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German Pages 370 Year 2016
Dennis Wolff Soziale Ordnung im Sportunterricht
KörperKulturen
Dennis Wolff (Dr. phil.), geb. 1982, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sportwissenschaft der Stiftung Universität Hildesheim. Seine Forschungsschwerpunkte sind die empirisch-qualitative Unterrichtsforschung sowie die Soziologie der Praktiken und des Körpers.
Dennis Wolff
Soziale Ordnung im Sportunterricht Eine Praxeographie
Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um eine genehmigte Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades Doktor der Philosophie, vorgelegt an der Stiftung Universität Hildesheim. Erstgutachter: Univ.-Prof. Dr. Peter Frei Zweitgutachter: Univ.-Prof. Dr. Swen Körner.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http:// dnb.d-nb.de abrufbar. © 2017 transcript Verlag, Bielefeld
Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: klublu / photcase.de Satz: Dennis Wolff Printed in Germany Print-ISBN 978-3-8376-3726-7 PDF-ISBN 978-3-8394-3726-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
Inhalt
Einleitung: Zum Rahmen dieser Arbeit
7
Soziale Ordnung
13
Eine praxistheoretische Forschungsperspektive
31
Spurensuche: Vom homo oeconomicus zu den Praxistheorien Praxistheoretische Grundlagen Theodore Schatzki – die Praxistheorie im practice turn Pierre Bourdieu – eine Theorie der Praxis Zur Theorie sozialer Praktiken Eine Lesart für die (Sport-)Unterrichtsforschung
32 37 37 44 47 69
Praktiken und ihr situativer Vollzug
73
Definition der Situation Performanz Ein erziehungswissenschaftlicher Transfer
76 80 84
Ordnung des (Sport-)Unterrichts
91
Schulische Rahmungen Räume Zeit Facetten der (Sport-)Unterrichtsforschung Zusammenfassung: Zum Verhältnis von sozialer Ordnung und sozialen Praktiken
91 96 102 104 118
Methodologische Rahmung
121
Ethnomethodologie – Lokale Ordnungen Die Forschungsstrategie: Ethno-(Praxeo-)graphie Fokussierte Ethnographie Praktiken der Datenerhebung – Videographie Rahmen-Analyse Konzeption der Rahmen-Analyse Zusammenfassung: Die Herausforderung zu sehen, was man sieht Darstellung der eigenen Vorgehensweise Besonderheiten der Videographie Auswahl des Datenmaterials
122 127 129 132 143 144 151 154 155 159
Nachträgliche Kohärenz Transfer: Die Rahmen-Analyse zur systematischen Beschreibung von sozialer Ordnung im Sportunterricht Konsequenzen Spielplan
160 164 168 171
Koordination: ››ihr könnt noch eine Minute frei und dann fangen wir gemeinsam an‹‹
173
Sportunterrichtliche Gleitzeit Signale
174 196
Konstitution: ››weil dann geht das eigentliche Spiel los‹‹
211
Entkleidung Körper-Ordnung Kulturelle Kohärenz
212 219 232
Spiel: ››Auf die Plätze, fertig, los!‹‹
245
Blicke: ››Ich beobachte euch‹‹ Observation Fokussierte Blicke Territoriums-Management: ››Melden würd ich besser finden‹‹ Gesprächsreservate Lokomotive Flexibilität Spielräume: ››Was ist der Sinn bei dem Spiel?‹‹
246 247 257 270 271 287 298
Wandlung: ››es ist schon Zeit für unseren Reifen‹‹
321
Prosaische Wandlung Ritualisierte Wandlung
322 324
Passepartout
331
Literatur
345
Anhang
36 3
Einleitung: Zum Rahmen dieser Arbeit
Wo Ordnung ist, ist Unordnung nicht weit. Einen ständig reibungslosen Ablauf sportunterrichtlicher Situationen zu proklamieren wäre naiv, vielmehr verläuft das Unterrichtsgeschehen in den wenigsten Fällen störungsfrei bzw. bedarf situativer Korrekturen (vgl. Bräutigam, 2003, S. 169). Die Frage, wer oder was den Unterricht stört und wer oder was wird zur Wiederherstellung eines reibungslosen Ablaufes (der dann ja schon keiner mehr ist) hinzugezogen und wie werden diese Tätigkeiten angeordnet, verweist auf die Prämisse, dass Sportunterricht in der Praxis konstruiert wird. Im gemeinsamen Handeln der beteiligten Akteure – es wird zu klären sein, was und wer damit gemeint ist – wird sportunterrichtliche Praxis ko-konstruiert (vgl. Balz, Bräutigam, Miethling & Wolters, 2011, S. 13ff.), womit bereits ein zentrales Element von sozialer Ordnung genannt ist. Die typische Sportunterrichtssituation findet in einer Sporthalle statt, die von einem Nicht-Vorhanden-Sein von Stühlen, Tischen, einer Tafel und einem Pult geprägt ist. Mit einem Wechsel der Räumlichkeit vom Klassenraum in die Sporthalle finden zum einen ein Wechsel der Be-kleidung und zum anderen eine Ent-kleidung der Akteure vom schultypischen Arbeitsmaterial (z. B. Federmappen oder Schreibhefte) statt. Der Lehrperson kommt in diesem Zusammenspiel eine besondere Funktion zu, die der unterrichtlichen Organisation. Willems und Eichholz (2008) betonen, dass insgesamt ››der strukturelle (Selbst-)Inszenierungsund (Selbst-)Performancedruck für die Schüler geringer [ist] als für die Lehrer‹‹ (ebd., S. 893). Die Lehrperson spielt im Sportunterricht selbstverständlich eine zentrale Rolle, jedoch nicht die einzige und zumindest kann sie diese nicht alleine spielen. Problemstellung Qua Mitgliedschaft schreiben sich die Interaktionsgeschichten in die Akteure ein, wodurch sie besonders im Sportunterricht mit ihrem Körper, als Ort eines impliziten Praxis- und Erfahrungswissens, bei der Ausgestaltung von sozialer Ordnung beobachtet werden können. In der Unterrichtsforschung lässt sich hier mit Bezug auf Breidenstein ein Desiderat in der Analyse unterrichtlicher Mikroordnungen festmachen (vgl. Breidenstein, 2006, S. 9ff.; vgl. Breidenstein, 2010, S. 875ff.). Diese Fokussierung, Tätigkeiten der Akteure im Unterricht auf einer mikrosoziologischen Ebene zu analysieren, ist in empirischen Studien bisher eher vernachlässigt worden. Auf der Ebene der Unterrichtssituation sind für die Konstitution sozialer Mikroordnungen Praktiken der Abstimmung erforderlich, welche es exemplarisch am Sportunterricht aufzudecken und zu analysieren gilt. Um diese Notwendigkeit und den Stel-
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lenwert eines solchen Zugangs noch einmal zu verdeutlichen: Im Memorandum zum Schulsport (2009) wird betont, dass ››weitergehende Analysen des schulsportlichen Alltags (z. B. der subjektiven Sichtweisen, Erlebnisweisen und Handlungsroutinen von Lehrerinnen und Lehrern sowie Schülerinnen und Schülern, der Interaktionsund Organisationsformen, […]‹‹ (ebd., S. 13) noch ausstehen. Im Rahmen der Schulsportforschung werden hiermit klare Desiderate und Perspektiven formuliert, die sich auf die Gestaltung und Bewältigung einer Kultur des Sportunterrichts beziehen. Mit Kurz (2002) gesprochen: ››Was geschieht eigentlich in den Stunden, wie laufen sie ab […]?‹‹ (ebd., S. 30). Die vorliegende Studie befasst sich mit der Herstellung und Aufrechterhaltung von sozialer Ordnung im Sportunterricht. Mit der Schule und dem in ihr stattfindenden Sportunterricht wird ein bereits facettenreich beforschtes Feld in den Blick genommen. Mit einer Brille der Theorie sozialer Praktiken, die sich im Rahmen der Kulturtheorien verortet, wird in der vorliegenden Arbeit eine Kultur fokussiert, die eigene soziale Praktiken hervorbringt, um Sportunterricht am Laufen zu halten. Eine praxistheoretische Perspektive kann eine Ergänzung der Überlegungen zur Didaktik oder Methodik in der Analyse von Unterrichtssituationen darstellen, die nur zum Teil den Akteuren tatsächlich zugänglich ist. Dieses Wissen darüber, dass ihr Handeln unter Bedingungen stattfindet, die durch die Didaktik und Methodik nicht vollständig beschrieben sind, stellt das LehrerInnenhandeln1 vor neue Ansprüche. Ziel dieser Arbeit ist es, Einblicke in das konkrete Sportunterrichtsgeschehen zu geben, Einblicke darüber, wie die beteiligten Akteure unter Einbezug der Materialität des Geschehens (Körperlichkeit und Artefakte) soziale Mikroordnungen entstehen lassen, deren Genese im Gegensatz zu zweck- oder normorientierten Ansätzen auf routinisierte Vollzüge typisierter Handlungen zurückgeführt werden kann. Anscheinend banal gefragt: Wie wird Sportunterricht am Laufen gehalten? Nicht nur das LehrerInnenhandeln, auch das SchülerInnenhandeln und die Nutzung von Artefakten erlangen eine besondere Relevanz bei der Gestaltung und Beeinflussung der Tätigkeitsabläufe. Die Theorie sozialer Praktiken und ihr Transfer auf den schulischen Unterricht stellen die Materialität und das praktische Tun in den Fokus und somit die Frage danach, wie soziale Ordnung entsteht und wie sie stabilisiert und reproduziert wird. Gerade der Sportunterricht, welcher keine eindeutige räumliche Strukturierung erfährt, wie im Klassenraum eindeutig definiert, ist störanfälliger und bedarf einer Verständigung aller beteiligten Akteure untereinander in Zeit und Raum. Auf der Prozessebene sportunterrichtlicher Interaktionen liegen bereits mehrere empirische Untersuchungen vor, die Sprache und Kommunikation prominent in den 1
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit und um sowohl der weiblichen als auch der männlichen Form gerecht zu werden, verwende ich in dieser Arbeit das Binnen-I. Die Verwendung von maskulinen Formen stellt, trotz sprachlicher Hinweise, keine geschlechtsübergreifende Form dar. Wird auf das Binnen-I verzichtet, ist ausdrücklich das jeweilige Geschlecht gemeint. Eine Nutzung geschlechtsneutraler Begriffe in dieser Arbeit, wie bspw. Personen oder Lehrpersonen, versteht sich nicht als ein Umgehen der Geschlechtlichkeit, sondern als eine umfassende Formulierung. Kontextuell werden in dieser Arbeit auch Begriffe soziologischer und ethnomethodologischer Personalitätskonzeptionen, wie Individuum, Teilnehmer, Partizipand oder Akteur, verwendet.
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Fokus rücken (vgl. hierzu Kuhlmann, 1986; Friedrich, 1991; Frei, 1999, Krieger, 2007; Frei, 2012a). Die Konzentration auf sprachliche Inszenierungen, sprachliche Referenzmuster oder kommunikatives Handeln klammert, auf der Ebene des situativen Vollzugs sozialer Interaktionen, die Aspekte einer Körperlichkeit und Materialität des Geschehens häufig aus. Eine körperliche Mikrofundierung des Sozialen gerät seit geraumer Zeit vermehrt in den Fokus soziologischer Untersuchungen (vgl. u. a. Körner, 2002; Gugutzer, 2004; 2006; Schroer, 2005; Böhle & Weihrich, 2010). Für die Betrachtung von organisierenden Tätigkeitsmomenten werden damit zentrale Ressourcen beleuchtet, die sich im sportunterrichtlichen Alltag als ineinander verwobene und routinisierte soziale Praktiken beschreiben lassen. Das Phänomen der sozialen Ordnung ist zwar öffentlich und beobachtbar, jedoch unter den Akteuren häufig stimmlos, sprachlos oder keiner Rede wert. Über das, was ständig indexikal angezeigt wird, muss, vielmehr kann, nicht gesprochen werden – es existiert eine ››Selbstevidenz des Visuellen‹‹ (Breidenstein, Hirschauer, Kalthoff & Nieswand, 2013, S. 36). In der Praxis des Sportunterrichts zeigt sich im Handeln zwischen den Akteuren und ihrer Umgebung eine skillful performance. Mit der Frage nach dem Wie einer sozialen Ordnung muss in sozialen Situationen immer auch die Kontingenz, eine potenzielle Unberechenbarkeit sozialen Handelns, mitbedacht werden. Kontingente Ereignisse können Störungen bilden, durch die das Handeln ins Stocken gerät. Die Sichtbarkeit der (Re-)Produktion von sozialer Ordnung zeigt sich in solchen Spielräumen sozialen Handelns. Die Frage, die sich somit konsequenterweise anschließt ist: Wie werden die Spielräume von den Akteuren im Sportunterricht gestaltet, in denen der routinisierte Strom typisierter Handlungen unterbrochen wird, um die soziale Ordnung aufrechtzuerhalten? Wie wird in einem gemeinsamen Tun unter Einbezug der Materialität des Geschehens eine Ordnung der Interaktion im Sportunterricht aufrechterhalten? Aufbau Ein Grundpfeiler soziologischer Theorie liegt in der sozialen Interaktion, der Bindung zwischen individuellem Handeln und sozialer Ordnung. Ganz unabhängig davon, ob soziale Ordnung eher aus einer strukturalistischen, moralischen oder zweckrationalistischen Tradition erklärt wird, ist es vor allem die wechselseitige und sinnhafte Bezugnahme der Akteure untereinander, die zu einer Konstitution von sozialer Ordnung führt. Dabei könnte der sozialen Interaktion selbst schon eine gewisse Ordnung unterstellt werden, da in ihr häufig ein wiederkehrender Ablauf wechselseitiger Bezugnahmen verortet werden kann – eine ››interaction order‹‹ (Goffman, 1983). Ob eine Ordnung der Interaktion in Zwängen, durch soziale Normen, in Institutionen, in den Wechselwirkungen zwischen Akteuren oder durch Erwartungsstrukturen entsteht, entscheiden die soziologischen Erklärungsansätze, auf die Bezug genommen wird (Soziale Ordnung). Der Fluchtpunkt soziologischer Erklärungsansätze befindet sich, unabhängig von den Ursachen, häufig in einer Regelmäßigkeit, die nicht zuletzt auch eine Erwartungssicherheit in sich trägt und eine nicht zu unterschätzende Wirkung auf die soziale Interaktion ausübt. Ein prägnanter Ansatz dieser Regelmäßigkeit – genauer der Routinisiertheit – sozialen Handelns, der nicht allein einen akteursinternen Ansatz nach Motiven und Ursachen des Handelns fokussiert, sondern die Rehabilitierung des
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Körpers und der Artefakte, liegt in der von Reckwitz (2012) formulierten Theorie sozialer Praktiken (Eine praxistheoretische Forschungsperspektive). Die Praxistheorie differenziert sich in unterschiedliche Strömungen, die es zu unterscheiden gilt. Bourdieu (1976) vertritt eine eher strukturalistische Version, während Schatzki, Knorr-Cetina und v. Savigny (2001) eine praxistheoretische Strömung vertreten, die den practice turn ausgerufen hat. Eine Theoriesynthese wird in diesem Zusammenhang von Reckwitz (2003; 2012) vorgenommen, um die Theorie sozialer Praktiken zu entwickeln, die oftmals Familienähnlichkeiten zu den genannten Strömungen offenbart. Mit der Theorie sozialer Praktiken wird die Seite des routinisierten Vollzugs betont, worin sich stellenweise Parallelen zum Begriff der Performanz finden lassen. Doch anders als beispielsweise in sprachwissenschaftlichen Performanz-Diskussionen geht es nicht um ››die singuläre Aufführung und Präsentation. Nicht jede Hantierung, nicht jedes Tun ist schon Praxis‹‹ (Hörning & Reuter, 2004, S. 12, Herv. i. O.). Im regelmäßigen Miteinander-Agieren bilden sich Routinisierungen heraus, die soziale Praktiken charakterisieren und im gemeinsamen Tun eine Normalität des Alltags begründen (Praktiken und ihr situativer Vollzug). Sicherlich geht es nicht darum, die Grundpfeiler einer sozialen Ordnung neu zu untermauern, vielmehr beschränkt sich der Gegenstand der Arbeit auf die vollzogenen Praktiken, die sich in lokalen Ordnungen verschiedener Situationen erzeugen und somit soziale Ordnung unter besonderer Berücksichtigung der Körperlichkeit generieren, um eine präzisere Vorstellung einer Kultur des Sportunterrichts zu skizzieren. In diesem Zuge kann nicht von der Ordnung, im Sinne eines fertigen Produktes, gesprochen werden. Mit Bezug auf Luhmann (1981) bedeutet dies, ››daß [sic] die Frage ›Wie?‹ nicht mit einem einfachen ›So!‹ beantwortet werden kann‹‹ (ebd., S. 284). Soziale Ordnung ist, wie in vielen Erklärungsansätzen postuliert, etwas Flüchtiges und Zerbrechliches, woraus deutlich wird, dass eine Ordnung einer Prozessualität unterliegt, die kontextgebunden ist und wechselseitig von den Akteuren aufrechterhalten werden muss. Wie gestaltet sich dieser Ablauf konkret in situ? In erster Linie soll in dieser Arbeit kein rein propositionales Wissen und keine rein sprachbasierte Ebene fokussiert werden. Der Vollzug von Tätigkeiten in Interaktionen wird auf einer Ebene betrachtet, die in der Regel den Akteuren nicht bewusst zum Gegenstand reflexiver Aushandlungsprozesse wird und trotzdem bzw. gerade deshalb zu einem reibungslosen Ablauf bzw. dessen Wiederherstellung alltäglicher Interaktionen führt – ein körperliches Know-how. Schon allein aufgrund der spezifischen Räumlichkeit und Zeitlichkeit, die im Sportunterricht vorzufinden sind, zeigen sich freigesetzte Körper, die gemeinsam kooperieren müssen, um einen gewissen routinisierten Verlauf der Interaktion aufrechtzuerhalten (Ordnung des (Sport-)Unterrichts). Dabei kann es zu Störungen kommen, die eine Ordnung gefährden. Ein solches Auffüllen von Spielräumen kann in dieser Arbeit nicht verstanden werden als ein Verwenden vorgegebener Handlungsrahmen oder als eine ›››Verhaltensgrammatik‹‹‹ (Soeffner, 2004, S. 172). Die Ethnomethodologie betrachtet multiperspektivisch genau dieses Tun der Akteure in sozialen Situationen, das dazu führt, dass wechselseitig eine sinnvolle und lokale Ordnung generiert wird. Ihr liegt der Gedanke zugrunde, dass sich beobachtbare Strukturen in den einfachsten praktischen Handlungen offenbaren. In sozialen Situationen müssen sich die Akteure untereinander anhand von Praktiken gegenseitig anzeigen, wie sie die Situation rahmen – soziale Praktiken werden somit öffentlich beobachtbar und können
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in der Situation als indexikal bezeichnet werden (Methodologische Rahmung). Um das Verständnis dieser Überlegungen greifbarer zu machen, folgende Performance: Während der offiziellen SpielerInnenvorstellung eines Basketballspiels laufen die SpielerInnen durch einen Tunnel auf das Parkett, um sich mit ihren MitspielerInnen auf dem Feld zu positionieren. Spezifische Rituale der Begrüßung (wie ein Abklatschen, eine Kreisbildung etc.) zeigen die Zusammengehörigkeit des Teams nach außen an und grenzen so gleichzeitig andere Akteure von der Gemeinschaft ab. Die Mannschaften nehmen die SpielerInnenbank als einen spezifischen Ort ein und sie machen sich zudem erkennbar zugehörig zu ihrem Team bzw. grenzen sich erkennbar vom anderen Team ab aufgrund ihrer speziellen, kollektiv einheitlichen Kleidung. Auf den ersten Blick ist Basketball eine resultat-orientierte Sportart, in der die SpielerInnen vornehmlich das Ziel verfolgen, Körbe zu erzielen und Punkte der gegnerischen Mannschaft zu verhindern. Ein zweiter Blick offenbart die inhärenten Praktiken des Spiels. Auf einem engen Raum befinden sich mehrere Akteure, die durch ihre Kopräsenz erst das Spiel ermöglichen. In immer wieder neu konstituierenden Spielsituationen zeigen sich unterschiedliche Konstellationen und Entscheidungsmöglichkeiten für die SpielerInnen. In Bruchteilen einer Sekunde wird in einer Situation entschieden, welche Spielaktion gewählt bzw. unterlassen wird. Im Spiel offenbart sich eine kollektive Bewegungsorganisation, eine soziale Ordnung durch Praktiken im Vollzug. Hier wird bereits ein erstes wichtiges Kennzeichen für die empirische Untersuchung offensichtlich: die Beobachtbarkeit sozialer Praxis. Weiterhin wirken in dieser Bewegungsorganisation Artefakte in die sportive Praxis hinein, die eine Choreographie der Bewegungen entscheidend beeinflussen: die Halle als Ort der Aufführung, das Spielfeld mit seinen mit Wissen aufgeladenen Linien und Abgrenzungen, der Ball als konstituierender Gegenstand, die Anzeigetafeln etc. Die Regelmäßigkeit des Spiels basiert auf einem Zusammenspiel von expliziten Regeln, die von den SchiedsrichterInnen überwacht werden sowie impliziten Regeln und durch die Artefakte inhärenten Anweisungen. Involviert in eine körperliche Praxis des Spiels handelt der Körper entgegen rationaler Überlegungen, antizipiert Situationen und trifft eigene Entscheidungen – im Sinne einer ››sozialen Magie‹‹ (Bourdieu, 1990, S. 87) lassen sich so auch Bezüge zur magischen Spielweise von Magic, The Glide, His Airness oder The Chosen One nachvollziehen. Durch die permanente Teilnahme am Spiel wird ein Sinn für das Spiel geschult, indem sich die Bewegungen über die Partizipation einschreiben. Es ergibt sich ein praktischer Sinn, die Kompetenz eine skillful performance zu vollziehen, die den Anforderungen des Feldes gerecht wird. Im Modus des Selbstverständlichen und in der Hervorbringung von Regelmäßigkeiten spielen die körperliche Performanz, die Routinen, die gemeinsam geteilten Wissensordnungen und die Artefakte eine wichtige Rolle. Explizite Ziele werden, wie von den BasketballspielerInnen im Spiel auch, in Praktiken des Unterrichtens verfolgt. Neben vorformulierten Grob- und Feinlernzielen, die sowohl inhaltliche Bezüge als auch individuelle Aspekte der Entwicklung der SchülerInnen berücksichtigen, finden sich Einordnungen in Kompetenzbereiche, die im konkreten Unterricht anhand unterschiedlicher, möglichst wechselnder, jedoch angepasster Unterrichtsarrangements vermittelt werden sollen. Im Nachhinein wird darüber reflektiert, ob die vor der Stunde formulierten Lernziele erreicht worden sind, ein Lernzuwachs und eine Progression nachzuweisen sind oder ob der geplante Unterrichtsverlauf eingehalten wurde. (Sport-)Unterricht aus einer solchen Perspek-
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tive zu betrachten scheint so aussagekräftig zu sein wie das Ergebnis eines Basketballspiels über dessen Vollzug. Am Endstand ist vermeidlich nichts darüber abzulesen, welche besonderen Spielzüge gezeigt oder welche präzisen Körpertechniken sensibel in situ eingesetzt wurden – die Praktiken des Spiels bleiben verborgen. Es ergibt sich somit eine Perspektivenverschiebung für die Unterrichtsforschung, da die Unterstellung, dass in der Schule gelernt wird nicht als Ausgangspunkt genommen wird. Mit Bezug auf Goffmans (1977) Rahmen-Analyse zeigt sich im Vollzug eine wechselseitige Rekursivität von Interaktionswissen und Interaktionserfahrungen, die soziale Interaktion, trotz einer potentiellen Kontingenz, häufig unproblematisch macht. Goffman spricht in diesem Zusammenhang von einer klaren Rahmung. Als SozialforscherIn beginnt man an dieser Stelle zu seufzen, weil man in seiner eigenen Biographie immer schon Mitglied der Schule war und sich so auch ein Mangel an Fremdheit zum Gegenstand offenbart – quasi die Gefahr eines Immer-schonBescheid-Wissens. Mit einem methodischen Zugang der Praxeographie gelingt es eine ››Exotisierung des Eigenen‹‹ (Hirschauer, 2010) zu vollziehen und ethnographisch-fokussiert zu erkennen. Der Zugang zum Feld des sportunterrichtlichen Geschehens offenbart (das wird deutlich werden) Methodenzwänge, denen man sich als ForscherIn auszusetzen hat – und dies im doppelten Sinne. So ist der Prozess der Übersetzung des Alltäglichen in videographierte Daten eine erste Transformation, die Rolle als ››soziologische[r] Dolmetscher‹‹ (ebd., S. 223), der das Stumme, Implizite, Schweigsame zunächst in Sprache und dann in die Form eines Textes übersetzt, eine zweite Transformation. Der empirische Teil dieser Arbeit gliedert sich in vier zentrale Kategorien, die den Spielplan der Analyse bilden: Koordination – Konstitution – Spiel – Wandlung. Neben der Darstellung und Zusammenfassung der Ergebnisse werden jeweils auch Theoretisierungen vorgenommen, die in Kohärenz zur Problemstellung dieser Arbeit gesetzt werden (Spielplan). Das abschließende Passepartout spezifiziert die Quintessenzen und geht letztendlich auch über die Abmessungen dieser Arbeit hinaus. So viel zum Rahmen dieser Arbeit, denn ohne Rahmen ergibt nichts Sinn.
Soziale Ordnung
Wie soziale Ordnung möglich ist, kann als leitende Problemstellung der Soziologie beschrieben werden. Die Problemstellung richtet sich durch das Wie auf ein Problem, das die ››ungesicherte Möglichkeit von Sozialität‹‹ (Luhmann, 1981, S. 195) meint. Die Soziologie als wissenschaftliche Disziplin bezieht sich damit zunächst nicht auf einen konkreten Gegenstand, sondern auf eine Problemstellung und gewinnt somit an ››Universalität‹‹ (ebd., S. 196). Der universale Charakter wiederum ermöglicht den Blick auf jeden möglichen Gegenstand und fordert zugleich einen besonderen Reflexionsstil, den ››Selbstreferenztest‹‹ (ebd., S. 196). Luhmann führt dazu aus: ››Die Problemstellung muß [sic] die Bedingungen ihrer eigenen Möglichkeit einholen, sie muß [sic] ihre eigene Möglichkeit mitproblematisieren. Auch die Frage ›Wie ist soziale Ordnung möglich?‹ ist nur möglich, wenn soziale Ordnung möglich ist, und das gleiche gilt, wenn man Erziehung, Erkenntnis usw. einsetzt. Das heißt unter anderem, daß [sic] konstituierende Problemstellungen immer schon gelöste Probleme betreffen, sie wären sonst selbst nicht möglich‹‹ (ebd.).
›››Wie ist … möglich?‹‹‹ (ebd., S. 197) – Wie und möglich haben eine Auslösefunktion in Bezug auf die gegebene Wirklichkeit. Sie setzen das Gegebene und bereits Entstandene kontingent und zwar in doppelter Weise – auf diese Weise werden Verhältnisse in der Kontingenz möglich. Mit dem Wie erfolgt ein Bezug der Möglichkeit auf die Bedingungen seiner Möglichkeit. Die Frageform setzt keinen Zweifel daran, dass soziale Ordnung möglich ist. ››Sie bezieht sich auf die reale Welt, die Mögliches ermöglicht und verwirklicht hat‹‹ (ebd., S. 203). Luhmann (1981) führt aus, dass niemand bezweifeln würde, dass soziale Ordnung wirklich vorhanden ist. Es handelt sich um ein immer schon gelöstes Problem, obwohl sie weiterhin (paradoxerweise) ein ungelöstes formuliert. Das Problem bleibt auch in seinen methodischen und praktischen Lösungen immer noch ein Problem, weil keine für die wissenschaftliche Theoriebildung und Forschung methodologisch zu lösende Aufgabe formuliert wird und auch die ständige Reproduktion konstitutiver Bestandteil der sozialen Ordnung ist. Soziale Ordnung und der Prozess der Konstitution kann somit nur sichtbar gemacht werden, wenn klar ist, dass mit der hergestellten Ordnung bereits die neue Herstellung und Aufrechterhaltung begonnen hat. Antwortet man im Beispiel Luhmanns (1981) auf die Frage, wie soziale Ordnung möglich ist, ›››durch Herrschaft‹, so verlagert sich das Problem auf die Theorie der Herrschaft und man verzichtet mit diesem Antwortschritt vorläufig auf das Konzept einer herrschaftsfreien Gesell-
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schaft‹‹ (ebd., S. 203). Ähnlich verzichtet man mit der Antwort durch soziale Praktiken auf umliegende Konzepte. Luhmann (1981) schlägt zur Bearbeitung der Problemstellung eine Dekomposition vor, sozusagen eine Untergliederung der zentralen Problemstellung in Subfragestellungen (vgl. ebd., S. 207ff.). Zunächst geht es darum, wie es möglich ist, dass sich Personen trotz individueller Erfahrungen und Vorstellungen in geordnete Beziehungen begeben, die hinreichend unkompliziert und enttäuschungssicher gestaltet werden. Weiterhin stellt sich die Frage nach den inhärenten Elementen dieser Situationen, die für das Entstehen und für die repetitive Etablierung darüber hinaus verantwortlich sind. So gesehen wird nicht danach gefragt ob, sondern wie soziale Ordnung möglich ist. Es wird nach der Möglichkeit alltäglicher Evidenz gefragt. In der Soziologie legen diverse Theorien Rechenschaft darüber ab, wie sie die Einheit des Differenten ablegen wollen, um eine Ordnung hervorzubringen. Viele theoretische Auseinandersetzungen laufen auf eine Problembehandlung zurück, die auf Annahmen von Natur, Verträgen und Moral gründet, die nicht weiter aufgelöst aber vorausgesetzt werden. Durkheims bekannte Kritik gegen die Vertragstheorie hat ihn verführt einen Begriff der Gemeinschaft zu formulieren, die auf der Grundlage objektiver sozialer Tatbestände zusammengehalten wird. Für Simmel beispielsweise setzt umgekehrt Sozialität als interpersonale Beziehung an, deren reine Form in der Geselligkeit – der Wechselwirkung – liegt und sich darin immer wieder neu konstituiert. Systemtheoretische Überlegungen setzen auf die Konzeption der doppelten Kontingenz, woraus sich mit Luhmanns Erweiterung schließlich die Struktur der Erwartungs-Erwartungen herauskristallisiert. Eine marginalisierte Kategorie scheint die Körperlichkeit darzustellen. Die mikrosoziologische Fundierung der sozialen Ordnung durch Aspekte der Körperlichkeit wird vor allem von Goffman betont. Der begriffliche Ansatz in dieser Arbeit, um Sozialität zu fassen, ist der Begriff der Praktik, der es ermöglicht, von sozialer Ordnung und von Sozialität zu sprechen. Die Besonderheit dieses kulturtheoretischen Ansatzes zur Erklärung von sozialer Ordnung rehabilitiert die Kategorien der Körperlichkeit und der Materialität sozialer Ordnung – Elemente, die sich in prominenten soziologischen Theorien bisher nur in der Peripherie finden. Die (De-)Komposition dieses Zugangs wird in den folgenden Kapiteln geleistet. Zunächst wird im Folgenden das Problem der sozialen Ordnung aus den angesprochenen Perspektiven vorgestellt, woraus letztendlich im nächsten Kapitel eine ausführliche Betrachtung der Theorie sozialer Praktiken hervorgeht. Gesellschaftsverträge Thomas Hobbes hat mit seinem Werk ››Leviathan‹‹ (1974, englische Fassung i. O. 1651) den Fokus auf das Problem der sozialen Ordnung gelegt und überwindet dies anhand eines übergreifenden Gesellschaftsvertrages. Seine Lösung liegt in einer starken zentralen Instanz, dem Staat, der die Ordnung aufrechterhält. Hobbes stellt die Behauptung auf, dass der Mensch von Natur aus immer auf seinen eigenen Vorteil aus ist und diesen immer wieder probiert gegen seine Mitmenschen durchzusetzen. Hobbes (1974) verfolgt mit dem Gedanken des bellum omnia contra omnes (lat.) – einem ››Krieg aller gegen alle‹‹ (ebd., S. 115) – einen utilitaristischen Gedankengang, wonach soziale Interaktionen auf der Grundlage von Tauschbeziehungen im-
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mer dem Ziel einer Nutzenmaximierung folgen und nur eine sehr systematische und abstrakte Subjektivität den jeweiligen Akteuren zusprechen. Auf der Grundlage eines unkündbaren Vertrages mit dem Staat übertragen die Individuen einer Gesellschaft einen Teil der eigenen Freiheit, um dadurch wiederum Freiheit zu erlangen (vgl. Ritsert, 2000, S. 43). Die Übertragung von Autorität eines jeden an eine übergreifende Instanz, mit Sanktionsmacht (Leviathan), vermeidet nach Hobbes interne Spannungen und konstituiert soziale Ordnung in Form eines Staatsvertrages. Eine Gegenposition zu Hobbes, im Sinne des Gesellschaftsvertrages, findet sich in den Vorstellungen von Jean-Jacques Rousseau. Die soziale Ordnung besteht für Rousseau in der Absprache zwischen den Menschen, wiederum basierend auf einem Vertrag. Während Hobbes jedoch der Ansicht war, dass die Individuen aus der Angst vor dem Krieg aller gegen alle einen Vertrag schlossen und damit einen Staat als Aufsicht konstituierten, bildet für Rousseau die freie Zusammenkunft der Menschen für ein gemeinsames Handeln die Vertragsgrundlage. Man schließt sich zu einem Kollektiv zusammen, das einen gemeinsamen und allgemeinen Willen repräsentiert. Der zentrale Gedanke Rousseaus kreist darum, wie man diesen vergesellschafteten Menschen wieder in seinen ››Naturzustand‹‹ (Abels, 2007, S. 87) versetzen kann. Dabei soll die Gemeinschaft nicht abgeschafft werden, vielmehr soll der Status quo neu konstruiert werden. Er schlägt eine Ordnung vor, die keine individuelle Macht (egal ob durch Eigentum oder physische Überlegenheit) in den Vordergrund stellt, sondern eine freiwillige Zustimmung – einen ››Moral- und Kollektivkörper‹‹ (Rousseau, 1977, S. 74), über den Rechte von der Gemeinschaft an die Individuen zugewiesen werden. Trotz der grundlegenden Einstellung, einen Gesellschaftsvertrag aus freier Zustimmung entstehen zu lassen, zeigt sich aber auch unter den Voraussetzungen des Vertrages, dass er individuell immer noch einen Zwangscharakter innehat. Der moralische Sinn Das Ordnungsproblem wird im 18. Jahrhundert durch die schottische Moralphilosophie weiter verfolgt. Wichtigste Vertreter stellen insbesondere Adam Ferguson, David Hume und Adam Smith dar. Hauptanliegen der schottischen Moralphilosophie ist die Umstellung von künstlichen Bedingungen, wie ein Gesellschaftsvertrag, auf natürliche Bedingungen (anthropologische Grundlagen). Natur meint, dass Menschen von Grund auf darauf angelegt sind Beziehungen zu anderen Menschen einzugehen. Soziale Ordnung ist damit naturnotwendig (vgl. Luhmann, 1981, S. 231). Auf der Grundlage gesammelter Erfahrungen, Gewohnheiten und tief verwurzelter moralischer Vorstellungen werden, wie bei Hobbes auch, eigene Interessen verfolgt, wodurch Spannungen entstehen. Diese Spannungen werden in der Folge durch die Konstitution und Anerkennung von allgemeinen Regeln gelöst, die allen Individuen gerecht werden – ››moralische[r] Sinn‹‹ (Smith, 1994, S. 237). Aus Sicht der schottischen Moralphilosophie internalisieren Menschen ihre Verhaltensweisen auf der Grundlage der Beobachtung des Verhaltens anderer Menschen und ihres eigenen Verhaltens. Durch Erfahrungen etablieren sich Regeln von angemessenem Verhalten und Gewohnheiten, die schließlich auch für die Lösung von auftretenden Konflikten relevant sind. Die Entwicklung einer Normalität sozialen Handelns liegt somit in der allgemeinen Anerkennung von individuellen Interessen und Regelungen.
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Institutionalisierung Emile Durkheim orientiert sich an der funktionalen Differenzierung moderner Gesellschaften. Über die Arbeitsteilung, die sich aufgrund der wachsenden Gesellschaft und damit notwendigen Differenzierung ergibt, entsteht eine ››organische Solidarität‹‹ (Durkheim, 1988, S. 162), die für den Zusammenhalt sorgt. Ein zunehmender Zwang der Abstimmung, die Entwicklung neuer Bedürfnisse und Dependenzen bringt ein Konkurrenzdenken hervor, dem über den funktionellen Beitrag des Einzelnen für die Gemeinschaft entgegengewirkt wird. Weiterhin führt Durkheim an, dass es ein Gefühl in Individuen darüber gibt, was richtig oder falsch ist. Durkheim geht davon aus, dass Abmachungen und soziale Regelungen bereits in den Wertvorstellungen der Individuen zu finden sind. Der Verweis liegt nicht mehr auf den von bereits eingeschränkten Individuen vereinbarten und eingehaltenen Verträgen (wie bei Hobbes oder Rousseau ausgelegt), sondern vielmehr auf den ››bindenden Kräfte[n], die jenseits der von Menschen gemachten Verträge wirk[t]en‹‹ (Dallinger, 2007, S. 72). Durkheims Ansicht verfolgt eine Theorie der funktionellen Ordnung. Die Priorität der sozialen Ordnung steht über dem Interesse des Individuums. Neben dieser strukturellen Vorstellung werden auch Werte und Normen integriert, die in der Gesellschaft bereits verankert sind. Soziale Regelungen sind beispielsweise im kollektiven Bewusstsein festgesetzt und können auch als ››sozialer Tatbestand‹‹ (Durkheim, 1970, S. 99) beschrieben werden (vgl. ebd., S. 99f.). Weil dieser Tatbestand festgesetzt ist, nennt Durkheim (1970) diesen auch ››Institutionen‹‹ (ebd., S. 100). Das jeweilige Handeln von Menschen in bestimmten Situationen wird bei Erfolg oder Bewährung beibehalten und generalisiert sich. Somit bleibt das Wissen darüber bestehen und ist gewissermaßen objektiv. Die ››Institutionalisierung‹‹ (Berger & Luckmann, 1969, S. 56) von Wissen beschreiben Berger und Luckmann (1969) als einen Prozess der ständigen Bestätigung durch Handlungen der Individuen, das sich durch die Verwendung verfestigt. Durch den Prozess der Institutionalisierung entsteht für das Individuum eine Handlungsentlastung, indem bewährtes und außer Frage stehendes Wissen von den beteiligten Individuen immer wieder bestätigt und akzeptiert wird, wodurch sich schließlich permanent soziale Ordnung (re-)produziert. Dieser Prozess der Objektivation lässt subjektive Erfahrungen durch wiederholte Handlungen ››zu typischen Erfahrungen verallgemeinern und zu entsprechenden typischen Erwartungen führen. Indem andere sich den Erwartungen entsprechend verhalten, werden sie als typische Erwartungen objektiv‹‹ (Abels, 2007, S. 137-138). Berger und Luckmann (1969) sprechen dann von einer ››intersubjektive[n] Welt‹‹ (ebd., S. 22, Herv. i. O.). In der intersubjektiven Welt ist ein gemeinsames Wissen aufgehoben, welches die Grundlage gemeinsamen Handelns bildet. Dieses gemeinsame Wissen ist genauer gesagt im Medium der gemeinsamen Sprache aufgehoben und kann auch als ››Rezeptwissen‹‹ (ebd., S. 44) bezeichnet werden, wodurch die oben genannten typischen Erwartungen und Erfahrungen vermittelt werden. Das Rezeptwissen oder auch der Wissensvorrat ist die Grundlage für die wechselseitige Kalkulierbarkeit von Handlungen. Durch die Wiederholungen von Handlungen und den subjektiven Erfahrungen im Rahmen der Sozialisierung bildet sich Routine und die ››Gesellschaft wird zur objektiven, geordneten Wirklichkeit‹‹ (Abels, 2007,
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S. 138, Herv. i. O.).2 Im Medium der Sprache, des Wissens und durch Handlungsformen (Rezeptwissen) wird so die soziale Ordnung hergestellt und aufrechterhalten. Wechselwirkungen Die Verdichtung von gemeinsamem Wissen, Regeln und Normen wird durch den Prozess der Wechselwirkung von Simmel (1984) beschrieben. Simmel (1984) stellt das Individuum in den Vordergrund seiner Erklärung von sozialer Ordnung. Dabei ist es jedoch weniger das handelnde Individuum, als vielmehr die dynamischen Beziehungen zwischen diesen. Beziehungen bezeichnet Simmel als Wechselwirkungen, die bewirken, dass sich Regeln und Normen konstituieren und sich in Form von sozialen Gebilden verdichten können. Solche sozialen Gebilde stellen nach Simmel Familienformen, der Staat, aber auch Freundschaften oder Verhaltensregeln dar. Simmel wendet sich damit ebenfalls von einer rein egoistischen Perspektive ab und bezeichnet den Prozess der sozialen Ordnung durch die Wechselwirkungen als dynamisch und prozesshaft und bezeichnet dies als ››Vergesellschaftung‹‹ (ebd., S. 28). Eine Gesellschaft stellt für Simmel die Summe aller Wechselwirkungen dar, wodurch bewirkt wird, dass sich die Gesellschaft – und damit soziale Ordnung – immer wieder neu konstituiert und verdichtet. Konvention Das Verhalten von Individuen unterliegt sozialen Normen und Regularien, die nicht ausschließlich expressis verbis sind und in sozialen Situationen in Erscheinung treten. Solche nicht festgeschriebenen Regeln und Verhandlungsergebnisse, die untereinander getroffen werden, können das Ergebnis einer ausdrücklichen Verhandlung oder auch aus einer stillschweigenden Anerkennung sein – eine Konvention. Der normative Charakter von Konventionen beinhaltet die Möglichkeit der Sanktion bei einem Bruch sozialer Interaktion, die dadurch wiederum ihre Geltung erlangen kann und zur Stabilisation von sozialer Ordnung beiträgt. Aus der Figur der Konvention heraus liefert George Herbert Mead zur Erklärung der sozialen Ordnung durch den Prozess der Kommunikation (die zugleich Bedingung ist) einen ersten Ansatzpunkt. Die Frage, wie der Prozess der Verständigung überhaupt ermöglicht wird, beantwortet Mead zum einen über die Verständigung an-
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Soziale Unordnung kann nach Berger und Luckmann durch nachwachsende Generationen entstehen, die nicht an der Konstruktion des Rezeptwissens beteiligt waren. Kommt es zu diesen Situationen, bedarf es der ››Legitimation‹‹ (Berger & Luckmann, 1969, S. 100). Solche Situationen bestehen nach Berger und Luckmann ständig, weil nachwachsende Generationen nur schwer den Sinn hinter gemeinsamen Handlungen nachvollziehen können. Um eine solche Übergabe des Wissens zu gewährleisten, wird auf Legitimationen zurückgegriffen, die so auch den Prozess der Institutionalisierung beenden. ››Sie reichen von Allerweltswissen über Sprichwörter und Lebensweisheiten bis hin zu expliziten Legitimationstheorien […] und zu den symbolischen Sinnwelten […]‹‹ (Abels, 2007, S. 139). Die Grundlage für solche Legitimationen sind Sedimentierungen von Erfahrungen, die für alle Akteure leitend sind und somit einen institutionellen Charakter erhalten (vgl. Berger & Luckmann, 1969, S. 98ff.).
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hand von Zeichen, Gesten und Symbolen und zum anderen über die Fähigkeit sich in die Rolle des Gegenübers hineinzuversetzen. Unter Zeichen versteht Mead zunächst oberflächlich alles, was die Sinne reizt. Sie sind unabhängig von sozialen Beziehungen. Die Betrachtung der Gesten geht bereits darüber hinaus. Diese sind gesellschaftlich vereinbart und tragen eine Bedeutung mit sich. Gesten überschreiten den Kontext einer Situation und verweisen auf einen allgemeineren Sinn. Solche Verweisungszusammenhänge beschreibt Mead als Symbole. Innerhalb von Symbolen sind Erfahrungskomplexe gebündelt. Ihre Bedeutung muss jedoch nicht unmittelbar von allen Teilnehmern geteilt werden. Durch die Interpretationsleistung der Teilnehmer wird die Bedeutung eines Symbols in einer Situation geteilt, Mead nennt diese ››signifikante Symbole‹‹ (Mead, 1973, S. 86). Als wichtigste signifikante Symbole betrachtet er die Sprache und den Körper (vgl. Jörissen, 2001, S. 183). Die Sprache und der Körper sind Träger intersubjektiv geteilten Wissens und erleichtern den Teilnehmern die Klärung einer sozialen Situation. Mead betont jedoch, dass die Sprache nicht unbedingt geäußert werden muss, sondern bereits das Denken ausreichend ist. Mittels Sprachsymbolen können Erfahrungen und Erwartungen verfügbar gemacht werden. Symbole gelten somit als reduzierte Sprache, die wechselseitige Antizipationen von Verhalten ermöglichen und somit soziale Ordnung erhalten. Solche kollektiven Erfahrungen bilden sich aus gemeinsamen Haltungen unter den Teilnehmern heraus und geben vor, wie man in einer bestimmten Situation zu handeln hat. Diese generellen Erwartungen gehen über andere hinaus und verbinden die Erwartungen und Erfahrungen zu einem gemeinsamen Verhalten einer Gemeinschaft. Symbole können somit nach Mead als die Sprache der Gesellschaft bezeichnet werden (vgl. Mead, 1973, S. 85ff.). Durch die Orientierung an einem ››generalized other‹‹ (Jörissen, 2001, S. 191, Herv. i. O.) ist es weiterhin möglich sich in andere Rollen zu versetzen, wozu Tiere im Vergleich zum Menschen nicht in der Lage wären. Rollenübernahme heißt, dass man sich, bevor man handelt, in sein Gegenüber hineinversetzt. Möglich ist dies, weil beide Perspektiven sozialisiert wurden oder ähnliche kollektive Erfahrungen geteilt werden. Dieser Prozess dient dazu den Einzelnen in den gesellschaftlichen Erfahrungs- und Verhaltensprozess zu integrieren – Mead spricht dabei von einer organisierten Beziehung. Durch die unterschiedlichen Rollen, bspw. Lehrende und Lernender, geraten die Akteure in ein Gefühl der wechselseitigen Abhängigkeit. Da dies nicht immer gerecht sein muss, bleibt die Frage, wie Gesellschaft funktioniert (vgl. Abels, 2007, S. 121f.). Um eine Antwort darauf zu geben, geht es wieder um die Sprache der Gesellschaft – die signifikanten Symbole. Symbole stehen für organisierte Reaktionen, die beim Gegenüber wiederum Reaktionen auslösen, die der Situation angepasst sind. Spricht man diese Sprache, ist man Teil der ››Universalität‹‹ (Mead, 1973, S. 316). Mit Universalität beschreibt Mead das Universum des Diskurses einer Gesellschaft, quasi die Summe der signifikanten Symbole. Der Umkehrschluss weist darauf hin, dass man nur von signifikanten Symbolen sprechen kann, wenn sie ››alle rationalen Wesen, zu denen wir Kontakte haben, repräsentieren‹‹ (ebd.). Die Legitimität dieser Symbole wird anschließend wiederum durch die Zustimmung von jedermann gewährleistet.
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Doppelte Kontingenz und Erwartungs-Erwartungen Lösungsansätze zur Erklärung sozialer Ordnung finden sich weiterhin in der von Talcott Parsons begründeten und mittlerweile vielfach modernisierten Systemtheorie. Auch die Systemtheorie findet keine einheitliche Antwort auf die Frage, wie soziale Ordnung möglich ist. Luhmann, der für die Wiederbelebung der Systemtheorie steht, verfolgt im Vergleich zu Parsons trotz der ähnlichen Theorieansätze divergierende Ansichten zur Lösung des Ordnungsproblems. Neben der Entwicklung einer allgemeingültigen Systemtheorie hat sich Parsons vor allem auch mit dem Problem der sozialen Ordnung auseinandergesetzt. Ausschlaggebend für Parsons Theoriebildung sind die für ihn unzureichenden Vorstellungen der bereits erwähnten utilitaristischen Denkweisen. Für Parsons sind es in Anlehnung an Weber, Durkheim und auch Simmel gemeinsam geteilte normative Prägungen, die das Handeln leiten. Entgegen der Vorstellung eines Naturzustandes der Individuen, der einen Krieg aller gegen alle formuliert, leitet Parsons (1967) das hobbessche Problem ab: ››A purely utilitarian society is chaotic and unstable, because in the absence of limitations on the use of means, particularly force and fraud, it must, in the nature of the case, resolve itself into an unlimited struggle for power; and in the struggle for the immediate end, power, all prospects of attainment of the ultimate, of what Hobbes called the diverse passions, is irreparably lost‹‹ (ebd., S. 93-94).
Die utilitaristische Lösung, Ordnung auf dem Eigeninteresse aller beteiligten Individuen basieren zu lassen, ist bekanntermaßen für Parsons eine unbefriedigende Lösung. Das ›››utilitarian dilemma‹‹‹ (ebd., S. 64) kann nicht über die Zwangsgewalt stabilisiert werden. Stattdessen schlägt Parsons, in Anlehnung an die Gedanken von Durkheim, eine Form gemeinsam geteilter normativer Vorstellungen – ein ››summum bonum‹‹ (Wagner, 1991, S. 116, Herv. i. O.) vor. Mit der Bezeichnung einer über die Individuen hinausgehenden Instanz, die als konstitutives Moment gilt, kann sogar von einer gewissen Nähe von Hobbes und Parsons gesprochen werden. Die zentrale Unterscheidung dieser Vertreter liegt darin, dass Parsons nicht die alleinige Verfolgung individueller Bedürfnisse, sondern die Ausrichtung des Handelns an situationsübergreifenden Normen als entscheidenden Punkt sieht (vgl. Schimank, 1996, S. 84f.). Die Orientierung an den Vorstellungen Durkheims zeigt eine Internalisierung gesellschaftlicher Regelungen, die bewirken, dass schließlich so gehandelt wird, wie gehandelt werden soll. Durkheim geht mit dieser Vorstellung jedoch auch von einer gewissen Passivität des Individuums aus, weshalb Parsons den Prozess der Sozialisation in den Vordergrund stellt, wodurch die Individuen im Sozialisationsprozess die normativen Ordnungen erkennen und anerkennen und sich schließlich dementsprechend verhalten wollen. Deshalb wird Parsons‘ Theorie auch häufig als eine allgemeine voluntaristische Handlungstheorie bezeichnet. Ein weiterer theoretischer Hintergrund, den Parsons für die Erklärung sozialer Ordnung hinzuzieht, ist der Funktionalismus. Jede Kultur gilt demnach als ein in sich stimmiges System von Handlungen, Einstellungen etc., die aus einem Zweck heraus entstanden sind und somit eine Funktion erfüllen. Mit dieser Erklärung schafft Parsons es, die zentralen Begriffe seiner Theorien zusammenzufügen. Der Systembegriff beschreibt den Zusammenhang von sozialen Tatsachen und Prozessen mit einer
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wechselseitigen Einwirkung und dem Ziel der Erhaltung des Systems. Während die Struktur eine Ordnung der Beziehungen zwischen den Einheiten bezeichnet, leistet der Begriff der Funktion den Beitrag zur Erhaltung der Struktur. Je höher der Grad der Abstimmung, desto stabiler ist ein System (vgl. ebd., S. 94f.). Um zu verdeutlichen, wie Parsons mit diesen Begriffen arbeitet und welche Funktionen erfüllt sein müssen, damit Gruppen oder Gesellschaften funktionieren, entwickelt er das ››AGILSchema‹‹ (ebd., S. 95, Herv. i. O.). Durch das AGIL-Schema werden vier Erfordernisse formuliert, die in jedem System erfüllt sein müssen: Die Anpassungsfähigkeit (››Adaption‹‹) (ebd., Herv. i. O.) eines Systems muss gewährleistet sein, um auf äußere Bedingungen reagieren zu können. ››Goal attainment‹‹ (ebd., Herv. i. O.) meint die Fähigkeit eines Systems Ziele zu definieren und diese unter Nutzung der erforderlichen Ressourcen zu erreichen. Um eine Zielerreichung umzusetzen, müssen einzelne Systemelemente miteinander verknüpft werden (››Integration‹‹) (ebd., Herv. i. O.). Schließlich dienen die generalisierten Ordnungsmuster und grundlegenden Strukturen der Aufrechterhaltung des Systems, der ››Latent pattern maintenance‹‹ (ebd., S. 96, Herv. i. O.) (vgl. ebd., S. 94ff.). Im Anschluss an die Entwicklung einer allgemeinen Handlungstheorie, welche durch die Fokussierung normativer Orientierungen den Utilitarismus überwindet, formuliert Parsons diese Handlungstheorie auf einer systemtheoretischen Ebene. Die voluntaristische Handlungstheorie und das AGIL-Schema geben insofern eine Antwort auf das Ordnungsproblem, wenn die funktionellen Erfordernisse des jeweiligen Systems gewährleistet sind. In Bezug auf den Voluntarismus bedarf es jedoch einer detaillierteren Betrachtung. Parsons fragt konkret danach, wie Individuen dazu motiviert werden eine Ordnung freiwillig und überdauernd aufrecht zu halten. Der Kern der Frage liegt somit weniger darin, woher Ordnung stammt, als vielmehr darin, wie sie erhalten bleibt. Die hobbessche Lösung reicht Parsons aus mehreren Gründen nicht aus (vgl. ebd., S. 84ff.). So bleibt unklar, warum besonders starke Individuen einen Teil ihrer Freiheit an den Leviathan abgeben sollten, wenn möglicherweise niemand anderes stark genug ist, um sie zu bedrohen. Weiterhin sieht Parsons in den letzten Jahrhunderten keine exemplarische Ordnung, die zeigt, dass ein System, welches unter Zwang zusammengehalten wird, nicht zusammengebrochen ist. Mit dem zentralen Argument der doppelten Kontingenz, die zustande kommt, sobald zwei Personen aufeinandertreffen, distanziert sich Parsons (1968) schließlich von den zweckrationalen Vorstellungen des Utilitarismus: ››The crucial reference points for analyzing interaction are two: (1) that each actor is both acting agent and object of orientation both to himself and to the others; and (2) that, as acting agent, he orients to himself and to others, in all of the primary modes of aspects. The actor is knower and object of cognition, utilizer of instrumental means and himself a means, emotionally attached to others and an object of attachment, evaluator and object of evaluation, interpreter of symbols and himself a symbol‹‹ (ebd., S. 436, Herv. i. O.).
Das Problem der doppelten – oder in sozialen Situationen multiplen – Kontingenz sozialer Interaktion lässt die soziale Ordnung zwar möglich, aber als äußerst fragiles Ereignis erscheinen. Überwinden lässt sich dieser Zustand nach Parsons durch die gemeinsam geteilten normativen Orientierungen. Neben dem Willen des Individuums
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an der jeweiligen Ordnung teilzunehmen, erwirbt das Individuum durch den Sozialisationsprozess die erforderlichen Werte und Normen der Gesellschaft und vollzieht mit diesem Wissen systemstabilisierende Verhaltensweisen. Luhmann widmet sich dieser Thematik durch die kritische Auseinandersetzung mit der Systemtheorie von Parsons, obwohl das Problem der sozialen Ordnung nicht im Mittelpunkt seiner Theorieentwicklung steht. Parsons stellt Systeme noch als umweltoffen dar, was Luhmann mit der Einführung autopoietischer Systeme verwirft. Mit dieser Vorstellung trennen sich Systeme strikt von ihrer Umwelt, indem sie sich auf sich selbst beziehen und damit selbstreferentiell geschlossen sind (vgl. Luhmann, 1984, S. 103f.). Luhmann leitet mit diesen Gedanken einen Paradigmenwechsel in der Systemtheorie ein. In seiner Begriffsbildung unterscheidet Luhmann (1984) zwischen technischen, biologischen, psychischen und sozialen Systemen. Organismen sind für Luhmann lebende biologische Systeme; psychische Systeme werden als jede Art von Bewusstseinsprozessen bezeichnet und soziale Systeme zeigen sich in Interaktionen, Organisationen oder Gesellschaften. Die Bezeichnung der autopoietischen Systeme bezieht sich auf die sozialen Systeme, die sich selbstständig reproduzieren können und aus sich selbst heraus (selbstreferentiell) ihr Bestehen sichern.3 Das AGIL-Schema nach Parsons hat gezeigt, dass diverse funktionale Erfordernisse erfüllt sein müssen, damit ein System weiter bestehen kann. Mit dem Gedanken des autopoietischen Systems wird, in Abgrenzung zu Parsons, von Luhmann postuliert, dass ein System seine Struktur eigenständig aufrechterhält, sie ändern und unter veränderten Bedingungen weiter fortbestehen kann. Für Parsons ist der leitende Gedanke in einem System, welche Strukturen im System präsent sein müssen, um bestimmte Funktionen zu erfüllen. Luhmann hinterfragt im Zuge dessen den Sinn der Strukturbildung. ››Die Frage, wie das System fortexistieren und seine Grenze gegenüber der Umwelt aufrechterhalten kann, wird so von der Ebene der systematischen Strukturen auf die Ebene der Operationen überspielt‹‹ (ebd., S. 275, Herv. i. O.). Die zentralen Vorgänge in einem System sind für Parsons Handlungen. Luhmanns Antwort auf die Operationen autopoietischer Systeme ist Kommunikation.4 Luhmann (1984) definiert Kommunikation ››als Synthese dreier Selektionen, als Einheit aus Information, Mitteilung und Verstehen […]‹‹ (ebd., S. 203). Die Information ist der Inhalt einer Mitteilung, der aus der Fülle von Informationen aus der Umwelt ausgewählt worden ist, um mitgeteilt zu werden. Diese Information bezieht sich somit auf Dinge, Menschen, Ereignisse etc., die außerhalb der Kommunikation liegen und dadurch einen ››fremdreferentiellen Aspekt‹‹ (Schneider, 2002, S. 277, Herv. i. O.) darstellen. Damit wird aus der Umwelt etwas ausgewählt und somit gleichzeitig etwas anderes ausgeschlossen – also selektiert (vgl. Luhmann, 1984, S. 194). 3
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Maschinen hingegen bezeichnet Luhmann als allopoietische Systeme (technische Systeme), da sie nicht in der Lage sind, sich aus sich selbst heraus zu reproduzieren und sozusagen auf einen externen Input angewiesen sind (vgl. Schneider, 2002, S. 273). In den folgenden Ausführungen über Luhmann wird das soziale System fokussiert. Für Luhmann ist dieses System für die Erklärung von sozialer Ordnung zentral. Das Äquivalent von Kommunikation in einem psychischen System sind für Luhmann Gedanken.
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Für das Gelingen von Kommunikation ist nach dieser Zweigliederung von Information und Mitteilung die dritte Selektion verantwortlich – das Verstehen. Luhmann bezeichnet den Adressaten einer Information als ››Ego‹‹ (ebd., S. 195) und den Mitteilenden als ››Alter‹‹ (ebd.). Alter selektiert eine Information aus der Fülle von Informationen seiner Umwelt und teilt diese Ego mit. Die dritte Selektion wird nun durch Ego geleistet, in dem der Information, die mitgeteilt wurde, eine bestimmte Bedeutung beigemessen wird. Dabei geht es nicht um ein inhaltliches Verstehen der Information, sondern zunächst lediglich um das Erkennen der Mitteilung einer Information, was sich durch die Anschlussäußerung artikuliert und ein ››elementares kommunikatives Ereignis produziert‹‹ (Schneider, 2002, S. 277). Die Produktion von Anschlüssen weiterer Kommunikationen bildet für soziale Systeme die autopoietische Operation. Da für Luhmann soziale Systeme autopoietisch sind, reproduzieren sie sich fortlaufend selbst. Auf jedes Ereignis folgt eine Anschlusskommunikation, wodurch die Autopoiesis des Systems nicht zum Stillstand kommt und auch Veränderungen der Strukturen und Elemente im System ermöglicht und gesichert werden. Luhmanns Hauptkritikpunkt an der Theorie von Parsons und dessen Lösung des hobbesschen Problems der sozialen Ordnung liegt in dem normativen Konsens der Gesellschaft. Die gemeinsam geteilten normativen Orientierungen reichen Luhmann für die Erklärung nicht aus. Vielmehr sieht Luhmann sogar die Abweichung von normativen Orientierungen als wichtigen Faktor für die Erhaltung eines Systems. Damit fokussiert Luhmann nicht mehr das hobbessche Problem der sozialen Ordnung, sondern den von Parsons eingeführten Begriff der ››doppelten Kontingenz‹‹ (Luhmann, 1984, S. 149). ››Ohne Lösung dieses Problems der doppelten Kontingenz kommt kein Handeln zustande, weil die Möglichkeit der Bestimmung fehlt. Deshalb nimmt Parsons die Lösung des Problems der doppelten Kontingenz in den Begriff von Handlung auf, und zwar in der Weise, daß [sic] er eine normative Orientierung mit Konsensunterstellung für ein unerläßliches [sic] Merkmal des Handelns hält‹‹ (ebd., Herv. i. O.).
Kontingent ist zunächst etwas, ››was weder notwendig ist noch unmöglich ist, was also so, wie es ist (war, sein wird), sein kann, aber auch anders möglich ist‹‹ (ebd., S. 152). Kontingenz bedeutet somit zunächst, dass das Handeln eines Akteurs von diversen Faktoren, die Alternativen im Handeln bereitstellen, abhängig ist und in der Folge eine potenzielle Unwahrscheinlichkeit von gelingender Kommunikation beschreibt. Dieser Aspekt potenziert sich nun, wenn zwei Personen – soziale Systeme – aufeinandertreffen und ihre Handlungen von den jeweils kontingenten Handlungen des anderen Akteurs abhängig machen. Diese typische Problematik sozialer Interaktionen, die durch die Erwartungen beider Personen (Alter und Ego) geprägt ist, ist in doppelter Hinsicht kontingent. Die Aufrechterhaltung der Ordnung einer Interaktion ergibt sich nun nicht mehr allein aus dem eigenen Tun bzw. dem Unterlassen von Handlungen, sondern auch aus den vollzogenen Handlungen des Gegenübers und den gegenseitigen Erwartungen beider Akteure. In Bezug zur Erklärung von sozialer Ordnung ist der Begriff der doppelten Kontingenz besonders wichtig. Wenn die Interaktion von zwei Personen bereits von Kontingenz geprägt ist, wie kann dann soziale Ordnung überhaupt möglich sein? Während für Parsons die Antwort in den gemeinsam geteilten normativen Orientierungen liegt, orientiert sich Luhmann an dem
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Begriff der ››Erwartungen‹‹ (ebd., S. 158) und macht sie als zentrale Strukturen für einen Prozess der ››Unsicherheitsabsorbtion‹‹ (ebd.) in der Interaktion verantwortlich. Aus den unzähligen Möglichkeiten des Handelns werden Erwartungen gewählt, die sich aufgrund von Erfahrungen als typisch, bewährt oder brauchbar erwiesen haben und somit das Spektrum an zu erwartenden Handlungsmöglichkeiten dezimieren. Erwartungen bewirken eine Reduktion von Kontingenz und ordnen dadurch Situationen. Die einfache Erwartung reicht in sozialen Interaktionen jedoch noch nicht aus. ››Das Erwarten muss reflexiv werden […]. Nur so kann das Erwarten ein soziales Feld mit mehr als einem Teilnehmer ordnen. Ego muss erwarten können, was Alter von ihm erwartet, um sein eigenes Erwarten und Verhalten mit den Erwartungen des anderen abstimmen zu können‹‹ (ebd., S. 412).
Ohne Erwartungs-Erwartungen könnten unbekannte Erwartungen des Gegenübers das Risiko der Enttäuschung und damit auch die Gefahr eines Abbruchs der Interaktion bedeuten (vgl. Schneider, 2002, S. 259). Ähnlich wie für Parsons tritt nun auch für Luhmann eine gemeinsam geteilte Normierung in den Vordergrund. Auf die Frage, wie diese Erwartungsstrukturen gefestigt werden, antwortet Luhmann mit zwei Mechanismen: Generalisierung und Institutionalisierung. Generalisierte Erwartungen haben sich im Laufe der Zeit anhand von Erfahrungen bewährt und werden in sozialen Situationen auf der Grundlage ihrer Bewährung selektiert. Soziale Systeme können Situationen und die konkrete Abstimmung untereinander durch die Generalisierung von Erwartungen erleichtern, indem bereits vorher festgelegt ist, was in der jeweiligen Situation angebracht bzw. unangebracht erscheint. Hervorzuheben ist, dass diese Vorauswahl auf der Ebene der Erwartungen und nicht auf der Ebene des Handelns vollzogen wird und die Situation sozusagen vorgreifend realisiert wird (vgl. Luhmann, 1991, S. 120ff.). Die institutionalisierten Erwartungen lassen sich am Beispiel der Institution Schule verdeutlichen. Die Erwartungen von LehrerInnen und SchülerInnen im direkten Unterricht sind selbstverständlich bedeutsam, ihre Grundlagen reichen allerdings über die Grenzen des Systems hinaus. Die Erwartungen von den Eltern, der Schulleitung oder auch von der Schulbehörde lassen die Akteure wissen, dass der Unterricht bestimmten Anforderungen genügen soll. Die relevanten Erwartungs-Erwartungen reichen über die unmittelbaren Erwartungen der Akteure hinaus und ››sind so auch gegenüber Änderungen durch Übereinkunft zwischen den unmittelbar Beteiligten geschützt‹‹ (Schneider, 2002, S. 265). Luhmann (2008) spricht deshalb auch von ››Institutionalisierung‹‹ (ebd., S. 64). Mit diesen beiden Mechanismen wird deutlich, dass Erwartungen immer auch temporärer Natur sind und nicht wie bei Parsons eine universelle Gültigkeit besitzen. Über die Institutionalisierung und die Generalisierung reduziert sich die doppelte Kontingenz sozialer Situationen durch die Reduktion der Komplexität möglicher Handlungsoptionen (vgl. ebd., S. 64ff.). Für die Erklärung von sozialer Ordnung gelten Erwartungen als ein konstitutives Element in sozialen Situationen. Über die Erwartungsstrukturen wird Kontingenz reduziert, wodurch sich für die jeweiligen Akteure Handlungsmöglichkeiten einschränken. Dadurch kommt es zu einer Komplexitätsreduktion, die das Problem der doppel-
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ten Kontingenz zu überwältigen lässt und soziale Ordnung ermöglicht, jedoch nicht absolut werden lässt, wodurch auch Abweichungen von sozialer Ordnung zu erklären sind. Interaktionsordnung Goffman (1971a) stellt für seine Arbeiten die genaue Untersuchung des ››kollektiven Verhaltens‹‹ (ebd., S. 16) in den Vordergrund, um die soziale Organisation an öffentlichen Orten zu verstehen. Es geht ihm um den ››ganz normale[n] Umgang miteinander‹‹ (ebd.), um jene Alltagssituationen, in denen die einfachsten, beobachtbaren sozialen Kontakte geschaffen werden und die verdeutlichen, wie soziale Ordnung in der kleinsten Form erzeugt wird. Die soziale Situation ergibt sich durch die Prämisse der Kopräsenz. In ihr entfaltet sich das Wechselspiel gegenseitiger Wahrnehmung, des MiteinanderInteragierens. Während Vertreter wie z. B. Hobbes soziale Ordnung eher auf einer makrosoziologischen Ebene erklären, fokussiert Goffman vor allem die mikrosoziologische Ebene und betont ebenfalls die Körperlichkeit sozialer Situationen. Somit unterscheidet sich sein Ansatz von den Erklärungen größerer (gesellschaftlicher) Zusammenhänge für soziale Ordnung. Dies verdeutlicht Goffman (1974) auch durch folgende Aussage: ››Wenn Personen in geregelte Beziehungen zueinander treten, so bedienen sie sich sozialer Gepflogenheiten oder Praktiken, d. h. strukturierter Anpassungen an die Regeln. Diese Anpassungsstrukturen umfassen Übereinstimmungen mit der Regel, Umgehungen, heimliche Abweichungen, entschuldbare Übertretungen, schamlose Regelverletzungen und dergleichen. Diese unterschiedlich motivierten und unterschiedlich funktionierenden Verhaltensmuster, diese mit Grundregeln verknüpften Routinehandlungen konstituieren in ihrer Gesamtheit das, was man als eine ›soziale Ordnung‹ bezeichnen kann‹‹ (ebd., S. 10-11).
Soziale Ordnung bezeichnet nach Goffman keine starre Regelbefolgung. Anpassungen und Aktualisierungen des tatsächlichen Verhaltens kommen vielmehr durch Aushandlungsprozesse zwischen den Teilnehmern in der jeweiligen Situation zustande. Welche Regeln gerade relevant sind und welche Anpassungsstrukturen vorgenommen werden, ist abhängig von der jeweiligen Rahmung und dem damit verbundenen Wissen über die Situation. In den vielen denkbaren Alltagssituationen, in denen Menschen aufeinandertreffen, finden Aushandlungsprozesse und wechselseitige Einflüsse untereinander statt, die sowohl verbaler, körperlicher oder auch räumlicher Natur sein können. Sie konstituieren sich jedoch nicht ohne Intention oder gänzlich unbewusst, sondern lassen sich durch den Begriff der Interaktionsordnung (››interaction Order‹‹, Goffman, 1983) benennen. Diesen ››wechselseitige[n] Einfluß [sic] von Individuen untereinander auf ihre Handlungen während ihrer unmittelbaren physischen Anwesenheit‹‹ (Goffman, 2009a, S. 18) bezeichnet Goffman auch als ››direkte Interaktion‹‹ (Goffman, 1971a, S. 7). Gegenstand seines Erkenntnisinteresses sind die ››syntaktischen Beziehungen zwischen den Handlungen verschiedener gleichzeitig anwesender Per-
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sonen‹‹ (ebd., S. 8). ››Es geht hier also nicht um Menschen und ihre Situationen, sondern eher um Situationen und ihre Menschen‹‹ (ebd., S. 9).5 Als Ausgangspunkt für die Betrachtungsweise der direkten Interaktion kann der Begriff des ››Territoriums‹‹ (Goffman, 1974, S. 54) angesehen werden. Goffman übernimmt in seinen Arbeiten den Territorialbegriff aus der Ethologie und gebraucht ihn als eine Art der Anspruchserhebung, die für einen Akteur in der Situation konstitutiv ist. Der Anspruch auf ein bestimmtes Territorium wird durch eine Markierung verdeutlicht.6 Diese Grenzziehungen gehören nach Goffman zur Grundausstattung sozialer Handlungen. Ein weiteres Grundelement sozialer Interaktionsbeziehungen ist die Kopräsenz. Diese beschreibt, dass eine gemeinsame Anwesenheit nur dann besteht, wenn zwei Personen zusammentreffen und sich gegenseitig wahrnehmen. Goffman spricht dann von ››face-to-face‹‹ Interaktionen (Goffman, 1983, S. 2). In diesem Verständnis sind zwei Merkmale zu benennen. Das erste Merkmal besteht darin, dass jeder Akteur über seinen Körper in jedem Augenblick zugleich Informationen darstellt und Informationen von den Teilnehmern der Situation wahrnimmt. Die Rückkopplung davon, also dass jeder Akteur diese Informationen preisgibt und aufnimmt, ist das zweite Merkmal. Daraus entsteht eine Art Interdependenz der Handlungen zwischen den Akteuren. Mit dem Ausgangspunkt, der gemeinsamen Anwesenheit, stellt sich nun die Frage, wie genau die Informationen erlangt werden. Goffman unterscheidet gegebene Informationen und ausstrahlende Informationen (vgl. Goffman, 2009a, S. 5). Als gegebene Informationen können Symbole, Gesten oder Schrift angesehen werden, die eine Person willkürlich und beabsichtigt zur Verfügung stellt. Die ausgestrahlte Information hingegen ist ein unvermeidbares Produkt der Präsenz und der Handlungen wie beispielsweise die Körperhaltung oder ein markanter Akzent. Eine Trennung zwischen gegebenen und ausgestrahlten Informationen ist jedoch analytisch zu verstehen. In Alltagssituationen treten gegebene und expressive Informationen gleichzeitig auf (vgl. Knoblauch, 2001a, S. 29). Das Konzept der Kopräsenz strukturiert sich in drei Ebenen: eine ››Zusammenkunft‹‹, eine soziale ››Situation‹‹ und ein ››sozialer Anlaß [sic]‹‹ (Goffman, 1971b, S. 29). Unter der Zusammenkunft wird eine Gruppe von zwei oder mehr Individuen 5
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Für Goffman (2009) liegt der Fokus seiner Untersuchungen auf der sozialen Interaktion, daher auch die in der Literatur oftmals angedeutete Nähe zum Symbolischen Interaktionismus, in dem die Interaktion als Kern des Sozialen angesehen wird. Demnach reagieren Menschen nicht einfach, sondern sie deuten und interpretieren, auf der Grundlage kollektiven Wissens, die Handlungen gegenseitig und reagieren wiederum darauf basierend. Goffman (2009) geht davon aus, dass es immer mehrere Definitionsvorschläge gibt, die aufeinander abgestimmt werden müssen. Die Übereinstimmung der Definitionen erhöht sich durch die Klarheit der Rahmung. Es muss also nicht zwingend zu einer gemeinsamen Klärung der Situation kommen, vielmehr wird geklärt, welche Beteiligten welche Ansprüche zugesprochen bekommen (vgl. ebd., S. 21). Solche Markierungen können durch Worte, Handlungen oder durch Gegenstände verdeutlicht werden: Ein Heben der Hand, um den Abstand zu wahren, ein Trennstab auf dem Einkaufsband im Laden oder das Handtuch, das auf einer Liege platziert wird, verdeutlichen den Anspruch auf das jeweilige Territorium.
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verstanden, die miteinander in Kontakt treten. In ihr finden auch der Informationsfluss und eine Rückkopplung von Informationen statt. Die soziale Situation definiert Goffman als eine ››vollständige räumliche Umgebung‹‹ (Goffman, 1971a, S. 159). Jede Person, die in diese Situation eintritt, wird automatisch zu einem Mitglied der Interaktion und vermittelt durch seine Anwesenheit, das Benehmen und die Erscheinung Informationen und nimmt sie auch wiederum entgegen. ››Diese Möglichkeit allgemein verfügbarer Kommunikation und die Reglements zu ihrer Kontrolle verwandeln einen rein räumlichen Bereich in einen Ort von soziologisch relevanter Entität, kurz, in eine Situation‹‹ (Goffman, 1971a, S. 147), die erst endet, wenn der vorletzte den Raum (wie auch immer geartet) verlässt. Das dritte Element, der soziale Anlass, ist der Grund, weshalb sich Personen in eine unmittelbare Gegenwart begeben, wodurch ein Rahmen gelegt wird, in dem Situationen stattfinden. Ein sozialer Anlass ist sowohl zeitlich als auch räumlich begrenzt und wird durch eine jeweils bestimmte oder benötigte Ausstattung gefördert (vgl. ebd., S. 29). Für die Untersuchung von Interaktionspraktiken ist weiterhin die Unterscheidung zwischen zentrierter und nicht-zentrierter Interaktion von großer Bedeutung (vgl. ebd., S. 35ff.). Eine nicht-zentrierte Interaktion besteht aus einer zwischenmenschlichen Kommunikation, die schon allein dann zustande kommt, wenn zwei fremde Personen in einem Raum aufeinandertreffen. Das Hauptaugenmerk liegt hierbei auf der Körpersprache der Akteure. Denn diese lässt sich durch das Beobachten von Haltung, Kleidung, Gestik, Mimik usw. als ››konventionalisierte normative Unterhaltung interpretieren‹‹ (Reiger, 2000, S. 58). Der normative Aspekt tritt deshalb auf, weil Akteure bei Begegnungen in der Verpflichtung stehen bestimmte Körperinformationen zu offenbaren, um die Situation, in der sich beide Akteure befinden, zu bestätigen. In zentrierten Interaktionen treffen die Akteure direkt aufeinander und müssen gemeinsam probieren die Aufmerksamkeit aufrechtzuerhalten, weshalb diese die Akteure mehr beanspruchen als nicht-zentrierte Interaktionen. Diese Aufmerksamkeit kann sich dann auf ein gemeinsames Gespräch oder eine Aufgabe fokussieren. Die jeweilige Situation wird von den Beteiligten gemeinsam definiert und es wird danach gestrebt diese in einem Gleichgewicht, das auch durch das Gefühl von moralischer Verantwortung für das eigene Handeln gesteigert wird, fortzuführen. Goffman hat unter dem Label der Interaktionsordnung ein Begriffsinstrumentarium entwickelt, mit dem Interaktionen beschrieben und analysiert werden können. ››Die dramaturgische Perspektive kann [...] als ein endgültiges Ordnungsprinzip angesehen werden‹‹ (Goffman, 2009a, S. 219). Für den Prozess der Interaktionen unterscheidet Goffman organisatorische Prinzipien für Ereignisse, die Sicherheit schaffen (Rahmungen), konventionelle Handlungen, die verpflichtende Regulierungen der Ausführung von Handlungen darstellen (Rituale) und eigenerzeugte Formen der Darstellung in Interaktionen, um die Teilnehmer zu beeinflussen (Performance) und erlaubt somit einen Blick auf Interaktionsanlässe. Neben diesen grundlegenden Überlegungen konzentriert sich Goffman vor allem darauf alltägliche Interaktionen aus einer dramaturgischen Perspektive zu betrachten. Dieser Perspektive liegt ein dramaturgisches Akteurskonzept zugrunde. Goffman (2009a) postuliert: ››Eine ›Darstellung‹ (performance) kann als eine Gesamttätigkeit eines bestimmten Teilnehmers in einer bestimmten Situation definiert werden, die
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dazu dient, die anderen Teilnehmer in irgendeiner Weise zu beeinflussen‹‹ (ebd., S. 18, Herv. i. O.). Performances sind Aktivitäten, die uns als sozialen Akteur verwandeln. Es geht um Ausdruckshandlungen, die den anderen Teilnehmern vorgeführt werden. Man übernimmt eine soziale Rolle, die dem sozialen Kontext angepasst wird. Die anderen Teilnehmer können als Publikum bezeichnet werden, was allerdings nicht bedeutet, dass sie keine Darstellungen produzieren und beitragen. Sie können somit auch als Partner in der sozialen Situation bezeichnet werden (vgl. ebd.). Für eine erfolgreiche dramaturgische Darstellung benötigen die Akteure ein festes Ausdrucksrepertoire (Fassade) in Kombination mit dem richtigen Bühnenbild (Requisiten) und den eigenen Handlungen. Dabei wird immer versucht die eigene Darstellung auf die Normen und Werte der jeweiligen Kultur abzustimmen (vgl. Knoblauch, 2006, S. 159). Diese Bühnenbilder sind für Goffman statische räumliche Gegebenheiten, die als Voraussetzung gelten, um die Darstellung als Akteur überhaupt beginnen zu können. Die Bühne selbst kann in eine Vorderbühne, dort, wo die Vorstellung praktiziert wird und Normen eingehalten werden müssen, und eine Hinterbühne, wo unterdrücktes Verhalten zum Vorschein kommen kann, unterschieden werden (vgl. Goffman, 2009a, S. 100f.). Die persönliche Fassade beschreibt bestimmte äußerliche Erscheinungen wie Gestik, Mimik, Kleidung, Geschlecht, Sprechweise, Körperhaltung usw. (vgl. ebd., S. 25). Die Fassade umfasst neben den Erscheinungen auch das Verhalten des Darstellers. Während die Erscheinung den sozialen Status des Darstellers überträgt, informiert das Verhalten über die Rolle, die man zu spielen beabsichtigt. Beide Unterscheidungen der persönlichen Fassade wirken direkt auf das Publikum ein. Arbeiten Teilnehmer einer sozialen Situation gemeinsam an der Erhaltung der Situation und probieren sich gegenseitig in ihren Rollen zu unterstützen, kann man von einem ››Ensemble‹‹ (ebd., S. 75) sprechen. Ein solches Ensemble wird dazu genutzt, für eine Gruppe eine gemeinsame Rolle aufzubauen, ähnlich einer gemeinsamen (Re-)Produktion gemeinsamer Regeln und Normen zur Konstitution einer gemeinsamen Identität, die nach außen performt wird. Für Goffman dient weiterhin der Begriff des Rituals dazu, als Akteur symbolisch einer Gruppe zu zeigen, wie achtenswert man ist und für wie achtenswert man die anderen Teilnehmer hält. Die Informationen, die auf diese Weise übertragen werden, können anhand von diversen Symbolen übermittelt werden. Diese symbolische Verwendung ist nicht nur eine spezifische Form der Bezeichnung für Gegenstände oder Vorstellungen, sondern gilt als ››Zeichen für Zeichen‹‹ (Soeffner, 2004, S. 163). Losgelöst von einem Begriff mit einer starren Repräsentationsfunktion können hiermit auch Handlungen zur Organisation in Interaktionen gemeint sein (vgl. ebd.). Goffman bezeichnet in seiner Arbeit ››Interaktionsrituale‹‹ (Goffman, 1971a) diese Tätigkeiten als ››rituelle Ordnung‹‹ (ebd., S. 50), die letztendlich auf einem kollektiven Wissensbestand beruht. In der Interaktion gibt es einen ständigen wechselseitigen Einfluss der Teilnehmer untereinander. Kommt es zu Regelverletzungen oder einer Störung des Gleichgewichts der rituellen Ordnung, können korrektive Handlungen (korrektiver Austausch) durch ein dialogisches Vorgehen die Ordnung wiederherstellen (vgl. Knoblauch, 2006, S. 162).
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Die rituelle Ordnung durch die Teilnehmer entspricht somit, wie auch die Rahmungen von Situationen, einem Element zur Herstellung und Aufrechterhaltung von sozialer Ordnung. Die Rahmung einer Situation darf nicht dahingehend missverstanden werden, dass Akteure jede soziale Situation bewusst definieren, vielmehr ››stellen sie lediglich ganz richtig fest, was für sie die Situation sein sollte, und verhalten sich entsprechend‹‹ (ebd.). Mit der Frage: ›››Was geht hier eigentlich vor?‹‹‹ (Goffman, 1977, S. 16) wird der Rahmungsvorgang initiiert. Eine Rahmung kann also als eine Klärung dessen, was eigentlich vor sich geht, bezeichnet werden. Bestimmte Ereignisse und Kontextelemente rufen bestimmte Handlungen und Interpretationsschemata hervor, die Erwartungen von einem selbst und den anderen Teilnehmern der Situation mit einbeziehen. Rahmungen sind für Goffman wesentlich für die Konstitution von sozialer Ordnung. Für die Erklärung sozialer Ordnung ist der Rahmungsbegriff insofern wertvoll, weil angenommen wird, dass in Gesprächen weniger die Informationsvermittlung als vielmehr die Darstellung im Vordergrund steht. Es ist offensichtlich, dass Rahmungen von sozialen Situationen auf unterschiedliche Weise vorgenommen werden. So kommen beispielsweise von einem informellen Gespräch bis zu einer mündlichen Prüfung unterschiedliche Rahmungen zu Vorschein. Sie finden im Alltag immer Anwendung und reduzieren für die sozialen Akteure Komplexität durch eine methodisch kontrollierte Extraktion übergeordneter Strukturen. Die rahmenanalytische Betrachtung wird im weiteren Verlauf der Arbeit mit einer ethnomethodologischen Perspektive erneut aufgegriffen. Zur körperlichen Mikrofundierung sozialer Ordnung Die vorangestellten theoretischen Perspektiven liefern vielfältige Erklärungsansätze: den Gesellschaftsvertrag, den moralischen Sinn, die Institutionalisierung, die Wechselwirkungen, die Konventionen, die doppelte Kontingenz und ErwartungsErwartungen sowie die Interaktionsordnung, um das Problem der sozialen Ordnung zu erfassen. Als eine Residualkategorie in den theoretischen Perspektiven scheint die Körperlichkeit zu gelten. Luhmann (1984) bezeichnet die Körperlichkeit als ››eine allgemeine (und insofern theoretisch triviale) Prämisse sozialen Lebens‹‹ (ebd., S. 334).7 Die Rolle der nicht zu verleugnenden Kategorie der Körperlichkeit in sozialen Situationen kann bei der Betrachtung von sozialer Ordnung jedoch keine triviale Kategorie bleiben. Erwartungen können nicht nur rein mental, sondern immer auch 7
Bette (1987) fragt konkret nach dem Verbleib des Körpers in der Systemtheorie und antwortet zusammengefasst mit einer Paradoxie des Körpers. Der Körper unterliegt in der modernen Gesellschaft gleichzeitig einer Nichtigkeit und einer besonderen Aufwertung (vgl. ebd., S. 600ff.). Die Verdrängung des Körpers findet statt, indem der Körper diszipliniert, ruhig gestellt oder auch virtualisiert wird. Gleichzeitig kann jedoch auch von einem ››Körperboom‹‹ (Körner, 2002, S. 51) gesprochen werden, der die Juvenilität, den Fitnessoder auch Schönheits-Boom in das Rampenlicht rückt. Damit ist gleichzeitig von einer ››Körperverdrängung‹‹ (Gugutzer, 2004, S. 132, Herv. i. O.) und einer ››Körperaufwertung‹‹ (ebd., Herv. i. O.) zu sprechen. Gugutzer (2004) stellt in Anlehnung an Bette heraus, dass nicht die Körper kommunizieren, sondern dass die Kommunikation über den Körper im Mittelpunkt systemtheoretischer Betrachtungen liegt (vgl. ebd., S. 131ff.).
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körperlich strukturiert werden. Die Vorstellung darüber, wie soziale Ordnung hergestellt und aufrechterhalten wird, verweist auf die körperliche Verfasstheit sozialer Abstimmungsprozesse in sozialen Situationen. Gegenstand soziologischer Erklärungen sind damit nicht mehr allein die individuellen, rationalen Handlungen einzelner Akteure, sondern das beobachtbare Zusammenspiel zwischen den beteiligten Akteuren mit der sie umgebenden Materialität, um soziale Ordnung zu (re-)produzieren. Der Körper erzeugt durch seine performative Dimension eine Wirklichkeit, die in situ (re-)produziert wird und gleichermaßen am Vollzugskörper beobachtet sowie durch den Vollzugskörper konstruiert wird. Die körperlichen Gesten und Praktiken werden von kompetenten Körpern vollzogen und abgelesen (vgl. Althans, 2014, S. 160ff.). Soziale Ordnung, so wie sie hier verstanden wird, ist demnach keine Musterlösung für eine übergreifende Problemstellung, sondern ein situatives, zeitliches und räumliches fragiles Phänomen, das neben der Routinisiertheit sozialen Handelns zwei weitere Aspekte betont. Zum einen sind die jeweiligen Körper Träger von Praktiken, deren Vollzug auf der Grundlage kollektiver Wissensordnungen beruht. Zum anderen bietet die Materialität eine Ressource, um der Rolle der Dinge in situativen Interaktionssituationen auf die Spur zu kommen. Damit wird weiterhin vorausgesetzt, dass zentrale Mechanismen für die Genese von sozialer Ordnung in der Körperlichkeit und in der Materialität verankert sind. Wie genau soziale Ordnung operativ (re-)produziert wird, erfasst somit – praxeologisch argumentierend – sprachliche als auch gerade nicht-sprachliche Dimensionen und damit körperliche und materielle Elemente, die zur Lösung des Problems der sozialen Ordnung hinzugezogen werden und damit aus ihrer Residualkategorie rehabilitiert werden. Der Eindruck einer ››eigentümlichen Körperlosigkeit sozialen Handelns‹‹ (Böhle & Weihrich, 2010, S. 8) soll im folgenden Kapitel mit einem praxeologischen Zugang überwunden werden, um im weiteren Verlauf der Arbeit neue Perspektiven einer Mikrofundierung des Sozialen – konkret am Sportunterricht – aufzuzeigen. Um die theoretische Verortung eines praxeologischen Zugangs nachzuvollziehen, wird zunächst eine Spurensuche betrieben, um anschließend die konzeptuellen Bausteine der Theorie sozialer Praktiken darzulegen und einen Transfer für die (Sport-) Unterrichtsforschung herzustellen.
Eine praxistheoretische Forschungsperspektive
Die Frage, ob der Körper handeln kann, würde von den Hauptströmungen der soziologischen Handlungstheorien verneint werden. Dem Körper wird in diesen Sichtweisen keinerlei Handlungssinn zugeschrieben. Eher sind sie der Ansicht, dass der Körper einem technischen Instrument gleiche, das dem Willen des Akteurs unterliege. Doch es ist ››die Vielzahl routinierter körperlicher Handlungen, die diese Annahme […] ad absurdum führen‹‹ (Klein, 2010, S. 465). Schon die eigenen Alltagserfahrungen beweisen uns, dass der Körper eine Art Widerstandsfähigkeit gegenüber den eigentlichen Intentionen besitzt. So werden körperliche Gesten vollzogen, die etwas über das eigene Empfinden preisgeben, obwohl man sich dieser nicht bewusst ist. Oder betrachtet man nur einmal die unproblematische Navigation von Menschen in der U-Bahn (vgl. Schmidt, 2012, S. 9f.) oder in der überlaufenen Fußgängerzone. Der in der Bewegung handelnde Körper verleiht durch den Bewegungsvollzug einer Intention einen praktischen Sinn. In diesem Sinne ist eine körperliche Bewegung kein Verhalten im Sinne Webers, sondern eine Handlung bzw. eine Praktik (vgl. ebd., S. 464f.). In diesem Kapitel, welches als theoretischer Hintergrund der vorliegenden Arbeit dient, wird ein praxistheoretischer Zugang eröffnet, der als Fundament für die Untersuchung von konstituierenden Elementen für soziale Ordnung im Sportunterricht angelegt ist. Zunächst wird eine Spurensuche beschrieben, in der nachgezeichnet wird, welche Entwicklungen letztendlich zu einer Begründung der Praxistheorien geführt haben. Darauf aufbauend wird die praxistheoretische Sichtweise aus den Betrachtungen der einschlägigen Autoren, die dieser Perspektive zugeordnet werden, dargestellt. Im Anschluss folgen in Anlehnung an Reckwitz (2003) Ausführungen, die eine Rehabilitation des praktischen Handelns vornehmen und durch die eine neue Herangehensweise an soziales Handeln ermöglicht wird, das vor allem körperliche und materielle Komponenten einschließt. Reckwitz (2012) betont aus seiner Perspektive heraus eine Transformation der Kulturtheorien, wodurch gewisse Aspekte der Theorie sozialer Praktiken wieder verstärkt in den Fokus geraten. Bevor es dann zu einer Übersetzung der theoretischen Brille auf den Bereich der (Sport-)Unterrichtsforschung kommt, werden die Vorteile, aber auch Kritiken an der praxistheoretischen Sichtweise zusammenfassend dargestellt.
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S PURENSUCHE : V OM P RAXISTHEORIEN
HOMO OECONOMICUS ZU DEN
Zunächst lassen sich nach Reckwitz (2004a) zwei zentrale Einflüsse identifizieren, die ein konkurrierendes Verständnis zu den traditionellen Handlungstheorien darstellen. In einem naturalistischen Verständnis werden nach Reckwitz die Handlungstheorien unterlaufen. Im Sinne einer Blackbox wird Handeln als ein Reiz-ReaktionsSchema aufgefasst, welches Handeln auf nicht-sinnhaft reduziert und somit für alle Lebewesen vergleichbar konstruiert (vgl. ebd., S. 304ff.). In einem textualistischen Verständnis vollzieht sich das Gegenteil zum naturalistischen Verständnis. Hier wird der Sinn außerhalb des eigentlichen Handelns identifiziert und somit überläuft dieses Verständnis die Handlungstheorien. Die soziale Welt besteht in diesem Verständnis aus Texten, Kommunikation und Zeichen. Die Handlungstheorien grenzen sich in diesen Ansichten insofern von diesen Verständnissen ab, als das sie Handlungen als sinnvoll erachten und weiterhin diesen Sinn in der Handlung selbst identifizieren. Menschliches Verhalten beschreibt somit Handlungen, denen eine Sinnhaftigkeit zugrunde liegt, die etwas bedeuten und aufgrund von Regeln, Normen oder individuellen Zwecken zustande kommen (vgl. ebd.). Nach dieser kurzen Darstellung der konkurrierenden Verständnisse im Vergleich zu den Handlungstheorien, wird nun eine tiefergehende Spurensuche vollzogen, die grundsätzliche Differenzen im allgemeinen Terminus der Handlungstheorie offenlegt. Entscheidend ist die Darstellung der Entwicklung von zweck- und normorientierten Modellen der Handlungstheorie zu einem kulturalistischen Handlungsverständnis, das sich nach Reckwitz (2004a) anhand von drei Brüchen rekonstruieren lässt. Der erste Bruch zeigt sich zwischen den Modellen des ››homo oeconomicus‹‹ (ebd., S. 303, Herv. i. O.) und dem des ››homo sociologicus‹‹ (ebd., Herv. i. O.). Beiden Denktraditionen ist gemeinsam, dass sie probieren, die Abstimmung von Handlungen zwischen Individuen zu erklären, ohne dass eine soziale Unordnung entsteht. Dem Homo oeconomicus-Modell liegt eine reine Zweckorientierung zugrunde. Hier findet sich schließlich wieder eine Orientierung am hobbesschen Problem sozialer Ordnung. Das Verhalten von Individuen wird als Handeln bezeichnet und durch die Einflüsse von Weber oder Smith entsteht soziale Ordnung in der Folge von individuellen Interessenzuschreibungen. In dieser rationalitätstheoretischen Zuspitzung werden Optionen des eigenen Handelns in einer geordneten Hierarchie von Präferenzen bewertet, wonach sich für die am vernünftigsten geltende entschieden wird (vgl. ebd., S. 306ff.). Der tatsächliche Bruch äußert sich durch die Ansichten von Durkheim und Parsons. Sie bezweifeln, dass Handeln allein aus individuellen Zwecken und Überzeugungen erklärt werden kann. Sie gehen vielmehr davon aus, dass Handlungskoordination auf einer kollektiven Anerkennung von normativen Erwartungen (SollensRegeln) beruht und formulieren das Modell des homo sociologicus. Daraus ergibt sich die Wendung der Problemstellung von sozialer Ordnung ››von einer Handlungserklärung zur Erklärung der Ordnung des Handelns‹‹ (ebd., S. 307, Herv. i. O.). Die Erklärung des Handelns wird nun nicht mehr aus der Erklärung individueller Interes-
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senverfolgung vollzogen. Handlungen sind im Modell des homo sociologicus als eine intersubjektive Handlungskoordination zu verstehen. Dem Modell der Zweckorientierung wird an dieser Stelle ein Modell der normativen Orientierung entgegengestellt. Das Motiv für diese Gegenüberstellung ist, das Parsons und Durkheim der Überzeugung sind, dass individuelle Handlungsziele nicht für die Erklärung einer kollektiven Abgestimmtheit ausreichen. Aus den Handlungszielen werden im Modell des homo sociologicus normative Regeln formuliert. Im Sinne der normorientierten Handlungserklärungen lassen sich jedoch zwei verschiedene Ansichtsweisen unterscheiden. Zum einen wird das Normative über externe Sanktionserwartungen erklärt, also eine Art sich aufdrängender Fremdzwang (Durkheim) und zum anderen, dafür steht vor allem Parsons, liegt die Lösung des Ordnungsproblems im Sinn einer internalisierten Wertorientierung. Trotz dieser Divergenz verweisen beide Ansichten auf normative Sollens-Regeln (vgl. ebd., S. 307ff.).8 Die beiden vorgestellten Paradigmen haben einen unterschiedlichen Zugang zur Erklärung sozialer Ordnung. Im Paradigma des homo sociologicus wird die Frage nach der Erklärung von Handeln mit der Erklärung von sozialer Ordnung gekoppelt. Das Paradigma des homo oeconomicus geht davon aus, dass diese Kopplung nicht möglich ist. Aus einer zweckorientierten Sichtweise lässt sich Handeln allein aus den individuellen Überzeugungen erklären – ››soziale Ordnung […] [kann] allein mit Blick auf die Folgen des Handelns erklärt werden‹‹ (Reckwitz, 2004a, S. 311, Herv. i. O.). Damit werden Gründe und Ursachen für die Erklärung ausgeschlossen. Hier setzt die Verlagerung der normorientierten Ansichtsweisen (homo sociologicus) an. ››Die mentalen Sinnelemente, die dem Handeln zugrunde liegen, müssen selbst eine normative Ordnung bilden und eine soziale Ordnung formen, damit diese am Ende tatsächlich existiert‹‹ (ebd., Herv. i. O.). Trotz dieser konträren Ausrichtung finden sich in der Grundentscheidung der individuellen Interessen Übereinstimmungen. Jedoch geht der homo sociologicus von einer kollektiven ››Aufeinanderabgestimmtheit von Handlungen‹‹ (ebd.) aus, den sozialen Normen. Es stellt sich nun die Frage, ob das Problem der Ordnung zwingend so definiert werden muss? Handlungstheorien, die sich dem Oberbegriff der Kulturtheorien zuordnen lassen, wozu auch die Theorie sozialer Praktiken angehört, formulieren das Erklärungsproblem von sozialer Ordnung zu einer neuartigen Form der Handlungserklärung um (zweiter Bruch). Theoriehistorisch sind zwei konträre Denktraditionen zu konstatieren, die für die Entwicklung einer kulturtheoretischen Perspektive grundlegend sind: die Traditionen der Phänomenologie (Husserl; Schütz) und die der Hermeneutik (Gadamer; MerleauPonty). Beide lassen sich dem ›››interpretative approach‹‹‹ (ebd., S. 312) der nordamerikanischen Mikrosoziologie subsumieren, die vor allem von Garfinkel (1967) und Goffman (1974) gegründet wurde. Die zweite einflussreiche Denktradition findet sich im Strukturalismus, der danach fragt, welchen Ordnungsprinzipien das geistige und soziale Leben folgt (Lévi-Strauss in der Ethnologie und Bourdieu in der Soziologie) (vgl. Reckwitz, 2004a, ebd.). Grundlegend für das Verständnis der kulturtheoretischen Perspektive ist, dass Handeln und Handlungsmuster auf eine grundlegend andere Art und Weise erklärt werden, als die Denkfiguren des homo oeconomicus (zweckorientierte Handlungser8
Vgl. hierzu auch die Ausführungen zur sozialen Ordnung.
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klärung) und des homo sociologicus (normorientierte Handlungserklärung). Die bereits formulierten mentalen Sinnelemente, die jeweils zur Erklärung von Handeln gesetzt werden, ››sind weder individuelle Zwecke noch soziale Normen, sondern kognitive Wissensordnungen. Diese kognitiven Wissensordnungen, […] betreiben eine symbolische Organisation der Wirklichkeit […]‹‹ (ebd., S. 312-313). Ernst Cassirer umschreibt diese Denkfigur als ››animal symbolicum‹‹ (ebd., S. 303, Herv. i. O.) und geht mit dem Modell des homo sociologicus insoweit d’accord, dass es zum Verständnis der kollektiven Ordnung des Handelns als eine Ausrichtung auf individuelle Zwecke nicht ausreicht. Stattdessen müssen Handlungskriterien gefunden werden, auf die kollektiv zurückgegriffen werden kann. Im Modell des animal symbolicum wird dabei von kollektiven Regeln gesprochen, die grundsätzlich von den SollensRegeln des homo sociologicus unterschieden werden müssen (vgl. ebd., S. 313). Der Regelbegriff ist innerhalb von sprachanalytischen Handlungstheorien von John Searle geprägt worden. Dort findet sich die grundsätzliche Unterscheidung zwischen regulativen und konstitutiven Regeln (vgl. Searle, 1969, S. 54ff.). Regulative Regeln regulieren, erlauben oder verbieten ein bestimmtes Verhalten unabhängig von ihrer Existenz. Hiermit wird auf Verhaltensformen verwiesen wie Anstandsregeln oder Verkehrsregeln, die den von ihnen unabhängigen Verkehr regeln. Konstitutive Regeln hingegen erzeugen einen (neuen) Handlungsspielraum. Sie regeln nicht nur, sondern geben auch Spielraum für neue Verhaltensformen. Damit sind sie konstitutiv für die jeweilige Situation, während die Regeln im Straßenverkehr keine notwendige Bedingung darstellen (vgl. ebd.).9 ››Konstitutive Regeln zeichnen sich dadurch aus, daß [sic] sie neue Formen des Verhaltens erzeugen, die von der Existenz dieser Regeln logisch abhängen, weil sie durch diese Regeln definiert werden. Beschreibungen solcher Verhaltensweisen sind deshalb ohne Bezug auf die zugrundeliegenden Regeln nicht möglich‹‹ (Schneider, 1994, S. 123, Herv. i. O.).
Die Kulturtheorien beziehen sich mit der Prämisse der Wissensordnungen auf die konstitutiven Regeln, die kognitiv und implizit verankert sind und machen so deutlich, dass dies Regeln sind, anhand derer Handelnde sich die Welt symbolisch repräsentieren und deutlich machen, ››welches (Handlungs-)Spiel überhaupt gespielt wird‹‹ (Reckwitz, 2004a, S. 313). Reckwitz (2004a) weist darauf hin, dass in der sozialen Realität kollektive Handlungsmuster existieren, die keiner Normorientierung unterliegen, sondern in einer Wissensordnung gründen, und liefert somit die Begründung für den zweiten Bruch.10 Die Kulturtheorien verneinen nicht, dass kollektive Handlungsmuster in bestimmten Situationen durch normorientiertes Handeln oder zweckorientiertes Handeln bestimmt werden. Während das Paradigma des homo sociologicus gegenüber 9 Für Searle sind Spielregeln aus dem Sport ein Musterbeispiel. 10 Weber verdeutlicht dies am Beispiel des Aufspannens eines Regenschirms bei Regen in westlichen Kulturen. Auch wenn hier keine Norm existiert, auf die verwiesen werden kann, spannen allesamt den Regenschirm auf. ››Die Handelnden teilen offenbar eine kognitive Wissensordnung, die sie die Wirklichkeit synchron wahrnehmen und bewerten lässt: Regen als ein Risiko für äußere Perfektion und Gesundheit und der Regenschirm als ein probates Gegenmittel‹‹ (Reckwitz, 2004a, S. 314).
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dem Paradigma des homo oeconomicus geltend machen konnte, dass die Grundlagen für zweckorientiertes Handeln in normativen Strukturen zu finden sind, bezweifeln die Kulturtheorien eine angemessene Beschreibung der Wirkung dieser Normen (vgl. ebd.). Für die kulturtheoretische Sichtweise sind die Geltungen von Regeln und die Verarbeitung im Handeln dieser ››nur nachvollziehbar, wenn man diese normativen Erwartungen (und Wertorientierungen) einbettet in den Komplex der kognitivsymbolischen Organisation der Wirklichkeit, zu der die kollektiven Wissensordnungen den Akteuren verhelfen‹‹ (ebd., S. 314). Mit anderen Worten: Die Kulturtheorien setzen ein grundsätzliches Wissen über die Normen und deren Verwendung voraus, bevor diese überhaupt (situationsadäquat) eingesetzt werden können und beanspruchen somit einen neuen Ansatz der Sinnstrukturen für die Handlungskonstitution (vgl. ebd., S. 314f.). Diese werden nun an Wissensordnungen gekoppelt, die eine jeweilige symbolische Organisation der Wirklichkeit ermöglichen. Es wird in dieser Wendung nicht ausgeschlossen, dass Akteure in ihrem Handeln Zwecke verfolgen oder sich von Normen leiten lassen. Geklärt ist damit allein aber noch nicht – und hier liegt die Wende durch die Kulturtheorien – die jeweilige Definition, wann bestimmte Normen als anerkannt und bestimmte Handlungen als situationsadäquat angesehen werden. Vor dem dargestellten Hintergrund der Kulturtheorien wie der Phänomenologie, der Hermeneutik und dem Strukturalismus verschieben sie das Verständnis der Klärung von sozialer Ordnung. Über die Klärung von sozialer Ordnung anhand von individuellen Handlungsakten (homo oeconomicus) wurde diese zunächst als eine intersubjektive Handlungskoordination (homo sociologicus) verstanden. Die Kulturtheorien gehen ebenfalls davon aus, dass das Ordnungsproblem mit der Erklärung von Handeln zusammenhängt, nur liegt ihnen ein anderes Verständnis zugrunde, worin das Ordnungsproblem gründet. Die Ausgangslage einer Erklärung von sozialer Ordnung liegt in dem von Hobbes formulierten klassischen vertragstheoretischen Diskurs einer transzendentalen Interessensicherung. Nach der Wendung zu einer intersubjektiven Handlungskoordination vertreten die Kulturtheorien nun die Annahme, ››dass Ordnung in der Reproduktion typenidentischer Formen des Handelns, mithin in der Repetitivität routinisierter Handlungsmuster zu suchen ist‹‹ (Reckwitz, 2004a, S. 316, Herv. i. O.). Zur Identifizierung des Ordnungsproblems offenbart sich somit eine Wendung von der Intersubjektivität zu einer sozialen Reproduktionsfähigkeit. Die Verschiebung des Ordnungsproblems innerhalb der Handlungstheorie fragt danach, wie es über zeitliche Sequenzen und über räumliche Grenzen hinweg gelingt, routinisiertes und gleichförmiges Handeln hervorzubringen. Die Kulturtheorien erklären dies anhand zugrundeliegender Wissensordnungen. Die handelnden Akteure identifizieren zunächst die Gegenstände und Situationen in ihrer Umwelt und verwandeln sie durch die zugrundeliegenden Wissensordnungen in eine symbolisch organisierte Wirklichkeit. Das Soziale stellt sich aus dieser Perspektive als kollektiv geteilte Wissensordnung dar, die sich wiederum über soziale Praktiken materialisiert.11 Die Ordnungsproblematik wird aus dieser Perspektive kognitiv gelöst. Eine Kehrseite dieser Ordnung wäre eine maximale Kontingenz, eine Mehrdeutigkeit und 11 Eine genauere Betrachtung der kollektiven Wissensordnung erfolgt in der Darstellung der Theorie sozialer Praktiken.
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letztlich eine Sinnlosigkeit der Handlungsumwelt. Befindet man sich auf dieser Kehrseite, wäre eine Hervorbringung von routinisierten Handlungsmustern nicht nur unmöglich, extrem formuliert würde diese Kehrseite auch zur Handlungsunfähigkeit führen (vgl. ebd., S. 317). Die kulturalistischen Handlungstheorien bedürfen bei einer genaueren Betrachtung einer internen Unterscheidung zweier Elemente: das wahrnehmbare Verhalten und die mentalen Sinnelemente, die dieses Verhalten erklären sollen (siehe Tab. 1).
Tab. 1: Die Konzeptualisierung des Verhaltens (Reckwitz, 2004a, S. 317).
homo oeconomicus
Primäre mentale Sinnelemente Zwecke/Interessen und Überzeugungen
Verhalten als Erklärungsproblem individuelle Handlungsakte
homo sociologicus
normative Ordnung
intersubjektive Handlungskoordination
Kulturtheorien
kollektive Wissensordnungen: kognitiv-symbolische Ordnung
repetitive Handlungsmuster
Im Rahmen der kulturalistischen Handlungstheorien besteht Einigkeit über die Grundlage kollektiver Handlungsmuster auf der Ebene von kognitiven Wissensordnungen. Jedoch wird der Zusammenhang der Elemente Wissen und Handlung grundsätzlich in Frage gestellt. Diese Trennung zwischen mentalen Sinnelementen und dem Verhalten wurde in den Handlungstheorien von vornherein getroffen und es wird nun die Unterscheidung an sich in Frage gestellt (vgl. ebd., S. 317f.). Reckwitz (2004a) warnt vor einer zu frühen Konstatierung eines erneuten Bruches. Jedoch deutet er eine klare Entwicklung von ››mentalistischen Kulturtheorien‹‹ (ebd., S. 318, Herv. i. O.) zu den ››praxeologischen Kulturtheorien‹‹ (ebd., Herv. i. O.) – einer Theorie sozialer Praktiken – an (dritter Bruch). Als Unterscheidungskriterium beider Kulturtheorien gilt insbesondere die Identifikation des Ortes des Sozialen. Der Ort des Sozialen sind in der mentalistischen Kulturtheorie mentale Eigenschaften, die sich im Geiste oder im Bewusstsein befinden. Die analytisch kleinsten Einheiten sind dann mentale intentionale Akte. Nach Ansicht der praxeologischen Kulturtheorie finden sich die kleinsten Einheiten in den sozialen Praktiken und bezeichnen diese als routinisierte Formen körperlicher performances und sinnhafter Verstehensleistungen. Diese sind in der Praxis untrennbar miteinander gekoppelt. Es erfolgt somit eine Rehabilitierung des ››praktischen Handelns‹‹ (ebd., S. 318), das in den vorherigen beschriebenen Modellen marginalisiert worden war. ››Diese Rehabilitierung des praktischen Handelns lässt die materiale Verankerung des Handelns im Körper, die Wirkung des Wissens als ›know how‹ und als praktisches Verstehen sowie den Routinecharakter des Handelns in den Vordergrund treten‹‹ (ebd., S. 318-319). Die Praxistheorien sehen nicht die ››kognitive Ordnung im Innern […], sondern die körperliche und mentale Routine der Praktiken […] [als] Ort der sozialen Ordnung‹‹ (ebd., S. 319). In verschiedenen Ansätzen der Theorien sozialer Praktiken wie bei Bourdieu, Schatzki oder Garfinkel finden sich somit mehr als nur Konturen einer neuen handlungstheoretischen Perspektive, der sich im Folgenden vertieft gewidmet wird.
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P RAXISTHEORETISCHE G RUNDLAGEN Der Ausgangspunkt einer Theorie sozialer Praktiken betrachtet die Wirklichkeit immer schon als bereits gemacht und sieht die sozialen Praktiken als zentralen Gegenstand der Analysen, die aktiv Denken, Wissen und ››Handlungsnormalitäten‹‹ (Stock, 2011, S. 3) hervorbringen (vgl. ebd.). ››Durch häufiges und regelmäßiges Miteinandertun bilden sich Handlungsgepflogenheiten heraus, die sich zu Handlungsmustern und Handlungsstilen verdichten und damit bestimmte Handlungszüge sozial erwartbar machen‹‹ (Hörning, 2004, S. 19). Der Ort des Sozialen wird, wenig verwunderlich, in der Praxis ausgemacht und es wird anhand verschiedener theoretischer Strömungen versucht, den klassischen Dualismus von Subjekt und Objekt aufzulösen. Der Praxistheorie werden generell verschiedene Strömungen zugeordnet, die es zu unterscheiden gilt. So gibt es zum einen eine eher strukturalistische Version, vertreten von Pierre Bourdieu (1976), und zum anderen eine Strömung, die den practice turn ausgerufen hat, vertreten von Schatzki, Knorr-Cetina und v. Savigny (2001). Reckwitz (2003) unternimmt in diesem Zusammenhang eine Theoriesynthese der verschiedenen Strömungen. Die von ihm dargestellten Merkmale lassen sich nicht vollständig in die verschiedenen praxistheoretischen Ansätze implementieren, aber zumindest lassen sich ›››Familienähnlichkeit[en]‹‹‹ (ebd., S. 283) identifizieren. Reckwitz (2003) nutzt für die Hervorhebung der Praxistheorie einen systematischen Vergleich zu den klassischen Theorien. Im Folgenden geht es um die Darstellung verschiedener einflussreicher (Praxis-)Theoretiker. Dabei wird der Versuch unternommen, die unterschiedlichen Perspektiven mit Blick auf eine Theorie sozialer Praxis darzulegen, um im Anschluss in einer kurzen Diskussion die Ansätze miteinander zu vergleichen bzw. ihre Differenzen herauszuarbeiten. Die Darstellung dieser zentralen Ansätze zur Formulierung einer Praxistheorie dient im Wesentlichen dazu, die Grundlagen für das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit zu legen. Dies ist auch für das spätere Verständnis der von Reckwitz formulierten Theoriesynthese, der Theorie sozialer Praktiken, notwendig. Dabei steht zunächst Theodore Schatzki im Fokus. Durch Schatzki werden wichtige Grundlagen einer sozialen Ordnung, der in ihr liegenden Entitäten und der sozialen Praktiken gelegt. Weiterhin werden vier Merkmale (praktisches Verstehen, explizite Regeln, teleoaffektive Struktur und Know-how) dargestellt, die dabei helfen soziale Praktiken genauer zu bestimmen. Theodore Schatzki – die Praxistheorie im practice turn Die Verortung des Sozialen liegt für Schatzki (2002) in einem ››specific context of human coexistence‹‹ (ebd., S. XI). Dieser spezifische Zusammenhang liegt in der (analytischen) Trennung von sozialer Ordnung (arrangierte Entitäten) und sozialen Praktiken (organisierte Aktivitäten). Das Individuum nimmt in diesem Kontext eine vermittelnde Funktion ein, da es sich bei der sozialen Ordnung und den sozialen Praktiken um ein Wechselverhältnis handelt. Um dieses Wechselverhältnis genauer zu bestimmen, bezieht Schatzki den sozialen Kontext ein, der dabei hilft, Entwick-
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lung und Reproduktion von sozialer Ordnung in den und durch die sozialen Praktiken zu begreifen (vgl. ebd.). Zunächst gilt es den spezifischen Zusammenhang näher zu bestimmen. Eine soziale Ordnung ist nach Schatzki keine starre Struktur. Die soziale Ordnung wird immer wieder in der Praxis kontextgebunden hervorgebracht. ››Praktiken sind der Kontext von sozialen Ordnungen und soziale Ordnungen sind der Kontext von Praktiken‹‹ (ebd., S. 12). Daraus lässt sich schließen, dass auch die Praktiken nicht für sich allein stehen, sondern immer in einem ››Nexus‹‹ (Schatzki, 1996, S. 89) auftreten. Die soziale Ordnung steht in einer engen Abhängigkeit und Bindung zu den Bündeln sozialer Praktiken und deren Vollzug in actu. Soziale Ordnung und soziale Praktiken bedingen sich somit gegenseitig und reproduzieren sich in gleicher Weise durch die Dynamik und die Einbettung in einen Kontext. Diese bereits komplexe Anordnung erfährt durch die Hinzunahme der Entitäten eine weitere Dimension. Die Entitäten, bei denen es sich um Dinge, Zuschreibungen oder Positionen handeln kann, bringen immer ihren jeweils spezifischen Kontext in die soziale Ordnung, die sozialen Praktiken sowie den sozialen Kontext ein. Durch den jeweiligen Bedeutungsgehalt beeinflussen sie Ordnung, Praktiken und Kontext, indem sie bestimmte Praktiken arrangieren und gleichzeitig verhindern (vgl. Schatzki, 2002, S. 18ff.). Entitäten sind für soziale Praktiken somit ausschließend und konstituierend zugleich. Die soziale Ordnung besteht aus den arrangierten Entitäten (mit allem, was sie sein können), die ermöglichen, dass es zu organisierten Bündeln von Aktivitäten kommen kann – ››Nexus of doings and sayings‹‹ (Schatzki, 1996, S. 89). Schatzki (2002) definiert Praktiken somit als eine Verbindung oder Bündelung von Gesagtem und Getanem. Darunter versteht er zunächst ganz unterschiedliche Ereignisse wie Praktiken des Aushandelns, des Autofahrens oder religiöse Praktiken. In der begrifflichen Auseinandersetzung wird bei Schatzki nicht unmittelbar deutlich, was er unter doings versteht. Sie scheinen zunächst mit Aktivitäten oder Handlungen gleichgesetzt zu sein. Weiter ausgeführt wird den doings eine konstituierende Funktion für Aktivitäten zugesprochen. Unter sayings versteht Schatzki (2002) ››doings that say something‹‹ (ebd., S. 72). Darunter fällt die gesprochene Sprache, aber auch das ausdrücklich körpergebundene Tun. Schatzki (2002) unterscheidet in diesem Zusammenhang in der Logik der Praxis zwischen dem praktischen Verständnis auf der einen und dem praktischen Verstehen auf der anderen Seite. Gerade weil sich der jeweilige Kontext aus unterschiedlichen Entitäten und teilweise auch aus mehreren Praktiken zusammensetzen kann, ist diese Unterscheidung konstitutiv. Ein übergeordnetes praktisches Verständnis von Handlungen, die vollzogen werden, bezeichnet Schatzki (2002) als ›››practical intelligibility‹‹‹ (ebd., S. 74). Ein konkreter Sinn vollzogener Praktiken wird von dem Subjekt individuell zugeschrieben. Darin finden sich die Motive, Wissensformen oder auch Intentionen des Subjekts wieder. Praktiken erhalten dadurch ihren akteurspezifischen Sinn, der das Verständnis von Praktiken ermöglicht – ››whatever at that moment makes sense to them to do‹‹ (ebd., S. 76). Der jeweilige Kontext und die practical intelligibility entscheiden über den Vollzug und das Erkennen der jeweiligen Praktik. Der Kritik, dass die Akteure damit ››Animateure ihres eigenen Tuns‹‹ (Knoblauch, 2008a, S. 220) sind, ist entgegenzuhalten, dass die Praktiken sich an Zeit und Raum orientieren und Potenziale von Unberechenbarkeit und Kreativität beanspruchen.
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Schatzki führt, um die sozialen Praktiken genauer zu bestimmen, vier zentrale Merkmale an, auf die im Folgenden kurz eingegangen wird. Zunächst sind soziale Praktiken an die Körperlichkeit der Individuen gebunden. Die vollzogenen Tätigkeiten orientieren sich an einem praktischen Verstehen, das implizit vorhanden ist. Weiterhin geht es beim Verstehen der Praktiken nicht um den Moment der Sinnzuschreibung, sondern um das Erkennen der Praktik und das Darstellen des Erkennens gegenüber den anderen Teilnehmern. Sowohl das ›››practical understanding‹‹‹ (Schatzki, 2002, S. 77; Herv. D.W.) (1) als auch das Verständnis von Praktiken ist situativ und vom jeweiligen Kontext abhängig. Das praktische Verstehen kann als ein Gebrauchswissen darüber angesehen werden, wie etwas getan wird: das Wissen darüber, wie man eine Frage formuliert, wie man sich in verschiedenen Kontexten begrüßt, bzw. das Wissen, dass es verschiedene Arten der Begrüßung in unterschiedlichen Kontexten gibt. Ein solches Gebrauchswissen, ein Können, ist das Ergebnis von Erfahrungen und dem Verständnis im jeweiligen Kontext. ››Practical understanding […] executes the actions that practical intelligibility singles out‹‹ (ebd., S. 79). Schatzki (2002) distanziert sich mit diesem Begriff auch von Bourdieus Begriff des praktischen Sinns (vgl. ebd., S. 78f.). Im Paradigma der Praxistheorie wird der soziologische Grundbegriff Sinn, trotz der einschlägigen Denktraditionen (bspw. Webers), nicht als subjektive Intention verstanden. Die Identifizierung des Sinns von Handlungen befindet sich jenseits einer bewusstseinsphilosophischen Verwendung. Sinn ist an eine inkorporierte und an eine objektivierte Sozialität gebunden. Eine inkorporierte Sozialität meint den praktischen Sinn als Produkt im Sinne des Habitus nach Bourdieu und beschreibt diesen als eine Art ››strukturierende Hintergrundstruktur‹‹ (Hillebrandt, 2009a, S. 73) von Praxis. Gemeint sind in diesem Sinne keine Eigenschaften einer Person, sondern eine Struktur des Handelns. Die objektivierte Sozialität meint den Sinngehalt innerhalb von Objekten und relevanten Schemata der sozialen Welt. Objektivierter Sinn wird erst dann für die Praxis relevant (und somit praktischer Sinn), wenn die Akteure Objekten einen Sinn geben. Beide Formen (inkorporierte und objektivierte Sozialität) müssen in Relation zueinander stehen, um Praktiken überhaupt hervorzubringen (vgl. ebd.). ››Die Dynamik der Praxis als Verkettung von Praktiken entwickelt sich gerade daraus, dass an jede entstehende Praktik praktischer Sinn gebunden ist, der nur erzeugt werden kann, wenn im Körper beteiligter Akteure Dispositionen verankert sind, die in bestimmbaren, durch objektivierte Schemata gerahmten Situationen abgerufen werden können‹‹ (ebd).
Diese inkorporierten Schemata und Dispositionen, die Bourdieu mit dem HabitusBegriff beschreibt, erlauben es, der Praxis einen Sinn zuzuschreiben, der umgekehrt auch der Situation abgewonnen wird. Nur wer beispielsweise intuitiv darüber Bescheid weiß, welchen Sinn es hat sich zu feierlichen Anlässen auch dementsprechend zu kleiden und entsprechende Begrüßungsformen zu verwenden, wird sich in dieser Praxis aktiv beteiligen. Für Schatzki (2002) steht jedoch noch mehr die ››activity‹‹ (ebd., S. 79) und damit die Verkörperung im Fokus, die sich an der Situation orientiert und vom praktischen Verständnis geleitet wird. Insofern ähneln sich die Begriffe des praktischen Sinns nach Bourdieu und des praktischen Verständnisses nach Schatzki, wobei Schatzki (2002) auf einen Unterschied verweist. So führt er aus:
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Praktisches Verstehen ››differs in almost never determining what makes sense to people to do, in almost never, therefore, governing what people do‹‹ (ebd.). Als ein zweites Merkmal können die expliziten ›››rules‹‹‹ (Schatzki, 2002, S. 79; Herv. D.W.) (2) verstanden werden. Schatzki (2002) bezieht sich hier auf einen Regelbegriff, der auf explizite Richtlinien oder Anweisungen zurückgeht, welche Praktiken beeinflussen und sogar mit ihnen gekoppelt sind. Denkbar sind in Bezug auf dieses Merkmal Regularien, die etwas vorschreiben oder voraussetzen, wie Gesetze oder Ordnungen. Es handelt sich sozusagen um ein Regelwissen, ein knowing that, das die Aktivitäten der Akteure miteinander verbindet, wenn sie um die Regeln wissen und sie anerkennen (vgl. ebd.). Ein weiteres Merkmal einer Praktik beschreibt die ›››teleoaffective structure‹‹‹ (Schatzki, 2002, S. 80; Herv. D.W.) (3). Das Besondere ist, dass diese Struktur nicht im Individuum verortet wird. Für das Verständnis der sozialen Praktiken ist dieses Merkmal wesentlich, weil hierdurch die ››skillful performance‹‹ (Reckwitz, 2003, S. 290; Herv. D.W.)12 näher erklärt werden kann. Dass dieses Merkmal nicht dem Individuum zugeordnet, sondern als ein Bestandteil der Praktik angesehen wird, verdeutlicht den Aspekt der Erwartbarkeit – wie etwas sein sollte. Die teleoaffektive Struktur verweist auf einen symbolischen Zusammenhang. Dieser ist auch vom Kontext beeinflusst und wird von den Akteuren (an)erkannt. Dieser Verweisungszusammenhang gibt vor, wie sich die Akteure in einer Situation verhalten und was sie fühlen sollen bzw. was akzeptabel wäre. Denn nur so ist es möglich auf das Verständnis der Teilnehmer zu treffen bzw. deren Erwartungen zu erfüllen (vgl. Schatzki, 2002, S. 75f.). Hervorzuheben ist, dass es sich nicht um Eigenschaften der Akteure handelt, sondern um die Eigenschaften der Praxis. ››A ›teleoaffective structure‹ is a range of normativized and hierarchically ordered ends, projects, and tasks, to varying degrees allied with normativized emotions and even moods‹‹ (ebd., S. 80). Teleoaffektive Strukturen geben dem Teilnehmer einen Sinn davon, wie die Praktik in einem größeren Zusammenhang einzuordnen ist, welche Ziele mit weiteren Handlungen verfolgt werden, und dies ohne die Verbalisierung von Regeln oder des praktischen Verständnisses. Kritisch anzumerken ist an dieser Stelle, dass bei Schatzki nicht deutlich wird, welchen konkreten Stellenwert diese teleoaffektive Struktur einnimmt. Denn alles, was den Akteuren in einer Situation als relevant erscheint, ist auch bereits in ihnen inkorporiert und schwächt somit die Notwendigkeit der übergeordneten Struktur. Man könnte dann die Frage stellen, ob Praxis in verschiedener Weise inkorporiert ist oder ob Praxis unterschiedlich inkorporiert wird. ››[A]s a matter of fact, people generally agree about what is obligatory and acceptable in and connected with the activities they carry on‹‹ (ebd., S. 85, Herv. i. O.). Schatzki verweist in dieser Hinsicht auf ein allgemeines Verständnis, auf Wissensbestände, die für mehrere Praktiken eindeutig sind oder mehrere Praktiken miteinander verbinden. Weiterhin verdeutlicht er die Definition darüber, wann man einer Praktik angehört und wann nicht, wie folgt: ››all those […] whose doings and sayings express elements of the practice's organization‹‹ (ebd.). 12 Dieser Aspekt wird noch einmal ausführlich im Abschnitt Zur Theorie der Praxistheorie unter dem Element der Körperlichkeit aufgegriffen. An dieser Stelle ist es hilfreich zu wissen, dass es sich hierbei um eine Einordnung in einen größeren Zusammenhang handelt und sich nicht auf das Individuum beschränkt wird.
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Durch ein letztes Merkmal wird noch einmal das Wechselverhältnis von PraktikKomplexen mit der sozialen Ordnung hervorgehoben. Gemeinsam mit der teleoaffektiven Struktur kommt es zu ››general understandings‹‹ (ebd., S. 86; Herv. D.W.) (4) darüber, wie die Praktiken der anderen Akteure verstanden und in Zusammenhang gebracht werden können (vgl. ebd., S. 86f.). Man merkt in der jeweiligen Situation, wie man zu handeln hat bzw. welche Handlung angemessen oder nicht angemessen ist und kann dementsprechend auch die Handlungen anderer einordnen. Nach Polanyi ist implizites Wissen mit einem Können gleichzusetzen, welches durch Erfahrungen, Vorbilder oder durch Übung erworben wird und somit immer auch an die Person gebunden ist. Damit umfasst das implizite Wissen neben den kognitiven auch körperliche Fähigkeiten. Im Vergleich zum expliziten Wissen (nicht an Personen gebunden), welches durchaus verbalisierbar ist, handelt es sich beim Können um eine kaum explizierbare Form. Während sich, durch die Möglichkeit der Verbalisierung, explizites Wissen einer Reflexion und damit auch einer Veränderung leichter unterziehen kann, unterliegt das implizite Wissen sowohl einer bewussten als auch einer unbewussten Aneignung. Somit weiß man immer mehr, als man verbalisieren kann, und ist in der Lage bestimmte Fähigkeiten zu demonstrieren, aber nicht in der Fülle zu erklären (vgl. Neuweg, 1999, S. 188). Implizites Wissen wird in diesem Kontext auch oft mit embodied knowledge, tacit knowledge oder von Reckwitz (2003) auch als ››knowledgeability‹‹ (ebd., S. 297) bezeichnet. In dieser Arbeit wird mit dem Begriff des Know-how gearbeitet, welcher bei den späteren Ausführungen von Reckwitz ebenfalls eine Inkorporierung mit einschließt. Schatzki führt noch weitere Begriffe ein, die es methodisch vereinfachen eine Praktik zu identifizieren, weil Praktiken empirisch nicht immer trennscharf voneinander zu unterscheiden sind: Das sind die Begriffe ››task‹‹ und ››project‹‹ (Schatzki, 2002, S. 73). Demnach müssen Praktiken immer auch in Verweisungszusammenhängen betrachtet werden. Ein Projekt besteht aus mehreren zu bewältigenden Aufgaben, die wiederum aus doings and sayings bestehen. In ihrer Summe, ihrer Dynamik und in ihrer Kohärenz zueinander ergeben sie ein Bündel aus Praktiken und somit den Sinnzusammenhang. Komplexe Bündel von Praktiken, in denen Projekte, Aufgaben und Emotionen miteinander verbunden sind, bezeichnet Schatzki (1996) auch als ››integrative practices‹‹ (ebd., S. 98). Innerhalb der integrativen Praktiken können sich ››dispersed practices‹‹ (ebd., S. 91) wiederfinden. Disperse Praktiken stehen für sich selbst und sind spezifische Tätigkeiten wie etwas beschreiben, auf etwas antworten oder etwas begutachten. Die Besonderheit disperser Praktiken liegt darin, dass sie sich nicht durch eine teleoaffektive Struktur und die damit verbundenen Regeln kennzeichnen. Disperse Praktiken werden von Schatzki (1996) in Anlehnung an Wittgenstein als ››Gepflogenheiten‹‹ (ebd., S. 91, Herv. i. O.) bezeichnet und kommen in unterschiedlichen Lebensbereichen auf eine ähnliche Weise zum Ausdruck. Wesentliche Kennzeichen solcher basalen Praktiken sind das praktische Wissen und das praktische Verstehen, um sie vollziehen zu können. Das Fehlen der expliziten Regeln und der teleoaffektiven Struktur ermöglicht einen Einsatz dieser Praktiken in unterschiedlichen Kontexten. Integrative Praktiken hingegen bilden den wesentlichen Typus von Praktiken und beschreiben ››complex practices‹‹ (Schatzki, 1996, S. 98), in denen doings and sayings durch die Merkmale des praktischen Verstehens, der expliziten Regeln und
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der teleoaffektiven Struktur in einem jeweils unterschiedlichem Ausmaß und in unterschiedlichen Kombinationen auftreten. In ihnen treten mehrere Aktivitäten, Aufgaben und Emotionen auf, die miteinander verbunden sind, wie etwa ››[…] farming practices, business practices, voting practices [or] teaching practices […]‹‹ (ebd.). Nach einer Bestimmung der wesentlichen Merkmale von Praktiken nach Schatzki und der Entwicklung eines Verständnisses des praktischen Sinns soll nun vertieft auf den bereits im Rahmen der objektivierten Sozialität angesprochenen Aspekt der Materialität eingegangen werden. Dieser Aspekt stellt ein wesentliches Element des Zuganges von Schatzki, aber auch der Theoriegenese von Reckwitz dar. Materialität Ein Nexus of doings and sayings scheint zunächst keine Artefakte einzubeziehen. Mit Blick auf die anfänglich analytische Unterscheidung von sozialer Ordnung und sozialen Praktiken wird deutlich, dass die formulierten Entitäten Bestandteil der sozialen Ordnung sind. Sie stellen somit den Kontext für die Praktiken dar et vice versa. Auf die bisherige Marginalisierung der Dinge in den Sozialwissenschaften wurde von Bruno Latour hingewiesen. Latour verfolgt mit der Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) eine Betonung der Materialität, weshalb sich auch Reckwitz (2008) einer Lesart dieser Perspektive bedient (vgl. ebd., S. 100) und auch Bezüge zur Problemstellung dieser Arbeit deutlich werden. Im Folgenden werden kurz der Grundgedanke der ANT zur Materialität und eine praxeologische Lesart ausgeführt. Die ANT befasst sich mit Situationen, in denen Spielräume sozialen Handelns auftreten und damit, wie diese wieder durch Aushandlungsprozesse und den permanenten Vollzug sozialer Beziehungen stabilisiert werden. Jedoch unterscheidet die ANT nicht zwischen Sozialem und Natur, die dualistische Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekt wird aufgehoben und bildet ein Grundprinzip der ANT. ››Was sozial zu sein scheint, ist zumindest teilweise technisch. Was wir für gewöhnlich technisch nennen, erweist sich als teilweise sozial. Praktisch ist nichts weder rein technisch noch rein sozial‹‹ (Law, 2006, S. 354). Law (2006) betont an dieser Stelle den Grundgedanken des Netzwerkes. Entgegen vieler Lesarten ist die ANT keine ››Theorie dessen, woraus das Soziale gemacht ist‹‹ (Latour, 2006, S. 566) und möchte somit keine Erklärungsversuche über das Handeln sozialer Akteure versuchen. Die ANT stellt die Beteiligung von Artefakten oder Materialitäten in den Mittelpunkt und deren Einflüsse auf die Gesellschaft (vgl. ebd., S. 565ff.). Das Netzwerk ist das Zentrum der Beobachtung, das zum Vorschein kommt, wenn es zu Störungen gekommen ist. Latour arbeitet wie Schatzki mit dem Begriff der Entitäten. Diese bezeichnet er als Blackboxes, die überwiegend stillschweigend vorhanden sind und zum Vorschein kommen, wenn sie Relevanz erlangen. Die Aufgabe der ANT sieht Latour nun darin den Prozess ››des ›reassembling‹ in allen Einzelheiten zu verfolgen und das Design der neuen Versammlungen herauszufinden‹‹ (Krauss, 2006, S. 441). Reckwitz (2008) sieht ein Defizit in den Praxistheorien vor allem darin, dass das Materielle bisher nur unzureichend berücksichtigt worden ist, dem allerdings mit einer Kombination von Schatzki und Latour entgegnet werden kann (vgl. ebd., S. 154). Das Soziale wird demzufolge mit dem Materiellen verschmolzen, da das eine nicht ohne das andere gedacht werden kann. Latour marginalisiert jedoch, anders als die Praxistheorie, den menschlichen Körper, weil er die konstituierenden Strukturen in den Netzwerken verortet. Mit einer praxeologischen Lesart betont die Perspektive
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Latours die Bindungen zwischen Akteuren, Artefakten und Praktiken. Für die Praxistheorie bedeutet dies davon auszugehen, ››dass soziale Praktiken eine Ebene der Materialisierung enthalten, sie von vornherein in ein Netzwerk von Artefakten integriert sind, das sie zugleich schaffen, wie auch in ihren Aktivitätsmöglichkeiten von diesen geformt werden‹‹ (Reckwitz, 2009, S. 175, Herv. i. O.). Materialität zeichnet sich als ein wesentliches Merkmal der Praxistheorie aus. Wie auch bei den Praktiken erfolgen die Sinnzuschreibungen bei den Artefakten immer in Bezug zum jeweiligen Kontext. Arrangierte Artefakte in der sozialen Ordnung können somit auch als Requisiten der Situation bezeichnet werden, ohne dabei zu handeln. Hier finden sich eindeutige Parallelen zu Goffmans Theateranalogien. Für Goffman (2009a) ist das Bühnenbild eine immer schon arrangierte Kulisse, die eine räumliche Anordnung umfasst. ››Ein Bühnenbild ist meist unbeweglich im geographischen Sinne, so daß [sic] diejenigen, die ein bestimmtes Bühnenbild als Teil ihrer Vorstellung verwenden wollen, ihr Spiel nicht beginnen können, bevor sie sich an den geeigneten Ort begeben haben, und ihre Vorstellung beenden müssen, wenn sie ihn verlassen. Nur unter außergewöhnlichen Umständen folgt das Bühnenbild den Darstellern; wir finden das bei Leichenzügen [und] Paraden […]‹‹ (ebd., S. 23).
