Stadtteilen. Die sinkende Sterblichkeit an Abdominaltyphus, besonders in den weniger privilegierten Stadtteilen, führte zu einem Rückgang der Disparitäten im Auftreten von Abdominaltyphus im gesamten Stadtgebiet. Spree schreibt dies dem direkten Einfluß von Trinkwasserversorgung und Kanalisation zu. Da jedoch die Gesamtsterblichkeit weiterhin von Distrikt zu Distrikt variierte, müßten zusätzliche Faktoren, wie zum Beispiel Lebensstandard, in Betracht gezogen werden. 121 Zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen Analysen auf Makroebene. Anhand dieses dritten, hier zur erwähnenden Ansatzes postuliert eine Reihe von Studien für ausgewählte amerikanische Städte mittels Korrelations- und Regressionsverfahren einen eher schwachen Zusammenhang zwischen den sanitären Refonnen und den im angelsächsischen Sprachraum als 'water- and foodbome' bezeichneten Krankheiten wie Abdominaltyphus und Diarrhöe.122 Für Deutschland hat kürzlich John Brown einen interessanten statistischen Ansatz mit einer Vielzahl von Indikatoren aus dem Bereich städtischer Lebensbedingungen vorgelegt. Nach einer Regressionsanalyse für ein Sampie deutscher Städte in der Spätphase der Refonnen (1888-1912) hatten die sanitären Verbesserungen einen wichtigen Einfluß, insbesondere auf den Rückgang der Sterblichkeit an Abdominaltyphus. 123 50 bis 80 Prozent des Rückgangs der Sterblichkeit an Abdominaltyphus fuhrt Brown auf die sanitären Refonnen zurück, die Auswirkungen auf die Säuglingssterblichkeit und gastro-intestinale Erkrankungen bewegten sich zwischen einem Viertel und einem Drittel des Rückgangs. Leider greift er bei seinem statistischen Experiment auf die rudimentäre und unzuverlässige Zusammenstellung ausgewählter Todesursachen der Statistischen Jahrbücher Deutscher Städte zurück, obwohl ausführlichere und bessere vitalstatistische Daten aus den in der vorliegenden Untersuchung verwendeten Veröffentlichungen des Kaiserlichen Gesundheitsamtes vorliegen. Unter methodischen Gesichtspunkten ist kritisch anzumerken, ob nicht zu viele
121 R. Spree, Soziale Ungleichheit vor Krankheit und Tod. Zur Sozialgeschichte des Gesundheitsbereichs im Deutschen Kaiserreich, Göttingen 1981 , S. 123-128. Vgl. auch Kapitel III. 122 G. A. Condran I E. Crimmins-Gardner, Public health measures and mortality in U.S. cities in the late nineteenth century, in: Human Ecology 6,1 (1 978), S. 27-54; G. A. Condran I E. Crimmins, Mortality differentials between rural and urban areas of states in the northeastern United States 1890-1900, in: Journal of Historical Geography 6,2 ( 1980), S. 179-202; R. Higgs, Cycles and trends in mortality in 18 !arge American cities, 1871-1900, in: Explorations in Economic History 16 (1979), S. 381-408; R. Higgs I D. Booth, Mortality Differentials within Large American Cities, in: Human Ecology 7,4 (1979), S. 353-370. 123 J C. Brown, Public Health Reform and the Decline in Urban Mortality. The Case of Germany, 1876-1912, in: G. Kearns I W. R. Lee IM. C. Nelson I J. Rogers (Hgg.), Improving the public health: essays in medical history, Liverpool (im Druck).
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IV. Verbesserte Umweltbedingungen: Sanitäre Reformen und Sterblichkeitswandel
Indikatoren fiir die Analyse herangezogen wurden, wodurch möglicherweise die Ergebnisse der Regression aus verfahrenstechnischen Gründen verzerrt werden können.124 Zudem blendet die Analyse diachronische und räumliche Differenzierungen gänzlich aus, so daß die statistischen Ergebnisse zwar korrekt sein mögen, aber letztendlich wenig Aussagekraft besitzen. Im Grunde behandelt die Studie diese Thematik mithin weitgehend ahistorisch. Bei einer zeitlichen Ausdifferenzierung scheinen entsprechende Daten für eine Regressionsanlyse nicht tragfähig zu sein. 125 Für Deutschland ist demnach der Einfluß der sanitären Reformen auf den säkularen Sterblichkeitswandel noch immer ungeklärt. Hier setzen die folgenden Überlegungen ein.
Vorüberlegungen
Um verallgemeinerbare Aussagen treffen zu können, wird in der nachfolgenden Analyse der Ansatz auf Makroebene beibehalten, allerdings soll in angebrachten Fällen auf die spezielle Situation in ausgewählten Städten eingegangen werden. Besondere Aufmerksamkeit gilt den Wechselwirkungen zwischen den spezifischen Ausbauphasen der zentralen Wasserversorgung und der Kanalisationsanlagen in den städtischen Gemeinden einerseits und der Entwicklung der Sterblichkeit an umweltsensitiven Krankheiten andererseits. Im Mittelpunkt stehen dabei die Entwicklung des Abdominaltyphus, der gastrointestinalen Störungen sowie als zusätzliche Kontrollvariable die Sterblichkeit der Säuglinge, da diese Altersgruppe besonders heftig unter den Erkrankungen der Verdauungsorgane litt. Dies ist besonders fiir deutsche Verhältnisse von Bedeutung, da hier die Stillquoten wesentlich niedriger lagen als etwa in England, der potentielle Effekt der sanitären Maßnahmen somit substantiell höher eingeschätzt werden kann. Die Qualität des Wassers, das zur Zubereitung der künstlichen Ernährung verwendet wurde, muß dabei als ein entscheidender
124 Mit der Anzahl der Prädiktoren (unabhängige Variablen) erhöht sich die Wahrscheinlich· keit, daß diese miteinander korrelieren. Die Bedeutsamkeil der jeweiligen Prädiktoren zur Erklärung der Varianz der abhängigen Variablen verringert sich dadurch scheinbar. Wenn zusätzlich keine Indikatoren zum Stillverhalten mit in die Betrachtung einbezogen werden können, schränkt dies die Aussagekraft der statistischen Ergebnisse weiter ein. 125 Eine Regressionsanalyse ftlr 20 deutsche Großstädte, die zeitliche Veränderungen zu berücksichtigen versucht und auf vitalstatistische Daten aus den Veröffentlichungen des Kaiserlichen Gesundheitsamtes rekurriert, findet sich in Anhang 6. Bei einer zeitlichen Ausdifferenzierung scheint es leider nicht möglich zu sein, anband einer linearen Regression die Gesamtsterblichkeit, die Sterblichkeit an Abdominaltyphus, die Sterblichkeit an Darmerkrankungen und die Säuglingssterblichkeit mit Hilfe ausgewählter Indikatoren zum Ausbau der gesundheitsbezogenen Infrastruktur (der private Wasserverbrauch pro Kopf, die Qualität des Wassers (gefiltert • ungefiltert) sowie der Anteil der an die Kanalisation angeschlossenen Grundstücke) vorherzusagen.
2. Städtische Infrastrukturmaßnahmen und der Wandel der Sterblichkeit
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Faktor fiir die Höhe und die Entwicklung der Sterblichkeit an Magen-DarrnErkrankungen betrachtet werden. Eine Analyse der jährlichen Entwicklung der relevanten Todesursachen während der 'Sanitären Revolution' in verschiedenen ausgewählten Städten mit unterschiedlichen zeitlichen und technischen Ausbauphasen ihrer gesundheitsbezogenen Infrastruktur erlaubt dabei Rückschlüsse auf die Wechselwirkungen zwischen sanitären Reformen und zeitgenössischen Sterblichkeitstrends. Eine zusätzliche Perspektive wird dadurch gewonnen, daß die Entwicklung in den ausgewählten Städten mit den nationalen sowie den durchschnittlichen Verhältnissen in allen Städten über 15.000 Einwohner verglichen wird. Dies ist besonders aufschlußreich in der Frühphase der sanitären Reformen, als die Zahl der versorgten Städte zu gering war, um in den Durchschnittswerten repräsentiert zu sein. Ebenfalls wird untersucht, ob der Trend in den Sterberaten durch die Eröffnung neuer Wasserwerke, die Zahl der Hausanschlüsse, die Art der Wassergewinnung (Grundwasser oder Oberflächenwasser) oder durch die Einrichtung einer Filteranlage beeinflußt wurde. Beim Vergleich der einzelnen Städte hinsichtlich dieser Fragen muß berücksichtigt werden, daß diese als zentrale Orte hoher Rangstufe über Handels- und Verkehrsverbindungen, Migrationsströme, etc. ein interaktives Netzwerk bildeten, über das auch Krankheiten verbreitet wurden. Die Auswirkungen dieses Netzes auf die Gesundheit waren abhängig vom Grad der Interkommunikation zwischen den einzelnen Städten. Das Netzwerk kann angesichts der starken Wanderungsbewegungen und dem zunehmenden Warenaustausch während der Hochindustrialisierungsphase als sehr aktiv eingestuft werden. Infektionskrankheiten und Epidemien konnten sich so entlang dieser Verbindungsrouten ausbreiten. Auch die natürlichen Wasserstraßen spielten dabei eine bedeutende Rolle: Lagen verschiedene Städte an demselben Fluß, so konnte die Wasserverschmutzung einer stromaufwärts gelegenen Stadt die Situation fiir die abwärts gelegenen Städte verschlechtern. Durch Verbesserungen der sanitären Infrastruktur in den einzelnen Städten konnte diese Kette unterbrochen werden; Städte mit unter hygienischem Gesichtspunkt einwandfreien Einrichtungen stellten sich sozusagen unter Quarantäne. Stieg die Zahl solcher Städte auf ein bestimmtes Maß, so konnte dies durchaus positive Nebenwirkungen auf andere Städte mit ungenügender Infrastruktur haben, indem die Exponiertheit ihrer Einwohner gegenüber Krankheiten reduziert wurde. Sobald demnach ein Großteil der Städte mit adäquater Wasserversorgung und Kanalisationsanlagen ausgestattet war, und diesen positive Auswirkungen auf die Sterblichkeit an Abdominaltyphus und gastro-intestinalen Störungen unterstellt werden, trug dies höchstwahrscheinlich auch zum Rückgang der entsprechenden Todesfälle in anderen un- und unterversorgten Städten bei. Konkret, wenn neun von zehn Städten den Abdominaltyphus als Folge ihrer sanitären Reformen erfolgreich gebannt hatten, reduzierte sich so das Risiko, daß der Erreger durch menschlichen Kontakt oder über verunreinigte Wasserwege verbreitet wurde,
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womit auch die Menschen in der zehnten Stadt zumindest einem geringeren Erkrankungsrisiko ausgesetzt waren. Es ist deshalb besonders wichtig, die Frühphase der sanitären Refonnen intensiv zu untersuchen, als nur eine geringe Zahl von Städten entsprechende Einrichtungen hatte und der städtische Netzwerk-Effekt, wenn überhaupt, lediglich marginal zu veranschlagen war. Als weiteren Ansatz, um den Zusammenhang zwischen sanitären Refonnen und städtischer Gesundheit aus einem anderen, negativen Blickwinkel auszu.leuchten, bezieht sich die Analyse auf verschiedene Abdominaltyphus-Epidemien der Zeit, in erster Linie auf die Epidemien, die Mitte der 1880er Jahre in der Hansestadt Harnburg auftraten. Obwohl sie in ihren demographischen Konsequenzen nicht so schwerwiegend waren wie die Abdominaltyphus-Epidemien in den früheren Dekaden des 19. Jahrhunderts, erlaubt ihre gute Dokumentation eine Analyse, wie sich die Epidemie innerhalb der Stadt in die verschiedenen Distrikte ausbreitete, und ennöglicht damit einen epidemiologischen Ansatz in einem breiteren sozio-ökonomischen Rahmen. Gerade bei einem Versagen des Systems wird seine Bedeutung für die Gesundheitsverhältnisse in ganzer Dimension offenkundig. Die gesundheitlichen Gefahren rückten zudem in die öffentliche politische und wissenschaftliche Diskussion und hinterließen detaillierte Spuren für die historische Untersuchung. Dies war auch der Augenblick, in dem sich die Hygieniker und Ärzte, die bei Auf- und Ausbau der Infrastruktunnaßnahmen wenig berücksichtigt wurden, sich Gehör verschafften und in die Debatten eingreifen konnten.
Potentielle Auswirkungen der sanitären Reformen aufdie Gesundheit im Kaiserreich
Die potentielle Wirkung der sanitären Refonnen auf die Gesundheitsverhältnisse wird deutlich, wenn man den gesamten Rückgang der Sterblichkeit an gastro-intestinalen Störungen in den Städten in einer Modellrechnung hypothetisch komplett den positiven Effekten der Infrastruktunnaßnahmen zuschreibt. Danach wäre die Wirkung solcher Maßnahmen in Deutschland wesentlich größer gewesen als Thomas McKeown für England und Wales angenommen hat. In den zehn größten deutschen Städten sank die Gesamtsterblichkeit zwischen 1877 und 1907 von 26,8 auf 15,7 (pro 1.000 Lebende), die Sterberate des gesamten gastro-intestinalen Krankheitskomplexes (einschließlich Abdominaltyphus und Ruhr) fiel im selben Zeitraum von 6,7 auf2,4 (pro 1.000 Lebende). Damit trug dieser Krankheitskomplex mit 39,8 Prozent zum gesamten
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Sterblichkeitsrückgang bei (Erkrankungen der Verdauungsorgane 34,5 Prozent, Abdominaltyphus 4,0 Prozent und Ruhr 1,3 Prozent). 126 Bezieht man diese Berechnungen allein auf die Sterberaten an akuten Erkrankungen der Verdauungsorgane und Abdominaltyphus, wie sie aus den Jahresreihen ermittelt werden können, wird ein Vergleich der Entwicklung in den zehn größten Städten mit dem Durchschnitt aller Städte über 15.000 Einwohner möglich. 127 In den zehn größten Städten ging die rohe allgemeine Sterberate von 26,1 (pro 1.000 Lebende) im Jahr 1877 auf 13,5 im Jahr 1913 zurück; die Sterberaten an den erwähnten Todesursachen sanken im entsprechen Zeitraum von 3,2 auf 1,1. Der relative Beitrag des gastro-intestinalen Krankheitskomplexes zum Gesamtrückgang belief sich mithin auf 17 Prozent. Im Vergleich dazu fiel die rohe allgemeine Sterberate im Durchschnitt aller Städte mit über 15.000 Einwohnern von 27,0 (pro 1.000 Lebende) im Jahr 1877 auf 14,0 im Jahr 1913, die Sterberate der gastro-intestinalen Krankheiten von 3,0 (pro 1.000 Lebende) auf 1,3. Dementsprechend betrug der relative Beitrag des gastro-intestinalen Krankheitskomplexes am Gesamtrückgang lediglich 13,2 Prozent. Die Großstädte verzeichneten mithin einen stärkeren Rückgang. Auf die ausgewählten Städte bezogen, schwankte dieser Anteil jedoch stark und belief sich auf Werte zwischen 2,7 Prozent in Köln und 30,3 Prozent in Berlin. Hier gilt: Je höher die Sterberate an diesen Krankheiten in einer bestimmten Stadt ursprünglich lag, desto größer konnten selbstverständlich die Auswirkungen der sanitären Reformen sein. Der potientelle Effekt war mithin beträchtlich; wie es aber um die konkrete Ausgestaltung bestellt war, soll im folgenden zunächst am Beispiel der Sterblichkeitsentwicklung an Abdominaltyphus geklärt werden.
Sanitäre Reformen und die Entwicklung der Gesundheitsverhältnisse in den zehn größten deutschen Städten
Die Entwicklung der Sterblichkeit an Abdominaltyphus läßt sich flir die zehn größten deutschen Städte, ftir den Durchschnitt aller Städte über 15.000 Einwohner sowie ftir das Deutsche Reich ab 1877 systematisch rekonstruieren. Demzufolge waren die Sterberaten im wesentlichen ab diesem Zeitpunkt rück-
126 Dabei wurde die Kategorie Lebensschwäche, die sich zumindest zu einem großen Teil ebenfalls auf Magen-Darm-Erkrankungen bezieht, nicht mitgerechnet, weil sich vergleichbare Berechnungen fiir den Durchschnitt aller Städte über 15.000 Einwohner nur aufakute Erkrankungen der Verdauungsorgane, Abdominaltyphus und Ruhr beziehen lassen. Wegen dieser Vergleichsmöglichkeit wurde nicht auf die standardisierten, sondern auf rohe Sterberaten rekurriert. 127 Vgl. Kapitel I 4.
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läufig (Schaubild 4.3). 128 In fast allen Städten des Sampies lag die Sterberate dabei konstant unter dem Durchschnittswert fUr alle Städte mit einer Bevölkerung von über 15.000 Einwohnern bzw. fUr Preußen. 129 Tatsächlich verhielt sich die Sterblichkeit an Abdominaltyphus im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts umgekehrt proportional zur Gemeindegröße (Tabelle 4.4): Im Jahr 1881 beispielsweise lag die Sterberate an Abdominaltyphus in den Großstädten bei 3,2 (pro 10.000 Lebende), in den Mittelstädten bei 5,1 und in den Kleinstädten bei 6,5. Einzige Ausnahme bildeten die kleinen ländlichen Gemeinden, die durchschnittliche Raten registrierten. Da die Assanierungsmaßnahmen zuerst in den Großstädten ergriffen wurden, sprechen die geschilderten Entwicklungen für deren positive Wirkung auf die Gesundheitsverhältnisse. Nach der Wende zum 20. Jahrhundert schließlich konvergierten die Sterberaten aller Untersuchungseinheiten auf niedrigem Niveau. Dies mag sowohl Folge der zunehmenden Diffusion städtischer Gemeindebetriebe als auch Ausdruck des erläuterten städtischen Netzwerk-Effekts sein. Epidemiologisch gesehen, spielte der Abdominaltyphus zu diesem Zeitpunkt damit nur noch eine untergeordnete Rolle im Todesursachenpanorama. Tabelle 4.4 Mortalität an Abdominaltyphus in preußischen Gemeinden (pro 10.000 Lebende), 1876, 1881 und 1891 Jahr 1876 1881 1891
Landgemeinden 6,2 5,4 1,9
Kleinstädte 8,1 6,5 2,4
Mittelstädte 6,4 5,1 2,3
Großstädte 6,0 3,2 1,4
Quelle: W Kruse, Die Venninderung der Sterblichkeit in den letzten Jahrzehnten und ihr jetziger Stand, in: Zeitschrift filr Hygiene und Infectionskrankheiten 25 (1897), S. 113-167, hier S. 139.
Allerdings gibt es auch Argumente, die für eine umgekehrte Deutung sprechen. Drei Punkte sollen besonders erwähnt werden. Erstens, obwohl Zeitpunkt und Intensität des Ausbaus der gesundheitsrelevanten Infrastruktur sowie deren technischer Standard in den Städten sehr unterschiedlich waren, glich sich die
128 Quellen: Veröffentlichungen des Kaiserlichen Gesundheitsamtes (Beilagen) 2 (1878)- 38 (1914). 129 H Dornedden, Der Einfluß der Seuchen auf die deutsche Bevölkerungsentwicklung, in: Archiv filr soziale Hygiene und Demographie 5 (1939), S. 217-230, hier S. 228.- For Einzelbelege vgl. dazu auch F. Prinzing, Handbuch der medizinischen Statistik, Jena 2 1930/31, S. 572; F. Prinzing, Stadt und Land, in: A. Groyahn I I. Kaup (Hgg.), Handwörterbuch der sozialen Hygiene, Bd. 2, Leipzig 1912, S. 494-512, hier S. 507; S. Rosenfeld, Die Verteilung der Infektionskrankheiten auf Stadt und Land, in: Centralblatt fllr allgemeine Gesundheitspflege 25 (1 906), S. 175-210 und 316-345, hier S. 185-193.
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Sterblichkeit an Abdominaltyphus bereits in den l890er Jahren nahezu einheitlich an. Die Eröffnung neuer Wasserwerke, die Zahl der Hausanschlüsse sowie die Art der Wassergewinnung scheint dabei keine Rolle gespielt zu haben. Zudem ist, zweitens, zu berücksichtigen, daß die Sterblichkeit an Abdominaltyphus in zahlreichen Städten bereits vor der eigentlichen Ausbauphase von Trinkwasserversorgung und Kanalisation zu sinken begann: in Berlin von 96 (pro I 00.000 Lebende) im Zeitraum 1854-60 auf 83 (1861-70) und auf 62 (1871-80); in Frankfurt am Main von 87 (1856-60) über 54 (1861-70) auf 44 (1871-80); in Harnburg von 100 (1851-60) auf 75 (1861-70) und schließlich auf 44 ( 1871-80); in München von 13 8 (1863-70) auf 115 (1871-80). 130
1875
1880
1885
•
1890
1895
1900
1905
1910
1915
10 gr. SUidte -Städte> 15.000 Einw.
Schaubild 4.3: Die Entwicklung der Sterblichkeit an Abdominaltyphus in den zehn größten deutschen Städten und im Durchschnitt aller Städte über 15.000 Einwohner, 1877- 1913
In den 1870er und 80er Jahren war sie bereits auf einem so geringen Niveau, daß die sanitären Reformen nicht als Auslöser dieser Entwicklung angesehen werden sollten, sondern ihnen allenfalls Katalysatorfunktion zugeschrieben werden kann, mit deren Hilfe der Abdominaltyphus in den Städten rascher besiegt wurde. Schließlich sank, drittens, die Sterblichkeit auch auf der Ebene des Deutschen Reichs seit 1877 und glich sich zunehmend den städtischen Werten
130 Prinzing, Handbuch, 1930/31, S. 485-486; J. Soyka, Zur Epidemiologie und Klimatologie von Frankfurt a. M, in: Deutsche Vierteljahrsschrift filr öffentliche Gesundheitspflege 19 (1887), S. 290-310, hier S. 291.
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IV. Verbesserte Umweltbedingungen: Sanitäre Reformen und Sterblichkeitswandel
an, obwohl zahlreiche Landgemeinden erst im weiteren Verlauf des 20. Jahrhunderts über sanitäre Einrichtungen verfügten.
Typhus-Epidemien
Von besonderem Interesse sind in diesem Zusammenhang diejenigen Städte, die überdurchschnittliche Sterberaten an Abdominaltyphus registrierten. Ein erhöhtes Typhusrisiko boten von den untersuchten Städten lediglich München, das für seine hohe Sterblichkeit an Krankheiten der Verdauungsorgane im 19. Jahrhundert bekannt war, m und Hamburg; die hohen Ausschläge der Sterblichkeit weisen auf die dortigen Epidemien in der zweiten Hälfte der 1880er und zu Beginn der 1890er Jahre hin, welche die Geflihr.lichkeit einer nichtfiltrierten zentralen Wasserversorgung demonstrieren. 132 Denn für die Bevölkerung stieg in dem Fall das Risiko einer Epidemie enorm, wenn sie einer durch Trinkwasser übertragbaren Infektionskrankheit ausgesetzt war. Demgegenüber blieb das mit einer Filteranlage ausgerüstete benachbarte Altona trotz seiner geographischen Nähe nahezu verschont bzw. wies wesentlich geringere Mortalitäts-, Morbiditäts- und Letalitätsraten auf. 133 Sofort nach Einbau der Filteranlage im Jahr 1893 fielen in Harnburg sowohl die Morbidität als auch die Mortalität an Abdominaltyphus auf ein zuvor nicht erreichtes niedriges Niveau (Schaubild 4.4 und Tabelle 4.5).134 Auch in München wurden die Typhus-Epidemien mit zunehmendem Ausbau der Infrastruktur seltener, die Stadt wurde nach der Epidemie von 1872 nicht mehr von bedeutenden, langandauernden Typhus-Epidemien heimgesucht. 135
131 Vgl. MOnehen unter dem Einflusse der öffentlichen Wohlfahrtspflege. Festschrift der 27. Versammlung des Deutschen Vereins fur öffentliche Gesundheitspflege gewidmet von der Stadt München, München 1902, S. 8-22; Münch, Stadthygiene, S. 134-136. 132
Vgl. dazu auch Evans, Death in Hamburg, S. 285-402.
J. J. Reincke, Der Typhus in Harnburg mit besonderer Berücksichtigung der Epidemien von 1885 bis 1888, Harnburg 1890, S. 33-40. 134 Quellen: Veröffentlichungen des Kaiserlichen Gesundheitsamtes (Beilagen) 2 (1878) - 38 (1914); Die Gesundheitsverhältnisse Hamburgs im 19. Jahrhundert. Den ärztlichen Theilnehmem der 73. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aente gewidmet von dem Medicinai-Collegium, Harnburg 1901, S. 223. -Eine ähnliche beeindruckende Abnahme der Typhussterblichkeit nach Einbau einer Filteranlage im Jahr 1907 wurde fur die amerikanische Stadt Pittsburg verzeichnet. Siehe Sydenstricker, Health and Environment, S. 182. Vgl. dazu auch J. J. Palen I D. M Johnson, Urbanization and Health Status, in: A. L. Greer I S. Greer (Hgg.), Cities and Sickness. Health Care in Urban America, Beverly Hills 1983, S. 25-54, hier S. 28-35. 133
m Vgl. F Seitz, Der Abdominaltyphus nach langjähriger Beobachtung, Stuttgart 1888, S. 31.
2. Städtische Infrastrukturmaßnahmen und der Wandel der Sterblichkeit
289
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1885
1890
1895
1900
1905
1910
1915
Jahr
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Schaubild 4.4: Die Entwicklung der Sterblichkeit an Abdominaltyphus, an akuten gastro-intestinalen Erkrankungen sowie die Entwicklung der Säuglingssterblichkeit in Hamburg, 1877- 1913
Tabelle 4.5 Morbidität und Mortalität an Abdominaltyphus in Hamburg, 1884- 1895 (pro 1.000 Lebende) Jahr 1884 1885 1886 1887 1888 1889 1890 189 1 1892 1893 1894 1895
Erkrankte 1.053 2.172 3.890 6.543 3.199 3.172 1.539 1.197 1.941 1.094 462 597
Morbidität
Sterbefalle
Mortalität
2,4 4,7 8,1 13,3 6,2 5,9 2,7 2,1 3,3 1,8 0,8 1,0
108 160 333 446 275 222 147 128 203 106 37 57
0,2 0,3 0,7 0,9 0,5 0,4 0,3 0,2 0,4 0,2 0,1 0,1
Quelle: J. J. Reincke, Zur Epidemiologie des Typhus in Harnburg und Altona, in: Vierteljahrsschrift filr öffentliche Gesundheitspflege 28 (1896), S. 409-430, hier S. 412.
19 Vögele
290
IV. Verbesserte Umweltbedingungen: Sanitäre Reformen und Sterblichkeitswandel
Die Schutzfunktion, die eine Filteranlage gegen das Auftreten von Epidemien bot, wird deutlich, wenn man die erwähnten Abdominaltyphus-Epidemien in Harnburg näher betrachtet: 136 Seit 1849 wurde das Trinkwasser ftlr die Stadt der Elbe entnommen und in gemauerten unterirdischen Kanälen in ein Ablagerungsbassin und von dort in die Stadt geleitet. Infolge des steigenden Wasserverbrauchs verkürzte man die Ablagerungszeit immer mehr, wodurch sich das Trinkwasser kaum mehr von dem ungereinigten Elbwasser unterschieden haben soll. Ohne Filter war die zentrale Wasserversorgung zur Verbreitung bestimmter Krankheitserreger geradezu prädestiniert und der Ausbruch einer Epidemie programmiert. Steigende Bevölkerungszahlen, zunehmende Marktdichte und eine unglückliche Verlegung der Schöpfstellen in den Bereich der Sielausflüsse erhöhten das Risiko. 137 Mitte der 1880er Jahre brachen mehrere Abdominaltyphus-Epidemien aus. Schon den Zeitgenossen fielen ihre besonderen Charakteristika auf. Im Gegensatz zu früheren Epidemien breiteten sie sich gleichzeitig über die ganze Stadt aus und erfaßten alle sozialen Schichten. 138 Somit kamen zwei Übertragungsmedien in Betracht: die Luft und das Wasser. Aus den Kenntnissen über die Epidemiologie des Abdominaltyphus schlossen Experten auf das letztere. Umstritten war jedoch, ob Grundoder Trinkwasser die entscheidende Rolle spielte. Lange hielt man an der Iokalistischen Boden-/Grundwassertheorie Max von Pettenkofers fest. Danach wären schädliche Miasmen aus dem Boden für die Verbreitung zahlreicher Erkrankungen verantwortlich gewesen. Eine Kanalisierung der Städte würde es ermöglichen, den Grundwasserstand zu regeln und dadurch die Verbreitung von Krankheiten zu kontrollieren. Eine solche Theorie kam der von kaufmännischem Geist geprägten Handelsstadt sehr entgegen, da damit sowohl der kostspielige Bau einer Filteranlage als auch den Handel behindernde Maßnahmen wie Quarantäne nutzlos und überflüssig erschienen. Konsequenterweise blieb man in Harnburg untätig und wurde somit das Opfer von Trinkwasser-Epidemien, hervorgerufen durch inadäquate sanitäre Einrichtungen.
136 Vgl. besonders zur Cholera-Epidemie 1892/93 in Hamburg, aber auch zum Ausbau der zentralen Wasserversorgung und der Entwicklung der Sterblichkeit an Abdominaltyphus: Evans, Death in Hamburg, S. 190-194. 137 M Simmonds, Die Typhusepidemie in Harnburg im Jahre 1885, in: Deutsche Vierteljahrsschrift fllr öffentliche Gesundheitspflege 18 (1886), S. 537-544. 138 Curschmann, Statistisches und Klinisches Uber den Unterleibstyphus in Hamburg, in: Deutsche medicinische Wochenschrift 16 (1888), S. 361-362; J. J. Reincke, Zur Epidemiologie des Typhus in Harnburg und Altona, in: Vierteljahrsschrift fllr öffentliche Gesundheitspflege 28 (1896), S. 409-430, hierS. 417.
2. Städtische Infrastrukturmaßnahmen und der Wandel der Sterblichkeit
D CJ
291
8
Karte 4.1: Die Sterblichkeit an Abdominaltyphus in Harnburg nach Stadtteilen (pro 10.000 Lebende), 1885- 1887
Charakteristisch für eine 'Wasser-Epidemie' war neben dem explosionsartigen Ausbruch die geographische Verteilung: Sie breitete sich von der Eibe her in die entfernteren Stadtteile aus, 139 herrschte aber besonders intensiv in den Stadtvierteln nahe Eibe und Alster, während sie in der Peripherie wesentlich milder verlief (Karte 4.1). 140 Wasser- und Typhusfeld waren deckungsgleich, da die Epidemien an der Grenze zum benachbarten Altona, das eine eigene, filtrierte Wasserversorgung hatte, haltmachten und weder in der Kaserne des 76. Infanterie-Regiments in Grinde! noch im benachbarten Wandsbeck auf
ll 9 Reincke, Epidemiologie des Typhus, S. 417; Curschmann, Statistisches und Klinisches, S. 361-362, hier S. 362. 140 Quellen: J J Reincke, Der Typhus in Harnburg mit besonderer Berücksichtigung der Epidemien von 1885 bis 1888, Harnburg 1890, S. 17 und 19; Statistisches Handbuch flir den Harnburgischen Staat, hrsg. vom Statistischen Bureau der Steuer-Deputation, 4. Ausgabe, Harnburg 1891, S. 19; Statistik des Harnburgischen Staates 15, 2. Abteilung (1894), S. 57.
292
D
Cd
[2]
IV. Verbesserte Umweltbedingungen: Sanitäre Reformen und Sterblichkeitswandel
10
Karte 4.2: Die Morbidität an Abdominaltyphus in Harnburg nach Stadtteilen (pro 1.000 Lebende), 1885- 1887
traten, die beide nicht an die zentrale Wasserversorgung Hamburgs angeschlossen waren. 141 Die geographische Disposition überlagerte und verwischte die soziale und geschlechtsspezifische Verteilung: Die Mortalität war in der Innenstadt und auch in den Stadtteilen der Oberschicht, die direkt am Wasser lagen (Rotherbaum, Barvestehude und Hohenfelde), höher als in den an der Peripherie gelegenen Arbeitersiedlungen (Barmbeck und Winterhude). Deutlich wird dies auch anband der beiden Distrikte Steinwärder und Barmbeck, die beide mit 266 Mark pro Kopf ein identisches Einkorn141 Kurze heftige Typhus-Epidemien suchten Altona regelmäßig im Anschluß an Hamburger Epidemien heim und wurden auf ein Versagen der Filteranlage besonders im Winter zurUckgeflihrt. - Vgl. J J Reincke, Das Verhalten von Cholera und Typhus an der Hamburg-Altonaer Grenze, in: Münchener Medicinische Wochenschrift 28 (1899}, S. 926-927; A. Reinsch, Die Bakteriologie im Dienste der Sandfiltrationstechnik, in: Centralblatt filr Bakteriologie und Parasitenkunde 16 (1894), S. 881-896; Wal/ichs, Eine Typhusepidemie in Altona, Anfang des Jahres 1891, in: Deutsche medicinische Wochenschrift 17 (1891), S. 811-813.
