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German Pages 258 [257] Year 2015
Fabian Lamp Soziale Arbeit zwischen Umverteilung und Anerkennung
Für I. und K.
Fabian Lamp (Dr. phil.), Diplom-Pädagoge, ist Lehrbeauftragter am Institut für Pädagogik der Universität Kiel und freiberuflich als Dozent für Pädagogik in der Erwachsenenbildung tätig.
Fabian Lamp
Soziale Arbeit zwischen Umverteilung und Anerkennung Der Umgang mit Differenz in der sozialpädagogischen Theorie und Praxis
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
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I NHALT
Einleitung Bedeutende Differenzverhältnisse in der Sozialpädagogik und deren Reflexion: Die Situation an der Schwelle zum 20. Jahrhundert Der Kampf um Gleichheit und Ungleichheit: Die Arbeiterbewegung und die Implementierung des Sozialstaats Kulturkritik und die Differenz der Generationen (I): Die Jugendbewegung Die erste Frauenbewegung und die Differenz der Geschlechter Die „Urdifferenz“ der Sozialen Arbeit: Normalität und Abweichung „Auffällige“, „kriminelle“, „verwahrloste“ Jugendliche und das Schweigen über die Sexualität Die Psychiatrie Die Behindertenpädagogik Zusammenfassung: Der frühe Blick der Sozialpädagogik auf Differenzverhältnisse Die systematische Philosophie als Orientierungsrahmen für die Differenzbearbeitung der Sozialen Arbeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts Soziale Arbeit und der Blick auf die Gesellschaft I: Soziale Arbeit als Befriedungsinstanz für soziale Ungleichheit und „soziale Zerklüftung“ Soziale Arbeit und der Blick auf das Individuum I: Erziehung zur Gemeinschaft Soziale Arbeit zwischen Hilfe und Kontrolle I: Protonormalismus Soziale Arbeit im Nationalsozialismus: Der homogene Volkskörper und die Auslöschung der Differenz Die Ausrichtung der Sozialen Arbeit an der nationalsozialistischen Ideologie Zusammenfassung: Der Umgang der Sozialen Arbeit mit Differenz im Nationalsozialismus Die Soziale Arbeit und der Blick auf die Gesellschaft II: Die Dominanz des „homogenen Volkskörpers“
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Die Soziale Arbeit und der Blick auf das Individuum II: Die nationalsozialistische Geringschätzung des Individuums Soziale Arbeit zwischen Hilfe und Kontrolle II: „Ausgrenzen“, „Aussondern“ und „Ausmerzen“ statt Ambivalenz von Hilfe und Kontrolle Die Differenzreflexion in der Sozialpädagogik nach 1968 Der Ausbau der Sozialen Arbeit vom repressiven Instrument des Ordnungsstaates zum strategischen Instrument der Sozialintegration Kulturkritik und die Differenz der Generationen: Die Studentenbewegung Die Differenz der Geschlechter: Die feministische Frauenbewegung und die Mädchenarbeit Eine weitere Dimension in der Differenz der Geschlechter: Die Anfänge der Jungen- und Männerforschung Sexualerziehung/Sexualpädagogik Die Interkulturelle Pädagogik Die Reflexion von Abweichung und Normalität in den 1970ern Jugend und Delinquenz Die Sozialpsychiatrie Die Behindertenpädagogik Zusammenfassung: Differenzreflexion nach 1968 Die Kritische Theorie als theoretischer Hintergrund der sozialpädagogischen Differenzreflexion in den Nach-68er-Jahren Soziale Arbeit und der Blick auf die Gesellschaft III: Politisierung von Ungleichheit und Verschiedenheit Soziale Arbeit und der Blick auf das Individuum III: Auf der Suche nach dem revolutionären Subjekt Soziale Arbeit zwischen Hilfe und Kontrolle III: Die Flexibilisierung der Normalität Die Bearbeitung von Differenzen in der Lebensweltorientierten Sozialen Arbeit Lebensweltorientierung in der Sozialen Arbeit Eine weitere aktuelle Bezugstheorie sozialpädagogischen Handelns: Reflexive Modernisierung Zusammenfassung: Differenzreflexion im Kontext der Lebensweltorientierten Sozialen Arbeit Soziale Arbeit und der Blick auf die Gesellschaft IV: Individualisierung, Entgrenzung und die Betonung der sozialen Ungleichheit im digitalen Kapitalismus Soziale Arbeit und der Blick auf das Individuum IV: Die Vernachlässigung des Subjektiven
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Soziale Arbeit zwischen Hilfe und Kontrolle IV: Therapeutokratie, Normalisierung der Hilfe oder Entdramatisierung des Gegensatzes von Hilfe und Kontrolle? 138 Differenzsensible Konzepte: Die Heterogenität als Ausgangspunkt sozialwissenschaftlicher Reflexion Die Postmoderne als Apologetin der Differenzsensibilität Das philosophische Konzept der Dekonstruktion Die Rezeption der Dekonstruktion in Genderforschung und Queer Theory Die Rezeption der Dekonstruktion in der Erziehungswissenschaft Differenzreflexion im Kontext der Cultural Studies Die Cultural Studies und die Begriffe der Hegemonie und der Performativität Postcolonial Studies/Postkolonialismus Die Xenologie/Fremdheitsforschung und die Konstruktion des Fremden Differenzreflexion im Kontext der Pädagogik der Vielfalt Differenzreflexion im Kontext des Diversity Managements Differenzreflexion im Kontext der Inclusive Education Zusammenfassung: Die Differenzreflexion im Kontext der differenzsensiblen Konzepte Der Blick auf die Gesellschaft V: Polykontexturalität und das Soziale als Diskurs Der Blick auf das Individuum V: Die Dezentrierung des Subjekts Das Spannungsfeld von Hilfe und Kontrolle V: Gouvernementalität und transnormalistische Suchhaltung
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Schluss: Anstöße aus den Differenzdiskussionen für die Soziale Arbeit Der Blick auf das soziale Feld Der Blick auf den Adressaten/die Adressatin Der selbstreflexive Blick Die pädagogische Beziehung Der Blick auf die Institutionen Der Blick auf die Disziplin
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Literaturverzeichnis
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Einleitung
Der Begriff der Gerechtigkeit ist ein umfassender, multiperspektivischer und multidimensionaler Grundbegriff der Ethik, der Rechts- und Sozialphilosophie, des politischen, sozialen, religiösen und juristischen Lebens, der bis heute nicht abschließend definiert ist (vgl. Höffe 2005) – genauer: der vermutlich gar nicht abschließend definierbar ist, weil es sich bei ihm um einen Kontextbegriff handelt, „der mit wechselnden Bezugsproblemen einem andauernden Bedeutungswandel unterliegt“ (Bude 2001, zit.n. Radtke 2006: 55). Für die Soziale Arbeit ist er dennoch unverzichtbar, und es wird nicht nur im Kontext der Sozialpädagogik gegenwärtig verstärkt über die Begriffe der Gleichheit bzw. Ungleichheit, über den Themenkomplex um Gleichheit und Differenz und um das Thema der Gerechtigkeit gestritten.1 In der neueren pädagogischen Debatte um Gerechtigkeit sind zwei Zielpunkte der Gerechtigkeit besonders betont und herausgearbeitet worden: die Aspekte der Gleichheit und der Anerkennung.2 Mit der Gerechtigkeit als
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Vgl. etwa die aktuellen Studien zur Sozialen Ungleichheit von Barlösius 2004, Berger/Schmidt 2004 oder die Aufsatzsammlung zum Themenkomplex Ungleichheit und Ungerechtigkeit (Bundeszentrale für politische Bildung 2005). Nolte (2005) nennt darüber hinaus noch den Zielpunkt der Fairness. Dieser bezieht sich v.a. auf die Gleichheit vor dem Gesetz. Ich vernachlässige diesen Punkt an dieser Stelle, weil er in pädagogischen Zusammenhängen weniger prominent behandelt wurde als die beiden Punkte der Anerkennung und der Gleichheit. Dies liegt m.E. an der Tatsache, dass die Frage der rechtlichen Fairness vor allem in politischen Zusammenhängen diskutiert wird und die Pädagogik darauf wenig direkten Einfluss hat. Gleichwohl kann auch der Punkt der Fairness in pädagogischen Bezügen von Relevanz sein, insbesondere dann, wenn bestimmte Personengruppen, die von fundamentalen Rechten ausgeschlossen bleiben (z.B. „illegale“ Migranten), in pädagogische Zusammenhänge einbezogen werden. Dass die rechtliche Gleichheit insbesondere für benachteiligte Gruppen von ganz
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Gleichheit wird zunächst die Frage nach dem Maßstab von Gleichheit angesprochen. Gleichheit kann sich beispielsweise auf die Gleichheit von Chancen oder auf die Gleichheit der materiellen Verteilung beziehen. Dabei ist mit der Gleichheit der materiellen Verteilung weniger eine tatsächliche Gleichheit gemeint, vielmehr wird hier Gleichheit als „gedanklicher Fluchtpunkt“ (ebd.) benutzt. In der berühmten Formel von John Rawls (vgl. Rawls 1994) bedeutet dieser gedankliche Fluchtpunkt, dass „jede faktische Ungleichheit auch den weniger Privilegierten mehr Vorteile bieten müsse als strikte Gleichheit. Sehr simplifiziert könnte man sagen: Eine kapitalistische Gesellschaft ist dann gerecht, wenn in ihr der Arbeiter mehr verdient als in einer kommunistischen“ (Nolte 2005: 19f.). Solange dieses Ideal nicht erreicht ist, wird mit einer Strategie der Umverteilung im kapitalistischen Wohlfahrtsstaat den weniger Privilegierten, den Armen, den Ausgebeuteten der unteren Klassen geholfen. Die Strategie der Umverteilung konzentriert sich somit auf die in der ökonomischen Struktur einer Gesellschaft verwurzelten sozioökonomischen Ungleichheiten.3 In Zeiten der Hochphase des umverteilenden Wohlfahrtsstaates der alten Bundesrepublik war diese Strategie durchaus erfolgreich – allerdings verliert diese Perspektive vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Krise des expansiven Wohlfahrtsstaates an politischer Kraft. Die Perspektive der Umverteilung verlor aber nicht nur wegen der – angeblich4 – knapper werdenden finanziellen staatlichen Mittel an Überzeugungskraft. Die Umverteilungspolitik war „implizit immer von dem Ideal einer ethnisch und kulturell homogenen Gesellschaft ausgegangen“ (Nolte 2005: 20) – eine Perspektive, die vor dem Hintergrund der heterogenen multikulturellen Gesellschaft und den Neuen Sozialen Bewegungen seit den 1970er Jahren kritisiert und brüchig wurde. Die Perspektive der Gerechtigkeit im Sinne von materieller Gleichheit, die mindestens bis in die 1980er Jahre in den sozialwissenschaftlichen Diskursen dominierte, wurde in der Folge von einer Perspektive der Anerkennung von Identitäten flankiert – und zunehmend sogar abgelöst. So geriet beispielsweise in großen Teilen des Feminismus oder der Cultural Studies die These von der kulturellen Konstruiertheit von geschlechtlichen bzw. ethnischen Identitäten in
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fundamentaler Bedeutung ist, wird mit der Entscheidung, diesen Punkt hier vorerst nicht zu diskutieren, nicht bestritten. Fraser nennt als Beispiele Ausbeutung, ökonomische Marginalisierung, Verarmung, vgl. Fraser 2003: 22. Auf das Thema der Steuergerechtigkeit kann an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden. Es wird allerdings verschiedentlich darauf hingewiesen, dass eine veränderte Steuergesetzgebung den Abbau des umverteilenden Sozialstaats stoppen könnte. Der Abbau des Wohlfahrtsstaates erscheint in dieser Perspektive nicht als Sachzwang, sondern als politisch gewollt, weil neoliberalen Vorstellungen von Politik folgend. Zum Neoliberalismus vgl. Willke 2003, als Befürworter neoliberaler Strategien gilt u.a. Milton Friedman (2002), als prominenter Kritiker des Neoliberalismus gilt Chomsky 2003.
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den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Vor diesem Hintergrund wurde gegenüber des bisherigen Fokusses auf die Strategie der Umverteilung nun eine Strategie der Anerkennung zur Erreichung von Gerechtigkeit propagiert. Die Strategie der Anerkennung wurde herausgearbeitet, um Phänomenen wie Geringschätzung, kulturellem Imperialismus oder Statushierarchien entgegen wirken zu können (vgl. Fraser 2004: 460). Gerechtigkeit im Sinne von Anerkennung meint somit die Forderung, die eigene soziale und kulturelle Identität verwirklichen zu können. „In einer vielfältigen und pluralistischen Gesellschaft dürfen unterschiedliche Identitäten gerade nicht dem Zwang zur Gleichförmigkeit unterworfen werden, sondern sie haben ein Recht darauf, von der Gemeinschaft Anerkennung (und Respekt) zu erfahren und damit so bleiben zu dürfen, wie sie sind“.5 Die Strategie der Anerkennung konzentriert sich somit auf Ungerechtigkeiten, „die als kulturelle verstanden werden und von denen angenommen wird, dass sie in gesellschaftlich dominanten Repräsentations-, Interpretations- und Kommunikationsmustern verwurzelt sind“ (Fraser 2003: 22f.). Allerdings sind inzwischen auch die Grenzen der Strategie der Gerechtigkeit als Anerkennung in das öffentliche Bewusstsein getreten. So endet die Plausibilität der Anerkennung zum einen dort, „wo grundlegende Werte des zivilen Zusammenlebens, des Rechtsstaates, der Freiheit und der Gleichberechtigung in Frage gestellt werden“ (Nolte 2005: 20). Häufig genannte Beispiele für solche Grenzen der Anerkennung beziehen sich beispielsweise auf rechtsradikale Gesinnungen und Übergriffe auf Migranten, oder auf so genannte Ehrenmorde und Beschneidungspraktiken, also Verbrechen gegen Frauen, die unter dem Vorwand der Religiosität begangen werden. „Zum anderen hört sie [die Anerkennung, F.L.] dort auf, wo kulturelle Verschiedenheit nicht in die offene Pluralität von Lebensstilen mündet, sondern Zonen der Benachteiligung, der Minderung von Lebenschancen, zumal von Kindern, etabliert und verfestigt [werden]“ (ebd.). Die Soziale Arbeit ist in den Themenkomplex um Gleichheit und Gerechtigkeit und deren Bearbeitung konstitutiv eingebunden und ist dazu angehalten, einen angemessenen Begriff von Gerechtigkeit zu formulieren. Die Differenzverhältnisse, die im Kontext der Gerechtigkeitsdiskurse als Spannungs- und Konfliktlinien ausgemacht werden können, sind gleichzeitig jene, die die Soziale Arbeit seit jeher strukturieren. Wesentliche klassische Konfliktlinien, die insbesondere in der Gründungszeit der modernen Sozialen Arbeit Ende des 19. Jahrhunderts relevant waren, seien hier kurz skizziert. Als grundsätzliche Spannungslinie im Kontext der Gerechtigkeit gilt das Differenzverhältnis von
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Nolte 2005: 19. Vgl. zur Diskussion um Anerkennung grundlegend auch Honneth 1990 und ders. 1992 sowie Taylor 1993. Zur Frage von Umverteilung und Anerkennung vgl. Fraser/Honneth 2003.
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DER UMGANG DER SOZIALEN ARBEIT MIT DIFFERENZ
„Arm“ und „Reich“, oder anders: von Bürgertum und Proletariat, von Kapital und Arbeit im sozialökonomischen Klassensystem. In Reaktion auf und zur Befriedung dieser Differenz wurde Ende des 19. Jahrhunderts eine Sozialpolitik der Umverteilung ins Werk gesetzt, die gleichzeitig als strukturelle Vorraussetzung der Implementierung moderner Sozialer Arbeit gelten kann, und mit der die Soziale Arbeit bis heute konstitutiv verwoben bleibt (vgl. Niemeyer 2005). Ein weiteres relevantes Differenzverhältnis im Kontext der Gerechtigkeit und der Sozialen Arbeit ist die Differenz der Generationen. Soziapolitisch betrachtet besteht die Relevanz des Generationenverhältnisses im Sozialversicherungsprinzip mit seinem Umlageverfahren: „man sorgt für die Kinder, weil diese als Erwachsene für ihre eigenen Eltern, die dann Alten, sorgen, aber auch deshalb, weil die Kinder wiederum für ihre Kinder sorgen werden“ (Nolte 2005: 21). Für die Pädagogik im Allgemeinen und die Soziale Arbeit im Besonderen gehört die Generationendifferenz indes zu den anthropologischen Grundkonstanten: Pädagogik bzw. Erziehung kann in dieser Sichtweise definiert werden als Weitergabe des jeweiligen gesellschaftlichen Kulturguts von der älteren an die jüngere Generation. Darüber hinaus kam der modernen Sozialen Arbeit in ihrem gleichzeitigen Kontroll- und Hilfeauftrag schon immer die Aufgabe zu, jugendkulturelle Proteste gegen das Überkommene in gesellschaftlich akzeptierte Bahnen zu kanalisieren bzw. dem Klientel zu helfen, ihr Leben in Übereinstimmung mit gesellschaftlich geprägten Vorstellungen eines gelingenden Lebens zu bewältigen.6 Als drittes wesentliches Spannungsfeld des Diskurses um (Un-)Gleichheit und Gerechtigkeit, das zeitgleich auch für die Soziale Arbeit relevant ist, kann die Geschlechterdifferenz benannt werden. In der kulturellen Moderne – die mit den Erziehungsidealen der Aufklärung, Bildung und Humanität im „pädagogischen Jahrhundert“ (vgl. Scheuerl 1992: 45-117) auch als Gründungszeit der modernen allgemeinen Pädagogik gelten kann – kommt es zu einer spezifischen Codierung der Geschlechter. Biologisch geprägte Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit und die damit zusammenhängenden soziokulturellen Strukturen von Privatheit und Öffentlichkeit prägen überwiegend die Perspektive auf die Geschlechterdifferenz. Für die Diskurse um Gleichheit und Gerechtigkeit sowie für die Soziale Arbeit wird die Geschlechterdifferenz insbesondere im Kontext der ersten Frauenbewegung, die die bestehende Hierarchie in der Geschlechterordnung kritisiert, relevant. Schließlich kann als eine vierte relevante Differenz im Zusammenhang von Gleichheit und Gerechtigkeit die Differenz von Normalität und Abweichung
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Zum Zusammenhang von Generation und Pädagogik vgl. Böhnisch 1996: 105120 sowie Ecarius 1998 und Schweppe 2002.