Die Materialität spielt bei Schatzki eine zentrale Rolle für die Konstitution von sozialen Praktiken. Sie werden in der analytischen Trennung der sozialen Ordnung zugeschrieben und damit immer schon als bereits arrangiert betrachtet. Es sollte an dieser Stelle nicht ausgeschlossen werden, dass Requisiten auch auf einer Mikroebene betrachtet werden können und immer auch kurzfristig die soziale Ordnung verändern bzw. reproduzieren können. Eine Makroebene verweist auf eine räumliche, fast starre, Anordnung, die auf geringe Veränderungen und Verschiebungen schließen lässt. Für eine Unterstützung dieser Ausführungen soll im weiteren Verlauf der Arbeit Hirschauer (2004) mit dem Begriff der ››Partizipanden‹‹ (ebd., S. 75) ergänzend eingebunden werden. Zunächst ist zu klären, welche räumliche und zeitliche Verortung der soziale Kontext im Bezug zur Praxis erlangt. Zwei Seiten der Logik Soziale Praktiken und soziale Ordnung unterliegen einer stetigen Dynamik, die sich sowohl zeitlich als auch räumlich verorten lässt. Soziale Praktiken können nicht schematisch auf je unterschiedliche Situationen übertragen werden. Es ist jedoch möglich, dass ähnliche Praktiken in unterschiedlichen Kontexten Gebrauch finden. Dies ist in den Ausführungen über die practical intelligibility und das practical understanding deutlich geworden. Die Anwendung solcher Praktiken in sozialen Situationen kann für die Akteure als handlungsentlastend beschrieben werden. Ihre tatsächliche Ausgestaltung orientiert sich jedoch an den Momenten der Kontextualität und der Situativität. Praktiken werden nicht einfach sinnlos reproduziert, sondern orientieren sich immer am praktischen Vollzug und der Veränderung des sozialen Kontextes. Sie besitzen somit die Eigenschaft der Zukunftsoffenheit sowie der Gebundenheit an den praktischen Vollzug. Durch die Eigenschaft der Zukunftsoffenheit verringert sich die Planungssicherheit in der sozialen Situation. Auf diese Weise können in bereits oft erlebten und bekannten sozialen Kontexten neue oder unbekannte Elemente auftauchen, die einen kreativen Umgang erfordern. Die Momente
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der Kontextualität und Situativität rufen somit eine kreative Komponente von sozialen Praktiken hervor. Nach Reckwitz (2003) können Praktiken ››als ein typisiertes, routinisiertes und sozial ›verstehbares‹ Bündel von Aktivitäten‹‹ (ebd., S. 289) bezeichnet werden. Was in diesem Zusammenhang routinisiert genau bedeutet, bleibt bei Reckwitz zunächst offen.13 Schatzki hingegen bezieht sich auf das praktische Verstehen, wobei er auf das sozial Verstehbare setzt und den Routinebegriff als solchen nicht weiter beachtet. Durch die Situativität und Kontextualität sieht Schatzki zahlreiche Spielräume für den Wandel von Praktiken, woraus sich schließen lässt, dass ein routinisierter Abruf von Praktiken weder mit Situativität noch mit kreativen Momenten zu vereinbaren ist. Schatzki begreift Praktiken deshalb als typisierte, repetitive und soziale verstehbare Aktivitätsbündel. Pierre Bourdieu – eine Theorie der Praxis Insgesamt zeichnet sich Bourdieus wissenschaftliches Gesamtwerk durch eine hohe Komplexität aus, in der nicht nur verschiedene Wissenschaftssysteme, sondern auch diverse Begrifflichkeiten neu generiert oder miteinander verwoben werden. Diese Komplexität kann in dieser Arbeit nicht ausführlich behandelt werden. Es soll lediglich Bourdieus prominente Sichtweise einer praxeologischen Perspektive aufgezeigt werden. Die VertreterInnen des ››practice turn‹‹ (Gugutzer, 2006, S. 9, Herv. i. O.) vereinnahmen Pierre Bourdieu für ihre Ausführungen, da er ausdrücklich eine Theorie der Praxis formuliert hat. Vergessen wird in diesem Zusammenhang anscheinend, dass Bourdieu ein grundlegend anderes Verständnis von der Praxis hat, als es beispielweise Reckwitz oder Schatzki formulieren. Während Reckwitz und Schatzki die Theorie aus der Praxis generieren, sieht Bourdieu die Praxis im Kontrast zur Theorie. Er unterscheidet zwischen der theoretischen Praxis, der Wissenschaft, bei der eine theoretische Sicht der Soziologen auf die Handelnden gelegt wird, und einer alltäglichen Praxis der Akteure. Die Darstellung der theoretischen Praxis versteht sich nicht als ein Modus des Sozialen, vielmehr versteht sie sich als die methodische Forderung theoretische Modelle nicht einfach auf die Empirie zu transferieren (vgl. Bongaerts, 2007, S. 254f.). In seinen Betrachtungen zur alltäglichen Praxis steht für Bourdieu das Habitus-Konzept hinter den Akteuren, die selbst nie wissen, was und warum sie etwas tun, während sie etwas tun. Habitus In seinen Ausführungen hebt Bourdieu neben dem Praxis-Begriff auch das Unbewusste – im Sinne eines impliziten Wissens – hervor. Das Element des Impliziten nimmt auch in der Theoriesynthese von Reckwitz eine zentrale Stellung ein. Jedem Denken und Handeln liegt immer bereits implizites Wissen zugrunde, wovon Gebrauch gemacht wird. Bourdieu beschreibt dies mit dem
13 Eine differenzierte Auseinandersetzung zum Routinebegriff, in Abgrenzung zur Gewohnheit und zum Habitus, erfolgt ebenfalls in der Theoriesynthese von Reckwitz mit der Unterstützung von Bongaerts (2008).
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Habitus-Konzept und stellt damit eine zentrale Vermittlungsinstanz zwischen Struktur und Praxis vor: ››Als Produkt der Geschichte produziert der Habitus individuelle und kollektive Praktiken, also Geschichte, nach den von der Geschichte erzeugten Schemata; er gewährleistet die aktive Präsenz früherer Erfahrungen, die sich in jedem Organismus in Gestalt von Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata niederschlagen und die Übereinstimmung und Konstantheit der Praktiken im Zeitverlauf viel sicherer als alle formalen Regeln und expliziten Normen zu gewährleisten suchen‹‹ (Bourdieu, 1987, S. 101).
Im Fokus der Untersuchungen von Bourdieu stehen zwar immer soziale Felder, aber es geht ihm nicht darum, wie Akteure in sozialen Situationen konkret handeln oder wie sie Situationen definieren. Vielmehr beschäftigt Bourdieu (1987) sich mit der Frage, warum Akteure aus verschiedenen Schichten unterschiedliche Praktiken vollziehen. Der Habitus beantwortet dies mit einer Einschreibung in das Körperliche. Es äußert sich in Form des ››soziale[n] Sinn[s]‹‹ (ebd.) oder auch in dem ››Sinn für das Spiel‹‹ (Rehbein, 2006, S. 105). Es geht um eine Art Gespür für das Handeln, das auch durch Artefakte unterstützt werden kann. Artefakte sind für Bourdieu ansonsten nicht konstitutiv für das Handeln, nur wenn sie zum Gegenstand des Spiels werden. Für das Verständnis ist es wichtig, dass es sich beim Habitus nicht um eine angeborene, sondern um eine erfahrungsabhängige Konstruktion handelt. In der alltäglichen Praxis werden generative Schemata angeeignet, die sich auch nicht kurzfristig ändern können. Sie sind inkorporiert. Beim Konzept der Inkorporierung handelt es sich um einen Prozess der Einverleibung oder körperlich-mentalen Repräsentation. Die Inkorporierung des Sozialen führt zu einer Entwicklung eines praktischen Wissens in Form von Handlungserwartungen, Fähig- und Fertigkeiten, die es dem Akteur erlauben der Situation entsprechend zu handeln. Die Aneignung durch Erfahrungen scheint zunächst eine Parallele zur Perspektive von Schatzki zu offenbaren. Die eingeschriebenen Strukturen, die nicht oder nur schwer zu verändern sind, setzten diese jedoch wieder orthogonal zu den Formulierungen Schatzkis. Der Akteur ist somit ein sozialisierter Körper, in dem gewisse Strukturen eingeschrieben sind, die auch durch das eigene Tun angeeignet wurden. Man kann dem Habitus nicht entkommen, er wird bereits früh einverleibt. Dadurch wird der reproduzierende Aspekt stark hervorgehoben. Aber er ermöglicht auch einen Spielraum, er legt nicht das komplette Handeln fest. Gegenüber dem eigenen Habitus ist man jedoch blind: ››[W]orin die Wahrheit der Praxis besteht: in ihrer Blindheit gegenüber ihrer eigenen Wahrheit‹‹ (Bourdieu, 1987, S. 166). Bourdieus Analysen14 stellen den Habitus als ein Dispositionssystem dar, welches eher dem Modus einer Gewohnheit gleicht als dem einer Routine. Die Idee dahinter ist, dass soziale Strukturen (wie soziale Ungleichheit) Handlungskontexte erzeugen – 14 Bourdieu weist bspw. eine hohe Korrelation des ästhetischen Geschmacks mit der sozialen Schichtzugehörigkeit nach (klassische Musik, Rock oder Chanson). Ein weiteres Beispiel von hoher sozialer Relevanz ist das Diskriminierungsempfinden eines schwarzen Kindes in den USA, ohne das Wissen darüber, was Diskriminierung überhaupt ist (vgl. Bongaerts, 2007, S. 256).
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››im weiten Sinne also Kontexte sozialer Praktiken‹‹ (Bongaerts, 2007, S. 256). Die sozialen Phänomene, die von ihm erklärt werden, zeigen, dass sich der Prozess des Erfahrungsaufbaus der bewussten Aufmerksamkeit entzieht. Bourdieu meint mit der habituellen Praxis kein Routinehandeln, stattdessen verweist er auf eine körperliche Einübung sozial relevanter Verhaltensweisen, die sich in Form des Habitus wieder auf das Handeln der Akteure auswirkt. Diese Dispositionen verlaufen nicht bewusst, sondern präreflexiv und verweisen sehr viel stärker auf ein Gewohnheitshandeln (vgl. ebd.). In Abgrenzung zu den bereits erläuterten dispersen Praktiken lassen sich hier weitere Unterscheidungen verdeutlichen. Der Habitus nach Bourdieu bezeichnet eine bestimmte Art und Weise sich immer wieder in einer bestimmten Art auszudrücken oder sich zu präsentieren, disperse Praktiken hingegen beschreiben bestimmte Handlungen, die kontextabhängig eingesetzt und abgestimmt werden können. Durch die Verwendung von dispersen Praktiken werden sie in den Kontext eingegliedert und dementsprechend transformiert. Wäre es beispielsweise immer ein Bestandteil von Begrüßungen sich die Hand zu reichen und besonders freundschaftlich miteinander umzugehen, dann wäre dies in neutralen Situationen, wie etwa an der Kasse im Einkaufsladen, nicht mehr passend. Sich zu begrüßen kann deshalb in ganz unterschiedlichen Kontexten mit unterschiedlichen Erwartungen und Emotionen behaftet sein. Die Begrüßung des Gegners im Boxring, die Begrüßung eines Paares am Bahnhof, das sich längere Zeit nicht gesehen hat oder die Begrüßung von der Lehrperson und dessen SchülerInnen zu Beginn der Unterrichtsstunde, wird von weiteren – von der Situation abhängigen – doings and sayings begleitet und macht so deutlich, wie disperse Praktiken zu einem Bestandteil von integrativen Praktiken werden können. Für die Exponenten des practice turn ist die Routine ein wesentlicher Modus der Tätigkeiten. Für Reckwitz (2003) ist dieser Begriff ebenfalls ein wichtiger Aspekt, wenn er von Praktiken als know-how-abhängige und von einem praktischen Verstehen zusammengehaltene Verhaltensroutinen spricht (vgl. ebd., S. 292). Oft werden die Begriffe Routine und Gewohnheit synonym verwendet, wobei sie sich klar voneinander abgrenzen lassen. Bei der Routine handelt es sich um eine ursprünglich bewusst antrainierte Handlung. Dieses bewusste Antrainieren fehlt in der Gewohnheit. In ihr findet sich eine Aneignung von Verhaltensweisen wieder, die nicht das Bewusstsein eines Ziels oder eines Entwurfes durchlaufen haben müssen. Routinen können somit auch als automatisierte Handlungsvollzüge bezeichnet werden, die unter einer bewussten Kontrolle stehen. Der Grad der Aufmerksamkeit nimmt dann bei zunehmender Routinisierung ab, verschwindet jedoch nie ganz (vgl. Bongaerts, 2008, S. 225ff.). Bourdieu bezieht sich in seinem Habitus-Konzept nicht auf diese Form der Automatisierung. Für Bourdieu stellt das habituelle Handeln den zentralen Modus der sozialen Praktik dar. Dieser beruht auf einer begrifflichen Verwandtschaft mit der Gewohnheit. Ihm geht es gerade nicht um das bewusst angeeignete Handeln, sondern um eingeschriebene, leibliche, sozial relevante Verhaltensweisen, also um ein ››Sinn für das Spiel eher als ein (propositionales) Wissen darum‹‹ (Bongaerts, 2007, S. 256.).15
15 Bongaerts (2007) unterscheidet zwischen Wissen, welches sich in bewussten Handlungen angeeignet wurde und als propositionales Wissen rekonstruiert werden kann, und nicht bewusst angeeignetem Wissen (nicht-propositional) (vgl. ebd., S. 249).
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Die Theorie der Praxis in das Rampenlicht zu stellen und als Rampenlicht in Form des eigenen Erkenntnisinteresses zu nutzen, scheint auf den ersten Blick in einem Antagonismus zu enden. Trotz oder gerade wegen der Verankerung im Sozialen unterliegt die Praxis ständig ihrer Dynamik und Flüchtigkeit und kann so kein statischer und konstanter Beobachtungsgegenstand sein, sondern entwickelt sich zum Erkenntnisproblem. Eine Praxis kann ohne sich selbst nicht existieren und bringt sich dadurch immer wieder neu hervor. In der Folge ist sie nicht allein ein Produkt, sondern auch gleichzeitig schon ein Rohstoff. In ihrer Anwendung wirkt sie gleichzeitig strukturierend und strukturiert. Für ihre Akteure ist die Praxis sowohl subjektiv als auch objektiv. Nur wenn akzeptiert wird, dass sich die Praxis als eine Art Konkretion darstellt, sich umwälzt und wieder neu hervorbringt, kann sich ihr theoretisch angemessen gewidmet werden. Diese Doppeldeutigkeiten führen zu einer grundsätzlichen Problematik der Darstellung und Erfassung von sozialer Praxis, ohne dabei ihre Prozesshaftigkeit auf einen Nullpunkt zu bringen. Im Sinne Bourdieus (1987) ist Praxis etwas, was ihrer selbst bedarf, um sie – was für die Darstellung notwendig ist – zum Stillstand zu bringen.16 Menschliche Praktiken äußern sich als Handlungsabläufe, Gesten, Bewegungen, aber auch als Institutionen oder weitere Gegenstandsformen (wie bspw. Macht- oder Rollenverhältnisse). In sozialen Prozessen erscheinen diese Formen zunächst praxisunabhängig, obwohl sie durch Mikroprozesse der Interaktion zwischen Individuen ein ständig neu hervorgebrachtes Produkt der Praxis darstellen. Praxis wird somit objektiv. Im weiteren Verlauf wird deutlich, dass es sich hier, im Vergleich zu den klassischen Handlungstheorien, um ein modifiziertes Verständnis von Handlung handelt. In engem Verhältnis stehen gleichzeitig auch immer die Betrachtung von Tätigkeiten im Vollzug und das Verständnis der Beteiligten. Akteure können selbst nur praktisch (sinnvoll) tätig werden, wenn sie das Wissen dafür besitzen, ein bestimmtes Verhältnis oder eine Situation zu verstehen sowie mit ihnen umzugehen und dementsprechend zu handeln. Einerseits vollzieht und zeigt sich das Tun durch ein spezifisches Welt- und Selbstverständnis, andererseits können die vollzogenen Praktiken nur als richtig verstanden werden, wenn sie auf die gemeinte und anerkannte individuelle und gesellschaftliche Bedeutung treffen. Die jeweiligen individuellen und gesellschaftlichen Bedeutungen in Bezug auf das spezifische Welt- und Selbstverständnis orientieren sich neben Normen auch an der bereits angesprochenen teleoaffektiven Struktur. Die Betonung in den Aneignungsprozessen der allgemein anerkannten Bedeutungen liegt auf der Körperlichkeit. Durch den körperlichen Umgang mit der Umwelt werden das Wissen und die eigene Situierung erlernt. Für eine zunächst sehr allgemeine Betrachtung der Theorie sozialer Praktiken lassen sich nach Reckwitz (2003) drei Grundannahmen identifizieren: ››eine ›implizite‹, 16 Bourdieu beschreibt mit seinem Praxisbegriff eine ››Distanzrelation zweier sozialer Praktiken‹‹ (Bongaerts, 2007, S. 254, Herv. i. O.). Damit gemeint ist die bereits angesprochene Unterscheidung zwischen der theoretischen Praxis, ausgehend von den WissenschaftlerInnen, und der alltäglichen Praxis der beobachteten Akteure (vgl. ebd.).
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›informelle‹ Logik der Praxis und Verankerung des Sozialen im praktischen Wissen und Können; eine ›Materialität‹ sozialer Praktiken in ihrer Abhängigkeit von Körpern und Artefakten; und schließlich ein Spannungsfeld von Routinisiertheit und systematisch begründbarer Unberechenbarkeit von Praktiken‹‹ (ebd., S. 282). Die Praxistheorie befasst sich, im Vergleich zum homo oeconomicus und zum homo sociologicus, mit einem modifizierten Verständnis des Sozialen und der Beschreibung geregelter Handlungsmuster. Die klassischen Sozialtheorien operieren mit der wesentlichen Kritik, dass die Praxistheorie eine Neuauflage der Handlungstheorien sei und tatsächlich darüber hinaus die Beschreibung von Handlungsregelmäßigkeiten darstelle, was die Sozialtheorien bereits von Beginn an behandelt haben. Ohne zu früh mit kritischen Gesängen zu beginnen, sollen diese für eine weitere Merkmalsbeschreibung der Praxistheorie genutzt werden. Die traditionelle Auflösung und Diskussion über das ››Mikro-Makro-Problem‹‹ (Heidenreich, 1998, S. 229) von Individuum und Gesellschaft sowie Handlung und Struktur funktioniert aus Sicht der Praxistheorie nicht. Die Strukturiertheit und die Unregelmäßigkeit, die sich in den klassischen Sozialtheorien nicht zusammen agierend vereinbaren lassen, verkörpern hier gemeinsam die ››Erzeugungs- und Ordnungsgrundlage für Praktiken‹‹ (Bourdieu, 1987, S. 98). In einer grundbegrifflichen Debatte finden sich diverse Stränge, die vor allem von Reckwitz als ein praxistheoretisches Verständnis, unter dem Label eines practice turn, in einem Forschungsprogramm formuliert werden. Die Genese einer Theorie sozialer Praktiken subsumiert verschiedene theoretische Ansätze, weil davon auszugehen ist, dass in den verwendeten Vokabularien Annahmen verdichtet werden, die einer Theorie sozialer Praktiken ihre Daseinsberechtigung verleihen (vgl. Reckwitz, 2003, S. 283).17 Bourdieu (1976) hat mit seiner ››théorie de la pratique‹‹ (ebd.) eine eher strukturalistische Sichtweise entwickelt. Es ergeben sich jedoch wesentliche Begrifflichkeiten, die für die Praxistheorie, wie sie hier skizziert werden soll, gewinnbringend sind. Bourdieu arbeitet mit folgenden zentralen Begriffen: dem Habitus, dem praktischen Sinn und der Inkorporiertheit des Wissens. Es gilt, diese Positionen im weiteren Verlauf genauer zu betrachten. Verschiedene Theorieprogramme offenbaren bereits Spuren einer Theorie sozialer Praxis. Es wird deutlich, dass sich hier eher einzelne Elemente mit ähnlichen Affinitäten statt überschneidungsfreie Betrachtungen finden lassen. Dabei stellt sich die Frage nach den zentralen Merkmalen einer praxistheoretischen Perspektive, die sich sowohl auf das Handeln als auch auf das Soziale beziehen. Die Darstellung der Theorie soll zunächst für eine reine Bestimmung einem Idealtypus gleichen. Reckwitz (2003) betont dabei, dass es sich nicht darum dreht, eine konkurrierende Theorie zu formulieren, sondern eine sozialtheoretische Perspektive zu skizzieren. Im Fokus sollen dabei die Gemeinsamkeiten und das Verständnis der einzelnen Autoren mit Blick auf das Soziale stehen und nicht die Differenzen zur Praxistheorie (vgl. ebd., S. 284).
17 Die prominenten Positionen bilden hier vor allem Bourdieu, Giddens, Wittgenstein, Garfinkel und Schatzki.
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Die Praxistheorie im Feld der Sozialtheorien Bei der Analyse der Lebenswirklichkeiten liegt die Intention der Praxistheorie nicht in der Offenlegung von Gesetzmäßigkeiten für soziale Mechanismen. Respektive wird die Praxistheorie verstehend-interpretativ wahrgenommen (vgl. Hillebrandt, 2009b, S. 369ff.). Die wesentliche Unterscheidung der Theorie sozialer Praktiken zu den klassischen Sozialtheorien liegt in der Verortung des Sozialen. Unter diesem Gesichtspunkt lassen sich anschaulich die strukturtheoretischen, die ökonomischindividualistischen, die normativistischen sowie die kulturtheoretischen Ansätze unterscheiden. Um dieses zu verdeutlichen, wird im Folgenden eine kurze Skizzierung dieser Ansätze vorgenommen. In einer weiteren Betrachtung soll ebenfalls verdeutlicht werden, dass sich diese Ansätze von der Praxistheorie unterscheiden. Es lassen sich jedoch mit Bongaerts (2007) durchaus Parallelen aufzeigen. Um die Pointe vorwegzunehmen, ist die praxeologische Perspektive in dieser Ordnung eine Version der kulturtheoretischen Ansätze, wobei die geistig-kognitiven und die textuellen Ausrichtungen wiederum eine Differenz und besondere Problematik aufweisen. ››Dass die Praxistheorie einen Fall von ›Kulturtheorie‹ darstellt, soll dabei generell bedeuten, dass in ihrem Verständnis die soziale Welt ihre Gleichförmigkeit über sinnhafte Wissensordnungen, über kollektive Formen des Verstehens und Bedeutens, durch im weitesten Sinne symbolische Ordnungen erhält‹‹ (Reckwitz, 2003, S. 287). Das Soziale lässt sich bei den strukturtheoretischen Ansätzen in der Identifizierung von Regelmäßigkeiten der Gesellschaftsstruktur verorten. Die Rekonstruktion dieser Regelmäßigkeiten kann nur durch die Beobachterperspektive der WissenschaftlerInnen erzielt werden, für die eigentlichen Akteure ist das Soziale nicht sinnhaft erfahrbar. Nach Reckwitz (2003) präsentiert sich diese Strömung zunächst als die entfernteste Perspektive der genannten Ansätze zur Praxistheorie. Als klassisches Beispiel für diesen Ansatz werden die Untersuchungen Durkheims (1988) über die soziale Arbeitsteilung aufgeführt. Bongaerts (2007) gibt jedoch zu bedenken, dass der Fokus Durkheims zwar auf einer makrosozialen Ebene liegt, es aber immer auch Normen sind, die als Ordnungsmuster für das menschliche Handeln dienen. Weiterhin sind es bei Durkheim auch die Tätigkeiten im Vollzug, die soziale Prozesse produzieren und reproduzieren (vgl. ebd., S. 253). Weiterhin scheinen die ökonomisch-individuellen und normativistischen Ansätze zur Klärung der Verortung des Sozialen in weiter Ferne zur Kulturtheorie und damit auch zur Praxistheorie zu stehen. Der schottischen Moralphilosophie folgend, ergibt sich aus den interessengeleiteten Handlungsakten einzelner Akteure der Ort des Sozialen als ››Produkt der individuellen Akte‹‹ (Reckwitz, 2003, S. 287). Durch das Zusammenwirken mehrerer Einzelhandlungen ergibt sich ein ›››übersubjektives‹ Produkt‹‹ (ebd.), wie beispielsweise der Marktpreis oder die Vertragsnorm. Normorientierte Handlungstheorien (u. a. Parsons) weisen bereits erste Parallelen zur Kulturtheorie auf. Das Soziale wird hier nicht als Produkt individuellen Tuns verstanden, sondern auf der Ebene der sozialen Regeln verankert. Diese Regeln geben vor, welches soziale Handeln überhaupt möglich ist. Sie werden als Konsens verstanden, welcher vorgibt, was zu tun bzw. zu unterlassen ist. Für Parsons leitet sich die Frage nach der sozialen Ordnung aus der hobbesschen Problematik ab. Er fragt danach, wie eine intersubjektive Verständigung und Koordination der Handlungen zwischen den Akteuren überhaupt möglich ist (vgl. ebd.). Dieses vollzieht sich hinter
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einer systemtheoretischen Folie, wonach Handlungen unter normativen Voraussetzungen angepasst vollzogen werden und gleichzeitig konstitutive Elemente sozialer Systeme sind. Durch die Etablierung von sozialen Rollen und normativen Erwartungen münden auch gegensätzliche Interessen in einem ››Konsens von SollensRegeln‹‹ (ebd.). Für Parsons sind Kontexte eine Vielzahl von Handlungen, die gerade nicht intentionale Tätigkeiten sind, sondern symbolisch in Form eines praktischen Wissensvorrats definiert werden. Soweit finden sich auch hier Parallelen zur Praxistheorie. Er betont jedoch weniger den Vollzug der Tätigkeiten als vielmehr die Exponiertheit des unbewussten Systems institutionalisierter Normen und folgt einer deduktiven Logik in seinen Analysen (vgl. Bongaerts, 2007, S. 253; vgl. auch die Ausführungen zur sozialen Ordnung). Die Kulturtheorie ist in dieser Hinsicht bereits einen Schritt weiter gegangen. In den 1970er Jahren wurden vor allem kulturelle Praktiken18 (im Rahmen der cultural studies) durchgeführt, in denen zunächst übergeordnete Theorieentwürfe zugunsten einer empirischen Untersuchung der Praxis zurückgestellt wurden. Die Ausgangslage der Problematik der sozialen Ordnung ist ››nicht mehr in einem Handlungskoordinationsproblem zu sehen, das über normative Regeln lösbar erscheint, sondern darin, was die Akteure überhaupt dazu bringt, die Welt als geordnet anzunehmen und somit handlungsfähig zu werden‹‹ (Reckwitz, 2003, S. 287f.). Im Umkehrschluss bedeutet das, dass die Annahme von Ordnung jemanden überhaupt erst handlungsfähig werden lässt. Diese Ordnungsleistung der Akteure geschieht häufig unbewusst oder ist der eigentlichen Handlung bereits vorgeschaltet. Zum Verstehen der jeweiligen Situation tragen die geteilten Bedeutungszuschreibungen der Akteure innerhalb ihrer Kultur bei. Solche Zuschreibungen (auch gegenüber Gegenständen) regulieren das Verständnis untereinander und werden aus der kulturtheoretischen Perspektive als Wissensordnungen oder Symbolsysteme bezeichnet (vgl. ebd., S. 288). Die Praxistheorie als moderne Kulturtheorie versteht den Begriff der kollektiven Wissensordnungen nicht als intentionale Handlungsakte, sondern ››als ein System kultureller Schemata, als jene allgemeinen Sinnmuster, die die subjektiven Sinnzuschreibungen und damit die Verhaltensweisen ermöglichen und einschränken‹‹ (Reckwitz, 2012, S. 618-619). Damit entsteht ein wissensbasierter Kultur-Begriff, der auf zwei Basisannahmen gründet: die kulturellen Schemata, die nicht gleich, aber gleichartig erscheinen und die Routinisiertheit übersubjektiver Praktiken. Die Kollektivität von Wissen, also der übersubjektive Status, wird auch von Bourdieu und Goffman als selbstverständlich angenommen. Die Annahme der Kollektivität ergibt sich aus der ››Parallelisierung von Verhaltensmustern und Wissensordnungen im Sinne sozialer Praktiken‹‹ (ebd., S. 612, Herv. i. O.). Eine solche Kollektivitätsannahme generiert sich aus der Beobachtung der Repetitivität und der Gleichförmigkeit sozialen Handelns. Anzumerken ist, dass die Aufeinanderabgestimmtheit des Handelns nicht unbedingt auf Konsens ausgerichtet sein muss, sondern dass die kognitive Schemageleitetheit die routinisierte Wiederholung von Handlungsmustern ermöglicht. Dadurch wird erneut die Hinwendung zu den Komplexen körperlicher Verhaltensweisen und die Abwendung von intentionalen Akten deutlich.
18 Siehe hierzu vor allem Geertz (1987): Deep play. Bemerkungen zum balinesischen Hahnenkampf (S. 202ff.).
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Die Vorstellung vom Körper getragener Praktiken ermöglicht es, dass kollektive Wissensordnungen ››unterschiedlich‹‹ (ebd., S. 632), aber nicht ››inkompatibel‹‹ (ebd.) sind. Routinen und Ordnungen sind somit destabilisierbar und bilden damit die Prämisse der Routinisiertheit und Unberechenbarkeit sozialer Praktiken, die im weiteren Verlauf erneut aufgegriffen werden. In der Mikroanalyse vollziehen die Akteure unter zeitlichen Bedingungen und räumlichen Kontexten praktische Interpretationsprozesse, die einer Routinisiertheit entsprechen, jedoch auch als Kontingenzen erscheinen. Um die unbestimmten Phänomene zu bestimmten Phänomenen werden zu lassen und ››methodisch handhabbar zu machen‹‹ (ebd., S. 625), werden kulturelle Schemata herangezogen, woraus sich die kollektiven Wissensordnungen zusammensetzen und die ein angemessenes Handeln hervorbringen (vgl. ebd., S. 625ff.): Dieser wesentliche Aspekt für die Analyse sozialer Mikroprozesse im Sportunterricht wird in dieser Arbeit unter Berücksichtigung der Rahmen-Analyse nach Goffman erneut aufgegriffen. In dieser Kollektivität der sinnhaften Ordnungen und ihrer kulturspezifischen Organisation der Wirklichkeit, worin sich auch Interessen und Normen einordnen lassen, findet sich der Ort des Sozialen für die Kulturtheorie und somit auch für die Praxistheorie. Im Vergleich zum modernen Kulturalismus, der das Soziale im intersubjektiven Sinnsystem und den Wissensordnungen der eigenen Kultur verankert, geht die Praxistheorie einen anderen Weg. Hier wird in einer idealtypischen Betrachtung zwischen Mentalismus, Textualismus und Theorien sozialer Praktiken unterschieden. Für den Mentalismus bezeichnet Kultur ein geistiges Ereignis. Das Symbolsystem als Grundlage der Verständigung untereinander situiert sich im menschlichen Geist. Die soziale Ordnung wird in dieser Form anhand kognitiver Funktionen hergestellt. Sie repräsentiert sich in dieser traditionellen Form beispielsweise durch kollektive Weltansichten. Die mentale Verortung des Sozialen findet sich unter anderen auch in der Ethnologie wieder, in der man von einer kulturellen Grammatik spricht, die entsprechende Bedeutungen beim Einzelnen generiert. Die Husserlsche Phänomenologie verortet das Soziale im Sinne des intentionalen Handelns ebenfalls im Mentalen. Diesen Ansatz verfolgt im Übrigen auch Schütz mit seiner phänomenologischen Soziologie (vgl. Knoblauch, 2009, S. 299ff.).19 Die Theorie sozialer Praktiken bildet eine Opposition gegenüber solchen inneren Repräsentationen. Diese Gegenposition gilt jedoch nicht nur für den Mentalismus, sondern ebenfalls für die Spezifikation des Textualismus. Während das Soziale im Mentalismus im Inneren verborgen bleibt, bietet der Textualismus das passende Pendant. Das Soziale, oder die Wissensordnungen einer Kultur, entbehren sich als öffentlich zugängliche Symbole, die auf der Ebene von Texten repräsentiert werden. Das Soziale lässt sich hier sozusagen im Äußeren identifizieren. Dies unterstreicht auch Geertz (1987): ››Kultur ist öffentlich, weil Bedeutung etwas Öffentliches ist‹‹ (ebd., S. 18).20 Die Eigenschaften 19 Auf diese Werke kann im Rahmen dieser Arbeit nur ergänzend und in Bezug auf die Betrachtung des Mentalen verwiesen werden. 20 Geertz (1987) führt diesen Gedanken weiter aus und verdeutlicht so auch die Abgrenzung zum Mentalismus: ››Man kann nicht zwinkern (oder jemanden parodieren) ohne zu wissen, was man unter zwinkern versteht oder wie man – physisch – das Augenlid bewegt, und man kann keine Schafe stehlen (oder so tun als ob man sie stehlen wollte), wenn man nicht weiß, was ein Schafsdiebstahl ist und wie man ihn praktisch durchführt. Daraus jedoch den
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des Subjekts, welche mental verankert sind, werden anhand von speziellen kulturellen Definitionen sichtbar und verweisen gegenläufig auf das, was im Subjekt vorhanden sein soll.21 Die Theorie sozialer Praktiken steht in ihrem Verständnis, trotz einiger Parallelen, sowohl dem Mentalismus als auch dem Textualismus als Opponent gegenüber. Reckwitz (2003) begründet dieses vor allem mit dem Vorwurf der Praxisferne und beschreibt beide Formen als ››konzeptuellen Intellektualismus‹‹ (ebd., S. 289). Die Praxistheorie begreift die kollektiven Wissensordnungen weder als kognitive Schemata noch als Kodierungen innerhalb von Diskursen, sondern als ein ››know how‹‹ (ebd.), ein praktisches Wissen bzw. eine Ansammlung von Alltagstechniken, durch die einzelne Akteure untereinander eine Konsensualisierung erreichen können. Es ist deutlich geworden, dass aus dieser Perspektive nicht das Geistige der Ort des Sozialen ist, wie auch nicht die Ansammlung von Symbolen, Texten oder eine Einigkeit über Normen, ››sondern es sind die ›sozialen Praktiken‹, verstanden als know-how abhängige und von einem praktischen ›Verstehen‹ zusammengehaltene Verhaltensroutinen, deren Wissen einerseits in den Körpern der handelnden Subjekte ›inkorporiert‹ ist, die andererseits regelmäßig die Form von routinisierten Beziehungen zwischen Subjekten und von ihnen ›verwendeten‹ materialen Artefakten annehmen. Aus praxeologischer Perspektive geht es weniger um die emphatische Totalität einer ›Praxis‹, sondern darum, dass sich die soziale Welt aus sehr konkret benennbaren, einzelnen, dabei miteinander verflochtenen Praktiken (im Plural) zusammensetzt: Praktiken des Regierens, Praktiken des Organisierens, Praktiken der Partnerschaft, Praktiken der Verhandlungen, Praktiken des Selbst etc.‹‹ (Reckwitz, 2003, S. 289).
Für das Soziale ergibt sich aus der Perspektive der sozialen Praktiken die Problematik, wie diese miteinander verflochtenen Praktiken zeitlich und räumlich immer wieder reproduziert und wiederholt werden können. Weiterhin gilt es zu hinterfragen, wie sich ein potenzieller Prozess des Erwerbs und der Festigung von Wissen vollzieht, um soziale Praktiken in sportunterrichtlichen Kontexten zu etablieren. Praktiken sind jedoch keine sich verflüchtigenden oder punktuellen Handlungen. Sie repräsentieren sich durch praktisches Können in der Kollektivität und sind beobachtbar. Das praktische Können ist somit eng mit der jeweiligen Situation verbunden und auf diese abgestimmt. Es trifft bei den Beteiligten in der Situation in gelungener Weise auf sozial geteiltes, implizites Wissen. Alle Akteure können also die vollzogenen Praktiken verstehen (vgl. ebd.). Schluß [sic] zu ziehen, daß [sic] zu wissen, wie man zwinkert, Zwinkern, und zu wissen, wie man Schafe stiehlt, Schafsdiebstahl sei, hieße eine ebenso große Konfusion anrichten, wie wenn man dünne Beschreibungen mit dichten Beschreibungen verwechselte und Zwinkern mit der Bewegung des Augenlids oder Schafsdiebstahl mit dem Wegtreiben wolliger Tiere von ihren Weideflächen gleichsetzte. Der kognitivistische Irrtum – daß [sic] […] Kultur aus ›mentalen Phänomenen (bestehe), die mit formalen Methoden untersucht werden können […], die denen in Mathematik und Logik ähnlich sind‹ macht eine sinnvolle Verwendung des Kulturbegriffs ebenso unmöglich wie die behavioristischen und idealistischen Irrtümer […]‹‹ (ebd., S. 18-19). 21 Eine Übersicht findet sich in Tab. 2.
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Hirschauer (2004) unterstreicht dies wie folgt: ››Die Hervorbringung von Darstellungen ist an ein praktisches Wissen gebunden, das in körperlichen Routinen verankert ist, in ›Fertigkeiten‹, einem stummen ›knowing how‹‹‹ (ebd., S. 78, Herv. i. O.). Dem Publikum wird ein explizites Wissen von sozialer Wirklichkeit vermittelt, während es gleichzeitig visuell erfasst wird.
Tab. 2: Darstellung der verschiedenen Ansätze (in Anlehnung an Reckwitz, 2003, S. 287ff.). strukturtheoretische Ansätze - Identifizierung von Regelmäßigkeiten - das Soziale liegt in subjektübergreifenden Strukturen - die BeobachterInnen leisten die Rekonstruktion
ökonomisch-individualistische Ansätze - das Soziale ist ein Produkt individueller Akte - methodologischer Individualismus - übersubjektives Produkt
normativistische Ansätze - Konsensverständnis überwiegt - Kontexte bestehen aus symbolischen Handlungen - institutionalisierte Normen - das Soziale liegt auf der Ebene sozialer Regeln
kulturtheoretische Ansätze - eine Annahme von Ordnung wird als grundlegend für Handlungen angesehen - Bedeutungszuschreibungen für das Verständnis finden sich in der Situation - das Soziale liegt in der Kollektivität sinnhafter Ordnungen Unterteilung in: Mentalismus, Textualismus und Theorie sozialer Praktiken (Die Praxistheorie zählt zu den Kulturtheorien, aber nicht alle Kulturtheorien sind Praxistheorien.)
Aus der Praxis der Praxistheorie Die Hinwendung zu der Kategorie des Körpers im Sozialen ist nicht zuletzt im Sinne des ››body turn‹‹ (Gugutzer, 2006) verstärkt in den Fokus gerückt. In dieser Wendung sind ››soziale Ordnungen […] in einem fundamentalen Sinne Körperordnungen. Sie basieren weitaus mehr auf einem Austausch der Gesten, als dass sie Ergebnis expliziter Aushandlungen sind‹‹ (Meuser, 2004, S. 211). Diese Ansicht zeigt bereits Parallelen zur Interaktionsordnung von Goffman (1971a) auf. Er untersucht, wie die Interaktionsordnung immer wieder durch die Beteiligten, auch durch Einsatz ihres Körpers, aufrechterhalten wird. Voraussetzung dafür ist eine Art praktischer Sinn, um sich situationsadäquat zu verhalten, die gemeinsame Situationsdefinition aufrecht zu halten und die soziale Ordnung nicht zu gefährden. Goffman selbst spricht nicht direkt von einem praktischen Sinn. Dieser Begriff entspringt dem Habitus-Konzept von Bourdieu. Dieser unterstreicht gerade in Hinblick auf die Theorie sozialer Praktiken die Bedeutung der Verkörperung zur Stabilisierung der sozialen Ordnung. Bourdieus zentrale Annahme liegt darin, dass die soziale Ordnung bereits einverleibt ist (inkorporiert). Der praktische Sinn ist jedoch nicht mit dem Habitus gleichzusetzen. Hierbei muss zwischen zwei Konzepten unterschieden werden: dem körperlichen Konzept (sichtbare Verkörperung) und dem leiblichen Konzept (Spürsinn). Der praktische Sinn (situationsangemessenes Handeln) wäre in diesem Sinne dem leiblichen Konzept zuzuordnen (vgl. Gugutzer, 2006, S. 72). Dabei gilt ››der ›praktische Sinn‹ als eine sozial geprägte leibliche Praxis, die unbewusst, spontan, instinktiv auf die je situativen Anforderungen antwortet‹‹ (Gugutzer, 2006, S. 26). Dem Körper liegt in diesem Zusammenhang ein bestimmtes Verständnis zugrunde – der ››Körper
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als Produzent von Gesellschaft‹‹ (ebd. S. 13). Aus dieser Perspektive wird gefragt, ››wie körperliche Praktiken zur Herstellung, Stabilisierung und zum Wandel sozialer Ordnung beitragen‹‹ (ebd., S. 17). Der Körper als Produzent von Gesellschaft differenziert sich in die Dimensionen ››Körperroutinen‹‹, ››Körperinszenierung‹‹ und ››Körpereigensinn‹‹ (ebd., S. 17-19, Herv. i. O.). Körperroutinen beschreiben den vorwiegenden Modus sozialer Handlungen. Routinehandlungen des Körpers dienen in der Interaktion dazu, ein situationsadäquates Maß an Körperkontrolle und Körpereinsatz zu vollziehen, um die Situationsdefinition aller Teilnehmer nicht in Frage zu stellen. Soziale Ordnungen sind somit immer auch Körperordnungen (oder auch Interaktionsordnungen). Die Dimension der Körperinszenierung behandelt die Frage, wie der Körper präsentiert wird. Durch den Einsatz des Körpers als Medium der Selbstdarstellungen werden soziale Wirklichkeit und Bedeutungen hergestellt, die jeweils kontextgebunden zu verstehen sind. Innerhalb eines anderen Kontextes, einer anderen Situation, können diese Selbstdarstellungen und körperlichen Routinen wiederum zu einem anderen praktischen Verständnis führen (vgl. ebd.). Der Eigensinn des Körpers und damit auch die Klärung des praktischen Sinns22 bezeichnet ein vorreflexives Verhalten. Der Körper ist hier nicht länger das Medium, sondern Subjekt von Handlungen. Bourdieus Habitus-Konzept baut auf diesem Verständnis auf. Die Praktiken, die vom Körper vollzogen werden, in diesem Sinne eigenwillig, sind mit Schemata zu vergleichen. Sie gründen auf einem, aus Erfahrungen aufgebauten, Alltagsverständnis und bleiben dem Produzenten verborgen (vgl. Gugutzer, 2006, S. 19). ››Weil die Handelnden nie ganz genau wissen, was sie tun, hat ihr Tun mehr Sinn, als sie selber wissen‹‹ (Bourdieu, 1987, S. 127). Der Sinn für das Praktische sorgt für ein vorreflexives Verständnis in Situationen und sorgt für das angemessene Handeln. Sowohl auf diese Weise als auch durch routinisierte Praktiken trägt der Körper zur Reproduktion und Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung bei. Die Kategorie des Körpers erhält in der Theorie sozialer Praktiken nach Reckwitz ebenfalls einen zentralen Stellenwert, wodurch sich eine Betrachtung der Stabilisation von sozialer Ordnung im Sportunterricht durch den Aspekt der Körperlichkeit plausibilisiert. Wie bereits erwähnt ist ein Grundelement der Theorie sozialer Praktiken neben der impliziten Logik, dem Spannungsverhältnis von Routinisiertheit und Unberechenbarkeit vor allem die Materialität der Praktiken. Die Materialität sozialer Praktiken differenziert sich nach Reckwitz in Artefakte und den menschlichen Körper. Dabei betont Reckwitz (2003), dass ››Praktiken nichts anderes als Körperbewegungen darstellen und das Praktiken in aller Regel einen Umgang von Menschen mit ›Dingen‹, ›Objekten‹ bedeuten‹‹ (ebd., S. 290). Die Verkörperung und damit auch die Möglichkeit der Beobachtung der sozialen Praktiken bestehen aus routinierten Bewegungen. Die Körperlichkeit erhält allerdings noch weitere Facetten, nämlich die bereits angesprochene Inkorporiertheit und die Performativität des Handelns (vgl. ebd.). Die Folgerung aus dieser zentralen Figur der Theorie sozialer Praktiken ist, dass SozialforscherInnen den Fokus ihrer Untersu22 Synonym verwendete Formulierungen sprechen z. B. vom ››Körper als Agens‹‹ (Meuser, 2004, S. 209ff.), einer ››motorische[n] Klugheit‹‹ (Alkemeyer, 2001, S. 157) oder vom ››Spürsinn‹‹ (Gugutzer, 2002, S. 116).
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chungen zunächst auf die Beobachtung der ›››skillful performance‹ von Körpern‹‹ (ebd.) zu richten haben, um soziale Praktiken zu rekonstruieren. Einen für Außenstehende verständlichen Sinnzusammenhang gewinnt man durch den Einbezug des jeweiligen Kontextes. Die Erklärung des Sozialen ist somit nicht mehr allein durch den Rückgriff auf die Einzelperson zu erklären, sondern auch durch den Kontext, in dem soziales Handeln verständlich wird (vgl. Linnebach, 2010, S. 106f.). Stock (2011) unterstreicht dies ebenfalls wie folgt: ››In der praxistheoretischen Perspektive geht es nicht primär um individuelles Wissen, sondern um das Wissen, das in den Praktiken selbst steckt: Dass es zugleich auch bedeuten muss, dass sich Individuen Wissen angeeignet haben, wird zwar nicht verneint, steht aber auch nicht im Fokus der Aufmerksamkeit. Von Interesse ist stattdessen, wie das Wissen im Zusammenspiel von Körpern und Artefakten angewendet und von anderen als solches einer spezifischen Praktik deutbar ist‹‹ (ebd., S. 7-8).
Der Fokus auf die Materialität und die methodische Konsequenz findet sich auch bei Hirschauer (2004). Unter dem Einbezug von Settings, anderen Lebewesen oder Textdokumenten bezeichnet Hirschauer Materialität als ››Partizipanden‹‹ (ebd., S. 75), die in den Dynamiken von Praktiken involviert sind. Diese Partizipanden dienen nicht nur als Hilfsmittel für bestimmte Praktiken, sondern können auch als Begrenzer oder sogar als Auslöser bestimmter Handlungen stehen (vgl. Reckwitz, 2003, S. 284f.). Schlussfolgernd aus diesen Ausführungen ist es sinnvoll, sich mit dem Verständnis des Handelns aus der praxeologischen Perspektive näher zu beschäftigen. In den klassischen Theorien werden vor allem Handeln und Handlung unterschieden. Diese Unterscheidung ist sozial abgeleitet und folgt subjektiven Sinnsetzungen (Motiven) oder werden durch objektive Strukturen erklärt. Diese Motive sind den handelnden Individuen immer übergeordnet und unbewusst. Handeln ist aus der praxeologischen Perspektive zuallererst keine intentionalistische, sondern eine wissensbasierte Tätigkeit. Also eine Aktivität, in der praktisches Wissen (ein Können, ein Know-how) zum Einsatz kommt. Schütz (2004) hingegen befasst sich mit dem Handlungsbegriff aus einer Sinnperspektive. Während Husserl als Begründer der Phänomenologie lediglich die Intention und somit die Gerichtetheit des Handelns auf etwas betrachtet, fügt Schütz (2004) in seiner phänomenologischen Soziologie eine reflexive Wendung hinzu. Verhalten, Handeln und Handlung erhalten ihren Sinn erst in der reflexiven Zuwendung. Das Verhalten eines Individuums bezeichnet Schütz zunächst nur als eine reflexiv erfasste spontane Aktivität. Das Handeln bezeichnet ebenfalls eine spontane Aktivität, jedoch ist dieses auf einen zu verwirklichenden Zustand gerichtet. Die Handlung ist ein bereits abgeschlossenes Ereignis und kann als Ergebnis des Handelns bezeichnet werden (vgl. ebd., S. 171ff.). Damit wird nach Schütz nicht die Tätigkeit im Vollzug betrachtet, vielmehr wird der soziale Sinn an den Wissensbeständen der Akteure abgelesen. Aber wie in der Praxistheorie verläuft auch bei Schütz nicht alles reflexiv bewusst. Auch bei Schütz dominieren Routinen die alltäglichen Handlungen. Bongaerts (2008) betont, dass durch die Explikation subjektiver Motive nur die Repräsentationen des sozialen Geschehens erfasst werden, nicht aber das Geschehen selbst, worauf die Praxistheorie ihren Fokus legt (vgl. ebd., S. 224).
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Um die Abgrenzung der Praktik vom Begriff der Handlung noch einmal zu verdeutlichen, schreibt Hirschauer (2004): ››Eine Handlung muss in Gang gesetzt werden, sie verlangt nach einem Impuls und einem Sinnstiftungszentrum. Daher fragt man nach ihr mit Warum- und Wozu-Fragen. Eine Praxis dagegen läuft immer schon, die Frage ist nur, was sie am Laufen hält und wie ›man‹ oder ›Leute‹ sie praktizieren: Wie wird es gemacht und wie ist es zu tun? […] Praktiken haben eine andere Empirizität: Sie sind in ihrer Situiertheit vollständig beobachtbar und öffentlich‹‹ (ebd., S. 73, Herv. i. O.).
Das praktische Wissen in der Praxistheorie (implizites Wissen) hat viele spezifische Formen. Bei demjenigen, der die Handlung ausführt, wird es immer bereits vorausgesetzt. Es handelt sich aber nicht um ein explizites Aussagewissen, sondern, wie bereits erwähnt, um eine Art praktisches Verstehen, bei dessen Vollzug soziale Kriterien zum Einsatz kommen, die eine Sinnwelt schaffen, in der ››Gegenstände und Personen eine implizit gewusste Bedeutung besitzen, und mit denen sie umgehen, um routinemäßig angemessen zu handeln‹‹ (Reckwitz, 2003, S. 292). Handlungen sind somit in der Regel in eine umfassendere, durch implizites, methodisches und interpretatives Wissen zusammengehaltene Praktik eingebettet (vgl. Reckwitz, 2008, S. 112). Das praktische Wissen geht der eigentlichen Handlung – der Praxis – nicht voraus, sondern ist immer auch Bestandteil der Praktik (vgl. Reckwitz, 2003, S. 285).23 Von der Theorie der Praxistheorie Die bisherige, aus Ideen verschiedener theoretischer Positionen gestützte Darstellung der Theorie soll im Folgenden konkreter skizziert werden, um sowohl das Verständnis der Betrachtung als auch das darin zugrunde liegende Erkenntnisinteresse der Theorie für diese Arbeit zu verdeutlichen. Die Frage danach, was als kleinste Einheit des Sozialen aus der Perspektive der Praxistheorie gesehen werden kann, wird nicht mit Kommunikation, Interaktion, Symbolen oder Normen beantwortet, sondern mit dem Begriff der Praktik. Zu finden ist diese kleinste Einheit nach Schatzki (1996) in einem routinierten ››nexus of doings and sayings‹‹ (ebd., S. 89). Schatzki (1996) sieht soziale Praktiken in drei Hauptverwebungen eingebettet: ››understandings‹‹ (was wird gesagt und getan), ››explicit rules‹‹ (Regeln oder Richtlinien) und ›››teleoaffective‹ structures‹‹ (Emotionen, Überzeugungen) (ebd.). Die Praktiken werden durch ein implizites Verstehen zusammengehalten. Die im Vollzug genutzten Verwebungen kommen nicht nur einmalig, sondern regelmäßig und repetitiv vor. Sie können als Komplexe bezeichnet werden, die eine materielle Struktur annehmen und aus dem Vollzug der Praktiken und dem Verstehen der Praktiken bestehen. Grob lassen sich hier zunächst zwei wesentliche Grundelemente identifizieren: Die Materialität des Sozialen und die implizite Logik des sozialen Lebens. Eine Praktik benötigt für den Aspekt der Materialität zwei materielle Instanzen: Körper und 23 Deutlich geht das bspw. auch aus den Gender Studies hervor. Dort ist das Geschlecht in der praxeologischen Perspektive als eine vom Know-how abhängige Demonstration körperlicher Bewegungen analysierbar (vgl. Reckwitz, 2003, S. 285).
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Artefakte.24 Mit der Instanz des Körpers betont der praxeologische Zugang einen in den Handlungstheorien lange Zeit vernachlässigten Fokus – die Körperlichkeit.25 Der Vollzug von Praktiken kann immer als eine ››skillful performance‹‹ (Reckwitz, 2003, S. 290) bezeichnet werden. Der Körper, welcher Praktiken vollzieht, ist kompetent in dem, was er tut oder ist. Er ist in der Lage, Praktiken zu lernen und diese in routinierter, regelmäßiger Weise und unter der Verwendung von Know-how zu vollziehen. Es wird damit ausgeschlossen, dass der Körper, wie in der behavioristischen Perspektive, eine Exekutive darstellt. Der Körpereigensinn, die Dimension des Körpers als Produzent von Gesellschaft, betont jedoch eine Eigenwilligkeit des Körpers (praktischer Sinn). Eine weitere Abgrenzung erfolgt durch den Einbezug von Emotionen und Gefühlen, wie es bereits in den Verwebungen von Schatzki genannt wurde. Solange diese Aspekte in die Praktik integriert werden, müssen sie in den nexus aufgenommen und dürfen nicht außer Acht gelassen werden. Gemeint sind damit nicht unmittelbar sichtbare Aktivitäten. Formen des Denkens und Fühlens können beispielsweise in Zusammenhang mit einer sozialen Praktik auch das Äußern von Freude oder einer Siegespose sein. Denkbar ist jedoch auch das Gegenteil und zwar eine völlige Marginalisierung der Expression von Emotionen und Gefühlen, denn dann steht lediglich das motorische Tun im Fokus der Betrachtung (vgl. ebd.). Die Betonung der Körperlichkeit umfasst zwei wesentliche Aspekte, die für den Vollzug und das Verständnis der Praktiken grundlegend sind. Zum einen geht es um die Fähigkeit, eine Praktik zu vollziehen. Hier wird Körperlichkeit von innen betrachtet. Dafür wird Wissen der ausführenden Akteure benötigt. Das Wissen bezieht sich jedoch nicht auf ››ein System expliziter kognitiver Regeln‹‹ (ebd.), sondern auf eine ››körperlich-leibliche Mobilisierbarkeit von Wissen‹‹ (ebd.). Diese Inkorporierung von Wissen kann in keiner Weise expliziert werden, sondern verläuft nach dem Lernen einer Praktik in routinierter Form. Bourdieu (1976) betont dies wie folgt: ››Was der Leib gelernt hat, das besitzt man nicht wie ein wieder betrachtbares Wissen, sondern das ist man. Das derart Einverleibte findet sich jenseits des Bewusstseinsprozesses angesiedelt, also geschützt vor absichtlichen und überlegten Transformationen, geschützt selbst noch davor, explizit gemacht zu werden‹‹ (ebd., S. 200).
Es ist bereits jetzt anzumerken, dass die Diversität und Dynamik von Kontexten und der interpretative Spielraum sozialer Situationen kreative Aspekte und damit Transformationen von Praktiken mit einfließen lassen müssen. Eine reine Wiederholung von Routinen würde unter diesem Gesichtspunkt den Praktiken nicht gerecht werden. Zum anderen liegt ein wesentlicher Aspekt in der Performativität des Handelns. Sichtbare Handlungen (hier wird Körperlichkeit nach außen betrachtet) werden in einer skillful performance vollzogen und von den beteiligten Akteuren der Situation interpretiert und gedeutet. Dabei ist zu beachten, dass die Praktik im Moment des Vollzugs nicht nur eine kollektive Praktik darstellt, die für den Moment Gültigkeit be24 Auf das dritte Grundelement, die Routinisiertheit und Unberechenbarkeit von Praktiken, wird im weiteren Verlauf noch vertieft eingegangen (siehe hierzu auch Abb. 1). 25 Eine Übersicht zu den Grundelementen der Theorie sozialer Praktiken befindet sich am Ende des Kapitels.
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sitzt. Sie muss als ››legitimes Exemplar‹‹ (Reckwitz, 2003, S. 290) einer Praktik angesehen werden. In der spezifischen Situation besteht ein kollektives Wissen über Praktiken, welches aktiviert wird, wenn die Praktiken von den Beteiligten – oder weiter gefasst, den Partizipanden – beobachtet werden. Auch wenn (oder gerade weil) Kontingenz in der Situation eine Rolle spielt, versucht die körperliche Performance immer soziale Verständlichkeit und Eindeutigkeit hervorzubringen. Aufgrund der eindeutigen sozialen Verständlichkeit ergibt sich die methodische Konsequenz, dass zunächst die skillful performance der Körper beobachtet wird (vgl. ebd.). Nach einer genaueren Betrachtung des Körpers innerhalb des Grundelements einer Materialität von Praktiken wird nun auf die zweite Instanz eingegangen: die Instanz der Artefakte. Im Rahmen der Praxistheorie sind Artefakte neben den Körpern ein Bestandteil und eine notwendige Bedingung für die Hervorbringung von Praktiken. Wie oben erläutert, werden durch den Körper wissensbasierte und routinierte Handlungen hervorgebracht, die immer auch mit Artefakten gekoppelt werden müssen, um überhaupt eine Praktik zu vollziehen bzw. zu reproduzieren. Damit beschreitet die Praxistheorie einen anderen Weg als die von Reckwitz (2003) beschriebene ››Entmaterialisierung‹‹ (ebd., S. 291), die in vielen Sozial- und Kulturtheorien beschrieben wird. Weiterhin grenzt sie sich auch von den Strukturtheorien ab, die davon ausgehen, dass Artefakte determinierend auf Handlungen der Akteure wirken und diese als Basis ihrer Betrachtungen sehen. In der Praxistheorie sind Artefakte ein nicht zu unterschätzendes Teilelement; in den Kommunikationsmedien werden ganze Komplexe von Praktiken erst durch Artefakte ermöglicht (z. B. der Buchdruck) (vgl. ebd.). Artefakte haben somit weder einen einzig materiellen (dies gilt für Objekte) noch einzig kulturellsymbolischen (gilt für physischen Zwang) Stellenwert. Der sinnhafte Gebrauch, die praktische Verwendung, stellt somit die soziale Praktik dar. Die Akteure behandeln die Artefakte mit dem entsprechenden Know-how, welches nicht durch die jeweiligen Artefakte determiniert sein muss. ››Andererseits und gleichzeitig erlaubt die Faktizität eines Artefakts nicht beliebigen Gebrauch und beliebiges Verstehen‹‹ (ebd.). Die materielle Instanz der Dinge scheint in Symbiose mit der materiellen Instanz des Körpers26 bei den Akteuren spezifisches inkorporiertes Wissen hervorzurufen und unterstreicht somit die Notwendigkeit ihres Selbst bei der Hervorbringung. Durch einen unbestimmten Gebrauch leitet sich für das Artefakt ein bestimmter Gebrauch ab. Somit sind beispielsweise Gegenstände für bestimmte Handlungen zu benutzen und für andere wiederum nicht. Erst der Gebrauch eines Artefaktes unterstützt das Verständnis der Beteiligten bei der Beobachtung von Praktiken. Ein weiterer wichtiger Beitrag zum Verständnis der Theorie sozialer Praktiken wird durch die Betrachtung der Grundannahme der impliziten Logik geleistet. In dieser Grundannahme wird das Soziale mit dem Handeln verknüpft und lässt die Praxistheorie somit zu einer Opposition der einflussreichsten Dichotomien in den Sozialtheorien werden: (1) Geist und Körper; (2) Subjekt und Objekt. Den Begriffen Geist und Subjekt wird in diesen traditionellen Ansichten das Primat zugesprochen. Die Praxistheorie postuliert die jeweils zweiten Elemente (Körper und Objekt) zu rehabilitieren 26 Mit den Bestandteilen: inkorporiertes Wissen und Performativität des Handelns.
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und eine Alternative zu dem traditionellen Dualismus zu formulieren (vgl. Reckwitz, 2003, S. 291). Jede Handlung, die vollzogen wird, basiert in erster Linie auf Wissen. Dieses praxeologische Verständnis beinhaltet Elemente der Intentionalität und Normativität (homo oeconomicus und homo sociologicus), weil eine Aktivität praktisches Wissen zum Einsatz bringt, welches wiederum als praktisches Verstehen oder Know-how bezeichnet werden kann. Praktisches Verstehen lässt sich in diesem Zusammenhang als ein ›››sich auf etwas verstehen‹‹‹ (Reckwitz, 2008, S. 111) begreifen. Bei dem Träger der Praktik (der Akteur, der sie ausführt) wird das jeweilige Wissen über die Praktik vorausgesetzt. Das Wissen kann dabei in unterschiedlichen Formen zum Ausdruck gebracht werden. Es handelt sich dabei jedoch immer um eine implizite Wissensform. Der Akteur ist somit nicht in der Lage explizite Aussagen über die vollzogenen Praktiken zu machen (vgl. ebd., S. 291f.). Im Vollzug der Praktik ››kommen implizite soziale Kriterien zum Einsatz, mit denen sich die Akteure in der jeweiligen Praktik eine entsprechende ›Sinnwelt‹ schaffen, in denen Gegenstände und Personen eine implizit gewusste Bedeutung besitzen, und mit denen sie umgehen, um routinemäßig angemessen zu handeln‹‹ (ebd. S. 292). Das Wissen, das der jeweiligen körperlichen Routine zugrunde liegt, geht ihr nicht voraus, wird also nicht mit einer Intention im Vorfeld formuliert, sondern ist ein Bestandteil der Praktik und kann auch ››nur in Zuordnung zu einer Praktik‹‹ (ebd., Herv. i. O.) verstanden und rekonstruiert werden. Somit werden Wissensformen durch den Vollzug einer Praktik auch nicht der Eigenschaft einer Person zugeschrieben, sondern der Praktik, wie Reckwitz (2003) zuvor betont hat. In der Rekonstruktion und Analyse der sozialen Praxis fragt man also nicht danach, welches Wissen eine Gruppe in ihrer Gesamtheit besitzt, sondern welches Wissen in einer bestimmten Praktik zum Einsatz kommt. Die Akteure gelten in der Konsequenz als Träger der Praktiken (vgl. ebd.). Für eine generelle Definition des Sozialen in der Praxistheorie erscheint eine Gleichsetzung von Intersubjektivität und Sozialität, wie es im Symbolischen Interaktionismus geschieht, als nicht plausibel. Soziale Praktiken können eine interaktive Struktur besitzen, aber dieses gilt nicht für alle Praktiken. Die (erfolgreiche) Erfüllung braucht nicht die Form einer sozialen Interaktion. Sie wird durch praktisches Wissen ermöglicht. Das Soziale liegt dann im kollektiven inkorporierten praktischen Wissen. Durch diese Prämisse können gleichartige Praktiken über zeitliche und räumliche Grenzen hinweg wiederholt werden. Das Wissen, welches durch die Praktiken der Akteure mobilisiert wird, soll in der Praxistheorie durch die Elemente des interpretativen Verstehens und des impliziten Sinns rekonstruiert werden (vgl. ebd.). Die Intersubjektivität ist damit nicht die Voraussetzung für das Vorhandensein einer Praktik. Vielmehr spricht Reckwitz (2008) von einer interobjektiven Struktur, die als Gleichsetzung von Intersubjektivität und Sozialität zu einer Marginalisierung von Praktiken führen kann (vgl. ebd., S. 117ff.). Später wird vertiefend darauf eingegangen, was es tatsächlich bedeutet, einen praxeologischen Blick auf die Handlungen von Akteuren zu entwickeln und wie praktisches Wissen herausgearbeitet wird. Reckwitz (2008) unterscheidet im Rahmen der impliziten Logik der sozialen Praxis, die als eine Art Hintergrundstruktur zu verstehen ist, zwischen verschiedenen Elementen zur Rekonstruktion des Wissens. Die Form des interpretativen Verstehens
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beschreibt die routinemäßigen Zuschreibungen von Bedeutungen, die gegenüber Partizipanden, aber auch dem Selbst gegenüber vollzogen werden. Weiterhin gibt es das methodische Wissen, wobei es sich um ››script-förmige Prozeduren‹‹ (ebd., S. 118, Herv. i. O.) handelt, die eine kompetente Hervorbringung aufeinander bezogener Handlungen bewirken. Bei Skripts handelt es sich um Handlungsverläufe, die eng mit subjektiven Theorien verknüpft sind, mental gespeichert werden und auch in strukturell ähnlichen Situationen routinisiert vollzogen werden können (vgl. Müller, Eichler & Blömeke, 2006, S. 127). Reckwitz (2010) betont im Zuge dessen, dass Skripte mentale Repräsentationen sind und damit kognitiven Strukturen ähneln, die sich einer Beobachtung entziehen. Sie verweisen allerdings auf ein implizites Wissen, welches wiederum durch die BeobachterInnen rekonstruiert werden kann, weil Skripte damit auch auf einer ››bodily plane‹‹ (ebd., S. 110) verankert sind (vgl. ebd., S. 110f.). Die letzte Wissensform beschreibt Reckwitz als motivational-emotionales Wissen. Mit Bezug auf die Situation werden Bedeutungen aus einer Routine heraus zugeschrieben, woraus sich schließlich Handlungen ergeben, die den Zuschreibungen und der Situation gerecht werden. Mit gerecht werden ist in diesem Zusammenhang gemeint, dass gemeinsame Zuschreibungen der vollzogenen Handlungen getroffen werden, welche auf das Verständnis der beteiligten Akteure treffen und woran wiederum angeknüpft werden kann. Unterstützt wird dies durch den impliziten Sinn, der ähnlich wie Goffmans (1977) Ausgangsfrage ››Was geht hier eigentlich vor?‹‹ (ebd., S. 16) danach fragt, worum es hier geht oder was man eigentlich will.27 Die Wissensformen sind nicht universal, ››sondern [werden] als historisch-spezifisch, als ein kontingentes ›local knowledge‹ voraus[gesetzt]‹‹ (Reckwitz, 2003, S. 292). Die Anleitung zu einer Handlung in einer Situation ergibt sich somit nicht aus einer alleinigen intentionalen Formulierung, sondern aus der Routinisiertheit und Repetitivität, welche wissensabhängig durch die Zuschreibungen von Bedeutungen hervorgerufen werden. Teleologische Elemente wie Emotionen oder Motivationen werden dabei explizit nicht als Interessen oder in der Verfolgung eines Zweckes betrachtet. Vielmehr werden sie als sozial-konventionalisierte Aspekte bezeichnet, die je nach Komplex der Praktiken den Akteuren zugeordnet werden und dann als individuelle Interessen interpretiert werden können. Eine Normativität als Handlungsanleitung verneint die Praxistheorie somit, allerdings werden im Rahmen des praktischen Wissens implizite normative Kriterien des angemessenen Praktizierens wirksam (vgl. ebd., S. 293). Damit folgt man keinen formalisierten Katalogen von Normen, sondern vielmehr einer impliziten Logik innerhalb der sozialen Praxis. Neben der impliziten Logik und der Materialität nennt Reckwitz (2003) ein drittes Grundelement der Theorie sozialer Praktiken: ››[d]ie Routinisiertheit und die Unberechenbarkeit der Praktiken‹‹ (ebd., S. 294, Herv. i. O.). Die soziale Welt der Praktiken erscheint in einem Spannungsfeld zwischen einer relativen ››Geschlossenheit‹‹ und einer relativen ››Offenheit‹‹ (ebd.). Die Geschlossenheit strebt eine möglichst unkomplizierte Wiederholung von Praktiken an, wäh27 Goffman (1977) verweist mit dieser Frage auf zwei Perspektiven. Sowohl die Akteure stellen sich diese Frage, um die Rahmung der Situation nachzuvollziehen und zu verstehen, als auch die ForscherInnen mit dem Blick auf die Akteure.
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rend die relative Offenheit im alltäglichen Vollzug ein Misslingen von Praktiken, Konfliktfähigkeiten und Interpretationsspielräume bei den Akteuren beinhaltet (vgl. ebd.). Beide Seiten bilden jedoch keinen Widerspruch zueinander, sondern bilden die ››zwei Seiten der Logik der Praxis‹‹ (ebd.). Die relative Geschlossenheit wird nach Reckwitz (2003) als Routinisiertheit formuliert, die relative Offenheit hingegen als Unberechenbarkeit interpretativer Unbestimmtheiten. Wie bereits erwähnt, ergibt sich die Strukturiertheit der sozialen Welt nicht aus einem normativen Konsens oder einer Komplementarität von Interessen zwischen den Beteiligten, sondern aus dem Routinehandeln, das durch implizites praktisches Wissen und Verstehen ermöglicht wird. Bereits vermitteltes und inkorporiertes Wissen wird von den Akteuren immer wieder eingesetzt, somit lassen sich repetitive Muster der sozialen Praxis rekonstruieren. In diesem Aspekt wendet die Praxistheorie die Ansichten der Handlungstheorie Webers. Für Weber (1984) liegt das Primat im zweckrationalen Handeln (vgl. ebd., S. 44). Anders als im zweckrationalen Handeln sieht die Praxistheorie dieses nicht als Konglomerat intentionaler Einzelhandlungen, sondern als eine ständige routinierte Reproduktion typisierter Praktiken. Die Routinisiertheit der Praktiken ist jedoch nur die eine Seite des dritten Grundelements. Sie kann nicht nur aus der Wiederholung von Routinen bestehen, es ist auch immer eine methodische und interpretative Unbestimmtheit mitzudenken. In einem solchen Fall müssen die Praktiken im Rahmen des jeweiligen Kontextes umgedeutet werden. Es muss ››eine ›Anwendung‹ [der Praktiken] er[zwungen] und ermöglicht [werden], die in ihrer partiellen Innovativität mehr als eine reine Reproduktion darstellt‹‹ (Reckwitz, 2003, S. 294). Diese relative Offenheit entspringt weder aus den Eigenschaften des Akteurs oder der Gemeinschaft noch aus einem individuellen Interesse. Vielmehr sind es die Eigenschaften der sozialen Praktiken selbst, die diese Offenheit und Veränderbarkeit herbeiführen und den beteiligten Akteur dazu zwingen und es ihm ermöglichen, mit ihnen geschickt umzugehen. Die Kontingenz der sozialen Praxis muss also in irgendeiner Form reduziert werden. Die Unberechenbarkeit wird durch vier verschiedene Eigenschaften ausdifferenziert, die eine Offenheit und mögliche Modifizierungen herbeiführen (vgl. ebd.): Der Vollzug von Praktiken ist immer auch mit Unsicherheiten behaftet. Das praktische Wissen (vom Akteur mobilisiert) kann unter Umständen keine Antworten auf sämtliche Kontexteigenschaften (1) bieten. Die Kontextualität, die auch vor allem im Fokus der Ethnomethodologie steht, bezieht sich auf die Situativität, in der vieles routiniert bewältigt wird. Die Situativität involviert Umstände, die durch Personen, Ereignisse oder Selbstreaktionen hervorgerufen werden. Dabei kann es vorkommen, dass sich dem Akteur vorerst keine Antworten aus dem eigenen Repertoire bieten (vgl. ebd.). Die Kontingenz des Kontextes kann somit Praktiken misslingen lassen oder sie zumindest bedrohen. In einem solchen Fall muss die Praktik modifiziert oder gewechselt werden. ››[D]ie Routine verbietet auf die Art die unendlichen Wiederholungen‹‹ (ebd., S. 295). Ein Exempel für einen solchen neuen Kontext wäre ein Aufkommen eines neuen Artefaktes, welches zum Partizipanden der Situation wird, dem
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noch keine eingespielte Praktik zugrunde liegt. Alte Wissenselemente können dann nicht mit einbezogen werden und müssen modifiziert werden.28 Mit der Eigenschaft des Kontextes ist die Zeitlichkeit (2) eng verknüpft. Sie erzwingt die Offenheit einer Routine und damit auch ihre potenzielle Veränderbarkeit. Die Eigenschaft der Zeitlichkeit besteht aus dem Moment der Zukunftsungewissheit und dem Moment der potenziellen Sinnverschiebung. Der Vollzug einer Praktik findet aus Sicht des Akteurs immer als eine Sequenz der Zeit statt und muss in jedem Moment neu routiniert, modifiziert oder hervorgebracht werden. Die Zeitlichkeit erzwingt durch die ständigen neuen Sequenzen ihrer Selbst eine Ungewissheit und somit auch ein Nicht-Wissen darüber, ob ein Handeln gelingt und wie die Praktik fortgeführt wird. Die Konsequenz ist ein ständiger Zwang zur schnellen Entscheidung, die in der Regel in Anbetracht des Kontextes und der beteiligten Akteure unter Handlungsdruck vollzogen werden muss (vgl. ebd., S. 295). Ein weiteres Moment liegt in der potenziellen Sinnverschiebung. Hier beschreibt die Zeitlichkeit eine Offenheit, in der Sinnverschiebungen ermöglicht werden. Durch die Dynamik der Praktiken und der Kontingenz der Situation gibt es wirklich identische Praktiken nur im Grenzfall. Praktiken besitzen somit ein hohes Potenzial für Verschiebungen im Bedeutungsgehalt und dies immer in Abhängigkeit ihres benötigten Wissens und des Kontextes (vgl. ebd.). Die Veränderungsoffenheit hängt drittens mit einer Verkoppelung von Praktikkomplexen (3) zusammen. Praktiken können nicht isoliert oder diskret betrachtet werden. Für die Analyse betont Reckwitz (2003), dass es für die gesellschaftstheoretische Weiterentwicklung wesentlich ist ›››Makro‹-Aggregate‹‹ (ebd., S. 295) zu rekonstruieren. Diese Komplexe der Praktiken lassen sich unter zwei Aspekten betrachten: Entweder treten diese Komplexe als ››soziale Felder‹‹ (ebd.) oder als ››Lebensformen‹‹ (ebd.) auf. Entgegen sozialen Feldern bezeichnen Lebensformen ein bestimmtes Milieu oder eine kulturelle Klasse, die eine gesamte Lebens- oder Alltagszeit der Beteiligten strukturieren. Soziale Felder bezeichnen Praxiskomplexe, die durch eine inhaltliche Kohärenz als zusammengehörig betrachtet werden können und aufeinander abgestimmt sind. Obwohl auch in dieser Arbeit Makro-Aggregate rekonstruiert werden können, sollen sie hier mit Blick auf den Aspekt der Lebensformen als eine Art Mikro-Komplexe bezeichnet werden, da sie in Bezug auf den Kontext eher situativ als in einer übergreifenden Struktur rekonstruiert werden können. Ein soziales Feld ist ein Konglomerat von Praktiken. Einerseits werden sie miteinander verknüpft, andererseits unterscheiden sie sich in den Anforderungen an das praktische Wissen. Sie sind immer sachlich miteinander verbunden, können aber auch in Konkurrenz zueinander stehen (z. B. Praktiken des Forschens, Lehrens etc.). Wegen der sachlichen Verknüpfung ist es möglich, dass Praktiken in verschiedenen Feldern vorkommen (vgl. ebd.). Dann verfolgen sie unterschiedliche Logiken und bieten interpretative Mehrdeutigkeiten. Dazu können zum Beispiel Praktiken des Lernens im Kontext der Schule oder in der Privatsphäre zählen.29
28 Ansonsten könnte es auch vorerst außer Acht gelassen werden, weil es als irrelevant für die Bewältigung der Situation angesehen wird. 29 Reckwitz (2003) beschreibt bspw. auch Praktiken der Selbstoptimierung.
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Als letzte wesentliche Eigenschaft der Logik der Praxis wird die Überschneidung und Koppelung verschiedener Wissensformen (4) innerhalb eines Akteurs bezeichnet. Reckwitz (2003) benutzt den philosophischen Begriff des Subjekts, weil für ihn dieser wesentlich stärker ist als der Begriff des Akteurs. Das Subjekt bildet die ››Quelle von Unberechenbarkeit und kultureller Innovation‹‹ (ebd., S. 296). Im Subjekt sind unterschiedliche, heterogene Formen des praktischen Wissens inkorporiert, welche in der Lebensführung zum Einsatz gebracht werden. Die individuellen Erfahrungen, die gemacht werden, fungieren als verschiedene Wissensformen. Darunter fallen Formen wie das Wissen darüber, wie man etwas erklärt, welche Wahl man wie zu treffen hat oder wie Werte eingehalten und Probleme gelöst werden können. Dieser Prozess entsteht aus einer praktischen Notwendigkeit und wird durch das inkorporierte praktische Wissen ermöglicht bzw. bewältigt. Die heterogenen Wissensformen rufen eine praktische Notwendigkeit hervor, um mit jeweiligen Sinngehalten kreativ umzugehen und so auch Transformationen zu ermöglichen. Schütz und Luckmann (1979) beziehen sich mit den Strukturen der Alltagswelt ebenfalls nicht auf die pragmatische Organisation des Alltags, sondern auf die übergeordnete Ebene der Wissensbestände und Relevanzstrukturen. Auch bei Schütz und Luckmann (1979) werden Wissensbestände aus der alltäglichen Erfahrung konstituiert, die universell und konkret tätigkeitsbezogen einsetzbar sind (vgl. ebd., S. 138ff.).30 Aus der Sicht der Praxistheorie ist es, wie bereits erwähnt, nicht die Individualität des Subjekts, worin sich die Eigensinnigkeit begründet, vielmehr ergibt es sich ››aus der praktischen Notwendigkeit, mit verschiedenartigen Verhaltensroutinen und deren heterogenen Sinngehalten umzugehen‹‹ (Reckwitz, 2003, S. 296). Die Ausgestaltung der Praxistheorie geschieht in der Analyse der Sozialwelt und durch die Kritik an der theoretischen Rationalisierung (zweck-rationales Handeln) sowie der Intellektualisierung (formal-explizite Normen). Diesen Diskursen setzt die Praxistheorie eine Materialisierung, Informalisierung und eine Routinisierung entgegen. ››Dadurch dass die Praxistheorie die kulturelle Kontingenz und informelle Heterogenität sozialer Praktiken, ihre potenzielle Veränderbarkeit und damit auch die Modifizierbarkeit nur vorgeblich allgemeingültiger Eigenschaften des Subjekts, von Normen und Interessen betont, dadurch dass sie die Offenheit und Unberechenbarkeit der sozialen Praxis, ihre Kontextualität, Zeitlichkeit und lose Gekoppeltheit hervorhebt, weist sie umgekehrt auf ein ›anarchisches‹ Element der Praxis hin […]‹‹ (ebd.).
Gleichzeitig kommt es durch die Abschwächung des Akteurs, oder wie Reckwitz (2003) betont, des Subjekts, zu einer gleichzeitigen Aufwertung des Körpers, ››der Artefakte und des vorbewussten Wissens zugunsten von ›übersubjektiven‹ Prakti30 Schütz und Luckmann (1979) geben in ihren Ausführungen in Bezug auf das Routine- und Gewohnheitswissen von Fertigkeiten einen theoretischen Grenzfall zu bedenken. Dies wäre der Fall, ››in dem inhaltlich bestimmte Formen von Routinewissen für jeden einzelnen verschieden wären: Also was Routine für mich ist, wäre für jeden anderen ›problematisch‹ und umgekehrt‹‹ (ebd., S. 144). Dieser Grenzfall bezieht sich jedoch hauptsächlich ››als das auf das gewohnheitsmäßige Funktionieren des Körpers bezogene Wissen‹‹ (ebd.).
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ken‹‹ (ebd.). Durch die Betonung der subtilen Kompetenzen, der mannigfaltigen Praktiken und des impliziten Know-how, die in den alltäglichsten Techniken zu finden sind, zeigen sich deutliche Parallelen zu der Praxeologie von Bourdieu, Giddens oder Garfinkel (vgl. ebd.). Diskussion Die hier konstruierte Brille mit praxeologischem Label offenbart ein Erkenntnisinteresse, welches sich aus einer Theoriesynthese von Reckwitz generiert. Als Grundelemente hervorgehoben werden sollen die Materialität von Praktiken (hier vor allem die Betonung der Körperlichkeit), die Routinisiertheit und gleichzeitige Unberechenbarkeit sowie eine implizite Logik. Es sollen nun zunächst die vorgestellten Perspektiven, die zur Grundlegung des Verständnisses beschrieben wurden, einander gegenübergestellt und deren Übereinstimmungen und Abweichungen dargestellt werden. Im Anschluss werden weitere Themenkomplexe aus der hier dargestellten Theorie sozialer Praktiken näher beleuchtet und diskutiert. Folgende Agenda wird dabei aus den vorherigen Ausführungen abgeleitet: 1. 2. 3. 4.
Ein Vergleich von Schatzki, Bourdieu und Reckwitz, das Spannungsfeld zwischen Repetitivität und Innovation, der Stellenwert der Artefakte und das Verhältnis zwischen den Diskursen und den Praktiken.
Mit dem Fokus auf die praxeologischen Forschungsperspektiven zu Beginn dieses Abschnitts gilt es die Frage zu klären, worin sich die Aussagen von Schatzki, Bourdieu und Reckwitz genau unterscheiden bzw. nicht unterscheiden? Theodore Schatzki unterscheidet im Vergleich zu Reckwitz zunächst analytisch zwischen einer sozialen Ordnung, die Artefakte und Körper mit einbezieht, und den sozialen Praktiken.31 Diese Unterscheidung wird bei Reckwitz nicht eindeutig vollzogen. Sowohl Reckwitz als auch Schatzki halten das praktische Verstehen und den praktischen Vollzug für zentral. Beide sind der Ansicht, dass Praktiken situativ hervorgebracht werden und in einem engen Zusammenhang mit dem jeweiligen Kontext stehen. Dort werden sie produziert und reproduziert. Das Moment der Kreativität ist im Akteur verankert. So ist es, um beim Beispiel zu bleiben, der Busfahrer, der entscheiden kann, wie kreativ die Praktik des Busfahrens gestaltet wird. Wesentlich ist allerdings, dass er sich dabei in der sozialen Ordnung des Busfahrens bewegt und
31 Stock (2011) verdeutlicht dies anhand der Praktik des Busfahrens. Der Bus, die Haltestellen, die Ticketautomaten oder die Straße werden nicht als Bestandteile der Praktik deklariert. Vielmehr handelt es sich um arrangierte Entitäten, die es ermöglichen zu einer sozialen Ordnung zu gehören. Somit bilden die arrangierten Entitäten den Kontext für die Praktik des Busfahrens. Innerhalb dieses Kontextes werden soziale Praktiken überhaupt erst ermöglicht. Der Kontext, die beteiligten Akteure und die vorhandenen Artefakte beeinflussen die Praktik und ermöglichen sie dadurch auch erst (vgl. ebd., S. 18ff.).
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nicht außerhalb dieser, ansonsten würden andere Entitäten hinzugezogen werden, um die Ordnung und den Kontext neu zu erschließen.32 Die sozialen Praktiken sollen demnach im Vollzug erfolgen und auf soziales Verständnis treffen, um eine Anschlussfähigkeit zu gewährleisten und damit auf Erwartungen zu treffen bzw. Erwartungen zu erfüllen. Das jeweilige Arrangement der Situation lässt die Akteure erkennen, worum es geht und aktiviert dadurch Wissen bei den Teilnehmern der Situation (skillful performances). Das tatsächliche Wie, also die theoretische Einbindung der Akteure dahingehend, wie sie Praktiken hervorbringen und reproduzieren, also implizites Wissen aktivieren, bleibt unklar. Es wird in den Ausführungen nicht deutlich, bei welchem Wissen es sich um explizites und bei welchem es sich um implizites Wissen handelt. Schatzki ist in seinen Ausführungen konkreter, aber auch bei ihm ist es vage, wie Körper und Artefakte eingebunden werden. Die Unterscheidung von Routine und Gewohnheit wird, trotz des Verweises auf das Habitus-Konzept, nicht vollzogen. Dies wurde in dieser Arbeit anhand der Ergänzungen durch Bongaerts geleistet. Es geht dabei primär nicht um die Routinen der Akteure, sondern um die Muster in der Gesellschaft und somit eher um Repetitivität. Es ist weiterhin deutlich geworden, dass Bourdieus Begriff der Praktik sich nur schwer mit der Ansicht von Schatzki und Reckwitz vereinen lässt. Die strukturelle Sicht Bourdieus, mit der er unter Praxis das Gegenstück zur theoretisierenden Sicht der WissenschaftlerInnen sieht, distanziert sich von konkreten Interaktionssituationen. Somit würde Bourdieu, bezogen auf das Busbeispiel, eher das Was oder das Warum als das Wie in den Fokus stellen und hinterfragen. Weiter würde er die Frage stellen, welcher Zusammenhang zwischen Habitus und dem Fahrstil bestünde oder welche Typen von Menschen überhaupt den Beruf des Busfahrers ausübten. Bourdieu liefert jedoch auch durchaus Parallelen zu Schatzki und Reckwitz, indem er das implizite Wissen (bei ihm vergleichbar mit dem Habitus) und den hohen Stellenwert der Körperlichkeit in den Fokus rückt. Der praktische Sinn von Bourdieu zeigt ebenfalls Parallelen auf und erleichtert das Verständnis der Tätigkeiten im Vollzug. Bourdieu konkretisiert dies mit dem Gespür von Akteuren für ein angemessenes Handeln in konkreten Interaktionssituationen. Nach diesem kurzen Vergleich der zentralen Vertreter, mit Fokus auf der Verwendung und dem Verständnis von sozialer Ordnung und der situativen Hervorbringung von Praktiken in unterschiedlichen Kontexten unter der Voraussetzung eines praktischen Verständnisses, sei darauf verwiesen, dass sich im Rahmen dieser Arbeit an die Theoriesynthese von Reckwitz angelehnt wird. Im nächsten Themenkomplex wird der Frage nach dem Spannungsfeld zwischen den zwei Seiten der Logik nachgegangen: Repetitivität versus Innovation von sozialen Praktiken. Diese beiden Pole der Logik der Praxis bezeichnen ein Potenzial, ››das nicht über eine vorpraktische Autonomie der Subjekte, sondern über die Kontextualität, die Zeitlichkeit und die Agonalität der Praktiken begründet wird‹‹ (Reckwitz, 2003, S. 297). Die Agonalität bezeichnet in diesem Zusammenhang eine Möglichkeit der kontextuellen Revidierung oder Modulation von vorhandenen oder gekonnten 32 Das Busfahrerbeispiel mit dem Fokus auf den Busfahrer soll hier nur der Veranschaulichung dienen. Davon zu unterscheiden wären sicherlich Praktiken des Kontrollierens von Fahrausweisen oder Praktiken des Busfahrens als Passagier.
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Praktiken. Die jeweiligen Pole tendieren zum einen zu einer unendlichen sozialkulturellen Reproduktion, welche vor allem von Bourdieu vertreten wird, und zum anderen zu einer unendlichen, kulturellen spielerischen Offenheit, die Garfinkel vordergründig vertritt. Reckwitz (2003) betont in Bezug auf dieses Spannungsfeld, dass ››eine ausgearbeitete Theorie sozialer Praktiken […] die Bedingungen genauer spezifizieren [müsste], unter denen eine Reproduktion bzw. eine Modifikation von Praktiken wahrscheinlich wird‹‹ (ebd., Herv. i. O.). Stock (2011) gibt weiterhin zu bedenken, dass die Begriffe repetitiv und routinisiert in der Praxistheorie nicht differenziert genug verwendet werden und verweist auf die Unterschiedlichkeit der Begriffe. Ein repetitiver Moment äußert sich dadurch, dass eine Praktik immer wieder in einer gewissen Kultur (innerhalb einer Gesellschaft oder in einem Teilbereich einer Gesellschaft) vollzogen wird und immer wieder auftritt. Eine Praktik ist somit repetitiv, wenn sie räumlich, zeitlich und von den Akteuren losgelöst zu beobachten ist. Routinisiert hingegen verweist auf einen anderen Aspekt – ››auf den (menschlichen) Akteur, der bestimmte Tätigkeiten wiederholt ausführt‹‹ (ebd., S. 11).33 Die Repetitivität präsentiert sich durch Routinen. In dieser Angelegenheit muss eine notwendige Unterscheidung von Repetitivität und Routine erfolgen. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass Reckwitz (2003) ausdrücklich den ››routinisierten Strom der Reproduktion‹‹ (ebd., S. 294) beschreibt. Die Repetitivität wird nach Schatzki als Muster der Reproduktion bezeichnet. Somit lässt sich keine trennscharfe Abgrenzung zwischen den Begriffen ziehen, da auch wiederholende Tätigkeiten auf ursprünglich bewusste Handlungen zurückgreifen und unter einer bewussten Kontrolle stehen und immer wieder, auch vom Kontext losgelöst, Verwendung finden. Reckwitz geht jedoch nicht tiefer auf den Begriff der Routine ein. Bongaerts (2007) schlägt in dieser Diskussion zunächst die Klärung von Routine und Gewohnheit vor. Eine Auseinandersetzung darüber ist oben bereits geleistet worden. Er verdeutlicht, dass die unterschiedlichen Tätigkeitsmodi Kreativitätspotenziale bilden, die eben nicht einer mechanischen Regelbefolgung zugrunde liegen (vgl. ebd., S. 249). In der Theorie sozialer Praktiken bleibt es jedoch offen, durch welche Tätigkeitsmodi Wissen tatsächlich angeeignet wird. Die Kreativitätspotenziale zeigen sich in der Kontingenz der Situationen und der Involvierung der Partizipanden. Bongaerts (2007) unterstreicht dies wie folgt: ››Soziale Ordnung kann nur aus der mikrosozialen Abstimmung bezüglich nie identischer Situationen erfasst werden. Die Abstimmung erfolgt dabei weitgehend automatisch auf der Basis eines impliziten Wissens, das den Akteuren durch ihre körperliche Sozialisation zuhanden (eben nicht vorhanden) ist‹‹ (ebd., S. 249). Gebauer und Wulf (1998) formulieren das Wissen um die Repetitivität und die Innovation ebenfalls. Für sie wird es durch die Teilnahme in be33 Sicherlich gibt es Praktiken, die routinisiert von den Akteuren vollzogen werden können. Aber dies ist nicht für jede Praktik der Fall. Stock (2011) vergleicht dies mit der Praktik des Heiratens. Hier wird in den meisten Fällen wohl keine routinisierte Praktik vollzogen und doch kennen die Akteure, vor allem das Ehepaar, die Heirat als Praktik und die damit verbundenen Aktivitäten. Sie werden jedoch nicht routinisiert vollzogen, obwohl die Akteure der Hochzeit (Gäste, Ehepaar, etc.) die Handlungen als typischen Vollzug der Praktik der Hochzeit verstehen (vgl. ebd., S. 11f.).
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stimmten Situationen angeeignet. Was sie ausschließen, was in dieser Arbeit jedoch einen wesentlichen Aspekt einnimmt, sind die Brüche in Interaktionen und die Verwendung von Routinen. Gebauer und Wulf (1998) formulieren dies nah am Habitus mit dem Begriff der Mimesis: ››Mimetisch sind soziale Akte nur dann, wenn sie 1. Bewegungen sind, die auf andere Bewegungen Bezug nehmen; 2. als körperliche Aufführungen betrachtet werden können, die also einen Darstellungs- und Zeigeaspekt besitzen, und 3. sowohl eine eigenständige Handlung sind, die aus sich selbst heraus verstanden werden kann, als auch auf andere Akte und Welten Bezug nimmt‹‹ (ebd., S. 11-12).
Deutlich wird in dieser Ansicht der Zeigeaspekt durch die körperliche Darstellung. Durch die Darstellung werden Praktiken sozial relevant und ermöglichen (provozieren) Anschlusshandlungen. Mit Schmitt (2009) lassen sich drei Elemente zur Konzeption des Wissens in der praxistheoretischen Perspektive konstatieren. Zunächst gilt die Annahme, dass es gemeinsame Kriterien zur Beobachtung von Routinisiertheiten gibt, die sich als kollektive Wissensvorräte beschreiben lassen.34 Weiterhin ist es die Öffentlichkeit der Hervorbringung und Bewertung von sozialen Praktiken und schließlich die Einschreibung der Wissensformen in den menschlichen Körper und in den Artefakten, die ››zur Stabilisierung und zum Öffentlichkeitscharakter der Praktiken‹‹ (ebd., S. 91) beitragen (vgl. ebd.). Soziale Praktiken werden durch ein implizites praktisches Wissen und Verstehen ermöglicht. Die Handlungen der Akteure orientieren sich ››wie schlafwandlerisch am Ablauf des Handelns der anderen‹‹ (Alkemeyer, Brümmer, Kodalle & Pille, 2009, S. 11). Durch den nötigen und oft sozial geteilten Wissensbestand ist ein blindes Verstehen möglich, welches nur durch die Teilnahme im Feld ermöglicht wird.35 34 An dieser Stelle lässt sich auch von einem vorreflexiven Erfahrungswissen sprechen, welches zwar Unterscheidungen, jedoch kaum eine genaue Benennung zulässt. Knoblauch (2008b) verdeutlicht dies mit den Grüntönen des Laubes im Wald, die man sehr wohl unterscheiden, aber nur schwer benennen kann (vgl. ebd., S. 135). Während im Bildungssystem hauptsächlich Formen des expliziten Wissens vermittelt werden, muss für das tatsächliche Handeln bzw. den Vollzug von Praktiken implizites Wissen vorhanden sein. Dieses Wissen ist in hohem Maße kollektiv verankert und enthält u. a. die Typisierungen von Dingen und Abläufen, die für den eigenen Vollzug konstitutiv sind. Knoblauch (2008b) verdeutlicht dies wie folgt: ››Zwar müssen wir zumindest implizit ›wissen‹, was ein Baum ist, um ihn abzusägen, was ein Eis ist, um es zu essen, und was ein Auto ist, um es fahren zu können, allerdings müssen wir dieses Wissen keineswegs selbst erworben haben: Der Baum wurde uns auf einer Photographie gezeigt, das Eis wurde uns als Sahne angeboten, und das erste Auto haben wir in einem Bilderbuch gesehen‹‹ (ebd., S. 135-136). Das verfügbare Wissen ist somit nicht allein aus eigenen Erfahrungen entstanden, sondern zu einem Großteil aus der Vermittlung durch andere, weshalb an dieser Stelle von einem ››gesellschaftlichen Wissensvorrat‹‹ (ebd., S. 136, Herv. i. O.) gesprochen werden kann. 35 Mead (1973) verdeutlicht diese Orientierung aneinander mit einem Beispiel aus dem Boxen: ››Der Mann, der eine Finte setzt, löst einen bestimmten Schlag seines Gegners aus. Diese seine eigene Handlung hat für ihn diese Bedeutung, d. h. er hat in gewissem Sinn die
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Alkemeyer et al. (2009) verweisen aber auch auf die Problematik dieser Orientierungen und können deshalb für die Begründung der Innovation und Kreativitätspotenziale der sozialen Praktiken hinzugezogen werden. ››Selbst dann, wenn ihr Handeln und die Abstimmung zwischen den einzelnen Tätigkeiten klar geregelt oder durch Choreographien, Raumordnungen, zeitliche Vorgaben, Organisation und Technik festgelegt zu sein scheinen, bleiben formal nicht geregelte Leerstellen und Spielräume, die von ihnen ad hoc mit entsprechenden Handlungen ausgefüllt werden müssen‹‹ (Alkemeyer et al., 2009, S. 7-8).
Die Praxistheorie ist in dieser Hinsicht zweifach materialisiert. Zum einen ist sie körperlich verankert, wodurch die Tätigkeiten im Vollzug für die Konstitution des Geschehens in den Blick geraten. Zum anderen sind es die Dinge aus der Umwelt, mit denen sich körperlich befasst wird. Nachdem das Spannungsfeld zwischen Repetitivität und Routinisiertheit nun näher beleuchtet wurde, wird im dritten Themenkomplex der Stellenwert der Artefakte behandelt. Ihnen wird für die Struktur und Reproduktion von Praktiken eine konstitutive Bedeutung zugeschrieben. Somit schreiben beispielsweise die Medientheorien oder die Technikforschung den Artefakten – innerhalb sozialer Praktiken – einen mehr oder minder gleichberechtigten Status gegenüber den menschlichen Akteuren zu. Sowohl der Körper als auch die Artefakte sind Bestandteile der Materialität sozialer Praktiken die mit Bezug auf die Logik der Praxis situationsadäquat ein Know-how hervorbringen. Reckwitz (2003) betont, dass es weiterhin ein Kernproblem bleibt, wie in dieser Betrachtung der Transfer der Konzepte des praktischen Wissens und Verstehens auf nicht-menschliche Träger vollzogen wird (vgl. ebd., S. 298). An dieser Stelle verdeutlicht Reckwitz (2004b), dass Praktiken durch eine ››kognitive Ordnung eines sozialen Wissens‹‹ (ebd., S. 44) inkorporiert und in den Artefakten verankert sind. Praktiken generieren sich somit aus der Verwendung von Artefakten, durch das ihnen inhärente Wissen und das Wissen des Akteurs über die situationsangemessene Verwendung des Artefakts (vgl. ebd., S. 44f.). Die vierte relevante Frage gilt dem Verhältnis zwischen den Diskursen und den Praktiken. Diskurse bezeichnen nach Foucault ein ››historisch spezifisch codiertes Aussagesystem‹‹ (Reckwitz, 2003, S. 298). Foucaults (2013) Verständnis der Diskurse verweist auf soziale Arrangements, in denen Wissen, Ansichten und Vorstellungen über gewisse Institutionen gestaltet sind und sich entwickeln. Foucault (2013) analysiert vor allem in medizinischen, psychologischen und sexologischen Diskursen die Tiefenstrukturen, um die ››Archäologie des Wissens‹‹ (ebd.) freizulegen. Diskurstheorien versuchen daher zu beschreiben, wie sich Folgen von Äußerungen unterschiedgleiche Handlung in sich selbst ausgelöst. Sie schlägt nicht eindeutig durch, doch er hat jene Zentren in seinem Zentralnervensystem erregt, die ihn veranlassen würden, den gleichen Schlag wie sein Gegner anzubringen, so daß [sic] er die gleiche Reaktion, die er im anderen auslöst, auch in sich selbst auslöst oder wenigstens dazu neigt, es zu tun. Das ist die Basis der sogenannten Nachahmung. Der Prozeß [sic], den wir so oft in Verbindung mit Sprechgewohnheiten, Kleidung und Haltung anderer Menschen beobachten können, ist von dieser Art. Wir sehen uns mehr oder weniger unbewußt [sic] so, wie andere uns sehen. Wir wenden uns unbewußt [sic] so an uns, wie sich andere an uns wenden‹‹ (ebd., S. 108).
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licher Art konstituieren oder auch wie sich über Diskurse einer Gesellschaft bemächtigt werden kann (vgl. ebd., S. 193ff.). Die Praxistheorie verändert den Status der Diskurse. Für die Praxistheorie sind sowohl interobjektive Praktiken wie ››Techniken des Selbst ebenso sehr soziale Praktiken, wie es kommunikativ-zeichenverwendende Praktiken sind – sie alle sind für die Reproduktion des Sozialen gleichermaßen verantwortlich‹‹36 (Reckwitz, 2003, S. 298). Für die Praxistheorie gilt der autonome kulturelle Code dieser geregelten sprachlichen Aussagesysteme nicht. Ein Diskurs ist hier nichts anderes als eine ››spezifische soziale Praktik‹‹ (ebd.). In der Anwendung in bestimmten Kontexten wird diese als ein Aussagesystem rezipiert und produziert. Der Diskurs aus Sicht der Praxistheorie ist somit situativ und kontextuell und lässt sich nicht als objektive Bedeutung rekonstruieren. Dabei kann erst ››die Rekonstruktion des kontextuellen Gebrauchs von diskursiven Aussagesystemen […] für die Praxistheorie klären, welche Bedeutung dem Diskurs im Wissen der Teilnehmer zukommt‹‹ (ebd.). Ähnlichkeiten offenbaren sich jedoch insofern als das auch die kollektiven Wissensbestände kulturell sedimentiert sein können und die Kontextualität (bspw. in Institutionen) eine übergeordnete Macht ausübt, die bestimmte Praktiken erfordert oder auch verbietet. Trotz der aufgeführten Kritikpunkte wird mit den AdvokatInnen der praxistheoretischen Sichtweise die Ansicht vertreten, dass praxistheoretische Ansätze einen vielversprechenden Zugang zum Gegenstand darstellen. Die Praxistheorie leitet ››einen quasi-ethnologischen Blick auf die Mikrologik des Sozialen an‹‹ (ebd.). Dieser quasi-ethnologische Blick auf die Fremdheit, die Kontingenz des scheinbar Selbstverständlichen sowie der impliziten Logik des scheinbar Fremden, bietet ein vielversprechendes Rampenlicht auf das Soziale, dem wohl doch kein Antagonismus zugrunde liegt.
E INE L ESART
FÜR DIE
(S PORT -)U NTERRICHTSFORSCHUNG
Was bedeutet es, einen praxeologischen Blick im schulischen Kontext auf Handlungen zu entwickeln und praktisches Wissen herauszuarbeiten? Mit Bezug auf den Sportunterricht in der Schule ist es in einem ersten Schritt sinnvoll, eine Ganzheitlichkeit des Gegenstandes zu erschließen und auf die Heterogenität der bestimmbaren Alltagspraktiken zu übersetzen. Im Kontext der Schule wären dies (wohlgemerkt auf unterschiedlichen Ebenen) Praktiken der Interaktion, Praktiken des Unterrichtens oder der Unterrichtsorganisation, Praktiken des Selbst oder weitere informelle Logi36 Die Techniken des Selbst orientieren sich an dem Konzept von Foucault (2007), der darunter einen bildenden Aspekt versteht. Grundsätzlich beschreibt dieses u. a. den Vollzug von Praktiken am Selbst. Darunter lassen sich sowohl situative Verhaltensformen fassen als auch Modifikationen oder Operationen am eigenen Körper (vgl. ebd., S. 76). Vergleichbar ist dies mit der Darstellung einer Rolle, die durch Verhaltensweisen und durch körperliche Operationen dargestellt wird. Diese Aspekte zeigen zu den Taktiken der Selbstdarstellung nach Goffman (2009a) Parallelen auf (vgl. ebd., S. 60f.). Die Techniken des Selbst sind in diesem Zusammenhang nicht gleichzusetzen mit der oben von Alkemeyer et al. (2009) genannten Technik. Darunter wurde eher eine Kontextgestaltung in Form von Geräten oder Maschinen (Artefakten) verstanden.
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ken. Sowohl LehrerInnen, SchülerInnen als auch weitere Partizipanden bedienen sich dieser Praktiken, lösen diese aus oder begrenzen sie und müssen immer in ihrer Gesamtheit betrachtet werden. Das Erkenntnisinteresse der Theorie sozialer Praktiken insistiert auf der Materialität des Geschehens. Bezogen auf den menschlichen Körper besteht eine Praktik aus bestimmten routinisierten Bewegungen und Aktivitäten des Körpers. ››In der ›materiellen Verankerung in den mit inkorporiertem Wissen ausgestatteten Körpern […] und in den Artefakten‹ gewinnen die Praktiken auch ihre Reproduzierbarkeit in Zeit und Raum‹‹ (Breidenstein, 2006, S. 17). Insofern sind Praktiken nicht wie das Handeln interessen- oder normgeleitet, sondern wissensbasiert. Selbst anscheinend banale Praktiken setzen beim Träger ein praktisches Wissen voraus. Dieses Wissen wird als implizites Wissen bezeichnet, welches nicht oder nur zu geringen Teilen durch den Träger explizierbar ist. Somit handelt es sich dabei nicht um ein ››Aussagewissen (knowing-that), sondern [um] ein Durchführungswissen (knowing-how)‹‹ (ebd.) – dies unterstreicht auch den hohen Stellenwert der Routinen. Eine Praktik besteht nicht aus intentionalen Einzelhandlungen, sondern ist ein routinisierter ››Strom der Reproduktion sozialer Praktiken‹‹ (Reckwitz, 2003, S. 294). Nach dieser Darstellung einer auf implizitem Wissen beruhenden und – wenn überhaupt – nur teilweise verbal explizierbaren Offenlegung der Praktiken stellt sich die Frage danach, wie solche Praktiken erforscht werden können. Hirschauer (2004) beschreibt, dass sich die Praktiken nicht hinter einem Phänomen verstecken, sondern an der Oberfläche liegen (vgl. ebd., S. 73). Eine Analyse der Praxis mit diesem Begriff hat nicht zum Ziel Sinnstrukturen oder Bedeutungen zu rekonstruieren, sondern legt den Fokus auf die beobachtende Entdeckung der Praktiken. Ein erster Schritt liegt damit in der Identifizierung der Praktiken, der sich die Analyse der jeweiligen Praktik anschließt. Letztendlich rekonstruiert die Analyse die Logik der Praktiken, um das immanente Funktionieren zu beobachten. ››Man kann davon ausgehen, dass diese vielgestaltigen und fragmentarischen Aktivitäten bestimmten Regeln gehorchen – Aktivitäten, die von der Gelegenheit und vom Detail abhängig sind, die in den Apparaten, deren Gebrauchsanweisungen sie sind, stecken und sich verstecken und die somit keine Ideologie oder eigene Institutionen haben. – Anders gesagt, es muss eine Logik dieser Praktiken geben‹‹ (de Certeau, 1988, S. 17 zitiert nach Breidenstein, 2006, S. 18).
Aus dieser praxeologischen Perspektive ergibt sich ein neuer Blick auf den schulischen und somit auch sportunterrichtlichen Alltag. Die Theorie sozialer Praktiken analysiert den Schulalltag in seiner Eigendynamik und als ein Bündel aufeinander bezogener, verschlungener Praktiken. Mit der Perspektive der Theorie sozialer Praktiken werden die Kompetenzen des Körperlichen untersucht, ››die in die Handhabung der Unterrichtssituation eingehen und die Ausführung der unterrichtlichen Aktivitäten‹‹ (Breidenstein, 2006, S. 18) bestimmen. Diese Perspektive unterscheidet sich fundamental vom sozialpsychologischen Blick auf soziale Handlungsprozesse.37 Er37 Eine praxistheoretische Unterrichtsforschung fokussiert weder eine sogenannte InputOrientierung noch eine Output-Orientierung (vgl. Breidenstein, 2006, S. 19). Eine Inputorientierung betrachtet die Unterrichtsinhalte und Unterrichtsgegenstände sowie die Einstel-
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neut mit Goffman (1971a) gesprochen: ››Es geht hier also nicht um Menschen und ihre Situationen, sondern eher um Situationen und ihre Menschen‹‹ (ebd., S. 9). ››Die am schulischen Geschehen Beteiligten sind in der Regel in jahrelangen gemeinsamen Interaktionsgeschichten aufeinander bezogen, sei es im Verband der Schulklasse oder im Lehrerkollegium oder in der Lehrer-Schüler-Interaktion. Der schulische Alltag ist durchzogen von Routinen und Ritualen, von aufeinander abgestimmten Verhaltensmustern, die als solche noch kaum analysiert sind‹‹ (Breidenstein, 2006, S. 18-19).
Das wesentliche Interesse, welches mit der praxistheoretischen Perspektive verfolgt wird, ist es, eine Performanz des sportunterrichtlichen Alltags herauszuarbeiten. Der Fokus liegt auf dem situativen und praktischen Vollzug von Sportunterricht und dessen inhärenten Praktiken, aus denen er sich zusammensetzt: Bewegungen, Positionierungen, Signalisierungen, Ansprachen etc. In diesem Zusammenhang müssen auch immer die jeweiligen Partizipanden wie die Sporthalle, Gerätearrangements, Materialien, Feldlinien etc. mitbedacht werden. Eine Analyse der Praktiken verdeutlicht die kulturellen Codes des – sportunterrichtlichen – Alltags und zeigt, wie die Partizipanden auf einer implizit körperlichen Ebene das Sportunterrichtsgeschehen am Laufen halten und somit ständig soziale Ordnung herstellen und aufrechterhalten.
lungen von Lehrpersonen. Eine Sicht auf die Output-Orientierung würde die Fertigkeiten der SchülerInnen – die Kompetenzen – in Augenschein nehmen und SchülerInnenleistungen im Sinne der Leistungsmessung betrachten.
Abb. 1: Grundelemente der Theorie sozialer Praktiken (i. A. a. Reckwitz, 2003; 2012).
Implizite Logik
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Praktiken und ihr situativer Vollzug
Zu Beginn der Darstellung der Theorie sozialer Praktiken wurde bereits angedeutet, ob die Praxistheorie nicht etwas versucht zu konzeptualisieren, was die Handlungstheorien nicht ohnehin schon praktizieren. Um die Position zu verdeutlichen, wird im Folgenden zunächst näher auf die Verortung des Sozialen in der Praxistheorie eingegangen, um im Anschluss die Anwendung und die Zusammenhänge vom praktischen Wissen, der Praxis und der Situation sowie den Tätigkeiten im Vollzug zu verdeutlichen. Vor diesem Hintergrund gilt es schließlich einen erziehungswissenschaftlichen Transfer herzustellen. Im situativen Vollzug von Tätigkeiten wird eine Klärung vollzogen, wie die Akteure in der Praxis ihre Praktiken aufeinander bezogen (re-)produzieren und welches Wissen im Kontext (Situationen) dafür benötigt wird.1 Hörning (2004) stützt sich auf einen breiteren Praxisbegriff, als es viele andere praxistheoretische Ansätze tun. So will er versuchen den diversen Entfaltungsmöglichkeiten des praktischen Wissens gerecht zu werden. ››[P]raktisches Wissen ist mehr; es geht aus jener konkreten menschlichen Tätigkeit hervor, die wir ›Praxis‹ nennen. ›Praxis‹ steht allgemein für jenes Handeln bzw. jenen gesellschaftlichen Prozess, mit bzw. in dem Menschen sich die Bedingungen ihrer historisch vorgefundenen Wirklichkeit aneignen und sie transformieren‹‹ (ebd., S. 27).
Praxis wird als ein Tun, als eine Verwirklichung im Vollzug, angesehen und nicht als ein an sein Ende kommen, worin sich ein Produktcharakter illustriert. Soziale Praktiken werden als das Medium angesehen, wodurch Verstehen und Einsicht befördert werden und sich komplexes praktisches Wissen entfalten kann. 1
Der Begriff der Praxis ist ein durchaus besetzter und in der Soziologie und Philosophie viel diskutierter Begriff. Hörning (2004) befasst sich ausführlich mit dieser Diskussion und plädiert für einen breit gefassten Praxisbegriff, damit eine Verkürzung des Wissens auf das Hintergrundwissen der Praktiker vermieden wird (vgl. ebd., S. 27ff.). Eine soziologische Sichtweise bezeichnet den Praxisbegriff zunächst relativ einfach als eine Verstärkung des alltäglichen Tuns und hinterfragt das Praktische nicht weiter, weshalb es oft mit einer Alltäglichkeit gleichgesetzt wird. Die Philosophie hingegen unterscheidet zwischen der Praxis und der Poiesis. Praxis bezeichnet in einer allgemeinen Sichtweise die Verwirklichung eines Zweckes im Tun (vgl. ebd.). Die Poiesis hingegen beschreibt einen Prozess der Herstellung, eines Hervorbringens und legt damit den Schwerpunkt auf einen ››Zweck außerhalb des eigentlichen Tuns‹‹ (ebd., S. 27, Herv. i. O.), bspw. auf ein hergestelltes Produkt.
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Um den situativen Vollzug zu gewährleisten, indem die Wirklichkeit angeeignet oder transformiert wird, bilden die sozialen Praktiken ››[t]he site of the social‹‹ (Schatzki, 2002). Die sozialen Praktiken sind der Ort, an dem das praktische Wissen hervorgebracht, angewendet und transformiert wird. Seinen Ausdruck findet das praktische Wissen in gemeinsamen kulturellen Wissensbeständen, die individuell durch die Akteure angeeignet werden, aber immer schon kollektiv verfügbar sind und sich durch die Tätigkeiten der Subjekte in die Körper einschreiben, wodurch sie wiederum einen Rahmen dafür bilden, wie Dinge, die einer Praktik angehören, interpretiert und genutzt werden können.2 Für die Hervorbringung von Praktiken lassen sich zwei Denkfiguren konzipieren, die einander bedingen und beeinflussen. Dabei handelt es sich zum einen um die Situation und zum anderen um das Wissen. Diese beiden Denkfiguren werden im weiteren Verlauf näher erläutert und in Beziehung zueinander gesetzt. ››Eine Situation ist nicht lediglich der begrenzende oder ermöglichende Rahmen, in dem ich meine vorgefassten Handlungsintentionen und Ziele mehr oder weniger eindeutig realisiere, indem ich situative Bedingungen und situativ verfügbare Mittel einsetze. In einer Situation (ergebnis-)offenen Handelns spielt sich mehr ab‹‹ (Hörning, 2004, S. 30).
Situationen sind somit nicht nur ein Rahmen, in dem Praktiken ermöglicht werden, sie sind gleichsam auch ein fordernder Rahmen für den Vollzug bestimmter Praktiken. Für die Klärung von Tätigkeiten im Vollzug erfolgt hier eine Antwort auf die Frage, wie sich der Vollzug gestaltet. Im Vollzugsgedanken muss bedacht werden, was einer Handlung vorausgeht und was ihr folgt, damit sie überhaupt entsteht. Durch die Teilnahme von weiteren Akteuren wird erkannt, was man gerade zu tun bzw. zu lassen hat und welches Handeln gerade angebracht oder nicht angebracht erscheint. Der Vollzug angemessenen Handelns bringt einen Handlungsfluss hervor, indem die Anschlusshandlungen der anderen Akteure mit einfließen und diesen wiederum konzipieren. ››Handlungen sind dann eher Antworten auf Situationen, die Fragen aufgeworfen haben‹‹ (ebd., Herv. i. O.). Die Betonung liegt dann vor allem auf dem Zusammenhandeln bzw. dem Lernen vom Anderen und der gemeinsamen Entwicklung von Anschlüssen – die Akteure vollziehen eine skillful performance. Situationen sind für Hörning (2004) nicht konstitutiv für das Handeln. Handlungen spiegeln nicht die Situation wieder, sondern Handlungskontexte lösen Handlungen aus. Die ausgelösten Handlungen lassen sich dann als Antworten verstehen, die sich auf Fragen aus der Situation ergeben haben. Die Antworten konstituieren sich aus den kollektiven Wissensbeständen der Akteure. Die Definition der Situation, auf die im weiteren Verlauf noch vertieft eingegangen wird, beschreibt eine Art Einschätzung der Konstellation, unter Zugriff auf bereits vorhandenes praktisches Wissen. Das Wissen spielt für die Einschätzung der Situation eine wichtige Rolle. Mit dem Rückgriff auf Erfahrungen und auf bereits bekannte Bedingungen werden Handlungen abgerufen, die eine Situation am Laufen halten, oder anders formuliert: Anschlusshandlungen werden ermöglicht und sogar provoziert. Dieser fordernde Rah2
Das kollektive Wissen ist historisch-spezifisch und somit nicht universell – es ist ein ››local knowledge‹‹ (Reckwitz, 2003, S. 292).
P RAKTIKEN
UND IHR SITUATIVER
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men zeigt auch, dass es nicht ohne weiteres möglich ist, sich einer Situation zu entziehen. Die Akteure können erwarten, dass alle Teilnehmer annähernd ähnliche Wissensbestände vorweisen, die darauf verweisen, was man gerade zu tun oder zu lassen hat. Sollte dies nicht der Fall sein, kommt es zu einer neuen Orientierung in der Situation oder gegebenenfalls zu einer Modulation der verwendeten Wissensbestände.3 Vollziehen wird sich dieser Prozess wohlgemerkt wieder an dem Handlungskontext. Goffman fügt sich in diese Argumentationskette ein, wenn er vom ››Rahmungswissen‹‹ (Willems, 1997, S. 51) und vom ››key‹‹ (Goffman, 1977, S. 55) spricht. Durch die Beobachtung und Teilnahme an den Praktiken werden von den Akteuren Anschlusshandlungen (re-)produziert. Die Produktion von Anschlusshandlungen funktioniert jedoch nicht nur aufgrund der geteilten Wissensbestände, vielmehr ist es das praktische Verständnis für passende Praktiken, welches ››impliziten Handlungskriterien‹‹ (Hörning, 2004, S. 23, Herv. i. O.) unterliegt. Die jeweilige Handlung des Gegenübers wird mit Anschlusshandlungen beantwortet, womit sozusagen eine Erwartungserfüllung eintritt und gleichzeitig wieder die Setzung einer Erwartung formuliert wird. Es ergibt sich ein ››Ensemble‹‹ (Goffman, 2009a, S. 80ff.), das unter der Prämisse der gemeinsam geteilten Wissensbestände, oben bereits als skillful performance bezeichnet, zu einer Reduktion von Kontingenz beiträgt. Diese skillful performance verweist auf die übergreifenden Wissensbestände und vorhandenen Schemata zur Interpretation der Situation. Die konkrete Entstehung des Know-how wurde allerdings noch nicht vertieft behandelt (vgl. Schulz-Schaeffer, 2010, S. 323ff.). Das zugrunde liegende Wissen ist prinzipiell nicht unzugänglich. Die Annahmen darüber, welches Verhalten gerade richtig ist und für die Situation angemessen erscheint, generieren sich aus einem Deutungsrepertoire und durch die Situation formulierten Vorannahmen (Erwartungen) oder erneut mit Schatzki gesprochen, der practical intelligibility. Damit findet kein Rückgriff auf ein Regelwissen statt, welches man für die Erklärung von Handlungen hinzuziehen könnte, vielmehr ist es ein praktisches Verständnis. Eingeschliffene Fähigkeiten oder auch Kriterien entscheiden darüber, welche Handlung als unpassend oder passend deklariert wird. Diese Fähigkeiten werden gerade in Situationen des Bruches einer Interaktion sichtbar, weil dann (von den Akteuren) die Kriterien hinzugezogen werden, um den Handlungsfluss neu einzuschätzen und Anschlusshandlungen zu setzen, die auf das stillschweigende Verständnis der Teilnehmer stoßen (vgl. Hörning, 2004, S. 22f.). Die Einschätzung einer Situation und eine Kompetenz zur Interpretation diverser Praktiken der teilnehmenden Akteure zeigen, dass die Kreativität und das Potenzial von Praktiken in den Praktiken liegen und nicht allein im Subjekt verankert werden. Entscheidend ist ebenfalls, dass durch Modulationen eine stetige Weiterentwicklung des praktischen Wissens und Könnens möglich ist. Der von Reckwitz (2003) formulierte routinisierte Strom der Reproduktion sozialer Praktiken kann in sozialen Situationen nicht durchgehend aufrechterhalten werden. Der gleichförmige Ablauf aufeinander bezogener und eingeschliffener Handlungsroutinen kann auch einmal nicht passend erscheinen. In solchen Situationen zeigt sich die bereits beschriebene Offenheit der Praktiken, indem Alternativen herangezogen werden, um die Situation aufrecht zu halten. In diesem Modus der sozia3
Solche Potenziale liegen in der bereits erwähnten Kontingenz, die Missverständnisse hervorbringen kann und in der Folge eine Bearbeitung erfordert.
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len Praktiken zeigen sich wieder die zwei Seiten der Logik: Routinisiertheit und Unberechenbarkeit. Erst die Vereinigung beider Seiten lässt eine Spezifizierung der Bedingungen zu, unter denen das Know-how präsentiert wird. Kurz zusammengefasst: Die Theorie sozialer Praktiken interessiert sich für das Hervorbringen von Denken und Wissen im Handeln und nicht für das Vorwissen und noch weniger für das präsente Bewusstsein der Beteiligten. Für die Hervorbringung von Denken und Wissen ist der jeweilige Kontext ausschlaggebend – die Situation. Dieses Element soll vertiefend behandelt werden, um zu verdeutlichen, wie Anschlusshandlungen der Akteure zustande kommen, die auf dem Wissen der Akteure beruhen.
D EFINITION
DER
S ITUATION
Die Orientierung der Akteure in sozialen Situationen erfolgt durch die inkorporierten kollektiven Wissensbestände, welche zum einen durch die jeweilige Rahmung und zum anderen durch das Rahmungswissen der Akteure präsent werden. Diese Präsenz wirkt sich allerdings noch nicht allein auf die individuellen Einstellungen oder Erwartungen der Akteure aus. In Interaktionssituationen ist es deshalb notwendig, dass die Akteure die Situation, in der sie sich befinden, definieren (interpretative Vermittlung), sozusagen einen Handlungskontext herstellen (vgl. Schubert, 2009, S. 354). In Anlehnung an Thomas (1965) beschreibt Schubert (2009), dass ››objektive Werte‹‹ (ebd., S. 354, Herv. i. O.) von den teilnehmenden Subjekten durch interpretative Handlungen erschaffen werden. Diese können als stabil, aber dennoch als veränderbar für die Bedeutung in Handlungssituationen angesehen werden.4 Thomas (1965) führt die Definition der Situation wie folgt aus: ››Die Situationsdefinition ist eine notwendige Voraussetzung für jeden Willensakt, denn unter gegebenen Bedingungen und mit einer gegebenen Kombination von Einstellungen wird eine unbegrenzte Vielzahl von Handlungen möglich, und eine bestimmte Handlung kann nur dann auftreten, wenn diese Bedingungen in einer bestimmten Weise ausgewählt, interpretiert und kombiniert werden und wenn eine gewisse Systematisierung dieser Einstellungen erreicht wird, so dass eine von ihnen zur vorherrschenden wird und die anderen überragt‹‹ (ebd., S. 85).
Soziale Ordnung lässt sich also nicht nur auf die subjektiven Intentionen zurückführen und auch objektive Strukturen können allein nicht gelten, weil sie subjektiv differenziert wahrgenommen werden. Eine eindeutige Zuordnung scheint im Rahmen sozialer Ordnung nicht möglich zu sein, denn auch individuelle Handlungen können einen Teil objektiver sozialer Regeln und Normen, Rituale, Traditionen oder Routinen ausmachen. Diese bilden für die Akteure stabile Handlungserwartungen, die solange
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Hier wird der Unterschied zum triebtheoretischen und instinktiven Handeln deutlich, weil dort das individuelle Bewusstsein eine Handlung oder eine mögliche Handlung bestimmt. Somit können Einstellungen einen sozialen Charakter besitzen. Die individuelle Interpretation allgemeiner Normen bildet die eigenen Ziele und Erwartungen heraus.
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aufrechterhalten bleiben, bis ein Problem auftritt. In problematischen Situationen5 hilft weder die Orientierung an objektiven noch an subjektiven Werten oder Intentionen, um Handlungssicherheit zu erlangen. Die Bewältigung von Kontingenz, der Verweis auf kollektives Wissen und die Bemühung um Anschlüsse in der Interaktion müssen neu ausgehandelt werden, mit dem Ziel der Konstitution und nicht der rational selektiven Auswahl von Wissen und Erwartungen. In problematischen Situationen ist das Handeln der Akteure schon auf konkrete Handlungsziele gerichtet, aber nicht mit der Intention der Realisierung eines dominierenden Rahmens, sondern, um die aktuelle Situation so zu definieren, dass die Interaktion im Gleichgewicht bleibt und fortgeführt werden kann. Die Aufrechterhaltung des Handlungskontextes ermöglicht es, weitere Handlungen anzuschließen. Goffman (1971a) beschreibt dies als ein Gleichgewicht in der Interaktionsordnung (vgl. ebd., S. 52f.). ››Universelle menschliche Natur ist keine sehr menschliche Natur. Durch ihren Erwerb wird der Mensch eine Art von Konstruktion, aufgebaut nicht nach inneren psychischen Neigungen, sondern nach moralischen Regeln, die ihm von außen auferlegt worden sind. Wenn diese Regeln befolgt werden, bestimmen sie die Selbsteinschätzung und die Bewertung anderer in der Begegnung, die Verteilung seiner Gefühle und seine verschiedenen Praktiken, die er anwenden wird, um eine spezifische und obligatorische Art rituellen Gleichgewichts aufrechtzuerhalten‹‹ (ebd., S. 52-53).
Goffman (1971a) orientiert sich an der Definition der Situation von Thomas (1965) und beschreibt die ständige Definition und Aushandlungen der Akteure. Wie bereits beschrieben, strahlt nach Goffman (2009a) jeder Akteur Informationen aus, die von den Teilnehmern der Interaktion wahrgenommen werden und zum Definitionsprozess beitragen (vgl. ebd., S. 5). ››Soziale Ordnungen und individuelle Ziele werden […] in symbolischen Interaktionssituation[en] definiert. Wenn Akteure (subjektive Welt) Objekte des Handelns (der objektiven Welt) symbolisch anzeigen und in der sozialen Situation eine Reaktion oder Interpretation (soziale Welt) auf den erhobenen Anspruch folgt, generalisieren sich Werte, Bedeutungen und Sinnzusammenhänge, die in signifikanten Symbolen ihren Ausdruck finden (symbolische Welt) […]‹‹ (Schubert, 2009, S. 356).
In Interaktionen befinden sich demnach vier ineinander verstrickte Welten. Zum genaueren Verständnis sollen im Folgenden die vier Welten kurz beschrieben werden. Die objektive Welt ist nicht auf eine Bewusstseinsstruktur zurückzuführen, sondern 5
Thomas (1965) beschreibt problematische Situationen auch mit dem Begriff der ››Krisen‹‹ (ebd., S. 288). Dieser wird von ihm sehr eng mit der ››Definition der Situation‹‹ (ebd., S. 63) verbunden. Auch Thomas (1965) wendet sich damit gegen eine, durch Normen definierte, normativistische Theorie und eine utilitaristische Theorie. Eine Theorie, die den Nutzen einer Situation definiert, setzt ebenfalls Rahmungen, um einen leitenden Gesichtspunkt zu definieren. Anhand dieses Gesichtspunktes, der den Ablauf der Situation modellhaft beschreibt, wird das weitere Handeln selektiv herauskristallisiert. Es wird deutlich, dass sich diese Vorstellung von sozialer Ordnung nicht mit einem pragmatischen Verständnis vereinbaren lässt (vgl. ebd., S. 84f.).
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generalisiert ihre Bedeutung durch die Definition und Interpretation von Objekten in der Interpretation zwischen den Akteuren (Partizipanden). Der Wert eines Objektes, in der Situation, entsteht durch den Gebrauch der Akteure, die sich auf das Objekt beziehen (vgl. ebd.). In der sozialen Welt entwickeln sich die Bedeutungen in Form von sozialen Rollen, Normen oder Strukturen. Die soziale Stellung der einzelnen Akteure und die Konstitution einer Situation definieren sich über die Anerkennung oder Ablehnung der Bedeutungsangebote aus der objektiven Welt. Dieser Aspekt ähnelt den angesprochenen ermöglichenden und fordernden Rahmen von sozialen Praktiken. Die Akteure können, aufgrund ihrer eigenen generalisierten Ansprüche, Verhaltenserwartungen antizipieren. Die Reaktionen der anderen Akteure können auch zu weiteren Erwartungshaltungen und Anschlusshandlungen motivieren, sodass soziale Ordnung als Emergenzphänomen betrachtet werden kann und nicht als kausaler Wirkungszusammenhang (vgl. ebd.). Wie oben deutlich wurde, sind Interaktionen mit Kontingenzen behaftet. Daraus folgt, dass in allen Interaktionssituationen Handlungskonflikte entstehen können, die einer Aushandlung bedürfen. Diese Aushandlungen ergeben sich, weil Interaktionssituationen nicht allgemein zu determinieren sind. Eine allgemeine Determinierung ist durch die Präsenz der Kontingenz nicht möglich, obwohl kollektive Wissensbestände und die Routinisiertheit der Praktiken Aushandlungen reduzieren oder verkürzen. Die eigenen Perspektiven der Akteure auf die soziale und objektive Welt helfen dabei, in Handlungskonflikten Entscheidungen zu treffen und das eigene Handeln zu koordinieren. In dieser Auseinandersetzung entstehen nicht nur soziale Ordnung, sondern auch die Bedeutungen der subjektiven Welt (vgl. ebd.) Die kollektiven Wissensbestände aus den oben genannten Welten können durch signifikante Symbole zum Ausdruck gebracht werden. Soziale Praktiken gewinnen durch ihre Verweisstruktur einen eigenständigen Einfluss auf die Bedeutungen. Sie bilden eine Referenzstruktur für die Rahmung einer Situation. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass soziale Ordnung sich nicht als Gleichgewicht erschaffen lässt, welches zustande kommt, weil klare Zwecke verfolgt und ebenso eingelöst werden. Sie lässt sich nicht allein mit einem Nutzen definieren und auch nicht als übergreifender Wertehorizont aller beteiligten Akteure, die auf diesen zurückgreifen können, bestimmen. Soziale Ordnung wird als Definitionsprozess – als ein Richtig-Feststellen – verstanden, der sich aus Wissensbeständen speist und der auch kreative Handlungsprozesse beinhalten kann. Betrachtet man nun aber Institutionen, beispielsweise die Schule, greift die erste Annahme, dass innerhalb von Institutionen nach stabilen Zielen und Handlungsregeln gehandelt wird. Es wurde jedoch bereits deutlich, dass gesellschaftliche Prozesse nicht allein intentional zu klären sind. Somit müssen auch in Institutionen, sowohl auf der makro- als auch auf der mikrosoziologischen Ebene, ständig Ziele und Handlungsregeln ausgehandelt bzw. erkannt werden, wobei die Materialität von Praktiken, die kollektiven Wissensbestände und die Routinisiertheit zu einer Reduzierung oder Verkürzung von Aushandlungen beitragen können. Zu beachten ist allerdings, dass der Prozess der Aushandlung im sozialen Kontext nicht die einzige Möglichkeit zur Fortführung des Handlungskontextes darstellt. Weitere Formen beispielsweise zur Erreichung eines Ziels wären die Manipulation oder das stra-
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tegische Handeln. Strauss (1978) betont, dass häufig auch unterschiedliche Mischverhältnisse auftreten (vgl. ebd., S. 11). Grundsätzlich lässt sich soziale Ordnung als ››negotiated order‹‹ (ebd., S. 5) beschreiben, als einen ››Prozess permanenter Reorganisation und Konstitution sozialer, subjektiver, objektiver und symbolischer Bedeutungen‹‹ (Schubert, 2009, S. 357).6 Mit Blick auf die Bedeutung der Aushandlungen zur Herstellung und Aufrechterhaltung von sozialer Ordnung gewinnen im schulischen Kontext beide Aspekte an Relevanz. Soziale Ordnung und die ständig stattfindenden Aushandlungsprozesse können nicht einseitig vollzogen werden, sondern immer nur zwischen allen beteiligten Akteuren und unter Einbezug der kontextuellen Gegebenheiten analysiert werden. Solche kontextuellen Gegebenheiten werden von Giddens (1988) mit dem Begriff ›››Kontext‹‹‹ (ebd., S. 123) bezeichnet, während Goffman (1977) in diesem Zusammenhang von der ››Situation‹‹ (ebd., S. 17) spricht.7 6
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Strauss (1978) entwickelte die Erkenntnistheorie des Symbolischen Interaktionismus weiter. Die Grundüberlegungen stammen von George Herbert Mead und wurden von Herbert Blumer ausdifferenziert (vgl. Blumer, 2004, S. 319ff.). Neben der Grounded Theory als fundierte Methodologie und empirischen Studien zu Interaktionsprozessen im organisatorischen Kontext, lässt sich diese Weiterentwicklung als Schwerpunkt und auch als Grundlage für das Erkenntnisinteresse der Arbeiten von Strauss beschreiben. Für die theoretische Weiterentwicklung des Symbolischen Interaktionismus schlägt Strauss (1978) den Begriff der ››negotiated order‹‹ (ebd., S. 5) vor. Damit verbindet Strauss die Betonung von Interaktionsprozessen und die Notwendigkeit der Herstellung von Bedeutungen struktureller Merkmale von Organisationen bzw. ››soziale[r] Welten‹‹ (Pfadenhauer & Sander, 2010, S. 368). Mit dem Begriff der sozialen Welt schließt Strauss an Alltagskonzepte an. Man spricht dann bspw. von einer Welt des Sports, die kleinste Einheiten des gesellschaftlichen Zusammenlebens beschreibt und gemeinsame Tätigkeiten, Ziele oder Sichtweisen definiert. Innerhalb einer solchen sozialen Welt finden immer wieder Aushandlungen (negotiations) statt, die als Ergebnis eine Ordnung erreichen (vgl. ebd.). Für Strauss (1978) bildet die Aushandlung den Kern der sozialen Ordnung. Einmal ausgehandelte Ordnungen müssen ständig weiterbearbeitet werden, woraus auch deutlich wird, dass die Aushandlungen an sich die Entstehung der sozialen Ordnung miterklären (vgl. ebd., S. 5). Somit können Organisationen oder Kulturen auch als permanente Aushandlungsnetzwerke bezeichnet werden, die durch das Handeln der Akteure konstituiert und transformiert werden können. Darüber hinaus erfasst Strauss weiterhin noch die sogenannten Subwelten, die über den Bereich der Organisationen hinausgehen und Typen sozialer Ordnungen hervorbringen (vgl. Keller, 2009, S. 72f.). Strauss geht weiterhin davon aus, dass solche Aushandlungen in widersprüchlichen oder konfliktreichen Situationen stattfinden und zu untersuchen sind. Dabei wird mehr auf größere Aushandlungsrahmen eingegangen wie etwa Verhandlungen zwischen Staaten oder Berufsgruppen. Offen bleibt jedoch, wie und mit welchen verbalen und nonverbalen Mitteln dies geschieht (vgl. ebd., S. 104f.). Wie bereits betont, wird der Fokus in dieser Arbeit auf die Mikroprozesse von Interaktionen im Sportunterricht gelegt, in denen neben den Partizipanden die verbalen und nonverbalen Aspekte eine prominente Rolle spielen. An dieser Stelle gilt es noch auf einen wesentlichen Kritikpunkt am Symbolischen Interaktionismus hinzuweisen. Der Ansatz des Symbolischen Interaktionismus geht davon aus, dass Bedeutungen auf der Basis von Aushandlungen erst hergestellt werden müssen,
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In pädagogischen Kontexten, dies belegt Zinnecker (1978), können SchülerInnentaktiken auftreten, die dazu dienen eine Unterrichtsordnung zu unterlaufen, womit Aushandlungsprozesse zwischen den Akteuren nicht vollzogen werden bzw. eine Form von Unterordnung herstellen (vgl. ebd., S. 102). Ähnliches beschreibt auch Hahn (1989), indem er darstellt, dass ein Konsens nicht aufgrund einer Verständigung zustande kommt, sondern ebenfalls durch den Verzicht auf Konsens. ››Was zählt, ist nicht, daß [sic] richtig verstanden wurde, sondern, daß [sic] irgend etwas verstanden wurde und daß [sic] man davon ausgehen kann, damit es weiter gehen kann‹‹ (ebd., S. 352, Herv. i. O.). Das Postulat des Symbolischen Interaktionismus, wonach Symbole, Handlungen und Situationen ihrer Bedeutung nach immer wieder neu ausgehandelt werden müssen, ist nach einer genaueren Betrachtung in sozialen Situationen für die Akteure aufwendig und komplex. Soziale Interaktionen bedienen sich vielmehr einer anderen Ökonomie, die es erlaubt unter Zugriff anderer Ressourcen, Situationen einzuschätzen und in ihnen zu handeln bzw. Anschlusshandlungen hervorzubringen und somit Handlungskontexte zu reproduzieren. Die Praxistheorie stellt die Materialität, die kollektiven Wissensbestände und die Routinisiertheit in den Fokus und rückt damit zunächst die interaktive Struktur vom Symbolischen Interaktionismus in den Hintergrund. Für die Praxistheorie erscheint die ››soziologisch gängige Gleichsetzung von ›Sozialität‹ mit ›Intersubjektivität‹ […] nicht plausibel‹‹ (Reckwitz, 2003, S. 292). Eine praxeologische Sichtweise bestreitet jedoch nicht, dass es nicht auch zahllose Praktiken gibt, die eine interaktive Struktur besitzen und somit der Aushandlung bedürfen (vgl. ebd.). Dies gilt jedoch nicht für alle Praktiken, wodurch der Symbolische Interaktionismus nicht als generelle Definition des Sozialen hinzugezogen werden darf und an dieser Stelle die Theorie sozialer Praktiken argumentativ bekräftigt. Dieser Gedanke wird weiter unten mit den Überlegungen Goffmans zur Rahmenanalyse in Verbindung mit der Ethnomethodologie erneut aufgenommen und konkretisiert. Im Folgenden gilt es jedoch noch einmal vertieft auf das Wissen der Akteure – das Know-how – einzugehen um zu klären wie die Bedingungen aussehen, unter denen Wissen hervorgebracht wird.
P ERFORMANZ Wie bereits erwähnt entfalten sich im gemeinsamen Zusammenleben Kriterien und Maßstäbe angemessenen Verhaltens, die dem Handeln der Akteure Richtung und Anschluss vermitteln. Genau in diesem Aspekt liegt die Crux des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses der Theorien sozialer Praktiken. Es stellt sich die Frage, wie man dieses Know-how der Beteiligten zum Vorschein bringt. Hörning (2004) plädiert dafür, dass man ›››Praxis‹ selbst als jenen ›Ort‹ ernst nehmen [sollte], in dem Verstewodurch eine gemeinsame Symbol- und damit auch Handlungsgrundlage geschaffen wird. Die ständigen Aushandlungen im Symbolischen Interaktionismus können im Alltag von den Akteuren nur in Ausnahmesituationen vollzogen werden. Eine ständige neue Aushandlung von Bedeutungen wäre in sozialen Situationen, aufgrund der Dauer, Komplexität und Dynamik, kaum denkbar.