2. Städtische Infrastrukturmaßnahmen und der Wandel der Sterblichkeit
D CJ [21
293
100
Karte 4.3: Die Letalität an Abdominaltyphus in Harnburg nach Stadtteilen (pro 1.000 Erkrankte), 1885- 1887
mensniveau aufwiesen (Tabelle 4.6). Der Stadtteil Steinwärder, direkt an der Eibe gelegen, registrierte eine fast doppelt so hohe Abdominaltyphus-Sterberate wie Barmbeck. In vielen Stadtteilen, die direkt an der Eibe lagen (Altstadt, Neustadt, St. Pauli, St. Georg) waren Männer stärker von der Epidemie betroffen als Frauen, in den anderen Stadtbezirken dagegen lagen die Verhältnisse gerade umgekehrt: 142 Während die Hafenarbeiter oft direkt aus der Eibe tranken und sich infizierten, war in den Oberschichtvierteln hauptsächlich das weibliche Dienstpersonal einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt. 143 Auch in bezug auf die Morbidität und Letalität an Abdominaltyphus läßt sich diese räumliche Verteilungsstruktur erkennen (Karten 4.2 u. 4.3 ; Tabelle 4.6): 144
142 143
Reincke, Typhus in Hamburg, S. 19. Reincke, Typhus in Hamburg, S. 13-19.
144 Quellen: J. J. Reincke, Der Typhus in Harnburg mit besonderer Berücksichtigung der Epidemien von 1885 bis 1888, Harnburg 1890, S. 17 und 19; Statistisches Handbuch für den
IV. Verbesserte Umweltbedingungen: Sanitäre Reformen und Sterblichkeitswandel
294
Tabelle 4.6
Soziale Ungleichheit und Abdominaltyphus-Erkrankungen und -Sterbefälle in Hamburg, 1885-1888 (pro 1.000 Lebende) Mortali- Morbidi- Letalität Gesamt- Einkorn- Bewoh- Wohnun Dienst-gen mit boten ner/ men/ Typhus mortalität tät WohKopf Bad Typhus Typhus tät nung (1885) (1886) (1885) (1885) (1887) inM inv.H. 20,7 9,0 74,3 2,8 4,5 550 11,1 9,9 Altstadt Nord 12,8 3,6 4,8 536 22,2 67,1 11,4 8,6 Altstadt Süd II ,2 5,0 4,6 20,8 59,7 8,2 551 II ,5 Neustadt Nord 4,4 24,7 5,1 74,6 0,6 10,2 8,9 280 Neustadt Süd 65,8 10,8 8,1 St. Georg 19,8 9,9 4,6 722 18,6 Nord 4,7 23,2 9,4 3,4 423 Süd 10,1 63,0 1,6 4,7 7,4 343 22,6 9,9 St. Pauli Nord Süd 1.752 14,2 41,4 47,2 31,8 10,9 5,0 5,7 Rother-baum 14,2 49,2 55,4 44,8 10,1 5,4 5,9 2.256 Harvestehude 21,9 16,2 61,4 8,5 10,7 4,6 7,4 519 Eims-büttel 21,7 17,8 78,0 10,9 6,8 4,9 5,4 553 Eppen-dorf 5,3 14,0 9,3 103,5 4,3 3,9 4,9 474 Winter-hude 1.149 18,4 24,4 61,0 19,4 9,4 5,2 6,6 Uhlen-horst 24,7 7,8 57,1 3,1 6,7 5,2 4,4 266 Barm-beck 34,5 59,0 21,5 7,9 4,3 5,3 1.051 15,9 Hohen-felde 115,9 7,1 9,3 480 24,5 14,5 5,7 4,4 Eilheck 51,4 5,8 23,8 14,5 7,2 9,3 4,2 518 Borgfelde 9,4 2,7 21,8 14,7 24,2 8,5 4,8 562 Hamm 86,2 4,7 4,6 4,7 237 19,6 6,0 2,1 Horn 27,0 38,5 0,4 11 ,7 4,5 5,3 218 2,2 Billwär-der A. 8,6 22,7 133,3 6,4 4,7 266 4,1 Stein-wärder 0,1 45,5 11,2 4,8 5,9 364 17,5 6,5 Kl. Gras0,8 brook 10,1 59,7 15,7 Auf Schiffen Stadtteil
•
-
-
-
-
-
-
-
-
-
• Anteil der Haushaltungen mit Dienstboten (in v. H.) +Anteil der Kinder unter 15 Jahren an der Bevölkerung (in v. H.) $Anteil der weiblichen Erwerbstätigen (in v. H. der Erwerbstätigen)
-
Weibliehe Erwerbstätige (1900) (1885) $ + 29,3 27,5 25,4 28,1 30,3 28,5
Kinder < 15
31,9
-
27,4 35,4 32,4
25,2
-
32,4 19,7
-
23,6 26,2
24,8 24,5 39,3 52,3
36,0 32,9 30,9 36,6 35,2 28,4 33,4 36,6 38,4 35,4 42,5
25,0 29,5 34,1 26,8 23,9 39,4 28,8 28,6 25,3 24,0 14,7
38,1 35,6
16,8 16,8
-
-
Quellen: J. J. Reincke, Der Typhus in Harnburg mit besonderer Berücksichtigung der Epidemien von 1885 bis 1888, Harnburg 1890, S. 16, 17 und 19; Statistik des Harnburgischen Staates, Heft 15, 2. Abteilung (1894), S. 57; Statistik des Harnburgischen States, Heft 17 (1895), S. 8; C. Wischermann, Wohnen in Harnburg vor dem Ersten Weltkrieg, Münster 1983, S. 445, 463, 469, 475 und 476.
Harnburgischen Staat, Hg. v. Statistisches Bureau der Steuer-Deputation, 4. Ausgabe, Harnburg 1891, S. 19; Statistik des Harnburgischen Staates 15, 2. Abteilung (1894), S. 57.
2. Städtische Infrastrukturmaßnahmen und der Wandel der Sterblichkeit
295
Tabelle 4. 7 Soziale Ungleichheit und Abdominaltyphus-Erkrankungen und -Sterbefälle in Hamburg, 1885-1888 (pro 1.000 Lebende)- Korrelationskoeffizienten Mortali- Morbidi- Letalität Gesamt- Einkorn- Bewoh- Wohnun Dienstner/ -genmit boten Typhus mortalität men/ tät tät (1887) Kopf Wohnung Bad Typhus Typhus (1886) (1885) (1885) (1885) inM inv.H •
TM TM TMI TL
CDR EK BW WB
DB K WE
TMI
TL
CDR
EK
BW
WB
Kinder < 15
Weibliehe Erwerbs(1885) tätige $(1900) +
DB
K
WE
-,1317 -,3587 -,2337 •,4827 -,1908 -,2862 -,0913 1,0000 ,3371 ,2597 ,2225 ,1479 -,1621 ,3371 1,0000 ..-,6207 -,0295 ,1347 -,1998 ,1361 -,2623 -,0443 -,2731 1,0000 ,0484 -,2684 -,0245 -,0902 •,4827 .. -,6207 ,2597 ,1347 ,0484 1,0000 ..-,6989 •-,4985 .. -,6679 .. -,6780 ••,6!70 .. -,6960 1,0000 •,4602 •• ,9835 ••,9628 .. -,5944 ••,8418 -,1317 ,2225 -,2623 .. -,6989 •,4602 1,0000 • ,4435 -,3587 -,1998 -,0443 •-,4985 ,3478 -,1729 ,3209 -,2337 ,1361 -,2731 .. -,6679 ••,9835 •,4435 1,0000 ••,9795 •-,5239 ••,8479 -,1908 ,3478 •• ,9795 1,0000 ••-,6012 ••,8673 ,1479 -,2684 .. -,6780 ••,9628 -,2862 -,1621 -,0245 ••,6170 ..-,5944 -,1729 •-,5239 .. -,6012 1,0000 .. -,7680 -,0913 -,0295 -,0902 .. -,6960 ••,8418 ,3209 ••,8479 ••,8673 ••-,7680 1,0000
0*- Signif. LE ,05
**- Signif. LE ,01
(2-seitig)
*Anteil der Haushaltungen mit Dienstboten (in v. H.) +Anteil der Kinder unter 15 Jahren an der Bevölkerung (in v. H.) $Anteil der weiblichen Erwerbstätigen (in v. H. der Erwerbstätigen) TM=Abdominaltyphus-Sterberate; TM I =Abdominaltyphus-Morbiditätsrate; TL=Abdominaltyphus-Letalitätsrate; CDR=Rohe allgemeine Sterberate (1887); EK=Einkommen pro Kopf(1886) (Mark); BW=Bewohner pro Wohnung (1885); WB=Wohnungen mit Bad (1885) in v. H.; DB=Dienstboten (1885); K=Anzahl der Kinder unter 15 Jahren (1885); WE=Weibliche Erwerbstätige ( 1900). Quellen: J J Reincke, Der Typhus in Harnburg mit besonderer Berücksichtigung der Epidemien von 1885 bis 1888, Harnburg 1890, S. 16, 17 und 19; Statistik des Harnburgischen Staates, Heft 15, 2. Abteilung (1894), S. 57; Statistik des Harnburgischen States, Heft 17 (1895), S. 8; C. Wischermann, Wohnen in Harnburg vor dem Ersten Weltkrieg, Münster 1983, S. 445, 463, 469, 475 und 476.
Wie gehabt, waren die Stadtteile, die an die Eibe grenzten, schwerer von den Epidemien betroffen als die entfernteren Gebiete. Dennoch blieb auch in diesen Krisenjahren die soziale Ungleichheit vor Krankheit und Tod bestehen. Wie aus der starken Beziehung zwischen sozialem Status und der allgemeinen Sterberate in Tabelle 4.7 zu ersehen ist, resultierte sie jedoch aus anderen Krankheiten, und kann zu einem großen Teil der Tuberkulose zugeschrieben werden. 145
145
Vgl. Kapitel III sowie Spree, Soziale Ungleichheit, S. 123-128 und Tab. 23.
296
IV. Verbesserte Umweltbedingungen: Sanitäre Reformen und Sterblichkeitswandel
Selbst in den Jahren nach der Epidemie vertraute man auf die Pettenkofersche Theorie. Erst nach der Cholera-Epidemie im Jahr 1892, von der Harnburg als einzige westeuropäische Großstadt betroffen war und die ein ähnliches Ausbreitungsmuster zeigte, jedoch mit 8.616 Todesf 15.000 Einw.
Schaubild 4.5 : Die Entwicklung der Sterblichkeit an akuten gastro-intestinalen Erkrankungen in den zehn größten deutschen Städten und im Durchschnitt aller Städte über 15.000 Einwohner, 1877- 1913
Ein Indiz in diese Richtung gibt auch die Entwicklung der Sterblichkeit an gastro-intestinalen Erkrankungen unter den ein- bis filnfjährigen Kindern. Da selten über das erste Lebensjahr hinaus gestillt wurde, sind hier die Sterberaten sozusagen bereinigt von lokalen Unterschieden in den Stillquoten. Entsprechend könnten Unterschiede in den Sterberaten dieser Altersgruppe zwischen Stadt und Land auf den Einfluß sanitärer Reformen in den Städten zurückzufUhren sein. Nach den Tabellen 2.12. bis 2.15 lagen die städtischen Sterberaten beständig unter denjenigen filr ganz Preußen, aber der Vorsprung der Städte vergrößerte sich von Stichjahr zu Stichjahr von drei Prozent im Jahr 1877 über 17 Prozent im Jahr 1885 auf schließlich 41 Prozent um 1900. Nach der Jahrhundertwende ist ein direkter Vergleich wegen der bereits angesprochenen Veränderung der Todesursachenklassifikation in Preußen schwierig, immerhin aber liegen die städtischen Werte weiterhin unter den preußischen. Insgesamt scheint ein positiver Einfluß der sanitären Reformen plausibel, allerdings ist der Zusammenhang von sanitären Reformen und Sterblichkeit nicht so stark ausgeprägt wie beim Abdominaltyphus. Da gastro-intestinale Störungen hauptsäch-
2. Städtische Infrastrukturmaßnahmen und der Wandel der Sterblichkeit
305
lieh Säuglinge betrafen und diese eine der größten städtischen Risikogruppen darstellten, wendet sich die Analyse im folgenden den potentiellen Effekten der sanitären Reformen auf die Säuglingssterblichkeit zu.
Sanitäre Reformen und die Entwicklung der Säuglingssterblichkeit
Ernährungspraktiken waren nach wie vor zu einem Großteil für das Niveau der Säuglingssterblichkeit verantwortlich, 186 abzulesen an den hohen Werten in den bayerischen Städten München und Nürnberg (vgl. Tabelle 2.18), wo das Stillen der Säuglinge keine verbreitete Praxis war. 187 Da die Stillquoten in den Städten während der Untersuchungsperiode beständig abnahmen, wurde entsprechend die Versorgung mit hygienisch einwandfreiem Wasser zunehmend wichtiger, da die sogenannte künstliche Ernährung in der Regel mit Wasser zubereitet und tierische Milch mit Wasser verdünnt wurde. 188 In der Tat begann die Säuglingssterblichkeit im Durchschnitt aller Städte mit mehr als 15.000 Einwohnern ab Mitte der 1880er Jahren zu sinken, und die Streuung der Werte in den zehn größten Städten ging zurück (vgl. Schaubild 2.10). Je höher dabei die Ausgangswerte in den einzelnen Städten waren, desto stärker fielen die Sterberaten - und zwar im Trend nahezu kontinuierlich (Schaubild 4.6). 189 Das Beispiel Harnburg zeigt erneut, daß verbesserte Umweltbedingungen eine wichtige Rolle spielten. Nach Einbau der Filteranlage als Antwort auf die schwere Cholera-Epidemie sank nicht nur das Sterberisiko an Abdominaltyphus und Erkrankungen der Verdauungsorgane, sondern es wurde auch den Säuglingen eine erhöhte Lebenschance geboten. Allerdings können die besseren Überlebenschancen der Säuglinge generell nicht allein auf dadurch verbesserte künstliche Ernährungspraktiken zurückgeftlhrt werden: Die Korrelation zwischen Wasserverbrauch und Höhe der Säuglingssterblichkeit ist schwach
186 F Prinzing, Die Entwicklung der Kindersterblichkeit in den europäischen Staaten, in: Jahrbücher fiir Nationalökonomie und Statistik, Ill. Ser., 17 (1899), S. 577-635; J. Knodel l H. Kintner, The Impact of Breastfeeding Patterns on the Biometrie Analysis of Infant Mortality, in: Demography 14,4 (1977), S. 391-409. 187 F. Beetz, Die Gesundheitsverhältnisse der K.B. Haupt- und Residenzstadt München. Ein hygienischer Führer flir Einheimische und Fremde. München 1882, S. 23; Nürnberg. Festschrift dargeboten den Mitgliedern und Teilnehmern der 65. Versammlung der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Ärzte vom Stadtmagistrate Nürnberg. Herausgegeben im Auftrage desselben von W. Beck, F. Goldschmidt und E. Hecht, Nürnberg 1892, S. 173.
188 Vgl. auch J. Vögele, Urbanization, Infant Mortality and Public Health in Imperial Germany, in: C. A. Corsini I P. P. Viazzo (Hgg.), The Decline oflnfant and Child Mortality. The European Experience: 1750-1990, UNICEF, Den Haag 1997, S. 109-127. 189 Quellen: Veröffentlichungen des Kaiserlichen Gesundheitsamtes (Beilagen) 2 (1878) - 38 (1914).
20 Vögele
IV. Verbesserte Umweltbedingungen: Sanitäre Reformen und Sterblichkeitswandel
306
ausgeprägt. 190 Das könnte daran liegen, daß andere Komponenten der künstlichen Ernährung ebenfalls eine wichtige Rolle spielten. In diesem Zusammenhang sind insbesondere Menge und Qualität der in den Städten zur Verfugung stehenden behandelten Tiermilch zu nennen. Das folgende Kapitel beschäftigt sich deshalb mit dem Ausbau der kommunalen Milchversorgung und der Entwicklung der Säuglingssterblichkeit.
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1890
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1905
1910
1915
Jahr
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~- München-- -
-Leipzig
~- Dresden
Schaubild 4.6: Die Entwicklung der Säuglingssterblichkeit in ausgewählten deutschen Städten, 1877 - 1913
190 Eine Korrelation von privatem Wasserverbrauch pro Kopf und Tag und der Säuglingssterbeziffer in den zehn größten deutschen Städten liefert folgende Koeffizienten: p (zweiseitig); 0,500; 1888: r ;-0,2597, p(zweiseitig);0,196. 1912: r;-0,4749, Quellen: Statistisches Jahrbuch deutscher Städte I (1890)- 21 (1916); Veröffentlichungen des Kaiserlichen Gesundheitsamtes (Beilagen) 13 (1889) und 37 (1913).
3. Städtische Milchversorgung und die Entwicklung der Säuglingssterblichkeit
307
3. Städtische Milchversorgung und die Entwicklung der Säuglingssterblichkeit a) Einführung und Forschungsstand Wichtiger Bestandteil der sanitären Refonnen war die Einrichtung öffentlicher Milchversorgungsanstalten. Für Großbritannien wurde behauptet, daß der substantielle Rückgang der Säuglingssterblichkeit um die Jahrhundertwende zu einem großen Teil auf die verbesserte Versorgung mit pasteurisierter Milch, die Einführung und Verbreitung von Trockenmilch als Säuglingsnahrung und nicht zuletzt auf die zunehmende Verwendung von Kondensmilch zurückzuführen sei. 191 Neuere methodisch anspruchsvollere Studien zeigen sich jedoch über den Einfluß der kommunalen Milchversorgung in Großbritannien auf den Rückgang der Säuglingssterblichkeit skeptischer. Da das Stillen in englischen Städten weit verbreitet war - die Stillquoten lagen dort bei über 90 Prozent -, sei die Gesundheit der Säuglinge mehr von demographischen und sozio-ökonomischen Faktoren abhängig gewesen. 192 Manche Autoren sehen im häufigen Gebrauch von qualitativ schlechter Milch sogar die Ursache für einen allgemein schlechten Gesundheitszustand, insbesondere wegen des gehäuften Auftretens von Tuberkulose, die auch durch Milch übertragen werden konnte, und vor allem der Durchfallerkrankungen. 193 Im folgenden sollen diese widersprüchlichen Hypothesen für Deutschland überprüft werden. Dazu sollen Quantität und Qualität der städtischen Milchversorgung in den deutschen Großstädten untersucht und in Verbindung mit dem epidemiologischen Wandel bewertet werden. Im Vordergrund steht dabei die Entwicklung der Sterblichkeit an Tuberkulose und an gastro-intestinalen Störungen unter den Säuglingen und Kleinkindem sowie die Säuglingssterblichkeit insgesamt. In Deutschland bot sich aufgrundder geringen Stillquote und den im Todesursachenpanorama dominierenden gastro-intestinalen Erkrankungen eine voll-
191 M W Beaver, Population, Infant Mortality and Milk, in: Population Studies 27 (1973), S. 243-254; D. Dwork, War is Good for Babies and Other Young Children: A History of the Infant and Child Welfare Movement in England, 1898-1918, London 1987.- Ähnlich filr USA anhand einer Lokalstudie: Leavitt, The Healthiest City, S. 156-189. 192 R. Woods I P. A. Watterson I J. H Woodward, The Causes ef Rapid Infant Mortality Decline in England and Wales, in: Population Studies 42 (1988), S. 343-366 und 43 (1989), S. 113132, hier S. 116-120. 193 P. J Atkins, White Poison?: The Social Consequences of Milk Consumption in London, 1850-1939, in: Social History ofMedicine 5 (1992), S. 207-228, hier S. 227.
308
IV. Verbesserte Umweltbedingungen: Sanitäre Reformen und Sterblichkeitswandel
kommen andere Ausgangssituation als in England. Trotz intensiver Stillpropaganda und den im Zuge der aufkommenden Säuglingsfürsorge gewährten Stillprämien - dazu ausführlich in Kapitel V - nahm die Stillquote in Deutschland beständig ab. 194 Der Rückgang der städtischen Säuglingssterblichkeit war somit ebenfalls mit einem Rückgang des Stillens verbunden. Eine adäquate und weitverbreitete Versorgung mit tierischer Milch hätte damit ein wesentlich höheres Wirkungspotential als in anderen Ländern gehabt. Sie hätte substantiell zu einem Rückgang der Erkrankungen der Verdauungsorgane der Säuglinge und so zu einem entscheidenden Sinken der Säuglingssterblichkeit insgesamt führen können. Besonders bei abnehmender Stillhäufigkeit in den Städten und in Gebieten, in denen die Säuglinge hauptsächlich künstlich ernährt wurden, war die Qualität der Milch von äußerster Wichtigkeit, um die gefürchtete Sommerdiarrhöe zu vermeiden. Eine zusätzliche Kontrollvariable bietet die Entwicklung der Sterblichkeit an Tuberkulose unter Säuglingen und Kleinkindern, aus der sich Rückschlüsse auf die Qualität der Milchversorgung ziehen lassen.
b) Der Ausbau der kommunalen Milchversorgung
Während die Städte riesige Summen in den Ausbau von zentraler Wasserversorgung und Kanalisation steckten, auch im Glauben, die Schockkrankheiten der Zeit, Cholera und Typhus, zu bekämpfen, folgte der Ausbau der städtischen Milchversorgung mit einiger Verspätung und zunächst nur zögerlich. Erst mit sinkenden Geburtenraten fand die hohe Säuglingssterblichkeit wissenschaftliche und politische Beachtung. Während nur noch wenige Fachleute die hohen Sterberaten auf die städtischen Wohnverhältnisse zurückführten, 195 rückte die Sorge nach angemessener Säuglingsernährung immer stärker in den Mittelpunkt, der spezielle Begriff der 'Kindermilch' wurde geprägt, 196 und die Bereitstellung adäquater tierischer Milch in den Gemeinden zu einer Aufgabe von äußerster Dringlichkeit erhoben. Bereits in den 1860er Jahren entwickelte Louis Pasteur das nach ihm benannte Verfahren zur besseren Haltbarmachung der Milch. 197 In Deutschland begann der Verkauf von pasteurisierter und sterilisierter Milch schließlich Ende der 1880er Jahre mit der Erfindung des Soxhlet-Apparates (1886), wodurch die Milch in der Flasche ,erhitzt werden
Vgl. auch Kapitel II 4. Vgl. Kapitel III. Für ~nen Überblick siehe: C. Flügge, Großstadtwohnungen und KleinhaussiedJungen in ihrer Einwirkung auf die Volksgesundheit, Jena 1916. 196 Pfa.ffenholz, Säuglings-Sterblichkeit und Kindermilch, in: Centralblatt für allgemeine Gesundheitspflege 21 (1902), S. 183-200, hier S. 183. 197 R. Dubos, Pasteur and Modern Science, Madison 1988. 194 195
3. Städtische Milchversorgung und die Entwicklung der Säuglingssterblichkeit
309
konnte. Da dieses Verfahren nicht patentiert wurde, verbreitete es sich rasch, 198 war aber fiir die änneren Schichten nicht erschwinglich. 199 Eine vollkommene Sterilisierung der Milch war teuer und wurde deshalb in der Praxis kaum vorgenommen. Das Aufkochen der Milch war mit einem beträchtlichen Verlust ihres Vitamingehaltes verbunden. Zudem blieb die teilweise Sterilisierung oder Pasteurisierung der Milch lange Zeit umstritten, da sie als Ursache verschiedener Säuglingserkrankungen angesehen wurde (Säuglingsskorbut). Man empfahl daher, pasteurisierte Milch nur im Sommer zu verwenden, in den kühleren Monaten wurde eine Behandlung der Milch dagegen als überflüssig erachtet.200 Da diese nicht unter das unzureichende Nahrungsmittelgesetz von 1879 fiel/01 und im Jahr 1900 nur drei Städte (Berlin, Dresden, München) spezielle Regulative zur 'Kindennilch' hatten/02 blieb die Qualität der Milch problematisch. 203 Teilweise sterilisierte Milch wurde in braunen oder grünen Flaschen verkauft, um eine visuelle Qualitätsprüfung der Milch anband ihrer Farbe zu verhindem.204 Selbst aus der Zeit um die Jahrhundertwende liegen zahlreiche Berichte vor, daß die Milch durch Tierfutter, -haare und -kot so stark verunreinigt war, daß sie durch die üblichen Sterilisierungsverfahren nicht haltbar, geschweige denn keimfrei gemacht werden konnte. 205 Vor zunehmender Milchverfalschung vornehmlich
198 P. Wilbert, Ueber den Einfluss der Ernährungsweise auf die Kindersterblichkeit, Bonn 1891, S. 30. 199 St. Engel, Grundriss der Säuglingskunde. Ein Leitfaden fur Schwestern, Pflegerinnen und andere Organe der Säuglingsfilrsorge nebst einem Grundriss der Säuglingsfürsorge von M. Baum, Wiesbaden s·6 1917, S. 80; 0. Heubner, Säuglingsernährung und Säuglingsspitäler, Berlin 1897, S. 1-3. 200 L. Spiegel, Kommunale Milchversorgung, in: Schriften des Vereins filr Socialpolitik 128 (1908), S. 219-243, hier S. 231. 201 Fehlende Definitionen, Qualitätsnormen und Ausfuhrungsbestimmungen kennzeichneten dieses erste Nahrungsmittelgesetz. Vgl. Grüne, Anfange staatlicher Lebensmittelüberwachung, S. 43-76. Ferner auch E. Schmauderer, Studien zur Geschichte der Lebensmittelwissenschaft, Wiesbaden 1975; E. Heischkel-Artelt (Hg.), Ernährung und Ernährungslehre im 19. Jahrhundert, Göttingen 1976. In europäischer Perspektive J. Burnett I D. J. Oddy (Hgg.), The Origins and Development of Food Policies in Europe, London 1994. 202 Pfa.ffenholz, Säuglings-Sterblichkeit, S. 183-184. Vgl. auch A. Keller, Kommunale Säuglingsfursorge. Äntliche Erfahrungen, in: A. Keller (Hg.), Ergebnisse der Säuglingsfllrsorge, Heft I. Leipzig 1908, S. 1-103, hier S. 52-53. 203 Vgl. dazu H. J. Teuteberg, Food adulteration and the beginnings of uniform food legislation in late nineteenth-century Germany, in: 1. Burnett I D. J. Oddy (Hgg.), The Origins and Development ofFood Policies in Europe, London 1994, S. 146-160. 204 C. Flügge, Die Aufgaben und Leistungen der Milchsterilisierung gegenüber den Darmkrankheiten der Säuglinge, in: Zeitschrift filr Hygiene und Infectionskrankheiten 17 (1894), S. 272-342, hier S. 321. 20s P. Mayet, 25 Jahre Todesursachenstatistik, in: Vierteljahreshefte zur Statistik des Deutschen Reiches 3 (1 903), S. 162-177, hier S. 167-168 und die dortigen weiteren Literaturangaben; M
310
IV. Verbesserte Umweltbedingungen: Sanitäre Reformen und Sterblichkeitswandel
in den Städten wurde eindringlich gewarnt; insbesondere wurde das Entrahmen der Milch und die Verdünnung mit Wasser angeprangert. 206 Bereits sauer gewordene Milch wurde mit kohlensaurem Natron oder Kreide versetzt, um sie zu entsäuern, zur Konservierung wurden anstelle der teuren Verfahren "Salicylsäure, Borsäure, benzoesaueres Natron, Saccharin, schwefelige Säure, Formalin in erheblichen Mengen" zugesetzt. 207 Der Düsseldorfer Journalist Isaak Thallieimer erstellte noch 1910 eine Fallsammlung, in der er zahlreiche Milchverfälschungen anprangerte. 208 Dort ist die Rede von Gerichtsurteilen gegen Milchverfälscher, in deren Milch hohe Anteile an Kot und Stroh, an Formalin (einem Desinfektionsmittel) und an Wasser aufgefunden wurden. Pädiater fiihlten sich genötigt, immer wieder in Erinnerung zu rufen, daß es sich bei Milch um ein Nahrungsmittel handele, bei dem Verunreinigungen ebensowenig zu dulden seien, wie es bei anderen Nahrungsmitteln längst Gewohnheit sei. 209 Die Milchversorgung der Städte basierte zunehmend auf Import, da die Viehhaltung in den Städten stark zurückging. In Breslau kamen 1880 ca. 8 Prozent aus Ställen vor Ort, 1910 waren es nicht einmal mehr 2 Prozent. 210 Was als beträchtliche Verbesserung der Stadthygiene angesehen wurde, hatte durchaus auch negative Folgen: Lange Transportwege und ungenügende Transportmittel fiihrten - insbesondere in den heißen Sommermonaten - zu einer starken Beeinträchtigung der Milchqualität.211 So waren beispielsweise fiir die Milchversorgung der Stadt Düsseldorf Importe aus Standorten von bis zu 80 Kilometer Entfernung notwendig, um den eigenen Bedarf zu decken. 212 Lange Wege verteuerten zusätzlich die Milch. Während die Beschaffung und Aufbereitung der Milch zunächst freien Händlern überlassen worden war, gingen die Gemeinden Rubner, Lehrbuch der Hygiene, Leipzig 6 1900, S. 510-531; Festschrift Nürnberg 1892, dargeboten den Mitgliedern und Teilnehmern der 65. Versammlung der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Ärzte vom Stadtmagistrate Nümberg. Herausgegeben im Auftrage desselben von W. Beck, F. Goldschmidt und E. Hecht, Nürnberg 1892, S. 203,207. 206 Vgl. beispielsweise A. Hilger, Verfälschung der Nahrungs- und Genussmittel, in: H. v. Ziemssen (Hg.), Handbuch der Speciellen Pathologie und Therapie, Bd. I, Erster Theil. Leipzig 3 1882, S. 241-308, hier insbesondere S. 241-251. 207 Rubner, Lehrbuch, S. 525; P. Wilbert, Ueber den Einfluss der Ernährungsweise auf die Kindersterblichkeit, Bonn 1891, S. 30. 208 I. Tha/heimer, Milchversorgung. DüsseldorflJ922, S. 4-6.
Engel, Grundriss der Säuglingskunde, S. 74. Gesundheits- und Wohlfahrtspflege der König!. Haupt- und Residenzstadt Breslau, S. 193. 211 F L. Dodd, Municipal milk and Public Health, London 1905 (=Fabian Tract 122), S. II. 212 StA Düsseldorf, lii 4901, Der Verkehr mit Milch, Butter und Käse, März 1913; StA DUsseldorf, VII 711 , Schreiben Oberbürgermeister DUsseldorf an den Ausschuß zur Sicherung der Milchversorgung im rheinisch-westfälischen Industriegebiet, 30.1.1918; zum Milchbedarf vgl. auch: Das Reichsgesundheitsamt 1876-1926. Festschrift herausgegeben vom ReichsgT------.~~r...------~--------~-------:
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Schaubild 5.5: Die Entwicklung der Sterblichkeit an Diphtherie in den zehn größten englischen Städten sowie in England und Wales, 1877- 1913
3. Krankenanstalten und ihre Patienten: Das Beispiel DUsseldorf
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Schaubild 5.6: Morbidität, Mortalität und Letalität an Diphtherie in Hamburg, 1872- 1900
3. Pforten zum Tod ? - Die Krankenanstalten und ihre Patienten: Das Beispiel Dösseidorf Während des 19. Jahrhunderts wandelte sich das Krankenhaus in Europa von einer sozialen zu einer medikalen Einrichtung. Aufbewahrungs- und Versorgungsfunktion traten zunehmend in den Hintergrund; die Behandlung der Patienten wurde zum primären medizinischen Anliegen. Von den vielfältigen Faktoren, die zu diesem Funktionswandel beitrugen, wurden bislang hauptsächlich solche untersucht, die der Angebotsseite zuzurechnen sind. Im Mittelpunkt standen etwa naturwissenschaftliche Erkenntnisse, medizintechnischer Fortschritt sowie sozialpolitische Aspekte (insbesondere der Armenfürsorge und Sozialversicherung). 77 Vernachlässigt wurden dagegen Aspekte der Nachfrageseite; sie wurde im wesentlichen als konstant angenommen. Dabei liegt auf der Hand, daß ein Funktionswandel der Institution Krankenhaus we-
77 Einen Überblick bezUglieh des deutschen Forschungsstandes bieten R. Spree, Krankenhausentwicklung und Sozialpolitik während des 19. Jahrhunderts, in: HZ 260 (1995), S. 75-105; A. Labisch IR. Spree (Hgg.), "Einem jeden Kranken in einem Hospitale sein eigenes Bett". Zur Sozialgeschichte des Allgemeinen Krankenhauses in Deutschland im 19. Jahrhundert, Frankfurt 1996.