EINLEITUNG
thematisiert werden. Diese Differenz kann aus der Sicht der Sozialen Arbeit gleichsam als Urdifferenz in dem Sinne gekennzeichnet werden, als der Sozialen Arbeit gesellschaftlich die Aufgabe zugewiesen wird, zwischen Individuum und Gesellschaft zu vermitteln, wobei in diese Vermittlungsarbeit die Ambivalenz von Hilfe und Kontrolle konstitutiv eingeschlossen ist (vgl. Otto/ Seelmayer 2004: 45). Dabei haben je spezifische historische Vorstellungen von Normalität und Abweichung enormen Einfluss darauf, mit welcher Schwerpunktsetzung die Soziale Arbeit die Ambivalenz von Hilfe und Kontrolle ausbuchstabiert. Neben die eben in aller Kürze dargestellten wesentlichen Konfliktlinien, die zum Ende des 19. Jahrhunderts virulent waren, und dies – unter anderen ökonomischen, gesellschaftlich-sozialen und kulturellen Voraussetzungen – bis heute geblieben sind, sind zu Beginn des 21. Jahrhunderts weitere Differenzverhältnisse getreten. An ihnen entzünden sich auch heute die Diskussionen um Gleichheit/Ungleichheit und Gerechtigkeit, und insofern ist auch die Soziale Arbeit mit ihnen befasst. So spielt insbesondere die Unterscheidung von zugewanderter und einheimischer Bevölkerung eine wesentliche Rolle im öffentlichen Diskurs.7 Zusätzlich zur Spannungslinie der ethnischen Herkunft ist in dieses Konfliktfeld verstärkt die Spannungslinie verschiedener Religionen eingewoben. Deutlich wurde dies zu Beginn des Jahres 2006 im Zusammenhang mit den von zahlreichen Muslimen als diskriminierend empfundenen Mohammed-Karikaturen. Auch für die Soziale Arbeit in der Bundesrepublik bedeuten die Differenzverhältnisse der ethnischen Herkunft bzw. der Religionen eine Herausforderung: So wird sich Soziale Arbeit in Zukunft nicht zuletzt daran messen lassen müssen, ob es ihr gelingt, systematisch die Bedingungen einer Einwanderungsgesellschaft in ihre disziplinären Überlegungen einzubeziehen.8 So ist die Ausgangssituation der vorliegenden Arbeit in Bezug auf die Frage von Gleichheit und Gerechtigkeit paradox: sowohl das sozialstaatliche Instrument der Umverteilung als auch der Begriff der Anerkennung reichen alleingenommen nicht aus, um den Diskurs um Gleichheit und Gerechtigkeit im Spannungsfeld von verschiedenen Differenzverhältnissen wie Klassen, Generationen, Geschlecht, Ethnien oder Religionen hinreichend zu strukturieren und Vorstellungen von Gerechtigkeit abzuleiten, die im Rahmen sozialer Ar-
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Aktuelles Beispiel: die Randalen in den Vorstädten Frankreichs Ende 2005, in denen arbeitslose Jugendliche, überwiegend Kinder von Zuwanderern, ihrer Hoffnungslosigkeit randalierend Ausdruck verliehen. Vgl. Schröer/Sting 2004. Die Liste der für die Diskurse um Gleichheit, Gerechtigkeit und Soziale Arbeit relevanten Differenzverhältnisse ließe sich weiter fortsetzen. Es wird allerdings an dieser Stelle darauf verzichtet. In den einzelnen Kapiteln kann diese Frage wieder aufgenommen werden.
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DER UMGANG DER SOZIALEN ARBEIT MIT DIFFERENZ
beit verfolgt werden können. Vor diesem Hintergrund haben zuletzt Böhnisch/ Schröer/Thiersch in Anlehnung an den 2. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung (vgl. Deutsche Bundesregierung 2005) den Begriff der „Zugangsgerechtigkeit“ (vgl. Böhnisch/Schröer/Thiersch 2005: 247-258) als angemessenes Verständnis von Sozialer Gerechtigkeit für die Soziale Arbeit vorgeschlagen. Die Aufgabe der Sozialen Arbeit kann demnach definiert werden als „Arbeit an der Schaffung gerechter Zugänge zu Ressourcen der Lebensgestaltung wie zur Erreichung gesellschaftlich anerkannter Ziele und Integrationswege“ (Böhnisch/Thiersch/Schröer 2005: 251). Im sozialpädagogischen Zielpunkt der Schaffung von Zugangsgerechtigkeit müssen also zum Einen die sozialstrukturelle Seite, also die Fragen nach der sozialökonomischen Verteilung gesellschaftlicher Güter, sowie die Lebenslagen der Personen reflektiert werden. Zum anderen darf die interaktionstheoretische Seite der Gleichheit und Gerechtigkeit, die Anerkennung im Sinne des Respekts vor der Eigenheit des Anderen, gerade in pädagogischen Kontexten, nicht vernachlässigt werden. Nancy Fraser hat zuerst auf die Notwendigkeit einer solchen „zweidimensionalen Konzeption von Gerechtigkeit“ (Fraser 2003 und 2004) im Kontext feministischer Politik hingewiesen. Dabei kann diese zweidimensionale Konzeption von Gerechtigkeit auch auf die Soziale Arbeit übertragen werden. Fraser selbst weist darauf hin, dass das zweidimensionale Konzept nicht auf die Differenz der Geschlechter, auf die Fraser sich vorrangig bezieht, begrenzt ist. Vielmehr vermutet sie, dass „möglicherweise alle Achsen der Ungerechtigkeit in der wirklichen Welt zweidimensional sind“ (Fraser 2004: 459). Während also ein großer Teil feministischer und kultureller Studien seit den 1990er Jahren verstärkt auf den Aspekt der Anerkennung als probaten Weg zur Gleichberechtigung setzt, und Fraser einen zweidimensionales Konzept von Gerechtigkeit vorschlägt, hatte die Soziale Arbeit in ihrer Geschichte verstärkt die Umverteilungsperspektive und die Gleichheit im Blick. Gemäß ihrer stärkeren Verbundenheit mit den Implikationen der sozialen Frage9 und dem gesellschaftlichen Normalisierungsauftrag bezog sie vor allem materielle Ungleichheiten, die Umverteilungsperspektive sowie die Differenz von Normalität und Abweichung in ihre Analysen ein. Ein spezifischer Blick auf das Individuum, seine triebhaften Strukturen – Christian Niemeyer nennt dies in Abgrenzung zur sozialen Frage die „sexuelle Frage“10 – und auch der hinterfragende Blick auf
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Zur Entstehung der sozialen Frage und der Sozialen Arbeit in der Moderne vgl. Blankertz 1992, Hering/Münchmeier 2003. Diese enge Verbindung von Sozialpädagogik und sozialer Frage lässt sich bis heute nachweisen, vgl. dazu Niemeyer 2005: 2. 10 Niemeyer macht in einem lesenswerten polemischen Essay auf die sozialpädagogische Fokussierung der sozialen Frage und die damit einhergehende Verdeckung der sexuellen Frage aufmerksam. Er macht auf die Zusammenhänge von
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EINLEITUNG
den oder die pädagogisch Handelnde(n) selbst wird in dieser sozialstrukturell geprägten Sichtweise vernachlässigt. Die Perspektive der individuellen Verschiedenheit und deren Anerkennung gerät in der klassisch sozialpädagogischen Lesart sehr schnell in den Verdacht, soziale Ungleichheiten zu pädagogisieren, zu individualisieren und damit die sozialstrukturelle Rückgebundenheit der Ungleichheit zu vernachlässigen. Vor dem eben geschilderten Hintergrund geht es in der vorliegenden Arbeit zunächst um eine historische Vergewisserung des Themas Umgang mit Differenz und (Un-)Gleichheit in der Geschichte der Sozialen Arbeit. Das Thema der Differenz ist, obwohl die Soziale Arbeit seit ihrer Entstehung unauflöslich mit ihm verbunden ist, historisch bisher nur unzureichend aufgearbeitet worden.11 Wenn die Differenz im Fokus der Pädagogik stand, dann vorwiegend unter allgemein erziehungswissenschaftlicher Perspektive (vgl. Lutz/Wenning 2001 und Wenning 2004), im Kontext der Schule (vgl. PreussLausitz 1993, Prengel 1995, Wenning 1999) oder im Zusammenhang mit unterschiedlichen Neuen Sozialen Bewegungen (vgl. Prengel 1995). Eine Ausnahme bildet der von Kleve/Koch/Müller herausgegebene Sammelband zum Thema „Differenz und Soziale Arbeit“ (vgl. Kleve/Koch/Müller 2003). Hier finden sich interessante Anregungen für den Themenkomplex, die allerdings wegen der Konzeption als Sammelband nur angerissen werden können. Die im letzten Teil der Arbeit als differenzsensibel vorgestellten Konzepte haben in den vergangenen Jahren zum Teil eine erhöhte Aufmerksamkeit in der Sozialen Arbeit erfahren. So wurden etwa die Geschlechterforschung und zunehmend auch der Bereich der interkulturellen Arbeit relativ breit rezipiert. Andere differenzorientierte Konzepte, etwa die Cultural Studies oder die Postcolonial Studies wurden hingegen nur ausnahmsweise wahrgenommen.12 Um den Umgang mit (Un-)Gleichheit und Differenz in Geschichte und Gegenwart der Sozialen Arbeit systematisch zu erhellen, wird – disziplinär offen und mit diskursorientiertem Blick – anhand von vier historisch bedeutsamen Zeiträumen untersucht, wie das Spannungsfeld von Gleichheit und Differenz in der Sozialen Arbeit jeweils bearbeitet wurde. Dabei bietet sich als erster zu untersuchender Zeitraum die Periode um die Jahrhundertwende vom 19. Psychoanalyse und Sozialer Arbeit um 1900 sowie auf die Vernachlässigung dieser Diskurse in der folgenden Sozialpädagogik des 20. Jahrhunderts aufmerksam und plädiert dafür, die Psychoanalyse in ihrer handlungsmethodologischen Relevanz für die Soziale Arbeit wieder zu entdecken. Vgl. Niemeyer 2005. 11 Darauf weist auch Maurer (2001) hin, die von der (De-)Thematisierung von Differenz im Kontext der Sozialpädagogik spricht. 12 Zumindest für die Cultural Studies scheint sich hier eine Veränderung abzuzeichnen. So ist für das Frühjahr 2006 eine Aufsatzsammlung über Cultural Studies und Pädagogik angekündigt (vgl. Mecheril/Witsch 2006). Ganz aktuell plädiert auch Brumlik dafür, Pädagogik als kritische Kulturwissenschaft zu formulieren (vgl. Brumlik 2006).
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DER UMGANG DER SOZIALEN ARBEIT MIT DIFFERENZ
zum 20. Jahrhundert an. Dieser Abschnitt gilt als Entstehungszeit der modernen Sozialen Arbeit, und die oben angesprochenen Spannungslinien von Gleichheit und Gerechtigkeit – die Differenz der sozialen Klassen, die Generationendifferenz, die Geschlechterdifferenz und die Differenz von Abweichung und Normalität – können hier paradigmatisch nachvollzogen werden: die Klassendifferenz im Kontext der Arbeiterbewegung, die Generationendifferenz im Kontext der Jugendbewegung, die Geschlechterdifferenz im Kontext der ersten Frauenbewegung und die Differenz von Abweichung und Normalität anhand der ausgewählten Beispiele von den damals so bezeichneten „verwahrlosten“ Jugendlichen, psychisch erkrankter und behinderter Menschen sowie anhand der Frage nach dem Umgang mit Sexualität. Nach einem Blick auf den spezifischen Umgang mit (Un-)Gleichheit und Differenz in der Zeit des Nationalsozialismus wird als dritter Zeitraum die Periode nach 1968 untersucht. In den Jahren nach 1968 veränderte sich die Soziale Arbeit – nicht zuletzt in verspäteter Reaktion auf den Nationalsozialismus – nachhaltig, stabilisierte sich als sozialer Dienstleistungsbereich und differenzierte sich disziplinär enorm aus. Darüber hinaus wurden in diesem Zeitraum neue Spannungslinien im Kontext der Gleichheit und Gerechtigkeit relevant: Ergänzend zu den oben bereits genannten Differenzverhältnissen wurde begonnen, das Geschlechterverhältnis auch aus der Sicht der Männer zu analysieren, im Kontext des sich allmählich entwickelnden Handlungs- und Forschungsfeldes der Sexualpädagogik und vor dem Hintergrund der Schwulen- und Lesbenbewegung wurden neue Spannungslinien im Bereich der sexuellen Lebensweisen relevant. Auf die Differenz der zugewanderten und der einheimischen Bevölkerung wurde oben bereits kurz eingegangen. Diese Spannungslinie wurde in den 1970er Jahren zunächst im pädagogischen Handlungsfeld der Schule virulent, bevor es zu einem Gegenstand der zunächst noch so genannten Ausländerpädagogik wurde. Stellvertretend für die derzeitige Soziale Arbeit wird danach das seit den 1980er Jahren führende Konzept der Lebensweltorientierten Sozialen Arbeit in Bezug auf seinen Umgang mit Gerechtigkeit, Gleichheit und Differenz untersucht. Um die zum Teil sehr unterschiedlichen Dimensionen der Differenz in den untersuchten Zeitabschnitten zu bündeln, wird in Anschluss an die einzelnen Kapitel jeweils eine Zusammenfassung erfolgen. Diese bezieht sich zum ersten auf den jeweils dominierenden philosophischen Hintergrund der Differenzbearbeitung. Die dazu herangezogenen philosophischen Konzeptionen repräsentieren dabei grundlegende historisch-spezifische Orientierungen in der Differenzbearbeitung und können somit als heuristisches Instrument zur Verdeutlichung der spezifischen Differenzbearbeitung herangezogen werden. Zweitens wird, analog zu den oben geforderten Dimensionen der Gerechtigkeit, der zeitgenössische sozialpädagogische Blick auf das Individuum (stellvertretend für die interaktionelle Dimension der sozialen Arbeit) und drittens der sozialpäd16
EINLEITUNG
agogische Blick auf die Gesellschaft (stellvertretend für die sozialstrukturelle Dimension der Sozialen Arbeit) herausgearbeitet. Schließlich wird der für die Soziale Arbeit als konstitutiv zu bezeichnende Umgang mit Normalität und Abweichung beleuchtet. Denn in diesem Punkt kristallisiert sich das Selbstverständnis der Sozialen Arbeit insofern ganz besonders deutlich heraus, als auf Basis der normativen Grundlage jeweils entschieden wird, ob Soziale Arbeit mit einem Schwerpunkt auf dem Kontrollaspekt oder mit einem Schwerpunkt auf dem Hilfeaspekt ausbuchstabiert wird, bzw. ausbuchstabiert werden kann. Schließlich wird die Frage diskutiert, wie Soziale Arbeit zu Beginn des 21. Jahrhunderts strukturiert sein müsste, um das Ziel der Schaffung von Zugangsgerechtigkeit angemessen verfolgen zu können. Zu diesem Zweck wäre es hilfreich, so meine These, wenn die Soziale Arbeit vermehrt Erkenntnisse aus verschiedenen sozialwissenschaftlichen Forschungsbereichen, die hier zunächst zusammenfassend als differenzsensible Konzepte bezeichnet werden, rezipieren und in ihre jeweiligen Theorie- und Handlungskonzepte integrieren würde. Zu diesen differenzsensiblen Forschungsbereichen können verschiedene Ansätze zählen, die z.T. recht unterschiedlicher theoretischer Provenienz sind, die aber vor dem Hintergrund ihres gemeinsamen Themas der Differenzorientierung hier zusammen behandelt werden können: Es sind dies die auf die Philosophie des Poststrukturalismus zurückgehenden dekonstruktiven Ansätze (vgl. Fritzsche et al. 2001) vor allem in der feministischen Erziehungswissenschaft (vgl. Lemmermöhle et al. 2000), die aus den gay und lesbian studies weiterentwickelte Queer Theory (vgl. zur Einführung Jagose 2001, Kraß 2003), die als Subdisziplin der Erziehungswissenschaft zu verortende Pädagogik der Vielfalt (vgl. Prengel 1995), Erkenntnisse aus Cultural und Postcolonial Studies (vgl. Nünning/Nünning 2003) und die eher funktionalisierte Variante des Managing Diversity (vgl. Gardenswartz/Rowe 1998, Koall 2001, Koall et al. 2002), die v.a. in der modernen Managementliteratur und in der Unternehmenspraxis verhandelt wird. Vor dem Hintergrund der bisher vorwiegend eingenommenen Umverteilungsperspektive in der Sozialen Arbeit könnte eine solche Rezeption differenzsensibler Konzepte die Soziale Arbeit dahingehend qualifizieren, den Aspekt der kulturellen Auseinandersetzung, und damit die intersubjektive Anerkennung, zu stärken, der für eine umfassende Konzeption von Gerechtigkeit zu Beginn des 21. Jahrhunderts unverzichtbar ist. Gleichzeitig sollte die Soziale Arbeit jedoch nicht die sozialen Kämpfe, die sie bisher vorrangig im Blick hatte, den kulturellen Kämpfen unterordnen, wie Fraser es für den Bereich des Feminismus beklagt. Soziale Arbeit sollte sich vor dem Hintergrund der gegenwärtig zunehmenden sozialen Ungleichheit, fortschreitender Desintegrationstendenzen und der drohenden Folge der Degradierung der Sozialpädagogik zu einer bloßen „Exklusionsverwalterin“ (Scherr 1999: 51ff.) im „schlanken“ Sozialstaat auf die Wurzeln ihrer Erfolgsgeschichte im 20.Jahrhundert besinnen: auf die Funktion, „‚Normalisierungsarbeit‘ zu leis17
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ten, soziale Stabilität und Sicherheit sekundär dort zu gewährleisten, wo sie nicht von alleine zustande kommt […]“ (Rauschenbach 1999: 31). Dies kann sie – so die These – besser und effektiver ermöglichen, wenn sie den demokratischen Differenzbegriff einer Pädagogik der Vielfalt mit den gleichzeitig zu beachtenden Dimensionen Gleichheit und Verschiedenheit (vgl. Prengel 1995), die Impulse einer dekonstruktiven Pädagogik, der Queer Theory, der Cultural und Postcolonial Studies und des Diversity Managements in ihre Theorie und Praxis integriert. Zu einer umfassenden Konzeption von Gerechtigkeit gehören beide Perspektiven, die Perspektive der Anerkennung und die Perspektive der Umverteilung. Beide Perspektiven müssen in einer Sozialen Arbeit, die sich dem Ziel der Zugangsgerechtigkeit verschrieben hat, zusammengebracht werden und dürfen nicht in der irreführenden Dichotomie eines „Entweder–Oder“ auseinander dividiert werden.