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hen und Einsicht der Akteure hervorgebracht wird und in dem kulturelle Repertoires der Deutung und Bedeutung eingespielt werden‹‹ (ebd., S. 20, Herv. i. O.). Durch die Fähigkeiten der Akteure zur Einschätzung und Lösung von Situationen entfalten sich Maßstäbe, die eine Orientierung für das gemeinsame Handeln geben. Beispielsweise ist die Stimmigkeit im praktischen Handeln ein wichtiger Maßstab für das praktische Wissen. Dieses zeigt sich nicht nur im Tun, sondern auch im darauf bezogenen Sprechen. ››[D]oings that say something (usually about something)‹‹ (Schatzki, 2002, S. 72) kann damit auch umgedreht als sayings that do something formuliert werden. Darunter fallen sprachliche Äußerungen: ››things people do with their bodies‹‹ (ebd.), in denen auf allgemeine Erfahrungen oder Analogien und damit auf das Regelhafte zurückgegriffen wird.8 In einer solchen Gestaltung werden zwischen den Beteiligten immer auch kulturspezifische Wissenskontexte überschritten und miteinander in Verbindung gebracht. So bilden sich intersubjektive, gemeinsam geteilte Interpretationsschemata, die nur in der Situation ihren Ausdruck finden und nur in den Praktiken existieren. Das verwendete Wissen in der Situation unterliegt somit einer Flüchtigkeit, ohne verloren zu gehen. Damit wird die Frage nach den Bedingungen, unter denen das Wissen hervorgebracht wird, zu einer Frage nach der Performanz. Eine performative Perspektive an dieser Stelle einzubinden ist, mit dem Fokus auf erziehungswissenschaftlichen Kontexten, in vielfacher Hinsicht gewinnbringend und unterstützt die theoretische Hintergrundfolie der Theorie sozialer Praktiken. Eine performative Betrachtungsweise bezieht sich ››nicht vorrangig auf das in der Repräsentation Repräsentierte, sondern auf den Umgang mit der Repräsentation bzw. mit den Praktiken des Repräsentierens [Herv. D.W.]. Mit der Idee, Prozesse der Interaktion und dramaturgische Handlungsvollzüge sowie Körperlichkeit und Materialität von Gemeinschaften und pädagogischen Prozessen in den Mittelpunkt zu rücken, ist weder der Versuch verbunden, das Besondere der spezifischen Situation nur als Ausdruck des historischen und kulturellen Allgemeinen (eines bestimmten Textes) zu verstehen, noch das Allgemeine als unabdingbare und ausschließliche Größe des Besonderen zu begreifen. [….] Ein performatives Verständnis als methodische Vorgehensweise […] zielt auf beobachtbare Regelmäßigkeiten, die die Bedingungen der Möglichkeit wie der Unmöglichkeit sozialen Handelns als Wiederholungen oder Veränderungen beinhalten‹‹ (Wulf & Zirfas, 2007, S. 9, Herv. i. O.).
Im Fokus der performativen Betrachtungsweise steht, wie in der Theorie sozialer Praktiken dargelegt, nicht das Bewusstsein oder intentionale Aspekte, sondern das Beobachtbare. Das Performative bezeichnet gleichermaßen das Gelingen, Scheitern und die Veränderbarkeit von sozialen Prozessen, wodurch immer wieder neue soziale 8
Solche allgemeinen Erfahrungen verweisen auf generalisierte Situationen (general understanding) von denen man denkt, dass man sie nicht allein erlebt hat oder andere sich zumindest mit ihren Erfahrungen dort hineinversetzen können. Markante Beispiele hierfür können Begrüßungssituationen in verschiedenen Kontexten sein: Die beste Freundin wird im Wartezimmer eines Arztes anders als beim zufälligen Aufeinandertreffen in der Fußgängerzone begrüßt. Trotzdem sind die unterschiedlichen Abläufe der Begrüßung ritualisiert, gegenseitig anerkannt und erwartbar.
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Wirklichkeiten entstehen können (vgl. Wulf et al., 2001, S. 12). Auch Wulf und Zirfas (2007) betonen den Prozesscharakter und die Tätigkeiten im Vollzug im Rahmen von Interaktionssituationen (vgl. ebd., S. 17). Die performative Betrachtung verweist weiterhin auf die Körperlichkeit, die Materialität und öffnet ebenfalls mit der dramaturgischen Gestaltung von Handlungsvollzügen eine Schnittstelle zu Goffman sowie der Theoriesynthese von Reckwitz. ››Diese sichtbaren Aspekte werden als Performanz, als das Was, bezeichnet. Im Gegensatz dazu erfasst Performativität, die der Performanz zugrunde liegenden Muster und Regeln; das Wie wird das Was inszeniert‹‹ (Grimminger, 2012, S. 105, Herv. i. O.). Performative Praktiken bezeichnen nach Wulf und Zirfas (2007) u. a. sprachliche Handlungen, ritualisierte Abläufe oder inkorporierte Stile, die auf der Wie-Ebene durch die BeobachterInnen beschreibbar werden (vgl. ebd., S. 11; vgl. Gebauer & Wulf, 1998, S. 145). Die Performativität hinterfragt nicht die Wirklichkeit, sondern sieht sie, wie die Theorie sozialer Praxis, ebenfalls als bereits gegeben an und betont die gemeinsame konstitutive Hervorbringung durch wiederholte, veränderte und (re-)produzierte Praktiken mit einem verbindlichen Charakter in der Interaktionssituation. Auch hier werden gemeinsame Definitionen vorausgesetzt, die im Rahmen der sozialen Ordnung Anschlusshandlungen verbindlich machen. ››Pädagogische Performativität akzentuiert die Interaktivität der Handlungen, den körperlichmimetischen Nachvollzug, das In-Szene-Setzen und Rahmen pädagogischer Prozesse, liminale Situationen, in denen sich Übergänge vollziehen und die Zeitlichkeit resp. die Ereignishaftigkeit der Vollzüge. In der pädagogischen Performativität geht es weniger darum, was eine (pädagogische) Handlung bedeutet und von welchen Intentionen, Hoffnungen oder Befürchtungen sie begleitet ist, noch darum, was eine Handlung eigentlich ist, als vielmehr darum, was sie zeigt, wie sie sich vollzieht, wie sie in die Wirklichkeit eingreift und diese verändert und welche Spuren und Konsequenzen sie hinterlässt‹‹ (Wulf & Zirfas, 2007, S. 31, Herv. i. O.).
Die pädagogische Performativität umfasst zwei Momente, die es erleichtern den Begriff zu fassen und ihn auch auf pädagogische Kontexte mit der Hintergrundfolie der Theorie sozialer Praktiken anzuwenden: der körperlich-mimetische Nachvollzug und die Ereignishaftigkeit des Performativen. Diese werden im Folgenden skizziert. Wulf und Zirfas (2007) stellen die These auf, dass sich die Performativität pädagogischer Handlungen in mimetischen Prozessen vollzieht. ››Diese sind Prozesse der kreativen Nachahmung, die sich auf Vorbilder und an den Handlungen anderer ausrichtet. Mimetische Prozesse vollziehen sich größtenteils unbewusst. [….] Mit Hilfe dieser mimetischen Prozesse erfolgt die Herausbildung eines praktischen, handlungsrelevanten Wissens, einer körperlichen Hexis und eines leiblichen Habitus‹‹ (ebd., S. 31).
Die mimetischen Beziehungen, also eine Art Nachahmung oder Angleichung von Handlungen, sind dafür verantwortlich, dass kollektiv geteiltes Wissen schließlich kollektive Praktiken produziert und so zur Reproduktion der sozialen Ordnung beiträgt (vgl. ebd.). Hier lassen sich ebenfalls enge Parallelen zu den Ausführungen über die Theorie sozialer Praxis ziehen. Die dort angesprochene skillful performance und die relative Offenheit finden sich in der Materialität von Praktiken. Auch dort wird auf kollektives Wissen zurückgegriffen. Die vollzogenen Handlungen werden durch
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die teilnehmenden Akteure in der Situation gedeutet und zielen dabei auf eine Eindeutigkeit ab, um erstens auf Verständnis und Erwartungen der anderen Akteure zu treffen und zweitens Anschlusshandlungen dieser zu ermöglichen. Somit wird durch das praktische Verstehen und die daraus resultierende skillful performance der Akteure, in sozialen Situationen, eine Reduzierung von Kontingenz vollzogen. Ein weiteres zentrales Merkmal der mimetischen Prozesse ist die Bewegung. Durch die körperliche Darstellung verweisen Praktiken auf sich selbst, auf andere eigenständige Handlungen und auf relevante Arrangements. Ihnen sind Aspekte des Zeigens und Verweisens inhärent. Wulf und Zirfas (2007) weisen darauf hin, dass nicht-körperliche Akte wie Entscheidungen, reflexhaftes oder routiniertes Verhalten und einmalige Handlungen nicht mimetisch sind (vgl. ebd., S. 32). Damit wird ein weiteres Mal der Schwerpunkt auf das Sozial-verständliche, die Anschlussfähigkeit und das Beobachtbare gelegt. Wie ausgeführt wurde, beinhalten soziale Praktiken jedoch sehr wohl einmalige aus kreativen Prozessen entstandene Handlungen oder auch routinisierte Handlungen. Das Verhalten wird in der Argumentation von Wulf und Zirfas (2007) jedoch vorrangig sinnhaft verstanden. Mimetische Prozesse werden, durch ihren Darstellungsaspekt und den Ausschluss von einmaligen Handlungen, rituellen Akten zugeschrieben. Wobei auch hier, wie in der Theorie sozialer Praktiken, betont wird, dass praktisches Wissen die Grundlage in rituellen Inszenierungen bildet, das sich nicht auf Intentionalität reduzieren lässt und kulturell geprägt ist (vgl. ebd.). Rituelle Inszenierungen verweisen in ihrem Kontext auf sich wiederholende Handlungen, die auch verändert werden können, aber durch ihre rituelle Gestaltung und den inhärenten symbolischen Mehrwert einmalige Handlungen marginalisieren. Praktiken werden in alltäglichen Interaktionssituationen hingegen mit der relativen Offenheit konfrontiert und schließen deshalb Routinisierung und Unberechenbarkeit gleichermaßen mit ein. Damit geht ebenfalls einher, dass die Kontingenz in der Situation, außerhalb ritueller Inszenierungen, zunimmt, während sie innerhalb ritueller Inszenierungen nicht verschwindet, jedoch reduziert wird. Das zweite Moment der pädagogischen Performativität ist die Ereignishaftigkeit, wodurch der Aspekt der Tätigkeiten im Vollzug noch einmal herausgestellt wird. Mit diesem Moment wird die zeitliche Dimension berücksichtigt. Wulf und Zirfas (2007) beschreiben die Ereignishaftigkeit als etwas Beobachtbares. Das Ereignis ist somit nicht im Subjekt und in seiner Intentionalität verankert, sondern zeigt sich im Vollzug. Bei der Beobachtung des Ereignisses postulieren Wulf und Zirfas (2007) methodische Konsequenzen. Die Ereignishaftigkeit wird durch eine Vergegenwärtigung der Praktiken im Vollzug bestimmt. Die BeobachterInnen extrahieren das Geschehen aus dem zeitlichen Fluss, um es ››intensiver erleben zu können‹‹ (ebd., S. 32-33). Ihnen geht es darum, ››so genau wie möglich nachzuvollziehen, wo die Handlungen […] anknüpfen, wie sie sich fortsetzen oder von was sie sich absetzen, und wodurch sie ggf. unterbrochen werden. Es gilt, das Ereignis der Pädagogik jenseits der subjektiven Intentionalität […] zu verstehen‹‹ (ebd., S. 33). Mit dem mimetischen Nachvollzug und der Ereignishaftigkeit sind zwei wesentliche Momente deutlich geworden, die Begründungen für eine Verknüpfung der pädagogischen Performativität und der Theorie sozialer Praktiken liefern. Es wurde bereits der Hervorbringung von Wissen und dem situativen Vollzug von Tätigkeiten auf den Grund gegangen; dies gilt es nun noch einmal herauszustellen.
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Die Frage nach den benötigten Bedingungen, um Wissen und Können zum Ausdruck zu bringen (die skillful performance zu vollziehen), kann mit dem notwendigen Rahmungswissen beantwortet werden. Goffman (1977) schlägt hier mit seiner Rahmenanalyse eine Brücke zwischen der Situationsdefinition und der Interpretationskompetenz. Mit Hilfe der Rahmenanalyse rücken die Handelnden in einen übersituativ existierenden Bedeutungsrahmen. Goffman (1977) beschreibt in seinen Analysen alltägliche Bedeutungsrahmungen, die stillschweigend anerkannt werden, ähnlich dem stillschweigenden Verständnis der Teilnehmer bei der Hervorbringung von Anschlusshandlungen. Gleichzeitig können Interpretationen auch gesteuert werden, indem man jemanden dazu bringt einen bestimmten Bedeutungsrahmen zu verwenden, der Absichten und Handlungen sozial normalisiert und gleichzeitig die eigene Darstellung ermöglicht. Zu fragen wäre an dieser Stelle, wer die situative Rahmungsmacht konkret im Sportunterricht besitzt und wie sie zum Vorschein gebracht wird. Im Folgenden wird der situative Vollzug sozialer Praktiken einer performativen Lesart unterzogen. So spielt beispielsweise die Körperlichkeit auch bei Goffman eine prominente Rolle. Weiterhin wird diese Perspektive, die vor allem Interaktionsrituale in den Fokus stellt, mit den Momenten der pädagogischen Performativität auf den erziehungswissenschaftlichen Kontext übersetzt. Im weiteren Verlauf der Arbeit und darauf aufbauend wird ein methodischer Zugang anhand der Rahmenanalyse eröffnet.
E IN ERZIEHUNGSWISSENSCHAFTLICHER T RANSFER Soziale Beziehungen zwischen Menschen und ihrer Umwelt sind vor allem durch ihre Körperlichkeit geprägt und lassen sich so als szenische Aufführungen performativen Handelns verstehen und erkennbar machen (vgl. Wulf, 2008, S. 337).9 In solchen Rahmungen fallen den Teilnehmern der Interaktion verschiedene Aufgaben zu, dies wurde auch schon in den Ausführungen über Goffman deutlich. Es zeigen sich jedoch einige Unterschiede in der Identität der Rahmungen. Innerhalb sozialer Praktiken zeigen sich durch ihren ludischen Charakter aufeinander bezogene Elemente, die spontaner oder kreativer Natur sein können, deren Emergenz jedoch nicht so einfach zu identifizieren ist. Wulf (2008) betont, dass solche szenischen Aufführungen in pädagogischen Gemeinschaften aus spezifischen Elementen bestehen, die nicht ohne weiteres ausgetauscht oder verändert werden können. Wulf, Göhlich und Zirfas (2001) unterstreichen diese Ausführungen und benennen das Ritual als die wichtigste Form performativen Handelns (vgl. ebd., S. 13). Das Ritual leitet sich aus körperlichen Inszenierungen und Aufführungen ab, denen verschiedene Handlungen vorgeschaltet werden können, wodurch eine rituelle Aufführung erkennbar wird. Durch die Aufführung der Körper in der Interaktion entsteht ei9
Wulf et al. (2001) forschten mit einer umfangreichen Arbeitsgruppe im Berliner Innenstadtbezirk über die Erziehungs- und Sozialisationsfelder Familie, Schule, Kinder- und Jugendkultur und Medien. In der Berliner Ritualstudie wird vor allem die Bedeutung von Ritualen und Ritualisierungen für Gemeinschaften in Erziehung und Bildung fokussiert (vgl. u. a. ebd.).
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ne soziale Situation. Goffman beschreibt diese mit einer vollständigen räumlichen Umwelt, in der auch weitere Interaktionsteilnehmer automatisch zum Bestandteil werden. Eine soziale Situation endet, sobald ››die zweitletzte Person den Schauplatz verläßt [sic]‹‹ (Goffman, 1971b, S. 29). Dass solche sozialen Situationen durch die verschiedenen Akteure auch unterschiedlich gedeutet werden können, scheint selbstverständlich. Durch die Teilnahme am Ritual bildet sich eine gemeinschaftsbildende Wirkung, sozusagen ein Verweisungszusammenhang und die Akteure der sozialen Situation sind dazu aufgefordert (nach Goffman sogar verpflichtet), die Interaktion und damit auch die soziale Situation aufrechtzuerhalten. Das Ritual beinhaltet in seiner Gegenwart einen Bedeutungsüberschuss, der den Akteuren in seiner Gesamtheit verborgen bleibt. ››[S]ie [die Rituale; Anm. D.W.] tragen nicht nur zur Aufrechterhaltung einer Ordnung bei, sondern ermöglichen darüber hinaus auch ästhetische Erfahrungen und moralische Entwicklungen […]‹‹ (Rabenstein & Reh, 2010, S. 73). Zur Inszenierung einer (schulischen) Gemeinschaft gehört eine Rahmung, die erkennen lässt, dass es sich um diverse Zusammenhänge handelt. Dabei können neben Partizipanden, auch Handlungen im Voraus ablaufen, die einen Hinweis für das Verständnis des Rituals geben. Darunter fallen zeremonielle Arrangements oder vollzogene Sprechhandlungen – ››How to do things with words‹‹ (Austin, 1962). Der Inszenierungs- und Aufführungscharakter von Ritualen ist ein wesentlicher Unterschied zu Alltagshandlungen. Durch Rituale können in Gruppen Grenzen gezogen werden, durch die sie sich von anderen Akteuren oder Gruppen für den Moment differenzieren. Solche Grenzziehungen können auch spontan verlaufen und müssen nicht ständig bestehen, sondern können auch permeabel für einige Akteure sein, die der Gruppe angehören sollen. Der jeweilige Verweisungszusammenhang und Verpflichtungscharakter innerhalb des Rituals wird erkannt, wenn auch nicht völlig erschlossen, weil das Wissen durch kollektive Wissensbestände bereits vorhanden ist. Die Durchführung solcher ritueller Handlungen bedarf performativer Äußerungen, um verschiedene Szenen zu bilden. Durch das Herstellen solcher Szenen, die nicht nur durch den menschlichen Körper, sondern auch durch Arrangements gebildet werden, entwickelt sich ein Ensemble, das in seiner Gesamtheit eine rituelle Ordnung konstruiert. Die Körper der Akteure können durch ihre Bewegungen Macht, Nähe, Distanz, Annäherungen, soziale Haltungen und Beziehungen zum Ausdruck bringen und dadurch einen wesentlichen Beitrag zur Definition der Situation beitragen.10 Dieser figurative Charakter bewirkt eine bessere Möglichkeit für die Akteure sich an die Situationen zu erinnern, wodurch eine Wiederholung des Rituals leichter fällt – gewissermaßen durch eine Aktivierung kollektiver Wissensordnungen. Die Performanz bildet ihren Schwerpunkt auf einer konstituierenden Seite durch den Körper. Dies zeigt sich schon durch die Verwendung von Sprache im Handeln. Der performative Charakter des Körpers bezeichnet somit ››Sprache als Handlung und soziales Handeln als Inszenierung und Aufführung‹‹ (Wulf, 2008, S. 339). Daraus lässt sich schließen, dass menschliches Handeln aus dieser Perspektive immer 10 Hirschauer (1999) unterstreicht in seiner Studie über die Minimierung von Anwesenheit den körperlichen Schwerpunkt in Goffmans Analysen, mit Bezug auf die Territorien des Selbst, anhand einer körperlichen Ordnung. Weiterhin werden sehr anschaulich Blick- und Stehordnungen, im Artefakt des Fahrstuhls, auf der Grundlage der Interaktionsordnung von Goffman, dicht beschrieben (vgl. ebd. S. 221ff.).
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auch als aufführendes Handeln zu verstehen ist. Mit der Körperlichkeit sozialer Handlungen lässt sich weiterhin nach dem Wie der Realisierung fragen. Die Tätigkeiten im Vollzug hängen somit auch von der Art und Weise des rituellen Handelns mit dem Körper ab und vermitteln sich beispielsweise durch Körperhaltungen, Abstände zwischen Personen (Territorien) oder Gesten. Wie auch im Modell von Goffman findet durch solche Prozesse die Vermittlung des Selbst gegenüber anderen statt. Soziales Handeln kann daraus abgeleitet ››als performance, Sprechen als performatives Handeln und Performativität als ein abgeleiteter, diese Zusammenhänge übergreifend thematisierender Begriff verstanden [werden]‹‹ (Wulf, 2008, S. 339, Herv. i. O.). Wulf (2008) nennt drei Dimensionen von Ritualen: ››kommunikative kulturelle Aufführungen‹‹ (ebd., S. 339, Herv. i. O.), der ››Charakter der Sprache‹‹ (ebd., Herv. i. O.) und die ››ästhetische Dimension‹‹ (ebd., S. 340, Herv. i. O.). Die kommunikativ kulturellen Aufführungen bezeichnen das Ritual als ein Ergebnis von Inszenierungen und körperlichen Darstellungen. Diese Inszenierungen und Darstellungen sind in ein Arrangement eingebettet und lassen sich in rituellen Szenen betrachten, in denen die Teilnehmer versuchen ihre Aufgaben, die ihnen die jeweilige Situation mit ihren Teilnehmern stellt, durch Sprache und Handeln aufeinander zu beziehen und probieren diese zu bewältigen.11 Dabei werden heterogene Kräfte in eine von den Akteuren akzeptierte (rituelle) Ordnung gebracht (vgl. ebd., S. 339). Die zweite Dimension beschreibt den performativen Charakter von Sprache. Ihr kommt gerade in Ritualen, beispielsweise bei Übergangsritualen,12 eine hohe Bedeutung zu. Der Vollzug des Rituals und die darin verwendete Sprache tragen zur Konstruktion von neuen sozialen Wirklichkeiten bei13 (vgl. ebd., S. 339f.). Schließlich beinhaltet die ästhetische Dimension viele künstlerische Performances, in denen nicht nur die Verwirklichung der Intentionen, sondern auch die Art und Weise – der Stil der Aufführung – im Vordergrund stehen. Es geht dann vor allem darum, Eindeutigkeit und Anschlüsse in der sozialen Interaktion zu ermöglichen (vgl. ebd.). Eine womöglich gleiche Intentionalität im Ritual kann sich in der tatsächlichen Aufführung und Inszenierung durch kulturelle Unterschiede, sozialen Bedingungen oder der Einmaligkeit des Handelns unterscheiden und macht somit die Grenzen der Planbarkeit deutlich. Der performative Charakter lässt verschiedene Deutungen zu, ohne dass die Wirkung des Rituals verloren gehen muss (vgl. ebd., S. 340). Eine Ergänzung durch die bereits ausgeführte skillful performance, im Sinne sozialer Praktiken, unterstützt an dieser Stelle die Ausführungen. Durch das inkorporierte praktische Verständnis in sozialen Situationen wird Wissen abgerufen, das die Möglichkeit eines Missverstehens des Rituals reduziert und es ermöglicht, Wissen, anhand der Situation und den vorherrschenden Bedingungen, zu modulieren. Interaktionen hängen, neben sprachlichen Äußerungen, wesentlich von körperlichen Aufführungen ab, die in einer Inszenierung gemeinsam auftreten können. Wäh-
11 Vgl. hierzu auch den ermöglichenden und fordernden Rahmen von Situationen für Praktiken. 12 Vgl. hierzu vor allem van Gennep (2005). 13 Siehe auch Austin (1962).
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rend in vielen Ritualtheorien diese Kopplung außen vor gelassen wird, bedient sich Goffman genau dieser Darstellungen. Der Begriff performativ wird von Goffman selber nicht verwendet, aber die Betonung der körperlichen Erscheinung, des körperlichen Verhaltens, die Dramaturgie, die verhaltensorientierte Situationsdefinition und die Notwendigkeit der schöpferischen Inszenierung,14 deuten auf Goffman als Vertreter einer performativen Denkweise hin (vgl. Bausch, 2001, S. 219ff.). Im Fokus seiner Aufmerksamkeit steht nicht was innerhalb von Interaktionen ausgehandelt wird, sondern das Wie, die Art und Weise der Aushandlungen. Seine Frage nach dem Interaktionsgeschehen stellt sich also wie folgt: Wie erhalten sich Interaktionsgefüge aufrecht? Innerhalb der im Fokus stehenden Interaktionsgefüge orientieren sich die Akteure bzw. ihre Erwartungen, an der Verschmelzung von Erscheinungen, Verhalten und Zeichen und handeln daraufhin. In den Interaktionsgefügen und ihrer inszenatorischen Herstellung wird durch die Aufführung eine neue soziale Wirklichkeit geschaffen, die für die beteiligten Akteure identitätsstiftende Effekte mit sich bringt. ››Wirklichkeit wird jeweils erst in ihren situativen und materiell gebundenen Handlungen und Verhaltensweisen hervorgebracht, gestaltet und verhandelt, indem sie in den kontextgebundenen und auf die Tradition verweisenden Darstellungen sinnstiftende Bedeutungszuweisungen und -verschiebungen erfahren‹‹ (ebd., S. 220).
Die erforderliche inszenatorische Herstellung birgt auf der anderen Seite gleichsam die Gefahr des Scheiterns und offenbart damit die Empfindlichkeit von Wirklichkeit. Der performative Vollzug im Beziehungsgefüge wird durch die körperliche Inszenierung im Prozess hergestellt und kann auch brüchig werden. Goffmans angestrebte Wirkungen innerhalb von Interaktionen liegen jedoch nicht in den Brüchen oder im Kreativen, sondern vielmehr im Erhalt des Gleichgewichts und der Bestätigung der Situation durch die Teilnehmer. Diese Bestätigungen zum Erhalt des Gleichgewichts werden durch rituelle Handlungen vollzogen. Das Gleichgewicht in der Inszenierung wird durch die Antizipation von Erwartungen und Erwartungs-Erwartungen hervorgebracht.15 Neben der Darstellung der Teilnehmer birgt auch die Wortwahl Goffmans performative Auswirkungen. So beschreiben Begriffe wie ››Rollenübernahme‹‹, ››Eindrucksmanagement‹‹ oder ››Situationskontrolle‹‹ (ebd., S. 221) Möglichkeiten der Ausrichtung der eigenen Darstellung innerhalb der Interaktion (vgl. ebd., S. 219ff.). Für Goffman findet – und hier zeigt sich ein wesentliches Argument für die Verknüpfung von Goffman mit der Theorie sozialer Praktiken – das Verstehen von (pädagogischen) Handlungssituationen in der körperlichen Interaktion statt. Das soziale 14 Hier kommt auch das Paradigma des Schauspielers zum Tragen. 15 In dieser Arbeit stehen sowohl Spielräume sozialen Handels als auch die scheinbaren Situationen, die keiner weiteren Verständigung bedürfen, im Fokus. Es gilt jedoch zu reflektieren, ob man quasi gelungen als gelungen und Differenzen als Differenzen wahrnehmen kann, ob eine Identifizierung eines Scheiterns tatsächlich ein Scheitern darstellt oder was in der Situation irgendwie trotzdem oder gerade deshalb gelingt. Eine objektive Identifizierung des Scheiterns ist somit immer zweiseitig in der Situiertheit und Deutungsabhängigkeit zu analysieren.
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Handeln von Akteuren hängt immer auch von der Organisation der Körper in Raum und Zeit ab. Seine Denkfigur der Interaktionsordnung ist somit auch eine Ordnung von Körpern (vgl. Goffman, 1983, S. 1ff.). Es sind die situativen Ordnungen, die durch Körperbewegungen hergestellt werden und dem jeweils anderen eine Situation vorhersehbar machen (vgl. Goffman, 1974, S. 32ff.). Ein solches Verständnis setzt bei den Teilnehmern einer Situation immer auch das Wissen voraus, die Körper zu lesen. Diese Lesbarkeit ››ist möglich, weil körperliche Bewegungen für Goffman nicht primär individuell und einzigartig, sondern kulturell kodiert und intersubjektiv verständlich sind. Als kulturelle Konvention werden Bewegungen erlernt und im Laufe der Körper- und Bewegungssozialisation abgespeichert […]‹‹ (Klein, 2010, S. 465). Die ››interaction order‹‹ (Goffman, 1983, S. 1) kann als Lesart für viele verschiedene pädagogische Situationen nutzbar eingesetzt werden. In der erziehungswissenschaftlichen Übernahme wurde speziell in der Sozialpädagogik Goffman mit seinem Modell der Stigmatisierung adaptiert und weiterentwickelt (vgl. z. B. Thiersch, 1977). Sein Instrument zur Analyse von sozialen Interaktionsordnungen bietet sich durchaus für die Analyse von Lehr-/Lernsituationen an. Ein Blick mit performativer Note betrachtet weniger, was die institutionelle Seite (hier die Schule) intendiert, als vielmehr wie (pädagogische) Handlungsvollzüge innerhalb dieser Institution aufgeführt werden und welche Praktiken zur Herstellung und Aufrechterhaltung von sozialer Ordnung auftreten. Im Fokus stehen dabei, um im Vokabular Goffmans zu bleiben, besonders die Kulissen, Requisiten und die Inszenierungsmöglichkeiten der einzelnen Akteure (Partizipanden). Betrachtet man den Erziehungsauftrag der Schule und die Funktionen von Schule, ergeben sich gewisse Ambivalenzen (vgl. MK, NSchG, §2, Abs. 1). Der Auftrag der Schule steht im Spannungsverhältnis von Persönlichkeitsentwicklung der SchülerInnen und sozialer Integration in die Gesellschaft. Für die Akteure bedeutet dies, dass Rollenübernahmen für eine soziale Integration und Rolleninszenierungen zur Gestaltung der eigenen Person geschaffen werden. Neben dem Auftrag der Schule wirken nun zusätzlich die Funktionen von Schule (Selektion, Qualifikation, Legitimation und Integration) auf die Teilnehmer ein, die darin ihren Alltag bestreiten (vgl. Fend, 1980). Folgen daraus könnten für die SchülerInnen neben einer Bewältigung auch ein Unterlaufen der Rolle sein. Ein solches Unterlaufen könnte sich dann beispielsweise in Brüchen der Interaktion offenbaren. Mit Goffman gesprochen wird hier der Versuch der Rollendistanz unternommen. Solche Handlungen würden nicht dem Bildungsauftrag der Schule entsprechen und Vermeidungsrituale hervorrufen, die als ein Widerstand gegen die Institution interpretiert werden können (vgl. auch Zinnecker, 1978). Der Bildungsauftrag der Schule, die Sanktionsmacht und ihre intendierte Verhaltenserwartung an die SchülerInnen, die quasi institutionelle Rollenerwartungen antizipieren müssen, können so auch in die Richtung eines ››Unterlebens‹‹ (ebd., S. 94) verlaufen. Neben den intendierten Funktionen wirken somit auch Mechanismen, die diese höhere Zielsetzung unterlaufen und als der ››heimliche Lehrplan‹‹ (Jackson, 1975, S. 29) bezeichnet werden. Ohne den Anspruch zu erheben dieses Paradox zu lösen, ist das Wissen um eine Notwendigkeit von Gestaltungsräumen für die Akteure und damit der Möglichkeit der Inszenierung und Hervorbringung sozialer Situationen von großer Bedeutung.
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Der Sportunterricht kann hier, nicht zuletzt wegen seiner spezifischen räumlichen Konstitution und der Betonung körperlicher Aspekte qua Anordnung, einen wesentlichen Beitrag zur Gestaltung leisten und sowohl persönliche, soziale als auch körperliche Inszenierungen erfordern und ermöglichen. Die institutionellen Gegebenheiten würden so von einem Verhaltenserfüllungsraum zu einem Gestaltungsraum umfunktioniert werden. Die Betrachtung der pädagogischen Intention wandelt sich zu einer Betrachtung von Handlungskontexten, in denen soziale Praktiken des (Sport-)Unterrichtens, der Anordnungen von Körpern und Artefakten, der Herstellung von Räumlichkeit und der ››Teilnahme am Unterricht‹‹ (Breidenstein, 2006) zum Vorschein kommen und damit zum Gegenstand einer praxeologischen Sichtweise werden.
Ordnung des (Sport-)Unterrichts
S CHULISCHE R AHMUNGEN Betrachtet man Schule zunächst ganz allgemein und fragt danach, wie sie funktioniert bzw. welche sozialen Praktiken sie hervorbringt, ist ein Verweis auf die formale Instanz der rechtlichen Regelungen nicht zu umgehen. So regeln übergreifende Gesetze und Vorschriften die Schulpflicht und deren Einhaltung, die Aufnahme an eine Schule und das Beenden des Schulverhältnisses sowie Prüfungsverläufe und deren Inhalte. Von dieser übergreifenden Struktur ausgehend, finden sich darunterliegend lokal festgelegte Richtlinien, die den Alltag der Schule bestimmen. So erlassen sämtliche Gremien in einer Schule die Schul- und Pausenordnungen, die Stundenverteilung und Zuordnung, die schulinternen Curricula, die zeitliche Choreographie der Stunden und fixieren den geordneten Ablauf des Betriebes (vgl. Pöttgen, 2003).1
1
Für das tiefere Verständnis und zur Verdeutlichung der Rahmenbedingungen des Gegenstandes dieser Arbeit: Dem Bund obliegt die Rahmenkonzeption schulbezogener Fragen. Interne Schulangelegenheiten wie die Finanzierung, das Erlassen von Gesetzen und Verordnungen ist, aufgrund ihrer Länderhoheit, Aufgabe der Länder (Kultusministerium). Die Kommunen besitzen die Aufgabe der Gestaltung und Verwaltung ihrer jeweiligen Schulen. Insgesamt betrachtet unterliegt das Schulsystem dem Schulgesetz. Die Kulturhoheit der Länder bewirkt einen direkteren Einfluss auf die Institution Schule. Dies geschieht durch Gesetze, Schulordnungen, Lehrpläne und Kerncurricula, die vom Kultusministerium gestaltet werden. Die Umsetzung dieser Rahmenbedingungen wird in den Schulen weiter differenziert. Gesetze, Verordnungen, Erlässe und Curricula werden in den Schulen in das Schulprogramm integriert und wirken sich so direkt auf den Unterricht und die darin agierenden Akteure aus. Schulkoordinatoren stimmen die Unterrichtsstunden ab, die in einem festgelegten Zyklus durch Pausen getrennt werden. Eine festgelegte Raum-Zeit-Ordnung gibt LehrerInnen und SchülerInnen eine Orientierung für ihr Verhalten und ihren Aufenthalt. Der Unterricht an sich ist in einem fünfundvierzig oder neunzig-Minuten-Rhythmus gegliedert, innerhalb dessen die LehrerInnen und SchülerInnen Unterricht konstituieren. Auf dieser Ebene lässt sich die Forschungsperspektive dieser Arbeit mit der Frage danach, wie Ordnung im Unterricht hergestellt und aufrechterhalten wird, einordnen. Auf dieser Ebene der Institution Schule treffen die Akteure unter dem Schirm des Bildungssystems direkt aufeinander und handeln den Unterrichtsprozess gemeinsam aus.
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Es stellt sich die Frage, wie und welche sozialen Praktiken diese Regularien und organisatorischen Rahmungen im Unterricht zum Vorschein bringen und wie sie sich gestalten und soziale Ordnung (re-)produzieren. Im Fokus steht der konkrete Vollzug von Tätigkeiten im Sportunterricht, die einer Aufrechterhaltung der Ordnung dienen. Täglich finden sich die Akteure auf dem Schulgelände zusammen und erzeugen somit die Notwendigkeit einer Koordination aller Beteiligten: Horden von SchülerInnen werden mit Bussen vor dem Gebäude der Schule vorgefahren und stürmen ins Gebäude oder laufen für ein schnelles Fangspiel auf den Schulhof; Eltern verabschieden ihre Kinder vor dem Haupteingang der Schule; die HausmeisterInnen befinden sich schon seit dem frühen Morgen im Gebäude; die LehrerInnen parken ihr Auto, stellen ihr Fahrrad ab und gehen in das LehrerInnenzimmer, um sich auf den bevorstehenden Unterricht vorzubereiten. Solche und selbstverständlich diverse weitere vorstellbare Situationen zeigen, dass ››[d]ie schulische Organisation […] mit einem Effekt konfrontiert [wird], den sie selbst erzeugt‹‹ (Kalthoff & Kelle, 2000, S. 691). Stabilisiert wird dieses Aufeinandertreffen durch eine schulspezifische Raum-Zeit-Koordination. Diese hat ihre eigene, teilweise individuelle, aber periodische und zirkuläre Zeitmessung entwickelt. Die Herrschaft der schulischen Zeitlichkeit wird strukturiert durch aufwendig ausgetüftelte Pläne, sowohl für die LehrerInnen als auch für die SchülerInnen, die alle Akteure auf Wochentage, Stunden und Räume verteilt (vgl. ebd., S. 691f.). Und das alles, um wiederum Regularien zu entsprechen, die Stundenzahlen und Auslastungen vorschreiben, eine Qualifikationsfunktion beinhalten, als Zweck den Wissenserwerb beanspruchen und als Ziel die Erziehung und Bildung als das ››zumindest offiziell wichtigste institutionelle Geschehen‹‹ (Willems & Eichholz, 2008, S. 871) formulieren. Diese spezifische (unterrichtliche) Interaktion wird ››qua Mitgliedschaft‹‹ (Breidenstein, 2010, S. 878) Tag für Tag, in Klassenräumen, LehrerInnenzimmern, Fluren, Sporthallen und Schulhöfen vollzogen und fortgesetzt. Ein weiterer Effekt, der schon alleine durch die Akteure und die Räumlichkeit in der Schule hervorgerufen wird, bezieht sich auf die Bandbreite der Interaktionsbedingungen. Die teilnehmenden Akteure nehmen durch ihr Handeln Bezug auf scheinbar existierende Regeln, Routinen und Rituale (vgl. Kalthoff & Kelle, 2000, S. 692). Diese Interaktionsbedingungen sind jedoch nicht wie einige der vorangestellten Beispiele expressis verbis. Vielmehr sind hier Ordnungen und Konventionen gemeint, die den Umgang miteinander regeln und somit die Institution Schule im übergeordneten Sinne sowie den Unterricht und seine notwendigen Interaktionen im Sinne einer Mikrostruktur regeln und quasi am Laufen halten. Grimminger (2012) führt dazu aus: ››Schulklassen [stellen] eine Form von Öffentlichkeit dar, in der die soziale Ordnung kontinuierlich sichtbar (re-)produziert wird‹‹ (ebd., S. 105). Eine zentrale Unterscheidung zum Gegenstandbereich dieser Arbeit liegt in der notwendigen Differenzierung zwischen Schulsport und Sportunterricht. Der Schulsport umfasst in einem weiten Verständnis neben dem Sportunterricht weitere außerunterrichtliche Aktivitäten im Schulleben.2 Die Fokussierung in dieser Arbeit liegt auf dem Sportunterricht als verbindliches Schulfach, woraus sich räumliche, zeitliche
2
Exemplarisch lassen sich darunter Sportfeste, Arbeitsgemeinschaften, diverse Wettkampfveranstaltungen oder auch Pausenangebote fassen.
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und auch organisatorische Konsequenzen ergeben, die Auswirkungen auf die Konstitution von sozialer Ordnung haben. Spielregeln des (Sport-)Unterrichts und deren Bedeutung werden in Diskussionen zur Konzeption sozialen Handelns mit Bezug auf Wittgenstein (1984) geführt (vgl. Schatzki, 1996). Mit seinem Verständnis kann man davon ausgehen, dass Regeln einzelne Aspekte des Handelns abdecken. Wittgenstein (1984) betrachtet Regeln im sozialen Handeln als von der Praxis unabhängige Prozesse, die als normativ gelten. Um dies auch als Konvention zu betrachten, führt Wittgenstein weiter aus, dass ein Verständnis von Regeln durch das Lehren3 dieser und durch ständige Wiederholungen entsteht. Durch solche Prozesse, wie sie in der Schule täglich stattfinden, werden nicht nur Regeln allein gelehrt, sondern ebenfalls soziale Konventionen. Das Befolgen von Regeln ist somit ein eingeübtes kollektives Wissen, welches an Praktiken gebunden ist und Routinisiertheit hervorruft (vgl. Wittgenstein, 1984, §202; Reckwitz, 2003). Regeln werden also in der Praxis verwendet, ohne jedoch auf eine allgemeingültige und unabhängige Definition zurückzugreifen. Demnach sind Regeln nicht einfach schon in sozialer Praxis vorhanden, sondern konstituieren ihre Bedeutungen durch die Situation und die in bezuggenommene Materialität. Die Frage, welche sozialen Praktiken konkret Sportunterricht am Laufen halten, wurde bisher nicht vertieft behandelt. Neben der Erstellung von Interaktionsmustern, der Analyse von Sprechakten oder der Entwicklung von sprachlichen Strukturen wurde das konkrete Unterrichtsgeschehen, unter dem Fokus einer Routinisiertheit durch die Materialität und kollektives Wissen, bisher nur vereinzelt in den Blick genommen. Die Akteure im Feld sind im Wesentlichen die Schule als übergeordneter institutionsspezifischer Rahmen, die Lehrpersonen und die SchülerInnen als gemeinsame Akteure im sozialen Ereignis Unterricht. Somit sind es neben den Interaktionen zwischen den Akteuren immer auch die jeweiligen Rahmungen, die auf die Situation einwirken und eine skillful performance erfordern und hervorbringen. Das Betreten eines Schulgebäudes oder des Schulgeländes ruft bei den Akteuren bereits ein kollektives Teilnehmerwissen hervor, welches Verhaltensänderungen und Anpassungen an die Institution bewirken kann. So schreibt Dittmar (1997) mit dem Schwerpunkt auf dem Aspekt der Sprache: ››In der institutionellen Kommunikation, die aus prozesshaften, aber stark normierten Situationen besteht, verfügen die Interaktionspartner je nach ihren sozialen Rollen über ein Musterwissen und die angemessenen Sprachgebrauchsmuster‹‹ (ebd., S. 232). Dazu schreibt Rabenstein (2010): ››Sprechen selbst stellt einen körperlichen Akt dar. Das Sprechen wird zudem begleitet von Gestik und Mimik. Artefakte sind der Kommunikation nicht äußerlich, sondern Bestandteile sozialer Praktiken‹‹ (ebd., S. 39). Das kollektive Wissen der Akteure ist immer auch im Zusammenhang mit dem spezifischen Kontext zu denken. Gebauer und Wulf (1998) unterstreichen dies mit folgender Aussage und integrieren die normative Macht von Ritualen: ››Der rituelle Charakter der Schule wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, wie sich das Verhalten von Kindern und Jugendlichen ändert, wenn sie morgens zur Schule kommen. Be-
3
Wie etwa das Lehren des Einmaleins, des Regelwerkes vom Basketball etc.
94 | SOZIALE O RDNUNG IM S PORTUNTERRICHT reits mit dem Betreten des Gebäudes lassen sie viele Verhaltensweisen hinter sich, die sie auf dem Schulweg und in ihrer Freizeit zeigen‹‹ (ebd., S. 124).
Der übergeordnete institutionsspezifische Rahmen beschreibt das Schulgebäude respektive, die Sporthalle, mit ihren jeweiligen Ausstattungen und Anordnungen, bürokratischen Setzungen,4 einer spezifischen Zeitplanung und den individuellen Stundenplänen der LehrerInnen. Den Ritualen oder ritualisierten Handlungen werden im schulischen Kontext (wieder) eine größere Bedeutung zugeschrieben.5 Gerade die bekannte politische Vergangenheit trägt dazu bei, dass der Begriff Ritual negativ besetzt war. So wurden Rituale in der Vergangenheit schnell mit einem kritischen Blick auf totalitäre Systeme bezogen und dadurch in Verbindung mit Unterdrückung, Gleichschaltung und gesellschaftlichen Machtverhältnissen gebracht (vgl. Wulf, 2003, S. 437). In den 1970er Jahren änderte sich die bis dahin eher neutrale und negative Assoziation zu einem Verständnis, welches Rituale als kreative und erlebnisreiche Erfahrungen beschreiben lässt. Zuvor wirkte die große Reflexionswelle der 68er-Bewegung, in der gegen starre Prinzipien und unreflektierte Politik protestiert wurde. Der RitualBegriff wird in dieser Zeit eng mit Erstarrung und Fixierung in Verbindung gebracht (vgl. Göhlich & Wagner-Willi, 2001, S. 127). Lange (1984) ordnet Ritualisierungen zu den wesentlichen Handlungsorientierungen von SportlehrerInnen zu, die Regelhaftigkeiten im alltäglichen Handeln benennen und helfen den Schulalltag zu strukturieren. Ritualisierungen stehen nach Lange (1984) in einer gegenseitigen Ergänzung mit Ablauf- und Sachorientierungen, die als praktische Prinzipien den Unterrichtsalltag strukturieren. Sachorientierungen bilden sich aus der Sache Sport an sich und seiner Vermittlung, von denen aus weitere unterrichtliche Entscheidungen zu treffen sind. Als zweiter Referenzpunkt dient die Ablauforientierung, die als Handlungsorientierung für den Unterricht dient und ihn am Laufen hält (vgl. ebd., S. 92f.). Durch Ritualisierungen, die für die Lehrperson auch nicht immer bewusst sein müssen, erspart sich die Lehrperson Absprachen, Erklärungen oder auch Begründungen. Es scheinen hiermit also Verselbständigungen von Verhaltensformen gemeint zu sein – ritualisiertes Handeln (vgl. Michaels, 2003, S. 5). Michaels (2003) schlägt aufgrund einer eher selten klaren Unterscheidung zwischen Ritualisierung und Ritual den Begriff ››Ritualkomplex‹‹ (ebd.) vor. ››Hierbei handelt es sich in der Regel um bewußt [sic] gestaltete, mehr oder weniger form- und regelgebunde [sic], in jedem Fall aber relativ stabile Handlungs- und Ordnungskonfigurationen, die von einer gesellschaftlichen Gruppe geteilt und getragen werden […]‹‹ (ebd., S. 5-6). Michaels (2003) orientiert sich mit dieser Bestimmung eng an einer Vorstellung der bereits beschriebenen Performanz und einer impliziten Logik der Praxis. Rituale können somit als Praktiken verstanden werden, die eine kollektive Ordnungsbildung darstellen. Dies wurde auch bereits im Abschnitt über die Praktiken und ihren situativen Vollzug vertieft behandelt.
4 5
Darunter zählen hier u. a. Gesetze, Erlasse, Richtlinien oder Curricula. Vgl. u. a. Rabenstein & Reh (2010); Kaiser (2003); Wulf, Althans & Audehm (2004); Wagner-Willi (2005); Wulf et al. (2007).
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Gebauer und Wulf (1998) unterstreichen noch einmal die Nähe von Ritualen zu einem kulturellen Verständnis mit folgender Ausführung: ››Rituale lassen sich als kulturelle Aufführungen begreifen. Als solche haben sie Gemeinsamkeiten mit anderen kulturellen Darstellungen, zu denen z. B. Sportveranstaltungen oder Theaterinszenierungen gehören. Wie diese verkörpern und organisieren sie symbolische Inhalte an festgelegten Formen und Verhaltensweisen. Rituale haben einen Anfang, eine bestimmte Dauer und ein Ende. Sie stellen den Handelnden und ihren Zuschauer sowie symbolische Inhalte dar. Im Unterschied zu anderen Formen symbolischer Kommunikation verbinden Rituale Handlungen mit den sie entwerfenden, modifizierenden und deutenden Vorstellungen und Gedanken‹‹ (ebd., S. 141).
Der symbolische Mehrwert von Ritualen bewirkt weiterhin einen Sinnüberschuss, dessen sich die Teilnehmer nicht im vollen Umfang bewusst sind und sein müssen. Das Ritual kann somit zur Herstellung und zur Aufrechterhaltung einer Ordnung beitragen (vgl. Rabenstein & Reh, 2010, S. 73). Das bereits beschriebene Teilnehmerwissen in diesem Rahmen beinhaltet Rituale, Regeln und Routinen auf Seiten der Akteure, die soziale Prozesse konstituieren und Unterricht am Laufen halten (vgl. Spiegel, 2006, S. 5). Zieht man aus diesen Ausführungen erste Schlussfolgerungen, findet sich im alltäglichen Unterricht eine Klasse aus beliebig vielen SchülerInnen regelmäßig in einem Raum oder in einer Halle in der Schule bzw. auf dem Schulgelände zu festgelegten Zeiten zusammen. Die Lehrperson befindet sich im Raum und die SchülerInnen sind in einer spezifischen, aber räumlich variierenden Anordnung an ihren Plätzen. Ein Gong ertönt (nicht immer), was unter diesen Bedingungen bedeuten könnte, dass nun tatsächlich Unterricht stattfindet. Neben der Herstellung einer sozialen Situation, die im Schulkontext immer auch schon einem sozialen Anlass unterliegt, tritt nun noch ein zweites Moment auf. Interaktionen werden hergestellt und durch wechselseitige Beeinflussung auch ausgehandelt. Diese Prozesse geschehen aus jeder Akteursperspektive unterschiedlich. Die Aushandlung kann in Anlehnung an die vorherigen theoretischen Ausführungen als der Vollzug einer Tätigkeit oder auch das Ausbleiben einer Tätigkeit verstanden werden, die jeweils spezifisch eine Praktik konstituiert und so jeder beteiligten Person die Möglichkeit zur Modulation der Interaktion gibt. Da alle bereits genannten Akteure an der Konstituierung der Situation beteiligt sind, besitzen ebenfalls alle die Möglichkeit das Interaktionsgeschehen zu modellieren. Soziale Praxis bietet neben der Routinisiertheit immer auch das Moment der Offenheit und Unberechenbarkeit. Situationen werden von den beteiligten Akteuren nie als Tabula rasa angesehen, sondern sie besitzen bereits Vorwissen und Vorerfahrungen. Dazu gehören auch Vorannahmen über die Beteiligten sowie über die institutionellen Rahmenbedingungen. Eine klassische Betrachtung von Rollenübernahmen im Kontext von Schule könnte wie folgt aussehen: Die Lehrpersonen leiten den Unterricht an, vermitteln und organisieren, während die SchülerInnen eher reagieren und reproduzieren. Die Rahmenbedingungen der Schule geben quasi vor, dass es primäre Unterrichtsverantwortliche gibt, die somit auch asymmetrische Interaktionsrollen hervorbringen. Eine pra-
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xeologische Betrachtung im Feld Schule jedoch lässt vermuten, dass dies nicht durchgängig der Fall sein muss. Dies gilt sowohl für Vermittlungstätigkeiten als auch bei Praktiken der Unterrichtsdurchführung. Spiegel (2006) schreibt dazu: ››Analysiert man Unterricht, so macht es Sinn, nicht von abstrakten, institutionell vorgegebenen Handlungsrollen auszugehen, sondern von den tatsächlich realisierten Interaktionsrollen, denn diese konstituieren den konkreten Unterricht‹‹ (ebd., S. 9).
R ÄUME Die Frage nach einer Verortung des Sozialen im Rahmen der Theorie sozialer Praktiken legt die Überlegung nahe, die Räumlichkeit des Sozialen bzw. eine Sozialität des Raumes ausführlicher zu betrachten und in den Kontext des Sportunterrichts zu übersetzen. In einer grundlegenden Auseinandersetzung wurde bereits geklärt, dass die Verortung des Sozialen in einer analytischen Trennung aus arrangierten Entitäten und sozialen Praktiken besteht (Schatzki). Die weiterführende Einordnung der Theorie sozialer Praktiken in die Kulturtheorien stellte zudem heraus, dass das Soziale den kollektiven Wissensbeständen der Akteure verortet wird und das Partizipanden immer auch Elemente sozialer Praktiken darstellen. Eine Auslegung dieser Prämissen kann den Raum in der soziologischen Betrachtung, gerade im schulischen Kontext, nicht außer Acht lassen. Im Folgenden soll nach einer soziologischen Verortung des Räumlichen der Facettenreichtum von soziologischen und schulischen Räumen dargestellt und auf den Sportunterricht transferiert werden. Der Raum als Gegenstand soziologischer Theoriebildung findet seit längerem zunehmendes Interesse. Neben Studien zur Fassung einer elementaren Räumlichkeit des Sozialen und der Analyse menschlicher Raumwahrnehmungen werden weiterhin räumliche Arrangements und das raumkonstitutive Handeln analysiert.6 Ähnlich wie die Materialität des Körpers fand auch die Soziologie des Raumes bzw. die Räumlichkeit des Sozialen lange Zeit nur wenig Beachtung. In der Vergangenheit wurde diese Kategorie jedoch bereits schon von Foucault, Simmel oder Goffman als zentrale soziologische Kategorie im Rahmen von Institutionen fokussiert. Unter Anbetracht der Problemstellung dieser Arbeit mit dem Fokus auf soziale Praktiken im schulischen Kontext ist eine genauere Betrachtung der Verortung des Sozialen keinesfalls banal. Willems und Eichholz (2008) führen dazu aus: ››Materiell-räumliche Tatsachen haben speziell auf der Ebene der Lebenswelt und der Interaktionsordnung in zahlreichen Hinsichten eine genuin und direkt soziale Bedeutung und Relevanz. Möglichkeiten der sozialen (Selbst-)Eingrenzung und Ausgrenzung, der Privatheit und Öffentlichkeit, der Geheimhaltung und Enthüllung, der Intimität und Anonymität sind an räumliche Bedingungen gebunden. Mit ihnen variiert auf allen ›Systemebenen‹ wesentlich, was ›vorgehen‹ kann und tatsächlich ›vorgeht‹‹‹ (ebd., S. 867).
In der gewählten Präzisierung einer Räumlichkeit des Sozialen bzw. einer Sozialität des Raumes entwickeln sich divergierende Verständnisse, die im Folgenden kurz er6
Für einen umfangreichen Überblick: vgl. Löw (2001).
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läutert und zusammengeführt werden. Der Raumbegriff lässt diverse Assoziationen zu: der begrenzte Raum, der dimensionale Raum, der gestaltete Raum, der akustische Raum, der öffentliche Raum etc. Der Raum wird zum Träger von sozial relevanten Informationen, die durch kollektives Wissen von den Akteuren gleichsam Handlungspotenziale und -be grenzungen beinhalten (vgl. ebd., S. 865f.). Raum entsteht ››durch Beziehungen von Körpern, Dingen und Orten‹‹ (ebd., S. 867, Herv. i. O.) und wird durch Tätigkeiten im Vollzug ››geformt und umgeformt. Grundlegend für diese Praxis ist die fundamentale Kulturalität des Raumes – die Tatsache, dass Vorstellungen, Ideen, Bedeutungen, Erwartungen im Raum ›stecken‹ und ihm – (auch) konstitutiv zugrunde liegen. Raum und Kultur sind also untrennbar miteinander verbunden‹‹ (ebd., Herv. i. O.). Durch die kollektiven Wissensbestände sind die Akteure in der Lage, Zweckbestimmungen oder auch rituelle und symbolische Ordnungen von Orten zu übersetzen und darin routinisiert zu handeln. Die Materialität des Raumes wird mit dem Fokus auf die Sozialität mit dem Körper gekoppelt, woraus sich eine gewisse Performance konstituiert, die sich immer auf die räumlich-materiellen Aspekte durch die Verwendung von Wissen bezieht (vgl. ebd., S. 866). Die Betonung der Räumlichkeit, in Form von materiellen Settings, findet sich auch bei Goffman (2009a). Sie hat Auswirkungen auf die spezifische Interaktionsordnung der jeweiligen Situation. Für Goffman (2009a) stellt die Bühnenmetapher den Ort der Darstellung für die Akteure dar. Diese passen ihr Verhalten dem spezifischen Bühnenbild an, wobei nicht auszuschließen ist, dass nicht auch das Bühnenbild der eigenen Performance angepasst werden kann (vgl. ebd., S. 23). Weiterhin ist auch die spezifische Interaktionsordnung nicht auf die soziale Situation beschränkt. Die Stimmigkeit mit der praxistheoretischen Perspektive dieser Arbeit findet sich in der Zusammenführung der Einschreibung von Wissen in den Räumen und einer kompetenten Nutzung der handelnden Akteure dieser, die eben nicht einer starren Nutzung gleicht, die von Willems und Eichholz (2008) wie folgt formuliert wird: ››Dieses ›Mehr‹ besteht vor allem in einem souveränen, flexiblen und kreativen Umgang mit settingspezifischen Anpassungszwängen, Anfälligkeiten, Störungen und Kontingenzspielräumen. Eingeschlossen ist dabei die Fähigkeit, sich von Settings zu distanzieren, sie zu manipulieren und ihre Regeln zu beugen‹‹ (ebd., S. 871). Die Möglichkeit, Räume zu nutzen, sich ihnen anzupassen oder sie ggf. zu modellieren, wird vor allem durch das Medium des Wissens ermöglicht. ››Die Grundlage derartiger Raumnutzungen ist neben Urteilskraft ein (implizites) Wissen um die Bedingungen, insbesondere die spezifischen Normen und Regeln, des betreffenden Settings‹‹ (ebd., S. 877). Im schulischen Kontext fand die Räumlichkeit des Sozialen bisher nur wenig Beachtung, obwohl es gerade der Raum ist (das Schulgebäude, die Aula, der Pausenhof, die Sporthalle, der Klassenraum oder das LehrerInnenzimmer), der zum Verständnis sozialer Praktiken beiträgt und zum schulischen Alltag gehört – ihn sogar erst entstehen lässt. Weiterhin verwundert dieser Aspekt, da gerade Bildungs- und Erziehungsprozesse einer Verortung bedürfen. Für das Lehrpersonal kann der Raum ››mitunter in der Unterrichtsgestaltung zum Risiko und zum Problem, aber auch zur Chance werden‹‹ (ebd., S. 866).
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Im schulischen Kontext lässt sich jedoch nicht von dem Raum an sich sprechen, vielmehr sind es Räume innerhalb von Räumen. Ein Schulkomplex besteht aus diversen Räumen, die nicht immer nur eindeutig baulich fixiert sein müssen. Es besteht gerade unter der Perspektive der Räumlichkeit des Sozialen die Möglichkeit unter LehrerInnen und SchülerInnen eigene Räume zu kreieren, die oft auch nur kurzweilig sein können und in denen trotzdem Bildungsprozesse oder Lehr-Lern-Situationen vollzogen werden. Der Raum kann zwar als zentrale Rahmenbedingung angesehen werden, jedoch gilt es zu bedenken, ››ob Raum umgekehrt auch als Produkt menschlichen Handelns denkbar sei‹‹ (Willems & Eichholz, 2008, S. 899). Damit wird die Möglichkeit eröffnet, dass Räume durch eigenes Handeln erschaffen werden oder auch Räume außerhalb der Schule in die Schule verlagert werden. Dies wurde oben bereits durch die Aspekte der Körperlichkeit, Materialität und deren Beziehung zueinander hervorgehoben. Resultierend aus diesen Ausführungen stellt sich die Frage: Wie wird ein Raum zu einem Raum? Mit Goffman (2009a) lässt sich zum einen eine objektive Raumstruktur erfassen, also ein vorhandener Raum, den alle teilnehmenden Akteure als solches akzeptieren. Da die Räumlichkeit des Sozialen jedoch viel flüchtiger und flexibler zu sein scheint, zeigt sich zum anderen eine ›››RahmenGrammatik‹ des Raumes‹‹ (Willems & Eichholz, 2008, S. 877). Goffman (2009a) unterscheidet in diesem Zuge eine Raumdifferenzierung von ››Vorderbühne‹‹ (ebd., S. 100) und ››Hinterbühne‹‹ (ebd., S. 104). Diese soziale Verortung illustriert Goffman (2009a) mit folgenden Beispielen: ››In den amerikanischen Hauptstädten kann man sehen, wie Photomodelle in dem Kleid, in dem sie photographiert werden sollen, vorsichtig durch die vornehmsten Straßen eilen, ohne auf ihre Umgebung zu achten; die Hutschachtel in der Hand, die Frisur durch ein Netz geschützt, wollen sie keinen Effekt erzeugen, sondern sich in Ordnung halten, solange sie auf dem Weg zur Gebäudekulisse sind, vor der ihre wirkliche, photographierte Darstellung stattfindet. Natürlich fungiert ein Ort, der als Bühne für die reguläre Darbietung einer bestimmten Vorstellung voll etabliert ist, oft vor und nach jeder Vorstellung als Hinterbühne. Denn in dieser Zeit können die ständigen Einrichtungsgegenstände repariert, restauriert und neu geordnet werden, oder die Darsteller können Kostümproben abhalten. Um das zu sehen, brauchen wir nur in ein Restaurant, in einen Laden oder in eine Wohnung zu blicken, bevor diese tagsüber geöffnet sind. Allgemein muss also betrachtet werden, daß [sic] wir, wenn wir von Vorder- und Hinterregionen sprechen, immer vom Bezugspunkt einer bestimmten Darstellung ausgehen, und von ihrer Funktion, die sie zum Zeitpunkt der Darstellung hat‹‹ (ebd., S. 117).
Durch Goffman wird an dieser Stelle deutlich, dass Räume erst durch eine Performance der Akteure zu einem Raum mit spezifischer Funktion werden. Präziser formuliert wird ein Ort durch eine Performance, die durch das in den Akteuren verankerte implizite Wissen vollzogen wird, zu einer Bühne. Ausschlaggebend ist das Management der Bühne durch die Akteure. ››[I]n der Schule, hat man es nicht nur mit einem Aggregat von materiellen Räumen und Settings zu tun, sondern auch mit Bühnen, die verschiedene ›Ensembles‹ benutzen und etablieren, umbauen und abbauen‹‹ (Willems & Eichholz, 2008, S. 879). Räume werden durch die Praktiken der Akteure kollektiv an Orten hergestellt. Dabei werden Raumerfahrungen verknüpft, fließen in den Vollzug der Tätigkeiten mit ein und führen gleichzeitig zu einer Konstitution und Stabilisation von sozialen Räumen. Sowohl die SchülerInnen- als auch die LehrerIn-
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nenperformance scheint somit ein wesentlicher Bestandteil der Organisation schulalltäglicher Situationen zu sein. Die beteiligten Akteure stellen im Raum Schule immer wieder spezifische Interaktionsordnungen her, die Orientierungen für die Akteure bieten. Wie bereits deutlich wurde, sind Räume nicht immer allein materieller Natur. Goffman (1974) differenziert in seiner Studie über ››Das Individuum im öffentlichen Austausch‹‹ (ebd.) acht ››Territorien des Selbst‹‹ (ebd., S. 54ff.), die sich vornehmlich an einer rituellen Ordnung orientieren. Diese rituellen Ordnungen lassen Beziehungen zwischen Körpern und Artefakten entstehen, wodurch sich in der Beziehung unter- oder zueinander auf kollektives Wissen über den Verlauf oder den Gebrauch in der Situation verwiesen wird. Der Begriff des Territoriums (o. a. Reservat) umfasst bei Goffman sowohl räumliche Settings – ›››ortsgebunden[e]‹‹‹ Territorien (ebd., S. 55) – als auch körperliche Ansprüche gekoppelt mit Artefakten – ›››egozentrische‹ Reservate‹‹ und ›››situationell[e]‹ Territorien‹‹ (ebd.) – die einer Spontanität und Flüchtigkeit unterliegen. In der Darstellung geht Goffman (1974) von räumlichen Territorien schrittweise in nicht-räumliche Territorien über. Der ››persönliche Raum‹‹ (1) (ebd., S. 56) ist dem Territorium der ››Hülle‹‹ (5) (ebd., S. 67) sehr ähnlich, weil hier das Grenzverständnis eine zentrale Rolle spielt. Goffman bezeichnet diesen Raum eher als situationell und nicht als egozentrisch, weil die jeweiligen Ansprüche auf einen Raum in Abhängigkeit mit der situationellen Raumverteilung zusammenhängen (vgl. ebd., S. 56f.). Vor allem ist hierunter aber auch ein kulturelles Verständnis körperlicher Nähe gemeint, das im schulischen Kontext durch Sitzordnungen sogar normiert wird. Die ››Box‹‹ (2) bezeichnet einen begrenzten Raum, den man für sich in Anspruch nimmt und dementsprechend markiert. In Unterscheidung zum persönlichen Raum kann dieser Raum auch kurzweilig verlassen werden, da die Markierungen den Anspruch aufrechterhalten (vgl. ebd., S. 59ff.). Die Bemühung um die Erhaltung der Box kann durchaus auch zu Rahmungsproblemen führen, wenn man sich an Alltagssituationen wie die Trennung der Waren auf dem Kassenband, der Markierung eines Sitzplatzes oder das klassische Handtuch auf der Strandliege erinnert. Der ››Benutzungsraum‹‹ (3) (ebd., S. 62) bezeichnet den unmittelbaren Umkreis eines Individuums, der in Anspruch genommen wird. Dieses Territorium wird durch instrumentelle Erfordernisse dargestellt (vgl. ebd.). Göhlich und Wagner-Willi (2001) verdeutlichen einen solchen Benutzungsraum auch mit dem Klassenraum, der von SchülerInnen der eigenen Klasse dementsprechend markiert wird und nur mit Einverständnis von SchülerInnen anderer Klassen (zeitlich limitiert) betreten werden darf (vgl. ebd., S. 128ff.). Das in Alltagssituationen und in schulischen Kontexten klar zu bezeichnende Territorium der ››Reihenposition‹‹ (4) (Goffman, 1974, S. 63) lässt sich mit dem inder-Schlange-Stehen treffend beschreiben. Der Anspruch auf eine Leistung oder etwas ausführen zu dürfen wird auf diese Weise geregelt. Diese offensichtliche Regelung wird jedoch nicht selten unterlaufen. Dabei muss die Reihenposition nicht direkt sichtbar sein, sondern auch ein an-der-Reihe-Sein mit einer bestimmten Aufgabe wird darunter verstanden (vgl. ebd., S. 63ff.). Zum egozentrischen Reservat zählt die bereits erwähnte ››Hülle‹‹ (5) (ebd., S. 67), worunter sowohl der Körper als auch dessen Kleidung gezählt werden. Die Nähe zwischen Personen ist immer auch abhängig von ihrer sozialen Beziehung zu-
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einander und das jeweilige Grenzverständnis gilt es praktisch auszuhandeln (vgl. ebd.). Im schulischen Kontext ist der Körperkontakt zwischen LehrerInnen und SchülerInnen ein sensibles Thema, welches gerade im Sportunterricht an Brisanz gewinnt,7 da dort schon im Rahmen von Hilfestellungen die Grenzverständnisse kollidieren können. ››Besitzterritorien‹‹ (6) (ebd.) umfassen Artefakte, die den Körper umgeben und als dazugehörig betrachtet werden (bspw. Taschen, Jacken, Handys). Goffman geht es bei diesem Aspekt nicht um einen gesetzlichen Anspruch des Besitzes, sondern um dessen rituelle Verfügung, die auch schon durch zu langen Blickkontakt fremder Personen beeinträchtigt werden kann (vgl. ebd., S. 67f.). Für Goffman gibt es auch Territorien, die Informationen beinhalten, die nur ein Individuum für sich beanspruchen darf und darüber verfügen kann. Solche ››Informationsreservate‹‹ (7) (ebd., S. 68) können Tagebücher, persönliche Briefe oder der Inhalt von Taschen sein (vgl. ebd.). Ähnlich zu diesem Territorium ist das ››Gesprächsreservat‹‹ (8) (ebd., S. 69), mit dem sich das Individuum das Recht behält, wann es ein Gespräch beginnt oder jemanden dazu auffordert (vgl. ebd., S. 69ff.). Damit ist auch die Normierung eingeschlossen, nicht unterbrochen zu werden, wenn man sich im Gespräch befindet. Solche Gesprächsreservate sind jedoch auch stark kontextualisiert und gehen mit dem sozialen Status einer Person einher. Gesprächsreservate, die sich im Unterricht entfalten, werden durch die Lehrperson gemanagt. Zudem hat die Lehrperson noch die Möglichkeit in das bestehende ››Schweigereservat‹‹ (Willems & Eichholz, 2008, S. 890) einzudringen und beispielsweise SchülerInnen aufzurufen, die nicht um ein Gesprächsreservat (durch Melden) gebeten haben (vgl. ebd., S. 889f.). Für Goffman stehen neben der Betrachtung der Territorien auch ihre Verletzungen und Gefährdung im Fokus. Auf der Ebene der Interaktionsordnung betrachtet Goffman soziale Räume neben einer territorialen Markierung auch als Mittel zur Interaktion, welches zentral aus den Körpern der Akteure besteht. Die Schule birgt in sich verschiedene Settings, die auf dem ersten Blick baulich klar definiert sind. Das Innenleben einer Schule offenbart jedoch ein Facettenreichtum von Räumlichkeiten. Schule kann somit nicht als einzelner Raum verstanden werden, sondern nur als Raum von Räumen, die sich dynamisch verhalten können. Göhlich und Wagner-Willi (2001) und Breidenstein (2004) haben bereits die interaktive Raumkonstruktion mit Bezug auf Goffmans Arbeiten dargestellt. LehrerInnen und SchülerInnen orientieren sich untereinander und an der Materialität des Raumes und (re-)konstruieren Schule ständig neu. Für den Sportunterricht liegen Studien mit dieser Fokussierung noch nicht vor. Innerhalb der Schule spielt der Klassenraum bzw. die Sporthalle durch die Umsetzung der traditionellen und offiziellen Leitlinie der Bildung und Erziehung eine besondere Rolle (vgl. Willmes & Eichholz, 2008, S. 871). Eine tatsächliche Bedeutung erhält eine Situation neben der baulichen Materialität des Raumes erst durch die Materialität der Körper. Im Rahmen einer Figurationssoziologie unterscheidet Breidenstein (2004) den visuellen, akustischen und den haptischen Raum innerhalb von Klassenräumen. Breidenstein legt somit den Schwerpunkt auf die Sinne der Akteure. Die ››visuellen Räume‹‹ (ebd., S. 92) sind 7
Vgl. hierzu auch Weigelt (2010) mit ihrer Studie im Sportunterricht zum Thema ››Berührungen und Schule – Deutungsmuster von Lehrkräften‹‹.
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bereits durch die räumliche Anordnung des Mobiliars in Klassenräumen vorgegeben. Der Lehrperson wird dahingehend eine ungleiche Macht über den Raum gegeben, da sie nicht nur über die Anordnung verfügen kann, sondern auch wesentlich mehr Bewegungsfreiheit für sich beanspruchen kann als die SchülerInnen, die in ihrer Agilität eingeschränkt werden (vgl. ebd., S. 92ff.). In der Sporthalle ist diese räumliche Ordnung zunächst marginalisiert, dort lässt sich kein festes Mobiliar ausmachen. Vielmehr muss im Sportunterricht auf andere Ordnungsmuster zurückgegriffen werden, die es zu rekonstruieren gilt. Die ››akustischen Räume‹‹ (ebd., S. 96) hingegen sind für alle Beteiligten zugänglich und nur durch die Lautstärke begrenzt. Daraus ergeben sich verschiedene Strategien von LehrerInnen- und SchülerInnenseite, die sich dieser Begrenzung bewusst sind und sich sowohl private-akustische als auch öffentlich-akustische Räume zu etablieren versuchen (vgl. ebd., S. 96ff.). Der Aspekt der Lautstärke und der Möglichkeit der Entstehung individueller Räume potenziert sich in einer Sporthalle. Die Weitläufigkeit einer Sporthalle bringt die Herausforderung einer Etablierung akustischer Raum-Macht durch die Lehrperson. Die Reichweite des Körpers von SchülerInnen ist durch die Anordnung des Mobiliars begrenzt. Breidenstein (2004) bezeichnet dies als ››haptische Räume‹‹ (ebd., S. 100). Obwohl SchülerInnentaktiken auch zeigen, dass dieser Raum durch beispielsweise das Weiterleiten von Briefen erweitert werden kann, beschränkt sich der haptische Raum auf die typischen Tischutensilien von SchülerInnen. Eine Erweiterung des haptischen Raumes (für kurze Zeit) bedarf einer Erlaubnis der Lehrperson im Unterricht (vgl. ebd., S. 100ff.). Im Sportunterricht ist dieser Raum wesentlich facettenreicher. Obwohl die SchülerInnen auf ihre Arbeitsutensilien verzichten müssen (dürfen), erweitert sich der haptische Raum um ein Vielfaches und muss in der gegebenen Flexibilität oftmals auch eigenverantwortlich gestaltet werden, wenn es um das Lösen von Bewegungsaufgaben oder die Positionierung bei Erklärungen der Lehrperson geht. Die Räumlichkeit des Sozialen in der Schule und ihren Räumen unterliegt einem Territoriums-Management, ››in dem teils implizit, teils explizit geregelt ist, wer zu welchen Zeiten unter welchen Bedingungen welche (Teil-)Räume zu welchen Zwecken betreten darf, in dem Regelungen dazu bestehen, inwiefern jeweils der Raumeinteilung durch wen Folge zu leisten ist und wie dementsprechend mit dem Mobiliar umzugehen ist‹‹ (Willems & Eichholz, 2008, S. 900).
Sportunterricht findet nicht in Klassenzimmern statt, sondern in der Regel in speziell erbauten Sportstätten (Sporthallen, Sportplätze, Schwimmhallen). Während der traditionelle Klassenraum eine eher eingeschränkte Mobilität für die SchülerInnen und eine maximale Bewegungsfreiheit für die Lehrperson bereitstellt, hebt sich diese Grenzziehung im Sportunterricht in einer für alle Akteure geltenden ›››lokomotive[n]‹ Flexibilität‹‹ (ebd., S. 868) auf. Dies unterstreicht auch Kurz (1979): ››Was im Mathematik- oder Deutsch-Unterricht in der Regel als Auseinanderbrechen der pädagogisch fruchtbaren Szene klassifiziert würde: daß [sic] die Schüler ihre Positionen im Unterrichtsraum verändern – das ist im Sportunterricht sogar im Rahmen eines Programms ›normal‹‹‹ (ebd., S. 200-201). Die Ausgestaltung und Bedeutung von
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sportunterrichtlichen Räumen mit Blick auf soziale Ordnung gilt es im weiteren Verlauf der Arbeit empirisch und exemplarisch zu rekonstruieren. Neben einer schulischen Raum-Koordination und einer spezifischen Sozialität von Räumen lässt sich der unterrichtliche Kontext um eine weitere Struktur ergänzen. Die Zeit als zentrale Kategorie sozialen Handelns in institutionellen Kontexten und darüber hinaus gilt es im Folgenden vertiefend zu behandeln.
Z EIT Es sei vorweggenommen, dass die Zeit im schulischen Kontext natürlich eine wichtige Größe, in diversen sportlichen Kontexten nicht selten eine distinktive, darstellt, die allerdings in sportunterrichtlichen Kontexten bisher nur oberflächlich betrachtet wurde. Im Nachfolgenden werden einige Facetten der Zeit im Kontext der Schule dargestellt, um die Funktionen und ihre Einflüsse zu verdeutlichen. Mit dem Phänomen der Zeit beschäftigen sich immer wieder verschiedene wissenschaftliche Disziplinen. Innerhalb der Sozial- und Kulturwissenschaften wird dem Aspekt der Zeit verstärkt Aufmerksamkeit gewidmet, weil sich deutliche Prägungen auf soziales Handeln offenbaren. Zeitlichkeit ist eine Dimension, die das menschliche Zusammenleben in Bezug auf Erfahrungen, Handlungen, Aneignungen etc. als wesentliche Kategorie beeinflusst, weshalb der Umgang mit Zeit ››eine wesentliche Voraussetzung für die Organisation sozialen Handelns und Denkens‹‹ (Wehr, 2009, S. 18) darstellt. Die Zeit kann als Instrument einer sozialen Organisations- und Ordnungsstruktur genutzt werden, um den gemeinsamen Vollzug der Akteure untereinander zu koordinieren und in eine gemeinsame Performance zu überführen (vgl. ebd., S. 17ff.). Die Institution Schule sorgt in einem gegebenen Maße dafür, dass eine übergeordnete Zeitstruktur (Schultag, Stundenpläne) bereits vorhanden ist, die Interaktionen in gewisser Weise synchronisiert. In der Schule zeigt sich somit eine kulturell spezifisch kodierte Vorstellung über die Zeit, die es von den Akteuren zu lesen gilt. ››Fünf bis sechs Stunden am Tag, an fünf Tagen in der Woche über mindestens zehn Jahre hinweg an einer sozialen Situation teilzunehmen, die so spezifischen Bestimmungen folgt wie schulischer Unterricht, dürfte (so oder so) nicht ohne Wirkung bleiben‹‹ (Breidenstein, 2002, S. 11). Die Kopplung von Zeit und Raum ist es, welche den Einfluss auf das Verhalten der Akteure verstärkt – Schule wird somit zu einer prägenden Instanz einer jeden Sozialisation. Schon allein wegen der Prämisse, dass man sich ihr nicht entziehen kann. In keiner anderen Institution verbringt der Mensch, gezwungenermaßen, mehr Zeit. Die Schulpflicht beginnt ab dem sechsten Lebensjahr und endet nach frühestens neun Jahren bzw. verlängert sich, sofern noch das Abitur absolviert wird.8 In der Schule ist es gerade die zeitliche Dimension, die die selbige stabilisiert und als die institutionelle Rahmenbedingung eine ››Verlässlichkeit und Berechenbarkeit des Schulbetriebes‹‹ (Bräutigam, 2003, S. 53) sichert. 8
Ausbildungsverhältnisse seien an dieser Stelle einmal ausgenommen. Eine neunjährige Schulpflicht bezieht sich auf den Primarbereich und die Sekundarstufe I. Grundsätzlich beträgt die Schulpflicht in Niedersachsen zwölf Jahre (vgl. Niedersächsische Landesschulbehörde, 2014).
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Mit der oben behandelten Dimension des Raumes gekoppelt findet sich im schulischen Kontext eine ››spezifische Raum-Zeit-Koordination‹‹ (Kalthoff & Kelle, 2000, S. 691) mit einer ››eigenständigen Zeitmessung, die periodisch und zirkulär ist‹‹ (ebd.). Durch die Rhythmisierung der Akteure über Pläne, Räume und Stunden hinweg offenbart sich eine Grobstruktur unterrichtlichen Handelns. Der zeitliche Takt zwischen Unterrichtsstunden und -pausen gilt gleichermaßen für den Sportunterricht. In Bezug darauf gibt Scherler (2000) zu bedenken, dass ››vor allem praktische Fächer wie Kunst, Musik oder Sport […] mehr Zeit für die Arbeitsorganisation und Produkterstellung [benötigen] als reine Denk- und Sprechfächer‹‹ (ebd., S. 53). Scherler (2000) bezieht sich damit auf ein Problem, dem der Sportunterricht im Speziellen unterliegt. Die schulische Temporalität (in der Regel ein 45Minuten-Takt) beruht auf der Grundlage der kognitiven Fächer unter Berücksichtigung der Aufmerksamkeitsspanne (vgl. ebd.). Viele organisatorische Aspekte, die spezifisch für den Sportunterricht sind, wie der Weg zur Sportstätte, Umkleidezeit, die Erwärmung, der Aufbau von Geräten, bedeuten zusätzlichen Zeitaufwand. Auch Bräutigam (2003) untermauert dies, weil der Sportunterricht durch zusätzlichen Zeitaufwand einen ››ständige[n] Kampf des Lehrers gegen die Uhr‹‹ (ebd., S. 59) bedeutet. Die Feinstruktur unterrichtlichen Handelns bleibt der Planung der Lehrperson überlassen. Damit zeigt sich eine weitere Facette der Zeitlichkeit. Eine Planung geschieht in der Regel außerhalb der unterrichtlichen Durchführung, in der Zeitabschnitte in einer Stunde auf der Grundlage eines Zeitkontingents gesetzt werden und eine geplante Ordnung des Ablaufes darstellen. Zinnecker (1978) spricht von einer ››Ordnung der Zeitstruktur‹‹ (ebd., S. 103, Herv. i. O.). Der tatsächliche Vollzug der Stunde zeigt die Hinwendung zur Theorie sozialer Praktiken und offenbart damit eine weitere Dimension der Zeitlichkeit. Praktiken beinhalten durch ihre dargelegte Offenheit potenzielle Sinnverschiebungen. Die Betonung der Sinnhaftigkeit und der Orientierung am Vollzug von Praktiken liegt in der Situativität und damit einer zeitlichen Dimension. Eine Rhythmisierung von Praktiken im Sinne einer Zeitlichkeit ist nur schwer zu vollziehen, da eine Zukunftsoffenheit von Praktiken immer auch mit Planungsunsicherheit verbunden ist. Im sportunterrichtlichen Kontext bedeutet dies zunächst, dass Sportlehrkräfte die zeitliche Taktung im Unterricht übernehmen. Allerdings ist genau dieser Vollzug en détail nicht planbar und vorhersehbar und bietet somit Potenzial für Spielräume im Handeln. Zinnecker (1978) führt diesbezüglich aus, dass sich durch die gemeinsame Gestaltung des Unterrichts Aktivitäten des ››Unterlebens für Schüler‹‹ (ebd.) entwickeln, die parallele Zeiträume entstehen lassen können und sich auf die Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung auswirken können. Kalthoff und Kelle (2000) verweisen im Rahmen einer Feinstruktur des Unterrichts weiterhin auf eine ››innere Zeitstruktur von Interaktionen‹‹ (ebd., S. 705). Gemeint ist damit vor allem die zeitliche Ordnung des Sprechens bzw. die zeitliche Abstimmung zwischen den Akteuren in Interaktionssituationen. Diese Aspekte werden im sportunterrichtlichen Kontext, gerade auch durch die spezifische Räumlichkeit, strukturiert und strukturieren gleichzeitig, wie es auch in der Theorie sozialer Praktiken postuliert wird.
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F ACETTEN DER (S PORT -)U NTERRICHTSFORSCHUNG Die Ordnung des (Sport-)Unterrichts offenbart unterschiedliche Facetten, die für eine Betrachtung der sozialen Ordnung in den Fokus rücken. Die Sensibilität, sich mit schulischen Rahmungen, einer Räumlich- und Zeitlichkeit des Sozialen auseinanderzusetzen, folgt nicht zuletzt aus der erkenntnistheoretischen Fundierung. Um weitere empirische Bezugspunkte zu verdeutlichen, werden nachfolgend die Facetten der (Sport-)Unterrichtsforschung dargelegt. Darunter finden sich sowohl klassische Bezüge zur Fokussierung der Sprache im Unterricht wie selbstverständlich auch sportunterrichtliche Bezüge. Weiterhin dient eine mikrosoziologische Einordnung der Arbeit dazu relevante Forschungsdesiderate offenzulegen. Die Unterrichtsforschung im Allgemeinen ist ein weites Feld. Grund dafür sind neben den verwendeten Methodologien und unterschiedlichen Forschungsmethoden gerade auch die diversen theoretischen Grundlegungen aus verschiedenen Bezugswissenschaften. Die hier aufgeführten Studien beziehen sich zunächst im weiteren Sinne auf LehrerInnen-SchülerInnen-Interaktionen, um unterschiedliche Gesichtspunkte zu veranschaulichen, und später im engeren Sinne auf mikrosoziologische Bezüge im Unterricht, um die Bedeutsamkeit der Problemstellung dieser Arbeit weiter herauszuarbeiten. Die 68er-Bewegung bildete durch neue gesellschaftliche und soziokulturelle Bedingungen einen neuen Fokus auf die Schule. Die Institution stellt einen der Lebensbereiche einer Gesellschaft dar, der direkt von Veränderungen betroffen war und ist und damit – nicht weiter verwunderlich – zum Gegenstand empirischer Forschung wurde. Sowohl die allgemeine Didaktik als auch die Fachdidaktik bleiben lange einer geisteswissenschaftlichen Tradition verhaftet und wenden sich erst nach einiger Zeit der empirischen Erforschung des Unterrichts zu. Arnold (2009) weist jedoch auf eine immer noch fehlende Verknüpfung der Lehr-Lern-Forschung und der Didaktik hin (vgl. ebd., S. 21f.). Während nach Arnold (2009) Unterricht als ››didaktisch geplante und deshalb sowohl thematisch abgrenzbare als auch zeitlich hinreichend umfassende Sequenzen des Lehrens und Lernens im Kontext pädagogischer Institutionen bezeichnet‹‹ (ebd., S. 15) wird, grenzen sich Situationen des Lehren und Lernens im Rahmen von Familien oder auch informellen Sportgruppen davon ab. Diese unterliegen nicht den Kriterien einer didaktischen Planung und der Relevanz einer pädagogischen Institution. Klieme (2006) fasst unter dem Begriff der Unterrichtsforschung neben einer Betrachtung der Qualität von Interaktionen auch die Wirkungen von Unterricht. Demnach bezeichnet die empirische Unterrichtsforschung eine ››systematische Beobachtung und Beschreibung der Interaktionsprozesse von Lehrern und Schülern sowie die Analyse ihres Zusammenhangs mit Schülermerkmalen […] und Lehrermerkmalen‹‹ (ebd., S. 765). Unterrichtsforschung kann nach Wolters (2011) als ein ››Spezialgebiet der Lehr-Lern-Forschung angesehen werden‹‹ (ebd., S. 19-20). Eine Charakterisierung der Sportunterrichtsforschung fällt bereits angesichts der facettenreichen Zugänge schwer. Zu konstatieren ist mit Wolters (2011) bereits, dass man nicht von ›››der‹ Unterrichtsforschung‹‹ (ebd., S. 43) sprechen kann, dies zeigen bereits die vorangestellten Perspektiven, ››denn die einzelnen Untersuchungen über Sportunterricht verfolgen sehr unterschiedliche Ziele, lassen sich zum Teil auf kont-
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räre wissenschaftliche Grundannahmen zurückführen und verwenden vielfältige Methoden‹‹ (ebd.). In der vorliegenden Arbeit wird mit Bezug zur Theorie sozialer Praktiken der situative Vollzug des Interaktionsgeschehens im Sportunterricht in den Blick genommen. Mit dem Fokus auf die Praktiken zur Herstellung und Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung werden die Mikroprozesse unterrichtlichen Handelns in den Blick genommen und in situ analysiert, wie LehrerInnen und SchülerInnen ihren Unterricht gestalten. Mit Bräutigam (2008) lässt sich dieses Forschungsinteresse weiter ausführen, indem auch durch ihn die Analyse von Mikroordnungen sportunterrichtlicher Interaktionen betont werden: Es geht darum, ››die ›Hinterbühne‹ des Sportunterrichts aufzusuchen, dem ›Unterleben‹ und Selbstmanagement von Schülern und Lehrern auf die Spur zu kommen und die typischen Strategien, Rituale, Regeln und Routinen der handelnden Akteure aufzudecken, die wohl in entscheidendem Maße die Verlaufs- und Wirkprozesse des Sportunterrichts bestimmen‹‹ (ebd., S. 48).
In den 80er Jahren wurden vermehrt qualitative Studien zu Unterrichtsprozessen vollzogen, die in den letzten Jahren häufiger durch Studien über die Schulsportentwicklungsforschung, dem quantitativen Paradigma folgend, abgelöst wurden. Allen Entwicklungen gemein ist immer wieder der Aufruf, das methodische Design gegenstandsangemessen zu handhaben und die Limitation der eigenen Ergebnisse zu reflektieren (vgl. Thiele, 2008, S. 51f.). Auch wenn diese Studien zunächst über die unterrichtlichen Inszenierungen hinausgehen unterliegen beide Perspektiven ähnlicher Problemstellungen: die (Hinter-)Gründe für bzw. über die Bewältigung des Schulund Unterrichtsalltags zu rekonstruieren (vgl. Bräutigam, 2008, S. 47f.). Neben einer Reihe von psychologischen Forschungen zur LehrerInnenSchülerInnen-Interaktion, die in erster Hinsicht Erwartungskommunikationsprozesse und deren Rückkopplungen unter die Lupe nehmen, ist das LehrerInnen- und SchülerInnenverhalten im Unterrichtsprozess ein zentraler Bezugspunkt. Im Folgenden werden einige zentrale Studien aus diesem Bereich vorgestellt, um das Facettenreichtum der Unterrichtsforschung zu verdeutlichen. Folgende Entwicklungen werden unterschieden: psychologische Forschungen und prozessorientierte Forschungen (1), kommunikationstheoretische Forschungen (2), linguistische Forschungen (3), empirisch-pädagogische Forschungen (4) und Forschungen zur Unterrichtssprache mit anschließender Fokussierung auf den Sportunterricht (5). Die Fokussierung der Bedingungen des Lehrens und Lernens in schulischen Kontexten sind nicht nur Forschungsbereiche der Pädagogik, sondern ebenfalls von der Psychologie. Die pädagogische Psychologie gibt im Rahmen von Entwicklungs- und Persönlichkeitstheorien wichtige Impulse für die empirische Unterrichtsforschung. Neben sozialen und motivationalen Bestimmungsfaktoren zählen u. a. die Diagnostik, Unterrichtsstile, die Intervention von Lernstörungen oder auch die Analyse von Gruppenstrukturen in Schulklassen zu den Aufgaben der pädagogischen Psychologie. Die Facetten dieser Forschungsrichtung sind sehr breit gefächert, so dass eine ausführliche Betrachtung den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde und deshalb nur exemplarische Bezüge hergestellt werden. Den Auftakt einer Unterrichtsforschung mit psychologischem Schwerpunkt machen Brophy und Good (1976), indem sie eine umfangreiche Darstellung und Bestandsaufnahme zu empirischen Untersuchungen über den Pygmalioneffekt geben.
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Sie zeigen, dass LehrerInnen-SchülerInnen-Interaktionen sehr stark von Erwartungen geprägt sind, die Auswirkungen dieser jedoch individuell ganz unterschiedlich sein können. ››So kann ein Tadel einen Schüler massiv demotivieren und einen anderen Schüler hingegen durchaus motivieren‹‹ (Richert, 2005, S. 12). Diese Untersuchungen stellen den Beginn für die Erforschung der LehrerInnen-SchülerInnen-Interaktion dar. Parallel zu den Entwicklungen wurden auch immer mehr prozessorientierte Ansätze für eine theoretische Klärung von impliziten Persönlichkeitstheorien oder Kausalattribuierungen entwickelt (vgl. ebd., S. 11f.). Kommunikationstheoretische Forschungen (2) haben nicht das Bestreben, Begriffe am Ende einer Forschung zu explizieren, die dann eine pädagogischpsychologische definierte Interaktion erfassen. Hier werden Kommunikationsprozesse unter dem Aspekt des sozialen Lernens interpretiert und führen weiter zum Konzept der Handlungsforschung. Weiterhin ist aber auch der kommunikationstheoretische Ansatz von Watzlawick, Beavin und Jackson (1969) zu nennen. Watzlawick et al. (1969) stellen mit ihren fünf Axiomen einen wesentlichen Ausgangspunkt für Arbeiten über die Analyse pädagogischer Prozesse unter kommunikationstheoretischen Aspekten dar. Priesemann (1971) entwickelt daraus die ››Theorie der Unterrichtssprache‹‹, die vor allem aus syntaktischen Kategorien bestimmt wird. Diese konzeptorientierten Arbeiten werden in ergänzenden Untersuchungen tiefergehend betrachtet und geben weitere Befunde zur systematischen Analyse von Kommunikation im Unterricht. So interpretiert Heinze (1976), mit an Watzlawick et al. (1969) angelehnten Begrifflichkeiten, Unterrichtssequenzen und SchülerInnengespräche. Im Fokus stehen dabei Umgangstaktiken von SchülerInnen im Unterricht, mit denen sie aus der Situation Unterricht heraustreten können und Interesse oder auch Desinteresse spielen können. Ziel seiner Arbeit ist es nicht ein systematisches Analysesystem zu erstellen, sondern vielmehr die Etablierung von Interpretationsmustern. Forschungen mit einem linguistischen Schwerpunkt (3) probieren die vorangegangenen Untersuchungen zu erweitern. Bellack, Kliebard, Hyman und Smith (1966) entwickeln ein erstes empirisch gewonnenes Beschreibungsinventar zur Analyse von Unterrichtssequenzen. Sie analysieren unterschiedliche Zugkombinationen ihrer Hauptkategorien, entwickeln daraus unterrichtsbezogene Spielzüge – ››pedagogical moves‹‹ (ebd., S. 193) – und unterscheiden sie in ihrer unterrichtlichen Funktion und können daraus didaktische Merkmale ableiten (vgl. ebd., S. 215ff.). Diese Studie wurde von Roeder und Schümer (1976) durch eine linguistische Analyse erweitert. Sie konnten zeigen, wie Unterrichtssituationen gestaltet sein müssen, um für die SchülerInnen Sprachlernsituationen darzustellen. Dies erfolgte anhand von Sprachmustern und Unterrichtsstilen der Lehrpersonen. Sinclair und Coulthard (1975) probieren ebenfalls eine bestimmte Form von LehrerInnensprache zu beschreiben und entwickeln in ihren Analysen ››structure and classes of moves‹‹ (ebd., S. 44) und ››structure and classes of exchanges‹‹ (ebd., S. 49). Für ihre Analyseeinheiten sind neben den sprachlichen Äußerungen vor allem deren Folgen relevant. Es wird damit beschrieben, wie bestimmte Äußerungen strukturiert sind und wie Sprachfunktionen dadurch realisiert werden (vgl. ebd., S. 47). Während es für Sinclair und Coulthard (1975) die Sprechakte sind, die als Analyseeinheit gelten, sind es für Mehan (1979) die Folgen der Sprecherwechsel und deren Dialogstruktur.
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Empirisch-pädagogische Forschungen (4) zu LehrerInnen-SchülerInnenInteraktionen rezipieren mit der von Roth (1963) initiierten ››realistischen Wendung‹‹ (ebd., S. 109) zunehmend Theorien, Methoden und Ergebnisse aus angloamerikanischen Studien. In dieser Phase der Unterrichtsforschung stellt sich für die LehrLern-Forschung die Frage nach der Bezugsdisziplin – Psychologie oder Erziehungswissenschaft (vgl. Richert, 2005, S. 19). Obgleich es auch Bezüge oder Ableitungen zu SchülerInnenäußerungen gibt, steht die Lehrperson und ihre Sprache überwiegend im Fokus der Forschungen. Das breit gefächerte Spektrum zur Unterrichtssprache reicht von quantitativen Untersuchungen zu Auslegungen von Häufigkeitsuntersuchungen verwendeter Wörter bis zu qualitativen Analysen der LehrerInnen- und SchülerInnensprache. Die Mehrzahl quantitativer Untersuchungen beschränkt sich auf den Redeanteil im Unterricht und belegen, dass LehrerInnen im Klassenunterricht dominante Sprachanteile und einzelne SchülerInnen nur verschwindend geringe Anteile besitzen (vgl. Tausch & Tausch, 1970, S. 240). Auf der Grundlage von Kurt Lewin und dessen Typologie von Gruppendynamiken untersuchen Tausch und Tausch (1970) die verschiedenen Unterrichts- und Führungsstile von Lehrpersonen auf deren Rückwirkungen im Lernprozess. Neben solchen Beschreibungen des LehrerInnenverhaltens konzentrieren sich Sprechakt- oder konversationsanalytische Konzepte auf das sprachliche Geschehen im Unterricht. Der wesentliche Fokus liegt auf der Identifizierung von Mechanismen, der Erzeugung und der Weiterführung von Sprechhandlungen in Dialogstrukturen (siehe Sinclair & Coulthard, 1975; Ehlich & Rehbein, 1986 oder Bellack et al., 1966). Solche Vorgehensweisen der Klassifikation von LehrerInnenverhalten kritisiert Terhart (1989) und betont: ››Derartige Aufschlüsselungen liefern jedoch lediglich grobe Klassifikationsmöglichkeiten. Das tatsächliche Verhalten eines Lehrers bildet immer eine instabile Kombination aller Elemente‹‹ (ebd., 1989, S. 65). Daher ist es problematisch, solche sogenannten Stile a priori zu setzen. Die Untersuchung von Sprache und Kommunikation (5) ist ein fachunspezifischer empirischer Gegenstand. Für jedes Fach im schulischen Kontext scheint dies ein Anliegen zur Analyse zu sein. Die Betonung der Motorik und Körperlichkeit im Sportunterricht scheint Sprache zunächst zu marginalisieren, jedoch zeigen einschlägige Studien zur Sprache (vgl. Kuhlmann, 1986; Friedrich, 1991) und Kommunikation (vgl. Frei, 1999; Krieger, 2007) im Sportunterricht die Betonung dieses Gegenstandes für dieses Fach. In Kuhlmanns Studie ››Sprechen im Sportunterricht‹‹ (1986) wird dargestellt, wie anhand der Sprache von SportlehrerInnen Sportunterricht inszeniert wird. Kuhlmann (1986) geht es vor allem um eine Deskription der Inszenierungen von SportlehrerInnen im Sportunterricht. Den Theatermetaphern folgend wird Sportunterricht als eine Abfolge von Szenen beschrieben, in denen die Bewegung im Vordergrund steht und die immer wieder anhand von Sprache aufrechterhalten werden müssen. Eine Rahmung der Szene wird immer zunächst durch eine Inszenierung vollzogen, die sich aus den sprachlichen Handlungen der vorgreifenden Realisierung (Aufbau der Szene) und der vorgreifenden Verdeutlichung (Ablauf der Szene) zusammensetzt (vgl., ebd., S. 69ff.). Die Struktur, die sich im Ablauf zeigt, ist anscheinend eine ››eigene kognitive Karte‹‹ (ebd., S. 165) der Lehrpersonen, die als planerische Hilfe genutzt wird und für die Inszenierung konstitutiv ist. Kuhlmann (1986) zeigt mit dieser Studie anhand von transkribierten Sportunterrichtsstunden, dass sprachliche Handlungen von
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Sportlehrkräften verallgemeinerbaren Mustern unterliegen, die situative Anwendungsmöglichkeiten der Sprache im Sportunterricht aufdecken. Auf diese Studie wird im weiteren Verlauf der Arbeit noch einmal unter einem anderen Fokus Bezug genommen. Friedrich (1991) zeigt in seiner Studie ››Sprachliches Handeln des Sportlehrers‹‹, dass sich sprachliches Handeln und Bewegungshandeln in einer besonderen Weise funktional aufeinander beziehen. Zur Analyse der Sprachhandlungen unterscheidet Friedrich (1991) sechs ››Referenzmuster der Verbalisation sportspezifischer Bewegungshandlungen‹‹ (ebd., S. 64): ››das phänomenologische‹‹ (ebd., S. 65), ››das fachsprachliche‹‹ (ebd., S. 73), ››das emotional-bewertende‹‹ (ebd., S. 79) und ››das modellbezogene Referenzmuster‹‹ (ebd., S. 85). Diese vier Muster werden auf einer Metaebene durch das ziel- und handlungsbezogene (ebd., S. 93) und ››das funktionalkausale Referenzmuster‹‹ (ebd., S. 97) gerahmt. Unter der Perspektive des Begründens zeigt Friedrich (1991), dass diese primär für den unterrichtsorganisatorischen Rahmen gelten, sich aus den institutionellen Bedingungen ergeben und offenbaren, auf welchen institutionsspezifischen Maximen sich Lehrpersonen stützen (vgl. ebd., S. 196ff.). Von einer alleinigen lehrerInnenzentrierten Analyse von Sportunterricht sieht Frei (1999) ab und bezieht in seiner Analyse des kommunikativen Handelns im Sportunterricht die SchülerInnenperspektive mit ein. Die Untersuchung bezieht ihre theoretische Rahmung aus der Theorie des kommunikativen Handelns nach Jürgen Habermas und verfolgt die Bedeutung des kommunikativen Handelns im Sportunterricht und eine Rekonstruktion von jenen Momenten des Sportunterrichts, die als ››Brüche und Konflikte‹‹ (ebd., S. 4) charakterisiert werden können, um Konsequenzen für kommunikatives Handeln im Sportunterricht abzuleiten (vgl. ebd., S. 121). Zunächst werden die Geltungsansprüche Wahrheit, Wahrhaftigkeit und Richtigkeit nach Habermas in ihrer Ausprägung funktionell und in ihrer kommunikativen Gestaltung betrachtet, bevor einzelne Aspekte fokussiert werden. Anhand von Leitfadeninterviews wird eine Darstellung des kommunikativen Handelns im Handlungsfeld Sportunterricht aus der SchülerInnen- und LehrerInnenperspektive aufgezeigt und in den folgenden Konzepten verdichtet: ›››Transparenz‹, ›Gerechtigkeit/Aufrichtigkeit‹, ›Kooperationsbereitschaft‹ und ›Ansprechbarkeit/Aufmerksamkeit‹‹‹ (ebd., S. 227). Die differenzierten Interpretationen zeigen, dass sich die Sinnzuschreibungen der Lehrpersonen von denen der SchülerInnen unterscheiden. Die SchülerInnen nehmen sich selber als kompetente Akteure im Sportunterricht wahr und erwarten von der Lehrperson auch so angesehen zu werden. Weiterhin fordern die SchülerInnen Transparenz im Unterrichtsgeschehen. Die Lehrpersonen sprechen dem kommunikativen Handeln eine hohe Bedeutsamkeit zu, die nur schwer erfüllt werden kann, und Erwartungen der SchülerInnen werden von den Lehrpersonen als weniger bedeutend eingestuft. Die Ansprüche von Wahrhaftigkeit und Richtigkeit in Bezug auf das Konzept der Transparenz werden von den SchülerInnen als bedeutungsvoll herausgestellt und von den Lehrpersonen eher marginalisiert (vgl. ebd., S. 271ff.). Die SchülerInnenperspektive nimmt bei Krieger (2007) wie auch bei Frei (1999) eine prominente Rolle ein. Krieger (2007) rekonstruiert die differierenden Sichtweisen auf den Sportunterricht aus Sicht der Akteure. Anhand von Standbildern aus selbsterlebten Sportunterrichtssituationen und unter der Rahmung der Theorie der pädagogischen Kommunikation (Herzog) wird gezeigt, dass Lehrpersonen und Schü-
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lerInnen kaum geteilte Wissensbestände in Bezug auf die gezeigten Unterrichtssituationen haben. Krieger (2007) zeigt, dass eine gelungene pädagogische Situation nicht erreicht werden kann, wenn die Akteure unterschiedliche Perspektiven im Unterricht besitzen (vgl. ebd., S. 60ff.). Alle hier dargestellten Facetten der Unterrichtsforschung betrachten Unterricht als ein besonderes soziales Verhältnis zwischen der Lehrperson und den SchülerInnen. Die empirische Unterrichtsforschung schlägt häufig Modellierungen von Unterricht vor, die auf Annahmen von kausalen Zusammenhängen zwischen bestimmten Absichten (auf Seiten der Lehrperson) und Wirkungen (auf Seiten der SchülerInnen) beruhen und eine Entstehung von Bedeutungen in der Interaktion ohne Rückführung auf determinierende Regeln außer Acht lässt. In Anlehnung an den von Mehan (1979) entwickelten Dreischritt von Initiation-Reply-Evaluation zeigen beispielsweise Lüders (2003) oder auch Richert (2005), dass LehrerInnen und SchülerInnen im Unterricht anschlussfähige Äußerungen erzeugen, die bestimmten Regeln folgen. In der Folge werden komplexe Unterrichtsprozesse und damit auch soziale Situationen auf die sprachlichen Merkmale der LehrerInnen-SchülerInnen-Interaktion reduziert. Eine solche Reduzierung lässt sich im Zuge zunehmend individualisierender und geöffneter Unterrichtsformen nicht mehr angemessen beschreiben (vgl. Reh, Rabenstein & Idel, 2011, S. 209f.). ››Gegenwärtig zu beobachtende Entwicklungen der Öffnung von Unterricht machen es […] erforderlich, Unterricht nicht einfach nur als ein regelgeleitetes Verhältnis von Sprechakten, sondern als eine in pädagogischen Praktiken (re)produzierte Ordnung zu untersuchen‹‹ (ebd., S. 210, Herv. i. O.). In der Unterrichtsforschung lässt sich eine Abwendung von determinierenden Regeln verzeichnen, es rücken die Handlungskontexte als Gegenstand der Analysen zur Qualitätsausbildung von Unterricht in den Vordergrund. Oser (2007) ruft dazu auf, Kompetenzprofile und die Entwicklung von Standards ››nicht ohne Situationsspezifitäten zu entwickeln und zu denken‹‹ (ebd., S. 108). Die Betrachtung von LehrLern-Situationen und den in ihnen stattfindenden Brüchen und zu überwindenden Spielräumen bezeichnet Oser (2007) als eine ›››emergency-room‹ Realität‹‹ (ebd., S. 112). Oser und Baeriswyl (2001) betrachten den Klassenraum mit der Metapher einer Notfallaufnahme, da immer wieder Situationen auftreten, in denen flexibel reagiert werden muss: ››In a certain sense, a teacher can be compared to an expert in an emergency room: He or she must react constantly to the immediate events in the classroom‹‹ (ebd., S. 1032). Die empirische Unterrichtsforschung muss sich nicht selten den Vorwürfen stellen, sie würde durch ihren Fokus auf standardorientiertes Handeln situative und personale Aspekte von Lehr-Lern-Situationen ausblenden und somit unzulässige Handlungsformen unterstellen (vgl. Oser, 2007, S. 112f.). Der emergency-room im schulischen Alltag kann sich aus unmotivierten SchülerInnen, Ablenkungen der Lehrperson oder der SchülerInnen, Disziplinschwierigkeiten oder nicht funktionierenden Materialien konstituieren, die wesentlichen Einfluss auf die Qualitätsausprägung von Unterricht haben und die es zwingend in Analysen des schulischen Alltags miteinzubeziehen gilt (vgl. ebd., S. 108). Auch wenn die von Oser und Baeriswyl (2001) eingeführte Metapher der Notfallaufnahme im schulischen Alltag sicherlich dramatisiert, offenbart sie einige Charakteristika, die mitschwingen und nachvollziehbar erscheinen. Sowohl im schulischen Kontext wie auch in einer Notfallaufnahme zeigen sich ineinandergreifende Hand-
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lungsstränge und Kontingenzen, die eine situative und teilweise kreative Anwendung von Know-how erfordern. Und dies alles unter Einbezug diverser Materialitäten und spezifischer räumlicher und zeitlicher Dimensionen. Für den Sportunterricht, als zu betrachtender emergency-room, tritt somit neben der Zeit die Dimension des Raumes in Kraft, die eine spezifische Betrachtung erfordern und auf die bereits eingegangen wurde. So liegt der Schwerpunkt der hier vorgestellten Studien (natürlich mit Ausnahme weniger Analysen im Sportunterricht) auf der Analyse sprachlicher Inszenierungen im Klassenraum. Die Herstellung und Aufrechterhaltung von sozialer Ordnung und die Bewältigung von Spielräumen, wenn der routinisierte Strom typisierter Praktiken abbricht, kann nicht ausschließlich in der Analyse von Zugkombinationen sprachlicher Akte zu finden sein. Vielmehr sind es spezifische Praktiken, die Dimensionen der Materialität in den Fokus rücken. Neuere Studien zeigen diese Wendung zu einer mikrosoziologischen Schwerpunktsetzung als Helferlein der Unterrichtsforschung, beispielsweise in der Analyse pädagogischer Praktiken und anhand des Zusammenspiels von Zeigen und Anerkennen zwischen SchülerInnen und LehrerInnen (bspw. Rabenstein & Reh, 2010).9 Unterricht wird auch in diesem Verhältnis als eine soziale Situation aufgefasst. Die Lehrperson findet im Unterricht nicht einen, sondern eine Vielzahl von Akteuren vor, die mit jeweils unterschiedlichen Auffassungen darüber was gerade das Thema ist und was nicht und den unterschiedlichen Möglichkeiten des jeweiligen Engagements das soziale Ereignis Unterricht konstituieren. Eine tiefergehende Analyse darüber, dass ››[p]ädagogisches Handeln […] immer auch eine Form kommunikativen Handelns‹‹ (Frei, 2012a, S. 9) ist, fasst Frei (2012a) unter dem Label einer ››kommunikativen Sportpädagogik‹‹ (ebd.). Im Zentrum der Überlegungen, die sich in unterschiedlichen sportpädagogischen Feldern verorten – neben dem (Sport-)Medienhandeln von Jugendlichen und der Kommunikation im Jugendhochleistungssport selbstverständlich auch im Sportunterricht –, steht eine theoretische Figur mit handlungspragmatischen Implikationen, die ››distanzierte Verständigung‹‹ (ebd., S. 42). Frei (2012a) plädiert dafür im Sportunterricht Distanzmomente in der Kommunikation zwischen LehrerInnen und SchülerInnen zu akzeptieren und dafür zu sensibilisieren. Dadurch wird es ermöglicht, die häufig postulierte Perspektivenübernahme im gemeinsamen Handeln nicht ausschließlich als Grundlage für ››konsensorientierte Verständigung‹‹ (ebd., S. 103) zu betrachten. Die Gefahr von Brüchen in der Handlungskoordination zwischen LehrerInnen und SchülerInnen sieht Frei (2012a), in Hinblick auf die Geltungsansprüche kommunikativen Handelns, in einer fehlenden Transparenz kommunikativer Koordinierungen (vgl. ebd., S. 104ff.). Das gemeinsame Herstellen von Ordnung, Bedeutungen und Wissen kann in wiederkehrenden Phasen anhand sprachlicher Routinen gelingen oder auch scheitern. Jedoch bricht Unterricht nicht ab, sollte es kein gemeinsames Verständnis geben, wenngleich die Unterrichtskommunikation im Sinne didaktischer Intentionen als gescheitert beurteilt werden könnte. Die Betrachtung der Körperlichkeit unterrichtlicher Praktiken und die Materialität sind in der Unterrichtsforschung bisher, mit wenigen Ausnahmen (vgl. Rabenstein, 2010; Pille, 2013) nicht berücksichtigt worden. Dabei stellt das Sprechen selbst schon einen körperlichen Akt dar, der durch Mimik, Gestik 9
Auf diese und weitere Studien mit einer praxistheoretischen Fundierung wird im Laufe der Arbeit noch vertieft eingegangen.
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und nicht selten durch Artefakte zu einem Bestandteil einer sozialen Praktik wird. Die symbolische Ebene der Sprache ist selbstverständlich konstitutiv für den (Sport-)Unterricht, beispielsweise im Rahmen der Wissensvermittlung. Ein (Sport-)Unterricht ohne Bewegung, ohne die Verwendung von Artefakten, die in Raum und Zeit agieren ist ebenso nicht denkbar. Das Gesagte wird durch Körperbewegungen unterstützt, modelliert oder entkräftigt und Artefakte ermöglichen und begrenzen gleichzeitig Handlungen der Akteure. Diese Konzeptualisierung von (Sport-)Unterricht konzentriert sich auf die differenzierte Analyse unterrichtlicher Prozesse mit Blick auf die Körperlichkeit und Materialität. Aus dieser Betrachtung lässt sich mit Breidenstein (2006) ein Desiderat erschließen. Die Analyse mikrosoziologischer Prozesse im Unterricht ist bisher in der Unterrichtsforschung kaum unter die Lupe genommen worden. Mikrosoziologische (Ein-)Ordnungen Die Forschungsinteressen einer mikrosoziologischen Unterrichtsforschung und die zugrundeliegenden theoretischen Perspektiven sind ebenfalls facettenreich und werden im Folgenden weiter ausgeführt. Eine mikrosoziologische Sichtweise betrachtet Unterricht als eine soziale Situation. Schon in den 1920er Jahren beschäftigten sich Soziologen aus der Chicagoer School mit der Ausarbeitung von Mustern und Strukturen, die im alltäglichen Vollzug den Teilnehmern nicht bewusst sind, jedoch von ihnen hervorgebracht werden. Die realistische Wende (vgl. Roth, 1963) und später auch die Alltagswende sorgen für einen differenzierteren Zugang über das Erleben, Bewältigen und Deuten der Akteure in der schulischen Lebenswelt (vgl. Lenzen, 1980, S. 158ff.). Diese Entwicklungen können teilweise dafür verantwortlich sein, dass es einen starken Anstieg an empirischen Untersuchungen gab. Bales (1950) entwickelte beispielsweise mit seiner ››Interaction process analysis‹‹ ein Kategoriensystem über Interaktionssituationen, mit dem er soziale Phänomene wie Gruppendynamiken oder Leitungen von Gruppen und die Aushandlung von Problemen analysiert. Chapple (1939) probierte in seinen Arbeiten soziale Beziehungen zu beobachten und zu messen, mit dem Ziel, zu analysieren, welche Bestandteile sich in der Interaktion zeigen. Mittels seiner Idee, die Zeit zu messen, die Akteure in Interaktionen miteinander verbringen, stellt Chapple fest, wie Handlungen in Interaktionen zeitlich strukturiert sind (vgl. Reiger, 2000, S. 28f.). Diese Beispiele sollen hier exemplarisch für das angehende Forschungsinteresse zur Analyse von Aushandlungen in Interaktionen stehen. Allen Vorhaben war es gemeinsam, dass bestimmte Phänomene (Macht, Interaktionsmuster, soziale Schichtung oder Aushandlungsprozesse) in den Interaktionshandlungen zwischen den Akteuren zugrunde liegen (vgl. ebd., S. 28). Sie stellen damit ein Fundament dar, auf dem weitere soziale Phänomene exploriert werden können. Reiger (2000) konstatiert, es sei ››nicht überraschend, daß [sic] bei einer derartigen Konzeption die Interaktionshandlungen selbst, ihre Organisation und Struktur ausgeblendet blieben‹‹ (ebd., S. 30). Für Goffman sind es gerade diese Praktiken der Interaktion, auf die sein Interesse gerichtet ist. Chapple oder Bales sind in ihren Forschungen davon ausgegangen, dass Menschen, die sie beobachten, in sozialen Situationen in der Lage sind Interaktion auszuüben. Damit konnten sie auch nicht der Frage auf den Grund gehen, wie es den
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Personen gelingt oder wie sie es gemeinsam aushandeln, damit eine geordnete Interaktion hervorgebracht wird. Die konkrete Organisation von Interaktionshandlungen bleibt hier unbeachtet. Für Goffman macht dies jedoch den Fokus seiner Untersuchungen aus. Er verfolgt die Thematik, wie Interaktionen erst einmal überhaupt möglich seien und in der Folge, welche Ordnungsprinzipien in Interaktionssituationen auftreten, die dafür verantwortlich sind, dass soziale Situationen konstituiert und aufrechterhalten werden.10 Breidenstein (2002) unterscheidet im Rahmen ››interpretativer Unterrichtsforschung‹‹ (ebd., S. 11) drei Forschungsstränge: (1) mikrosoziologische Untersuchungen der Unterrichtskommunikation, (2) fallrekonstruktive Analysen der Strukturen des LehrerInnenhandelns und (3) (fach-)didaktisch orientierte Interpretationen von Unterricht (vgl. ebd., S. 12ff.). In Abgrenzung zu einer standardisierten Unterrichtsbeobachtung und -analyse ist die vorliegende Untersuchung der interpretativen-rekonstruierenden Unterrichtsforschung zuzuordnen (vgl. Breidenstein, 2002; Breidenstein, 2006; Fankhauser, 2013). Begründen lässt sich dies mit folgenden Kennzeichen sozialer Situationen: Für die Identifikation von relevanten sozialen Situationen gilt vor allem das Merkmal der Face-to-Face Interaktion und der ihr zugrunde liegenden Interaktionsordnung. Weiterhin finden soziale Situationen im schulischen Kontext größtenteils in einem geschlossenen Raum statt und sie sind zeitlich klar definiert. Die handelnden Akteure bestehen aus einer Vielzahl von SchülerInnen und einzelnen Lehrpersonen, die darin übereinstimmen das Geschehen als Unterricht anzuerkennen (vgl. Breidenstein, 2002, S. 12). ››Interpretative Unterrichtsforschung interessiert sich für dieses situierte interaktive Geschehen, das von den Teilnehmern als ›Unterricht‹ definiert wird und zwar in seinem alltäglichen Vollzug und hinsichtlich seiner immanenten Strukturiertheit‹‹ (ebd.). Breidenstein (2002) spricht an dieser Stelle noch nicht direkt von einer interpretativen-rekonstruierenden Unterrichtsforschung. Krummheuer und Naujok (1999) betonen allerdings unter einer praxeologischen Theorieentwicklung das ››rekonstruktive Vorgehen‹‹ (ebd., S. 16) mit der Fokussierung der ››Interaktionsprozesse in Unterrichtssituationen im Hinblick auf die soziale Konstitution von Unterrichtsalltag (und Lernen)‹‹ (ebd.). Es zeigt sich eine integrierte Sicht von nonverbalen Aktivitäten, verbalen Äußerungen und deren Bedeutungen im interaktiven Prozess. In den Analysen von Inter10 Goffman baute vorrangig auf den Arbeiten von Gregory Bateson auf. Bateson (Ruesch & Bateson, 1951) untersuchte die Organisationen von Interaktionssystemen. In Stanford versammelten sich 1956 am Institute for Advanced Study eine Gruppe von ForscherInnen, um eine detaillierte Studie über Interaktionssituationen durchzuführen. Das Projekt ist bekannt unter dem Titel ››Natural History of an Interview‹‹ und wurde unter anderen entwickelt und durchgeführt in der Zusammenarbeit mit Gregory Bateson, Norman McQuown und Ray Birdwhistell. Ziel dieses Projektes war es, Interaktionshandlungen in einem Interview zu beobachten und deren Bedeutung im Kommunikationsprozess herauszuarbeiten. Anhand von Videoaufzeichnungen wurden Grundelemente und Interaktionspraktiken erfasst, deskribiert und analysiert (vgl. Reiger, 2000, S. 31f.). Birdwhistell und Bateson können also als Hauptvertreter der Initiierung eines solchen Forschungszugangs angesehen werden. Goffman wurde von diesen Vertretern in Bezug auf das Verständnis und den Zugang zur Interaktion wesentlich beeinflusst. Allen gemein ist ein spezieller Zugang zur Praxis von Interaktionen.
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aktionssituationen sind beide Äußerungen von gleicher Bedeutung. Die Intention eines solchen Zugangs ist es, die einzelnen Akteure nicht als ››psychische Systeme‹‹ (Luhmann, 1984, S. 16) anzusehen, ››sondern das System von Beziehungen zwischen den Handlungen der Teilnehmer‹‹ (Reiger, 2000, S. 33) im Zentrum zu sehen. Diese Entwicklungen im Rahmen mikrosoziologischer Analysen hatten auch starken Einfluss auf Bereiche der Unterrichtsforschung, die vor allem durch Ansätze der Ethnomethodologie vertreten wurden. Unter den einschlägigen Begriffen wie des Classroom managements (vgl. u. a. Kounin, 1970), der ››Unterrichtsordnung‹‹ (Zinnecker, 1978, S. 110), der ››zehn Merkmale guten Unterrichts‹‹ (Meyer, 2005, S. 23) oder der ››Klassenführung‹‹ (Helmke, 2009, S. 178), werden immer wieder Hinweise und Empfehlungen für LehrerInnen zum Management über die SchülerInnenschaft gegeben und diskutiert. Gemeinsam ist diesen Ansätzen, dass sie die SchülerInnenperspektive zumindest nur nachgeschaltet betrachten und die LehrerInnenpersönlichkeit und das LehrerInnenhandeln unter dem häufig gebrauchten Gütesiegel ››effective teachers‹‹ (Brophy, 2000, S. 10; vgl. Wolters, 2011, S. 22f.) in den Vordergrund stellen. Aus der praxistheoretischen Forschungsperspektive ist bereits deutlich geworden, dass ein effektives LehrerInnenhandeln allein keine soziale Ordnung etablieren kann. Unter Einbezug der SchülerInnen (im Sinne einer Körperlichkeit), der Artefakte und der Räumlichkeit werden Praktiken situativ vollzogen, die den Sportunterricht konstituieren. Die ethnomethodologische Unterrichtsforschung rückt die Herstellungsprozesse und Prozesse der Aufrechterhaltung von Unterricht verstärkt ins Rampenlicht, weshalb diese Position nicht vernachlässigt werden darf. Im Fokus stehen Unterrichtsprozesse und die sozialen Praktiken, die von den Partizipanden vollzogen werden. Diesen Fokus fasst Hecht (2009) im Folgenden ethnomethodologischen Paradigma in Anlehnung an Zimmermann et al. (1971) zusammen: • • • •
››Ein funktionierender Unterricht ist nicht mehr Voraussetzung für Arbeit, sondern Unterricht ist das Ergebnis von Arbeit. Wissen gelangt nicht durch einfache Informationsverarbeitung in die Köpfe der Kinder, sondern es wird im sozialen Raum hergestellt. Scheinbar innere, kognitive Vorgänge wie Lesen oder Rechnen werden als lokal geordnete soziale Prozesse untersucht. Es werden nicht Leistungsmessung und Zensuren untersucht, sondern die Herstellung von Fairness oder Gleichheit oder Ungleichheit‹‹ (Hecht, 2009, S. 128).
Wesentliche Forschungslinien im Bereich der ethnomethodologischen Unterrichtsforschung sollen im Folgenden dargestellt werden, da sie auch mit dem eigenen Vorhaben im Zusammenhang stehen. Im Zentrum der Betrachtung sollen die Unterrichtsordnung und das Classroom management stehen. Unterrichtsordnung Der Bereich der Unterrichtsordnung offenbart verschiedene Facetten. Zum einen lassen sich Analysen typischer Abfolgen von Interaktionssequenzen finden, Untersuchungen zu der Koproduktion von Unterricht, die Charakteristika von Gesprächsre-
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geln und die Prägung eines heimlichen Lehrplans auf die Verhaltensweisen von SchülerInnen und LehrerInnen. Zinnecker (1978) beschreibt eben diese Prägungen auf die Akteure der Schule durch einen heimlichen Lehrplan. Er beginnt die Diskussion damit, dass neben der geplanten pädagogischen Veranstaltung ein weiteres Schulleben vorhanden sei. Dies beschreibt er ausführlich in den Bereichen der Ein- und Austrittsrituale, der Zeitstruktur, der Regelverletzungen, der Schülertaktiken oder auch der Liberalisierung der Ordnungsformen. Zinnecker (1978) untersucht wesentliche Elemente der Unterrichtsordnung wie beispielsweise SchülerInnenstreiche als Paradebeispiel eines ››Unterlebens‹‹ (ebd., S. 96). Er kommt zu dem Ergebnis, dass ein Unterlaufen der Ordnung nicht unbedingt eine Ordnungsopposition aufweist und eine Unterrichtsordnung nicht aufhebt (vgl. ebd.). Neben dieser Ordnungscharakteristik arbeitet Zinnecker (2001) weiterhin eine spezifische Raumordnung und Gegenstandsverwendung heraus. Er macht deutlich, an welchen Stellen in einem Klassenraum SchülerInnen sich aufzuhalten haben – ››Ordnung der Schülerbewegungen‹‹ (ebd., S. 320, Herv. i. O.) – und welche Räume eindeutig der Lehrperson zugeschrieben werden. Diese eindeutige Zuschreibung gilt nicht nur Räumen, sondern auch der Nutzung bestimmter Gegenstände, die nur von bestimmten Gruppen zu bestimmten Zeiten genutzt werden dürfen (vgl. Zinnecker, 1978, S. 101ff.). In Bezug auf die Ordnung von Gesprächseinheiten in Unterrichtssituationen arbeitet Mehan (1979) ein typisches lehrerInnenzentriertes Interaktionsmuster heraus: Initiation-Reply-Evaluation. Durch die Aufforderung zum Sprechen, beispielsweise durch eine Frage der Lehrperson, ist eine Antwort von der SchülerInnenseite erwartbar. Stimmt die Antwort der SchülerInnen mit der erwarteten Antwort der Lehrperson überein, folgt eine positive Evaluation des Beitrags. Bleibt dies aus, treten verschiedene Strategien von LehrerInnen- und SchülerInnenseite in Kraft, um die gewünschte Antwort zu erreichen und so auch die unterrichtliche Ordnung aufrechtzuerhalten. Erst dann schließt die Sequenz mit der Evaluation durch die Lehrperson (extended sequence). Mehan (1979) beschreibt, wie diese Interaktionsmuster von den Beteiligten gemeinsam hergestellt, durch Improvisation angepasst und von den Akteuren eingefordert werden und so zur unterrichtlichen Ordnung beitragen (vgl. ebd., S. 64f.). Auch Zinnecker (1978) beschäftigt sich mit einer ››Ordnung des Sprechverkehrs‹‹ (ebd., S. 101, Herv. i. O.). Die Lehrperson hat die Aufgabe den unterrichtlichen Sprach- und Sprechverkehr zu ordnen. Zinnecker (1978) hebt an diesen Beispielen immer wieder die SchülerInnentaktiken des Umgehens solcher strengen Regelungen hervor (vgl. ebd.). Wie solche Ordnungen in der Forschungslinie des Classroom managements betrachtet werden, soll im Folgenden dargestellt werden. Classroom management Die Bezeichnung des Classroom managements verwirrt auf dem ersten Blick in einer Arbeit, die Interaktionsprozesse im Sportunterricht näher betrachtet. Bei einer tiefergehenden Betrachtung fällt bereits auf, dass die Merkmale eines solchen Managements in einem Klassenraum auf unterschiedliche Kontexte übersetzt werden können (bspw. Gruppenführungen in Konzernen) und innerhalb des Kontextes Schule sowieso ohne Probleme in eine Sporthalle einer Schule gelingen. Hier bedarf es zunächst einer Klärung, was mit classroom management allgemein und später speziell in dieser Arbeit gemeint ist.
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Die moderne Betrachtung übersetzt diesen Begriff mit ››Klassenführung‹‹ (Helmke, 2009, S. 178). Der (Klassen-)Raum wird somit zum Kontext degradiert. Mit dem Verweis darauf, dass Novizen im Vergleich zu Veteranen in Bezug auf Klassenführung eher von einer Disziplinierung der SchülerInnen sprechen als von einer sorgfältigen Unterrichtsplanung und einer Etablierung von Regeln, fällt wiederum auf, dass der Fokus erkenntlich auf der Lehrperson liegt und weniger auf den SchülerInnen (vgl. ebd.). Kounins Ansatz betrachtet folgende Merkmale der Klassenführung durch die Lehrperson: ››Withitness‹‹, ››Overlapping‹‹, ››Momentum‹‹, ››Smoothness‹‹, ››Group Focus‹‹, ››Managing Transitions‹‹ und ››Avoiding Mock Participation‹‹ (ebd., S. 179, Herv. i. O.). Dieses Konzept wurde von Keller (2012) in seiner Arbeit zum ››Disziplinmanagement in der Schulklasse‹‹ weiterentwickelt. Es finden sich dort viele Überschneidungen, die zu den Beschreibungen der Begrifflichkeiten Kounins passen. So ist die ››professionelle Klassenleitung‹‹ (ebd., S. 79) der Withitness oder das ››Schülerfeedback‹‹ (ebd., S. 96) dem Group Focus ähnlich. Es gibt jedoch auch wesentliche Neuerungen. So finden sich bei Keller (2012) weiterhin die ››Kooperation mit dem Elternhaus‹‹ (ebd., S. 111), ››nonverbale Verhaltenssteuerung‹‹ (ebd., S. 90), die ››Selbstreflexion‹‹ (ebd., S. 114) und ››Verhaltensregeln‹‹ (ebd., S. 88), die bei Kounin nicht explizit genannt werden. Die Erweiterung um die Verhaltensregeln oder auch um die nonverbalen Verhaltenssteuerungen sind Elemente, die in der Forschung über die Klassenführung eine zentrale Rolle zugesprochen bekommen. Die Vereinbarung, Einhaltung und Einforderung von Regeln und die Abmachungen über das Verhalten in der Schule sind wesentliche Bestandteile. Der Einsatz von Routinen, Regeln und Ritualen wird im Kontext der Klassenführung immer mit dem Bezug einer effizienten Klassenführung – Effizienz mit Blick auf ››aktiver Lernzeit‹‹ (Helmke, 2009, S. 174, Herv. i. O.) – genannt. Was verwirrt, ist jedoch die Betonung der Lehrperson; SchülerInnen werden im Begriff des Klassenmanagements integriert, aber eher passiv dargestellt. Die oben angesprochene Unterrichtsordnung, deren Ziel classroom management immer wieder verfolgt, muss durch alle Beteiligten aufrechterhalten werden. Zinnecker (1978) verwies immer wieder auf SchülerInnentaktiken, die einem Unterlaufen der Ordnungen galt. In dieser Arbeit wird davon ausgegangen, dass eben nicht nur die Lehrperson als ››pädagogische[r] Wächter‹‹ (ebd., S. 99) den Unterricht am Laufen hält. Für die Konstitution von Unterricht werden ebenso die SchülerInnen, die Räumlichkeit und die Artefakte mit einbezogen – im weitesten Sinne somit Partizipanden. Sie sind ebenso aktiv gestaltende Akteure. SchülerInnen und LehrerInnen nehmen in dieser Betrachtung eine annehmbare gleichgestellte Funktion ein: Die Funktion der Herstellung und Aufrechterhaltung einer sozialen Ordnung durch ihre Tätigkeiten im Vollzug, letztendlich ihrer skillful performance. Mit einer praxistheoretischen Perspektive wäre dies an dieser Stelle auch nicht anders zu erwarten. Soziale Ordnungen sind sowohl berechenbar als auch unberechenbar, da (und das gilt trotz anscheinend festgelegter statischer Rollen auch für die Schule, spezieller den Sportunterricht) sie durch lokale Ordnungen revidiert werden können. ››Erwartbare Handlungen können unerwartete Wendungen nehmen‹‹ (Hecht, 2009, S. 132). Ophardt und Thiel (2007) sprechen beim Klassenmanagement von sozialen Aktivitäten seitens der Lehrperson, die im Zusammenspiel für eine Struktur im Unterricht
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sorgen. Damit sind u. a. situative Anweisungen oder auch Zurechtweisungen gegenüber den SchülerInnen gemeint, um Lehr-Lern-Prozesse aufrecht zu halten. Ebenso wie die Herstellung einer Struktur für den Unterricht schließen sie beim Klassenmanagement die Anforderung mit ein, mit Störungen der Ordnung umzugehen und darauf zu reagieren. Solche Bearbeitungen können sowohl situativ in der Unterrichtssituation als auch außerhalb des Unterrichts stattfinden. Weiterhin weisen sie darauf hin, dass die Einführung und Etablierung von Regeln ausschlaggebend für erfolgreiches LehrerInnenhandeln ist. Interessant ist, dass Ophardt und Thiel (2007) darauf verweisen, dass die jeweilige Bedeutung der Handlungen implizit bleibt und somit identifiziert und rekonstruiert werden muss (vgl. ebd., S. 137). Daraus lassen sich Parallelen zur Praxistheorie schließen, die das implizite Wissen ebenfalls in den Akteuren und in den Handlungskontexten verortet. Die Beobachtung solcher Spielräume und die Reparaturformen, die von den Beteiligten (wie) verwendet werden, sind im Kontext der Schule besonders interessant. An diesen Stellen werden Orientierungen der Teilnehmer in der Situation und die Herstellung bzw. Aufrechterhaltung des Unterrichtsprozesses durch die Teilnehmer besonders deutlich. Eine interpretative-rekonstruktive Unterrichtsforschung steht vor der Herausforderung zwischen der mikrosoziologischen Perspektive und dem Unterrichtsalltag zu vermitteln. Eine Rekonstruktion der interaktiven Praxis im Kontext von Lernprozessen und Bedingungen für gelingenden Unterricht kann keine konkreten Handlungsmuster aus gesellschaftlichen Bedingungen heraus zu erklären beanspruchen. Vielmehr beschränken sich die Analysen auf situative und lokale Ordnungen, in denen die Vollzugslogik sozialer Interaktionen hinterfragt wird. Die bisherige Fokussierung der Unterrichtsforschung lag auf der Analyse des LehrerInnenhandelns, eine Analyse der ››Lehrer-Schüler-Dyade‹‹ (Breidenstein, 2002, S. 25) und der sich daraus ergebenden unterschiedlichen Formen, sich auf Unterricht zu beziehen, kann als Desiderat ausgemacht werden. Die Hinwendung zu einer praxeologischen Perspektive gewinnt in den letzten Jahren an Bedeutung. Darunter werden unterschiedliche Ansätze subsummiert. Die Ansätze reichen von Performanz-Konzepten (siehe Wagner-Willi, 2005) über ethnomethodologische Zugänge (siehe Breidenstein, 2006; Hecht, 2009) bis hin zur Praxeologie Bourdieus (siehe Alkemeyer, Brümmer, Kodalle & Pille, 2009; Pille, 2013). Die Fokussierung der SchülerInnenposition hat Breidenstein (2006) mit seiner Studie über den SchülerInnenjob vorgenommen. Breidenstein greift das beschriebene Desiderat im Klassenunterricht auf und beschreibt unter einer praxeologischen Perspektive die Teilnahme von SchülerInnen im Klassenraum, wie sie sich aufeinander beziehen und welche Räume durch die Akteure geschaffen werden. Rabenstein und Reh (2010) befassen sich in einer ethnographischen Zuwendung der Etablierung von sozialer Ordnung im Klassenraum und analysieren Unterrichtsanfänge und den Einsatz von ritualisierten Handlungen, um die Ordnung im Unterricht zu (re-)produzieren. Sie verdeutlichen, dass im Klassenunterricht die Lehrperson die Unterscheidung zwischen Unterricht und Nicht-Unterricht vollzieht und wie auch gleichsam die Ordnung von LehrerInnen- und SchülerInnenseite hergestellt und unterlaufen werden kann. Die Analyse beschränkt sich auf Unterrichtsanfänge und es bleibt offen, wie die Spielräume von den Akteuren bearbeitet werden und welche
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Rolle die SchülerInnen bei der (Re-)Produktion der Ordnung einnehmen (vgl. ebd., S. 71ff.). Reh, Rabenstein und Idel (2011) untersuchen die pädagogische Ordnung im besonderen Zusammenspiel von Zeigen und Anerkennen. In der Studie, die sich an Schatzki anlehnt, wird gezeigt, dass die Analyse einer Theorie des Sozialen nur ungenügend anhand einer Analyse von Sprechakten gerecht wird. Sie weisen darauf hin, dass eine Herstellung und Aufrechterhaltung von sozialer Ordnung nur unter Einbezug materieller Arrangements, einer Räumlichkeit und pädagogischen Praktiken der Akteure angemessen analysiert werden kann. Alkemeyer, Brümmer und Pille (2010) betonen die Notwendigkeit einer Fokussierung der Leerstellen sozialen Handelns und bedienen sich der Praxeologie Bourdieus, um den praktischen Sinn der Akteure in labilen Ordnungen zu erarbeiten und die Relevanz eines Know-how und von kollektiven Wissensordnungen zu betonen. Die praxeologische Perspektive Bourdieus wird beispielsweise anhand der kooperativen Arbeit vollzogen. Dabei werden ››funktionale‹‹ und ››politische‹‹ (ebd., S. 236, Herv. i. O.) Dimensionen von sozialen Abstimmungen erarbeitet (vgl. ebd., S. 229ff.). Pille (2013) schließt an diesen Untersuchungen mit seiner ethnographischen Studie ››Das Referendariat‹‹ (ebd.) an, wonach er anhand des Habitus-Konzeptes von Bourdieu ReferendarInnen auf dem Weg zum LehrerInnen-Sein begleitet und danach fragt, wie dieser Prozess in unterschiedlichen räumlichen und personalen Konstitutionen vollzogen wird. Problematisch in vielerlei Hinsicht bleiben weiterhin die Generierung von Wissensbeständen und der Zugang zu diesen Prozessen. Eine erste Auseinandersetzung findet sich bei Schindler (2011), die im Rahmen von Demonstrationen in Kampfsportschulen unterschiedliche Formen des ››Teaching by Doing‹‹ (ebd.) rekonstruiert. Auch Schindler (2011) geht es darum zu zeigen, dass es nicht darum geht, wie etwas gelernt wird, sondern wie durch die Etablierung von sozialer Ordnung Gelegenheiten für das Lernen geschaffen werden.11 In didaktischen Situationen finden sich unterschiedliche Formen der Darbietung. Beim ››deklarierten Vormachen‹‹ (ebd., S. 336, Herv. i. O.) steht der didaktische Charakter der Demonstration, beispielsweise einer neuen Bewegung, im Vordergrund. Ein solcher didaktischer Charakter findet sich beim ››unwillkürlichen Zeigen‹‹ (ebd., S. 345, Herv. i. O.) nicht mehr. Diese Form bietet eine Reflexionsmöglichkeit für TrainerInnen in der Beobachtung des Tuns von SchülerInnen, um herauszufinden, was bereits gelernt wurde und was noch verfeinert werden muss. Eine dritte Form beschreibt das ››unwillentliche Zeigen‹‹ (ebd., S. 346, Herv. i. O.), welches auch außerhalb didaktischer Situationen stattfindet und durch die alltägliche Praxis angestoßen wird. Die Etablierung von Ordnung speziell im Sportunterricht zeigt sich bisher nur in einer Studie. Landau (1979) zeigt, dass die Ordnung im Sportunterricht nicht als einzulösender Erziehungsauftrag der Lehrperson und auch nicht als ein organisatorisches Problem zu betrachten ist, sondern sich aus ››sozialinduzierten Regeln‹‹ (ebd., S. 92) generiert. Landau (1979) rückt die Interaktionsbedingungen in den Fokus, um eine Ordnung im Sportunterricht zu etablieren und dass diese maßgeblich von der Rahmung der Lehrperson bedingt wird. Die von ihm beschriebene Kodifizierung der 11 Die Prämisse, dass man davon ausgehen kann, dass im Tun geübt und professionalisiert wird, ist ein Gedanke der auch dem Referendariat zugrunde liegt (vgl. Pille, 2009; 2013).
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Dinge, Räume und das soziale Verhalten lassen eine Ordnung im Vollzug entstehen. Eine genauere Betrachtung der Konstitutionsbedingungen erfolgt in dieser Arbeit jedoch nicht. Weiterhin bezieht sich Landau (1979) auf Regularien der Institution und weniger auf kollektive Wissensordnungen der Akteure, die bereits implizit vorhanden sind. Eine Andeutung auf eine notwendige Betrachtung der Materialität als konstitutive Elemente einer Ordnung im Sportunterricht wird allerdings schon ausdrücklich formuliert.