344
V. Stadt, Medizin und Gesundheit
sentlich durch ihre Klientel bestimmt wurde. Mithin rücken die Patienten des historischen Krankenhauses unter verschiedenen Aspekten in den Vordergrund. Mittlerweile liegen filr Deutschland einige Fallstudien vor, die diese Thematik allerdings kaum unter der sozialhistorischen Perspektive von Stadt ufl.d Gesundheit sehen. 78 Ausnahmen bilden dagegen die Arbeiten von Barbara Leidinger und Arthur E. Imhof. Leidinger analysiert in einem weiteren Rahmen die sich wandelnde Sozialstruktur eines Bremer Krankenhauses im späten 19. Jahrhundert, um zu klären, filr wen das Krankenhaus in dieser Zeit seine Dienste tatsächlich anbot. 79 Imhof ging dieser mittlerweile klassischen Frage unter stärker demographisch-epidemiologischen Gesichtspunkten nach. Am Beispiel dreier Krankenhäuser in Berlin, Kongsberg und Kopenhagen untersucht er Sozialstruktur, Krankheiten und Todesursachen in verschiedenen Krankenhaustypen des 18. Jahrhunderts vor dem Hintergrund der sozialen Ungleichheit vor Krankheit und Tod. 80 In den folgenden Untersuchungen sollen Elemente dieser Fragestellung übernommen, erweitert und auf die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts übertragen werden. Die 1880er Jahre bildeten in Deutschland eine zentrale Über-
78 Wichtige, stärker an die Krankenhausgeschichte angelehnte Arbeiten sind: J. Bleker I E. Brinkschulte I P. Grosse (Hgg.), Kranke und Krankheiten im Juliushospital zu Würzburg 18191829. Zur frühen Geschichte des Allgemeinen Krankenhauses in Deutschland, Husum 1995; I. von Bueltzingsloewen, Pour une sociologie des populations hospitalisees: Le recours il l'höpital dans l'AIIemagne du premier X!Xe siecle, in: Annales de demographie historique (1994), S. 303316. Siehe auch eine Reihe unpublizierter medizinischer Dissertationen: K. Böhme, Untersuchungen über die Charite-Patienten von 1731 bis 1742. Eine Studie zur Funktion und Soziologie eines Krankenhauses im 18. Jahrhundert, Diss. med. dent., Humboldt-Universität Berlin 1969; C. Hanke, Untersuchungen über die Charite-Patienten von 1743-1752. Eine Studie zur Funktion und Soziologie eines Krankenhauses im 18. Jahrhundert, Diss. med., Humboldt-Universität Berlin 1981; H. Krecker I T. Krecker, Untersuchungen über die Charite-Patienten von 1754-1772. Eine Studie zur Funktion und Soziologie eines Krankenhauses im 18. Jahrhundert, Diss. med., Humboldt-Universität Berlin 1978. - Einen einfllhrenden Überblick gibt R. Spree, Quantitative Aspekte der Entwicklung des Krankenhauswesens im 19. und 20. Jahrhundert. "Ein Bild innerer und äußerer Verhältnisse", in: A. Labisch IR. Spree (Hgg.), "Einem jeden Kranken in einem Hospitale sein eigenes Bett". Zur Sozialgeschichte des Allgemeinen Krankenhauses in Deutschland im 19. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1996, S. 51-88. Dort finden sich auch weitere Literaturhinweise insbesondere auf unpublizierte Magisterarbeiten aus der Arbeitsgruppe um R. Spree. - Zu Finanzierungsaspekten vgl. R. Spree, Die Finanzierung von Krankenhäusern in Deutschland während des 19. Jahrhunderts, in: H.-J. Gerhard (Hg.), Struktur und Dimension. Festschrift fllr Karl Heinrich Kaufhold, Bd.2, Stuttgart 1997, S. 411-446. 79 B. Leidinger, "... solange ihre Behandlung die Zwecke der Anstalt nicht stört". Die Klientel des städtischen Krankenhauses Bremen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: A. Labisch I R. Spree (Hgg.), "Einem jeden Kranken in einem Hospitale sein eigenes Bett". Zur Sozialgeschichte des Allgemeinen Krankenhauses in Deutschland im 19. Jahrhundert, Frankfurt a.M., S. 337-356.
so A. E. lmhoj, Die Funktion des Krankenhauses in der Stadt des 18. Jahrhunderts, in: Zeit" schrift fur Stadtgeschichte, Stadtsoziologie u. Denkmalpflege 4 (1977), 215-242; A. E. Jmhoj, The Hospital in the 18th Century: For Whom?, in: Journal ofSocial History 10 (1977), S. 448-470.
3. Krankenanstalten und ihre Patienten: Das Beispiel DUsseldorf
345
gangsphase im Wandel der Krankenhäuser. Annenflirsorge und frühe Kranken(haus)kassen waren eine wichtige Stütze der Krankenhausexpansion, bevor in den 1890er Jahren die gesetzliche Sozialversicherung sie als Triebkraft der weiteren Entwicklung des Krankenhauswesens ablöste. Methodisch werden bislang vorliegende Ansätze entscheidend ausgeweitet, indem vitalstatistische Daten der städtischen Risikobevölkerung als Vergleichsfolie herangezogen werden. Die Menge der zu bearbeitenden Daten macht in diesem Fall eine Beschränkung auf eine Stadt des Sampies notwendig: Ausgewählt wurde wiederum die Stadt Düsseldorf, da fUr sie einschlägiges Quellenmaterial vorliegt. Konkret wird am Beispiel der drei wichtigsten Krankenanstalten der Stadt Düsseldorf gefragt, (1.) welche Personen im Krankenhaus Aufnahme fanden und (2.) wie effektiv die Anstalten arbeiteten. Dazu muß festgestellt werden, welche Gruppen nicht oder nur selten von den Krankenhäusern aufgenommen wurden. Dabei werden Alters- und Geschlechtsstruktur sowie Sterblichkeitsmuster der Krankenhauspopulation mit den entsprechenden Merkmalen der städtischen Bevölkerung verglichen, denn nur auf dem Raster der sozialen Verhältnisse und epidemiologischen Gegebenheiten in der Stadt können Funktion und Effizienz des Krankenhauses bestimmt werden. Als Quellen dienen Verwaltungsberichte und insbesondere die handschriftlich geführten Patientenjournale der Düsseldorfer Anstalten sowie epidemiologische Grunddaten der amtlichen Statistik, die fiir die Datenverarbeitung aufbereitet und systematisch mit Hilfe eines Datenbankprogrammes ausgewertet wurden. Dies bietet den Anlaß, gleichzeitig auf methodische Aspekte bei der Analyse von Patientenjournalen als wichtige sozialgeschichtliche Quellen einzugehen. Zunächst aber sei ein kurzer Überblick über die Düsseldorfer Krankenanstalten im 19. Jahrhundert gegeben.
Die Düsseldorfer Krankenanstalten im ausgehenden 19. Jahrhundert
In Düsseldorf entstanden, durchaus typisch für die Region, 81 relativ früh große konfessionelle Krankenhäuser, während die Stadtverwaltung im 19. Jahrhundert auf eigene Einrichtungen verzichtete. 82 Düsseldorf verfügte bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts über keinerlei städtische Krankenanstalt. Vielmehr regelte die Stadt die stationäre Behandlung von Annenkranken und der nach sanitätspolizeilichen Regeln zu isolierenden Kranken in Absprache
81 I. Müller, Die Entwicklung des Gesundheitswesens im Ruhrgebiet, in: Rubin. Wissenschaftsmagazinder Ruhr-Universität Bochum I (1991), S. 38-45. 82 E. Gatz, Kirche und Krankenpflege im 19. Jahrhundert. Katholische Bewegung und karitativer Aufbruch in den preussischen Provinzen Rheinland und Westfalen, München 1974, S. 524.
346
V. Stadt, Medizin und Gesundheit
mit den drei Krankenhäusern der religiösen Orden und Religionsgemeinschaften vor Ort, dem Hospital der Töchter vom heiligen Kreuz, dem Evangelischen Krankenhaus sowie dem Marienhospital. Als erstes konfessionelles Krankenhaus eröffnete in DUsseldorf im Jahr 1831 die Heilanstalt der barmherzigen Schwestern vom Heiligen Kreuz, die in ihrer Frühphase z.T. Modellcharakter für weitere Krankenhausgründungen im Rheinland gewann.83 Im Jahr 1852 wurde die Pflege den Lütticher Kreuzschwestern übertragen. Aufgenommen wurden Kranke unabhängig von ihrer Konfession; bis 1862 ausschließlich weibliche Kranke, danach auch Männer. 84 Sieche wurden abgelehnt, da die Aufenthaltsdauer aufmaximal3 Monate festgelegt war. Konfessionelle Rivalität innerhalb der Stadtgemeinde und geringe Bettenkapazität waren Auslöser für die Gründung des Evangelischen Krankenhauses. Im März 1849 beschloß ein kleiner Privatverein, ein eigenes evangelisches Krankenhaus zu gründen, das seine sehr bescheidenen Anfange in einer provisorischen Unterkunft in einem lutherischen Pastoratshaus nahm. Nachdem eigene Planungen für die Errichtung eines städtischen Krankenhauses in den 1850er Jahren gescheitert waren, trat 1860 die Düsseldorfer Stadtverwaltung an die Evangelische Kirchengemeinde mit der Bitte heran, ein neues konfessionelles Krankenhaus zu errichten.85 Die Kirchengemeinde übernahm es, ein Krankenhaus zu bauen, das den von der Stadt gestellten Anforderungen entsprach; die Stadt ihrerseits verpflichtete sich, Armenkranke an das Krankenhaus zu überweisen. Im Jahr 1864 erfolgte die Grundsteinlegung und bereits 1866 wurden während des deutsch-österreichischen Kriegs die ersten Militärpatienten im nur teilweise und provisorisch fertiggestellten Krankenhaus verpflegt. Ein Jahr darauf konnte es auch für die allgemeine Bevölkerung geöffnet werden, diente aber im deutsch-französischen Krieg 1870171 wiederum in erster Linie als Lazarett. Die Krankenpflege für die katholischen Kranken der Stadt wurde in den 1860er Jahren ebenfalls neuen Überlegungen unterzogen.86 Auch hier gründete sich ein gemeinnütziger Verein, die endgültige Realisierung zögerte sich aber wegen unterschiedlicher konzeptioneller Vorstellungen und einer komplizierten
Gatz, Kirche und Krankenpflege, S. 525 und 603. W. Woe/k unter Mitarbeit von U. Koppitz I A. Labisch, Gesundheit in der Industriestadt. Medizin und Ärzte in DUsseldorf 1802-1933. Ein Findbuch zu den Quellen, Dusseldorf 1996, 57-61; H Schadewa/dt I I. Mü//er, DUsseldorfund seine Krankenanstalten, DUsseldorf 1969, S. 54. 8s StA DUsseldorflll655. Zur Geschichte des Evangelischen Krankenhauses siehe Th. Kogge, Hundert Jahre Evangelisches Krankenhaus DUsseldorf. Bericht Ober die Geschichte des Hauses, DUsseldorf 1949. Siehe auch Woe/k, Gesundheit in der Industriestadt, S. 44-51. 86 Gatz, Kirche und Krankenpflege, S. 533. 83
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3. Krankenanstalten und ihre Patienten: Das Beispiel DUsseldorf
347
Rechtslage auf Jahre hinaus. 87 Nachdem das Marienhospital im deutschfranzösischen Krieg vorzeitig als Lazarett eröffnet worden war, konnte es ab 1871 ebenfalls der Allgemeinheit zugänglich gemacht werden. Laut Statut wurden kranke Personen ohne Unterschied des Geschlechts und des religiösen Bekenntnisses aufgenommen. 88 Aufgrund der Verträge und städtischer Unterhaltszuschüsse wurden diese Krankenhäuser nicht nur als öffentliche, sondern als quasi städtische Einrichtungen angesehen. Auf diese Weise sparte die Stadt enorme Geldsummen, da die gesamten investiven und ein erheblicher Teil der laufenden Kosten entfielen. 89 Bezahlt werden mußten im wesentlichen nur die direkten Aufwendungen für diejenigen Patienten, die über die städtische Armenverwaltung eingewiesen wurden. Im Rechnungsjahr 1896/97 überwies die Stadt 120.349 Mark für 2.296 Personen mit 83.233 Pflegetagen an die Krankenanstalten. 90 Das entsprach etwa 20 Prozent des gesamten Etats für die Armenpflege. Erst im August 1895 faßte die Stadtverordnetenversammlung auf Druck der Bezirksregierung den Beschluß, ein städtisches Barackenkrankenhaus zur provisorischen Unterbringung infektiös Erkrankter einzurichten. 91 Im August 1896 wurden zwei Pavillons eröffnet, so daß im folgenden Jahr bereits 590 Kranke verpflegt werden konnten. 92 Gleichzeitig begannen Planungen für den Neubau eines allgemeinen städtischen Krankenhauses, das allerdings erst 1907 eröffnet wurde. Das Krankenhaus verfügte über 929 Betten und versorgte im Eröffnungsjahr bereits 4.317 Patienten. 93
Quellen und Methoden
Detaillierte Informationen über die Patienten von Krankenhäusern liefern die Patientenjournale. In Düsseldorf ging hierfür die Initiative von der städti-
87 Gatz, Kirche und Krankenpflege, S. 528-530. Vgl. auch W. Haberling, Geschichte der DUsseldorfer Ärzte und Krankenhäuser bis zum Jahre 1907, in: DUsseldorfer Jahrbuch 1934-36. Beiträge zur Geschichte des Niederrheins 38, S. 1-141 (erschienen auch als Separatum). DUsseldorf 1936, hier S. 30-31; Schadewaldt I Müller, DUsseldorf, S. 61.
Woelk, Gesundheit in der Industriestadt, S. 52-56; Schadewaldt I Müller, DUsseldorf, S. 61. Labisch I Tennstedt, Allgemeine Krankenhäuser, S. 308-309. 90 DUsseldorf im Jahre 1898. Festschrift den Theilnehmern an der 70. Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte dargereicht von der Stadt DUsseldorf, DUsseldorf 1898, S. 181 . 91 F. Schrakamp, Gesundheitswesen, in: T. Weyl (Hg.), Die Assanierung der Städte in Einzeldarstellungen, Bd. 2.2: Die Assanierung von DUsseldorf, Leipzig 1908, S. 83-119, hier S. 115. 92 DUsseldorf im Jahre 1898, S. 218; s. auch Woelk, Gesundheit in der Industriestadt, S. 73-75. 93 Statistisches Jahrbuch deutscher Städte 17 (191 0), S. 270 und 272. 88
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348
V. Stadt, Medizin und Gesundheit
sehen Armenverwaltung aus. Für das späte 19. Jahrhundert sind die Journale der städtischen Armenkranken in .den drei wichtigsten Düsseldorfer Krankenanstalten des 19. Jahrhunderts (Marienhospital, Heilanstalt der barmherzigen Schwestern vom Heiligen Kreuz und Evangelisches Krankenhaus) flir die Rechnungsjahre 1.4.1886 bis 1.5.1893 überliefert. 94 Zusätzlich existieren Patientenjournale des Evangelischen Krankenhauses um die Jahrhundertwende, die sich nun nicht mehr auf die Armenkranken beschränken, sondern das gesamte Patientengut umfassen. Handschriftlich wurde hier über die einzelnen eingelieferten Patienten Buch geftihrt. Diese Quellen vermitteln personenbezogene Informationen zu den verpflegten Patienten: Name, Beruf, Geschlecht, Name des Vaters/Ehemannes, Personenstand, Adresse, Geburtsdatum, Diagnose(n), Aufnahmedatum, Entlassungsdatum, Behandlungsergebnis, Verpflegungstage und Kostenträger. Ausgewählt wurden die Patientenlisten der drei Düsseldorfer Krankenanstalten im Rechnungsjahr 1.4.1886/31.3 .1887 sowie des Evangelischen Krankenhauses im Jahr 1901. Damit wurde einerseits eine möglichst große Zeitspanne umfaßt und andererseits die Nähe zu den Volkszählungsjahren 1885 und 1900 gewährleistet Für die Auswertung berücksichtigt wurden alle Patienten, die in diesen Zeiträumen in die Krankenanstalten eingeliefert wurden. Informationen zu Langzeitpatienten wurden aus darauffolgenden Journalen ergänzt und flir die Auswertung in die entsprechenden Datensätze eingeftigt. Insgesamt ergibt sich ein Patientenbestand von 899 Personen im ersten Zeitraum und 1908 Personen im Jahr 1901 . Für diesen Personenkreis wurden alle Informationen der Quellen elektronisch erfaßt und flir die Analyse aufbereitet. Für die epidemiologische Analyse wurde das Klassifikationsschema der Diagnosen flir beide Perioden vereinheitlicht und - soweit möglich - der preußischen Todesursachenstatistik, den offiziellen Verwaltungsberichten sowie bislang vorliegenden Studien mit ähnlicher Fragestellung angepaßt, obwohl direkte Vergleiche mit den dort untersuchten Krankenanstalten wegen der unterschiedlichen Untersuchungszeiträume nur bedingt möglich sind. 95 Bei dieser Rekonstruktion geht es wie bei der Bearbeitung der Todesursachen nicht um eine direkte Übersetzung in eine moderne Terminologie. Guenter B. Risse hat darauf aufmerksam gemacht, daß es ftir das Verständnis der historischen Situation vielmehr essentiell ist, den zeitgenössischen Rahmen,.. der die Vor-
94
StA DUsseldorf 111 17525: Patientenjournal der Düsseldorfer Krankenanstalten 1886-1893.
Hier kommen insbesondere die Arbeiten von G. B. Risse, Hospital Life in Enlightenment Scotland. Care and Teaching at the Royal lnfirmary of Edinburgh, Cambridge 1986; A. Brändström I G. Broström, Life-Histories for Nineteenth-Century Swedish Hospital Patients: Changes of Survival, in: Journal of Family History 14 (1989), S. 195-209 sowie B/eker I Brinkschulte I Grosse, Kranke und Krankheiten, in Betracht. 95
3. Krankenanstalten und ihre Patienten: Das Beispiel DUsseldorf
349
stellungvon Krankheit bei Ärzten und Patienten prägte, beizubehalten.96 Insgesamt wurde fiir die sozialhistorische Analyse des Krankheitsspektrums ein gröberes Raster angelegt als bei den Todesursachen, da hier offensichtlich unter den Zeitgenossen noch größere Unsicherheiten in der Diagnose bestanden. Insbesondere die Unterscheidung von Scharlach und Diphtherie war wohl schwierig. So wurden beispielsweise im Stichjahr 1886/87 zwei Geschwister zur seihen Zeit in zwei verschiedene Krankenhäuser eingeliefert. In einem Krankenhaus wurde die Diagnose Diphtherie gestellt, im anderen lautete sie Scharlach. In einem anderen Beispiel wurde die Doppeldiagnose Diphtherie und Scharlach gestellt. Im Jahr 1901 dagegen traten solche Unsicherheiten nicht mehr auf. Trotzdem wurde an der relativ groben Klassifizierung festgehalten und nur in Einzelfällen gerrauer differenziert. Im Krankheitspanorama unterschied man akute Infektionskrankheiten, Krankheiten der Atmungsorgane, Herz-KreislaufErkrankungen, Erkrankungen der Verdauungsorgane, der Harn- und Geschlechtsorgane, des Nervensystems, der Bewegungsorgane, der Haut, venerische Krankheiten, Störungen der Ernährung und Entwicklung, chirurgische Krankheiten, Augenkrankheiten und sonstige Erkrankungen.
Das Krankenhaus-für wen? Die Patienten der Düsseldorfer Krankenanstalten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
Die Zahl der behandelten Kranken stieg rapide an (Tabelle 5.2): im Evangelischen Krankenhaus von 647 im Jahr 1870 auf2422 im Jahr 1910, im Marienhospital von 909 im Jahr 1872 auf 3237 im Jahr 1910 und im Hospital der Töchter vom heiligen Kreuz von 385 im Jahr 1872 auf 1220 im Jahr 1905. Bezogen auf die rasch wachsende Einwohnerzahl der Stadt wurden konstant zwischen 3 und 4 Prozent der Bevölkerung versorgt. 97 Zu Beginn der 1880er Jahre waren die Betten der Anstalten weder im Durchschnitt noch in Spitzenzeiten ausgelastet, das Angebot überstieg konstant die Nachfrage: Im Evangelischen Krankenhaus lag der höchste Krankenbestand zwischen 1879 und 1883 bei 111 Patienten auf200 Betten (am 21.12.1879), die Auslastung lag mit einer durchschnittlichen Verpflegungsdauer pro Bett und Jahr von 136 Tagen bei 37 Prozent. 98 Nach der Jahrhundertwende, im Jahr 1901, war die Auslastung
96
Risse, Hospital Life, S. 121.
Die wenigen von außerhalb DUsseldorfs kommenden Patienten wurden hierbei nicht berücksichtigt. 97
98 Berechnet aus A. Guttstadt, Krankenhaus-Lexikon fllr das Königreich Preussen. Die Anstalten filr Kranke und Gebrechliche und das Krankenhaus-, Irren-, Blinden- und Taubstummenwesen im Jahr I 885, hrsg. vom Königlichen Statistischen Bureau, Teil I, Berlin I 885, S. 222.
V. Stadt, Medizin und Gesundheit
350
wesentlich angestiegen: Sie belief sich im Evangelischen Krankenhaus mit nun 250 Betten auf 74 Prozent. In allen allgemeinen (nichtstädtischen) öffentlichen Heilanstalten DUsseldorfs betrug sie im Jahr 1907 bereits 88 Prozent. 99 Tabelle 5.2 Zahl der behandelten Kranken in den drei Düsseldorfer Krankenanstalten, 1870- 1910
Jahr 1870 1875 1880 1885 1890 1895 1900 1905 1910 # 1872
Evangelisches Krankenhaus 647 621 934 849 1445 2183 1958 2078 2422
MarienHospital #909 1008 1085 1369 2538 3564 3070 3070 3237
Kreuzschwestem #385 449 605 910 1085 1217 1282 1220
-
%der Bevölkerung 3 3 3 3 4 4 3 +3
-
+ einschl. der Patienten des Barackenkrankenhauses
Quellen: StA DUsseldorf li 1297, III 4042-44; IV 2364, IV 37781; Adressbücher der Stadt Düsseldorf; Verwaltungsberichte der Stadt Düsseldorf; Evangelisches Krankenhaus zu Düsseldorf, Berichte über die Verwaltung des evangelischen Krankenhauses, DUsseldorf !868fT; T Kogge, Hundert Jahre Evangelisches Krankenhaus Düsseldorf, DUsseldorf 1949; W Haberling, Die Geschichte der Düsseldorfer Ärzte und Krankenhäuser bis zum Jahr 1907, DUsseldorf 1936, S. 2835; 0. Brand/, Studien zur Wirtschafts- und Verwaltungsgeschichte der Stadt DUsseldorf im 19. Jahrhundert, DUsseldorf 1902, S. 352 und 355; DUsseldorf im Jahre 1898. Festschrift den Theilnehmern an der 70. Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte dargereicht von der Stadt Düsseldorf, DUsseldorf 1898, S. 207,209 und 215.
Konfessionelle Zusammensetzung der Patienten Trotz ihrer konfessionellen Trägerschaft waren die Anstalten bei den Patienten keinesfalls an die Religionszugehörigkeit gebunden. Im Evangelischen Krankenhaus befanden sich in den 1880er Jahren etwa zu gleichen Teilen Protestanten und Katholiken: 100 Im Jahr 1886 wurden 527 evangelische, 521 ka-
99 Berechnet aus: Statistisches Jahrbuch deutscher Städte 17 (1910), S. 276-277.- Zum Vergleich: Im Jahr 1995 belief sich die durchschnittliche Auslastung in deutschen Krankenhäusern auf 83 Prozent. Quelle: Daten des Gesundheitswesens, Ausgabe 1997, Baden-Baden 1997, S. 228 (Schriftenreihe des Bundesministeriums fllr Gesundheit 91 ).
""' HStA DüsseldorfRegD 1529, BI. 301.
3. Krankenanstalten und ihre Patienten: Das Beispiel DUsseldorf
351
tholische und 6 jüdische Patienten verpflegt. 101 Deutlich wird das auch bei Mehrfacheinlieferungen. Personen, die 1886 mehrfach in ein Krankenhaus eingeliefert wurden, wechselten durchaus zwischen den verschiedenen Anstalten. Nach einer geographischen Verkartung von Wohnsitz und Krankenhaus aus den Patientenjournalen gab in der Regel die räumliche Nähe den Ausschlag.
Sozialstruktur und Finanzierungsgrundlage der Patienten des Evangelischen Krankenhauses Die Analyse des Berufsspektrums kann lediglich ein grobes Bild der tatsächlichen Sozialstruktur vermitteln. Am häufigsten erscheinen (in alphabetischer Reihenfolge) die Berufsbezeichnungen Arbeiter, Dienstmägde, Fabrikarbeiter, Schlosser, Schreiner, Tagelöhner. Insgesamt gesehen war das Krankenhaus während dieser Zeit im wesentlichen eine Institution flir die unteren Schichten. 102 Berufe aus dem Bürgertum lassen sich selbst nach der Jahrhundertwende nur wenige finden, am ehesten noch bei den Angehörigen eingelieferter Patienten. Die männlichen Bürger schickten zunächst ihre erkrankten Ehefrauen oder Kinder in das allgemeine Krankenhaus. Wesentlich präziser lassen sich Elemente der Sozialstruktur des Patientenguts über die Finanzierungsgrundlage der Patienten gewinnen. Zentral sind hier (a) Patienten der Krankenkassen, (b) sogenannte Selbstzahler oder Privatpatienten und (c) Patienten der Armenkasse. (a) Während in Süddeutschland verschiedene Kassen als Sicherungsverbände flir die örtlichen Krankenhäuser auftraten, spielte in der zunächst in Preußen realisierten allgemeinen Krankenversicherung das Krankenhaus lediglich eine randständige Rolle. 103 Im Vordergrund stand hier der Lohnersatz im Krankheitsfall als Arbeiterschutzpolitik. Verstärkt wurde dies dadurch, daß
101 Dazu kam eine Person unbekannter Religionszugehörigkeit Quelle: Evangelisches Krankenhaus zu Dosseldorf, Bericht über das Jahr 1886, DUsseldorf 1887, S. 8. Vgl. auch A. Natorp, Geschichte der evangelischen Gemeinde in Düsseldorf. Eine Festschrift zur Einweihung ihres neuen Gotteshauses der Johanneskirche, DUsseldorf 1881 . 102
Vgl. auch die Angaben bei Spree, Quantitative Aspekte, S. 71-73.
Spree, Krankenhausentwicklung; A. Labisch I R. Spree, Die Kommunalisierung des Krankenhauswesens in Deutschland während des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, in: Schriften des Vereins filr Socialpolitik, Gesellschaft fllr Wirtschafts- und Sozialwissenschaften N.F. 240 (1995), S. 7-47, hier S. 21-27; A. Labisch, Stadt und Krankenhaus. Das Allgemeine Krankenhaus in der kommunalen Sozial- und Gesundheitspolitik des 19. Jahrhunderts, in: A. Labisch I R. Spree (Hgg.), "Einem jeden Kranken in einem Hospitale sein eigenes Bett". Zur Sozialgeschichte des Allgemeinen Krankenhauses in Deutschland im 19. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 1996, S. 253-296, hier S. 262-264. 103
352
V. Stadt, Medizin und Gesundheit
Dienstboten, Heimarbeiter, Tagelöhner und Landarbeiter bis in die 1880er Jahre ausgeschlossen blieben und Familienangehörige höchstens über eine freiwillige Zusatzversicherung mitversichert waren. Entsprechend gering fielen die Ausgabenanteile der gesetzlichen Krankenkassen fiir Krankenhauspflege vor dem Ersten Weltkrieg aus, sie lagen im Zeitraum 1885 bis 1913 zwischen 8,5 und 13,6 Prozent der Gesamtausgaben. 104 Dennoch bildeten die Kassenpatienten um die Jahrhundertwende im Evangelischen Krankenhaus mit 936 Patienten und einem Anteil von fast 50 Prozent die stärkste Gruppe (Tabelle 5.3). Insgesamt kamen diese Patienten auf 26.711 Verpflegungstage mit Verpflegungsgeldem von knapp 55.000 Mark. Pro Patient entfielen somit 28,5 Verpflegungstage und 58,5 Mark Verpflegungsgelder; pro Verpflegungstag belief sich die durchschnittliche Summe der Verpflegungsgelder auf 2, 1 Mark. Den Hauptanteil daran hatten 81 Betriebs- und Firmenkrankenkassen, gefolgt von 17 Orts- und 15 Innungskrankenkassen. 105 Für etwa die Hälfte dieser Patienten war die Ortskrankenkasse, insbesondere die der Handwerker (322 Patienten), zuständig. Es folgten die Betriebs- und Firmenkrankenkassen mit 277 Patienten sowie die sogenannten Dienstbotenabonnements mit insgesamt 146 Patienten. 4 Prozent dieser Kassenpatienten fielen im Verlauf ihres Krankenhausaufenthaltes aus der Kassenfinanzierung und wurden schließlich von der Armenkasse unterstützt. Ein starker Wechsel erfolgte in der 6. (Dienstbotenabonnements) und 13. (Kassen) Verpflegungswoche. Auch bei mehrfachem Krankenhausaufenthalt kam es häufig zu einem Abstieg in die Armenkasse. Hierzu ein Beispiel: 106 Der 35jährige Schreiner Heinrich Hackenwerd wurde viermal mit der Diagnose Lungenschwindsucht in das Krankenhaus eingeliefert. Den ersten Aufenthalt bezahlte die Ortskrankenkasse in Ratingen, nach ca. drei Wochen übernahm die Armenkasse die Finanzierung. Beim zweiten Aufenthalt bezahlte die Ortskrankenkasse zehn Wochen, die elfte Woche wurde wiederum von der Armenkasse übernommen. Bei seiner dritten Einlieferung war Hackenwerd nunmehr Mitglied der Ortskrankenkasse der Handwerker, die seinen dreimonatigen Aufenthalt vollständig finanzierte. Bei seinem vierten, langfristigen Aufenthalt war ausschließlich die Armenkasse zuständig.
104 F. Tennstedt, Sozialgeschichte der Krankenversicherung, in: M. Blohmke et al. (Hgg.), Sozialmedizin in der Praxis, Bd. 3, Stuttgart I 976, S. 385-492, hier S. 403. 105 Vgl. auch M Asmuth, Gewerbliche Unterstützungskassen in DUsseldorf. Die Entwicklung der Krankenversicherung der Arbeitnehmer 1841 bis 1884/85, Köln 1984. 106 Quelle: Evangelisches Krankenhaus der Stadt DUsseldorf: Patientenjournal des Evangelischen Krankenhauses 190 I.
3. Krankenanstalten und ihre Patienten: Das Beispiel DUsseldorf
353
(b) Den kleinsten Anteil von Patienten stellten die Selbstzahler. Im Untersuchungsjahrwurden 476 Privatpatienten in 11.986 Verpflegungstagen behandelt. Sie stellten damit 25 Prozent des gesamten Patientengutes. Zudem hatten sie die kürzeste Verweildauer: Nach durchschnittlich 25,2 Verpflegungstagen verließen sie die Anstalt wieder. Da sie allerdings in der Regel einen hohen Pflegesatz von bis zu 16 Mark pro Tag zahlten, lagen sie bei den Gesamtaufwendungen mit ca. 49.000 Mark, das sind 103,3 Mark pro Patient, fast gleich auf mit den Kassenpatienten und leisteten somit einen wesentlichen Beitrag zur Finanzierung des Krankenhauses. Gleichwohl gehörten nicht alle Privatpatienten zu den einkommensstärkeren Bevölkerungsgruppen. Über ein Viertel dieser Patienten lag zu einem Tagessatz von 2 Mark in der Dritten Klasse, die hauptsächlich für erwachsene Patienten der Krankenkassen und Armenverwaltungen vorgesehen war, 8 Prozent fielen im Verlauf ihres Krankenhausaufenthaltes in die Gruppe der armen Patienten. Dabei handelte es sich nicht etwa um Langzeitpatienten, denn der Übergang geschah in der Regel bereits in der ersten oder zweiten Woche. Betroffen waren vor allem abhängige Familienangehörige. Diese Patienten drückten selbstverständlich die durchschnittlich pro Patient gezahlten Verpflegungsgelder; mit 4,10 Mark pro Tag lagen diese aber immer noch doppelt so hoch wie bei den Kassenpatienten. (c) Weiterhin essentiell für die Finanzierung der Anstalten waren Klienten der kommunalen Armenfürsorge, die städtischen Armenkranken. Eine Revision der bestehenden Armenordnung von 1851 erfolgte im Jahr 1877, als die Armenverwaltung Düsseldorfs nach dem Elberfelder System reorganisiert wurde. Unterstützung wurde danach nur gewährt, wenn der Antragsteller über keine anderen Finanzierungsmöglichkeiten verfügte und auch keine Familienangehörigen oder Verwandten herangezogen werden konnten. So richteten die Düsseldorfer Krankenhäuser regelmäßig Beschwerden an die Stadt mit der Bitte, den Anteil der zugewiesenen Armen zu erhöhen. Ihre Zahl belief sich Mitte der 1880er Jahre in den drei Anstalten auf durchschnittlich etwa 900 Patienten pro Jahr. Die meisten davon entfielen 1886/87 auf das Evangelische Krankenhaus mit 387 armen Patienten, gefolgt vom Marienhospital mit 377 und dem Kreuzschwesternhospital mit 135. Auch im Verhältnis zum gesamten Patientengut nahm das Evangelische Krankenhaus die meisten Armenkranken auf; ihr Anteil betrug dort im Jahr 1886 etwa 35 Prozent, im Marienhospital21 Prozent und bei den Kreuzschwestern 15 Prozent. 107 Bis zur Jahrhundertwende war der Anteil der Armenkranken leicht rückläufig: Im Jahr 190 I etwa waren mit 536 Personen ca. 28 Prozent aller Patienten des Evangelischen Kranken-
107 Berechnet aus Angaben in den Patientenjournalen sowie DUsseldorf im Jahre 1898, S. 207, 215; Evangelisches Krankenhaus DUsseldorf, Bericht über das Jahr 1886, DUsseldorf 1887, S. 8.