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Bedeutende Differenzverhältnisse in der Sozialpädagogik und deren Reflexion: Die Situation an der Schwelle zum 20. Jahrhundert
Wie in der Einleitung angekündigt, geht es im folgenden Punkt um den Umgang der Sozialen Arbeit mit Differenz am Ende des 19., bzw. zu Anfang des 20. Jahrhunderts. Diese Thematik wird hier entlang der bereits angesprochenen Differenzverhältnisse der sozialen Klassen, der Generationen, der Geschlechter und in Bezug auf die Differenz von Abweichung und Normalität strukturiert.
Der Kampf um Gleichheit und Ungleichheit: Die Arbeiterbewegung und die Implementierung des Sozialstaats Für die Entwicklung der modernen Sozialpädagogik im späten 19. Jahrhundert waren die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen im Kontext der Industrialisierung von entscheidender Bedeutung. Im 19. Jahrhundert entwickelte sich das Deutsche Reich von einem Agrar- zu einem Industriestaat. Die mit der fortschreitenden Industrialisierung einhergehenden sozialstrukturellen Veränderungen, der Wechsel vieler Millionen Menschen aus landwirtschaftlicher Arbeit, und damit wirtschaftlicher Selbständigkeit, in lohnabhängige gewerblich-industrielle Arbeitsverhältnisse, und eine zunehmende Verstädterung brachten insbesondere für die rasch wachsende Schicht der indus-
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triellen Lohnarbeiter 1 soziale Probleme mit sich: In den Städten lebten die Menschen ohne jeglichen Versicherungsschutz in Elendsquartieren zur Miete, die sie nur so lange bezahlen konnten, wie sie einer Erwerbsarbeit nachgingen. Insbesondere zwischen dem ersten Schub der Industrialisierung (bis ca. 1870) und einer zweiten hochkonjunkturellen Phase durch die beginnende Elektrifizierung (ab 1890) ließ eine anhaltende, „große Depression“ die Erwerbslosigkeit und damit die Armut in einem bis dahin ungekannten Ausmaß steigen. Die bereits seit dem Mittelalter bestehende kommunale Armenfürsorge war strukturell immer weniger dazu in der Lage, der schnell wachsenden Armut in den Städten zu begegnen. Bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatten sich Teile der von der Armut besonders betroffenen lohnabhängigen Arbeiter mit dem Ziel zusammengeschlossen, die völlig unzureichenden sozialen, wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse zu ihren Gunsten zu verbessern. 2 Nachdem diese ersten Revolten vom preußischen Militär blutig niedergeschlagen wurden, begann sich erst in den 1860er Jahren erneut eine politische Arbeiterbewegung zu formieren. In ihr fanden sich sowohl Gruppierungen, die den gewaltsamen Klassenkampf ablehnten, 3 als auch solche, deren Ziel es blieb, „den Kapitalismus in die ‚nächsthöhere Stufe‘ gesellschaftlicher Entwicklung, den Sozialismus“, zu transformieren (Lange 2001: 61). Sie forderten also nichts weniger als eine Revolution und eine gesellschaftliche Neuordnung. Auch die zwischenzeitlich erlassenen Sozialistengesetze konnten den stetigen Zustrom zu den Organisationen der Arbeiterbewegung nicht reduzieren. Durch diese Entwicklung sah sich Reichskanzler Otto von Bismarck (1815-1898) zu einer konstruktiven Sozialpolitik genötigt. Von staatlicher Seite begann man mit einer Modernisierung der Fürsorge, um den wesentlichen sozialen Konflikten der Arbeitsgesellschaft wirksamer begegnen zu können. Mit dem Ausbau des wohlfahrtsstaatlichen Systems, genauer: der Einführung der Krankenversicherung 1883, der Unfallversicherung 1884, der Alters- und Hinterbliebenenversicherung 1889, reagiert man auf „die Standardrisiken des Arbeitslebens: Krankheit und Alter, Unfälle und Ausfälle, Lohnverfall und Arbeitslosigkeit“ (Pankoke 2001: 1679). Die Verbesserungen in der Sozialgesetzgebung, lange Zeit von anderen Staaten zum Vorbild genommen, wurden von der sozialdemokratischen Führung als völlig unzureichend kritisiert. Es wurde durch die positive staatliche Sozialpolitik auch nicht das ursprünglich anvisierte Ziel erreicht, die Arbeiter für den Staat zu gewinnen und die Sozialdemokratische 1 2 3 20
Die Zahl der Industriearbeiter verdoppelte sich in der Zeit von 1887 bis 1914, vgl. Grebing 1966: 96. In diesem Kontext kam es 1844 zum Aufstand der schlesischen Weber, vgl. Müller 2002: 172. So Lasalle und Bebel, vgl. Müller 2002: 172.
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Partei zu schwächen. Darüber hinaus griff das wohlfahrtsstaatliche System nur für jene Menschen, die finanziell in der Lage waren, ihre Beiträge für die jeweiligen Versicherungen zu zahlen. Für die zahlreichen arbeitslosen, völlig mittellosen Menschen bedeutete es kaum eine Verbesserung. Das gesamte Wohlfahrtssystem präsentierte sich durch die Trennung von Arbeiter- und Armenfrage fortan in einer doppelten Struktur: Einerseits bestand das eben beschriebene sozialpolitische Instrument des Versicherungssystems, das für die Masse der Beitragszahlenden das Auftreten sozialer Notlagen verhindern sollte. Andererseits existierte die Armenfürsorge für jene, die überhaupt nicht in den kapitalistischen Arbeitsprozess eingebunden und deshalb aus dem Raster des Versicherungssystems heraus gefallen waren. Die Soziale Arbeit fand ihr Wirkungsfeld in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eher in der modernisierten Form der kommunalen Armenfürsorge, die sich seit der Mitte des Jahrhunderts entwickelt hatte. Dabei wurde die Armenfrage, die sich mit dem verbreiteten Elend in den schnell gewachsenen Städten stellte, vom Staat differenziert beantwortet: Einerseits konnte die rasche Reaktion – bereits Mitte des 19. Jahrhunderts wurden mit der Implementierung des Elberfelder Systems (vgl. Sachße 2003: 36ff.) die ersten Reformen der Armenhilfe eingeleitet und umgesetzt – darauf hindeuten, dass man der sozialen Ungleichheit in Form von Massenarmut ernsthaft begegnen wollte. Andererseits waren die neuen Hilfeformen so ausgerichtet, dass das Elend strikt individualisiert wurde. Jeder Einzelfall wurde peinlich genau von kommunalen Prüfern untersucht, entschieden und in seinem weiteren Verlauf beobachtet. Mittels dieser repressiven Vorgehensweise versuchte die Obrigkeit, die dargebotene Hilfe so unattraktiv wie möglich zu gestalten, um Armut als abschreckendes Individualschicksal wirken lassen zu können (vgl. Eyferth 1984, Hering/Münchmeier 2003: 28). Die massenweise Verelendung konnte so als individuelle Abweichung etikettiert und dem sozialarbeiterischen bzw. wohlfahrtsstaatlichen, stark kontrollierenden System zugeführt werden. Die Pädagogisierung der Armut (Münchmeier 1992: 29), also die Überführung der strukturell begründeten Armut in die Verantwortlichkeit der von der Notlage betroffenen Person, erlaubte es dem frühen Sozialstaat einerseits, die offensichtlich bestehenden Notlagen nicht einfach zu leugnen und zu übersehen. Andererseits erlaubte sie ihm aber, das staatliche Engagement in repressiver Art auf das Individuum zu begrenzen, ohne die industriekapitalistische Grundstruktur in Frage stellen zu müssen. Die Bemühungen der Armenfürsorge zum Beginn ihrer Implementierung erfolgten mithin nicht primär aus sozialen Motiven. Vielmehr stand die Absicht im Vordergrund, die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten. Das im Kontext der staatlichen Fürsorge implementierte Elberfelder und später das Straßburger System (vgl. Sachße 2001) konnten nur unter einer polizei- und ordnungsrechtlichen Sichtweise reüssieren, entlasteten sie doch die kommuna-
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len Kassen und damit die steuerliche Belastung des Besitzbürgertums (vgl. Sachße 1980 und Sachße/Tennstedt 1988). Die Notwendigkeit einer besseren Koordination von kommunaler und staatlicher sozialer Hilfe wurde während und nach dem Ersten Weltkrieg, dessen soziale Verwerfungen bedeutsame Folgen für die Organisation der Sozialen Arbeit hatten, immer deutlicher. Der Krieg und seine Folgen – kriegsbedingte Invalidität, Verwaisung und Verwitwung – zwangen den Staat zum Handeln, und legten so die Grundlage für eine planmäßig koordinierte staatliche Sozialpolitik. Da nun die durch den Krieg in Not geratenen Menschen nicht mehr nach der bisher geltenden diskriminierenden Vorgehensweise, der individuellen Prüfung der Bedürftigkeit, behandelt werden konnten, wurde ein Rechtsanspruch eingeräumt. „Der Grundgedanke sozialstaatlich gewährleisteter Solidarität [wird] zum ersten Mal akzeptiert und praktisch wirksam: dass die größere Gemeinschaft (Staat) der in Not geratenen kleinen Gemeinschaft (Familie) gegenüber zur Hilfeleistung verpflichtet ist“ (Hering/Münchmeier 2003: 96). Mit dieser rechtlichen Veränderung wurde schon früh der Kontext und der Auftrag der Hilfe durch Soziale Arbeit und materielle Unterstützung durch den Sozialstaat festgeschrieben. Durch die Auswirkungen der gesellschaftlichen Umbrüche, die Strukturwandlungen durch die Industrialisierung und nicht zuletzt durch die Forderungen der Arbeiterbewegung nach besseren Arbeitsbedingungen wurde die Politik dazu veranlasst, für eine Angleichung der Lebensbedingungen und Chancengleichheit zu sorgen. Die soziale Ungleichheit, also die beobachtbare Differenz von besser- und schlechter- bzw. höher- und tiefergestellten Individuen, das Aufkommen der Sozialen Frage und die darauf folgenden Reaktionen im ausgehenden 19. Jahrhundert führten zu einer enormen Verbesserung und einer Systematisierung der Hilfstechniken der Sozialen Arbeit. Es gab nun einen gesetzlichen Auftrag für die Soziale Arbeit, sich der aufkommenden sozialen Probleme, die mehr und mehr eine Bedrohung für den inneren Frieden und die gesellschaftliche Integration darstellten, anzunehmen. Zwei Aspekte sind im Zusammenhang mit der Differenz der sozialen Klassen und der Bearbeitung dieser Differenz von besonderem Interesse: zum einen die Transformation der Armut von einer „Individuallage“ zu einer „Klassenlage“ (vgl. Böhnisch/Arnold/Schröer 1999: 27ff.), zum anderen die Rolle, die der Nationalstaat dabei spielte (vgl. Böhnisch/Arnold/Schröer 1999: 43ff.). Voraussetzung für die Implementierung einer geregelten Sozialpolitik war die Erkenntnis, dass es sich bei dem Phänomen der sozialen Ungleichheit um die Folge eines tiefgreifenden sozialen Strukturwandels in Folge der Industrialisierung handelte. Vor dieser Erkenntnis war Armut vor allem als Problem des In-
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dividuums verhandelt worden,4 spätestens mit dem Erscheinen des Kommunistischen Manifests von Marx und Engels im Jahr 1848 jedoch wurde die Individuallage zur Klassenlage (vgl. Böhnisch/Arnold/Schröer 1999: 28), und damit potentiell zu einem gesellschaftsweiten Problem: der sozialen Frage. Die drohende soziale Spaltung, die sich im Entstehen der Arbeiterbewegung manifestierte, sollte in der Folge durch die Sozialpolitik verhindert werden. Der Nationalstaat wurde im ausgehenden 19. Jahrhundert zum Garanten für die Lösung sozialer Konflikte, die Sozialpolitik sein Instrument der Konfliktschlichtung (vgl. Böhnisch/Arnold/Schröer 1999: 44). Denn mit dem Instrument der Sozialpolitik wurden die verlorengegangenen Sicherheiten der ständischen Gesellschaft durch staatlich gewährleistete Sicherungseinrichtungen kompensiert (vgl. Sachße 1990: 9). Den Arbeitern wurde das Recht auf Selbstorganisation sowie Schutz gegen Ausbeutung und Lohnersatzzahlungen im Falle des Verlustes der Arbeitsmöglichkeiten versprochen, gleichzeitig wurde der Bestand des privatkapitalistischen Wirtschaftssystems gewährleistet. Damit waren – zumindest theoretisch – die Grundgedanken des modernen Wohlfahrtsstaats 5 verwirklicht: Es wurde zugleich das Spannungsfeld von Gleichheit (durch Verhinderung der Klassenbildung) und Freiheit (verfassungsmäßiger Schutz sozialer Verschiedenheit) bedient, und die Differenz der Sozialen Klassen war durch die Synthese im Wohlfahrtsstaat befriedet. Die Entwicklung einer koordinierten Sozialpolitik durch die vermehrte Tätigkeit des Nationalstaats brachte gleichzeitig größere finanzielle, organisatorische und konzeptionelle Freiräume für die weiterhin kommunal geregelte Fürsorge, das wesentliche Betätigungsfeld der Pädagogik, mit sich. Hatte die Arbeiterbewegung mit ihren Forderungen für gerechtere soziale Verhältnisse überhaupt erst die sozialpolitischen Voraussetzungen für das Entstehen einer modernisierten Sozialen Arbeit geschaffen, waren es in der Folge vor allem zwei gesellschaftliche Bewegungen, die Einfluss nahmen auf deren konkrete Ausgestaltung: die Jugendbewegung, die mit Herman Nohl eine für die disziplinäre Entwicklung der Sozialpädagogik wichtige Persönlichkeit inspirierte, und die Frauenbewegung, die besonders die professionsbezogene Akademisierung vorantrieb. 6
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Beispielsweise bei Pestalozzi, vgl. Böhnisch, Arnold, Schröer 1999: 21ff. Vgl. zur klassischen Argumentation Lorenz von Steins zusammenfassend Böckenförde 1976. Vgl. zu den zwei Wegen der Akademisierung der Sozialen Arbeit Rauschenbach/Züchner 2004. 23
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Kulturkritik und die Differenz der Generationen (I): Die Jugendbewegung Die deutsche Jugendbewegung hatte sich seit dem Ende des 19. Jahrhunderts mit der Gründung verschiedener Wandergruppen 7 in ganz Deutschland ausgebreitet. Die rasche Ausbreitung ging einher mit einer scharfen Kritik an der großstädtischen Lebensweise der Erwachsenen im Industriekapitalismus (vgl. Nohl 1961). In Opposition zu dieser Lebensweise verschaffte sich die in der „Großstadt gefangene Jugend […] ein jugendgemäßes Leben […] durch die Flucht aus der Stadt und aus den Bezirken der Erwachsenen in die freie Natur und in eine freie Gemeinschaft“ (Nohl 1961: 14). Das Zusammenleben in der selbstgewählten Gemeinschaft und das Erlebnis von Führung und Gefolgschaft waren Prinzipien, durch die in der Jugendgruppe, außerhalb von Familie und außerhalb des Zugriffs von anderen Erwachsenen, eine neue Form der Selbsterziehung vollzogen wurde (Nohl 1949). Mit der Gründung der „Freideutschen Jugend“ als Dachverband der studentischen und gymnasialen Jugend im Jahr 1913 schlug sich der jugendliche Protest gegen die autoritären Strukturen des Kaiserreichs auch institutionell nieder. Durch die Betonung der Autonomie und der Selbsterziehung innerhalb der Jugendgruppe begab sich die Jugendbewegung in Opposition zur institutionalisierten Jugendpflege. 8 Diese hatte es sich seit dem Ende des 19. Jahrhunderts zum Ziel gesetzt, die viel zitierte Kontrolllücke zwischen Schulbank und Kasernentor (Peukert 1986: 54-67) durch außerschulische Jugendarbeit zu schließen. Jene Lücke also, die zahlreiche Erwachsene dort entstehen sahen, wo vornehmlich die proletarische Jugend bereits aus der Schule entlassen, aber noch nicht in die disziplinierenden Strukturen des Militärdienstes eingebunden war. Während die Jugendbewegung also von den Jugendlichen selbst, und später von jungen Erwachsenen, getragen wurde und die Autonomie der Jugend von den Erwachsenen betonte, war die „Jugendpflege eine Einrichtung der Erwachsenen […], um die Jugend möglichst frühzeitig für ihre fremden Zwecke einzufangen“ (Nohl 1961: 19). Hatte sich die Jugendbewegung besonders zu ihrem Beginn noch als antimoderne und kulturkritische Bewegung verstanden, die gleichsam außerhalb der Gesellschaft eine Antithese zu ihr setzen wollte, begann spätestens in der Weimarer Republik zügig die Integration der Bewegung in die Gesellschaft 7 8
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Vgl. exemplarisch zur Gründung des „Wandervogels“, der zum Ausgangspunkt der deutschen Jugendbewegung wurde Müller 1994: 148-161. Nohl bezeichnete die Jugendbewegung folgerichtig als „das pädagogische Gewissen der Jugendpflege“, vgl. Blättner 1956: 215. Zu den verschiedenen Handlungsfeldern und Begrifflichkeiten von Jugendpflege, Jugendfürsorge, Jugendschutz vgl. Peukert 1986: 55.