Z USAMMENFASSUNG : Z UM V ERHÄLTNIS O RDNUNG UND SOZIALEN P RAKTIKEN
VON SOZIALER
Im ersten Schritt dieser theoretischen Grundlegung wurde gezeigt, dass die Frage nach der sozialen Ordnung als eine leitende Problemstellung der Soziologie zu verstehen ist. Eine Darstellung der Erklärungsansätze von sozialer Ordnung zeigen differente Ansichten auf Makro- und Mikroebenen einer Gesellschaft. Für diese Arbeit wird die Herstellung und Aufrechterhaltung von sozialer Ordnung in den Situationen verortet. Durch ein ständiges Richtig-Feststellen orientieren sich die Akteure einer Situation aneinander und zeigen sich so an, wie sie Situation verstehen und schaffen gemeinsam ein geordnetes Ganzes. Deutlich wurden dabei die Interdependenz der Handlungen und die ständige Fragilität sozialer Ordnung. Mit Bezug auf Goffman wurde eine Fokussierung auf die Körperlichkeit und Routinisiertheit vorbereitet, die in einem weiteren Schritt mit der praxeologischen Perspektive nach Reckwitz weiter theoretisch fundiert wurde. Die verschiedenen Strömungen, die der Praxistheorie zugeordnet werden, wurden bereits unterschieden. So zeigte sich zum einen eine eher strukturalistische Version, vertreten von Pierre Bourdieu und zum anderen eine Strömung, die den practice turn ausgerufen hat, vertreten von Schatzki, Knorr-Cetina und v. Savigny (2001). Mit Reckwitz (2003; 2012) wurde in diesem Zusammenhang durch eine Theoriesynthese, die Theorie sozialer Praktiken entwickelt, die an vielen Stellen Familienähnlichkeiten zu den genannten Strömungen offenbart. Die Praxistheorie orientiert sich eng an den Kulturtheorien, wonach kollektive Wissensordnungen repetitive Handlungsmuster hervorrufen. Die Ausführungen zeigen, dass die Theorie sozialer Praktiken davon ausgeht, dass inkorporierte Handlungsweisen in den Akteuren vorhanden sind, die auf durch die Sozialisation einverleibte Ressourcen zurückgehen, auf Beobachtungen beruhen und im Tun laufend reproduziert werden – Tätigkeiten im Vollzug. Das Soziale vollzieht sich in praxistheoretischen Ansätzen nicht interessen- oder normgeleitet, sondern es wird in den Praktiken selbst verortet und offenbart sich durch ein praktisches Wissen und praktisches Können. Es konnte herausgearbeitet werden, dass Sozialität sich in diesem Denken größtenteils über schweigsame, aber durchaus öffentlich beobachtbare Praktiken vollzieht, die nicht primär über die Intentionen Handelnder gesteuert werden, sondern eher als ein ››routinisierter Strom der Produktion typisierter Handlungen‹‹ (Reckwitz, 2003, S. 294) zu verstehen ist, der nicht ursächlich einzelnen Teilnehmern zugeschrieben werden kann.
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Das Erkenntnisinteresse der Theorie sozialer Praktiken insistierte damit weiterhin auf der Materialität des Geschehens. Bezogen auf den menschlichen Körper besteht eine Praktik aus bestimmten routinisierten Bewegungen und Aktivitäten des Körpers. ››In der ›materiellen Verankerung in den mit inkorporiertem Wissen ausgestatteten Körpern […] und in den Artefakten‹ gewinnen die Praktiken auch ihre Reproduzierbarkeit in Zeit und Raum‹‹ (Breidenstein, 2006, S. 17). Im Fokus stehen somit, neben weiteren Partizipanden, die Körper der Akteure, die durch wechselseitige, aufeinander bezogene Praktiken, Gesten und Blicke soziale Ordnung performativ herstellen und aufrechterhalten. Im Wesentlichen ging es bei dieser Abgrenzung um Praktiken und ihre Partizipanden und nicht um die Partizipanden und die Praxis. Daraus ergibt sich, dass die Partizipanden immer Bestandteil der Praktik sind. Man fragt somit nicht danach, wer welche Praktik ausführt, sondern wer in der spezifischen Praktik involviert ist. Dadurch ergibt sich eine Materialität des Geschehens. Unter sozialer Ordnung kann somit ein besonderes Zusammenspiel der Partizipanden verstanden werden, ein Nexus von Praktiken der Akteure in besonderen Räumen und mit spezifischen Artefakten, der sich in einem gewissen zeitlichen Rahmen entfaltet. Auf der Ebene des Unterrichts sind für die Konstitution sozialer Mikroordnungen soziale Praktiken der Abstimmung und der Ordnung erforderlich, welche es gilt exemplarisch am Sportunterricht aufzudecken und zu analysieren. Die Akteure können besonders im Sportunterricht mit ihrem Körper, als Ort eines impliziten Praxisund Erfahrungswissens bei der Ausgestaltung von sozialer Ordnung beobachtet werden. Die Praktik offenbart, dass den Akteuren implizites Wissen zugrunde liegt. Aus der umfangreichen Darstellung der Facetten der (Sport-) Unterrichtsforschung konnte mit der praxistheoretischen Perspektive und der Fokussierung auf die Tätigkeiten von Lehrpersonen und SchülerInnen eine zweifache Verschiebung der gebräuchlichen Perspektive auf schulischen Unterricht gezeigt werden: 1) Einerseits richtet sich diese auf die Intentionalität des Unterrichts; 2) Andererseits richtet sie sich auf die Zentrierung des Handelns der Lehrperson. Im Rahmen dieser Arbeit wird nun im Folgenden der Versuch unternommen zu rekonstruieren, wie soziale Ordnung durch die Partizipanden erzeugt bzw. aufrechterhalten wird. Gerade der Sportunterricht, welcher keine eindeutige räumliche Strukturierung erfährt, wie im Klassenraum eindeutig definiert, ist störanfälliger und bedarf einer Verständigung aller beteiligten Akteure untereinander. Das Zusammenspiel der Akteure im Sportunterricht, in dem sozusagen freigesetzte Körper miteinander agieren, plausibilisiert sozusagen, dass die Bedeutung des Körpers als Ort eines impliziten Wissen hier besser beobachtet werden kann – im Sinne einer skillful performance – als in anderen Schulfächern. Die Frage, die sich daraus ergibt ist: Wie gestalten sich diese Tätigkeitsmomente beziehungsweise was hält Sportunterricht am Laufen? Der Fokus liegt in einem ungewohnten Blick für die Schulpädagogik, weil er die zentrale Unterstellung, dass in der Schule gelernt wird, nicht als Ausgangspunkt nimmt. Das heißt nicht, dass in der Schule nicht gelernt wird (was sicher der Fall ist), nur dass es nicht der Gegenstand der Betrachtung ist. In einer Beobachtung von ab-
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stimmenden und ordnungserzeugenden Praktiken zeigen sich Tätigkeiten oder Darstellungen der beteiligten Akteure. Die Tätigkeiten der LehrerInnen und SchülerInnen liegen in einem routinisierten Tun, in einer wechselseitigen Beobachtung, die in der mikrosoziologischen Gestalt die von Goffman formulierte Interaktionsordnung in der Unterrichtssituation annimmt.
Methodologische Rahmung
Das Primat der Fragestellung sondiert in der vorliegenden Arbeit das methodische Vorgehen, auf dessen Einordnung, Beschreibung und Diskussion im Folgenden eingegangen wird. Die vorangestellten theoretischen Überlegungen werden in die eigene qualitative Untersuchung begründet eingeordnet. Zugleich ist zu erwähnen, dass sowohl die Methodologie als auch die erkenntnistheoretische Fundierung nicht von voneinander getrennt zu betrachten sind, vielmehr werden die jeweiligen Seiten einer Medaille so gewendet, dass beiderseitiges Verständnis und die Verbindung zueinander verdeutlicht wird. Wie bereits formuliert, handelt es sich bei dem Vollzug von Praktiken um beobachtbare Prozesse, die im Kontext der Schule routinisiert vollzogen werden. Praktiken besitzen eine spezifische Empirizität, die sich durch eine vollständige Öffentlichkeit und Beobachtbarkeit charakterisieren lässt (vgl. Hirschauer, 2004, S. 73). Im Rahmen dieser Untersuchung geht es darum zu beschreiben, wie soziale Ordnung im Sportunterricht durch die beteiligten Akteure hergestellt und aufrechterhalten wird. Die Praktiken, denen sich die Akteure bedienen, sind die konstituierenden Elemente sozialer Ordnung, welche es empirisch zu rekonstruieren und zu analysieren gilt. Aber nicht nur die Analyse konstituierender Elemente von sozialer Ordnung kann geleistet werden, sondern auch die Ausgestaltung der Spielräume, die von den Akteuren im Sportunterricht kompetent oder kreativ mit entsprechenden Handlungen ausgefüllt werden, wenn der routinisierte Strom typisierter Handlungen abbricht. Aus diesen Formulierungen wird deutlich, dass ein methodischer Zugang erforderlich ist, der das Wie erfassen kann, und diese Prämisse verweist auf eine qualitative Forschungsstrategie.
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E THNOMETHODOLOGIE – L OKALE O RDNUNGEN 1 In den Ausführungen über die praxeologische Perspektive wurde bereits eine zentrale methodologische Konsequenz angedeutet. Soziale Praktiken lassen sich in der Alltagspraxis (wenn überhaupt) nur sehr begrenzt anhand von Befragungen jeglicher Art untersuchen. Sie unterliegen der Selbstverständlichkeit und sind zu tief im Alltagswissen der Akteure verankert, als dass sie der Reflexion zugänglich wären. Die Voraussetzungen für diese methodologische Konsequenz sind noch nicht einmal problematisch, sondern vielmehr notwendig. Eine geringe Auskunftsfähigkeit über das eigene Tun im Alltagshandeln ist sogar notwendig für eine reibungslose Organisation der Praxis. Die Ethnomethodologie postuliert dies, indem sie darauf aufmerksam macht, ››dass die Alltagspraxis gar nicht viel darüber wissen darf, wie sie es macht: ein Zuviel an explizitem Wissen über die Praxis stört deren Funktionieren. Im Rahmen des Alltagshandelns muss das praktische Wissen darum, ›wie es geht‹, weitgehend implizit bleiben, sonst gerät das Handeln ›ins Stolpern‹‹‹ (Breidenstein, 2006, S. 19, Herv. i. O.).2 1
2
Die Ethnomethodologie sind die Praktiken, die von den Akteuren in einem situativen Kontext sinnvoll angewendet werden und auch nur in diesem Kontext sinnhaft verstehbar sind. Während und außerhalb der Beobachtung sind die Akteure diejenigen, die wissen, wie sie zu handeln haben. Die Ethnomethodologie wäre somit streng genommen keine Forschungsweise der Wissenschaft, sondern die Art und Weise, wie soziale Wirklichkeit von den Akteuren betrieben wird. Erst wenn Studien zur Ethnomethodologie betrieben werden, wenn soziale Praktiken mit Blick auf soziale Ordnung in den Fokus geraten, tritt die Wissenschaft in den Vordergrund, welche diese Art und Weise zu analysieren versucht. Der Aspekt, dass ein Nachdenken darüber, wie man es macht, das eigene Handeln ins Stolpern bringt, wird von Garfinkel (1967) anhand der Studie ››Agnes‹‹ (ebd., S. 118) verdeutlicht (vgl. ebd., S. 116ff.). Agnes war die erste Transsexuelle, die wissenschaftlich begleitet wurde und sich einer Geschlechtsumwandlung vom Mann zur Frau unterzog. Der Körper wird durch die ständige Selbstdarstellung der Akteure, die in unterschiedlichen Formen immer auch kulturell bedingt ist, zu einer Art ››Kommunikationsmedium‹‹ (Hirschauer, 2004, S. 78. Herv. i. O.), welches zwei Seiten einer Medaille darstellt. Auf der einen Seite ist der Körper seit langer Zeit mit der Darstellung eines bestimmten Geschlechts vertraut und wird dementsprechend auch dargestellt. Die Geschlechtsumwandlung verlangt nun vom Akteur ein Körperwissen, um die Darstellung des anderen Geschlechts zu vollziehen. Auf der anderen Seite ist das implizite Wissen über Frau-Sein und Mann-Sein für die alltägliche Darstellung entlastend, indem man weiß, was man zu tun hat, ohne zu wissen, wie man(n) es tut. Erst die Aneignung jenes Wissens über die Darstellung lässt einen als Frau bzw. Mann erscheinen und sorgt dafür, dass auch die Umwelt einen dementsprechend behandelt. In der Fallstudie Agnes ist nach der Geschlechtsumwandlung deutlich geworden, dass ein wesentliches Problem in der Darstellung einer Frau lag. Ein Überfluss an propositionalem Wissen führte dazu, dass Agnes nicht in der Lage war ihr Geschlecht routinisiert geschehen zu lassen und zu sehr versuchte zu wissen, wie die Darstellung als Frau zu tun ist (vgl. ebd.). Eine weitere Studie Hirschauers (1989) zeigt in einer doppelten analytischen Trennung von Körper und Leib und der ››Entzifferung des Offensichtlichen‹‹ (ebd., S. 105) und der
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Ein wesentliches Markenzeichen der Ethnomethodologie liegt nun darin, dass ohne jegliche Vorstellungen über die Individuen ausgekommen wird, um die Herstellung und Aufrechterhaltung sozialer Ordnung in den Fokus zu nehmen. Ethnomethodologische Ansätze fragen konkret nach dem Wie der Herstellung und der Gestaltung von Handlungskontexten, die durch das kompetente Tun geordnet und sinnvoll erscheinen. Diese Prämisse beinhaltet wesentliche methodische Entscheidungen, sowohl für die Erhebung, als auch für die Aufarbeitung und Auswertung der erhobenen Daten. Bevor es zu einer methodischen Schärfung und nachvollziehbaren Begründung kommt, werden die Grundzüge der Ethnomethodologie nachgezeichnet, die wesentliche Prämissen und programmatische Aussagen beinhalten. Dabei werden auch immer wieder Parallelen zur erkenntnistheoretischen Fundierung dieser Arbeit geleistet. Entgegen der Vorstellung, soziale Ordnung komme auf der Grundlage internalisierter Normen und einer hauptsächlich auf sozialen Zwängen aufgebauten sozialen Interaktion zustande, betont Garfinkel (1967) die Frage nach dem Wie und verlagert somit das Interesse vom passiven Akteur zum kreativen und aktiven Gestalter sozialer Interaktionen.3 Die Erklärung von sozialer Ordnung aus einem normativen Konsens heraus reicht Garfinkel nicht aus. Zwar sind allgemeine Regelungen und Normen für die Ordnung ein wesentlicher Bestandteil, nur dürfen diese nicht schemenhaft für Interaktionen gelten, sondern müssen durch den Vollzug von Praktiken und einer ständigen Definition der Situation situiert werden. Damit zeigt sich, dass Garfinkel (1967) weniger die kognitiven Prozesse im Fokus hat, sondern eher die tatsächlichen Operationen der Akteure, die zur Herstellung einer Ordnung vollzogen werden. In der alltäglichen Interaktion treten in ihrer Produktion und Bewältigung immer wieder Spielräume im sozialen Handeln auf. Spielräume entstehen dann, wenn keine eindeutigen Routinen des Handelns abgerufen werden können, wenn andere Erwartungen zugrunde liegen oder sich die Wissensordnungen der Akteure nicht oder nur zum Teil überlappen. Es wird also (noch) kein gemeinsames Verständnis erlangt oder man befindet sich (noch) in einer anderen Rahmung. Diese Spielräume werden dann von den Akteuren gefüllt, um die Interaktion am Laufen zu halten. Durch die Bewältigung solcher Spielräume werden Ereignisse und Tatbestände immer wieder neu erzeugt, auch wenn diese Bewältigung in institutionellen Kontexten von der Struktur dieser beeinflusst wird. Bereits bewährte Wissenselemente können an ihre Grenzen gelangen und die Teilnehmer müssen innerhalb der Interaktion neue Wissensbestände schöpfen, die sie zur Anwendung bringen, um die Interaktion am Laufen zu halten
3
››Darstellung des Natürlichen‹‹ (ebd., S. 109), dass Transsexuelle immer vor der Aufgabe stehen, sich gegenüber wirklichen Frauen zu behaupten. Das Geschlecht geschehen zu lassen, ››[d]ieses leibhaftige Sein ist für Transsexuelle auf verschiedenen Ebenen problematisch‹‹ (ebd.). Die Problematik besteht in der Wahrnehmung des Körpers der Betrachter und in der eigenen Darstellung der Geschlechtszugehörigkeit. Erst durch die Inkorporierung von ››Naturalisierungsmethoden‹‹ (ebd., S. 110) können Routinen entwickelt werden, ››die das Kunstvolle zu einem körperlichen knowing how werden [lassen]‹‹ (ebd., Herv. i. O.) und eine Form der Selbstvergessenheit hervorrufen. Als Begründer der Ethnomethodologie gilt Harold Garfinkel, der – und das verdeutlicht einerseits die Brisanz und andererseits unterstützt es das Verständnis der Entwicklung dieser Methodologie – Schüler und Doktorand bei Talcott Parsons war.
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(vgl. Matthes & Schütze, 1973, S. 11f.). Dem Individuum wird somit eine Kreativität zugesprochen, die in sozialen Interaktionen Probleme bewältigt. Mit Reckwitz (2004b) gesprochen, unterliegt das Individuum im Rahmen der sozialen Praktiken einer Routinisiertheit und einer Offenheit, die solche kreativen Aspekte in den Vordergrund stellen und für neue Wissenselemente verantwortlich sein können. Mit den Ausführungen über die Offenheit sozialer Praktiken zeigt sich eine zentrale Prämisse zur Abgrenzung gegenüber den rationalistischen oder mechanisch-regelgeleiteten Sichtweisen (vgl. ebd., S. 45f.). Eine weitere Abgrenzung der Ethnomethodologie im Vergleich zu rationalistischen oder objektivierten Sichtweisen liegt im Wirklichkeitsverständnis. Während beispielsweise Durkheim eine objektive Wirklichkeit aufgrund vorliegender sozialer Tatsachen auffasst, betrachtet die Ethnomethodologie die Hervorbringung von gemeinsamen Tätigkeiten als eine ständige Leistung der Akteure, die in der Situation hervorgebracht wird und für diese gültig ist. Die Grundannahme Garfinkels beruht darin, dass Handlungen von Akteuren so ausgeführt werden, dass sie lokal verstanden werden und auch nur lokal Sinn ergeben. Nach dem Verständnis von Durkheim würden soziale Objekte als für sich isolierte Tatsachen oder Darstellungspraktiken angesehen werden. In der Ethnomethodologie und auch in der Theorie sozialer Praktiken wird diese Trennung aufgehoben. Der handelnde Akteur und die tatsächliche Performance werden ››als eine Einheit, als ein in der Ausführung sinnlichkörperlicher Tätigkeiten sich realisierendes Ganzes verstanden‹‹ (Bergmann, 2008a, S. 131). Soziale Ordnung wird anhand verkörperter Praktiken lokal produziert und überwindet somit die Dichotomie zwischen Subjekt und Objekt (vgl. Reckwitz, 2003, S. 291f.). In erster Linie wird Handeln als wissensbasierte Tätigkeit gefasst, als ein praktisches Können, das auf ein Know-how verweist und einem praktischen Verstehen unterliegt. Symbole, Praktiken und Bedeutungen sind nach diesem Verständnis nicht situationsübergreifend einheitlich, sondern erlangen in unterschiedlichen Situationen auch eine unterschiedliche Relevanz. Somit können auch nicht allein Normen und Strukturen für eine Handlungserklärung dienen, sondern vor allem die Tätigkeiten der Akteure. Nach diesem Wirklichkeitsmodell operierend, sind vor allem die folgenden ethnomethodologischen Bestimmungen von Bedeutung: 1. In der konkreten Situation wird durch die Handlungen der Akteure eine Definition der Situation zum Ausdruck gebracht. Der Vollzug der Handlungen geschieht mittels Techniken, die diese als eindeutige (objektive), identifizierbare, verstehbare und beobachtbare Handlungen konstituieren (vgl. Bergmann, 2008b, S. 527). 2. Die Wirklichkeit ist somit, wie in der Theorie sozialer Praktiken, immer bereits vorhanden, jedoch wird sie durch die Praktiken im Vollzug in jeder Situation in Form einer lokalen Ordnung ››in and as practical action‹‹ (Garfinkel, 1991, S. 16) ständig neu hervorgebracht. Die sozialen Tatsachen, die nach einem normativen Wirklichkeitsverständnis handlungsleitend wären, werden in der Ethnomethodologie in der Interaktion zwischen den Akteuren mit Sinn gefüllt. 3. Diese kontinuierliche Erzeugung von lokaler Wirklichkeit im Interaktionsprozess ist durch den Gebrauch gewisser Elemente zu vollziehen, denen sich auch die Theorie sozialer Praktiken bedient. Durch die Verwendung von Routinen, Wissensordnungen und Formen praktischen Verstehens wird auch in der ethnomethodologischen Vorstellung die Ordnung der Alltagspraxis nicht allein auf die in-
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tentionalen und kognitiven Prozesse beschränkt, vielmehr handelt es sich um praktisches Verstehen untereinander (vgl. Eberle, 1997, S. 246ff.). Durch die Dynamik sozialer Interaktionen wird sich in der skillful performance auf eine gemeinsame Sicht verständigt, wodurch wiederum Anschlussfähigkeiten versichert werden. 4. Die oben beschriebenen Techniken, mittels derer eindeutige Handlungen konstituiert werden, meinen genaugenommen einen symbolischen Vollzug. Ein solcher Vollzug typisierter Handlungen ist sowohl körperlich gebunden und wird von den beteiligten Akteuren beobachtet, weiterhin sind es aber auch ››indexikalische Ausdrücke‹‹ (Garfinkel & Sacks, 1976, S. 143, Herv. i. O.), die den Alltag der Handelnden aus ihrer Perspektive selbstverständlich erscheinen lassen. Es wird an dieser Stelle deutlich, dass die Selbstverständlichkeiten des Alltags eine leitende Problemstellung der Ethnomethodologie sind und erst die BeobachterInnenperspektive das implizite Wissen aufdeckt. Garfinkel sieht die Aufdeckung der Sinngebungsprozesse in der sozialen Interaktion ››von Beginn an als ein soziales, ‹öffentliches› Geschehen‹‹ (Bergmann, 2008a, S. 125) an. Daran schließt Knoblauch (2009) in Anlehnung an Garfinkel unmittelbar an, indem er betont, dass die Akteure immer schon Wissen mit in die Situation über die Situation einbringen. Dieses Wissen ist nicht verborgen, sondern wie im Sinne der Praxistheorie entsteht soziale Ordnung ››in der alltäglichen Praxis. […] Ordnung entsteht im Ordnen, in der Art wie etwas getan wird‹‹ (ebd., S. 309, Herv. D.W.). Garfinkel unterstreicht in diesem Zuge noch einen weiteren zentralen Aspekt, die sichtbare Ordnung. Bei der Problematik einer Aufdeckung des kollektiven Wissens der Akteure betont Garfinkel den Ort der alltäglichen Praxis. Es handelt sich nicht um verborgenes Wissen, sondern es liegt in der Praxis und kann somit als beobachtbar erklärt werden. Garfinkels Beschreibung einer sichtbaren Ordnung meint, dass die Akteure in sozialen Situationen damit beschäftigt sind, Sinn zu produzieren und diesen auch nach außen darzustellen. ››Soziale Ordnungen werden nicht nur interaktiv im Handeln hergestellt, sondern müssen in alltäglichen Interaktionen permanent aufrechterhalten werden. Ordnung von Wirklichkeit wird innerhalb der Handlungen organisiert‹‹ (Hecht, 2009, S. 122). Der jeweilige Kontext, in dem Handlungen vollzogen werden, ist nicht das sinnstiftende Merkmal, sondern die Praktiken stellen den Handlungskontext her und gehen gleichzeitig aus diesem hervor. Hier finden sich Parallelen zu Goffmans Rahmenkonzept. Auch dort fragen sich die Akteure zunächst ›Was geht hier eigentlich vor?‹, um dann eine Vorstellung (einen Sinn) der Situation zu entnehmen und ihr Verhalten darauf abzustimmen bzw. anzupassen. Die Akteure haben eine Vorstellung von einer situativen Ordnung. Indem sie richtig feststellen, haben sie gewisse Vorstellungen von einem angebrachten Verhalten, das auf ››Erwartungsstrukturen‹‹ (Schneider, 2002, S. 15, Herv. i. O.) aufbaut und damit Bezug auf gemeinsame Wissensordnungen nimmt. Als zentrales Anliegen der Ethnomethodologie stellt sich somit die Aufdeckung der Herstellungspraktiken von sozialer Ordnung heraus. Garfinkel vollzog sogenannte Krisenexperimente, indem er beispielsweise untersuchte, was getan werden muss, um Gespräche zusammenbrechen zu lassen. In den Experimenten wurden Versuchspersonen mit Situationen konfrontiert, in denen grundlegende Alltagsnormen verletzt
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wurden. Das wesentliche Forschungsinteresse bestand für ihn darin, zu beobachten, wie routinisiert soziale Verhaltensweisen sein können, wie sie irritiert werden können und wie die Akteure mit ››the breach of the expectancy‹‹ (Garfinkel, 1967, S. 75) umgehen. Garfinkel (1967) wollte die alltägliche soziale Interaktion durch die Provokation von Krisen zusammenbrechen lassen und dadurch die Praktiken der Wiederherstellung einer Interaktionsordnung beobachten (vgl. ebd., S. 35ff.). Der Zusammenbruch von Gesprächen kann beispielsweise durch das Infragestellen eines gemeinsamen Grundverständnisses kommen. Garfinkel kommt zu der Erkenntnis, dass Akteure sich gegenseitig eine gemeinsame Welt unterstellen, die alle Beteiligten gleich wahrnehmen können. Diese Reziprozität unter den Akteuren ist eine Grundvoraussetzung für die soziale Ordnung aus Sicht der Ethnomethodologie.4 Es sind somit keine Verständigungsprobleme, die zu einem Bruch der sozialen Ordnung führen, sondern die Infragestellung der Reziprozität. Die soziale Ordnung besteht demnach nicht aus vorher vereinbarten und bereits ausgehandelten Bedeutungen, sondern aus Tätigkeiten im Vollzug, einer Routinisiertheit und der allen Akteuren unterstellten Annahme von kollektiv geteilten Wissensordnungen. Demnach unterliegen die Beteiligten einer gewissen Verpflichtung (dies beschreibt auch Goffman) den anderen Akteuren gegenüber, das in der Situation Angemessene zu tun. Garfinkel unterstreicht damit Goffmans Interaction-order, in der soziale Ordnung als Produkt der Handlungen der Akteure gesehen wird. Im Prozess der Handlungen wird somit eine intersubjektive Bedeutung hergestellt und durch die Verpflichtung in der Situation auch gegenseitig aufrechterhalten. Auch die Ethnomethodologie geht davon aus, dass in alltäglichen Interaktionssituationen Unklarheiten oder Unsicherheiten stattfinden, die nicht als Fehler, sondern als ››konstitutive Bedingung für Sinngewissheit‹‹ (Bergmann, 2008a, S. 128) zu sehen sind. Zu beachten ist, dass sowohl sprachliche Äußerungen, als auch Handlungen eine hohe Bedeutungsvielfalt besitzen, die die Gefahr mit sich bringt sich unpräzise darzustellen. Diese Bedeutungsvielfalt gewinnt jedoch im jeweiligen Bedeutungskontext durch den Vollzug eine Klarheit und Eindeutigkeit, die ausreichend ist, um zu intera-
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Hierzu ein Beispiel: Es ist alltäglich und durchaus vorstellbar, dass man einem Bekannten auf der Straße begegnet und von diesem gefragt wird: Wie geht es dir? – zur problemlosen Beantwortung wäre nun eine Antwort zu erwarten wie: Danke, gut, und dir? Garfinkel wies seine Studenten jedoch dazu an, genauer nachzufragen und das Gesagte in Frage zu stellen. So wurde auf die Frage nach dem Befinden geantwortet: Wie meinst du das genau? Meinst du mein seelisches oder körperliches Befinden? usw. Interessant war nun, die Reaktion des Gegenübers. Es zeigt sich, dass sehr häufig auf eine aggressive Art und Weise reagiert wurde und das Verhalten in Frage gestellt wurde. In einem weiteren Experiment sollten seine Studierenden sich zu Hause in ihrer Familie wie Besucher oder Fremde benehmen. Dies sollte bspw. durch vorsichtiges und höfliches Verhalten und das Siezen der Eltern erreicht werden. Nachdem anfangs mit einem Spaß gerechnet wurde, schwenkte auch in diesem Beispiel die Stimmung wieder in aggressives Verhalten um. Für eine Wiederherstellung der Ordnung sorgte in allen Fällen die Aufklärung über das Experiment (vgl. Garfinkel, 1967, S. 42f.).
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gieren.5 Mit dem Fokus auf die Akteure ››geht es nicht darum, ob sie die Wirklichkeit angemessen, richtig oder falsch wiedergeben‹‹ (Hecht, 2009, S. 125). Im Fokus der Ethnomethodologie steht vielmehr, wie die Akteure sicherstellen, dass die Interaktion am Laufen bleibt. In der Ethnomethodologie wird mit einer reflexiven Bedeutung von Handlungen argumentiert, die es zum einen den Akteuren der Situation erleichtert, das Handeln der anderen Teilnehmer zu verstehen, und zum anderen ergibt sich eine, für die BeobachterInnen, sichtbare Ordnung der Handlungen. Aus Sicht der Theorie sozialer Praktiken ist dies mit der skillful performance zu beschreiben. In der Art und Weise wie etwas womit getan wird, zeigt man an, was damit gemeint ist und welches Knowhow ihr zugrunde liegt. Innerhalb einer solchen skillful performance werden Praktiken vollzogen, die Garfinkel (1967) als ›››accountable‹‹‹ (ebd., S. XII), Schatzki (1996) als ››practices‹‹ (ebd., S. 101) und Reckwitz (2003) als ››legitimes Exemplar‹‹ (ebd., S. 290) bezeichnet. Knoblauch (2009) betont dies noch einmal wie folgt: ››Was geschieht, vollzieht sich nicht nur in der Situation, sondern beschränkt sich auch auf sie […]. Diese Betrachtungsweise eignet sich […] besonders für die ›mikrosoziologische‹ Untersuchung von Interaktionssituationen‹‹ (ebd., S. 310). Die Begriffe Praktik und ››accounts‹‹ (Garfinkel, 1967, S. 3) haben Ähnlichkeiten in dem Sinne, als dass sie nicht als analytisch getrennte Handlungen zu betrachten sind, sondern gewissermaßen als eine Art Nexus des sozialen Geschehens angesehen werden können. Sie verweisen auf die Situation und den Kontext, sind in diesem verstehbar, jedoch auch darüber hinaus verwendbar. Garfinkel (1967) verdeutlicht dies noch einmal abschließend in der Begründung seiner Wahl des Begriffes Ethnomethodologie: ››I use the term ›ethnomethodology‹ to refer to the investigation of the rational properties of indexical expressions and other practical actions as contingent ongoing accomplishments of organized artful practices of everyday life‹‹ (ebd., S. 11). Die Praktik ist somit gewissermaßen indexikal, weil sie nur eingebettet im situativen Kontext sinnhaft verstehbar erscheint. Zu bedenken ist jedoch, dass Praktiken auch einer Repetitivität unterliegen, die es ihnen erlaubt in unterschiedlichen Kontexten wiederholt zu werden. Dabei ist nicht ausgeschlossen, dass mit derselben Praktik in einem anderen Kontext dasselbe oder auch etwas anderes gemeint sein kann.
D IE F ORSCHUNGSSTRATEGIE : E THNO -(P RAXEO -) GRAPHIE Ethnographie lässt sich mit Kulturbeschreibung übersetzen, bei der sich im Rahmen der Kultur- und Sozialwissenschaften in der Regel nicht (mehr) um die dichte Beschreibung fremder Völker gewidmet wird. Während die klassische Ethnographie sich der Aufzeichnung und dem Verstehen fremder Kulturen widmet und in der Folge des Feldaufenthaltes die Going-Native-Problematik zu reflektieren versucht, ››zeichnet sich die soziologische Ethnographie dadurch aus, daß [sic] sie in der eige-
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Diese Ausführungen beruhen auf der bereits vollzogenen Auseinandersetzung zur doppelten Kontingenz und der Reduktion von Komplexität durch den jeweiligen Kontext und die Eindeutigkeit der vollzogenen Praktiken.
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nen Gesellschaft durchgeführt wird‹‹ (Knoblauch, 2001b, S. 124, Herv. i. O.).6 Ändert sich der Gegenstand der Ethnographie, ist eine logische Konsequenz, dass auch der Kulturbegriff anders gefasst werden muss. Die Ethnographie findet sich zwischen mikro- (bspw. Interaktionsanalysen) und makroanalytischen Zugängen (bspw. Sozialstrukturanalysen), indem sie sich im Bereich ››gelebter und öffentlich praktizierter Sozialität‹‹ (Breidenstein, Hirschauer, Kalthoff & Nieswand, 2013, S. 32) einordnet (vgl. ebd., S. 31f.). In einem ››theoretischen Kulturalismus ›mittlerer Reichweite‹‹‹ (ebd., S. 32) werden Situationen und die in ihnen situierten Praktiken fokussiert, deren Sinnhaftigkeit durch das implizite Wissen der Akteure getragen wird. In diesem Zusammenhang spricht Schmidt (2012) auch von ››Praxeografie‹‹ (ebd., S. 49), um hervorzuheben, dass es auch der Ethnographie um die Beschreibung von Praktiken geht, die den Vollzug, das implizite Wissen und die Darstellung von Praktiken in der Handlungskoordination von Akteuren zu verdeutlichen versucht (vgl. Breidenstein et al., 2013, S. 32ff.). Nach dieser kurzen Einordnung wird im Folgenden eine Variante der Ethnographie vorgestellt, die das Vorgehen in dieser Arbeit aus der methodologischen Einordnung heraus nachvollziehbar macht: die fokussierte Ethnographie,7 woraus opportunistisch die Erhebungsmethode dieser Arbeit abgeleitet wird. Die Ethnographie ist als Forschungsstrategie und nicht als Methode zu verstehen, weshalb von ihr ausgehend ein ››feldspezifischer Opportunismus‹‹ (ebd., S. 34, Herv. i. O.) präferiert wird. Verfolgt wird damit eine Abwendung von ausdifferenzierten methodischen Regelwerken, hin zu fallangemessenen Anpassungen (vgl. ebd., S. 37ff.). In gewisser Weise unterwerfen sich ForscherInnen den kulturellen Ordnungen und den in ihnen liegenden situativen Praktiken. Die zu erzeugenden Datentypen sind davon abhängig, wie sie im Feld dargeboten werden: ››eher arm oder eher reich an Schriftdokumenten (wie eine Behörde), an stummen Praktiken (wie eine Sportart), an Erzählungen (wie eine Dorfgemeinschaft)‹‹ (ebd., S. 34). Damit löst die Ethnographie eine der prominentesten Maximen qualitativer Sozialforschung ein: die Offenheit im Forschungsprozess. Die Strategie der Ethnographie konnte sich in der Sportwissenschaft und speziell in der Sportpädagogik erst in den vergangenen Jahren durchsetzen, obwohl der Forschungsgegenstand viel Potenzial bietet (vgl. Thiele, 2003). So zeigen sich außerhalb der Sportsoziologie mehr ethnographische Arbeiten über eine Soziologie des Sports, als dies innerhalb der Disziplin der Fall ist (vgl. Bindel, 2011, S. 8; vgl. Thiele, 2003). Eine höhere Schlagzahl ethnographischer Studien leistet zunächst die Erziehungswissenschaft (vgl. u. a. Cloos & Thole, 2006), die den Gegenstand einer pädagogischen Ethnographie wie folgt beschreibt: ››Einer pädagogischen Ethnographie geht es um die Rekonstruktion der Erziehungswirklichkeit bzw. der pädagogischen Ordnung […]. Damit erscheinen die potenziellen Felder für die Forschung festzustehen: Bildungs- und Erziehungsinstitutionen. Eine pädagogische Ethnographie versteht sich danach als Ethnographie in pädagogischen Kontexten […]‹‹ (Bindel, 2011, S. 9). 6 7
Vgl. hierzu auch Hirschauer und Amann (1997): Die Befremdung der eigenen Kultur. Dabei wird, weil in der Fachliteratur häufiger bevorzugt, der Begriff der Ethnographie im Vordergrund stehen. Der Begriff der Praxeografie soll nach dieser Einführung selbstverständlich immer mitgedacht werden.
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Bindel (2011) weist in diesem Zuge darauf hin, dass eine Orientierung an der Mutterdisziplin je nach Problemstellung auch problematisch sein kann. Sport als Gegenstand ethnographischer Zugänge bildet vielfältige Kontexte (informeller Sport, Familien- und Szenenkontexte, etc.), die in einer Beschränkung auf Bildungs- und Erziehungsinstitutionen verkürzt betrachtet werden würden. Dafür nennt Bindel (2011) zwei zentrale Argumente. Zum einen ist eine Ethnographie ››dann eine sportpädagogische, wenn sie den sozialen Diskurs des Feldes pädagogisch deutet, das dort ›Gesagte‹ […] also pädagogisch versteht‹‹ (ebd., S. 9). Weiterhin besteht der Nutzen einer Ethnographie für die Sportpädagogik dann, ››wenn die Ergebnisse einen Nutzen für die Gestaltung in Praxisfeldern des Sports haben‹‹ (ebd., S. 10). Thiele (2003) spricht von einer eher ››impliziten Thematisierung von ethnographischen Perspektiven in bestimmten Teildisziplinen der Sportwissenschaft‹‹ (ebd.). Die ››Befremdung der eigenen Kultur‹‹ (Hirschauer & Amann, 1997) ist für SportwissenschaftlerInnen deshalb so interessant, da sie oft selbst intensiver Bestandteil der jeweiligen Kulturen sind, worin Potenziale liegen. Stellvertretend für sportpädagogische Arbeiten mit soziologischen Zugängen sind die Untersuchungen von Schwier (1998a, 1998b) über die Darstellung sportiver jugendkultureller Szenen im Streetball und in der Skater-Szene zu nennen. Die Potenziale einer Erschließung der ››fremden Welt‹‹ (Thiele, 2003) zeigen sich weiterhin im Bereich des Nachwuchsleistungssports. Hier finden sich erste ethnographische Perspektiven in der Studie über Belastungen und Risiken des weiblichen Kunstturnens (vgl. Frei, Lüsebrink, Rottländer & Thiele, 2000).8 Eine für den empirischen Zugang dieser Untersuchung interessante Form der soziologischen Ethnographie ist die fokussierte Ethnographie. Im nächsten Abschnitt wende ich mich dieser Forschungsstrategie zu, um sie methodologisch zu begründen und die Relevanz für den Forschungsgegenstand zu verdeutlichen. Fokussierte Ethnographie Ein Kontrast zur klassischen Ethnographie wird von Knoblauch (2001b) vorgeschlagen – die ››fokussierte Ethnographie‹‹ (ebd., S. 123). Mit dieser besonderen Form ethnographischer Praxis, die zunehmend in unterschiedlichen Disziplinen angewendet wird, vollzieht Knoblauch (2001b) nicht nur einen Blick auf die eigene Kultur, sondern auch auf einen spezifischen Ausschnitt. Während es der ethnographischen Ethnographie vor allem um die Beschreibung von fremden Völkern geht, um ihre kulturellen Prägungen und Strukturen herauszuarbeiten, fokussiert die fokussierte Ethnographie die eigene Gesellschaft und trägt damit zu einer Horizonterweiterung der Ethnographie bei. Die fokussierte Ethnographie ist trotz des gewählten Kontrast-Begriffes keinesfalls als Konkurrenz zu anderen Formen der Ethnographie zu sehen. Weiterhin ist diese Programmatik noch nicht einmal etwas völlig ›Neues‹, vielmehr findet sich be8
Thiele (2003) formuliert weitere Prämissen aus den Sozialwissenschaften, um eine Ethnographie des Sports zu etablieren. Unter diese Prämissen fallen neben einer Fokussierung auf Teilbereiche des Sports die ››Systematisierung des Phänomenbereiches‹‹ (ebd.) und vor allem die ››differenzierte Rezeption des Erkenntnisstandes außerhalb der Sportwissenschaft‹‹ (ebd.), die bereits aufgegriffen wurden und auch noch weiter vertieft werden.
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reits eine breit angelegte ethnographische Praxis, der es bisher an einer methodologischen und methodischen Fundierung des Vorgehens fehlte (vgl. ebd., S. 128).9 Aber worin liegen die Unterschiede und welche Ziele verfolgt diese Variante? Fokussierung fokussiert und unterscheidet bzw. wählt einen Fokus und vollzieht damit eine Unterscheidung. Daraus lassen sich wesentliche Charakteristika ableiten, die sich in die zeitliche Gestaltung, die Formen der Aufzeichnung, die ForscherInnengruppen und den Gegenstand gliedern – die also fokussiert und damit unterschieden werden. Eine wesentliche Unterscheidung der aufgeführten Formen ethnographischen Vorgehens zeigt sich in der unterschiedlichen zeitlichen Gestaltung. In der konventionellen und soziologischen Ethnographie scheint das Gütesiegel gesättigter Forschung in langen (ca. einjährigen) Feldaufenthalten zu liegen. Die Begründung liegt in dem Versuch des völligen Eintauchens in bestimmte Kulturen und dem Verstehen der situativen Praxis. Durch die Feldaufenthalte werden intensive (subjektive) Erfahrungen gesammelt, in denen die ForscherInnen zum Teil der untersuchten Lebenswelt werden.10 Im Vergleich dazu zeichnet sich die fokussierte Ethnographie gerade durch kurze Feldaufenthalte aus, die zeitextensive Zugänge nicht ausschließt, aber eher vermeidet. Durch diese kurzen Feldaufenthalte steht in der Folge eine andere Form der Intensität im Vordergrund – die der detaillierten Daten (vgl. ebd., S. 129f.). Durch den Einsatz von technischem Equipment (Videokameras, Tonbandgeräte etc.) fungiert diese Form der Aufzeichnungsverfahren ››gleichrangig neben der menschlichen Beobachtung‹‹ (ebd., S. 130).11 Der Gebrauch von Aufzeichnungsgeräten ist für die fokussierte Ethnographie sogar bezeichnend, weil durch diese Formen der Aufzeichnung bereits fokussiert wird. In der konventionellen Ethnographie erfolgt die Datengewinnung häufig in Form von Schreibakten, während in der fokussierten Ethnographie die Datengewinnung durch die technischen Aufzeichnungen geschieht. Die ››Dichte Beschreibung‹‹ (Geertz, 1987) stellt ohne Zweifel eine große Besonderheit der Ethnographie dar, jedoch muss sie sich auch immer wieder der Kritik einer Voraussetzung hoher sprachlicher Kompetenz ausgesetzt sehen.12 Selbstverständlich sind auch die technischen Aufzeichnungen nicht frei von Kritik. Hier steht der Vorwurf der Selektivität und der bereits im Vorfeld getroffenen Interpretationen im Vordergrund, welchen durch die Möglichkeit einer Validierung in ForscherInnengruppen entgegengewirkt wird (vgl. Knoblauch, 2001b, S. 130f.). 9
Für einen umfangreichen Überblick über bereits durchgeführte Studien, die den Spuren einer fokussierten Ethnographie folgen, vgl. Knoblauch (2001b). 10 Als Ergänzung lässt sich in diesem Zusammenhang eine interessante Persiflage von Nigel Barley (2011), ››Traumatische Tropen – Notizen aus meiner Lehmhütte‹‹, erwähnen, die die abstrakten Regeln der Ethnologie schmeichelhaft entkräftet. 11 Eine tiefergehende Auseinandersetzung mit Reaktanz-Problemen und der eingeschränkten sinnlichen Wahrnehmung aufgrund der methodischen Entscheidungen erfolgt im weiteren Verlauf der Arbeit. 12 Im Übrigen verweist Geertz (1990) selbst auf eine solche Problematik. In seiner Untersuchung ››Die künstlichen Wilden‹‹ analysiert Geertz die sprachlichen Elemente klassischer Ethnologen und zeigt, wie auch die Ethnographie den literarischen und rhetorischen Gestaltungskriterien gehorcht, um dicht zu beschreiben.
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Der Einbezug von weiteren BeobachterInnen ist ein zentrales Merkmal der fokussierten Ethnographie. Während in der alleinigen Produktion von Texten aufgrund der subjektiven Erfahrung in der herkömmlichen Feldforschung kein Austausch möglich ist, liegt hier der Vorteil in der fokussierten Ethnographie. Durch die Präsentation erster Beobachtungen, Zugänge und Lesarten in ForscherInnengruppen, lässt sich eine ››intersubjektive[.] Nachvollziehbarkeit‹‹ (Steinke, 2008, S. 324, Herv. i. O.) herstellen (vgl. ebd., S. 324ff.; vgl. Knoblauch, 2001b, S. 131). Die Offenheit der konventionellen Ethnographie zielt in der Regel auf eine umfassende Darstellung und Erfassung eines sozialen Feldes und lässt sich weniger als die fokussierte Ethnographie auf soziale Gruppen oder Organisationen übertragen, die für sich genommen wieder Ausschnitte aus sozialen Feldern bilden und somit fokussiert werden. Der Gegenstand der fokussierten Ethnographie ist die Analyse bestimmter Situationen bzw. spezifischer Handlungszusammenhänge und deren interaktive Koordination. Fokussierungen können im schulischen Unterricht, Stadtgebieten, im Kollegium einer Arbeitsstelle oder in Jugendgruppen durchgeführt werden. Es lässt sich daraus schließen, dass auch die Bearbeitungen von Spielräumen zwischen sozialen Praktiken der Akteure Gegenstand fokussierter Ethnographie sein können. Knoblauch (2001b) fasst die Bestimmung des Gegenstandes wie folgt zusammen: ››Fokussiert ist diese Ethnographie nicht nur in dem Sinne, daß [sic] sie sich auf bestimmte Probleme konzentriert, die sie als Handlungsprobleme der Beobachteten ausmacht. Neben dieser Problemzentrierung ist sie auch deswegen offen, weil sie Interaktionen und Aktivitäten in den Mittelpunkt ihres Interesses stellt, die ihrerseits die Eigenschaft aufweisen, auf die Goffman mit dem Begriff der fokussierten Interaktion hingewiesen hat: es sind die Handlungszusammenhänge, auf denen die Aufmerksamkeit von Akteuren liegt‹‹ (ebd., S. 132).
Die Fokussierung auf bestimmte Probleme ist im Grunde nicht neu, der wesentliche Unterschied liegt nun im Einsatz von technischen Aufzeichnungsmedien, die durch die wiederholte Beobachtung und Archivierung natürlicher sozialer Interaktionen auch eine Auswahl des tatsächlichen Gegenstandes offen lässt (vgl. ebd.). Nach einer Beschreibung der zentralen Charakteristika einer fokussierten Ethnographie ist es im Folgenden notwendig, die von Knoblauch (2001b) konstatierte fehlende methodologische Fundierung anhand zentraler Prinzipien weiter auszuführen. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass einige methodologische Details in den folgenden Ausführungen über die Videographie weiter vertieft werden und somit später ihre gebührliche Aufmerksamkeit erhalten. Ein erstes methodologisches Prinzip zeigt sich in der von Knoblauch (2001b) formulierten ›››Natürlichkeit‹‹‹ (ebd., S. 134). Damit ist ››nicht allein […] ein erkenntnistheoretisches‹‹ (ebd.), sondern in erster Linie ein methodologisches Prinzip gemeint. Der Naturalismus ergibt sich aus dem Kontrast zum Experiment, in dem eine wissenschaftlich kontrollierte Situation geschaffen wird und der Untersuchung dient. Auch das Interviewverfahren offenbart in diesem Sinne einen Gegensatz, weil hier durch den Wissenschaftler eine eingeleitete Situation geschaffen wird (vgl. ebd., S. 133ff.). Als natürlich sind somit Situationen zu bezeichnen, die beobachtet oder aufgezeichnet werden und im besten Fall auch ohne die Anwesenheit der ForscherInnen und die technische Ausstattung so stattgefunden hätten.
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Die Etablierung einer fokussierten Ethnographie ist keineswegs widerspruchsfrei. Den Vorwurf einer ››Billig-Ethnographie‹‹ (Knoblauch, 2002, S. 129), die ››die Faulheit der ethnographisch und qualitativ Halbwissenden [fördere]‹‹ (ebd.) wurde von Knoblauch (2002) entschieden anhand von drei Argumenten zurückgewiesen. Erstens ist die Voraussetzung einer vergleichsweise kurzen Erhebung von Daten in dem ethnographischen Wissen der Forschenden fundiert. Nur vor dem Hintergrund einer gründlichen Auseinandersetzung mit den Zielen und Fokussen der Ethnographie ist eine sinnvolle Fokussierung möglich. Der Annahme einer Erfahrung durch Fremdheit entgegnet Knoblauch (2002) insofern, als dass die in der Gesellschaft vorgenommene Fokussierung in der Regel aus einem vorhandenen Kontextwissen der Forschenden gründet, weil sie sich bereits diesem Feld des Öfteren zugewendet haben und über breite Erfahrungen verfügen. Die ForscherInnen sind somit zweitens, durch das erworbene und bereits vorhandene soziologische Wissen, in der Lage zu fokussieren und benötigen nicht zwingend den klassischen Feldaufenthalt. Der geringe zeitliche Aufwand bei der Datenerhebung wird drittens durch die größere Intensität in der Analyse ausgeglichen, da häufig sehr große Datenmengen in kurzer Zeit produziert werden. Dafür werden professionelle Kenntnisse vorausgesetzt. Ein solcher zeitlicher Aspekt wird von Knoblauch (2002) weiterhin dadurch befürwortet, dass die fokussierte Ethnographie in der Lage ist, sich der ››sich rasant wandelnden Gesellschaft‹‹ (ebd., S. 134) empirisch und theoretisch zu nähern und sie zu analysieren (vgl. ebd., S. 130ff.). Eine Argumentation, die ethnomethodologische Forschungstradition zur Fundierung eines praxeologischen Zugangs zu wählen, zeigt sich in der Möglichkeit die kollektiven Wissensordnungen der LehrerInnen und SchülerInnen im Sportunterricht aufzudecken. Durch die methodologische Einordnung können ››soziale[.] Handlungen, Interaktionen und Situationen […] in einer Detailliertheit beobachtet werden, die den Handelnden selbst gar nicht zur Verfügung steht‹‹ (ebd., S. 135). Die Frage nach der Bewältigung von Spielräumen im sozialen Handeln, wenn der routinisierte Strom typisierter Handlungen unterbrochen wird, stellt einen zentralen Gegenstand der Ethnomethodologie und in der soziologischen Praxis der fokussierten Ethnographie dar. Praktiken der Datenerhebung – Videographie Aus der dargelegten theoretischen Fundierung des Forschungsgegenstandes wurde deutlich, dass mit der Brille der Theorie sozialer Praktiken eine Rekonstruktion der Wissensordnungen möglich ist. Dabei handelt es sich um eine sehr spezifische Form von Wissensordnungen, bedeutsam sind in diesem Sinne vor allem körperliche Aktivitäten, die zwei Bezugspunkte beinhalten: zum einen der menschliche Körper und zum anderen die Artefakte. Der Fluchtpunkt beider Bezugspunkte bildet eine skillful performance kompetenter Körper in Form von Praktiken, denen ein praktisches Verstehen – ein Know-how – zugrunde liegt. Um rekonstruieren zu können, wie LehrerInnen und SchülerInnen sprachlich und körperlich eine sportunterrichtliche Performance vollziehen, in der soziale Ordnung immer wieder hergestellt und aufrechterhalten wird, ist ein methodischer Zugang erforderlich, der dem Primat der Fragestellung gerecht wird. Neben dem Primat der
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Fragestellung ist es zugleich das empirische Datum, welches sich im Feld verbirgt, das ausschlaggebend für den empirischen Zugang ist. In Anlehnung an den feldspezifischen Opportunismus, den die Ethnographie pflegt, sind die methodischen Vorgehensweisen ››mimetische Formen empirischer Sozialforschung‹‹ (Breidenstein et al., 2013, S. 39, Herv. i. O.). Die spezifische Empirizität von Praktiken lässt die Videographie als empirischen Zugang nicht nur sinnvoll und nachvollziehbar, sondern in erster Line notwendig und erwartbar erscheinen. Entscheidend ist dafür vor allem, dass Videodaten in Bezug auf ihren Detaillierungsgrad, im Vergleich zu anderen sozialwissenschaftlichen Beobachtungsverfahren, die Möglichkeit besitzen, soziale Interaktion in ihrer Dynamik und Simultanität aufzuzeichnen und archivieren zu können. Es besteht somit die Möglichkeit, dass diverse, gleichzeitig agierende Körper und Artefakte in zum Teil ineinandergreifenden Interaktionssituationen beobachtet werden können. Dies stellt sozialwissenschaftliche BeobachterInnen vor eine komplexe Aufgabe, die anhand von Videographie in einer spezifischen Weise bearbeitet wird. ››Bei der videogestützten Beobachtung kann […] die in spezifischer Weise begrenzte alltagspraktische Aufmerksamkeitsspannweite des teilnehmenden Beobachters tendenziell überwunden werden‹‹ (Wagner-Willi, 2005, S. 256). Um dies noch einmal zu betonen: Die teilnehmende Beobachtung platziert sich, bei einer Beobachtung ihrer Selbst, in ihren Extremen zwischen der Teilnahme und der Beobachtung. Daraus lässt sich folgende Beobachtung ableiten: Wer sich allein der Beobachtung widmet, ohne teilzunehmen, entzieht sich den möglichen Erfahrungen, die im Feld gesammelt werden können und möglicherweise wichtige Erkenntnisse über die jeweilige Kultur bieten. Eine vollständige Teilnahme kann weiterhin nicht mehr den Erfordernissen einer Beobachtung nachkommen, gerade weil man den Erfordernissen der Teilnahme gerecht werden muss (vgl. Breidenstein, 2006, S. 21). Hinzu kommt, dass BeobachterInnen hinter der Kamera keinem Handlungsdruck unterliegen, dem sie sich im Feld bei einer teilnehmenden Beobachtung nicht entziehen können. Bergmann (1985) betont dies besonders bei der Verwendung von Beobachtungsprotokollen. Dort wird ein soziales Geschehen, trotz eingeschränkter Erinnerungs- und Wiedergabefähigkeit der ForscherInnen, in teilweise transkriptartige Mitschriften oder in Kategorisierungen übersetzt (vgl. ebd., S. 308). Die Protokollierungsform kommt somit schnell an ihre Grenzen, weshalb die audiovisuelle Aufzeichnung die ForscherInnen während des fortlaufenden sozialen Geschehens entlastet und eine wiederholte und reflektierte Beobachtung durch die Archivierung des sozialen Geschehens ermöglicht. Eine audio-visuelle Aufzeichnung der zu untersuchenden Situationen und ihrer Akteure beobachtet das Interagieren der Beteiligten, die Materialität und die Räumlichkeit in situ. In der Videographie wird durch die Positionierung der Kameras und allgemeiner durch die Nutzung von Kameras eine Selektivität hervorgerufen, die es zu reflektieren gilt, weil sicherlich keine objektive und totalitäre soziale Wirklichkeit abgebildet wird (vgl. Kolbe, Reh, Fritzsche, Idel & Rabenstein, 2008, S. 135). Der Einsatz von audio-visuellen Aufzeichnungen ist in den Bildungs-, Sozialund Kulturwissenschaften seit einiger Zeit en vogue und bedarf an dieser Stelle keiner detaillierten Begründung, da es sich an dieser Stelle eher um eine Plattitüde handeln würde. Eine Fokussierung des Bezugspunktes der Materialität legt allerdings
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nahe, sich auch mit der Materialität des Videos an sich und seiner Relevanz für diese Arbeit auseinanderzusetzen. Trotzdem ist neben einer methodischen Einordnung auch ein reflexives Statement über die Praktiken der Datenerhebung berechtigt, wenn Praktiken zugleich den Gegenstand der Analysen darstellen. Die videographisch orientierten Forschungen sind in einem breiten Spektrum angelegt, weshalb an dieser Stelle der erziehungswissenschaftliche Kontext in den Vordergrund gerückt wird. Dinkelaker und Herrle (2009) identifizieren im Wesentlichen drei Ansätze erziehungswissenschaftlicher Forschung mit audio-visuellen Aufzeichnungen: die erziehungswissenschaftliche Filmanalyse, die videogestützte Unterrichtsqualitätsforschung und die erziehungswissenschaftliche Videographie (vgl. ebd., S. 9ff.).13 Die hier gewählte forschungslogische Verwendung videobasierter Daten lässt sich in den Bereich der erziehungswissenschaftlichen Videographie einordnen und fokussiert eng an den videographischen Ausgangsdaten die Komplexität von Interaktionsprozessen und ››die Logik der Zusammenhänge zwischen den beobachtbaren Ereignissen‹‹ (ebd., S. 11). Zu nennen sind in diesem Zusammenhang vor allem die Arbeiten über körpergebundene Rituale bei der Etablierung von Unterrichtsbereitschaft (vgl. Wagner-Willi, 2005), wie Selbsttätigkeit im Unterricht auch dann hergestellt wird, wenn nicht gesprochen wird (vgl. Hecht, 2009) oder wie sich Lehren und Lernen körpergebunden anhand von Mimesis und Performativität vollzieht (vgl. Wulf et al., 2007; Wulf, Althans & Audehm, 2004; Wulf, 2003). Körperliche und räumliche Dimensionen von sozialen Prozessen in den Erziehungs- und Sozialwissenschaften geraten gerade auch im Zuge des body turns verstärkt in den Fokus (vgl. Gugutzer, 2006, S. 9ff.). Corsten (2010) betont in Bezug auf die Verwendung von Videodaten, um Unterricht zu analysieren, dass diese ››hinsichtlich der Gütekriterien der Exaktheit, Lückenlosigkeit und Zuverlässigkeit als Beobachtungsprotokoll kaum zu übertreffen [sind]‹‹ (ebd., S. 9). Trotzdem ist die Analyse mit audio-visuellen Daten methodologisch eine Herausforderung. Will man Praktiken rekonstruieren, die sich in einer skillful performance offenbaren und sowohl menschliche Körper als auch Artefakte basierend auf einem impliziten Wissen verwenden, müssen Regelmäßigkeiten und Ereignisse analysiert werden, in denen (symbolische) Bedeutungen zugeschrieben werden. Aus dieser Prämisse ergeben sich zwei methodologische Probleme, die es im Folgenden zu klären gilt. Es stellt sich die Frage, ob ein praktisches Verstehen anhand von audio-visuellen Daten rekonstruiert werden kann und ob weiterhin die ausschließliche Verwendung von videographierten Daten für die Analyse der Bearbeitung von Spielräumen ausreicht. Unter dem methodischen Zugang der Videographie wird diesen Fragen im Folgenden nachgegan13 In der erziehungswissenschaftlichen Filmanalyse macht sich das Video selbst zum Gegenstand der Betrachtung. In den Analysen wird das Wissen rekonstruiert, das bei seiner Produktion und Verbreitung eingesetzt wird. Dabei sind neben künstlerischen Filmen gerade auch von Laien produzierte Filme Gegenstand der Analysen. In der videogestützten Unterrichtsqualitätsforschung werden Wirkungszusammenhänge auf das Lehren und Lernen anhand erfassbarer Unterrichtsmerkmale untersucht. Anhand von Ratings werden Videodaten in Zahlenwerte überführt und vorrangig im quantitativen Paradigma verwendet (vgl. hierzu u. a. Reusser, Pauli & Waldis, 2010 oder auch Krammer, Lipowsky, Pauli, Schnetzler & Reusser, 2012; vgl. Dinkelaker & Herrle, 2009, S. 10f.).
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gen. Im weiteren Verlauf der Arbeit wird eine methodische Diskussion erneut aufgegriffen, um den Zugang zur Rahmenanalyse zu eröffnen. Die beschriebenen methodologischen Probleme verweisen auf drei Aspekte die zur Problemlösung dienen sollen. Zum einen den spezifischen Code von Daten und das Verhältnis von Bildern und Sprache (1), zum zweiten die verschiedenen Vollzugswirklichkeiten der Daten (2) und zum dritten die Multiperspektivität videographischer Daten, wobei an dieser Stelle auch dem Aspekt der Selektivität begegnet werden soll (3). Zunächst wird sich diesen Problemen theoretisch genähert, bevor ihre Umsetzung und methodische Begründung in der vorliegenden Untersuchung ausführlicher beschrieben wird. Strenggenommen wird in dem Moment, wo über audio-visuelle Daten geschrieben wird, bereits der erste methodische Kategorienfehler (1) begangen. Die Codierung der Schrift offenbart eine andere Vollzugswirklichkeit als das Bild. Das Bild eines Videos – ein ››Still‹‹ (Dinkelaker & Herrle, 2009, S. 37) – ist etwas völlig anderes als ein Foto und folgt ebenfalls einer anderen Vollzugswirklichkeit als das laufende Video. Eine schriftliche Auswertung videographischer Daten beansprucht die LeserInnen auf eine spezifische Art und Weise mit dem Wissen eines unumgänglichen Kategorienfehlers.14 Es ist weiterhin anzuzweifeln, dass neben der Codierung auch weitere, häufig genutzte Vokabeln einen weiteren Kategorienfehler provozieren. So können nicht Grammatiken eines Bildes oder von Körpersprache in die Leitbegriffe der Sprachwissenschaft übersetzt werden (vgl. Corsten, 2010, S. 11). Im Video vorhandene Körper und Materialitäten können nicht mit einer Syntax oder einer Semantik deskriptiv übertragen werden, da andere Bedeutungszuweisungen hergestellt werden. Ein Vorschlag wäre, mit dem sich offenbarenden Sinn des Videoausschnitts zu arbeiten und auf diese Weise die als relevant empfundenen Praktiken intersubjektiv nachvollziehbar offenzulegen. Ein solches Vorgehen unterstreichen auch Reichertz und Englert (2010). Im Endeffekt bestehen Videos und Filme aus nichts anderem, als aus einzelnen aneinandergereihten Bildern und trotzdem sind sie in toto nicht die Summe der Einzelbilder. Eine Interpretation anhand von Stills durchzufüh-
14 Corsten (2010) verdeutlicht dies anhand eines Beispiels aus dem Tagesspiegel. ››Ich halte Klopp für einen sehr intelligenten Menschen, der das Medium Fernsehen sehr gut zu nutzen versteht. Aber wenn er auf seinen Bildschirm drückt und das Spiel anhält, um mir zu erklären, was da passiert ist, dann ist das für mich des Guten zu viel. Das wirkliche Spiel wird nie angehalten. Deshalb kann man es mit solchen Mitteln auch nie wirklich erklären oder diskutieren, geschweige denn verstehen‹‹ (Rudi Michel, 16.08.2006, im Tagesspiegel, zitiert nach Corsten, 2010, S. 15). Auch wenn es sich in diesem Beispiel nicht um eine Unterrichtssequenz handelt, sondern über den Einsatz von Standbildern in der Videoanalyse von Fußballspielen, zeigt es sehr deutlich die sich offenbarende Problematik, deren Kehrseite an späterer Stelle mit der theoretischen Hintergrundfolie dieser Arbeit fruchtbar genutzt wird. Sicherlich kann man sich an dieser Stelle auch bewusst darüber sein, dass derjenige, der im Fernsehen als Experte analysieren soll, bereits der Materialität des Fernsehens und der zu nutzenden Artefakte unterliegt und gar nicht anders kann, als diese dementsprechend zu nutzen.
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ren, provoziert den Kategorienfehler (vgl. ebd., S. 14).15 Laufende Bilder sind somit Daten eigener Art. In Anlehnung an die Metapher, ein Bild sagt mehr als tausend Worte, wird darauf vertraut, dass audio-visuelle Daten mehr sagen als nicht-audio-visuelle Daten. Mit Blick auf das Forschungsvorhaben der vorliegenden Arbeit geht es nicht um die Analyse von Einzelbildern, es geht um die Komplexe von Praktiken (the nexus of doings and sayings), die im Video, in der Sequenz vollzogen werden. Aufgrund ihrer Flüchtigkeit und Dynamik ist eine Aufzeichnung und eine am laufenden Bild stattfindende Analyse notwendig, um soziale Praktiken und die Bewältigung von Spielräumen zu identifizieren. In der Dokumentation der Ergebnisse drängt sich der Kategorienfehler erneut auf, weil die Ergebnisse sich nicht allein durch einen korrekten Text übersetzen und darstellen lassen. Eine Verwendung von Stills ist somit im Sinne der Dokumentation und der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit eines empirischen Vorgehens unverzichtbar. Um dies noch einmal zu betonen: Befragungen, Protokollierungen und Tonbandaufnahmen geben bereits tiefe Einblicke in das Interaktionsgeschehen. Jeder entstandene Datentyp ermöglicht in Abhängigkeit vom Untersuchungsgegenstand einen spezifischen Zugang und ertragreiche Erkenntnisse. Alltägliche Interaktionen verlaufen durch den stetigen Wandel von Körperhaltungen, Blicken, Gesten, körperlichen und räumlichen Organisationen oder entstandenen Ereignissen nicht linear. Das bedeutet, dass es Überlappungen von Rahmungen innerhalb von Gesprächen oder weiteren sozialen Situationen geben kann, die Thematiken oder eine (Teil-)Performance aus einer vorherigen Situation beinhalten können. Während eine verbale Aufzeichnung einer eindeutigeren Linearität folgt16 und eine Vereinfachung bedeutet, offenbart die Videographie die konstitutive Komplexität alltäglicher Interaktionen und zeigt die Gleichzeitigkeit von Körperlichkeit, verbalen Äußerungen und Ereignissen. Trotz dieses Potenzials muss sich die Videographie im Rahmen ihres Erlebens auf zwei Wahrnehmungskanäle beschränken, den visuellen und den auditiven. Die unmittelbare Wahrnehmung der Interaktion verschließt sich (vgl. Dinkelaker & Herrle, 2009, S. 15f.). Die Aufnahme alltäglicher Interaktionssituationen und die folgende Betrachtung am Bildschirm sind nicht als Abbild der Realität zu verstehen (2). Vielmehr findet sich eine Reduktion der Dimensionen wieder. Die vier Dimensionen der Wirklichkeit, die sich aus dem drei-dimensionalen Raum und der Zeit zusammensetzen, wer15 Reichertz und Englert (2010) vergleichen dies mit einer Analyse der Sprache anhand der kleinsten Analyseeinheiten: Graphem und Phonem. Auch in diesem Fall würden SozialforscherInnen nicht ››Gesprochenes Phonem für Phonem oder Geschriebenes Graphem für Graphem, sondern Sinneinheit für Sinneinheit oder Satz für Satz [interpretieren]‹‹ (ebd., S. 14). Reichertz und Englert (2010) merken an, dass ein solches Vorgehen, in Abhängigkeit zur Fragestellung, sicherlich auch durchgeführt wird, allerdings nicht innerhalb der sinnverstehenden qualitativen Sozialforschung (vgl. ebd.). 16 Eine methodische Lösung zur Herstellung einer Linearität von Verbal-Transkripten ist beispielsweise die Anlehnung an die Musik in Form von Partituren (vgl. bspw. Moritz, 2010 oder Reichertz & Englert, 2010). In Einzelinterviews ist die Linearität des Gespräches noch gegeben, aber beispielweise in einer Gruppendiskussion entstehen sich überlappende Äußerungen, die methodisch bspw. über Gesprächsregeln reduziert werden müssten.
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den auf eine zweidimensionale Fläche gekürzt (vgl. Wagner-Willi, 2005, S. 254). Obwohl die audio-visuelle Aufnahme vielfältige Beobachtungsmöglichkeiten ermöglicht, werden Geräusche, Stimmen und Farben verzerrt und Formen der Wahrnehmung, wie das Körpergefühl oder der Tastsinn, marginalisiert. Unabhängig von der Qualität der Aufnahmen kommt es zu einer Verzerrung der Realität. Aus diesen Formen der Verzerrung lässt sich nun schließen, dass sich eventuell einzelne Deutungsprozesse kriterial nicht zuordnen lassen oder gar nicht erst erfasst werden können. Nach den Ausführungen von Knoblauch wurde allerdings verdeutlicht, dass sich die ForscherInnen in der fokussierten Ethnographie mit Bereichen ihrer eigenen Kultur beschäftigen, denen sie nicht selten selbst angehör(t)en. Blickt man nun auf videographiertes Material kann die Kategorie des ForscherInnen-Körpers nicht in das Video eintauchen, um gewisse Prozesse nachzuempfinden. Eine leibliche Anwesenheit lässt sich jedoch nicht ausschließen und zwar insofern, als dass die ForscherInnen ein Gefühl für die beobachtete Situation entwickeln, sozusagen die Atmosphäre spüren und in der Lage sind, aufgrund eigener Erfahrungen diese Distanz zwischen Video und ForscherIn nicht aufzulösen aber gewissermaßen zu reduzieren. Diese Erkenntnisarbeit sollte gerade im Rahmen von Unterrichtsforschung nicht aus dem Blick geraten. Auch wenn ein Foto sich von einem Still, welches sich wiederum von einem Film und Video, unterscheidet, zeigen sich gewisse Ähnlichkeiten zwischen den Medien. Wagner-Willi (2005) betont, dass es in der Videographie keine eindeutige Bezeichnung der Objektivität oder Subjektivität geben kann. Eine Standortwahl der ForscherInnen im Feld unterliegt bereits einer subjektiven Entscheidung. Die theoretisch und methodologisch begründeten Verfahrensweisen und Entscheidungen unterliegen jedoch immer auch objektivierbaren Kriterien (vgl. ebd., S. 254f.). Die Fokussierung der Performativität sozialer Alltagssituationen kann mit Kracauer (1975) anhand gewisser Affinitäten vertieft werden, die eine Ähnlichkeit der verschiedenen Medien offenbaren. Nach Kracauer (1975) haben sowohl das Video, die Photographie als auch das Still ››Affinitäten zur ungestellten Realität‹‹ (ebd., S. 45), die sich im Flüchtigen, ››Zufällige[n]‹‹ (ebd., S. 97)17 und in sich unabgeschlossenem Geschehen zeigen und mit dem Forschungsinteresse in besonderer Weise konform gehen. Die Rekonstruktion sozialer Praktiken anhand videographierter Daten oder anhand von Stills ist möglich, weil sich in den Bildern bzw. in den Bildfolgen eine Performance vollzieht, die auf der Basis impliziter Wissensbestände geschieht. Ein solcher Vollzug präsentiert sozusagen das gespeicherte, inkorporierte Wissen und erschließt sich in der Analyse der körperlichen Performance, der verwendeten Artefakte und der räumlichen Positionierung. Bohnsack (2010) verweist im Rahmen der Dokumentarischen Methode auf den ››modus operandi‹‹ (ebd., S. 280), der sich in den Bildern dokumentiert und eine Eigenlogik beinhaltet, die in der Szene rekonstruiert werden kann (vgl. ebd.).
17 Kracauer (1975) räumt ein, dass ein inszeniertes Porträtfoto, bei dem vor einer Stellwand die Körperhaltung und der Blick der Person vom Fotografen beeinflusst wird, ››die Grenzen zwischen gestellter und ungestellter Realität‹‹ (ebd., S. 45) ineinander fließen lässt. Jedoch wird auch in einem solchen Arrangement probiert ››die Natur sozusagen in ihrem Kern zu erfassen‹‹ (ebd.).
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Nachdem nun auf das Verhältnis von Bildern und Sprache eingegangen wurde und die verschiedenen Vollzugsmöglichkeiten der relevanten Medien erläutert wurden, wird im Folgenden ergänzend zu den Vollzugsmöglichkeiten auf die zeittheoretischen Implikationen eingegangen, indem in Anlehnung an Kracauers Argumentation die Verwendung von stehenden versus bewegten Bildern methodisch begründet wird. Der oben erwähnte methodische Kategorienfehler in der Spielanalyse unterliegt einer Parallele zur Praxistheorie. Die von Reckwitz formulierte skillful performance und der von Bourdieu formulierte praktische Sinn postulieren bereits, dass die Praxis einer besonderen Logik unterliegt und sich danach ausrichtet. Ein Still ist zwar ein empirisches Datum, allerdings entgeht der stillgestellten Spielsequenz die Eigenschaft des Vollzugs – eines Spiels (vgl. Corsten, 2010, S. 14f.). Die Zeit wird in diesem Fall festgehalten, obwohl soziale Praktiken ihre Logik auch nur im Vollzug offenbaren. Dies gilt sowohl für die WissenschaftlerInnen, die sich die Sequenz anschauen und sie analysieren, viel mehr selbstverständlich noch für die SpielerInnen der relevanten Sequenz, die durch ihren Spielsinn Handlungen ihrer MitspielerInnen antizipieren und die eigenen Handlungen danach ausrichten, ohne sich dessen ständig bewusst zu sein. Schon die auditiven Aufzeichnungen erweiterten die Möglichkeiten der Feldforschung für die EthnomethodologInnen. Die Verwendung von Diktiergeräten brachte bereits erste Irritationen der zu Erforschenden hervor, allerdings konnten durch das mehrmalige Abspielen der Aufzeichnungen vielfältige Details in den Fokus genommen werden, die sonst der Flüchtigkeit unterlagen. Der Einsatz von Videoaufzeichnungen brachte eine Potenzierung der Möglichkeiten mit sich. Grund dafür ist vor allem die Multiperspektivität (3). Die Multiperspektivität zeigt sich zum einen in der Betrachtung des erhobenen Materials, in dem verschiedene Fragstellungen oder Beobachtungsaufgaben an dasselbe Material gestellt werden können und weiterhin ForscherInnengruppen dieselbe Sequenz analysieren können. Zum anderen gilt die Perspektivität der verwendeten Kameras bei der Erhebung. Es ist möglich, durch den Einsatz mehrerer Kameras eine soziale Situation aus verschiedenen Perspektiven aufzunehmen. Trotz dieser Vorteile zeigen sich zwei Eigenschaften des erhobenen Materials, die nicht umgangen werden können: die Standortabhängigkeit und die Materialfülle (vgl. ebd., S. 14ff.). In Abhängigkeit der Fragestellung muss über den Standort bzw. die Standorte der Kameras im Feld entschieden werden. Der Fokus der Kamera ist damit immer auch bereits eine Selektion und Entscheidung gegen eine andere Perspektive. Aus der Position und der Anzahl der Kameras leiten sich auch die methodischen Entscheidungen ab, die über die Relevanz und die Auswahl des zu bearbeitenden Materials entscheiden. Mit der Platzierung und Ausrichtung der Kameras wird das Vorwissen der ForscherInnen relevant. Methodische Entscheidungen darüber, wer in den Fokus genommen wird, wann und worauf gezoomt wird, definieren gleichzeitig die Aufzeichnung des Raumes und der sich in ihm befindenden Artefakte. Wie auch in der Rahmenanalyse nach Goffman deutlich werden wird, sind es verdichtete Interaktionssituationen, die in die Fokussierung geraten (vgl. dazu auch Knoblauch, 2001b, S. 132). Die dafür benötigten Kriterien zur Auswahl der Interaktionssituationen gilt es offenzulegen und nachvollziehbar zu begründen.
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Gegenüber der von Amann und Hirschauer (1997) formulierten Kritik, dass ››technische Aufzeichnungen keineswegs interpretativ neutral‹‹ (ebd., S. 32) sind, betont Knoblauch (2001b) den besonderen Vorteil der audiovisuellen Daten: ››[U]nabhängig von der Interpretation und Analyse der erhebenden Forscher sind die audiovisuellen Daten anderen Beobachtern prinzipiell auf dieselbe Weise zugänglich wie denen, die sie erhoben haben. In diesem Sinne stärkt diese Vorgehensweise die im Rahmen der Ethnographie sehr problematische Intersubjektivität der Beobachtungen, und sie erzeugt eine Art von Validität, die mit keiner anderen Methode erreicht werden kann‹‹ (ebd., S. 131).
Die Entscheidung, Videoaufnahmen von Unterrichtssituationen anzufertigen und diese für wissenschaftliche Zwecke zu nutzen, ist im Rahmen der interpretativen Unterrichtsforschung längst kein Novum mehr. Die Videographie stellt seit geraumer Zeit eine gängige Erhebungsmethode dar. Im Bereich der quantitativen Unterrichtsforschung wird häufiger die TIMSS-Videostudie als Meilenstein der Videographie genannt (vgl. Reusser & Pauli, 2003). Der Durchbruch dieser verstärkten Nutzung ist allerdings nicht allein auf die entwickelten technischen Möglichkeiten zurückzuführen, sondern vor allem auf die theoretische Fokussierung einer mikroanalytischen Betrachtung von sozialer Interaktion. Bergmann (1985) führt aus, dass die ››empirische Neugierde‹‹ (ebd., S. 302) über das Alltägliche erst den theoretischen Bezugsrahmen lieferte, welcher im Anschluss durch die Aufzeichnungsverfahren angemessen analysiert werden konnte (vgl. ebd., S. 301ff.). Die Ausführungen über die mikroanalytischen Vorgehensweisen im Bereich der Schule zeigten bereits, dass Mitte der 70er Jahre gerade im englischsprachigen Raum mikroanalytische Theoriebezüge verstärkt genutzt wurden.18 Breidenstein (2002) betont in diesem Zuge weiterhin, dass für die Aufdeckung des alltäglichen Vollzugs der Alltagswirklichkeit und der Routinen im Unterricht ››die Aufzeichnung [des] ›natürlichen‹ Unterrichtsgeschehen[s] die entscheidende und hinreichende Datengrundlage‹‹ (ebd., S. 23) ist. Nachdem nun die Videographie als begründete Konsequenz zu der zu bearbeitenden Problemstellung theoretisch bearbeitet wurde, wird im Folgenden noch auf wichtige forschungspraktische Kategorien bei der Verwendung von Videomaterial eingegangen, bevor im Anschluss das eigene empirische Vorgehen beschrieben wird. Zentral sind in diesem Sinne Kategorien, die oben bereits angeschnitten wurden: Objektivität, Natürlichkeit der Situation und Reaktanz und Selektivität. Objektivität Die Verwendung von videographierten Daten als Datengrundlage sieht sich schnell den Vorwürfen ausgesetzt, dass diese Daten nicht neutral erhoben wurden, der Objektivität nicht gerecht werden und damit unwissenschaftlich seien. Die spezifische Qualität dieser Daten unterliegt unvermeidlich bestimmten Entscheidungskriterien, die eine Objektivität der Daten ausschließen. Als ForscherIn gilt es zu reflektieren, dass jeder Zoom, jeder Start- und Endpunkt einer Aufnahme und die Wahl des Bildausschnittes bereits eine Fokussierung bedeuten, die einer Unterscheidung unterliegt. Die ernüchternde Konsequenz ist, dass die Daten niemals vollständig sind und dass die Videographie einer sozialen Situation bereits im Moment des Filmens ein Abbild 18 Vgl. z. B. Bellack et al. (1966); Sinclair & Coulthard (1975); Mehan (1979).
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der Realität ist. Die dramaturgische Wendung liegt nun darin, dass dies keine spezifischen Probleme der Videographie sind, sondern jeder Form der empirischen Sozialforschung. Damit steht weniger die Frage nach dem Grad der Objektivität im Vordergrund, als die Frage nach der Wahl der Methode im Zuge der Angemessenheit für den zu untersuchenden Gegenstand. Im Sinne der Reflexivität gilt es die getroffenen Vorannahmen und Auswahlkriterien methodisch zu begründen und offenzulegen. Daraus ergibt sich, dass das entstandene Material nicht als objektiv bezeichnet werden kann, jedoch auch nicht als subjektiv, denn die getroffenen Entscheidungen werden durch die methodologische Verfahrensweise nachvollziehbar geprägt (vgl. Erickson, 1992, S. 207f.; vgl. Wagner-Willi, 2005, S. 254f.; vgl. Hecht, 2009, S. 138f.). Natürlichkeit der Situation und Reaktanz Im alltäglichen Sportunterricht sind die teilnehmenden Akteure in der Regel eindeutig – eine Lehrperson und eine bestimmte Anzahl von SchülerInnen. ZuschauerSchülerInnen aus anderen Klassen kommen auch mal vor, und dass weitere Lehrpersonen die Halle betreten, ist (wenn überhaupt) nur von kurzer Dauer – in der Regel ist man unter sich. Natürlich wäre es unter diesen Voraussetzungen naiv davon auszugehen, dass die Anwesenheit von zwei Kameras und in der Regel zwei ForscherInnen, während einer regulären Sportunterrichtsstunde, die Situation nicht verändert. In diesem Sinne handelt es sich um das methodische Prinzip der ››Natürlichkeit‹‹ (Knoblauch, 2001b, S. 134), welches im Kontrast zum Experiment steht. Die Natürlichkeit zeigt sich in zwei Facetten. Zum einen gilt es die wissenschaftliche Problemstellung sozusagen auf ihre Relevanz für das Feld19 zu überprüfen und nachzuweisen, dass das behandelte Problem von den Akteuren auch tatsächlich behandelt wird (vgl. ebd.). Das methodische Prinzip der Natürlichkeit wird zum anderen in Abgrenzung zum Experiment und zum Interview deutlich. ››Im Unterschied zum Experiment, also einer wissenschaftlich konstruierten und kontrollierten Situationen [sic], und zum Interview, also einer von Wissenschaftlern induzierten Situation, zielen naturalistische Untersuchungen auf Situationen, die möglichst wenig von Wissenschaftlern selbst beeinflußt [sic] sind‹‹ (ebd.). Daraus ergibt sich, dass eine natürliche aufgezeichnete Situation nur marginal von den ForscherInnen beeinflusst wird und davon auszugehen ist, dass sich diese auch ohne Anwesenheit der ForscherInnen und der Aufzeichnungsgeräte so vollzogen hätte. Nun ruft das technische Equipment und die Anwesenheit der ForscherInnen bereits gewisse Probleme hervor, die mit dem Begriff des ››Kameraeffekts‹‹ (Müller, Eichler & Blömeke, 2006, S. 133) oder als ››Reaktanz‹‹ (Knoblauch, 2001b, S. 134) bezeichnet werden können und zwar in doppelter Hinsicht. Sowohl auf die SchülerInnen als auch auf die Lehrpersonen kann die Anwesenheit von ForscherInnen sowie einer Kamera als ein verunsicherndes Element angesehen werden. Knoblauch 19 Ähnliches formuliert auch Steinke (2008) in ihrer Entwicklung und Diskussion von Kernkriterien qualitativer Forschungsprogramme. Das Kriterium der ››Relevanz‹‹ (ebd., S. 330, Herv. i. O.) zeigt sich in der formulierten Problemstellung und in dem Beitrag der entwickelten Theorie (vgl. ebd., S. 323ff.). Daraus lässt sich schließen, dass die Relevanz der Fragestellung nicht nur in der Scientific Community begründet liegt, sondern vor allem im Feld von den Akteuren bearbeitet wird.
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(2001b) führt dazu aus, dass ››die Popularität von Videosystemen zu einer sehr breiten Akzeptanz ihrer Verwendung geführt hat, und zwar sowohl im privaten wie im professionellen Bereich‹‹ (ebd., S. 130). Die auftretenden Effekte variieren aus Erfahrungen in der hier durchgeführten Erhebung von Nervosität der Lehrperson aufgrund der Aufnahmen, über Performanceleistungen der SchülerInnen vor und hinter der Kamera, bis hin zu kurzen Blicken und Winken der SchülerInnen in die Kamera. Sicherlich lässt sich dieses Problem schwer lösen, allerdings sollte mit Blick auf die Natürlichkeit einer Situation auch davon ausgegangen werden, dass wenn Kameras im gewohnten Umfeld aufgebaut werden, sich auch damit beschäftigt wird. Der Einsatz von Videokameras im Feld ist methodisch sehr viel unproblematischer (vgl. Hecht, 2009; Riegel, 2013). Sicherlich können partiell Verhaltensänderungen auftreten, die von kurzer Dauer sind, allerdings kann davon ausgegangen werden, dass der alltägliche Vollzug typisierter Handlungen im Sportunterricht trotz einer Beobachtersituation nicht gravierend gestört wird.20 Breidenstein et al. (2013) geben weiterhin zu bedenken, ››dass man sich in der standardisierten Sozialforschung viele Gedanken über die verzerrenden Konsequenzen der Anwesenheit des Beobachters in der Forschungssituation macht, aber kaum einen Gedanken über die Konsequenzen einer völligen Abwesenheit des soziologischen Gegenstands aus der Forschungssituation‹‹ (ebd., S. 37, Herv. i. O.). Die Ethnographie wendet somit das Phänomen der Reaktanz vom ››Horror‹‹ (ebd.) zum ››Modus Vivendi‹‹ (ebd.). Im Rahmen der aktuellen erziehungswissenschaftlichen Unterrichtsforschung zeigen sich unterschiedliche Schwerpunkte, was den Umgang mit dem Phänomen der Invasivität angeht. Die dokumentarische Bild- und Videoanalyse nach Bohnsack (2011) fokussiert die Interpretation eines visuellen Datums. Bohnsack (2011) schließt beispielsweise ein sequenzanalytisches Verfahren nicht vollkommen aus, konzentriert sich allerdings anhand kunsthistorischer Bezüge auf Panofsky, wodurch eine Einzelbild- und Standbildanalyse im Vordergrund steht. An dieser Stelle soll nun nicht vertieft in das methodische Repertoire der dokumentarischen Methode eingegangen werden, vielmehr gilt es herauszustellen, dass ››die dokumentarische Methode die Invasivität ausblendet‹‹ (Fankhauser, 2013, S. 3).21 Einen anderen Weg hingegen beschreitet die fokussierte ››KameraEthnographie‹‹ (Mohn & Amann, 2006). Mohn und Amann (2006) postulieren, dass häufig in der Hinsicht argumentiert wird, dass komplexe Interaktionssituationen über die Videographie erfasst werden können und diagnostizieren darauf aufbauend, dass solche komplexen Situationen gerade zu komplex sind, um sie tatsächlich zu erfassen. Originellerweise fokussieren Mohn und Amann (2006) nicht die Lehrperson, sondern beschränken sich fast ausschließlich auf eine SchülerInnen-Zentrierung. Die Kamera wird als ››Blickschneise‹‹ (ebd., S. 4) durch die Situation genutzt, um sie, im 20 Ähnliches berichten auch Müller, Eichler und Blömeke (2006) in ihrer Studie über die Bedingungsfaktoren von Unterrichtsskripts (vgl. ebd., S. 125ff.). 21 Diese Ausführung soll die Pole der Schwerpunktsetzung an dieser Stelle pointiert darstellen. Die dokumentarische Methode wurde anhand laufender Bilder auch von Wagner-Willi (2005) eingesetzt, die in ihrer Studie die Übergangsrituale im Schulalltag untersuchte und die dokumentarische Videoanalyse zur Analyse von bspw. Peerbeziehungen in ihrer Dynamik betrachtet hat.
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Sinne eines ››dichten Zeigens‹‹ (ebd., S. 2), besser erfassen zu können. Demnach wird eine Invasivität der Kamera nicht ausgeblendet, wie in der dokumentarischen Methode, sondern systematisch als Ausgangspunkt der Vorgehensweise gewählt. Die Komplexität der Situation provoziert damit die Kategorie der Selektivität. Wie steht es um die Komplexität sozialer Interaktionen und ihrer Abbildung durch Videographie? Was wird bereits durch das methodische Vorgehen selektiert und welchen Einfluss nehmen dabei die ForscherInnen? Selektivität Selektivität ist grundsätzlich jedem Beobachtungsprozess inhärent. Ein videographisches Vorgehen im Rahmen der Unterrichtsforschung wird häufig aufgrund der im Vorfeld ungeformten Blickführung der ForscherInnen kritisiert. Weiterhin scheint demnach erst auf Grundlage des Abbildes eine Entwicklung der Kriterien vorgenommen zu werden (vgl. Fankhauser, 2013, S. 11). Demgegenüber lässt sich argumentieren, dass schon das methodische Vorgehen, also die Entscheidung zur Verwendung audio-visueller Aufzeichnungen, nicht naiv getroffen werden sollte und aus der Problemstellung entspringt. Auch die Positionierung der Kamera, die Anzahl der Kameras und die Ausrichtungen sollten, um dem Postulat der Offenheit und Flexibilität qualitativer Forschung zu genügen, nicht zu sehr fokussieren und bereits selektieren. Eine Aufnahme der Unterrichtssituation mit einer möglichst breiten Fokussierung unterstützt eine induktive Vorgehensweise, bei der Aspekte im Laufe des Analyseprozesses relevant sein könnten, die vorher nicht bedacht wurden. Diese Merkmale qualitativer Sozialforschung sind weiterhin zu ergänzen, als dass in dieser Untersuchung auch die Rekonstruktion von lokalen, kollektiven Wissensordnungen im Vordergrund steht. Trotz einer angesprochenen Entlastung der ForscherInnen hinter der Kamera, befindet sich der Aufnahmeprozess zwischen der Wahrnehmung und der Deutung. Es wird nicht einfach nur wahrgenommen, weil ein Kameraschwenk und ein Zoom eine Fokussierung und somit einen Ausschlussbereich erzeugt. Was nicht bedeutet, dass dies bereits einem Deutungsprozess zugeordnet werden kann, denn dafür unterliegen soziale Interaktionen zu sehr einer Dynamik und Simultanität von Handlungsabläufen, als dass kategoriengeleitet gefilmt wird. Trotz alledem kann man den ForscherInnen, die die Fokussierung der Aufnahme gewählt haben, mit Knoblauch (2001b) auch ein Wissen über das Feld zumuten, das ihnen erlaubt relevante und verdichtete Interaktionssituationen zu fokussieren und eventuelle irrelevante Geschehnisse aus dem Blickfeld zu verlieren (vgl. ebd., S. 126ff.). ››[B]ildliche Formate sind nicht buchstabierbar‹‹ (Fankhauser, 2013, S. 11), woraus deutlich wird, dass die Kodierung und Verdichtung von videographierten Daten einer Reihe von Selektionsentscheidungen unterliegt, die aus dem Erhebungsprozess extrahiert werden. Die Fülle von dem für die Problemstellung relevanten Material, offenbart sich erst in der Analyse der Videosequenzen. Es soll an dieser Stelle nur angeschnitten werden, dass die Auswertungsmethode selektiert, was man sieht und was nicht. Wichtig ist die Reflexion darüber, dass man weiß, dass man manches nicht sehen kann, also gleichzeitig sieht und nicht sieht. Es ist in einem solchen Prozess nicht auszuschließen, dass die Aspekte, die verdeckt bleiben, größer sind als die, die als konstitutiv definiert werden. Die Methode
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ist somit nicht nur ein Werkzeug, um das zu erkennen, wonach gesucht wird, sondern gleichzeitig auch eine Brille im Sinne einer Einschränkung und Fokussierung. Ein weiterer Aspekt der Selektivität besteht in der Positionierung der Kamera – ››die Blickrichtung der Unterrichtsforschung‹‹ (ebd., S. 12). Häufig verwendete Positionierungen der Kameras im Unterrichtsraum zeigen sich in einer statischen Überblickskamera (meistens neben der Tafel), die möglichst den ganzen Raum überblickt, und einer Handkamera, die probiert die Lehrperson zu verfolgen. An dieser Ausrichtung der Positionen kritisiert Fankhauser (2013), dass dadurch ein typisches Strukturmodell der Unterrichtsinszenierung reproduziert wird. Während die Lehrperson von der Hauptbühne aus neben der Tafel das Geschehen dirigiert, folgen die SchülerInnen der Lehrperson (vgl. ebd.). ››So betrachtet wiederholen viele Unterrichtsvideographien die Rollenförmigkeit eines institutionell gerahmten Unterrichts – und damit normative Setzungen und Interessen‹‹ (ebd., S. 13). Die interessante Konsequenz ist die Gestaltung des Spielraumes zwischen den bewusst gesteuerten Räumen und den durch die Kamera erkennbaren Nebenräumen, woraus sich weiterhin begründet, Unterricht als soziale Praxis zu analysieren und zu rekonstruieren.
R AHMEN -ANALYSE Die rahmenanalytische Vorgehensweise ist für die Behandlung der Fragestellung wichtig, weil sie ein bislang fehlendes Sehinstrument für die Konstitution und Aushandlung von sozialer Ordnung im Unterricht bietet. Die Wahl der Rahmen-Analyse nach Goffman (1977) ist nicht nur aus der theoretischen Fundierung Goffmans, sondern auch aus der Theoriegenese der Theorie sozialer Praktiken von Reckwitz (2012) hergeleitet (vgl. ebd., S. 413ff.). Ziel der folgenden Ausführung ist es, die RahmenAnalyse zunächst wissenschaftstheoretisch und anschließend methodologisch zu begründen, um dies für das eigene empirische Vorgehen nutzbar zu machen. Geschehen wird dies hauptsächlich durch eine Betrachtung von Möglichkeiten des soziologischen Konzepts auf Unterrichtsprozesse, indem Problematiken offengelegt und exemplarische Ansätze kurz vorgestellt werden, um die Grenzen und das Potenzial der Rahmen-Analyse aufzuzeigen. Goffmans Vorgehen orientiert sich weniger an kanonisierten Regeln. Für ihn ist es das natürliche Milieu, worauf eine Sicht von außen geworfen wird. Willems (1996) betont, dass eine ››Objektivität wissenschaftlicher Erkenntnisse durch eine immer elaboriertere Methodologie […] an dem Ziel vorbei[geht], die Ordnungen der sozialen Praxis aufzudecken‹‹ (ebd., S. 439). Das implizite Wissen der Akteure wird inkorporiert ständig angezeigt und kann dennoch kaum von ihnen verbalisiert werden. Daraus ergibt sich, dass Interviews oder Experimente sich als nicht brauchbar erweisen, da es um das praktische Vermögen der Akteure geht, dass sich im Vollzug der Praktiken in der Situation zeigt (vgl. Schmidt, 2012, S. 48f.). Vor dem Hintergrund der Theorie sozialer Praktiken und der Ethnomethodologie wird deutlich, dass jede Handlung performativ anzusehen ist, da Praktiken immer Hinweise darüber enthalten, wie sie verstanden werden sollen. ››Die Ordnung entsteht in der alltäglichen Praxis. [….] Ordnung entsteht im Ordnen, in der Art, wie etwas getan wird‹‹ (Knoblauch, 2009, S. 309). Soziale Praktiken (re-)produzieren eine
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soziale Ordnung, wobei der Prozess von den Akteuren nicht explizit benannt werden muss. Eine Praktik kann immer schon als ein bestimmter (stillschweigender) Zug in einer Ordnung verstanden werden. Die bestehende Kontingenz sozialer Interaktionsprozesse hat zur Folge, dass soziale Ordnung grundsätzlich als vage bezeichnet werden kann. Stellt man sich nun dem Problem, soziale Ordnung praxeologisch zu untersuchen, gewinnt die Vagheit sozialer Ordnung an Brisanz. Es stellt sich die Frage, wie sich soziale Praktiken beschreiben lassen, wenn die soziale Ordnung durch jede einzelne Handlung verändert werden kann. Zunächst stellt sich also die Herausforderung, aufzuzeigen, wie Praktiken ordnen. Die Fokussierung auf die Spielräume sozialen Handelns leisten Hilfestellung, weil durch den Bruch der Routinisiertheit Muster erst erkennbar werden und im Umkehrschluss die Bewältigung der Spielräume beobachtbar wird. Der routinisierte Ablauf der Interaktionen wird von den BeobachterInnen oftmals verkannt, weil die Ereignisse gewöhnlich durch die Teilnehmer bestätigt werden, sodass die Problemstellung im glatten Handlungsverlauf anscheinend untergeht. Im Rahmen der sozialen Praxis wird eine wechselseitige Rekursivität von Interaktionswissen und Interaktionserfahrungen angenommen, die soziale Interaktion trotz einer potentiellen Kontingenz häufig unproblematisch macht. Man spricht von einer klaren Rahmung. Der Begriff des Rahmens verweist darauf, dass diese Rahmen, in denen einzelne Handlungen ihren Sinn daraus gewinnen, dass sie als Teil eines bestimmten Rahmens interpretiert werden, nicht nur kognitiver Natur sind, sondern in konkreten Handlungen körperlich realisiert werden. Während Goffman zu Beginn dieser Arbeit als ein berechtigter Erklärungsansatz für soziale Ordnung fungierte, werden nun die Darstellungen zur Rahmen-Analyse vertieft, um einen Leitfaden für weitere Analysen zu erarbeiten. Im Folgenden wird mit Bezug auf Goffman gezeigt, wie der Begriff des Rahmens dabei helfen kann, Spielräume im sozialen Handeln zu identifizieren und systematisch zu beschreiben. Konzeption der Rahmen-Analyse ››Wie Goffman selbst betont, haben Rahmungen und Modulationen einen sozusagen phänomenologischen Charakter, geht es doch um die ›Organisation der Erfahrung‹. Allerdings ist diese Erfahrung nicht im Subjekt verankert, sondern selbst ein soziales Phänomen. Es handelt sich also weniger um ein subjektives Wissen als um eine soziale Praxis, der Handelnde folgen‹‹ (Knoblauch, 2006, S. 164).
Die praxeologische Perspektive kann mit veränderten Verständnissen von Handeln, Akteuren und sozialer Ordnung im Zuge des practice turn als ein sozial- und kulturtheoretischer Paradigmenwechsel bezeichnet werden. Praxeologische Ansätze werden häufig schwerpunktmäßig als theoretische Strömung präsentiert. Marginalisiert werden hingegen die empirischen Zielsetzungen (vgl. Schmidt, 2012, S. 28). Obwohl der Empirie in praxeologischen Forschungszugängen eine zentrale Bedeutung zugesprochen wird, blieb eine systematische Erschließung des praxissoziologischen Methodenpotenzials bisher aus. Die Öffentlichkeit sozialer Praktiken betont die ››performative Dimension‹‹ (ebd., S. 45). Sie sind beobachtbar, werden dargestellt, aufgeführt und zeigen so an
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›››um was es sich hier jetzt handelt‹‹‹ (ebd., S. 46). In der Theorie sozialer Praktiken wird bereits ein empirisch-analytisches Ziel formuliert – die Erklärung von sozialer Ordnung. Eine praxeologische Erkenntnisweise impliziert bereits eine Fokussierung zur Dimension der sich vollziehenden Praktiken, die in der Vollzugswirklichkeit immer an menschliche Körper und Artefakte gebunden ist. Dem Ausruf eines practice turns muss somit gleichermaßen ein ››empirical turn‹‹ (ebd., S. 28, Herv. i. O.) zur Seite stehen. Das Rahmenkonzept nach Goffman dient als Sehinstrument für die Herstellung und Aufrechterhaltung von sozialer Ordnung und für die Spielräume sozialen Handelns. Dabei ist es vor allem das Begriffsinstrumentarium, worin die Chancen und das Potenzial einer Analyse liegen. Goffmans Werke wurden häufig in erster Linie essayistisch und weiterhin als eine Anwendung des Symbolischen Interaktionismus nach Herbert Blumer verstanden. Im Kern zeigt sich jedoch eine Kulturtheorie, deren Mittelpunkt das Rahmenkonzept bildet und die sich entscheidend vom Symbolischen Interaktionismus abgrenzt. Soziale Normen sind für Goffman eher interpretative als starre Bedeutungen, die in Abhängigkeit eines kollektiven Rahmungswissens und entsprechender Situationsdefinitionen stehen. Für Goffman sind es nicht die kognitiven Strukturen oder das subjektive Bewusstsein, die den Fluchtpunkt seiner Analysen bilden, ››sondern die ›öffentliche‹ gemeinsame soziale Praxis von Interaktionen. Die in dieser Praxis angewandten Interpretationsschemata werden nicht dem Subjekt zugerechnet, sondern als ein Bestandteil kollektiver, konstitutiver Regeln interpretiert, die die Akteure gemeinsam mit Hilfe von ›sichtbaren‹ Informationszeichen aktivieren. Diese Bedeutungs-frames ermöglichen dem Akteur, an sozialen Praktiken zu partizipieren und auf diesem Wege soziale ›Normalität‹ wie auch sein ›Selbst‹ sichtbar zu produzieren‹‹ (Reckwitz, 2012, S. 416, Herv. i. O.).
Mit dieser Prämisse löst sich Goffman von den Ansichten des Mentalismus und des Strukturalismus und betont, dass das Rahmenwissen der Akteure nur in der Anwendung und somit öffentlich existiert. Als ein reines Bewusstseinsphänomen wären sie unzugänglich und unsichtbar. Die beobachtbaren Handlungsformen (Zeichen) machen den jeweiligen Bedeutungsrahmen öffentlich und so zeigen die Akteure sich diese untereinander an und interpretieren bestimmtes Rahmenwissen. Solche Zeichen aktivieren bestimmte Rahmen größtenteils unbewusst, ››da ihnen die Bedeutungen in routinisierter Weise zugeschrieben werden‹‹ (ebd., S. 425). In der Konzeption der Rahmen-Analyse orientiert sich Goffman vor allem an Alfred Schütz und seiner Formulierung von ››Sinnbereichen‹‹ (Schütz, 1971, S. 266 zitiert nach Goffman, 1977, S. 12, Herv. i. O.). Die theoretischen Wurzeln finden sich bei der Grundlage der Begriffsbildung des Rahmens in Anlehnung an Bateson22 und weiterhin bei Austin, Glaser und Strauss (vgl. Goffman, 1977, S. 12ff.).
22 Bateson fragt sich bei der Beobachtung von spielerisch kämpfenden Ottern wie es ihnen gelingt beides gleichzeitig anzuzeigen, also zu kämpfen und zu zeigen, dass sie nicht kämpfen, sondern spielen. Die spielerische Imitation ähnelt zwar einem Kampf, weist allerdings auch gravierende Unterschiede auf, die von Bateson als Rahmen bezeichnet werden (vgl. Knoblauch, 2006, S. 162f.).
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Um das Rahmenkonzept Goffmans zu verstehen und für die Analyse sozialer Praktiken zu nutzen, greift Reckwitz (2012) die ›››Sinnprovinzen‹‹‹ (ebd., S. 416) nach Schütz23 auf, ››die Strukturen multipler Wirklichkeitsordnungen‹‹ (ebd.) beschreiben, die jedoch unter dem Label der Sozialphänomenologie dem subjektiven Bewusstsein entspringen. Auf der Grundlage von Rahmungswissen rücken Akteure eine Situation in einen Rahmen und geben so den Ereignissen eine Bedeutung. Nach Goffman (1977) stellen sich Akteure routinemäßig die Frage: ››Was geht hier eigentlich vor?‹‹24 (ebd., S. 16) und beantworten sie mit ihrem Rahmenwissen. Wenn die Rahmen-Analyse diese Frage als Ausgangspunkt jeglichen sozialen Handelns in sozialen Situationen stellt, zeigen die öffentlichen und beobachtbaren Praktiken an, ›››um was es sich hier jetzt handelt‹‹‹ (Schmidt, 2012, S. 46). Goffman (1977) definiert Rahmen folgendermaßen: ››Ich gehe davon aus, daß [sic] wir gemäß gewissen Organisationsprinzipien für Ereignisse – zumindest für soziale – und für unsere persönliche Anteilnahme an ihnen Definitionen einer Situation aufstellen; diese Elemente […] nenne ich ›Rahmen‹‹‹ (ebd., S. 19). Zunächst sind Rahmen unter Rückgriff auf das Rahmenwissen Interpretationsschemata. Die Sinnbereiche nach Schütz zeigen an dieser Stelle Parallelen auf, weil auch sie adäquates Handeln durch die Verwendung von Interpretationsschemata erklären. Die Verwendung der Definition der Situation lässt weiterhin auf die Nähe zum Symbolischen Interaktionismus schließen, in Form der drei Prämissen nach Blumer (2004).25 Für alle Perspektiven ist es in der sozialen Situation der Akteur, der in der Situation soziale (und nicht individuelle) Bedeutungszuschreibungen vollzieht. Der wesentliche Unterschied liegt im Detail. Goffman betont, dass die Rahmen, mit deren Hilfe Situationen definiert werden, ››immer als kollektive Bedeutungsrahmen zu verstehen sind, die keineswegs in der Situation, in der ein Akteur sie aktiviert, gleichzeitig neu geschaffen werden‹‹ (Reckwitz, 2012, S. 418, Herv. i. O.). Um dies noch einmal zu verdeutlichen: Im Gegensatz zu Ansätzen, die Rahmungen der Erfahrungen im subjektiven Bewusstsein verankern, sind die Rahmen, von denen Goffman spricht, ein Teil sozial-kollektiver Aktivitäten. Das beobachtbare Wissen in der Situation stellt kein Produkt der Situation dar, vielmehr sind es die aktivierten Rahmen, die in unserer Gesellschaft für das Verstehen von Ereignissen zur Verfügung stehen und somit kulturspezifisch gedeutet werden können (vgl. ebd.). ››Der Akteur produziert nicht den Bedeutungsrahmen, sondern rückt das Geschehen in einen solchen ein‹‹ (ebd., S. 419). Das Interesse an Kontingenzen, von denen soziale Interaktionen geprägt 23 Reckwitz (2012) bezieht sich in seiner Betrachtung auf den Begriff der ›››Sinnprovinzen‹‹‹ (ebd., S. 416) und Goffman (1977) in seiner Zitation auf die Sinnbereiche. 24 Durch diese Frage wird bereits deutlich, dass auch für Goffman (1977) soziale Situationen von Kontingenz gekennzeichnet sind. 25 Blumers (2004) drei Grundsätze des Symbolischen Interaktionismus sind: ››Die erste Prämisse besagt, daß [sic] Menschen ›Dingen‹ gegenüber auf der Grundlage der Bedeutungen handeln, die diese Dinge für sie besitzen. [….] Die zweite Prämisse besagt, daß [sic] die Bedeutung solcher Dinge aus der sozialen Interaktion, die man mit seinen Mitmenschen eingeht, abgeleitet ist oder aus ihr entsteht. Die dritte Prämisse besagt, daß [sic] diese Bedeutungen in einem interpretativen Prozess, den die Personen in ihrer Auseinandersetzung mit den ihr begegnenden Dingen benutzt, gehandhabt und abgeändert werden‹‹ (ebd., S. 322).
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sind, und fallunabhängigen Sinnstrukturen zur (Re-)Produktion von sozialer Ordnung betrachtet den Akteur im übertragenen Sinne als SpielerIn und nicht als Kickerfigur. Die bereits angesprochenen Interpretationsschemata reichen jedoch nicht aus, um zu verstehen, was hier gerade vor sich geht. Sie ermöglichen dem Akteur durch eine Dekodierung rahmenadäquat zu handeln und dadurch wiederum anzuzeigen, wie man die Situation definiert. Durch die Beobachtung der Situation, der darauffolgenden Dekodierung und anschließenden anzeigenden Handlung ist jeder Akteur gleichzeitig Produzent und Rezipient unter der Verwendung seines Know-how in sozialen Situationen. In alltäglichen Handlungsvollzügen bleibt es nun nicht bei einer statischen Rahmung. Ständige Wechsel der Orte, Personen und Situationen verlangen von den Akteuren eine neue Kodierung bzw. ein ››code switching‹‹ (ebd.), das in der Regel routiniert vollzogen wird und unterschiedliche Wissenselemente aktiviert. Ein wechselnder Rahmen bedeutet nun nicht, dass auch neue Wissenselemente erfunden werden müssen, vielmehr wendet der Akteur konvergierend erscheinende ››Elemente aus dem verfügbaren Pool von Bedeutungsrahmen an und trägt somit zur Reproduktion ›sozialer Ordnung‹ bei‹‹ (ebd., S. 420). Ein solcher Prozess ist keine Neudefinition von Bedeutungsrahmen, es ist eher ein Richtig-Feststellen des Akteurs. Situationen erfordern eine Rahmung vom Akteur, weil dieser Prozess sowohl Sicherheit und eine Vorstellung von Normalität gibt als auch Handlungsentlastung bedeutet. Gelungene Rahmungen erfordern kein Ausprobieren und Erkunden von Handlungen, sondern liefern durch die zugrunde gelegten Wissensvorräte passende Vorgehensweisen. Umgekehrt würde man in einem noch unklaren Rahmen eher zurückhaltend agieren, beobachten oder probieren adäquat zu handeln, um wiederum die Reaktionen abzuwarten und sich dementsprechend anzupassen. Treten in einer Situation Elemente auf, die nicht sinnvoll erscheinen, erfolgt eine Anpassung der Rahmung. Dieser Prozess funktioniert jedoch nicht umgekehrt. Es kann also nicht sein, dass alle Elemente einer Situation sinnvoll erscheinen und gleichzeitig keine Rahmung vorhanden ist. Die angelegten und angezeigten Bedeutungsrahmen der Akteure durch den Rahmungsprozess, in Abhängigkeit zum kollektiven Verhalten, bezeichnet Reckwitz (2012) als ››zwei Seiten der gleichen Medaille‹‹ (ebd., S. 421). Für Goffman rücken nicht die kognitiven Strukturen, sondern der Körper in den Fokus seines Interesses und zwar im doppelten Sinne. Zum einen ist der Körper ausschlaggebend für die Hervorbringung von Praktiken und zweitens ist der Körper der Ort, an dem diese abgelesen werden können. Um die Rahmen-Analyse darzulegen wurde sich hier einer Dialektik bedient, die erläutert werden muss und einer differenzierten Betrachtung bedarf – das Begriffspaar Rahmen und Rahmung. Rahmen können als eine Struktur (››frame-as-structure‹‹ (Willems, 1997, S. 47)), als intersubjektive Interpretationsschemata eines Ereignisses, ausgelegt werden. Eine Rahmung (››frame-in-use‹‹ (ebd.)) hingegen erfolgt durch den Akteur anhand von subjektiven Interpretationen. Mit den Begriffen Rahmen und Rahmung wird die ››Differenz von sozialem Sinn und sinnaktualisierender Praxis‹‹ (ebd., S. 46) verdeutlicht. Rahmen sind Strukturen der sozialen Wirklichkeit, in denen vordefinierte Deutungsschemata potenziell bereitgestellt werden. Während die Komplexität der Rahmen den Akteuren weitgehend unbewusst ist, zeigen sie im praktischen Vollzug und in ihrem routinisierten Tun die Rahmungskompetenz an, die mit dem von Bourdieu formulierten praktischen Sinn vergleichbar ist. Die Ebene der Praxis bezieht den
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Prozess der Rahmung mit ein und ist grundlegend anfälliger. Die Deutung der Situation wird in der Rahmung vom Akteur geleistet. Im Unterschied zum Symbolischen Interaktionismus wird die Definition der Situation nicht erst in der Interaktion vollzogen, die Akteure greifen auf bereits vorhandene kulturelle Deutungsschemata zurück, die für die Situation und auch nur in der Situation relevant sind und wodurch angezeigt wird, wie der Rahmen verstanden wird. Die potenzielle Kontingenz und die Mehrdeutigkeiten der Rahmen bergen die Option des Bruches, eines Spielraumes sozialen Handelns, der soziologisch aufschlussreich sein kann, insofern die Beobachtung der Bewältigung von Spielräumen ermöglicht wird, die zum Verständnis der Normalität beiträgt. Von einer funktionierenden Rahmung wird dann gesprochen, wenn Rahmen und Rahmung – also Struktur und Handlung – übereinstimmen. Als Interaktionspartner können wir uns in verschiedenen Kontexten ohne weiteres auf unser implizites Wissen verlassen. Goffman (1977) beschreibt es als implizites Rahmungswissen und Soeffner (2004) bezeichnet die Interaktionspartner in diesem Zuge als ››Kenner alltäglicher und kollektiver Handlungs- und Situationstypen‹‹ (ebd., S. 164). Wir können uns aber nicht nur auf uns verlassen, sondern durch die geteilten Wissensbestände, die durch die Theorie sozialer Praktiken postuliert werden, auch auf die Beteiligten. Die wechselseitige Rekursivität von Interaktionswissen und Interaktionserfahrungen lässt die soziale Interaktion trotz einer potentiellen Kontingenz häufig unproblematisch werden. Goffman (1977) spricht von einer klaren Rahmung und konstatiert: ››Nennt man einen Rahmen klar, so heißt das nicht nur, jeder Beteiligte habe eine hinlänglich richtige Vorstellung von dem, was vor sich geht, sondern im allgemeinen auch, er habe eine hinlänglich richtige Vorstellung von den Vorstellungen der anderen, einschließlich deren Vorstellungen von seiner eigenen Vorstellung‹‹ (ebd., S. 369).
Hier wird deutlich, dass es nicht nur eine wechselseitige Reflexivität der Wahrnehmung gibt, sondern auch eine wechselseitige Reflexivität der Rahmung. Problematisch gestaltet es sich mit den Übergängen insofern, als dass Rahmen nicht automatisch Anschlüsse produzieren, sondern dass die Anschlüsse aus der Rahmung heraus unter der Voraussetzung von Interaktion stattfinden (vgl. Willems, 1997, S. 50). Soeffner (2004) formuliert dieses Wissen als ››Rahmungswissen‹‹ (ebd., S. 164) und skizziert dies wie folgt: Rahmungswissen ist ››zwar ein individuell erworbenes, aber immer schon als kollektiv verfügbar und wirksam unterstelltes implizites Wissen über das, was ›man‹, wann, wo, mit wem tun, reden und verabreden kann oder nicht kann. Wer über dieses implizite Wissen und über die Mittel verfügt, mit deren Hilfe man sich als Kenner alltäglicher und kollektiver Handlungs- und Situationstypen zu erkennen geben kann, verfügt zugleich sowohl über ein Typenrepertoire als auch über Darstellungsmittel, in denen Hinweise auf eine spezifische Verwendung und Deutung von Typen in der Interaktion gegeben werden‹‹ (ebd., Herv. i. O.).
Wie in Anlehnung an die Ethnomethodologie bereits beschrieben, ist das verwendete und angezeigte Rahmungswissen indexikal. Es existiert nur in seiner Anwendung und ist im situativen Kontext sinnvoll. Die potenzielle Deutungsoffenheit liefert die
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Garantielosigkeit und grundsätzliche Anfälligkeit sozialer Interaktionen. Die Akteure interpretierten ihr eigenes Verhalten einschließlich der verwendeten oder produzierten Artefakte und zeigen es sich gegenseitig an, häufig in einer leichtgängigen Routinisiertheit von Handlungsvollzügen. Die Frage, die sich nun stellt, ist, wie zeigen sich die Akteure gegenseitig an, welche Rahmung Gültigkeit erhält? Die Öffentlichkeit der Rahmen zeigt sich in den angezeigten Interpretationshilfen der Akteure untereinander. Diese sind nur selten sprachlich und vielmehr körperlich routinisiert. Die Ausdruckszeichen werden ››stillschweigend enkodiert und dekodiert‹‹ (Reckwitz, 2012, S. 422). Fehlt es an solchen Hinweisen, kann es zu einem Rahmenbruch oder einer Fehlrahmung kommen. Ein Rahmenbruch entsteht, wenn sich die Frage, was gerade vor sich geht, nicht mehr beantworten lässt, beispielsweise wenn Handlungen eines Akteurs absolut unangemessen sind. Fehlrahmungen hingegen bestehen aus der Verwendung falscher Bezugssysteme eines oder mehrerer Akteure.26 Der Vollzug des Anzeigens von Rahmungen geschieht vor allem durch Hilfestellungen, diese können aus ››Anfangs- und Schlußklammern [sic]‹‹ (Goffman, 1977, S. 279), ››räumliche[n] Klammern‹‹ (ebd.) oder ››Beziehungszeichen‹‹ (Goffman, 1974, S. 255) bestehen. Die spezifische Komplexität von (unterrichtlichen) Situationen offenbart sich auch im Wechsel der Rahmen. Um eine Situation, die bereits gerahmt wurde, von einem ihr umgebenden Ereignis abzugrenzen, werden die genannten Klammern genutzt (vgl. ebd., S. 278ff.). Zeitliche und räumliche Anfangs- und Schlussklammern sowie innere Klammern werden durch ››Konventionen zur Abgrenzung von Episoden‹‹ (ebd., S. 284) genutzt. Anfangsklammern bedürfen in der Regel eines größeren Engagements als Schlussklammern. Eine Anfangsklammer kann in einem Gespräch in der Begrüßung der Akteure liegen, während ein flüchtiger Blick auf die Uhr oder das Packen der Taschen eine Endklammer bedeuten kann (vgl. ebd., S. 284f.). Die angesprochenen inneren Klammern sind für die Aufrechterhaltung von sozialer Ordnung bzw. der Interaktionsordnung nach Goffman von besonderer Bedeutung. Durch die Setzung von Klammern werden Ereignisse auf Basis eines Zusammenspiels der Akteure für gültig erklärt. Der Hauptvorgang einer Rahmung selbst kann von inneren Klammern strukturiert werden. Die Vorgänge innerhalb der inneren Klammer wiederum können eigenständige Hauptvorgänge bilden und somit für eine Ausdifferenzierung des Rahmens verantwortlich sein. Goffman betrachtet mit der Einführung der Klammern auch die Unterscheidung zwischen ››Spiel‹‹ und ››Spektakulum‹‹ (Goffman, 1977, S. 289). Das Spektakulum bezeichnet ein soziales Ereignis, das nicht zu dem eigentlichen Hauptvorgang gehört, aber diesen dementsprechend rahmt. Goffman illustriert dies an unterschiedlichen Beispielen wie etwa am Restau26 Die Provokation von Fehlrahmungen ist ein klassisches Mittel des Humors. Lübcke (2011) führt als Beispiel einer Fehlrahmung Loriots Fernsehsketch ››Der Astronaut‹‹ (ebd., S. 120, Herv. i. O.) aus. In einem Fernsehstudio sitzt anstelle eines amerikanischen Astronauten ein deutscher Verwaltungsangestellter, der auf die Frage des Moderators ››Sie sind also mehrfach in 200 000 Kilometer Entfernung von der Erde durch die Luft geflogen?‹‹ (ebd., S. 121) nüchtern mit ››Nein‹‹ (ebd.) antwortet. Die Aufrechterhaltung der Fehlrahmung während des Interviews gilt als das zentrale Stilmittel Loriots in diesem Sketch (vgl. ebd., S. 120f.).
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rant-Besuch, am Stierkampf und am Sport. Sumo-Kämpfe beispielsweise setzen sich aus sehr kurzen Spielen und einem ausgedehnten Spektakulum, bestehend aus unterschiedlichen Riten, zusammen (vgl. ebd., S. 287ff.). Ausgehend von der grundlegenden Unterscheidung zwischen natürlichen und sozialen Rahmen27 können Handlungen in andere Sinnkontexte transformiert werden. Den Vorgang einer Transformation bezeichnet Goffman als ››Modulation‹‹ (ebd., S. 56).28 Goffman (1977) orientiert sich für eine weitere Charakterisierung der Modulation am Beispiel eines ernsten Kampfes im Unterschied zu einem gespielten Kampf. Es zeichnen sich folgende Kennzeichen der Modulation ab (vgl. ebd., S. 52ff.): •
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•
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Im Prozess der Modulation besteht bereits ein sinnvoller Rahmen, ansonsten wäre die Modulation sinnlos. Es sind die inneren Klammern eines Rahmens, die transformiert werden. Dadurch wird kein neuer und eigener Rahmen, sondern eine Veränderung von Rahmen produziert, indem sich die Akteure über die Umwandlung austauschen, dass etwas grundlegend Anderes passiert. Die Modulation wird (häufig) durch zeitliche und räumliche Klammern beschränkt. Somit finden sich Hinweise auf den Beginn, das Ende und die räumliche Begrenzung der Transformation. Der Vorgang der Modulation ist nicht auf bestimmte (z. B. zweckorientierte oder ritualisierte) Ereignisse beschränkt. Wesentlich ist jedoch, dass die Akteure um den Vorgang der Transformation wissen. Die Modulation des Rahmens ist entscheidend für das, was in den Augen der Beteiligten vor sich geht.
Primäre soziale Rahmen bilden den Ausgangspunkt für mögliche Sinntransformationen – Modulationen. Goffman (1977) unterscheidet fünf grundlegende Formen der Modulation: ››So-tun-als-ob‹‹ (ebd., S. 60, Herv. i. O.) (z. B. ein Spiel), ››Wettkämpfe‹‹ (ebd., S. 69, Herv. i. O.) (z. B. im Sport), ››Zeremonien‹‹ (ebd., S. 70, Herv. i. O.) (z. B. eine kirchliche Trauung), ››Sonderausführung‹‹ (ebd., S. 71, Herv. i. O.) (z. B. eine Generalprobe) und ››In-anderen-Zusammenhang-Stellen‹‹ (ebd., S. 87, Herv. i. O.) (z. B. eine nur zeitweise angewandte Einhaltung von Regeln). Im Wesentlichen geht es darum, dass eine ursprüngliche Situation in eine andere transformiert wird. Ein anfangs als ernst wahrgenommener Kampf wird in eine spezifische Situation des Spiels oder einer Zeremonie transformiert und erhält einen völlig anderen Sinnzusammenhang. ››Die Modulation ist eine grundlegende Art der Transformation eines Stückes Handlung, die dabei in allen Einzelheiten als Muster für etwas anderes dient. Anders ausgedrückt, Modulationen sind eine grundlegende Art der An27 Natürliche Rahmen beschreibt Goffman (1977) als rein physikalische, natürliche Ursachen, denen keine Intention, kein Ergebnis und kein Akteur angehören. Als Beispiel nennt Goffman die naturwissenschaftlichen Ordnungen. Soziale Rahmen hingegen bezeichnen den tatsächlichen Analysegegenstand Goffmans (vgl. ebd., S. 31f.). 28 Die Analogie zur Musik scheint nach Goffman (1977) durch diese Wahl der Begrifflichkeit gewollt (vgl. ebd., S. 56). Die Übersetzung aus dem Original von keying zu Modulation meint im Genre der Musik einen vorbereiteten Übergang von einer Tonart zu einer anderen Tonart.
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fälligkeit des Handelns‹‹ (ebd., S. 98). Durch Handlungen können Rahmen also moduliert werden, allerdings gibt es Situationen, in denen genau das verhindert werden soll: ››So ist es eine der Funktionen von Schiedsrichtern bei Wettkämpfen, zu verhindern, daß [sic] die Spieler ein Spiel spielen, das heißt, den Wettkampf nicht ernst nehmen und etwas nochmals modulieren, was eine weniger komplizierte Rahmenstruktur haben sollte‹‹ (ebd., S. 95). Zur Bedeutung der Frage danach, wie Rahmen an Stabilität gewinnen, lassen sich die sichtbaren Informationszeichen heranziehen. Goffman versteht unter diesen spezifische Artefakte und die spezifische soziale Rolle, die innerhalb der Rahmen von entscheidender Bedeutung sind. Innerhalb eines Rahmens klärt sich so, wer überhaupt als Akteur im Rahmen wahrgenommen wird und wer befugt ist, bestimmte Rollen einzunehmen und wer nicht. Der Kontext einer Situation kann zeigen, dass die Akteure mit unterschiedlichen Mitteln und Befugnissen ausgestattet sein können, um den Teilnehmern ihren Rahmen anzuzeigen und sie zum Mitspielen zu bringen. Institutionalisierte Kontexte rahmen bereits innere Ereignisse und statten beispielsweise LehrerInnen, RichterInnen oder ÄrztInnen mit spezifischen Machtmitteln aus und zwar insofern, dass es diesen Rollen obliegt die Übergänge von der informellen zur formellen Behandlung einer Sache zu gestalten. Sie haben die Möglichkeit über die Setzung von Anfangs- und Endklammern zu entscheiden (vgl. Goffman, 1977, S. 291).29 In der oben erwähnten wechselseitigen Reflexivität der Rahmung zeigt sich ein weiterer wichtiger Aspekt der Rahmen-Analyse, der des Engagements. Auf der Ebene der Interaktionsordnung beschreibt Goffman das Rahmungswissen ››als Kognitions- und Performanzwissen‹‹ (Willems, 1997, S. 50, Herv. i. O.). Die RahmenMetapher, das sollte deutlich geworden sein, ist keine Befolgung von kognitiven Skripten, sondern eine Struktur, in der das Verhalten zur Aufrechterhaltung der Ordnung und des Selbst möglich ist. Die eigene Rahmungsaktivität, also die Teilnahme und die Konstitution des Geschehens zeigt gleichermaßen an, wer man ist und wie man die Situation versteht. Im Rahmen einer glaubwürdigen Übernahme von erwarteter Mitarbeit zeigt sich, im doppelten Sinne, die Mitspielbereitschaft des Akteurs. Für den Kontext dieser Arbeit, die sich mit den Praktiken in institutionalisierten Kontexten auf mikrosoziologischer Ebene befasst, wird die Frage, wie und von wem bestimmte Rahmen (durch-)gesetzt werden, von Bedeutung sein. Zusammenfassung: Die Herausforderung zu sehen, was man sieht Die Verknüpfung der erkenntnistheoretischen und methodologischen Figuren, der Theorie sozialer Praktiken und der Rahmen-Analyse, setzt als Ausgangspunkt ihrer 29 Goffman (1977) fügt einen interessanten Hinweis hinzu: ››Man beachte aber, daß [sic] diese führenden Persönlichkeiten zwar oft über den Zeitpunkt des Abschlusses der offiziellen Verhandlungen entscheiden können, aber vielleicht viel weniger Macht haben, die nachfolgenden informellen Vorgänge und damit das Spektakulum abzuschließen‹‹ (ebd., S. 291). Hier klingt die Hinterbühne des Unterrichts und der Institution Schule an, auf der sich gerade SchülerInnen den schulischen Zwängen entziehen und probieren sich mittels eigener Taktiken von schulischen Ansprüchen zu distanzieren (vgl. in diesem Zusammenhang u. a. Zinnecker, 1978; Heinze, 1980).
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Überlegungen nicht den objektiven Sinn einer symbolischen Ordnung, der nur von wissenschaftlichen BeobachterInnen rekonstruiert werden kann. Vielmehr sind es die Situationen, in denen die Akteure Situationsdefinitionen unter der Prämisse kollektiver Wissensordnungen hervorbringen und anzeigen. Die situative Interpretation (Rahmung) der Akteure wird durch den Rahmen ermöglicht, den sie vorfinden und als solchen feststellen. Rahmenlos zu sein, das heißt eine völlige Unsicherheit darüber, was gerade vor sich geht und welcher Rahmen angemessen scheint, bewirkt eine Handlungsunfähigkeit. Die Handlungsfähigkeit der Akteure beruht letztendlich zu Teilen aus den institutionellen Regeln, im Wesentlichen jedoch in der ››symbolischen Organisation der Wirklichkeit‹‹ (Reckwitz, 2012, S. 438, Herv. i. O.). Auch mit Goffman wird eine Verschiebung vom Mentalismus, einer Analyse von Deutungsschemata, zu einer Analyse routinisierter Reproduktion der sozialen Ordnung vollzogen, die sich in beobachtbaren Praktiken offenbart. In ihnen werden ständig kollektive Bedeutungsrahmen mobilisiert und öffentlich angezeigt. Mit der Rahmen-Analyse ist es möglich die Repetitivität sozialer Praktiken zu rekonstruieren, um soziale Ordnung zu (re-)produzieren. Die Prämisse liegt in der Voraussetzung kollektiver Wissensordnungen (Rahmen) und der sichtbaren Darstellung von Informationszeichen als Dekodierungshilfe. Eine zentrale Kritik an Goffman lässt sich in einer ››Innen-außen-Differenz‹‹ (ebd., S. 433, Herv. i. O.) zeigen. Das äußere Verhalten eines Akteurs zeigt sich in dem gezeigten Verhalten, welches nach bestimmten Rollenerwartungen präsentiert wird. Im inneren findet sich das Selbst, welches eigene Interpretationen der Welt beherbergt. Eine solche Differenz verweist auf das Paradigma des homo sociologicus und dessen analytische Unterscheidung zwischen einer Rolle, die man spielt, einerseits und dem eigentlichen Ich andererseits, das durchaus jenseits normativer Erwartungen zu sein scheint. Der Struktur von Praktiken und der Anwendung des Rahmenkonzepts liegt in dieser Kritik eine verfehlte Darstellung zugrunde (vgl. Goffman, 1977, S. 297f.; Reckwitz, 2012, S. 433ff.). Die zentrale Begründung Goffmans, weg von einer kognitiven Betrachtung und hin zu beobachtbaren Praktiken, zeigt sich nicht in der Verfolgung normativer Vorstellungen bei der Ausgestaltung einer Rolle, sondern im eigenen Vollzug von Handlungen, die einem Bedeutungsrahmen entspringen und mit dem relevantem Know-how verbunden sind. ››Eine Praktik wäre dann als die Gestaltung einer Handlungssequenz zu verstehen, in der der Akteur seine Umwelt und sich selbst in einem entsprechenden Bedeutungs-frame situiert und in der er das diesem frame entsprechende zugeordnete methodische Wissen mobilisiert‹‹ (Reckwitz, 2012, S. 434, Herv. i. O.). Konsequenterweise kann die Innen-außen-Differenz so für Goffman nicht mehr aufrecht erhalten bleiben. Die Darstellung des Selbst ist keine verborgene Kategorie mehr, sie zeigt sich und existiert in den Praktiken. Das sprichwörtliche Aus-derRolle-fallen bezeichnet mit dieser Grundlage keine Darstellung des wahren Ichs, sondern es vollzieht sich ein Wechsel des Bedeutungsrahmens und damit ein Wechsel der anzeigenden Praktiken.30 30 Reckwitz (2012) bezieht sich zur Verdeutlichung auf Goffman mit folgendem Beispiel: ››Das zwölfjährige Kind, […] das Karussell fährt, sich jedoch durch die Informationszeichen der Mimik und Gestik sichtbar von dieser Tätigkeit als ›unter seiner Würde‹ distanziert, zeigt nun nicht etwa sein wahres Ich ›hinter‹ der Maske der normativen Erwartungen.
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Mit der Goffmanschen Perspektive das zu sehen, was man sieht, bedeutet nicht mit methodischen Leitfäden Zugänge zum Material zu stricken und die Orientierung an der Methode zu suchen. Goffman beruft sich immer wieder auf seine Beobachtung natürlicher Situationen, woran eine Empiriearbeit geleistet wird und sich Konzeptionen verdichten. Die Erarbeitung der Konzepte, wie auch die Konzepte des Rahmens oder der Rollendistanz, werden aus dem Material und im Material verarbeitet, ››die daran anschließenden terminologischen Verästelungen erweisen ihre Tauglichkeit also im Kontext ihrer Genese, in der (struktur-)analytischen Bestimmung empirischer Sinnkomplexität‹‹ (Willems, 1997, S. 338). Die inhaltliche Passung der theoretischen und methodologischen Figuren dieser Arbeit soll im Folgenden anhand zentraler Aspekte noch einmal verdeutlicht werden. 1) Koordination von Face-to-Face-Interaktionen: Goffman konzentriert sich in seinen Analysen auf die Koordination von Face-toFace-Interaktionen in sozialen Interaktionsbeziehungen. Es sind keine stummen, immanenten Wissensvorräte die untersucht werden, sondern Goffman beschränkt sich auf das Routinewissen, das nötig ist, um Interaktionssituationen zu verstehen. Fokussiert wird dabei die öffentliche Mobilisierung von Rahmenwissen in den Praktiken, welche durch ››die routinisierte Verwendung von Informationszeichen als ›Decodierungshilfen‹ in den Mittelpunkt seiner Rahmenanalysen‹‹ (Reckwitz, 2012, S. 440, Herv. i. O.) gestellt werden. 2) Rahmentransformationen: Die Möglichkeit zur Rahmentransformation bedeutet, dass die Akteure in der Lage sind zwischen unterschiedlichen Wissensordnungen zu wechseln (codeswitching). Eine solche Fähigkeit beinhaltet die Möglichkeit und das potenzielle Risiko von unterschiedlichen und nebeneinander existierenden Deutungen von Handlungssituationen. 3) Körper: Der Körper hat für Goffman eine Schlüsselbedeutung zur Analyse rahmengestützter Praktiken. ››Praktiken […] sind auf elementarer Ebene Muster von Körperbewegungen im öffentlichen Raum‹‹ (ebd., S. 441). Der Vollzug von Praktiken setzt ein Know-how über den Körper voraus, um auf der einen Seite den Körper routinemäßig zu steuern. Auf der anderen Seite dient der Körper als ››herausgehobene[r] Ort‹‹ (ebd., S. 442), von wo aus Zeichen über die Person und über das Verständnis der Situation angezeigt werden. 4) Konzeptuelle Verschiebung: Normen und Normalität erhalten im Sinne Goffmans wie auch in der Theorie sozialer Praktiken einen anderen Stellenwert als im Paradigma des homo sociologiEs demonstriert vielmehr, daß [sic] es sich lieber in den Interpretationsrahmen eines ›Erwachsenen‹ – der dann nicht mehr mit kindlicher Naivität Karussell fahren kann – einordnet und sein Verhalten als das eines erwachsenen Mannes stilisiert. Das Kind spielt nicht das eigentliche Ich gegen die Normen aus, sondern es vollzieht einen öffentlichen Wechsel des sozialen Bedeutungsrahmens seines Verhaltens‹‹ (ebd., S. 434-435). Diese zuschreibenden Bedeutungen von Handlungen wurden ebenfalls in der Darstellung der Theorie sozialer Praktiken mit dem Beispiel von Geertz über das Augenzwinkern und den Schafsdiebstahl erläutert.
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cus. Die Verschiebung vom Bewusstsein zu den sozialen Praktiken zeigt, dass Akteure Praktiken hervorbringen, die in Abhängigkeit des Rahmens dem kollektiven Rahmenwissen entsprechen und somit eine sichtbare Normalität oder auch Anomalie anzeigen. 5) Sinnmuster: Durch die Fokussierung der Rahmen, als Organisationsprinzip menschlicher Erfahrung und Interaktion, wendet sich Goffman bewusst vom subjektiven Bewusstsein ab und betrachtet Rahmen als Teil von kollektiven Aktivitäten (vgl. Knoblauch, 2006, S. 163). Die Sinnmuster der Rahmen bezeichnen dann einen Verweis auf kollektive Wissensordnungen, die in jeder Situation angewendet, modifiziert oder neu ausgehandelt werden können (vgl. Reckwitz, 2012, S. 440ff.). Diese zentralen Aspekte werden im weiteren Verlauf erneut aufgegriffen, um den Zugang zu den erhobenen Daten zu ermöglichen und theoretisch und methodisch nachvollziehbar zu gestalten. Bevor dies geschieht, gilt es zunächst eine Auseinandersetzung mit der Rahmen-Analyse im unterrichtlichen und sportunterrichtlichen Kontext darzustellen und sie für die Analyse von audio-visuellen Aufnahmen zu nutzen.
D ARSTELLUNG
DER EIGENEN
V ORGEHENSWEISE
Zunächst werden die Forschungsmaximen der eigenen Vorgehensweise aus der theoretischen und methodologischen Einbettung zusammengefasst, woraufhin sich einige Bemerkungen zur Durchführung der Videographie anschließen. Insbesondere werden wieder die Aspekte der Objektivität, Natürlichkeit der Situation und Reaktanz und die Selektivität aufgegriffen. Weitere Überlegungen gelten der Generalisierbarkeit von Forschungsergebnissen und der Forschungsethik. Im Anschluss folgt eine Beschreibung der Datenerhebung sowie der Daten selbst. Der methodologische Teil dieser Arbeit endet mit einer Beschreibung der eigenen Vorgehensweise bei der Analyse der Daten und der gewählten Darstellungsweise. Forschungsmaxime Die zentrale Frage dieser Arbeit lautet: Wie (re-)produziert sich im Sportunterricht über soziale Praktiken eine soziale Ordnung, um Sportunterricht am Laufen zu halten? Weiterhin gilt es die Spielräume und ihre Bewältigung im sportunterrichtlichen Handeln zu analysieren. Die Durchführung der Datenerhebung und der Analyse der entstandenen Daten orientiert sich an den folgenden ethnomethodologischen Forschungsmaximen (vgl. u. a. Mehan, 1979, S. 8ff.; Hecht, 2009, S. 136f.): 1. Es werden ausschließlich beobachtbare Daten, die anhand von Videokameras aufgezeichnet wurden, verwendet. 2. Im Fokus stehen Situationen und die ihnen inhärenten Praktiken, durch die eine skillful performance der Akteure dargestellt wird und in denen sich Spielräume offenbaren können, die anhand eines Know-how kompetent gefüllt werden (vgl. Reckwitz, 2003).