23 Vögele
354
V. Stadt, Medizin und Gesundheit
hauses anne Kranke. 108 Trotz einer relativ hohen Zahl von Verpflegungstagen (23 .831, durchschnittlich 44,5 Tage pro Patient) belief sich die Summe der Verpflegungsgelder lediglich auf etwa 44.000 Mark. Wegen der langen Liegezeiten waren dies durchschnittlich zwar immerhin 81 ,6 Mark pro Patient, pro Tag wurden jedoch nur 1,8 Mark aufgewendet. Während die Annenkranken von der Patientenzahl her die zweitstärkste Gruppe stellten, bildeten sie für die Finanzierung der Krankenanstalten die schwächste Gruppe. Von städtischer Seite mag dies anders ausgesehen haben: Insgesamt zahlte die Stadt im Rechnungsjahr 1900/01 neben 3.000 Mark an laufenden Unterstützungen immerhin eine Summe von 106.431 Mark für I.465 Kranke und 55.542 Verpflegungstage an die nichtstädtischen Krankenanstalten. 109 Auch im 1907 eröffneten städtischen Krankenhaus, von dem man erhofft hatte, daß es zahlungskräftige Patienten anziehen würde, 110 machten die auf Kosten der Annenverwaltung verpflegten Patienten mit 48,7 Prozent die Hauptklientel aus; die Kosten von 31,7 Prozent der Patienten wurden über Krankenkassen, Berufsgenossenschaften, Invalidenversicherungsanstalten etc. abgerechnet, und nur 19,7 Prozent waren Seibstzahler. 111 AufVerpflegungstage berechnet fallen die Unterschiede noch krasser aus: 58, I Prozent entfielen auf die Annenverwaltung, 24, I Prozent auf die Kassen und 17,8 Prozent auf die Selbstzahler. Ähnliches gilt, wenn die konkreten Beträge berücksichtigt werden: Aus der Annenverwaltung erhielt die Anstalt mit 161.617 Mark den größten Posten, an zweiter Stelle folgten die Selbstzahler mit 139.998 Mark und darauf die Krankenkassen mit lediglich 64.228 Mark. 112
108
Quelle: Patientenjournal des Evangelischen Krankenhauses 1901.
Statistisches Jahrbuch deutscher Städte 12 (1904), S. 348. 110 So zumindest spekulierte der städtische Beigeordnete Max Greve in einem Gutachten, das den wirtschaftlichen Profit des Krankenhauses fllr die Stadt DUsseldorf herausstellte. Siehe Schadewaldt I Müller, Düsseldorf, S. 78. 111 Berechnet aus: Statistisches Jahrbuch deutscher Städte 17 (1910), S. 273. 112 Statistisches Jahrbuch deutscher Städte 17 (1910), S. 288. - Zu weiteren Angaben über Verpflegungstage von Selbstzahlern und Armen aus städtischen Krankenanstalten in verschiedenen deutschen Großstädten siehe 0. Most, Die städtische Krankenanstalten im Lichte vergleichender Finanzstatistik, DUsseldorf 1909, S. 16. 109
3. Krankenanstalten und ihre Patienten: Das Beispiel DOsseidorf
355
Tabelle 5.3
Die Finanzierung der Patienten im Evangelischen Krankenhaus, 1901 Patienten Krankenkassen davon: -Betriebs-/Firmenkassen -Ortskrankenkassen -Innungskassen -Berufsgenossenschaften -Schiedsgerichte -LVA Rheinprovinz -Kassen öffentl. Stellen -Abonnenten Arme Privatpatienten
936 277 434 38 22
5
7 7 146 536 476
Verpflegungstage absolut pro Patient 26.711 28,5
Verpflegungsgelder (in Mark) absolut pro Patient pro Tag 54.763
58,5
2, 1
9.670 10.912 1.519 865 27 322 126 3.270 23.831 11.986
19.340 21.898 2.960 1.748 54 644 350 6.810 43.748 49.179
69,8 50,5 77,9 79,5 10,8 92,0 50,0 46,6 81,6 103,3
2,0 2,0 2,0 2,0 2,0 2,0 2,8 2,1 1,8 4,1
34,9 25,1 40,0 39,3 5,4 46,0 18,0 22,4 44,5 25,2
Quelle: Patientenjournal des Evangelischen Krankenhauses 1901.
Geschlechts- und Altersstruktur der Patienten Arbeitsmarktstrukturen und Ausgestaltung der Krankenversicherung sorgten dafür, daß die männlichen Patienten in den Krankenanstalten überwogen. Bei den Armenkranken war das Verhältnis ausgewogener: Im Evangelischen Krankenhaus waren im Jahr 1886 etwa 65 Prozent aller Patienten männlichen Geschlechts, bei den Armenkranken 57 Prozent, obwohl in der Stadt Düsseldorf mehr Frauen als Männer lebten (49,8 Prozent Männer und 50,2 Frauen). 113 Dieses Verhältnis veränderte sich nur geringfügig. Das Krankenhaus war im Kaiserreich vor allem eine Institution für Kranke ohne Familienanschluß. 114 Im Evangelischen Krankenhaus des Jahres 1901 etwa waren nur 22 Prozent aller Patienten über 14 Jahre verheiratet, bei den Kassenpatienten 21 Prozent, bei den armen Patienten 18 Prozent und bei den Privatpatienten immerhin 29 Prozent.115 In der Stadtbevölkerung lag ihr Anteil dagegen bei 47 Prozent.
113 75 Jahre Statistisches Amt der Stadt Dosseidorf (1900-1975), hrsg. im Auftrage des Oberstadtdirektorsvom Statistischen Amt der Landeshauptstadt Düsseldorf, DOsseidorf 1975, S. II 0. 114 Vgl. Spree, Quantitative Aspekte, S. 68. 115 Unter den männlichen Patienten lag der Anteil bei 23 Prozent, unter den weiblichen bei 20 Prozent; bei den Armenkranken lag die Verteilung bei 15 bzw. 21 Prozent.
356
V. Stadt, Medizin und Gesundheit
Die überwiegende Zahl der Krankenhauspatienten in den Düsseldorfer Anstalten stand - durchaus typisch fi1r diese Zeit - im mittleren Lebensalter. 116 ~m stärksten vertreten waren Frauen und insbesondere Männer zwischen 15 und 30 Jahren. Prozentual gesehen war auch die Gruppe der Säuglinge stark vertreten; 117 Kinder, Jugendliche .und alte Menschen spielten dagegen eine weniger bedeutende Rolle (Schaubild 5.7).118 In der Risikobevölkerung, also bei den Einwohnern Düsseldorfs, bildeten dagegen die Säuglinge die größte Altersgruppe, gefolgt von den Jahrgängen zwischen 15 und 30 Jahren bei den Männem bzw. 1 Jahr bis 5 Jahren bei den Frauen. Bezieht man die Altersstruktur beider Populationen direkt aufeinander, wird deutlich, daß neben Kindem und Jugendlichen auch die Säuglinge relativ unterrepräsentiert waren (Schaubild 5.8). 119 Bedenkt man weiterhin das hohe Sterberisiko der Säuglinge- in Schaubild 5.8 dargestellt fiir DUsseldorf 1900 -, fand diese Risikogruppe nur beschränkten Zugang zum Krankenhaus. Umgekehrt war das Sterberisiko fiir die Altersklasse 15-30 Jahre relativ gering. Betrachtet man den Altersaufbau der städtischen annen Patienten isoliert, entspricht diese Kurve eher den tatsächlichen Sterberisiken. Die Differenz der beiden Kurvenverläufe spiegelt den Kontrast zwischen sozialpolitischen Interessen von Krankenhaus und Krankenkassen einerseits und den tatsächlichen Gesundheitsrisiken andererseits wider. Insgesamt stand offensichtlich die Wiederherstellung der Arbeitskraft von Menschen im mittleren Lebensalter im Vordergrund. Nach Kostenträgem differenziert, zeigen sich dabei unterschiedliche Schwerpunkte: Die Behandlung der männlichen Patienten wurde zu nahezu 60 Prozent ausschließlich von den Krankenkassen finanziert. Hier scheint die Wiederherstellung der Arbeitsfahigkeit zentrales Kriterium gewesen zu sein. Dagegen wurden nahezu die Hälfte der Patientinnen, die im Journal als Ehefrauen gefiihrt wurden, auf eigene Rechnung behandelt. Über 60 Prozent der Kinder wurden von der Armenkasse unterstützt. Dieses Verhältnis änderte sich kaum, während jedoch im Jahr 1886 die männlichen Kinder überwogen, war das Geschlechterverhältnis nach der Jahrhundertwende ausgeglichen. Bei der Versorgung der Familienangehörigen war die Rolle der Krankenkassen also marginal.
VgL Spree, Quantitative Aspekte, S. 68-71. Im Gegensatz zur amtlichen Statistik erlaubt die Auswertung der Patientenjournale eine präzise altersspezifische Differenzierung. Insbesondere die demographisch und epidemiologisch wichtige Gruppe der Säuglinge kann so isoliert betrachtet werden, während die publizierten Angaben diese in die Gruppe der unter zehn Jahre alten Personen einrechnet. 118 Quelle: Patientenjournal des Evangelischen Krankenhauses 1901. 116 117
119 Die relative Altersstruktur aller Patienten des Evangelischen Krankenhauses im Jahr 1901 bedeutet die prozentuale Abtragung der jeweiligen Altersklassen im Krankenhaus von derjenigen in der Stadt DOsseldorf.- Quelle: Patientenjournal des Evangelischen Krankenhauses 1901 sowie Preussische Statistik 171 (1902).
357
3. Krankenanstalten und ihre Patienten: Das Beispiel DUsseldorf
Alersklasse
25
20
15
10
20
15
10
w (%)
m(%)
- Ale Patienten
- Arme Patienten
c StadtbevOkerung
Schaubild 5.7: Die Altersstruktur in Düsseldorf(l900) und im Evangelischen Krankenhaus (1901)
2500
2000
~
.8 ~ 8
1500
~
!
~
1000
~
äl
500
0-1
1-5
5-15
15-30
30-40
4~0
>80
Altersklasse &IiD Mortalitlt Dasseidorf __.,_ Patienten
Schaubild 5.8: Die relative Altersstruktur im Evangelischen Krankenhaus (1901) und die altersspezifische Sterblichkeit der Bevölkerung DUsseldorfs (1900)
25
358
V. Stadt, Medizin und Gesundheit
Zur Effektivität der Krankenanstalten
Waren die Krankenhäuser Todesfallen, in denen infektiöse Kranke mit anderen Kranken zusammengelegt wurden, weil man nichts über das Ansteckungsrisiko wußte, so daß sich Infektionskrankheiten wie ein Lauffeuer ausbreiteten? Waren sie 'Pforten zum Tod', durch die besonders Menschen mittleren Lebensalters zuhauf schritten? Standen die Chirurgen bis zu den Knien im Blut und amputierten Glieder von gequälten Patienten? So jedenfalls urteilt Thomas McKeown über die englischen Krankenanstalten des 18. und 19. Jahrhunderts. 120 Demnach trugen die Krankenanstalten eher zur Verbreitung von Krankheiten als zu einer verbesserten öffentlichen Gesundheitspflege und damit zum Sterblichkeitsrückgang bei. Andere Autoren relativieren dieses harte Urteil besonders fiir das 18. und frühe 19. Jahrhundert. 121 Zwar herrschten durchaus gelegentlich Mißstände, gab es unhygienische Verhältnisse durch Fehlverhalten und Überbelegung; diese waren allerdings nicht die Regel. 122 Lediglich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stiegen die Sterberaten infolge des gestiegenen Bevölkerungsdrucks auf die Krankenhäuser an. 123 G. Risse machte am Beispiel des Royal Infirmary of Edinburgh darauf aufmerksam, daß Berechnungen von Sterberaten das tatsächliche Risiko unterrepräsentieren, da moribunde Kranke entlassen wurden, um die Erfolgsbilanz der Anstalten nicht zu gefahrden oder auf Wunsch der Angehörigen oder Patienten
120 T McKeown, A Sociological Approach to the History of Medicine, in: Medical History 14 (1970), S. 342-353. 121 E. M Sigsworth, Gateway to Death? Hospitalsand Mortality, 1700-1850, in: P. Mathias (Hg.), Science and Society 1600-1900, London 1971, S. 97-110; J. Woodward, To Do the Siek No Harrn. A Study ofthe British Voluntary Hospital System to 1875, London 1974. 122 Auch filr DUsseldorf wird in den 1890er Jahren ein solcher Fall erwähnt: "Der Zustand der Krankenhäuser ist nach den Berichten der Medicinalbeamten im Allgemeinen zufriedenstellend, einzelne zeichnen sich durch eine geradezu luxuriöse Ausstattung aus. Hinter derselben verbergen sich freilich mannigfaltige Missstände. In erster Linie gilt dies von den Einrichtungen zur Isolierung ansteckender Kranker, welche häufig unzureichend und ungenügend vorgefunden worden. Letzteres gilt nicht allein von dem grösseren Theil der ländlichen Krankenhäuser, sondern auch in den grossen städtischen Krankenhäusern sind in dieser Beziehung grobe Verstöße gegen die einfachsten Regeln der Hygiene beobachtet worden. So fand sich beispielsweise in dem oben erwähnten Hospital zu DUsseldorf (gemeint ist das Marienhospital) in ein und demselben Raume mit anderen, an nicht infectiösen Krankheiten leidenden Pfleglingen ein Scharlachkranker untergebracht, während in einem Nebenzimmer, welches mit ersterem in Verbindung steht, unter gleichen Verhältnissen ein Masernkranker lag." Quelle: Das öffentliche Gesundheits-Wesen des Regierungsbezirkes DUsseldorf in den Jahren 1892-1994. Sechster Verwaltungsbericht erstattet von Dr. Julius Michelsen, Regierungs- und Medizinalrath, Dusseldorf 1897, S. 226. 123 S. Cherry, The RoJe of the Provincial Hospital. The Norfolk and Norwich Hospital, 17711800, in: Population Studies 26 (1972), S. 291-306; S. Cherry, The Hospitals and Population Growth: The Voluntary General Hospitals, Mortality and Local Populations in the English Provinces in the Eighteenth und Nineteenth Centuries, in: Population Studies 34 (1980), 59-75,251-265.
3. Krankenanstalten und ihre Patienten: Das Beispiel DUsseldorf
359
selbst, um zu Hause sterben zu können. 124 Schließlich ist weitgehend unbekannt, wie die Überlebenschancen der als geheilt oder gebessert entlassenen Patienten waren. Bislang liegt nur eine einzige Studie über eine relativ kleine Heilanstalt im schwedischen Sundsvall filr den Zeitraum von 1844-1900 vor, die das Schicksal der Patienten anhand der vitalstatistischen Daten der Kirchenbücher verfolgt und mit dem der Gesamtbevölkerung vergleicht. 125 Danach hatten viele entlassene Patienten ähnliche Überlebenschancen wie die übrige Bevölkerung. Lediglich filr Patienten, die an bestimmten Krankheiten, etwa an Herz-Kreislauf-Störungen, litten, war das Krankenhaus tatsächlich Pforte zum Tod. Unklar bleibt jedoch, ob diese Patienten nicht auch ohne Krankenhausbehandlung frühzeitig gestorben wären. Da aufgrund der geringen Patientenzahl der gesamte Untersuchungszeitraum der Studie als Einheit gefaßt wird - insgesamt kamen 20.181 Patienten zur Behandlung, also etwa 360 pro Jahr-, lassen sich überdies keine Entwicklungsmomente erkennen. Für eine Großstadt ist ein solches aufwendiges Verfahren nicht zu leisten; hier müssen andere Wege beschritten werden. Es genügt allerdings nicht, die Sterberaten synchron oder diachron zu vergleichen. Im Jahr 1886/87 beispielsweise lag die Mortalität unter den Armenkranken im Madenhospital bei 236, I (pro 1.000 Patienten), im Evangelischen Krankenhaus bei 139,5 und im Kreuzschwesternhospital bei 125,9. Im Durchschnitt starben in den drei Anstalten 178 von 1.000 Patienten. Diese Unterschiede deuten weniger auf eine unterschiedliche Effizienz der Behandlung hin, sondern spiegeln die differentielle Ausprägung der Multifunktionalität der zeitgenössischen Anstalten als Krankenhaus und zugleich als Pflegestätte wider. So reichte entsprechend die Verweildauervon einem Tag bis 2.001 Tage, wobei sich der Durchschnitt auf 59 Tage belief. Am geringsten war er im Evangelischen Krankenhaus mit 50 Tagen, gefolgt vom Marienhospital mit 65 und dem Kreuzschwestern - Krankenhaus mit 73 Tagen. Bei dem Extremfall von einem über filnfjährigen Aufenthalt wurde eine Patientin mit Quetschungen beider Handgelenke in das Marienhospital eingeliefert. Die Pflegekosten wurden je zur Hälfte von der Stadt und den Angehörigen getragen. Selbst auf die Heilbehandlung beschränkt, muß zwischen Patienten mit potentiell zum Tode fUhrenden Risikokrankheiten und solchen mit weniger gefahrliehen Leiden oder Gebrechen unterschieden werden. So gibt es etwa im Krankenhaus der Kreuzschwestern zahlreiche Patienten mit Augenleiden. Auch wurden in alle Anstalten viele Patienten mit Knochenbrüchen oder Scabies (Krätze) eingeliefert. Detailliertere Informationen ergibt bereits eine altersspezifische Ausdifferenzierung der Sterblichkeit innerhalb der Krankenhauspopulation: Die höchste
124
Risse, Hospital Life, S. 234.
125
Brändström I Broström, Life-Histories.
360
V. Stadt, Medizin und Gesundheit
Sterberate fmdet sich unter den Säuglingen, gefolgt von Patienten über 60 Jahren, während die mittleren Altersgruppen die geringste Sterblichkeit verzeichneten (Schaubild 5.9). 126 Verglichen mit den Sterbeverhältnissen der Bevölkerung Düsseldorfs liegen die Raten im Krankenhaus fiir fast alle Altersgruppen wesentlich höher. Eine Ausnahme bilden lediglich die Säuglinge mit nahezu identischen Sterberaten im Krankenhaus und in der Stadt. Man kann also offensichtlich nicht davon ausgehen, daß die sowieso schon unterrepräsentierten Säuglinge etwa in besonders kritischen Fällen im Krankenhaus Aufnahme fanden. Welche Patienten kamen nun zur Behandlung? Laut Krankenhausstatut wurden zahlreiche Risikogruppen ausgeschlossen. Im Evangelischen Krankenhaus waren allgemein nur Geisteskranke von der Aufnahme ausgeschlossen, bei den Patienten von Krankenkassen, Abonnenten und Armenverwaltungen findet sich jedoch der Zusatz: "Von der Aufnahme sind ausgeschlossen solche Personen, die an Geisteskrankheit, Cholera, Pocken, Epilepsie oder an Syphilis leiden und solche, die ihrer Entbindung entgegensehen, oder welche innerhalb der vorhergegangenen drei Wochen entbunden sind." 127 Offenbar wurden diese Maßgaben nur bedingt in die Praxis umgesetzt, denn nach der Analyse des Patientenjournals 1901 fanden 4 Geisteskranke, 3 Epileptiker und 29 an Syphilis erkrankte Personen Aufnahme. 128 Patienten mit Cholera oder Pocken traten in der Tat nicht auf, beide Krankheiten spielten aber zu Beginn des 20. Jahrhunderts keine Rolle mehr, möglicherweise gab es keine Erkrankungen in der Stadt. Auch 3 Geburten und 2 Fehlgeburten sind im Journal verzeichnet, so daß auch dieser Punkt des Statuts offensichtlich nicht erfiillt wurde. Somit gilt es zunächst, das Krankheitsspektrum der tatsächlich behandelten Patienten zu rekonstruieren. Dies geschieht wiederum am Beispiel des Evangelischen Krankenhauses 1886 und 1901. Bei einem Vergleich mit dem Todesursachenpanorama in der Bevölkerung Düsseldorfs ist analog zur Analyse der altersspezifischen Sterblichkeit von besonderer Bedeutung, welche in der Stadt vorherrschenden Krankheiten nicht im Krankenhaus zur Behandlung kamen. Im Jahr 1886 bildeten chirurgische Krankheiten die größte Kategorie: Über ein Drittel aller Patienten (37,9 Prozent) kam mit Verletzungen, Knochenbrüchen, Geschwüren und Geschwülsten in das Krankenhaus (Tabelle 5.4). Die zweitstärkste Gruppe bildeten sowohl die Erkrankungen der Atmungsorgane (inklusive Tb) als auch Hauterkrankungen mit je 12,3 Prozent. Letztere waren
126 Quelle: Patientenjournal des Evangelischen Krankenhauses 1901 sowie Preussische Statistik 171 ( 1902). 127 Evangelisches Krankenhaus Düsseldorf, Bericht über das Jahr 190 I, DUsseldorf 1902, I 0. 128 Dies stellt wesentliche Elemente der traditionellen Krankenhausgeschichtsschreibung, die sich an ebensolchen Statuten und Verordnungen orientiert, substantiell in Frage.
3. Krankenanstalten und ihre Patienten: Das Beispiel Düsseldorf
361
zu über 80 Prozent Patienten mit Scabies (Krätze). Eine relativ untergeordnete Rolle spielten die Erkrankungen der Verdauungsorgane mit 7 Prozent, obwohl diese im Todesursachenpanorama der Stadt langfristig dominierten: Im Jahr 1877 etwa waren 33,4 Prozent aller Todesfälle auf gastro-intestinale Erkrankungen zurückzufUhren (Schaubild 5.10). 129 Bis zum Jahr 1901 hatte sich das Bild etwas verschoben. Größte Gruppe mit Prozent bildeten Patienten mit Hautkrankheiten, gefolgt von der am stärksten angestiegenen Diagnose Augenkrankheiten (13,2 Prozent). An dritter Stelle lagen nun die chirurgischen Krankheiten, die - relativ gesehen - am stärksten auf 11,5 Prozent zurückgingen. Bedeutend blieben nach wie vor die Krankheiten der Atmungsorgane (10,5 Prozent), im Vergleich zum Todesursachenpanorama der städtischen Bevölkerung spielten Erkrankungen der Verdauungsorgane mit 7,4 Prozent weiterhin eine relativ unbedeutende Rolle (Schaubild 5 .I 0). 14
Tabelle 5.4
Krankheitspanorama im Evangelischen Krankenhaus, 1886 und 1901 (in Prozent)
Akute Infektionskrankheiten Krankheiten d. Atmungsorgane Herz-Kreislauf Verdauungsorgane Harn- und Geschlechtsorgane Nervensystem Bewegungsorgane Haut Venerische Krankheiten Ernährung/Entwicklung Chirurgische Krankheiten Augenkrankheiten Sonstige
1886 (N=961) 4,3 12,3 1,3 7,0 5,1 4,0 4,2 12,3 7,3 2,0 37,9 1,0 1,6
1901 (N=1908) 9,6 10,5 3,9 7,4 3,9 3,4 6,2 14,0 1,5 7,3 11,5 13,2 7,6
Quellen: Evangelisches Krankenhaus zu Düsseldorf, Bericht über das Jahr 1886, Düsseldorf 1887; Evangelisches Krankenhaus zu Düsseldorf, Bericht über das Jahr 1901, Düsseldorf 1902.
129 Im Schaubild wurde bewußt ein größerer Zeitrahmen von 1877 bis 1907 gewählt für den Fall, daß der medizinische Stand des Krankenhauses der epidemiologischen Entwicklung nachhinkte oder aber voraus war. Quellen: Preussische Statistik 50 (1879), 206 (1908) und 214 (1908).
V. Stadt, Medizin und Gesundheit
362
3000
2500 0
"~
2000
~
8 ~
~
1500
~
~ 1000 .!!
II)
500
0 Altersklasse
• Düsseldorf m Patienten
Schaubild 5.9: Die altersspezifische Sterblichkeit der Patienten im Evangelischen Krankenhaus (1901) und derBevölkerung DUsseldorfs (1900)
Sonstige
Verdauung
11%
organe 26%
Gehirn/ Nerven 8%
360
15-30
30-40
40-60
10,3 2,7
0,7 0,1
0,1 0,0
0,0 0,0
0,1 0,0
8,2 4,8
94,0 . 20,3
14,9 . 0,8
0,4
0,2
0,2
0,3
17,4
0,0
0,0
0,1
0,3
6,2
507,1
31,9
3,5
0,0
0,0
0,0
0,0
22,2 6,1
5-15
Alle
Männer Scharlach
4,9
6,1
4,4
5,8
5,8
8,3
8,7
12,1
3,7
0,6
0,2
0,2
0,3
0,8
1,2
1.249,1 22,8
79,3 11,2
3,5 4,2
1,2 30,7
1,7
2,7
44,6
68,6
5,2 99,4
54,9 35,7
81,3
22,7
3,0
63,9
18,7
8,1
4,8
0,8
12,1 0,0
30,0
Skrofeln
5,4 0,0
0,0
0,0
1,0
Krebs
0,1
0,1
0,1
0,2
0,8
6,0
15,0
2,3
Abdominaltyphus Ruhr Verdauungssystem Tuberkulose Atmungsorgane
Herz-Kreislauf Gehirn und Nerven Nieren Kindbett Altersschwäche
6,3
5,7
2,8
2,2
4,6
14,5
46,0
8,3
99,1
22,3
5,4
3,7
9,1
22,3
71,2
18,1
1,3
1,5
0,6
0,6
1,2
2,2
8,4
1,6
-
-
0,1
0,3
0,4
0,5
0,9
335,8
23,0
-
0,1
-
-
-
-
-
Gewaltsamer Tod
4,0
7,1
3,3
9,2
12,2
16,6
19,0
10,2
Andere Ursachen
261,1
43,3
8,4
8,7
15,3
41,8
93,5
34,1
2.539,4
422,6
69,5
69,5
108,2
214,4
767,4
273,8 7,3
Alle Ursachen Frauen
Scharlach
25,7
39,3
10,1
0,5
0,2
0,1
0,0
Masern und Röteln
36,5
24,6
2,7
0,1
0,0
0,0
0,0
4,4
Diphtherie/Krupp
84,4
87,9
15,1
0,4
0,2
0,2
0,1
15,5
Keuchhusten
109,2
26,1
1,1
0,0
0,0
0,1
0,2
6,7
Lebensschwäche
420,3
33,4
4,9
0,0
0,0
0,0
0,0
18,7
Abdominaltyphus Ruhr Verdauungssystem
3,9
6,1
4,9
5,5
5,4
6,3
7,1
5,6
11,3
3,1
0,4
0,9
76,6
0,2 1,4
0,1
1.011,2
0,6 3,4
1,9
2,4
5,3
1,0 44,1
Tuberkulose
20,5
12,4
6,5
25,9
65,0
28,4
67,3
2,8
3,4
38,0 7,2
46,5
Atmungsorgane
17,1
49,0
14,0
0,9
0,0
0,0
0,0
0,0
0,9
0,2
1,9 6,0
8,5
15,6
3,1
19,5
63,0
10,9
13,0
49,3
1,1
2,1
13,2 0,8
Skrofeln
6,1
23,8 4,9
Krebs
0,2
0,1
0,1
4,9
4,7
2,5
2,8
78,2
20,2
4,7
2,7
Nieren
1,4
0,8
0,4
0,5
4,9 0,8
Kindbett
0,0
0,0
0,0
7,3
16,0
4,0
0,0
4,7
Altersschwäche
0,1
0,1
0,4
0,3
0,4
0,8
368,7
27,7
Herz-Kreislauf Gehirn und Nerven
Gewaltsamer Tod
3,0
4,9
1,2
1,8
1,8
2,7
4,2
2,4
Andere Ursachen
226,3
43,1
8,7
8,6
16,0
35,8
78,2
30,8
2.110,6
412,0
70,9
61 ,6
100,8
158,4
708,5
240,3
Alle Ursachen
3t Vögele
482
Vlll. Anhang
Anhang 3.3 Alters- und geschlechtsspezifische Todesursachen in deutschen Großstädten (pro 10.000 Lebende), 1885 Todesursachen
0-1
!; 15-30
5-15
1-5
'; 30-40
'j 40-60
Alle
>60
Männer
Scharlach Masern und Röteln Diphtherie/Krupp Keuchhusten Lebensschwäche Abdominaltyphus Ruhr Verdauungssystem Tuberkulose Atmungsorgane Skrofeln Krebs Herz-Kreislauf Gehirn und Nerven Nieren Kindben Altersschwäche Gewaltsamer Tod Andere Ursachen Alle Ursachen
19,0
6,1
0,4
0,1
0,0
0,0
40,8
22,0
0,9
0,0
0,1
0,1
0,0
3,3
40,3
85,4
18,6
0,4
0,2
0,2
0,0
12,3
39,3
13,1
0,2
0,0
0,0
0,0
0,0
2,3
969,5
20,6
0,1
0,0
0,0
0,0
0,0
29,1
0,8
1,4
1,8
3,5
3,4
1,9
3,2
2,6
3,3
1,3
0,3
0;1
0,0
0,2
0,5
0,4
1.672,5
62,3
1,6
0,8
1,9
4,1
10,6
54,5
39,8
23,4
6,5
36,0
72,9
76,4
70,3
44,4
319,9
80,8
3,2
4,9
14,4
32,3
129,5
32,3
14,6
9,7
0,3
0,0
0,0
0,0
0,0
1,3
0,3
0,2
0,1
0,3
2,5
15,7
60,1
6,1
3,1
12,3
1,9
2,4
2,4
6,9
18,9
65,1
9,2
109,0
41,4
6,6
3,6
11,7
139,7
23,1
4,6
5,0
2,2
1,4 .
3,3
31,8 8,5
30,5
4,9
-
-
0,5
136,7
13,0
1,0 16,6
19,9
9,9
18,8
42,0
104,8
30,3
249,6
771,0
.
.
0,2
0,4 2,7
287,9
5,1 41,5
0,2 9,1
6,5
6,5
3.565,1
434,3
60,3
69,4
0,3 3,9
.
149,7 !
Frauen
Scharlach Masern und Röteln Diphtherie/Krupp Keuchhusten Lebensschwäche Abdominaltyphus Ruhr Verdauungssystem Tuberkulose Atmungsorgane Skrofeln Krebs Herz-Kreislauf Gehirn und Nerven Nieren Kindbett Altersschwäche Gewaltsamer Tod Andere Ursachen Alle Ursachen
i
6,2
!
j
-
6,8
275,9 j
!
5,2
18,9
5,6
0,3
0,2
0,0
0,0
36,5
22,1
0,7
0,1
0,0
0,0
0,3
3,0 11,2
2,8
27,6
81,1
20,4
0,4
0,2
0,2
0,3
48,8
15,5
0,1
0,0
0,0
0,0
0,0
2,6
772,6
18,3 2,6
0,3
0,0 1,7
0,0 1,2
0,0 2,1
21,5
1,6
0,0 2,3
0,8 55,7
0,2 1,6
0,0 1,5
0,1 1,8
0,2
0,9
0,3
2,6
1,6 3,4 1.410,7
1,9
23,2
10,7
28,4
45,7
37,6
8,1 32,2
43,0
35,5 276,6
86,4
3,2
6,0
15,6
90,9
26,0
10,4
8,7
3,2 0,3
0,0
0,0
0,0
0,0
1,1
0,3
0,2
0,1
0,5
5,0
23,4
53,1
9,0
30,1
8,9
2,2
2,8
2,3
5,3
14,5
62,0
9,4
82,7
37,3
6,4
2,2
4,8
17,0
95,6
17,6
4,2
4,6
1,4
1,3
3,1
5,2
12,4
3,5
0,0
0,0
0,0
4,1
7,4
1,6
0,0
2,8
0,0
0,2
0,3
0,3
0,2
0,6
154,9
11,1
6,5
3,6
0,8
2,5
2,9
3,2
6,0
2,8
250,3
38,0
5,0
6,1
14,3
25,4
75,9
24,6
2.981,0
419,5
61,6
55,6
98,6
148,2
594,6
224,1
VIII. Anhang
483
Anhang 3.4 Alters- und geschlechtsspezifische Todesursachen in Preußen (pro 10.000 Lebende), 1885 Todesursachen Männer Scharlach Masern und Röteln Diphtherie/Krupp Keuchhusten Lebensschwäche Abdominaltyphus Ruhr Verdauungssystem Tuberkulose Atmungsorgane Skrofeln Krebs HeiZ-Kreislauf Gehirn und Nerven Nieren Kindbett Altersschwäche Gewaltsamer Tod Andere Ursachen Alle Ursachen
0-1
1-5
24,3 49,3
33,5 33,5
101,6
109,4
20,2
5-15
40-60
>60
Alle
0,1
0,0 0,0
0,0 0,0
6,5
0,0 0,3
0,3
0,3
19,6
15-30
30-40
9,3
0,3
3,1
0,1 0,8
5,8
88,3
15,1
0,6
0,0
0,0
0,1
0,3
4,6
571,9
25,1
2,6
0,0
0,0
0,0
0,0
21,6
2,7
2,9
2,6
3,6
3,4
4,1
5,5
3,5
7,6
2,0
0,4
0,1
0,1
0,3
0,6
0,7
1.308,2 25,0
3,3 4,6
1,0 28,5
1,4 45,2
2,1 65,2
124,0
72,6 11,7 36,0
3,9
6,6
14,4
10,9
5,3
0,7
0,0
0,0
0,2
0,2
0,1
0,2
1,1
3,3
51,4 33,7
36,4
84,9 86,5
0,0
0,0
1,1
8,0
20,7
3,1
24,7
5,0
3,4
2,4
2,1
4,1
12,8
42,7
7,4
86,9 2,1 .
22,0 2,2
6,4
3,9
9,5
76,8
18,4
1,1
0,7
.
1,8 .
23,6 3,6
11,3
2,4
0,1
0,1
0,4
0,3
0,4
1,1
303,7
22,3
.
.
-
.