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durch die Sozialpädagogisierung und die Einbindung der Jugendbewegung in die Jugendpflege und in die Jugendverbandsarbeit. Zwar hatte die sozialpädagogische Vereinnahmung der Jugendbewegung punktuell schon vorher begonnen, nun aber, „die Not der Zeit, die wirtschaftliche Ruin des Bürgertums [sic!], dem die Wandervögel entstammten, zwang zu nüchternem Hinsehen, zu Arbeit, Planung, ja zu Organisation und Programm“ (Blättner 1956: 214), zogen die von der Jugendbewegung geprägten Vorstellungen von Jugend und Jugendlichkeit umstandslos in die konzeptionellen Diskussionen der Sozialpädagogik ein. Die Ideen der Jugendbewegung wirkten nun in der Gesellschaft, nicht außerhalb. In der sozialpädagogischen Praxis wurde die Gruppenpädagogik fortan „die zentrale Methode der Jugendpflege […] und Jugendfürsorge […]“ (Münchmeier 1997: 281). Die Möglichkeiten der (Selbst-)Erziehung in der Gruppe, noch wenige Jahre zuvor in der ersten Phase der Jugendbewegung romantisch-freiheitlich vorgelebt, 9 wurden zunehmend, dort wo es der Klientel angemessen erschien, auch in einem militärisch-repressiven Stil ausbuchstabiert: „da schien die militärische Disziplin, die Straffheit des Gruppenarbeitens die Vorbedingung zum Erfolg, auch als ein Mittel zur Disziplinierung verwahrloster jugendlicher Gemüter“ (Blättner 1956: 215). Das ursprüngliche Anliegen der Jugendbewegung, die Erzeugung starker, authentisch erfahrbarer Gemeinschaftserlebnisse, ging nun immer mehr einher mit einer Ideologisierung des Gemeinschaftsbegriffs, der als Synonym für den „Volkskörper“, das „Volksganze“ und „die Volksgemeinschaft“ identitätsstiftend zwischen dem Individuum und der als Volk definierten Gemeinschaft vermitteln wollte.10 Die vormals als Motor der Emanzipation gedachte jugendliche Gemeinschaft war in weiten Teilen, so Mollenhauer in einer Betrachtung aus dem Jahr 1970, zu einer bürgerlichaffirmativen, volkstümlichen Geselligkeit verkommen (vgl. Mollenhauer 1970: 126ff.). Vor dem Hintergrund der historischen Entwicklungen im Kontext der Jugendbewegung könnten nun verschiedene Differenzverhältnisse und deren Bearbeitung thematisiert werden. Denn durch das Wandern in der freien Natur, das geradezu als Flucht vom bürgerlichen Milieu verstanden werden kann, äu9
„Aber es gab ein unfassbares Glück und eine herrliche Frische unter diesen jungen Menschen, die im Wandern und Tanzen, im Gespräch, in der Feier, beim Lagerfeuer sich selbst, ihre Kraft und ihre Sehnsucht genossen und in Wort und Bild gestalteten. Sie sammelten die Volkslieder, erneuerten den Volkstanz, sie zeigten, wie man sich kleiden, wie man gesellig verkehren, wie man einen Raum schmücken, wie man feiern, spielen und ruhen könne“ (Blättner 1956: 214). 10 „Auch an dieser Stelle hängt die Individualerziehung und der gesunde Aufbau der Erziehungsgemeinschaft auf das engste zusammen mit der Volksbildung, der Willensstruktur und sittlichen Organisation der ganzen Nation“ (Nohl 1961: 196f.). 25
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ßerten die Jugendlichen Protest gegen die überkommenen Normen, die die Differenzbearbeitung strukturierten: So war der Umgang mit der Geschlechterdifferenz von den bürgerlichen Normen – Disziplin und Gehorsam des Sohnes gegenüber dem Vater und gesellschaftliche Unterprivilegiertheit der Tochter – geradezu vorbestimmt. Im Zuge des Wanderns hingegen konnte die Geschlechterdifferenz anders, im Sinne einer auf Achtung und nicht auf Standesdünkel und Doppelmoral basierenden Art und Weise, ausbuchstabiert werden. War das erotische Erleben durch die Geschlechtertrennung in der Schule und durch die strenge Erziehung zur Sittsamkeit im Alltag stark eingeschränkt, so konnte in der Wanderkultur das Körperliche mit Geist und Kultur verbunden und somit der Trennung der Geschlechter entgegengesteuert werden. Jungen und Mädchen wanderten wie selbstverständlich zusammen, allerdings ging es in der Jugendbewegung nicht in erster Linie um Sexualität, sondern um eine neue Selbstverständlichkeit im Geschlechterverhältnis. Auch die Differenz der sexuellen Lebensweisen könnte in diesem Kontext thematisiert werden, allerdings war es vor dem Hintergrund der starren gesellschaftlichen Normen undenkbar, Sexualität, oder gar Homosexualität oder homoerotische Neigungen, öffentlich zu thematisieren. 11 Eine solche Thematisierung oder das öffentliche Eintreten für eine veränderte Sexualmoral hätte unweigerlich den Bruch mit der herrschenden Kultur bedeutet, und die übergeordneten emanzipatorischen Ziele der Jugendbewegung, die vor allem die überkommene Generationendifferenz betrafen, wären kaum erreicht worden. 12 Die wesentlichen Erkenntnisse für das vorliegende Thema der Differenzbearbeitung können mithin in Bezug auf ein für die Erziehung konstitutives Differenzverhältnis verdeutlicht werden: die Differenz der Generationen. In der Theorie der Sozialpädagogik wurde der Generationenbegriff zu diesem Zeitpunkt noch kaum systematisch verwendet (vgl. Gängler 2002). Herman Nohl beispielsweise ging es weniger um die Präzisierung und Klärung des Generationenverhältnisses insgesamt als vielmehr um die pädagogische Beziehung einzelner Vertreter der Generationen zueinander. Der Forderung der Jugendbewegung nach Selbsterziehung der Jugend setzt Nohl entgegen, dass auf diese Weise das Bildungserlebnis des jungen Menschen nicht auf vollständige Art und Weise erfasst würde:
11 Früh thematisiert Blüher aus Sicht der Psychoanalyse – allerdings ohne diese ganz verstanden zu haben, wie Laqueur (1962: 75) anmerkt – die Jugendbewegung als vor allem (homo-)erotisches Phänomen, vgl. Blüher 1914. Vgl. zur Sexualerziehung im Kontext der Jugendbewegung auch Heid 1974. 12 Vgl. zum emanzipatorischen Impetus der bürgerlichen Jugendbewegung Giesecke 1971: 22-25. 26
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„im Bildungserlebnis des jungen Menschen ist wesensmäßig die Hingabe an den Lehrer und die Erfahrung von einem Wachstum und einer Formung durch den andern enthalten. […] Die Erziehung endet da, wo der Mensch mündig wird, das heißt nach Schleiermacher: wenn die jüngere Generation auf selbständige Weise zur Erfüllung der sittlichen Aufgabe mitwirkend der älteren Generation gleichsteht“ (Nohl 1961: 131f.).
Im Mittelpunkt der normativ geprägten geisteswissenschaftlichen Pädagogik steht das viel zitierte „Verhältnis eines reifen Menschen zu einem werdenden Menschen, und zwar um seiner selbst Willen“ (Nohl 1961: 134). Das Verhältnis der am Erziehungsprozess beteiligten jüngeren und älteren Generation kennzeichnet Nohl als das Verhältnis zwischen „Abhängigem und Überlegenem“ (Nohl 1961: 195). Dem Erwachsenen, weil innerlich dem Kind überlegen, kommt die aktive Tätigkeit des „Hebens“ zu. Dem Kind kommt, weil es „Vertrauen in die Wahrheit dieser Überlegenheit“ (ebd.) hat, das passive „Gehobenwerden“ (ebd.) zu. Sozialwissenschaftlich analysierte Bedingungszusammenhänge des Generationenverhältnisses kommen in diesen Konzepten noch nicht vor, Bezugspunkt der erzieherischen Reflexion ist auch hier, ähnlich wie im Kontext der Fürsorge, das Individuum. Bei der Verwirklichung von Erziehungszielen kommt es allein auf den pädagogischen Bezug zwischen Erzieher und Zögling in ihren alltäglichen Zusammenhängen an: „die pädagogische Wirkung geht nicht von einem System von geltenden Werten [aus], sondern immer nur von einem ursprünglichen Selbst, einem wirklichen Menschen mit einem festen Willen, wie sie auch auf einen wirklichen Menschen gerichtet ist: die Formung aus einer Einheit. Das ist das Primat der Persönlichkeit und der personalen Gemeinschaft in der Erziehung gegenüber bloßen Ideen, einer Formung durch den objektiven Geist und die Macht der Sache“ (Nohl 1961: 132f.).
Zwar betont Nohl, es sei nicht das Ziel der Pädagogik, einen bestimmten vorgegebenen „Lebenstypus“ zu züchten, vielmehr solle das Kind durch Erziehung zu seinem Ideal werden. 13 Grundsätzlich geprägt ist das pädagogische Verhältnis aber von dem Willen, Menschen zu ändern (Nohl 1961: 137) und sie, gemäß der Devise, dass erziehen von Zucht kommt, zu einer bereits vorgegebenen (Lebens-)Form hin zu ziehen (ebd.). Dabei geht Nohl recht selbstverständlich davon aus, dass dieses Hinziehen auch auf Seiten des Zöglings auf positive Resonanz stößt: „Gehorsam heißt […] freie Aufnahme des Erwachsenenwillens in den eigenen Willen und spontane Unterordnung als Ausdruck
13 Es sei das Ziel der Pädagogik, „aus diesem Kinde machen, was aus ihm zu machen ist“ (Nohl 1961: 136). 27
DER UMGANG DER SOZIALEN ARBEIT MIT DIFFERENZ
eines inneren Willensverhältnisses, das gegründet ist in der überzeugten Hingabe an die Forderungen des höheren Lebens, das durch den Erzieher vertreten wird“ (Nohl 1961: 139, vgl. auch Nohl 1930: 120). Das Verhältnis der Generationen zueinander wird von Nohl als Gegensatz, genauer: als der pädagogische Urgegensatz, konzipiert. In seinem 1914 entstandenen Aufsatz „Das Verhältnis der Generationen in der Pädagogik“ (Nohl 1930a) zeichnet Nohl die Bandbreite des möglichen Umgangs mit der Generationendifferenz nach: Auf der einen Seite sieht er eine „willkürliche Lehrerpädagogik“ (Nohl 1930a: 116), die einseitig auf Dressur und Disziplin setzt. Viel stärker habe sich in der Pädagogik allerdings jenes Plädoyer durchgesetzt, das der Jugend ein eigenes Recht auf Entfaltung zubilligt. In der Geschichte der Pädagogik habe seit Rousseau eine „völlige Umkehrung der Generationswerte“ (ebd.) stattgefunden, denn Rousseau und Herder hätten bereits die Jugend dem Alter entgegengesetzt, Fichte hätte die „erwachsene Generation mit Verachtung degradiert und die junge Generation über sie gesetzt“ (ebd.: 117). Wyneken schließlich habe „die ältere Generation […] aus dem pädagogischen Leben ausgeschaltet […] und die Jugend nimmt ihre Erziehung in die eigene Hand“ (ebd.: 118). Dem gegenüber konzipiert Nohl sein oben beschriebenes spezifisches und für die Sozialpädagogik lange Zeit gültiges pädagogische Verhältnis. Auch wenn das Generationenverhältnis – oder im Nohlschen Duktus der Gegensatz der Generationen – in der Sozialpädagogik vor 1933 nicht systematisch entfaltet wird, so können hier Grundzüge der spezifisch dialektischen Differenzbearbeitung identifiziert werden, die insgesamt kennzeichnend waren für die Differenzbearbeitung zu Beginn des 20. Jahrhunderts: das Verhältnis zwischen der jungen und der älteren Generation wird strikt bipolar konstruiert. Nohl spricht vom „Geist“ und vom „Wesen der Jugend“ (ebd.) und vom Komplement des Jugendbegriffes, dem „Wesensbegriff des Alters“ (ebd.: 119). Sowohl die Jugend als auch das Alter werden als einheitliche und homogene Gruppen mit jeweils eindeutig identifizierbaren spezifischen Verhaltensweisen konzipiert, die sich dialektisch wie These und Antithese gegenüber stehen. In der Pädagogik hat es zur Lösung dieser Differenz unterschiedliche Konzeptionen gegeben: Es wurde entweder einseitig der älteren Generation das Recht zur Durchsetzung zugesprochen, wie in der von Nohl angesprochenen, einseitig auf Dressur und Disziplin setzenden willkürliche[n] Lehrerpädagogik (Nohl 1930: 116), oder der jüngeren Generation wurde der Auftrag zur Erneuerung der Kultur gegeben, wie bei Wyneken. Bei Nohl wird diese binäre Opposition nun durch die Synthese der personalen Gemeinschaft in der Erziehung (Nohl 1961: 132f.) aufgelöst. In der personalen Gemeinschaft sieht Nohl den „innersten wahren Kern des Generationenverhältnisses“ (Nohl 1930: 119) verwirklicht. Was Nohl hier im Kleinen für das personale Erzieher-Zögling Verhältnis konzipiert, kann auch an den verschiedenen konzeptuellen Überlegungen der Zeit abgelesen werden: da existiert als These die Jugendpflege als disziplinie28
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rende Einrichtung der älteren Generation. Als Antithese können die Forderungen der Jugendbewegung nach Selbsterziehung gelten. Zur Synthese kommt es schließlich, als die schon institutionalisierte Jugendpflege das jugendbewegte Konzept der Erziehung in der Gemeinschaft aufnimmt und in ihre Konzeptionen integriert. Die Gemeinschaft dient der Sozialpädagogik fortan als Zielpunkt ihres Handelns – interessanterweise im Kleinen, wie beispielsweise in der Jugendgruppe, und im Großen, in der nationalen Gemeinschaft.
Die erste Frauenbewegung und die Differenz der Geschlechter Schon bevor die Jugendbewegung sich Ende des 19. Jahrhunderts zu formieren begann, war mit der bürgerlichen Frauenbewegung Mitte des 19. Jahrhunderts eine gesellschaftliche Bewegung auf den historischen Plan getreten, die für die Soziale Arbeit ebenfalls von außergewöhnlicher Bedeutung sein sollte. Die bürgerliche Frauenbewegung hatte auf die spezifischen Fragen weiblicher Erwerbsarbeit schon länger aufmerksam gemacht, 14 hatte es aber auch immer wieder mit Repressionen von staatlicher Seite zu tun, die die politische Agitationskraft der bewegten Frauen erheblich einschränkten. Nachdem zahlreiche, in der 1848er Revolution gegründete, politisch motivierte Frauenclubs in Folge staatlicher Repressionen bald wieder geschlossen werden mussten, wurden die Ziele der vorrangig bürgerlichen Frauen, die Verbesserung der Bildung und Erwerbsmöglichkeiten für Frauen in Vereinen wie dem Allgemeinen Deutschen Frauenverein weiter verfolgt (vgl. Raschke 1985: 40f.). In der patriarchalen Gesellschaft des Kaiserreichs und auch später in der Weimarer Republik hatte es die Frauenbewegung gesamtgesellschaftlich gesehen zwar schwer, unmittelbare politische Erfolge für sich zu erzielen, 15 auf dem Gebiet der Sozialen Arbeit konnte sie aber durchaus reüssieren. Die damals 27-jährige Alice Salomon begründete als Vorsitzende der Sozialen Gruppen im Jahr 1899 den ersten „Jahreskurs für Wohlfahrtspflege“,16 leitete so die schrittweise Qua-
14 So betonte Henriette Goldschmidt auf der Generalversammlung des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins im Jahre 1873 die Nothwendigkeit weiblicher Mitarbeit an der öffentlichen Armenpflege, Salomon 1901 in Feustel 1997: 91. 15 Das lag nicht nur an Repressionen, die die Frauen, ebenso wie einige Männer, wegen ihrer politischen Gesinnung hinnehmen mussten, sondern auch an der Tatsache, dass den Frauen, weil sie Frauen waren, öffentliches Redeverbot erteilt wurde oder ihnen keine Versammlungsfreiheit gewährt wurde. Darüber hinaus wurden ihre Argumente und Anliegen nicht selten lächerlich gemacht und dadurch abqualifiziert, vgl. Nave-Herz 1989: 52. 16 Dessen Curriculum von der Einführung in die Armenpflege, Tätigkeit in Krippen, Kindergärten und Horten, Erziehungslehre, hin zu Grundlagen der Wohl29
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lifizierung berufsloser junger Frauen aus dem Bürgertum ein und war wesentlich an dem Ausbau der Sozialen Arbeit zu einer weiblichen Domäne beteiligt (vgl. Hering/Münchmeier 2002: 48-55). Im Jahr 1908 wurde die erste Soziale Frauenschule in Berlin gegründet, weitere Schulen im ganzen Reichsgebiet folgten. Mit dem Beginn des ersten Weltkriegs und der Einberufung eines erheblichen Teils der wehrfähigen Männer zum Kriegsdienst wurde die Entwicklung der Sozialen Arbeit zum Frauenberuf noch forciert. Allein in den Jahren 1916-1918 wurden im Reichsgebiet 13 Soziale Frauenschulen gegründet, es entwickelte und etablierte sich ein breiter Bereich fachlich fundierter sozialer Dienstleitungen, der immer weitere Teile der Bevölkerung auch jenseits der traditionellen Armenfürsorge erfasste (vgl. Sachße 2003: 132-161). In der Zeit der Weimarer Republik blieben es zunächst vor allem die Sozialen Frauenschulen, die die Professionalisierung der Ausbildung der Sozialen Arbeit vorantrieben. Der „männlichen Institution“ (Sachße 2003: 223) Universität, die vorrangig auf die Vermittlung von systematischen, intellektuellen Inhalten zum Zwecke der Forschung zielte, setzten sie unmittelbar praxisrelevante Inhalte entgegen, die sich vorrangig aus dem von Schrader-Breymann auf die bekannte Formel gebrachten Konzept der „geistigen Mütterlichkeit“ speisten. Seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts hatte sich sukzessive ein bürgerliches Familienleitbild durchgesetzt, das der Frau den familiären Raum und von Natur aus gegebene Eigenschaften wie Wärme, Emotionalität und Geborgenheit zuschrieb (vgl. Sachße 2003: 94ff.). Im Kontext der Frauenbewegung wurden eben jene Eigenschaften nun als besonders prädestiniert für Tätigkeiten in der Sozialen Arbeit begriffen und dementsprechend zum Leitbild für die Ausbildung von Sozialarbeiterinnen erhoben, 17 die auf Grundlage einer sozialwissenschaftlichen Basis vor allem auf die Persönlichkeitsbildung der Schülerinnen in den Sozialen Frauenschulen zielte. Die Sozialarbeit konstituierte sich so zunächst vorrangig als Frauenberuf mit dem inhaltlichen Akzent der „geistigen Mütterlichkeit“. Mit der Betonung des besonderen Wertes sozialer Weiblichkeit erreicht die Frauenbewegung zum einen den Effekt der Etablierung weiblicher Berufstätigkeit, die vorher stark diskriminiert wurde. In den Sozialen Frauenschulen wurde darüber hinaus eine Tradition begründet, die zur Professionalisierung der Ausbildung und Etablierung der Sozialen Arbeit erheblich beitrug: durch das Engagement der bürgerlichen Frauenbewegung entstand erstmals eine umfassende, staatlich geregelte und anerkannte Ausbildung im Bereich der Sozialen Arbeit (vgl. Münchmeier 1997: 279).