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3. Praktiken sind in ihrer spezifischen Empirizität vollständig beobachtbar und öffentlich (vgl. Hirschauer, 2004, S. 73). Analysiert wird die Praxis, die immer schon läuft, und keine handlungsleitenden oder handlungsgenerierenden Motive. Fokussiert wird somit das Doing, also die öffentliche Darstellung des Tuns, worin Ähnlichkeiten zu Goffmans Metapher der Inszenierung liegen. 4. Aus der Beobachtung der videographierten Daten entwickeln sich die Kriterien für Kategorien. Es werden nicht flüchtige oder vorher festgelegte Kategorien vorschnell verwendet, sondern aus dem Material generiert und daran rückgebunden. 5. Es wird versucht, die Regelmäßigkeiten der bereits vorhandenen Wirklichkeit zu beschreiben und nicht ein Modell zu generieren, das einen Anspruch auf Vollständigkeit und Repräsentativität behauptet.31 6. Es wird sich darum bemüht weitere Beispiele von entwickelten Kategorien zu finden, um ihre Gemeinsamkeiten zu beschreiben. Dabei gilt es auch eine kontrastive Analyse mit einzubeziehen, um abweichende Fälle zu berücksichtigen (vgl. Flick, 1994, S. 108f.). 7. Die Verwendung von Mengenbegriffen wird aufgrund ihrer Ungenauigkeit vermieden. Oswald (2013) bezeichnet Formulierungen wie in der Regel oder häufig als ››Quasiquantifizierungen‹‹ (ebd., S. 189). Besonderheiten der Videographie ››Diese Art, wie die Handelnden selbst (›ethnos‹) etwas machen, soll auch im Begriff der Ethnomethoden zum Ausdruck kommen‹‹ (Knoblauch, 2009, S. 309, Herv. i. O.). Zur Erfassung der Komplexität und Dynamik von Praktiken wurde in der vorliegenden Untersuchung als Hauptmethode die qualitative Videographie, als eine Form der Ethnographie, gewählt. Der Forschungsmaxime folgend, nur beobachtbare Daten zu erheben, wurden Sportunterrichtsstunden ausschließlich videographiert. Für die Analyse von Praktiken in Situationen im Sportunterricht eignen sich Videoaufnahmen nicht nur, sie sind der schlichtweg notwendige Zugang zu solchen mikrosoziologischen Fokussierungen. Nach der bereits ausführlichen Betrachtung der Besonderheiten der Praktiken einer Videographie, wird diesbezüglich in Kürze auf die Begründung der Umsetzung in Hinblick auf die eigene Untersuchung hingewiesen. Objektivität und Selektivität Der oben bereits beschriebene Vorwurf, videographierte Daten seien nicht objektiv, soll an dieser Stelle weiter relativiert werden und die Entscheidungen zur Generierung der Daten der eigenen Forschung offengelegt werden. Die erhobene Datensorte in dieser Studie lässt sich nach Knoblauch (2004) als eine ››wissenschaftlich aufgezeichnete natürliche soziale Situation‹‹ (ebd., S. 126) be31 Die Forschungsmaxime beruft sich auf eine bereits vorhandene Wirklichkeit, die auch nach Reckwitz (2003) beschrieben wurde. Demnach handeln die Akteure aufgrund kollektiver Wissensordnungen und eines impliziten Wissens kompetent in der jeweiligen dynamischen Situation. Die Analyse einer ››interaction order‹‹ (Goffman, 1983, S. 1) verweist auf einen ››naturalistischen Realismus‹‹ (Hecht, 2009, S. 137), der aufgrund der abgebildeten Wirklichkeit durch die Videographie relativiert werden muss.
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zeichnen. Im Vergleich zu anderen Datensorten generieren die ForscherInnen die Aufzeichnungen selbst (vgl. Corsten, 2010, S. 8f.; Reichertz & Englert, 2010, S. 10ff.). Die Start- und Endpunkte der Aufnahmen umfassen sowohl den formellen Sportunterricht als auch die informellen Situationen in der Sporthalle vor und nach dem Sportunterricht. Das aufgenommene Material ist nicht unterbrochen worden. Durch eine in situ Entscheidung darüber, was als relevant gelten könnte und der Aufnahme wert sei und was nicht, ist von den ForscherInnen in der Dynamik von Interaktionsprozessen nicht zu entscheiden. Oftmals erschließt sich für die Problemstellung relevantes Material erst in der Betrachtung des Videos außerhalb des Feldes (vgl. Erickson, 1992, S. 207). Die Abbildung der Realität im Video gibt die szenische Choreographie von Körperlichkeit, Materialität und räumlichen Positionen wieder. Die Videographie wurde nach einem Kameraskript durchgeführt. Ein solches vereinheitlichtes Verfahren beschreibt die Vorbereitung der Aufzeichnungen, die Schulung des Videopersonals sowie den Verlauf der Videoaufzeichnung (vgl. Petko, 2006, S. 15ff.). Die Positionierungen der Kameras lassen sich nicht verallgemeinernd darstellen, weil die Aufnahmen in unterschiedlichen Sporthallen immer wieder situative Entscheidungen darüber erforderten, wo die Kamera die Akteure mit möglichst wenig Einfluss filmt. Beim Videographieren wurden zwei Kameras verwendet. Eine statisch-stationäre Kamera, die nur selten geschwenkt wurde, hatte immer die Zielsetzung, möglichst alle Teilnehmer aufzunehmen. Die Tonaufnahme erfolgte durch das integrierte Mikrophon an der Kamera. Problematisch waren oftmals die toten Winkel der Kameras, in denen sich einzelne SchülerInnen oder Kleingruppen vor Unterrichtsbeginn oder im Unterricht an unterschiedlichen Orten in der Halle und damit teilweise in Nischen der Blickwinkel aufhielten. Durch die gegenüberliegende Position der dynamisch-stationären Kamera konnten diese Situationen (wie auch umgekehrt) oftmals trotzdem erfasst werden. Die dynamisch-stationäre Kamera hatte die Zielsetzung die Lehrperson zu fokussieren. Der Fokus ist jedoch nicht in einer Totalen der Lehrperson zu verstehen. Die Kamera32 hat immer auch möglichst viele SchülerInnen im Umfeld aufgenommen und ebenfalls probiert die Lehrperson im Kontext aller Akteure zu filmen. In verdichteten Interaktionssituationen wurde gezoomt, um die Situation besser zu erkennen. Erickson (1992) schreibt dazu: ››As much as possible, keep all the relevant participants in the visual frame. The visual detail you sacrifice […] will be worth it because of the value of comprehensive footage that enables you to see the reactions of listeners while the speaker is speaking. Because interaction is the phenomenon of interest, and interaction is mutually constructed in the simultaneous activities of speakers and hearers, the visual frame needs to include as many hearers as possible together with the speakers‹‹ (ebd., S. 216, Herv. i. O.).
Ergänzend wurden die Lehrpersonen mit einem Mikrophon ausgestattet, um die Sprache der Lehrperson in guter Qualität zu erfassen und weiterhin die umliegenden Gespräche aufzunehmen (vgl. Erickson, 1992, S. 216). Das Mikrophon wurde vor
32 Trotz der Subjektivierung der Kamera ist damit selbstverständlich die durch den Forscher bedingte Kameraführung gemeint.
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Stundenbeginn angebracht und störte, nach Auskünften der Lehrpersonen, zu keiner Zeit. Die Wahl der eingesetzten Technik im Feld ist abhängig davon, wie umfassend die Aufzeichnungen sein sollen. Mit der Fokussierung auf die Interaktionsprozesse zwischen den Akteuren im Sportunterricht fiel die Entscheidung gegen eine zu hohe Technologisierung, um die Akteure nicht zu irritieren (vgl. Wagner-Willi, 2005, S. 257). Natürlichkeit der Situation und Reaktanz Der Aufbau der Kameras fand unmittelbar vor Beginn des eigentlichen Sportunterrichts statt, als sich noch keine Akteure in der Sporthalle befanden. Die Annahme, die eigene Anwesenheit und die Präsenz von Kameras verändere die Situation in der Sporthalle nicht, wäre naiv. Die SchülerInnen richten immer wieder ihre Aufmerksamkeit auf die ForscherInnen33 und vor allem auf die Kameras. Immer wieder wurde man aus der Ferne begrüßt und auch Äußerungen wie: Kommen Sie nächste Woche wieder? oder Hallo, wollen Sie nicht noch mehr von uns filmen? waren nicht selten – teilweise kam es sogar zu kleinen Performances der SchülerInnen vor der Kamera, die sich aber auch schnell wieder auflösten. Solche Anlässe sprechen für die Güte der Daten, da die vorherige Beschäftigung der Akteure mit den Kameras und ForscherInnen die Aufzeichnung möglichst natürlicher Situationen eher gewährleistet als gefährdet. In diesem Zusammenhang erscheint es, als ob der offene Zugang zu den ForscherInnen und zu den Kameras für die Akteure zur Aufrechterhaltung der (wenngleich durch den ForscherInnenaufenthalt eingeschränkten) natürlichen Situation beiträgt. Eine Distanzierung der ForscherInnen zum Feld würde eher einem experimentellen Charakter entsprechen und womöglich Skepsis anstelle von Offenheit bewirken. Die Erhebungen der Sportunterrichtsstunden fanden in unterschiedlichen Schulformen und Klassenstufen statt, wodurch eine zufriedenstellende Kontrastierung erreicht werden konnte.34 Durch ein solches Sampling war es jedoch nicht möglich, über einen längeren Zeitraum in derselben Klasse zu filmen, um Gewöhnungseffekte hervorzurufen. Riegel (2013) betont, dass Gewöhnungseffekte in Videostudien aufgrund ihrer kurzen Aufenthaltsdauer nur schwer zu erreichen sind. Die durch die Studie gesammelten Erfahrungen decken sich jedoch nicht mit diesen Ausführungen. Im Ganzen betrachtet fällt die Invasivität der Kamera gering aus (vgl. ebd., S. 13). Die auf die Kamera gerichtete Aufmerksamkeit nahm in allen gefilmten Sportunterrichtsstunden schon nach wenigen Minuten ab. Es lässt sich allerdings nur schwer präzise klären, wie sehr sich die Anwesenheit der ForscherInnen und der Kameras auf die Unterrichtssituationen ausgewirkt hat. Durch die Positionierung der Kameras in den Ecken, an den Rändern oder in den Geräteräumen der Sporthallen wurde ver33 Zu Beginn der Erhebungen wurden einige Stunden alleine gefilmt. Im Laufe der Zeit stellte sich heraus, dass es sinnvoll ist auch die statische Kamera zu bedienen, weshalb an dieser Stelle von ForscherInnen gesprochen wird. Diese Entscheidung ist sowohl in Anbetracht der Kameraführung als auch unter technischen Gesichtspunkten (Akkulaufzeit, Start- und Endpunkte setzen, schneller Auf- und Abbau des Materials) zu rechtfertigen. 34 Eine Sampling-Tabelle, die das Spektrum der videographierten Sportunterrichtsstunden widerspiegelt, befindet sich im Anhang.
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sucht die Kameras nicht zu verstecken, aber den Einfluss möglichst gering zu halten. Im Ganzen wird davon ausgegangen, dass der Einfluss auf den Sportunterricht marginal war und die gefilmten Ereignisse von den Akteuren als Unterricht verstanden wurden. Forschungsethik Videoaufnahmen in schulischen Kontexten unterliegen einer hohen Sensibilität. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb sind der Einsatz von Videostudien und die Analyse ››tatsächlich beobachteter komplexer Schul- und Unterrichtssituationen‹‹ (KMK, 2004, S. 6, Herv. i. O.) ein zentrales Anliegen in der LehrerInnenbildungsforschung. Ähnlich wie auch bei der teilnehmenden Beobachtung läuft die Videographie Gefahr vertrauliche Informationen öffentlich zu machen, ››Menschen bloß zu stellen [oder] in peinlichen Situationen vorzuführen‹‹ (Hecht, 2009, S. 141). Im Vergleich zu standardisierten Verfahren, wie der Einsatz von Fragebögen, lassen sich Videoaufnahmen nicht vollständig anonymisieren, weshalb an dieser Stelle dementsprechend forschungsethische Fragen in den Vordergrund gerückt werden, um den Beteiligten keinerlei Schaden zukommen zu lassen. Flick (2008) betont: ››Die Berücksichtigung forschungsethischer Fragen verlangt bei der qualitativen Forschung besondere Sensibilität: So gewinnt sie durch ethnographische Verfahren tiefe Einblicke in sonst eher verschlossene gesellschaftliche Teilbereiche […]‹‹ (ebd., S. 588). Im Wesentlichen ist mit der Frage nach der Forschungsethik gemeint, inwieweit ››mehr oder minder verbindlich und mehr oder minder konsensuell bestimmt wird, in welcher Weise die Beziehungen zwischen den Forschenden auf der einen Seite und den in sozialwissenschaftliche Untersuchungen einbezogenen Personen auf der anderen Seite zu gestalten sind‹‹ (Hopf, 2008, S. 590). Generell gilt für die Beteiligten einer sozialwissenschaftlichen Untersuchung das Recht zur freien Entscheidung darüber, ob man an der Untersuchung teilnehmen möchte oder nicht. Ergänzend dazu sollten im Vorfeld möglichst viele Informationen über die Ziele und die Methoden des Vorhabens gegeben werden. Auch wenn dies, um eine Verzerrung zu vermeiden, nicht immer umfassend gegeben sein kann, muss ein Weg zur vollständigen Information gefunden werden (vgl. Hopf, 2008, S. 592; DGS, Ethik-Kodex, 1992). In der vorliegenden Untersuchung erklärten alle Erziehungsberechtigten der SchülerInnen und die Lehrpersonen schriftlich ihr Einverständnis. Im Vorfeld wurden die Beteiligten zunächst über das Vorhaben und die Ziele informiert und konnten auch noch im Nachhinein ihre Zustimmung zurückziehen, was auch in einem Fall vorkam.35 Das erhobene Material wird ausschließlich für den Einsatz in Forschung und Lehre verwendet und soweit es möglich ist anonymisiert, um Rückschlüsse auf Kinder, Klasse oder Schule zu vermeiden (vgl. DGS, Ethik-Kodex, 1992).
35 Personen, die im Videomaterial nicht erkannt werden wollten oder im Nachhinein ihre Zustimmung zurückgezogen haben, wurden nach Absprache sowohl im Video als auch im Still weichgezeichnet und somit unkenntlich gemacht.
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Generalisierbarkeit Die Generalisierbarkeit von Forschungsergebnissen ist als Resultat von einzelnen Beobachtungen zu bezeichnen, die auf allgemeinere Zusammenhänge übertragen werden (vgl. Przyborski & Wohlrab-Sahr, 2010, S. 45). Die Ausprägung bzw. die Form der Übertragbarkeit ist abhängig von der Wissenschaftsauffassung. Quantitative Verfahren orientieren sich an der Prüfung von Theorien und ignorieren die Konstruktionen der Akteure, um einen möglichst objektiven und unverfälschten Zugang zu gewähren. Die qualitative Sozialforschung hat den Anspruch nah an die Lebenswirklichkeit der Akteure zu gelangen und orientiert sich am Alltagsgeschehen und am Alltagswissen der Beteiligten. Aus der ethnomethodologischen Sichtweise ››kann es keine formale Lösung des Generalisierungsproblems geben, wohl aber eine dosierte Generalisierung als praktische Leistung der Gesellschaftsmitglieder‹‹ (Hecht, 2009, S. 142, Herv. D.W.). Die Kontextualität von Handlungen aus Sicht der Ethnomethodologie ist situativ, kulturell und sozial geprägt und offenbart sich in lokalen Ordnungen, die in ihrer Ganzheitlichkeit analysiert werden. Die von Hecht (2009) bezeichnete dosierte Generalisierung beschreibt treffend die Situationsabhängigkeit und die Fokussierung der praktischen Kompetenz der Akteure im ethnomethodologischen Vorgehen. Die Forschungsergebnisse sind somit immer auch auf den Kontext begrenzt und sie zielen nicht auf eine populationsbeschreibende Repräsentativität ab. Wichtig ist, dass die Forschenden die Grenzen der eigenen Ergebnisse identifizieren – Limitation als Qualitätskriterium (vgl. Steinke, 1999, S. 227ff.). Weiterhin gilt es eine Transparenz der Darstellung zu erreichen, um eine Nachvollziehbarkeit zu gewährleisten und die Relevanz der eigenen Studie jenseits des untersuchten Materials plausibel zu begründen. Auswahl des Datenmaterials Die videographierten Sportunterrichtsstunden sind keine vorab bestimmten Interaktionen. Während der Vorbereitung und Durchführung der Erhebungen wurde darauf Wert gelegt, dass die Erhebung im Sportunterricht möglichst einer Natürlichkeit der Situation nachkommt. Die Lehrpersonen erhielten eine kurze Information zum Forschungsvorhaben, weil eine Ungewissheit über den Anlass die Situation eher verfremden würde als zu einer Natürlichkeit beizutragen. Trotz Nachfragen seitens der Lehrpersonen wie ››Soll ich was Besonderes machen?‹‹ gab es keinerlei Einschränkungen, Vorgaben oder Anweisungen über die inhaltlichen Schwerpunktsetzungen der zu erhebenden Sportunterrichtsstunden. Im Verlauf der Datendurchsicht, die auch schon während der Erhebungsphase stattgefunden hat, wurde sich zunächst intuitiv einzelnen Situationen zugewendet, um einen Zugang zum Phänomen der sozialen Praktiken zu erlangen. Die folgende Beschreibung dient gleichsam als Kontrollinstrument dieses intuitiven Vorgehens, um einen Einblick in die ››Black box‹‹ (Oester, 2008, S. 233) des ethnographischen Forschungsprozesses zu geben. Als Forscher nutze ich zunächst das Wissen, welches mir qua Mitgliedschaft in der Institution Schule zuteilwurde, um einen Zugang zu möglichen relevanten Situationen zu gewinnen. Das ›››Gefühl für soziale Strukturen‹ ist eine entscheidende Erkenntnisquelle‹‹ (Hecht, 2009, S. 143). Für die Studie wurden jeweils komplette Sportunterrichtsstunden aufgezeichnet, weil sich die (Re-)Produktion von sozialer Ordnung zwar in den Situationen offen-
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bart, diese jedoch im Vorfeld nicht vorhersehbar und definierbar sind, weshalb auf eine situative Videographie verzichtet wurde. Soeffner (2004) unterstützt den Gedanken gegen eine isolierte Betrachtung sozialer Phänomene. Um dem Phänomen ausreichend gerecht zu werden, muss immer auch der Prozess, sozusagen die Genese der sozialen Situationen, in den Fokus geraten (vgl. ebd., S. 160ff.). Bereits während der ersten Beobachtungen im Feld ist deutlich geworden, dass der Weg vom Schulgebäude zur Sporthalle, das Warten vor der Sporthalle, das Umziehen oder auch das Verhalten auf den Fluren in der Halle relevante Situationen sein könnten. Die Konzentration der Analyse fiel letztendlich auf Situationen in der Sporthalle, wobei durchaus das Bewusstsein darüber vorhanden ist, dass Sporthallensituationen nicht das einzig mögliche Setting darstellen. Für die Aufzeichnung von audio-visuellen Aufnahmen erschien die Sporthalle durch die räumliche Begrenzung gut geeignet, was zugleich eine Vergleichbarkeit der Daten in räumlicher Hinsicht bedeutet. Bei der Auswertung der Daten kann es vorkommen, dass das zu untersuchende Phänomen nur ungenügend in Erscheinung tritt, auch wenn davon ausgegangen wird, dass jede soziale Situation dementsprechend gerahmt werden muss und damit Praktiken an die Oberfläche treten. Der Datenkorpus wurde im Verlauf der Studie durch den Wechsel von Sichtung der Daten und Datenerhebung gezielt, in Bezug auf Schulformen und Klassenstufen, erweitert. Wichtig ist es festzuhalten, dass in der Analyse keine Präferenz von Good- oder Worst-practice-Beispielen gesetzt wurde. Für die Reflexion der subjektiven Intentionalität dient die Orientierung an den Akteuren im Feld als ››Korrektiv für die eigene Intuition‹‹ (Wolff et al., 1988, S. 22, zitiert nach Hecht, 2009, S. 145). Nachträgliche Kohärenz Die Darstellung der Ergebnisse erfolgt über das Medium des Textes, der damit als Instrument der Vermittlung zwischen den Daten und der Erkenntnis und weiterhin zwischen den Erkenntnissen und den LeserInnen fungiert. Die Repräsentation der Ergebnisse in Form des Textes sind somit mindestens Konstruktionen zweiten Grades (vgl. Flick, 1994, S. 98ff.). Die EthnographInnen verfügen ››nur über den Text, um zu überzeugen, oder anders: der Leser hat allein den ethnographischen Text, um zu prüfen‹‹ (Reichertz, 1992, S. 334, Herv. i. O.). Mit dieser Prämisse kann keine ››ethnographische Bauchrednerei‹‹ (Geertz, 1990, S. 139) vollzogen werden, weil die unausweichliche Tatsache besteht, dass ››alle ethnographischen Beschreibungen hausgemacht sind, daß [sic] sie die Beschreibungen des Beschreibenden sind, nicht die der Beschriebenen‹‹ (ebd.). Im Folgenden werden einige Formen der Kodifizierung beschrieben, die eine systematische Analyse im Umgang mit den Daten explizieren. Videographierte Daten sind in ihrer dargestellten Natürlichkeit nicht diskursiv verfasst, wie dies beispielsweise bei Interviews eine Gefahr sein kann. Hirschauer (2008) betont in diesem Zusammenhang, dass in manchen Studien die Interviewten als ››Theorielautsprecher des starken Autors‹‹ (ebd., S. 177) erscheinen. Die methodische Vorgehensweise ist nicht allein ››von und für die Forschung veranstaltet‹‹ (ebd.) und entkräftet somit den Vorwurf einer ››theoretischen Bauchrednerei‹‹ (ebd.). Das vollzogene analytische Vorgehen lässt sich – nur rückwirkend kohärent erzeugt – folgendermaßen zusammenfassen:
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In einem ersten Schritt wurden die insgesamt 24 videographierten Sportunterrichtsstunden gesichtet.36 Die Sichtung und Sortierung des videographierten Materials erfolgte quer über die Unterrichtsstunden hinweg, um die Fülle der Situationen in den Blick nehmen zu können sowie Varianzen und Wiederholungen einzelner Situationen zu untersuchen und erste Kategorisierungen vornehmen zu können. Über die Auswahl verdichteter Interaktionssituationen (vgl. Knoblauch, 2001b, S. 126ff.) und das Verfassen von Memos wurde eine Verdichtung des Materials vorgenommen. Mit der hier getroffenen Fokussierung gilt es zunächst danach zu fragen, worum es geht, um das, sich im Kontext offenbarende, Phänomen anhand der RahmenAnalyse aufzudecken. In einem weiteren Schritt wird ergänzend durch das Kodierparadigma der Grounded Theory, in Anlehnung an Strauss und Corbin (1996), nach den Strategien und den Konsequenzen der Phänomene, die in der Situation zu beobachten sind, gefragt. Das (wohlgemerkt) methodische Vorgehen im Rahmen der Grounded Theory fügt sich synergetisch durch ein reziprokes Verständnis von Datenanalyse und Theoriebildung mit der Rahmen-Analyse zusammen, indem es einen zirkulären Forschungsprozess postuliert und sich keinen starr definierten methodischen Schritten unterwirft. Die jeweiligen vollzogenen oder ausbleibenden interaktionalen Strategien der Partizipanden zur Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung sind über die körperlichen und materiellen Markierungen beobachtbar und können mit Blick auf die Konsequenzen eines Phänomens tiefergehend aufgebrochen werden (vgl. ebd., S. 79ff.). Bezogen auf den Prozess des axialen Kodierens können folgende Fragen an das Material bzw. an die rekonstruierten Phänomene gestellt werden: ››Wie gehen die Akteure mit dem Phänomen um?‹‹ (Strübing, 2004, S. 28) (Strategie); ››Worin resultieren die auf das Phänomen bezogenen Handlungen/Strategien?‹‹ (ebd.) (Konsequenzen). In dieser Verquickung der Methoden ist darauf hinzuweisen, dass es aus kultursoziologischer Perspektive nicht das Ziel ist ein Phänomen möglichst grounded und auf der Grundlage gesättigter Kategorien zu rekonstruieren, sondern eine Deskription der ››Praxisformationen‹‹ (Hillebrandt, 2015, S. 26) nachzuzeichnen (vgl. ebd., S.25ff.).37 Die sich aus der Analyse ergebenden Kategorien und Subkategorien wurden jeweils quer über alle Sportunterrichtsstunden in Hinblick auf ihre Varianz, Wiederholung und Verschiebung mit der ››Methode des konstanten Vergleichs‹‹ (Flick, 1994, S. 108, Herv. i. O.) als eine Form der Kodifizierung verdichtet. Dabei wurde nicht nur die Gleichartigkeit der Praktiken, sondern auch, im Sinne der Praxeografie, die Betonung der Varianz als ein Werkzeug der Befremdung eingesetzt (vgl. Schmidt, 36 Die Erhebungen der Sportunterrichtsstunden wurden in enger Kooperation mit dem videobasierten Fallarchiv HILDE der Universität Hildesheim durchgeführt. Dieses interdisziplinär angelegte Fallarchiv setzt sich das Ziel, den empirischen Forschungsbezug in den Fachdidaktiken zu stärken. Ergänzend wurden vom Fallarchiv unabhängige Erhebungen durchgeführt, die nach RdErl. D. MK vom 05.12.2005 – 24-81 403 – VORIS 2241 – für Umfragen und Erhebungen an Schulen genehmigt worden sind. 37 Hillebrandt (2015) weist in diesem Zusammenhang daraufhin, dass eine Anpassung und sogar Neuentwicklung empirischer Methoden angestrebt werden sollte, um nicht nur den Vollzug von Praktiken zu erforschen, sondern auch die Diskurse vergangener Praktiken mit einbeziehen zu können (vgl. ebd., S. 15ff.). Clarke (2012) vollzieht mit einer Reformulierung der Grounded Theory zur Situationsanalyse erste methodische Vorschläge.
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2012, S. 99), allerdings nicht mit dem Ziel einer theoretischen Sättigung, sondern vielmehr um die jeweils sichtbaren Praktiken als ereignishafte situative Artikulationen der Akteure offenlegen und konturieren zu können. Eine sich anschließende Analyse der Praktiken im Fokus der Theoretisierung im wissenschaftlichen Kontext erfolgt in ähnlicher Weise (Gleichartigkeit, Verknüpfungen, Varianzen), jedoch des Öfteren auch erst in der Auseinandersetzung mit dem theoretisch-analysierten Material. Diese Einordnung diente zu Beginn der Analyse nicht als theoretische Brille, sondern entwickelte sich erst aus dem Prozess der Analyse und dient einer abstrakteren Einordnung und Anschlussfähigkeit der Erkenntnisse. Eine rekonstruierte Konzeptualisierung der Daten, die als eine erste Quintessenz dieser Arbeit anzusehen ist und gleichzeitig als roter Faden im empirischen Teil dient, ist der Spielplan im Sportunterricht. Der Spielplan stellt einen aus den Daten induzierten und die Daten übergreifenden Rahmen dar – eine strukturierende Struktur –, welche sich in weitere Subkategorien ausdifferenziert.38 Transkription Streng genommen ist die Ethnomethodologie die routinemäßige Verwendung von Methoden des Alltagshandelns von Menschen oder bestimmten Gruppen. Die Ethnographie fokussiert nun verschiedenste Phänomene und macht sie zum Forschungsgegenstand. In beiden Perspektiven geht es darum, die Methoden der Untersuchung dem jeweiligen Forschungsgegenstand anzupassen und für die Analyse zugänglich zu machen. Wie in rahmenanalytischen Studien üblich, wird das videographierte Material aus Ausgangspunkt für die Analysen genommen und nicht das Transkript. Über den zirkulären Prozess von Datenerhebung und ersten Suchbewegungen im Material wurden zunächst Situationen identifiziert, die im weiteren Verlauf einer tieferen Analyse unterzogen wurden. Mit Flick (1994) wird deutlich, dass die Konstruktion von Text eine Erzeugung neuer Realitäten und damit im Falle von Videographie bereits eine doppelte Konstruktion darstellt (vgl. ebd., S. 97ff.). Reichertz und Englert (2010) plädieren jedoch dafür, dass aus einer differenzierten Darstellung der Analyse und einer Verknüpfung von Bild und Text sehr wohl die typisierte Handlung für die LeserInnen nachvollziehbar wird (vgl. ebd., S. 13ff.). Es herrscht trotzdem das Bewusstsein darüber, dass die Transkription von sprachlichen Äußerungen und Bewegungen im Raum eine weitere Konstruktionsebene der Daten bedeutet. In dieser Studie gilt nicht der Text, sondern die Videographie als Primat im analytischen Vorgehen, um die Nähe zum Gegenstand zu behalten. Entgegen der Darstellung im Text erfolgt die eigene Analyse relevanter Situationen im ››move‹‹ (ebd., S. 15, Herv. i. O.), um die Dynamik und den Prozesscharakter bedeutsamer Bewegungen im Abstimmungsprozess nachvollziehen zu können. Über das laufende Bild werden nicht nur das gesprochene Wort, sondern vor allem auch die räumlichen und körperlichen
38 Weitere Ausführungen zum Spielplan finden sich im Abschnitt Konsequenzen. Die Genese des Spielplans ergibt sich aus dem induktiven Vorgehen in der Datenanalyse und den theoretischen und methodischen Prämissen der Rahmen-Analyse Goffmans. Fink (2012) spricht in seiner Studie zur Lernkulturforschung in der kulturellen Bildung von einem ››Rahmendrehbuch‹‹ (ebd., S. 65, Herv. i. O.) und orientiert sich ebenfalls am methodischen Vorgehen der Rahmen-Analyse.
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Konstellationen greifbarer. In der Folge ergibt sich das Problem der Präsentation dieser Prozesse für die LeserInnen. Auch die Auswahl von Notationssystemen stellt eine Verkürzung der Situation dar und wurde deshalb erst nach einer umfangreichen Auswahl der Situationen durchgeführt. Zuvor dienten Grobtranskriptionen und Memos dazu, eine Auswahl an Situationen, in denen das relevante Phänomen beobachtbar war, herauszufiltern und 39 letztendlich einer weiteren Kodierung zu unterziehen. Diese reduzierte Vorgehensweise erleichterte die häufige Durchsicht des Materials im konstanten Vergleich. Im Anschluss erfolgte eine detaillierte Transkription, um die Szenen in Verbindung mit der Darstellung der Ergebnisse zu veranschaulichen. Der Effekt der Konstruktionsebenen wurde so, zumindest teilweise, minimiert. Die im Anhang hinterlegten Transkriptionsregeln wurden, durch die Berücksichtigung von verbalen und nonverbalen Elementen, in der Notation durch unterschiedliche Ansätze erstellt. Während die Analyse der Sequenzen move für move erfolgt, muss die Darstellung im Text in Form von Stills geleistet werden. Den LeserInnen wird qua Bildausschnitt ein Ein40 blick in die Situation ermöglicht. Die erstellten Transkript-Tabellen dienen als Ergänzung zu den eingefügten Stills und den ihnen zugrunde gelegten Szenen. Die Transkripte unterscheiden sich in ihrer Ausführlichkeit, weil trotz oder gerade wegen der unterschiedlichen Kameraperspektiven und der Mikrofone nicht alles gesehen und gehört werden konnte – es handelt sich um einen audiovisuellen Korridor. Beschriftung der Transkriptions-Tabellen
39 Um einen Einblick in den Auswertungsprozess zu geben, befinden sich im Anhang Ausschnitte aus Grobtranskripten. Aufgrund des umfangreichen Materials können diese nur exemplarisch aufgezeigt werden. 40 Das Transkriptionssystem und die Darstellung in Form von Tabellen wurden in Anlehnung an Hecht (2009) erstellt.
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00:10 Lw v
Lehrerin verbal
Lw nv
Lehrerin nonverbal
Lm v
Lehrer verbal
Lm nv
Lehrer nonverbal
S1w v
Schülerin 1 verbal
S2m nv
Schüler 2 nonverbal
Sx v
SchülerInnen allgemein verbal
Sx nv
SchülerInnen allgemein nonverbal
00:18
Abb. 2: Codierung des Materials und Darstellung der Transkript-Tabellen. Anhand der Abkürzung der Unterrichtsstunde kann nachverfolgt werden, ob dieselbe Unterrichtsstunde in unterschiedlichen Kategorien und damit unter unterschiedlichen Gesichtspunkten im Spielplan analysiert wurde. Transfer: Die Rahmen-Analyse zur systematischen Beschreibung von sozialer Ordnung im Sportunterricht Ein tatsächlicher Transfer der Rahmen-Analyse auf audio-visuelle Aufnahmen im Sportunterricht erschwert sich durch die divergente Datengrundlage. Goffmans Analysen stützen sich auf vielfältige Materialsorten. Dies wird deutlich, wenn man die Illustrationen seiner Ausführungen betrachtet. Unter den Materialsorten finden sich Beobachtungen, Gedankenexperimente, Zeitungsartikel, Filme, Fernsehserien, Erzählungen u. ä. – audio-visuelle Aufzeichnungen natürlicher Situationen gehören nicht zu seiner Datengrundlage. Die Rahmen-Analyse als methodologisches Sehinstrument zu nutzen, findet in der Unterrichtsforschung bisher nur wenig Beachtung. Krummheuer (1982) bemängelt, dass ››Analysen dieser Art noch viel zu selten gemacht und veröffentlich worden sind, so daß [sic] weder der Lehrer noch der Beobachter aus der Kenntnis solcher Analysen über erweiterte Repertoires alternativer Handlungsstrategien verfügten‹‹ (ebd., S. 81). In anderen Disziplinen hat sich ein rahmenanalytisches Vorgehen vermehrt etabliert. Ein kurzer, sicherlich nicht vollständiger Überblick verdeutlicht dies: computervermittelte Interaktionen (vgl. Lübcke, 2011), Interaktionsordnungen im Gesundheitssystem (vgl. Hanses & Sander, 2012), Lernkulturforschung in der kulturellen Bildung (vgl. Fink, 2012). Die getroffene Auswahl zeigt nicht nur das Themenspektrum, auch wird die Aktualität des Rahmenkonzeptes verdeutlicht. In der Unterrichtsforschung finden sich (auf den ersten Blick) die Untersuchungen zum Unterrichtshandeln im Mathematikunterricht (vgl. Krummheuer, 1982; Krummheuer, 1992) oder über die unterrichtliche Partizipation im Religionsunterricht (vgl. Jessen, 2003). Bevor die Arbeiten von Krummheuer kurz vorgestellt werden, offenbart der zweite Blick eine rahmenanalytische Annäherung im Kontext der Sportunterrichtsforschung, ohne direkt den Rahmen-Begriff zu nutzen. Die Rede ist von der Analyse sprachlicher Inszenierungen im Sportunterricht von Kuhlmann (1986). Um die komplexen sprachlichen und motorischen Abläufe im Sportunterricht zu rahmen schlägt Kuhlmann (1986) zwei ›››Schaltstellen‹‹‹ (ebd., S. 10) gemeinsamen
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Handelns vor: die ››Inszenierung und Szene‹‹ (ebd., S. 11). Das gewählte Begriffspaar von Kuhlmann gilt als Synonym für den Begriff der Unterrichtsorganisation und verdeutlicht die vorzufindenden Wechselbeziehungen. Die Struktur von Sportunterricht lässt sich nach Kuhlmann (1986) als eine ››Aufeinanderfolge von Szenen, die jeweils von Inszenierungen unterbrochen werden und zu einer Veränderung oder zu einer ganz neuen Szene führen, [beschreiben]. Die Szene muss also gleichsam arrangiert werden – ihr wird eine Inszenierung vorgeschaltet‹‹ (ebd.). Die Inszenierungen können als Gelenkstellen des Sportunterrichts angesehen werden. Die Szenen sind geprägt von gemeinsamen Handlungen des Bewegens. Diese Handlungen müssen in der vorgeschalteten Inszenierung sprachlich vorbereitet werden, indem zeitliche und räumliche Rahmungen festgelegt werden, Gruppeneinteilungen vollzogen werden, der Aufbau von Geräten organisiert und auch vermittelt wird, welche inhaltlichen Aspekte bei den Handlungen der folgenden Szene zu beachten sind. Kuhlmann hebt durch die Abgrenzung der Inszenierung, welche sprachhandlungsbezogen ist, von der Szene, welche vorwiegend bewegungshandlungsbezogen ist, die Notwendigkeit der Sprache im Sportunterricht hervor. Kuhlmann (1986) weist darauf hin, dass der Sportunterricht für die Interaktion von LehrerInnen und SchülerInnen erschwerte Bedingungen aufweist, wodurch es immer wieder zu einem ››Defekt‹‹ (ebd., S. 129) (o. a. Nach-Inszenierung) kommen kann, der ausgeglichen werden muss. Kuhlmann (1986) bezieht die Verantwortung des Ausgleichs eines Defektes auf die Lehrperson und findet den Grund in einer anscheinend momentanen unklaren ››kognitiven Karte‹‹ (ebd., S. 165) der Lehrperson. Es wird deutlich, dass auch Kuhlmann Spielräume sozialen Handelns identifiziert, jedoch mit einem Fokus auf sprachliche Gestaltung seitens der Lehrperson. Außersprachliche Mittel, Aspekte der Körperlichkeit und Artefakte finden in seinen Analysen keine Beachtung. Requisiten und Geräte werden von Kuhlmann sicherlich erwähnt und sie sind auch strukturierend und handlungsanleitend für motorische Aktivitäten, jedoch bleibt es bei dieser Zuschreibung. Der Begriff des Rahmens von Goffman wird von Kuhlmann nicht ausdrücklich erwähnt, allerdings finden sich Anlehnungen an die Bühnenmetaphern Goffmans (vgl. Kuhlmann, 1985, S. 315). Die analytische Trennung der Gelenkstellen als eine Struktur des Sportunterrichts kann wie folgt übersetzt werden: Inszenierung und Szene können als Rahmen innerhalb des Sportunterrichts angesehen werden, die in der sprachlichen Gestaltung und den motorischen Aktivitäten der Akteure ihre jeweilige Rahmung erfahren. Krummheuer (1992) arbeitet mit den direkten Bezügen zu Goffman und hat Rahmungen in Lehr-Lern-Prozessen im Mathematikunterricht genutzt, um inhaltliche Konzepte von LehrerInnen und SchülerInnen zur Entwicklung einer Gegenstandskonstitution herauszuarbeiten. Krummheuer (1992) weist darauf hin, dass Rahmungen im Unterricht vom individuellen Entwicklungsstand der SchülerInnen abhängen und an die ››Bereichsspezifität der Interaktion gebunden‹‹ (ebd., S. 27) sind. Damit schränkt Krummheuer die direkte Übertragung des Rahmenkonzeptes ein, betont jedoch in Anlehnung an Goffman die Routinisierung von Situationsdefinitionen anhand von Zeichen und die hohe Konventionalität zwischen den Teilnehmern (vgl. ebd., S. 25). Auch Soeffner (2004) gibt bei der Verwendung des Rahmenbegriffes zu beachten, dass das Rahmenkonzept nicht als festgelegtes Repertoire der Akteure zu verstehen ist, sondern als sozialisatorisch erworbene Kompetenz mit der Mehrdeutigkeit
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von Anzeigehandlungen umzugehen. Für den Interpreten sozialer Praxis hat dies folgende methodische Konsequenzen: ››Der Handelnde sieht und deutet den Prozeß [sic], in dem er sich befindet, der Interpret sieht das Produkt. Und während der Handelnde darauf aus sein muß [sic], das noch nicht endgültig prognostizierbare Produkt des Prozesses zu erraten, um seine Handlungen darauf abzustimmen, muß [sic] es dem Interpreten, wenn ihm an der Konkretion seiner Deutung als der Deutung von Handlungen liegt, darum gehen, aus dem Handlungsprodukt – dem ›Text‹ – den Handlungsprozeß [sic] und die in ihm als Handlungshorizont noch enthaltenden, später dann ausgeschlossenen Handlungsalternativen zu erschließen‹‹ (ebd., S. 165, Herv. i. O.).
Die Metapher des Rahmens sollte für einen methodischen Zugang nicht als starrer Bilderrahmen gedacht werden, sondern die Prozessualität der Interaktion ist durch ››mobile Grenzen‹‹ (ebd.) bestimmt. Die videographierten Sportunterrichtsstunden sind in der Konsequenz bereits im Rahmen fixiert, nicht jedoch die sich zeigenden Interaktionsabläufe, in denen aus verschiedenen Handlungsoptionen eine Ordnung realisiert wurde. Die Akteure legen in der sozialen Praxis prozessual fest, worauf sie sich in der Situation einigen und zeigen sich gegenseitig an, wie sie die Situation und sich selbst verstanden wissen wollen. Für die Untersuchung von Rahmungsdifferenzen, woraus Spielräume entstehen können, bedeutet dies beispielsweise, dass nach der Identifizierung des Bruches immer auch auf das Vorherige geschaut werden muss, um Gründe für die Differenz und die Bewältigung der Spielräume zu analysieren. Für Krummheuer (1992) sind die vorzufindenden Rahmungsdifferenzen der Akteure grundlegend, um Lehr-Lern-Prozesse zu konstituieren. Während Lehrpersonen als VertreterInnen ihres Faches auch fachwissenschaftlich-didaktische Rahmungen als primär ansehen, ziehen SchülerInnen häufig außerschulische Rahmungen oder Rahmungen aus ihrer schulischen Sozialisation vor (vgl. ebd., S. 168). Diese Rahmungsdifferenzen werden von den Akteuren genutzt, um einen Arbeitskonsens herzustellen. Rahmungsdifferenzen sind für Krummheuer demnach ein konstitutives Merkmal von Unterrichtskommunikation (vgl. Krummheuer, 1982, S. 95). Somit wird deutlich, dass Krummheuer (1982) Rahmungen als inhaltliche Konzepte des Lernens auffasst. Die Frage ist nun, wie Krummheuer die konstitutive Funktion von Rahmungen für den Unterricht sieht, um Unterricht am Laufen zu halten. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass das entstandene ››Arbeitsinterim‹‹ (Krummheuer, 1983), das durch die Überwindung von Rahmungsdifferenzen entstanden ist, Lernund Verständigungsprozesse ermöglicht. Zur Verständigung über die Rahmung nennt Krummheuer Rahmungen auf der Makroebene, wie die Bedeutung der Unterrichtsfächer oder die Institution Schule an sich. Für Krummheuer ist die Lehrperson rahmungskonstituierend, indem sie vorgibt, wie (mathematisch) korrekt vorgegangen wird. Die zunehmende Rahmungskongruenz unter den Akteuren, die ebenfalls klare Rollenzuteilungen voraussetzt, bewirkt letztendlich eine zunehmende Autonomie und damit einen Aufbau an Fähigkeiten und Kenntnissen (vgl. Krummheuer, 1992, S. 69ff.). Der Erwerb von (mathematischen) Rahmungen scheint, trotz individueller Rahmungen, ein Nachvollzug bzw. eine Einübung zu sein. Krummheuer fokussiert im Wesentlichen die vollzogene Kommunikation im Klassenunterricht. Eine Analyse
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der Partizipanden des Tuns, der Körperlichkeit sozialer Interaktionen und ihre Auswirkungen auf Rahmungsprozesse bleiben aus. Die soziologische Betrachtung Goffmans nimmt an, dass Akteure in Situationen ihre routinisierten Handlungen entlang einer stabilen Rahmung konzipieren. Die hier angelegte Lesart des Rahmen-Konzeptes auf den Sportunterricht zeigt, dass es sich um ein Novum und eine Herausforderung handelt, dieses Feld mit einem solchen Sehinstrument zu betrachten. Mit Kuhlmann konnte herausgearbeitet werden, dass im Sportunterricht bereits Rahmen durch die Lehrperson entstehen und Rahmungen bei den SchülerInnen konstituiert werden, die hauptsächlich aus sprachlichen Inszenierungen bestehen. Innerhalb der Gelenkstellen werden Orientierungen geschaffen und eine kognitive Karte der Lehrperson verwirklicht. Inwieweit Spielräume sozialen Handelns bearbeitet werden, zeigt sich nach Kuhlmann in der Bearbeitung der Defekte, die auch hier einen Blick auf das Vorherige erforderlich machen, um zu sehen, was im vorherigen Rahmen vielleicht nicht klar war. Krummheuer betrachtet im Rahmen der Unterrichtsforschung die mikroanalytischen Prozesse mithilfe des Rahmenbegriffes und betont so die Routinisiertheit aber auch die fachdidaktische Akzentuierung anhand inhaltlicher Konzepte. Mit Blick auf Lernprozesse stellt sich jedoch auch heraus, dass das Rahmenkonzept Schwierigkeiten beinhaltet. Daraus leiten sich in Hinblick auf die Problemstellung dieser Arbeit drei Schlussfolgerungen ab: 1. Die Problemstellung, wie soziale Ordnung durch die Akteure im Sportunterricht aufrechterhalten wird, kann mithilfe des Rahmungsbegriffes untersucht werden. Die Herstellung von Bedeutungen und die Generierung von Handlungsoptionen werden als Rahmungen bezeichnet und verweisen auf eine gemeinsame Bedeutungsaushandlung, die durch kollektive Wissensordnungen konstituiert wird. Der Begriff des Rahmens darf in diesem Zusammenhang nicht als immobiler Rahmen gedacht werden, vielmehr handelt es sich um mobile Grenzen, die trotzdem öffentlich und damit identifizierbar sind. 2. Es ist das Begriffsinstrumentarium der Rahmen-Analyse, worin die Chancen zur Analyse liegen. Rahmungen können anhand von zeitlichen, räumlichen und Beziehungs-Zeichen identifiziert werden. Die Fokussierung auf die Identifizierung von Spielräumen sozialen Handelns, in denen der routinisierte Strom typisierter Handlungen unterbrochen wird, zeigt sich in den Rahmungsdifferenzen. Im Bruch der Interaktion werden der routinisierte Strom und die sozialen Praktiken, die zur Reproduktion der Ordnung angewendet werden, erst wirklich sichtbar. 3. Die von Krummheuer postulierten inhaltlichen Konzepte von Rahmungen verweisen zum einen auf die Unterrichtskommunikation zwischen Lehrpersonen und SchülerInnen und zum anderen auf die sich daraus ergebenden Lernprozesse. Die Besonderheit sportunterrichtlicher Kommunikation wurde bereits des Öfteren fokussiert. Das im Sportunterricht gelernt wird, ist sicherlich der Fall, nur ist dies nicht der Gegenstand dieser Betrachtung. Die Fokussierung liegt auf den Tätigkeiten der Akteure, die sich in einem routinisierten Tun und in einer wechselseitigen Beobachtung zeigen, die in mikrosoziologischer Gestalt in Form einer Körperlichkeit und weiterer Materialitäten an die Öffentlichkeit treten.
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Konsequenzen Nach der Grundlegung dieser theoretischen und methodischen Annahmen stellt sich nun die Frage, wie sich von den Akteuren als gültig anerkannte Rahmen vom Beobachter aufdecken lassen? Weiterhin stellt sich die Frage, ob Spielräume sozialen Handelns in einer äußerlich reibungsfrei ablaufenden sozialen Praxis vom Beobachter identifiziert werden können? Der Beobachter wird von den Akteuren auf eindeutiges Rahmungswissen und Auslegungsregeln verwiesen, welche es zu rekonstruieren gilt. Folgt man den Grundgedanken der Rahmen-Analyse, dann lässt sich ein idealtypisches Modell der Konstitution, Aufrechterhaltung und Reproduktion von sozialer Ordnung und damit von Rahmen aufstellen, das im Folgenden als Spielplan bezeichnet wird. Der Spielplan stellt eine strukturierende Struktur von Sportunterrichtstunden dar, die aus den empirischen Daten rekonstruiert werden konnte. Zu beachten ist, dass diese Darstellung zunächst einer idealen Rahmung entspricht. In der Analyse des Spielplans wird ersichtlich, dass die gesetzten Grenzen mobile Grenzen sind. Weiterhin erzeugen die Bezeichnungen im Spielplan durch den Vollzug der Entscheidung für eine Bezeichnung der Kategorien bereits einen Ausschlussbereich und damit eine unhintergehbare ››Selektivität des Blicks‹‹ (Körner, 2009, S. 159). Hervorzuheben ist jedoch, dass die Genese des Spielplans gerade nicht allein auf einer theoretischen Bauchrednerei gründet, sondern vor allem der Analyse der Daten entspringt. Der rekonstruierte Rahmen scheint eine übergreifende Rahmung sportunterrichtlicher Situationen zu sein, die von den Akteuren hergestellt und aufrechterhalten wird. Zum Spielplan: 1) Koordination: Soziale Situationen beginnen, in dem sich die Beteiligten anzeigen, dass sie eine zentrierte Interaktion vornehmen wollen. Die routinisierte Verwendung von Informationszeichen als Decodierungshilfen gibt den Beteiligten eine Orientierung für die Verständigung über eine soziale Situation. Als Decodierungshilfen können bei der Verständigung über einen gültigen Rahmen räumliche und zeitliche Bedingungen, aber auch Artefakte, Körperpositionen, Blicke oder Gesten eine wichtige Rolle spielen. 2) Konstitution: Bei der Konstitution findet eine Verständigung über einen gültigen Rahmen statt, um die soziale Situation weiterzuführen. Nach der Koordination von sozialen Situationen erfolgen nun das Anzeigen der Anerkennung eines gültigen Rahmens und die Etablierung einer zentrierten Interaktion. Die Formen des Anzeigens sind beobachtbar und offenbaren sich in unterschiedlichen Facetten der Ordnung, die eingehalten und erhalten werden müssen. Die Partizipanden agieren dementsprechend, um eine klare Rahmung herzustellen und vollziehen in dieser Konstitution eine Abgrenzung von umhüllenden zu umhüllten Ereignissen. 3) Spiel: Innerhalb eines Rahmens findet sich verstärkt der routinisierte Vollzug typisierter Handlungen wieder, der es den Beteiligten ermöglicht das Spiel zu spielen. Die Praktiken innerhalb des Rahmens werden vollzogen und bestätigt. Spielräume sind jedoch immer Bestandteil sozialen Handelns und so muss auch in einem zunächst klaren Rahmen damit gerechnet werden, dass Spielräume auftreten, die spontan und kreativ mit Handlungen gefüllt werden müssen. Innerhalb des Spiels können manchmal eindeutige oder auch subtile Signalisierungen für gewisse Übergänge genutzt werden.
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Die Gültigkeit eines Rahmens muss in jeder Situation neu festgestellt werden. Der Rahmen an sich muss allerdings nicht wieder neu hergestellt werden. Rahmen liefern den geteilt geltenden Verständniskontext und verweisen damit auf den ››Hintergrund-Sinn‹‹ (Schulz-Schaeffer, 2010, S. 323), vor dem eine Praktik verstanden werden soll – es zeigt sich ein Rahmenwissen. Rahmenwissen ist somit das ››Verfügungswissen über Interpretationsanweisungen zu denjenigen Anzeigehandlungen und Zeichen, mit deren Hilfe andere Zeichen zu einer in sich stimmigen Deutungseinheit zusammengebunden werden sollen‹‹ (Soeffner, 2004, S. 164). Ohne die Verwendung von Zeichen sind situative Bedeutungszuschreibungen zu doings and sayings nicht möglich. Innerhalb des Spiels finden immer wieder neue Rahmungsprozesse statt, die einer Koordination bedürfen. Durch die Koordination wird der frame-in-use anhand von routinisierten Informationszeichen wieder angezeigt und so zeigt sich in der Handlungskoordination der Akteure – in der körperlichen Praxis –, ob die Situation kompetent gedeutet und bewältigt werden kann. 4) Wandlung: Vor Beendigung oder Wechsel eines Rahmens kann dieses angezeigt werden. Es zeigen sich dann Markierungen (zeitliche, räumliche oder körperliche), die ausgetauscht werden und anzeigen, dass ein Rahmen abgeschlossen oder gewechselt wird. Dies kann auch für zeitlich klar begrenzte Rahmen gelten – beispielsweise bei einer bestimmten Dauer eines Spiels. Das Anzeigen von Beendigungen oder Wechseln von Rahmen ist für die Akteure von hoher Wichtigkeit, weil dadurch auch der fließende Übergang zwischen Rahmen angezeigt und ermöglicht wird. Die Ausführungen über Goffmans Rahmen-Analyse haben gezeigt, dass ein analytisch offenes Vorgehen mit audio-visuellen Daten möglich ist. Das methodische Vokabular dient als zentrale Hilfestellung soziale Situationen zu identifizieren und Handlungen in unterschiedlichen Rahmen zu analysieren. Beachtet werden muss, dass der Rahmen bereits eine analytische Fokussierung und damit eine Unterscheidung ist, mit der etwas gesehen wird, das man sonst nicht sieht, und gleichzeitig nicht gesehen werden kann, was man nicht sieht. Daraus ergibt sich weiterhin, dass anhand der Betrachtung des Spielplans, als Rahmen von Sportunterrichtsstunden, bereits eine Bezeichnung von sozialer Ordnung vollzogen wird. Wichtig ist weiterhin die Anmerkung, dass denselben Handlungen in unterschiedlichen Rahmen divergente Bedeutungen zugeschrieben werden können.41 Die Aufmerksamkeit der Akteure gibt die entscheidenden Hinweise für die Gültigkeit eines Rahmens, und die Handlungen, die eine Aufmerksamkeit offenbaren, sind die sozialen Praktiken, die zur Bestätigung des Rahmens bzw. der sozialen Ordnung beobachtet werden können. Der folgende Teil dieser Arbeit zielt nun darauf ab, durch die Analyse von audiovisuellen Aufnahmen im alltäglichen Sportunterricht die (Re-)Produktion von sozialer Ordnung, als eine skillful performance der Akteure, zu rekonstruieren. Unter besonderer Berücksichtigung der Elemente einer Theorie sozialer Praktiken werden die erhobenen Daten betrachtet. Die zentralen Elemente seien hier noch einmal genannt: implizite Logik, Routinisiertheit und Unberechenbarkeit, Materialität (Körperlichkeit und Artefakte). 41 Goffman (1977) illustriert dies an unterschiedlichen Beispielen in Begrüßungssituationen oder in einem Schachspiel (vgl. ebd., S. 58ff.).
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Die rekonstruierten Rahmen werden dann in ihrer Kontextualisierung und Funktion unterschieden, um die Praktiken der Etablierung einer sozialen Ordnung genauer offenzulegen. In einem nächsten Schritt geht es ebenfalls darum, die Spielräume sozialen Handelns zu identifizieren und zu zeigen, wie die Akteure im Sportunterricht diese füllen und so die (Re-)Produktion von sozialer Ordnung vollziehen.
Spielplan
Im analytischen Teil der Arbeit werden nun soziale Praktiken in der Rahmung von Sportunterrichtsstunden dargestellt. Die folgenden Ausführungen zielen darauf ab, durch die Rahmen-Analyse der audio-visuellen Aufnahmen von Sportunterricht, die sich offenbarenden sozialen Praktiken der Akteure zur Herstellung und Aufrechterhaltung von sozialer Ordnung sowie in einem weiteren Schritt der Bewältigung von Spielräumen entlang verschiedener Rahmungen nachzuzeichnen. Die Analyse basiert auf den dargestellten videographierten Sportunterrichtsstunden und der teilnehmenden Beobachtung. Um diese Herstellungs- und Bewältigungspraktiken zu analysieren, bedarf es in gewisser Weise einer Befremdung des eigenen Blickes (vgl. Breidenstein et al., 2013, S. 115f.). Mit Hilfe eines rahmenanalytischen Fokus werden die Herstellung und Aufrechterhaltung von sozialer Ordnung im mikroprozessualen Handeln der beteiligten Akteure im Sportunterricht unter die Lupe genommen. Die dabei in den Blick geratenen sozialen Phänomene liegen dabei sozusagen hinter den formulierten Problemstellungen. In der folgenden Analyse gilt es nun die erhobenen Daten, in Hinblick auf die Problemstellungen, auf einer soziologisch-analytischen Ebene zu analysieren, um sie im Anschluss theoretisch zu verorten. Die folgende Analyse orientiert sich an einem eigens konzipierten Spielplan (siehe Abb. 3), der aus der Grundlage der Rahmen-Analyse nach Goffman und aus der vollzogenen Datenanalyse emergiert. Gleichwohl ist das Bewusstsein über die Relevanz subjektiver Bedeutsamkeit und darüber, dass diese Auswahl nicht alle Phänomene widerspiegeln kann, vorhanden. Im Sinne der kollektiven Wissensordnungen, die den verwendeten Praktiken zugrunde liegen, reichen die rekonstruierten Praktiken, über ihre situative Bedeutung und Verwendung für den analysierten Sportunterricht hinaus.
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Abb. 3: Der Spielplan. Dieser Spielplan illustriert im Folgenden zum einen das Vorgehen der nachfolgenden Analysen und Ergebnisse, und stellt zugleich eine grundlegende Kondensation der vollzogenen Rahmen-Analyse dar. Ausgehend von einigen, als relevant geltenden, Situationen wurde versucht, über analytische Themen Strukturen zu erkennen, die anschließend auf weitere Situationen ausgedehnt wurden und Detailanalysen zuließen (vgl. Breidenstein et al., 2013, S. 117ff.). Der zugrunde gelegte Spielplan bildet die zentrale Konzeption, worunter sich die oben aufgeführten Kategorien zuordnen lassen. Diese Kategorien werden in der Darstellung der Ergebnisse jeweils anhand von Subkategorien ausdifferenziert. Ziel ist es zu zeigen, welche sozialen Praktiken im mikroprozessualen Handeln von den Akteuren verwendet werden, um ihr Handeln aufeinander abzustimmen, und so soziale Ordnung im Sportunterricht laufend zu (re-)produzieren.
Koordination
Koordination: ››ihr könnt noch eine Minute frei und dann fangen wir gemeinsam an‹‹
Sportunterrichtliche Gleitzeit
Signale
Den ersten Abschnitt des Spielplans stellt die Koordination der Akteure im Sportunterricht dar. Genauer genommen geht es um die Frage danach, wie im Sportunterricht eine Orientierung über Informationszeichen, für die Verständigung über eine soziale Situation zum Stundenbeginn, signalisiert wird. Nach Goffman beginnen soziale Situationen, indem sich die beteiligten Akteure gegenseitig anzeigen, dass sie eine zentrierte Interaktion vornehmen wollen. Im Sportunterricht, wie in anderen Unterrichtssituationen auch, besteht die Problematik einer gemeinsamen Verständigung über einen gültigen Rahmen. Die spezifische Räumlichkeit der Sporthalle, zeitliche Bedingungen, Artefakte und Körper spielen eine wichtige Rolle bei der gemeinsamen Koordination. Solche Situationen stellen sich im Material als sehr komplex heraus, weshalb sie einer detaillierteren Betrachtung von organisierenden Tätigkeitsabläufen unterzogen werden. In Erscheinung treten dann routinisierte Verwendungen von Decodierungshilfen, die den Akteuren eine Orientierung anzeigen und bei deren Verständigung in Raum, Zeit und zwischen Partizipanden behilflich sind. ››[K]ollektiv organisierte soziale Aktivitäten‹‹ (Goffman, 1977, S. 278) müssen durch gewisse Zeichen von anderen Ereignissen abgegrenzt werden. Goffman spricht von ››zeitlichen Anfangs- und Schlußklammern [sic] und von räumlichen Klammern‹‹ (ebd., S. 279). Goffman (1977) macht darauf aufmerksam, dass solche Klammern als ››Grenzzeichen‹‹ (ebd., S. 278) zu verstehen sind, die den beteiligten Akteuren verdeutlichen, dass ein bestimmter Rahmen beginnt bzw. endet. Während die Platzierung von Anfangsklammern von den Akteuren einem in der Regel größeren Engagement bedarf, sind Schlussklammern zur Beendigung eines Rahmens einfacher zu setzen. Neben dieser Unterscheidung fügt Goffman noch eine weitere hinzu: ››innere‹‹ und ››äußere‹‹ (ebd., S. 288) Klammern. Am Beispiel eines Bürotages
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wird diese Unterscheidung verdeutlicht und die Bedeutung der Perspektive herausgestellt. Während die Verabschiedung der Arbeitskollegen am Ende eines Bürotages vom Standpunkt des Arbeitstages eine äußere Klammer darstellen kann, ist sie im Sinne einer Arbeitswoche und der sich fortsetzenden Arbeitsrolle eine innere Klammer. Bezogen auf den Sportunterricht bildet die Sportunterrichtsstunde im Rahmen eines Schultages und in Abgrenzung zu den anderen Schulstunden eine innere Klammer. Die Grenzzeichen zu Beginn oder zum Ende einer Sportunterrichtsstunde bilden wiederum eine äußere Klammer der Stunde in Abgrenzung zu anderen sozialen Aktivitäten im schulischen Kontext. Wird der Sportunterricht beispielsweise anhand eines spezifischen Anfangsrituals gerahmt, sind dies erste Platzierungen einer inneren Klammer der Sportunterrichtsstunde. Zu Beginn der Rahmenanalysen sind die spezifischen Formen der Anfangsklammern im Sportunterricht und deren Konsequenzen von besonderem Interesse. Jedes Grenzzeichen zur Markierung eines Anfangs und die Gestaltung des Anfangs sollen dabei im Fokus stehen: Wie wird über Informationszeichen eine gemeinsame Fokussierung auf die Unterrichtssituation vorgenommen? Wie gestaltet sich dieser Übergang zwischen dem Betreten der Halle und dem Unterrichtsbeginn und welche Konsequenzen lassen sich ableiten? Wohlgemerkt wird hier zwischen dem Stundenbeginn und dem Unterrichtsbeginn unterschieden. Der Stundenbeginn ist der formale Beginn einer Stunde und wird durch die zeitliche Rhythmisierung der Institution geregelt. Somit ist der Stundenbeginn noch kein tatsächlicher Unterrichtsbeginn, weil damit noch nicht zwingend eine zentrierte soziale Interaktion über die Teilnehmer signalisiert sein muss. Die Phase, in der die Akteure sich umziehen und den Raum (die Sporthalle) einnehmen, kann als Stundenanfang bezeichnet werden – eine Koordination.1 Im Sportunterricht nimmt die Setzung von Anfangsklammern eine facettenreiche Form an, die sich räumlich, zeitlich und körperlich darstellt. Die nachfolgende Analyse der Koordination wird sich diesen Formen in den Kategorien der sportunterrichtlichen Gleitzeit und der Signale widmen.
Koordination
S PORTUNTERRICHTLICHE G LEITZEIT Sportunterrichtliche Gleitzeit
Signale
Der Beginn einer Unterrichtsstunde ist immer auch eine Form des Übergangs von einer Situation in eine andere. Im Sportunterricht ist dieser Übergang im Vergleich zu 1
Darauf folgend, entwickelt sich der Unterrichtseinstieg, der das Einsteigen in das Thema einer Stunde bezeichnet und darüber informiert worauf Bezug genommen wird (vgl. Neumann & Schwarz, 2010, S. 264ff.).
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anderen Übergängen im Schulgebäude, wie der vom Pausenhof in den Klassenraum oder nur der Wechsel des Faches nach einer kurzen Pause, speziell geartet. Neben dem Wechsel des Raumes, der Wegezeiten in Anspruch nimmt, steht eine Umkleidezeit an. Damit zeigt sich neben dem spezifischen Raum auch eine spezifische Bekleidung der Akteure2 und eine zeitliche Phase, die Einfluss auf den Beginn des Unterrichts nimmt. Der Stundenbeginn ist damit nicht gleichzusetzen mit dem Unterrichtsbeginn. Der Gong (hörbar oder nicht3) ist das Zeichen für den zeitlichen Beginn der Unterrichtsstunde. Bis sich LehrerInnen und SchülerInnen jedoch auf eine gemeinsame Situation geeinigt haben, in der sie einen gemeinsamen Aufmerksamkeitsfokus teilen, der von allen Akteuren dementsprechend bestätigt wird, scheint eine sportunterrichtliche Gleitzeit zu bestehen, die von den Akteuren als solche hervorgebracht und koordiniert wird. Diese Phase ist insofern interessant, da sie mit Blick auf die soziale Ordnung im Sportunterricht ja noch nicht wirklich Unterricht ist, die Sportstunde allerdings schon läuft und so lässt sich danach fragen: Wie stellen die Akteure lokale Ordnungen her, wenn sie die Sporthalle betreten, wie stellen sie einen gemeinsamen Aufmerksamkeitsfokus her und welche Differenzierungen lassen sich aufzeigen? Frei-Räume
Still-1: Frei-Räume 1)
2)
3)
(1) #01 00:00-02:14
Lm v Lm nv
Sx v Sx nv
2 3
00:10 (Still-1-3)
01:51
(Gespräche)
(Gespräche)
Betritt wieder die Halle. Geht durch die Halle zu einer großen Matte und versucht diese zu schieben, kurz darauf lässt er davon ab und geht in Richtung der sitzenden SchülerInnen. (Gespräche)
Kommen nach und nach in die Halle und setzen sich auf die Fensterbank und die Langbänke am Hallenrand.
Alle SchülerInnen sitzen am Hallenrand.
Einige SchülerInnen setzen sich um.
00:01 (summt) (pfeift) Rückt einige Matten zurecht und verlässt anschließend die Halle.
Auf diesen Aspekt wird in der Teilstudie ›Signale‹ erneut Bezug genommen. Ist er nicht hörbar, regiert trotzdem die bereits angesprochene zeitliche Choreographie der Unterrichtsstunden.
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(2) #14 00:00-00:41 Lm v
Lm nv
00:01 (zählt leise) [unv.] dreizehn vierzehn fünfzehn, sechzehn siebzehn, achtzehn Steht am Hallenrand, neben ihm liegen Unterlagen auf dem Boden und er schaut in die Halle. Die Arme sind an der Hüfte abgestützt.
S1m nv
Sx v Sx nv
Lm v
Lm nv
Sx v Sx nv
00:16
00:21 ä:hm, jup. machen wir so.
Schaut zu S1m.
Nimmt die Sachen von S1m entgegen und dreht sich anschließend zur Tribüne, um die Sachen jemandem rüberzureichen.
Geht auf die Lehrperson zu und hält etwas in der Hand.
Übergibt Lm etwas und dreht sich anschließend wieder um.
00:30
00:37 (stöhnt)
Dreht sich wieder um und geht zurück zu seinen Unterlagen.
Dort angekommen setzt er sich auf den Boden und lässt seinen Blick durch die Halle schweifen.
(Gespräche) Gehen unterschiedlichen Tätigkeiten nach; eine Gruppe Jungs spielt mit einem Fußball auf ein Tor, kleine Gruppen stehen in der Halle verteilt und unterhalten sich. Nach und nach kommen weitere SchülerInnen in die Halle. 00:26 du bist jetzt mal mein mein Wertsachenbeauftragter. einfach da vorne auf das Ding legen. Übergibt die Sachen einem Schüler auf der Tribüne. (Gespräche) Gehen weiterhin unterschiedlichen Tätigkeiten nach; eine Gruppe Jungs spielt mit einem Fußball auf ein Tor, kleine Gruppen stehen in der Halle verteilt und unterhalten sich, nach und nach kommen weitere SchülerInnen in die Halle.
In den dargelegten Szenen handelt es sich um Frei-Räume von LehrerInnen und SchülerInnen. Die Lehrpersonen betreten und verlassen ab und zu die Halle, während die SchülerInnen nach und nach aus ihren Umkleidekabinen in der Halle ankommen oder die Lehrpersonen stehen am Hallenrand und beobachten die SchülerInnenschaft in der Sporthalle. Die SchülerInnen gehen dabei unterschiedlichen Tätigkeiten nach. Sie betreten die Halle, spielen gemeinsam oder allein mit diversen Materialien (Bällen, Rollbrettern, etc.), initiieren Fangspiele oder unterhalten sich in Kleingruppen. Die Lehrpersonen blättern in ihren Unterlagen, beobachten das Geschehen in der
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Halle oder suchen einzelne Materialen zusammen. Im Sinne eines freien Ankommens können SchülerInnen zunächst ohne direkte Anweisungen eigenen Interessen nachgehen und müssen sich noch nicht mit unterrichtlichen Aspekten auseinandersetzen. Dabei ist nicht auszuschließen – sogar anzunehmen –, dass diese freie Bewegung von der Lehrperson intendiert sein kann, um durch eine unspezifische Erwärmung dem ersten Bewegungsdrang der SchülerInnen gerecht zu werden oder das soziale Miteinander zu fördern. Für die SchülerInnen treten hier Aspekte einer sportunterrichtlichen Gleitzeit in den Vordergrund. Mit dem Betreten der Halle wird zunächst ein Raum eingenommen, der durch Laufen, Sitzen oder durch das Nutzen von Materialien in Anspruch genommen wird. Obwohl zunächst alle gleichzeitig im Gebäude der Halle anwesend sind, um sich umzuziehen, kommt es zu einer Verschiebung der Tätigkeiten. Einige SchülerInnen sind schneller mit dem Anziehen der Sportbekleidung als andere und somit eher in der Halle. Dass alle SchülerInnen gleichzeitig die Halle betreten, konnte nicht beobachtet werden. Während also die einen sich entweder mit ihren FreundInnen unterhalten oder schon die Möglichkeit haben zu spielen, ziehen sich andere noch um. Die SchülerInnen haben den Frei-Raum und eine gewisse Zeitspanne, die nicht definiert zu sein scheint, sich zu bewegen, wie sie möchten, auch wenn die Nutzung des Raumes bestimmten Regeln unterliegt. So darf beispielsweise der Geräteraum für das Aussuchen von Materialien betreten werden, anschließend jedoch nicht als Aufenthaltsort genutzt werden. In Szene (2) sitzen die SchülerInnen vermeintlich inaktiv auf der Fensterbank, sie nutzen jedoch den Frei-Raum, um sich zu unterhalten und sich zu setzen. Innerhalb eines gewissen Rahmens scheinen sie selber die Freiheit zu besitzen darüber zu entscheiden, wann sie die Halle betreten und wie sie diese Gleitzeit nutzen. Das Entscheidende dabei ist, umgezogen zu sein. Eine klare Definition davon, wann bzw. bis wann man die Halle zu betreten hat, scheint es nicht zu geben, jedoch lassen sich äußere Grenzen beobachten. Die SchülerInnen müssen umgezogen sein, um die Halle zu betreten und dürfen nicht in Straßenkleidung am Unterricht teilnehmen. Wie deutlich werden wird, ist die Signalisierung von der Lehrperson für den Unterrichtsbeginn eine weitere Grenze dafür, dass man zu spät kommt. Der Verzicht auf diese Absprachen im sportunterrichtlichen Alltag offenbart eine skillful performance der Teilnehmer. Für die Lehrpersonen scheint die sportunterrichtliche Gleitzeit eine Phase ohne Handlungsdruck zu sein. Sie stehen teilweise am Hallenrand und beobachten das Geschehen, dabei bleiben auch kurze Gespräche mit den SchülerInnen nicht aus. Weiterhin haben die Lehrpersonen die Möglichkeit in dieser Phase in ihren Unterlagen etwas nachzuschlagen, zu notieren oder sie bereiten einzelne Materialien für den Unterricht vor – eine Vorbereitung für die offiziellen Tätigkeiten. Dabei verlassen sie die Halle, um in Materialräumen oder Geräteräumen nach Utensilien zu suchen, die sie für den Unterricht benötigen und positionieren diese an für sie strategischen Plätzen, um später schnell darauf zugreifen zu können oder bauen schon einzelne Arrangements alleine auf. Da eine vorbereitete Lernumgebung mit bereits arrangierten Materialien und Unterlagen in der Sporthalle nur selten umzusetzen ist, kann die anfängliche Gleitzeit für Vorbereitungen jeglicher Art von den Akteuren genutzt werden.
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Organisierende Gleitzeit
Still-2: Organisierende Gleitzeit 1)
2)
(3) #07 00:00-01:58 00:00 (Still-2-1)
Lw v Lw nv
S1m v S1m nv
Sx v Sx nv
Schiebt gemeinsam mit S1m einen großen Kasten aus dem Geräteraum. [unv.] Schiebt den großen Kasten mit Lw in die Hallenmitte. (Gespräche) Gehen unterschiedlichen Tätigkeiten in der Halle nach. Manche spielen mit einem Ball, spielen Fangen oder beobachten den Aufbau von Lw mit dem Schüler.
00:26 Is schwer ne?
Entsichert einen weiteren großen Kasten im Geräteraum und schiebt ihn aus dem Geräteraum heraus.
Schiebt den Kasten in die Hallenmitte, positioniert und sichert ihn und geht zu S1m, der noch versucht den Kasten zu sichern.
Sx v Sx nv
Versucht den großen Kasten zu sichern, indem er sich auf die Sicherung am Kasten stellt. (Gespräche) Laufen in der Halle umher und spielen mit unterschiedlichen Materialien.
Dreht sich um und geht in den Geräteraum zurück. [unv.]
S1m v S1m nv
00:07 ja.
Schiebt den Kasten weiter und positioniert ihn.
00:16 Lw v Lw nv
00:04 Einmal hier vorne hin S1m? [1] oder da ok. Zeigt auf eine Position im Raum und lässt den Kasten los.
Er schafft es den Kasten zu sichern.
00:39 ja, super. [2] einen Kasten noch. Geht wieder in den Geräteraum zurück.
Sind jetzt ja zwei Filmer Geht neben Lw in den Geräteraum zurück.
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Lw v
00:45 Mhm?
Lw nv
Geht mit dem Schüler in den Geräteraum.
S1m v
sind jetzt ja zwei Filmer Geht neben Lw.
S1m nv S2w nv Sx v Sx nv
Lw v Lw nv
S1m nv S3m Sx v Sx nv
00:47 Ja, damit man das gut sehen kann. nehmen wir den hier noch, ok. Geht zu einem großen Kasten und entsichert diesen und zieht den Kasten ein Stück vor.
00:53 kannst du ihn einmal rausschieben S1m? S2w mitschieben. Schiebt den Kasten heraus und schließt anschließend den Geräteraum. Sie beobachtet S1m und S2w. Zieht den Kasten aus dem Geräteraum. Schiebt den Kasten gemeinsam mit S1m.
(Gespräche) Gehen unterschiedlichen Tätigkeiten in der Halle nach. Manche spielen mit einem Ball, spielen Fangen oder beobachten den Aufbau von Lw. 01:06 stopp, genau. (Spricht mit S3m) Schaut zu S1m und S2w, bis der Kasten entsichert ist, macht eine abklappende Armbewegung in die Richtung der SchülerInnen und geht anschließend in den Geräteraum. Dabei schaut sie sich noch einmal um. Sie holt einen Karton mit Softbällen, den sie dann in die Halle trägt. Sichert den Kasten. Begleitet Lw in den Geräteraum und spricht mit ihr während sie die Bälle zusammensucht. (Gespräche) Gehen unterschiedlichen Tätigkeiten in der Halle nach. Manche spielen mit einem Ball, spielen Fangen oder beobachten den Aufbau.
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(4) #04 01:58-03:12 01:58
02:19 S1w, S1w? kannst du mal die Sch::laufe da so drunter tun? [1] bitte?
(Hat zuvor bereits einige Geräte und Materialien aufgebaut und dabei immer mal wieder die Halle verlassen.) Öffnet ein Tor zum Geräteraum und holt dort eine kleine Matte heraus, um sie vor einen großen Kasten zu legen.
Zeigt auf die Matte vor ihm und schaut anschließend in die Halle auf den Geräteaufbau.
Lm v
Lm nv
Schaut zu Lm und läuft zur Matte, um die Griffschlaufen unter die Matte zu legen.
S1w nv
Sx v Sx nv
Lm v
Lm nv
Sx1 v Sx1 nv Sx nv
02:29 kommt rein, kommt rein traut euch los. kommt, sonst seid ihr auch nicht so schüchtern, ne? Geht zur Eingangstür in der Halle und sieht dort mehrere SchülerInnen stehen. Er winkt die SchülerInnen in die Halle.
(Gespräche) Nach und nach kommen die SchülerInnen aus der Umkleide in die Halle. Teilweise sitzen und spielen sie auf den bereits arrangierten Geräten oder laufen mit Bällen in der Halle umher.
Einige SchülerInnen stehen an der Eingangstür zur Halle und gehen nach der Aufforderung von Lm in die Halle.
02:41 könnt ihr beiden mir mal helfen?
02:44 kannst du mir mal helfen? und zwar, möchte ich gern die Bank dahin tragen.
Geht zu zwei Schülern und fasst einem an die Schultern. Schaut die Schüler an.
Spricht einen weiteren Schüler an und geht zu einer Langbank an der Hallenseite.
Schauen zu Lm. Nach und nach kommen die SchülerInnen aus der Umkleide in die Halle. Teilweise sitzen und spielen sie auf den bereits arrangierten Geräten oder laufen mit Bällen in der Halle umher.
Folgen Lm.
02:51 kannst du mir mal helfen? ich möchte die Bank nämlich dahin tragen, stell dich mal da mit hin Geht auf eine weitere Schülerin zu und fasst ihr an die Schulter und zeigt auf die Bank und die Position, zu der die Bank getragen werden soll. Ja. Gehen zur Langbank.
S PIELPLAN : K OORDINATION | 181
Lm v Lm nv
Sx nv
02:58 Ich mache das, du stellst dich mal da Geht zur Bank und zeigt einem Schüler seine Position. Beugt sich zur Bank hinunter. Stellen sich um die Bank herum auf.
03:01 ok, eins zwei drei. Hebt mit den SchülerInnen gemeinsam die Bank an und sie tragen sie gemeinsam in die Hallenmitte. Heben die Bank hoch und tragen sie in die Hallenmitte.
03:07 und zwa::r, stopp. bis hierhin. danke Setzt die Bank ab und schaut zu den SchülerInnen. Nachdem sie die Bank abgestellt haben, drehen sie sich weg und gehen.
In den Frei-Räumen überlassen die Akteure einander sich selbst und beziehen sich nicht bewusst aufeinander. Die organisierende Gleitzeit lässt diese Grenzen verwischen, weil die Lehrpersonen hier Arrangements herstellen, bei denen die Hilfe der SchülerInnen in Anspruch genommen wird. Zum Teil geht es darum komplette Arrangements zu erschaffen, die im Anschluss direkt erklärt und genutzt werden können oder es werden vorstrukturierende Geräteaufbauten erzeugt, an denen sich im Verlauf des Unterrichts für den kompletten Aufbau orientiert werden kann. Beispielsweise wird eine Hindernisbahn für den Staffellauf exemplarisch aufgebaut, woran sich die SchülerInnen im weiteren Verlauf orientieren können. Für diese Aufbauten werden häufig SchülerInnen als Helfer hinzugezogen. Diese organisierenden Tätigkeiten der Lehrperson lässt sie in einem anderen Tätigkeitsmodus erscheinen als in den Frei-Räumen. Hier wird, von der Lehrperson ausgehend, ein organisierendes Moment erschaffen, das von ihr angeleitet und durch SchülerInnen unterstützt wird. Trotzdem kann hier nicht von einem gemeinsamen Aufbau mit der Klasse gesprochen werden, vielmehr wird eine partielle und kurzfristige Interaktion hergestellt. Parallel dazu nutzen die übrigen SchülerInnen ihre Gleitzeit und spielen, laufen oder reden mit ihren MitschülerInnen. Die Lehrpersonen sind in der Lage spontan SchülerInnen zu akquirieren und in den Aufbau mit einzubeziehen. Dieser Einsatz ist jedoch immer nur temporär, so dass die SchülerInnen anschließend wieder ihren Frei-Raum nutzen können. Eine organisierende Gleitzeit wird dazu genutzt Aufbauten zu arrangieren, die nach Unterrichtsbeginn schwieriger zu organisieren wären. Nach Unterrichtsbeginn steht die Lehrperson unter Handlungs- und Erwartungsdruck und kann so im Vorfeld eine Entlastung anstreben, die eine Organisation und eine sprachliche Erläuterung des Aufbaus minimiert. Quasi nebenbei werden unterrichtliche Arrangements umgesetzt, die während der sportunterrichtlichen Gleitzeit auch noch eine Zeitersparnis bedeuten, weil bereits zeitintensivere Aufbauten erstellt werden, die später genutzt werden können.4 Der Aufbau und die Positionierung von Materialien oder Geräten sind bereits erste Strukturierungen des Raumes, wodurch spätere Spielfelder und ihre
4
In der Kategorie der Materialität wird es weiterhin darum gehen aufzuzeigen, dass solche vorbereiteten Aufbauten auch bereits Vorwissen aktivieren, so dass die Lehrperson nicht nur organisatorisch und von sprachlichen Erläuterungen des Aufbaus entlastet wird, sondern auch in der vorgreifenden Realisierung der Szene.
182 | S OZIALE ORDNUNG IM S PORTUNTERRICHT
Abgrenzungen deutlich werden, die für spätere Erläuterungen genutzt werden können.5 Angeleitete Gleitzeit
Still-3: Angeleitete Gleitzeit 1)
2)
3)
(5) #03 00:04-01:07 Lw v
Lw nv S1m v Sx w v Sx v Sx nv
Lw v Lw nv
00:04 (Still-3-1) So ihr habt prima gewartet. ich bin jetzt da, das heißt jetzt könnt ihr schon mal in die Halle. aber noch nicht an die Schränke S1m,
00:09 das erkläre ich euch nämlich noch.
00:20 Gut, prima.
Öffnet die Tür zur Halle. [unv.] ist auch fertig von den Mädchen Stehen vor der geschlossenen Tür.
Die vor der Tür wartenden SchülerInnen laufen in die Halle.
00:31 noch nicht (leise) Geht zur Hallenmitte, dreht sich dann um und setzt sich auf eine Langbank am Hallenrand. Dort legt sie ihre Unterlagen ab.
00:52
S2w nv
5
(kreischen, rufen) Anschließend kommen weitere SchülerInnen aus der Umkleidekabine in die Halle und beginnen kreuz und quer durch die Halle zu laufen. 01:02 so. (leise) Erhebt sich von der Bank und schaut zu S2w.
Was machen wir? Steht etwas entfernt von Lw und blickt sie an.
S2w v
Sx v Sx nv LiVm nv
Betritt die Halle.
Mhm.
Eine LiV betritt die Halle. Einige SchülerInnen kommen in die Halle und beginnen zu laufen.
Weitere SchülerInnen betreten nach und nach die Halle.
An dieser Stelle ist von späteren Spielfeldern die Rede, weil solche spezifischen Räume zunächst hergestellt und anschließend aktiviert werden müssen, um handlungsrelevant zu sein.
S PIELPLAN : K OORDINATION | 183
Lw v Lw nv S2w nv
01:03 Jetzt warten wir erst noch bis alle da sind. Schaut in die Halle. S2w wendet sich ab und beginnt zu laufen.
(6) #06 00:07-05:16 00:07 Lw v Lw nv
Sx nv
Lw v
Lw nv
Sx v Sx nv
Zwei SchülerInnen kommen durch die Hallentür in die Halle und beginnen zu laufen. 00:15 wir sind du machst noch barfuß bitte nicht mit. drin. Macht eine heranwinkende Handbewegung. Verlässt wieder die Halle und geht zurück in den Regieraum. Laufen zurück und gehen aus der Halle heraus und stehen vor der geschlossen Tür im Vorraum. 01:22
Lw v Lw nv
Geht in Richtung des Geräteraumes.
Sx v
Wir wollen Bälle wir kriegen die Schränke nicht auf. [unv.] hier dürfen gar keine Mädchen hin. Kommen Lw entgegen.
Sx nv
00:09 Kriegen die Sieht durch ein Fenster im Regieraum die beiden SchülerInnen und läuft aus dem Regieraum in die Halle.
00:14 Führt beide Hände zum Mund (Pfiff).
Drehen sich um, schauen zu Lw und beginnen wieder zurückzulaufen.
00:59 okay jetzt dürft ihr rein.
01:09 (lacht) [unv.]
Kommt aus dem Regieraum heraus.
Betritt die Halle und legt ihre Unterlagen und ihr Material auf einer Bank am Hallenrand ab. Anschließend geht sie zum Geräteraum. (jubeln) Laufen zum Geräteraum und warten vor den Schränken.
(jubeln und singen) Machen die Tür auf und laufen in die Halle.
01:31 Doch (spricht mit den SchülerInnen) Schließt die Schränke auf und räumt anschließend im Geräteraum um. (jubeln)
[…] 02:34 Gehst du bitte aus dem Geräteraum raus? Geht aus dem Geräteraum heraus und spricht dabei zu S1w.
Nehmen sich Material (Seile, Bälle, etc.) aus den Schränken und laufen damit in die Halle.
Laufen in der Halle umher und spielen mit den Materialien.
184 | S OZIALE ORDNUNG IM S PORTUNTERRICHT 02:35 Lw v Lw nv
S1w nv
Geht durch die Halle und schaut sich um.
03:00
Lw nv S3w v
03:35 Schaut zu S3w. Läuft zu Lw, die auf der Bank sitzt.
03:39 Ä::hm das brauchen wir gleich für die Mannschaften. Greift zu ihrem Material neben sich. Kann ich rot sein?
03:43 Das weiß ich noch nicht wo du wo du hinkommst. müssen wir mal gucken.
Dreht sich um und schaut in die Halle. 03:53 Das weiß ich auch noch nicht (lacht)
Lw nv
Wofür ist das? Zeigt auf Material neben Lw.
03:50
[unv.] kann ich dann der erste sein? Schaut Lw an.
03:56 Das weiß ich noch nicht.
04:07
Wendet ihren Blick ab und schaut in die Halle.
Neigt leicht den Kopf. Schaut in ihre Unterlagen. [unv.]
Bitte.
S3w v S3w nv
Wendet ihren Blick ab. 04:29
Lw v Lw nv
03:38
Vereinzelt kommen immer mehr SchülerInnen in die Halle, die sich im Geräteraum Material aus den Schränken holen, sie spielen mit dem Material in der Halle.
S3w nv
Lw v
Setzt sich auf eine Bank am Hallenrand und schaut sich immer wieder in der Halle um.
S2m nimmt seine Brille ab und gibt sie Lw.
Lw nv S3w v S3w nv
Lw v
02:55
Verlässt den Geräteraum.
S2m nv
Sx nv
02:43 S2m Brille ab? [3] danke. Schaut zu S2m und macht mit ihren Fingern vor ihren Augen zwei Kreise.
Schaut auf ihre Uhr.
04:55 okay [4] hab ja gut was vergessen. Steht auf und geht in den Regieraum außerhalb der Halle.
05:14 (Pfiff) Kommt wieder in die Halle und pfeift mit einer Pfeife zwei Mal.
(7) #10 00:00-01:10 00:01 Lw v Lw nv S1w v S1w nv
00:04 Mhm. Kommt in die Halle. [Muss noch mal auf Toilette.]
Ist allein in der Halle und verlässt die Halle, als Lw reinkommt.
S PIELPLAN : K OORDINATION | 185
Lw nv
00:05 Geht zu einer Bank am Hallenrand, nimmt sich einige Unterlagen, einen Zettel und einen Stift.
00:25 Setzt sich auf die Bank und beginnt etwas zu notieren.
Ah Kommt in die Halle und bleibt kurz in der Tür stehen.
S2m v S2m nv
Lw v
Lw nv
S2m nv
00:31 So wie immer S2m, laufen und dann, Seilspringen. Schaut zu S2m.
Schaut zu Lw und beginnt zu laufen.
00:36
00:47
Schaut zunächst dem Schüler hinterher und anschließend wieder auf ihre Unterlagen. Läuft in der Halle.
Schaut zu S3m.
Betritt die Halle.
S3m nv
Lw v Lw nv
00:49 so [3] mhm. Schaut zu S3m und anschließend wieder auf ihre Unterlagen.
S3m nv
Sx v Sx nv
00:56
01:08 Legt ihre Unterlagen zur Seite und schaut zu den SchülerInnen, die in die Halle kommen.
[unv.] Läuft an Lw und S3m vorbei.
S2m v S2m nv S3m v
00:30
Warte, ich muss [meine Schuhe richtig anziehen] Setzt sich auf die Bank neben Lw und zieht seine Schuhe an.
Steht anschließend auf und beginnt zu laufen. [unv.] Weitere SchülerInnen kommen aus den Umkleidekabinen in die Halle und beginnen zu laufen.
Eine angeleitete Gleitzeit unterscheidet sich in ihrer inhaltlichen und räumlichen Gestaltung von den Frei-Räumen und der organisierenden Gleitzeit. In den Szenen (5) und (6) dürfen die SchülerInnen die Halle nur betreten, wenn auch die Lehrperson eine Freigabe für das Betreten der Halle erteilt (siehe auch Still-3-1). Deutlich wird dies in Szene (6), weil hier die Lehrperson die SchülerInnen wortwörtlich zurückpfeift und mit den Worten ››wir sind noch nicht drin‹‹ verdeutlicht, dass der Zugang zur Halle am Stundenbeginn von der Lehrperson gewährt wird und mit ihrer Anwesenheit zusammenhängt (siehe auch Still-3-3). Das freie Ankommen, wie es deutlich in den Frei-Räumen zu beobachten ist, wird hier über die Lehrperson reglementiert und über sie gesteuert. Diese Reglementierung gilt jedoch nur für den ersten Zutritt, nachkommende SchülerInnen können die Halle ohne Wartezeit betreten. Die später hereinkommenden SchülerInnen empfinden deshalb diese Phase womöglich trotzdem
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als Frei-Raum, weil ihnen der Zugang ohne Wartezeit gewährt wurde. Die Funktion einer Reglementierung des Zutritts liegt in der zu vollziehenden Aufsichtspflicht der Lehrperson. Die Aufsichtspflicht gilt selbstverständlich auch für die oben aufgeführten Sequenzen, jedoch wird auf diese Weise diese Verpflichtung der Lehrperson auch der SchülerInnenschaft implizit übermittelt. In Szene (7) wird eine weitere Differenzierung der angeleiteten Gleitzeit deutlich. Der zweite Schüler, der die Halle betritt, bekommt von der Lehrerin die Anleitung: ››So, wie immer S2m, laufen und dann Seilspringen‹‹. Der Junge beginnt damit seine Runden zu laufen und sich anschließend ein Seil zu nehmen, um damit zu springen. Nachkommende SchülerInnen beginnen ebenfalls zu laufen, als sie die Halle betreten und stellen damit die aktuelle Rahmung richtig fest, ohne dass die Lehrperson hier einen Hinweis geben muss (siehe auch Still-3-2). Dies wird auch durch die Formulierung der Lehrperson deutlich, indem sie ››wie immer‹‹ zum Schüler sagt. Als S3m die Halle betritt, schaut sie ihn an und möchte zu ihm sprechen. Sie wird jedoch von ihm unterbrochen mit dem Hinweis: ››Warte, ich muss [meine Schuhe richtig anziehen]‹‹. Auch hier ist das Verständnis über die Situation und die Aufgabe vorhanden, weil er, ohne dass die Lehrperson es ausspricht, bereits auf sie eingeht und wahrscheinlich ihre Ansage antizipiert. Diese Form der sportunterrichtlichen Gleitzeit scheint ››immer‹‹ so oder so ähnlich vollzogen zu werden. Die SchülerInnen haben in dieser angeleiteten Gleitzeit keine Frei-Räume, in denen sie sich Materialien und Tätigkeiten frei wählen können, allerdings kommen auch hier verzögert die SchülerInnen in die Halle und nehmen an dieser Phase teil. Die Anleitung zu motorischen Aufgaben in einer sportunterrichtlichen Gleitzeit hat bereits den Zweck einer gezielteren Erwärmung, die im Kontrast zu den FreiRäumen und der organisierenden Gleitzeit steht. Interessant ist die Betonung der Reglementierung und der Nennung der Aufgaben an die jeweils ersten SchülerInnen in den Situationen. Diese Hinweise und Anleitungen werden an die verzögert eintretenden SchülerInnen nicht erneut weitergegeben, vielmehr orientieren sich die SchülerInnen wie in Szene (7) an den Tätigkeiten der anderen SchülerInnen und fügen sich ein. Aus der angeleiteten Gleitzeit lässt sich schließen, dass bereits erste Spuren von Unterricht zu finden sind, auch wenn in den Sequenzen noch keine gemeinsame fokussierte und zentrierte Interaktion stattfindet. In diesen Sequenzen wurde, im Vergleich zu den Frei-Räumen und der organisierenden Gleitzeit, eine klare Reglementierung und Strukturierung der Anfangsphase im Unterricht deutlich. Allerdings bedeutet dies nicht, dass die vorherigen Differenzierungen der Gleitzeit keiner Normierung oder Reglementierung unterliegen. Auch dort muss ein bestimmtes Verhalten unterlassen bzw. gezeigt werden. So werden Regelverstöße wie ein aggressives Verhalten, das Betreten der Halle in Straßenkleidung o. ä. von der Lehrperson unterbunden. Solche Reglementierungen sind jedoch subtiler vorhanden und unterliegen einem allgemeinen Verständnis in Anlehnung an die institutionelle Rahmung über das Verhalten in Sporthallen. Die hier dargestellten Anleitungen sind spezifischer und klar einer sportunterrichtlichen Rahmung zuzuordnen. In der angeleiteten Gleitzeit sind es jeweils die ersten Begegnungen, in denen die Reglementierungen sichtbar werden. In den darauffolgenden Begegnungen werden diese nicht weiter thematisiert. Vielmehr orientieren sich die nachkommenden SchülerInnen an den Tätigkeiten der
S PIELPLAN : K OORDINATION
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sich bereits in der Halle befindenden SchülerInnen, die damit als unterstützende Rahmungselemente fungieren. In einer sportunterrichtlichen Gleitzeit gestalten LehrerInnen und SchülerInnen ihren Zutritt in die Halle, ihre Vorbereitungsphase und die Raumnutzung durchaus divergent. SchülerInnen haben in dieser Phase die Möglichkeit Gespräche miteinander zu führen, die nicht unterbrochen werden durch die Lehrperson, während die Lehrperson sprachlich eher zurückhaltend ist. Dies wird im Dialog der Szene (6) zwischen der Schülerin S3w und der Lehrerin deutlich. Sie können herumstehen oder sich motorisch betätigen – es ist ihnen freigestellt. In der angeleiteten Gleitzeit finden sich jedoch erste eindeutige Spuren unterrichtlicher Anlässe, indem die Lehrpersonen klare motorische Aufgaben vergeben und auch den Zugang zur Halle reglementieren. Die Ankommens-Zeit ist im Sportunterricht flexibel. Ähnliche Verschiebungen wären auch im Klassenunterricht anzunehmen. Die SchülerInnen scheinen diese Gleitzeit zu kennen und ein Gefühl für diese Phase entwickelt zu haben, da es nicht vorgekommen ist, dass SchülerInnen den Beginn des Unterrichts (die Kernzeit) verpasst haben. Nun gibt es in der Institution Schule, im Sinne einer Gleitzeit, keine Zeitschulden und kein Zeitguthaben, das später in irgendeiner Form abgebaut werden kann oder nachgeholt werden muss. Eine Vergütung zeigt sich vielmehr in einer längeren Lauf- und Spielzeit mit Materialien, mehr Gesprächszeit mit den MitschülerInnen und auch in einer eher zurückhaltenden Positionierung der Lehrperson, die sie noch für eine kurze Vorbereitung der Unterrichtsstunde oder für Beobachtungen der Klasse nutzt. Organisation
Still-4: Durchzählen 1)
2)
3)
(8) #03 02:06-02:35 Lw v Lw nv
Sx v
Sx nv
02:06 (Still-4-1) So (leise) Steht am Hallenrand und beobachtet die SchülerInnen. Zeigt mit dem rechten Zeigefinger auf einzelne SchülerInnen, anschließend geht sie durch die Halle zurück zur Bank und schaut sich dabei immer wieder um. (Rufen durcheinander und führen Gespräche miteinander) Laufen durch die Halle.
02:16 Hebt erneut den rechten Zeigefinger und zeigt auf einzelne SchülerInnen in der Halle, der Finger bewegt sich dabei sehr schnell hin und her, sie dreht sich um sich selbst und geht anschließend zur Bank.
Einige SchülerInnen beobachten Lw.
02:25 gut Nimmt sich Unterlagen von der Bank und setzt sich damit in die Mitte der Halle auf den Boden.
188 | S OZIALE ORDNUNG IM S PORTUNTERRICHT
Der Aspekt der Organisation verdeutlicht weitere Praktiken einer sportunterrichtlichen Gleitzeit. In der Szene (8) zählt die Lehrerin die Anzahl der SchülerInnen durch und signalisiert den Unterrichtsbeginn. Mit ››So‹‹ setzt sie anscheinend für sich eine innere Klammer, um die sportunterrichtliche Gleitzeit zu beenden. Das Durchzählen der SchülerInnen kann dabei diverse Funktionen einnehmen. Zum einen verschafft sich die Lehrerin einen Überblick darüber, ob alle SchülerInnen bereits aus der Umkleidekabine gekommen sind oder ob vielleicht noch welche fehlen. Zum anderen hat die Lehrerin durch das Zählen der SchülerInnen noch einmal die Anzahl vor Augen und kann beispielsweise schon eine Verteilung von Gruppen oder Mannschaften planen. In solchen Phasen besteht für Lehrpersonen noch eine Handlungsentlastung, weil keine direkte Performance abverlangt wird. Die SchülerInnen sind in ihrem Frei-Raum selbstständig beschäftigt und die Lehrperson hat den Frei-Raum selber zu entscheiden, wann sie beginnen möchte. Durch das Zeigen auf die SchülerInnen und die Bewegung durch die Halle zeigt die Lehrerin zusätzliche Präsenz, die auch von einigen SchülerInnen wahrgenommen wird. Es kann angenommen werden, dass die SchülerInnen auf den Beginn des Unterrichts warten bzw. wird über diese Tätigkeit ein bevorstehender Beginn bereits angezeigt. (9) #08 02:53-03:16 02:53 Lw v
Lw nv
Baut eine Staffelstrecke auf, sie nimmt Hütchen vom Boden in die Hand und schaut auf ihre Uhr.
Sx v Sx nv
(Gespräche) (Unterschiedliche Aktivitäten) Manche SchülerInnen spielen, fahren mit einem Rollbrett durch die Halle, sitzen auf einer Langbank oder unterhalten sich.
02:55 Sind schon alle da? eins zwei drei vier fünf sechs sieben acht neun zehn elf zwölf dreizehn. Dreht sich um und schaut sich anschließend in der Halle um.
03:03
Geht mit den Hütchen zum Anfang der Staffelstrecke und schaut dabei kurz auf die Hallenuhr, sie greift in ihre Hosentasche und holt eine Pfeife hervor.
S PIELPLAN : K OORDINATION | 189
03:08 (Pfiff Pfiff)
03:10
Lw v Lw nv
Pfeift zwei Mal.
Positioniert die Hütchen auf dem Boden.
S1m v
(Gespräche)
Sx nv
Laufen in Richtung des Geräteraumes und bringen ihr Material in die Schränke, zwei Schüler kommen direkt zu Lw.
03:13 erstmal Sitzkreis bitte [2] Sitzkreis Stellt die Hütchen auf und zeigt anschließend in die Mitte der Halle, während sie spricht, sie macht eine kreisende Handbewegung in die Richtung der Hallenmitte. Okay, Sitzkreis Manche SchülerInnen gehen in Richtung Geräteraum und manche laufen in die Mitte der Halle und setzen sich hin.
Der Aspekt der Organisation in der sportunterrichtlichen Gleitzeit wird hier von der Lehrerin vollzogen, indem ein Gerätearrangement für die Stunde hergestellt wird. Die SchülerInnen nutzen diese Zeit auf unterschiedliche Weise mit Gesprächen, spielen mit Materialien, laufen umher oder sitzen auf einer Bank. Die Äußerung: ››Sind schon alle da?‹‹ verdeutlicht erneut die Funktion einer sportunterrichtlichen Gleitzeit: Während die Lehrperson die Möglichkeit hat noch Organisatorisches in jeglicher Hinsicht zu erledigen, können die SchülerInnen diese Phase zum Umziehen, Ankommen und Spielen nutzen – ihren Frei-Raum. Anschließend zählt die Lehrerin laut die SchülerInnen durch und pfeift im Anschluss mit ihrer Pfeife zwei Mal. Der doppelte Blick auf die Uhr könnte auch darauf hinweisen, dass die Lehrperson ein bestimmtes Zeitfenster zum Stundenbeginn für diese Gleitphase einplant, auch um mögliche Gerätearrangements aufzubauen, weil dafür vor Stundenbeginn durch die räumliche Trennung der Halle zum Schulgebäude häufig keine Zeit bleibt. Der doppelte Pfiff ruft bei den SchülerInnen ein routinisiertes Verhalten hervor.6 Einzelne SchülerInnen sammeln sich sofort in der Nähe der Lehrerin, die dadurch gestisch und verbal verdeutlichen muss, dass erst mal ein Sitzkreis gebildet wird und wo dieser gebildet wird. Die restlichen SchülerInnen bewegen sich gleichgerichtet in Richtung des Geräteraumes und bringen ihre Materialien wieder weg, die sie genutzt haben. Dieses Verstauen bedarf keiner weiteren Verbalisierung oder Organisation. Den Übergang von der sportunterrichtlichen Gleitzeit zum Unterrichtsbeginn nutzt die Lehrerin noch, um den Aufbau des Arrangements fertig zu stellen. Sie organisiert so eine Vorbereitung des Raumes für den Unterricht und eine Herstellung von Unterrichtsbereitschaft bei den SchülerInnen – eine parallele Handlungskoordinierung. Das Gerätearrangement in der Halle liefert bereits eine Vorstrukturierung des Raumes, das im Stundenverlauf weiterhin eine Orientierung für die SchülerInnen liefert. Darauf wird im weiteren Verlauf der Arbeit weiter eingegangen. Diese Sequenz befindet sich bereits an der Grenze zur nächsten Phase, der Konstitution. Der parallele Aufbau der Geräte-Arrangements von der Lehrerin und das Verstauen der Materialien von den SchülerInnen, gibt aber noch Anlass dazu, hier von einer Gleitzeit zu sprechen, in der unterschiedliche organisatorische Tätigkeiten vollzogen werden konnten.
6
Eine Analyse der Signale erfolgt in einer eigenen Teilstudie.
190 | S OZIALE ORDNUNG IM S PORTUNTERRICHT
(10) #10 05:42-6:24 05:42 Lw v
Lw nv
S1w v Sx nv
Lw v Lw nv
S4m v Sx nv
Lw v Lw nv
Erhebt sich von der Bank und hebt den Kopf.
05:42 Eins zwei drei vier fü [1] fünf, sechs sieben acht neun zehn e::lf. Wandert mit ihrem Blick durch die Halle.
05:48 wer fehlt uns denn noch?
05:58
06:00 ach S4m, kann ich dir helfen? oder geht es.
Springen mit Seilen in der Halle herum oder führen Gespräche. 05:52 S3w ist da, wer fehlt noch? Dreht sich um und geht aus der Halle heraus durch die geöffnete Hallentür.
Öffnet die Tür zum Umkleideraum und sieht S4m. Ja geht. Zwei SchülerInnen kommen hinterhergelaufen und verlassen die Halle.
Bleiben vor der Tür mit ihren Seilen stehen.
06:02 Super. Schließt die Tür vom Umkleideraum und geht zurück zum Halleneingang.
06:08 Ja, bitte. Begleitet die SchülerInnen in die Halle.
S5m nv S6m v
Lw kann ich dir meine Extraübung zeigen? Steht vor Lw.
06:15
Ok. Geht zurück in die Halle. [unv.] 06:16
Lw v
Lw nv
Steht vor der Hallentür.
S4m nv S5m v
Kann ich dir meine Extraübung zeigen? Geht rückwärts in die Halle. Läuft mit seinem Seil in die Halle.
S5m nv S7m nv S8m v S8m nv
06:07 S6m kommst du mit rein? Steht vor der Hallentür.
Kommt aus der Umkleidekabine heraus.
S4m nv S5m v
Dreht sich um und legt eine Mappe auf die Bank, schaut die SchülerInnen an. S2w Sammeln sich bei Lw.
S7m wollen wir zu zweit? Geht zur Hallentür.
06:18 Ich gucke S5m, wenn S4m reinkommt, bin ich für dich da, okay. Lw geht in die Halle und schließt hinter S4m die Tür. Geht in die Halle.
Schaut zu Lw.
Läuft mit S7m in die Halle.
In der Szene kontrolliert die Lehrerin die Anwesenheit der Klasse über das Durchzählen und stellt fest, dass jemand fehlt. In diesem Anfang ist die Gleitzeit ausge-
S PIELPLAN : K OORDINATION
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dehnter als in anderen Stunden und die Lehrerin hat noch nicht mit dem Unterricht begonnen. Dennoch zeigen einige SchülerInnen ihre Bereitschaft durch das Zusammenkommen, als die Lehrerin anfängt durchzuzählen. Die SchülerInnen bleiben dann zunächst versammelt und verteilen sich wieder, als die Lehrerin die Halle verlässt, weil es noch keinen konkreten gemeinsamen Aufmerksamkeitsanlass gibt. Es fällt auf, dass, obwohl die Stunde schon seit ein paar Minuten läuft, noch nicht alle SchülerInnen in der Halle sind – ››Wer fehlt uns denn noch?‹‹. Nachdem noch nicht klar geworden ist, wer tatsächlich fehlt, geht die Lehrerin aus der Halle und schaut im Umkleideraum nach. Kurz darauf findet sie den fehlenden Schüler, der anschließend auch kurz danach mit in die Halle kommt. Die anfangs noch geöffnete Tür der Halle wird dann, sobald alle SchülerInnen anwesend sind, geschlossen. Im Vergleich zu den anderen Szenen muss die Lehrerin hier außerhalb der Halle nach einem fehlenden Schüler suchen. Die sportunterrichtliche Gleitzeit wurde hier von einem Schüler überschritten und es kommt zu einer Kollision der Vorstellungen über den Beginn der Kernzeit und das Ende der Gleitzeit zwischen den Akteuren, die hier über die Lehrerin ausgeglichen wird. Im Rahmen der Aufsichtspflicht kontrolliert die Lehrerin die Anzahl der SchülerInnen und sorgt anschließend auch dafür, dass die Klasse vollständig in der Halle anwesend ist. Das Schließen der Hallentür verdeutlicht die räumliche Rahmung, eines nun geschlossenen Raumes, der von allen betreten wurde und nicht mehr verlassen werden soll. Neben dem Durchzählen als eine Facette der Organisation in der sportunterrichtlichen Gleitphase stellt sich eine weitere Praktik als bedeutsam heraus, die der Sicherheit. Im Sportunterricht kommt es zu einer spezifischen Bekleidung (Sportkleidung) und damit auch zu einer spezifischen Entkleidung (Arbeitsutensilien, Rucksäcke, etc.) der Akteure. Mit Blick auf die soziale Ordnung stellt die Beachtung dieser spezifischen Bekleidung eine Herstellung der Unterrichtsbereitschaft dar. Darauf zu achten, dass Schmuck, Kaugummis oder Straßenschuhe zu vermeiden sind und Sportkleidung angelegt wird, schützt vor Verletzungen und gehört im Sinne eines Feinschliffs zur Aufgabe der Lehrperson. Feinschliff insofern, als dass die SchülerInnen schon ihre Bereitschaft für den Sportunterricht über die Tätigkeit des Umziehens signalisieren, jedoch des Öfteren die Sportlehrkraft Hinweise an die SchülerInnen geben muss.
Still-5: Sicherheit 1)
2)
3)
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(11) #10 01:40-01:55 01:40 Lw v Lw nv S1w v S1w nv S2w nv
Sitzt auf einer Bank am Hallenrand. Läuft mit S2w in der Halle umher. Läuft hinter S1w in der Halle.
01:42 S1w, S1w, kommst du noch mal kurz zu mir? Schaut S1w an und winkt sie zu sich heran. Ja. Hört auf zu laufen und geht zu Lw.
Schülerin steht vor Lw. Beobachtet kurz S1w und Lw und läuft dann weiter.
01:47
01:49 Kriegst du die alleine ab?
Lw nv
Schaut zu S1w.
Fasst sich mit dem linken Arm ans Ohr.
S1w v S1w nv
Äh, Ohrringe (Schnauft und atmet laut.)
Lw v
01:45 Hör mal an was müssen wir noch denken? Sitzt auf der Bank und schaut zu S1w.
01:51 dann machst du sie mal ab und legst sie bitte hier rein. Zeigt auf eine Dose neben sich.
Schülerin nickt mehrfach.
Nimmt ihre Ohrringe ab und legt sie in die Dose.
00:17 (Still-5-2) S1w, komm noch mal her. [1] an was solltest du denken bitte? Heranwinkende Armbewegung, anschließend zeigt sie mit den Händen an ihre Ohren.
00:19
(12) #16 00:15-00:35 00:15 Lw v
Lw nv
Steht am Hallenrand und schaut zu einer laufenden Schülerin.
S1w v S1w nv
Läuft zu Lw
S2m nv
Lw v Lw nv
S1w nv
00:21 Alles ne? auch deine Kette. Zeigt auf die Kette von S1w.
00:24 machst es mal ab, kannst es alleine abmachen? Zeigt auf eine Dose, die auf der Bank steht, beugt sich nach vorn. Nimmt ihre Ohrringe ab und legt sie in die Dose.
Äh [2] ach. Fasst sich mit beiden Händen an ihre Ohren. Sitzt auf der Bank neben Lw. Schaut kurz zu Lw und S1w und zieht sich dann weiter die Schuhe an. 00:30 super. Entfernt sich von S1w. Anschließend nimmt sie auch ihre Kette ab und legt sie in die Dose.
Die Szenen (11) und (12) zeigen Situationen, in der die Lehrpersonen jeweils SchülerInnen beobachten und im Vorbeilaufen ansprechen. Die Lehrerin muss die Ohrringe bei der Schülerin gesehen haben und reagiert sofort, in dem sie die Schülerin zu sich heranholt. Durch eine indirekte Frage von der Lehrerin wird der Schülerin direkt deutlich, dass es sich um die Ohrringe handelt, die sie anschließend abnimmt. Die Lehrerin hat bereits eine Dose bereitgestellt, in welcher der Schmuck der Kinder aufbewahrt wird. Neben den sprachlichen Hinweisen agiert die Lehrerin auch mit kör-
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perlichen Zeichen, indem sie sich selbst an die Ohren fasst und während sie spricht auf die Dose zeigt. Durch diese Zeichen erlangt die Situation schnell eine Eindeutigkeit unter den Akteuren, die keiner weiteren Verständigung oder Begründung bedarf. Durch die Aufmerksamkeit der Lehrerin kommt hier der Sicherheitsaspekt zum Tragen. Interessant ist, dass diese Aushandlung zwar nur zwischen der Lehrerin und der Schülerin stattfindet, umliegende SchülerInnen dies jedoch kurzzeitig beobachten, sich dann aber von der Situation abwenden. Auf diese Art und Weise werden der Aspekt der Sicherheit und der Verweis auf die zu tragende bzw. nicht zu tragende Kleidung indirekt auch den anderen Teilnehmern angezeigt. (13) #06 02:42-03:04 Lw v Lw nv
S1m nv
02:42
02:43
Geht am Hallenrand entlang und sieht S1m in Richtung des Geräteraumes laufen.
Nimmt die Hände vor ihr Gesicht und formt zwei Kreise mit ihren jeweiligen Daumen und Zeigefingern, durch die sie zu S1m hindurchschaut.
Läuft in der Halle an Lw mit einigem Abstand vorbei.
2:46 Lw v Lw nv
S1m nv
2:43 S1m Brille ab? Sie nimmt die Hände wieder herunter und winkt den Schüler mit ihrem rechten Zeigefinger zu sich.
Geht auf S1m zu und streckt den rechten Arm aus. Geht auf Lw zu, während er seine Brille abnimmt und übergibt sie Lw.
2:48 danke. Wendet sich ab und geht zur Bank am Hallenrand, dort legt sie die Brille in eine Dose. Wendet sich ab und läuft weiter in den Geräteraum, um sich Material zum Spielen zu holen.
(14) #04 01:26-01:32 Lm v Lm nv S1m nv
1:26 Äh S1m, S1m. Steht an der Eingangstür zur Halle und sieht S1m hereinkommen. Läuft in die Halle und dreht sich dann Lm.
01:28 Halstuch ab? Kaugummi raus. Schaut zum S1m. Zieht sich das Halstuch über den Kopf und verlässt die Halle.
(15) #04 05:18-05:24 05:18 Lm v Lm nv
S1m nv
Sx nv
Schaut zu S1m. Geht in Richtung des Sitzkreises und sucht sich einen Sitzplatz, er schaut zu Lm. Bilden einen Sitzkreis.
05:19 (Still-5-1) Dein Schnürsenkel? Zeigt mit dem linken Arm auf die Schuhe von S1m.
Schaut auf seine Schuhe.
05:20 Wendet sich ab und beobachtet die Klasse und schaut durch die Halle. Sucht sich einen Sitzplatz und bindet sich die Schuhe zu.
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Die vorangestellten exemplarischen Szenen (13, 14 und 15) zeigen eine direkte Aufforderung durch die Lehrperson an die SchülerInnen. Über einen Blickkontakt und die Ausrichtung der Körper wird eine flüchtige zentrierte Interaktion eingegangen, in der die SchülerInnen entweder aufgefordert werden Kleidung abzulegen oder in einen funktionalen Zustand zu bringen. Über ein Zeigen auf die Schuhe oder auch das Symbolisieren einer Brille werden eindeutige Zeichen vollzogen, die auf ein Verständnis der Akteure treffen. Jede hier dargestellte soziale Situation ist nur von kurzer Dauer und in keiner Situation wird die Aufforderung in Frage gestellt. Implizite Regelverweise bedürfen einer gezielten Aufforderung, der dann stumm gefolgt wird. Eine weitere Konsequenz ist immer auch der Prozess des Anzeigens den anderen SchülerInnen gegenüber, ohne es als Lehrperson evtl. bewusst so zu arrangieren. Diese Szenen zeigten, dass es die Lehrperson ist, über die die SchülerInnen aufgefordert werden sich zu entkleiden oder ihre Bekleidung in einen funktionalen Zustand zu bringen. Für solche Aufforderungen seitens der Lehrperson bedarf es einer aufmerksamen Beobachtung des sozialen Geschehens.7 Das implizite Regelverständnis seitens der SchülerInnen zeigt sich in folgenden Szenen. (16) #05 00:34-00:50 00:34
00:40
Lm v Lm nv
Steht im Regieraum der Sporthalle und notiert etwas. Ich habe heute Sportschuhe nicht mit. Steht in der Tür zum Regieraum.
S1m v S1m nv Sx nv
7
00:42 Dann würde ich ohne nen bisschen mitmachen. Schaut kurz zu S1m, wendet sich dann ab und verlässt den Regieraum.
Dreht sich um und geht in die Halle.
Einige Schüler legen, bevor sie die Halle betreten, ihre Wertsachen in den Regieraum. Anschließend betreten sie die Halle.
In der Kategorie der Entkleidung werden Aspekte und Funktionen dieser Praktik vertieft behandelt. Die Analyse von Praktiken verdeutlicht bereits jetzt, dass eine völlige Isolierung von Handlungen dem Begriff der Praktik nicht gerecht wird. Die methodische Konsequenz liegt deshalb in der Betonung einzelner Handlungsbündel, mit dem Wissen über die Komplexität sozialer Praktiken.
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(17) #13 00:01-00:07 Lm v
00:01 (Still-5-3) Auch Turnschuhe oder eher Stiefel oder so was?
Lm nv
Sitzt auf dem Boden und schaut hoch zu S1w. Stiefel.
S1w v S1w nv S2w nv
00:03
00:04 Ach so, ok, dann machste so mit. geht aber heute, kein Problem. Danke schön.
Steht ohne Schuhe vor Lm und schaut herunter. Steht neben S1w und neigt den Blick nach unten, hält einen Zettel in der Hand.
Die Phase der Koordination ist nicht nur eine Phase der räumlichen Gestaltung oder Vereinnahmung. In dieser Phase ist eine Verständigung über angebrachte und nichtangebrachte Sportkleidung ein wesentlicher Bestandteil. Anders als in den Sequenzen zuvor sind es hier die SchülerInnen, die zur Lehrperson gehen und darüber informieren, dass sie nicht ihre vollständige Bekleidung dabei haben. Die Lehrperson scheint in dem Moment zu entscheiden, ob am Unterricht teilgenommen wird und in welchem Umfang (››Dann würde ich nen bisschen mitmachen‹‹; ››dann machste so mit, geht aber heute‹‹).8 Während in höheren Klassenstufen die SchülerInnen in die Verantwortung gezogen werden auf ihre sportunterrichtlich gerechte Bekleidung und Entkleidung zu achten, sind es in den unteren Klassenstufen die Lehrpersonen, die einen öffentlichen Verweis auf die spezifische Bekleidung anzeigen. Die Situationen, in denen quasi gebeichtet wird, wirken angespannt und können im Rahmen des Unterrichts auch mit dem Vergessen eines Heftes oder Buches verglichen werden – so gesehen ist nur eine beschränkte Teilnahme am Unterricht möglich. Gerade auch die Danksagung der Schülerin in Szene (17) lässt auf eine für sie unangenehme Situation schließen. Die dargestellten Szenen scheinen zunächst im alltäglichen Tun unterzugehen, weil sie häufig von den Teilnehmern bestätigt werden und somit keine weiteren Koordinierungsprozesse vonnöten sind. Eine Phase der Koordinierung im Sportunterricht bedarf der Abstimmung der Teilnehmer untereinander, um eventuelle Spielräume sozialen Handelns präventiv zu vermeiden (hier in der Folge z. B. Verletzungen). LehrerInnen achten auf eine Unterrichtsordnung im Sinne einer relativ einheitlichen und funktionalen Ausstattung der SchülerInnen, um den Sportunterricht möglichst ohne Komplikationen zu verbringen und eine Unterrichtsbereitschaft herzustellen. Auch wenn Zwischenfälle selbstverständlich nicht ausgeschlossen werden können, kann der Aspekt der Sicherheit zu einer Minimierung beitragen. Die Art und Weise, wie auf die spezifische Bekleidung und Entkleidung im Sportunterricht verwiesen 8
Ein völliger Ausschluss konnte dem Material nicht entnommen werden, jedoch ist anzunehmen, dass einige SchülerInnen, die nicht am Unterricht teilgenommen haben und in Straßenkleidung am Hallenrand saßen, dies eventuell vor Beginn der Aufnahme mit der Lehrperson abgesprochen haben. Eine unvollständige Bekleidung bedarf einer Abklärung mit der Lehrperson, während das Fehlen der kompletten Sportbekleidung eine Teilnahme am Sportunterricht verwehrt.
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wird, beinhaltet immer auch ein Anzeigen der Normierung an umliegende SchülerInnen. Durch diese Prozesse wird das Selbst der Lehrperson mit einer regulierenden Funktion reproduziert und dargestellt. Die Abnahme von Schmuck oder das An- bzw. Ablegen (un-)funktionaler Kleidung, das von der Lehrperson erkannt und angezeigt oder abgesegnet wird, weist darauf hin, dass der Lehrperson eine anerkannte Funktion als ››Wächter‹‹ (Zinnecker, 1978, S. 36) zugeschrieben wird. In der Phase der sportunterrichtlichen Gleitzeit wird, gleichermaßen von LehrerInnen und SchülerInnen, eine Unterrichtsbereitschaft hergestellt. Sowohl über die Tätigkeiten des Durchzählens als auch über die Facetten der Sicherheit und die kompetente Nutzung von Frei-Räumen wird eine Unterrichtsbereitschaft auf beiden Seiten angezeigt und hergestellt. Über den Prozess der Beobachtung kann im weiteren Verlauf einer Stunde immer wieder auf Sicherheitsaspekte verwiesen werden. Das Besondere an der Phase einer sportunterrichtlichen Gleitzeit und ihren Facetten im Rahmen der Koordination sind demnach sich differenzierende unterrichtsvorbereitende Maßnahmen nach Stunden- und vor Unterrichtsbeginn.
Koordination
S IGNALE Sportunterrichtliche Gleitzeit
Signale
Für die Initiierung einer gemeinsamen Ordnung im Sportunterricht zeigen sich im Material unterschiedliche Signale, die von den Akteuren öffentlich angewandt werden. Die hier aufgeführten Phänomene haben keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern spiegeln eine Sammlung aus dem Material wider, die im weiteren Verlauf der Arbeit immer wieder aufgegriffen wird. Zu beachten ist, dass die aufgeführten Signale im Rahmen der Koordination gelesen werden und sich durch die Verwendung dieser Signale ein Übergang zur Phase der Konstitution anbahnt. Eine genauere Analyse der Konstitution und eine Betrachtung der Ordnung von Anfangssituationen im Sportunterricht erfolgt im Anschluss. Der theoretischen Fundierung einer Theorie sozialer Praktiken folgend, würde eine alleinige Darstellung extrahierter und isolierter Signale zwar ein gefundenes Inventar offenbaren, es würde jedoch in seiner tatsächlichen Verwendung zu kurz kommen. Praktiken lassen sich nach Reckwitz (2003) als ein ››typisiertes, routinisiertes und sozial ›verstehbares‹ Bündel von Aktivitäten‹‹ (ebd., S. 289) beschreiben. Eine isolierte Darstellung beispielsweise des Signalwortes ››so‹‹ könnte in seiner Bedeutung der Signalwörter sicherlich ausgiebig analysiert werden. Unter der Fokussierung einer Herstellung und Aufrechterhaltung von sozialer Ordnung im Sportunterricht mit Blick auf den Vollzug von Praktiken, macht es jedoch Sinn dieses Wort in seine zeitliche, räumliche und körperliche Kontextualisierung einzubetten, um die sozial verstehbaren Zusammenhänge spezifischer herauszuarbeiten. Im Folgenden werden zunächst Ankündigungen im Sportunterricht analysiert, die sich als eine Dif-
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ferenzierung von Signalen herausgestellt haben. Im Anschluss werden Doings that say something vorgestellt. Gemeint ist zunächst der originäre Sinn des Wortes Doings. Auf Grundlage der Ausführungen über Schatzkis Bedeutung des ››Nexus of doings and sayings‹‹ (Schatzki, 1996, S. 89) wird in einer ersten Analyse das vordergründige Tun (doings) und in einer zweiten Analyse schwerpunktmäßig das Sprechen (sayings) als Ausgangspunkt der analytischen Betrachtung von Signalen fokussiert. Ankündigungen (18) #12 05:08-05:11 Lw v Lw nv Sx v Sx nv
05:07 So, und langsam:: [1] so, ei:ne Mi:nu:te noch Schaut sich in der Halle um und dreht ihren Körper in die Halle. Gehen in der Halle unterschiedlichen Tätigkeiten nach.
5:10
Dreht sich wieder weg. Ja:: Laufen und spielen kreuz und quer in der Halle.
(19) #12 05:18-05:22 Lw v Lw nv Sx nv
05:18 Ihr könnt noch eine Minute frei und dann fangen wir gemeinsam an. Spricht zu einer kleinen SchülerInnengruppe und geht dabei in den Geräteraum. Schauen zu Lw.
(20) #09 00:04-00:50 Lw v Lw nv Sx nv
Lw v Lw nv
Sx nv
00:04 Ze::hn Betritt die Halle.
00:06 neu::n Macht die laufende Musik aus. Erste SchülerInnen versammeln sich in der Mitte der Halle.
00:10 a::cht
00:17 si:eben
00:24 se:chs Geht mit Leibchen im Arm zur Hallenmitte.
Immer mehr SchülerInnen finden sich in der Hallenmitte zusammen und bilden einen Sitzkreis, herumstehende SchülerInnen vom Hallenrand begeben sich langsam in die Mitte, manche spielen noch mit ihren Bällen.
Manche SchülerInnen bringen ihr Material weg und laufen dann zurück in die Halle.
00:31 fü:nf […] Spricht leise mit einer Schülerin und geht weiter zur Hallenmitte. Immer mehr SchülerInnen sitzen bereits im Sitzkreis, umherlaufende SchülerInnen orientieren sich ebenfalls zur Hallenmitte.
Spielen und laufen in der Halle kreuz und quer umher. Manche spielen mit Bällen, spielen Fangen oder sitzen in Kleingruppen auf dem Hallenboden.
Einige SchülerInnen bringen ihre Materialien weg, andere spielen weiter
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Lw v Lw nv
Sx nv
00:36 vier Setzt sich mit in den Kreis, der schon von den SchülerInnen gebildet wurde. Gespräche werden leise, nur noch einzelne SchülerInnen stehen.
00:43 drei Sitzt im Kreis.
00:45 zwei [2] eins Schaut einen laufenden Schüler an und anschließend durch die Runde.
Ein letzter Schüler schließt die Hallentür und läuft in den Kreis.
Ein Schüler sucht sich einen Sitzplatz und setzt sich schnell hin. Alle sitzen.
Der Übergang innerhalb der sportunterrichtlichen Gleitzeit zu einer Phase der Konstitution und einer gemeinsamen Fokussierung der Aufmerksamkeit wird über Ankündigungen vorbereitet. Unterstützt werden durch diese Szenen noch einmal die zuvor behandelte sportunterrichtliche Gleitzeit und die Frei-Räume in dieser Phase: ››Ihr könnt noch eine Minute frei und dann fangen wir gemeinsam an‹‹. Es wird explizit gesagt, dass die SchülerInnen noch selbstbestimmt in der Halle ihren Tätigkeiten nachkommen können, bevor dann gemeinsam begonnen wird. Deutlich wird weiterhin, dass zuvor scheinbar kein Beginn des Unterrichts stattfindet, sondern lediglich der Stundenbeginn mit einer ritualisierten Gleitzeit ausgestaltet wird. Entweder werden Ankündigungen für die ganze Klasse (18) oder an kleinere SchülerInnengruppen (19) öffentlich vollzogen. Ankündigungen sind diversfunktional. Durch sie wird die Rahmungsgrenze der gerade aktuellen Gleitzeit bestätigt und verdeutlicht sowie die bereits nächste Rahmung (in-)direkt angekündigt. Über die Ankündigung bringt sich die Lehrperson in das Geschehen ein. Zuvor ist die Lehrperson nur marginal präsent. Über die Ansage an die ganze Klasse oder an eine SchülerInnengruppe zeigt sie, dass sie bestimmt, wann die Gleitzeit endet und kündigt die nächste anstehende Phase des gemeinsamen Beginns an. Über die Ankündigungen wird die Präsenz der Lehrperson, die für diese Übergänge verantwortlich ist, hervorgehoben und auch die sportunterrichtliche Gleitzeit bestätigt, weil deren baldiges Ende nur mit ihrer Präsenz einhergehen kann. In Szene (20) dient die implizite Ankündigung des Unterrichtsbeginns gleichzeitig als ein fließender Übergang zwischen den Phasen der Koordination und Konstitution. Die Lehrerin zählt langsam von zehn auf eins herunter und signalisiert damit den bevorstehenden Unterrichtsbeginn und das gemeinsame Zusammenkommen im Sitzkreis. Als eine Differenzierung der Ankündigung wird diese Szene gelesen, weil die SchülerInnen nicht abrupt aufhören zu spielen, sondern im Laufe des Countdowns ihr Spiel einstellen, die Materialien wegbringen und sich dann im Sitzkreis einfinden. Somit ist der Countdown als Ankündigung und gleichermaßen als Signal zu verstehen, das aus individuellen oder teil-kollektiven Handlungssträngen einen Fokus herstellt und damit einen gemeinsamen, geordneten Handlungsstrang konstituiert, mit der Funktion der Herstellung einer Unterrichtsbereitschaft.9 Im Vergleich zu den vorherigen Ankündigungen stehen die SchülerInnen noch nicht unter Handlungsdruck, im Sinne eines Anzeigens von Unterrichtsbereitschaft, und können auf das gerade angekündigte und noch bevorstehende Signal warten. In Szene (20) findet 9
In diesem Abschnitt interessiert die Ankündigung unter Fokussierung von Szene (20). Der angesprochene Übergang zwischen Koordination und Konstitution wird im weiteren Verlauf der Arbeit noch einmal unter einer weiteren Fokussierung aufgegriffen (Konstitution: Entkleidung).
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sich eine mehrfache Kodierung der Ankündigung, weil innerhalb der Ankündigung auch das Signal für das Zusammenkommen und des gemeinsamen Beginns impliziert ist. Ankündigungen sind im Sportunterricht als eine Vorbereitung und Einleitung des Rahmungswechsels und als eine Betonung der sportunterrichtlichen Gleitzeit zu verstehen, weil dadurch gleichzeitig der Übergang zur Konstitution angebahnt wird. Nexus of signals – Doings that say something
Still-6: Doings
1)
2)
3)
(21) #05 01:02-01:33 Lm nv
Sx nv
01:02 (Still-6-1) Betritt die Halle mit einer Frisbee in der Hand und geht zur Hallenmitte in Richtung Mittelkreis. Sitzen teilweise auf einer Langbank am Hallenrand oder stehen vor der Bank und unterhalten sich.
01:06 Spricht mit einem Schüler, der am Mittelkreis steht.
01:09 Setzt sich in den Schneidersitz an den Mittelkreis.
Einige Schüler schauen zu Lm und begeben sich ebenfalls Richtung Hallenmitte.
Alle Schüler kommen im Mittelkreis zusammen und setzen sich hin
In dieser Szene betritt die Lehrperson die Halle und begibt sich in den Mittelkreis, um sich dort hinzusetzen. Schon während die Lehrperson auf dem Weg zum Mittelkreis ist, beobachten einige Schüler dies und machen sich auch auf den Weg in den Mittelkreis. Nach und nach folgen ihnen auch alle anderen Schüler, um in den Mittelkreis zu kommen. Der Körper des Lehrers wird beobachtet und ihm wird gefolgt, dabei ist besonders anzumerken, dass sich der Lehr-Körper zu keinem Zeitpunkt zu den Schülern umdreht, um möglicherweise weitere Signalisierungen zu vollziehen, sondern, ganz im Gegenteil dazu, sich mit dem Rücken zu den Schülern platziert. Schließlich folgen weitere Schüler den anderen Schülern, die bereits in Richtung des Mittelkreises gehen. Es entsteht eine Art Sogeffekt im Rücken der Lehrperson (siehe Still-6-1). Allein der Körper der Lehrperson und seine Positionierung im Raum sind Informationszeichen mit einer Ordnungsfunktion für die beteiligten Akteure, an denen sie sich orientieren bzw. die von ihnen gelesen und situationsspezifisch entziffert werden. Im Zusammenhang mit der Zeit (der Stundenbeginn) wird eine Anfangssequenz von den Akteuren hergestellt, die sie zusammenkommen lässt. Die Positionierung des Lehr-Körpers dient als stummes Signal, dem die Akteure routinisiert folgen, und seiner impliziten Forderung, sich zusammenzufinden, fraglos und ohne weitere Aufforderungen nachkommen. Im Sinne eines Nexus of doings sind die Alleinstellung des Körpers und seine Positionierung im Raum sowie die blicklose Signalisierung, die über Blicke der Schüler decodiert wird, die spezifischen Merkmale der Praktik in dieser Situation. Sozusagen als Anhängsel des Lehrers befindet sich die Frisbee in seiner Hand, die in dieser Situation keine konstituierende Funktion einnimmt, sich jedoch schon aussagekräftig in den Händen der Lehrperson befindet und
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im weiteren Verlauf noch an Bedeutung gewinnen wird, weil sie als Spielgerät zum Einsatz kommt. (22) #14 00:30-01:09 00:30 Lm v Lm nv
Sx v Sx nv
Geht zu seinen Unterlagen, die auf dem Boden liegen und setzt sich daneben im Schneidersitz, auf den Boden.
(Gespräche) Laufen in der Halle umher, spielen mit einem Ball oder stehen in Kleingruppen zusammen und unterhalten sich.
00:37 (stöhnt) Schiebt seine Unterlagen vor sich und schaut in die Halle, anschließend legt er seine Arme auf seinen Knien ab und macht eine kreisende Handbewegung mit beiden Händen. Dabei blickt er zu einer Schülergruppe am Hallenrand.
00:45
Erste SchülerInnen orientieren sich zu Lm.
Die Schülergruppe schaut zu Lm und geht in dessen Richtung. Gleichzeitig kommen bereits erste SchülerInnen von der rechten Seite von Lm und beginnen sich hinzusetzen.
Lm nv
00:52 Schaut sich abwechselnd in der Halle um und auf seine Unterlagen vor sich.
Sx v Sx nv
(Gespräche werden leiser) Nach und nach kommen die SchülerInnen zusammen und setzen sich hin.
Blickt weiterhin in die Halle und zur Schülergruppe.
01:00 Hebt den rechten Arm und bekommt anschließend von einem Schüler einen Ball zugeworfen. Er fängt den Ball und legt ihn neben sich. Vier Schülerinnen kommen aus dem Umkleideraum in die Halle und gehen Richtung Sitzkreis. Immer mehr SchülerInnen haben sich kreisförmig hingesetzt.
Die Lehrperson hat über ihre Unterlagen am Boden bereits einen Raum vorstrukturiert, der später weiter ausgefüllt wird, und in dem der Sitzkreis zur Begrüßung der Stunde hergestellt wird. Mit dem Hinsetzen der Lehrperson wird auch hier das Zusammenkommen im Sitzkreis und der gemeinsame Beginn signalisiert. Der LehrKörper dient als Informationszeichen, das sich nach einer anfänglichen Beobachtung der SchülerInnen setzt und dabei wieder von den SchülerInnen beobachtet wird, die sich im Anschluss langsam zusammenfinden. Im Vergleich zur Szene (21) und ähnlich zur Szene (22) wird durch die kreisende Handbewegung und den Blick der Lehrperson zu einer Schülergruppe nachjustiert, um auch diese Gruppe auf die Signalisierung aufmerksam zu machen und sie somit noch zu verstärken. Die kreisende Handbewegung verweist auf die herzustellende kreisförmige Form. Die SchülerInnen stellen ihr Spiel ein und kommen anschließend im Kreis zusammen. Nur über die Positionierung des Körpers und eine feine Nachjustierung werden die Tätigkeitsabläufe der Akteure synchronisiert. Die ergänzende kreisende Handbewegung wirkt in diesem Falle beschleunigend auf den Prozess der Herstellung einer Ordnung, weil dadurch die Gruppe in ihrem Spiel gestört wurde und so auf das Zusammenkommen aufmerksam gemacht wurde. Doings that say something sind in ihrer routinisierten Verwendung als Informationszeichen für die beteiligten Akteure eindeutig zu verstehen und
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vereinfachen die Handlungskoordinierung im Sportunterricht. Die Körper der Akteure werden selbst zu Informationszeichen an denen abgelesen wird, worum es sich gerade handelt, dabei können ergänzende Gesten eine Beschleunigung der Handlungskoordinierung bedeuten, wenn eine Eindeutigkeit und ein gegenseitiges Verständnis der Gesten vorhanden ist. (23) #15 01:55-02:14 Lm nv
Sx nv
01:55 (Still-6-3) Steht in der Halle und beobachtet die SchülerInnen. Klatscht vier Mal in die Hände.
Spielen in der Halle mit Badmintonschlägern und Bällen. Nach dem Klatschen laufen einige SchülerInnen zum Mittelkreis.
01:58 Nimmt sich einen Ball und einen Badmintonschläger aus einem Kasten und begibt sich in die Hallenmitte. Sammeln ihren Ball ein, begeben sich zum Mittelkreis und setzen sich.
02:09 Hockt sich zu den SchülerInnen an den Mittelkreis.
Sitzen am Mittelkreis.
In den Szenen (21 und 22) sind es zunächst die Lehr-Körper und anschließend die Körper der SchülerInnen selbst, die als Impuls und Orientierung für das Handeln der Akteure angenommen werden. Akustische Signalisierungen, ausgehend von der Lehrperson, zeigen eine Differenzierung auf, um für einen gemeinsamen Fokus zu sorgen. Das viermalige Klatschen scheint auf einem kollektiven Wissen zu beruhen, das es ermöglicht aus diversen individuellen Handlungssträngen einen kollektiven Handlungsstrang herzustellen. Es ist anzunehmen, dass dies nicht bei dreimaligem oder fünfmaligem Klatschen der Hände gelingt, sondern die Anzahl und die Tätigkeit des Klatschens auf einer Eindeutigkeit beruhen und als ein spezifisches Informationszeichen fungieren. Die Lehrperson muss für die SchülerInnen nicht sichtbar, jedoch hörbar sein, was bedeutet, dass das Klatschen in der Halle dementsprechend laut vollzogen wird. Die Lehrperson ist mit ihrem Körper der Klasse zugewandt und vollzieht das Klatschen laut und eindeutig (Still-6-3). Der Blick der Lehrperson zur Klasse, das Klatschen und das darauffolgende Zusammenkommen im Sitzkreis können als ein Nexus of doings and sayings verstanden werden, der von den Akteuren routinisiert entziffert wird. Die Entzifferung zeigt sich über die beobachtbaren und geordneten Handlungen. Entgegengesetzt zum stummen körperlichen Vollzug, ist die akustische Signalisierung für alle in der Halle direkt hörbar, dies belegt sich vor allem durch den schnellen und reibungslosen Ablauf der Zusammenkunft. Es wird keine Nachjustierung vollzogen und auch die SchülerInnen orientieren sich annähernd synchron in die Hallenmitte, ohne über die Beobachtung anderer MitschülerInnen die Situation zu erkennen. Während zuvor das stumme Signal über den Körper transportiert wurde bzw. der Körper das stumme Signal war, ist der Körper in Szene (23) ausschlaggebend für die Entstehung des akustischen Signals, welches dann für die folgenden Handlungen als eindeutiges Informationszeichen ausschlaggebend ist.