-
4,4
6,7
3,3
9,6
12,5
17,2
19,4
10,2
234,2
33,5
7,5
7,2
15,2
38,2
86,9
29,5
2.646,6
415,0
72,5
65,0
109,4
212,8
742,8
266,2 5,9
Frauen
Scharlach Masern und Röteln Diphtherie/Krupp Keuchhusten Lebensschwäche Abdominaltyphus Ruhr Verdauungssystem Tuberkulose Atmungsorgane Skrofeln Krebs HeiZ-Kreislauf Gehirn und Nerven Nieren Kindbett Altersschwäche Gewaltsamer Andere Ursachen Alle Ursachen
20,4
31,1
9,2
0,5
0,1
0,0
0,0
42,8
32,7
3,6
0,1
0,1
0,0
0,0
5,4
87,7
103,8
21,2
0,8
0,3
0,2
0,2
18,0
92,0
19,2
0,8
0,0
0,0
0,1
0,3
4,9
480,5
25,3
3,7
0,0
0,0
0,0
0,0
17,9
2,2
3,0
2,9
3,7
3,4
6,0
1,7 68,9
0,4
0,1 1,5
3,4 0,2
3,3
0,1 1,1
1.074,7
4,0
3,3
1,7
0,6 3,8
0,6 41,2
22,2
12,7
7,5
26,4
38,7
43,1
58,6
28,0
105,5
37,0
4,3
4,5
8,6
21,1
66,0
19,3
8,7
5,3
0,8
0,0
0,0
0,0
0,0
1,0
0,1
0,1
0,1
0,3
2,3
10,4
20,7
4,0
4,1
3,1
2,4
2,5
4,9
17,2
58,1
10,0
70,1 1,6
20,4 1,6
6,1
3,1
5,0
56,3
0,8
0,6
1,4
14,0 1,9
14,0 1,4
0,0
0,0
0,0
6,6
16,0
3,7
0,0
4,5
0,1
0,1
0,3
0,3
0,3
0,9
337,3
27,6
4,0
Tod
3,0
4,4
1,2
1,7
2,0
2,7
4,7
193,8
32,0
7,2
7,7
14,3
31,4
70,7
25,9
2.215,5
402,2
75,7
60,0
98,9
152,0
685,4
235,1
484
VIII. Anhang Anhang 3.5
Alters- und geschlechtsspezifische Todesursachen in deutschen Großstlldten (pro 10.000 Lebende), 1900 Todesursachen
0-1
5-15
l-5
15-30
30-40
40-60
Alle
>60
Männer
Scharlach Masern und Röteln Diphtherie/Krupp Keuchhusten Lebensschwäche Abdominaltyphus Ruhr Verdauungssystem Tuberkulose Atmungsorgane Skrofeln Krebs Herz-Kreislauf Gehirn und Nerven Nieren Kindbett Altersschwäche Gewaltsamer Tod Andere Ursachen Alle Ursachen
2,0
13,2
3,5
0,2
0,1
0,0
0,0
1,9
40,3
20,3
0,8
0,1
0,0
0,1
0,0
3,0 2,4
11,9
16,5
3,3
0,1
0,1
0,1
0,0
36,3
9,6
0,3
0,0
0,0
0,0
0,0
1,8
840,3
5,8
0,1
0,0
0,0
0,0
0,0
22,4
0,0 0,4
0,6 0,1
0,4 0,0
1,0 0,0
0,6
0,7 0,0
0,2
0,7
0,1
0,1
0,0
1.503,3
37,1
1,5
0,8
1,3
3,4
8,1
44,2
62,2
30,7
7,9
26,4
43,1
59,3
48,1
34,5
372,2
66,0
2,5
3,3
10,1
32,3
160,0
32,2
29,3
11,3
0,1
0,0
0,0
0,0
0,0
1,8
0,4
0,9
0,3
0,8
3,5
23,6
89,0
9,5
11,2 69,3
1,4
2,6 3,8
2,2 2,1
5,9
25,3
102,0
12,1
20,9
5,7
24,5
105,7
15,4
5,0
2,2
1,2
1,6
2,9
14,1
46,1
6,3
0,0
0,1
0,5
0,2
0,4
0,5
116,7
5,9
-
-
-
-
-
-
-
-
6,8
6,2
3,2
8,3
10,8
17,0
20,8
9,8
149,8
7,6
3,4
4,5
9,6
30,4
84,5
17,8
3.140,7
250,5
35,1
51 ,4
94,3
231,2
781,3
221 ,7
Frauen
Scharlach Masern und Röteln Diphtherie/Krupp Keuchhusten Lebensschwäche Abdominaltyphus Ruhr Verdauungssystem Tuberkulose Atmungsorgane Skrofeln Krebs Herz-Kreislauf Gehirn und Nerven Nieren Kindbett Altersschwäche Gewaltsamer Tod Andere Ursachen Alle Ursachen
2,0
11,2
3,9
0,2
0,1
0,0
0,0
1,7
40,6
20,5
0,5
0,0
0,0
0,0
0,0
2,7 2,0
8,3
14,7
3,4
0,2
0,1
0,0
0,1
42, 1
12,2
0,2
0,0
0,0
0,0
0,0
2,0
684,1
4,7
0,1
0,0
0,0
0,0
16,5
0,4 0,0
0,4 0,1
0,4 0,0
0,0 0,7
0,6 0,1
0,4 0,1
0,3 0,1
0,6 0,0
0,0
1.261,1
33,8
1,3
1,1
1,1
2,2
5,4
34,1
50,0 305,2
28,7
10,0
22,0
27,5
22,8
27,3
22,7
65,9
2,5
3,3
6,0
16,4
132,4
27,5
25,2
9,6
0,1
0,0
0,0
0,0
0,0
1,4
0,7
0,5
0,2
1,0
6,5
26,7
71 ,5
11 ,6
8,6
2,3
2,5
3,0
6,3
17,8
87,2
12,3
48,9
19,0
3,8
1,3
3,6
12,2
73,3
11,9
5,7
1,8
1,0
1,3
2,2
7,0
20,6
4,0
0,0
0,0
0,0
2,9
4,8
0,7
0,0
1,8
0,4
0,2
0,6
0,2
0,2
0,5
146,8
10,6
8,3
3,6
1,3
2,2
2,0
2,4
8,3
2,7
133,5
8,8
2,4
5,7
10,2
16,6
62,1
15,3
2.624,8
237,8
34,1
45,3
71,2
125,8
635,5
181,5
VIII. Anhang
485
Anhang 3.6
Alters- und geschlechtsspezifische Todesursachen in Preußen (pro 10.000 Lebende), 1900 Todesursachen
1-5
0-1
15-30
5-15
30-40
Alle
>60
40-60
Männer
Scharlach Masern und Röteln Diphtherie/Krupp Keuchhusten Lebensschwäche Abdominaltyphus Ruhr Verdauungssystem Tuberkulose Atmungsorgane Skrofeln Krebs Herz-Kreislauf Gehirn und Nerven Nieren Kindbett Altersschwäche Gewaltsamer Tod Andere Ursachen Alle Ursachen
13,0
19,7
5,4
0,3
0,1
0,0
0,0
3,8
24,1
11,7
0,6
0,0
0,0
0,0
0,0
2,1
37,7
27,3
4,6
0,2
0,1
0,0
0,1
5,2
86,6
10,7
0,3
0,0
0,0
0,0
0,1
3,9
617,3
12,4
0,9
0,0
0,0
0,0
0,0
20,8
0,8
0,8
1,0
2,3
1,6
1,4
1,2
1,5
2,5
0,5
0,1
0,1
0,0
0,1
0,3
0,2
1.504,8
59,5
2,8
0,7
0,9
1,4
2,4
54,6
25,7
9,3
4,3
21,9
28,9
42,9
47,9
23,1
221,7
49,6
4,2
6,6
13,0
40,4
146,0
33,6
17,6
6,8
0,6
0,0
0,0
0,0
0,0
1,4
0,4
0,2
0,1
0,4
1,9
14,2
41,5
5,7
8,0
1,8
1,7
2,1
3,8
14,3
47,5
7,6
77,4
16,8
5,1
3,1
6,7
22,1
84,7
16,7
4,5
2,6
1,2
.
1,0 .
2,0 .
5,8
17,6
.
3,4 . 21,6
.
0,1
0,1
0,3
0,3
0,3
0,8
306,7
4,2
6,4
3,4
9,4
11,9
17,7
21,1
10,3
187,2
14,9
3,6
5,5
10,2
31,1
82,2
22,1
251,2
39,9
53,7
81,2
192,3
799,3
237,6 3,5
2.833,5
Frauen
Scharlach Masern und Röteln Diphtherie/Krupp Keuchhusten Lebensschwäche Abdominaltyphus Ruhr Verdauungssystem Tuberkulose Atmungsorgane Skrofeln Krebs Herz-Kreislauf Gehirn und Nerven Nieren Kindbett Altersschwäche Gewaltsamer Tod Andere Ursachen Alle Ursachen
.
'
18,0
5,7
0,3
0,1
0,0
0,0
21,8
11,3
0,7
0,0
0,0
0,0
0,0
2,0
29,6
24,3
5,1
0,2
0,1
0,1
0,1
4,5
11,2
86,3
14,0
0,4
0,0
0,0
0,0
0,1
4,1
501,2
12,4
1,2
0,0
0,0
0,0
0,0
16,4
1,0
0,9
1,2
1,8
1,6
1,1
0,9
1,3
2,7
0,6
0,1
0,0
0,1
0,1
0,3
0,2
1.231,0
57,4
2,7
0,8
0,9
1,0
1,8
43,6
20,3
9,8
6,7
21,0
26,0
26,0
31,3
19,2
175,0
48,3
5,2
5,5
9,7
25,6
122,5
28,5
14,8
6,1
0,6
0,0
0,0
0,0
0,0
1,2
0,3
0,2
0,1
0,6
3,2
15,7
37,0
6,5
7,5
1,9
2,0
2,6
5,1
15,3
58,9
9,7
61,3
15,0
4,9
2,7
4,3
13,8
64,2
13,4
3,1
2,0
0,9
0,9
1,7
3,4
7,6
2,2
0,0
0,0
0,0
3,6
8,4
1,8
0,0
2,4
0,1
0,1
0,3
0,2
0,3
0,7
340,9
28,0
4,2
4,1
1,3
1,8
1,8
2,9
5,4
2,5
155,2
14,9
3,6
6,2
11,6
24,8
69,7
20,2
2.326,6
241,1
42,5
48,3
74,8
132,4
740,7
209,1
486
VIII. Anhang Anhang 3.7
Alters- und geschlechtsspezifische Todesursachen in deutschen Großstlldten (pro 10.000 Lebende), 1907 Todesursachen
0-1
1-5
5-15
15-30
30-40
40-60
Alle
>60
Männer
Scharlach Masern und Röteln Diphtherie/Krupp Keuchhusten Lebensschwäche Abdominaltyphus Ruhr Verdauungssystem Tuberkulose Atmungsorgane Skrofeln Krebs Herz-Kreislauf Gehirn und Nerven Nieren Kindbett Altersschwäche Gewaltsamer Tod Andere Ursachen Alle Ursachen
1,8
5,7
1,7
0,1
0,0
0,0
0,0
32,1
15,1
0,4
0,0
0,0
0,0
0,0
2,0
11,6
19,3
4,8
0,2
0,1
0,1
0,1
2,8
39,6
8,8
0,0
0,0
0,0
0,0
0,1
1,6
485,7
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
11,0 0,5
0,8
0,0
0,1
0,2
0,9
0,5
0,3
0,3
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
830,8
17,1
2,2
2,8
0,0 4,8
14,2
30,0
26,5
43,2
24,2
5,0
20,2
29,1
40,9
38,6
24,6
300,6
46,4
1,8
3,0
7,0
24,2
131,9
24,0
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
1,6
0,7
0,7
1,0
3,6
24,4
100,0
10,7
45,1 96,1
4,2
2,2 2,1
3,0 1,9
7,0 4,9
32,3 20,6
178,3
18,8
14,3
88,0
13,4
8,1
1,2
0,9
1,2
2,8
10,5
37,5
5,1
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
65,7
3,3
10,5
-
-
-
-
-
-
-
-
8,9
7,4
3,4
8,6
10,8
17,9
25,6
289,6
16,0
2,7
3,1
6,2
17,5
43,7
15,8
2.1 94,7
180,3
28,0
45,9
76,8
203,0
739,9
171 ,4 0,8
Frauen
Scharlach Masern und Röteln Diphtherie/Krupp Keuchhusten Lebensschwäche Abdominaltyphus Ruhr Verdauungssystem Tuberkulose Atmungsorgane Skrofeln Krebs Herz-Kreislauf Gehirn und Nerven Nieren Kindbett Altersschwäche Gewaltsamer Tod Andere Ursachen Alle Ursachen
1,3
5,8
1,6
0,1
0,1
0,0
0,0
24,7
14,3
0,9
0,0
0,0
0,0
0,0
1,7
8,9
16,0
4,8
0,3
0,2
0,1
0,2
2,5
42,5
11,5
0,1
0,0
0,0
0,0
0,0
1,8
382,8
0,0 0,2 0,0
0,0
0,0 0,4 0,0
0,0 0,2 0,0
0,0 0,2 0,0
8,2
0,2 0,0
0,0 0,4 0,0
0,3 0,0 21 ,9
0,2 0,0 695,5
17,6
2,8
2,8
4,4
8,8
27,5
35,9
25,0
6,5
20,3
23,6
19,7
23,5
19,4
261,0
46,2
2,1
2,2
4,7
13,0
107,6
20,9
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
1,6
0,8
0,3
1,3
6,5
31, 1
83,5
13,4
40,0
3,1
2,1
3,4
6,6
24,0
142,2
18,2
69,0
12,9
1,5
1,5
3,4
13,4
76,5
11,6
8,0
1,5
0,7
1,6
2,7
6,7
18, 1
3,9
0,0
0,0
0,0
3,9
6,3
0,9
0,0
2,4
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
99,2
6,9
7,2
3,6
1,4
3,3
3,7
4,9
13,0
4,1
233,7
13,6
2,5
2,0
4,4
9,3
37,2
12,1
1.812,1
172,1
27,5
43,1
67,0
132,1
628,6
150,0
487
VIII. Anhang
Anhang 3.8 Alters- und geschlechtsspezifische Todesursachen in Preußen (pro 10.000 Lebende), 1907 Todesursachen
!
0-1
1-5
15-30
5-15
30-40
>60
40-60
Alle
Männer 8,1
11,4
3,6
0,2
0 ,1
0,0
0,0
Masern und Röteln
23,9
10,4
0,6
0,0
0,0
0,0
0,0
1,9
Diphtherie/Krupp
13,6
14,1
2,8
0,2
0,1
0,0
0,0
2,6
Scharlach
Keuchhusten Lebensschwäche Abdominaltyphus Ruhr Verdauungssystem Tuberkulose Atmungsorgane Skrofeln Krebs
2,3
53,2
6,5
0,2
0,0
0,0
0,0
0,1
2,2
466,8
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
13,3
0,2
0,2
0,4
0,9
0,8
0,7
0,4
0,6
-
-
28,7
22,8
-
527,9
-
-
-
20,7
2,3
2,2
3,5
11,6
-
-
30,0
10,3
4,1
18,0
22,0
31,4
31,0
18,1
247,0
43,1
3,5
5,1
10,6
59,5
113,2
28,2
1,1
0,4
0,2
0,6
2,0
15,6
52,4
6,8
-
-
-
-
-
-
-
-
Herz-Kreislauf
36,0
3,5
1,8
3,0
6,3
24,0
97,0
14,2
Gehirn und Nerven
56,3
11,4
3,5
2,6
5,4
17,2
63,9
12,3
5,5
2,0
1,0
1,0
2,0
5,6
18,8
3,4
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
246,4
16,8
Nieren Kindbett Altersschwäche Gewaltsamer Andere Ursachen Alle Ursachen
-
-
-
-
-
-
-
Tod5,2
6,4
3,0
9,7
11 ,6
16,8
20,9
10,0
729,0
37,7
4,4
3,7
5,9
17,1
59,6
34,5
2.203,7
178,0
31,2
47,0
70,2
171,7
732,4
Frauen Scharlach
-
190,0 j
6,5
10,7
3,9
0,3
0,1
0,0
0,0
Masern und Röteln
20,9
10,3
0,7
0,0
0,0
0,0
0,0
1,8
Diphtherie/Krupp
12,3
12,6
3,2
0,2
0,1
0,0
0,0
2,4
Keuchhusten Lebensschwäche Abdominaltyphus Ruhr Verdauungssystem Tuberkulose Atmungsorgane Skrofeln Krebs
2,2
55,4
8,7
0,2
0,0
0,0
0,0
0,0
2,4
373,8
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
10,1
0,4
0,3
0,4
0,8
0,6
0,6
0,5
0,6
8,6
24,3
19,2
-
439,0
-
20,0
-
-
-
2,5
2,5
4,1
-
-
-
24,6
10,1
6,2
19,9
22,1
19,0
20,5
16,2
204,6
41,1
3,9
4,3
7,5
17,8
87,0
23,0
-
-
1,1
0,4
0,1
0,6
3,6
18,4
47,2
8,0
-
-
-
-
-
Herz-Kreislauf
30,1
3,1
2,0
3,4
7,1
18,9
86,8
14,0
Gehirn und Nerven
44,9
10,3
3,4
2,3
3,7
11 ,4
53,9
10,6 2,7
Nieren
4,4
1,6
0,9
1,2
2,3
4,4
9,3
Kindbett
0,0
0,0
0,0
3,1
6,8
1,5
0,0
2,0
Altersschwäche
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
268,2
22,3
Gewaltsamer Tod
4,3
4,6
1,2
1,9
1,9
3,0
6,5
2,7
Andere Ursachen
588,7
34,9
4,0
3,1
5,1
14,6
60,3
29,4
1.810,8
168,8
32,6
43,6
65,0
118,2
664,5
169,3
Alle Ursachen
488
VJIJ. Anhang
Anhang 4: Sterblichkeitsprofil und Todesursachenpanorama in den zehn größten deutschen Städten Dertin Zu Beginn des Untersuchungszeitraums gehörte die Hauptstadt Berlin zu den ungesünderen Stlldten im Sample, ausgedrückt in standardisierten Sterberaten lag Berlin mit einer SMR von 345,4 (pro 10.000 Lebende) im Jahr 1877 sogar an deren Spitze. 1 Dies rührte hauptsächlich von einer hohen Sterblichkeit an gastro-intestinalen Krankheiten (63,6 pro 10.000 Lebende) sowie an Scharlach (12,5) und Diphtherie und Krupp (14,9), wohingegen die Sterberaten an Erkrankungen der Atmungsorgane (35,9) und Tuberkulose (34,6) nur leicht über dem Durchschnitt der ausgewählten Städte lagen (vgl. Tabelle 2.16). Die Situation in Berlin verbesserte sich zusehends, im Jahr 1885 gehörte Berlin mit einer gesamten SMR von 274,9 pro 10.000 Lebende bereits zu den gesünderen Städten. Dennoch registrierte Berlin die höchsten Sterberaten an Diphtherie (19,4) von allen ausgewählten Städten; im Durchschnitt aller betrachteten Städte lag dieser Wert bei 13,4. Um die Jahrhundertwende konnte Berlin diese Position behalten, obschon die Sterberaten verschiedener Krankheiten anstiegen, insbesondere an den degenerativen Krankheiten Krebs und Erkrankungen von Herz und Kreislauf. Dagegen war ein starker Rückgang bezüglich der Sterberaten an Diphtherie (1,4 pro 10.000 Lebende) zu verzeichnen, der von leichten Verbesserungen der Sterberaten an gastro-intestinalen Erkrankungen (77, 7) gegenüber den 1870er Jahren begleitet wurde. Zu Ende des Untersuchungszeitraums hatte Berlin seine mittlerweile günstige Position wieder etwas eingebüßt und registrierte nahezu durchschnittliche Sterberaten hinsichtlich aller wichtiger Todesursachen, einschließlich der gastro-intestinalen Erkrankungen (32,7). Immerhin aber verbesserten sich die Gesundheitsverhältnisse in der Hauptstadt während der Untersuchungsperiode von einem sehr schlechten Ausgangspunkt sowohl absolut als auch relativ substantiell, in standardisierten Sterberaten ausgedrückt ging die Sterblichkeit von 345,4 (pro I 0.000 Lebende) im Jahr 1877 über 274,9 im Jahr 1885, 235,7 im Jahr 1900 auf 191,5 im Jahr 1907 zurück. Breslau Breslau war über weite Strecken die ungesundeste Stadt im Sample. Zu Beginn des Untersuchungszeitraumes lagen die standardisierten Sterberaten an gastro-intestinalen Erkrankungen (82,4 pro 10.000 Lebende), an Erkrankungen der Atmungsorgane (50,9), an Lebensschwäche (39,1) sowie an Erkrankungen des Gehirns und der Nerven (35,8) überdurchschnittlich hoch (vgl. Tabelle 2.16). Die Sterberaten bezüglich der Tuberkulose (32,8) lagen dagegen knapp unter dem Durchschnitt. Breslau behielt seine Rolle als ungesunde Stadt, die standardisierten Sterberaten verschlechterten sich sogar noch leicht von 341,1 im Jahr 1877 auf341,7 im Jahr 1885. Eine hohe Säuglingssterblichkeit, die sich in hohen Sterberaten an gastro-intestinalen Erkrankungen ausdrückte (1885: 85,1 pro 10.000 Lebende), ging einher mit hohen Sterberaten an Erkrankungen der Atmungsorgane (42,7) und mittlerweile auch an Tuberkulose in allen Altersgruppen (44,8). Zusätzlich herrschte ein überdurchschnittlich hohes Sterberisiko an degenerativen Krankheiten. Die Stadt war somit in jeder Hinsicht ungesund und behielt auch um 1900 mit einer SMR von 266, I (pro 10.000 Lebende) diese Position, mit substantiell überdurchschnittlichen Sterberaten an gastro-intestinalen Erkrankungen (77, 7; Durchschnittswert: 52,5), Erkrankungen der Atmungsorgane (43,2; Durchschnittswert: 32,8), Tuberkulose (36,3; Durchschnittswert: 25,6) sowie Erkrankungen des Gehirns und der Nerven (25,4; Durchschnittswert: 15,7). Dies galt zudem filr alle Altersgruppen. Nach der Jahrhundertwende gingen -wie in den anderen Städten - die Säuglings-
I
Im folgenden handelt es sich jeweils um die auf den Altersaufbau der Bevölkerung Preußens im Jahr 1877 standardisierte Sterberate.
VIII. Anhang
489
sterberaten und mit ihnen die Sterberaten an gastro-intestinalen Erkrankungen (40,8; Durchschnittswert: 32,6) und 'Lebensschwäche' (14,6; Durchschnittswert: 14,8) zurück. Breslau blieb jedoch eine ungesunde Stadt. Die hohen Sterberaten an Tuberkulose (29,5; Durchschnittswert: 20,2) und Erkrankungen der Atmungsorgane (35,1; Durchschnittswert: 26,3) waren nun begleitet von einer hohen Sterblichkeit an Krankheiten des Kreislaufsystems (32,5; Durchschnittswert: 19,6).
Dresden Im Jahr 1877 wurden filr Dresden lediglich elf Todesursachen registriert. Von den Haupttodesursachen kann nur die Sterblichkeit an Tuberkulose mit derjenigen in anderen Städten verglichen werden. Dabei erwies sich die standardisierte Rate von 36,4 pro I 0.000 Lebende als leicht über dem Durchschnitt (34,0) liegend. Insgesamt gehörte Dresden zu den ungesUnderen Städten. Die standardisierte Sterberate lag mit 316,6 etwa so hoch wie die in der Stadt Breslau (316,4) und wurde lediglich von Berlin (345,4) übertroffen. Diese Position Dresdens wird in den folgenden Jahren anhand eines umfassenderen Todesursachenpanoramas bestätigt. Nach der Jahrhundertwende gehörte Dresden zu den gesUnderen Städten des Samples. Für nahezu alle Todesursachen, aber insbesondere filr die 'Hauptkiller' der Zeit - und hier wiederum im Bereich der gastro-intestinalen Erkrankungen - wurden relativ niedrige Sterberaten registriert.
DUsseldorf Zu Beginn des Untersuchungszeitraums gehörte DUsseldorf insgesamt zu den gesünderen Städten im Städte-Sample, in standardisierten Sterberaten ausgedrückt waren die Gesundheitsverhältnisse im Jahre 1877 mit 242,4 Todesfllllen pro 10.000 Lebende sogar besser als in Frankfurt am Main mit einem entsprechenden Wert von 278,9. Dies lag daran, daß die überdurchschnittlich hohen Sterberaten an Tuberkulose (39,3; Durchschnittswert: 34,0), die in der Stadt herrschten, durch besonders niedrige Sterberaten an Erkrankungen der Atmungsorgane (21,1 ; Durchschnittswert: 32,5), gastro-intestinalen Erkrankungen (59,5; Durchschnittswert: 69,5) und 'Lebensschwäche' (19,6; Durchschnittswert: 31,0) ausgeglichen wurden (vgl. Tabelle 2.16). Um die Jahrhundertwende war die allgemeine Sterblichkeit in der Stadt zurückgegangen, was hauptsächlich auf einen starken Fall der standardisierten Sterblichkeit an Tuberkulose von 39,3 im Jahr 1877 auf21,2 (pro 10.000 Lebende) im Jahr 1900 zurückgefilhrt werden kann. Die Sterberate an Erkrankungen der Atmungsorgane stieg dagegen von 21,1 auf 34,9 Sterbeflllle (pro 10.000 Lebende) an. Dominierend im Todesursachenpanorama waren Krankheiten der Verdauungsorgane mit 55,2 Sterbefallen pro 10.000 Lebende, was angesichts der hohen Fertilit!lts- und Geburtenraten keineswegs überrascht. Mit einer SMR von 216,7 (pro 10.000 Lebende) lag DUsseldorf sowohl unter dem preußischen Durchschnitt mit 227,9 als auch unter dem Durchschnitt aller ausgewählten Städte von 224, I. Nach der Jahrhundertwende behielt DUsseldorf eine günstige Position unter den zehn größten deutschen Städten dank einer drastischen Verringerung der Sterblichkeit an Verdauungsstörungen (31,2) und Tuberkulose (17,4). Wenn ungesunde Städte wie Breslau fllr alle Altersgruppen und hinsichtlich aller Todesursachen ein hohes Risiko darstellten, so gilt umgekehrt für das gesunde Düsseldorf, daß hier alle Altersgruppen niedrige Sterberaten aufwiesen und alle Todesursachen unterdurchschnittlich vertreten waren. DUsseldorf bot somit allen seinen Einwohnern günstige Gesundheitsverhältnisse.
490
VIII. Anhang
Frankfurt am Main Zu Beginn des Untersuchungszeitraums gehörte Frankfurt am Main zu den gesünderen Städten im Sample, war über weite Strecken sogar die gesundeste Stadt. Dies resultierte hauptsachlich aus den niedrigen Sterberaten an gastro-intestinalen Erkrankungen (SMR: 40,4 pro 10.000 Lebende) und 'Lebensschwache' (SMR: 25,8 pro 10.000 Lebende) unter den Säuglingen und Kindern: Bis 1885 manifestierte sich eine deutliche Verbesserung der Gesundheitsverhältnisse in der Stadt infolge gesunkener Sterberaten an fast allen Todesursachen, vor allem aber an 'anderen Todesursachen' (SMR: 22,2 pro 10.000 Lebende), gastro-intestinale Erkrankungen (38,1), Krankheiten des Gehirns und der Nerven (23,2) sowie Erkrankungen der Atmungsorgane (30,9) und Lebensschwache (20,2), wahrend ftlr Tuberkulose, Masern und Röteln, Keuchhusten und Krebs sogar etwas höhere Raten registriert wurden. Frankfurt am Main gehörte zu den wenigen Städten, die bereits in den 1880er Jahren dne niedrigere standardisierte Sterberate (242,6 pro 10.000 Lebende) aufwies als der preußische Durchschnitt (252,8). Mit Ausnahme der Sterblichkeit an Tuberkulose, Erkrankungen der Atmungsorgane und an gewaltsamen TodesflUien lagen die standardisierten Sterberaten aller Todesursachen unter dem preußischen Durchschnitt. Diese Entwicklung dauerte an, um die Jahrhundertwende registrierte Frankfurt am Main eine relativ niedrige Sterblichkeit; die SMR ftlr die Stadt belief sich auf 199,4 pro 10.000 Lebende, der Durchschnitt ftlr alle ausgewählten Stadte lag bei 224,1, der preußische Durchschnitt bei 227,9. Die Sterberaten bezUglieh gastro-intestinalen Erkrankungen waren extrem niedrig (36,8), wohingegen die Sterberaten an Tuberkulose (24,8) und Erkrankungen der Atmungsorgane (34,6) etwa im Durchschnitt lagen. Nach Altersgruppen differenziert lag konsequenterweise die Säuglingssterblichkeit wesentlich unter dem Durchschnitt aller ausgewählten Städte, aber auch nahezu alle anderen Altersgruppen fanden in Frankfurt am Main günstige Gesundheitsverhältnisse. Nach der Jahrhundertwende setzte sich dieser Trend mit weiteren Verbesserungen hauptsächlich im Bereich der gastrointestinalen Erkrankungen (26,2) und 'Lebensschwache' (12,0) fort, wahrend die Sterblichkeit an anderen Todesursachen nahezu durchschnittliche Werte aufwies, die Sterberaten an Herz-Kreislauf-Krankheiten mit 23,4 und Erkrankungen der Atmungsorgane mit 31, I sogar substantiell über den Durchschnittswerten aller ausgewählten Städte lagen, die entsprechende Raten von 19,6 bzw. 26,3 aufwiesen.
Harnburg Die Hansestadt gehörte trotz ihrer exponierten Lage als Welthafen am Beginn der Untersuchungsperiode zu den gesünderen Orten des Samples. Die allgemeine standardisierte Sterberate lag mit 269,4 (pro 10.000 Lebende) nur leicht über dem preußischen Durchschnitt von 256,1 (pro 10.000 Lebende), was hauptsachlich eine Folge der niedrigen Sterberaten an gastro-intestinalen Erkrankungen (SMR: 47,2 pro 10.000 Lebende; Durchschnittswert: 69,5) und an Tuberkulose (SMR: 29,4 pro 10.000 Lebende; Durchschnittswert: 34,0) war, wahrend die Sterberaten an Erkrankungen der Atmungsorgane mit 34,0 etwas über dem Durchschnitt aller ausgewählten Stadte mit 32,5 lag. In den folgenden Jahren blieben die Verhaltnisse relativ stabil. Nach einem RUckschlag durch die große Cholera-Epidemie in den 1890er Jahren verbesserten sich die Gesundheitsverhaltnisse bis zur Jahrhundertwende: Die Sterblichkeit an Diphtherie war bedeutend zurückgegangen (1877:9,9; 1885: 11,68, 1900: 1,8). Die Sterberaten an nahezu allen Krankheiten hatten sich verringert, ausgedrückt in standardisierten Sterberaten betrugen sie bei den Haupttodesursachen im Jahr 1900 folgende Werte: bei gastro-intestinalen Infekten 33,3, Lebensschwache 30,3, Tuberkulose 22,7 und Erkrankungen der Atmungsorgane 33,5. Die degenerativen Krankheiten waren leicht angestiegen, Krebs von 9,4 im Jahr 1885 auf 12,0 im Jahr 1900, Erkrankungen von Herz und Kreislauf von 9,2 auf 13,3 in demselben Zeitraum. Nach der Jahrhundertwende verbesserte sich die Situation weiterhin, die Sterberaten fast aller Todesursachen waren rückläufig. Besonders stark ausgeprägt war der RUckgang bei den Haupttodesursachen: gastro-intestinale Erkrankungen (27,8) und Erkrankungen der Atmungsorgane (20,8). Mit einer standardisierten Sterberate von
VIII. Anhang
491
161.6 pro 10.000 Lebende gehörte Harnburg zu den gesünderen Städten, die entsprechenden Vergleichswerte lagen filr Preußen bei 187,7 und ftir den Durchschnitt aller ausgewählten Städte bei 184,4.