fahrtspflege und Einführung in die Volkswirtschaft reicht, vgl. Hering/Münch meier 2003: 53. 17 U.a. bei Gertrud Bäumer, Helene Lange und Helene Stöcker, drei zentralen Aktivistinnen der damaligen Zeit. Vgl. Holland-Cunz 2003: 40-54. 30
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Die Tatsache, dass die erste Frauenbewegung im Kontext der Sozialpädagogik vorrangig als Triebkraft für Verwissenschaftlichung und Professionalisierung gesehen wird, weil sie, quasi als „nicht intendiertes Projekt“ (Merten/ Olk 1996: 568), die formale Verberuflichung der Sozialen Arbeit vorangetrieben hat, verdeckt die „ursprünglich emanzipatorisch-kulturalistischen Motive“ (ebd.) und damit die eigentliche Intention der bürgerlichen Frauenbewegung: die Forderung nach gleichberechtigten Bildungsmöglichkeiten, gleichem Zugang zu Arbeit, gleichem Lohn für gleiche Arbeit, volle Rechts- und Handlungsfähigkeit der Ehefrau sowie die Anerkennung des Wertes häuslicher und sozialer Arbeit. Dies waren Forderungen, auf die sich alle Flügel der recht heterogenen Frauenbewegung einigen konnten. Die Vorstellungen darüber, wie die geforderte Gleichberechtigung erreicht werden könne, unterschieden sich jedoch und waren u.a. abhängig von der sozialen Herkunft und der politischen Verortung der Frauen. 18 Die in der Sozialpädagogik besonders einflussreiche bürgerliche Frauenbewegung schlug mit dem Konzept der geistigen und sozialen Mütterlichkeit einen Weg der Differenz ein: durch die Betonung und die positive Stilisierung des weiblichen Geschlechtscharakters sollte der Zugang zur Berufstätigkeit der Frauen gewährleistet werden. Die Lehrerin und Lehrerinnenausbilderin Helene Lange betont beispielsweise die „Differenziertheit der Geschlechter“ (zit. n. Holland-Cunz 2002: 44) und weist der Frau die Aufgabe zu, „als Staatsangehörige für Behagen, Ordnung und Ausschmückung im Staate Sorge zu tragen“. 19 Die Gesellschaft soll sowohl in der privaten wie in der öffentlichen Sphäre von einer organischen Arbeitsteilung der weiblichen und der männlichen Besonderheiten gekennzeichnet sein. Durch die Herausstellung und die positive Stilisierung des weiblichen Geschlechtscharakters wird der Nutzen herausgestellt, den eine vollständige Integration und Gleichberechtigung von Mann und Frau für die gesamte Gesellschaft haben würde. 20
18 Die Frauen der proletarischen Frauenbewegung beispielsweise teilten das Konzept der geistigen Mütterlichkeit überwiegend nicht. Sie sahen vielmehr in der Überwindung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung mit dem Vorrang des Eigentums die eigentliche Chance auf Gleichberechtigung, vgl. Mogge-Grotjahn 2004: 25. 19 Ebd. Zwar vertritt Lange mit ihrer „organischen differenztheoretischen Position“ keine der avancierten politischen Positionen der Frauenbewegung des 19. Jahrhunderts, wie Holland Cunz (2003, S. 45) bemerkt. Auf die Pädagogik der Zeit hat die Position Langes aber allein schon deshalb einen nicht unbeträchtlichen Einfluss, weil sie zeitlebens in Fragen der Mädchen- und Frauenbildung engagiert ist und zahlreiche Leitungspositionen in der Alten Frauenbewegung besetzt. 20 Als zweite Strategie neben der beschriebenen Differenz-Strategie kann die Gleichheits-Strategie genannt werden. Im Gegensatz zum Differenz-Paradigma wird hier darauf verwiesen, dass prinzipiell alle Menschen unabhängig von ihrer Geschlechtszugehörigkeit über die gleichen Fähigkeiten und Potenziale verfügen. Es muss folglich beiden Geschlechtern der gleiche Zugang zu Bildung, Geld 31
DER UMGANG DER SOZIALEN ARBEIT MIT DIFFERENZ
Die Argumentation der Differenz basiert auf einer strikt bipolaren Konstruktion der Geschlechter (vgl. für das Folgende Dölling 1991: 103-152), die sich seit dem Ende des 18. Jahrhunderts in spezifischer Weise durchgesetzt hatte. Die dort zunächst im Beamtenbürgertum konstruierten Geschlechtscharaktere – der Mann geht einer bezahlten Lohnarbeit nach und die Frau leistet die private, unbezahlte Reproduktionsarbeit im Hause – erwiesen sich als durchaus funktionales kulturelles Muster auch für die beginnende Industrialisierung. Die nun als naturgegeben dargestellte Zweiteilung der Geschlechter weitete sich in der Folge nicht nur auf andere soziale Schichten aus, sondern setzte sich als „universelles Begründungsmuster“ (Dölling 1991: 115) gesamtgesellschaftlich und in verschiedenen Kontexten durch. Die Arbeiterinnenbewegung, das wurde oben nur kurz angedeutet, verfolgte bei ähnlichen grundsätzlichen Zielsetzungen im Gegensatz zu der bürgerlichen Frauenbewegung eine andere Strategie der Gleichberechtigung: im Gegensatz zum Differenz-Paradigma der bürgerlichen Frauenbewegung verwiesen die Protagonistinnen der Arbeiterinnenbewegung 21 darauf, dass prinzipiell alle Menschen unabhängig von ihrer Geschlechtszugehörigkeit über die gleichen Fähigkeiten und Potenziale verfügen. Es müsse folglich beiden Geschlechtern der gleiche Zugang zu Bildung, finanziellen Mitteln und Macht ermöglicht werden, um Gleichberechtigung zu verwirklichen. Mit diesem Ansatz wird tendenziell der Versuch unternommen, die Zweiteilung der Geschlechter zu überwinden. Indem aber für Frauen das Ziel ausgegeben wird, an der bisher männlich konnotierten Tätigkeit der Erwerbsarbeit gleichberechtigt teilzuhaben, wird gleichzeitig die Minderwertigkeit des bisher weiblich konnotierten fortgeschrieben. Tätigkeiten mit einem sozialen, mitmenschlichen Charakter werden so tendenziell abgewertet. Letztlich stellte das Geschlechterverhältnis aus Sicht der Arbeiterinnenbewegung ein nachrangiges Differenzverhältnis dar. Analog zur Auffassung der sozialistischen Arbeiterbewegung war es das übergeordnete und wichtigste Ziel der Arbeiterinnenbewegung, den Kapitalismus zu überwinden. Im Sozialismus, so deren Hoffnung, wäre das Geschlechterverhältnis gerechter strukturiert. Die Tatsache, dass im Lexikon der Pädagogik der Gegenwart von 1930 (vgl. Deutsches Institut für wissenschaftliche Pädagogik 1930) unter den Stichworten Schulaufbau und -organisation, Volksschulpädagogik, Berufs-, Fach-, Fortbildungs-, Höheres Schulwesen und schließlich Hochschulwesen die Fragen der Mädchenbildung gesondert berücksichtigt wurden, mag verund Macht ermöglicht werden, um Gleichberechtigung zu verwirklichen. Da im Kontext der bürgerlichen Frauenbewegung, die besonderen Einfluss auf die zeitgenössische Sozialpädagogik hatte, vorwiegend mit dem Differenz-Paradigma argumentiert wurde, wird hier zunächst nicht weiter auf das GleichheitsParadigma eingegangen. 21 Vgl. etwa die gesammelten Reden und Schriften von Clara Zetkin aus den Jahren 1889-1923 (Zetkin 1957 und dies. 1960) 32
DIE SITUATION ZU BEGINN DES 20. JAHRHUNDERTS
deutlichen, welch enormen Einfluss insbesondere die bürgerliche Frauenbewegung auf den pädagogischen Diskurs ihrer Zeit hatte. Auch in den Auseinandersetzungen um die Mädchenbildung spiegeln sich indes die Diskussionen der verschiedenen Strömungen der Frauenbewegung wider. So traten die sozialistischen Gruppen entschieden für eine Koedukation ein, 22 während in der bürgerlichen Frauenbewegung keine einheitliche Position zu finden ist. Einerseits liege, so die Sicht von Teilen der bürgerlichen Frauenbewegung, die weibliche Eigenart in der Natur begründet, wirke sich organisch aus und komme deshalb auch in koedukativen Zusammenhängen zum Zuge. Andererseits wandten sie sich gegen die einseitig-intellektuellen Bildungsziele der Jungenschulen. Hier könnten nicht das „Wesensganze“ gebildet und die „Kräfte des Gemüts“ gepflegt werden (vgl. Pfennings 1930: 323ff.). Insgesamt zeigt sich in den Auseinandersetzungen um die Mädchenbildung ein allmähliches Aufbrechen der zuvor den Frauen einseitig-naturalistisch zugewiesenen Aufgaben. So wird eine Ausbildung zum „außerhäuslichen Erwerbsberuf“ für eben so notwendig erachtet wie der Zugang zu gehobenen Bildungsformen. Dabei wird nie vergessen zu betonen, dass darüber hinaus die Erziehung zur „Hausund Heimkultur“ ebenso wenig vernachlässigt werden dürfe wie das Erlernen der „sozialen, wirtschaftlichen und geistigen Zusammenhänge“ in ihrer speziellen Bedeutung für das Frauenleben und die Familie (ebd.). Für beide Strömungen der Frauenbewegung spielt die Wirkmächtigkeit des hegemonialen, binär verfassten Geschlechterdiskurses eine wesentliche Rolle. Im hegemonialen Geschlechterdiskurs der Zeit gilt das männliche Geschlecht als das „Normale“, Gegebene, als These. Demgegenüber wird die Antithese, die Weiblichkeit, stets abgewertet. Die als natürlich gegeben dargestellte Zweiteilung der Geschlechter wird mit einer Hierarchie versehen, indem das Männliche idealisiert und das Weibliche diskriminiert wird: „Kaum bedarf es wohl noch besonderer Beweisführungen, dass bei solchen Verschiedenheiten der Geschlechter, bei solcher Natur und Bestimmung ihrer Verbindung, eine völlige Gleichstellung der Frau mit dem Mann in den Familien – und in den öffentlichen Rechten und Pflichten, in der unmittelbaren Ausführung derselben, der menschlichen Glückseligkeit widersprechen und ein würdiges Familienleben zerstören würde“ (zit. n. Prengel 1995: 101).
22 Zum Einen, weil ein getrenntes, funktionierendes Mädchenschulwesen noch nicht existierte, zum anderen, weil die Koedukation als ganz grundsätzlich erstrebenswert angesehen wurde, vgl. Pfennings 1930: 323f.. 33
DER UMGANG DER SOZIALEN ARBEIT MIT DIFFERENZ
Mit den jeweiligen Geschlechtscharakteren verbanden sich bestimmte Assoziationen, 23 die, zu Stereotypen und vereinfachenden Schemata geronnen, zwar nicht eindeutig im Alltagsleben aller Menschen wieder zu finden waren, jedoch als hegemoniales Orientierungs-, Wahrnehmungs-, Deutungs- und Wertungsmuster für das alltägliche Handeln und für die Erziehung eine beträchtliche und weithin unhinterfragte Durchschlagskraft entwickelten. Versuche, dieses hegemoniale, hierarchisierte und homogenisierende Konstrukt zu hinterfragen, waren auch zu diesem Zeitpunkt durchaus vorhanden: Im Kontext der sozialistischen Arbeiterinnenbewegung wurde die Frauenfrage durch Sozialistinnen wie Clara Zetkin mit der Arbeiterfrage verknüpft 24 und die sozialistische Revolution gefordert. Durch die Ablehnung der kapitalistischen Wirtschaftsform waren die Sozialistinnen im Gegensatz zur bürgerlichen Frauenbewegung, nicht strikt an den bürgerlichen Wertekanon gebunden. So verband die russische Sozialistin Alexandra M. Kollontaj (vgl. Kollontai 1920, zu Leben und Werk der Alexandra Kollontai vgl. Raether 1986) Forderungen aus der sozialistischen und aus der bürgerlichen Frauenbewegung. Aus der sozialistischen Arbeiterinnenbewegung leitete sie die Forderung der Gleichberechtigung von Mann und Frau ab, die beide im Zuge einer sozialistischen Revolution vom Kapitalismus befreit würden. Darüber hinaus bearbeitete sie mit der Frage der Identität und der Sexualmoral ein Thema, das überwiegend der bürgerlichen Frauenbewegung vorbehalten war (vgl. Raether 1986, S. 55), ging aber in diesen Fragen inhaltlich weit über die Vorstellungen der bürgerlichen Frauenbewegung hinaus. In Bezug auf die weibliche Identität betont Kollontai die individuelle Persönlichkeit einer jeden neuen Frau, 25 die Beachtung ihrer Individualität sucht, unabhängig, selbständig und dem Mann gegenüber gleichberechtigt ist. Die Liebe und die Bindung an den geliebten Mann, die bisher im Leben der Frau gemäß herrschender Normen die herausragende Rolle spielen sollte, wird zugunsten neuer Lebensinhalte wie „die soziale Idee, die Wissenschaft, der Beruf, das Schaffen“ (Kollontai 1920: 36, zit.n. Raether 1986: 59) zurückgedrängt. Die Sexualmoral des Bürgertums wird als „Dop-
23 Für das weibliche Geschlecht nennt Dölling (1991: 134) die Assoziationskette Frau – Mutter – Natur – Heim – Hausarbeit – Innen – Gefühl – Passivität – Verschönerung – Privatheit. Zur vollständigen Natur des Menschen gehört dann das männliche Komplement: Mann – Ernährer – Beruf – Außen – Politik – Rationalität – Aktivität – Erfinden – Verändern – Fortschritt – Öffentlichkeit – usw. (ebd.). 24 „Die Sache der Frau und die Sache der Arbeiter gehören untrennbar zusammen“, so Clara Zetkin im Jahre 1889, zit. n. Holland-Cunz 2003: 72. 25 Als „neue Frau“ bezeichnet Kollontai jene Frauen, die sich von der „Versklavung durch Familie, Gesellschaft und Staat“ (Raether 1986: 56) unabhängig gemacht haben. 34
DIE SITUATION ZU BEGINN DES 20. JAHRHUNDERTS
pelmoral“ 26 abgelehnt. Stattdessen wird die selbstbestimmte Frau propagiert, die sich der alten Sexualmoral entzieht: So stellt sich uns die neue Frau dar, Selbstdisziplin statt Gefühlsüberschwang, die Fähigkeit, die eigene Freiheit und Unabhängigkeit zu schätzen statt der unpersönlichen Ergebenheit; die Behauptung der eigenen Individualität statt der naiven Bemühung, das fremde Bild des ‚Geliebten‘ in sich aufzunehmen und zu reflektieren. Das Zur-Schau-Tragen des Rechtes auf Familienglück statt der heuchlerischen Maske der Unberührtheit, endlich Zuweisung der Liebeserlebnisse an einen untergeordneten Platz im Leben. Vor uns steht nicht mehr das ‚Weibchen‘, der Schatten des Mannes – vor uns steht die Persönlichkeit, das Weib als Mensch (Kollontai 1920: 43, zit.n. Raether 1986: 59).
Die Tatsache, dass es bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts, wie bei Kollontai, Versuche des Ausstiegs aus dem strengen Dualismus von Mann und Frau, den zugeschriebenen Persönlichkeitseigenschaften und der strikten Sexualmoral gab, kann nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass diese Versuche letztlich keine größere Durchschlagskraft entwickeln konnten. Vielmehr bleib das bürgerliche Bild des Geschlechterverhältnisses weiterhin gültig und beeinflusste so auch die Strategie der bürgerlichen Frauenbewegung. Diese versuchte ihre politischen Ziele vor dem Hintergrund des oben beschriebenen Geschlechterdiskurses durchzusetzen, indem sie eine vereinheitlichende Synthese für die Geschlechterdifferenz anboten. Sie betonte die Aufgabe und den Nutzen der Frau für die Familie, die Nation, das Volk. Die seit jeher bestehenden kulturellen Aufgaben der Frauen – Gattin und Mutter, Erzieherin und Pflegerin in Familie, in privater und öffentlicher Fürsorge zu sein – sollten durch eine bessere Ausbildung kompetenter und verpflichtender wahrgenommen werden können. Mit dem Ausüben dieser Tätigkeiten durch die Frauen war stets das Ziel der Einheit und Homogenität des Volkes, der Nation, der Familie intendiert: Sie hält die Familie zusammen; sie erbaut Haus und Heim in seiner bewahrenden und wärmenden Macht; sie schafft und gestaltet die Geselligkeit; sie prägt Formen des Umgangs im privaten und öffentlichen Leben. Sie hätte die Möglichkeit, ihre verbindende Kraft im sozialen Leben der Gegenwart stärker zum Durchbruch zu bringen. Um diesen menschenverbindenden Einfluss in unserem zerklüfteten Volkstum voll 26 „In welcher Form hat […]die Gesellschaft die sexuelle Sphäre verteilt? [...]Wir finden: die Dirne, die in einer Nacht eine ganze Reihe von Männern zu ‚versorgen’ hat; ihr gegenüber: das unverheiratete jugendliche Weib der ’anständigen’ Stände, das sich in wüstenhafter Einsamkeit isoliert findet. Zwischen beiden, im abwechselnden Tag- und Nachtverkehr, der Mann“. So schreibt Meisel-Heß, der sich Kollontai in ihrer Kritik anschließt im Jahre 1909, zit.n. Raether 1986: 62. 35
DER UMGANG DER SOZIALEN ARBEIT MIT DIFFERENZ
ausüben zu können, bedarf sie eines starken Bildungswillens und einer klaren Kenntnis der Lebensbedürfnisse des Volkes und seiner Kultur (vgl. Offenberg 1930: 809).