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(24) #06 05:14-05:34 Lm nv
Sx nv
Lm nv Sx nv
05:14 Betritt die Halle, hält in der rechten Hand eine gelbe Karte und in der linken Hand eine Pfeife. Laufen kreuz und quer in der Halle umher.
05:16 Blickt in die Halle und pfeift zwei Mal, geht zu ihren Unterlagen auf einer Langbank. Laufen mit ihren Materialien in Richtung des Geräteraumes und verstauen ihr Material.
05:25 Nimmt sich einige Unterlagen und geht in die Hallenmitte.
05:30 (Still-6-2) Streckt den rechten Arm aus und macht zwei Mal eine kreisende Armbewegung, anschließend setzt sie sich hin. Kommen zu Lw und setzen sich zu ihr im Kreis zusammen.
In dieser Szene wird die Pfeife als Artefakt in die Praktik der Herstellung einer Zusammenkunft verwoben. Über akustische Signale können im Sportunterricht räumliche Distanzen überwunden werden. Wie auch das Klatschen wird der Pfiff mit dem Körper zur Klasse vollzogen. Die Signale werden an die Gruppe gerichtet; auch wenn nicht jeder den Vollzug der Tätigkeit zu diesem Zeitpunkt sieht, ist der Pfiff für alle hörbar. Ein routinisierter Vollzug zeigt sich, indem die SchülerInnen in den Geräteraum laufen, ihr Material verstauen und im Anschluss in die Hallenmitte laufen. Dort hat die Lehrerin über eine kreisende Armbewegung bereits einen Raum angezeigt, der nun von den anlaufenden SchülerInnen weiter ausgestaltet wird. Diese Nachjustierung anhand einer Geste bezieht sich auf die Herstellung eines Sitzkreises als Raum einer Zusammenkunft und ist somit von der Kodierung der Pfeife zu trennen. In den Szenen (21) und (22) ist ebenfalls aufgefallen, dass die Räume nicht nur in der Mitte der Halle hergestellt werden, sondern auch über Linien auf dem Boden ausgerichtet sind. Diese Linien werden nicht direkt verbalisiert oder thematisiert, aber alle Körper scheinen sich an der Kreislinie auszurichten. Die Linien in Sporthallen werden dadurch zu einem mit Wissen aufgeladenen Artefakt, das stumm genutzt wird. Die unkomplizierte Ausrichtung der Körper an den Linien in den vorherigen Szenen wird in Szene (24) deutlich, weil dort die Lehrerin durch eine ergänzende Geste (ausgestreckter, kreisender Arm) erst den Raum für den herzustellenden Raum signalisieren muss. Aufgrund der fehlenden Linie eines Mittelkreises müssen hier ergänzende Tätigkeiten in die Praktik verwoben werden, was wiederum die konstitutive Funktion von eingewobenen Artefakten in Praktiken hervorhebt. Auslösende Signale für die Etablierung eines Raumes müssen nicht von allen gesehen werden, weil die nachkommenden SchülerInnen sich an den Körpern der sitzenden SchülerInnen orientieren. Über den routinisierten Vollzug, durch den Prozess des Decodierens, werden Spielräume sozialen Handelns marginalisiert. Eine Ordnung entsteht über die Orientierung an Körpern und ihrer Konstellation über eine doppelte Kodierung der Signalisierung. Der Pfiff als unverkennbares Informationszeichen trägt im Sportunterricht neben der alltäglichen Bedeutung zur Herstellung von Aufmerksamkeit weitere Kodierungen in sich. Nach dem Pfeifen oder auch dem Klatschen der Lehrperson räumen die SchülerInnen ihre Materialien zusammen, verstauen sie, unterbrechen ihre Gespräche und kommen im Kreis zusammen. Neben dem Abbruch von vorherigen Tätigkeiten und dem Zusammenkommen ist auch das
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Wegräumen vom genutzten Material im Pfiff der Lehrperson verankert. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang ebenfalls der zeitliche Aspekt, unter dem diese Aktivitäten gelesen werden. Der Pfiff als Signalisierung am Stundenanfang kann eine andere Bedeutung in sich tragen als ein Pfiff im Stundenverlauf, somit wird in diesem Vollzug auch die zeitliche Dimension in der Verwendung und dem Verständnis von Praktiken deutlich. Der Modus des Doings vollzieht sich sprachlos, trennscharf und ohne Zwischenfälle. Die Bewegung und Positionierung des Körpers vollzieht sich in ihrer Eindeutigkeit etwas subtiler als es der klare Pfiff tut, welcher in der Konsequenz einen dynamischeren Vollzug beobachten lässt. Beide Praktiken wirken als organisierendes Moment von Tätigkeitsabläufen, um im Sportunterricht unkompliziert, handlungsentlastend und zügig eine soziale Ordnung zu etablieren. Nexus of signals – Sayings that do something Der Einsatz des Körpers kann zur eindeutigen Signalisierung und damit als Informationszeichen eingesetzt werden, so dass dieses von den Teilnehmern gelesen und decodiert werden kann. Der stumme Gebrauch wird durch ein häufig stummes Folgen bestätigt und Sportunterricht wird am Laufen gehalten – in der Phase der Koordination: zum Laufen gebracht. Eine Signalverwendung über die Codierung der Sprache bewirkt ebenfalls eine Orientierung der Akteure im Tun. Sprache kann selbstverständlich nicht ohne den Körper stattfinden, jedoch wird in den folgenden Szenen deutlich, dass sayings im Vordergrund stehen, die dann über den Körper ergänzt werden.
Still-7: Sayings
1)
2)
3)
(25) #01 02:12-02:25 02:12 (Still-7-2)
02:14 So ihr lieben.
Lm nv
Kommt von einer Hallenseite und begibt sich in die Mitte der Halle.
Geht weiter zur Hallenmitte und positioniert sich vor den SchülerInnen.
Sx v Sx nv
(Unterhalten sich) Sitzen auf der Fensterbank und den Langbänken.
Gespräche unter den SchülerInnen werden leiser.
Lm v
02:18 einigen habe ich es schon gesagt, letzte Stunde für uns, im Team, ihr und mich Geht weiter Richtung Hallenmitte, bleibt dann vor den SchülerInnen zentral stehen und schaut sie an. Bewegt seinen rechten Arm vor und zurück. Gespräche verstummen, schauen zu Lm.
204 | S OZIALE ORDNUNG IM S PORTUNTERRICHT
(26) #04 04:59-05:12 Lm v Lm nv
Sx v Sx nv
04:59 (Pfiff) Geht durch die Halle, nimmt seine Pfeife in die rechte Hand und pfeift einmal. (Gespräche)
05:02 ich möchte gern, dass wir uns, hier treffen heute. Schaut in der Halle umher und macht eine Halbkreisbewegung mit seinen Armen vor seinem Körper.
05:06
Gespräche unter den SchülerInnen werden leiser.
Laufen zu Lm und setzen sich auf den Hallenboden.
03:11 Uppsalla [1] wunderbar. so, kommt ihr ran? Dreht sich zum Ball und hält ihn fest, hockt sich erst hin und steht dann auf, während er aufsteht, zeigt er mit dem rechten Arm auf eine SchülerInnengruppe auf einer Tribüne. Senkt seinen Kopf im Rücken von Lm und entfernt sich von ihm. (Gespräche) [unv.]
03:15 ja
(27) #13 03:10-03:24 03:10 Lm v Lm nv
Sitzt auf dem Hallenboden vor seinen Unterlagen und greift nach einem Fußball, der an ihm vorbei rollt.
S1m nv
Läuft dem Ball hinterher.
Sx v Sx nv
(Gespräche) Stehen, sitzen oder laufen verteilt in der Halle.
Schaut sich um und winkt umliegende SchülerInnen zu sich, anschließend setzt er sich wieder in den Schneidersitz auf den Hallenboden vor seinen Unterlagen.
(Gespräche) Stehen auf bzw. gehen zu Lm und bilden einen Sitzkreis.
In den transkribierten Szenen werden, jeweils ausgehend von den Lehrpersonen, Signale vollzogen, die zunächst die Aufmerksamkeit der Teilnehmer auf die Lehrperson lenken. In Szene (25) vollzieht sich dies zunächst nur über die Sprache und wird anschließend durch den Körper ergänzt (siehe auch Still-7-2). In Szene (26) wird erneut die Pfeife hinzugezogen, um die Aufmerksamkeit zu erlangen und in Szene (27) ist es ein Artefakt – der Spielball –, der entzogen wird und im Anschluss ebenfalls durch die Sprache und den Körper ergänzt wird. Diese Signale wie: ››So ihr Lieben‹‹; ››So, kommt ihr ran?‹‹; ein Pfiff oder das Entziehen eines Spielgerätes sind zunächst noch keine konkreten Fokussierungen, sondern eine vorbereitende Fokussierung für die Herstellung von Aufmerksamkeit, die anschließend einer Konkretisierung bedarf. Es zeigt sich, dass die öffentliche Verwendung von Signalwörtern den Lehrpersonen vorbehalten ist und sich diese in der Gestaltung von Übergängen wiederfinden. Die Verwendung von Signalwörtern im alltäglichen Gebrauch wird selbstverständlich auch von allen Teilnehmern verwendet, aber dann handelt es sich im sportunterrichtlichen Geschehen nicht um Szenen des Übergangs oder Szenen gemeinsamer Fokussierungen von Handlungssträngen.10 In den Doings that say something ist deutlich 10 Es konnte auch beobachtet werden, dass es zur Verwendung von Signalwörtern kam, die nicht laut, sondern von den Lehrpersonen leise ausgesprochen wurden (bspw. Szene (8)). Durch die Verwendung eines Mikrophons konnten auch solche leisen Selbstgespräche aufgezeichnet werden. Diese Signale galten nicht der Öffentlichkeit. Solche intimen Signale
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geworden, dass die Pfeife eine mehrfache Kodierung in ihrer Verwendung mit sich trägt. Der Pfiff in Szene (26) offenbart diese Kodierung nicht und wird nur als Signal der Aufmerksamkeit verstanden. Deshalb lässt sich der Pfiff an dieser Stelle auch in enger Verbindung zu den weiteren Signalwörtern verstehen, die ebenfalls die Aufmerksamkeit auf die Lehrperson richten lassen und anschließend mit weiteren sprachlichen Ausführungen oder Handlungen weiter gefüllt werden. Solche Handlungen zeigen sich in der Bestätigung der SchülerInnen durch das Einkehren von Ruhe. Es scheint, als ob die Signale für sich allein genommen im Geschehen unbeachtet bleiben oder zu Verwirrung führen würden, weil eben das Wissen im sozialen Kontext an die Signale gekoppelt ist. Die Verwendung von Artefakten (und darunter fällt auch der Entzug von Artefakten) als erstes Informationssignal an die Umgebung lässt eine Fokussierung entstehen, der durch die Kopplung mit weiteren Handlungen gefolgt wird. Insofern könnte man hier auch von doings that arrange sayings sprechen. Elementar für diese Kategorie sind die sprachlichen Äußerungen, die konstituierend für eine gemeinsame Fokussierung sind. Das weitere Ausfüllen der vorbereitenden Fokussierung liegt in den weiteren Ausführungen der Sprache. Nach einer Ankündigung folgt die Konkretisierung dessen, was zu tun ist (ein Zusammenkommen an einem bestimmten Ort, Ruhig-Sein oder die einführenden Worte in die Stunde), um den Rahmen der Situation zu verdeutlichen. Sprechpausen bilden nicht selten einen Hinweis für die Teilnehmer ihre Gespräche einzustellen (Szene (26)) und der Lehrperson zuzuhören. Für die Herstellung lokaler Ordnungen werden Gesprächspausen gesetzt, die von Blicken der Lehrperson zu den SchülerInnen begleitet werden, oder es werden Hebungen und Senkungen im Tonfall vollzogen, die Gespräche und Handlungen bei den SchülerInnen einstellen lassen. Sayings dienen somit der Herstellung einer Aufmerksamkeit, die dann in eine Handlungskoordination übergeht mit der Konsequenz, dass mit der Herstellung von Aufmerksamkeit auch Ruhe unter den SchülerInnen eintritt und der Fokus auf die Lehrperson gerichtet wird; letztendlich also eine Verständigung über die Situation entsteht. Im Rahmen der doings verlief dieser Prozess subtiler, so dass ein gezieltes körperliches Agieren als unmittelbares sprachliches Äquivalent angesehen werden kann. In den Ausführungen wird bereits deutlich, dass die Körperlichkeit eine begleitende Größe dieser Subkategorie darstellt. Die Körperausrichtung während des Pfiffs (Still-7-3), die Körperpositionierung beim Sprechen (Still-7-1 und 7-2), das gleichzeitige Heranwinken und Zeigen oder die Blicke, die Gesprächspausen begleiten, verdeutlichen den Nexus von Praktiken. Der Lehr-Körper kann durch das Sprechen den Einsatz des Körpers nicht entziehen, allerdings wirkt eine zentrale Positionierung11 oder das Anzeigen eines Ortes ergänzend als Informationszeichen für die scheinen eine Ankündigung des Übergangs einer neuen bzw. den Abschluss einer vorherigen, inneren Klammer für die Lehrperson zu bedeuten. 11 Die zentrale Positionierung (siehe vor allem Still-7-1 und 7-2) zeigt Parallelen zum Klassenunterricht. Auch dort befindet sich die Lehrperson häufig frontal zur Klasse. Mit dem wichtigen Unterschied, dass die Lehrperson diese Positionierung ohne festinstallierte räumliche Rahmung wie einen Tisch, eine Tafel o. ä. inszenieren muss. Die zentrale Positionierung hat im Sportunterricht die Funktion alle sehen zu können und gleichzeitig für alle
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SchülerInnen und konstituiert in Verbindung mit der Sprache ein organisierendes Moment von Tätigkeitsabläufen im Sportunterricht, das Spielräume in der gemeinsamen Herstellung lokaler Ordnungen marginalisiert. Zusammenfassung und Theoretisierung: Was wurde durch die Analyse der Koordination vor dem Hintergrund der Problemstellung dieser Arbeit deutlich? In diesen Szenen lässt sich nicht von einer Unordnung sprechen, weil es zu keinerlei Irritationen, Störungen oder weiteren Zwischenfällen gekommen ist. Eine soziale Unordnung könnte dementsprechend in Irritationen, Verstößen gegen die kulturellen Normen und Regeln, in gewisser Weise in einer Entfremdung der routinisierten Performanz liegen. Es gibt im Vorfeld gewisse Mechanismen der Verständnissicherung, die greifen, um eine soziale Ordnung (hier noch relativ unfokussiert) hervorzubringen. Das Wissen über ein angebrachtes Verhalten und gewisse Normen in einer Sporthalle sind in den Akteuren implizit verankert. Sie scheinen ein inkorporiertes Wissen abzurufen, welches durch Körper aktiviert und gleichzeitig bestätigt wird. Das Tun des Lehr-Körpers bewirkt ein Tun und auch ein Unterlassen des Tuns der teilnehmenden Körper, wobei beides auf einem inkorporierten Wissen beruht und hier aufzeigt, wie selbstverständlich soziale Ordnung hergestellt wird. Gerade der schulische Kontext wirkt hier mit seinen kollektiven Wissensbeständen auf die Akteure ein (vgl. auch Gebauer & Wulf, 1998, S. 121ff.) – der Sportunterricht bildet eine innere Klammer im Laufe des Schultages. Die Herstellung einer fokussierten Aufmerksamkeit, in gewisser Weise ein ››Arbeitsinterim‹‹ (Krummheuer, 1983), konkretisiert die soziale Ordnung im Sportunterricht und ermöglicht Verständigungsprozesse. Das Engagement der Teilnahme, der Verzicht auf ein Unterlaufen der impliziten Regeln und die zumindest beobachtbare Bestätigung kollektiver Wissensbestände sind Elemente, die aufzeigen, wie Sportunterricht, in der Phase einer Koordination, zum Laufen gebracht wird. Im Rahmen einer Fokussierung der sozialen Ordnung kommt die Körperlichkeit ohne die Sprache, die Sprache jedoch nicht ohne die Körperlichkeit aus. Die hier getroffenen Kategorisierungen der Frei-Räume und der Organisation innerhalb der sportunterrichtlichen Gleitzeit zeigen ein routinisiertes Vorgehen der Akteure bei der Einnahme von Räumen und der Vorbereitung auf den Unterricht. Die sportunterrichtliche Gleitzeit ist geprägt von einem Übergang der Räume, des Inhalts und der Ausstattung. Die Akteure begeben sich von einem Klassenraum in eine Sporthalle, womit auch schließlich der Übergang von einem Fach mit (wahrscheinlich) eher sitzender Tätigkeit zu einem Fach mit nun vorrangig körperlicher Aktivität wechselt. Dazu müssen die SchülerInnen nicht nur ihr gewohntes UnterrichtsEquipment wie Stifte oder Bücher, sondern auch die Unterrichts-Umwelt wie Stühle, Tafel oder Tische hinter sich lassen. Weiterhin bedarf es auch noch einer speziellen Bekleidung, die sie zur Teilnahme am Sportunterricht berechtigt. Die sportunterrichtliche Gleitzeit lässt sich in dieser Studie unterschiedlich differenzieren. In den Frei-Räumen sportunterrichtlicher Gleitzeit dominiert für die SchülerInnen eine nicht angeleitete und wenig strukturierte Phase, die von der Lehrperson sichtbar zu sein, das ist gerade im Hinblick auf die räumliche Freiheit in der Sporthalle elementar.
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für erste Vorbereitungen unterrichtlicher Arrangements genutzt werden kann. In einer organisierenden Gleitzeit nutzen Lehrpersonen immer auch die Unterstützung der SchülerInnen für Geräteaufbauten o. ä. und entlassen sie anschließend wieder in die Frei-Räume. Als Kontrast zu den Frei-Räumen finden sich in der angeleiteten Gleitzeit erste Spuren unterrichtlicher Anlässe, in der Lehrpersonen motorische Aufgaben vergeben und den Zugang zu Räumlichkeiten reglementieren. Diese Charakterisierung von Stundenbeginn und Unterrichtsbeginn lässt sich mit Goffman (1977) anhand der theoretischen Figur von ››Spiel‹‹ und ››Spektakulum‹‹ (Goffman, 1977, S. 289) weiter schärfen. ››[U]m das Theater als Beispiel zu nehmen: wenn das Publikum noch nicht recht mit Zuschauen begonnen oder zeitweise in dieser Beziehung nachgelassen oder gerade mit Zuschauen aufgehört hat, dann ist seine Eigenschaft als Theaterbesucher für sein Verhalten maßgebend‹‹ (ebd.). Das Spektakulum kann in diesem Rahmen als ein Übergang zum Spiel ››von den umhüllenden zu den umhüllten Ereignissen‹‹ (ebd.) bezeichnet werden. In gewissem Sinne findet hier im Rahmen des Sportunterrichts der Übergang von einem informellen (Spektakulum) zu einem formellen (Spiel) Vorgang statt, der bereits durch den Stundenbeginn umrahmt ist und den beteiligten Akteuren dabei hilft auf die ›››wirklichen‹ Ereignisse warten zu können‹‹ (ebd., S. 293). So gehört das Spektakulum zur Sportunterrichtsstunde und kann wahrscheinlich in gewisser Weise ausgedehnt oder verkürzt werden – im ››gewisse[n] Sinne ist es zeitlose Zeit‹‹ (ebd.). Allerdings nur in gewisser Weise. Auch das Spektakulum unterliegt einer Ordnung, die Erwartungen der Akteure enthält und nur in Grenzen ausgedehnt oder verkürzt werden kann. Anzunehmen wäre, dass es problematisch werden könnte, wenn die SchülerInnen nicht mehr mit den Materialien spielen, wie sonst zum Stundenbeginn üblich oder wenn nach zu langer Zeit immer noch nicht die Lehrperson den Unterrichtsbeginn angezeigt hat. Die sportunterrichtliche Gleitzeit ist kulturspezifisch ritualisiert und kann als umhüllendes Ereignis verstanden werden, in der bereits vor dem offiziellen Unterrichtsbeginn eine Unterrichtsbereitschaft vorbereitet wird. Von den Lehrpersonen wird, wie in der Organisation und Sicherheit der sportunterrichtlichen Gleitzeit gezeigt werden konnte, eine Präsenz erzeugt, die im Spektakulum zentral ist, um das selbige zu erzeugen. Somit beginnt der Sportunterricht, bevor Sport unterrichtet wird und die sportunterrichtliche Gleitzeit dient einer Vorbereitung und einem Anzeigen einer Bereitschaft, die von den Teilnehmern bereits als Sportunterricht anerkannt wird, weil sie im Sinne Goffmans die Eigenschaften von Akteuren im Sportunterricht annehmen und vollziehen.12 Der Sportunterricht grenzt sich in diesem Sinne zeitlich, durch die festgelegte zeitliche Choreographie des Stundenplanes, von anderen Unterrichtsstunden ab. Die
12 An dieser Stelle zeigt sich die enge Verknüpfung der Kategorien. Das Signalisieren von Bereitschaft über die äußere Erscheinung kann auch unter der Kategorie der Signale eingeordnet werden. Für die sportunterrichtliche Gleitzeit ist diese Form der Signalisierung jedoch konstituierend, weil die SchülerInnen ohne Sportzeug in der Sporthalle erstens das Ereignis womöglich nicht als Sportunterricht rahmen würden und zweitens die Halle in Straßenkleidung theoretisch gar nicht betreten dürften.
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Grenzen dieser Phase werden anhand von Markierungen deutlich, die ausschließlich von Lehrpersonen gesetzt werden.13 Zeitliche Klammern scheinen im Sportunterricht eine eigene Dimension zu besitzen, da der Beginn und das Ende des Unterrichts nicht unbedingt über einen Gong materialisiert werden. Durch die Umkleidezeiten und die Wege zur Sporthalle werden weitere Aspekte in den Sportunterricht einbezogen, die jedoch räumlich anders geklammert sind und somit der klassische sprachliche Hinweis auf den bereits ertönten Gong im Sportunterricht anders umgesetzt werden muss. Die eingeführte Figur von Spiel und Spektakulum bietet eine Möglichkeit diese alternative Klammer zu beschreiben und zu analysieren. Es wird deutlich, dass die zeitlich festgelegte Choreographie der Institution Schule im Sportunterricht entkräftet wird und an ihre Stelle andere Dimensionen treten – Partizipanden. In allen Szenen sind es neben der körperlichen Komponente im Nexus of Signals, die zunächst die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, um sie dann umzulenken, vor allem auch die zeitlichen und räumlichen Komponenten, die ausschlaggebend für lokale Ordnungen sind. Die vollzogenen Signale werden von den Akteuren im Rahmen der sportunterrichtlichen Gleitzeit gelesen und entziffert, die sie dann im eigenen Handeln dementsprechend umwandeln. Die Setzungen von Signalen können als Informationszeichen verstanden werden, die als Anzeigehandlungen dienen und ››mit deren Hilfe andere Zeichen zu einer in sich stimmigen Deutungseinheit zusammengebunden werden‹‹ (Soeffner, 2004, S. 164). So werden bspw. die Anordnungen von SchülerInnen zu einem Informationszeichen für andere SchülerInnen. Wesentlich ist, dass es in allen Situationen keine Zwischenfälle gab, die einer Nachkorrektur und Verdeutlichung der Situation im Sinne einer grundlegenden Aushandlung bedürfen. Die situative Eindeutigkeit der Signale stößt auf ein soziales Verständnis. Mit dem Fokus auf die Situation gewinnt die zeitliche Komponente an Relevanz. Die Situation der sportunterrichtlichen Gleitzeit lässt die Erwartungen der Teilnehmer bereits leiten, so dass ritualisierte Signale im Kontext ritualisierter Übergänge zum Stundenbeginn Spielräume im sozialen Handeln marginalisieren. Die vollzogenen Praktiken sind situationsübergreifend zu verstehen, da diese Signale auch in anderen situativen Kontexten angewendet werden können und dann dementsprechend entziffert werden. Ein weiterer Aspekt bezieht sich auf die Räumlichkeit. In den dargestellten Szenen wird aus einer Streuung der Akteure in der ganzen Halle eine Bündelung der 13 Ein institutionalisiertes Zeichen, das die festgelegte zeitliche Choreographie widerspiegelt, ist der Gong. Als materialisiertes Zeichen ist der Gong in der Schule ein eindeutiges Zeichen für die Akteure dafür, wo und dass sie sich zusammenfinden müssen. Eine tiefergehende Auseinandersetzung mit dem Gong in der Schule ist durchaus interessant, da sich die Akteure auf unterschiedliche Art und Weise auf die nächste Unterrichtsstunde und nun bevorstehende Pause einstellen und ihre Handlungen dementsprechend koordinieren. In dieser Studie wurde vereinzelt neben der Sportunterrichtsstunde auch der Weg vom Klassenraum zur Sporthalle gefilmt. Das zu analysierende Material beschränkt sich jedoch auf die Sporthalle als spezifischen Raum unterrichtlicher Interaktionen. Eine ausführliche ethnographische Analyse über den Gong in Schulen findet sich bei Kalthoff (1997). Im erhobenen Material trat der Schulgong im Rahmen von Doppelstunden nur vereinzelt auf und wurde von den Akteuren thematisch nicht relevant gemacht.
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Körper zu einem Kreis oder zu einer Linie an einer Wand. Die Verdichtung der Körper unterstützt die gemeinsame Fokussierung und lässt einen gemeinsamen Handlungsstrang entstehen, der dann in die Phase der Konstitution gleitet. Im sportunterrichtlichen Raum kann der Körper ähnlich eindeutig sein wie akustische Signale (ein Pfiff oder ein Klatschen). Der Lehr-Körper kann dann als ein stummes und sichtbares Signal verstanden werden, dem die SchülerInnen fraglos nachkommen. Im Sinne eines Nexus of doings ist das Spezifische an dieser Situation die Alleinstellung des Körpers und seine Positionierung im Raum sowie die blicklose Signalisierung, die über Blicke der SchülerInnen decodiert wird, wodurch gleichsam die SchülerInnen-Körper zum Signal für andere SchülerInnen werden. Doings that say something können in ihrer routinisierten Verwendung als Informationszeichen für die Beteiligten verstanden werden, die eine Handlungskoordinierung im Sportunterricht vereinfachen. Die Körper der Akteure werden selbst zu Informationszeichen, an denen abgelesen wird, worum es sich gerade handelt, dabei können ergänzende Gesten der Lehrperson eine Beschleunigung der Handlungskoordinierung bedeuten, wenn eine Eindeutigkeit und ein gegenseitiges Verständnis der Gesten vorhanden ist. Das körperliche Agieren wird somit zum unmittelbaren sprachlichen Äquivalent. Die Herstellung von Aufmerksamkeit wird durch körperliche und akustische Signale vereinfacht. Gerade in der sportunterrichtlichen Gleitzeit, die vom Spielen und Umherlaufen geprägt ist, erlangt der Körper zunächst allein keine Aufmerksamkeit, weshalb in diesen Situationen häufig ein akustisches Signal Verwendung findet. Die Herstellung von Aufmerksamkeit über den Körper ohne akustische Signale in einer spielerischen Gleitzeit benötigt mehr Zeit, bis sich die teilnehmenden Akteure am LehrKörper orientieren. Erst nachdem erste SchülerInnen sich bei der Lehrperson einfinden, folgen wie durch einen Sogeffekt die anderen SchülerInnen. Innerhalb der Koordination ist die Sprache eine marginalisierte Größe und wird, wenn sie als konstituierend anzusehen ist, ausschließlich von den Lehrpersonen verwendet. Als Mittel zur Herstellung von Aufmerksamkeit wird sie zum einen immer auch über die Positionierung des Körpers oder für die Konkretisierung der Signalisierungen genutzt. Die Freiheit frei zu sprechen wird den SchülerInnen in der sportunterrichtlichen Gleitzeit ermöglicht, sie endet jedoch mit den konstituierenden Sprachelementen der Verständnissicherung (wie die Signalwörter und deren Auffüllung) durch die Lehrperson.14 Signale werden routinisiert verwendet und durch die wiederholte Verwendung im Sportunterricht auch routinisiert decodiert, weil sie auf kollektiven Wissensbeständen beruhen. Gesten, Sprache, Artefakte und ein Nexus dieser Tätigkeiten im Vollzug haben bei der Hervorbringung von Signalen eine Rahmungsmacht. Die Eindeutigkeit der Signale und deren Anschlusshandlungen sind konstituierend für die Koordination sozialer Situationen. Die Phase der Koordination bezieht sich mit ihren inhärenten Praktiken (der sportunterrichtlichen Gleitzeit, der Organisation, der Sicherheit und den differenzierten Signalisierungen) auf die Koordination zukünftiger Geschehnisse. Der Verweis auf zukünftige Ereignisse vollzieht sich jedoch nur so routinisiert, weil die Akteure sich auf gemeinsam vereinbarte und auf institutionalisierte Wissensordnungen berufen können, die über Wiederholungen inkorporiert worden sind. Der ak14 Im weiteren Verlauf der Arbeit wird in der Kategorie des Spiels vertieft auf das Management von Gesprächsreservaten eingegangen.
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tuelle routinisierte Vollzug geschieht in situ, aber verweist auf zu vollziehende Ereignisse. So bezieht sich die Organisation von Aufbauten auf kommende unterrichtliche Elemente, die Signalisierungen auf eine zu gestaltende Zusammenkunft, die Sicherheit auf eine sportunterrichtliche Unterrichtsbereitschaft und die Gleitzeit auf eine (un-)spezifische Erwärmung bzw. organisatorische Einstimmung auf den Sportunterricht.
Konstitution
Konstitution: ››weil dann geht das eigentliche Spiel los‹‹
Entkleidung Körper-Ordnung Kulturelle Kohärenz
Getreu dem aufgestellten Spielplan, schließt sich nach der Koordination die Konstitution an. Die Phase der Koordination offenbart Vorbereitungen zur Herstellung einer lokalen Ordnung und einer Unterrichtsbereitschaft, indem sich die beteiligten Akteure ihre gegenseitige Bereitschaft über unterschiedliche Informationszeichen anzeigen und differenzierte Umgangsweisen mit einer sportunterrichtlichen Gleitzeit vollziehen. Die Differenzierungen einer Gleitzeit sind in dieser Phase ausschlaggebend für unterschiedliche Aspekte der Organisation und Strukturierung auf Seiten der Lehrpersonen und auf Seiten der SchülerInnen. Die Subkategorie der Signale verdeutlichte bereits, dass im Folgenden eine zentrierte Interaktion vorgenommen werden soll und kündigte die Phase der Konstitution bereits an. Worum geht es nun konkret in der Konstitution? Während zunächst aufgezeigt wurde, welche Signale eingesetzt werden und in welche Praktiken sie verwoben sind, geht es in der Konstitution darum, welche Verständigungen zwischen den Akteuren betrieben werden, um eine zentrierte Interaktion vorzunehmen und mit dem Sportunterricht zu beginnen. In der Phase der Konstitution geht es in gewissem Sinne um unterschiedliche Facetten einer Anordnung der und durch die Partizipanden. Auch an dieser Stelle sollen dabei die Grundelemente einer Theorie sozialer Praktiken fokussiert werden: die Artefakte, die Körperlichkeit und die skillful performance. Die Setzung von Anfangsklammern wurde bereits einführend in der Phase der Koordination beschrieben. Demnach ist es aufwendiger einen Rahmen zu setzen und die Anfangsklammer zu verdeutlichen, als die Schlussklammer einer sozialen Situation. In einer Konstitution sind es die Akteure, die gefordert sind aus dem Spektakulum ein Spiel werden zu lassen. Die Funktion der Konstitution liegt in der Herstellung einer Fokussierung, somit muss aus diversen individuellen und teil-kollektiven
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Handlungssträngen ein gemeinsamer Pol der Aufmerksamkeit hergestellt werden. Infolgedessen wird es nun darum gehen herauszuarbeiten, welche Praktiken zu beobachten sind, die körperlich und materiell in einer skillful performance in Erscheinung treten. Signalisierungen, wie sie oben offengelegt wurden, können als eine Art ››Brücke‹‹ (Goffman, 1977, S. 297) verstanden werden, die Vorgänge des Spiels von Vorgängen des Spektakulums trennt. Zentrale Subkategorien, die aus dem Material extrahiert werden konnten, sind die Entkleidung, die Körper-Ordnung und die kulturelle Kohärenz.
Konstitution
E NTKLEIDUNG
Still-8: Entkleidung 1)
Entkleidung Körper-Ordnung Kulturelle Kohärenz
2)
3)
Im Zuge der Datenerhebungen war es möglich die erste Sportstunde einer ersten Klasse zu videographieren. Betreten SchülerInnen ››eine Institution neu, stehen sie zunächst einer fremden Situation gegenüber‹‹ (Landau, 1979, S. 44). An die neuen Teilnehmer werden Erwartungen gestellt, die ihnen zunächst nahegelegt werden müssen, damit sie diesen gerecht werden können. Paschen (1963) formuliert die Zielsetzung einer ersten Sportstunde wie folgt: ››Die Kinder sollen Ordnung lernen‹‹ (ebd., S. 18). Die folgende Szene (siehe auch Still-8-1) zeigt, im Rahmen der Konstitution, eine Situation, in der die Lehrperson die SchülerInnen darüber informiert, wie ein typischer Stundenbeginn aussieht. Die SchülerInnen haben die Möglichkeit sich Material aus den Schränken zu holen und damit in der Halle zu spielen.1 Sobald die Lehrperson pfeift, bringen alle Kinder ihr Material wieder zurück in den Schrank und kommen in den Sitzkreis zusammen. Die erste Sportunterrichtsstunde einer ersten Klasse setzt hier beispielhaft erste Regeln über den Umgang mit Materialien und der Gestaltung eines Stundenbeginns. Der Ablauf wird erklärt, wiederholt und anschließend geübt. Damit finden sich erste Anzeichen einer Anbahnung von Routinisierungen typisierter Handlungen im Sportunterricht, die sich im Laufe der Zeit über Wie1
In den Ausführungen der Lehrkraft liegen erneut Spuren einer sportunterrichtlichen Gleitzeit.
S PIELPLAN : K ONSTITUTION
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derholungen weiter vertiefen – inkorporieren – und nicht mehr versprachlicht werden müssen. In der folgenden Szene wird in diesem Zusammenhang eine Sequenz besonders relevant: (28) #03 00:00-00:26 Lw v
Lw nv
Sx v Sx nv
Lw v
Lw nv S1 v Sx nv
00:00 (Still-8-1) So, jetzt will ich einmal hören was ihr jetzt macht.
Steht vor den Schränken und schaut zu den SchülerInnen vor sich. Hebt beide Arme brusthoch und hebt ihre Zeigefinger.
Nimmt die rechte Hand an den Mund.
Aufräumen, wegräumen. Sprechen gemeinsam, einzelne SchülerInnen melden sich.
Schauen zu Lw.
00:09 Und wegräumen heißt nicht, hinwerfen und schnell wieder zurück, sondern ordentlich in den Schrank. Zeigt abwechselnd in den Schrank und in die Halle.
00:14 und wenn‘s im Schrank ist, was macht ihr dann?
00:17 Perfekt, Tür zu dann muss ich das nicht machen, und dann?
Schaut S1 an.
Schaut zu den SchülerInnen. Tür zu.
Schauen zu Lw. 00:19
S2 v S3 v Sx nv
00:05 wenn ich pfeife, was macht ihr dann?
Stehen vor Lw und den Schränken.
00:21 Wo hinsetzen?
Lw v Lw nv
00:02 ihr nehmt euch eure Sachen, spielt, ihr nehmt euch irgendwas Zeigt abwechselnd in die Halle und wieder auf die Schränke, in denen sich das Material befindet.
Zeigt auf S2. Hinsetzen. Zuschließen. Schauen zu Lw.
Zeigt auf S2 und beugt sich vor.
00:24 Genau, weil dann geht das eigentliche Spiel los. Stellt sich gerade hin und schaut die SchülerInnen an.
In ähm in Sitzkreis.
Anschließend an die Ausführungen über die theoretische Figur von Spektakulum und Spiel, finden sich in der transkribierten Szene Hinweise, die die angesprochene Brücke widerspiegeln. Die Formulierung der Lehrperson: ››Genau, weil dann geht das eigentliche Spiel los‹‹; zeigt sich hier als eine ››In-vivo‹‹-Formulierung (Strauss & Corbin, 1996, S. 50, Herv. i. O.) für die Phase der Konstitution. Auch wenn die Vermutung naheliegt, dass es sich um die Einleitungs-Sequenz eines Spiels handelt, setzt sich, mit Blick auf die weiteren Ereignisse im Unterricht, die Lesart einer synonymen Verwendung von Unterricht und Spiel durch. Die erste Sportunterrichtsstunde einer ersten Klasse ist etwas Besonderes, da die SchülerInnen in dieser Stunde mit den Räumlichkeiten, Regeln und Routinen vertraut gemacht werden. Die sprachliche Wiederholung über den Ablauf des Erlangens, Nutzens und Verstauens des Materials zum Stundenbeginn sowie die anschließenden Tätigkeiten, sind erste Hinweise für die Generierung von kollektiven Wissensbeständen,
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die über erste Schritte der Wiederholung verinnerlicht werden, um eine gemeinsame skillful performance zu vollziehen. Von der Lehrperson wird in der Szene konkret der Vollzug der Tätigkeiten nach ihrer Signalisierung (››wenn ich pfeife‹‹) besprochen und von den SchülerInnen wiederholt. Da im Vorfeld bereits der Ablauf von der Lehrperson beschrieben wurde, ist die erneute Wiedergabe durch die SchülerInnen eine erste Reproduktion der Wissensbestände. Eine weitere folgt im Anschluss auf nonverbaler Ebene über das körperliche Tun, weil die SchülerInnen sich dann Material nehmen können, das sie nach einigen Minuten Spielzeit und aufgrund des Signals der Lehrperson wieder im Schrank verstauen. Dieser Szene liegt die bereits angesprochene doppelte Kodierung des Pfiffs zugrunde, dessen Funktionen in der Entkleidung und der Herstellung einer gemeinsamen Körper-Ordnung liegen. Implizit liegt in dieser Szene eine zentrale Facette sportunterrichtlicher Regularien zugrunde, die Entkleidung vom Material. Erst wenn die SchülerInnen das Material weggeräumt haben, kommen sie im Sitzkreis zusammen und das Spiel kann beginnen. Gezielt greift die Lehrperson eine Äußerung von S2 auf und hebt diese durch eine Wiederholung und gleichzeitige Weiterführung hervor (››wo hinsetzen?‹‹). Die Lehrperson bezieht sich durch ihr Vorbeugen und Zeigen auf S2 zunächst auf eine Schülerin, deren Antwort jedoch, auch durch die Beobachtung der MitschülerInnen, auf diese Art und Weise verdeutlicht wird. Während in dieser Szene das Wegräumen des Materials eingeübt wird, zeigen weitere Szenen diese Notwendigkeit unter Verweis auf den routinisierten Vollzug, der womöglich auf ähnliche Herstellungsprozesse zurückzuführen und über Wiederholungen inkorporiert worden ist. Die Herstellung von Unterrichtsbereitschaft und Aufmerksamkeit konstituiert sich durch die Entkleidung von Materialien, weil so u. a. eine mögliche Unordnung durch ungewollte Aktivitäten mit den Materialien vermieden wird. Auf der Grundlage von geregelten, abgesprochenen und eingeübten Abläufen etabliert sich eine skillful performance für die folgenden Sportstunden. (29) #09 00:04-00:50 Lw v Lw nv Sx nv
00:04 Ze::hn Betritt die Halle. Spielen und laufen in der Halle kreuz und quer umher. Manche spielen mit Bällen, spielen Fangen oder sitzen in Kleingruppen auf dem Hallenboden.
00:06 neu::n Macht die laufende Musik aus. Erste SchülerInnen versammeln sich in der Mitte der Halle.
00:10 a::cht
Einige SchülerInnen bringen ihre Materialien weg, andere spielen weiter.
S PIELPLAN : K ONSTITUTION
Lw v Lw nv
Sx nv
Lw v Lw nv
Sx v Sx nv
00:17 si:eben
00:24 se:chs Geht mit Leibchen im Arm zur Hallenmitte.
Immer mehr SchülerInnen finden sich in der Hallenmitte zusammen und bilden einen Sitzkreis, herumstehende SchülerInnen vom Hallenrand begeben sich langsam in die Mitte, manche spielen noch mit ihren Bällen.
Manche SchülerInnen bringen ihr Material weg und laufen dann zurück in die Halle.
00:36 vier Setzt sich mit in den Kreis, der schon von den SchülerInnen gebildet wurde. (Gespräche werden leiser) Gespräche werden leise, nur noch einzelne SchülerInnen stehen.
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00:31 fü:nf […] Spricht leise mit einer Schülerin und geht weiter zur Hallenmitte. Immer mehr SchülerInnen sitzen bereits im Sitzkreis, umherlaufende SchülerInnen orientieren sich ebenfalls zur Hallenmitte.
00:43 drei Sitzt im Kreis.
00:45 zwei [2 ] eins Schaut den laufenden Schüler an und anschließend durch die Runde.
Ein letzter Schüler schließt die Hallentür und läuft in den Kreis.
Sucht sich einen Sitzplatz und setzt sich schnell hin. Alle sitzen.
Die Szene (29) wurde bereits unter einem anderen Fokus bei der Darstellung der Ankündigungen analysiert. Das Herunterzählen kann als ein Signal bezeichnet werden, das den Akteuren als geräumige Vorbereitung der Herstellung eines gemeinsamen Handlungsstranges dient. Innerhalb dieser Zeitspanne gibt es noch die Möglichkeit weiter zu spielen und sich in der Halle zu bewegen, jedoch muss der Zeitpunkt abgeschätzt werden, an dem das Material noch weggeräumt werden kann und die Angliederung im Sitzkreis zeitlich möglich ist. Die Abstände zwischen den genannten Zahlen werden zum Ende hin immer geringer, evtl. auch weil bereits ein Großteil der SchülerInnen versammelt ist und die Lehrperson sich dem Sitzkreis angeschlossen hat. Interessant ist, dass während die SchülerInnen ihr Material wegräumen und sich im Kreis ordnen, die Lehrperson sich mit Material ausstattet. Diese Verfügungsmacht über das Material im Unterricht ist den Lehrpersonen vorbehalten, da sie Regeln über die Entkleidung der SchülerInnen formulieren und auch signalisieren können, wie noch deutlich werden wird. Das Herunterzählen begleitet den Übergang von der Koordination zur Konstitution. Es handelt sich nicht um ein kurzes Impulssignal, sondern um ein andauerndes Signal mit der Funktion, dass SchülerInnen und LehrerInnen sich vorbereiten können, um im Sitzkreis eine gemeinsame Fokussierung vorzunehmen. Auch hier wird wieder die doppelte Kodierung der Signalisierungen deutlich, weil zunächst die Entkleidung vom Material und anschließend das gemeinsame Zusammenfinden vollzogen werden. Die Lehrperson hat es quasi in der Hand diese Phase der (An-)Ordnung zu beschleunigen oder zu verzögern, somit wird von ihr ein Gefühl für die Situation abverlangt, das vor einer zu langen oder zu kurzen Gestaltung der Inszenierung schützt. Die Funktion dieses organisierenden Moments liegt darin, dass die Akteure sich in kurzer Zeit zentriert versammeln, eine Unterrichtsbereitschaft hergestellt wird
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und die Lehrperson diese Prozesse über den routinisierten Vollzug steuert, wobei sie lediglich die Signalisierung und ihre eigene Positionierung vollzieht. (30) #07 00:01-00:52 Lw v Lw nv
Sx v Sx nv
Lw nv
00:02 (Pfiff, Pfiff)
00:02
Nimmt ihre Pfeife in die Hand und pfeift zwei Mal, dabei schaut sie sich in der Halle um. (Gespräche) Laufen in der Halle umher, spielen teilweise mit Bällen oder mit Rollbrettern.
Direkt nach dem Pfiff macht sie mehrfach eine kreisende Bewegung mit dem rechten Arm.
00:08 Geht zu einem der großen Kästen, die um sie herumstehen und schiebt diesen ein wenig zurück.
00:11 Dreht sich wieder in die Hallenmitte und setzt sich zu den SchülerInnen auf den Boden.
Einige SchülerInnen, die in der Nähe von Lw sind, sammeln sich um Lw herum. Die restlichen SchülerInnen in der Halle laufen zum Geräteraum und bringen ihr Material weg. Wer kein Material wegbringt, setzt sich direkt zu Lw.
Lw v
Lw nv
S2w nv Sx nv
(Gespräche werden leiser) Die SchülerInnen, die in der Nähe von Lw stehen, setzen sich hin bzw. suchen sich einen Platz im Sitzkreis. Die übrigen SchülerInnen befinden sich noch im Geräteraum und auf dem Weg zurück zu Lw. 00:14 Sitzt zwischen den SchülerInnen und schaut zum Geräteraum. (Gespräche und Aufforderungsrufe an einen Mitschüler) S1m, S1m S1m, S1m, S1m.
Sx v
Sx nv
00:07 Setzt euch hin, setzt euch setzt euch.
Setzen sich hin.
Setzen sich in den Sitzkreis. Weitere SchülerInnen kommen nach und nach dazu.
00:24 Hol mal bitte, hol mal bitte meine Schmuckbox. Dreht sich zu S2w und zeigt zur Bank am Hallenrand. Geht zur Bank am Hallenrand. Weitere SchülerInnen kommen nach und nach in den Sitzkreis und setzen sich hin.
00:29
00:33 super (leise)
Schaut immer wieder zum Geräteraum und dann wieder in den Kreis.
Schaut zu S2w und dreht sich dann wieder in den Kreis. Setzen sich hin.
S PIELPLAN : K ONSTITUTION
00:38 Lw v Lw nv
S2w nv Sx nv
Lw v Lw nv S3w nv Sx v
Streckt die Hand aus. Übergibt Lw eine Box.
00:41 danke S2w (leise) Öffnet die Box und nimmt Haargummis heraus, schaut sich um. Setzt sich hin. Weitere SchülerInnen kommen in den Sitzkreis.
| 217
00:46 Schaut zu S3w und wirft ihr ein Haargummi zu.
0:49 gut, alle da? Schaut in die Runde und bindet sich ihre Haare zusammen. Bindet sich ihre Haare zusammen. (Gemeinsam) Ja
Eine annähernd stumme Verständigung in der Abstimmung diverser Handlungsstränge führt in kurzer Zeit dazu, dass sich alle Teilnehmer der Situation in der Phase der Konstitution verständigen und eine gemeinsame lokale Ordnung herstellen. Die gemeinsame Ordnung zeigt sich hier nicht nur im Produkt des Sitzkreises, sondern bereits zuvor in der gemeinsamen Konstitution – im Prozess – der Herstellung von Unterrichtsbereitschaft (Signalisierung, Entkleidung, Zusammenfinden, Einhaltung vereinbarter Regeln). Nach dem Pfiff beginnen die SchülerInnen entweder sofort damit zum Geräteraum zu laufen, um ihr Material zu verstauen und anschließend wieder in die Hallenmitte zu laufen oder sie finden sich direkt in der Hallenmitte zusammen, wenn sie kein Material in der sportunterrichtlichen Gleitzeit genutzt haben. Diese Prozesse bedürfen keiner weiteren sprachlichen Anleitung oder Korrektur, vielmehr zeigt sich ein routinisierter Vollzug der Akteure auf der Grundlage der kollektiven Wissensbestände über die Situation. Über den Prozess der Wiederholung verfestigen sich diese Praktiken, die in den ersten Sportunterrichtsstunden zugrunde gelegt werden. Eine erneute, jedoch zur ersten Szene divergierende, Aufforderung der Lehrerin ist nötig, damit die SchülerInnen sich hinsetzen (››Setzt euch hin, setzt euch, setzt euch‹‹). Nach einer körperlichen Aktivität erfolgt nunmehr der sprachliche Hinweis. So konstituiert sich immer mehr eine körperliche Ordnung der Akteure, weil immer weniger Akteure im Raum umherlaufen und nur noch Materialen im Raum anwesend sind, die im späteren Verlauf benötigt werden. Der Raum und die Körper werden somit für das bevorstehende Spiel arrangiert. Mit zunehmender Teilnehmerzahl im Sitzkreis sinkt auch die Lautstärke in der Halle und es wird ruhiger, bis die Lehrperson das Wort ergreift. Mit dem Schweigen wird eine Unterrichtsbereitschaft angezeigt, die über direkte Blicke der Lehrperson kontrolliert, gleichzeitig angezeigt und über die SchülerInnen durch Ruhe und erwidernde Blicke bestätigt wird.
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(31) #13 00:00-00:22 Lm v Lm nv
Sx v Sx nv
Lm nv
S1m nv Sx v Sx nv
00:00 (Still-9-1) Wunderbar. Sitzt auf dem Hallenboden und greift nach einem Fußball, der an ihm vorbei rollt.
(Gespräche) Sind in der Halle verteilt, spielen Fußball, unterhalten sich in Kleingruppen auf einer Tribüne. 00:09 Setzt sich im Schneidersitz vor seinen Unterlagen hin.
00:02 so, kommt ihr ran? [2] ja Hält den Ball fest, hock sich erst hin und steht dann auf, während er aufsteht, zeigt er mit dem rechten Arm auf eine SchülerInnengruppe auf einer Tribüne. [unv.] (Gespräche)
00:06
00:11 Sitzt auf dem Boden und macht eine herbeiwinkende Handbewegung mit der rechten Hand, dabei schaut er einen Schüler an.
00:19 (Still-9-3) Schaut S1m an, der den Ball gerade hält und hebt seinen rechten Arm, kurz darauf fängt er den Ball.
Dreht sich wieder um und steht vor seinen Unterlagen mit dem Ball in der Hand.
(Gespräche) Stehen auf bzw. gehen zu Lm und bilden einen Sitzkreis.
Wirft den Ball zu Lm. (Gespräche) Finden sich in der Nähe von Lm ein und beginnen einen Sitzkreis zu bilden.
(Gespräche) Einige spielen noch mit einem weiteren Ball, andere gehen in der Halle umher.
Solche direkten Aufforderungen zur Entkleidung der SchülerInnen vom Material scheinen charakteristisch für den Sportunterricht. Deshalb sollen an dieser Stelle noch einige Bildausschnitte für die Situation sensibilisieren:
Still-9: Direkte Entkleidung 1)
2)
3)
Für diverse sportliche Aktivitäten im sportunterrichtlichen Kontext ist die Materialität ein konstituierendes Element. Ohne Bälle, Spielfeldbegrenzungen, Hütchen, Geräte, etc. erscheinen motorische Aufgaben häufig sinnlos oder sind gar nicht erst auszuführen. In einer Phase der Konstitution ist die Entkleidung und somit die entgegengesetzte Ausstattung funktional. Mit der Signalisierung des Unterrichtsbeginns durch unterschiedliche Signale und damit einer Beendigung der sportunterrichtlichen Gleitzeit ist es elementar, dass SchülerInnen über bestimmte Dinge verfügen bzw. sich mit ihnen wortwörtlich bekleiden (Sportsachen). Andererseits müssen sich die SchülerInnen von, in der vorherigen Phase genutzten, Materialien entkleiden. Den zentralen Einfluss auf diese Vollzüge hat die Lehrperson. Über vorherige Absprachen und Regelsetzungen (siehe die erste Sportstunde einer ersten Klasse) durch die Lehrperson verdeutlicht sie ihre Rahmungsmacht und das Vermögen darüber zu entscheiden, wer
S PIELPLAN : K ONSTITUTION
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über was und zu welcher Zeit im Sportunterricht verfügen kann. Gerade weil es die Lehrperson qua Mitgliedschaft der Institution Schule ist, können die Rahmungspraktiken als mit dem Rahmen übereinstimmend bezeichnet werden. Die Zuteilung einer Rahmungsmacht ist nur dann kohärent und erfolgreich, wenn die Tätigkeiten mit dem tatsächlichen Rahmen übereinstimmen. Die Situationen unterliegen dem Rahmen, der als Erzeugungsstruktur wiederum zur Realisierung von Praktiken beiträgt (vgl. Willems, 1997, S. 46ff.). Es darf nicht ausgeschlossen werden, dass auch SchülerInnen die Rahmungsmacht ergreifen, jedoch steht hinter diesen Handlungen nicht selten eine Initiierung der Lehrperson und damit auch ein divergierender kooperativer Charakter der Situation. Die Indexikalität der Situation marginalisiert eine falsche Deutung. Somit stellen die Akteure richtig fest, um welche Situation es sich handelt und wie sie zu handeln haben. Im Gegensatz zu den SchülerInnen bekleiden sich die Lehrpersonen während der Entkleidung der SchülerInnen mit Materialien. Zum einen obliegt den Lehrpersonen die Bevollmächtigung über die Nutzung des Materials und zum anderen nutzen sie diese im Sitzkreis für den Einstieg in den Unterricht. Die Akteure vollziehen eine skillful performance im Rahmen des Sportunterrichts, wodurch eine Ordnung der und durch die Partizipanden erreicht wird, die mit geringem Aufwand und handlungsentlastend für die Lehrperson vollzogen wird – eine Konstitution.2
Konstitution
K ÖRPER -O RDNUNG Entkleidung Körper-Ordnung Kulturelle Kohärenz
Ein Merkmal der Konstitution ist die Herstellung von Aufmerksamkeit zum Unterrichtsbeginn und die gemeinsame Verständigung über einen gültigen Rahmen. Nach einer zeitlosen Zeit wird durch die Lehrperson die Herstellung einer gemeinsamen Fokussierung signalisiert und aus diversen Handlungssträngen wird eine gemeinsame Handlungskoordinierung. Eine weiterführende Lesart ist, dass eine Phase der Konstitution immer auch im Verlauf einer Unterrichtsstunde auftaucht und somit nicht allein zu Beginn einer Sportunterrichtsstunde verortet werden kann. Mit Bezug auf Kuhlmann (1986) wären dann Inszenierungen immer vorgeschaltet bzw. folgen auf eine Szene. Die jeweils neue Verständigung innerhalb des Spiels könnte dann Ähnlichkeiten zu einer Konstitution aufzeigen. Es lassen sich allerdings feine Kontraste identifizieren, die genau diese Unterscheidungen konturieren. Die Phase des Stun-
2
Auszuschließen ist die Verwendung von Materialien im Sitzkreis oder zum Unterrichtsbeginn im Allgemeinen sicher nicht. Ganz im Gegenteil kann der Verzicht auf die Entkleidung eine funktionale Bekleidung bedeuten. Darauf wird in der Kategorie der kulturellen Kohärenz vertieft eingegangen.
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denbeginns wird im Folgenden vorrangig im Fokus stehen, wobei hier schon allein die zeitliche Dimension im Unterricht konstituierend für die Bewegungen der Körper ist. Die spezifischen Kodierungen von Praktiken der Signalisierung und ihre Funktionen sind damit immer auch von der zeitlichen Platzierung in der Stunde abhängig. Die räumliche Verortung von Körpern in der Institution Schule ist eine Form der Normierung der Körper(-haltungen) und eine Zuteilung von persönlichen Sitzplatzterritorien, innerhalb zeitlicher Rahmungen. Durch diese Körper-Ordnungen wird eine Anordnung der SchülerInnen hergestellt. Die Sitzordnung im Klassenraum ist geprägt von einer häufig tafelzentrierten Ausrichtung der Tische oder von Gruppentisch-Konstellationen. Die Wahl der eigenen Position im Raum während des Unterrichts ist für die SchülerInnen hinsichtlich der Sitzordnung nicht frei wählbar – zumindest wäre ein Wechsel der Platzierung verwirrend. Eine sportunterrichtliche Verortung der Körper konterkariert die Strukturen im typischen Klassenraum und sorgt für die Notwendigkeit einer alternativen Gestaltung schulischer KörperAnordnungen. So kann das Arrangement der Sitzplätze im Sportunterricht als eine schulinterne Transformation der Form angesehen werden. Eine Suspendierung von Materialitäten (Stühle, Tische, Tafel, LehrerInnentisch) sorgt für eine abgewandelte, jedoch (und gerade deshalb) notwendige Form der räumlichen Verortung von Körpern. Mit Blick auf die Körper-Ordnung stellt sich die Frage: Wie bringen die Akteure soziale Ordnung in der Phase der Konstitution hervor und wie etablieren sie sie unter der Verwendung spezifischer Formen der Anordnung ihrer Körper und Materialitäten?
Still-10: Körper-Ordnung 1)
2)
3)
(32) #14 00:00-00:47 00:00 Lm v Lm nv
Sx v Sx nv
Geht zu seinen Unterlagen, die auf dem Boden liegen und setzt sich im Schneidersitz neben seine Unterlagen auf den Boden.
(Gespräche) Laufen in der Halle umher, spielen mit einem Ball oder stehen in Kleingruppen und unterhalten sich.
00:02 (stöhnt) Schiebt seine Unterlagen vor sich und schaut in die Halle, anschließend legt er seine Arme auf seinen Knien ab und macht eine kreisende Handbewegung mit beiden Händen. Dabei blickt er zu einer SchülerInnengruppe am Hallenrand.
00:08
Erste SchülerInnen orientieren sich zu Lm.
Die SchülerInnengruppe schaut zu Lm und geht in dessen Richtung. Gleichzeitig kommen weitere SchülerInnen von der rechten Seite zu Lm und beginnen sich hinzusetzen.
Blickt weiterhin in die Halle und zur SchülerInnengruppe.
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Lm nv
Sx v Sx nv
Lm v Lm nv S1m v Sx v Sx nv
00:12 Schaut sich abwechselnd in der Halle um und auf seine Unterlagen vor sich. (Gespräche) Nach und nach kommen die SchülerInnen zusammen und setzen sich hin.
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00:25 Hebt den rechten Arm und bekommt anschließend von einem Schüler einen Ball zugeworfen. Er fängt den Ball und legt ihn neben sich.
00:35 Schaut links neben sich auf zwei Schüler.
Drei Schülerinnen kommen aus dem Umkleideraum in die Halle. Immer mehr SchülerInnen haben sich hingesetzt. Ein Kreis hat sich gebildet.
Zwei Schüler setzen sich links hinter Lm.
00:40 Nicht hinter mich. Rückt etwas nach hinten und zieht seine Unterlagen zu sich. Natürlich nicht. (Gespräche werden leiser) Die zwei Schüler rücken etwas vor. Alle anderen SchülerInnen sitzen nun.
00:45 (Still-10-1) So, Moin Schaut auf seine Unterlagen.
(Vereinzelte Schüler antworten) Moin.
Das Hinsetzen der Lehrperson kann als eine Handlungsanleitung verstanden werden, die körperlich vermittelt wird. Das Verständnis über die Situation wird von den Teilnehmern geteilt, was daran zu beobachten ist, dass alle weiteren Teilnehmer eine ähnliche Situationsdefinition wie die Lehrperson zeigen und letztendlich ein Sitzkreis hergestellt wird, in dem die Lehrperson mit der Begrüßung fortfährt. In der dargestellten Szene wird keine soziale Ordnung in Frage gestellt oder unterlaufen. Hinweise für die Herstellung der sozialen Ordnung, in der Form von einer Körper-Ordnung, liegen in dem Hinsetzen der Lehrperson und den folgenden kreisenden Handbewegungen (siehe Still-11). Damit wird der Lehr-Körper zu einer Signalisierung in Form von doings that say something.
Still-11: Anzeigen Auch wenn die Lehrperson nicht alle SchülerInnen anschauen kann und die Lehrperson auch nicht von allen SchülerInnen gesehen wird, entsteht, trotz retardierender
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Elemente3 wie die drei später hereinkommenden Schülerinnen, eine Art Sogeffekt unter den Teilnehmern. Die Unterlagen der Lehrperson dienen als eine Vorstrukturierung des Raumes, der sich platzierende Lehr-Körper und die Körper, die sich an den Sogeffekt anderer Körper anschließen, konstituieren eine Körper-Ordnung – hier in Form eines Sitzkreises. In der dargestellten Szene wird über materielle und körperliche Signalisierungen eine soziale Ordnung hergestellt. Der Vollzug der Partizipanden wirkt routinisiert und verläuft auf der Grundlage von Erwartungen der Teilnehmer. Es wird festgestellt, dass es sich um eine Situation der Herstellung einer Zusammenkunft handelt. Sichtbar werden diese routinisierten Vollzüge, wenn Korrekturhandlungen eingeschaltet werden. Die Äußerung ››nicht hinter mich‹‹ korrigiert die Anordnung der Schüler, damit die Lehrperson alle Teilnehmer im Blick behält. Der routinisierte Vollzug typisierter Handlungen zur Herstellung eines Sitzkreises wirkt inkorporiert und wird problemlos vollzogen. Dafür spricht auch die Antwort des Schülers: ››natürlich nicht‹‹. Aus einer informellen Örtlichkeit in der Halle wird ein formeller Raum, der mit Sinn gefüllt und ritualisiert hergestellt wird. Alle SchülerInnen nehmen eine ähnliche Sitzhaltung ein und die Gespräche untereinander verstummen allmählich. Die Orientierung der Körper-Ordnung erfolgt an den Körpern und an einer Form (hier der Kreis). Im Vergleich zu einer tafelzentrierten Anordnung im Klassenraum scheinen Sitzordnungen und eine Zentrierung der Körper im Sportunterricht nicht ortsgebunden zu sein, jedoch notwendig, um mit dem Unterricht zu beginnen. In der Konstitution von Sitzkreisen zeigt sich, dass die räumliche Orientierung am Mittelkreis oder anderen Linien ausdrücklich weniger Korrekturen bedarf als die Konstitution ohne Linien. Damit zeigen sich weitere Unterschiede im Vergleich zum typischen Klassenraum. Dort ist die Anordnung bereits über das Mobiliar vorgegeben und die SchülerInnen müssen ihre zugewiesene Position einnehmen. Im Sportunterricht ist die Wahl der Position vage, weil auch der Raum zunächst hergestellt bzw. angezeigt werden muss – in der Regel geschieht dies über die Lehrperson. Die Herstellung der Sitzordnung erfolgt über die Ausrichtung des Lehr-Körpers, der über seinen Körper eine annähernde Stilllegung des Körpers demonstriert. Über das Sitzenbleiben und die Körperausrichtung erfolgen eine Orientierung des Handelns der SchülerInnen und die Setzung einer klaren Rahmung. Die Lehrperson nimmt, ebenfalls divergent zum Klassenunterricht, keine erhobene Position ein, sondern ist mit den SchülerInnen auf Augenhöhe und nimmt häufig eine ähnliche Körperhaltung ein (siehe Still-10-1, 10-2 und trotz aufrechter Position auch 10-3). Anhand dieser Praktiken zeigen sich spezifische Elemente zur Herstellung einer sozialen Ordnung – hier in Form einer KörperOrdnung – im Sportunterricht, die allein über einen körperlichen Vollzug den Unterrichtsbeginn ermöglichen und eine Unterrichtsbereitschaft aller Akteure anzeigen können. 3
Das retardierende Element ist an dieser Stelle in Anlehnung eines Dramas im Theater zu verstehen. Über gewisse Handlungen im Verlauf eines Dramas werden Höhepunktentscheidungen hinausgezögert und bieten das Potenzial der Veränderung. Hier beziehen sich die retardierenden Elemente auf die Teilnehmer der Situation, die mit einer Verzögerung in den Sitzkreis kommen.
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(33) #07 00:01-00:52 00:01
00:02
(Lw hat zuvor einen Karton mit Bällen in die Mitte des Mittelkreises gestellt.) Sie nimmt ihre Pfeife in die Hand und pfeift zwei Mal, dabei schaut sie sich in der Halle um. (Gespräche) Laufen in der Halle umher, spielen teilweise mit Bällen oder mit Rollbrettern.
Direkt nach dem Pfiff macht sie mehrfach eine kreisende Bewegung mit dem rechten Arm.
00:08 Geht zu einem der großen Kästen, die um sie herumstehen und schiebt diesen ein wenig zurück.
00:11 Dreht sich wieder in die Hallenmitte und setzt sich zu den SchülerInnen auf den Boden.
Lw v Lw nv
Sx v Sx nv
Lw nv
Einige SchülerInnen, die in der Nähe von Lw sind, sammeln sich um Lw herum. Die restlichen SchülerInnen in der Halle laufen zum Geräteraum und bringen ihr Material weg. Wer kein Material wegbringt, setzt sich direkt zu Lw.
Lw v
Lw nv
S2w nv Sx nv
(Gespräche werden leiser) Die SchülerInnen, die in der Nähe von Lw stehen, setzen sich hin bzw. suchen sich einen Platz im Sitzkreis. Die übrigen SchülerInnen befinden sich noch im Geräteraum und auf dem Weg zurück zu Lw. 00:14 Sitzt zwischen den SchülerInnen und schaut zum Geräteraum. (Gespräche und Aufforderungsrufe an einen Mitschüler) S1m, S1m S1m, S1m, S1m.
Sx v
Sx nv
00:07 Setzt euch hin, setzt euch, setzt euch.
Setzen sich hin.
Setzen sich in den Sitzkreis. Weitere SchülerInnen kommen nach und nach dazu und setzen sich dazu.
00:24 Hol mal bitte, hol mal bitte meine Schmuckbox. Dreht sich zu S2w und zeigt zur Bank am Hallenrand. Geht zur Bank am Hallenrand. Weitere SchülerInnen kommen nach und nach in den Sitzkreis und setzen sich hin.
00:29
00:32 super (leise)
Schaut immer wieder zum Geräteraum und dann wieder in den Kreis.
Schaut zu S2w und dreht sich dann wieder in den Kreis. Setzen sich hin.
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00:38 Lw v Lw nv
S2w nv Sx nv
Lw v Lw nv S3w nv Sx v
Streckt die Hand aus. Übergibt Lw eine Box.
00:41 danke S2w. (leise) Öffnet die Box und nimmt Haargummis heraus, schaut sich um. Setzt sich hin. Weitere SchülerInnen kommen in den Sitzkreis.
00:46 Schaut zu S3w und wirft ihr ein Haargummi zu.
0:49 gut, alle da? Schaut in die Runde und bindet sich ihre Haare zusammen. Bindet sich ihre Haare zusammen. (Gemeinsam) Ja.
Die Unterlagen aus der vorherigen Szene werden nun durch eine Kiste mit Materialien ersetzt, auch diese trägt zur Strukturierung des Raumes bei (siehe Still-12). Im Vergleich zu Szene (32), die routinisiert verläuft und nur eine subtile Form der Nachjustierung benötigt, müssen in Szene (33) noch weitere verbale und nonverbale Hilfestellungen von der Lehrperson betrieben werden. Die Signalisierung der Rahmung erfolgt eindeutig über das Pfeifen der Lehrperson. Während der Pfiff raumübergreifend für alle Akteure angelegt ist und der doppelten Kodierung gefolgt wird, ist die ergänzende Signalisierung der kreisenden Armbewegung und der Äußerung: ››setzt euch hin, setzt euch, setzt euch‹‹ lokal angelegt. Die SchülerInnen, die sich in der Nähe der Lehrperson befinden, folgen den Signalen und setzen sich auf den Boden. Nachfolgende SchülerInnen, die noch mit der Entkleidung beschäftigt sind, orientieren sich auch hier räumlich und körperlich an den bereits sitzenden Körpern.
Still-12: Sitzordnung Die sitzenden SchülerInnen werden durch die gemeinsame Fokussierung in einem Kreis oder auch an einer Wand sitzend (siehe Still-10-3) ruhig gestellt, ohne wirklich ruhig zu sein. Immer wieder setzen sich SchülerInnen etwas anders hin, rücken sich zurecht und wenden ihre Blicke in den Sitzkreis und wieder zur Lehrperson, wobei in diesen Aktivitäten ein schmaler Grat zwischen der Einhaltung und der Missachtung der Sitzordnung besteht. Im Still-10-3 haben sich die SchülerInnen mit dem Eintreten in die Halle bereits auf die Fensterbank gesetzt und sind nicht weiter umhergelaufen. Ohne dass der Unterricht begonnen hat, verhalten und positionieren sich die SchülerInnen bereits, als hätte der Unterricht begonnen. Sie nehmen eine Sitzposition ein und nur lautere Gespräche untereinander und die Abwesenheit der Lehrperson machen deutlich, dass eine Stundeneröffnung noch nicht stattgefunden hat. Trotzdem
S PIELPLAN : K ONSTITUTION
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stellen die SchülerInnen selbstständig eine Anordnung her. Der Übergang zum Unterrichtsbeginn gestaltet sich in dieser Szene anders als die Untersuchungen im Rahmen der Ethnographie von Wagner-Willi (2005). Der Schulgong als rituelle Signalisierung des Stundenbeginns fehlt des Öfteren in Sporthallen, weshalb das Wechselspiel der Positionierungen im Raum zwischen SchülerInnen und Lehrpersonen eine wesentliche Funktion für den Unterrichtsbeginn darstellt. Mit einer zunehmenden Anzahl der Teilnehmer im Kreis und einer damit einhergehenden sinkenden Anzahl noch umherlaufender SchülerInnen in der Halle sinkt die Lautstärke in der Halle, die Gespräche zwischen den SchülerInnen werden immer mehr eingestellt und die Bewegungen minimiert. Der Vollzug der Teilnehmer wirkt wie eine vorbereitende Unterlassung von Aktivitäten, wodurch die Rahmung bestätigt wird und im Verlauf auch das Rederecht von der Lehrperson in Anspruch genommen wird. Erst nachdem alle SchülerInnen sitzen oder zusammengekommen sind, wird gesprochen. Die Aufrechterhaltung der Körper-Ordnung bedarf jedoch teilweise diverser Korrekturen, die gleichzeitig auf die Normierung einer Sitzordnung im Sportunterricht verweisen. Korrekturen Die oben aufgezeigten Szenen zur Herstellung einer sozialen Ordnung im Sportunterricht in Form von Körper-Ordnungen werden im sportunterrichtlichen Alltag routinisiert vollzogen. Die zugrunde gelegten Wissensordnungen sind durch den ››Sinn für das Spiel‹‹ (Bourdieu, 1987, S. 122) und durch das Verständnis der Situation häufig unproblematisch. Im praktischen Verständnis vereinigen sich inkorporierte, gemeinsame Codes und Wissensbezüge sowie ››objektivierte[.] Geschichte‹‹ (ebd.) in Form von Dingen oder Regeln, die ››eine fast perfekte Vorwegnahme der Zukunft in allen konkreten Spielsituationen ermöglicht‹‹ (ebd., Herv. i. O.). Eine zentrale Problemstellung dieser Arbeit bezieht sich auf die Füllung von Spielräumen sozialen Handelns, wenn der routinisierte Strom typisierter Handlungen unterbrochen wird und damit der Sinn für das Spiel ins Stocken gerät, also jene Situationen, die ad hoc einer Korrektur des Handelns bedürfen. An jenen Stellen dieser Ausgestaltungen mit entsprechenden Handlungen, werden die zugrunde liegenden, stummen und ansonsten unsichtbaren Normen und Regeln sichtbar, um anschließend im Strom der Handlungen wieder unterzugehen. Der folgende Abschnitt zeigt im Rahmen der Konstitution Spielräume sozialen Handelns, die von den Akteuren gefüllt werden und verdeutlicht damit die materiellen und symbolischen Bedingungen einer praktischen Mitgliedschaft.
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(34) #12 02:08-02:48 Lw v
Lw nv
02:08 So, also. Steht am Sitzkreis und schaut in den Kreis zu den SchülerInnen.
02:10 reicht, danke dir. nein im Moment nicht gerne hinterher ja:. Dreht sich zu einer Schülerin, die eine Luftpumpe und einen Luftballon in der Hand hält und den Ballon aufpumpt.
Sx v
Hat einen Luftballon in der Hand und probiert ihn zuzuknoten. (Gespräche)
Sx nv
Sitzen auf dem Boden.
Lw v
Lw nv
S1w v S1w nv
S2m nv S3m v S3m nv Sx v Sx nv
Was ist daran falsch? Nimmt der Schülerin den Luftballon aus der Hand und übergibt S1w die Luftpumpe. Darf ich das behalten? Nimmt Lw die Luftpumpe aus der Hand.
S1w v S1w nv S2m nv
02:14
[unv., es wird angenommen, dass die Schülerinnen neben Lw noch einen weiteren Ballon aufpumpen möchten.]
02:17 S2m du bist ne Wucht, und ihr anderen natürlich auch. Schaut zu S2m und knotet dabei ihren Luftballon zu.
02:20 (Still-13) so, noch einmal jetzt allen hier in ru- sch:::
02:25
Beugt sich zu S1w herunter und nimmt ihr die Luftpumpe aus der Hand.
Schaut zu den SchülerInnen.
Pustet sich mit der Luftpumpe Luft ins Gesicht.
Pumpt Luft in die Gesichter ihrer umliegenden Sitzpartner.
Och manno. Schaut zu ihren Mitschülerinnen.
Knotet weiterhin den Luftballon zu. Gib mal her. Streckt seinen Arm aus und schaut zu Lw. (Gespräche werden leiser) Schauen zu Lw.
S PIELPLAN : K ONSTITUTION
Lw v
Lw nv
S1w v S1w nv
S2m nv
02:26 Kommst du mit in den Kreis S4m. [1] soll ich rüber rutschen? Schaut zu S4m und winkt ihn heran. Guten Tag Schaut in den Kreis und dreht sich wieder zu ihren Mitschülerinnen. Wirft den zugeknoteten Luftballon in die Luft und schlägt ihn in die Mitte des Sitzkreises.
S5w nv S6m v Sx v Sx nv
Lw v
Lw nv
Sx v Sx nv
Steht auf und verlässt den Sitzkreis.
Kommt in den Kreis zurückgelaufen und hat einen weiteren Luftballon in der Hand.
Macht eine abwinkende Armbewegung, als sie eine Schülerin anschaut. Wozu?
Wozu? (Führen teilweise Gespräche) Schauen größtenteils zu Lw. 02:39 So, scht S2m ähäh
02:42 Nein.
Schaut zu S2m und schüttelt leicht den Kopf.
Hält den Luftballon fest. Manno. Tippt den Luftballon von Lw an. Schaut zu Lw und setzt mit dem Luftballon in der Hand zum Hineinblasen an.
S2m nv
S6m v
02:36
Rutscht zwischen seine Mitschüler. Schlägt den Luftballon erneut in die Luft.
S1w v S1w nv
S3m nv
02:30 So mal sehen ob mein Knie das schon wieder mag das ich runtergehe [1] okay. Kniet sich auf ein Bein nieder.
Erhebt sich von seiner Sitzposition und fängt den Luftballon. Anschließend setzt er sich wieder auf seinen Platz zurück.
S3m nv
S4m nv
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02:44 S2m mhm danke. so erst nochmal allen guten mo:rgen. Schaut zu S2m.
Nimmt den Luftballon vom Mund weg.
Spielt mit dem Luftballon. Hast du das operieren lassen? (Gemeinsam) Gu:te:n Mo:rge:n Frau Schauen zu Lw.
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Still-13: Korrekturen I Obwohl bereits durch die gemeinsame Herstellung eines Sitzkreises eine KörperOrdnung hergestellt wurde, scheint noch keine Unterrichtsbereitschaft hergestellt und die Ordnung sehr fragil zu sein. Es zeigen sich in der Szene unterschiedliche Korrekturen der Lehrerin, um die Klasse letztendlich zu begrüßen und einen Unterrichtsanfang zu initiieren. Ein zentraler Aspekt, der hier zu Störungen in der Situation beiträgt, verweist auf die beschriebenen Kategorien der Entkleidung und der Körper-Ordnung. Mehrere SchülerInnen haben im Sitzkreis noch Materialien zur Hand, die von ihnen auch benutzt werden. Die Lehrerin ist immer wieder damit beschäftigt diese Unruheherde zu marginalisieren und mit der Begrüßung zu beginnen. Die Entkleidung der Schülerin von der Luftpumpe und auch der implizite Hinweis der Lehrerin an den Schüler, nicht erneut einen Luftballon aufzupusten, sprechen für diesen Prozess der Marginalisierung von Störungen. Dieser Szene voraus ging bereits eine Situation, in der die Lehrerin die Schülerin gebeten hat, ihr die Luftpumpe und den Ballon zu geben. Die Schülerin kam dieser Aufforderung jedoch nicht nach, wobei es auch sein kann, dass die Schülerin sie nicht gehört hat und die Lehrerin diese Sache nicht weiterverfolgt hat. Über Signalwörter wie ››So‹‹ oder ››Okay‹‹ werden Bemühungen der Lehrperson erkennbar die Rahmung des Sitzkreises zu verdeutlichen und parallele Handlungsstränge zu einem gemeinsamen zu bündeln. Eine einheitliche Körper-Ordnung wird in dieser Szene übergangen und gleichzeitig eingehalten. Während sie den Schüler S4m bittet sich in den Kreis zu setzen, verlässt S2m, ohne Anmerkung der Lehrperson, kurz darauf den Kreis, um sich erneut einen Luftballon zu holen. Der Hinweis auf die Sitzordnung wird zur gleichen Zeit konterkariert und es entstehen wieder lautere Gespräche zwischen den SchülerInnen. Der Verweis der Lehrerin an S4m, in den Kreis zu kommen, meint eine Orientierung der Zusammenkunft an der Linie des Mittelkreises. Feldlinien und Körper können in diesem Fall als eine räumliche Orientierung genutzt werden und zu einer räumlichen Ordnung beitragen. Sie gelten als Partizipanden und sind somit Träger von Wissen, die im Moment der Nutzung aktiviert werden und auf die verwiesen werden kann. Die Lehrerin kniet sich im weiteren Verlauf hin, um annähernd auf die Augenhöhe der SchülerInnen zu kommen. Die Begegnung auf Augenhöhe scheint ein zentrales Element der Körper-Ordnung im Sportunterricht zu sein. Die Herstellung einer sozialen Ordnung bedarf in dieser Szene eines deutlich größeren Aufwands als in den vorherigen Szenen. Erst nach diversen Korrekturen unterschiedlicher Art kann die Begrüßung der Klasse stattfinden und der Unterricht fortgeführt werden. Sowohl implizite Aufforderungen als auch explizite Handlungen der Lehrperson führen im Laufe der Situation zu einer aufwendigen
S PIELPLAN : K ONSTITUTION
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Herstellung einer sozialen Mikroordnung unter dem Einfluss von Räumen, Dingen und Körpern. Die Lehrperson ist qua Institution in der Lage über Materialien zu verfügen und sie zu entnehmen, Körper und Räume zu arrangieren und über Machtspiele (hier beispielsweise zwischen der Lehrerin und S2m) von institutionalisierten Hierarchien verdeckt Gebrauch zu machen. Im Falle einer Zusammenkunft der Akteure im Sportunterricht scheint eine erhöhte Komplexität der teilnehmenden Akteure durch eine Reduktion von Komplexität – erkennbar anhand einer kontextabhängigen, relativ einheitlichen Körperhaltung und einer Entkleidung von Materialien – konstitutiv für den Sportunterricht. Eine unvollständige Entkleidung und eine inkonsequente Beachtung der hergestellten Körper-Ordnung können Spielräume im routinisierten Vollzug von organisierenden Momenten von Tätigkeitsabläufen entstehen lassen, die von der Lehrperson aufwendige Korrekturmaßnahmen erfordern. Weitere Korrekturen, die einen Verweis auf die Körper-Ordnung im Sportunterricht sichtbar werden lassen, zeigen sich wie folgt. (35) #16 00:38-01:12 00:38 Lw v Lw nv
Sitzt auf dem Boden im Kreis.
S1m v S2m nv
Was ist das?
Sx v Sx nv
(Gespräche) Sitzen auf dem Boden im Kreis.
Lw v
00:43 S3w? setz dich richtig hin.
Lw nv
Schaut zu S3w.
S2m nv
Krabbelt zurück und setzt sich in den Kreis zurück. Liegt auf dem Bauch und setzt sich aufrecht hin. Dabei stützt sie ihre Arme nach hinten ab.
S3w nv
S4m v
00:39 Das erzähle ich euch gleich. Schaut zu S2m.
00:41 S2m? jetzt treffen wir uns im Kreis. Schaut zu S2m und zeigt an den Rand des Kreises hinter ihm.
Krabbelt auf ein Kastenoberteil, das in der Mitte des Sitzkreises liegt und legt sich auf den Bauch.
Erhebt sich und schaut zu Lw.
00:48 okay, ich wei:ß dass jetzt gleich noch, drei Kinder kommen, aber ich möchte gern schon anfangen. Schaut in den Kreis zu den SchülerInnen.
00:53 nein, es kommen noch drei Kinder. Schüttelt leicht den Kopf und schaut zu S4m.
[vier]
230 | S OZIALE ORDNUNG IM S PORTUNTERRICHT
00:57 Das, seht ihr gleich.
Lw v
Lw nv
Legt ihre Hand auf das Bein von S5w.
S3w nv
Lässt sich nach hinten fallen und liegt auf dem Rücken. Hä? welche denn alle?
S5w v
00:59 wir fangen jetzt trotzdem schon an. S3w setz dich bitte hin. [2] und darum wünsche ich euch erst mal einen schönen guten Tag. Schaut in die Runde und anschließend zu S3w und macht eine Aufwärtsbewegung mit ihrem linken Arm. Setzt sich aufrecht hin und stützt ihre Arme nach hinten ab.
Gu::te:n Ta::g Frau Lw.
Sx v
(36) #10 00:57-01:31 Lw v
Lw nv
S1w nv S2w nv S3w nv S4m nv Sx v Sx nv
00:57 (Still-14) S1w S2w, äh S2w (Name korrigiert), könnt ihr euch mal, richtig hinsetzen bitte. das erholt sich, auch ganz gut wenn man sitzt. Sitzt im Kreis auf dem Boden. Macht eine Aufwärtsbewegung mit der linken Hand und schaut zu den SchülerInnen.
Liegt auf dem Bauch im Kreis. Liegt auf dem Rücken im Kreis. (Gespräche) Teilweise liegen und sitzen die SchülerInnen im Kreis. Zwei Schüler ziehen einen kleinen Kasten mit Bällen in den Kreis. 01:10
Sx nv
Setzt sich aufrecht hin. Setzt sich aufrecht hin. (Gespräche werden leiser)
01:11 Mh Hebt ihre Hand und neigt den Kopf. Heiße Kartoffel.
Mit den Händen so [unv.] Macht mit dem rechten Arm eine Auf- und Abwärtsbewegung.
S6m nv
Sx v
01:08 S4m? setz dich bitte richtig hin.
Setzt sich aufrecht hin. Setzt sich aufrecht hin.
Lw v Lw nv
S6m v
01:00
Was spielen wir? Keine Ahnung Zwei Schüler ziehen noch den Kasten mit den Bällen in den Kreis.
01:17 Merk dir das schon mal Schaut zu S6m. Zeigt mit dem linken Zeigefinger an ihren Kopf.
S PIELPLAN : K ONSTITUTION
Lw v
01:19 danke ihr zwei.
Lw nv
Schaut zu den beiden Schülern, die den Kasten in den Kreis gebracht haben.
S7m nv
Nimmt sich einen Ball aus dem Kasten und beginnt zu prellen.
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01:23 S7m, das machen wir gleich [1] denn als erstes möchte ich euch doch jetzt, vernünftig begrü:ßen. Schaut in den Kreis und die SchülerInnen an. Nimmt kurz ihren rechten Zeigefinger vor den Mund. Nimmt sich den Ball und legt ihn wieder in den Kasten. Anschließend setzt er sich in den Sitzkreis.
Still-14: Korrekturen II (37) #13 03:41-03:53 Lm v
Lm nv
S1w nv
Sx v
Sx nv
03:41 Wer hat Kopfschmerzen? musst du mehr trinken im Vorfeld, ja? Sitzt auf dem Boden und schaut zu einem Schüler.
03:46 So [1] also, viele kleine Spielchen,
03:51 ohne Ball [1] ja
Schaut zu den SchülerInnen.
Hat sich zuvor einen Ball genommen, der neben Lm lag und beginnt ihn hochzuwerfen. (sind ruhig, leises Tuscheln) [unv. Name einer Schülerin] Sitzen auf dem Boden.
Wirft einen Ball leicht hoch und fängt ihn wieder auf.
Dreht sich zu S1w, nimmt ihr den Ball weg und legt ihn vor sich. Schaut kurz zu Lm und dann nach vorn.
In den Szenen (35), (36) und (37) werden weitere Korrekturen durch die Lehrperson angezeigt, die sich verstärkt auf die Körper-Ordnung, aber auch auf die Entkleidung im Rahmen der Konstitution beziehen. Die Entnahme (Szene 37) von Materialien, die Aufforderungen Materialien wegzulegen oder sich ››richtig‹‹ hinzusetzen werden ausschließlich von der Lehrperson vollzogen, was die Rahmungsmacht der Lehrperson zur Herstellung einer Ordnung zeigt. Die Rede ist bewusst von einer Herstellung der sozialen Ordnung, weil im Verlauf der Szenen ausdrücklich formuliert wird, dass die Begrüßung vollzogen werden soll oder mit Erläuterungen fortgefahren wird. Eine Körper-Ordnung hat die Funktion einer Darstellung von Unterrichtsbereitschaft und ist ausschlaggebend für den Beginn des Sportunterrichts. Die expliziten sprachlichen (››setz dich bitte richtig hin‹‹) und körperlichen Aufforderungen (über Gesten) verweisen auf eine normierte Sitzordnung im Sportunterricht. Ohne weitere Requisiten (Tische und Stühle) sind es Formen und Linien, an denen die Körper im Sportunterricht arrangiert und ausgerichtet werden, damit erlangen Partizipanden im Sportunterricht eine konstitutive Funktion für den prozessualen
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Charakter einer Unterrichtsordnung. Eine klare Normierung der Sitzordnung im Sportunterricht scheint es nicht zu geben, jedoch finden sich Ansätze in einer aufrechten Körperhaltung und den Blicken zur Lehrperson. Schließlich setzen sich die SchülerInnen nicht irgendwo hin, sondern eindeutig ausgerichtet. Andere Körperhaltungen werden von der Lehrperson korrigiert, wodurch nicht nur eine Form der Wertschätzung, sondern auch der Aufmerksamkeit hergestellt wird. So werden beispielsweise auch die Gespräche der SchülerInnen eingestellt und eine Unterrichtsbereitschaft signalisiert. Andere Körper in der Situation und Linien auf dem Boden der Hallen werden somit zu Zeichen- und Wissensträgern – zu ››Partizipanden des Tuns‹‹ (Hirschauer, 2004), an denen Ausrichtungen vorgenommen werden. Neben dem Hinweis, sich auf die Linien zu setzen, wird durch den Hinweis, sich richtig hinzusetzen, auch anderen SchülerInnen indirekt eine Sitzhaltung angezeigt, die sie korrigieren, obwohl sie nicht direkt angesprochen werden (siehe bspw. Szene (36), Schülerin S2w nv). Eine Notwendigkeit dieser Ordnungen zeigt sich in den Äußerungen: ››Wir fangen jetzt trotzdem schon an‹‹; oder ››das machen wir gleich, denn als erstes möchte ich euch doch jetzt vernünftig begrüßen‹‹; durch diese sprachlichen Ankündigungen wird über die Begrüßung der SchülerInnen der Unterrichtsbeginn signalisiert und die Funktion der Körper-Ordnung als konstituierendes Moment deutlich. Ein weiterer Aspekt, der sich der Herstellung dieser Körper-Ordnung anschließt und nur dadurch entstehen kann, ist die Beschreibung der Konturen der Situation.
Konstitution
K ULTURELLE K OHÄRENZ Entkleidung Körper-Ordnung Kulturelle Kohärenz
Eine zentrale Funktion der Konstitution im Spielplan ist die Verständigung über einen klaren Rahmen. In der Herleitung des Spielplans wurde bereits ausgeführt, dass Sportunterricht einer institutionellen Rahmung unterliegt und die Sportstunde im Rahmen des Schultages eine innere Klammer zu den weiteren Ereignissen darstellt, jedoch innerhalb der eigentlichen Sportunterrichtsstunde weitere Episoden zu finden sind. Bisher konnte gezeigt werden, welche Praktiken zur Koordination von Akteuren genutzt werden, um eine soziale Ordnung herzustellen. Im Sportunterricht werden allerdings auch organisierende Momente genutzt, die Anordnungen und Arrangements der Stunde vorwegnehmen. Die Setzung von Rahmen und Prozesse der Rahmung sind nicht rein als psychologische Prozesse zu verstehen, sondern als Organisation von Ereignissen, als ››Konglomerat von Regeln und Handlungsanweisungen‹‹ (Hitzler, 1992, S. 452) im Sinne einer körperlich vermittelten Interaktionsordnung. Die Verständigung über einen klaren Rahmen wird im Folgenden, mit der Kategorie der kulturellen Kohärenz, nicht nur in situ aufgearbeitet, wie es in den Kategorien der Entkleidung oder der Körper-
S PIELPLAN : K ONSTITUTION
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Ordnung der Fall ist, sondern in spatium. Die Betrachtung von Zeiträumen in der Phase der Konstitution bewirkt bei den Akteuren, im Sinne eines MikroVerständnisses sozialer Situationen, eine Kohärenz von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Von Kultur ist an dieser Stelle die Rede, weil es sich bei Schulklassen und Gruppen in institutionellen Kontexten immer auch um spezifische Kulturen handelt, die eigene Ordnungen auf der Grundlage ihnen vertrauter Signalisierungs- und Handlungszusammenhänge produzieren und reproduzieren. In gewissem Sinne werden innerhalb der Kultur Zusammenhänge hergestellt, die auf dem Wissen der jeweiligen Gemeinschaft aufbauen oder in enger Verbindung stehen. Solche Zusammenhänge können beispielsweise in Form von Inhalten vergangener Sportstunden, bekannter Sozialformen oder Anordnungen von Aufbauten liegen, um an das Wissen der SchülerInnen anzuschließen und schließlich so die Rahmung der Situation zu verdeutlichen, und den Übergang vom Spektakulum zum Spiel zu gestalten. Im Prozess der Darstellung von Zusammenhängen werden zukünftige Handlungen bereits koordiniert und vorweggenommen. Dadurch wird gewissermaßen ein skill der zukünftigen performance nahegelegt, worüber ein Verständnis davon entwickelt wird, was zu tun und zu unterlassen ist. Ein solcher Prozess der Verständigung dient insofern dazu mögliche Missverständnisse über Situationen und damit womöglich divergierende Rahmungen zu reduzieren. ››Ein Rahmen ist gleichzeitig exklusiv und inklusiv, indem er bestimmte Mitteilungen oder Handlungen als zugehörig (Inklusion) und andere als nicht zugehörig ausschließt (Exklusion)‹‹ (Miebach, 2014, S. 132). Dieses Verständnis kann erweitert werden, wenn die Akteure auf bekannte Wissensbestände verweisen oder daran anknüpfen, also inklusive Mitteilungen verwenden. Die Frage, die sich nun anschließt ist, wie im Sportunterricht inklusive Mitteilungen die Rahmung verdeutlichen und welche Funktion diese Prozesse im Rahmen von sozialer Ordnung einnehmen.
Still-15: Kulturelle Kohärenz 1)
2)
3)
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(38) #02 00:33-01:40 Lm v
Lm nv
Sx nv
Lm v
Lm nv
00:33 (Still-15-1) Ihr wisst dass wir heute: mehr oder weniger turnen dass das unser Schwerpunkt ist. wir haben auch schon mal vor einigen Wochen so
Steht vor den SchülerInnen, bewegt sich ein Stück nach vorn und nach hinten. Sitzen an der Hallenwand auf der Fensterbank oder auf einer Langbank und schauen zu Lm. 00:48 (Still-15-3) einmal
Schaut nach rechts und zeigt mit seinem rechten Arm nach rechts.
S1w nv Sx nv
Sitzen an der Hallenwand auf der Fensterbank oder auf einer Langbank und schauen zu Lm.
00:39 (Still-15-2) mit Stabilisationsübungen angefangen, ne Standwaage, wir haben uns durchgestützt, so verschiedene Vorübungen gemacht das greifen wir heut wieder auf. Stellt sich auf sein rechtes Bein, beugt sich leicht nach vorn und streckt seine Arme aus.
00:45 heut werden wir im Stationsbetrieb drei Dinge machen.
00:49 versuchen auf einen hohen Mattenberg raufzuspringen, sich zu überschlagen, S1w äh wenn dein Papa kommt einfach einfach gehen ne? du wirst ja nachher dann sehen. Schaut wieder zur Klasse, macht kreisende Bewegungen mit seinen Armen. Steht auf und verlässt die Halle.
01:00 dann werden wir Pyramiden bauen und so nen bisschen am Boden arbeiten. das sind so die drei Elemente die uns, heute und in der nächsten Woche be: schäftigen. Zeigt mit dem linken Arm nach links.
Blick schweift über die sitzenden SchülerInnen.
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Lm v
Lm nv
S2w nv
Sx nv
01:07 da morgen die Bundesjugendspiele wahrscheinlich sind [1] oder das zumindest die letzte Sportstunde ist vor den Bundesjugendspielen, möchte ich dass ihr euch, wie wir es in der letzten Woche ausprobiert haben, selbstständig erwärmt, laufen, Lauf-abc. ihr habt dafür fünf bis sechs Minuten Zeit. Macht kreisende Armbewegungen. Meldet sich und nimmt ihren Arm kurz danach wieder herunter.
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01:24 dann bauen wir die drei Stationen auf und, machen dann noch mal ne spezielle Erwärmung, dass wir uns nicht verletzen und dann geht’s los
01:33 ja? fünf bis sechs Minuten Zeit, jeder erwärmt sich selbstständig [1] ich beobachte euch.
Zieht die Schulter hoch und neigt leicht den Kopf.
Schaut auf seine Uhr und klatscht anschließend in die Hände. (nach der Ansage von Lm: Gespräche.) Stehen von ihren Plätzen auf.
Für die Setzung eines klaren Rahmens bedient sich die Lehrperson eines Monologs zur Klasse, der eine Struktur der Stunde auf mehreren Ebenen offenbart. Die Redeanteile liegen nur auf Seiten der Lehrperson und werden auch von den SchülerInnen anerkannt. Eine Schülerin meldet sich zwischendurch, bricht ihre Meldung jedoch kurz darauf wieder ab (Still-15-1). Der Lehrkörper besitzt die Rahmungsmacht und dies scheint kulturell anerkannt zu sein, weil alle SchülerInnen den Blick auf ihn richten, nicht sprechen und auch auf Unterbrechungen verzichten. Das Rederecht liegt bei der Lehrperson und wird in Anspruch genommen, was durch die Reaktion der Schülerin und das Ignorieren der Meldung von der Lehrperson unterstützt wird. Zunächst rahmt die Lehrperson die aktuelle Stunde anhand einer Rückschau auf Übungen und Inhalte der vergangenen Sportunterrichtsstunden. Das RevuePassieren-Lassen von Übungen und Inhalten wird gestisch von der Lehrperson unterstützt. Über angedeutete Demonstrationen der Lehrperson von Übungen wie der Standwaage oder auch dem Stützen, werden fachsprachliche Begriffe und Bewegungen verwendet, die von den SchülerInnen beobachtet werden (siehe Still-15-2). Die sprachliche und körperliche Performance der Lehrperson beinhaltet die Funktion und die Anforderung an die Lehrperson Vorwissen auf Seiten der SchülerInnen zu aktivieren und bei ihnen zumindest kognitive Erinnerungen hervorzurufen, die es ihnen ermöglichen, zunächst noch stillgelegt, an der skillful performance der Lehrperson zu partizipieren. Lehrpersonen vollziehen inklusive Mitteilungen und Bewegungen, die auf implizite Rahmungen von Aktivitäten im Sportunterricht verweisen. Die kulturelle Kohärenz zeigt hier, mit Blick auf die Vergangenheit, eine erste Facette ihrer Ausprägung. Vergangene Inhalte werden dann mit der gegenwärtigen Situation verknüpft und wieder relevant (››Das greifen wir heut wieder auf‹‹). Anschließend wird ein erster Organisationsrahmen gesetzt, indem die Lehrperson andeutet, dass ››im Stationsbetrieb drei Dinge‹‹ gemacht werden. Über die Formulierung der Organisationsform wird bereits eine erste Struktur der Unterrichtsstunde sichtbar. Die Sichtbarkeit der Organisationsformen bei reeller Unsichtbarkeit hat die Funktion, dass über die Ver-
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mittlungsstruktur ein Situationsarrangement vorstellbar wird, worauf spätere Rahmungsprozesse abgestimmt werden können. Bei der Erläuterung der Übungen im Verlauf der Stunde wird gleichzeitig körperlich die Örtlichkeit der einzelnen Stationen angezeigt (siehe Still-15-3). Hier zeigt sich nicht nur eine ››kognitive Karte‹‹ (Kuhlmann, 1986, S. 165) der Lehrperson, sondern gleichermaßen eine körperliche Kartographie des Gerätearrangements. Die Andeutung einer räumlichen Aufteilung über stumme Gesten4 könnte im Verlauf der Stunde den Aufbau der Stationen erleichtern – zumindest scheint es, als ob die Lehrperson ihrer kognitiven Landkarte körperlich folgt. Eine weitere Facette der kulturellen Kohärenz zeigt sich in der Form der Formulierungen. Die Lehrperson spricht in der ersten Person Plural und bezieht sich und die SchülerInnen sprachlich in das vergangene, gegenwärtige und zukünftige Tun mit ein. ››Dann bauen wir die drei Stationen auf und machen dann noch mal ne spezielle Erwärmung, dass wir uns nicht verletzen und dann geht’s los‹‹. Diese Spezialisierung der Stundeninhalte ist insofern interessant, als dass zuvor ausgiebig über vergangene Vorübungen, die motorischen und organisatorischen Formen und das räumliche Arrangement gesprochen wurde, die sich nun in einer letzten klaren Ansage verdichten und die Sinnhaftigkeit der Tätigkeiten miteinander verknüpfen. (39) #15 01:50-03:10 Lm nv
Sx v Sx nv
4
01:50 Steht in der Halle etwas abseits der Klasse und beobachtet die SchülerInnen.
(Gespräche) Spielen mit Badmintonschlägern und unterschiedlichen Bällen in der Halle (zuvor haben sie sich ohne Schläger und Bälle bewegt, bis Lm diese ausgeteilt hat).
1:54 Schaut in die Halle, klatsch vier Mal in die Hände, wendet sich dann ab, nimmt sich einen Schläger und einen Ball aus einem kleinen Kasten und geht in Richtung Hallenmitte. (Gespräche werden leiser) Stoppen ihre Tätigkeiten und setzen sich an den Mittelkreis der Halle auf den Boden.
02:07 Geht zum Mittelkreis, bleibt kurz stehen und hockt sich dann mit dem Schläger und dem Ball in der Hand hin. Den Schläger stellt er vor seinen Körper. (leise Gespräche) Viele SchülerInnen sitzen bereits und die restlichen sind dabei sich auch hinzusetzen.
An dieser Stelle wird von stummen Gesten gesprochen, weil sie in diesem Fall nicht sprachlich begleitet werden. Es wird eine Örtlichkeit angezeigt, aber die sprachlichen Ausführungen beziehen sich auf die Übungsausführung. Gesten sind zunächst immer stumm, jedoch sind sie es nicht mehr, wenn sich Geste und Sprache direkt aufeinander beziehen. Hier zeigt sich eine Kohärenz beider Elemente, die im Tun der Lehrperson von den BeobachterInnen miteinander verbunden werden.
S PIELPLAN : K ONSTITUTION
02:11
02:15 Nein.
Hockt im Kreis und schaut die SchülerInnen an. So wie Herr Lm sitzen. Schaut zu Lm.
Schaut zu S1m und hebt kurz seine Hand in die Richtung des Schülers. Ach so::.
Lm v Lm nv
S1m v S1m nv Sx v Sx nv
Lm v Lm nv S2m v S3w v
Lm v
Lm nv
02:26 Was hatten wir denn da für ne Übung gemacht? Schaut in den Kreis.
02:33 Was gibt es denn noch für Möglichkeiten, was können wir denn noch machen?
02:37
Schaut in den Kreis.
Zeigt auf S4m. Dass wir ein Spiel machen. Nimmt den Arm herunter und schaut zu Lm.
S4m v S4m nv Sx nv
Teilweise sitzen die SchülerInnen ruhig und teilweise bewegen sie den Schläger in der Hand.
Meldet sich. (Gespräche verstummen) Vereinzelt melden sich SchülerInnen.
S3w nv Sx v Sx nv
Melden sich.
02:19 Das mache ich nur wegen meinem Rücken.
Setzt sich wieder auf den Boden.
(Gespräche werden leiser) Alle SchülerInnen sitzen und halten ihren Ball und ihren Schläger in der Hand. 02:21 so, letzte Woche hatten wir ja schon angefangen. Hockt im Kreis und schaut in den Kreis. mhm
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02:29 ei:ne hatten wir schon gemacht, S3w. Zeigt mit dem Schläger auf S3w. Dass wir immer so gegen die Wand mit dem Schläger. Nimmt den Arm herunter. SchülerInnen senken ihre Arme. 02:40 Spiel machen nee ihr habt da euch eben aber schon die ganze Zeit, bewegt [1] in der Halle: und habt alle schon mit den Bällen rumgespielt, Schaut zu S5w und hört auf zu sprechen.
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Lm v
02:47 o::hne das jetzt zu zei:ge:n.
02:57 was könnte man noch machen?
Lm nv
Zeigt auf S1m.
S1m v
Den Ball so nehmen und dann immer so Nimmt den Arm herunter und streckt den Schläger aus, um den Ball darauf leicht hochzuhalten.
S1m nv
S5w nv
Sx nv
Beginnt den Schläger auszustrecken und den Ball leicht hochzuschlagen. Beginnen sich zu melden. (Zwei Schülerinnen kommen in den Kreis dazu und holen sich anschließend ebenfalls einen Schläger und einen Ball.)
Schauen zu S1m.
03:03 Joa. dann machen wir das doch alle mal, geht auseinander und, ausprobieren. Steht langsam auf und macht die Übung.
Stehen auf, verteilen sich und beginnen mit der Übung.
Die Zusammenhänge von Stundeninhalten und zukünftigen Handlungen müssen nicht von der Lehrperson allein hergestellt werden. Über die spezifische Bekleidung der SchülerInnen mit Materialien aktiviert sich ein Vorwissen über die motorischen Bewegungen und kann in der Gleitzeit auch bereits praktiziert werden. Dies widerspricht zunächst der bereits ausgeführten Entkleidung von SchülerInnen, scheint jedoch kontextspezifisch für den Übergang von Unterrichtsphasen konstitutiv zu sein. Mit dem Besitz von Schläger und Ball entsteht mehr Bewegung im Kreis als ohne Materialien und die Lehrperson hat die Aufgabe, diese Tätigkeiten unter Kontrolle zu behalten. Über die Bekleidung mit Materialien werden eine Zeitersparnis und eine Konkretisierung des Unterrichtsinhaltes erreicht. Über Fragen entwickelt die Lehrperson den Zusammenhang vergangener Tätigkeiten und probiert über gezielte Erläuterungen und Nachfragen Übungen von den SchülerInnen erarbeiten zu lassen. Obwohl eine Schülerin (S5w) bereits die spätere Übung demonstriert, während die Lehrperson spricht, unterbricht der Lehrer diese Tätigkeit und scheint so indirekt auf die Regel des Meldens zu verweisen, weil anschließend ein Schüler diese Übung vormacht, die dann auch von allen nachgemacht werden soll. Für die Beschreibung der Übung nutzen die SchülerInnen alltagssprachliche Formulierungen, in denen keine Benennung der Übung, sondern eine Beschreibung der Tätigkeit im Vordergrund steht, die insbesondere über die Bewegung konkretisiert wird. Im Vergleich zur vorherigen Szene wird in Szene (39) keine ausführliche kognitive Karte der Lehrperson präsentiert und dargestellt. Das Vorhaben der Stunde wird implizit im Material der SchülerInnen verankert und, ohne noch einmal den konkreten Inhalt anzusprechen, zeigt sich ein practical understanding der Akteure.
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Zusammenfassung und Theoretisierung: Was wurde durch die Analyse der Konstitution vor dem Hintergrund der Problemstellung dieser Arbeit deutlich? Die Analyse einer kulturellen Kohärenz hat gezeigt, dass die Verständigung über den Rahmen und damit die Rahmungsprozesse den Akteuren eine Orientierung in spatium geben. Über die Praktiken der Rahmung werden Strukturen zukünftiger Tätigkeitsabläufe sichtbar. In der Phase der Konstitution im Sportunterricht werden über den Körper und über die Sprache Strukturen, Orientierungen und Anordnungen dargestellt, die bei den Akteuren ein Vorwissen aktivieren, das eine Vorstellung der anstehenden Performance erleichtern soll. Der Rückverweis auf bereits bekannte Aspekte lässt Bewegungen und Aufbauten vertrauter erscheinen und zeigt durch die Verknüpfung von Inhalten auch die Sinnhaftigkeit der bereits behandelten Inhalte im Sportunterricht. Die Lehrperson steht vor der Herausforderung ihre kognitive Karte bereits im Vorfeld sinnhaft zu strukturieren und diese auch in actu zu performen und lässt dadurch eine körperliche Kartographie entstehen. Der Lehrkörper gibt die Konturen der (vergangenen und zukünftigen) Situationen für die Beteiligten vor. Es zeigt sich, dass diese Prozesse der kulturellen Kohärenz verstärkt sprachlich arrangiert werden und durch eine körperliche Performance ergänzt werden. Durch die Veröffentlichung einer kognitiven Landkarte der Unterrichtsstunde durch die Lehrperson können Vorstellungen und Erwartungen für alle Akteure hergestellt werden, die spätere Koordinierungs- und Abstimmungsprobleme vorgreifend marginalisieren können. In Anlehnung an Kuhlmann (1986) zeigen sich hier beim ››Inszenieren‹‹ (ebd., S. 53) Vereinbarungen über zukünftige Aktivitäten, die verstärkt in monologischer Auseinandersetzung vollzogen werden und möglichen kommunikativen oder motorischen ››Defekten‹‹ (ebd., S. 129) präventiv entgegenwirken. Über sprachliche und körperliche Metaphern finden sich Aspekte der Materialität, die vor dem tatsächlichen motorischen Vollzug eine Art ››kulturelle[r] Selbstverständlichkeit‹‹ (Landau, 1979, S. 82) erzeugen. Friedrich (1991) erläutert solche sprachlichen Darstellungen anhand des ››fachsprachliche[n] Referenzmuster[s]‹‹ (ebd., S. 73ff.) von SportlehrerInnen. Die Verwendung fachsprachlicher Ausdrücke kann die Darstellung von Bewegungshandlungen erleichtern und damit sprachliche Inszenierungen effektiver gestalten. Jedoch ist häufig auch eine Mischung von alltagssprachlichen und fachsprachlichen Bezeichnungen zu beobachten, die damit auch die Problematik der Verbalisierung sportspezifischer Bewegungshandlungen verdeutlichen. SchülerInnen greifen noch auf ein weiteres Mischverhältnis zurück, indem sie alltagssprachliche Formulierungen mit dem Ausführen der Bewegungshandlung koppeln und auch so ihr Verständnis oder Missverständnis zeigen können. Die Kategorie der kulturellen Kohärenz lässt sich mit einem strategischen Monolog charakterisieren, der diverse Zeiträume zum Beginn der Stunde vereint und wesentliche Aspekte vorgreifend realisiert. Um sprachlich und körperlich eine solche vorgreifende Realisierung erfolgreich zu vollziehen, bedarf es eines practical understandings der Lehrperson. Über das situationsübergreifende Verständnis kann situativ körperlich und sprachlich auf die Situation reagiert und Erläuterungen und Darstellungen angepasst werden. Die Bekleidung mit Materialien vereinfacht die kulturellen Zusammenhänge in Form von Inhalten und auszuführenden Tätigkeiten. Sprachliche Erläuterungen können materiell (körperlich und mit Artefakten) konkretisiert und
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gleichzeitig auch öffentlich gezeigt werden. Die Lehrperson entlastet sich auf diese Weise auf der einen Seite, weil sie keine ausführlichen Erläuterungen über vergangene oder zukünftige Handlungen tätigen muss und direkt in die Stunde einsteigen kann. Auf der anderen Seite steht sie der Anforderung gegenüber, die KörperOrdnung im Sitzkreis auch mit einer Material-Ordnung zu überwachen und auf die Ordnung zu verweisen. Unter dem Konzept der Definition der Situation wurde mit der Verknüpfung von Goffmans Rahmenkonzept darauf hingewiesen, dass Situationen von den Akteuren keiner expliziten und langwierigen Aushandlung bedürfen, um zu klären, was vor sich geht. Vielmehr stellen die Akteure in der Regel ganz richtig fest, um was für eine Situation es sich handelt. In den dargelegten Szenen zur kulturellen Kohärenz wird eine Differenzierung im Vorgang der Definition der Situation deutlich, die sich im Wie der Akteure offenbart – eine Differenzierung zwischen performativen und konstativen Definitionen (vgl. Schulz-Schaeffer, 2010, S. 328ff.). Die verwendeten Strategien der vorgestellten Lehrpersonen und das Verhalten der SchülerInnen in den Szenen unterscheiden sich oberflächlich nicht in der Vorgehensweise, sind in ihrer Funktion jedoch unterschiedlich. Die Lehrpersonen greifen auf eine ››performative Durchsetzung von Situationsdefinitionen‹‹ (ebd., S. 329) zurück, die auf der Anwendung von bewährten Handlungsweisen beruht. Über eine bestimmte Vorgehensweise, sei es in Form eines strategischen Monologs oder über körperliche Zeichen und Artefakte in Form von akustischen Signalen und der Ausstattung mit Materialien werden Deutungsmuster und Vorgehensweisen unter angedeuteten Umständen wiederholt und für die performative Durchsetzung der Situation vorweggenommen. Es wird eine Handlungskoordination durch das Rollenhandeln der Akteure unbewusst realisiert und decodiert, um eine betreffende Situationsdefinition zu vollziehen. ››Der performative Charakter gemeinsam geteilter Situationsdefinitionen besteht dementsprechend darin, dass sie durch das Rollenhandeln der Akteure Geltung erlangen‹‹ (ebd., S. 330). Für die SchülerInnen wird der jeweilige Bezugsrahmen über Artefakte, Positionierungen und sprachliche Inszenierungen vorgegeben. Durch das Übergehen von Meldungen der SchülerInnen, dem Vollzug eines strategischen Monologs der Lehrperson oder auch durch gezielte Impulse im Unterrichtsgespräch wird ein klares Erwartungsbündel in typisierter Form geschnürt: ››Ihr wisst, dass wir heute mehr oder weniger turnen, dass das unser Schwerpunkt ist. Wir haben auch schon mal vor einigen Wochen so mit Stabilisationsübungen angefangen, ne Standwaage, wir haben uns durchgestützt, so verschiedene Vorübungen gemacht. Das greifen wir heut wieder auf‹‹ (Szene (38)).
Die Rolle der SchülerInnen wird über ihr Handeln bzw. das Unterlassen von Handlungen bestätigt und sie vollziehen über die Orientierung an der Lehrperson, der räumlichen und zeitlichen Struktur und der Artefakte eine konstative Deutung, bei der es um die Frage geht: ›››Welche Situation liegt vor?‹‹‹ (Schulz-Schaeffer, 2010, S. 331). ››Aus der Perspektive der konstativen Deutung ergibt sich eine hohe Passung zwischen den Merkmalen der vorliegenden Situation und dieser Situationsdefinition, weil das an dieser Situationsdefinition orientierte performative Rollenhandeln der Akteure der Situation den Stempel aufdrückt‹‹ (ebd.). Die konstative Deutung zeich-
S PIELPLAN : K ONSTITUTION
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net sich somit als eine Perspektive aus, die nur geringe Durchsetzungsmöglichkeiten bereitstellt und auf die mit Handlungsroutinen oder auch Handlungsstrategien reagiert wird. Innerhalb der institutionellen schulischen Rahmung werden im sportunterrichtlichen Kontext Körper-Ordnungen etabliert, in denen bestimmte Körperhaltungen der Akteure vollzogen und von der Lehrperson eingefordert werden. Annähernd stillgelegte Körper werden räumlich arrangiert. Es erfolgt jedoch nur eine annähernde Stilllegung, weil schweifende Blicke, geflüsterte Gespräche oder das Zurechtrücken der Kleidung erhalten bleiben. Der Vollzug ist jedoch verlangsamt und eher unauffällig. Entlang der Tätigkeiten der Akteure zeigt sich ein raum-konstituierendes Verhalten. Die Platzierung im Kreis bringt überschneidende Gesichtsfelder mit sich und trotzdem die Möglichkeit die Lehrperson anzuschauen.5 Für die im Material gefundene Bildung von Räumen können neben einer Bündelung der Körper vor allem auch akustische Signalisierungen eine Rolle spielen. Die Sporthalle bietet eine spezifische Akustik, die somit einen Sonderraum darstellt und eine Errichtung eines Raumes im Raum veranlasst. Ohne Mobiliar finden sich trotzdem eingenommene Plätze wieder, die nur für die jeweilige Zusammenkunft gelten, bei der nächsten wieder anders aussehen können und durch die eine relative Normierung – einem aufgerichteten Körper und eine ausgerichtete Blickrichtung – einzuhalten sind. Über eine gewisse Normierung, die nicht klar definierbar, jedoch korrigierbar erscheint, wird eine Unterrichtsbereitschaft der Lehrperson und den MitschülerInnen gegenüber angezeigt. Unter dem Einbezug von Partizipanden, wie Feldlinien oder die Körper der Teilnehmer, werden Räume strukturiert. Im Sinne Goffmans (1974) wird der ››persönliche Raum‹‹ (ebd., S. 56) situativ als eine grundsätzliche körperliche Nähe intimer ausgelegt. Dabei sind das kulturelle Verständnis des Sportunterrichts und auch die Unmöglichkeit der Markierung eines persönlichen Raumes ausschlaggebend. Die Bündelung von Gesten, Signalen und Körperpositionierungen sind Praktiken der Körper-Ordnung im Sportunterricht, die zur Konstitution einer sozialen Ordnung beitragen. Anhand der situativen Verwendung dieser Praktiken werden kollektive Wissensbestände aktiviert und Rahmungen gesetzt, die in gewisser Weise Zugzwänge bei den Akteuren hervorrufen und den Sportunterricht am Laufen halten. Die anfängliche maximale Mobilität der SchülerInnen wird im Übergang von einer sportunterrichtlichen Gleitzeit über die Konstitution zum Spiel immer weiter eingeschränkt bis zu einer (fast) statischen Sitzposition. Der Lehrperson kommt dabei keine exponierte Position zu, vielmehr zeigen sich gleichberechtigte Positionen. Eine Begegnung auf Augenhöhe scheint spezifisch für den Sportunterricht zu sein. Die Aktivitäten werden über Signalisierungen immer gleichförmiger und ihre Tätigkeiten und auch das Unterlassen von Tätigkeiten parallelisieren sich und werden zunehmend zwischen SchülerInnen und Lehrperson aufeinander abgestimmt. Korrekturen werden von der Lehrperson übernommen und haben eine gemeinsame Aufmerksamkeitsfokussierung zum Ziel. Die dargestellten Praktiken zur Herstellung einer gemeinsamen sozialen Ordnung und eine Bündelung der Tätigkeiten zeigen sich in einem kooperativen Nexus of doings and sayings aller Beteiligten.
5
Auf das Blickverhalten und die Funktion von Blicken in Hinblick auf soziale Ordnung wird in der Kategorie des Spiels vertieft eingegangen.
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Mit der Entkleidung der SchülerInnen werden Bedingungen geschaffen den Unterricht zu beginnen. Die Funktion der Entkleidung liegt in einer Reduktion von Komplexität, einer Herstellung von Funktionalität und ermöglicht somit eine Fokussierung auf die folgenden Inhalte, Ansprachen oder Arrangements. Der Vollzug der Entkleidung als routinisierte Handlungskoordination der Akteure zum Unterrichtsbeginn wird über den Modus der Wiederholung erworben und verfestigt.6 Ein solcher Vorgang (vgl. Szene (28)) im sportunterrichtlichen Tun kann mit Goffmans Modulation des ››So-Tun-als-ob‹‹ (Goffman, 1977, S. 60, Herv. i. O.) in Verbindung gebracht werden. Darin werden alltägliche Vollzüge künstlich dargestellt und eingeübt. In Form eines Drehbuches wird ein Ablauf einstudiert über ansonsten ››drehbuchlos ablaufende soziale Vorgänge‹‹ (ebd., S. 66). Die Funktion dieser Modulation liegt in der Vermittlung der Struktur dieser Ereignisse, wodurch gewisse Handlungen in einer gewünschten Weise ausgeführt werden. Sie dienen dazu die Akteure Erfahrungen sammeln zu lassen, die noch aus den gewöhnlichen Zusammenhängen herausgelöst sind, jedoch auf sie verweisen, und ihnen mit einer belehrenden Funktion den Charakter einer Probe zukommen lassen. Über den Prozess des Erfahrungsaufbaus werden Bezüge für die aktuelle Einordnung der Tätigkeiten hergestellt, die in ein implizites Wissen über typische Situationen übergehen und situationsspezifisch routinisiert vollzogen werden können. Gewissermaßen wird durch die Körper-Ordnung und die Entkleidung der SchülerInnen eine Ordnung in der Sporthalle hergestellt, die die Praktik der kulturellen Kohärenz zusammenhält und einen Nexus of practices für die Konstitution vollziehen. Um das Spiel beginnen zu können – und damit auch eine Ordnung in der Sporthalle zu etablieren – müssen von den Teilnehmern eine Reihe von Bedingungen erfüllt werden: die Erfüllung einer Kopräsenz, also der unmittelbaren Anwesenheit in der Sporthalle und in der Situation;7 eine relativ präzise Körper-Verteilung und KörperPositionierung im Raum und die Verfügung zu gewissen Zeiten über bestimmte Dinge (Bälle, Unterlagen, Materialien) bzw. von ihnen bekleidet oder entkleidet zu sein. Die hier eingeführten kategorialen Figuren der Entkleidung, Körper-Ordnung und der kulturellen Kohärenz lassen sich mit Rückgriff auf Goffmans (1974) ››Beziehungszeichen‹‹ (ebd., S. 255) weiter theoretisieren. Unter Beziehungszeichen lassen sich ››Bekundungen über Beziehungen‹‹ (ebd., S. 262) verstehen. Sie können sich körperlich, über Gegenstände oder Handlungen symbolisieren und werden von den beteiligten Akteuren im Tun als ››subtile Aufgabe‹‹ und ››nebenher geleistet‹‹ (ebd.), um ihre Beziehung untereinander evident zu machen. Beziehungszeichen strukturieren mit symbolischen Ausdrucksmitteln soziale Situationen. Über ››Markierungen‹‹ (ebd., S. 272, Herv. i. O.), die sichtbar und öffentlich sind, werden soziale Beziehungen, Räumlichkeiten oder Aushandlungen gestaltet und gegenseitig angezeigt. Das Tragen funktionaler Kleidung im sportunterrichtlichen Kontext und die Entkleidung unfunktionaler Kleidung (Schmuck, etc.) zeigt das eigene Verständnis der Situation an. Über den Aspekt der Kleidung hinaus zählt auch die Ausstattung bzw. die Entkleidung von Materialien in bestimmten Situ6 7
Die Grundlegung solcher Vorgänge der Routinisierung konnte bereits exemplarisch an der ersten Sportstunde einer ersten Klasse gezeigt werden. Wie deutlich geworden ist, kann ein Aufenthalt in der Sporthalle nicht gleichgesetzt werden mit der Teilnahme an einer Situation, die sich wiederum in einer Halle verorten kann.
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ationen. Somit ist es gerade auch der Kontext, der bereits Informationen liefert und den Akteuren Hilfestellung leistet, welche Handlungen an öffentliche Bekundungen anzuschließen sind – eine Indexikalität. Die dann angeschlossenen Handlungen gelten wiederum als Bekräftigung der Beziehungen, weil die Situation bestätigt wird – eine ››ritualisierte Bekundung von Arrangements‹‹ (ebd., S. 316). Auf diese Weise entstehen Praktiken der Be- und Entkleidung und der Körper-Ordnung. Im Rahmen der Körper-Ordnung werden nicht nur räumliche Arrangements geschaffen, sie werden noch eindeutiger über körperliche Arrangements bestätigt. Im Kontext der Rahmung setzen die Akteure gleichermaßen Zeichen, die gemeinsam mit dem jeweiligen Kontext als zentrale Informationsquellen dienen: ››Teilnahme an einem Miteinander, die Handhabung kleiner territorialer Privilegien und die Verpflichtung […] zu begrüßen‹‹ (ebd., S. 283). Die gezeigten routinisierten Abläufe zur Herstellung einer Unterrichtsbereitschaft im Rahmen der Konstitution lassen eine Materialität der Ordnung sichtbar werden. Das Zusammenkommen im Sitzkreis, das Wegbringen von Geräten, die Leisezeichen bzw. die Regel im Kreis nicht zu sprechen, nicht wegzulaufen, richtig zu sitzen, der Verweis, dass Regeln eingehalten werden, schnell Geräte weggeräumt werden, auf Abläufe verwiesen wird; all das sind Handlungskoordinierungen, die auf einer beständigen Wiederholung von Praktiken im sportunterrichtlichen Zusammenleben beruhen. Eine ständige Einübung und eine wechselseitige Unterstellung von Wissensbeständen etabliert eine soziale Ordnung im Sportunterricht. Die Gebrauchsweisen der Körper, Dinge und Räume sind in den Akteuren eingeschrieben und folgen einer Reihe ungeschriebener Regeln, die häufig stumm, aber nicht unsichtbar umgesetzt werden und eine soziale Ordnung erzeugen, die sich über typisierte Vollzüge routinisierter Tätigkeiten zwischen den Akteuren in einer skillful performance offenbart. Der Lehrperson obliegt die Funktion des Wächters, indem sie für die Ordnungsvorstellungen eintritt, sie sichtbar macht und Anlässe bietet diese in kollektive Wissensbestände zu überführen. Sichtbar wird diese Wächterfunktion gerade dann, wenn Regelerinnerungen explizit benannt und begründet werden bzw. daran erinnert wird, weil so auf implizite, vorausgesetzte Ordnungsvorstellungen verwiesen wird. Mit den hier herausgearbeiteten Kategorien wird deutlich, dass die angelegten Phasen des Spielplans auf der einen Seite, durch ihren Vollzug und die Signalisierungen der Teilnehmer, voneinander zu trennen sind. Auf der anderen Seite können inhärente Praktiken nicht immer nur der einen oder anderen Phase zugeordnet werden. Jedoch zeigen sich verhältnismäßige Schwerpunktsetzungen der Praktiken innerhalb divergenter Phasen, die anhand ihrer Kontextualisierung und über Beziehungszeichen eine Eindeutigkeit besitzen.
Spiel: ››Auf die Plätze, fertig, los!‹‹
Spiel
Blicke Territoriums-Management Spielräume
Über die Setzung von inneren Anfangsklammern trennt sich das Spektakulum vom Spiel – ››von den umhüllenden zu den umhüllten Ereignissen‹‹ (Goffman, 1977, S. 289). Das Spiel kann somit als Unterricht gelesen werden und damit als zentrale Phase des Sportunterrichts. Mit dem Beginn des Sportunterrichts steht die Lehrperson unter einem Performance-Druck, der von Lehrpersonen ››einen hohen Grad an professioneller Kompetenz‹‹ (Bräutigam, 2003, S. 169) verlangt. Das alltägliche Unterrichtsgeschehen verläuft in der Regel nicht ohne Situationen, in denen Störungen oder Missverständnisse auftreten, die von den Akteuren gemeinsam bewältigt werden müssen. Die konkrete Anweisung für den Umgang mit solchen Anforderungen sind nach einem praxistheoretischen Verständnis nicht allein expressis verbis, sondern liegen vor allem in einem situativen Know-how der Akteure. Die Kategorie des Spiels konzentriert sich darauf, wie von den Akteuren die Komplexität und Dynamik sportunterrichtlicher Situationen so vollzogen werden, dass ein geordneter Ablauf hergestellt und aufrechterhalten wird. Die zentrale Frage, die sich daraus ergibt, ist: Wie werden die Rahmungen durch die Akteure gestaltet und wie arrangieren sich die organisierenden Tätigkeitsmomente, um diese aufrechtzuerhalten? In der Herstellung einer äußeren Ordnung geht es beispielsweise um ein doing von Mannschafts- und Raumbildungen und in einer inneren Ordnung unter anderem darum, wie mit Störungen umgegangen wird oder wie Rahmungsdifferenzen bearbeitet werden, um die Unterrichtsordnung im Handlungsverlauf zu stabilisieren.
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B LICKE : ››I CH BEOBACHTE
EUCH ‹‹
Blicke
Observation
Fokussierte Blicke
Blicke und ihre Funktion sind schon des Öfteren unter diversen soziologischen und ethnographischen Perspektiven in den Fokus genommen worden. Blicke können eingesetzt und wahrgenommen werden – wiederum über Blicke – mit der Funktion Interaktionen zu strukturieren, Erreichbarkeiten zu signalisieren oder einen Aufforderungscharakter zu verdeutlichen. ››Es sind jene Ereignisse, die im Verlauf und auf Grund des Zusammenseins von Leuten geschehen. Die Grundelemente des Verhaltens sind Blicke, Gesten, Haltungen und sprachliche Äußerungen, die Leute ständig in die Situation einbringen, unabhängig davon, ob diese Situation erwünscht ist oder nicht‹‹ (Goffman, 1971a, S. 7).
Studien mit einem ethnomethodologischen Schwerpunkt (vgl. u. a. Heath, 1986; Kendon, 1990; Hecht, 2009) weisen auf die notwendige Betrachtung der Kombination von Blicken und Sprache oder Blicken und Körperhaltungen bzw. -bewegungen hin, um ihrer Bedeutung eine Eindeutigkeit zu verleihen. Aufgrund der räumlichen Distanz in der Sporthalle und einer fehlenden und damit herzustellenden räumlichen Strukturierung wird die Positionierung des Körpers in Abhängigkeit der Funktion des Blickes zu einer zentralen Kategorie der sozialen Ordnung. Dies gilt vor allem für Blickwechsel oder Kopfbewegungen, aber auch für die den Blick begleitende Sprache bzw. dem Ausbleiben von Sprache oder auch die Vermeidung des Blickes. Die folgenden Analysen werden deshalb immer auch ergänzend die jeweilige Körperhaltung der Akteure berücksichtigen.1 Die Ausrichtung des Körpers in Kombination mit der Blickrichtung verstärkt die jeweilige Wirkung (vgl. Heath, 1986, S. 39f.). Im Sportunterricht kommt diesem Aspekt gerade aufgrund der räumlichen Flexibilität eine besondere Funktion zu. Der Körper muss somit immer auch ergänzend erwähnt werden – so wird aus Blicken eine Praktik.
1
Die Gleichzeitigkeit von Körperhaltungen und Blicken ist den Analysen immer wieder hilfreich gewesen, weil Blickrichtungen oder die Bewegungen der Augen nicht immer eindeutig zu erkennen sind.
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Observation
Blicke
Observation
Fokussierte Blicke
In den erhobenen Daten sind Blicke der Akteure aufgefallen, die einer BeobachterInnentätigkeit ähneln und mit gezielten Körperhaltungen und dem Aufsuchen von Räumen kombiniert werden. Diese Blicke werden im Folgenden als Observation bezeichnet. Innerhalb dieser Kategorie lassen sich verschiedene Funktionen von Observationen unterscheiden, die teilweise spezifisch den Lehrpersonen oder auch den SchülerInnen zugeschrieben werden können. Observationsblicke
Still-16: Observationsblicke 1)
2)
(40) #07 00:00-02:00 Lw v Lw nv
Sx v Sx nv
00:00 Spitzenmäßig. Steht auf und legt eine Dose auf die Langbank am Hallenrand.
(Rufen laut; Gespräche) Springen auf. Ein Teil der SchülerInnen beginnt die MitschülerInnen in bestimmten Bereichen zwischen den großen Kästen abzuwerfen, die anderen SchülerInnen probieren den Bällen auszuweichen und dabei um die aufgebauten vier Kästen herumzulaufen.
00:10
00:21 Hallo. Schaut zu dem vorbeilaufenden Schüler und grüßt ihn zurück.
Dreht sich und schaut zur Klasse, dabei beginnt sie um das Spielfeld herumzugehen. Immer wieder beobachtet sie das Spielgeschehen. Hallo.
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Lw nv
00:33 Geht weiterhin um das Spielfeld herum. Dabei schaut sie immer wieder auf das Spielgeschehen.
00:42 Geht in Richtung des Geräteraumes und schließt das Tor zum Geräteraum. Immer wieder schaut sie sich um und beobachtet das Spiel. Nachdem sie das Tor geschlossen hat, geht sie weiter um das Spielfeld herum.
Ah, a:h Fällt hin und bleibt auf dem Boden sitzen. Er hält sich sein Knie.
S1m v S1m nv
Lw v Lw nv
S1m v S1m nv
Lw v Lw nv
S2m nv
01:00 Sieht, wie S1m hinfällt, und geht auf ihn zu.
01:01 Alles gut S1m? Beugt sich zu S1m herunter und streichelt ihm über den Rücken.
01:04 Ja tapfer, gut. Schaut nach oben und direkt auf das Spielgeschehen.
01:05 (Still-16-2)
Dreht sich weg und geht zum Hallenrand, um sich dort auf eine Langbank zu stellen. Mit Blick zum Spielgeschehen bleibt sie dort stehen und lässt immer wieder ihre Blicke wandern. Teilweise geht sie einen Schritt zur Seite. Zwischendurch schaut sie kurzzeitig auf ihre Armbanduhr.
Aua. Steht auf und läuft wieder los. 01:46 äh, S2m? nicht dadurch rennen. außen rum. Schaut zu S2m, schüttelt leicht den Kopf und macht eine kreisende Handbewegung. Dreht sich um, schaut zu Lw und nickt leicht mit dem Kopf.
01:50
Wendet den Blick wieder auf das Spielgeschehen, dabei wandern ihre Blicke immer leicht von links nach rechts. Steht aufrecht mit den Händen hinter dem Rücken. Dreht sich wieder weg und läuft weiter.
Mit dem Umkreisen des Spielfeldes und der Spielsituation verschafft sich die Lehrerin einen Überblick über das gesamte Arrangement. Ihre wandernden Blicke sind ständig auf das Spielgeschehen gerichtet. Selbst weitere Tätigkeiten, wie das Schließen des Geräteraumes oder das Trösten eines Schülers, lassen ihren Blick nur kurzzeitig ablenken. Die Umkreisung des Spielfeldes endet in der Einnahme einer erhöhten Position auf der Langbank am Rande des Spielfeldes. Vor dort aus beobachtet sie das Geschehen mit weiteren wandernden Blicken. Im Verlauf der Beobachtung nimmt sie immer wieder flüchtige Fokussierungen vor, die wieder aufgelöst werden, weshalb die Lehrerin auch das ein oder andere Mal kleinere Bewegungen auf ihrem Aussichtspunkt vornimmt. Erhöhte (siehe Still-16-2) oder zentrale Positionierungen (siehe Still-16-1) der Lehrperson dienen der Observation der ››Szene‹‹ (Kuhlmann, 1986, S. 119). Zentrale oder erhöhte Positionierungen am Hallenrand, auf Geräten wie der Langbank oder
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kleinen Kästen, erleichtern den Überblick über das Geschehen in der Halle, dass durch die Weitläufigkeit und Dynamik auf diese Weise observiert werden kann. Die Lehrperson kann über öffentliche Blicke ihre Präsenz anzeigen und über ihre zentrale Positionierung das Spielgeschehen wahrnehmen und gleichzeitig von den SchülerInnen wahrgenommen werden. Durch die wandernden Blicke können Regelverstöße (››Äh, S2m? Nicht dadurch rennen, außen rum.‹‹) erkannt werden und sofort mit gezielter Anrede angesprochen werden, ohne die motorischen Aktivitäten zu unterbrechen. Die Observation des Unterrichtsgeschehens hat somit unterschiedliche Funktionen, die durch folgende Szene noch weiter verdeutlicht werden. (41) #08 00:00-02:00 Lw v Lw nv
00:00 Auf die Plätze, fertig, Schaut zur den SchülerInnen, die in Staffelform vor einem Laufparcour aufgestellt sind.
Sx v Sx nv
Schauen zu Lw.
Lw v
00:26 Jawoll.
Lw nv
Geht von der Bank herunter und schaut auf einige verschobene Ringe im Parcour. Mit dem linken Fuß schiebt sie diese Ringe zusammen. Dabei blickt sie immer wieder auf den Staffelverlauf.
S1m nv Sx v Sx nv
(Gespräche) Warten hinter ihren Hütchen. Erst wenn der Vordermann zurückgekehrt ist, läuft der nächste los.
00:02 los. Klatscht in die Hände und wendet ihren Blick anschließend von den SchülerInnen weg zum aufgebauten Parcours. Sie geht schräg rückwärts zur Hallenwand und wandert mit ihrem Blick über den Parcours. (Jubeln) Beginnen loszulaufen.
00:05 Schlusssprünge Schaut auf das Spielfeld. Anschließend stellt sie sich auf eine Langbank am Hallenrand und ihre Blicke wandern immer wieder hin und her.
00:33 S1m auf dem Rückweg kannste Gas geben. Schwenkende Armbewegung mit dem linken Arm. Anschließend macht sie eine Rückwärtsbewegung und stellt sich mit verschränkten Armen wieder an den Hallenrand. Ihre Blicke wandern hin und her. Stoppt kurz, schaut zu Lw und rennt dann weiter. (Gespräche)
01:05 S2 m, auf dem Rückweg kannst du einfach laufen. Schwenkende Armbewegung mit dem linken Arm.
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01:14 Schön S3w
01:17 (lacht) Bitte.
Lw nv
Schaut zu S3w und anschließend wieder über das Spielfeld.
Lächelt und schaut kurz der Schülerin hinterher, bevor sie wieder ihre Blicke wandern lässt.
S3w v
Danke.
Lw v
01:35 Lw v Lw nv
Geht an den Hallenrand und dreht sich um.
S4m nv
Schaut kurz zu Lw.
01:24 (01:27) genau. Schaut sich kurz um und bewegt sich durch das Spielfeld, dabei schiebt sie in den Staffelbahnen einige Ringe wieder zurecht und läuft anschließend auf die andere Seites des Spielfeldes.
01:39 äh, S4m. springst du richtig? nächste Runde Schaut zu S4m und macht eine schwenkende Armbewegung mit dem linken Arm. Anschließend bewegt sie sich am Hallenrand auf und ab und schaut immer wieder über das Spielfeld. Hört auf zu laufen, dreht sich kurz zu Lw und läuft anschließend weiter.
Die Aktivitäten der Lehrperson bei gleichzeitiger Nicht-Beteiligung dienen einer Aufrechterhaltung der Unterrichtsordnung. Über wandernde Observationsblicke verschafft sich die Lehrperson durch zentrale (und teilweise erhöhte) Positionierungen im Raum einen Überblick über das Unterrichtsgeschehen. Immer wieder kommt es zu kurzen Fokussierungen von Arrangements, die wieder zurechtgerückt werden, um den Ablauf des Spiels nicht zu gefährden oder es kommt zu Ansprachen oder Korrekturen, die an die SchülerInnen gerichtet sind. Die Lehrperson schaltet sich sozusagen immer wieder aus dem Off in das Unterrichtsgeschehen ein: Es werden Hinweise zur Einhaltung der Regeln (››Äh, S4m. Springst du richtig? Nächste Runde‹‹) und Informationen zum Ablauf während des Spiels gegeben (››S2 m, auf dem Rückweg kannst du einfach laufen.‹‹) oder Lob an einzelne SchülerInnen (››Schön S3w‹‹) verteilt. Observationen haben die Funktion der Aufrechterhaltung einer Unterrichtsordnung. Die Observationen und die daraus resultierenden Beobachtungen sind eine zentrale Praktik von Lehrpersonen während sportmotorischer Aktivitäten im Sportunterricht. Observationsblicke begleiten das Spielgeschehen und ihre Konsequenzen werden direkt in der Situation sichtbar. Eine ››organisierte Nicht-Beteiligung‹‹ (Mohn, 2010, S. 164) von Lehrpersonen wird in Form von Regel-, Bewegungs- und Raumüberwachungen und darauf basierender gezielter Kommentierungen erreicht, die gleichzeitig die Präsenz der Lehrperson darstellen ohne im Fokus zu sein. Die Essenzen der Observationsblicke werden von den Lehrpersonen jedoch nicht nur in der Situation körperlich und sprachlich sichtbar, eine weitere Variante wird durch folgende Szene deutlich.