Köln Die alte Handelsstadt Köln wies zunächst eine durchschnittliche Gesamtsterberate auf (SMR, 1877: 280,4 pro 10.000 Lebende; Durchschnitt: 291,2). Den hohen Sterberaten an gastro-intestinalen Erkrankungen- mit einer SMR von 88,5 (pro 10.000 Lebende) übertraf Köln alle anderen ausgewählten Städte - standen niedrige Raten an Erkrankungen der Atmungsorgane (SMR: 19, I pro 10.000 Lebende) und 'Lebensschwäche' (SMR: 15,6 pro 10.000 Lebende) gegenüber. In den folgenden Jahren wurden Verbesserungen in der Sterblichkeit von verschiedenen Krankheiten konterkariert durch einen Anstieg der Sterberaten an 'Lebensschwäche' (auf eine SMR von 43,7 pro I 0.000 Lebende, obwohl die gastro-intestinalen Erkrankungen auf dem hohen Wert von 70,0 pro 10.000 Lebende blieben), so daß die Gesamtsterblichkeit 309,1 sogar leicht anstieg. Um die Jahrhundertwende erfolgte ein substantieller Rückgang der Sterblichkeit an Tuberkulose von 41,0 Sterbefltllen pro I 0.000 Lebende im Jahr 1885 auf 27,3 im Jahr 1900, während die Sterberate an gastro-intestinalen Erkrankungen sogar noch von auf 73,6 (pro 10.000 Lebende) anstieg. Insgesamt verbesserte sich die Sterblichkeit auf 255,8 pro I 0.000 Lebende und lag damit weiterhin über dem Durchschnitt von 224, I aller ausgewählten Städte. Einschneidende Verbesserungen erfolgten nach der Jahrhundertwende. Diese betrafen zwar alle Altersgruppen, allerdings profitierten die Säuglinge überdurchschnittlich. Entsprechend war ein starker Rückgang der Sterblichkeit an gastro-intestinalen Erkrankungen auf eine SMR von 46 pro 10.000 Lebende zu verzeichnen. In standardisierten Sterberaten ausgedrückt gehörte Köln zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit einer SMR von 216,9 pro 10.000 Lebende dennoch zu den ungesonderen Städten im Sample, lediglich noch übertroffen von Breslau mit 227,5 pro I 0.000 Lebende. Dies lag insbesondere an einer mit 35,4 Sterbefllllen pro 10.000 Lebende weit über dem Durchschnitt (26,3 pro 10.000 Lebende) liegenden SMR an Erkrankungen der Atmungsorgane. Leipzig Leipzig wies zu Beginn des Untersuchungszeitraums durchschnittliche Sterberaten auf. Dies galt filr nahezu alle Todesursachen mit Ausnahme der Diphtherie und Erkrankungen des Gehirns und der Nerven. Im Falle der Diphtherie erreichten die Sterberaten im Jahr 1885 einen Höhepunkt mit 17,8 Todesfllllen auf 10.000 Lebende - nach Berlin mit 19,4 der höchste Wert im ausgewählten Städtesample. Die standardisierten Sterberaten an Erkrankungen des Gehirns und der Nerven lagen mit 31,7 im Jahr 1885 ebenfalls am deutlichsten über dem Gesamtdurchschnitt. Im Verlauf der folgenden Jahrzehnte verbesserte Leipzig seine Position und gehörte nach der Jahrhundertwende zu den gesünderen Städten des ausgewählten Samples. Die standardisierte Sterberate filr alle Todesursachen lag mit 159,0 deutlich unter dem Durchschnitt aller ausgewählten Städte (184,4) sowie unter dem preußischen Durchschnitt von 187,7. Dies lag vor allem an relativ niedrigen Sterberaten an Tuberkulose (SMR: 14,3 pro 10.000 Lebende; Durchschnitt aller Städte: 20,2) und Erkrankungen der Atmungsorgane (SMR: 18,3 pro 10.000 Lebende; Durchschnitt aller Städte: 26,3), wohingegen die Haupterkrankungen des Säuglingsalters, die gastro-intestinalen Erkrankungen (SMR: 30,7 pro 10.000 Lebende; Durchschnitt aller Städte: 30,7) und Lebensschwäche SMR: 13,2 pro 10.000 Lebende; Durchschnitt aller Städte: 14,8) sich etwa im Durchschnitt der Städte bewegten.
492
VIII. Anhang München
Im 19. Jahrhundert war München eine ungesunde Stadt mit hohen Sterberaten an gastro-intestinalen Erkrankungen, an Erkrankungen der Atmungsorgane sowie an Altersschwäche. Auffl!llig ist ebenfalls eine extrem hohe Sterberate an 'anderen Todesursachen' (49,4 Gestorbene pro 10.000 Lebende im Jahr 1885). Da gerade diese Kategorie in den folgenden Jahren beträchtlich abnahm, ohne daß eine wesentliche Veränderung in der rohen Sterberate auftrat, enthüllt die Stadt um die Jahrhundertwende ein Todesursachenpanorama, das geprägt war von hohen Sterberaten an gastrointestinalen Erkrankungen (SMR: 54,4 pro 10.000 Lebende) und an 'Lebensschwäche' (27,1), die beide hauptsächlich die Altersgruppe der Säuglinge belasteten. Gegenüber den anderen Städten stach insbesondere die hohe Sterberate an Tuberkulose mit einer SMR von 35,3 pro I 0.000 Lebende hervor (Durchschnitt: 25,6), während die Sterblichkeit an Erkrankungen der Atmungsorgane mit 26,9 leicht unter dem Durchschnitt aller ausgewählten Städte von 32,8 lag. Die degenerativen Krankheiten (Krebs, Erkrankungen von Herz und Kreislauf) nahmen zur Jahrhundertwende hin deutlich zu. Die Sterblichkeit an Krebs stieg von 9,2 im Jahr 1885 auf 11,9 im Jahr 1900, an Erkrankungen von Herz und Kreislauf von 12,7 sogar auf 20,0 pro 10.000 Lebende. Insbesondere die Erkrankungen von Herz und Kreislauf lagen damit beträchtlich über dem Durchschnitt aller Städte ( 11,6). Die einschneidendsten Verbesserungen traten nach der Jahrhundertwende mit wesentlich geringeren Sterberaten an gastro-intestinalen Erkrankungen auf (von 54,4 im Jahr 1900 auf38,3 im Jahr 1907), die wiederum hauptsächlich die Säuglingssterblichkeit reduzierten. Ebenfalls rückläufig waren die Sterberaten an Tuberkulose (von 35,3 im Jahr 1900 auf 26,5 nach der Jahrhundertwende) und Altersschwäche (von 11 .4 auf 4,4). Letzteres jedoch könnte eine Folge davon gewesen sein, daß erneut ein starker RUckgang der Sterblichkeit an 'anderen Todesursachen' registriert werden konnte, der dieses Mal allerdings vor allem die hohen Altersgruppen betraf. Nur leicht rückläufig war dagegen die Sterblichkeit an Erkrankungen der Atmungsorgane (von 26,9 auf25,1). Mit einer standardisierten Sterberate aller Todesursachen von 191 ,7 nach der Jahrhundertwende lag München über dem Durchschnitt aller Städte (184,4) bzw. Preußens (187,7). Nürnberg Nürnbergs hohe Sterberate an gastro-intestinalen Erkrankungen ist über weite Strecken mit derjenigen in München vergleichbar. Zusätzlich war die Stadt durch außergewöhnlich hohe Sterberaten an Erkrankungen der Atmungsorgane und an Tuberkulose gekennzeichnet, so daß die Stadt zu den ungesUnderen Städten des Sampies gehörte. Ebenso wie die anderen über dem Durchschnitt liegenden Städte des ausgewählten Sampies hatte Nümberg im Untersuchungszeitraum überproportionale Verbesserungen zu verzeichnen, so daß sich ihre Sterbeverhältnisse den städtischen Durchschnittswerten zusehends anglichen. Ausgedrückt in rohen Sterberaten lagen die Werte in Nümberg in der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts zwar etwas über dem Durchschnitt aller Städte über 15.000 Einwohner, jedoch unter dem Durchschnitt ftlr das gesamte deutsche Reich bzw. Preußen.
VIII. Anhang
493
Anhang 5: Der Ausbau von Trinkwasserversorgung und Kanalisation in den zehn größten deutschen Städten
Ort
Zeitfolge - System
Wasserwerk seit 1856 in Betrieb; eigentliche Ausbauphase Ende der 1870180er Jahre ( 1876177188), Fl. See f.; Kanalisation: Baubeginn: 1852 (Rinnsteine), seit 1873 Kanalisation im eigentlichen Sinn; einheitlich kanalisiert; Mischsystem; Art d. Reinigung: Rieselfelder. Breslau Wasserwerk 1871 eröffnet, Fl. F.; Baubeginn der Kanalisation: 1881; einheitlich kanalisiert; Mischsystem; Art d. Reinigung: Rieselfelder. Dresden Wasserwerk 1875 eröffnet, Gr. Qu.; Baubeginn der Kanalisation: 1890; einheitlich kanalisiert; Mischsystem; Art d. Reinigung: Rechen allein. Dosseidorf Wasserwerk 1870 eröffnet, Gr.; Baubeginn der Kanalisation: 1884; einheitlich kanalisiert; Misch- und Trennsystem; Art d. Reinigung: Klärbecken. Frankfurt/M. Wasserwerke 1873 (Qu.), 1885 (Gr.) und 1885 (FI.) eröffnet; Baubeginn der Kanalisation: 1867; einheitlich kanalisiert; Mischsystem; Art d. Reinigung: Rechen allein u. Klärbecken. Harnburg zentrale Wasserversorgung seit 1849, Filter erst seit 1893, Fl.; Bau der Kanalisation ab 1842; einheitlich kanalisiert; Mischsystem; Art d. Reinigung: Rechen allein, Biolog. Füllverfahren o. Faulkammer, Versuche: Biolog. Tropfverfahren o. Faulkammer. Köln Wasserwerk 1871 eröffnet, Gr.; Baubeginn der Kanalisation seit 1881; einheitlich kanalisiert; Misch- und Trennsystem; Art d. Reinigung: Klärbecken (Versuch). Leipzig Wasserwerke 1866 und 1887 eröffnet (Gr.); Baubeginn der Kanalisation: 1860; einheitlich kanalisiert; Mischsystem mit Spül. Fäk.; Art d. Reinigung: Klärbecken u. Chem.-mech. Klärung. München Wasserwerk 1883 eröffnet, Qu.; Kanalisation seit 1880181; einheitlich kanalisiert; Mischsystem; Art d. Reinigung: Keine. Nürnberg Wasserwerk 1865 und 1885 eröffnet, Gr.; Baubeginn der Kanalisation: 1874; einheitlich kanalisiert; Mischsystem o. F.; Art d. Reinigung: Keine. Berlin
Kanalisation: System und Behandlung mit Stand 1907. - Wasserversorgung (Stand 1890): Qu.=Quellwasser; Gr.=Grundwasser; FI.=Fluß; f.=künstlich filtriert. Quellen: Statistisches Jahrbuch deutscher Städte, 1 (1890)ff; E. Grahn, Die Art der Wasserversorgung der Städte des Deutschen Reiches mit mehr als 5000 Einwohnern, München 1883; E. Grahn, Die städtische Wasserversorgung im Deutschen Reiche sowie in einigen Nachbarländern, Bd. 1: Königreich Preussen, München 1898, Bd. 2, l: Königreich Bayern, München, 1899; Bd. 2,2: Die deutschen Staaten außer Preussen und Bayern, München 1902; J. Brix I K. Jmhoff IR. We/dert, Die Stadtentwässerung in Deutschland, Bd. I, Jena 1934; H. Salomon, Die städtische Abwasserbeseitigung in Deutschland. Wörterbuchartig angeordnete Nachrichten und Beschreibungen städtischer Kanalisations- und Kläranlagen in deutschen Wohnplätzen. (Abwasser-Lexikon.), Bd. 2, Jena 1907; I. Ergänzungsband, Jena I 91 I.
494
VIII. Anhang
Anhang 6: Regressionsanalyse Für die Analyse ausgewahlt wurden 20 deutsche Großstädte. Da die Datenlage zum Ausbau der Infrastruktur relativ schlecht ist, wurden ausgehend von der Bevölkerungszahl im Jahr 1910 absteigend diejenigen Städte einbezogen, bei denen entsprechende Angaben in den Statistischen Jahrbüchern deutscher Städte vorlagen oder sich daraus berechnen ließen. 2 Zeitrahmen und die Auswahl der Indikatoren werden weitgehend durch die Quellenlage bestimmt. Das statistische Jahrbuch deutscher Städte, das ab 1890 jahrlieh erschien, bietet zahlreiche Infonnationen zum Ausbau von zentraler Wasserversorgung und Kanalisation in den größten deutschen Städten: etwa die Rohrlänge des Wasserversorgungs- und Kanalisationsnetzes, die Zahl der angeschlossenen Grundstücke, Wasserverbrauch, etc. Um einen möglichst großen Zeitraum zu erfassen, wurden die Stichjahre 1890 und 1910 ausgewahlt. Als Indikatoren fllr den Ausbau und die Qualität der gesundheitsbezogenen Infrastruktur dienten: der private Wasserverbrauch pro Kopf, die Qualität des Wassers (gefiltert - ungefiltert) sowie der Anteil der an die Kanalisation angeschlossenen Grundstücke. Da alle ausgewahlten Großstädte nach der Jahrhundertwende über mehrere Wasserwerke verfugten, die nur teilweise mit eine Filteranlage versehen waren, konnte dieser Indikator filr das Stichjahr 1910 nicht berücksichtigt werden. Diese Indikatoren zum Ausbau und Zustand der städtischen Infrastruktur wurden verschiedenen Indikatoren der Sterblichkeit gegenübergestellt: Als klassischer Indikator filr die potentiellen Wirkungen sanitärer Refonnen gilt die Sterblichkeit an Abdominaltyphus. Zusätzlich wurde die Sterblichkeit an gastro-intestinalen Erkrankungen ausgewahlt, da diese besonders umweltsensitiv reagieren sollen und vor allem eine große städtische Risikogruppe, die Säuglinge, betrafen. Angesichts rückläufiger Stillquoten in den Städten lautete die Arbeitshypothese, daß Quantität und Qualität des filr die künstliche Emahrung notwendigen Wassers besondere Bedeutung fllr die Überlebenschancen der Säuglinge erlangte. Als zusätzlicher Test wurde deshalb auch die Säuglingssterblichkeit in die Analyse einbezogen und, um eventuelle Auswirkungen auf die Gesamtsterblichkeit abschätzen zu können, schließlich auch die rohen Sterberaten. Diese entsprechenden vitalstatistischen Daten wurden aus den Veröffentlichungen des kaiserlichen Gesundheitsamtes berechnet, wo ab 1877 jährlich ausgewählte Todesursachen fllr alle Städte über 15.000 Einwohner publiziert wurden. 3 Mit dem Ziel, anhand der ausgewählten Indikatoren zur sanitären Reform die Höhe der Sterblichkeit vorhersagen zu können, wurden diese Daten einer multiplen linearen Regressionsanalyse unterzogen. Zur Überprüfung der Güte des auf diese Weise filr den jeweiligen Zeitschnitt bzw. die jeweilige Sterblichkeit berechneten Modells wurden verschiedene statistische Tests verwendet und die entsprechenden p-Werte betrachtet. So wurde anhand eines approximativ t-verteilten Testwertes bestimmt, ob die einzelnen Prädiktorvariablen einen signifikanten Beitrag zur Vorhersage leisten. Ein weiterer F-verteilter Test kontrollierte, ob ein lineares Modell unter Verwendung der gewählten Prädiktaren überhaupt zulässig ist. Der Koeffizient R2 beschrieb, wieviel Prozent der Varianz in den Sterblichkeitsdaten durch die gewahlten Indikatoren erklärt werden konnten. Die durchgefilhrte Regressionsanalyse zeigte filr die ausgewählten Zeitschnitte 1890 und 1910 folgende Ergebnisse:
l
Dies waren in alphabetischer Reihenfolge: Aachen, Berlin, Bremen, Breslau, Charlottenburg, Chemnitz, Dortmund, Dresden, DUsseldorf, Essen, Frankfurt am Main, Halle, Hamburg, Hannover, Kiel, Köln, Königsberg, Leipzig, Magdeburg, Mannheim, München, NUmberg, Straßburg, Stuttgart. 3
Vgl. Kapitel1.4 und Anhang I.
VIII. Anhang
495
Gesamtsterblichkeit
Im Jahre 1890 konnte keiner der drei Faktoren Filter (p = 0,87}, Wasser pro Kopf (p = 0,59) und Anteil der an die Kanalisation angeschlossenen Bevölkerung (p = 0,81) als aussagekräftig zur Vorhersage der Gesamtsterblichkeit betrachtet werden. Desweiteren zeigte die F-Statistik (p = 0,93), daß nicht davon ausgegangen werden kann, daß die Faktoren linear mit der Sterblichkeit zusammenhangen sowie die R2 -Statistik (R2 = 0,03), daß in diesem Modell nur 3% der Varianz erklart werden konnten. Im Jahre 1910 waren die Ergebnisse entsprechend. Die p-Werte der t-Statistik ftlr die Koeffizienten lagen bei p = 0,88 ftlr den Anteil der an die Kanalisation angeschlossenen Bevölkerung und bei p = 0,51 ftlr den Faktor Wasser pro
Kopf. Es konnten wiederum nur 3% der Varianz erklart werden (R2 = 0,03), der p-Wert der F-Statistik lag bei p = 0,80.
Säuglingssterblichkeit
Bezüglich der Säuglingssterblichkeit waren die Ergebnisse sogar noch schlechter als ftlr die Gesamtsterblichkeit In beiden Zeitschnitten konnte nur etwa ein Prozent der Varianz erklart werden; der p-Wert der F-Statistik lag bei p = 0,99 (1890) bzw. p = 0,90 (1910). Sterblichkeit an Typhus
Im Falle der Sterblichkeit an Typhus brachte die erste Analyse weniger schlechte Ergebnisse. Zwar gab es kein signifikantes Ergebnis, der p-Wert der IStatistik ftlr die Koeffizienten lag im Jahre 1890 ftlr den Faktor Wasser pro Kopfbei p = 0,07 und im Jahre 1910 ftlr den Anteil der an die Kanalisation angeschlossenen Bevölkerung bei p = 0,09, war also relativ niedrig. Es konnten jedoch nur 15% (1890) bzw. 28% (1910) der Varianz erklart werden, der pWert der F-Statistik lag aber bei p = 0,22 bzw. p = 0,14, so daß versucht wurde, die Modeliierung durch Weglassen einzelner Faktoren zu verbessern. Dies ftlhrte zwar zu einer deutlichen Verbesserung des p-Wertes der F-Statistik, der Anteil der erklarten Varianz stieg jedoch nicht an, so daß auch hier davon ausgegangen werden kann, daß die gewahlten Faktoren zur Vorhersage der Sterblichkeit nicht ausreichen. Sterblichkeit an Darmerkrankungen
Die Ergebnisse ftlr die Sterblichkeit an Darmerkrankungen ahnelten denen für die Säuglingssterblichkeit. Auch hier konnte jeweils nur ein sehr geringer Teil der Varianz, 3% fllr das Jahr 1890 und 2% ftlr das Jahr 1910, durch die gewahlten Faktoren erklart werden. Die p-Werte der F-Statistik (p = 0,93 bzw. p = 0,86) deuteten ebenfalls darauf hin, daß die Modeliierung nicht als adäquat betrachtet werden kann. Insgesamt scheint es also nicht möglich zu sein, anhand einer linearen Regression die Sterblichkeit mit Hilfe der beschriebenen Faktoren vorherzusagen. Eine graphische Darstellung der Daten unterstützte diese Erkenntnis, da dort ebenfalls kein linearer Zusammenhang zwischen den einzelnen Faktoren und der Sterblichkeit augenfltllig wurde. Da auf diese Weise deutlich wurde, daß das mathematische Modell nicht tragflthig ist, wurde auf eine Wiedergabe der berechneten Koeffizienten verzichtet.
IX. Register Fettdruck verweist auftabellarische Zahlenangaben, Kursivdruck auf Graphiken Aachen 383, 492 Abdominaltyphus 36, 40, 51, 66, 71, 72, 76, 79-84, 109, 110, 112, 117, 118-121, 126, 127,128,129, 162, 170, 194,204, 210,213,279-285,286,287,289,291293,294,295, 296-305,320,400,402, 408, 478-485, 492 (vgl. Typhus) Abdominaltyphus-Epidemien 51, 82, 284,288,290,299 Bekämpfungsmaßnahmen 82-84 Einkommen und Sterblichkeit210, 212, 213,402 in Großstädten 126-129,162,170, 194, 287,400, 478-485,492 in Harnburg 52, 66,204, 289,291-293, 294,295, 296,297 in Preußen 109-112, 117-121,286,478485 - und Sanitäre Reformen 40, 52, 80, 81. 84, 279-285, 286, 287, 289, 291-293, 294,295,296,297,408,492 - Übertragungswege 36, 79-84, 290, 291 Abfallbeseitigung 406 Abtreibung 149 Abwasser 251, 298, 406 Abwasserreinigungsverfahren 253, 261, 264,298,406,491 Abzehrung 73 AIDS 21, 173 Akute Krankheiten I 09, III Akute Entzündungen des zentralen Nervensystems 472, 473 - Akute Infektionskrankheiten 76, 127, 361,364,373 - Akute Magen- und Darmkrankheiten 473 - Akute Erkrankungen der Atmungsorgane 67, 109,472,473 Alkoholkonsum 124, 154 Alkoholvergiftungen 363
Allgemeines Krankenhaus 347,351 Alphabetisierungsgrad 371,411 Alte Menschen 73, 76, 88, 341,356,366, 367,399 Altersschwäche 66, 71, 73, 109-111, 112, 115, 116, 118-121, 124, 125, 129, 130, 478-485, 490 altersspezifische Sterblichkeit 60, 88, 131, 360,362 altersspezifisches Todesursachenpanorama 66,68, 75,472,478 Altersstruktur 37, 55, 70, 94, 95, 97, 114, 193, 197,245,270,321, 345,356,357, 360 Altona 255, 288,289, 291 Amerikanische Städte 281 Ammenmilch 159, 160 Amtsärzte 60, 326 Analphabetismus 371 Angehörige 358, 359 Angestellte 146, 377 Anschlussgrad 263, 282n, 492 Antisepsis 122 Apoplexie 472, 473,474 Arbeiter 60, 146, 148, 205,214,225,233, 234,240,292,352,367, 370,376,377, 390,394,404,405,410 - Arbeiterbewegung 148 - Arbeiterfamilien 146, 148,214, 367, 377 - Arbeiterinnen 376, 377 - Arbeiterschutz 60, 352, 3 70, 394, 405, 410 - Arbeiterviertel 205, 233, 234, 240, 292 - Arbeiterwohnungen 390, 404 Arbeitsbedingungen 38, 43, 48, 124, 161, 188, 213,267,316 Arbeitsfähigkeit 356, 365, 394 Arbeitshäuser 381 Arbeitslosigkeit 20, 208 Arbeitsmarktl24, 178, 208,213, 215,218, 219,248, 355,365, 403,410,412
IX. Register Arbeitstage 369 Arbeitsunfähigkeit 366, 367 Architektur 3 73 Arrnut20,25,27,208,343,345-348,351354,355,356,359,360,365-368,370, 372, 385-387,392 - Arrnenftlrsorge 27, 208, 343, 345-348, 351-354,355,356,359,365-368,370, 385,386,392 Armenarzt 386 - Armenordnung 353 - Armenpfleger 385 - Armenschule 372 - Armenverwaltungen 25, 347, 348, 353, 354,360,365 Arzneien 377 Ärzte 48, 59, 60, 64, 65, 214, 277, 284, 323, 329,331,338,339, 349, 369,371, 373-377,381,385,386,392, 394,410, 411 - (vgl.: Diagnose, Hygiene, Medizin) - Ärztedichte 48, II 0, 324-328, 329, 330, 332,338,409 - Ärztefrauen 376 - ärztliche Maßnahmen 60, 323, 336, 366, 367, 398 - Amtsärzte 59, 60, 277, 326, 373, 377, 385-387 - Leichenschau 64-66 - medizinische Profession 369 - Säuglingspflege 214,331,371,374,375, 377,381,385,386,392,394,410,411 - Sanitäre Reformen 277, 284 - Unterschichten 369, 371,411 Asepsis 122, 379 Assanierung 25, 84, 250-253, 270, 279, 286,321,405,407 Aston 337 Atemwegskrankheiten 43, 71, 76, 109-111, 112,113-115,117,118-121, 125-127, 128, 129, 130, 170, 278, 321 , 324,331, 333, 334,349,360, 361, 363,364, 365, 400, 472-474, 478-485, 486-490 - (vgl. Diphtherie, Krupp, Lungenkrankheiten, Tuberkulose) Atrophie 72,472-474 AufklärungsbroschUren 381 Augenkrankheiten 349, 359, 361, 363, 364, 365 Augusta Victoria 378 Auswanderer 94n 32 Vögele
497
Bad 370 Badeanstalten 59, 373 Baden 65, 132, 135, 155,236,326 Bader 64 Baginsky, Adolf331 Bakteriologie 81, 83,296, 300, 312,333, 336 - Bakteriologische Untersuchungsstationen 84 Ballod, Carl 166 Barackenkrankenhaus 347 Barbiere 64 Barmen 157 Bauchfellentzündung 473,474 Bauemsehaft 34 Baum, Marie 156, 185, 231n, 315, 379, 385,391 Bayern 58, 60,63-65,90,91 , 132, 133, 135, 138, 142, 150, 156, 174, 328 - Gesundheitswesen 60, 328 - Landwirtschaft 174 - Leichenschau 64-66 - Säuglingssterblichkeit 132, 133, 135, 138, 142, 150 - Stadt-Land-Vergleich 90, 91 Beamte 146 Beamtenfamilien 376, 377 Bebauungsplan 230 Behandlungsergebnisse 363, 364, 365 Behausungsziffer 224, 226, 236, 242, 243 Behring, Emil von 335, 337 Beinahrung 160 Belegungsdichte 42, 223, 224, 227, 228, 238, 246 Belfast 40 Belgien 385 Bergbaustädte 328 Berlin 47, 53, 55, 57, 91, 92, 93, 94, 96, 107, 108, 128, 129, 130, 133, 135, 138, 142,143, 145, 150, 153, 157, 159, 160n, 1~1~1~1~1~1~1~1~
194, 198,210n,211,216,217, 219, 220, 224-226, 227,228,229,230, 232-234, 239n,242,243,244-247, 254, 256, 260, 261,263,271,272,281,285,287,303,
306,309,314,316,317,318,319,323,
327, 329,331,335,339,344,379, 383, 384,389, 395,403,472-475, 486, 487, 489,491,492 - Abwasserreinigungsanlagen 261,491
498
IX. Register
- Bevölkerungsdichte 49, 55, 163, 164, 165, 224-228 - Einwohnerzahlen 55, 162 - Frauenerwerbsarbeit 216,217-220 - Fruchtbarkeitsrate 145 - Fürsorgeeinrichtungen 316,383,384, 389,395 - Gastro-intestinale Krankheiten 285, 303 - Kanalisation 256, 263, 281, 491 - Lohnniveau210n,211,219 - Medizinische Versorgung 328, 329, 331, 344 - Säuglingsernährung 157, 159, 160n, 309,316,318,384 - Säuglingssterblichkeit 133, 135, 138, 150, 153, 157, 160, 162,220,306,314,
317-319
- Sommergipfel der Säuglingssterblichkeit
153, 314, 317-319
- Stadtteilanalyse 281 Sterblichkeit im großstädtischen Vergleich 91-93, 96, 107, 108, 128-130, 162,198,220,329 - Todesursachenpanorama 129,329, 472475, 486,487, 489 - Tuberkulose 162, 192, 198, 220, 329 - Typhus 162, 198,220, 281 , 287 - Uneheliche Säuglinge 142, 143 - Wasserversorgung 254, 255, 260, 263, 271,272,281 , 491 - Wirtschaftsstruktur 57, 194, 198 - Wohnverhältnisse 224-226, 227, 228, 229,230,232-234,239n,242,243, 244247, 403 - Zugezogene 94, 166, 167 Bertillon, Jacques 192 Beruf der Eltern 140, 40 I Berufsbeamtenturn 60 Berufsgenossenschaften 354, 355 Berufsgruppen 193, 198 Berufsspektrum 351 Berufszählungen 58, 194, 195, 208, 214217,248, 402 Betriebskrankenkassen 352, 355 Bettenzahl326,328,330,330n,332n,346 Bevölkerungsdichte 16, 44, 45, SO, 53, 55, 106, 161 , 163, 164, 165, 170,200, 205, 221,234,235,400 Bevölkerungsstruktur 28, 97, 165
Bevölkerungswachstum 17, 18, 30, 33, 40, 54-56, 75, 94, 147, 162, 163, 181, 196, 221 , 248,255,290,398,399, 404 - Bevölkerungswachstum, natürliches 54, 196 - Bevölkerungswachstum, städtisches 54 Bevölkerungszahl 163,492 Bildung 38, 139, 140, 148,371 , 401 Birmingham 40, 280, 337 Blasenkrankheiten 472-474 Blinddarmentzündung 474 Blotevogel, Hans H. 194 Boccaccio 187 Bochum 300 Bodenseegebiet 185 Bodentheorie 80, 81, 268 Bonn 312 Boston 176 Brandenburg 133 Bräune 472 Brechdurchfall67, 303, 331,472-474 Bremen 168, 188, 226, 344, 492 Breslau 47, 52, 55, 57, 77, 92, 93, 96, 97, 107, 108, 128, 129, 135, 142, 143, 159, 162, 165, 184, 191, 198, 210n, 211 , 216, 217, 218, 219,220,226, 227, 228, 229, 231 , 232, 234,239n, 242, 243, 246, 255, 256,260-262,263, 272, 277,303, 310, 328,329,383, 384,389,472-475, 486, 487, 489,491,492 - Abwasserreinigungsanlagen 261 , 491 - Bevölkerungsdichte 165, 226-228 - Einwohnerzahlen 55, 162 - Frauenerwerbsarbeit 216,217-220 - Fürsorgeeinrichtungen 384, 389 - Gastro-intestinale Krankheiten 52, 303 - Kanalisation 256,262, 263,491 - Lohnniveau 210n, 211 - Medizinische Versorgung 328, 329 - Säuglingssterblichkeit 77, 135, 159, 162, 184,220 - Sterblichkeit im großstädtischen Vergleich 92, 93, 96, 107, 108, 128-130, 162, 198,220,329 - Todesursachenpanorama 129,472-475, 486,487,489 - Tuberkulose 162, 191, 198, 220, 329 - Typhus 162, 198,220, 329 - Uneheliche Säuglinge 142, 143 - Wasserversorgung 255, 260, 262, 263, 272, 277, 491
ss,
IX. Register - Wirtscl\aftsstruktur 57, 198 - Wohnverhältnisse 226, 227, 228, 229, 231 , 232, 234,239n,242,243,246 - Zugezogenenanteil 94 Bronchitis 4 73 Brown, John C. 43, 281 Brustfellentzündung 472, 473, 474 Brustkinder 157, 158 Bruttoreproduktionsrate 31 Bruttosozialprodukt 179 Buhl, Ludwig 80 Bund ftlr Mutterschutz 148 Bundesstaaten 71 BUrgerliehe Frauenbewegung 385 BUrgerliehe Vereine 378,411 Burroughs338 Catuharn 299 Chadwick, Edwin 221 , 253, 267, 269 Charlottenburg 143, 191, 236, 388, 406, 492 Chelmsford 300 Chemnitz 259, 492 Chevalier, Louis 188 Chirurgen 64, 358 chirurgische Krankheiten 349, 360, 361, 364, 365 chirurgische Technik 394,410 Cholera 21, 27, 51, 66, 76, 80-82, 83, II 0, 188, 190, 191, 235,245,266-269,279, 296,299, 300,308,360,400-402 - Cholera-Epidemien 5 I, 66, 188, 269, 299,301,303,305,407,488 - in Harnburg 27, 28, 52, 190, 296,301, 303,305,321,407 Cholera Nostras 72, 4 72 Chronische Krankheiten - Chronische Entzündung der Atmungsorgane 472,473 - Chronische Entzündung des zentralen Nervensystems 472, 473 - Chronische Infektionskrankheiten 397 CDR (Crude Death Rate; siehe auch: Sterberate) 128, 162, 220, 329 Danemark 385 Danzig 380n Daseinsftlrsorge 24, 59, 251,267