Der Kampf der Frauen um Gleichberechtigung wird in dieser Hinsicht nicht nur als Selbstzweck für die Frauen angesehen, vielmehr ist es der letzte Zweck der Frauenbewegung, „vollwertige Erziehung und Bildung und lebendige Wirkkraft der Frauen für Volk und Staat“ (vgl. ebd.: 812) zu erreichen. Ganz ähnlich wie im Kontext der Jugendbewegung wird hier das homogenisierende Konstrukt der (Volks-)Gemeinschaft beschworen, um den politischen Forderungen Nachdruck und Plausibilität zu verleihen.
Die „Urdifferenz“ der Sozialen Arbeit: Normalität und Abweichung Neben der oben bereits angesprochenen Differenz der sozialen Ungleichheit, die sich an der Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert gesellschaftlich vor allem in materieller Armut manifestiert, kann ein zweites Differenzverhältnis als Urdifferenz der Sozialpädagogik gelten: die Differenz von Normalität und Abweichung. Besonders im 19. Jahrhundert, der Entstehungszeit der frühen modernen Sozialpädagogik also, lassen sich durch die Unterscheidung von Normalität und Abweichung noch „in zentraler Weise gesellschaftliche Ansprüche an das Individuum repräsentieren“ (Bettmer 2001: 1): der Begriff der Norm, normativ-evaluativ27 als „Verhaltensanforderung für wiederkehrende Situationen“ (Spittler 1967, zit. n. Lamnek 2001: 17) definiert, hat für die Sozialpädagogik eine hohe Bedeutung. 28 Immerhin entwickelt sich die Sozialpädagogik als jene Instanz, die für die Integration ihrer Adressaten, dort wo diese abweichendes Verhalten an den Tag legen, in die Gesellschaft zuständig ist (vgl. dazu Keckeisen 1974: 9ff.). So hatte und hat sich die Sozialpädagogik praktisch wie theoretisch immer wieder auch mit verschiedenen Formen abweichenden Verhaltens zu beschäftigen. Der Umgang mit der Abweichung um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert wird hier exemplarisch an den „auffälligen Jugendlichen“, 29 der Frage nach der Sexualität, an der Ent-
27 Im Gegensatz zu deskriptiv-statistischen Verwendungsweise, vgl. Lamnek 2001: 15ff. 28 Allerdings ist gegenwärtig unklar, inwieweit die Unterscheidung von Abweichung und Normalität in Zeiten der Erosion einheitlicher normativer Bezugsrahmen in der Gesellschaft für die Sozialpädagogik noch tragfähig ist, vgl. dazu Kleve 2000:108. 29 Vgl. zum sozialpädagogischen Umgang mit auffälligen Jugendlichen in der Zeit von 1878 bis 1932: Peukert 1986. 36
DIE SITUATION ZU BEGINN DES 20. JAHRHUNDERTS
wicklung der Psychiatrie und am pädagogischen Umgang mit Behinderung beleuchtet.
„Auffällige“, „kriminelle“, „verwahrloste“ Jugendliche und das Schweigen über die Sexualität Die sozialpädagogische Instanz, die sich um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert mit Jugendlichen beschäftigte, deren Sozialisation nicht gemäß der dominierenden Vorstellung von Normalität verlief, war die oben bereits im Kontext der Jugendbewegung angesprochene Jugendfürsorge. Zwar hatte es in allen Gesellschaften schon immer Jugendliche gegeben, die von den gesellschaftlich an sie gestellten Erwartungen abwichen, nun aber produzierte das industriegesellschaftliche System geradezu die Abweichung der Jugendlichen. So gab es jene Jugendlichen, die schon aus der Schule entlassen, aber noch nicht in die disziplinierenden Strukturen des Militärdienstes eingebunden waren. Diese konsumierten „Schund- und Schmutzliteratur“, Kinofilme, Alkohohl und lebten, zumindest aus Sicht der beobachtenden Bevölkerung/ Pädagogen, die „Kontrolllücke zwischen Schulbank und Kasernentor“ (vgl. Hering/Münchmeier 2003: 63ff. immer öfter hemmungslos aus. 30 Darüber hinaus zeigte die immer stärker anwachsende Gruppe der Arbeiterjugendlichen inzwischen Verhaltensweisen, die die obrigkeitsstaatlich denkende Gesellschaft verwirrte und beunruhigte. Nicht nur kriminelle Handlungen wie Diebstahl, Prostitution oder Körperverletzung wurden von der Obrigkeit kritisch ins Visier genommen, sondern auch die aus heutiger Sicht spezifisch jugendlichen Verhaltensweisen, wie das gemeinsame Auftreten von Jugendlichen in der Öffentlichkeit mit den dazugehörigen eigenen Verhaltensformen und eigenen jugendkulturellen Stilen, wurde zur Zeit um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert kritisch beäugt. 31 Man reagierte mit einer Reformierung, genauer: einer Pädagogisierung des Strafrechts (vgl. für das Folgende Peukert 1986: 68ff.), deren Grundlagen H. Appelius schon 1892 schriftlich dargelegt hatte. Die Einsicht in die Notwendigkeit einer Reformierung des Strafrechts wurde zum einen von jener wachsenden Anzahl von Pädagogen und Wohlfahrtspflegern forciert, die den Unterschichtsfamilien die Fähigkeit zu einer „normalen“ Erziehung ihrer Zöglinge absprachen. Damit wurde das Primat der Erziehung in der Familie aufgeweicht und die Möglichkeiten einer staatlichen
30 Vgl. v. Mann-Tiechler 1930. Von Mann-Tiechler weist allerdings auch darauf hin, dass die Gründe für Verwahrlosung auch in gesellschaftlichen Umständen wie Massenverelendung und Auflösung der Familien zu suchen ist. 31 Z.B. „das gemeinsame Trinken und grölen zotiger Lieder in der Öffentlichkeit“. Was zu der damaligen Zeit als Besorgnis erregende Abweichung angesehen wurde illustriert Peukert 1986: 63ff. 37
DER UMGANG DER SOZIALEN ARBEIT MIT DIFFERENZ
Intervention in Erziehung ausgeweitet. Zum anderen waren es Juristen, die einsahen, dass das bisherige, einseitig auf die Prävention der Strafandrohung setzende und eine hohe Rückfallquote produzierende Strafrecht nicht mehr ausreichend war für die neuartigen Probleme der Industriegesellschaft. Damit lag aus zeitgenössischer Sicht der Schluss nahe, dass die Jugendkriminalität am effektivsten durch eine Ausweitung der staatlichen erzieherischen Instanzen bekämpft werden könnte, die den Ordnungsanspruch des Staates lückenlos und perfekt umsetzen konnten. Mit der Pädagogisierung des Strafrechts ist in diesem speziellen Fall also eine bestimmte Vorstellung von Pädagogik gemeint – eine Pädagogik, die den relativ starren Vorstellungen darüber, was Normalität im Kaiserreich bedeutet, zweckmäßig, wirkungsvoll und unter Androhung von Strafe zur Durchsetzung verhilft. In der Folge kam es zu einem bemerkenswerten Paradigmenwechsel vom klassisch liberalen Rechtsdenken hin zu einer explosiven Ausbreitung staatlicher Intervention. Diese wurde in den Augen zahlreicher „Strafrechtsreformer“ nicht nur dann nötig, wenn Straftaten begangen worden waren, sondern präventiv bereits dann, wenn es Anlass zur Besorgnis gab, dass eine Verwahrlosung könnte in der Folge auftreten könne. Durch das rege Interesse der Sozialpädagogik entwickelte sich seit den 1880er Jahren – in Wechselwirkung mit der Praxis der Fürsorgeerziehung – eine „Wissenschaft von der Verwahrlosung“ (für das Folgende vgl. Peukert 1986: 151ff.). Diese beurteilte die verwahrlosten Jugendlichen aus einer überwiegend an den herrschenden gesellschaftlichen Normen orientierten Sichtweise, eine zeitgeschichtlich fundierte oder gesellschaftsanalytisch orientierte Herangehensweise fehlte ebenso wie eine wissenschaftlich fundierte Definition von Verwahrlosung. Dort, wo der Versuch einer Definition von Verwahrlosung unternommen wurde, bleibt sie bei der Beschreibung von Symptomen stehen oder reduziert die Ursache der Verwahrlosung auf die Persönlichkeit der Betroffenen: „Verwahrloste“ Menschen wurden charakterisiert als „äußerlich und innerlich ungeordnete Menschen […], bei denen die Geschlossenheit der Persönlichkeit infolge Fehlens innerer Bindungen aufgelöst und das Triebleben enthemmt ist […]“ (Mann-Tiechler 1930: 1200). Auch in methodischer Hinsicht blieb die zeitgenössische Herangehensweise an die verschiedenen Phänomene, die unter dem Begriff der Verwahrlosung gefasst wurden, mängelbehaftet. Theorien über die Entstehung von Verwahrlosung und die Gewichtung von Anlage- oder Milieufaktoren wurden durch die Korrelation von nichtssagenden Klassifizierungen aus der Praxis mit pauschal typisierenden Merkmalen der Familie, den Vorfahren oder der sozialen Umwelt gewonnen. Schon im Jahr 1905 hatte Wilhelm Polligkeit in seinem Referat über „Strafrechtsreform und Jugendfürsorge“ (vgl. dazu Peukert 1986: 131) ein „Recht des Kindes auf Erziehung“ gefordert. Diese eingängige Forderung wurde schließlich zur Leitformel des 1922 in Kraft tretenden Reichsjugend38
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wohlfahrtsgesetzes. Dieses proklamierte in seinem Paragraphen 1: „Jedes deutsche Kind hat ein Recht auf Erziehung zu leiblicher, seelischer und gesellschaftlicher Tüchtigkeit […] Insoweit der Anspruch des Kindes auf Erziehung von der Familie nicht erfüllt wird, tritt unbeschadet der Mitarbeit freiwilliger Tätigkeit [die] öffentliche Jugendhilfe ein“ (zit. n. Peukert 1986: 22). Was zunächst einmal als engagiertes Reformbestreben erscheint, nämlich die Tatsache, dass jedem deutschen Kind ein Rechtsanspruch auf angemessene Erziehung zugesprochen wird, war zur damaligen Zeit in der Tat neu und bemerkenswert, verdeckt aber zwei in der Umsetzung umso deutlicher hervortretende Problembereiche: Zum einen leitete sich das Recht des Kindes auf Erziehung weiterhin nicht aus seinen persönlichen und sozialen Bedürfnissen ab, sondern aus „gesamtgesellschaftlich definierten Tüchtigkeitsnormen“ (ebd.), zum anderen wurde der Paragraph fast ausschließlich in einem „überwachenden und, wo nötig, korrigierenden Eingriff des Staates“ (ebd.) umgesetzt. Als weiteres Beispiel für den spezifischen Umgang mit der Differenz von Normalität und Abweichung im Bereich der Jugend zu Beginn des 20. Jahrhunderts kann der Bereich der Sexualität, bzw. der Sexualerziehung genannt werden. Zwar hatte es zu Beginn des 20. Jahrhunderts bereits relativ aufgeklärte Initiativen der Sexualerziehung, beispielsweise von Max Hodan und Wilhelm Reich, gegeben, diese konnten aber vor dem Hintergrund des repressiven Umgangs mit der Sexualität keine nachhaltige Wirkung entfalten (vgl. Sielert 2005: 18). Hegemonial blieb überwiegend die strenge Moral der bürgerlichen Klasse und insbesondere die der Kirchen. Die katholische Kirche brandmarkte im Januar 1914, aus deren Sichtweise folgerichtig, die Wandervogelbewegung als „Homosexuellenklub“ (vgl. Laqueur 1962: 71 und Geuter 1994) und löste damit eine zeitweilige Debatte über das Geschlechterverhältnis innerhalb der Jugendbewegung aus. Wie das Geschlechterverhältnis innerhalb der einzelnen Strömungen der Jugendbewegung nun strukturiert war, soll an dieser Stelle nicht geklärt werden (vgl. dazu insbesondere Laqueur 1962: 69ff., Heid 1974 und Geuter 1994). Relevanter für das vorliegende Thema der Differenzbearbeitung und für den Umgang mit Abweichung und Normalität erscheint hier der Umstand, dass die repressive bürgerliche Sexualerziehung auch im Kontext der Jugendbewegung seine Wirkung nicht verfehlte: Sexualität wurde hier zunächst kaum thematisiert, das Verhältnis zwischen Jungen und Mädchen und insbesondere das Verhältnis zwischen Jungen und Jungen wurde, gemäß der herrschenden Moralvorstellungen, als asexuell dargestellt. Selbst wenn es eine Pluralität von sexuellen Begegnungen durchaus gegeben haben mag – ent-
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scheidend ist, dass, wenn überhaupt von Sexualität die Rede war,32 nach Außen ganz überwiegend die klassische Uniformität der bürgerlichen Sexualmoral vertreten werden musste.33 Die Differenz von Normalität und Abweichung wurde im Bereich der Jugendfürsorge und in Bezug auf die Sexualität somit recht einseitig durch die Forderung nach Einhaltung der bestehenden Normen bearbeitet. Dort, wo sich Individuen dieser repressiven Forderung widersetzen, wie hier im Fall der auffälligen, kriminellen und verwahrlosten Jugendlichen dargestellt, mussten sie damit rechnen, in die Obhut staatlicher, bzw. sozialpädagogischer Institutionen gegeben zu werden, die das Ziel verfolgten, die bestehenden gesellschaftlichen Normen durchzusetzen und zu verteidigen. In Teilen der Reformpädagogik und in Teilen der Jugendbewegung können zwar durchaus Anteile einer freieren Sexualerziehung nachgewiesen werden, das Reden über Sexualität war indes limitiert durch die herrschenden rigiden Normvorstellungen der Gesellschaft der Kaiserzeit.
Die Psychiatrie Auch anhand der Geschichte der Psychiatrie des 19. Jahrhunderts lässt sich, ähnlich wie an dem eben vorgestellten Bereich der Jugendfürsorge, paradigmatisch der überwiegend repressive gesellschaftliche Umgang mit abweichendem Verhalten, im Fall der Psychiatrie genauer: krankheitsbedingter sozialer Abweichung, nachvollziehen. Zunächst einmal ist die völlig unzureichende materielle Ausstattung der psychisch Erkrankten im ausgehenden 19. Jahrhundert unmittelbar ersichtlich: Die erkrankten Menschen im Kaiserreich gehörten nicht zu jenen Menschen, die einer Erwerbsarbeit nachgehen konnten, sie fielen somit aus dem Bereich der Sozialgesetzgebung heraus. Die für ihre „Behandlung“ überwiegend zuständigen, wohnortfernen „Irrenanstalten“ waren in den ersten Jahren nach einer bürgerlichen Emanzipationsphase zu Beginn des 19. Jahrhunderts (vgl. dazu Dörner 1975: 190-345) zunächst noch als pädagogisch geprägte Lehr- und Lernanstalten mit der Aufgabe der Heilung und Umerziehung der Irren eingerichtet worden (vgl. dazu Blasius 2001: 30ff.). Sie entwickelten sich Ende des 19. Jahrhunderts jedoch immer mehr zu einer „staatlichen Irrenüberwachung“ (Blasius 1994: 84). Das Kaiserreich konzeptualisierte das Irrenhaus als kontrollierenden und disziplinierenden „Sanktionsmechanismus für nichtangepasstes Verhalten“ (Blasius 1994: 87), ein Zustand, der sich bis in die Weimarer 32 Laqueur betont, dass das Reden über Sexualität in der Jugendbewegung einem relativ kleinen Kreis von Studenten vorbehalten blieb, die zudem nicht zu einflussreichen Protagonisten der Bewegung gehörten, vgl. Laqueur 1962: 75. 33 Vgl. zu der Frage der „Pluralisierung des Begehrens“ Lautmann 2005.
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Republik hinein kaum wesentlich verändern sollte. Die hier beschriebenen großen, wohnortfernen Landeskrankenhäuser stellten für den größten Teil der Patienten allerdings nur eine Durchgangsstation dar. Das eigentliche „Irrenproblem“ stellte sich auf kommunaler Ebene, wo die Gemeinden nur eine rudimentäre Infrastruktur für die Versorgung der Irren bereit stellten und ohne die traditionell für die Irrenpflege engagierten katholischen Klöster hoffnungslos überfordert gewesen wären. Der Umgang mit den meist mittellosen psychisch erkrankten Menschen wird weitestgehend als administrative und monetäre Frage formuliert, die Verantwortlichkeit wird zwischen Kommunen, Kreisen und Provinzen hin- und hergeschoben, die Irren werden zu einem beträchtlichen Teil in den kommunalen Armenhäusern untergebracht. In den Armenbzw. Irrenhäusern geraten die Irren zunehmend in die Hände einer „beobachtende[n], objektivierende[n], zergliedernde[n] und experimentierende[n] Medizin“ (Kardorff 2001: 1436). Was zunächst im Zuge der französischen Revolution und der folgenden schrittweisen Durchsetzung von allgemeinen Menschenrechten als Fortschritt und als der Versuch der Hilfe angelegt war, stellt sich für die Betroffenen im Kaiserreich zusehends als wissenschaftlich begründete, humanistisch legitimierte und administrativ nützliche Einsperrung und Kontrolle heraus (vgl. ebd.). Nach einigen nur mäßig erfolgreichen Versuchen von Anstaltspsychiatern, die Familienpflege als de-institutionalisierenden Schritt in die Psychiatrie einzuführen (vgl. dazu Blasius 2001: 32f.), begann mit dem 1. Weltkrieg ein „Schicksalszeitraum der Psychiatrie des 20. Jahrhunderts“ (Blasius 2001: 34). Schon 1914 hatte sich die Psychiatrie in das Nationalgeschrei des 1. Weltkriegs eingereiht und ihre ethischen Ziele nicht mehr an den Schicksalen der kranken Menschen ausgerichtet, sondern vielmehr an den Zielen der Krieg führenden Nation. Die Psychiatrie wurde eine nationale Psychiatrie, die psychisch Kranken wurden vermehrt unter dem Blickwinkel ihrer mangelnden Kriegstauglichkeit gesehen, die Parteinahme der Psychiatrie für die Patienten war in Frage gestellt. Nach dem 1. Weltkrieg pendelte die Psychiatrie zwischen „Reform und Radikalisierung“ (vgl. Siems, zit. n. Blasius 2001: 36). Spätestens jedoch mit der Weltwirtschaftskrise gab es für die reformorientierten Psychiater weder einen ökonomischen noch einen politischen Handlungsspielraum – „die Psychiatrie fiel hinter das Jahr 1918 zurück; die Weltkriegssituation mit ihrer Stufung der Bevölkerung in Gesunde und Kranke, in Heilbare und Unheilbare, wiederholte sich und ließ die Schwächsten die Not der Zeit am stärksten spüren“ (Blasius 2001: 37). Pädagogische Konzepte im Umgang mit psychischer Krankheit existieren zu diesem Zeitpunkt noch kaum, die Psychiatrie ist gekennzeichnet vom naturwissenschaftlich geschulten Blick der Medizin. Im Lexikon der Pädagogik der Gegenwart von 1930 (vgl. Deutsches Institut für wissenschaftliche Päd41
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agogik 1930) sind zwar verschiedene psychische Krankheiten (Neurose, Psychose, Psychopathie, Zwangszustände usw.) genannt, die Beschreibungen verbleiben aber in einer rein medizinischen Betrachtungsweise. Anders als das Phänomen der Jugendverwahrlosung, das man noch durchaus für pädagogisch „normalisierbar“ erachtete und sie deshalb im Kontext der Sozialpädagogik verhandelte, bestand bei der psychiatrischen Abweichung diese Hoffnung häufig nicht. Noch deutlicher als im Kontext der verwahrlosten Jugendlichen greift also der Mechanismus, der die Abweichung eindeutig identifiziert und durch Abschiebung in gesonderte, segregierende Anstalten sanktioniert.