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(42) #09 00:00-03:49 00:00
00:24 Und sto::pp, wir kommen einmal im Kreis zusammen.
Steht am Hallenrand und beobachtet das Völkerballspiel der Klasse. Ihre Blicke wandern hin und her. (Gespräche, rufen laut, jubeln)
Geht in die Hallenmitte und setzt sich auf den Boden.
Lw v
Lw nv
Sx v
Sx nv
Lw v Lw nv S1m nv S2w nv S3m v
S3m nv
Stehen im Spielfeld.
00:59 S1m hast du ne Idee? Schaut zu S1m.
00:45 Ich glaube die Spielidee ist bei allen wieder in Erinnerung, ä:hm:, warum sind wir im Kreis zusammengekommen? Wandert mit ihrem Blick durch die Sitzreihe.
(Gespräche) Weils Oh nee [2] langweilig wieso? war. Gehen in die Hallenmitte und bilden einen Sitzkreis. Nach kurzer Zeit sitzen alle im Kreis auf dem Boden.
(Leise Gespräche)
01:03 S2w? Schaut zu S2w.
01:10 S3m. Bestätigendes Kopfnicken, während S3m spricht.
Einige SchülerInnen beginnen sich nach der Frage von Lw zu melden.
Schaut zu Lw. Schüttelt nach einiger Zeit leicht den Kopf. Ähm, weil die meisten nicht den Ball bekommen haben und dann konnten sie nicht werfen und, das war n bisschen langweilig Senkt seinen Arm.
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Lw v
01:18 Mhm, nimm mal den nächsten dran.
Leichtes Kopfnicken.
Lw nv
S3m v
S4m v
S5m v
01:30 Mhm, [3] vergesst nicht den nächsten dran zu nehmen.
S4m.
Ähm und, vielleicht sollten auch die Mädchen mal weiter nach vorne gehen weil die standen ja eigentlich die ganze Zeit eigentlich nur hinten in der Ecke.
Ähm, S5m.
.
Vielleicht das wir schneller werfen.
02:20 (von Lw werden weitere Antworten der SchülerInnen gesammelt, die sich auf ein taktisches Verhalten beziehen.) Es kamen ja eben schon Ideen wie man mehr pepp ins Spiel bringen kann, gibt es noch mehr Idee dazu? [1] wie das Spiel für alle interessant wird? S4m. Lässt die Blicke durch über die SchülerInnen schweifen. Das man, wenn man den Ball hat sofort wi:rft und nicht noch zehn Minuten wa, zehn Sekunden wartet bis man endlich wirft und die ganze Zeit antäuscht weil dann dauert das auch länger, und desto ähm [Schüler ergänzt: besser können … unv.] ja und das auch dann dauert das viel länger als wenn man sofort wirft, weil dann könnte das Spiel auch zu Ende gespielt werden und sonst gar nicht. (Es werden weitere Antworten der SchülerInnen gesammelt, die sich auf das schnellere Werfen und Passen des Balles beziehen.)
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Lw v
03:34 Ne ich wollte Fragen ob es noch mehr Ideen gibt.
Lw nv
Lässt die Blicke über die SchülerInnen schweifen.
Sx nv
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03:37 dann probieren wir es so erstmal. gehen alle wieder ins Feld wir tun so als wenn das Spiel von vorne beginnt, keiner geht raus sondern alle gehen ins Feld und wir fangen nochmal von vorne an. Steht auf und geht an den Rand des Spielfeldes. Stehen auf während Lw noch spricht und beginnen sich im Spielfeld zu verteilen.
Das Spiel in Szene (42) wird von der Lehrperson unterbrochen. Mit der Frage: ››Warum sind wir im Kreis zusammengekommen?‹‹; wird die Beobachtertätigkeit der Lehrperson an die SchülerInnenschaft übertragen. Die anfänglichen gezielten Fragen an zwei SchülerInnen, die sich nicht melden, zielen auf die Beobachtungstätigkeit ab. Anschließend werden die von SchülerInnen getätigten Beobachtungen zum Inhalt des Unterrichtsgesprächs und letztendlich auch als Basis für die Modifikation der Spielregeln. Die Observationsblicke der Lehrperson sind ausschlaggebend für die Unterbrechung des Spiels mit der Funktion von Modifikationen spielerischer Elemente einer Szene. Die Lehrperson nutzt ihre Beobachtungen und macht sie zum Gegenstand des Unterrichtsgespräches, um die SchülerInnen als teilnehmende BeobachterInnen zu Wort kommen zu lassen. Es wird deutlich, dass die Lehrperson auf Grundlage ihrer Observationen durch eine gezielte Frage die Observationen der SchülerInnen zum Vorschein bringt und damit die Möglichkeit einer Optimierung des Spielablaufes nicht selber modifiziert, sondern die SchülerInnen in der Verantwortung liegen. Die Observationen haben somit Auswirkungen auf das nachfolgende Unterrichtsgeschehen und können sogar ausschlaggebend dafür sein. Die Lehrperson stellt die Möglichkeit her, die Beobachtungen der SchülerInnen zur Geltung zu bringen, um über ihre konformen Beobachtungen die Ordnung des Spiels zu verbessern und zwar in dem Sinne, dass mehr Dynamik und SchülerInnenbeteiligung erreicht werden. Blinde Flecken
Still-17: Blinde Flecken 1)
3)
2)
4)
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(43) #01 00:00-00:54 Lm v
Lm nv
S1w v
S1w nv
Sx nv
00:00
00:06
Mit dem mit der zweiten Hand so ein bisschen die Führung geben, wichtig ist dass es so hier im Prinzip. Zeigt einer Schülerin den Haltegriff einer Hilfestellung für den Handstützüberschlag.
Machste nochmal.
Soll ichs nochmal von da? Zeigt hinter sich und geht anschließend wieder zum Anlaufpunkt der Übung zurück. (Im Hintergrund des Geschehens führt eine SchülerInnengruppe eine Übung auf dem Mattenberg mit einem MiniTrampolin aus. Die Aufgabe ist es vom MiniTrampolin abzuspringen und gestreckt auf der Matte zu landen.) Der erste Schüler landet nach dem Absprung auf dem Rücken, während der nächste sich nach dem Absprung dreht und im Sitzen mit Blick zum Anlaufpunkt landet. Dabei streckt er die Arme in die Luft.
Fasst sich ans Gesicht mit der linken Hand und schaut durch die Halle und auf die gegenüberliegende Station. Anschließend läuft S1w erneut an und Lm macht mit einer Schülerin gemeinsam die Hilfestellung für S1w.
Läuft an, springt ab und wird von Lm und der Mitschülerin über die Hilfestellung in den Handstützüberschlag geführt. Ein Schüler an der hinteren Station springt in einer Hocke auf die Matte und schaut nach der Landung kurz zu Lm. Anschließend verlässt er die Matte wieder.
[…] [00:15-00:47] (Still17-1) In Handstand Jungs!
Schaut zu dem nächsten anlaufenden Schüler und hilft mit einem Schüler per Hilfestellung beim Handstützüberschlag.
Ein weiterer Schüler springt in einer lässigen Haltung und angezogenen Beinen vom Trampolin auf die Matte. Dabei schaut er kurz zu Lm. Anschließend springt er von der Matte herunter.
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(44) #02 00:00-03:40 Lm v
Lm nv
Sx nv
00:00 Ja? fünf bis sechs Minuten Zeit jeder erwärmt sich selbstständig [2] ich beobachte euch. Schaut auf seine Armbanduhr. Geht kurz zu seinen Unterlagen am Hallenrand und anschließend in den Geräteraum. Beginnen zu laufen.
00:50 (Still-17-3 u. 17-4)
Räumt im Geräteraum einige Geräte um und baut große Kästen zusammen. Laufen einige Runden in der Halle. In einer hinteren Ecke stoppen zwei Schülerinnen mit dem Laufen und bleiben für einige Zeit stehen. Sie positionieren sich am Hallenrand und schauen immer wieder kurz in Richtung des Geräteraumes. Nach kurzer Zeit bleiben noch weitere SchülerInnen für kurze Zeit bei ihnen stehen und beginnen dann wieder zu laufen. Nach einiger Zeit des Rundenlaufens werden viele SchülerInnen auf der Hallenseite des Geräteraumes langsamer, bis sie vor dem geöffneten Tor des Raumes angekommen sind. Dort angekommen beginnen sie wieder zu laufen. Teilweise bleiben auch SchülerInnen einige Zeit stehen, bevor sie dann am Tor des Geräteraumes, in dem sich Lm befindet, vorbeilaufen.
Die aufgeführten Szenen befassen sich hauptsächlich mit der Transkription der SchülerInnentätigkeiten an einer Station im Rücken der Lehrperson bzw. mit den Aktivitäten einzelner SchülerInnen (vgl. Still-17-1 und 17-2) während der Erwärmungsphase (vgl. Still-17-3 und 17-4). Im Sportunterricht werden nicht selten mehrere Stationen für den Übungsbetrieb oder selbstständige motorische Aktivitäten arrangiert, wodurch sich diverse parallele Übungs- und damit auch Handlungsstränge entstehen. Die Lehrperson unterliegt qua Institution der Aufsichtspflicht (vgl. MK, 2011, S. 5) dieser Aktivitäten bei gleichzeitiger Organisation und Kontrolle der Szenen. An dieser Stelle deuten sich bereits schwer zu realisierende Ansprüche an den Lehrkörper an. In den aufgeführten Stills (Still-17) zeigen sich SchülerInnenaktivitäten im BlickSchatten der Lehrperson. Kurze Blicke seitens der SchülerInnen in die Richtung der Lehrperson scheinen eine Kontrolle darüber zu sein, ob sie sich noch außerhalb des Blickfeldes der Lehrperson befinden oder bereits gesehen werden. Über die Nennung von Arbeitsaufträgen wurden von der Lehrperson klare motorische Handlungsanweisungen an die SchülerInnengruppen gegeben, wodurch eine klare Situationsdefinition geschaffen wird, die auch, trotz teilweiser physischer Unsichtbarkeit, kontrolliert wird: ››Ich beobachte euch‹‹. Trotz einer kontinuierlichen Präsenz der Lehrperson und einer räumlichen Nähe kann sich, mit Zinnecker (1978) gesprochen, ein ››Unterleben‹‹ (ebd., S. 95) der SchülerInnen entwickeln, das kurzzeitig, flüchtig und spontan gebildet und aufgelöst werden kann. Das Unterleben von SchülerInnen während motorischer Phasen kann sich in einer kreativen Nutzung der eigentlichen motorischen Aufgaben zeigen. Ein wesentlicher Anteil der durch die Lehrperson vorgegebenen motorischen Aktivitäten, wie der Anlauf, Absprung oder der Rundenlauf, werden unterrichts- und situationskonform ausgeführt. Befinden sich die SchülerInnen
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jedoch in einem Bereich des blinden Fleckes der Lehrperson, der über Observationen seitens der SchülerInnen identifiziert wird, kann es sein, dass während bestimmter Elemente der Ausführung (bspw. nach dem Absprung) andere Handlungen vollzogen werden bzw. sich dem Vollzug der Tätigkeiten entzogen wird (vgl. Still-17-3 u. 174). Die Entstehung und Nutzung von Nischen auf der Grundlage blinder Flecken entfalten sich parallel zu unterrichtskonformen Handlungen im Sportunterricht, die über Observationen aufrechterhalten werden. Trotz dieser Flüchtigkeit und Spontanität eines solchen Unterlebens zeigen sich Maßnahmen seitens der Lehrpersonen, diesem entgegenzuwirken. (45) #01 00:00-00:22 00:00 (an zwei Stationen werden parallel unterschiedliche Übungen ausgeführt. Lm steht an einem Mattenberg, gemeinsam mit einem Schüler und beide begleiten den Handstützüberschlag mit einer Hilfestellung. An der anderen Station üben die SchülerInnen an einem blauen Elefanten die Hocke.) L schaut zu einem Schüler, der über das Trampolin auf den Mattenberg springt. Üben an der vorderen Station die Hocke über das Hindernis.
00:05 Gibt eine Hilfestellung für den Schüler. Anschließend wandert sein Blick auf die Station nebenan, dann durch die Halle und wieder zurück zur Station.
00:11 Schaut gezielt auf einen anlaufenden Schüler an der gegenüberliegenden Station.
Ein Schüler dreht sich während der Hocke halb in der Luft und landet dann auf der Matte.
Ein weiterer Schüler läuft an, um das Hindernis zu überqueren.
00:12
00:13 Ä:h S1m, das möchte ich nicht sehen,
Lm nv
Schaut zu S1m.
S1m nv
Macht eine Rolle über das Hindernis.
Wendet den Blick von S1m ab und schaut gerade aus. Während er spricht, zeigt er auf mit dem linken Arm in die Richtung von S1m. Schaut zu Lm.
00:15 letzte Ermahnung sonst sitzt du auf der Bank. hab gesagt was wi- ihr da machen sollt. Zeigt mit dem rechten Arm an den Hallenrand. Anschließend streckt er die Arme für die Hilfestellung aus. Wendet den Blick ab von Lm und beugt sich herunter, um die Matten zurechtzurücken. Im Anschluss geht S1m zurück zum Anlaufpunkt und lächelt.
Lm nv
Sx nv
Lm v
In kurzen Phasen, in denen die Lehrperson nicht direkt tätig sein muss, dienen Observationsblicke dazu sich einen Überblick über den Raum und die Bewegungen zu verschaffen. Die Funktion des Überblicks wird nach der Aufdeckung des Unterlebens mit einer Ermahnung erweitert, die auf die geltende Unterrichts- und Bewegungsord-
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nung verweist. Deutlich wird dies durch den Verweis auf die getätigten Aussagen der Lehrperson und die damit verbundene Gebundenheit der Übungsausführung sowie die daraus resultierenden angedrohten Konsequenzen. Die sprachliche Ermahnung wird über das Zeigen ergänzt, während mit Beginn der Ermahnung bereits der Blick wieder abgewandt wird. Daraus entsteht der Eindruck, dass die Lehrperson über die Problematik der blinden Flecken weiß und über die Blickabwendung bei gleichzeitiger direkter Ansprache eine ständige Blick-Präsenz demonstriert. In diesen Situationen offenbart sich ein hoher Anspruch an die Lehrpersonen. Sie stehen zwischen den notwendigen Tätigkeiten im Übungsbetrieb (bspw. Hilfestellungen) und der gleichzeitigen Aufsichtspflicht. Die routinisierte Verwendung von wandernden Blicken mit der Funktion einer Raum- und Bewegungsüberwachung im Sportunterricht dient einer partiellen Reduzierung – jedoch auch Identifizierung – von blinden Flecken und einer Darstellung von Präsenz, die in dieser Szene nicht nur dem einzelnen Schüler, sondern auch seinen MitschülerInnen angezeigt wird. Fokussierte Blicke
Blicke
Observation
Fokussierte Blicke
Der Tätigkeitsvollzug von Observationen beschreibt eine Subkategorie der Blicke als ordnungskonstituierende Praktik. Immer wieder wechseln die Akteure aus einer observierenden Haltung und nehmen jemanden oder etwas in das Visier. Die Einnahme einer Haltung meint in diesem Sinne sowohl das eigentliche Vorhaben der Beobachtung als auch die Körperhaltung. Schließlich sind es vor allem die Körperhaltungen und Kopfbewegungen, die im Folgenden als fokussierte Blicke bezeichnet werden und unterschiedliche Funktionen im Material erkennen lassen. Sanktionierende Blicke
Still-18: Sanktionierende Blicke 1)
2)
3)
Es wurde bereits darauf verwiesen, dass aus der Praktik der Observation einer Lehrperson heraus gezielte Situationen in den Blick – in das Visier – genommen werden. Observationsblicke zeigen sich vorrangig während motorischer Phasen oder während Phasen des Auf- und Abbaus, in denen die Lehrperson sich an zurückgezogenen Orten befindet. Daraus ergibt sich, dass entstehende Fokussierungen aus den Observati-
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onen heraus auch eine räumliche Distanz überwinden müssen. Die Positionierung des Lehr-Körpers und die Ausrichtung des Blickes können bereits für ››Blickkorridore‹‹2 (Hirschauer, 1999, S. 232, Herv. i. O.) sorgen, die hier allerdings nicht die Funktion im Sinne Hirschauers (1999) besitzen, Blicke aneinander vorbei zu steuern, sondern gezielt Blickwechsel anzusteuern. (46) #02 00:00-00:53 Lm nv
S1m nv
00:00 Geht mit Seilen in der Hand über die Mattenbahn zu einer SchülerInnengruppe, die sich gerade im Aufbau einer Station befindet. Im Rücken von Lm läuft S1m die Mattenbahn entlang und klettert am Ende der Bahn auf eine hochkant stehende Matte.
Lm nv
S1m nv Sx nv
2
00:22 Geht von der einen Gruppe weg und geht zu einer nächsten SchülerInnengruppe.
Sitzt auf oben auf der Matte.
Fällt von der Matte herunter, als ein weiterer Schüler versucht auf die Matte zu klettern. Er probiert im Anschluss erneut auf die Matte zu klettern. Weitere SchülerInnen kommen hinzu und probieren ebenfalls auf die Matte zu klettern.
Weitere SchülerInnen kommen zur Matte und dem darauf sitzenden Schüler hinzu und probieren ebenfalls auf die Matte zu klettern.
Sx nv
Lm v
00:20 (Spricht zu der SchülerInnengruppe.)
00:31 Die Matte kann [1] kann weg, das Trampolin etwas dichter. Dreht sich um, schaut durch die Halle und sieht die SchülerInnen am anderen Hallenende, wie sie probieren auf die Matte zu klettern. Der Kopf und der Körper sind auf die Situation ausgerichtet. Nach kurzer Beobachtung greift er zu seiner Pfeife unter seinem TShirt. Klettert auf die Matte. Stehen vor der Matte, teilweise probieren sie auf die Matte zu klettern.
00:42
00:42
Nimmt seine Pfeife in den Mund und geht ein paar Schritte auf die Situation zu. Dabei beobachtet er weiterhin das Geschehen.
Bewegt sich langsam auf die Situation zu und pfeift einmal kurz.
Versucht weiterhin auf die Matte zu klettern. Einige SchülerInnen gehen von der Matte herunter und gehen von der Matte weg.
Hirschauer (1999) verwendet den Begriff der Blickkorridore in seiner Studie zur Praxis des Fahrstuhlfahrens und der Minimierung von Anwesenheit. Blicke werden in diesem Zusammenhang als distanzsuchende Blicke verstanden, die ein ››einsames und rationales Informationsverhalten darstellen‹‹ (ebd., S. 234). Die hier verstandene Funktion der Blicke meint das Gegenteil – eine distanzüberwindende Funktion.
S PIELPLAN : S PIEL
00:44 Lm v
Lm nv
S1m nv
Nach dem Pfiff lässt sich S1m sofort von der Matte auf den Mattenboden fallen.
00:45 (Still-18-2) S1m, was wird das?
Geht weiter auf die SchülerInnen zu und schaut zu S1m. Entfernt sich von der Matte und schaut kurz zu Lm.
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00:47 alle die nichts mehr zu tun haben, stellen sich im Kreis auf, etwas Gymnastik noch. Bleibt stehen und dreht sich leicht nach links in die Halle hinein.
Aus einem Observationsblick der Lehrperson während einer Aufbauphase entsteht die Fokussierung einer Situation, in der SchülerInnen auf Matten herumklettern, die in dem Moment nicht dafür vorgesehen sind. Nach der Fokussierung folgt eine Ausrichtung des Lehr-Körpers in die Richtung der SchülerInnengruppe (siehe auch Still18-2). Die Lehrperson geht zunächst ein paar Schritte auf die Situation zu, die sich auf der anderen Seite der Halle befindet, bevor ein Pfiff ertönt. Die Ansprache erfolgt an einen konkreten Schüler, der sich zu diesem Zeitpunkt allein auf der Matte befindet. Die umliegenden SchülerInnen, die sich bereits wieder von der Matte entfernt haben, werden nicht angesprochen. Die tatsächliche Fokussierung der Lehrperson erreicht den Schüler erst nach dem Pfiff, als er die Matte verlassen hat. Direkt nach dem Pfiff lässt der Schüler sich von der Matte herunterfallen und geht in die Hallenmitte, wobei er kurz die Lehrperson anschaut. Der Blick der Lehrperson wird mit der Kodierung des Pfiffs (Aufmerksamkeit) genutzt, um den fokussierten Blick in den Vordergrund der Tätigkeit zu stellen. Die eigentliche Sanktionierung liegt in dieser Szene bereits im Pfiff und der gezielten Ansprache an den Schüler. Der Pfiff wird vom Schüler als auf sich bezogen und als sanktionierende Maßnahme verstanden. Die andauernde Fokussierung der Lehrperson auf den Schüler wirkt verstärkend auf diese Tätigkeit. Die Pfeife wirkt in dieser Szene als materialisierte Beobachtung, da der Schüler zunächst nicht den Blick, sondern den Pfiff wahrnimmt, der auf Grundlage der Fokussierung erfolgt und ein Unterlassen von Tätigkeiten bewirkt. Fokussierende Blicke, die primär als sanktionierende Maßnahme verstanden werden, treten vermehrt in zentrierten Interaktionen auf.
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(47) #03 00:00-00:36 Lw v
Lw nv
00:00 Ich hab hier son paar Sachen hingelegt. Sitzt auf dem Boden im Sitzkreis. Macht eine kreisende Armbewegung über die Dinge, die vor ihr im Kreis liegen.
Sx nv
Lw v
Lw nv
00:10 und dann meldet ihr euch gleich und sagt zum Beispiel oh wir haben einen Teddybär - bleib bitte sitzen. Zeigt auf eine Karte am Boden und schiebt mit der linken Hand zwei Schülerinnen auf ihrer linken Seite etwas zurück, die sich vorgebeugt haben.
00:14 Ohrringe, Sportschuhe mit Stollen dran vom Fußball? glatte Sportschuhe, Sportbekleidung, Haargummi,
00:23 Kinder mit st-
Während sie spricht, schaut sie immer wieder alle SchülerInnen an.
Unterbricht ihre Ansage, neigt den Kopf nach rechts und schaut zu S2w.
Reißt erneut den Klettverschluss ihrer Schuhe auf. 00:26 Straßenkleid- und eine Uhr. ihr meldet euch gleich
Lw nv
S1m v S1m nv
Schaut S1m an, nimmt den rechten Zeigefinger vor den Mund und hebt den linken Arm hoch.
Sitzt rechts von Lw. Reißt den Klettverschluss ihrer Schuhe auf und verschließt ihn wieder. Sitzen auf dem Boden im Sitzkreis und schauen in die Mitte.
S2w nv
Lw v
00:06 (Still-18-1) S1m.
Ich sag immer ganz viel
S1m v
S2w nv
00:03 und ihr meldet euch gleich wenn euch was dazu einfällt, und sagt dann zum Beispiel
[vielleicht unv.] Schaut zu Lw.
00:29 S2m S2m [2] melde dich bitte.
00:34 ihr nehmt, ihr meldet euch gleich
Schaut direkt zu S2m und nimmt den rechten Zeigefinger vor den Mund. [unv.] Hört auf zu sprechen und schaut zu Lw. Anschließend wendet er den Blick ab.
Wendet den Blick von S2m ab und schaut nach unten.
Die Nennung des Namens vom Schüler, der direkte Blick gepaart mit der begleitenden Geste des Leise-Seins, verweisen darauf, dass der Schüler das ››Gesprächsreservat‹‹ (Goffman, 1974, S. 69, Herv. i. O.)3 der Lehrerin gestört hat und auf diese Wei3
Im Rahmen des Spiels spielen Gesprächsreservate im Sportunterricht eine besondere Rolle, weshalb im weiteren Verlauf der Arbeit noch vertieft auf diesen Aspekt eingegangen wird.
S PIELPLAN : S PIEL
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se darauf hingewiesen wird. Der erwidernde Blick und das Verstummen des Schülers lassen erkennen, dass er diese Praktik als eine sanktionierende Praktik verstanden hat. Die Lehrperson gibt dem Schüler zunächst körperlich den Verweis auf die Handlungsanweisung des Meldens, wenn etwas gesagt werden möchte. Diese Anweisung wird nach einer erneuten Störung des Schülers von der Lehrperson verbalisiert und körperlich über die Signalisierung eines Leisezeichens verstärkt. Die gegenseitige Wahrnehmung der Blicke beider Akteure zeigt eine Anerkennung der Sanktion, die mit dem Blickabbruch beider Akteure beendet ist. Die Blick-Fokussierungen der Lehrperson gehen in den dargestellten Szenen mit den Formulierungen von Regeln, gegen die verstoßen wurde bzw. die über den Blick wieder hergestellt werden, einher. In der folgenden Szene werden sanktionierende Blicke im Sinne einer Verstärkung verwendet, nachdem erste Ansprachen und kurze Fokussierungen die gewünschte Reaktion nicht zeigen, bildet sich eine umgekehrte Abfolge der Aktivitäten. Wiederum ist es der fokussierte Blick, der letztendlich die Sanktion, in Form eines Verweises auf die Körper-Ordnung, verhängt und über die Reaktion des Schülers sichtbar repariert wird (siehe auch Still-18-3). (48) #07 00:00-01:30 Lw v Lw nv S1m nv S2m nv
Lw v
Lw nv
S2m nv
00:01 Okay [2] nimmst du wen dran? Schaut zu S1m. Schaut zu Lw. Lässt sich aus dem Sitzen nach hinten auf den Rücken fallen. […] [00:10-01:18] 01:19 [Führt das Gespräch mit der Klasse im Sitzkreis weiter fort.] Ihr habt gesagt wir schwitzen, die Atmung wird schneller, der Kopf wird rot, super. Zählt mit ihrer linken Hand die genannten Punkte mit und hält in der rechten Hand Karten. Lässt sich zur linken Seite auf seinen Mitschüler fallen.
00:05
Schaut zu S2m.
00:08 Setz dich bitte vernünftig hin S2m. Wendet den Blick von S2m zurück zu S1m.
Liegt auf dem Rücken.
01:25 Jetzt möchte ich ei-
01:28 jetzt möchte ich von euch wissen wie hat das Spiel insgesamt geklappt?
Ihr Blick fällt auf S2w. Sie drückt die Karten vor sich auf den Boden, neigt ihren Kopf leicht und schaut S2m an. Schaut zu Lw und setzt sich gerade hin.
Löst den Blick von S2m und schaut auf ihre Karten.
Sitzt gerade und meldet sich.
Die vorherigen Szenen zeigten fokussiert-sanktionierende Blicke, die auch für die Öffentlichkeit – die MitschülerInnen – direkt beobachtbar sind und somit auch ihnen indirekt die geltenden Regeln und Normen anzeigen bzw. auf den Verstoß hinweisen. In dem Material zeigten sich auch fokussierte Blicke, die auf kleine Störungen in zentrierten Interaktionen hingewiesen haben, allerdings nicht öffentlich in Form von Ansprachen o. ä. gemacht wurden. Flüchtige und intime Fokussierungen zeigen in
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den Unterrichtssituationen den SchülerInnen an, dass sie beobachtet werden und verweisen auf die geltenden Regeln und die gerade mangelnde Aufmerksamkeit am Unterrichtsgeschehen (Szene (49)). Die Flüchtigkeit dieser Blicke hat die Funktion der Sanktionierung ohne das Unterrichtsgeschehen zu unterbrechen. Damit werden flüchtige und öffentliche Fokussierungen zu einer Praktik der Herstellung und Aufrechterhaltung der Unterrichtsordnung. Die Reaktionen der SchülerInnen auf die jeweiligen Fokussierungen zeigen, dass die Ausrichtung der Blicke mit der Positionierung des Körpers eine Eindeutigkeit im Sportunterricht erfährt, die teilweise sprachlos sanktionierend wirken. Die in das Visier Geratenen rücken sich wieder zurecht, stellen ihre Tätigkeiten ein, erwidern den Blick und zeigen wieder ihre Aufmerksamkeit in der zentrierten Interaktion an. (49) #07 00:00-00:04 Lw v
Lw nv
S1w nv S2m nv
00:00 [Jetzt möchte ich] von euch wissen wie hat das Spiel insgesamt Schaut auf ihre Karte, die sie vor sich in der Hand hält. Fasst S2m an die Nase. Lehnt sich zurück und schlägt die Hand von S1w weg.
00:02 geklappt?
00:03
Schaut zu S1w und S2m links neben sich.
Wendet ihren Blick von S1w und S2m ab.
Schaut zu Lw und hebt den Arm. Schaut zu Lw und anschließend in die Mitte.
Koordinierende Blicke
Still-19: Koordinierende Blicke 1)
2)
3)
(50) #01 00:00-00:22 00:00 Lm v
Lm nv
Steht neben dem Trampolin und beobachtet den Sprung eines Schülers über das Gerätearrangement.
Sx nv
Stehen vor einer Langbank in einer Reihe.
00:02 Versucht die Beine so sukzessive la:ngsa:m über das Becken zu heben. Schaut zu den SchülerInnen. Führt seinen rechten Arm gestreckt nach oben. Schaut auf seinen Arm während er ihn hebt. Als der Arm gestreckt ist, schaut er wieder zu den SchülerInnen.
00:07 ja? das was S1w schon ganz gut macht. Zeigt auf S1w.
S PIELPLAN : S PIEL
Lm v Lm nv
Lm nv Sx nv
00:09 immer etwas höher. Streckt erneut den Arm nach oben und schaut dabei zu den SchülerInnen.
00:11 und versucht beide Seiten auszuprobieren, rechts Schaut zu den SchülerInnen und geht ein paar Schritte auf sie zu.
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00:14 als auch links. Dreht sich von der Gruppe weg und rückt eine große Matte zurecht.
00:18 Dreht sich wieder zur Gruppe und nickt kurz mit dem Kopf. Eine Schülerin beginnt loszulaufen und springt über das Gerätearrangement.
In Szene (50) zeigen sich mit dem Fokus auf koordinierende Blicke unterschiedliche Facetten, die im Folgenden unterschieden werden und auf ihre Funktion hin analysiert werden (siehe auch Still-19-1). Über die Fokussierung der SchülerInnengruppe und den Beginn einer Erläuterung zur Bewegungsausführung der Lehrperson wird dieser zum Bezugspunkt der Situation. Die Erwiderung der Blicke seitens der SchülerInnen geben die Bestätigung ihrer Aufmerksamkeit. Daraufhin leitet der Blick der Lehrperson auch die Blicke der SchülerInnen auf die Bewegung seines rechten Armes, der zur Unterstützung des Gesagten eingesetzt wird. Die Lehrperson wird somit zu einem doppelten Bezugspunkt, weil nicht nur die Person, sondern vor allem die Bewegung im Zentrum der Aufmerksamkeit steht. Mit Beendigung der Armbewegung verändert sich auch die Funktion des Blickes. Die anschließende Fokussierung der Schülerin verweist auf die Bewegungsausführung von ihr. Dadurch werden sprachlich und körperlich unterschiedliche Referenzen verdeutlicht. Zum einen wird über die körperliche Demonstration der Bewegungsausführung, anhand der Darstellung des Armes und der sprachlichen Ausführung, eine ››direktionale Angabe[.] im phänomenologischen Referenzmuster‹‹ nach Friedrich (1991) (ebd., S. 66) gegeben, welche zum anderen über den Blick der Lehrperson und den sprachlichen Hinweis auf die Qualität der Bewegungsausführung einer Schülerin um einen weiteren Referenzpunkt erweitert wird. Das Besondere liegt in der routinisierten Bündelung von Sprache, körperlicher Darstellung und den Blickbeziehungen als leitende Bezugspunkte. Letztendlich sind es ein fokussierter Blick und ein leichtes Kopfnicken in Verbindung mit der Entfernung des Körpers vom Gerät, die ausschlaggebend für die Veränderung der Situation sind. Die Erläuterungen der Lehrperson sind beendet und das leichte Nicken des Kopfes unterstützt diesen Rahmungswechsel von einer Ansprache der Lehrperson zu einer motorischen Phase, welcher von den SchülerInnen richtig festgestellt wird.4
4
Über die koordinierenden Blicke zur Herstellung von Bezugspunkten werden des Öfteren, während der LehrerInnenansprache, auch Orte fokussiert, an denen z. B. Aufbauen stattfinden sollen. Gleichzeitig wird dann über das Zeigen durch den Körper und die Ausrichtung des Blickes ein Ort anvisiert, der parallel dazu mit der sprachlichen Ausführung gefüllt wird. Auf diese Aspekte wird im weiteren Verlauf noch unter Kategorie der Räume vertieft eingegangen.
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(51) #05 00:00-00:16 Lm v
Lm nv
Sx v Sx nv
00:00 (Still-19-3) (sind im Sitzkreis zusammengekommen) Gut.
00:05 S1m, [1] S2m, [1] S3m.
Sitzt auf dem Boden, lässt seine Blicke über die Schüler wandern und fokussiert einzelne Schüler. Er legt seine Hände auf seinen Knien ab und breitet sie aus. (Gespräche) [unv.] Sitzen auf dem Boden im Sitzkreis zusammen.
Schaut einzelne Schüler an und nennt mit ruhiger Stimme ihre Namen.
00:12 gut (leise). eure Mannschaften wisst ihr da euch das Spiel bekannt ist Wandert mit seinen Blicken durch die Runde und schaut die Schüler an.
(Gespräche verstummen)
Die Bewegung des Blickes kann als Rahmungspraktik eingesetzt werden, um die geltende Rahmung zu verdeutlichen. Der Wechsel von motorischen Phasen zu zentrierten Interaktionen (wie beispielsweise der Sitzkreis) kann aufgrund von überlappenden Rahmungen störungsanfällig sein, weil noch Gesprächsbedarf über vergangene Situationen besteht oder die Ruhigstellung des Körpers nach einer Übung schwer fällt. Solche Phasen sind daher anfällig für Spielräume sozialen Handels. Über einzelne Fokussierungen der Lehrperson und die ruhige Nennung des Namens der Schüler wird auf die jetzige Situation verwiesen und deutlich gemacht, dass die Gespräche nun einzustellen sind. Es zeigt sich eine Nähe zu den sanktionierenden Blicken, jedoch wird in dieser Differenzierung zwar auf die Norm des Ruhig-seins verwiesen, aber die Blicke decodieren sich als ein Hinweis und weniger als ein Normverstoß. Anstelle einer Sanktion erfolgt über koordinierende Blicke eine Verdeutlichung einer inneren Anfangsklammer und damit auch des Abschlusses einer vorherigen Klammer. Über die Äußerung ››gut‹‹ wird sprachlich bereits eine Rahmungsgrenze gesetzt, die anschließend über Blicke und direkte Ansprachen weiter konkretisiert wird. (52) #02 00:00-00:27 Lm v
Lm nv
Sx nv
00:01 (Still-19-2) Boden, Elemente und Übungsverbindungen.
Steht vor der Klasse, die sich im Halbkreis um ihn herum versammelt hat. Er schaut geradeaus und hält vor sich eine Karte, die er den SchülerInnen zeigt. Während er spricht, wandert sein Blick von links nach rechts an das andere Ende des Halbkreises. Stehen vor Lm im Halbkreis um ihn herum und schauen ihn an.
00:04 das eine wird euch bekannt vorkommen, das andere, ist vielleicht neu Sein Blick wandert immer wieder von dem einen Ende des Halbkreises bis an das Ende des Halbkreises.
Teilweise stellen sich SchülerInnen um.
00:09 wichtig ist, dass ihr auf jeden Fall, einen Handstand probiert. Schaut einzelne SchülerInnen an, seine Blicke wandern.
S PIELPLAN : S PIEL
Lm v
Lm nv
00:15 ich will das nochmal mit Hilfestellung, da gibts auch eine Folie wie ich zu zweit eine Hilfestellung machen kann. Legt eine Karte auf dem Boden und nimmt eine andere in die Hand und zeigt sie den SchülerInnen. Seine Blicke wandern weiter von rechts nach links.
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00:21 das kann man dort, an dieser Matte wunderschön üben.
00:25
Schaut zu einer aufgebauten Matte an der Hallenwand und zeigt mit seinem rechten Arm auf diese Matte. Einige SchülerInnen schauen zur Matte auf die Lm zeigt. Anschließend schaut er wieder zu den SchülerInnen und die SchülerInnen wieder zu Lm.
Senkt seinen Arm und sein Blick wandert durch die SchülerInnenreihe.
Über die wandernden Blicke der Lehrperson kann ein Bezugspunkt der Aufmerksamkeit aufrechterhalten werden. Durch die ständige Bewegung des Blickes kann die Lehrperson auch die Blicke der SchülerInnen wahrnehmen und sich vergewissern, dass sie an der Situation teilnehmen und aufmerksam sind. Gleichzeitig signalisieren sich darüber alle Akteure Erreichbarkeit und Aufmerksamkeit. ››Thus in turning towards another and displaying recipiency, an interactant can show the focus of his attention and involvement; the display of recipiency and showing attention go hand in hand‹‹ (Heath, 1986, S. 40). Mit der Abwendung des Blickes auf einen Ort, der gerade relevant ist und weiter entfernt sein kann, wird ein Bezugspunkt außerhalb der Situation fokussiert. Auch wenn der Blick somit auf Materialien oder Orte außerhalb der Situation geworfen wird, entsteht er nur durch die Situation und kann von der Lehrperson über den eigenen Blick und den Körper gelenkt werden. Kategoriebezogen werden über koordinierende Blicke Aufmerksamkeit und sozusagen ein ››Brennpunkt‹‹ (Goffman, 2009b, S. 109, Herv. i. O.) hergestellt, der auf eine gemeinsame Definition der Situation schließen lässt. Dieser Aspekt wird noch deutlicher in der Bewegung der Blicke seitens der Lehrperson, während gesprochen wird. Die Schwierigkeit liegt in der Unübersichtlichkeit der Situation. Häufig kommt es im Sportunterricht zu spontanen Aufstellungen oder Sammlungen, in denen die SchülerInnen und LehrerInnen sich spontan so positionieren müssen, dass man einen guten Blick erlangt. Über die wandernden Blicke der Lehrperson wird ein Blick-Rahmen abgesteckt, der über den Wechsel von einem Rahmenrand zum anderen Rahmenrand abgesteckt wird. Je nachdem wie die Aufstellung der Akteure ist, können bei einem zu großen BlickRahmen auch Korrekturen in der Aufstellung vorgenommen werden, damit sozusagen niemand aus dem Rahmen fällt. Zusammenfassung und Theoretisierung: Was wurde durch die Analyse der Blick-Praktiken im Rahmen des Spiels vor dem Hintergrund der Problemstellung dieser Arbeit deutlich? Die Ausrichtung von Blicken und des Körpers spielen eine bedeutende Rolle bei der (Re-)Produktion von sozialer Ordnung. Im Sinne von ››Stand-by‹‹ (Mohn & Amann,
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2006, S. 19) sind die Praktiken der Observation von Lehrpersonen eine Form von aktiver Nicht-Beteiligung am Unterrichtsgeschehen. Mohn und Amann (2006) verwenden die Computer-Metapher zur Analyse von ››körperliche[r] Anwesenheit bei gleichzeitiger eingeschränkter persönlichen Präsenz‹‹ (ebd.) von SchülerInnen. Während Mohn und Amann (2006) scheinbar leblose ››Lernkörper‹‹ (ebd.) unter dem Stand-by-Modus verstehen, die eine ››organisierte Nicht-Beteiligung‹‹ (ebd.) vollziehen, besitzt die hier getroffene Unterscheidung eine dazu divergente Funktion. Observationsblicke können der Vorbereitung einer Modifizierung dienen oder sparsamer in der Szene durch gezielte Hinweise oder Verweise auf die Regeln von der Lehrperson an die SchülerInnen zur Aufrechterhaltung einer Ordnung des Spiels dienen. Die Lehrperson entzieht sich im Sinne eines Stand-by teilweise körperlich und räumlich der Situation, um sie besser beobachten zu können, sie ist dabei keinesfalls inaktiv – ganz im Gegenteil. Durch die Distanz erhält sie die Möglichkeit eine handlungsentlastete Beobachtung zu vollziehen und ggf. Einfluss auf die Situation zu nehmen. Die Observation zeigt sich in einer gezielten Raum-, Bewegungs- und Regelüberwachung während der motorischen Szenen. Die Dimension des Raumes nimmt eine besondere Funktion ein. Über die zentrale oder auch erhöhte Positionierung im Raum werden Observationsblicke begünstigt. Wandernde und aufmerksame Blicke beobachten das Geschehen, wobei immer wieder flüchtige Fokussierungen getätigt werden, die über Korrekturen, Kommentierungen, gezielte Regelhinweise, Motivationen an die Gruppe und Lob an SchülerInnen erweitert werden und auch nur dadurch möglich scheinen. Die Nicht-Beteiligung ist somit im hohen Maße organisiert und aktiv, trotz des Rückzugs körperlicher Präsenz. Letztendlich werden durch den Vollzug dieser Tätigkeiten auch Rahmungsprozesse umgesetzt, indem auf die Ordnung der motorischen Aktivität und der Präsenz der Lehrpersonen verwiesen wird. Eine weitere Funktion liegt in Anlehnung an Kuhlmann (1986) in der ››Aufrechterhaltung der Szene‹‹ (ebd., S. 119) oder auch, wie gezeigt werden konnte, in einer ››Modifizierung der Szenen‹‹ (ebd., S. 125). Während für Kuhlmann (1986) jedoch eher die sprachliche Analyse von Modifizierungen der Szene, dem Ausgleich von kommunikativen Defekten oder Nach-Inszenierungen im Fokus stehen, betont die praxistheoretische Sichtweise den körperlichen Aspekt, ohne jedoch die Sprache aus den Augen zu verlieren. Über routinisierte Positionierungen des Körpers und wandernden bzw. gezielten Observationen der Lehrperson wird die Ordnung eines Spiels aufrechterhalten. Weiterhin wird die Beobachtung der Körper und ihrer Tätigkeiten thematisiert. Dabei wurde deutlich, dass die Observationen der Lehrperson als Impuls für die Observationen der SchülerInnen während des Spiels gelten, woraus kollektive und kooperative Modifizierungen spielerischer Elemente entstehen können, die Auswirkungen auf die Ordnung des Spiels haben. Diese können beispielsweise in einem gemeinsamen Verständnis des Abspielens, der Raumnutzung oder von zeitlichen Markierungen liegen. Auf Grundlage von Observationen besteht die Möglichkeit kollektive Wissensbestände offenzulegen und auf Grundlage der Beobachtung Modifizierungen zu gestalten, die wiederum in kollektives Wissen der Akteure übergehen. Blinde Flecken spielen im sportunterrichtlichen Alltag aufgrund der räumlichen Weite und der fehlenden Strukturierung, wie es im Klassenraum der Fall ist, eine wichtige Rolle, obwohl sie auch dort relevant sind, wie Zinnecker (1978) mit dem
S PIELPLAN : S PIEL
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Aspekt der ››Halböffentlichkeit‹‹ (ebd., S. 97ff.) von SchülerInnentaktiken zeigt. Blinde Flecken werden von SchülerInnen gesucht, erkannt und innerhalb des BlickSchattens von Lehrpersonen genutzt. Damit zeigt sich ebenfalls eine Form der Halböffentlichkeit und zwar insofern, als dass die SchülerInnen zum einen auf der Bühne des Unterrichts Formen des körperlichen Unterlebens für die MitschülerInnen sichtbar machen und diese zum anderen gegenüber der Lehrperson probieren zu verheimlichen. Dabei stellt dieses Unterleben keine große Gefährdung der Unterrichtsordnung dar, obwohl es vom ››pädagogischen Wächter‹‹ (ebd., S. 97) nicht geduldet wird. Die kurzzeitigen Nutzungen der Blickschatten sind von einer Flüchtigkeit begleitet, die kurzerhand hergestellt und wieder unterbrochen werden kann. Diese blinden Flecken werden versucht von beiden Seiten, wiederum über Blicke, zu kontrollieren. Observationsblicke werden routinisiert und situationsspezifisch in Szenen des Sportunterrichts eingesetzt, um die Raum- und Bewegungsordnung zu kontrollieren (aus SchülerInnensicht zu variieren) und ggf. wieder herzustellen. Der Einsatz solcher Blicke von beiden Akteuren ist gleichsam mit dem Wissen um diese Spannungen und dem Versuch der Bearbeitung verbunden. Im Sportunterricht – und nicht nur dort – zeigen sich immer wieder Notwendigkeiten einer Setzung von Prioritäten bei der Ausrichtung des LehrerInnenhandelns. In den dargelegten Szenen wird dieses Spannungsverhältnis schon im Rahmen der Stationsarbeiten deutlich, wo die Lehrperson nicht an allen Stationen gleichzeitig auf die korrekte Bewegungsausführung und Kontrolle der Tätigkeiten achten kann, weil an einer komplexen Übungsausführung seine Kompetenz in der Hilfestellung und des Feedbacks zur Übungsausführung benötigt wird. Denkbar wären weitere Szenarien wie beispielsweise das Dilemma zwischen einem selbstbestimmten und fremdbestimmten Handeln über Vorgaben und Weisungen, die immer auch die Gefahr des Scheiterns beinhalten. Während Helsper (1996) mit dem Begriff der ››Antinomien‹‹ (ebd., S. 521) einen allgemeinpädagogischen Zugang zu solchen Widersprüchen oder Dilemmata erarbeitet, zeigen Schierz und Thiele (2002) eine sportpädagogische Lesart auf. Mit Antinomien sind ››gleichzeitig und gleichrangig an individuelles Handeln herangetragene Ansprüche gemeint, deren gemeinsame, angemessene Erfüllung durch den Handelnden aber nicht leistbar ist‹‹ (ebd., S. 34). In einer bereits angesprochenen Antinomie von Person und Sache (die Kontrolle der Bewegungsausführung der SchülerInnen und die Wahrung von Sicherheitsaspekten während der Übungsphasen) können von der Lehrperson im Sportunterricht nicht aufgelöst werden. Allerdings zeigt sich über die Verwendung von Observationsblicken der Lehrperson im Sportunterricht ein Mittel der Bearbeitung dieser Spannungen. Der Bearbeitung dieser Antinomien kann sich auf diesem Wege kompetent angenommen werden, wodurch die Lehrperson die Möglichkeit besitzt Ausführungen und Bewegungen in weiter Entfernung zu beobachten und ggf. zu korrigieren, ohne den Übungsbetrieb einzustellen. Anstelle einer Verdrängung oder einer Auflösung der Antinomien zeigt sich eine situationsspezifische Bearbeitung über die Praktik der Observation. Vom Blick allein zu sprechen würde der Analyse der Situation nicht gerecht werden. Es wurde deutlich, dass es ein Bündel von Aktivitäten ist, das vollzogen wird, um eine Ordnung herzustellen und aufrechtzuerhalten. Die Ordnung nahm ihre Ausprägung in den Formen von Unterlassungen von Tätigkeiten, der Wiederherstellung von Aufmerksamkeit oder in Form von Verweisen auf Rederechte oder KörperOrdnungen ein. Die doppelte Signalisierung in Form von Leisezeichen und dem
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Vorgang des Meldens offenbart eine doppelte Struktur der Praktik von sanktionierenden Blicken. Zum einen wird sichtbar, dass nicht gesprochen werden darf, wenn die Lehrperson spricht und zum anderen muss der Redebedarf über ein Anzeigen – in Form des Meldens – geschehen. ››Bei Begegnungen, in denen gesprochen wird, genießen alle das Recht des Zuhörens; dagegen kann das Recht zu sprechen sehr eingeschränkt sein […]‹‹ (Goffman, 2009b, S. 113). Sanktionierende Blicke verweisen in ihrer Anwendung auf den Bruch und den Hinweis der Wiederherstellung von Normen. Sie dienen dem Füllen von Spielräumen sozialen Handels, die durch Störungen hervorgerufen werden und in denen Rahmungsprozesse nicht übereinstimmen. Neben dieser doppelten Funktion schließt sich eine weitere Konsequenz an, die sich neben der Änderung des Verhaltens bei den Betroffenen einstellt. Der Vollzug von sanktionierenden Blicken – sobald sie öffentlich werden – schließt eine Observation der MitschülerInnen nicht aus, denen darüber wiederum angezeigt wird, was zu tun und zu unterlassen ist. Foucault (1977) befasst sich in seiner Studie zur Geburt des Gefängnisses mit der sanktionierenden Funktion des Blickes, die die angesprochene Konsequenz aufgreift: ››Die Durchsetzung der Disziplin erfordert die Einrichtung des zwingenden Blicks: eine Anlage, in der die Techniken des Sehens Machteffekte herbeiführen und in der umgekehrt die Zwangsmittel die Gezwungenen deutlich sichtbar machen‹‹ (ebd., S. 221). Primär befasst sich Foucault (1977) mit Blicken, ››die sehen, ohne gesehen zu werden‹‹ (ebd.). In den hier dargestellten Blick-Praktiken zeigen sich jedoch Blicke, die sehen und gesehen werden (sollen). Diese Öffentlichkeit ist wesentlich für sportunterrichtliche Observationen, direkte Blick-Sanktionierungen und in der koordinierenden Funktion im Sehen, ob gesehen wird. Die Bewegung des Blickes gliedert die Bezugspunkte in zentrierten Interaktionen. Solche Bezugspunkte können in unterschiedlichen Formen, die über Blicke gesteuert und anhand sprachlicher und körperlicher Erläuterungen verständlich werden, auftreten: -
-
-
Bewegungen: über die Ausrichtung des Blickes auf Bewegungen wird der Bezugspunkt auf einen Körper gerichtet, der wiederum etwas signalisiert. Gerade bei der Durchführung von kleineren Demonstrationen lenkt der Blick die Blicke und verdeutlicht die Relevanz der Wahrnehmung (Still-19-1); Personen: über zugewendete Körperhaltungen werden in zentrierten Interaktionen Körperpositionen eingenommen, die eine gegenseitige Zuwendung über Blicke signalisieren und über die gegenseitigen Orientierungen reguliert werden (Still19-3); Örtlichkeiten: Blicke können auf etwas außerhalb der eigentlichen Situation gerichtet werden und andere Blicke darauf lenken und so Örtlichkeiten oder Materialien in die Situation mit einbeziehen (Still-19-2).
Die routinisierte Verwendung von spezifischen Blicken unterstützt die performative Aufrechterhaltung der Situationen im Sportunterricht. Die Funktion der koordinierenden Blicke dient nicht nur der aktuellen Herstellung von Bezugspunkten, sondern darüber hinaus zielen sie auf das Verständnis der Inhalte und Tätigkeiten ab, die über und neben diesen Blicken vollzogen und vermittelt werden. Mit der über die Situation hinausgehenden Funktion, spätere Missver-
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ständnisse zu vermeiden und Ordnungen der Bewegungen möglichst ohne Zwischenfälle vollziehen zu können, zeigt sich auch der Verweis auf zukünftige Vollzüge. Koordinierende Blicke können der Verdeutlichung des Präsens und damit als Rahmungszeichen dienen, das eine vorherige Klammer als beendet erklärt und nun dabei unterstützt eine neue innere Klammer zu eröffnen. Die Nutzung tritt deshalb insbesondere in Übergangsphasen des Unterrichts auf. Über koordinierende und sanktionierende Blickfokussierungen zeigt sich immer wieder eine implizite Erinnerung daran, dass die Lehrperson diejenige ist, welche Rederechte verteilt und das ihr die Rahmungsmacht obliegt. ››An diesen Ablauf und die damit verbundene Legitimation des Sprechens erinnern Lehrpersonen im Unterricht immer wieder‹‹ (Kalthoff & Kelle, 2000, S. 698). Die Umsetzung der Rahmungsmacht bei der Verteilung der Rederechte wird in Bezug auf die BlickPraktiken zu etwas Besonderem, weil beispielsweise durch die Unterbrechung von Redebeiträgen der Blick an Wirkung gewinnt. Zwar ist es der Blick, der diese Kategorie leitet und letztendlich die markantere Facette der Praktik darstellt als die Gestik oder der Gesprächsabbruch der Lehrperson. All dies sind jedoch begleitende Aktivitäten des Lehr-Körpers, die auf ein Hintergrundwissen verweisen und eine Handlungskoordination erreichen, in der eine kommunikative Ordnung des Unterrichts zunächst, um Reparaturen vorzunehmen, unterbrochen und anschließend wieder hergestellt wird. Für die Erinnerung dieser Regel dient in diesem Zusammenhang auch die des Öfteren formulierte Handlungsanweisung: ››Ihr meldet euch gleich‹‹. Es zeigt sich eine Permanenz der Regelerinnerungen durch die Lehrperson im Unterricht. Manche Nebenschauplätze bleiben mit kleineren Gesprächen unerwähnt, wenn auch nicht unerkannt. Somit zeigt sich mit Verweis auf Kalthoff und Kelle (2000) ein ››ökonomischer Sinn der Unterrichtsführung‹‹ (ebd., S. 700). Der Blick allein würde ohne die gezielte Körperausrichtung oder ggf. ergänzende Gestik und Sprache wirkungslos bleiben. Umgekehrt benötigen manche Blicke keine weiteren Worte. Der gezielte Einsatz von Observationen und fokussierten Blicken trägt zur Definition der Situation im Sportunterricht bei und zeigt sich in einer skillful performance der Akteure, die eine ››Übereinstimmung in Hinblick auf Relevanzen und Irrelevanzen des Wahrgenommen‹‹ (Goffman, 2009, S. 109) einschließt. Über wiederholende und gleichartige (nicht gleiche) Praktiken werden bewährte routinisierte Handlungsmuster eingesetzt – darunter fallen das in das Visier nehmen und in das Visier genommen werden – und somit performativ hergestellt. Über die observierende, koordinierende und sanktionierende Funktion von Blicken und Blickfokussierungen offenbaren sich Blick-Praktiken von Lehrpersonen und SchülerInnen mit den Funktionen der Überwachung des SchülerInnenverhaltens, einer Erkundung des Raumes und der Unterrichtssituation. Das Wissen über die Wirkung der Blicke zwingt somit immer auch zu einer Disziplinierung des Blickes, woraus sich eine ständige Aufgabe der Akteure ergibt. Diese Blick-Praktiken gehören zu den zentralen Routinehandlungen der Akteure im Sportunterricht.
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T ERRITORIUMS -M ANAGEMENT : FINDEN ‹‹
››M ELDEN WÜRD ICH
BESSER
Spiel
Blicke Territoriums-Management Spielräume In den Sozialwissenschaften wurde bereits vor längerer Zeit eine ››Raumvergessenheit‹‹ (Schroer, 2006, S. 9) konstatiert, die letztendlich im Ausruf eines ››spatial turn‹‹ (Döring & Thielmann, 2009) mündete und wodurch eine sozialräumlich orientierte Perspektive weiter an Beachtung gewann. Die Betrachtung einer Räumlichkeit sozialen Handelns befasst sich einerseits mit sozialräumlichen Überlegungen und anderseits mit den räumlichen Rahmenbedingungen sozialen Handelns (vgl. u. a. ebd.; Löw, 2001; Schroer, 2006). Für eine praxeologische Perspektive kann der Raum an sich nicht allein ein objektives Gebilde darstellen. Die Räumlichkeit muss als Partizipand sozialer Situationen für die Umsetzung sozialer Praktiken angesehen werden. Der Raum als Behältnis wird zur Räumlichkeit mit einer zugeschriebenen Bedeutung und damit relevant für die Betrachtung kultureller Praxis. Räume sind somit auch keine Kategorie a priori. Die Herstellung, Etablierung oder auch Auflösung von Räumen beruhen auf den Erfahrungen der Teilnehmer mit dem vorgefundenen Raum, aber auch auf den Erfahrungen mit der eigenen Körperlichkeit und den sie umgebenden Partizipanden (vgl. Werlen, 2003, S. 3ff.). Die Räumlichkeit entwickelt dadurch ein Potenzial an Kontingenz im Handlungsgeschehen, dass von den Teilnehmern gemanagt werden muss, und worüber Rahmungsprozesse, aber auch Rahmungsmacht in der Konstitution von Räumen hervorgebracht werden. Die Kapazitäten von Räumen im sportunterrichtlichen Kontext zu analysieren ist gewinnbringend, weil darüber (strategische) Aspekte des Zusammenhangs von Räumlichkeiten und Handlungsvollzügen analysiert werden können. Räumlichkeit wird damit zu einer zentralen Kategorie der sozialen Ordnung. Der Begriff der ››Territorialität‹‹ (Goffman, 1974, S. 55), der für die Namensgebung dieser Kategorie treffend erscheint, meint in Anlehnung an Goffman nicht nur den ortsgebundenen Raum, sondern gerade auch die Funktion darüber hinausgehender Räumlichkeiten, die hergestellt, genutzt, in Anspruch genommen werden und einer situativen Etablierung und Flüchtigkeit – eben lokalen Ordnungen – unterliegen. Trotz einer häufigen Assoziation vom Management im Klassenraum als Konsequenz von Störungen (vgl. Helmke, 2009, S. 172ff.), trägt der Begriff auch die Ökonomisierung einer Unterrichtsordnung in sich. Der Begriff bezieht sich dann ebenfalls auf zukünftige Ordnungen, die vorweggenommen oder vorbereitet sowie als eine Form von Hintergrundstruktur im Sportunterricht mitlaufen. Die Subkategorien der Ge-
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sprächsreservate und der lokomotiven Flexibilität greifen diese Aspekte in ausführlicher Form auf.
TerritoriumsManagement
Gesprächsreservate
Gesprächsreservate
Lokomotive Flexibilität
Die Strukturierung des Raumes erfährt durch die Kategorie der Gesprächsreservate, neben der bereits angesprochenen Körper-Ordnung, eine weitere Facette. Die Strukturierung von Redebeiträgen verweist mit dem Label des Raumes auf eine theoretische Figur, die Goffman (1974) als ››Gesprächsreservat‹‹ (ebd., S. 69, Herv. i. O.) bezeichnet. Darunter versteht Goffman (1974) ››das Recht eines Individuums, ein gewisses Maß an Kontrolle darüber auszuüben, wer es wann zu einem Gespräch auffordern kann; ferner das Recht einer im Gespräch befindlichen Gruppe von Individuen, nicht durch die Einmischung oder das Mithören anderer Personen behelligt zu werden‹‹ (ebd.).
Das Reservat wird hier als eine Form von Räumlichkeit verstanden, die hergestellt werden muss, geltend gemacht oder auch verletzt werden kann. In einer direkten Interaktion von mehreren Individuen unterscheiden sich territoriale Anrechte für Gesprächsreservate auch nach dem sozialen Status der teilnehmenden Personen. Mit Blick auf den Sportunterricht stellt sich nun die Frage, wie solche Gesprächsreservate etabliert und gestaltet werden. Weiterhin gilt es zu beobachten, wie neben dieser Gestaltung auch die Verletzung der Gesprächsreservate gehandhabt wird und so die Unterrichtsordnung aufrechterhalten werden kann. Die ››Hoheit über den akustischen Raum‹‹ (Breidenstein, 2006, S. 52) erweist sich als eine zentrale Dimension der Unterrichtsordnung.
Still-20: Gesprächsreservate 1)
2)
3)
Um ein Reservat zu erkennen bzw. es in Anspruch zu nehmen, benötigen die jeweiligen BesitzerInnen eine Form von Zeichen, die als ››Markierungen‹‹ (Goffman, 1974, S. 71, Herv. i. O.) bezeichnet werden können. Für die Inanspruchnahme eines persönlichen Raumes verweist Goffman (1974) vor allem auf Objekte, die eine Grenze zwischen Reservaten kennzeichnen. Für den Raum im Sinne eines haptischen Raumes wird diese Kennzeichnung über Gegenstände sichtbar (vgl. ebd., S. 71ff.). Goff-
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man (1974) gibt dazu folgendes Beispiel: ››So signalisieren Sonnenbrillen oder Sonnenöl den Anspruch einer Person auf einen Liegestuhl am Strand, eine Tasche den Anspruch auf einen Sitz in einem Flugzeug, oder ein Getränk auf der Theke einen Anspruch auf den Barhocker‹‹ (ebd., S. 71). Für die Kennzeichnung eines Gesprächsreservats scheint es zunächst keine Objekte zu geben, die den Anspruch auf das Reservat kennzeichnen. Weiterhin nimmt die Sportlehrkraft häufig keine erhöhte oder exponierte Positionierung ein, um ein eigenes oder fremdes Gesprächsreservat zu etablieren. (53) #08 00:00-00:40 00:00 Hält einige Zettel in der Hand.
00:01 Pscht:::: Legt die Zettel auf den Boden vor sich.
Sx v
Ja (jubeln)
Ich kenn das Spiel wieder.
Sx nv
Sitzen auf dem Boden im Kreis beisammen und rutschen näher zueinander.
Lw v Lw nv
Lw v Lw nv
Sx v Sx nv
Lw v
Lw nv Sx v Sx nv
00:08 Macht nichts. Stellt eine Box auf die Zettel vor sich. Dabei lässt sie den linken Arm weiterhin nach oben gestreckt. Anschließend führt sie wieder den Zeigefinger der rechten Hand an den Mund. Ihre Blicke schweifen durch die Runde. (die Gespräche verstummen) Setzen sich ruhig hin und schauen zu Lw. Einige führen ebenfalls einen Arm nach oben.
00:06 (Still-20-2)
Hebt die linke Hand und streckt sie nach oben. Der Zeigefinger der rechten Hand wird vor den Mund geführt. Ich auch. Ich auch. Karten. (mehrere SchülerInnen sprechen durcheinander)
00:18 pscht (leise)
00:24 wunderschönen guten Morgen ihr Lieben. Nimmt die Hände herunter.
(leises Getuschel)
(im Chor) Guten Mo:rge:n Frau Lw. Nehmen ebenfalls ihre Hände herunter.
00:29 So:, wir sind heute, was habe ich gezählt eins zwei drei, vier fünf sechs sieben acht neun zehn, elf, zwölf, dreizehn. Schaut die SchülerInnen an und anschließend kurz zur Seite. Mit dir sind wir vierzehn. Schauen zu Lw.
00:38 Gut, folgendes. Nimmt die Zettel, die vor ihr liegen in die Hände.
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Die Signalisierung aus der Rahmung der Konstitution zum Unterrichtsbeginn kann hier deutlich auch für die Signalisierung von Gesprächs- und auch Schweigereservaten angesehen werden. In der gemeinsamen Zusammenkunft wird eine zentrierte Interaktion durch die Lehrperson initiiert, weil sie die Aufmerksamkeit über ein Leisezeichen auf sich lenkt (siehe auch Still-20-2). Die Funktion dieser Signalisierung liegt in der Vorbereitung einer gemeinsamen Begrüßung und damit auf dem Übergang von der sportunterrichtlichen Gleitzeit zum Unterrichtsbeginn. Es handelt sich um eine Form der Ein-Stimmung auf die gemeinsame Situation. Durch die Nachahmung der SchülerInnen erlangt die Lehrperson einen Überblick über die Aufmerksamkeitsfokussierung der SchülerInnen, indem ihre Blicke über die Teilnehmer schweifen. Die Einnahme einer Körper-Ordnung und das Verstummen der Gespräche der SchülerInnen nach Erkennen des Signals der Lehrperson beherbergt weiterhin die Funktion der Ent-Stimmung.5 Aus einer stimmhaften Situation wird eine stimmlose geschaffen. Über die Tätigkeit der Lehrperson kann von einem doing that say something gesprochen werden, das bereits ein zukünftiges Gesprächsreservat der Lehrperson anzeigt und gleichzeitig das geltende Schweigereservat für die SchülerInnen rahmt. Umgekehrt rahmen die SchülerInnen durch ihre Tätigkeiten (Nachahmung des Leisezeichens) bzw. die Unterlassung von Tätigkeiten (Gespräche werden eingestellt) wechselseitig die Situation und zeigen damit die Anerkennung ihres Schweigereservats. Zum Unterrichtsbeginn werden Markierungen vollzogen, die deutlich machen, wie die Verteilung von Reservaten annähernd stumm vollzogen wird und wodurch Spielräume sozialen Handelns marginalisiert werden. Die unkomplizierte Rahmung der Ereignisse kann hier sicherlich auch mit den routinisierten Abläufen von Begrüßungen zum Stundenbeginn weiter eingerahmt werden. Die körperliche Signalisierung von Gesprächsreservaten kann durchaus variieren. Neben unterschiedlichen ritualisierten Leisezeichen können auch Körperpositionierungen und stimmliche Erhebungen der Lehrperson den geltenden Sprecherverkehr kennzeichnen. Diese Möglichkeiten sind für die SchülerInnen durchaus geringer. Die ihnen zur Verfügung stehende Markierung liegt im Heben des Armes, die nicht selten mit einer Zuwendung des Körpers und Gesten der Aufmerksamkeit begleitet werden. Eine Etablierung von Gesprächs- und Schweigereservaten außerhalb der Begrüßungssituationen bedarf einer weiteren Ausdifferenzierung von Markierungen. Im Folgenden wird zunächst die Markierung von Gesprächsreservaten und im Anschluss die Markierung von Schweigereservaten weiter thematisiert.
5
Der Begriff der Ent-Stimmung ist an die Verwendung in der Phonetik angelehnt, wodurch eine Veränderung von einer Stimmhaftigkeit zu einer Stimmlosigkeit beschrieben werden kann.
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(54) #08 00:00-00:10 Lw v
Lw nv
S1w nv
S2w v S2w nv
S3m nv
00:00 Einmal kurz die Regeln bitte, weil wir das schon so lange nicht mehr gespielt haben. Breitet Zettel vor sich aus und schaut auf dem Boden. Hebt ihren rechten Arm, wendet ihren Oberkörper in den Kreis und schaut zu Lw. Ah Hebt ruckartig ihren rechten Arm, wedelt mit der Hand und beugt sich mit dem Oberkörper vor. Lässt sich aus seiner Sitzposition nach vorne in den Kreis fallen und fängt sich mit seinen Armen ab.
00:05 Ne: du setzt dich jetzt mal vernünftig hin.
00:08 S1w meldet sich ganz leise.
Schaut zu Sm3 und anschließend wieder auf die Karten auf dem Boden. Schaut zu Lw und hat immer noch ihren Arm gehoben.
Schaut zu S2w.
Schaut zu Lw und wedelt mit der rechten Hand.
Nimmt ihren Arm herunter. IchS2w beginnt zu sprechen.
Rutscht etwas zurück und setzt sich aufrecht hin.
Die transkribierte Szene verdeutlicht einige zentrale Merkmale der Zuteilung von Gesprächsreservaten und damit der zeitweisen Aussetzung von Schweigereservaten für die Beteiligten. Für die anderen Teilnehmer der Situation gilt weiterhin das Schweigereservat. Des Weiteren erkennen die SchülerInnen die Notwendigkeit einer Meldung und der nun anstehenden Verteilung eines Gesprächsreservates. Die Meldung wird damit auch zeitlich auf die Frage der Lehrerin abgestimmt. Obwohl es sich bei der Äußerung von der Lehrperson um ein Anliegen und keine Frage handelt, decodieren die SchülerInnen diese Äußerung als Aufforderung sich zu melden. Der Vollzug der Meldung verläuft bei den Schülerinnen S1w und S2w grundlegend ähnlich, aber mit einem wesentlichen Unterschied. Beide heben ihren Arm (und auch nur einen) und wenden ihren Blick sowie ihren Körper zur Lehrperson. Die feinen Unterschiede liegen in der ruhigen Meldung von S1w im Vergleich zur hektischen Handbewegung von S2w und in den begleitenden Äußerungen. Relevant wird dieser Aspekt indirekt über die Äußerung der Lehrperson: ››S1w meldet sich ganz leise‹‹. Zum einen wird über eine Feststellung der Zuwendung des Blickes der Lehrperson zu S1w und auf Grundlage des Anzeigens der Schülerin das Gesprächsreservat zugeteilt und mit dem Senken des Armes von der Schülerin angenommen. Subtil findet sich hier weiterhin die Funktion einer Normierung von Markierungen, weil sich nicht nur gemeldet, sondern leise gemeldet werden muss, um ein Gesprächsreservat zugeteilt zu bekommen. Diese öffentliche Betonung der Meldung bestätigt das Verhalten von S1w und gibt Hinweise für die anderen SchülerInnen auf die geltende Norm des Sprecherverkehrs. Die Zuweisung von Gesprächsreservaten kann als Praktik bezeichnet werden. Das Heben des Armes an sich kann nur geräuschlos vollzogen werden, jedoch wird die hektische Bewegung des Armes, das Vorbeugen in den Kreis und der kurze Ausruf ››äh‹‹ zum Handlungskomplex der Meldung hinzugezogen, weshalb es leise und laute Meldungen gibt, woraus leise Meldungen aus dem Schweigereservat heraus anerkannter sind als laute.
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Über die Zuteilung von Gesprächsreservaten der Lehrperson anhand des Anzeigens einer Meldung lassen sich im Material viele Fälle finden. Im weiteren Verlauf zeigt sich noch eine Reihe abweichender Fälle in der Normierung des SprecherInnenverkehrs. Bevor diese weiter analysiert werden, gilt es in der folgenden Sequenz die Zuweisung von Schweigereservaten zu betrachten.
Still-21: Schweigereservate 1)
2)
3)
(55) #05 00:00-00:31 00:00 (Still-21-1)
Lm v Lm nv
Hockt im Mittelkreis und sortiert einige Karten.
00:07 (Still-21-2) Gut (leise) es gibt für euch - (laut) Steht auf, schaut zu einzelnen Schülern und geht einige Schritte zurück.
S1m v Sx v Sx nv
Lm v Lm nv Sx nv
(Gespräche) Stehen in einem großen Kreis weit auseinander und führen Gespräche miteinander.
00:11
Bleibt stehen und schaut zu den Schülern. Anschließend geht er langsam wieder nach vorn und hockt sich auf die Linie vom Mittelkreis. Wir sind hier nicht im Chor.
(Gespräche)
00:17 (Still-21-3) (leise) Es gibt für euch, sieben rote und sieben schwarze Karten. [2] für die [1] schwarzen Karten, zählt das hintere Spielfeld bitte eine Matte dann, aufteilen. Hockt am Mittelkreis und schaut zu einzelnen Schülern. Anschließend zeigt er mit dem rechten Arm geradeaus. Bewegen sich langsam in Richtung des Mittelkreises. Nach und nach kommen alle Schüler am Mittelkreis zusammen. Manche bleiben stehen und manche hocken sich ebenfalls hin.
Die Szene (55) zeigt einen Übergang von einer gemeinsamen Aufwärmphase zu einem Spiel. Das Sortieren der Karten von der Lehrperson im Mittelkreis stellt die Übergangsphase dar, die von den Schülern mit Gesprächen genutzt wird, ohne sich jedoch weiter in der Halle zu verteilen. Sie behalten ihre Position bei. Mit dem Beginn der Ansage von der Lehrperson wird eine anfängliche Überlappung der Rahmung deutlich. Während die Lehrperson zunächst über das leise ››gut‹‹ für sich eine Rahmungsgrenze zu verdeutlichen scheint und diese Rahmungsgrenze auch über die Aufrichtung des Körpers, der lauteren Ansprache und dem Rückwärtsgehen für die Teilnehmer öffentlich werden lässt, scheinen die Schüler noch partiell in Gesprächen verwickelt zu sein, die sie nicht abrupt beenden. Für die Etablierung des Gesprächsreservates der Lehrperson und der gleichzeitigen Etablierung des Schweigereservats der Schüler nimmt die Lehrperson eine Minimierung in mehrfacher Hinsicht vor. Mit
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Abbruch seiner Ansprache wird bereits die Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet. Die Unterbrechung eines Gesprächsreservats hat die Funktion der Herstellung von Aufmerksamkeit. Ein weiterer Vollzug dieser Praktik liegt in der körperlichen, sprachlichen und räumlichen Minimierung. Während die Lehrperson sich zuvor aufgerichtet und zentral positioniert hat, bewegt sie sich nun wieder zum Mittelkreis, hockt sich hin und beginnt die Ansprache erneut mit einer leisen Stimme. Die phonetische Variation bewirkt eine Entstimmung bei dem Schüler, indem sie ihre Gespräche abbrechen. Zudem verdichten sich die Körper am Mittelkreis durch ihr Zusammenkommen, wodurch ein kleinerer Raum geschaffen wird (siehe Still-21-3). Die Etablierung des Gesprächsreservats bzw. des Schweigereservats wird über die Minimierung des Lehr-Körpers, der Stimmen und des Raumes erreicht mit der zentralen Funktion einer organisierenden Ansprache für das folgende Spiel und der Herstellung von Aufmerksamkeit bei den teilnehmenden Akteuren. Nachdem nun deutlich geworden ist, wie Gesprächs- und Schweigereservate etabliert werden können, ist es weiterhin von Interesse, wie die inhaltliche Normierung des Sprecherverkehrs vollzogen wird. Im Material konnten unterschiedliche Strategien der Normierung gefunden werden. (56) #06 00:00-00:39 Lw v Lw nv
S1m v S1m nv Sx nv
00:00 Gut, ä:hm:: was wollen wir gleich spielen? Sitzt mit den SchülerInnen im Sitzkreis und beugt sich leicht nach vorn. Hebt seinen rechten Arm. Einige SchülerInnen melden sich.
00:06 Lm v
S1m
Lm nv S1m v S1m nv Sx nv
00:03
00:04 Melden: würd ich besser finden. Schaut einzelne SchülerInnen an.
[Luda Star] Nimmt den Arm herunter SchülerInnen nehmen ihren Arm herunter, gleichzeitig heben andere ihren Arm. 00:07 melden, würd ich besser finden. Richtet sich auf und schaut zu S1m.
[Luda Star] wollen wir gleich spielen
00:12 S1m.
[Luda Star] Hebt anschließend seinen rechten Arm. Manche SchülerInnen senken ihren Arm und andere lassen ihn oben.
Schaut zu Lw und nimmt seinen Arm herunter. Nehmen ihre Arme herunter.
S PIELPLAN : S PIEL
Lm v
Lm nv S1m nv
00:15 Nein, das möchte ich nicht spielen. nimm bitte wen dran Schaut zu S1m (lacht)
00:22
Schaut sich kurz um und zeigt auf seinen Nachbarn. Ä:hm: [5] der Postbote hat die, Post hier fallen gelassen. Nimmt seinen Arm herunter. (leises Getuschel)
S2m v
S2m nv Sx v Sx nv
Lm v Lm nv Sx nv
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Einige SchülerInnen melden sich wieder.
Weitere SchülerInnen heben ihren Arm.
00:32 Genau, wie war das Sch-, wie ging das nochmal? [2] einmal schön erklären, dass wir nochmal das alle nochmal in Erinnerung bekommen. nimmst du wen dran nochmal? Blicke schweifen durch die Runde. Mehrere SchülerInnen beginnen sich zu melden.
Mit Beendigung der Frage von der Lehrperson zeigen sich Anschlussmöglichkeiten für weitere Gesprächsreservate, die von mehreren SchülerInnen über eine Meldung angezeigt werden. Der Expansion des Anspruches von S1m, ohne dies anzuzeigen, folgt eine Erinnerung der Lehrperson an die geltende Norm der Meldung. Interessanterweise meldet sich der Schüler während seiner Äußerung. Die Praktik des Managements von Gesprächsreservaten unter dem Fokus einer Etablierung wird somit um das Merkmal des Dran-Seins ergänzt. Ohne diese zentrale Übergabe bzw. Anerkennung des Reservats ist ein Redebeitrag nicht möglich.6 Der wiederholte Einwurf des Schülers und der Verweis auf die geltende Normierung des Sprecherverkehrs: ››Melden würd ich besser finden‹‹ wirkt wie eine Form der Einübung, weil letztendlich der Schüler einen Beitrag anzeigt und von der Lehrperson drangenommen wird.7 Im Verlauf der Sequenz wird eine weitere Form der Normierung deutlich. Die SchülerInnen sind selbstständig in der Verantwortung Gesprächsreservate zu verteilen: ››Nimmst du wen dran nochmal?‹‹ Die Verteilung der Gesprächsreservate – und damit immer auch parallel die Aufrechterhaltung der Schweigereservate für alle anderen Teilnehmer, mit Ausnahme der Lehrperson – wird sozusagen von der Lehrperson delegiert. Sie entscheidet darüber ob und wie lange bspw. eine andere Form des SprecherInnenverkehrs vollzogen wird. In der Folge werden die Meldungen an die SchülerInnen, die nun das Reservat zuteilen dürfen, gerichtet. Die zeitliche und körperliche Choreographie des Meldens wird auch hier so eingehalten, wenn die SchülerInnen 6 7
An späterer Stelle wird dieser Aspekt erneut aufgegriffen und um eine, für den Sportunterricht anscheinend zentrale Funktion von Redebeiträgen, spezifische Form hin konterkariert. An dieser Stelle könnte auch angenommen werden, dass es sich um eine Form der Bloßstellung des Schülers durch die Lehrperson handelt. Die Äußerung des Schülers war bereits zwei Mal zu hören. Unter dem Aspekt, dass es sich um eine Grundschulklasse handelt, die sich am Beginn ihrer schulischen Sozialisation befindet, überwiegt die Lesart einer Einübung der Normierung von Sprecherwechseln im Sportunterricht mit dem Ziel der Routinisierung typischer Sprachmuster im Unterricht.
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die Reservate verteilen, als wenn die Lehrperson eine Frage o. ä. formuliert. Sie melden sich und richten ihre Körper und Blicke aus, wenn sie sehen, dass wieder ein Reservat verteilt wird und senken ihre Arme, wenn es verteilt wurde. Die Redebeiträge richten sich allerdings gezielt an die Lehrperson. Damit werden zwei Funktionen sichtbar. Zum einen ist es die Lehrperson, die über ihre zugrundgelegte und dadurch auch wieder reproduzierte Rahmungsmacht darüber entscheidet, das die Reservate verteilt werden dürfen und welchen Inhalt sie vorweisen sollen. Dies geschieht über die Formulierung oder Modellierung von Fragen oder Aufforderungen. Weiterhin ist es qua Rahmung einzig und allein die Lehrperson, die über die Relevanz und den Nutzen der Beiträge entscheidet. Unterstützt wird diese Tätigkeit auch, in dem die Lehrperson häufig nur die Verteilung der Reservate abgibt und trotzdem die Normierung des SprecherInnenverkehrs aufmerksam organisiert, wie folgende Szene zeigt. (57) #06 00:06-00:20 Lw v
Lw nv
S1m v S1m nv
S2w nv Sx v
00:05 S1m nimmt keine Mädels dran, die:: den Kreis immer enger maSchaut die SchülerInnen an und schüttelt leicht mit dem Kopf. Übergibt die Karten, die er in der Hand hält, an S2w. Nimmt die Karten entgegen. (laute Gespräche)
00:09 warte warte bis es ruhig ist ne?
00:14 so S2w wartet bis es ruhig ist und dann gehts weiter.
Schaut zu S2w.
Anschließend nickt sie kurz zu S2w als sich beide anschauen.
Hält die Karten in der Hand. (Gespräche)
Schaut zu Lw und beginnt dann zu sprechen. (Gespräche verstummen)
Die Einhaltung der geltenden Normen im Sprecherverkehr wird über die Lehrperson aufrechterhalten. Interessanterweise werden die SchülerInnen als diejenigen bezeichnet, die entweder keinen dran nehmen dürfen, die den Kreis verengen oder erst beginnen dürfen, wenn es ruhig geworden ist. Dadurch werden parallele Gesprächsreservate etabliert. Grundsätzlich darf S1m ein Reservat verteilen und S2w auch anfangen zu sprechen. Jedoch managt die Lehrperson diese Prozesse und betont ihre Rahmungsmacht, in dem sie auf die Normierung verweist. Der abschließende kurze Blickwechsel mit dem Schüler und das bestätigende Nicken des Kopfes der Lehrperson verdeutlichen eine Fassade der Verantwortung von SchülerInnen im Management von Gesprächs- und Schweigereservaten. Das Gesprächsreservat der Lehrperson verläuft, auch wenn es nicht sprachlich gefüllt wird, in Form einer Hintergrundfolie im Unterrichtsgespräch mit.
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(58) #07 00:00-00:32 Lw v Lw nv S1w v S1w nv
00:00
0:02
Schaut erst zu S1w und dann zu S2m. S2m. Hält bunte Karten in der Hand und übergibt diese an S2m.
Schaut zu S2m.
S2m v
S2m nv
Meldet sich und nimmt den Arm herunter, als sein Name aufgerufen wird.
Ähm was ich, nicht so gut fand? dass S3w so ne [unv.] war, die stand da und [ptchu ptchu ptchu ptchu ptchu.] Nimmt die Karten entgegen und sortiert ihre Reihenfolge. Er zeigt auf S3w während er spricht und lässt sich dann nach hinten fallen.
S3w v S3w nv Sx v Sx nv
Lw v
Lw nv S2m nv S3w v S3w nv
00:11 Mhm. Schaut geradeaus und dann zu S3w.
Schaut zu S2m. Och man.
Nein das hast du bei mir gemacht, bei dem Kopf. Schaut zu S2m.
Mehrere SchülerInnen haben sich gemeldet und nehmen ihren Arm herunter als S2m dran genommen wird. 00:18 Ok, S2m hat die Karten, S2m spricht jetzt ne? (zu einer Schülerin rechts neben ihr: [Morgen dann.]) Schaut kurz zur Seite und dann wieder zu S2m und nickt. Wendet ihren Blick nach kurzer Zeit von S2m ab. Was ich gut fand, dass ich zwei Mal freiwillig Jäger war und [unv.] Sortiert die Karten wieder und hält sie vor sich.
00:30 Ok, gut
In dieser Szene fließen die vorherigen Aspekte einer Normierung des SprecherInnenverkehrs zusammen und werden durch eine symbolische Komponente ergänzt. Bei den farbigen Karten handelt es sich, im Rahmen einer Reflexionsphase des vorherigen Spiels, um die Möglichkeit für die SchülerInnen sich über positive und negative Aspekte der Spielphase zu äußern. Gesprächsreservate sind an sich keine sichtbaren Räume, die klare sichtbare Grenzen offenbaren. Vielmehr zeigt sich eine teleologische Struktur, die anhand einer skillful performance sichtbar wird. Ohne sichtbare Grenzen erkennen die Akteure im Sportunterricht, wann eigene Gesprächsreservate angezeigt werden müssen, wann Schweigereservate gelten und wie sie ihren Körper und ihre Sprache dementsprechend einzusetzen haben. Die Sichtbarkeit von Gesprächsreservaten zeigt sich in dem sprachlichen Vollzug und in der körperlichen Performance der Teilnehmer.
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In Szene (58) etabliert die Lehrperson erneut ihr Gesprächsreservat und zeigt, dass ihr Reservat als Hintergrundfolie zu aktiven Reservaten der SchülerInnen verläuft: ››Ok, S2m hat die Karten, S2m spricht jetzt ne?‹‹. Indirekt wird hier ein Schweigereservat an die Schülerin verteilt über die symbolische Ebene der Karten. Das Artefakt gilt als symbolisch-ritualisierte Ermächtigung über den Vollzug der Gesprächs- und Schweigereservate und kann als sichtbare Markierung von Gesprächsreservaten angesehen werden. Die Normierung des Sprecherverkehrs im sportunterrichtlichen Kontext wird jedoch nicht immer streng eingehalten, vielmehr wird sie stellenweise konterkariert. Solche Szenen sportunterrichtlicher Interaktion scheinen allerdings nicht das Scheitern des Gespräches anzukündigen, sondern sind situationsspezifisch konstituierend für die Organisation sprachlicher und motorischer Aktivitäten. (59) #03 00:00-01:00 Lw v
Lw nv
S1m v
S1m nv S2w v S2w nv
Sx v Sx nv
00:00 (Zuvor hat S1m bereits die Uhr als ein Utensil bezeichnet, dass im Sportunterricht nicht benutzt werden sollte.) Warum is ne Uhr im Sportunterricht nicht erlaubt? hast du auch ne Idee? Sitzt im Sitzkreis und schaut zu S1m.
00:13 Joa ein Grund, was is: ein weiterer Grund?
00:16
Schaut in die Mitte des Sitzkreises, dann schweifen ihre Blicke in die Runde.
Schaut zu S2w und berührt sie mit ihrem rechten Arm an der Schulter.
Wegen da muss man nicht hin, da, das lenkt die Uhr, die Uhr lenkt das im Sport dann ab. Schaut zu Lw. Ähm, ich heiße S2w. Schaut erst zu Lw und dann in den Kreis nach vorne Äh. Mhm. Sitzen im Sitzkreis. Einige melden sich. Als S1m beginnt zu sprechen, senken sich die Arme wieder.
Melden sich vereinzelt.
S PIELPLAN : S PIEL
00:19 S2w
00:25
Lw nv
Nickt mit dem Kopf und schaut in die Mitte des Kreises.
Hebt den linken Arm und hält den Daumen nach oben. Als S3m spricht, schaut sie direkt zu ihm und zeigt mit dem linken Arm auf ihn.
S2w v
Weil, das könnte man auch hinfallen und dann könnte die kaputt gehen. Schlägt sich leicht mit der rechten Hand auf die linke Hand.
Lw v
S2w nv
Lw v Lw nv
S2w v
Einige melden sich. 00:30 nochmal ganz laut, die Uhr Zeigt mit dem linken Arm auf S2w.
00:38 Kaputt gehen. und was hast du gesagt? Hebt den Daumen und zeigt anschließend auf S3m.
Lw v
Lw nv
Da kann man sich auch weh tun. Einzelne melden sich. 00:42 Ich hab ne Uhr um und wir rennen durch die Halle, ja? und dann:
00:46 renn ich an meiner Partnerin vorbei, za:ck habe ich ihr den ganzen Arm aufgeschrammt.
Beugt sich nach vorne, nimmt sich die Uhr aus der Mitte des Sitzkreises und legt sie sich um das Handgelenk.
Streift mit ihrer Uhr am linken Arm den rechten Arm einer Schülerin neben ihr.
S4w v S4w nv
Sx v
00:40
Die Uhr kann sich verletzalso die, da kann man mit, hinfallen und dann kann die kaputt gehen und.
S3m v Sx nv
00:27 Das sind die beiden wichtigen Hinweise. Schaut wieder zu S2w und nimmt ihren Arm wieder zurück.
Und sich richtig weh tun.
S3m v Sx nv
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00:50 Tut weh ne? das wollen wir vermeiden. deswegen Schmuck, egal was fürn Schmuck, wollen wir an den Händen nicht haben. Lässt ihren Blick durch die Runde schweifen und schüttelt leicht ihren Kopf hin und her. Anschließend nimmt sie wieder die Uhr ab und hält ihre Hände hoch. Das geht nicht ne? Hält ihren Arm mit einem Armband nach vorne und schaut zu Lw.
Autsch::
Während zuvor schon die Uhr als Utensil genannt wurde, das im Sportunterricht nicht angelegt sein darf, wird nun von der Lehrperson nach einer – genauer: nach der – Begründung gesucht. Die Begründung von S1m reicht der Lehrerin nicht aus, auch
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wenn sie diesen Aspekt als ››ein Grund‹‹ evaluiert. Das wird im weiteren Verlauf deutlich, weil nur noch zwei zentrale Hinweise herausgestellt werden. Anschließend liefert S2w einen, wohlgemerkt für die Lehrperson, wesentlichen Aspekt. Die Lehrperson stellt den Beitrag der Schülerin bereits gestisch über den gehobenen Daumen hervor. Direkt im Anschluss ruft S3m einen weiteren Aspekt in die Runde: ››Und sich richtig weh tun. Sofort reagiert die Lehrperson in die Richtung des Schülers, zeigt auf ihn und hebt den Aspekt dadurch körperlich hervor. Die vertiefte Suche nach den zentralen Aspekten im Unterrichtsgespräch lässt die Normierung des Sprecherverkehrs zu einem strategischen Management der Gesprächsreservate werden. Erst durch die vorherige Normierung von Gesprächsbeiträgen über Meldungen wird diese Szene zu einer strategischen, weil der Verzicht auf die Meldung nicht weiter geahndet wird. Ganz im Gegenteil wird der Beitrag des Schülers hervorgehoben und sogar noch einmal betont durch die Wiederholung der ››wichtigen Hinweise‹‹. Ahndungen von MitschülerInnen zu dieser eigentlichen Ordnungswidrigkeit, die sich gemeldet haben, bleiben ebenfalls aus oder sind zumindest nicht wahrzunehmen, wodurch anzunehmen ist, dass diese Strategie anerkannt wird. Die sofortige Reaktion der Lehrperson und die damit zusammenhängende Übernahme der Organisation der Gesprächsreservate könnten damit zusammenhängen. Die Lehrperson komponiert im Folgenden die Reservate, indem sie die SchülerInnen das Gesagte wiederholen lässt. Die Komposition wird noch deutlicher, weil sie der Schülerin in das Wort fällt und direkt auf den nächsten Hinweis hinaus möchte. Die Lehrperson verdeutlicht durch diese Tätigkeiten ihre akustische Raum-Macht. Auffallend sind die Duldung und sogar die strategische Nutzung einer veränderten Form in der Ordnung des SprecherInnenverkehrs, die hier in der situativen Nennung des wichtigen Hinweises begründet liegt. Im Material konnten insbesondere Formen einer gemeinsamen inhaltlichen Fokussierung gefunden werden, in der zeitweise die Normierung vom SprecherInnenverkehr aussetzt. Die Voraussetzung für eine solche Form liegt allerdings bei der Lehrperson und ihrer Hoheit über den akustischen Raum. Die eingedrungenen SprecherInnen werden nicht unterbrochen, zusätzlich verlangt das Erlangen eines spontanen Reservats in der inhaltlichen Auseinandersetzung ein gutes Timing der Akteure, weil das Eindringen in ein bestehendes Reservat vermieden und eine akustische Pause im richtigen Moment für das Ergreifen eines Reservats genutzt werden muss.
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(60) #05 00:00-00:23 Lm v Lm nv
S1m v
S1m nv S2m v S2m nv
00:00 Woran könnts gelegen haben? Sitzt im Sitzkreis auf dem Boden im Schneidersitz und hat seine Arme auf den Knien abgelegt. Blick schweift durch die Runde. Wir hatten keine Lust aufs Gewinnen. Schaut zu Lm. Hebt den rechten Arm.
00:03
00:08
Schaut zu S2m und hebt leicht den Kopf.
(lächelt)
Wir sind zu klein. Nimmt seinen Arm herunter. Stimmt ja eigentlich auch irgendwie ne? Schaut zu Lm.
S3m v S3m nv Sx v Sx nv
Lm v Lm nv
(lachen) Sitzen im Sitzkreis auf dem Boden.
(lachen)
00:10 Was war los? im Gegensatz zur ersten Halbzeit. Blicke schweifen durch die Runde und schaut nach links zu S4m.
00:12
S3m v
S3m nv S4m v S4m nv
Schaut noch zu S4m und wechselt nach kurzer Zeit den Blick zu S3m. Laufbereiter, es haben nur welche vorne gestanden von den Gegnern, die haben halt hinten, die konnten dann hinten halt äh vorne in Überzahl spielen. Schaut zu Lm.
00:19 Das heißt? im Umkehrschluss? Schaut zu S3m. Wir hatten me:hr Chancen.
Schaut zu Lm.
Joa ich Schaut zu Lm und lehnt sich nach hinten.
In Szene (60) zeigt sich in einem Reflexionsgespräch über eine vorherige Spielphase eine erneute Suche der Lehrperson nach Begründungen (hier für das eindeutige Ergebnis des Spiels). Nachdem die Zuteilung der Gesprächsreservate der routinisierten Zuteilung über Meldung und dem Drannehmen erfolgt, ändert sich die Form der Normierung im Laufe des Gespräches. Der Beitrag scheint nicht zielführend für das Gespräch zu sein, woraufhin im Verlauf die Zuteilung eines Reservates über den Blick der Lehrperson, der auf einen Schüler gerichtet ist, erfolgt. Annähernd zeitgleich beginnt der angeblickte sowie ein weiterer Schüler (S3m) zu sprechen. S3m ist in der Lage sein Reservat, obwohl es ein eingedrungenes ist, zu behaupten. Dies geschieht durch eine konkrete Äußerung und eine erhöhte Lautstärke im Vergleich zu S4m. Die Anerkennung des eingedrungenen Reservats wird im Verlauf über den zugewendeten Blick von der Lehrperson und der Unterbrechung von S4m anerkannt. Eine weitere (unsichtbare) Bestätigung liegt in der ausbleibenden Erinnerung an eine
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mögliche Normierung des Sprecherverkehrs. Trotz des Aufdrängens von S3m handelt es sich um ein eingedrungenes Gesprächsreservat, dass auf der Grundlage einer vom Schüler als dringlich empfundene und vom Lehrer als erwartete Äußerung beruht und deshalb nicht als ein unroutiniertes Vorgehen, sondern als eine Facette der Normierung des Sprecherverkehrs angesehen werden kann. Die Erfüllung von Beitragserwartungen durch den Schüler lässt von einer Unterbrechung und Erinnerung des Sprecherverkehrs absehen. Dies würde eventuell auch ausführlichere Reparaturmaßnahmen mit sich bringen und das, obwohl für die Akteure die eigentliche Ordnung der Gesprächsreservate nicht in Frage gestellt wird. (61) #09 00:00-01:03 Lw v
Lw nv
00:00 Es schnappt sich gleich jeder, irgendein Bändchen, das ist ganz egal welches, und dann läuft man zur Musik durch die Sporthalle. [1] und immer dann wenn man einem anderen Kind begegnet, dann wechselt man einfach die Bändchen. Sitzt mit den SchülerInnen im Sitzkreis, zeigt kurz auf die Bändchen, die vor ihr liegen und lässt ihren Blick schweifen.
00:18 Laufe dir entgegen, kann dir freundlich zulächeln und das wechseln.
Wirft ein grünes Bändchen zu S2m, nimmt sich selbst ein rotes Bändchen und steht auf.
Tauscht mit S2m die Bändchen, dreht sich anschließend wieder um und setzt sich wieder hin.
Hebt langsam seinen rechten Arm bis zur Höhe seiner Schulter. Nimmt sich das grüne Bändchen und steht ebenfalls auf.
S1m nv
S2m nv
Ah das.
Sx v Sx nv
00:13 angenommen S2m du hast n grünes in der Hand. und ich hab jetzt n rotes
Sitzen auf dem Boden im Sitzkreis und schauen zu Lw.
Wechselt mit Lw die Bändchen. Anschließend bleibt er noch kurz stehen, wirft dann das Bändchen zu den anderen auf dem Boden und setzt sich wieder hin. (Gespräche)
S PIELPLAN : S PIEL
Lw v
00:25 und das macht man so lange das Wechseln, bis die Musik stoppt. [2] bei Musik stopp [2]
Lw nv
S3m nv
Hebt seinen linken Arm und schaut zu Lw.
00:34 sammeln sich alle Roten, in irgendeiner Ecke [2] alle Grünen [1] in irgendeiner Ecke [1] alle Gelben [1] in irgendeiner Ecke und alle Blauen [1] in irgendeiner Ecke. Schaut kurz zu S3m und schweift dann mit ihrem Blick durch die Runde. Während sie die Farben der Bändchen nennt, nimmt sie immer auch ein Bändchen auf und legt es anschließend wieder auf den Haufen zurück. Hat weiterhin den linken Arm gehoben und wendet seinen Blick nach rechts unten ab. Sein Arm senkt sich anschließend langsam ab.
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00:54 einzige Regel is es [1] in jeder Ecke, darf nur eine Farbe sein.
Schaut in die Runde.
Schaut wieder zu Lw.
Im Rahmen einer ››vorgreifende[n] Realisierung‹‹ (Kuhlmann, 1986, S. 69) wird sprachlich der Aufbau einer anschließenden Szene realisiert. In Szene (61) handelt es sich im Sinne Kuhlmanns um einen ››Kompakt-Aufbau‹‹ (ebd.). Bei einem Kompakt-Aufbau vereinbaren die Teilnehmer den kompletten Aufbau der motorischen Aktivität, bevor diese beginnt. Inhaltlich können der Aufbau und der Ort von Geräten, die Spielregeln und der Spielablauf erläutert werden, damit der Inszenierung möglichst ohne ››Defekt‹‹ (ebd., S. 129) die Szene folgen kann (vgl. ebd., S. 69ff.). Aufkommende Meldungen der SchülerInnen konnten im Material in ähnlichen Phasen des Öfteren beobachtet werden. Wie dargestellt, werden Meldungen im Laufe der Erklärungen der Lehrperson wieder zurückgezogen und auch nicht von der Lehrperson als Gesprächsreservat anerkannt. Wird auf die angezeigten Gesprächsreservate eingegangen, zeigt sich ein anderes Bild in der Situation wie Szene (62) verdeutlicht.
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(62) #04 00:00-00:49 Lm v
Lm nv
00:00 Diese Bänke die da noch stehe:n, müssen wir, auch hier her bringen. [2] wieder eine Frage?
S2m nv Sx nv
Hat den rechten Arm gehoben und schaut zu Lm. Hebt den rechten Arm. Weitere SchülerInnen heben ihren Arm.
Lm v
00:21 ja
Lm nv
Zeigt auf S2m.
S2m v
Ähm, aber was ist, man darf den Ball doch [unv.]Nimmt seinen Arm herunter.
S2m nv
00:10 Ganz kurz, die Spielregeln werde ich noch genau erklären wenn wir alles aufgebaut haben denn die große Matte dort, die müssen wir auch noch tragen, und zwar auf die beiden Kästen drauf. Schaut zur S2w und zeigt anschließend auf die große Matte und die Kästen.
Sitzt im Kreis mit den SchülerInnen und zeigt auf die Bänke am Hallenrand. Anschließend schaut er zu S1w.
S1w v S1w nv
00:07
Man darf doch nicht an Kopf werfen. Nimmt ihren Arm herunter. Einige Meldungen bleiben bestehen und einige werden zurückgezogen.
Einige SchülerInnen heben ihren Arm.
00:24 Die Spielregeln erkläre ich, wenn wir aufgebaut haben. Zeigt anschließend auf S3w.
00:29
Ähm. [2] ich hab zwei Fragen.
S3w v S3w nv
Hebt ihren Arm.
Nimmt ihren Arm herunter.
Lm v
00:32 Ja.
00:37 erkläre ich wenn wir aufgebaut haben.
Lm nv
Schaut zu S3w.
S3w v
Wie viele Kinder sind immer in einer Mannschaft? Beugt sich leicht vor. Einige SchülerInnen haben noch ihren Arm gehoben.
S3w nv Sx nv
Nickt mit dem Kopf.
Die Spielregeln
Schaut zu S2w.
00:41 Jetzt verstanden? gut. dann, helft ihr mir bitte? die große Matte, tragen wir da oben drauf. los gehts. Zeigt auf die große Matte und anschließend auf die Kästen, auf die diese Matte getragen werden soll.
Ach so, okay. Nehmen ihre Arme herunter.
Während es sich in Szene (61) um einen Kompakt-Aufbau gehandelt hat, zeigt sich in Szene (62) ein ››kompositorischer Aufbau‹‹ (Kuhlmann, 1986, S. 69). Ein kompo-
S PIELPLAN : S PIEL
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sitorischer Aufbau setzt sich schrittweise zusammen, bevor der tatsächliche Ablauf der Szene verdeutlicht wird. Unabhängig von der Form des Übergangs von der Inszenierung zur Szene zeigen auch hier mehrere SchülerInnen ein Gesprächsreservat an, das von der Lehrperson anerkannt wird. Sie befindet sich in der Rahmung des Geräteaufbaus, während die SchülerInnen bereits die Rahmung der Spielregeln und des Spielablaufes vollziehen. Diese Rahmungsdifferenzen werden erst durch die Akzeptanz der Meldungen deutlich. Die Lehrperson muss anschließend immer wieder auf die nun geltende Rahmung des Aufbaus verweisen, worauf anschließend die Fortführung des kompositorischen Aufbaus folgt. Die Gesprächsreservate der SchülerInnen werden von der Lehrperson immer wieder unterbrochen, weil sie merkt, dass die Rahmung differiert. Daraus werden unterschiedliche Facetten der akustischen Raum-Macht von Lehrpersonen deutlich. Die strategische Vermeidung von angezeigten Gesprächsreservaten der SchülerInnen hebt das eigene Gesprächsreservat hervor und dient für den ungestörten Akt des organisierten Sprechens und sprechenden Organisierens. Durch die Vermeidung von Unterbrechungen kann eine inhaltliche Kohärenz geschaffen werden, in der Erklärungen und Erläuterungen für die SchülerInnen verdeutlicht und zu Ende gebracht werden können. Die Inanspruchnahme einer solchen Komposition des eigenen Reservats kann für eine inhaltlich ausführliche Darstellung und Erläuterung genutzt werden, wodurch sich SchülerInnenmeldungen, die sich mit Ergänzungen oder Fragen auseinandersetzen könnten, bereits während des sprechenden Organisierens der Lehrperson für nichtig erklären können. Die Gewährung der Gesprächsreservate ist mit einem höheren Aufwand seitens der Lehrperson verbunden, weil die eigene Rahmung wieder aufrecht erhalten werden muss, was durch Unterbrechungen situativ geschehen kann, obwohl durch die Anerkennung der Reservate eventuelle Rahmungsdifferenzen erst sichtbar werden können. Lehrpersonen befinden sich, in Phasen der Inszenierung, in einem situativen Spannungsverhältnis zwischen Anerkennung und einer strategischen Vermeidung von Gesprächsreservaten der SchülerInnen, um Rahmungen der jeweiligen Situation zu verdeutlichen bzw. Rahmungsdifferenzen auszugleichen.
TerritoriumsManagement
Lokomotive Flexibilität Gesprächsreservate
Lokomotive Flexibilität
Die Kategorie der Materialität einer praxeologischen Sichtweise verweist im Kontext des Sozialen auf eine Lokalität, weil Entitäten als Partizipanden konstitutive Bestandteile von Situationen darstellen. In ihnen verankerte Wissenspotenziale beinhalten Handlungspotenziale für eine Gestaltung des Sozialen. Räume wurden im schulischen Kontext bisher selten thematisiert (vgl. Willems & Eichholz, 2008, S. 865ff.). Dabei verspricht diese Kategorie ein besonderes Verständnis von Verhaltensweisen im schulischen Alltag und mit Blick auf bestimmte Praxen auch ein Werkzeug für die
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Inszenierung schulalltäglicher Interaktionen. Neben dem Management von Gesprächsreservaten rücken nun die Materialität und die Lokalität von Körpern und Artefakten verstärkt in den Vordergrund. Die Sporthalle ist eingebettet in einen schulischen Gesamtkontext, ein Komplex aus diversen Bühnen, Nischen oder auch exklusiven Räumen, deren funktionale Differenzierung und Zugangsmöglichkeiten für LehrerInnen und SchülerInnen divergieren. Die Sporthalle soll nicht als makrosoziologischer Raum im Gesamtkontext schulischer Räume betrachtet werden, vielmehr wird es im Folgenden um die Gestaltung von Räumen im Raum gehen. Ähnlich wie in der Analyse der Gesprächsreservate liegt der Fokus auf der Herstellung von Räumlichkeit über Körperlichkeit. Die Problemstellung der Analyse bezieht sich darauf, wie sich Räume auf eine Performance auswirken bzw. wie sich die Performance auf die Räume auswirkt. Die Weitläufigkeit einer scheinbaren Hülle von Sportstätten stellt die Akteure vor die Aufgabe, aus sich bewegenden Körpern und zu bewegenden sowie statischen Artefakten flexibel und situativ Räume herzustellen, um eine Interaktionsordnung, gerade auch räumlich, zu rahmen. Die Akteure müssen im Sportunterricht eine besondere ›››lokomotive‹ Flexibilität‹‹ (ebd., S. 868) unter Beweis stellen. Die folgende Kategorie bezieht sich auf den Umgang mit den ››Variablen des Raumes‹‹ (ebd.). Willems und Eichholz (2008) betonen unter dem Aspekt der Selbstdarstellung im Raum eine Individualität, die in dieser Studie um die Materialität, verankert in den kollektiven Wissensordnungen der Akteure, erweitert wird (vgl. ebd., S. 868f.). Es geht weniger um die individuelle Selbstdarstellung in einem bestimmten Kontext als vielmehr darum, wie der Umgang mit den räumlichen Variablen sportunterrichtlicher Kontexte gestaltet wird, um einen Ordnungsrahmen herzustellen. In der folgenden Analyse von Praktiken im Rahmen des Spiels rückt die Materialität auf die Vorderbühne, wodurch Räume virtuell prognostiziert, umfunktioniert oder aufgelöst und neu gebildet werden. Virtuelle Materialität Im Laufe von Erläuterungen für zukünftige motorische Phasen und des dafür notwendigen Geräteaufbaus konnten im Material Situationen identifiziert werden, in denen Praktiken einer virtuellen Materialität sichtbar werden. Für die Organisation eines Geräteaufbaus sind unterschiedliche methodische Vorgehensweisen denkbar. Der Vollzug einer Praktik der virtuellen Materialität seitens der Sportlehrkräfte scheint ein bewährtes Moment von Tätigkeitsabläufen zu sein, in denen der Körper und der Raum genutzt werden, um einen späteren Aufbau zu visualisieren. Im Vollzug wird deutlich wie ein nexus of doings and sayings für die spätere räumliche Ordnung genutzt wird. Die Kategorie der virtuellen Materialität verfolgt die Problemstellung, wie zukünftige – und damit faktisch noch nicht vorhandene – Räume im Raum der Sporthalle und ihre darin zu vollziehende motorische Performance verdeutlicht werden, so dass es zu einem reibungslosen Aufbau kommen kann.
Still-22: Virtuelle Materialität 1)
2)
3)
S PIELPLAN : S PIEL
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(63) #02 00:00-02:15 Lm v
Lm nv
Sx nv
Lm v
Lm nv
00:00 (Die SchülerInnen wurden zuvor in drei Gruppen eingeteilt.) Ihr, baut bitte wie folgt die Gerätschaften auf? wenn eine Gruppe, mit ihrer Station fertig ist, versucht sie bei den anderen Stationen noch zu helfen. Steht etwas seitlich und leicht versetzt zu den SchülerInnen und schaut sie an. Er geht ein paar Schritte zurück.
00:14 (Still-22-1) Station eins, wird [3] bitte hier zwei, Mattenbahnen à vier Matten aufbauen.
00:26 plus [6] diese Matte, an der Wand lassen. das ist die, Matte an der wir, an der Wand dann Handstände üben können.
Dreht sich nach links und geht an die Stelle, an der die Station aufgebaut werden soll. Er dreht sich zu den SchülerInnen, um sie anzuschauen, stellt sich gerade hin und führt beide Arme gestreckt auf- und abwärts. Diese Armbewegung wird noch einmal wiederholt. Blick schweift über die SchülerInnenschaft.
Schaut nach rechts über seine Schulter und reibt sich seine Hände. Anschließend schaut er über seine linke Schulter. Als er nach der kurzen Pause weiterspricht, dreht er sich zur großen Matte hinter sich und berührt die Matte. Kurz darauf geht er ein paar Schritte von der Matte weg und schweift mit seinem Blick über die SchülerInnen.
Sitzen auf der Fensterbank und auf den Langbänken am Hallenrand und schauen zu Lm.
Schauen zu Lm.
00:39 das ist also die Bodenstation.
00:43 gibts Fragen von den Einsen? hier zwei Mal vier Bahnen. eins zwo drei vier, nebeneinander. Dreht sich leicht nach links und streckt seine Arme vor sich aus. Während gezählt wird, werden die Arme auf und ab und leicht seitlich nach rechts bewegt. Anschließend stellt er sich gerade hin und schaut zu den SchülerInnen.
Geht langsam nach vorn und streckt seine Arme nach vorn auseinander. Sein Blick ist auf die SchülerInnen gerichtet.
Hebt seinen linken Arm leicht nach oben und streckt den Zeigefinger aus. Kurz danach streckt er den rechten Arm nach vorne aus in die Richtung der Matten. Beginnen aufzustehen und in die Richtung der Matten zu laufen.
Sx(1) nv
Sx nv
00:53 alle Zweien die Einsen können losmachen, ne? da sind die Matten
Sitzen auf der Fensterbank und auf Langbänken am Hallenrand und schauen zu Lm.
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Lm v
Lm nv
Sx(1) nv Sx nv
Lm v
Lm nv
Sx(1) nv
Sx(2) nv
00:55 die Zweien [2] bauen mit Hilfe [2] dieser großen Matte [2] und, der übrigen kleinen Matten, die noch übrig sind Hält seinen linken Arm hoch und streckt zwei Finger ab. Dabei geht er nach rechts und positioniert sich mit Blick zu den SchülerInnen. Berührt kurz mit seiner rechten Hand die Matte und geht dann einige Schritte auf die SchülerInnen zu, dabei streckt er seinen rechten Arm nach rechts aus. Gehen durch die Halle in die Richtung der Matten. Die restlichen SchülerInnen sitzen weiterhin auf der Fensterbank und der Langbank und schauen zu Lm.
01:07 (Still-22-2) hier ein Rechteck auf.
01:13 die Matte daneben so dass wir zwei Flächen haben.
Steht frontal zu den SchülerInnen, streckt seine Arme nach vorne aus und zeigt auf den Boden. Er führt seine Arme nach außen und lässt seine Arme gestreckt, während er einige Schritte zurückgeht. Als er stehenbleibt, führt er seine Arme zusammen.
Dreht sich nach rechts und berührt mit seinem rechten Arm kurz die Matte hinter sich. Anschließend dreht er sich wieder zu den SchülerInnen, schaut sie an und streckt seine Arme vor sich aus.
01:17 einmal hier, einmal dort.
01:20 die Zwei
01:24 und die Drei:e:n kommen zu mir [3] genau:, das bauen wir auf.
Streckt zunächst seinen rechten Arm zur Seite und lehnt leicht den Oberkörper nach rechts und vollzieht anschließend diese Bewegung nach links.
Hält seinen rechten Arm hoch und spreizt zwei Finger ab. Anschließend geht er durch die Halle zur Fensterbank. Ziehen gemeinsam einen Mattenwagen durch die Halle. Beginnen mit dem Aufbau der Station. Stehen auf, gehen zur Station und beginnen mit dem Aufbau. Stehen auf und versammeln sich bei Lm.
Sx(3) nv Sx nv
Die restlichen bleiben auf der Fensterbank und den Bänken sitzen.
S PIELPLAN : S PIEL
01:32
01:38 Das bauen wir auf.
Nimmt sich eine Karte von der Fensterbank und hält sie vor sich. Oh cool. Cool. Versammeln sich um Lm herum und schauen auf die Karte, die Lm vor sich hält.
Schaut immer wieder auf die Karte und wieder zu den SchülerInnen. (Gespräche)
01:52 Die und die drei, Kästen und dahinter noch eine große Matte. das machen wir dort in dem Bereich.
01:58 Die Matte da drauf auch.
Lm v
Lm nv
Sx(3) v Sx(3) nv
Lm v
Lm nv
Sx(3) v
Sx(3) nv
Schaut immer wieder auf die Karte und zu den SchülerInnen. Anschließend streckt er seinen Arm über den Köpfen der SchülerInnen aus. Ja. Und die Matte da drauf? Zeigen auf die Karte.
Ist das ne kleine oder ne große? [unv.] Schauen und zeigen auf die Karte, die Lm vor sich hält.
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01:42 mit der kleinen Besonderheit [3] dass wir die Matten hier vorne nicht brauchen.
Nur die und die. Eine Schülerin zeigt auf die Karte.
02:01 Das ist ne große. [3] so einige, kümmern sich um, äh: das Minitramp, einige um die große Matte einige um die Kästen, ok? Schaut immer wieder abwechselnd auf die Karte und zu den SchülerInnen. Anschließend legt er die Karte wieder auf die Fensterbank. Oh, ok. Ich mach Kästen. Drehen sich um und beginnen mit dem Aufbau der Station.
Die Erklärung des Aufbaus von mehreren Stationen wird von der Lehrperson angeleitet und über unterschiedliche Kodierungen vollzogen. Neben der sprachlichen Erläuterung, in der jeweils die Gruppen direkt, jedoch auch alle anderen SchülerInnen indirekt angesprochen werden, nennt die Lehrperson die benötigten Geräte, ihre Anordnung und damit auch die finale Position bzw. die Form des Aufbaus (››bitte hier zwei Mattenbahnen à vier Matten aufbauen‹‹; ››Die Matte daneben, so dass wir zwei Flächen haben‹‹). Der Aufbau der Stationen wird anhand dieser Beschreibungen sprachlich realisiert. Die Konkretisierung des Aufbaus und der Ausführungen sind der Lehrperson überlassen und erfolgen ergänzend zu der sprachlichen Realisierung über drei Ebenen: der sprachlichen, der körperlichen und der räumlichen Realisierung. Die sprachliche Realisierung des Aufbaus ähnelt einer ››kognitiven Karte‹‹ (Kuhlmann, 1986, S. 79) wie Kuhlmann (1986) sie vom Ablauf der Szene beschreibt. Wie eine sich entwickelnde Kartographie zeichnet die Lehrperson ergänzend körperlich (siehe Still-22-1 und 22-2) den Aufbau in den Raum der Sporthalle ein. Die Stationen werden zum einen körperlich visualisiert und zum anderen sprachlich begleitet, wodurch sie noch nicht real sind, jedoch virtuell vorstellbar erscheinen. Neben der Zeichnung des Aufbaus werden über das Anzeigen und Berühren der Geräte die benötigten Materialien in die Choreographie verwoben (››Plus, diese Matte an der Wand lassen. Das ist die Matte an der wir an der Wand dann Handstände üben können.‹‹). Komplettiert wird diese Performance über die Bewegung im Raum, der
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räumlichen Realisierung. Die Zeichnung über den Körper und die Positionierung der Lehrperson verdeutlichen ihre räumliche Anordnung und geben eine imaginäre Vorstellung der räumlichen Gestaltung des folgenden Aufbaus für alle Akteure. Die sprachliche, körperliche und räumliche Realisierung einer Praktik der virtuellen Materialität befassen sich über die Materialität des Körpers und des Raumes mit einer virtuellen – noch nicht vorhandenen aber vorstellbaren – Materialität und verdeutlichen diese in einer skillful performance der Lehrperson. Die SchülerInnen und auch die Lehrperson erhalten eine Vorstellung zukünftiger Aktivitäten, räumlicher Gebilde und ihrer konkreten Aufgabe im Aufbau dieser Landschaften. Über eine körperliche Kartographie wird eine Gerätelandschaft gezeichnet, die vorhandene Wissensbestände abruft. Die SchülerInnen sind durch ihre sportunterrichtliche Sozialisation geprägt von vollzogenen Aufbauten, ihnen bekannten Geräten und deren möglichen Verwendungen, so dass über die Beobachtung und die Verweise eine spätere Zitation der skillful performance der Lehrperson vollzogen werden kann. Der problemlose Vollzug der Lehrperson, der nicht durch Fragen oder Ergänzungen unterbrochen wird, bestätigt dies. Über die skillful performance einer virtuellen Materialität, bestehend aus sprachlicher, körperlicher und räumlicher Realisierung, wird ein Aufbau-Schema entwickelt, wodurch neben der Vorstellung des Aufbaus auch eine vorgreifende Verdeutlichung der Bewegungsaufgaben realisiert wird, die evtl. im Rahmen der Konstitution angedeutet wurden.8 Neben einer Visualisierung durch Aufbaupläne ist es im sportunterrichtlichen Alltag der Lehr-Körper, der kartographisch mit den Variablen des Raumes umgeht, diese visualisiert, die Positionierungen und Funktionen sprachlich, körperlich und räumlich anzeigt und dadurch eine Raumordnung konstituiert. Semipermeable Räume Übergänge von einer Inszenierung zu einer von motorischen Aktivitäten geprägten Szene, um erneut das Vokabular Kuhlmanns (1986) aufzugreifen, gehen ebenfalls mit Umfunktionierungen von Räumen einher. Aus dem Sitzkreis, der als eine Art Besprechungs- oder Ankündigungsraum bezeichnet werden kann, wird durch den Beginn des Aufbaus, die Zusammenstellung von Mannschaften oder die direkte Positionierung im Raum z. B. ein Spielfeld o. ä., welches nun mit den im Sitzkreis angekündigten und besprochenen Handlungen gefüllt wird. Im Material zeigten sich Übergänge, in denen der angesprochene Rahmungswechsel dazu führte, dass im Vollzug des Wechsels von Rahmungen neue Räume durch die Akteure hergestellt werden. Auf diese Weise werden territoriale Rahmenbedingungen des Handelns geschaffen und verändert. Im Folgenden wird anhand von Stills dieser Vollzug einer Veränderung räumlicher Rahmenbedingungen deutlich gemacht.
Still-23: Semipermeable Räume I 1) 8
Siehe auch: Kulturelle Kohärenz.
2)
3)
S PIELPLAN : S PIEL
Still-24: Semipermeable Räume II 1)
2)
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3)
Im Vorfeld des Rahmungswechsels wie es auf den Stills 23 und 24 ikonischsegmenthaft nachzuvollziehen ist, wurden bereits das Spiel und die Spielregeln wiederholt und gemeinsam besprochen. Die Aufteilung der SchülerInnen in der Phase des Übergangs ähnelt sich in den dargestellten Stills, jedoch unterscheidet sich die Funktion der Lehrperson in Bezug auf die gewählte Strategie der Einteilungen und damit auch indirekt auf die Raumbildung. In beiden Bildsequenzen handelt es sich um die Einteilung von Mannschaften als eine typische sportunterrichtliche Situation für die nachfolgende motorische Szene – ein Rahmungswechsel. In den Stills-23 wird die Einteilung der Mannschaften von den SchülerInnen über das Wahlverfahren vollzogen. Von der Lehrerin bestimmte MannschaftskapitänInnen dürfen der Reihe nach9 eine Person aus dem Sitzkreis auswählen, die dann zu ihrer Mannschaft gehört. Ausgewählte SchülerInnen aus der Mitte dürfen anschließend aufstehen und sich zu der Mannschaft begeben, von der sie gewählt wurden. Auffallend ist, dass keiner der SchülerInnen aus der Mitte aufsteht und sich im Raum bewegt, ohne aufgerufen worden zu sein. Umgekehrt bewegen sich die bereits gewählten SchülerInnen nicht mehr aus ihrer Mannschaft zurück in den Kreis oder wechseln zwischen den Mannschaften. In den Stills-24 erfolgt die Einteilung der Mannschaften über die Lehrperson. Zunächst erheben sich alle Jungen aus dem Sitzkreis und werden von der Lehrperson durch die Nennung des Namens und durch das Anzeigen der Lehrperson in das jeweilige Spielfeld, zugeteilt (siehe auch Still-24-1). Im Anschluss erheben sich die Mädchen und die Lehrperson teilt auch die Mädchen in das jeweilige Spielfeld auf. Ähnlich wie in den Stills-23 dürfen die SchülerInnen erst den Sitz- bzw. Stehkreis verlassen, wenn sie aufgerufen wurden und weiterhin ihre einmal zugeteilte Mannschaft nicht mehr verlassen.10 In der Bildsequenz 23 sind es die SchülerInnen, die für die Einteilung der Mannschaften verantwortlich sind. Allerdings nur bedingt, weil die Lehrperson die Rahmenbedingungen zur Mannschaftswahl bereits geschaffen hat. Über Markierungen, die Reihenfolge der Wahl und die Vorab-Positionierung von MannschaftskapitänInnen an den Markierungen wurden räumlich-materialisierte Ordnungsschemata gesetzt, die bei der Orientierung zur Bildung der Mannschaften helfen. Die SchülerInnen vollziehen in dieser Konstellation über ihre Meldung im Kreis und die anschließende Auswahl von den KapitänInnen die situative Aufforderung der Mannschaftsbildung und tragen somit routiniert zur Herstellung der Ordnung und zur Raum(um)bildung bei. 9
Dieser Ablauf wurde ebenfalls von der Lehrerin festgelegt und wird im Verlauf des Wählens immer wieder über ihre Armhaltung angezeigt (siehe Still-23-2). 10 Auch wenn dies nicht direkt zur Sprache kommt, gab es im Material keinen Verstoß gegen diese Regel.
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Die Bildsequenz 24 folgt einer stärkeren Rahmung im Vergleich zur Bildsequenz 23. Während die Lehrperson zuvor die Funktion eines Moderators eingenommen hat und nur gelegentlich darauf hinweist nun eine Auswahl zu treffen, agiert sie hier zuweisend. Nacheinander werden zunächst die Jungen und anschließend die Mädchen auf die Spielfelder eingeteilt. Parallel zur Nennung des Namens wird die Richtung angezeigt, in der die Schülerin oder der Schüler sich einfinden muss. Die SchülerInnen stehen im Kreis während der Zuteilung und begeben sich nach der Zuteilung ebenfalls nicht mehr aus ihrer Mannschaft heraus, sondern verweilen im Spielfeld. Trotz der differierenden Modi der Mannschaftsaufteilung zeigen sich in beiden Sequenzen eine parallele Auflösung und Bildung von Räumen mit divergenten und homogenen Funktionen. Während nach und nach die SchülerInnen aus der Mitte den Kreis verlassen dürfen und dieser sich somit auflöst und gleichermaßen in das Spielfeld übergeht, konstituieren sich über die Tätigkeiten der Akteure neue Räume. Entlang räumlich-materialisierter Ordnungsschemata wie Markierungen oder Feldlinien ordnen sich die Körper ihrer Gruppe zu und entwickeln eine Mannschaft, die sie als Mitglied inkludiert und somit von den anderen SchülerInnen exkludiert (siehe auch Still-23-3 und Still-24-3). Mit Beginn der Aufteilung vollzieht sich räumlich der Rahmungswechsel, der mit der Einhaltung von unterschiedlichen Regeln verbunden ist. Zunächst muss in beiden Sequenzen eine Form der Aufmerksamkeit an die WählerInnen bzw. die Zuweiserin gerichtet werden. Die SchülerInnen zeigen dadurch ihr Engagement und tragen zur Aufrechterhaltung der bestehenden und Herstellung der neuen Raumordnung bei, was wiederum eine entlastende Funktion für die Lehrperson bedeutet. Das Engagement erhalten sie aufrecht, indem sie sich ihren zugeteilten Mannschaften zuordnen. Letztendlich begeben sich die SchülerInnen in die Mannschaften, wodurch deutlich wird, dass ein Verlassen des sich auflösenden Raumes (der Mitte) und die Zuordnung zum sich bildenden Raum (Mannschaftsaufstellung) eine semipermeable Raumkonstitution bedeutet. Die jeweiligen Räume besitzen unterschiedliche Funktionen: Der sich bildende Raum hat, bis zur vollständigen Auflösung des anderen Raumes, die Funktion der Wahl und der sich auflösende Raum, bis zur vollständigen Bildung des neuen Raumes, die Funktion der Auswahl. Bedeutsam für die Ordnungsleistung dieser Räume sind das Engagement der Akteure und die Halbdurchlässigkeit der Organisationsform, die die Akteure, mit Landau (1979) etwas provokant gesprochen, ››auf eine kalkulierte Größe im körperlichen Zurichtungs- und Fertigungsprozess reduziert‹‹ (ebd., S. 66). Praxistheoretisch argumentiert haben die teilnehmenden Akteure solche Prozesse im Rahmen ihrer sportunterrichtlichen Sozialisation inkorporiert, wodurch sich eine kulturelle Selbstverständlichkeit offenbart. Zusammenfassung und Theoretisierung: Was wurde durch die Analyse des territorialen Managements vor dem Hintergrund der Problemstellung dieser Arbeit deutlich? Die Kategorie des territorialen Managements hebt räumliche Aspekte der Unterrichtsordnung im Sportunterricht hervor. Räume beschränken sich nicht nur darauf massive Gebilde zu sein, sondern können viel mehr als ein zu (re-)produzierendes Arrangement begriffen werden, das die soziale Ordnung im Sportunterricht stabilisiert. Die praxistheoretische Sichtweise eröffnet neue Perspektiven in Hinblick auf den sportunterrichtlichen Raum, der in verschiedenen Funktionen – zur Herstellung
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der Unterrichtsordnung, zu Observationszwecken, aber auch zur Erzeugung zukünftiger Raum- und Handlungskonstellationen – genutzt wird. Über die Herstellung und Nutzung der Räumlichkeit von den Teilnehmern zeigt sich, dass der Raum eine herzustellende, jedoch flüchtige Kategorie sozialer Ordnung darstellt. Das Management von Gesprächsreservaten als eine zentrale Kategorie der Räumlichkeit sozialen Handelns beschreibt ein wesentliches Moment der sozialen Ordnung im Sportunterricht. Mit Goffman (1974) konnte zunächst herausgearbeitet werden, dass es im Rahmen von Gesprächsreservaten nicht so deutlich zu sein scheint, wie Markierungen in der Organisation vom SprecherInnenverkehr gesetzt werden. Die Analyse ließ jedoch sowohl sprachliche als auch körperliche Markierungen, die den Gesprächsreservaten im Sportunterricht eine spezifische Charakterisierung von sportunterrichtlicher Gesprächsordnung verleihen, sichtbar werden. Die Markierung von Gesprächsreservaten gestaltet sich zunächst routinisiert über den Vollzug der Meldung. ››Hand-raising is one of the most important interaction devices used for turn-allocation in multiparty institutional settings‹‹ (Sahlström, 2002, S. 48). Sahlström (2002) nennt typische Gestaltungsmerkmale des Meldens, die sich auch im erhobenen Material erkennen lassen. Die Meldung zeigt im Modus des doings ››a powerful device in shaping participation in, and orientation to, the talk […]‹‹ (ebd., S. 51) und vollzieht sich in der Regel mit dem Heben und Senken einer Hand – ››students never raised both hands‹‹ (ebd., S. 49, Herv. i. O.), – dem Beenden von Gesprächen und dem Aufsetzen von einem ›››serious face‹‹‹ (ebd., S. 51) in Blickrichtung zur Lehrperson. Nach der Zuweisung eines Gesprächsreservats werden die Blicke und die Arme der anderen Teilnehmer wieder gesenkt (vgl. ebd., S. 48ff.). Das Anzeigen eines Gesprächsreservats ist zeitlich auf die Redebeiträge der anderen Teilnehmer abgestimmt. Wird bemerkt, dass sich der Beitrag von MitschülerInnen dem Ende entgegen neigt oder wenn eine Frage der Lehrperson antizipiert wird, hebt sich der Arm und die Blicke werden an die Lehrperson gerichtet oder an die MitschülerInnen, die gerade für die Vergabe der Gesprächsreservate verantwortlich sind. Neben dieser zeitlichen und körperlichen Abstimmung zeigt die Markierung des Reservates auch das Engagement in der Situation. Mit der zeitlichen und körperlichen Koordination wird ihre Aufmerksamkeit in der Unterrichtssituation sichtbar. Die Teilnehmer orientieren sich damit an einer Unterrichtsordnung und stellen sie gleichzeitig her. Das Management von Gesprächsreservaten ist im Sportunterricht aufgrund der spezifischen räumlichen Konstellation ein Element sozialer Ordnung, durch das sowohl körperliche, räumliche und sprachliche Gestaltungen zum Ausdruck gebracht werden. Im Management der Gesprächsreservate als soziale Praktik gehört neben den Vollzug der Meldung auch der Vollzug der Übergabe bzw. Anerkennung des Reservats. Die Konsequenz der Raum-Macht für die Lehrperson liegt vor allem darin, dass sie sprechen kann, wann und wie lange sie möchte. Die SchülerInnen hingegen müssen die oben angesprochene zeitliche und körperliche Choreographie vollziehen, um die Normierung des SprecherInnenverkehrs einzuhalten, wobei die Lehrperson immer auch wieder in das Gesprächs- und auch Schweigereservat der SchülerInnen eingreifen kann. Das Gesprächsreservat der Lehrperson verläuft somit, auch wenn es nicht sprachlich gefüllt wird, als eine Form von Hintergrundfolie im Unterrichtsgeschehen mit und kann eigens in den Vordergrund oder wieder in den Hintergrund gerückt werden.
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Das Management der Gesprächs- und Schweigereservate obliegt in letzter Instanz der Lehrperson. Auch in veränderten Formen der Unterrichtsgespräche, wie etwa bei Meldeketten oder dem Weitergeben von Artefakten als ritualisierte Ermächtigung zu sprechen, behält die Lehrperson die ständige Funktion – auch in Hinblick auf die Normierung des SprecherInnenverkehrs – in laufende Reservate einzudringen oder sie zu modifizieren. Diese Form von Territorien sind somit situationsbezogen beinflussbar und Lehrpersonen beanspruchen eine strategische Position, über die sie die akustische Raum-Macht verwalten. Alle Akteure befinden sich in einer Dualität sprachlicher Territorien. Das Management von Gesprächs- und Schweigereservaten unterliegt einer Dualität, die situationsbezogen zwischen dem Engagement um Beachtung eines Reservates und der Vermeidung von Berührungen von Reservaten liegt. Mit dem Engagement probieren die Akteure ihre jeweiligen Reservate anzuzeigen und, mit Blick auf die Schweigereservate, diese entweder anzuerkennen oder, mit Blick auf die Gesprächsreservate, Beachtung zu erlangen. Verletzungen von Gesprächsreservaten werden von Goffman (1974) anhand von zwei möglichen Verstößen unterschieden: das ››Eindringen‹‹ (ebd., S. 83) und die ››Aufdringlichkeit‹‹ (ebd.). Beide Verstöße meinen zunächst eine Maßnahme der Erweiterung von territorialen Ansprüchen in einer Situation, die nicht von den anderen Teilnehmern akzeptiert wird. Die beiden Formen unterscheiden sich wie folgt: unterbricht ein Teilnehmer ein bereits bestehendes Gesprächsreservat unbeabsichtigt oder aufgrund einer dringlichen empfundenen Haltung, spricht Goffman von einem Eindringen. Die Aufdringlichkeit verletzt den persönlichen Raum der jeweiligen Person und geht mit einer Expansion von Ansprüchen einher (vgl. ebd., S. 82f.). In der Analyse konnte herausgearbeitet werden, dass ein Eindringen in bereits bestehende oder noch nicht verteilte Reservate Bestandteile von Sportunterrichtsgesprächen sind. Eine Aufdringlichkeit im Sinne der Verletzung von persönlichen Räumen würde mit aufdringlichem Körperkontakt oder dem grundlosen Verlassen der Sitzposition im Raum einhergehen und konnte nicht beobachtet werden. Die Verletzung der Reservate durch das Eindringen wird nicht unbedingt im Sinne einer Strafe sanktioniert. Mit der Erinnerung an die Normierung des Sprecherverkehrs zeigt sich vielmehr ein Verweis auf die kollektiven Wissensordnungen, die auf eine Kultur von Sportunterrichtsgesprächen schließen lässt. Die Zusammensetzung einer solchen spezifischen Kultur setzt sich nicht allein aus rein schulischen Normierungen (eine Meldung muss vollzogen werden, man muss dran sein) zusammen, was zu vermuten wäre, da die schulische Rahmung dominante Züge aufweist, sondern auch aus spezifischen sportunterrichtlichen Normierungen (vereinbarte ritualisierte Symboliken oder Artefakte). Zu den genannten sportunterrichtlichen Normierungen scheint neben der Verletzung von Gesprächsreservaten allerdings auch eine situative Duldung von Verstößen zu gelten. Sportunterrichtsgespräche gestalten sich nicht allein auf der Grundlage einer Strukturierung von Redebeiträgen (Anzeigen eines Reservats – Zuteilung eines Reservats – Inanspruchnahme des Reservats), sondern gerade auch von der Nicht-Aufforderung, der spontanen Äußerung, die inhaltlich anschlussfähig ist und damit auch der strategischen Vermeidung einer Zuteilung von Gesprächsreservaten dient. Bei einer Fokussierung der Akteure auf eine inhaltliche Auseinandersetzung scheint die Inanspruchnahme von Reservaten geringer normiert. Die Fokussierung besitzt den Charakter einer Erarbeitung und damit scheinen die
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Teilnehmer, ähnlich einer Arbeitsgruppe, mit einer übereinstimmenden Rahmung zu agieren. Es bildet sich eine flüchtige Form einer Arbeitsgemeinschaft auf Augenhöhe, die den Inhalt probiert zu erschließen und auf den Punkt zu bringen. Das Eindringen in Gesprächsreservate – ausgehend von LehrerInnen und SchülerInnen – ist dann nicht als Verstoß, sondern eher als eine konstitutive Haltung zu verstehen. Die zeitweisen Wechsel der Facette von Normierungen im SprecherInnenverkehr bilden keine unkontrollierten Sportunterrichtsgespräche, vielmehr zeigt sich eine produktive Arbeitsgemeinschaft,11 die auf der Grundlage gemeinsamer Erfahrungen eine inhaltliche Erarbeitung vollzieht. Die Normen für den klassischen Sprecherverkehr gehen nicht verloren, sondern werden zeitweise durch andere ersetzt, was nicht bedeutet, dass die Lehrperson nicht trotzdem die akustische Raum-Macht besitzt und die Gesprächsreservate über die Zuwendung von Blicken, die jeweilige Akzeptanz oder das explizite Drannehmen managt. Die Anerkennung des eingedrungenen Reservats wird damit auch durch das Ausbleiben der Sanktionen sichtbar. Die Lehrperson befindet sich in der Kategorie des Spiels in einem Spannungsfeld zwischen Komposition und Improvisation. Die Erarbeitung der Inhalte erfolgt über eine Komposition der Gesprächs- und Schweigereservate der SchülerInnen und ihren Beiträgen zum Unterrichtsinhalt. Eine Komposition meint ebenfalls die (Aus-)Wahl der SchülerInnenbeiträge, genauer: die Art und Weise, wie die Beiträge zustande kommen bzw. übergangen werden (Meldekette, Meldungen, typische Sprachmuster). Unter dem Aspekt der Improvisation versteht sich der Umgang mit den Inhalten, die in den Interaktionssequenzen immer einer Kontingenz unterliegen und mit denen spontan umgegangen werden muss. Darunter zählen vor allem auch der Umgang mit dem Eindringen von SchülerInnen in Gesprächsreservate oder das spontane Eindringen der Lehrperson in die Reservate der SchülerInnen. Im Rahmen der lokomotiven Flexibilität sportunterrichtlicher Räume zeigt sich ein kompetenter Umgang mit den Variablen des Raumes auf drei Ebenen: -
Sprachliche Realisierung: verbale Deskription vergangener oder zukünftiger motorischer Aktivitäten oder Gerätearrangements. Körperliche Realisierung: körperliche Kartographie durch die Bewegung im Raum. Räumliche Realisierung: räumliche Anordnung der Akteure bzw. der Partizipanden.
Eine Komposition aus sprachlicher, körperlicher und räumlicher Realisierung verschafft den Akteuren eine imaginäre Vorstellung zukünftiger Situationen, erleichtert anstehende Aufbauten, gestaltet Übergänge zu spielerischen Szenen und produziert ggf. erste Bewegungsvorstellungen. Die Performance der Lehrperson wird über die Beobachtung nachvollzogen und anschließend von den SchülerInnen zitiert, was für die Lehrperson eine Entlastung in der Entstehung der Szene bedeuten kann, weil solche Elemente bereits kartographisch der Stunde voraus konstruiert werden und situativ ergänzt oder moduliert werden können. Die Akteure konstituieren eine Form von Vor-Realisierung späterer Aktivitäten – eine Rahmung – und sind im Prozess in11 Krummheuer (1983) spricht bei einer gelungenen Überwindung von Rahmungsdifferenzen, wodurch Verständigungsprozesse entstehen können, von einem ››Arbeitsinterim‹‹ (ebd.).
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volviert, wodurch im weiteren Verlauf strukturelle Gefährdungen – Spielräume sozialen Handelns –, wie beispielsweise Missverständnisse über die Örtlichkeit oder die tatsächliche Funktion der Geräte, marginalisiert werden. Dadurch zeigen sich im Rahmungsprozess virtuelle Realisierungen zukünftiger Rahmungen, wodurch im Prozess der Erläuterung des Aufbaus überlappende Rahmungen provoziert werden. In Situationen des Übergangs von zentrierten Interaktionen (bspw. im Sitzkreis) zu motorischen Szenen erlangen Lehrpersonen über die Entstehung semipermeabler Räume die Funktion von ModeratorInnen. Sie sind zunächst davon entlastet die Ordnungsfunktion der Räume aufrechtzuerhalten, weil diese implizit über die Bildung der Räume in den Räumen konstituiert wird. Somit werden Handlungspotenziale für die Lehrperson frei, die beispielsweise für die Kontrolle des Geschehens über Observationen oder Vorbereitungen für die nächste Unterrichtsphase genutzt werden können. Semipermeable Räume unterliegen durch die Erscheinung an den Gelenkstellen des Sportunterrichts einer Flüchtigkeit, die konstituierend für die Ordnung räumlicher Rahmenbedingungen während des Übergangs von Rahmungen sind und damit eine zentrale Facette des Managements von Territorien darstellen. Die Anfälligkeit der Raumordnung wird durch die jeweilige Normierung der Räume stabilisiert. Im Sportunterricht sind somit auch flüchtige Räume ordnungskonstituierend, wenn sie an das Rahmungswissen der Akteure anknüpfen und von ihnen bestätigt, erschaffen und verändert werden – eine lokomotive Flexibilität.