499
degenerative Krankheiten 33, 43, 71 , 72, 109, !II, 112,117,125,170, 397,400, 486, 488,490 Demographischer Übergang 29-31 Desinfektionsanstalten 251, 321-322, 408 Determinanten der Säuglingssterblichkeit 138, 139, 140 Deutscher Verein ftlr Öffentliche Gesundheitspflege 298 Deutsches Reich, Deutschland 17-20, 23, 27, 29, 31 , 34, 35, 41 , 44, 47. 49, 50, 53, 69-70, 76, 84, 87, 88, 90, 91 , 92, 93, 124,131 , 133,134,135,137, 142, 145, 147,148, ISO, 152,155,174,176, 178181, 185, 188, 189, 194,216,217, 223, 229,230, 251,253,267,270,271, 275, 282,284, 285,288,303-304,307, 308, 311-313, 326, 329, 336-339, 344, 345, 367, 368, 371 , 378, 380, 382, 383,397, 399,402,405,406, 408,412,490 Diagnosemöglichkeiten 66, 79, 80, 236, 336,349,394,410 Diagnosen 63, 66, 68, 116, 124, 307, 331, 333,348,349,352,361,363,472,473 Diarrhöe 29, 64, 66, 67, 116, 124, 307, 308, 313, 331 , 333,348,349, 352,361 , 363,472,473 Dienstboten 189, 215,242, 352,391 Dienstbotenabonements 352 Dienstmädchen 376 Diphtherie 36, 45, 71, 76, 109-111 , 112, 113-115, 117, 118-121, 125, 129, 130, 210, 213, 235,236,245,323, 325, 329,
335-341 , 342, 343,349,366, 394,400,
402,410, 472,478-485,486,488,489 - Einkommen und Sterblichkeit 210, 212, 213 - in Harnburg 235,339, 341, 343,488 - Medizinische Versorgung 329, 335-341 - in Preußen 109-121, 286,400,478-485 - Serum-Therapie 36, 45, 323, 325, 335341 , 366,394,410 Dörfliche Gemeinden 257 Dortmund 143, 196, 272,328, 329,492 Dreiklassenwahlrecht 58, 257 Dresden 47, 48, 55, 57, 69, 73, 91, 92, 93, 94, 96, 135, 135, 142, 162, 165, 166, 195, 198, 210, 211 , 216, 217, 219,220, 226,227,228, 229,231 ,239n,240,242, 243, 255, 256, 260,263,272,303, 306, 309, 314, 315, 3/7, 3/9, 328,329, 330,
500
IX. Register
331,379,384,472,473,474,475,487, 491,492 Bevölkerungsdichte 165, 226-228 Einwohnerzahlen 55, 162 Frauenerwerbsarbeit 216, 217-220 - Fürsorgeeinrichtungen 383, 384 - Gastro-intestinale Krankheiten 303 - Kanalisation 256, 263, 491 - Lohnniveau 210n, 211 - Medizinische Versorgung 328, 329, 330 - Poliklinik filr Säuglinge und Kinder 379 - Säuglingsernährung 309, 384 Säuglingssterblichkeit 135, 162,220, 306,314,3/7-319 - Sterblichkeit im großstädtischen Vergleich 91-93,96, 162, 198,220,329 Todesursachenpanorama 472-475, 487 - Tuberkulose 162, 198, 220, 329 - Typhus 162, 198,220,329 - Uneheliche Säuglinge 142, 143 Wasserversorgung 255, 260, 263, 272, 491 - Wirtschaftsstruktur 57, 198 - Wohnverhältnisse 226, 227, 228, 229, 231,239n,240,242,243 - Zugezogenenanteil 94 Dritte Welt 181, 393 Dublin 176 Duisburg 143 Duncan, Henry 221 Durchfallerkrankungen 29, 64, 66, 67, 116, 124,307,308,313,331,333,348,349, 352,361,363,472,473 Duschanstalten 3 74 DUsseldorf 47, 51,56-58, 59, 62, 91, 92, 93, 94, 96, 107, 108, 128, 129, 130, 135, 141, 142,143,144, 145, 151,152, 156, 157, 158, 162, 163, 164, 165, 167, 194, 196,197,198,205,206,207,210,211, 216,217,218,219,220,227,228,229, 235,236,242,243,256,259,260,262, 263,264,269,270,272,274,303,310313,315,317,328,329,343,345-349, 350,353-360,361,362,364,365,372n, 374-376, 378, 379, 382, 383, 384, 387, 391,392,395,402,472-475,487,491, 492 - Abwasserreinigungsanlage 264 - Bevölkerungsdichte 55, 164, 165, 227, 228 - Einwohnerzahlen 55, 162
- Evangelisches Krankenhaus 346, 348, 349,350,350-354,355,357,359,360, 362,363,364 - Frauenerwerbsarbeit 216,217,218,219, 220 - Fruchtbarkeitsraten 145, 151, !52 - Fürsorgeeinrichtungen 375, 376, 378, 383,384,387,391,395 - Gastro-intestinale Krankheiten 158, 197, 303 - Heilanstalt der barmherzigen Schwestern vom Heiligen Kreuz 346, 348, 349, 350, 353,354,359 - Kanalisation 256, 259, 262, 263, 274, 491 - Krankenhäuser 62, 235, 236, 343-365 - Lohnniveau 210n, 211, 219 - Marienhospital 346, 347, 348, 349,350, 353,354,359 - Medizinische Versorgung 328, 329 - Regierungsbezirk DUsseldorf 156, !57, 372n, 378 - Säuglingsernährung 156-1 58, 310-313, 315,374,382,383,384,391 - Säuglingssterblichkeit 135, 151, 156158,162,220,314,392,3/7 - Stadtteilanalyse 198, 205, 206, 207 - Städtische Krankenanstalten und Medizinische Akademie 379 - Sterblichkeit im großstädtischen Vergleich 52, 91-93, 96, 107, 108, 128130,162,198,220,269,270,329 - Todesursachenpanorama 129, 220, 472475,487 - Tuberkulose 162, 196, 198,220,329 - Typhus 162, 198,220, 329 - Uneheliche Säuglinge 141-143 - Verein fllr Säuglingsfllrsorge 185, 374376,378-381, 386 - Wasserversorgung 255, 260, 262, 263, 272,274,491 - Wirtschaftsstruktur 52, 56, 57, 59, 194, 198 - Wohnverhältnisse 206, 227, 228, 229, 235,236,242,243,402 - Zugezogene 94, 167 Eberth, Carl 79 Edinburgh 176, 358 Effizienz der Krankenhäuser 63
IX. Register Ehefrauen 356 eheliche Fruchtbarkeit 125 Eingemeindungen 54, 75, 194 Einheimische 162, 167, 168 Einkommen 202, 203, 204, 205, 208, 209, 230,402 - (vgl. Lebensstandard, Löhne) - Realeinkommen 18, 31, 179, 230, 367 Einstellungen zu Leben und Tod 42, 131, 139, 183,371,401 Einwanderer 94n, 169, 196 Einwanderung 20, 89, 161 Eisenbahnnetz 184 Eibe 190 Elberfelder System 353 Elektrizität 59 Eltern 373, 394 Emmerich, Rudolf301 Empfllngnisverhütung 149 Engels, Friedrich 16,221,267 England - (vgl. Großbritannien, London) - 16, 18, 27, 31, 34, 36, 40, 41, 49, 52, 53, 134, 152, 155, 173, 178-181,230,244, 254,268,274,282,284,298,308,316, 320,336,337,342,358,367,371,372, 385,393n,398,399,405,412 - Bevölkerungszunahme 16, 31 , 398 - Bildungsgrad 371,372 - Diphtherie 336, 33 7. 342 - Epidemiologischer Übergang 34, 36, 40, 41,173,181,284,399 - Ernährungslage 173 - Gastro-intestinale Erkrankungen 16, 399 - Industrialisierung 16, 18, 53, 178, 180 - Krankenanstalten 358 - Realeinkommen 31, 179, 230, 367 - Säuglingsernährung 155,282,308,316 - Säuglingssterblichkeit 16, 134, 152, 284, 385,393n - Sanitäre Reformen 254, 268, 274, 284, 298, 320,367,405,412 - Stadt-Land-Vergleich 50 - Standardisierte Sterberate 178 - Tuberkulose 16, 399 - Urbanisierung 16, 53, 54 - Wohnsituation 230, 244 Entbindung 360 - Entbindungsanstalt 115 Entsorgungssicherheit 258 Entwicklungsstörungen 349, 361, 363, 364
501
Entzündliche Krankheiten der Atmungsorgane 473 Entzündungen 472-474 Epidemien 22, 27, 30, 32, 35, 40, 51, 66, 78, 81, 83, 127, 183, 187, 190,266,268, 269,283,284,288-290,293-296,299302, 320,321,330,366,397,400,406, 407 Epidemiologie 28, 41 Epidemiologischer Übergang 29, 30, 3235,88,397,406 Epilepsie 360 Erfolgsquoten 363, 365 Erkrankungen s. Krankheiten Ernährung 36-38, 138, 139, 140, 141, 153, 156,157, 158, 159, 171, 173, 174n, 176, 177,180,188,193,209,218,223,245, 305,314,3/8,361,363,364,370,380, 401 - (vgl. Nahrung, Säuglingsernährung, Stillen) - Ernährungspraktiken flir Säuglinge 38, 139, 159, 171,305,380,401 - Ernährungsstörungen 72, 349, 361, 363, 364 - Ernährungsverhältnisse 36, 37, 173, 180, 188,209 - Ernährungsweise 141, 153, 156, /5 7, 158, 174n, 218,314,318 - Ernährungszustand 72, 175-177, 472474 - Unterernährung 72, 472-474 Erster Weltkrieg 315, 390 Erwerbstätigkeit der Frauen 14 7 Erzieherische Mitte1370 Erziehung 366, 371, 379,380 Essen 143, 157, 196,328,329,383,492 Etat ftlr die Armenpflege 347 Ethnische Strukturen 199 Europa 20, 27, 40, 123, 226, 266, 343 Evans, Richard 27, 28 Experimentelle Hygiene 79, 81,302 Fabrikarbeiterinnen 376 Fabrikbesitzer 374 Fabriken 391 Fäkalien 260 Familie 146, 370 Familienangehörige 352, 353, 356, 367, 369,394,402
502 Familieneinkommen 140, 375,387,403, 412 Familiengröße 146, 242, 243, 249, 4.0 4 Familienplanung 183, 242 Familienunterstützung 368,369, 391 Farbwerke Hoechst 337 Farr, William 269 Faulkammer 491 Fehldiagnosen 67 Fehlernährung 33 Fertilität31, 32, 106, 125, 140, 141, 144, 145, 146, 147-151, 159, 171,243, 380, 401,487 - (vgl. Fruchtbarkeit, Geburten) - Fertilitätsraten 106, 144, 145,146, 151, 159,243,380,487 - Fertilitätsrückgang 147, 148, 171,401 Filme 382 Filteranlage 283, 288, 290, 296, 298, 303, 305, 321,407,492 Finanzielle Ergebnisse 272 Finanzierung 351,355,365,369,405 Finanzierung von Krankenanstalten 353, 354 Flaschenkinder I 57, 158 Fleckfieber, Flecktyphus 71, 78, 109, 112, 114, 129 Florenz 187 Floud, Roderick 176 Flügge, Carl 277 Flußverunreinigung 80, 297, 298 Fogel, Robert 15, 39, 176 Folgen der Geburt 472-474 Forschungsinstitut 337 Fortbildung 376 Fortbildungsschulen 372 Fortbildungsveranstaltungen 375, 376 Frankfurt am Main 47, 56-58, 91, 92, 93, 94, 134, 135, 142, 143, 158, 162, 164, 165, 184, 195, 198, 210,211,216, 217, 219, 220,226,227, 228, 229,242,243, 255,259, 260,262, 263,268,272,287, 297,303, 328, 329,383, 384,386,389, 472-475,487, 488,491,492 - Bevölkerungsdichte 55, 164, 165, 226228 - Einwohnerzahlen 55, 162 - Frauenerwerbsarbeit 216, 217-220 - Fürsorgeeinrichtungen 383, 384, 386, 389 - Gastro-intestinale Krankheiten 158, 303
IX. Register - Kanalisation 256, 259, 262, 263, 268, 287,297,491 - Lohnniveau210n,211,219 - Medizinische Versorgung 328, 329 - Säuglingsernährung 384 - Säuglingssterblichkeit 134, 135, 162, 184,220 - Sterblichkeit im großstädtischen Vergleich 91-93, 162, 198,220,329 - Todesursachenpanorama 472-475, 487, 488 - Tuberkulose 162, 198, 220, 329 - Typhus 162, 198, 220, 287, 329 - Uneheliche Säuglinge 142, 143 - Wasserversorgung 255, 260, 263, 272, 491 - Wirtschaftsstruktur 56, 57, 196, 198 - Wohnverhältnisse 226, 227, 228, 229, 242,243 - Zugezogenenanteil 94 Frankreich 27, 84, 134, 152, 173,311, 316, 371,383,385,408 Frauen 93, 99, 102-106, 107, 108, 116, 122, 123, 144, 147, 148, 178, 182,209, 212,213, 216, 217n, 218,219,248,332, 356,368,369,371,375,391,397,402, 403, 478-483 - (vgl. geschlechtsspezifische Differenzierung, Geburten, Kindbettfieber, Mutter) - Frauen im gebärfahigen Alter 144 - Frauenemanzipation 147, 148 - Frauenerwerbsarbeit 20, 45, 140, 178, 213-216,217n, 218, 219,248, 402 - Frauenvereine 374-377 Fremde 168 Fridlizius, Gunnar 124 Fruchtbarkeit]!, 32, 106, 125,140, 141, 144,145,146,147-151,159,171,243, 380,401 , 487 - Fruchtbarkeit, eheliche 125 - Fruchtbarkeitkeitsrückgang 147, 148, 171 , 401 - Fruchtbarkeitsrate 106, 144, 145, 146, 151, 159, 243, 380, 487 funktionale Städtetypen 58 Fürsorge 26, 390 - Fürsorgeärzte 385, 386 - Fürsorgekurse 376 - Fürsorgestellen 3 78, 382, 386, 388-390, 392
IX. Register Gaftky, Georg 79 Galizien 340 Gartenstadt-Bewegung 241 Gas 59 Gastro-intestinale Erkrankungen 16, 31, 33, 39, 52, 71, 72, 109; 110, 125, 127, 132, 153, 159, 177,204,248,250,281-285, 302,303,304,305,307,313,320,324, 331,361,366,394,399-402,404,407410,486-490,492 - (vgl. Magen-Darm-Krankheiten, Säuglingssterblichkeit, Verdauungskrankheiten) Gebarstreik 148 Geburten 88, 99, 104, 360, 370 - (vgl. Fertilität, Fruchtbarkeit) - Entbindungsanstalt 115 - Geburtenbeschränkung 30, 148, 149 - Geburtenfolge 157 - Geburtenkontrolle 149, 196 - Geburtenraten 20, 30, 115, 146, 149151, 152, 159, 196,220,242,308,322, 408,487 GeburtenrUckgang 144, 145, 147, 148, 151, 171 Geburtenzahl 196,314 Geburtsgewicht 176 Geburtsrang 156, I 57, 183 Gefllßkrankheiten 472,473 Gehimkrankheiten71, 109-111,112,115, 117,118-121, 129,130,472-474,478485, 486-489 Geisteskranke 360 Gelsenkirchen 300, 301 Gemeindebetriebe 271,286 Gemeindegröße 138 gemeinnütziger Verein 346 Gemeinnützigkeit 275 Generationstafeln 97 Genua300 Standardisierte Gesamtsterberate 111 Gesamtsterblichkeit III, 174, 493 Geschlechtsorgane 349, 361, 364 Geschlechtsspezifische Differenzierung 3 8, 39, 60, 67, 69-71, 73, 75, 76, 88, 95, 99, 122,209,345,399,472,478 - Geschlechtsspezifische Lebenserwartung 99, 102-108, 122-126 Geschlechtsspezifische Sterblichkeit 88, 99, 122-126
503
- Geschlechtsspezifisches Todesursachenpanorama 68,472,478 Geschlechtsstruktur 95, 345 Geschwüre 360 Gesetzgebung 369 Gesetzliche Krankenversicherung 326, 351, 367,368, 369,413 Gesetzliche Sozialversicherung 345 Gesundheit 22, 61, 160, 188, 368,377 - (vgl. Hygiene) - Gesundheit der Mutter 140 - gesundheitsbewußtes Verhalten 366 - gesundheitserzieherische Elemente 413 - Gesundheitsfllrsorge 302 - Gesundheitspolitik 21, 22, 27, 28, 275, 339 - Gesundheitsrisiken 29, 114, 124 - Gesundheitsrisiken, altersspezifische 114 - Gesundheitsverhältnisse 22, 61; 62, 84, 160,166,176,178,182,188,192,221, 247,367,368,377,400,412,487 - Gesundheitsverhältnisse, berufsspezifische 192 - Gesundheitsverhältnisse, Indikator des Wandels 61 - Gesundheitsvorsorge 3 8 - Gesundheitswesen 397 Getreidepreise 184, 185 Getreideweltmarkt 181 Gewalt II 0, 117 Gewaltsamer Tod 71,478-485,488 Glasgow40 Glauchau 254 Gordon, Joseph 259 Gottstein, Adolf339 Goutte de Lait-Bewegung 311, 408 Graunt, John 15, 97 Grenzwerte 297, 298 Großbritannien 179, 223, 253, 259, 307 Größe kompletter Familien 146 Größenwachstum 176 Großstadt 15-20,28,46,49, 53, 59, 64, 67, 84, 106, 107, 131, 138, 169, 170,230, 248,253,257,307,316,327,359,373, 381,390,398-400,405,407 - (vgl. Stadt, Städtesample) Grotjahn, Alfred 244 Grünanlagen 59 Grundwasser 80, 81,260,273,277,290 Grundwasser-IBodentheorie 79, 81, 268
504
IX. Register
Hackenwerd, Heinrich 352 Hafen 56,92 Hafenstadt 52-53 Halle 299,492 Halley, Edmund 97 Harnburg 27, 28, 47, 48, 51-53, 56-60, 63, 64, 77,92,93,94,135, 142,162,165, 190, 191, 195, 196, 198,200-203,204, 205,210,211,216,217,219,220,226, 227,228,229,231,233,235,238,241, 243,254,256,259,260,263,272,284,
281,288,289,290,291-293,294,295,
-
-
296,299,301,303-305,306,314,315, 317-319,321,328,329, 339,341,343, 384,402,407,408,472-474,476,488492 Bevölkerungsdichte 165, 200, 204,226229,235,238,243 Cholera 27, 28, 52, 190, 296, 30 I, 303, 305, 321,407 Einwohnerzahlen 55, 162 Diphtherie 339, 341, 343 Frauenerwerbsarbeit 204, 216, 217-220 Fürsorgeeinrichtungen 383, 384 Gastro-intestinale Krankheiten 303, 304 Gesundheitsbehörden 60 Kanalisation 256, 259, 263, 287, 408, 491 Leichenschau 63, 65 Lohnniveau 204, 210n, 211,219 Medizinische Versorgung 328, 329 Säuglingsemlthrung 3 84 Säuglingssterblichkeit 77, 135, 162, 204, 205, 220, 303, 305, 306, 314, 317-319, 407 Sommergipfel der Sterblichkeit 314,
317-3/9
- Stadtteilanalyse 198-205, 402 - Sterblichkeit im großstädtischen Vergleich 52, 92, 93, 162, 198, 220, 329 - Todesursachenpanorama 204,472-475, 488,489 - Tuberkulose 162, 191, 198, 203, 204, 205,220,329,402 - Typhus 162,198,204,220,284,287296,299,303,329 - Uneheliche Säuglinge 142, 143 - Wasserversorgung 204, 254, 255, 260, 263,272,303-305,321,407,408,491 - Wirtschaftsstruktur 52, 56, 57, 196, 198,
202
- Wohnverhältnisse 202, 204, 226, 227, 228,229,231,233,235,238,2~1.243
- Zugezogene 53, 59, 94 Hamburger, Carl 151 Handel 56,195,198,216 Handelsstädte 269, 328 Hannover133, 143,157,158,189,492 Hardy, Anne 40 HausanschlUsse 283 Hausbesuche 381,382,387,388 Hausfrau 375 Haushalt 220 - Haushaltsbücher 377 - Haushaltsgröße 242 - Haushaltslehrbücher 374 Häusliche Bedienstete 368 Hautkrankheiten 349, 361, 363, 364, 365 Hebammen !!Sn, 313,331,381,385 Heilungschancen 363, 365 Heimarbeit 218, 233, 352 Heiraten 30, 31, 125, 139, 147 - Heiratsalter 30, 125 - Heiratshäufigkeit 30, 31, 147 Herz-Kreislauf-Krankheiten 33, 71, 73, 109, II!, II2, 117,118-121,125,129, 130,170,349,359,361,363,364,365, 400,472-474,478-485,486-488,490 - Herzfehler 472, 473 - Herzinfarkte 33, 474 Hessen 63, 65, 133 Hietala, Marjatta 194 Hobrecht, James 229, 245, 246 Hobrecht-Plan 229 Hochindustrialisierungsphase 283 Hoffmann, Walter G. 174 Hoheitsverwaltung 60 Hohenzollern 133 Hornburg 254 Hospitalisierung 83 Hulll90 Hungerkrisen 32, 34, 35, 177, 182, 397 Hygiene 15, 46, 82, 85, 140, 183, 188,275, 325,371-373,376,377,394,403,409, 411 - (vgl. Gesundheit, Medizin) - Hygienebewußtsein 377 - Hygieneerziehung 372 - Hygieneverhalten 82, 370, 371, 375, 394, 411, 412 - Hygienisierung 46, 85,325,371, 394, 409,411
IX. Register Illegitime Kinder 116n, 138-144, 171, 189, 219,314,381,401 - Illegitimenquote 171, 219, 40 I Imhof, Artbur E. 32n, 41, 42, 122, 183, 188,323,344 Immunität 169 Immunstoffe 154 Impfung 324, 339 IMR (Infant Mortality Rate, siehe auch: Säuglingssterblichkeit) /57, 162, 220 Industrialisierung 16-18,21-24, 30, 45, 45, 49, 58, 59, 84, 88, 122, 123, 130, 148, 169,170, 178,180,181,187, 188, 193, 216,219,225,247,248,398-403,413 Industrie 56, 62, 168, 195,198,216,217, 248,273,298,301,313,321,403,406, 409 - Industriearbeiter 168, 209,213,368,370 Industriebetriebe 258, 391, 392 - Industriegebiet 54 - Industriegesellschaft 46 - Industriekultur 56 - Industrielle Säuglings- u. Kindernahrung 386 - Industrienationen 366 - Industriestädte 57, 196, 266, 267, 269, 405,412 - Industriezweige 405 Infektionskrankheiten 21, 33, 36, 39, 45, 46, 55, 60, 66, 71, 78, 110, 111, 112, 114, 115, 127, 129, 130, 153, 154, 161, 162, 168, 169, 173, 177, 195,234,236, 239,245,283,288,331,338,347,349, 358,400,403 (siehe auch: Krankheiten, Seuchen) Andere Obertragbare Krankheiten 112, 114, 129 - Infektionskrankheiten des Kindesalters 111, 400 - Infektionsrisiken 153, 154, 161, 239, 347,358 Influenza 112, 114, 129, 4 73 lnfrastruktur20, 55, 59, 81, 160,251,253, 257,265,266,268,270,279,282n,284, 286,288,298,320,366,371,405,406408,412,492 Ingenieure 278, 298, 320, 405, 406 Innenstädte 264 Innerstadtische Variabilität 126 Innungskassen 352,355 integrierte Fürsorge 3 79 33 Vögele
505
interlokale Variabilität 128 Intervention 370 Invaliden- und Altersversicherung 61 Investitionen 278 investive Kosten 365 Irland I 73, 385 Isolation im Krankenhaus 370 Jahresreihen 76 Jahreszeitliche Verteilung der Säuglingssterblichkeit 317-319 Johansson, Sheila Ryan 122 Jugendliche 356
Kaiserin Augusta Victoria-Haus zur Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit im Deutschen Reich 378 Kaiserliches Gesundheitsamt 63, 75, 77, 275 Kanalisation 19, 26, 40, 43, 45, 48, 81, 85, 139, /40,240n,250,252-254,256,259, 262,263,264,265,272n,274,276,278283,287,290,298-300,304,308,320, 321,404-408,412,491-493 Kapitalismus 149 Karlsruhe 389 Kartoffel 34, 173 Kassenpatienten 352, 353, 355 Kattowitz 383 Kay-Shuttleworth, James 22 I Keams, Gerry 49 Kellerwohnungen 227, 228, 229, 238, 242, 244-246, 403 Keuchhusten 34, 71, 76, 112, 115, 118121,129,478-485,488 Kiel 143, 492 Kindbett(fieber) 66, 71, 76, II 0, 112, 115n, 116, 118-121, 122, 124, 125, 129, 209, 213,220,400,402,472-474,478-485 Kinder71, 76,109,110,111,115,338, 339,341,356,368,370,373,376,379, 390,394,400,402,408,488 - Kinder, illigitime I 16n - Kinderarbeit 372 - Kinderheim 370 - Kinderkliniken 214,331,379 - Kinderkrankheiten 34, 71, I I I, 169,400 - Kindernahrung 308,309,312,374,386, 408
506
IX. Register
- Kinderpflege 376, 381 - Kinderschutzbestimmungen 372 - Kinderzahl 156 King, Steven 168 Kirche 374, 381 Kirchenbücher 41, 3 59 Kläranlagen 253,298,491 Klassenbildung 42 Klassifikationsschema 70 Kleidung 140, 373 Kleinkinder 34, 189,213,250, 307, 308, 311 , 404 Kleinstädte 104, 105, 286,407 Klimatische EinflUsse 50, 138, 140, 246, 313,315,322,403,409 - (vgl. Lufttemperatur, Sommer, Witterung, Wohnung) KnochenbrUche 359, 360 Knodel, John 32n Koch, Robert 79, 81, 82, 83, 191 , 301,333 Köln 47, 55, 56, 59, 77, 92, 92, 93, 94, 135, 142, 143, 151, 156-159, 162, 163, 164, 165, 197, 198,210,211,216,217, 218,220,226,227,228,229,243,255, 256,263,270,272,285,328,329,368, 383, 384,389,472-474, 476,489,491, 492 Bevölkerungsdichte 55, 163, 164, 165, 226-228 - Einwohnerzahlen 55, 162 - Frauenerwerbsarbeit 216,217-220 - Fürsorgeeinrichtungen 383, 384, 389 - Gastro-intestinale Krankheiten 158, 197, 285,303 - Kanalisation 256, 263,491 - Lohnniveau 210n, 211 - Medizinische Versorgung 328, 329 - Säuglingsernährung 157, 159,384 - Säuglingssterblichkeit 77, 135, 151, 157, 159,162,220 - Sterblichkeit im großstädtischen Vergleich 92, 93, 162, 198,220, 329 - Todesursachenpanorama 472-475, 489 - Tuberkulose 162, 198, 220, 329 - Typhus 162, 198,200,329 - Uneheliche Säuglinge 142, 143 - Wasserversorgung 255, 260, 263, 270, 272, 491 - Wirtschaftsstruktur 56, 57, 198 - Wöchnerinnenasyl 156
- Wohnverhältnisse 226, 227, 228, 229, 243 - Zugezogenenanteil 94 Kommunalpolitik 23, 46, 58 - kommunale Gesundheitspolitik 44 - kommunale Milchversorgung 140, 307, 308,312,316 - kommunale Selbstverwaltung 19, 399 - kommunaler Wohnungsbau 241,249, 404 Konfessionelle Krankenhäuser 345, 346, 350,365 konfessionelle Unterschiede 185 Koogsberg 344 Königsberg 143,492 Konstanz 185 Kontrollmaßnahmen 387,405,406 Kontrollmechanismen 395, 411 , 413 Kopenhagen 344 Körpergröße 177 Körperpflege 377 Kosten-Nutzen-Analyse 269 Kostenträger 348, 356 Krabbe, Wolfgang R. 24 Krämpfe 67, 67, 72, 113, 332, 472-474 - Krämpfe der Kinder 472, 473 Krankenhäuser 19, 36, 45, 48, 59, 62, 62, 166,206, 235,236,268,325,326, 328, 329,330n,332,339,343-349,350,351366,382,394,409,410 - Krankenhausbetten 326 - Krankenhauspopulation 345, 350, 356, 359 - Krankenhausstatuten 331, 360 - Krankenhauswesen 26 - Krankenhauspatienten in Sundvall359, 363,365 - Sterbeort Krankenhaus 363, 365 - in DUsseldorf 62, 235, 236, 343-365 - Evangelisches Krankenhaus Dosseidorf 346, 348, 349,350,351-354, 355,357, 359, 360, 362,363,364 - Heilanstalt der barmherzigen Schwestern vom Heiligen Kreuz DUsseldorf346, 348,349,350,353,354, 359 Krankenkassen 52, 62, 351, 352, 354, 355, 356,360,369, 387,391 - Kranken(haus)kassen 345 - Krankenkassenwesen 368 - krankenversicherte Teile der Arbeiterschaft 410
IX. Register - Krankenversicherung 60, 208, 240, 355, 367,368 Krankenschwestern 346, 349,350, 353, 354,359 Krankheit20,21,60,208,349,366,367 Krankheiten 29, 41, 45,47 - (vgl.: Epidemien, Letalität, Morbidität, Mortalität, Todesursachen; Abdominaltyphus, AIDS, Akute Krankheiten, Altersschwache, Arterienverkalkung, Atemwegskrankheiten, Atrophie, Augenkrankheiten, Bauchfellentzündung, Blasenkrankheiten, Blinddarmentzündung, Bräune, Brechdurchfall, Bronchitis, Brustfellentzündung, Chirurgische Krankheiten, Cholera, Chronische Krankheiten, Darmerkrankungen, Degenerative Krankheiten, Diagnosen, Diphtherie, Durchfallerkrankungen, Epidemien, Epilepsie, Ernährungsstörungen, Entwicklungsstörungen, Fleckfieber, Folgen der Geburt, Gastro-intestinale Erkrankungen, Gefllßkrankheiten, Gehirnkrankheiten, Geisteskranke, Geschwüre, Hautkrankheiten, Herz-KreislaufKrankheiten, Infektionskrankheiten, Influenza, Keuchhusten, Kindbettfieber, Kinderkrankheiten, Knochenbrüche, Krampfe, Kratze, Krebs, Lebensschwäche, Leberkrankheiten, Lungenkrankheiten, Magen-Darm-Krankheiten, Man-made diseases, Nervenkrankheiten, Nierenkrankheiten, Ohrenkrankheiten, Pest, Pocken, Rachitis, Rheumatische Krankheiten, Röteln, Ruhr, Sauglingsskorbut, Scharlach, Schlagfluß, Schleimfieber, Skrofeln, Syphilis, Tuberkulose, Typhus, Venerische Krankheiten, Verdauungskrankheiten, Wassersucht) Krankheiten der Bewegungsorgane 349, 361,364 - Krankheiten der Harn- u. Geschlechtsorgane 349, 361, 364,472474 Krankheitskomplex 67, 365 Krankheitsspektrum 7, 323, 349, 360 Krankheitsursachenspektrum 365 Kratze 236, 359, 361
507
Krebs 71, 72, 73, 109-111, 112, I I 7, 118121, 125, 126, 129, 130, 170,400,478485,486,488,490 Krefeld 259 Kreisarzte 60, 326 Kreisarztgesetz 60 Kreuzschwestern 346, 349, 350, 353, 354, 359 Kriege 83, 182, 183 - Kriegskontributionen 182 - Kriegsseuchen 84 Krupp 71, 76, 109, II I, 112, I 13-115, 118121,129, 130,342,478-485,486 Kuczynski, Robert 167 Kuhpockenimpfung 36 kulturelle Faktoren 50, 187 Künstliche Säuglingsernährung 153, 156, 160,380,381,401,412,492 Kurse zur Kinderpflege und Säuglingsfürsorge 375, 376 Labisch, Alfons 22, 370 Laien 74 Laktationsamenorrhöe 149 Land-Stadt-Vergleich 16, 41, 49, 70, 89, 100, 101, I 10, 113, I 16, 136, 144, 145, 168,3/9, 339,398,404 Landarbeiter 352, 368, 370, 391 Landbesitzverhältnisse 49 Landbevölkerung 39, 50, 91, 102, 123, 166, 236 Landeskrankenkassen 391 Landgemeinden 39, 43, 50, 91 , 106, 107, 135, 141, 286,325,407 Landwirtschaft 34, 41 , 122, 174,215,298 Lauenburg 132 laufende Kosten 365 Laux, Hans-Dieter 43, 194 Lazarette 346, 347 Lebendgeborene 78 Lebensalter 123 Lebensbedingungen 45,213, 322, 389, 392,401,41 I Lebenschancen 402 Lebenserwartung 15, 20, 21, 29, 33, 34, 42, 67, 88, 97, 98, 99, 100, 101, 102, 104107, 108, 13 ln, 176, 179, 188, 397, 401 - Geschlechtsspezifische Lebenserwartung 99, 102-108 - Lebenserwartung bei der Geburt I 04
508
IX. Register
Lebensmittelkontrolle 59, 252, 311 - Lebensmitteluntersuchungsanstalt 311 Lebensschwäche 71, 72, 73, 109-111, 112, 114-117, 118-121, 125, 126, 129, 130, 15ln,332,478-485,486-490 Lebensstandard 15, 20, 21, 38, 39, 45, 48, 85,140,173, 177-182, 185, 189, 192, 193, 199, 20'3, 209,212,214,218,219,
245,248,2~9,281,324,335,365,367,
377,398,401-404,412 Lebensstil370, 411,413 Lebensunterhalt 389 Lebenszyklus 209,245 Leberkrankheiten 474 Ledige MUtter 389 Lee, W. Robert 32n, 41, 122, 168, 174, 184,324 Legitimität der Säuglinge 38, 139, 140, 141,401 Lehrer 373, 376, 394 Leichenschau 63, 64, 110 Leidinger, Barbara 344 Leipzig 47, 48, 55, 57, 58, 62, 66, 69, 91, 92, 93, 94, 135, 142, 162, 165, 195, 198, 210,211,216,219,220,226,227,228, 229, 231,239n,243,263, 272,274,303, 306,314,315,3/~319, 327, 329,373 ,
-