Die Behindertenpädagogik Ganz ähnlich wie der Umgang mit psychischer Erkrankung waren die Verhältnisse im Umgang mit Behinderung. Auch behinderte Menschen waren aus der Perspektive des Staates zunächst einmal ein Kostenfaktor, da sie nur bedingt arbeits- und leistungsfähig waren. Sie wurden aus diesem Grund auch nur sehr zögerlich als hilfsbedürftig und vor allem hilfswürdig erkannt. Dort, wo den Behinderten schließlich Hilfe zuteil wurde, war diese gekennzeichnet durch den Antagonismus von Pädagogik und Medizin. Zwar existierten bereits einige theoretische, pädagogisch geprägte Systematisierungsversuche,34 die Praxis der Pädagogik war aber überwiegend gekennzeichnet von der christlichreligiösen Priorität der Fürsorge und der Aufbewahrung, die kaum emanzipative Bestrebungen zuließ (vgl. Merkens 1988: 82). Dies änderte sich erst, als im Zuge eines allgemeinen Erziehungsoptimismusses Heil- und Hilfsschulen gegründet wurden, die die Behinderten als grundsätzlich entwicklungsfähig ansahen und ihnen zumindest eine basale Bildung zukommen lassen wollten.35 Die medizinische Sichtweise hingegen, die auch im Kontext der Psychiatrie bereits als die dominierende Strömung gekennzeichnet wurde, konnte zunächst besonders dort reüssieren, wo das Klientel aufgrund der Schwere der geistigen Behinderung als nicht bildungsfähig angesehen wurde. Nicht zuletzt wegen der zu erwartenden Kostenersparnis wurden diese in den bereits bestehenden Irren- oder Siechenhäusern mit behandelt (vgl. Petzoldt 2001: 50).
34 So besonders das doppelbändige Werk Die Heilpädagogik mit besonderer Berücksichtigung der Idiotie und der Idiotenanstalten von Georgens und Deinhardt aus den Jahren 1861 bis 1863, vgl. Petzoldt 2001: 38. 35 Es wird an dieser Stelle keine weitere Unterscheidung gemäß der verschiedenen Behinderungsarten sowie der jeweiligen Einrichtungen und pädagogischen Konzepte unternommen, weil es sich lediglich um einen überblicksartigen Abriss der Heil- und Sonderpädagogik handelt. Im Rahmen dieses Überblicks sollen vorrangig die Gemeinsamkeiten des pädagogischen Umgangs mit Differenzen zu den jeweiligen historischen Zeitpunkten erörtert werden, einen differenzierteren Überblick liefert Merkens 1988.
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Als wesentliches, zumindest implizites Moment sowohl der pädagogischen als auch der medizinischen Behandlung sind ökonomische Beweggründe zu erkennen: Die Erreichung eines gewissen Bildungsstandes konnte die Behinderten für den Arbeitsmarkt qualifizieren, womit sie den öffentlichen Kassen nicht weiter zur Last fielen. Außerdem konnten sie als billige Arbeitskräfte für Routinearbeiten und gleichzeitig als Druckmittel gegen nicht-behinderte Arbeitnehmer instrumentalisiert werden. In der medizinischen Sichtweise wurden darüber hinaus ökonomische Beweggründe mit sozial- und gesundheitspolitischen Vorstellungen vermengt. So wurden bereits um die Jahrhundertwende Überlegungen angestellt, ob nicht unter nationalökonomischen Gesichtspunkten Zwangssterilisationen durchgeführt werden könnten, weil die Gefahr bestünde, „dass derartige Individuen mit minderwertigen Personen des anderen Geschlechts eine Nachkommenschaft produzieren könn[t]en, die hohe Grade von Schwachsinn oder sittlicher Verkommenheit aufweis[en] und die Gesellschaft in schlimmer Weise gefährde[n]“36 könnten. Es dominierte in der Folge ein biologisches Krankheitskonzept, das sich in der Zeit des Nationalsozialismus vollends durchsetzen sollte. Dies wurde analog zu der Sichtweise in der Psychiatrie ausbuchstabiert, in seinem Kontext fällt wiederum die Verbindung von Pädagogik und Strafrecht, die bereits im Kontext der verwahrlosten Jugendlichen beschrieben wurde, auf: Psychische Krankheit und Behinderung ist in dieser Sichtweise Folge der „Keimmischung“ (Petzoldt 2001: 52), die Träger dieser Krankheit stellen eine Gefahr für die Öffentlichkeit und Gesellschaft dar, sind damit asozial und müssen aus diesem Grund von der Gesellschaft separiert werden: Aus einer abnormen Gemütslage ergibt sich ein den allgemeinen Gesetzmäßigkeiten widersprechendes Verhalten, es entstehen Konflikte mit der normalen Umgebung, das betreffende Individuum erscheint antisozial, dieses Verhalten hat die Notwendigkeit zur Folge, ein solches Individuum von den normalen, soziale Wertarbeit verrichtenden Menschen abzusondern und – sofern die erforderlichen intellektuellen Kriterien vorhanden scheinen (Zurechnungsfähigkeit) – zu bestrafen, sei es um abzuschrecken, zu vergelten oder Besserung zu erzielen (so wiederum Heller, zit.n. Petzoldt 2001: 54).
In der Weimarer Republik sind die eugenischen und rassehygienischen Überlegungen zwar weit verbreitet, aber Zwangskastrationen und Sterilisationen sind – noch – Einzelfälle. Eugenik und Rassenhygiene gelangen aber bereits hier genauso in den Mainstream des Diskurses über Behinderung wie die strik36 So Theodor Heller in seinem Grundriß der Heilpädagogik, das zu Beginn des 20. Jahrhunderts, im Jahr 1904, erstmals erscheint und seinerzeit zu einem der Hauptlehrbücher der Heilpädagogik avanciert, zit. n. Petzoldt 2001: 51.
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te Aufteilung menschlichen Lebens in erbkranke und gesunde, nicht verwertbare und verwertbare Menschen, sowie letztlich lebensunwertes und lebenswertes Leben. Genauso wie in der Psychiatrie werden hier ethisch-moralische Überlegungen der Humanität, Individualität und Menschenwürde zugunsten von Nützlichkeits- und Verwertbarkeitserwägungen zurückgedrängt – und damit die Voraussetzung geschaffen für die spätere Umsetzung der hier noch weitgehend theoretischen Überlegungen im Nationalsozialismus.
Zusammenfassung: Der frühe Blick der Sozialpädagogik auf Differenzverhältnisse In der nun folgenden Zusammenfassung soll der Versuch unternommen werden, wesentliche strukturelle Momente in Bezug auf den Umgang mit (Un-) Gleichheit und Differenz zum Ende des 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts zusammenzufassen. Dazu wird zunächst ein philosophischer Rahmen abgesteckt, der den spezifischen Umgang mit Gleichheit und Differenz, Homogenität und Heterogenität zu dieser Zeit verdeutlicht. Es handelt sich dabei um das monistische Denken, einem Denken also, das nach Einheitlichkeit strebt und das auch die Pädagogik berührt. In Anschluss an diesen Exkurs in die Philosophie wird es darum gehen, den spezifischen Blick der Sozialen Arbeit auf die Gesellschaft, auf das Individuum und auf die Differenz von Abweichung und Normalität zu erhellen. Dies sind wesentliche Strukturen, die die Soziale Arbeit bis heute prägen. Insofern kann an ihnen abgelesen werden, vor welchem Hintergrund theoretischer Grundannahmen die Soziale Arbeit die sie strukturierenden Differenzen bearbeitete.
Die systematische Philosophie als Orientierungsrahmen für die Differenzbearbeitung der Sozialen Arbeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts In der Geschichte der westlichen Philosophie ist das Nachdenken über Differenz geprägt von dem Nachdenken über das philosophische Gegenstück zur Differenz, der Identität, dem Ganzen. Schon immer war die Philosophie geprägt von dem Ansinnen, das Ganze der Welt zu erkennen, die „Totalität der Wirklichkeit oder des Absoluten“.37 Angesichts der Unübersichtlichkeit der 37 Schnädelbach 1999: 14. So dominierte in der westlichen Welt, in der idealistischen Philosophie Fichtes oder Hegels besonders eindringlich dargestellt (vgl. dazu Gloy 1981), lange Zeit die traditionelle Vorstellung einer einzigen Philosophie, an deren großen einheitlichen Gebäude die einzelnen Denker in bescheidener Zurückhaltung ihrer Individualität mit bauten. Die Existenz einer fernöstlichen Philosophie beispielsweise wurde zwar wahrgenommen, aber unter Verweis
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Welt und der daraus resultierenden Suche und Sehnsucht des Menschen nach Orientierung suchte die Metaphysik schon immer die Einheit, das Allgemeine, das Wesen, die Gleichheit, die Selbigkeit oder die Identität zu ergründen. Sie fixierte das Gefundene als arché, lógos, Idee, Wesenheit, Gott oder auch als Materie, Natur oder Substanz. Von einer genaueren Untersuchung des Vielen, des Verschiedenen, des Besonderen, des abhängig Existierenden, des Anderen oder der Differenz sah man vor diesem Hintergrund fast zwangsläufig ab (vgl. Schnädelbach 1999: 14). Der Sinn philosophischer bzw. wissenschaftlicher Auseinandersetzung mit verschiedenen Phänomenen wurde schließlich in der Systematisierung und Vereinheitlichung der Heterogenität dieser Phänomene gesehen. Das monistische38 Denken ist von jeher Kennzeichen des abendländischen Denkens, es findet sich in der Geschichte der abendländischen Philosophie allerdings in verschiedenen Spielarten (vgl. Gloy 1987: 166ff.). So behauptete Parmenides (ca. 515 v. Chr. – ca. 445 v. Chr.), dass alle Dinge im Grunde Eines seien. Die Vielzahl der vorkommenden Phänomene sei in Wahrheit nur in der Meinung, in den Sinneswahrnehmungen der Sterblichen vorfindbar.39 Das wirkliche Sein vergleicht er mit einer wohlgerundeten Kugel, die nach allen Seiten hin gleich beschaffen ist, die somit absolut homogen ist. Gegen diese Art des Monismus wurde hervorgebracht, dass die bloße Herabsetzung der Vielfältigkeit der uns umgebenden Wirklichkeit der realen Wirklichkeitserfahrung der Menschen widerspricht. Darüber hinaus spricht gegen diese Art eines „monolithischen ontologischen Monismus“ (ebd.), dass eine absolute Gleichheit und Homogenität nur in Relation zu etwas Anderem gedacht werden kann. Gleichheit setzt also Differenz voraus, und diese Differenz kommt im Konzept des Parmenides nicht vor. Trotz dieser Einwände ist Parmenides Monismuskonzeption bis zu Spinoza (1632-1677) immer wieder aufgegriffen und als grundsätzlich gültig erachtet worden (vgl. ebd.). Die deutschen Idealisten, namentlich Fichte (1762–1814), Schelling (17751854) und Hegel (1770-1831), gestalteten den Monismus in unterschiedlicher Art und Weise aus, wobei die Hegelsche Konzeption die am häufigsten rezipierte blieb. Hegel forderte die Einheit von philosophischem System und Wirklichkeit und setzte sich zum Ziel, mit seiner Philosophie ein geschlossenes System der Wirklichkeit zu schaffen (Koslowski 1998: 5). Er konzipiert auf die enge Verbindung zur Religion als nicht-philosophisch überwiegend nicht weiter rezipiert, vgl. Helferich 2001: 486. 38 Der Monismus wird in der Philosophie als eine Lehre bezeichnet, in der im Gegensatz zum Dualimus und im Pluralismus die Vielheit der Welt auf ein einziges Prinzip […] zurückgeführt wird (Brockhaus, 19. Auflage, Stichwort Monismus). 39 Schon hier beginnt (so Gloy 1987: 171) in der europäischen Geistesgeschichte die Diskriminierung der Erscheinungswelt. Wir finden sie auch weiter unten, im Kontext der Zweiweltentheorie der abendländischen Philosophie.
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eine Einheit, die allerdings Differenz nicht ausschließt. Das Ganze, so Hegel in seiner „spekulativen Grundfigur“ (ebd.), kann nur als Einheit seiner selbst mit seinem Gegenteil gedacht werden. Die dialektische Grundfigur besteht, stark vereinfacht ausgedrückt, also aus drei Schritten und folgt dem Prinzip des Denkens in binären Oppositionen/Gegensätzen. Einer einmal eingenommenen Position (These) wird eine Negation (Antithese) entgegengesetzt, und dieser Gegensatz wird in einer höheren Einheit (Synthese) aufgelöst. Für die Untersuchung des sozialpädagogischen Umgangs mit Differenzen finden sich in der Hegelschen Dialektik-Konzeption bereits wichtige wesentliche Grundsätze: Die Form der Hegelschen Dialektik wird im westlichen Denken zur absoluten Methode des Erkennens. Mehr noch: Die realen Entwicklungen in der Welt vollziehen sich in dieser Sichtweise, die sich auch tief in das Alltagsdenken der westlichen Moderne eingräbt, ebenfalls dialektisch. Der Verstand setzt, um die Dinge erkennen zu können, einen abstrakten begrifflichen Gegensatz, eine binäre Opposition. Diese binäre Opposition stellt die Grundlage des Nachdenkens darüber dar, wie die Welt und die in der Welt sich befindenden Phänomene geordnet sind. Nun bleibt das dialektische Denken aber nicht bei dem Erkennen der binären Opposition stehen, sondern versucht, aus beiden Seiten, ganz im Sinne des monistischen Denkens, eine neue Einheit herzustellen. Diese neue Einheit birgt in sich eine höhere Erkenntnis, weil sie die vorher erkannte binäre Opposition in sich vereint. Auch in der Pädagogik finden wir diese Strategie der Differenzbearbeitung durch Synthetisierung, oder auch Homogenisierung der Differenzen mit dem Ziel der Einheit, tief verankert: Erziehung ist in der aufklärerischen Moderne allgemein auf die Selbstermächtigung und die wachsende Autonomie des Subjekts gerichtet. Dieses wird im Prozess der zunehmenden Rationalisierung, Modernisierung und Zivilisierung mehr und mehr in die Lage versetzt, mit Hilfe seiner instrumentellen Vernunft seine Affekte gemäß den ökonomisch kalkulierten Lebensvollzügen zu steuern (vgl. Wulf 2001: 45ff.). Die Selbstermächtigung des Subjekts stößt dann an ihre Grenzen, wenn sich im Bestreben des Menschen nach Universalität seine Individualität auflöst: „Nur noch das allgemeine Subjekt, nicht das individuelle Ich zählen. Mit der Herausbildung eines abstrakten Subjekts als Bezugspunkt der Bildung beginnt der umfassende Prozess der Verdrängung des Einmaligen, Konkreten […]. Mit der Entwicklung eines allgemeinen Subjekts wird ein Habitus hervorgebracht, der das Subjekt in Arbeitswelt, Politik und anderen Lebensbereichen zu einer kalkulierbaren Größe macht“ (Wulf 2001: 47f.).
Diese Tendenz, die individuelle und gesellschaftliche Unordnung oder, wie es heute weniger wertend heißt: die individuelle und gesellschaftliche Heterogenität, unter eine Ordnung zu bekommen, kann auch in der Theorie der Pädagogik an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert ausgemacht werden. Eduard 46
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Spranger (1882-1963), einer der wichtigsten Vertreter des geisteswissenschaftlichen Paradigmas in der Pädagogik, sah es als genuine Aufgabe der wissenschaftlichen Pädagogik an, „eine bereits gegebene Kulturwirklichkeit aufzufassen, unter ordnende Begriffe zu bringen und zuletzt durch Normen und Wertsetzungen zu gestalten“ (zit.n. Krüger 2002: 31). Aufgabe der (geistes-) wissenschaftlichen Pädagogik ist es also, die gegebene Vielfalt der Kultur übersichtlicher zu machen, indem sie unter ordnende Begriffe zusammengefasst wird. Eine solche Vorgehensweise verfolgt den Zweck, die Vielzahl von Erscheinungen oder Beobachtungen, die im pädagogischen Kontext möglich sind, unter eine Einheit zu subsumieren. Diese Komplexitätsreduktion ermöglicht es dem/der pädagogisch Handelnden, auf reproduzierbare Handlungsmuster und Handlungsschemata zurückzugreifen. Bestimmte theoretische Weltentwürfe – hier z.B. der Weltentwurf im Kontext der geisteswissenschaftlichen Pädagogik – bilden die jeweilige Grundlage dieser Handlungsschemata. Sie haben die Aufgabe, „die Vielheit isolierter Daten in bestimmter Weise zu koordinieren, Zusammenhänge herzustellen, Bedeutsames von Unbedeutsamem zu unterscheiden, kurzum die Vielfalt zu sichten, zu ordnen, zu arrangieren, um Orientierung zu ermöglichen“ (Gloy 1987: 165). Auch die oben beschriebenen Spannungslinien, die Differenz der Generationen und die Differenz der Geschlechter, folgen letztlich den beschriebenen dialektischen, letztlich monistischen Erzeugungsgesetzen von Wissen. Die sich zunächst unvereinbar gegenüber stehenden binären Oppositionen, die im Kontext der Sozialen Arbeit relevant wurden (junge Generation – alte Generation, Mann – Frau), wurden durch die Synthetisierung, die die Differenz unter einer höheren Einheit zusammen führte, homogenisiert. Den Bezugspunkt dieser Homogenisierung bildeten die Begriffe Gemeinschaft, Volk und Nation. Das Hauptaugenmerk und der pädagogische Blickwinkel waren dabei ganz auf das Ziel der Einheit und Ganzheit gerichtet, womit die Vernachlässigung des Gegensatzes, also der Differenz und der Vielfalt, einherging.