S PIELRÄUME : ››W AS
IST DER
S INN
BEI DEM
S PIEL ?‹‹
Spiel
Blicke Territoriums-Management Spielräume Die Kategorie der Spielräume stellt eine Kategorie dar, in der Situationen aus der Rahmung des Spiels aufgegriffen und unter einer weiteren Facette der Problemstellung dieser Arbeit besonders in den Blick genommen werden. Zu überwindende Spielräume wurden in Anlehnung an Oser (2007) bereits unter dem Begriff der ›››emergency-room Realität‹‹‹ (ebd., S. 112) betrachtet, in der sich Lehrpersonen als kompetente Akteure erweisen, um auf kontingente Situationen im Unterricht unmittelbar zu reagieren. Die Frage, die sich somit stellt, ist: Wie zeigen sich solche Spielräume sozialen Handelns im Sportunterricht und wie werden sie weiterhin unter Einbezug von körperlichen, räumlichen und auf Basis eines Know-how bewältigt? Im Material konnten rahmenanalytisch unter dem Fokus der praxistheoretischen Perspektive Kategorien erarbeitet werden, die eine Identifizierung und die Bewälti-
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gung dieser Spielräume offenbaren. Es handelt sich dabei um folgende Subkategorien: Raum-Performance, exemplarisches Exponieren und Rahmungsdifferenzen. Raum-Performance Der Raum stattet sich durch Aspekte der Materialität und mit ihrer statischen und mobilen Platzierung und Nutzung gleichzeitig mit einer notwendigen Lokalität aus. Dadurch können ››mehr oder weniger soziale, ›sozialisierte‹ und ›sozialisierbare‹ Tatsachen‹‹ (Willems & Eichholz, 2008, S. 865) dargestellt werden, die als ››Ressourcen des Sozialen‹‹ (ebd.) einen Raum zum Träger von Informationen und damit auch zum Träger von Handlungsmöglichkeiten machen. Das heißt, dass der Raum durch eine Anordnung von Menschen, Dingen und ihren Beziehungen zueinander entsteht, geformt und modelliert werden kann. Im Bezug zum Interaktionsrahmen lässt sich in dieser Sozialität eine Performance, die dem Raum angepasst wird oder wodurch sich eine Anpassung des Raumes an die Performance vollzieht, beobachten. ››Die Grundlage derartiger Raumnutzungen ist neben Urteilskraft ein (implizites) Wissen um die Bedingungen, insbesondere die spezifischen Normen und Regeln, des betreffenden Settings‹‹ (ebd., S. 877). Die bereits dargestellten diversen Facetten der Territorialität besitzen eine Kontingenz, die auch als (strategische) Handlungsspielräume bezeichnet werden kann. Mit der Fokussierung der Räumlichkeit wird im Folgenden der reziproke Prozess der Anpassung12 angesprochen und aufgezeigt, wie die Akteure eine sportunterrichtliche Raumkomplexität bewältigen, die eine ››Handlungskunst im ›Territoriumsmanagement‹‹‹ (ebd., S. 903) erfordert, um wortwörtliche Spielräume sozialen Handels zu marginalisieren und die soziale Ordnung herzustellen bzw. aufrechtzuerhalten.
Still-25: Raum-Performance 1)
2)
3)
Im Folgenden wird zunächst analysiert, inwieweit die Performance der Akteure an den Raum angepasst wird (vgl. hierzu auch Still-25). Die nachfolgenden Szenen befassen sich mit unterschiedlich gearteten Raummarkierungen, die eine Performance der Akteure beeinflussen. Es stellt sich die Frage danach, wie Räume praktisch hervorgebracht werden, um eine soziale Ordnung zu (re-)produzieren. Räume werden somit nicht als gegeben betrachtet, sondern die Herstellung der Räume steht im Fokus. Dabei wird der Raum als Voraussetzung bzw. als Partizipand von sportunterrichtlicher Praxis angesehen, wodurch sich ein neuer Blick auf den sportunterrichtlichen Raum ergibt.
12 Die Räumlichkeit wird an die Performance oder die Performance wird an den Raum angepasst.
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(64) #10 00:00-00:12 Lw v
Lw nv
00:00 (Still-25-1) Und Achtung ich stelle mich hier wieder hin und hinter mir ist das Spielfe:ld [1] gesperrt. Hält sich die Hände vor den Mund und bewegt sich ein paar Schritte rückwärts. Anschließend zeigt sie mit den Händen kurz hinter sich, streckt dann ihre Arme zu den Seiten aus und stellt ihre Beine mehr als schulterbreit auseinander.
00:06 bis hi:er. es, geht, los
00:11 S1m, dann bist du ab.
Schaut zu den SchülerInnen auf der Langbank.
Schaut zu S1m und winkt ihn mit der rechten Hand wieder in die Richtung des Spielfeldes.
S1m nv
Sx nv
Stehen in der Halle verteilt. Zwei SchülerInnen stehen auf einer Langbank.
SchülerInnen laufen von der Langbank herunter und alle anderen SchülerInnen beginnen ebenfalls loszulaufen.
Läuft in den Raum hinter Lw. Schaut zu Lw und geht wieder in das Spielfeld zurück. Laufen kreuz und quer durch das Spielfeld.
(65) #04 00:00-00:50 Lm v
Lm nv
S1m nv Sx nv
00:00 Du bist jetzt gerade alleine, du bist der Werfer. du versuchst, die beiden zu treffen.
00:08 du darfst nicht auf die Bank. du musst immer hinter der Bank bleiben.
Geht von zwei Schülerinnen am Hallenrand in Richtung S1m, der hinter einer Langbank steht. Hält einen Ball in der Hand und zeigt auf S1m. Als er vor der Langbank steht, schaut er zu S1m und dreht sich kurz in die Richtung der beiden Schülerinnen. Hält einen Ball in der Hand und schaut zu Lm. Sitzen auf der Langbank zwischen S1m und Lm.
Zeigt kurz auf die Bank und schaut immer wieder zu S1m. Im Anschluss geht er wieder in die Richtung der beiden Schülerinnen am Hallenrand.
Schaut zu S1m.
00:13 wichtig ist hier bei der ersten Station. ihr müsst von dem Sprungbrett, auf diese rote Matte oder auf diese rote Matte kommen, ihr dürft nicht den Boden berühren. Geht in die Richtung der beiden Schülerinnen und zeigt auf die Matten vor ihnen. Während er spricht, betritt er nacheinander das Sprungbrett, die Matten und den Zwischenraum, den er anspricht.
S PIELPLAN : S PIEL
Lm v
Lm nv
00:23 berührt ihr den Boden [1] müsst ihr die Hand heben, hier an die Wand gehen, und wieder zurückkommen, wieder neu anstellen, gehts von vorne los. Lässt seine Blicke während der Ansprache schweifen, hebt seine Hand, geht zur Wand und anschließend zum Start des Aufbaus.
S2w nv Sx nv
Schaut und zeigt auf S1m. Führt seinen linken gestreckten Arm von links nach rechts.
Schaut zu Lm und bewegt sich etwas hin und her.
S1m nv
S2w v
00:34 Du darfst dich hinter den Bänken, so: bewegen wie du möchtest. du darfst nur nicht
Aber die Matte ist [weiter weg]. Zeigt auf die Matte vor sich. Schauen zu Lm.
| 301
00:39 (Still-25-2) zu weit nach da gehen weil hier die Bank [1] zu Ende ist. sobald sie von der Sch-, vom Sprungbrett weg sind, darfst du sie abwerfen. Zeigt auf das Ende der Langbank, geht auf die Langbank zu und zeigt mit dem rechten Fuß auf das Ende der Langbank. Anschließend dreht er sich wieder um, geht ein paar Schritte zurück und zeigt auf die Schülerinnen am Hallenrand. Nickt kurz mit dem Kopf und schaut weiterhin zu Lm.
Hebt ihren rechten Arm. Schauen zu Lm. Eine Schülerin hebt ihren linken Arm.
Die dargelegten Szenen (64) und (65) sowie die aufgeführten Stills-25 verdeutlichen die praktische Hervorbringung von Räumen über Körper und Artefakte. Nun ist es zunächst die Halle, die eine großflächige Raumbasis darstellt und im institutionalisierten Kontext, in Bezug auf die Funktion, zunächst nicht weiter verhandel- und veränderbar erscheint. Im Sportunterricht sind es jedoch die Räume im Raum, die sportunterrichtliche Tätigkeitsmomente hervorbringen und in denen eine soziale Ordnung (re-)produziert und stabilisiert werden muss. Szene (64) zeigt eine Lehrperson, die ihren Körper als Markierung und damit als räumliche Begrenzung für das anstehende Spiel einsetzt. Über eine maximale Vergrößerung des Körpers, durch das Strecken aller Extremitäten und eine parallele sprachliche Erläuterung ihrer Positionierung und der damit zusammenhängenden Normierung, versucht die Lehrperson eine Grenzziehung zwischen dem Spielfeld und einem gesperrten Spielfeld zu verdeutlichen (siehe hierzu auch Still-25-1). In der Szene (65) wird der Körper für das Anzeigen der Markierungen eingesetzt, die im folgenden Spielverlauf eine konstituierende Funktion besitzen. Sprichwörtlich mit Händen und Füßen zeigt die Lehrperson auf die Geräte, die im Raum positioniert sind und beschreibt parallel ihre Funktion (siehe hierzu auch Still-25-2). Das Spielfeld, das wesentlich komplexer gestaltet ist als in der Sequenz zuvor, wird von der Lehrperson beschrieben und die unterschiedlichen Geräte und Räume werden mit Bedeutungen gefüllt: ››Du darfst dich hinter den Bänken so bewegen wie du möchtest. Du darfst nur nicht zu weit nach da gehen, weil hier die Bank zu Ende ist. Sobald sie von der Sch-, vom Sprungbrett weg sind, darfst du sie abwerfen.‹‹
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Über die Aufladung der Geräte mit Bedeutungen, wie beispielsweise der Bank als Begrenzung, werden Räume klar definiert und normiert. Zusätzlich geht der Raum auch über das Artefakt hinaus, so darf der Schüler in einer gedachten Linie nicht über die Länge der Bank hinaus laufen. Tätigkeiten werden somit über die Aufladung von Räumen mit einer Bedeutung ermöglicht und gleichzeitig begrenzt. Weiterhin werden Konsequenzen bei der Übertretung der Normierungen formuliert: entweder man ist ››ab‹‹ oder es ››geht vorne los‹‹. Im Vergleich zur Szene (64) sind es in Szene (65) keine Körper, sondern Artefakte, die als Markierungen eingesetzt werden und mit Wissen ausgestattet sind. Ihre jeweilige Definition und Normierung ähneln sich allerdings, was für die Fokussierung von Räumen im Rahmen von sozialer Ordnung entscheidend ist. Die wesentliche Unterscheidung und Konsequenz für die zu vollziehenden Aktivitäten liegen in der Handlungsentlastung der Lehrpersonen, wenn Artefakte als Begrenzer mit Wissen aufgeladen werden und nicht der eigene Körper. Anhand der durchgeführten Korrekturen der Lehrperson in Szene (64) scheint der Körper weiterhin nicht die Aussagekraft zu besitzen wie die verwobenen Artefakte. Die Herstellung von Räumen und der Definitionsprozess für ihre Nutzung muss im Verlauf einer Unterrichtsstunde immer wieder neu gerahmt werden. Räume werden also in ihrer Nutzung umdefiniert und neu strukturiert, was bedeutet, dass die in ihnen handelnden Akteure einen kompetenten Umgang offenlegen müssen, um diese neuen Räume zu lesen. Für den Sportunterricht zeigt sich hier eine konstituierende Größe für die Herstellung und Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung. Für Zusammenkünfte, Spiel- oder Wettkampfformen etc. müssen Räume erstellt werden, in denen diese Interaktionen sinnvoll verlaufen können. Die Möglichkeiten der Raumdefinition sind flexibel. Die Nutzung von Tischen und Stühlen im Klassenraum sind in der Regel vordefiniert und benötigen auch in unterschiedlichen Sozialformen keine neue Definition. Im Sportunterricht können Artefakte und Körper mit vielfältigen Wissensbeständen aufgeladen sein, die situativ und ihrer Rahmung entsprechend definiert werden müssen. Die oben bereits angesprochene Handlungskunst im Territoriumsmanagement wird anhand folgender Sequenz weiter verdeutlicht. (66) #09 00:00-04:47 00:00 Lw v Lw nv
Pm v Pm nv Sx nv
Steht in einer Ecke bei einigen SchülerInnen.
Stehen in allen vier Ecken der Halle jeweils mit einem Parteiband in der Hand.
00:03 Und wir treffen uns einmal im Kreis. Nimmt sich mehrere gelbe Hütchen und beginnt diese in der Halle aufzustellen.
Laufen in die Mitte der Halle und setzen sich in einem Kreis zusammen.
00:22 Pm du könntest die einmal einpacken eben. Gibt eine Tasche zu Pm und verteilt anschließend weiter die Hütchen in der Halle. Hä? Schaut zu Lw Suchen sich einen Sitzplatz im Kreis.
S PIELPLAN : S PIEL
Lw v
Lw nv
Pm v Pm nv
Sx nv
00:26 Du könntest die Bändchen alle einmal einpacken. Verteilt weiterhin die Hütchen.
Lw v
Lw nv
S1m v S1m nv Sx nv
00:57
Geht zu einer Langbank und holt einen Ball hervor. Sie stellt ein Hütchen auf die Langbank und begibt sich in den Sitzkreis.
Setzt sich in den Kreis. (es folgt eine Reflexion des vorherigen Spiels und die Ankündigung des folgenden Spiels (Völkerball). Die SchülerInnen werden durchgezählt und danach werden die Regeln des Spiels von einem Schüler erläutert, nachdem es zuvor ein paar Missverständnisse zu den Spielregeln gab.)
04:27 Erklärs mal für alle. Schaut zu S1m.
04:28
Hebt seinen linken Arm und schaut zu Lw.
Also es gibt zwei Seiten, die werden über ähm [1] ähm zwei:: Bänke abgetrennt. ähm. Nimmt seinen Arm herunter.
S1m nv Sx nv
00:40
Ah ok. Nimmt die Tasche, steht auf und sammelt die Bändchen von den SchülerInnen ein. Geben bzw. werfen Pm ihre Bändchen zu. […] 04:26
Lw v Lw nv S1m v
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Sitzen im Kreis. 04:38 Ne S1m, guck mal wir nehmen nicht die Bank sondern wir haben hier die Mittellinie. Steht auf und stellt sich in die Mitte des Kreises. Sie streckt ihre Arme zu den Seiten und schaut abwechselnd zu S1m und über das Spielfeld. [unv.]
04:41
04:42 Und die Felder habe ich schon ausgesteckt die beiden, ne? Sie zeigt mit dem rechten Arm kurz auf die Spielfelder, bevor sie die Arme wieder ausstreckt. Anschließend setzt sie sich wieder hin.
Ok. Schaut zu Lw.
Sitzen im Kreis und schauen sich um.
Die Ansage der Lehrperson (››Und wir treffen uns einmal im Kreis.‹‹) löst gleichzeitig das Spiel und das Spielfeld vorerst auf, was zu einer ritualisierten Raumbildung in Form des Sitzkreises führt. Währenddessen bildet die Lehrperson bereits einen weiteren Raum anhand der platzierten Hütchen. Eine parallele Bildung zweier Räume, die sich aufgrund der Rahmung durch die Lehrperson nicht gegenseitig gefährden. Vielmehr kann hier zwischen einem aktiven und einem noch inaktiven Raum unterschie-
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den werden, die beide nebeneinander oder präzisier überlappend existieren. Die parallele Raumbildung hat strategische Funktionen, weil sie zeitsparend ist und keine Aufsicht der Lehrperson benötigt. Innerhalb des Sitzkreises wird dann das noch inaktive Spielfeld mit Bedeutungen aufgeladen. Die Lehrperson grenzt die Spielfelder zunächst über ihren Körper ab, der anschließend von der Mittellinie vertreten wird und verweist auf die bereits abgesteckten Felder. Diese Definition wird über die Behauptung des Gesprächsreservats der Lehrperson ermöglicht. Sie dringt in das Reservat des Schülers ein, definiert die jeweiligen Abgrenzungen und übergibt es anschließend wieder dem Schüler. In der Kategorie der Gesprächsreservate wurden diese von Lehrpersonen als Hintergrundfolien sportunterrichtlicher Gespräche bezeichnet, die hier ebenfalls zum Vorschein treten und strategisch genutzt werden, um in situ die Definition der Räumlichkeit zu verdeutlichen. Exemplarisches Exponieren Die Problemstellung dieser Arbeit fragt neben dem Wie einer Herstellung und einer Aufrechterhaltung von sozialer Ordnung auch danach, wie Spielräume sozialen Handelns gefüllt werden, wenn der routinisierte Strom typisierter Handlungen einmal abbricht. Wie werden spontane Störungen, die in der Regel nicht vorhersehbar sind, situativ bewältigt? Des Öfteren konnten im Material Situationen identifiziert werden, in denen Ansprachen der Lehrpersonen auf unterschiedliche Art und Weise (durch Gespräche, Unaufmerksamkeit, Umherlaufen, etc.) nicht anerkannt oder gestört wurden. Über die Praktik des exemplarischen Exponierens wird eine Person oder auch erweitert ein Partizipand in eine öffentliche und alleingestellte Position gerückt, um ihr besondere Aufmerksamkeit zukommen zu lassen und darüber eine Wiederherstellung der Unterrichtsordnung zu erreichen.
Still-26: Exempl. Exponieren 1)
2)
3)
S PIELPLAN : S PIEL
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(67) #01 00:00-00:23 Lm v
Lm nv
S1w v S1w nv
Sx v Sx nv
Lm v Lm nv
S1w nv
Sx v
00:00 So bitte zuhören (Pfiff) [1] der Aufbau is:t gelungen. [1] das hat letzte Woche nen bisschen schneller und nen bisschen besser geklappt. Stellt sich mit an den Hüften angesetzten Armen, zentral an den Hallenrand und lässt seine Blicke schweifen. (Gespräch mit Mitschülerinnen, lacht) Sitzt auf einer Langbank neben ihren Mitschülerinnen. (Gespräche) Einige SchülerInnen stehen an ihrer Station, andere sitzen auf ihrer Station in der Halle oder am Hallenrand.
00:11 (Still-26-1) ich würd gern kurz erklären, S1w.
00:13 (Still-26-2) stellst du dich mal bitte hin?
Schaut zu S1w.
Schaut zu S1w.
(lacht) Schaut zu Lm.
00:16 gut. Wendet den Blick von S1w ab und schaut kurz zu seiner rechten Seite auf eine kleine Schülergruppe. Dreht sich kurz zu ihrer Mitschülerin um und berührt sie mit dem rechten Arm. Ihre Mitschülerin dreht sich anschließend in die Richtung von Lm. (Gespräche verstummen)
Schaut zu Lm und stellt sich langsam hin. (Gespräche verstummen) Einige SchülerInnen schauen zu S1w.
00:21 (Still-26-3) wir haben hier die Bodenbahn. Zeigt nach rechts vor sich auf einige auf dem Boden liegende Matten.
Schaut zu Lm.
Nachdem zunächst scheinbar klare und unterschiedliche Rahmungsgrenzen von der Lehrperson gesetzt wurden (››So‹‹, Pfiff) findet sich für eine Fortführung der Ansage keine erwartete Ruhe ein. Gründe hierfür könnten u. a. sich noch überlappende Rahmungen sein. Trotz der gesetzten Rahmungsgrenzen scheinen relevante Themen oder Situationen aus der vorherigen Rahmung des Aufbaus von Stationen noch in die neue Rahmung hineingetragen zu werden und für die Lehrperson eine Störung darzustellen. Über einen fokussierten Blick visiert die Lehrperson eine Schülerin auf der ihm gegenüberliegenden Seite an, die noch mit ihren Mitschülerinnen redet und spricht sie direkt an – ein Blickkorridor bildet sich. Mit der Bitte sich hinzustellen, drehen sich einige SchülerInnen zu der Schülerin um und blicken sie an. Nachdem die Schülerin sich von ihrem Platz erhoben hat, führt die Lehrkraft die Ansage fort. Über die direkte Ansprache von der Lehrperson können SchülerInnen exemplarisch exponiert werden, wodurch letztendlich eine Öffentlichkeit hergestellt wird, mit der Funktion eines allgemeinen Hinweises auf das Gesprächsreservat der Lehrperson und den Verstoß gegen die Norm des Schweigereservats, das mit der Setzung der Rahmungsgrenze zu gelten scheint. Über den akustischen Raum und den fokussierten Blick der Lehrperson führt die hergestellte Öffentlichkeit zu einer ››erweiterten Ad-
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ressatenschaft‹‹ (Breidenstein, 2006, S. 51) des Verstoßes gegen die Norm und der fehlenden Anerkennung der Rahmung. Durch den Blickkorridor wird neben der sprachlichen auch eine körperliche Exponiertheit erreicht, die zum einen über den fokussierten Blick der Lehrperson – im Verlauf auch durch die Blicke der MitschülerInnen – vor allem jedoch über die Veränderung der Körperposition gebildet wird. Exemplarisch werden die Schülerin und ihr Verstoß gegen die Norm veröffentlicht und sozusagen stellvertretend für andere Störungen zur Schau gestellt. Die folgende Sequenz untermauert die getroffenen Aussagen und erweitert das exemplarische Exponieren um die Kategorie des Raumes. (68) #03 00:00-01:0213 Lw v
Lw nv
00:00 So, ihr könnt ruhig nen bisschen wei:ter rein dass ihr hier mal so reingucken könnt. Steht im Geräteraum.
Sx nv
00:13 das ist der Geräteraum., hier stehen ga:nz viele Sachen von Verei:nen da dürfen wir gar nicht ran Dreht sich von S1w weg und zeigt auf einige Tischtennisplatten hinter sich.
Schaut zu Lw und steht mit den Füßen auf dem Barren. Mit ihren Händen hält sie sich an den Holmen fest.
S1w nv
Sx v
00:06 So, und dann guckt ihr mal zu mir [1] gut, du machst schon das was ich hier nicht sehen will. Zeigt auf S1w und beugt sich leicht vor.
Wow (mehrere) Stehen teilweise vor dem Geräteraum oder befinden sich bereits im Geräteraum und gehen langsam in den Raum hinein.
Ein Schüler hebt den Arm. Die anderen SchülerInnen schauen zu Lw.
13 Die Szene (68) stammt erneut aus der Videographie einer ersten Sportstunde von einer ersten Klasse, die zum ersten Mal im schulischen Kontext den Geräteraum der Halle betritt.
S PIELPLAN : S PIEL
Lw v
Lw nv
00:20 und das sind Sachen die sind ri:chti:g schwer. aus Metall, alles Mögliche. in diesen Geräteraum [1] geht niemand, ohne dass er die Erlaubnis hat. sehe ich ein Kind,
Geht zum Barren und zeigt auf den Holmen, anschließend schaut sie wieder zu den SchülerInnen.
S2m nv Sx nv
Schauen zu Lm und verfolgen ihre Blicke und die Richtungen, in die sie mit ihren Blicken schaut.
00:33 was auf den Barren geht und rumklettert, auf die Kästen geht, sich versteckt, oder sich auf den Mattenwagen liegt, ist die Sportstunde für das Kind vorbei. hier ist die Verletzungsgefahr vi::el zu groß das ihr runterfallt oder sonst irgendwas. deswegen in diesen, Raum geht niemand ohne das er die Erlaubnis hat Zeigt abwechselnd auf den Barren, die Kästen und den entfernt stehenden Mattenwagen. Abwechselnd schaut sie zur Gruppe und zu den SchülerInnen. (steht etwas abseits und bewegt sich auf etwas zu)
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00:55 S2m, keine Sportsachen mithaben heißt besonders gut zuhören, und nicht Quatsch machen.
Geht auf S2m zu und schaut ihn an und zeigt auf ihn.
Schaut zu Lw. Schauen zu S2m.
Szene (68) zeigt das Exponieren eines Schülers. Anhand der direkten Ansprache und der Unterbrechung des Gesprächsreservats der Lehrerin wird ebenfalls eine Öffentlichkeit hervorgerufen, die neben dem akustischen Raum auch ein körperliches Exponieren zeigt. Indem die Lehrperson auf den Schüler hinzugeht und auf ihn zeigt, wird der Schülerkörper über den Lehr-Körper exemplarisch exponiert. Es zeigen sich jedoch feine Unterschiede im Vergleich zur vorherigen Szene. Zum einen sind es in Szene (68) nicht mehrere SchülerInnen, die stören, sondern nur ein einzelner. Unter Einbezug der vorherigen genannten Regularien des Geräteraums wird an dem Schüler ein Exempel statuiert, das der erweiterten Adressatenschaft die Verbindlichkeit anzeigt. Damit zeigt sich eine zweite Differenzierung: der Geräteraum. Als eine Form von Sonderraum wird der Geräteraum als ein Raum im Raum gekennzeichnet, der spezifischen Regeln, Zutrittsrechten und Verhaltensweisen unterliegt, die anderen Räumen so ausdrücklich nicht zugrunde liegen. Mit der ausführlichen Beschreibung der geltenden Nutzungsordnung des Geräteraumes werden der Verstoß und die sich anschließende Hervorhebung des Schülers zu einer doppelten exemplarischen Exponiertheit. Auf der einen Seite wird die Veröffentlichung vom ››Quatsch machen‹‹ und auf der anderen Seite die spezifische Räumlichkeit hervorgehoben, weil der Geräteraum auch über die gegenwärtige Klassenstufe hinaus den genannten Regeln unterliegt. Rahmungsdifferenzen Der Begriff der Rahmungsdifferenz wird von Krummheuer (1992) in Anlehnung an Goffman in die interpretative Unterrichtsforschung eingebracht. Eine Rahmung zeichnet sich zunächst über die routinisierte Situationsdefinition der teilnehmenden Akteure aus, die auf der Basis kollektiver Wissensbestände und aufgrund klarer Sig-
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nalisierungen identifiziert werden kann. Weiterhin zeigt sich eine klare Rahmung in der funktionalen Passung der Teilnehmer aufgrund ihrer übereinstimmenden Deutungen (vgl. ebd., S. 24f.). In der Subkategorie der Gesprächsreservate wurde bereits auf die Rahmungsdifferenzen hingewiesen, um eine gemeinsame Deutung der Situation herzustellen. Die Fokussierung von Differenzen der Rahmungen muss unter einem prozessualen Aspekt betrachtet werden, weil die Differenz nicht unbedingt in der Situation, in der sie entsteht, sichtbar wird, sondern erst im Laufe einer Situation. Soeffner (2004) argumentiert in dieser Hinsicht damit, dass sich erst im Laufe des Handlungsprozesses der Ausschluss von Handlungsmöglichkeiten und somit das Verständnis der Teilnehmer offenbart (vgl. ebd., S. 165). Daraus ergibt sich die methodische Konsequenz, dass auch die Analyse einem Prozesscharakter gerecht werden muss, um die Differenzierungen, Konsequenzen und die Überwindung von Rahmungsdifferenzen zu rekonstruieren.
S PIELPLAN : S PIEL
| 309
(69) #11 00:00-15:4514
Lm v
Lm nv
00:00-00:18 (Spielerläuterung im Sitzkreis – Still-27-1) Wir fangen jetzt an, Teams einzuteilen, und danach spielen wir Quaterback-Football. das bedeutet [1] wir haben immer fünf Leute in einem Team, ihr dürft den Ball zu jeden werfen derjenige darf mit dem Ball dann laufen, bis die Flagge abgezogen ist, und von da aus ist er dann Quaterback und darf zu den anderen werfen, ok? (Anschließend verteilt Lm die Karten und bildet darüber Mannschaften)
Lässt seine Blicke über die SchülerInnen schweifen. Er steht am Rand des Sitzkreises und hält Karten in seiner rechten Hand.
Sx Teams
Sx nv
Sitzen auf dem Boden und schauen zu Lm.
Still-27: Rahmungsdifferenzen 1)
03:11-03:35 (Spielbeginn – Still-27-2)
09:01 (erster Wechsel der Teams – Still-27-3)
So:, die Asse. kommt mal ran. [3] ihr macht wie immer Passverteidigung Mann gegen Mann, ja? ihr steht vor dem, und versucht an dem dranzubleiben, ja? ihr dürft den Ball abfangen? wenn ihr ihn abwehrt und er auf dem Boden kommt, ist immer noch deren Ball, ok? (dreht sich zu einer anderen SchülerInnengruppe) so, ihr fangt an, einfach nur freilaufen, ok? in die Mitte. nein [unv.] ja ja, du hast ein blaues Auge. [8] auf set hut vom Quaterback geht’s lo::s. [6] auf dich geht’s los. set hut. ei- einfach werfen zu deinen, Kollegen. Ist einer Gruppe von SchülerInnen zugewandt und schaut sie an.
(Neue Mannschaften betreten das Spielfeld) Also nochmal, ja? ihr werft, euch gegenseitig einmal den Ball zu derjenige der den Ball fängt, läuft los, Richtung Endzone da wo die Flagge gezogen wird [1] gehts weiter, ok? wer will zuerst werfen? ok.
Schauen zu Lm und stellen sich anschließend auf dem Spielfeld auf. Die Mannschaften, die nicht auf dem Spielfeld sind, sitzen am Spielfeldrand auf Langbänken.
Schauen zu Lm.
2)
Steht vor den SchülerInnen und schaut sie an.
Die Mannschaften, die nicht auf dem Spielfeld sind, sitzen am Spielfeldrand auf Langbänken.
3)
14 In dieser Sequenz werden ergänzend zu den Zeitangaben kurze Informationen zu der Situation (bspw. Spielerläuterung im Sitzkreis) und der ikonischen Darstellung gegeben, um den Prozesscharakter nachvollziehbar zu machen, weil es sich in der Analyse von Rahmungsdifferenzen nicht um eine alleinige Situation handelt, sondern um Spuren von Differenzen im Handlungsprozess.
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Lm v
Lm nv
14:27 (Zweiter Wechsel der Teams) So, zehn geht rein [1] zehn [3] und, die, Buben gehen raus. [4] die zehn, gibst den Ball? zehn sind im Angriff zuerst. Schaut sich um und streckt die rechte Hand aus.
Schaut zu S1w und streckt seinen rechten Arm zur Seite aus.
Geht gemeinsam mit S2w auf Lm zu.
Geht gemeinsam mit S1w auf Lm zu.
Stellt sich vor Lm und schaut ihn an.
S2w v
S2w nv
S4m nv
Lm nv S1w nv S2w v S2w nv S3m v S3m nv
Nimmt Lm den Ball aus der Hand. Und warum spielen wir kein richtiges FlagFootball? Schaut zu Lm. Betritt das Spielfeld und geht auf Lm zu. Betritt das Spielfeld und geht auf Lm zu.
S3m nv
Lm v
14:46 Ihr sollt mit dem Ball in die Endzone kommen, wie wir das schon ma:l gemacht haben.
Ähm, wir haben nochmal ne Frage. was ist der Sinn bei dem Spiel was wir machen sollen? Stellt sich vor Lm hin und schaut ihn an.
S1w v
S1w nv
14:43 (Still-27-4)
14:52 Machen wir gleich. Dreht sich um und geht zur Seite. Geht einige Schritte rückwärts. Ach so. Geht zur Seite.
14:53 (Still-27-5)
14:55 Ball werf- äh, werfen, fangen, laufen.
(lacht) Was müssen wir machen? Dreht sich zu Lm und schaut ihn an. Wohin? Schaut zu Lm.
S PIELPLAN : S PIEL
Lm v
Lm nv
14:58 In die Endzone.
Zeigt mit dem rechten Arm hinter sich.
Wirft den Ball immer wieder etwas hoch und fängt ihn auf. Und wohin mit dem Ball? Schaut zu Lm.
S1w nv
S2w v S2w nv S3m nv S4m v
S4m nv
15:00
Werfen, fangen, laufen. Schaut zu S1w und streckt seinen Arm aus. 15:17 Dahinten, hinter den Hütchen, ok?
Lm nv
Zeigt auf S1w.
Zeigt mit dem rechten Arm gerade aus.
S1w nv
Schaut zu Lm und halt den Ball in der Hand. [Dann war ich aber nicht dabei.]. Ja aber wo ist das Spielfeldende? Schaut zu Lm. Hä? Schaut Lm an. Aber man darf mit dem Ball keine Schritte Machen.
S2w v
S2w nv S3m v S3m nv S4m v
S4m nv
15:01 (Still-27-6) Wenn ihr den Ball gefangen habt, einfach laufen Richtung Endzone. haben wir letztes Mal schon gemacht. (lacht) Schüttelt leicht den Kopf, geht ein paar Schritte auf S2w zu und lässt seine Blicke über die Gruppe schweifen. Anschließend dreht er sich nach rechts und streckt seinen rechten Arm gerade aus. Geht ein paar Schritte vor.
Schaut zu Lm. Schaut zu Lm.
Schaut zu Lm.
15:08 Ja? ok? so, ok du wirfst, ihr lauft euch frei auf das set hut, fangt den Ball und los gehts.
Lm v
| 311
Ach so.
Aber wir dürfen mit dem Ball nicht laufen oder? Schaut zu Lm.
15:19 Doch, wenn du den Ball gefangen hast dürft ihr laufen, so, los gehts. hier Verteidigung kommt ran, sonst gebt ihr denen viel zu viel Platz. Leitet mit dem linken Arm S1w nach vorn und winkt anschließend die andere SchülerInnengruppe heran.
312 | SOZIALE O RDNUNG IM S PORTUNTERRICHT
Lm v Lm nv
S2w nv
15:27 hier auf der grünen Linie. ha::lt (stöhnt) Zeigt vor sich auf die grüne Linie. Anschließend winkt er S2w und S3m zu sich. Entfernt sich mit S3m von der Gruppe.
.
S3m v
S3m nv
Schaut zu Lm.
15:39
15:40 Set hut!
Lm nv Was? Beugt sich mit dem Ball in der Hand leicht vor.
4)
15:36 Also, du sagst laut set hut, ihr dürft dann loslaufen. Lässt seine Blicke über die Gruppe schweifen und streckt seine Arme aus.
Ja ja, ich hab auch voll zugehört
Entfernt sich mit S2w von der Gruppe.
Lm v
S1w v S1w nv
15:33 du hast jetzt vier Mal zugucken können. Zeigt auf den Spielfeldrand und schaut zu S3m.
Beugt sich nach vorn und schaut zu S1w. Set hut.
5)
15:42 Ja fertig los. wie bei dem andern auch. ok. Stellt sich hinter die Mannschaft.
6)
Die Initiierung von Spielen etabliert sich in der sportunterrichtlichen Wirklichkeit über eine starke Rahmung der Lehrpersonen. Über die von der Lehrperson vorgegebenen Aufträge und Aufgaben werden Regel- und Handlungsanweisungen abgeleitet und erwartungsgemäß vollzogen. Geringe Verständnisprobleme scheinen sich im Fluss des Spielgeschehens aufzulösen. Gegebenenfalls ist es die Lehrperson, die zur Aufrechterhaltung der Szene, im Sinne einer Hilfestellung, unterstützend eingreift und somit neben der Szene eben auch die Rahmung aufrechterhält. Über die starke Rahmung der Lehrperson werden Situationsdeutungen im Nachvollzug von den Teilnehmern hervorgebracht. Mit dem Vorgang der Sinnerfassung und dem methodischen Vorgehen (Rahmung) der Lehrperson wird nun ein Dilemma sichtbar. Die stumme Übernahme eines situationsspezifischen Sinns kann bei den SchülerInnen Rahmungsdifferenzen auslösen. Krummheuer (1992) beschreibt diesen Vorgang auch mit der Differenz von fachlich-didaktischen Rahmungen der Lehrperson und häufig alltäglich geprägten Rahmungen der SchülerInnen (vgl. ebd., S. 168f.). Die Auslösung und damit die Sichtbarkeit von Rahmungsdifferenzen können im Sportunterricht in dem Widersetzen von einer passiven motorischen Wissensrezeption bzw. -adaption liegen. Die Wechsel der Mannschaften zwischen den motorischen Phasen werden von der Lehrperson eingeleitet, begleitet und anschließend mit einer Wiederholung der Regel- und Handlungsanweisungen in die motorische Phase übergeleitet. Die Hin-
S PIELPLAN : S PIEL
| 313
weise für die Rahmungsdifferenz liegen in der Einforderung einer Erklärung – sogar einer sinnhaften Begründung – des Spiels seitens der SchülerInnen an die Lehrperson. Im Sinne eines ››what the devil is going on‹‹ (Geertz, 1973, S. 27) zeigt sich kein routinisierter Rahmungsprozess, der eine Verhaltenssicherheit nach sich ziehen kann. Die klare Rahmung der Lehrperson wird unterbrochen, so dass nicht die Möglichkeit besteht, diesen Wechsel – wie die vorherigen auch – einzuleiten. Annähernd trotzige Nachfragen führen anschließend durch den erweiterten Teilnehmerkreis zu einer Aushandlung der Rahmungsdefinition. Die SchülerInnen scheinen durch ihre Handlungen die Rahmungsdifferenz zu provozieren und halten diese Differenz über weitere Nachfragen aufrecht. Die Überwindung solcher renitenten Rahmungsdifferenzen bildet einen Kontrast zur klaren Rahmung sozialer Situationen. Sie gründet letztendlich in einer provozierten Störung des routinisierten Ablaufs der Lehrperson und führen zu einer Irritation der Rahmung. Während zunächst eine Reduktion der motorischen Komplexität angeboten wird: von ››Ihr sollt mit dem Ball in die Endzone kommen, wie wir das schon mal gemacht haben‹‹ bis zu ››werfen, fangen, laufen‹‹. Anschließend wird die Situation über den Verweis auf bereits bekannte und vollzogene Bewegungshandlungen aus vorherigen Stunden kontextualisiert und in einen größeren Zusammenhang gesetzt, wodurch sich die Rahmungsmacht der Lehrperson offenbart. Anschließend werden die Regel- und Handlungsanweisungen mit dem Verweis auf bereits bekannte Situationen und mit der Begründung einer möglichen Beobachtungsleistung (››Du hast jetzt vier Mal zugucken können.‹‹) ergänzt, wodurch die Rahmungsinkompetenz den SchülerInnen zugeschrieben wird. (70) #09 00:00-03:44 Lw v
Lw nv
00:00 Ich möchte heute gerne mit euch Völkerball spielen. [3] und [2] zwar müssen wir uns dafür einmal durchzählen um zu wissen wie viel, Kinder wir sind die mitmachen (anschließend wird durchgezählt) Sitzt im Sitzkreis und lässt ihre Blicke schweifen.
S1m v
S1m nv
Sx v
Ja! (mehrere)
Sx nv
Sitzen im Sitzkreis.
[…] 00:52 Dann, S1m?
00:53 Uh.
Schaut zu S1m.
Zuckt kurz zusammen und schaut zu S1m.
Ich kenn das gar nicht mehr. Hat seinen linken Arm gehoben und senkt ihn anschließend. Ich auch nicht.
(mehrere SchülerInnen scheinen das Spiel nicht zu kennen. Es gibt einige Zwischenrufe, die teilweise richtige Elemente zum dem Spiel und teilweise falsche Elemente beitragen.)
314 | SOZIALE O RDNUNG IM S PORTUNTERRICHT
Lw v
[…] 01:17 Erklär es mal für alle.
Lw nv
Schaut zu S2m
S2m v
Also es gibt drei Seiten, die werde durch ähm, ähm zwei: Bänke abgetrennt ähm Hebt seinen linken Arm und senkt ihn anschließend wieder.
S2m nv
Sx v
01:27 Ne S2m guck mal? wir nehmen nicht die Bank sondern hier die Mittellinie, und die Felder habe ich schon ausgesteckt die beiden, ne? Steht auf und stellt sich in die Mitte des Sitzkreises. Sie streckt ihre Arme zu den Seiten und schaut zu S2m. Ok. mhm. und wenn man und wenn man je jeder, gibt’s nur einen Ball?
01:40 Ja.
Schaut zu S2m.
Gut, dann kriegt eine Mannschaft den Ball und die müssen halt, die Mannschaft muss versuchen die anderen abzuwerfen.
Schaut zu Lw. Ach so. Ich weiß (mehrere)
S PIELPLAN : S PIEL
01:50 Ne.
Lw v
Lw nv S2m v
01:54 ne das muss man nicht, das ist Zombieball. wenn man getroffen ist, dann ähm fliegt man raus aus dem Feld, ist aber nicht ganz raus aus dem Spiel. ihr wisst, dass wir solche Spiele nicht spielen, wo dann einfach jemand auf der Bank sitzt, da haben wir oft drüber gesprochen. man ist raus aus dem Feld erstmal und geht dann in das gegenüberliegende Feld, um sich dort wieder frei zu werfen. [1] wir haben es in der dritten Klasse öfter mal gespielt, es müsste eigentlich jetzt in Erinnerung kommen. (es folgen einige Äußerungen der SchülerInnen, die von der Lehrerin bestätigt werden. Sie ruft anschließend S3m auf.) Schaut zu S2m.
Schaut zu Lw. Also man wenn man abgeworfen ist, muss man in die gegnerische Hälfte, dann muss man einen aus seiner Mannschaft abwerfen Nein. (mehrere)
Sx v 02:44 Ne aus der gegnerischen. [1] also in dem Moment wo man hier in seinem Feld abgeworfen ist
02:49 angenommen ich bin in dieser Mannschaft stehe in diesem Feld und Pm wirft mich ab, Pm ist in der gegenüberliegenden Mannschaft. er hat mich abgeworfen und dann gehe ich hier raus aus meinem Feld aus der Mannschaft
Lw nv
Steht auf.
Zeigt auf Pm und anschließend auf die gegenüberliegende Seite.
S3m v Pm nv
Steht auf.
Sx v
[…] 02:38 S3m.
Wenn einer getroffen ist, muss er sich mer- merken von wem er getroffen wurde
S2m nv S3m v
Lw v
| 315
03:00 gehe hier in das gegenüberliegende Feld und hier habe ich die Möglichkeit mich wieder frei zu werfen, in dem ich von der Gegenmannschaft jemanden abwerfe. (Einige SchülerInnen rufen dazwischen und sagen, dass Lw dann wieder in ihr Spielfeld kann.) Genau, dann kann ich wieder dahin. Geht an die Seite des Spielfeldes. Anschließend setzt sie sich wieder auf ihren Platz in den Sitzkreis.
Ach so. Macht eine Wurfbewegung mit dem rechten Arm. Ach so (mehrere)
316 | SOZIALE O RDNUNG IM S PORTUNTERRICHT 03:12 Lw v
Lw nv S4m v
Sx v
Es gibt auch noch einen Spion.
03:14 Genau, den gibts auch noch. weißt du wann der Spion zum Einsatz kommt?
03:39 Ich helfe anfangs noch mit, wir spielen es einfach gleich und dann kommen dann in den Fluss. ich glaube dann kommt das allen wieder in Erinnerung.
Schaut zu S4m. (Erklärt die Funktion des Spions und wird von Lw ergänzt.) (Einige Zwischenrufe)
Die wesentliche Unterscheidung von Szene (70) im Vergleich zur Szene (69) liegt in der Genese der Differenz. Anstelle einer renitenten Rahmungsdifferenz handelt es sich hier um eine inhaltliche Differenz, weil das angekündigte Spiel schon bekannt zu sein scheint. Das lässt sich aus den letztendlichen Reaktionen der SchülerInnen schließen, jedoch ist die Abgrenzung zu anderen Spielformen nicht ganz deutlich. Für kurze Zeit wird die Melde-Regel außer Kraft gesetzt und die SchülerInnen können über das Hineinrufen zur Klärung beitragen. Als dies nicht ausreichend zur Klärung der Differenz beigetragen hat, vergibt die Lehrperson ein Gesprächsreservat und ergänzt dieses spontan. Anschließende Missverständnisse bei einzelnen SchülerInnen werden schließlich anhand der Simulation einer Spielsituation versucht zu klären und ergänzend durch den Verweis darauf, dass im Spiel die Erinnerung kommt: ››Wir spielen es einfach gleich und dann kommen dann in den Fluss. Ich glaube dann kommt das allen wieder in Erinnerung.‹‹ Zusammenfassung und Theoretisierung: Was wurde durch die Analyse der Spielräume vor dem Hintergrund der Problemstellung dieser Arbeit deutlich? Sportunterrichtliche Spielräume sind nicht als gegeben anzusehen, sondern müssen immer wieder gemeinsam hergestellt werden – es vollzieht sich eine RaumPerformance. Die praxeologische Sichtweise offenbart eine neue Perspektive auf den sportunterrichtlichen Raum. Die teilnehmenden Partizipanden sind mit kollektiven Wissensbeständen aufgeladen und müssen durch die Rahmung der Lehrperson in die jeweilige Situation übersetzt bzw. aktiviert werden. Die klare Rahmung trägt dazu bei, dass auch parallele Räume die Unterrichtsordnung nicht gefährden. Der Raum des Spiels, der Gemeinschaft oder der gemeinsamen Raumkonstruktion (Aufbauten) erhält durch seine Herstellung auch eine Disziplinierungsfunktion. Hergestellte und definierte Spielfelder konstituieren sich und halten sich aufrecht über bestimmte Normen und Regeln, weil sie zuvor mit Bedeutungen aufgeladen wurden. Denkbar sind weiterhin Arrangements, die keinerlei Erläuterung mehr bedürfen, weil ihre spezifische Anordnung bereits eine kulturelle Selbstverständlichkeit hervorruft. So könnte das in Sequenz (66) abgesteckte Spielfeld in Verbindung mit dem Ball in ei-
S PIELPLAN : S PIEL
| 317
ner der nächsten Stunden weniger Erläuterungen bedürfen, weil die Wissensbestände bereits klar abgerufen werden.15 Die Sporthalle wird zum Spielraum sozialen Handelns, in dem sich Räume überschneiden, modelliert, überwacht, neu definiert oder aufgelöst werden können. Die klare Rahmung aller Akteure kann als zentrales Moment der Marginalisierung von Spielräumen im sozialen Handeln angesehen werden. Letztendlich wird eine bestehende oder auch nicht bestehende klare Rahmung im Unterrichtsgeschehen und der Raumnutzung durch die Akteure sichtbar. Für die Herstellung und Aufrechterhaltung der Situationen wird von den Partizipanden eine Arbeit am Raum geleistet. Physische Markierungen, die aus Körpern oder Artefakten bestehen können, leisten eine materielle Vertretung symbolischer Ordnungen, wodurch Räume letztendlich soziale Ordnung strukturieren und (re-)produzieren. Die Performance sportunterrichtlicher Tätigkeiten passt sich folglich dem Raum an, der geschaffen wurde, wie umgekehrt auch der Raum an die Performance angepasst werden kann. Die Räumlichkeit16 ermöglicht in ihrer klaren Verwendung eine Möglichkeit der Überwachung. Der sportunterrichtliche Raum kann allerdings nicht im Sinne Foucaults (1977) mit einem ››Panopticon‹‹ (ebd., S. 264) gleichgesetzt werden, welches einen Machtmechanismus darstellt (vgl. ebd., S. 264ff.). In der Studie über die Blicke wurde bereits deutlich, dass im Sportunterricht auf beiden Seiten nicht aus dem Verborgenem beobachtet wird, sondern die gegenseitige Beobachtung ein konstitutives Merkmal der sozialen Ordnung darstellt. Blick-Korridore können in ihrer Verwendung situativ disziplinieren und werden gleichermaßen von den Akteuren in anderen Situationen diszipliniert. Der Vollzug der Observation betrifft nicht nur die Lehrperson, sondern immer auch die SchülerInnen – sie observieren ebenfalls. Darunter fallen auch die Observation der Observation der Lehrperson oder auch die Observation der Disziplinierung anderer SchülerInnen. Blick-Praktiken besitzen multifunktionale Vollzüge zur Aufrechterhaltung der Unterrichtsordnung und stellen auch in der Kategorie des Raumes eine zentrale Facette dar. Die Herstellung und die Nutzung von Räumlichkeiten im Sportunterricht konstituieren sich über die Anpassung der Performance an den Raum und der Anpassung des Raumes an die Performance. Für die Akteure im Sportunterricht bedeutet dies unter der Fokussierung einer Herstellung und Aufrechterhaltung einer Unterrichtsordnung eine Handlungskunst im Management der Territorien. In der Analyse der Spielräume konnte weiterhin eine Praktik des exemplarischen Exponierens rekonstruiert werden, die zu einer erweiterten Adressatenschaft und damit zu einer Veröffentlichung von Verhaltensweisen führt. Durch das Statuieren eines Exempels wird Wiederherstellung der Unterrichtsordnung vollzogen. Das 15 Ein abgestecktes Feld allein muss noch keine klare Rahmung erzeugen. Die Verwendung weiterer Entitäten, wie bspw. der Ball, der in Verbindung mit dem Feld eine Eindeutigkeit hervorruft, führt zu einer Klarheit der Rahmung. 16 Werlen (2003) schlägt in diesem Zusammenhang vor, den Begriff der Räumlichkeit anstelle des Raumes zu verwenden, weil der Raum an sich zunächst als etwas Gegebenes, die interaktive Herstellung der kulturellen Bedeutungen jedoch als etwas Gemachtes erscheint (vgl. ebd., S. 3ff.). Mit einer praxistheoretischen Sichtweise wird der Raum nicht als Objekt betrachtet, sondern als ein sozial-kultureller und materieller Partizipand sozialer Situationen.
318 | SOZIALE O RDNUNG IM S PORTUNTERRICHT
Exemplarische dient somit dazu den einzelnen Partizipanden stellvertretend hervorzuheben, um auf die derzeitige Rahmung zu verweisen. Über die situative, exemplarische Hervorhebung und die Veröffentlichung von Verstößen oder von Regularien werden letztendlich über den Vollzug der Beobachtung (der Adressatenschaft) kulturelle Wissensordnungen erweitert, die zum Zeitpunkt des Vollzugs der Praktik des exemplarischen Exponierens Spielräume sozialen Handelns marginalisieren. Über die Veröffentlichung eines exemplarischen Adressaten wird auf eine Unordnung aufmerksam gemacht, die dadurch gleichzeitig wieder geordnet wird. In der Analyse von Rahmungsdifferenzen ließen sich mit der Fokussierung einer Aufrechterhaltung von sozialer Ordnung und dem Füllen von Spielräumen sozialen Handelns zentrale Konsequenzen rekonstruieren. Mit dem Verweis auf die Alltäglichkeit, auf bereits erlebte Situationen und Erfahrungen der Teilnehmer, wird eine Verknüpfung kollektiver Wissensbestände mit der aktuellen Situation unternommen, um über diese Verbindung eine Erschließung und damit eine Überwindung der Rahmungsdifferenzen zu erreichen. Der Verweis auf die Alltäglichkeit, welcher unterschiedlichen Dimensionen unterliegt, dient somit als Impuls für das Verständnis der Situation und einer Reduzierung der Differenzen bzw. eine Angleichung der Situationsdefinitionen. So kann der Verweis der Lehrperson aus der Alltags-Lebenswelt der SchülerInnen erhoben werden, um an ihren Wissensbeständen anzuknüpfen. Darin kann jedoch ein Risiko bestehen, weil die Lehrperson – aufgrund von Makro-Rahmungsdifferenzen – nicht unbedingt in der Lage ist Anknüpfungspunkte aus der Alltags-Lebenswelt der SchülerInnen zu erschließen, was ein Scheitern der Situation herbeiführen könnte. Was sich beobachten lässt, sind vielmehr häufige Verweise auf die schulische-(Alltags)-Lebenswelt der SchülerInnen, auf die die Lehrperson durchaus einen direkten Einfluss nimmt und genommen hat und somit in situ Situationen geteilter schulischer Lebensweltbezüge verknüpfen kann. Solche Umstände im LehrerInnen-SchülerInnen-Verhältnis lassen sich im Rahmen schulischer Kontexte als ››immer schon angelegte Distanzmomente‹‹ (Frei, 2012a, S. 44) näher beschreiben. Frei (2012a) plädiert dafür, dass diese Verhältnisse im Sportunterricht, und sicherlich auch darüber hinaus, von Sportlehrkräften akzeptiert werden müssen, weil diese aufgrund divergierender Lebensweltbezüge ››zum Profil von Koordinierungsprozessen gehören‹‹ (ebd.). Eine weitere Ausdifferenzierung erhält diese Konsequenz im Umgang mit Rahmungsdifferenzen über die ››Sonderausführung‹‹ (Goffman, 1977, S. 71, Herv. i. O.) als eine Form der Modulation. Neben der Probe stellt die Demonstration eine zentrale Form der Sonderausführung für Goffman (1977) dar. Im Gegensatz zur Probe, die ebenfalls zur Marginalisierung von Rahmungsdifferenzen im Sportunterricht eingesetzt werden kann,17 wird die Demonstration für andere vollzogen, um einen Einblick in die Situationskonstellation zu geben und diese als Zuschauer nachzuvollziehen (vgl. ebd., S. 71ff.). Damit erhält die Bewältigung von Rahmungsdifferenzen eine körperliche Komponente, die von besonderer Bedeutung für den Sportunterricht ist. Eine letzte Facette der Bearbeitung von Rahmungsdifferenzen zeigt sich in der sprachlichen Routine. Im Material fanden sich häufig Situationen, in denen die Lehrpersonen rhetorische Fragen während der Demonstration oder der Anordnung der SchülerInnen innerhalb der Rahmungsdifferenz vollzogen haben: 17 Solche Szenen zeigten sich z. B. in der Einübung der sportunterrichtlichen Gleitzeit.
S PIELPLAN : S PIEL
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››Ja? Ok? So, ok. Du wirfst, ihr lauft euch frei auf das set hut, fangt den Ball und los geht’s‹‹; ››Ihr macht wie immer Passverteidigung Mann gegen Mann, ja? Ihr steht vor dem und versucht an dem dranzubleiben, ja? Ihr dürft den Ball abfangen, wenn ihr ihn abwehrt und er auf dem Boden kommt, ist immer noch deren Ball, ok?‹‹
Die Verwendung sprachlicher Routinen in Form rhetorischer Fragen bewirkt einen strategischen Konsens durch die Lehrperson mit den Teilnehmern der Situation. Ohne die tatsächliche Möglichkeit Nachfragen zu stellen oder die Bedeutungen im Gespräch weiter auszuhandeln, kanalisiert die Lehrperson das Gespräch und auch das Vorgehen, indem Schülerkörper der Situation entsprechend positioniert werden können, um die eigene Rahmung durchzusetzen und damit möglicherweise konkurrierende zu überlaufen.
Wandlung
Wandlung: ››es ist schon Zeit für unseren Reifen‹‹
Prosaische Wandlung
Ritualisierte Wandlung
In der allgemeinen schulpädagogischen sowie in der sportpädagogischen Fachliteratur findet die theoretische und praktische Auseinandersetzung über die Beendigung des Unterrichts weniger Beachtung als die Initiierung von Unterricht. Die folgende Analyse stellt einen Beitrag zur Darstellung der Unterrichtsordnung am Ende von Sportunterrichtsstunden dar: Wie wird das Ende des Unterrichts und damit der Übergang gemeinsam hergestellt? Rahmen können und müssen in sozialen Interaktionen gewechselt werden, schulische Rahmenwechsel werden schon allein durch das Diktat der Zeit ausgelöst und müssen von den Akteuren dementsprechend mit der Rhythmisierung der Unterrichtsstunden oder mit Beginn oder Beendigung des Schultages sinnvoll umgesetzt werden, indem rahmungskongruente Handlungen vollzogen werden. Der Wechsel des Rahmens wird zu einem zentralen organisierenden Tätigkeitsmoment der Akteure im sportunterrichtlichen Alltag. Interessant ist daher die Frage, wie dieser Wechsel eingeleitet und vollzogen wird. Ist der Wechsel des Rahmens notwendig ein neuer Rahmen oder unterliegt der bereits bestehende Rahmen einer Wandlung? Die Identifizierung des Rahmenwechsels geschieht mit Bezug auf Goffman (1977) anhand von sichtbaren körperlichen und räumlichen Beziehungszeichen, die einen Wechsel oder einen Abschluss anzeigen (vgl. ebd. S. 278ff.). Die Darstellung der Kategorie des Wandels generiert sich aus Situationen, die eher schlicht und abrupt am Ende des Unterrichts vollzogen werden (prosaisch) und an Situationen des Rahmenwechsels, die komplexer und symbolisch gestaltet werden (ritualisiert).
322 | SOZIALE O RDNUNG IM S PORTUNTERRICHT
Wandlung
P ROSAISCHE W ANDLUNG
Still-28: Prosaische Wandlung 1)
Prosaische Wandlung
Ritualisierte Wandlung
2)
3)
(71) #12 00:00-00:31 Lw v
Lw nv
Sx v Sx nv
00:00 (Still-28-1) U::nd stopp [2] Ba:ll fe:stha:lte:n! [2]
00:07 wer hatte mindestens einen guten Partner. ich eindeutig hier klasse.
Steht auf dem Spielfeld und hält einen Ball in der Hand. Ihr Blick schweift durch die Halle. (Gespräche) Hören damit auf sich gegenseitig Bälle über eine Schnur zuzuwerfen. Einige werfen noch weiter und halten dann auch ihren Ball fest.
Hebt ihren Arm und schaut durch die Halle.
Heben ihren Arm.
00:14 (Still-28-2, 28-3) die beiden Jungen sind so nett, S1m und S2m, und knoten die Zauberschnüre wieder auseinander. und die anderen bitte, die Bälle wieder alle in die Kiste aus der wir sie haben, und wa:sche:n, anziehen Nimmt ihren Arm herunter und schaut durch die Halle.
Beginnen loszugehen und die Bälle wegzubringen. Anschließend verlassen sie nach und nach die Sporthalle.
Die Analyse einer Gestaltung des Rahmenwechsels im Sportunterricht offenbart, dass ein Wechsel des Rahmens über eine Ankündigung anhand einer schlichten und strukturierten Ansage durch die Lehrperson vollzogen wird. Die SchülerInnen erhalten nach Beendigung einer Übung oder eines Spiels häufig den Auftrag genutzte Materialien wegzuräumen oder die jeweiligen Arrangements abzubauen und sich anschließend umzuziehen. Bereits während der Ansprache der Lehrperson beginnen die SchülerInnen mit dem routinisierten Vollzug ihrer aufgetragenen Tätigkeiten. Dieser Wechsel kann durch die Abfrage der Güte von motorischen Aufgaben, der Zufriedenheit mit dem Verlauf oder der Abfrage über die körperliche Verfassung eingeleitet werden. Ein abschließendes oder reflektierendes Unterrichtsgespräch innerhalb der prosaischen Wandlung bleibt aus. Das tatsächliche Ende der Sportunterrichtsstunde wird häufig nicht direkt an- oder ausgesprochen. Vielmehr werden die noch zu vollziehenden Tätigkeiten genannt, die implizit von den Akteuren als das Ende
S PIELPLAN : W ANDLUNG
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des Unterrichts gelesen werden und dadurch einen Übergang vom Sportunterricht zur Pause oder zur nächsten Stunde anzeigen. Die SchülerInnen stellen bereits während der Ansprache der Lehrperson fest, dass es sich um das Ende des Unterrichts zu handeln scheint und beginnen während der Ansage selbstständig damit ihre Materialien wegzuräumen und verlassen anschließend fast fluchtartig die Sporthalle. Kennzeichnend für den Übergang sind Signalwörter wie ››abbauen‹‹ oder ››umziehen‹‹ bzw. bereits die Beschreibung des Abbaus in Verbindung mit der zeitlichen Einordnung im Stundenverlauf. Die Decodierung des Abbaus leitet in der Mitte einer Unterrichtsstunde folglich nicht die Endphase des Unterrichts ein. Ein ähnlicher Umgang mit der Beendigung des Unterrichts, allerdings mit einem deutlichen Verweis auf das Zeitdiktat, zeigt sich in folgender Szene. (72) #02 00:45-01:18 Lm v
Lm nv
00:49 Ich bringe euch in der nächsten Stunde mal, Blätter mit wo etwas größere Pyramiden sind und dann könnt ihr kreativ das durchaus, ausdehnen.
Dann können wir ja auch eine von der Klasse machen. Ja
Sx v
Lm v Lm nv S1m v S2m v
01:00 Vielleicht äh können wir uns das für, das Ende nächster Stunde vornehmen, denn wenn ich da jetzt auf die Uhr schaue, wollt ihr ne Pause ich hab in der Pause mehrere Termine Dreht sich nach links und streckt den linken Arm aus.
Steht im Stehkreis zwischen den SchülerInnen und schaut sie an.
S1m v
Sx nv
00:57
Einige SchülerInnen sitzen bzw. stehen an einer aufgebauten Bodenstation. 01:10 (lacht)
Ja. Dann nehmen wir das ab von unserer Pause. Schauen zu Lm und in die Richtung des gestreckten Armes.
01:15 Wir müssen noch abbauen und wie gesagt, ich habe einen Termin.
Das geht ja bis fünfundzwanzig, dann haben wir noch zehn Minuten. Ja aber noch abbauen, abbauen.
In Szene (72) zeigen sich Kontraste und Ähnlichkeiten zur Szene (71) wodurch weitere wesentliche Aspekte für das Ende von Sportunterrichtsstunden im Sinne einer prosaischen Wandlung deutlich werden. Ähnlichkeiten zeigen sich in der Nutzung spontaner Zusammenkünfte, die durch kurze Ansprachen situativ arrangiert werden, eine eigenständige Herstellung einer Räumlichkeit entfällt. Die Situation bildet sich an einer Station, an der kurz zuvor noch geübt wurde. Diese Unterscheidung wird durch die Kategorie der ritualisierten Wandlung deutlich. Der Kontrast liegt in der
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Herstellung einer inhaltlichen Kohärenz zwischen den Sportunterrichtsstunden, indem Materialien und Inhalte der nächsten Stunde angedeutet werden, die relevant werden könnten. Mit der Ankündigung des notwendigen Abbaus beginnen die SchülerInnen nicht sofort damit sich in der Halle zu verteilen und mit dem Abbau zu beginnen, vielmehr zeigen sie eine freiwillige Weiterbeschäftigung mit den Unterrichtsinhalten und versuchen die Lehrperson zu überzeugen den Unterricht auszudehnen, während in Sequenz (71) zielstrebig die Halle nach Beendigung der Szene und dem Wegräumen der Materialien verlassen wurde. Letztlich ist es das Diktum der Zeit, das ausschlaggebend ist für die Ankündigung vom Ende des Unterrichts. Hier ist es allerdings ein Schüler, der mit der Notwendigkeit des Abbaus die enge zeitliche Rahmung der Unterrichtsstunde aufnimmt. Die Lehrperson nimmt diese Äußerung auf und betont somit über die erneute Ankündigung des Abbaus das Ende der Stunde.
Wandlung
R ITUALISIERTE W ANDLUNG
Still-29: Ritualisierte Wandlung 1)
Prosaische Wandlung
Ritualisierte Wandlung
2)
3)
S PIELPLAN : W ANDLUNG
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(73) #16 00:48-04:00 Lw v
Lw nv
Sx nv
Lw v Lw nv Sx nv
00:48 Ich brauche jetzt, zwei Kinder die mir diese, Karten in meine rote Box räumen, und die es danach schaffen sich ganz schnell einen Platz in der Halle zu suchen Sitzt im Sitzkreis. Zeigt auf die Karten vor sich und lässt ihre Blicke über den Sitzkreis schweifen. Sitzen im Sitzkreis. Manche melden sich und nehmen ihren Arm wieder herunter bzw. heben ihn erneut.
01:00 denn es ist schon Zeit für unseren, Reifen.
[…] 03:20 (Still-29-1) (Die SchülerInnen haben die Materialien weggeräumt und sich anschließend in der Halle verteilt auf den Boden gelegt.) Es geht los.
Macht eine leichte Drehbewegung mit ihrer rechten Hand.
Dreht einen Reifen auf der Stelle und setzt sich auf eine Langbank am Hallenrand. Ihre Blicke schweifen durch die Halle. Liegen auf dem Rücken oder auf dem Bauch und schauen teilweise zum sich drehenden Reifen.
03:47 (Reifen hört auf sich zu drehen und liegt Tschü::ss. vorsicht an der Tü:r. auf dem Boden) Schaut zu den SchülerInnen. Schüttelt mit dem Kopf, als ein Schüler sie anschaut und sich bewegt. Springen auf und laufen zur Tür.
(74) #07 00:00-02:45 Lw v
Lw nv
00:00 So die Stunde hat mir bislang gut gefallen. ihr habt, gemeinsam abgebaut, ihr habt ihr wart umsichtig habt schön aufgeräumt ihr wart fair zueinander, ihr habt, superschnell euch umgezogen heute, also bislang habt ihr alle ein Plus für diese Stunde, ganz toll. eine Runde, schaffen wir es noch, schlafender Löwe. Sitzt im Sitzkreis und ihre Blicke schweifen über die SchülerInnen.
00:20 Wer war noch nie Löwe? wer war noch nie: Löwe? [2] wer war noch nie:, Löwe.
00:27 Äh dich hab ich das versprochen ne? gut, S1w.
Schaut einige SchülerInnen direkt an.
Dreht sich nach links und schaut zu S1w. Schaut zu Lw und nickt leicht mit dem Kopf.
S1w nv Sx v Sx nv
Ja Sitzen im Sitzkreis.
Ich (mehrere reden durcheinander) Heben ihre Arme und beugen sich zu Lw vor.
326 | SOZIALE O RDNUNG IM S PORTUNTERRICHT 00:29 Lw v Lw nv S1w v S2m v Sx v
Lw v
Lw nv
S1w nv S3w v
00:31 Warst du warst du schon? Schaut zu S1w. Nein.
Sie war aber letztens schon. Oh man. (reden durcheinander)
00:37 Wir können jetzt ewig diskutieren oder wir spielen eine Runde. eine Runde S1w auf gehts. Streckt ihren linken Arm zur Seite.
Doch sie war sogar zwei Mal. 00:46 Ach S3w, du warst auch noch nicht genau.
01:55
Steht auf und geht zum Hallenrand, anschließend geht sie in den Geräteraum. Dabei schaut sie sich immer wieder in der Halle um. Als sie aus dem Geräteraum herauskommt, stellt sie sich am Spielfeldrand hin und beobachtet das Spielgeschehen.
(Spiel ist zu Ende) Pfeift zwei Mal und geht ein paar Schritte vor. Sie streckt ihre Arme aus und die SchülerInnen kommen im Stehkreis zusammen.
Steht auf und läuft zum Hallenrand. Ich war noch gar nicht.
S4m nv
Sx nv
00:33 Gut, eine pscht Hebt ihren rechten Arm.
Stehen auf und laufen zum Hallenrand.
(Beginnen damit das Spiel zu spielen.)
Hält einen Mitschüler fest und dreht sich um seinen Arm. Stellen sich nach und nach im Stehkreis auf und halten sich an den Händen.
S PIELPLAN : W ANDLUNG
Lw v
02:13 Gelbe Karte S4m.
sch::t
Lw nv
Schaut zu S4m.
S4m nv
Schaut zu Lw (scheint seinen Mitschüler geärgert zu haben). Stellt sich mit in den Stehkreis.
02:19 so:, also ich glaub ich überleg mir bei einigen Kindern das Plus doch nochmal wegzuradieren. so. hat mir super viel Spaß gemacht heute die Mädels denken gleich an ihre Flaschen und ihren Schmuck aus der Schmuckdose und dann sehen wir uns morgen. Schaut erst in die Richtung von S4m, beugt sich leicht nach vorn und schaut anschließend in den Stehkreis.
Sx v
Sx nv
Schauen zu Lw.
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02:31 (Still-29-2) (im Chor) auf Wiedersehen, auf Wiedersehen, auf Wiedersehen u:::nd tschüss.
Schwenkt ihre Arme gemeinsam mit den SchülerInnen hin und her. Anschließend beugt sie sich leicht vor und hebt ihre Arme nach oben.
(im Chor) Auf Wiedersehen, auf Wiedersehen, auf Wiedersehen u:::nd tschüss. Schwenken ihre Arme gemeinsam mit Lw hin und her. Anschließend beugen sie sich leicht vor und heben ihre Arme nach oben. Im Anschluss laufen sie aus der Halle hinaus.
Die prosaische Wandlung zeichnet sich über eine flüchtige Gemeinschaft aus, wo das Stundenende situativ am Ende von motorischen Phasen eingeleitet wird ohne spezifische Räume oder Arrangements herzustellen. Eine Versammlung der Teilnehmer und eine eigenständige Behandlung von Inhalten, die über die Ankündigung des Abbaus hinausgehen, sind in prosaischen Wandlungen nicht Gegenstand des Vollzugs. Die ritualisierte Wandlung hingegen bedarf eines größeren Aufwandes, wobei der tatsächliche Aufwand später noch weiter relativiert werden muss. Die Lehrperson organisiert, materiell über ihren Körper und bspw. über den Pfiff, in den Szenen (73) und (74) zunächst einen Sitzkreis und damit eine Räumlichkeit. Solche Zusammenkünfte werden am Ende der Unterrichtsstunde und nach Übungseinheiten oder Spielen insbesondere für die Reflexion von Inhalten der Stunde oder für Abschlussgespräche genutzt, die in einem Unterrichtsgespräch von der Lehrperson angeleitet werden. Nicht selten vollziehen sich diese Situationen auch über die Verwendung von symbolischen Artefakten (wie beispielsweise Karten), die für die Regelung der Gesprächsreservate genutzt werden. Dadurch können die SchülerInnen ihre Eindrücke zur Stunde preisgeben und die Lehrperson erhält von ihnen ein Stimmungsbild über den Ablauf und die Inhalte der Stunde. Die Lehrperson nutzt diese Zusammenkunft weiterhin dazu ein eigenes Feedback über die Unterrichtsstunde zu formulieren (siehe Szene (74)), das nicht selten auch mit einem Ausblick auf die nächste Stunde ergänzt wird und sogar Spuren einer Bewertung beinhalten kann.
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Ein zentrales Merkmal der ritualisierten Wandlung ist weiterhin der symbolische Charakter der Zusammenkunft und der Gestaltung des Übergangs zum Stundenende. Die körperliche Ordnung im Sitz- oder Stehkreis und die Einhaltung der geltenden Regeln verdeutlichen bereits die äußere ritualisierte Form einer Facette der Wandlung sportunterrichtlicher Rahmungen. Die innere Form findet sich anhand sprachlich ritualisierter Muster wieder, die kulturspezifisch angewendet und decodiert werden wie etwa: ››denn es ist schon Zeit für unseren Reifen‹‹; oder die Ankündigung von Abschluss- oder Entspannungsspielen: ››Gut, dann spielen wir was auf dich zutrifft und dann schleichst du in die Umkleidekabine und ziehst dich um.‹‹ Diese sprachlichen Muster werden von den SchülerInnen routinisiert gelesen und setzen die Rahmungsgrenzen der sozialen Situation. Das bedeutet, dass sich die SchülerInnen nach der jeweiligen Ankündigung der Wandlung die damit gekoppelten Handlungen vollziehen. Dieser Vollzug wird von den Lehrpersonen nicht weiter erläutert. In Szene (74) zeigt sich zudem die ritualisierte Wandlung nach einem Abschlussspiel in einer gemeinsamen körperlichen und sprachlichen Choreographie, die vollzogen wird und worauf anschließend alle SchülerInnen die Halle verlassen und die Sportunterrichtsstunde beenden (siehe Still-29-2). Die Akteure kommen in einem Stehkreis zusammen, fassen sich an den Händen und Singen im Chor: ››Auf Wiedersehen, auf Wiedersehen, auf Wiedersehen und tschüss.‹‹ Zusammenfassung und Theoretisierung: Was wurde durch die Analyse der Wandlung vor dem Hintergrund der Problemstellung dieser Arbeit deutlich? Mit dem Vollzug einer prosaischen oder ritualisierten Wandlung werden innere Schlussklammern im Schulalltag und äußere Schlussklammern für den Sportunterricht gesetzt. Soziale Situationen besitzen, wie gezeigt werden konnte, die wesentlichen Strukturelemente Zeit und Raum. Die zeitliche Strukturierung veranlasst die Akteure die Markierung von Schlussklammern zu setzen und festzustellen, sollte es keine institutionell-materialisierte Markierung, wie z. B. den Gong, geben. Der Sportunterricht wird im Rahmen der Wandlung durch den Wechsel der Räume – dem Verlassen der Sporthalle – arrangiert und endet somit, ››wenn die vorletzte Person den Schauplatz verlässt‹‹ (Goffman, 2009b, S. 34). Die institutionelle Rahmung sichert der Lehrperson ein ››kalkulierbares Zeitkontingent‹‹ (Bräutigam, 2003, S. 59), das der Rhythmisierung von Unterrichtsstunden und der Organisation von Tätigkeiten im Unterricht dient und ››sinnvoll und effektiv genutzt werden kann. [….] Der Nachteil des Zeitdiktats ist wohl der ständige Kampf des Lehrers gegen die Uhr‹‹ (ebd.). Die Verwendung von prosaischen oder ritualisierten Wandlungen unterliegt unterschiedlichen Funktionen und Einsatzmöglichkeiten, die situativ oder aus inhaltlichen Ereignissen der Stunden heraus entstehen können. Damit wird deutlich, dass die vorliegende Analyse keine Wertung der Facetten einer Wandlung im Sportunterricht vornimmt – im Sinne eines besser/schlechter –, sondern den jeweiligen kompetenten Vollzug und dessen Funktionen hervorhebt. Eine prosaische Wandlung kennzeichnet sich durch einen schlichten Wechsel vom Unterricht zum Ende des Unterrichts, die trotzdem Elemente einer inhaltlichen Kohärenz beinhalten kann und deutlich dem Zeitdiktat der institutionellen Rahmung unterliegt. Die ritualisierte Wandlung fügt sich nicht weniger dem zeitlichen Diktat, jedoch ist diese Form der Wandlung mit der Aufnahme von Reflexionen, Formen des
S PIELPLAN : W ANDLUNG
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Feedbacks, dem Absolvieren von Entspannungs- oder Abschlussspielen und dem möglichen gemeinsamen Abschluss der Stunde mehr in den Stundenverlauf verwoben als die prosaische Wandlung. Diese Facetten der Wandlung, die von Lehrpersonen kompetent vollzogen werden und auch situativ hergestellt werden, können in Sportunterrichtsstunden der Vertiefung und Festigung von Lernergebnissen, der inhaltlichen Kohärenz für folgende Stunden, für eine Phase der Reflexion oder dem spielerischen bzw. entspannenden Ausklang des Unterrichts dienen. Die ritualisierte Wandlung offenbart vordergründig einen höheren Aufwand im Vergleich zur prosaischen Wandlung, der entkräftet werden muss. Letztendlich sind es die ritualisierten Choreographien, die für die Akteure eine Handlungsentlastung bedeuten, und worin sich ein routinisierter Vollzug einer ritualisierten Ordnung am Ende von Sportunterrichtsstunden offenbart. Im sportunterrichtlichem Kontext findet kein Wechsel des Rahmens statt, vielmehr vollzieht sich eine Wandlung des Rahmens. Die Akteure stellen mit dem Übergang vom Ende der Sportunterrichtsstunde (dem Abbau, dem Umziehen und dem Wechsel von Örtlichkeiten) ganz richtig fest, um was für eine Situation es sich nun handelt. Im Rahmen der Institution Schule greift mit dem Stundenende die institutionelle Rahmung, wodurch eine neue Definition der Situation nicht ausgehandelt werden muss, sondern nur erkannt wird, wodurch eine innere Schlussklammer den Sportunterricht von anderen Ereignissen innerhalb der Schule abgrenzt. Im Sinne der von Goffman formulierten äußeren und inneren Klammern sozialer Situationen bildet der Sportunterricht ein inneres Ereignis im Laufe eines Schultages, das sich durch die spezifische Kleidung, Räumlichkeit und Zusammenstellung der Akteure zeigt, performt wird und wieder wandelt. Der Prozess der Wandlung produziert folglich keinen neuen Rahmen, sondern eine Transformation der Rahmung anhand von körperlichen (umziehen), zeitlichen (Stundenende) und räumlichen (Wechsel des Ortes oder Raumes) Beziehungszeichen. Der Vollzug einer Wandlung deutet auf ein Zeitdiktum hin, das die Wandlung vom Unterricht zum Ende des Unterrichts anzeigt. Im Material war der Gong zum Stundenende eher die Ausnahme, womit für die Akteure die Aufgabe besteht andere Formen der Hervorbringung von Schlussklammern zu gestalten. Die Ankündigung des Stundenendes wird nicht selten mit dem Abbau von Materialien oder Gerätearrangements oder mit Entspannungs- bzw. Abschlussspielen verbracht, wobei es neben der Lehrperson mit der ihr zugeschriebenen Rahmungsmacht auch die SchülerInnen sind, die ein Gefühl für die zeitliche Unterrichtsordnung besitzen und somit gemeinsam in der Lage sind eine Art ››Vor-Ende‹‹ (Hecht, 2009, S. 252) zu konstruieren. Die letztendliche Umsetzung und Initiation der Wandlung obliegt jedoch der Lehrperson. Die SchülerInnen antizipieren das Ende des Unterrichts bzw. der formalen Unterrichtssituation, weil sie die Ankündigung des Abbaus bzw. des Abschlussspiels als ein Vor-Ende lesen und durch ihre Tätigkeiten zu einer Ordnung der Beendigung des Unterrichts beitragen. Häufig deuteten die SchülerInnen erste vorsichtige Aufbruchsbewegungen an, sobald das Stundenende, durch die Ansage der Lehrperson, antizipiert werden konnte. Auch wenn diese Aufbruchsbewegungen stattfinden, orientieren sich die SchülerInnen durch ihr leises und vorsichtiges Verhalten an der geltenden Unterrichtsordnung. Die Wandlung wird somit gemeinsam hergestellt, jedoch durch die Lehrperson signalisiert, verzögert oder auch beschleunigt. In einem gewissen
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Sinne sind diese Tätigkeiten rahmende Tätigkeiten vom Ende der Sportunterrichtsstunde und bekommen dadurch wiederum den Charakter eines Spektakulums, wie es sich auch in der Phase der Koordination des Sportunterrichts offenbart hat. Hier jedoch zeigt der routinisierte Vollzug der Beendigung des Unterrichts die Setzung einer inneren Schlussklammer, was bedeutet, dass durch das Ereignis der Wandlung die Ereignisse des Unterrichts abgegrenzt werden und sich bereits zukünftige Ereignisse, wie die Pause oder die nächste Unterrichtsstunde, ankündigen.
Passepartout
Anstelle eines Fazits oder eines Ausblicks stellt der letzte Abschnitt die Metapher eines Passepartouts mit zweierlei Lesarten in den Vordergrund. Anhand eines Passepartouts wird eine Umrahmung geschaffen, die auf der einen Seite den Fokus auf die Quintessenzen richtet, ohne von den theoretischen und methodologischen Rahmungen abzulenken. Auf der anderen Seite wird mit dieser Metapher der Blick auf die Umrahmung gerichtet, deren Abmessungen die der Arbeit übertreffen. Mit der zugrunde gelegten praxistheoretischen Sichtweise als theoretisches und methodisches Werkzeug werden organisierende Tätigkeitsmomente zur Herstellung und Aufrechterhaltung von sozialer Ordnung sowie die Bewältigung von Spielräumen sozialen Handelns im Sportunterricht fokussiert. Mit Verweis auf Breidenstein (2010) stellt ein solches Vorgehen mindestens eine zweifache Verschiebung der gebräuchlichen Perspektive auf den schulischen Unterricht dar. Die gebräuchliche Perspektive befasst sich häufig mit der Rekonstruktion von Intentionen der Akteure sowie der Zentrierung auf das LehrerInnenhandeln bei gleichzeitiger – und das stellt eine zentrale Kompensation durch die Praxistheorie dar – Ausblendung von Partizipanden. Der Nachweis, dass sportunterrichtliche Handlungssituationen immer auch kommunikativ grundgelegt sind, ist bereits durch empirisch qualitative Arbeiten von Kuhlmann (1986), Friedrich (1991) und Frei (1999; 2012a) gegeben. Eine Erweiterung von diesem (durchaus überschaubaren) Korpus an Forschungsarbeiten leistet die praxistheoretische Perspektive, indem neben sprachlichen Handlungen die Partizipation von Partizipanden prominent gesetzt wird und somit die Verwobenheit der Körperlichkeit und weiterer Materialitäten in sozialen Interaktionsprozessen betont werden. Die Bedeutung sprachlicher Handlungen und ihre damit zusammenhängende distanzierte oder einvernehmliche Verständigung (vgl. Frei, 2012a, S. 233ff.) bleiben aufgrund ihrer Dynamik häufig implizit verhaftet. Eine Identifikation von weiteren Stabilisationen in Form von etablierten Handlungsroutinen, die häufig situativ entstehen und Störungen im Unterrichtsgeschehen marginalisieren, stellen für die Betrachtung von sportunterrichtlichen Situationen eine gewinnbringende Perspektive dar. Um die Liminalität des Passepartouts abzustecken, bewegt sich der letzte Abschnitt der Arbeit von innen nach außen und damit schließlich über die Abmessungen des gerahmten Werkes hinweg. Im Folgenden wird zunächst der Frage nachgegangen, welches Bild von Sportunterricht sich mit dem Rahmen eines Spielplans ergibt, um trotz geleisteter Zusammenfassungen noch einmal die Doings darzustellen. Diese
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Betrachtung erfolgt getreu dem aufgestellten Spielplan, geht allerdings über die bereits geleisteten Zusammenfassungen und Theoretisierungen hinaus. Zweitens stellt sich die Frage, wie sich zentrale Praktiken im sportunterrichtlichen Unterrichtsgeschehen gestalten. Die in dieser Betrachtung vorgestellten Figuren sozialer Praktiken, die Mikroprozesse sportunterrichtlichen Handelns in den Blick nehmen und analysieren, wie LehrerInnen und SchülerInnen sportunterrichtliche Ordnungen herstellen, reichen an den Rahmen dieser Arbeit heran bzw. darüber hinaus. Weiterhin stellt sich die Frage danach, welche theoretischen, methodologischen und empirischen Erkenntnisse über den Rahmen dieser Arbeit hinweg geleistet werden können. Konkret werden hier drei Fokussierungen erarbeitet: die Figur von Improvisation und Komposition sowie die Figur der Gewandtheit und die Frage nach dem empirical turn. Die nach Breidenstein (2010) angedeutete Verschiebung der Perspektive auf unterrichtliche Interaktionsprozesse stellt einen ungewohnten und sogar provokanten turn in der Unterrichtsforschung dar. Die Unterstellung, dass im Unterricht gelernt wird, wird nicht entkräftet, jedoch außer Acht gelassen, wodurch Merkmale des sozialen Geschehens Sportunterricht erkennbar werden, die eine wohlvertraute soziale Praxis um eine praxeologische Perspektive erweitert (vgl. ebd., S. 869ff.). Somit geht es nicht darum, wie etwas gelernt wird, sondern wie durch die Etablierung von sozialer Ordnung z. B. Gelegenheiten für das Lernen geschaffen werden. Die Diskussion der Sportunterrichtsforschung und auch der allgemeinen schulpädagogischen Diskussion darf schulische Prozesse nicht auf ihre Funktion für das Gesellschaftssystem reduzieren, sondern sollte Unterrichtsprozesse verstärkt aus ihren situativen Bedingungen heraus verstehen. Die Frage ››Was geschieht im Klassenzimmer?‹‹ (Combe & Helsper, 1994) wird in dieser Studie räumlich neu gerahmt und gibt Einblicke darüber, was eigentlich in der Sporthalle passiert. Somit wird auf die von Kurz (2002) gestellte Forderung eingegangen, wie Sportunterrichtsstunden eigentlich ablaufen, was in ihnen passiert und wie sie am Laufen gehalten werden (vgl. ebd., S. 30). Doings Über den Spielplan zeigt sich die Performance einer sozialen Praxis des sportunterrichtlichen Geschehens, innerhalb dessen situative Ordnungen hergestellt und aufrechterhalten werden müssen, die eine Verwirklichung unterschiedlicher Erwartungen anhand einer routinisierten Bezugnahme aufeinander ermöglichen. Die Analyse hat gezeigt, dass ein sportunterrichtliches Zusammenleben auf einer Einübung und Wiederholung von Praktiken beruht und auf der Basis einer wechselseitigen Unterstellung kollektiver Wissensbestände, die letztendlich konstruktiv in Form einer ››interaction order‹‹ (Goffman, 1983) – praxeologisch formuliert: in einer skillful performance – in Erscheinung treten. Die Bewältigung des Stundenbeginns – der Koordination – im Sportunterricht stellt sich als eine besondere Form des Übergangs von nicht-unterrichtlichen zu unterrichtlichen Situationen dar, die an die Akteure besondere Anforderungen stellt. In einer sportunterrichtlichen Gleitzeit koordinieren Lehrpersonen und SchülerInnen egalitär und trotzdem different den Stundenbeginn als eine Vorbereitungsphase für den tatsächlichen Sportunterricht. Trotz unterschiedlicher Tätigkeiten besteht der Konsens der Teilnehmer darin, dass es sich um eine zeitlose Zeit handelt, die von den Lehrpersonen für organisatorische Vorbereitungen oder Aufbauten, von den Schüle-
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rInnen durch die Nutzung von Frei-Räumen gestaltet wird. Diese Phase des Übergangs stellt ein ››Spektakulum‹‹ (Goffman, 1977, S. 289) des Unterrichts dar. Trotz der zeitlosen Zeit in der ansonsten getakteten zeitlichen Choreographie der Schule zeigt sich eine Ordnung des Sportunterrichts. Über spezifische Verhaltensweisen und Nutzungsgewohnheiten des Raumes, wie das Anlegen der Sportbekleidung, den Eintritt in die Halle und ihre frei geregelten Aktivitäten, zeigen die SchülerInnen eine Unterrichtsbereitschaft an, die über die Lehrperson, in anerkannter Funktion als ››Wächter‹‹ (Zinnecker, 1978, S. 36), über diverse organisatorische Praktiken beaufsichtigt wird. Anhand des körperlichen Vollzugs durch die Lehrpersonen werden über ritualisierte und routinisierte Signalisierungen Informationszeichen verwendet, die auf die Setzung und Codierung zeitlicher innerer Klammern verweisen. Der Wechsel von freigesetzten Körpern zu einer Bündelung von Körpern lässt die selbigen im Prozess der gemeinsamen Handlungskoordinierung zu eigenen Zeichen werden, die ebenfalls von den Akteuren kompetent decodiert werden und so SchülerInnen und LehrerInnen zu Virtuosen sportunterrichtlicher Ordnungsprozesse werden lassen. Über die Praktiken der Signalisierung und der damit verbundenen Setzung einer inneren Klammer wird der Sportunterricht eingeleitet und als analytische Trennung zur Kategorie der Konstitution betrachtet, wodurch die Rahmungsmacht der Lehrpersonen verdeutlicht werden kann. Die Signalisierung leitet den Vollzug der Entkleidung ein, welche aus der vorherigen maximalen Mobilität nun einen gemeinsamen Fluchtpunkt bildet. Aktivitäten werden gebündelt und zu einer Praktik der KörperOrdnung verwoben. Die funktionale Herstellung einer Unterrichtsbereitschaft wird über das Wegräumen von Materialien erreicht, wodurch eine Reduktion von Komplexität, eine Funktionalität und eine Fokussierung der Akteure erreicht wird. Die Praktiken der Entkleidung und der Körper-Ordnung werden im sportunterrichtlichen Kontext über die Wiederholung von Tätigkeiten verfestigt. SchülerInnen und LehrerInnen entwickeln eine gemeinsame Choreographie der Unterrichtseinleitung, die sich über stetige Wiederholungen routinisiert hat. Der Unterrichtsbeginn kann gleichsam als autonomer Akt und als ein Zusammenspiel mit den SchülerInnen gelesen werden, die sich über ein rituelles Wissen am Handeln der Lehrpersonen mimetisch anpassen. Zu behaupten, dass die Akteure des Sportunterrichts sich als unbeschriebene Blätter dem Sportunterricht widmen, wäre naiv. Schulische Sozialisation bewirkt eine Handlungserwartung und ein Wissen darüber so zu handeln, dass explizite Aushandlungsprozesse über den Sinn der Zusammenkunft und den tatsächlichen Anlass keinen alltäglichen Gegenstand sozialer sportunterrichtlicher Praxis darstellen. Im Rahmen der Institution Schule finden sich Akteure regelmäßig und langfristig aufgrund einer verbindlichen Anwesenheit zusammen, um einem vorgegebenen Zweck, ››das Lehren und Lernen von Kulturtechniken‹‹ (Breidenstein, 2010, S. 877) nachzugehen. Die Verwendung von Methoden des schulischen Alltagshandelns ist präsent und wird in der Regel von den Akteuren genutzt, angepasst oder unterlassen. Der jeweilige Ablauf der Stunden(-inhalte) kann jedoch von Seiten der SchülerInnen aufgrund der Durchführungshoheit der Lehrperson nicht erschlossen werden, weshalb die Praktik der kulturellen Kohärenz eine zentrale Bedeutung erlangt und trotz der beschriebenen Blätter bestehende blinde Flecken füllt.
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Im Sportunterricht zeigen sich organisierende Momente über (An-)Ordnungen und Arrangements der Unterrichtsstunde, die dabei behilflich sind einen Nachvollzug der geplanten Tätigkeiten der Lehrperson von den SchülerInnen zu erschließen. LehrKörper verdeutlichen zum Stundenbeginn die zentralen Konturen vergangener, zukünftiger und gegenwärtiger Unterrichtsstunden. Eine Praktik der kulturellen Kohärenz beinhaltet somit die Funktion, durch einen strategischen sprachlichen und körperlichen Monolog die Rahmung der Sportunterrichtsstunde verkürzt vorwegzunehmen und über die Performance ein Vorwissen bei den SchülerInnen zu aktivieren. Im Sportunterricht zeigt sich eine sprachliche und körperliche Repräsentation von kollektiven Wissensordnungen, die über den vorherigen Vollzug zukünftige Spielräume sozialen Handelns marginalisieren. Die Darstellung der Doings in den Kategorien der Koordination und Konstitution tragen somit zu einer näheren Deskription dessen bei, was Heinzel (2010) mit der Frage danach, was Unterricht ist und was nicht, näher beschreibt (vgl. ebd., S. 45). Nicht nur Tätigkeiten werden routinisiert vollzogen (wie bspw. die Entkleidung und das Herstellen einer Körper-Ordnung), über den Vollzug wird auch eine Aufmerksamkeit angezeigt, die gleichzeitig auch ein Unterlassen von Tätigkeiten offenbart. Signalisierungen dienen auf der Grundlage von Signalisierungen, der Herstellung und Öffentlichkeit einer Unterrichtsordnung. Die zeitliche Komponente, in Hinblick auf den Vollzug von Praktiken, ist für die Unterscheidung von Nicht-Unterricht und Unterricht konstitutiv – wohingegen die zeitliche Rhythmisierung von Unterricht durch die Institution eine geringe Bedeutung erlangt. Übergänge, anhand von Signalisierungen, werden fortwährend auch im weiteren Verlauf der Stunde gegeben, jedoch unterscheiden sich diese von dem hier beschriebenen Übergang aufgrund divergierender Praktiken. Das Spiel stellt sich als zentrale Kategorie aus der Rahmenanalyse heraus, die von der Lehrperson aus der zeitlosen Zeit herausgehoben wird und den Unterrichtsbeginn signalisiert. Umgeben von der Konstitution als innerer Anfangsklammer und der Wandlung als innerer Schlussklammer, ist es vor allem die Lehrperson, die einem Performance-Druck ausgesetzt ist und über die immer wieder die Rahmungsprozesse gestaltet werden. Trotz der einleitend beschriebenen Ko-Konstruktion von Sportunterricht sind es in der Regel nicht die SchülerInnen, die Rahmungsprozesse einleiten oder gestalten. Vielmehr findet sich des Öfteren eine strategische Übergabe der Rahmungsprozesse von der Lehrperson an die SchülerInnen, die schlussendlich keine alleinige Verantwortung, sondern eine vorgetäuschte Rahmungsmacht an die SchülerInnen offenbart. Die Ordnungsfunktion anhand von Blickpraktiken zeigt sich wesentlich im Vollzug von fokussierten Blicken und Observationen. Über die Disziplinierung von Blicken werden auf Seiten der SchülerInnen und der Lehrpersonen Aktivitäten im Unterricht beobachtet und zur Grundlage von Rückmeldungen, Hinweisen, Aktivitäten oder der Nutzung und Bewältigung von Spielräumen sozialen Handelns eingesetzt. Observationen stellen sich als zentrale Blick-Praktik von Lehrpersonen heraus, um durch eine ››organisierte Nicht-Beteiligung‹‹ (Mohn, 2010, S. 164) Regel-, Bewegungs- und Raumüberwachungen durchzuführen und sie zur Grundlage der Genese von Rückmeldungen, Kommentierungen oder auch Sanktionierung werden zu lassen. Gleichzeitig stellt der Blick performativ Aufmerksamkeit und Präsenz dar, der situativ und versiert eingesetzt und gelesen wird.
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Eine weitere Unterscheidung leistet die öffentliche und intime Verwendung von Blicken. SchülerInnen nutzen Blicke, um ihre Aufmerksamkeit anzuzeigen oder auch um den Blicken der Lehrperson zu entgehen und blinde Flecken zu nutzen. Die Lehrpersonen nutzen öffentliche oder intime Fokussierungen zur Aufrechterhaltung der Unterrichtsordnung, in dem Störungen allein über die Fokussierung bewältigt werden oder Aufmerksamkeiten eingefordert werden. Im Sinne einer Herstellung und Aufrechterhaltung von sozialer Ordnung werden Lehrpersonen auch über diese soziale Praktik zum ››pädagogischen Wächter‹‹ (Zinnecker, 1978, S. 97). Anhand dieser Funktionen gelingt es ihnen antinomische Strukturen sicherlich nicht aufzulösen, sie jedoch zu entspannen. Schon im Anspruch dieses Vollzugs paralleler Tätigkeiten wird der Modus der Routinisiertheit deutlich, der von Lehrpersonen über den praktischen Vollzug, die Erfahrung und Wiederholung inkorporiert werden kann. BlickPraktiken zählen zu den zentralen Routinehandlungen der Akteure im Sportunterricht. Durch sie wird eine observierende, koordinierende oder sanktionierende Funktion erfüllt, die folglich in einer Form der Überwachung zur Unterrichtsordnung beiträgt. Die Regelung des Sprecherverkehrs im Sportunterricht basiert auf einer zeitlichen und körperlichen Choreographie der Akteure in einem institutionalisierten Interaktionsmuster. SchülerInnen besitzen einen Spürsinn für die zeitliche Setzung ihrer Anzeige eines Gesprächsreservats und Lehrpersonen komponieren den SprecherInnenverkehr. Die ständige Etablierung des eigenen Gesprächsreservats und die parallele Rahmungsmacht der Lehrperson sind besonders hervorzuheben. Beide Aspekte werden im Unterricht nicht neu hergestellt, sondern verlaufen als Hintergrundfolie zum Unterrichtsgeschehen und werden von der Lehrperson situativ und anscheinend strategisch in den Vorder- oder Hintergrund gestellt. Die Bewertung des Nutzens und die Verteilung von Beiträgen steuert die Lehrperson. So wird beispielsweise die Verteilung der Verteilung von Gesprächsreservaten (z. B. über Meldeketten) von ihnen komponiert, in dem sie die Regelung und Normierung in Anspruch nehmen. Auf der anderen Seite bestätigen die SchülerInnen dieses Muster, weil sich Redebeiträge, auch wenn sie von SchülerInnen ein Gesprächsreservat zugeteilt bekommen haben, trotzdem direkt an die Lehrperson und nur indirekt an die MitschülerInnen richtet. Solche Routinisierungen werden im Schulbetrieb in den ersten Sportstunden eingeführt und über die Wiederholung und die Beachtung der Einhaltung solcher Gesprächsordnungen folglich inkorporiert. Im Sportunterricht zeigen sich allerdings Besonderheiten im Sprecherverkehr, die solche Muster konterkarieren und auf die in der Figur von Komposition und Improvisation vertieft eingegangen wird. Wie oben bereits angeklungen, bleibt es im Sportunterricht nicht allein bei einer versprachlichten Landkarte. Die räumliche Kategorie sportunterrichtlicher Praxis zeigt, dass der Lehr-Körper körperlich-kartographisch zu erstellende oder zu vollziehende Raumanordnungen, Positionen oder Bewegungen für die Stunde in den Raum hinein zeichnet. Der Körper wird zum Zeichenträger zukünftiger Aktivitäten, die von den SchülerInnen über ihre Erfahrungen dementsprechend decodiert werden. Die Bedeutsamkeit der Schnittmenge solcher sensiblen Situationen wird als eine Form der Kontingenz deutlich. Lehrpersonen marginalisieren Abstimmungs- und Koordinierungsprobleme bereits im Vorfeld motorischer Aktivitäten durch die skillful performance sprachlicher und körperlicher Vollzüge beispielsweise anhand einer virtuellen Materialität.
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Die praxistheoretische Perspektive eröffnet einen neuen Blick auf den sportunterrichtlichen Raum. Dieser ist nicht per se gegeben, die Räumlichkeit wird von den Akteuren ko-konstruktiv hergestellt, modelliert oder verworfen. Über materielle Partizipanden des Tuns, anhand von Geräten, Feldlinien oder Körpern werden Räumlichkeiten erschaffen und sogar virtuell vor-konstruiert. Im Rahmen der lokomotiven Flexibilität sportunterrichtlicher Räume zeigt sich ein kompetenter Umgang der Teilnehmer im (Nach-)Vollzug mit den Variablen des Raumes auf drei Ebenen: die sprachliche Realisierung (1) – verbale Deskriptionen vergangener oder zukünftiger motorischer Aktivitäten und Gerätearrangements; die körperliche Realisierung (2) – eine körperliche Kartographie durch die Bewegung im Raum und die räumliche Realisierung (3) – räumliche Anordnungen der Akteure bzw. Partizipanden. Entlang der Praktiken, die eine klare Rahmung im Sportunterricht unterstützen und zur (Re-)Produktion von sozialer Ordnung beitragen, konnten weiterhin unter der Kategorie der Spielräume Rahmungsdifferenzen und ihre Bearbeitung beobachtet werden. In Rahmungsdifferenzen kommt es zu einer Irritation des routinisierten Handelns mit der Folge, wieder eine klare und übereinstimmende Rahmung herzustellen. Die Bearbeitung von Rahmungsdifferenzen über die Lehrperson kann sich über den Verweis auf alltägliche sportunterrichtliche Wissensbestände und eine Reduktion der motorischen Komplexität gestalten. Bei Missverständnissen von Übungsformen werden fachsprachliche Referenzmuster zu alltäglichen Referenzmustern umformuliert und die Verweise auf bereits bekannte und erfahrene Situationen gegeben. Lehrpersonen erhalten sich somit ihre Rahmungsmacht und verweisen nicht selten indirekt auf eine Rahmungsinkompetenz von SchülerInnen. Die ständige Etablierung einer klaren Rahmung im Unterrichtsgeschehen ist ein zentrales Moment zur Marginalisierung von Spielräumen und damit auch eine Rahmungsarbeit aller Partizipanden zur Herstellung und Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung. Mit der letzten Kategorie des Spielplans – der Wandlung – konnte gezeigt werden, wie im sportunterrichtlichen Kontext Unterricht beendet wird, der Rahmen sich jedoch nicht wechselt, sondern wandelt. Die Institution Schule wird zur dominierenden Rahmung und die Akteure stellen erneut fest, um was für eine Situation es sich handelt und verhalten sich dementsprechend. Wie auch in der Kategorie der Koordination stellen die Akteure die Definition der Situation nicht her, sondern stellen fest, was die Situation in dem Moment für sie bedeutet. Das Ereignis Sportunterricht stellt somit eine innere Klammerung des Schultages dar, dass sich über spezifische Räumlichkeiten, Kleidung, Körper-Ordnungen und in einem Zusammenspiel von Partizipanden performt. Die Wandlung (ritualisiert oder prosaisch) dient der Funktion symbolische, körperliche, zeitliche und räumliche Beziehungszeichen gemeinsam zu vollziehen und eine Unterrichtsordnung herzustellen. Auf der Grundlage einer geringen Forschungslage über das Stundenende bzw. den Wandel von Sportunterricht konnte mit der Darstellung prosaischer und ritualisierter Vollzüge eine exemplarische Gestaltung von Wandlungsprozessen aufgedeckt werden. Für den Sportunterricht wird anhand des Spielplans eine erste Phänomenologie sportunterrichtlicher Ordnung vorgelegt. Über diese Arbeit hinaus könnten weitere Überlegungen anschließen, diesen rekonstruierten sportunterrichtlichen Spielplan von sozialer Ordnung auf andere Fächer zu transferieren (Mathematik, Kunst, Englisch, Deutsch etc.), um Überschneidungen und mögliche Differenzen herauszuarbeiten. Neben den zunächst offensichtlichen Differenzen, wie der Räumlichkeit, den di-
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vergierenden Materialitäten im Klassenraum im Vergleich zur Sporthalle und den damit zusammenhängenden Körper-Ordnungen, wären die feinen Unterschiede und die feinen Gemeinsamkeiten schulischer Performances von hoher Bedeutsamkeit, um den praktischen Vollzug der schulischen Kultur genauer darzustellen. Komposition – Improvisation Aufgrund der Gleichzeitigkeit zahlreicher Mikroprozesse und der Kontingenz in sozialen Interaktionen können Spielräume sozialen Handelns dazu führen, den routinisierten Vollzug zu unterbrechen oder ihn abzuändern. Geschieht dies, tritt anstelle der Komposition eine Improvisation. Der kompetente Vollzug sozialer Praktiken bewegt sich in einem Mischverhältnis zwischen der Routinisiertheit (Komposition) und der Unberechenbarkeit (Improvisation) sozialer Praktiken (vgl. auch Abb. 1 und die Ausführungen über die Theorie sozialer Praktiken). Unter den Elementen von Erwartungs-Erwartungen und der gegenseitigen Bezugnahme sozialer Praktiken bzw. die Herstellung von Handlungskontexten, die wiederum soziale Praktiken auslösen, kann ein Charakteristikum sportunterrichtlicher Praxis durch eine ständige Gewandtheit der Akteure im Wechsel von Komposition und Improvisation liegen. Die Improvisation ist weder geplant noch rein aus der Situation entstanden, sondern entsteht durch den Zugriff auf vorhandene Wissensordnungen in vertrauten Kontexten. Diese können modifiziert werden, indem vertraute Figuren sozialer Praktiken dieser Situationen mit der aktuellen Situation in Verbindung gebracht werden, Rahmungsprozesse bestimmen und einen angemessenen Vollzug hervorbringen. Danner (2001) spricht in unvorhergesehenen pädagogischen Kontexten auch von einem ››reflektierten Improvisieren‹‹ (ebd., S. 53) von Lehrkräften, wodurch meines Erachtens nach Potenziale der Kasuistik angesprochen werden. Eine reflektierte Improvisation kann über die Kasuistik vertieft werden, um Sportunterricht reflektieren zu können (vgl. Lüsebrink, Krieger & Wolters, 2009, S. 7ff.) und die Auseinandersetzung mit Improvisationssituationen anzubahnen. Gewinnbringend scheint – und diese Überlegungen überschreiten den Sportunterricht – die Auseinandersetzung über den klassischen ››Papierfall‹‹ (Alexi, Heinzel & Marini, 2014, S. 227, Herv. i. O.) hinaus. Die Videographie des eigenen Unterrichts und das anschließende (mögliche) Extrahieren von Situationen, die im Verlauf betrachtet werden können, kann Potenziale für eine steigernde Interaktionssensibilität für die (teilnehmenden) Akteure beherbergen und die Reflexivität gegenüber dem eigenen Unterricht steigern. Den Vollzug des Unterrichts mit eigener Beteiligung zum Fall zu machen, kann bspw. dabei behilflich sein unterschiedliche Unterrichtsordnungen zu hinterfragen, ohne durch ein ››deduktive[s] Erkenntnisschema […] die übliche Kapriole‹‹ (Körner, 2009, S. 158) zu produzieren. Ein solches Vorgehen setzt selbstverständlich einen sensiblen Umgang mit den beteiligten Akteuren voraus, wodurch letztendlich nicht nur der videographierte Akteur, sondern auch die teilnehmenden BeobachterInnen Einblicke und Einübungen in und durch die soziale Praxis des Unterrichtens erhalten. Die Genese bzw. die Anordnung kollektiver Wissensordnungen und damit auch die Bildung von Routinisierung im Handlungsvollzug ist folglich eine Anordnung von Körperwissen, woraus sich zukünftige Kompositionen ergeben können – Improvisation und Komposition konstituieren sich in einem Mischverhältnis. Aus diesem Vorgehen zeigen sich bereits Anknüpfungspunkte für eine reflexive LehrerInnenbildung,
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die Fallanalyse zu einer sozialen Praxis werden lassen (vgl. auch Reichertz, 2014, S. 24ff.). Werden Situationen identifiziert, in denen der routinisierte Vollzug unterbrochen wird und betrachtet man, wie diese Spielräume gefüllt werden, wird bereits von einer Identifikation der Unterbrechung und damit von einer Identifikation des routinisierten Vollzugs gesprochen. Da soziale Ordnung über soziale Praktiken erzeugt wird und diese gleichzeitig durch eine Routinisierung und Unberechenbarkeit bedingt werden, kann Komposition und Improvisation als konstitutiver Bestandteil sportunterrichtlicher Praxis und somit auch unterrichtlicher Praxis angesehen werden. Eine Konjugation der Figur von Komposition und Improvisation wird im Folgenden am Beispiel der Gesprächsreservate vollzogen. Grund dieser Auswahl ist, dass ein Management von Gesprächsreservaten eine grundsätzliche Schnittmenge mit anderen Schulfächern bildet. Denkbar ist eine solche Veranschaulichung durchaus auch für weitere Kategorien (Körper-Ordnung, Kulturelle Kohärenz, Blicke u. a.) dieser Arbeit, die auch in den Analysen angebahnt wurden, weshalb diese Übersetzung vorrangig der Veranschaulichung dient. Grundsätzlich gilt es auch hier über diese Arbeit hinaus Überlegungen anzustellen, inwiefern sich Komposition und Improvisation in anderen Schulfächern vollziehen und welche Gestalt zutage tritt bzw. immer schon öffentlich ist. Im Laufe der Analysen ist immer wieder deutlich geworden, dass die Lehrpersonen zwischen strategischen und spontanen Momenten unterrichtlicher Settings agieren müssen. Die Kontingenz sozialer Situationen wird anhand des Kontextes und über den Vollzug spezifischer Praktiken marginalisiert, aber eben nicht neutralisiert. Der Sprecherverkehr im Sportunterricht unterliegt einer Normierung, die qua Rahmung von den Akteuren festgestellt wird. In zentrierten, schulischen Interaktionen werden Schweige- und Gesprächsreservate über die Lehrpersonen verteilt und kontrolliert. Über die sprachliche Gestaltung der Lehrperson und auch der SchülerInnen entnehmen die MitschülerInnen, ob man ein Gesprächsreservat über den Vollzug einer Meldung anzeigen kann oder nicht. Gesprächssituationen sind insbesondere vom Inhalt und von der Art und Weise der Gestaltung von der Lehrperson komponiert. Es wird festgelegt ob, wer und wie Gesprächs- und Schweigereservate ausgestaltet werden (Meldekette, Meldungen, typische Sprach- und Schweigemuster). Die Komposition kann als Praktik einer Anordnung des SprecherInnenverkehrs angesehen werden. Die Rahmungsmacht ermöglicht es der Lehrperson jedoch auch spontan in die Gesprächsreservate der SchülerInnen einzudringen, sie zu ergänzen und wieder zu aktivieren, ohne dass Missverständnisse über die Ordnung des SprecherInnenverkehrs aufkommen. Anhand dieser Funktion können Ergänzungen hinzugefügt, ausgeführt oder Fehler in Äußerungen vermieden werden, um so zu einem Verständnis der Situation beizutragen – die Lehrperson improvisiert und der kompositorische Charakter von Unterrichtsgesprächen setzt aus. Umgekehrt wird das Eindringen in Gesprächsreservate von SchülerInnen in die Gesprächsreservate der Lehrpersonen oder anderer SchülerInnen mit dem Verweis auf die Normierung des SprecherInnenverkehrs sanktioniert. Solche Unterscheidungen sind nicht hoch different zum SprecherInnenverkehr im Klassenraum, was trotz alledem erstaunlich ist, weil Routinisierungen typischer schulischer Interaktionen in
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den Sportunterricht hineingetragen und adaptiert werden. Allerdings zeigen sich auch Modifizierungen. Eine Besonderheit im Sportunterricht ergibt sich aus situativen Äußerungen von SchülerInnen aus ihrem Schweigereservat heraus, die von Lehrpersonen nicht sanktioniert, im Gegenteil sogar in die Situation implementiert werden. Im Rahmen von Inszenierungen kommt es häufig vor, dass SchülerInnen Gesprächsreservate ihrer MitschülerInnen ergänzen ohne dran zu sein oder ihr Schweigereservat aufbrechen, um evtl. dringlich empfundene Inhalte zu äußern. In erster Linie stellen Äußerungen dieser Art konstruktive Inhalte für das notwendige Spielverständnis dar oder sie beziehen sich auf spontane Nachfragen bei Missverständnissen und werden von der Lehrperson spontan anerkannt. Daraus offenbart sich ein Mischverhältnis zwischen Komposition und Improvisation durch die Entscheidung der spontanen Anerkennung oder (strategischen) Vermeidung von Gesprächsreservaten. Eine strategische Vermeidung der Gesprächsreservate von SchülerInnen kann vollzogen werden, um Störungen oder Ablenkungen präventiv zu vermeiden. Die Duldung von verletzten oder aufgedrängten Gesprächsreservaten durch die SchülerInnen wird häufig anerkannt, weil die Erfüllung von Beitragserwartungen von einer Unterbrechung und Erinnerung an die Normierung des Sprechverkehrs absehen lässt. Reparaturmaßnahmen werden vermieden und scheinen nicht notwendig, weil auch von den teilnehmenden Akteuren die eigentliche Ordnung der Gesprächsreservate nicht in Frage gestellt wird. SchülerInnen sind somit ebenfalls in der Lage ihre Gesprächsreservate situativ zu improvisieren und in die Komposition der Lehrperson zu integrieren, ohne das ein unroutinisiertes Vorgehen oder Rahmungsdifferenzen zutage treten, sondern vielmehr eine weitere und besondere Facette der Ordnung des Sprecherverkehrs im Sportunterricht konstituiert wird. Gewandtheit Über Erläuterungen und Erklärungen von Abläufen motorischer Aktivitäten erfüllt die Lehrperson zum einen die Erwartungen der Teilnehmer, zum anderen verdeutlicht sie weiterhin auch ihre qua Institution zugestandene Rahmungsmacht, die ihr das Vermögen unterbreitet darüber zu verfügen, wer wie über was und zu welcher Zeit im Sportunterricht verfügen kann. Die Etablierung der Rahmungsmacht kommt zum Vorschein, wenn Rahmungsdifferenzen entstanden sind, die aufgrund von Missverständnissen o. ä. zum Vorschein kommen. Die kompetente Auflösung der Differenzen verweist auch auf Forderungen von SchülerInnen an Lehrpersonen, die Frei (1999) damit beschreibt, dass Lehrpersonen aus SchülerInnensicht den Aufbau der Stunde und die Erläuterungen und Erklärungen von Inhalten kompetent vollziehen (vgl. ebd., S. 169ff.). Die Zuteilung und Etablierung einer Rahmungsmacht ist weiterhin nur dann kohärent und erfolgreich, wenn die Tätigkeiten mit dem tatsächlichen Rahmen übereinstimmen. Die Situationen unterliegen dem Rahmen, der als Erzeugungsstruktur wiederum zur Realisierung von Praktiken beiträgt (vgl. Willems, 1997, S. 46ff.). Es darf nicht ausgeschlossen werden, dass auch SchülerInnen die Rahmungsmacht ergreifen, jedoch können hinter diesen Handlungen auch Initiierungen der Lehrpersonen stehen und damit auch ein kooperativer Charakter der Situation. Garfinkel und Sacks (1976) bezeichnen den Vorgang der Feststellung auch als das ››Ärgernis indexikalischer Ausdrücke‹‹ (ebd., S. 143). Indexikalische Äußerungen kön-
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nen als Bezeichnungen oder Erläuterungen verstanden werden, die zunächst nur den SprecherInnen einen Sinnzusammenhang geben. Solche Äußerungen werden dann in gemeinsamen zentrierten Situationen eingesetzt. Spezifische indexikalische Situationen können im Sportunterricht Spiel- und Regelerläuterungen, Erklärungen von Aufbauten oder Stundenverläufen sein, die für die Lehrperson kognitiv einen Sinnzusammenhang ergeben, welcher für die anderen Teilnehmer der Situation (noch) nicht erschlossen sein muss. Lehrpersonen stehen damit trotz Rahmungsmacht folglich unter einem Rahmungsdruck, der von ihnen die Auflösung der indexikalischen Äußerungen in der Situation verlangt, so dass alle Teilnehmer ein gemeinsames Verständnis erlangen und anerkennen. Wie setzen Lehrpersonen im Sportunterricht diese Anforderungen um, ohne dass es zu größeren Spielräumen sozialen Handelns kommt? Über die Erläuterung und Einübung grundlegender Begrifflichkeiten, Signalisierungen und ihrer Kodierungen, Verhaltensregeln oder auch die Erinnerungen über die Legitimationen im Sprecherverkehr werden Ordnungen des Sportunterrichts transparent gemacht, nachvollzogen und über den Prozess der Wiederholung in der schulischen Sozialisation letztendlich inkorporiert. Lehrpersonen erinnern im Sportunterricht immer wieder an die Ordnung des SprecherInnenverkehrs oder die KörperOrdnung und aktualisieren dadurch das gemeinsame Wissen. Weiterhin wird im Rahmen von Spielerläuterungen oder der Vorrealisierung einer virtuellen Materialität nicht allein die Sprechhandlung, sondern immer auch eine körperliche und räumliche Realisierung vorgenommen, um über die genannten Praktiken eine klare Rahmung zu erzeugen – eine Komposition von Praktiken. Im Vollzug der Praktik der kulturellen Kohärenz oder auch der virtuellen Materialität etablieren Sportlehrkräfte strategisch ihre Gesprächsreservate, um eine konzentrierte Erklärung und Darstellung zu vollziehen. Neben dieser Besonderheit stellt sich über das strategische Vorgehen ein weiteres Moment ein: Durch das Übergehen der SchülerInnenmeldungen und damit auch die Vermeidung, mögliche Verständnisprobleme zu erfassen, die von der Lehrperson nicht antizipiert werden, zeigt sich im Vollzug der jeweiligen Praktik, dass mögliche Verständigungsprobleme über den Prozess der Tätigkeiten geklärt werden. Anhand von Äußerungen wie: ››Wir spielen es einfach gleich und dann kommen dann in den Fluss. Ich glaube dann kommt das allen wieder in Erinnerung‹‹ (Szene (70)); wird der zunächst in Frage gestellte Sinn des Spiels an die Kontextualität der Bewegungen im Spielfeld gebunden. Der von Bourdieu (1987) formulierte ››Sinn für das Spiel‹‹ (ebd., S. 122) wird anhand solcher Vorgänge zweifach kodiert. Die erste Entschlüsselung liegt in der Antizipation der Lehrperson, dass sich das Verständnis des Spiels oder der Übung im Tun und anhand der Spielsituation (Spielfeld, MitspielerInnen, Aufbau) erschließen wird. Impliziert wird in dieser Ansicht weiterhin die (Un-)Möglichkeit, ››dass Bindungslosigkeit oder gar Distanz ebenso zum Profil von Koordinierungsprozessen gehören wie einvernehmliche Verständigung‹‹ (Frei, 2012b, S. 341). Eine zweite Entschlüsselung bezieht sich auf den Spiel-Sinn der Lehrperson im Sinne der Strategie, indem auf weitere Aushandlungen und Erläuterungen verzichtet wird und die Rahmungsmacht durchgesetzt wird – die Komposition liegt auf Seiten der Lehrperson. Dadurch wird die Erzeugung von Ordnung in den Vollzug verlagert. Ohne sportunterrichtliche Praxis romantisch verklären zu wollen, legen die beteiligten Akteure aus einer praxistheoretischen Perspektive ein sicheres Auftreten, eine Routinisiertheit, eine Geschicktheit oder auch eine Geschmeidigkeit
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an den Tag, die mit dem Begriff der Gewandtheit des Sportunterrichtens beschrieben wird. Die praxistheoretische Perspektive ermöglicht einen mikrosoziologischen Blick auf den Vollzug sozialer Praktiken im Sportunterricht. Neben räumlich-materiellen Settings rückt die Körperlichkeit in den Fokus der Konstitution von sozialer Ordnung. Im Sportunterricht zeigen sich freigesetzte Körper und eine räumlichmaterielle Flexibilität, die neue Bezugspunkte für die Sportunterrichtsforschung eröffnet. Die freigesetzte Körperlichkeit und (frei)gesetzte Räumlichkeit entwickelt ein Potenzial an Kontingenz im Handlungsgeschehen, dass von den Teilnehmern gemanagt werden muss und worüber Rahmungsprozesse, aber auch Rahmungsmacht in der Konstitution von Räumen hervorgebracht werden. Ein möglicher Umgang mit aufgezeichneten Praktiken könnte aus der praxeologischen Sichtweise heraus gewinnbringende Implikationen für die LehrerInnenbildung bieten. Eine Konfrontation von (angehenden) Lehrpersonen mit dem bereits bestehendem, eingesetzten Know-how und eine Erarbeitung von Tätigkeiten, die noch nicht routinisiert, aber sozusagen im Handlungswortschatz vorhanden sind, kann das Handlungsrepertoire der Akteure erweitern. Nicht oder nur teilweise verbalisierbare Aktivitäten können über die Beobachtung zur Sprache gebracht werden und Impulse zur Routinisierung hervorrufen. Akteure werden dabei im doppelten Sinne verstanden: Über die Videographie eigener Stunden machen sich die Akteure selbst zum Beobachtungsgegenstand, den sie letztendlich selbst beobachten. Die Reflexion der eigenen Beobachtung kann sich dementsprechend auf das eigene Handeln zurückführen lassen und das Handlungsrepertoire über den Anstoß von Routinisierungen erweitern. Im praxistheoretischen Sinn wäre jedoch noch eine weitere Perspektive gewinnbringend. Die Beobachtung der Beobachtung der BeobachterInnen, die sich selbst beobachten, kann Selbstreflexionen und den Umgang mit den videographierten Situationen aufzeigen. Das Video, der BeobachterInnen und die sich offenbarenden sozialen Praktiken der Beobachtung werden damit zum Forschungsgegenstand, woraus sich Potenziale einer Einübung sportunterrichtlicher Praxis ergeben können. Da die Bindungen zur Intentionalität und Rationalität in den Handlungen gebunden sind, nicht jedoch in den Praktiken, sind sie nur zum Teil reflexiv zugänglich und werden von ››kompetenten Körpern‹‹ (Reckwitz, 2003, S. 290) vollzogen. Die Frage ist: Wie werden Körper kompetent, wenn sie beispielsweise in neue situative Kontexte überführt werden? Denkbar sind hier Übergänge vom Studium in das Referendariat oder vom Referendariat in das eigenständige Berufsleben. In welchen situativen Arrangements lassen sich Hervorbringungen kompetenter Körper beobachten? In der Schule konnte die Initiierung anhand der Vermittlung von Wissen darüber, wie man sich zu verhalten hat, in den ersten Sportstunden erster Klassen beobachtet werden, welches dann über den Modus der Einübung und Wiederholung im Laufe der Schullaufbahn kompetente Körper bildet. Ordnungsprozesse verstehen sich aus der praxeologischen Perspektive heraus als Praktiken, die von Lehrpersonen und SchülerInnen gemeinsam hervorgebracht werden, weshalb sie immer auch auf ein gemeinsames, inkorporiertes und praktisches Wissen zurückgreifen. Die Unterrichtsforschung muss daher die beiden möglicherweise zunächst als antagonistische Welten begriffenen Perspektiven als eine gemeinsame Performativität lesen.
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Die Konkretisierung erlangen die Praktiken im Rahmen und somit in der Kontextualität, der Situativität, der Zeitlichkeit und der Kopplung mit weiteren Praktiken, wobei trotz dieser Bündelung Spielräume sozialen Handelns nicht auszuschließen sind. Nun ist es gerade diese Situativität in Abhängigkeit des Kontextes, der Zeitlichkeit und in der Verknüpfung von weiteren Praktiken, die eine sportunterrichtliche Praxis der Akteure als eine Gewandtheit bezeichnen lassen. Im alltäglichen Vollzug geht es nicht darum soziale Praktiken als eine einfache Zitation vergangener Praktiken zu bezeichnen. Signalisierungen, Körper-Ordnungen, Vollzüge der Entkleidung oder das Management von Territorien werden durch gleichartige (nicht gleiche) Praktiken ständig aktualisiert, um situativ eine Ordnung herzustellen. Über virtuelle (sprachliche, körperliche und räumliche) Vorrealisierungen der Lehrpersonen, sind SchülerInnen in der Lage mimetisch Aufbauten, Übungsformen o. a. motorische Aktivitäten nachzuvollziehen, zu modellieren oder neu zu kreieren. Es erfolgt eine situative Aktualisierung von Erfahrungen aus vergleichbaren Situationen. Damit wird deutlich herausgestellt, dass Ordnungsprozesse nicht allein über Sprechhandlungen, sondern vor allem über Bewegungen und den Einbezug von Partizipanden als eine Gewandtheit sportunterrichtlicher Praxis begreifen lassen. In der Praxistheorie ist die Klärung vom Wissenserwerb der gemeinsam geteilten Wissensordnungen über den Vollzug von Praktiken noch nicht vollständig geklärt. Mit der theoretischen Figur der Mimesis soll ein Beitrag dazu angebahnt werden. In Bezug auf die Beobachtbarkeit sozialer Praktiken und die Prozesse der Einübung zur Herstellung und Aufrechterhaltung von sozialer Ordnung im Sportunterricht und auf Grundlage des konstruierten Spielplans formulieren Gebauer und Wulf (1998): ››Die im mimetischen Handeln erzeugten Welten haben einen zeigenden Charakter; sie werden in öffentlichen Aufführungen dargestellt. Aufgrund dieses Merkmals haben sie den Charakter eines Spiels‹‹ (ebd., S. 300). Die Rahmungsmacht ist dann nicht allein negativ konnotiert, weil über den mimetischen Vollzugscharakter performatives Handeln folglich hergestellt und in kollektive Wissensordnung überführt werden kann. Mimesis beschreibt die Fähigkeit zur Nachahmung, ohne dabei eine identische Reproduktion von Aktivitäten zu vollziehen, die, mit Bezug auf die Partizipanden des Tuns, Prozesse der Einübung provozieren (vgl. Wulf, 2001, S. 253ff.). Über den mimetischen Nachvollzug und Prozesse der Einübung ››setzt sich die Welt in seinem Körper fest, wird sie Bestandteil seiner inneren Welt und seines Körpers‹‹ (ebd., S. 265). Damit findet sich eine Erklärung für den Impuls zur Routinisierung sozialer Praktiken. Die Kategorie der Körper-Ordnung zeigt in diesem Zusammenhang, dass SchülerInnen durch den Nachvollzug von Tätigkeiten (Leisezeichen oder das Zusammenkommen im Sitzkreis) selbst zum Symbol werden, dessen sich angenommen und dem nachgeahmt wird. Mit dieser Facette bleibt die Rahmungsmacht doch nicht allein der Lehrperson oder nur vorgetäuscht den SchülerInnen überlassen. SchülerInnen als Partizipanden werden im Vollzug der Praktik zu einer flüchtigen mimetischen Figur und erlangen eine implizite Rahmungsmacht. Empirical turn Die praxeologische Perspektive überwindet mit ihrem kulturellen Verständnis des Sozialen den Mentalismus und den Textualismus. Ereignisse materialisieren und verkörpern sich und werden durch soziale Praktiken sichtbar. Wie man dieser Materialität des Sozialen und der besonderen ››Empirizität‹‹ (Hirschauer, 2004, S. 73) gerecht
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wird, ist in der sozialwissenschaftlichen Auseinandersetzung bisher nur selten diskutiert und noch nicht systematisch besprochen worden. Einigkeit besteht darüber, dass einem practical turn auch ein ››empirical turn‹‹ (Schmidt, 2012, S. 13, Herv. i. O.) folgen muss. In dieser Arbeit wurde durch das Primat der Videographie als Analyseeinheit der Versuch unternommen einen methodischen Textualismus zu überwinden und zunächst über den Prozess der Beobachtung den sozialen Praktiken als Gegenstand gerecht zu werden. Eine Soziologie der Praxis wurde somit nicht auf Texte oder Sprechakte verengt, sondern es wurden ››bildhafte Performanzen‹‹ (ebd., S. 14) und öffentliche körperliche Vollzüge einbezogen, um der angesprochenen besonderen Empirizität der Praktiken über Beobachtung und Beschreibung nachzukommen. Verkörperte Praktiken zur Herstellung und Aufrechterhaltung sozialer Ordnung ergeben sich in ihren unmittelbaren Situationen, wenn Koordinierungen zwischen Akteuren erforderlich werden. Die Teilnehmer der Situation nehmen wechselseitig Bezug aufeinander und erarbeiten ständig lokale Ordnungen. Den praktischen Vollzug solcher Aktivitäten bezeichnet Garfinkel (1996) treffenderweise als ››pedagogies‹‹ (ebd., S. 9). Um den sozialen Praktiken als Gegenstand empirischer Forschung gerecht zu werden ist eine Folge des empirical turn eine Modifikation bestehender Methoden in der Sozialforschung. Der videographische Zugang der Datenerhebung wird den sozialen Praktiken als Gegenstand, durch die formulierte Beobachtbarkeit im Feld, gerecht. Die Rahmenanalyse erwies sich als empirisch bearbeitbar und in Verbindung mit dem Kodierparadigma der Grounded Theory als ertragreich. Aus praxistheoretischer Sicht besteht nicht der Anspruch einem Phänomen auf den Grund zu kommen, weshalb eine Beschreibung – eine Praxeographie – von sozialen Praktiken und ihr Vollzug im Vordergrund steht (vgl. Hillebrandt, 2015, S. 26f.). Methodisches Mittel ist für Goffman vor allem die analytische Beschreibung auf der Grundlage einer ››empirischen ›Gegenstandstreue‹‹‹ (Willems, 1997, S. 351, Herv. i. O.), um die Anschaulichkeit und Nachvollziehbarkeit zu gewährleisten. Als Mittel der Befremdung dient das Stilmittel der Metapher, um analytische Beobachtungen und dichte Beschreibungen zu erstellen. Ein weiteres methodisches Mittel, welches ebenfalls in der Analyse dieser Arbeit umgesetzt wurde, ist die Darstellung der Datenpräsentation auf der Grundlage der Daten (vgl. ebd., S. 351ff.). Dadurch werden für die LeserInnen Einblicke in die exemplarischen Daten ermöglich und die Kategorien der Analysen können illustriert und nachvollzogen werden. Ohne in ein zu enges Methodenkorsett geschnürt zu sein, ist eine offene Analyse gelungen, die sich im Verlauf der Auswertung weiter verdichtet hat und letztendlich in Form eines Spielplans (vgl. Abb. 3) von Sportunterrichtsstunden rekonstruiert werden konnte. Die theoretischen Grundlegungen sind deshalb ››keine wörtlichen Übersetzungen gesellschaftlicher Wirklichkeit, sondern Vorschläge, diese mit der theoretischen Begrifflichkeit zu sehen und zu begreifen‹‹ (Kalthoff, 2008, S. 15). Das Verständnis von Praktiken kann nur erfolgen, zieht man die Körperpositionierungen, unterschiedliche Perspektiven und die jeweils in das Visier genommenen Situationen in die Analyse der Praktik mit ein. Die Aufzeichnung des situativen Vollzugs kann somit als empirisches Primat der praxeologischen Forschung angesehen werden. Diese Prämisse unterstützt auch Soeffner (2004) indem dem Prozesscharakter von Handlungsprozessen nachgekommen werden muss, um das Verständnis der Teilnehmer zu verstehen, die selbst erst in der Situation durch Inklusion und Ex-
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klusion von Handlungsmöglichkeiten ihr Verständnis offenbaren (vgl. ebd., S. 164f.). Die methodische Konsequenz liegt folglich darin, auch die Analyse von Praktiken prozessual zu gestalten. Die sportunterrichtliche Ordnung der Interaktion beruht grundsätzlich auf der Einübung und der fortlaufenden, beständigen Wiederholung von Praktiken, einer wechselseitigen Unterstellung von gemeinsamen Wissensbeständen und letztendlich auf der Basis eines Know-how über das sportunterrichtliche Zusammenleben ››jenseits des offiziellen Zwecks von Unterricht‹‹ (Breidenstein, 2010, S. 876, Herv. i. O.). Das sportunterrichtliche Zusammenleben deshalb, weil eine diverse Exklusivität an Körperlichkeit, Räumlichkeit und Wissensbeständen im Vergleich zu anderen Fächern besteht, die sich nicht immer vollständig unterscheiden aber auch nicht gleich, sondern gleichartig in Erscheinung treten können. Sportunterricht als soziale Praxis unterliegt der Kontingenz, worunter Möglichkeiten nicht-trivialer Situationen dafür sorgen, dass Unterricht grundsätzlich störungsanfällig ist. Er wird ja – wie deutlich wurde – auch regelmäßig gestört. Die praxeologische Perspektive ermöglicht es zu beobachten, welche Praktiken rund um solche Rahmungsprozesse, zur Wiederherstellung der klaren Rahmung und damit der Bearbeitung von Spielräumen, zu beobachten sind. Deutlich wurde, dass der Sinn und die Legitimität des Unterrichts nur selten zur Aushandlung gestellt werden, woraus anzunehmen ist, dass Vollzüge dieser Art und Weise die Gestalt der ››interaction order‹‹ (Goffman, 1983) annehmen. Soziale Ordnung wird nicht als ein zu lösendes oder organisatorisches zu bewältigendes Problem verstanden, sondern als flüchtiges Resultat sozialer Praktiken, das fortwährend aufrechterhalten werden muss. Trotz institutioneller Rahmungen wird die sportunterrichtliche Ordnung als eigens geschaffene Kultur sozialer Ordnung im Sportunterricht hergestellt. Die vorliegende Arbeit leistet somit einen Beitrag zur Darstellung ››kulturgenerierende[r] Aspekte‹‹ (Thiele & Schierz, 2014, S. 18), um eine Kultur des Sportunterrichts weiter zu skizzieren und eine präzisere Vorstellung der vollzogenen Gestaltung sportunterrichtlicher Ordnungen zu erhalten.
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Anhang
Transkription
I
Tabellenverzeichnis
II
Abbildungsverzeichnis
II
Still-Verzeichnis
III
A NHANG | I
T RANSKRIPTION Die im Analyseteil verwendeten Szenen beruhen auf einem vereinfachten konversationsanalytischen Notationssystem nach Hecht (2009). Durch die Variation in den zu transkribierenden Systemen (gesprochene Sprache, Körperbewegungen, Blickführungen oder auch genutzte Gegenstände) wurde dieses durch weitere Notationssysteme stellenweise ergänzt (vgl. Dresing & Pehl, 2013, S. 17ff.; Kuckartz, Dresing, Rädiker & Stefer, 2007, S. 27f.; Bohnsack, 2011, S. 242f; Sahlström, 2002, S. 50ff.). Maskierung: Sx
Bezeichnung für einzelne oder mehrere nicht direkt zu identifizierende SchülerInnen. Sx (3) Mehrere SchülerInnen einer Gruppe (bspw. Gruppe 3 = Sx (3)). Lw, Lm, Pm, Sw, Sm, LiVm Bezeichnung der handelnden Personen: Lehrerin (Lw), Lehrer (Lm), Praktikant (Pm), Schülerin (Sw), Schüler (Sm), Lehrkraft im Vorbereitungsdienst (LiVm) S1w, S2m, … Eindeutige Bezeichnung der Schülerin (S1w) oder des Schülers (S2m). Ist keine Zuordnung zu einem Geschlecht möglich, erfolgt die Angabe ohne w/m (S2 v). Alle Ortsangaben (Straßen, Städte etc.) werden maskiert. Namen, die genannt werden, werden nicht durch erdachte Namen ersetzt, sondern ebenfalls maskiert. Notation v nv
[unv.] [Wort] [6] fettgedruckt (Neue Mannschaften betreten das Spielfeld); (Gespräche)
[…] 03:20
Bedeutung Verbale Äußerungen laut Notationssystem. Beschreibung nonverbaler Handlungen. Die Beschreibung der nonverbalen Sequenzen folgt den grammatikalischen Regeln. Unverständliche Äußerungen. Vermutete Äußerung in unverständlichen Abschnitten. Anzahl der Sekunden von Gesprächspausen ab einer Sekunde. Betonungen, laut gesprochen. Beschreibungen bereits stattgefundener Handlungen in runden Klammern; auch Anmerkungen zur Szene oder kleinere Abschnitte, die nicht transkribiert werden. Die Anmerkungen werden in den Szenen nicht in jeder Spalte wiederholt und gelten dann für die gesamte Szene. Zeitliche Auslassungen zwischen den transkribierten Teilszenen. Im Transkript bezeichnet die Klammer Auslassungen verbaler Ausschnitte.
II | SOZIALE O RDNUNG IM S PORTUNTERRICHT
01:10 (Still-29-1) ? . , MerSo:: Lw v
Einen Kasten noch
Ergänzung der Zeit mit dem eingefügten Still. Steigende Intonation Sinkende Intonation kurze, wahrnehmbare Gesprächspause Abbruch eines Wortes Dehnung des vorherigen Lautes; ein Doppelpunkt entspricht ca. einer Sekunde. Äußerungen, die sich überlappen oder im direkten Anschluss vollzogen werden und deshalb noch in einer Zeitspalte zugeordnet werden.
Sind ja jetzt Groß- und Kleinschreibung: Die Großschreibung der verbalen Äußerungen erfolgt bei Substantiven, Eigennamen und beim Sprecherwechsel. Die Kleinschreibung der verbalen Äußerungen erfolgt auch nach Satzzeichen (bspw. Punkt). Damit folgt die Transkription nicht den syntaktischen Regeln der Interpunktion, sondern betont die Intonation durch Satzzeichen. S1m v
T ABELLENVERZEICHNIS Tab. 1: Die Konzeptualisierung des Verhaltens (Reckwitz, 2004a, S. 317). 36 Tab. 2: Darstellung der verschiedenen Ansätze (in Anlehnung an Reckwitz, 2003, S. 287ff.). 53
ABBILDUNGSVERZEICHNIS Abb. 1: Grundelemente der Theorie sozialer Praktiken (i. A. a. Reckwitz, 2003; 2012). 72 Abb. 2: Codierung des Materials und Darstellung der Transkript-Tabellen. 164 Abb. 3: Der Spielplan. 172
A NHANG
S TILL -V ERZEICHNIS Still-1: Frei-Räume Still-2: Organisierende Gleitzeit Still-3: Angeleitete Gleitzeit Still-4: Durchzählen Still-5: Sicherheit Still-6: Doings Still-7: Sayings Still-8: Entkleidung Still-9: Direkte Entkleidung Still-10: Körper-Ordnung Still-11: Anzeigen Still-12: Sitzordnung Still-13: Korrekturen I Still-14: Korrekturen II Still-15: Kulturelle Kohärenz Still-16: Observationsblicke Still-17: Blinde Flecken Still-18: Sanktionierende Blicke Still-19: Koordinierende Blicke Still-20: Gesprächsreservate Still-21: Schweigereservate Still-22: Virtuelle Materialität Still-23: Semipermeable Räume I Still-24: Semipermeable Räume II Still-25: Raum-Performance Still-26: Exempl. Exponieren Still-27: Rahmungsdifferenzen Still-28: Prosaische Wandlung Still-29: Ritualisierte Wandlung
175 178 182 187 191 199 203 212 218 220 221 224 228 231 233 247 253 257 262 271 275 288 292 293 299 304 309 322 324
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