383, 384,389,390,472,473, 474,476, 489, 491,492 Allgemeine Ortskrankenkasse Leipzig 62 Bevölkerungsdichte 165, 226-228 Einwohnerzahlen 55, 162 Frauenerwerbsarbeit 216, 217-220 Fürsorgeeinrichtungen 383, 384, 389, 390 Gastro-intestinale Krankheiten 303 Kanalisation 256, 263, 274,491 Lohnniveau 210n, 211 Medizinische Versorgung 328, 329 Säuglingsernährung 384 Säuglingssterblichkeit 135, 162, 220, 306,314, 317, 319 Schulärzte 373 Sterblichkeit im großstädtischen Vergleich 91-93, 162, 198,220,329 Todesursachenpanorama 472-475,489 Tuberkulose 162, 198, 220, 329 Typhus 162, 198, 220, 329 Uneheliche Säuglinge 142, 143
- Wasserversorgung 255, 260, 263, 272, 491 - Wirtschaftsstruktur 57, 58, 198 - Wohnverhaltnisse 226, 227, 228, 229, 231, 239n, 243 - Zugezogene 58, 94 Leistungsverwaltung 19, 24, 59,251,258, 399,405 Letalität 339, 341, 343 Letalitätsrate 339, 341 Liegezeiten 365 Linden 158, 189 Lindley, William 259 Liverpool40, 190,228,280 Löffler, Friedrich 335 Löhne 178, 208, 209,211, 212, 218, 402, 403 Lohnentwicklung 208 Lohnersatz 351, 369-370, 391 Lohnniveau 213,402 Lomatsch, Georg 188 London 40, 80, 155, 190,228,244,299, 300 Luckin, Bill 40 Lufttemperatur 315 Luftverschmutzung 25 Lungenkrankheiten 236 - Lungen- oder Luftröhrenentzündungen 76,472-474 - Lungenkatarrh 472, 473, 474 - Lungenkrankheiten, andere 472-474 - Lungentuberkulose 191, 192, 332, 352, 472, 473 Lüttich 346 Luxemburg, Rosa 148
Mädchen 373 Madden, J. B. 270 Magdeburg 143, 383, 492 Magen-Darm-Erkrankungen 38-39, 67, 109, 111, 116n, 125, 126, /28, 158, 205, 222,282n, 283,321,322,472-474, 493 - Durchfallerkrankungen 64, 66, 67, 116, 124,307,331,333,348,349,352,361, 363,472,473 - Magen- und Darmkatarrh 67,472-474 - MagengeschwUre 33 - (siehe auch Gastro-intestinale Krankheiten, Verdauungskrankheiten) Main47
IX. Register Mainz 164n Malthus, Thomas Robert 147 malthusianisches Bevölkerungsgesetz 147 man-made diseases 130 Manchester 40 Mangelernährung 177 Mädchenschulen, städtische 372 Männer93,99, 102,105,106,107,108, 365, 397,478-483 - (vgl. geschlechtsspezifische Differenzierung) Mannesmannröhren-Werke 376 Mannheim 492 Mansardenwohnnungen 403 Marienhospital Düsseldorf346-349, 350, 353,354,359 Marschalck, Peter 32n, 168 Masern 34, 71, 76,112, 115, 117, 118-121, 129, 169,338,473,478-485,358n,488 McKeown, Thomas 15n, 36-39,45, 173, 174,223,284,323,324,358,366,398, 399,412 Medikalisierungsprozeß 326 Medizin 21, 22, 36, 38,214,322,323,324, 335,336,366,367,371,394,398,409411 - (vgl. Ärzte, Hygiene) - kurative Medizin 323, 336, 366, 367, 398 - Medizinalordnungen 60 - Medizinalverwaltung 337, 377 - medizinische Intervention 37, 339 - Medizinische Versorgung 20, 43, 48, 64, 65,116,324,326-328,329,332,367, 409 - medizinischer Wissensstand 323, 324 Megastädte 20 Mentalitäten 42, 131, 139, 183, 371, 401 Merkblätter 381 Miasmen 79,405 Mieten 205, 206, 230, 231, 239n, 242, 258, 402,406 Mietskasernen 225-227, 230, 231, 236, 244-247, 265, 403 Migranten 166-169 Migrationen 18, 54, 55, 94, 165-167, 169, 170, 231, 283, 400 - Migrationsraten 231 Milch 19, 45, 78, 82, 85, 139, 140, 154, 171, 190,306,307,309-313, 315,316,
509
322,381,382,390,392,404,408,409, 411 - Milchausschankstellen 45, 154, 307, 311, 390, 408, 411 - Milchküchen 377 - Milchuntersuchungen 312 - MilchverflUschung 310 - Milchversorgung 19, 85, 139,140, 171, 250,306,307,311,313,315,320,322, 378,392,404,408,409 Militärorganisation 34 Militärtauglichkeit 166 Mitteleuropa 33 Mittelstädte 50, I 04, I 05 Mobilität 19, 21, 177,239 Modernität 23 Montreal 176 Moore, John 270 Morbidität 38,341,343,369 (vgl.: Krankheiten) - Morbiditätsrate 339 - Morbiditätsverhältnisse 62 moribunde Kranke 358 Mortalität 29-31,36,40,41, 48, SI, 61-63, 75, 87-89, 107, 116, 128, 143, 148, 163, 171,191 , 195,198,201,207,212, 329, 339,341,343,369,398,399, 403,407, 492,493 - Mortalitätskrisen 88 Mühlhausen 383 Müllbeseitigung 59, 251 München 47, 48, 52, 56-58, 78, 79, 92, 93, 134, 135, 138, 142, 154, 160, 162, 165, 195, 198,210, 211 , 214,216,217,219, 220,227,228,229, 232-234,243, 251, 255,256, 259-262,263,272,287,288, 303, 305, 306,309, 311, 314, 315, 317, 3/9,327,329,383,384,387,389,393, 473,474,476,490-492 Abwasserreinigungsanlagen 261 , 491 Bevölkerungsdichte 165, 227, 228 Einwohnerzahlen 55, 162 Frauenerwerbsarbeit 216,217-220 Fürsorgeeinrichtungen 383, 384, 387, 389 - Gastro-intestinale Krankheiten 52, 303 - Kanalisation 256, 259, 263, 287, 491 - Kinderkrankenhaus 160,214 - Lohnniveau 210n, 211 - Medizinische Versorgung 328, 329
510
IX. Register
- Säuglingsernährung 154, 160, 214,219, 305,309,311,315,384,393 - Säuglingssterblichkeit 78, 134, 135, 138, 162,220,305,306,314,31~ 319 - Sterblichkeit im großstädtischen Vergleich 92, 93, 162, 198, 220,329 - Todesursachenpanorama 472-475, 490 Tuberkulose 162, 198, 220, 329 - Typhus 162,198,220,287,288,329 - Uneheliche Säuglinge 142, 143 - Wasserversorgung 255, 260, 262, 263, 272,491 - Wirtschaftsstruktur 57, 195, 198 - Wohnverhältnisse 227, 228, 229, 232234,243 - Zugezogenenanteil 94 Munizipalsozialismus 24 Mütter 122, 140, 370, 371, 380, 385-391, 395, 411,412 - Mütterberatungsstellen 375, 381 - Muttermilch 153, 159, 160 - Mutterschutz 387, 391 Nahrungsmittel36, 60, 78, 147, 175, 181 , 250,251,296,302,310,322,404-405, 408 - Nahrungsmittelgesetz 309 - Nahrungsmittelkontrolle 60,250,251, 302,322,404-405,408 - Nahrungsmittelspielraum 147 Nahrungsmittelverbrauch 175 - Nahrungsmittelverfl11schung 302 - Nahrungsmittelversorgung 181 - Nahrungsmittelverunreinigungen 296 Nationalsozialisten 392 Neomalthusianismus 148 Nervenkrankheiten 71, 109-111, 112, 115, 117, 118-121, 129, 130, 349, 361,364, 472-474,478-485,486, 488,489 Nervenfieber 79 Netzwerkeffekt 407 Neukölln 143 New York 20, 228 Nichtstillen 156 Niederbayern 330 Niederrheinischer Verein ftlr öffentliche Gesundheitspflege 259 Niedner 84 Nierenkrankheiten 71, 112, 117, 118-121, 125,472-474,478-485
Nord- und Süddeutschland 57-58 Nordamerika 16, 123 Norddeutschland 184 Nordische Länder 134 Nordostschweiz 185 Nordwestdeutschland 226 Norwegen 385 Nosologie 66, 70 Nottaufe 183 Nürnberg 47, 48, 52, 55, 57, 58, 69, 92, 92, 93, 94, 135, 135, 142, 162, 165, 195, 198,210,211,216,217,218,219,220, 227,228,229,234,236n,243,255, 256, 260,261,263,272,303,305,328,329, 375,382,383,384,388,476,490,491, 492 - Abwasserreinigungsanlagen 261 , 491 - Bevölkerungsdichte 165, 227, 228 - Einwohnerzahlen 55, 162 - Frauenerwerbsarbeit 216, 217-220 - Fürsorgeeinrichtungen 383, 384, 388 - Gastro-intestinale Krankheiten 52, 303 - Kanalisation 256, 263,491 - Lohnniveau 210n, 211 - Medizinische Versorgung 328, 329 - Säuglingsernährung 384, 305 - Säuglingssterblichkeit 135, 162, 220, 305 - Sterblichkeit im großstädtischen Vergleich 92, 93, 162, 198, 220, 329 - Todesursachenpanorama 472-475,490 - Tuberkulose 162, 198, 220, 329 - Typhus 162, 198,220, 329 - Uneheliche Säuglinge 142, 143 - Wasserversorgung 255, 260, 263, 272, 491 - Wirtschaftsstruktur 57, 198 - Wohnverhältnisse 227, 228, 229, 234, 236n,243 - Zugezogenenanteil 94 Nutritional Status 175, 177 Oesterlen, Friedri.::h 267 offene Fürsorge 381 öffentliche Gesundheitsftlrsorge 17, 22, 40, 45, 45, 59, 131, 139, 230, 250, 251 , 259, 277,358,398, 399, 401,404 öffentliche Verkehrsmittel 316, 390 Ohrenkrankheiten 363 Oldenburg 132
IX. Register Omran, Abdel R. 32n örtliche Variationen 85 Ortsfremde 166 Ortskrankenkassen 352, 353,355, 369 Osnabrück 300 Österreich-Ungarn 176 Ostpreußen 34, 41, 122, 133, 182,304 Paris 192, 335 Pasteur, Louis 308 Pasteurisierung 307, 309, 408 Patienten 45,343,344,348,349,351-354, 355,356,358-360,362,363,365,369, 385,394,410 - Patienten Ober 60 Jahre 360 - Patientenjournale 62, 236, 345, 347, 351, 360,363 - Patientenstruktur 45 Pauperismus 267 Penzance 300 Periodensterbetafeln 97, 98 Pest 21, 33, 38, 187 Pettenkofer, Max von 79-81,96,269, 290; 296,298,301,302,307 Pflegeanstalt 3 59, 365 Pflegekosten 359 Pflegerinnen 381 Pflegesatz 3 53 Plymouth 299 Pocken 34, 35, 71, 83, 109, 112, 114, 129, 323,324,338,360,400 - Pockenschutzimpfung 323, 326 - Pockensterblichkeit 35, 323 Poe, Edgar Allan 187 Poliklinik 379, 386 Pommern 133 Pooley, Colin G. 40 Posen 133, 383 post-neonatale Sterblichkeit 136 präventive Intervention 366 Preisniveau 148, 179 Preston, Samuel 38, 324 Preußen 41, 42, 47,49-50, 53, 54, 60, 63, 64, 69, 70, 74, 77, 89, 90, 91, 92, 93, 95, 96, 97, 100, 101, 102, 103-106, 107, 109-117, 118-121, 122, 123, 124-126, 131, 132, 133, 135, 137, 138, 141, 142, 146, 170, 178, 182, 184, 242, 255, 264, 266,270,275,276,286,304,330,340,
511
351,371,372,400,405,408,472-478, 479,481,483,485,488-490 - Bevölkerungsstruktur 95, 96 - Bildungsgrad 371, 372 - Diphtherie 340, 400 - Epidemiologischer Übergang 41, 42, 89 - Fruchtbarkeitsraten 146 - Gesundheitsbehörden 60, 326 - Großstädte in Preußen 47, SO, 103, 105, 106,123,138,143,170,286,400 - Kleinstädte in Preußen 105, 106, 286 - Krankenversicherung 351 - Landwirtschaft 41, 122, 182, 184 - Lebenserwartung I 00, I 0I, 102, 105, 106, 107 - Leichenschau 63, 64, 69, 70, 74, 330 - Mittelstädte in Preußen 50, I 05, 106, 286 - Säuglingssterblichkeit 89, 131 , 132, 133, 137, 138, 141, 142, 182, 184 - Sanitäre Reformen 255, 264, 266, 275, 276,405,408 - Stadt-Land-Vergleich 90, 91, 92, 93, 100-105, 113, 118-121, 123, 137, 138, 146,242,270,286,304,340,400,408, 488-490 - Städte in Preußen 40 I - Sterberaten, altersspezifische 103, 104, 114-117, 118-121,479,481,483,485 - Sterberaten, geschlechtsspezifische 103, 104, 116, 122, 123, 124-126,479,481, 483,485 - Sterberaten, rohe 90, 91, 92, 93, 96, 270 - Sterberaten, standardisierte 95, 96, 97, 109, 114, 178,304,408 - Todesursachenpanorama 49, 69, 70, 74, 76, 110-117, 118-121, 124-126, 472478,479,481,483,485 - Typhus 286 - Urbanisierung 53-55, 400 Prinzing, Friedrich 151, 192, 246 Privatpatienten 351,353,355,365 Privatsphäre 370, 388 Professionalisierung 325 Proletarisierung 148
Qualitätskontrollen (Milch, Wasser) 313, 406,409, 492 Quarantane 34, 82, 269, 283, 290 Quellwasser 260
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IX. Register
Rachitis 244 Ratingen 352 Realeinkommen 18, 31, 179-181,230,367 Red Hill299 Reichsgewerbeordnung 391 Reichsversicherungsordnung 368 Reihenuntersuchung 373 Religion 184, 350 Religionszugehörigkeit 350 Rentabilität der Wasserwerke 271 Rentensysteme 397 Resistenz 38, 173 Ressourcenknappheit 397 Reulecke, Jürgen 22, 23 rheinisch-westflllisches Industriegebiet 53 rheinisch-westflllisch 196 Rheinprovinz64, 132,133, 142, 151, 167, 182,270,311,346 rheumatische Erkrankungen 74 Rieselfelder 491 Risikobevölkerung 38, 73, 75, 83, 93, 116, 173, 174, 193, 270, 345, 356 Risikobevölkerung, alterspezifische Zusammensetzung 55 Risikofaktoren 29, 48,403,412,413 Risikogruppen 43, 44, 88, 97, 128, 132, 249,305,360,366,390,394 Risikoverhalten 50 Risse, Guenter B. 348, 358 Röse, Carl 166 Rostock 383 Röteln 71, 76, 112, 115, 117, 118-121, 129,169,473, 478-485, 488 Roux, Emile 335 Rowntree, Benjamin S. 367 Ruhr 71, 72, 83, 109, 112, 118-121, 129, 235,246,284,285,478-485 Ruhrgebiet 58
Sachsen 53, 60, 63, 65, 66, 132, 133, 188, 330 - Gesundheitsbehörden 60 - Leichenschau 64-66, 330 - Säuglingssterblichkeit 133 saisonale Verteilung 67, 317-319 Sanatoriumsaufenthalt 3 70 sanitäre Mißstände 19, 358 sanitäre Reformen 20, 36-38, 40, 42, 45, 59,81 , 85, 139,171,197,251,264,266, 268-270,275,278,283-287,298, 302,
304,305,307,320,321,324,401,404, 406-408 - sanitäre Einrichtungen 44, 188, 253, 263,265,268,278,280,283,288,290, 302,367,399 - sanitäre Infrastruktur 253, 263, 268, 278, 283,302,367,399,491,492 Sanitätspolizei 81, 345 Sauberkeit 373 Säuglinge 16, 26, 29, 33, 34, 38, 44, 62, 66-68,72,75,89,94,97-100,102,104, 105, 107, 108, 114-117, 124, 125, 127, 129, 139, 143, 156, 160, 169, 171, 188, 205,212,213,246,249,250,282,305, 308, 31 I, 322, 324, 330-332, 341, 356, 360, 365, 370, 374, 379-382, 386-388, 392-394,400,401,403,404,407-412, 488-490, 492 Säuglingsernährung 38, 138, 139, 159, 171, 182,305,370,372,380,382,390, 393, 401,408,409,412 (vgl. Stillen) - Ernährungspraktiken filr Säuglinge 38, 139,159,171,305,380,401 - Säuglingsernährung, künstliche 153, 156, 160,380,381,386,401 , 412,492 - Säuglingsmilch 390 Säuglingsfilrsorge 46, 140, 325, 366, 375381,385-388,392,393,395,411,413 - Säuglingsfilrsorgebewegung 325, 380, 393 - Säuglingsfilrsorgestellen 154, 378, 383, 381,385,386, 388,411 - Säuglingsheime 386 - Säuglingskrippen 381 - Säuglingspflege 183, 370, 372, 374, 395, 411 - Säuglingsschutz 387 - Speiseanstalten filr stillende Mütter 390 Säuglingsskorbut 309 Säuglingssterblichkeit 20, 34, 41, 42, 45, 45, 52, 65, 67, 76-78, 89, 91, 107, 116n, 117, 126, 131, 132, 133, 134,135, 136, 137, 138, 139,140, 141, 144, 149-153, 155, 156,157, 158, 161, 162, 164, 169171, 176,178, 182,184, 185,188, 189, 204,205,209,212,213,218,219, 224, 248-250, 281 , 289, 305, 306, 307, 308, 313-315, 317-319,321,322,332,371, 377,378,380,385,392,393,395,400-
IX. Register 404,407-409,411,412,486-488,490, 492,493 • Säuglingssterblichkeit, saisonale Verteilung 317·319 Scabies 359, 361 Scharlach 34, 36, 71, 76, 111, 112, 114, 115,117, 118·121, 129,130,236,245, 333,335,338, 349,358n,478·485,486 Schichtenzugehörigkeit 131 Schlachthöfe 251 Schlafgänger 232, 239, 242, 403 Schlagfluß 472-474 Schleimfieber 79 Schlesien 53, 132, 133, 182 Schleswig·Holstein 132, 133 Schlossmann, Arthur 379, 387, 392 Schofield, Roger 31 Schule 59, 372, 373,411 • Curriculum 372, 373 • Schülererkrankungen 373 • Schulhygiene 373, 411 • Schulpflicht 371, 372, 411 Schutzimpfung 323, 324 Schwabe, von 231 n Schwaben 156 Schwangere 366 Schwangerschaftsabbruch 149 Schweden 124, 134, 155, 173, 359, 363, 385 • schwedische Städte 124 Schweiz 385 Schwemmkanalisation 80, 260, 297, 491 Segregation 199, 221,234,244,247,402 SeideiBO Seife 377 Selbstmorde 43 Selbststillen 244 Selbstzahler 353, 354 Serum·Therapie 36, 45, 323, 325, 335·341, 366, 394, 410 Seuchen 22, 27, 30, 32, 35, 40, 66, 78, 81 , 83, 127, 183, 187,190,266,268,269, 283, 284, 288·290, 293·296, 299·302, 320,321, 330,366,397, 400,406,407 • Seuchenbekämpfung 60, 79·84 Sheard, Sally 40 Silverthome, Arhur 275 Simon, John 338 Skrofeln 71, 72, 112, 117, 118·121, 129, 478·485 Slums 20, 243
513
SMRs (Standardized Mortality Rates; siehe auch: Sterberaten, standardisierte) 486· 490 Snow, John 80, 300 Sombart, Wemer 208 Sommerdiarrhöe 29, 308, 313 Sommergipfel der Säuglingssterblichkeit 67, 127, 222, 314, 315, 392, 393, 409 Sommermonate 153,384,401 Soxhlet·Apparat 308 Soyka 80 Sozialdarwinismus 151,385 Sozialdemokraten 368 soziale Kontrolle 370 soziale Lage 169, 249 soziale Sicherung 325, 366 soziale Ungleichheit 18, 20, 45, 131, 158, 173, 178, 188, 192, 198, 204, 205, 248, 294, 295,320,344, 402 Sozialpolitik 18, 22, 59, 393 Sozialstaat 23, 366n· Sozialstruktur 3 51 Sozialversicherung 179n, 326, 343, 368, 370 Sozialversicherungsgesetzgebung 60, 368 Sozioökonomische Verhältnisse 181 Spree, Reinhard 32n, 41 , 42, 123, 189, 281 , 324 Spülwasser 190 Stadt 18,22,29,39, 46,49, 50,54, 59, 87, 134, 325, 398·400 • (vgl. Kommunalpolitik) • Großstadt 15·20, 28, 47, 49, 53, 59, 64, 67, 84, 107, 131 , 138, 170,230, 248, 253, 257, 307,316, 327, 373, 381 , 398· 400,405,407 Städtesampie (zehn größte deutsche Städte) 47, 56·60, 74, 77, 93, 95, 98, 110, 112, 113, 115, 118·121, 135, 137,152, 165, 168,237, 285, 313 • (vgl.: Großstädte; Berlin, Breslau, Dresden, Düsseldorf, Frankfurt a.M., Hamburg, Köln, Leipzig, München, Nümberg) • Sterblichkeit im großstädtischen Vergleich 91·93, 96, 107, 108, 128·130, 162, 198,220,329 Städte jeweiliger Staaten • Großstädte in Preußen 103, 105, 106, 123,138,170,286 • Kleinstädte in Preußen 105, 106
514
IX. Register
- Mittelstädte in Preußen 105, 106 - Städte Uber 15.000 Einwohner in Deutschland 92, 135, I 3 7, I 52. 399 Stadt-Land-Vergleich 16, 41, 49, 70, 89, 100, 101, 110, 113, 116, 136, 144, 145, 168,319,339,398,404 Stadtärzte 61 Städteassanierung 25, 84, 250-253, 270, 279,286,321,405,407 Städtebau 25,222 Stadterweiterung 59 Stadtgeschichte 23 Stadtgröße 162 städtisches Bevölkerungswachstum 55, 59, 162 städtische Lebensweise 15, 16 städtische Milchversorgung 250, 311, 320, 322,378,408,409 städtische Übersterblichkeit 16, 20, 39, 17, 19-21,23,40,45, 53, 54, 84, 88, 91, 94, 122, 130, 170,398,400 städtische Verwaltung 58 städtischer Sterblichkeitsrückgang 41 0 städtischer Sterblichkeitswandel 20 städtisches Krankenhaus 346, 354 Stadtplanung 59, 229 Stadtrecht 49 Stadtteile 198, 199,200,202,202, 203, 204,206,207,235,244,247,248,279,
280,291,292,293,402,403
• Stadtteilanalyse in DUsseldorf 198, 205,
206,207
• Stadtteilanalyse in Harnburg 198-205 Stadtverordnete 58 Standesämter 374 Standortbedingungen 59 stationäre Behandlung 331 Statistische Ämter 63 Statistisches Jahrbuch Deutscher Städte 281,492 Statistisches Bureau 69 Sterberaten 16, 17, 20, 28, 30, 32, 33, 38, 43,45,50, 76, 77,84,88,91,93,96,97, 102-104, 114-121, 128, 129, 150, 161, 165,170, 175,181, 185,191,212,248, 249,339,358,359,397-402,412,479485,490 • (vgl. Mortalität, Säuglingssterblichkeit, Sterblichkeit)
• Sterberaten, altersspezifische 44, 48, 84, 88, 90, 103, 104, 114-117, 118-121, 161, 165,170,398,400,479,481,483,485 - Sterberaten, geschlechtsspezifische 44, 48, 84, 88, 103, 104, 116, 122, 123, 124126,165,479,481,483,485 • Sterberaten, rohe allgemeine 77, 84, 88, 90, 91, 93, 96, 97, 128, 162, 164,204, 220,224,278,285,329,490,492 • Sterberaten, standardisierte 93, 96, 96, 97, 109, 130, 161, 165, 178,486,488 • Sterberaten, ursachenspezifische 44, 48, 84,322,363,493 Sterberisiko 93, 356, 365 Sterbetafeln 97 Sterblichkeit 29, 30, 31, 36, 40, 41, 48, 50, 61-63, 75, 87-89, 107, 116, I 28, 143, 148,163,171,176,191,195,198,201, 207,212,322,329,339,341,343,369, 398,399,403,407,492,493 - (vgl.: Epidemiologischer Übergang, Säuglingssterblichkeit, Sterberaten, Todesursachen) • als Indikator fllr Gesundheitsverhältnisse 61 • als Indikator fllr soziale Disparitäten 20 • SterblichkeitsOberschuss in Städten 20, 84, 88,90,170,398,400 • Sterblichkeit, post-neonatale 136 • Sterblichkeitsprofil 52, 486 - Sterblichkeitsruckgang 30, 37, 40, 42, 43, 44, 62, 93, 111, 126, 170, 173, 175, 181,394,398,399,413 • Sterblichkeitsstatistik 62 • Sterblichkeitswandel 32, 35, 42, 44, 45, 49, 60, 67, 75, 84, 89, 97, 131, 176, 208 Sterilisierung der Milch 309,408 Stettin 143 Stichjahre 75 Stillen 14, 52, 135, 153-156, 158-160, 171, 189,213,214,218,219, 282n, 304-308, 314,315,369,374,377,380-386,389, 390-393,401,403,407-409, 412 (vgl. Nichtstillen, Säuglingsernährung) Stilldauer 156, 389 Stillgewohnheiten 52, 158, 160, 282ti, 315,369,408,409 Stillhäufigkeit !55, 214, 389 Stillkrippen 390, 392 Stillpflicht 155
IX. Register - Stillprämien 14, 308, 383, 384, 386-390, 411 - Stillpropaganda 308, 31 S, 377, 381, 383, 385,392 - Stillquoten 153, 155, 156, 159, 160,213, 214,218,304,305,307,315,377,380, 393,401,407,409,412 - Stillstuben 391 - Stillzeiten 387 Straßburg 492 Straßenreinigung 59, 25 1 Stuttgart 492 Süd- und Mittelamerika 20 Sudamerika 21 Süddeutschland 154, 182, 183,226,351 Südwestdeutschland 84, 226 Sulfonamide 115 Sundvall 359, 363, 365 Sossmilch, Johann Peter 16-17 Syphilis 360 Tabakindustrie 372 Tagelöhner 352 Taglöhne 209,209,211,212,218,248, 402 Taufen 77, 184 Teleky, Ludwig 167 Thalheimer, lsaak 310 Themse40 Therapien 60, 323, 336, 366, 367, 398 Thiem 277 Tiermilch 159, 160, 160, 306, 308, 380, 408 Tilly, Richard 272 Todesursachen 29, 36, 40, 41, 43, 44, 50, 60,63-66,70-74,76,88,123,/28,129, 323,349,399,400,472,488 (vgl. Krankheiten) Todestltlle, gewaltsame 71, I 09, II!, 112, 116, 116n, 118-121, 124, 129,478485,488 Todesursachen, altersspezifische 68, 118, 119, 120, 121 - Todesursachen, andere 71, 109, II!, 112,113,114,117,118-121,129,478485,490 - Todesursachen, degenerative 33, I 09 - Todesursachen, geschlechtsspezifische 69
515
- Todesursachenklassifikation 63, 71, 74, 113 - Todesursachenpanorama 32, 33, 39, 41, 42,44,45,63,67-69, 70, 71, 73, 74,88, 109, II!, 112, 114, 124, 127, 128, 129, 203,336,339,360,361,362,365,402, 472,478,486,487,490 Toilette 373 Totenscheine 63, 66, 74 Totenscheinbeglaubigung 330 Totgeburt 78 Trinkwasser 80, 82, 171, 190, 273, 290, 290,320,406,407,412 Trinkwasser-Epidemien 290 Trinkwasserqualität 273 Trinkwassertheorie 81, 268 Trinkwasserversorgung 253, 281, 296, 299, 406,491 Trinkwasserversorgung, zentrale 251 Trinkwasserversorgungsanlagen 302 Tropfverfahren 491 Tuberkulose 16, 21,35-38,67,67, 71, 72, 73, 109-111,112, 113-117,118-121, 124-127, 128, 129, 130, 162, 164, 165, 170, 187, 188,191,192, 194-197,203, 204,205,211,220,222-224,234,236, 238,239,243,246,249,295,307,308, 313,321,322,329,332, 333,334,352, 361,370,399,400,402-404,409,410, 472,473,478-485,486-490 - Einkommen und Sterblichkeit 210,212 - in England 16, 399 - Lungentuberkulose 191, 192, 332, 352, 472,473 - Tuberkuloseerreger 21 Twarog, Sophia Nora 176 typhöses Fieber 79 Typhus 79-84, 162, 195, 220,235,245, 279,288,291,296,308,329,401,406, 407,493 - (vgl. Abdominaltyphus, Fleckfieber) - Typhus-Epidemien 82, 288, 296, 299301,321 - Typhusbekämpfung 78, 82-84 - Typhussterblichkeit 35, 81, 127, 197, 300,321,407,493 Überbelegung 205, 223, 232, 248, 358 Überbevölkerung 147, 151,397 Überlebenschancen 21, 40 I
516
IX. Register
Übersterblichkeit 113, /23, 143 Übersterblichkeit der Unehelichen 143 Umweltbedingungen 19, 43, 130, 158-161, 190, 205,249,251,251,302 Umweltgeschichte 25 unehelich Geborene j16n, 138-144, 171, 189,219,314,381,401 Unflllle 168, 366 Unfallversicherung 208 Ungarn 173 unterentwickelte Länder 412 Unterschichten 46, 85, 169, 187,351,371, 394, 404,411 UrbanPenalty 16, 20,39, 17,19-21,23, 40, 45, 53, 54, 84, 88, 91, 94, 122, 130, 170,398,400 Urbanisierung 16, 44, 52, 53, 161, 169, 170, 178, 188, 193,221,230,248,321, 399-401,403,413 Urbanisierungsgrad 327 Urbanität 19, 29 Variabilität, inter-lokale spezifischer Sterblichkeit /28 Vaterländische Frauenvereine 3 78 Venerische Krankheiten 349, 361, 363, 364 Verdauungskrankheiten 36, 43, 52, 66, 71, 72,76, 111,112,113-117,118-121, 124, 126,129, 130, 158, 170, 197,209,212, 285,308,321 , 322,331,333,349,361, 364,400,407, 408,472-474,487,478485 • (siehe auch: Abdomina1typhus, Cholera, Gastro-intestinale Krankheiten, Magen· Darm-Krankheiten) Verdienstmöglichkeiten 140 Verein filr Säuglingsfilrsorge im Regierungsbezirk DUsseldorf e. V. 185, 374-376, 378-381, 386 Vereine 395 Vereine filr öffentliche Gesundheitspflege 366 Vereinigte Staaten von Amerika 18, 180, 185,399 vergleichender Ansatz 48 Verhaltensänderung 411 Verhaltensmuster 409,413 Verhaltensnormen 371 Verkehr 230 Verkehrswege 59
Veröffentlichungen des Kaiserlichen Gesundheitsamtes 76-78,281,492 Verpflegungsdauer 349 Verpflegungsgelder 352, 354, 355 Verpflegungstage 326, 329, 330n, 332n, 348, 352-355 Versicherungssystem 369 versorgte Gebiete 263 Versorgung mit hygienisch einwandfreiem Wasser 305 Versorgung, medizinische 45, 85 Versorgung, soziale 45, 85 Versorgungslage mit Nahrungsmitteln 37 Versorgungssicherheit 258 Verstädterung 18, 23, 50, 54, 84, 89, 147, 161 Virchow 81 Virulenz 36 Vitamingehalt 309 Volksschule (vgl. auch Schule) 372, 373 Volkswohlfahrt 385 Volkszählungen 74-76, 114n, 159, 348 Wahlrecht 58, 405 Waisen- und FUrsorgeamt 376 Wales 53, 134, 173, 178, 284, 336, 342, 398 Walle, Etienne von de 38 Wanderlehrerinnen 375 Wanderlehrkurse 3 75, 3 82 Wanderungsbewegungen 18, 54, 55, 94, 165-167, 169, 170,231,283,400 • Wanderungsgewinn 54 Ward, William P. 176 Warenaustausch 283 Waschmittel 377 Wasser-Epidemie 302 Wassersucht 472-474 Wasserverschmutzung 283 Wasserversorgung 19, 21 , 26, 40, 43, 45, 48, 59, 78, 85, 139, /40, 154, 188, 240n, 250-254, 255, 256-265, 270-278, 282, 283, 287-290,291,299-301,304,308, 320,321,404-408,412,491 Wasseraufbereitung 321,406 Wasserbedarf 298 Wasserklosett 233, 264, 280 Wasserqualität 276,277,282, 298 Wasserverbrauch 263, 263, 282n, 290, 300, 303,306,320, 407,492,493
IX. Register Weiterbildung 374, 381 Wellcome 338 Weltbevölkerung 30, 397 Weltgesundheitsorganisation 21 , 37,61 Welthafen 488 . Werbeanzeigen 386 West Riding, Yorkshire 169 Westdeutschland 219 Westeuropa 15, 16, 30, 33, 38, 52, 84, 145, 190,335,399 Westfalen 132 westliches Preußen 400 Westpreußen 133 Wien 176, 192 Williams, Naomi 190 Wirtschaft 379, 405,410 Wirtschaftsstruktur 56 Wirtschaftswachstum 42, 177, 178, 182, 248, 402 Witterung 138,403 Witzler, Beate 28 Wöchnerinnenheim 381 Wohlfahrtssystem 366n, 367 Wohlstand 20, 130, 139, 147, 208, 401 - Wohlstandsgeflllle 327 Wohnung 20, 38, 45, 48, 55, 59, 140, 173, 178, 188, 202, 204, 205, 221-225, 229, 231-234,240,243-251,267, 308,370, 387, 399-406,413 • Wohndichte 38, 48, 232, 234, 236, 239, 243,248,249,399,403,404
• • • · •
517
Wohnungsaufsicht 241 Wohnungsbauzyklus 221, 248 Wohnungsfilrsorge 251,413 Wohnungsmarkt 243, 248 Wohnungsmiete 231 Wohnungspolitik 221 Wohnungszählung 224 Wohnverhaltnisse 20, 38, 45, 48, 59, 85, 138, 139, 140, 173, 178, 202,205,221, 224,225, 232,234,240,245,248,267, 308; 401 , 403,404 Woods, Robert 40 Worthing 300 Wrigley, Tony 31 Württemberg 58, 63-66, 132, 133, 135, 176,236, 330,341,373 - Leichenschau 64, 65, 330 - Säuglingssterblichkeit 133, 135 Würzburg 254 York 367 Yorkshire 169
Zetkin, Clara 148 Zollverein 182 ZUrich 299, 380n Zugezogene 19, 162, 166-169 Zuwanderung 18, 54, 94, 165, 167 Zwickau 383