Soziale Arbeit und der Blick auf die Gesellschaft I: Soziale Arbeit als Befriedungsinstanz für soziale Ungleichheit und „soziale Zerklüftung“ Der Blick auf die Gesellschaft ist in der Pädagogik zu Beginn des 20. Jahrhunderts geprägt durch den Begriff der Gemeinschaft.40 Der Begriff avanciert geradezu zu einem „der magischen Wörter der Zeit“ (Sontheimer 1968, zit. n. Reyer/Henseler 2000: 2) und findet sich entweder unmittelbar in Titeln von 40 Zum Verhältnis von Sozialpädagogik und Gemeinschaft vgl. Marburger 1979: 26-44 sowie Henseler/Reyer 2000.
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ganz unterschiedlichen, aber einflussreichen zeitgenössischen Werken, etwa bei Tönnies (zuerst 1887, vgl. hier Tönnies 2005), Natorp (vgl. Natorp 1922) oder Litt (vgl. Litt 1919), oder spielt eine zentrale Rolle in der Theoriebildung, etwa bei Nohl (vgl. Nohl 1961). Die Magie, die von dem Begriff auszugehen schien, zeigt sich u.a. in seiner recht unscharfen Verwendung, die je nach Weltanschauung variieren konnte. Allerdings bot die Definition von Gemeinschaft als historisch beschreibbare Gesellungsform des Menschen, die Ferdinand Tönnies (vgl. Tönnies 2005) zuerst bereits im Jahr 1887 in Absetzung zum Gesellschaftsbegriff erarbeitet hatte, einen theoretischen Hintergrund, der sich durch die unterschiedlichen Verwendungsarten hindurch zieht: Tönnies konstatiert hier den Verlust naturwüchsiger Gemeinschaften als Folge von Bevölkerungswachstum, Binnenwanderung, Industrialisierung und Verstädterung. Der konstatierte Verlust naturwüchsiger Gemeinschaft forderte in der Folge ganz verschiedene Versuche der Rekonstruktion eben solcher Gemeinschaften heraus. Die beiden für die Soziale Arbeit eminent wichtigen sozialen Bewegungen der Jugend und der Frauen greifen jeweils zur Legitimation ihrer Anliegen auf den Gemeinschaftsbegriff zurück. Im Kontext der Jugendbewegung, die die industrialisierte, großstädtisch-moderne Gesellschaft als Abfall von der „eigentlichen“ Kultur ansah, wurde der Gemeinschaftsbegriff zur Methode: Hier wurde Erziehung zum einen konzipiert als Erziehung zur Gemeinschaft. Damit war die Forderung verbunden, Erziehung solle „Erziehung zur Gemeinschaftsgesinnung, zum sittlichen Solidaritätsbewusstsein überhaupt, als auch zur Eingliederung in bestimmte Gemeinschaftsgebilde (Familie, staatlich organisierte Volksgemeinschaft, Berufsgemeinschaft, Kirche usw.)“ (Haase 1930a: 902) sein. Dieses Erziehungsziel kam der Sozialpädagogik, die immerhin als „Lehre von der Erziehung des Einzelnen zu sittlichem sozialen Verhalten“ (Haase 1930b: 978) galt, natürlich entgegen. Verwirklicht werden sollte dieses Ziel durch die Methode der Gruppenpädagogik, in der zeitgenössischen Ausdrucksweise formuliert: Erziehung durch Gemeinschaft. Im Gegensatz zu früheren, einseitig intellektualistisch orientierten Methoden der Erziehung sollte der Zögling durch das unmittelbare Erleben innerhalb einer geeigneten Gemeinschaft – z.B. in der Familie, aber auch in der Klassen- und Schulgemeinschaft – die erwünschten sozialen Tugenden erlernen. In der seit der Aufklärung dominierenden Geistesströmung des Individualismus, die die in sich vollendete Persönlichkeit als höchstes Ziel der Erziehung formuliert hatte, wurde nun die Ursache für die zunehmende Zerklüftung des Sozialen, der Weltanschauungen und des Politischen gesehen.41 Die Jugendbewegung hatte sich
41 Natorp erkennt „eine tiefe Kluft zwischen den oberen und unteren Volksschichten“ und konstatiert neben dieser sozialen Zerklüftung eine weltanschauliche
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zwar nicht vollständig mit ihrer ursprünglichen Forderung – die Selbsterziehung der Jugend innerhalb der Gemeinschaft – durchsetzen können, mit dem Konstrukt der personalen Gemeinschaft zwischen Erzieher und Zögling war aber nach der autoritär verfassten Kaiserzeit abermals das Eigenrecht der jungen gegenüber der älteren Generation sozialpädagogisch festgeschrieben. Darüber hinaus verwies die Jugendbewegung immer wieder auf den kulturellen Nutzen, den auch die große Volksgemeinschaft erfahren sollte, wenn die Konzepte der jungen Generation verwirklicht würden. Die bürgerliche Frauenbewegung rekurrierte ebenfalls auf das allgemein als wünschenswert angesehene Ziel der Gemeinschaft, um die eigenen Anliegen zu plausibilisieren und durchzusetzen. Ähnlich wie die Jugendbewegung dehnte die bürgerliche Frauenbewegung den Gemeinschaftsbegriff von der kleinen Familiengemeinschaft auch auf die große Volksgemeinschaft aus. Sie unterstrich den Nutzen, den die gesamte Nation, bzw. Nationalgemeinschaft von den spezifisch weiblichen Tätigkeiten haben würde. Der pädagogische Blick auf die Gesellschaft folgte ebenfalls dem Gemeinschaftsbegriff. Wegweisend für diese neue Sichtweise war sicherlich Paul Natorp, dessen grundlegendes Werk Sozialpädagogik. Theorie der Willensbildung auf der Grundlage der Gemeinschaft (vgl. Natorp 1922) bereits 1898 erschienen war. Insbesondere das Konzept der Nation erfährt in der Pädagogik eine besondere Wirkmächtigkeit. So wird im schon mehrmals genannten Lexikon der Pädagogik der Gegenwart explizit von einer „Nationalpädagogik“, bzw. einer „nationalen Erziehung“ gesprochen (vgl. Mayer 1930: 450-455). Ihre Aufgabe sei es, „die in der Nation gegebenen geistigen Werte (das Wahre, Gute und Schöne […]) zu pflegen und fortzupflanzen“ (Mayer 1930: 450). Ganz im Sinne der nationalstaatlich verfassten, „organisierten Moderne“ (vgl. Wagner 1995) begreift sich die Pädagogik als ebenfalls dem Dienst an der Nation verpflichtet. Die spezifische Figur der Nation, die eben auch in dem zeitgenössischen Erziehungsziel der Gemeinschaft zum Vorschein kommt, ist dabei eine vorgestellte und begrenzte politische Gemeinschaft,42 die auf einer Zerklüftung „und als Ausdruck beider eine fast hoffnungslos erscheinende Zerklüftung der politischen Parteien […], die für die Zukunft der Nation ernste Besorgnisse in jeden unverblendeten Beobachter wecken muss“. Zitiert nach Marburger 1979: 24. Bei Marburger auch zahlreiche weitere zeitgenössische Literaturhinweise, die in der Sozialpädagogik Gemeinschaftserziehung eine mögliche Lösung der gesellschaftlichen Probleme sahen. 42 Vgl. dazu Anderson 1996: 14ff. „Vorgestellt“ meint hier: auch die Mitglieder der kleinsten Nation werden sich untereinander nicht alle kennen, ihnen begegnen, aber im Kopf wird die Vorstellung einer Gemeinschaft existieren. „Begrenzt“ meint hier: selbst die größte Nation wird in, wenn auch variablen Grenzen leben, jenseits derer andere Nationen leben. Mit „Gemeinschaft“ ist gemeint, dass unabhängig von realer Ungleichheit und Ausbeutung die Nation als kameradschaftlicher Verbund von Gleichen verstanden wird.
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gemeinsamen „kulturell-linguistischen“ (Wagner 1995: 86) Grundlage basiert. Immer wieder dienen die Schlagworte Erziehung zur Nation der Jugendbewegung und der Dienst an der Nation der Frauenbewegung als Zielpunkt und Antrieb ihres Engagements. Die Idee des Nationalstaats wurde bald nach dem Aufkommen seiner Idee (vgl. dazu Anderson 1996: 44ff.) als „konzeptionell angemessenes Instrument zur operablen Durchsetzung der Moderne“ (ebd.: 87) angesehen. Dem philosophischen Traum einer einheitlichen „gesetzgebenden Vernunft“ (Bauman 1992: 35) entsprach materialistisch die Tätigkeit des Staates, dessen Hauptaufgabe in der Schaffung einer Ordnung43 innerhalb seiner territorialen Ausdehnung gesehen wurde. Die Schaffung einer sozialpolitischen Ordnung die, wie beschrieben, das Ergebnis des Kampfes um die Differenz der sozialen Klassen war, stellt insofern die Voraussetzung für die Implementierung sozialpädagogischer Tätigkeit dar, als es nur mit Hilfe eines funktionierenden staatlichen Apparates im kapitalistischen Wirtschaftssystem gelingen kann, professionelle sozialpädagogische Institutionen ins Werk zu setzen. In der Nation als ontologische Einheit zusammengefasst wird ein Volk mit gemeinsamen Sprachpraktiken und der Idee einer gemeinsamen Geschichte und geteilter Werte, mithin einer gemeinsamen, homogenen Kultur. Die Begriffe Volk, Kultur und Nation werden hier gleichgesetzt. Auch die Jugendbewegung und die Frauenbewegung verwiesen immer wieder auf die Bezugspunkte Gemeinschaft, Nation und Volk. Diese, seit dem 19. Jahrhundert bestehende Vorstellung von Kultur kann als totalitätsorientiert und holistisch bezeichnet werden (vgl. Reckwitz 2001: 185f.).44 Zum damaligen Zeitpunkt erhofft man sich aus dem Einheitsversprechen von Gemeinschaft, Volk und Nation und vor dem Hintergrund des sozialen Verfalls und der Kulturkrise seit der Industrialisierung die Lösung der sozialen Probleme. Eine systematische Gesellschaftsanalyse der sozialen Ungleichheit in der kapitalistischen Gesellschaft blieb in der geisteswissenschaftlich geprägten Pädagogik weitgehend aus. Falls doch, bezog sich diese vorrangig auf die vorgefundene Erziehungswirklichkeit, also auf konkrete pädagogische Situationen, die der pädagogischen Theorie zugrunde liegen. Indem die geisteswissen43 Und zwar einer einzigen Ordnung, vgl. Junge 2003: 143. 44 Charakteristisch für eine Kultur ist nach dieser Lesart ein die gesamte menschliche Lebensweise umfassender Komplex spezifischer Verhaltensweisen, die in dieser speziellen Form nur in dieser Kultur an den Tag gelegt werden. Das Verhältnis zwischen verschiedenen Kulturen ist durch eine natürliche Fremdheit geprägt, weil die einzelnen Kulturen wie einzelne Kugeln in sich geschlossen und nach außen eindeutig durch die Andersartigkeit ihrer Lebensweise erkennbar sind. Innerhalb der einzelnen Kugeln ist eine homogene Lebensweise charakteristisch, die von den einzelnen Akteuren in ihrer Selbst- und Fremdbeschreibung auch so identifiziert und anerkannt wird.
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schaftliche Pädagogik die Bedeutung der Erziehungswirklichkeit für den Zögling zu ergründen sucht, vernachlässigt sie zwangsläufig die gesellschaftliche Dimension der Erziehung. Zwar bezieht sie die geschichtliche Entwicklung, d.h. die Geschichte des Zöglings und die Geschichte seines Umfelds, mit in ihre Reflexion ein. Die Ziele pädagogischen Handelns generiert sie aber vorrangig aus den vorgefunden Idealen und Werten der Zeit – und die werden dominiert von den Idealvorstellungen von Gemeinschaft und Nation.
Soziale Arbeit und der Blick auf das Individuum I: Erziehung zur Gemeinschaft Was bedeutet nun das oben Beschriebene für die Stellung des Individuums in der Pädagogik zu Beginn des 20. Jahrhunderts? Das Ziel der fürsorgeorientierten Sozialpädagogik der Zeit lag in der Absicherung der Gemeinschaft (vgl. auch Otto/Seelmayer 2004: 46).Im Spannungsfeld von Individual- und Sozialpädagogik wurde dementsprechend von sozialpädagogischer Seite die Meinung vertreten, dass „die großen Aufgaben der Erziehung im Sein der Gemeinschaft, der Allheit liegen. Die Gemeinschaft führe ein Leben größeren Stils über dem Leben der Individuen und sei dadurch auch Träger größerer Ziele und Werte, gegen welche die der Individuen zurückzustehen haben“ (ebd.). Andererseits, quasi als Kehrseite der Gemeinschafts-Medaille, könne kein Zweifel daran bestehen, dass Erziehung „wesensnotwendig“ (Henn 1930: 1214) individualisieren, d.h. die individuellen Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen, die individuelle soziale Umwelt und den individuellen Rhythmus des Zöglings beachten müsse: „Im Individuum liegen die Ursachen für soziale Probleme – Armut resultiert demnach aus wirtschaftlichem Versagen des Betroffenen und Verwahrlosung aus einem moralischen Versagen. Dementsprechend werden mögliche Ansatzpunkte für Interventionen auch vornehmlich im Einzelfallbezug gesehen“ (Otto/Seelmayer 2004: 46). Die Vermittlung zwischen den beiden Oppositionen Sozial- vs. Individualpädagogik wird in der spezifischen pädagogischen Beziehung, wie sie von Nohl konzipiert wurde, versucht. Dieser weist sowohl auf das Eigenrecht des Zöglings als auch auf die Notwendigkeit der Erziehung zur Gemeinschaft hin. Nohl hatte auf Seiten des Zöglings die Bereitschaft zum Gehorsam gefordert und vorausgesetzt, dass das von ihm letztlich hierarchisch konzipierte Verhältnis von Erzieher und Zögling auch auf Seiten des Zöglings auf Resonanz stößt: „Gehorsam heißt […] freie Aufnahme des Erwachsenenwillens in den eigenen Willen und spontane Unterordnung als Ausdruck eines inneren Willensverhältnisses, das gegründet ist in der überzeugten Hingabe an die Forderungen des höheren Lebens, das durch den Erzieher vertreten wird“ (Nohl 1961: 139). Die Internalisierung, also die Übernahme und das Sich-zu-Eigen-machen von Werten, Normen und Auffassungen des Erziehers, der damit die größere Ein51
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heit, die Gemeinschaft oder die Nation repräsentiert, erfolgt somit zunächst durch die Einwirkung des Erziehers auf den Zögling, damit dieser die Vorgaben des Erziehers freiwillig, unter steter Kontrolle und mit der Aussicht auf negative Sanktionen bei Nichtbeachtung übernimmt. Erwachsen ist der Zögling dann, wenn er grundsätzlich die vorgegebenen Werte, Normen und Vorstellungen des Erziehers, und damit der Gemeinschaft, verinnerlicht hat und nach ihnen lebt. An die Stelle des Erziehers ist nun das Über-Ich als neue Kontrollinstanz getreten. Dieser Prozess der „Internalisierung“ verändert also den Modus der Normenbefolgung: Nicht mehr der Gehorsam gegenüber konkreten und starren, durch äußere Gewalt gesetzten und mit Sanktionen durchgesetzten Normen steht im Vordergrund, sondern die von äußeren Zwängen befreite Gewissensentscheidung, im Einzelfall orientiert an prinzipiell-abstrakten Normen und gesichert durch die Schuldbesetzung im Fall des Fehlverhaltens (Muchembled 1990, zit. n. Münchmeier/Ortmann 1996: 146).
Für diese spezifische Vorstellung von der Identitätsbildung hatte Max Weber (1864-1920) in seinem Versuch, die Entstehung des Kapitalismus mit der Durchsetzung des Protestantismus in Verbindung zu bringen, das Bild des „stahlharten Gehäuses der Hörigkeit“ geprägt (vgl. dazu und für das Folgende: Keupp 2002: 21ff.). Norbert Elias hat die Verinnerlichung der Affekt- und Handlungskontrolle als „Selbstzwangapparatur“ bezeichnet. Beide Bilder beschreiben das Bild eines modernen Subjekts, das sich in der Moderne mit den bestehenden gesellschaftlichen Bedingungen zu arrangieren hat und zu diesem Zweck eine stabile, dauerhafte und unverrückbare Identität ausbildet, die die innere Welt unter Kontrolle hält. Auch wenn die zeitgenössische Pädagogik dies so nicht explizit formuliert: Sie entwickelte ihre normativen Bezugspunkte und erzieherischen Vorstellungen überwiegend in einem adaptiven und affirmativen Verhältnis zu den gesellschaftlich dominanten Werten. Und die orientieren sich vorrangig an der – wenn auch idealtypischen – Homogenität der Gemeinschaft. Demgegenüber wird der Individualität des Einzelnen weniger Aufmerksamkeit geschenkt.
Soziale Arbeit zwischen Hilfe und Kontrolle I: Protonormalismus Die oben im Kontext des abweichenden Verhaltens beschriebenen Gruppen (die verwahrlosten Jugendlichen, die psychisch erkrankten und behinderten Menschen) fungieren, soziologisch betrachtet, als integrierender Bestandteil in der relativ homogen verfassten Gesamtgesellschaft. Die Erkenntnis Durkheims, wonach Abweichungen von der Norm letztlich für die Integration der nicht-pathologischen Gesellschaft sorgen, kann hier besonders gut nachvollzo52
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gen werden. Denn je eindeutiger soziale Abweichungen identifiziert werden können, desto homogener und geschlossener kann sich der Bereich der Normalität präsentieren. Zur Beantwortung der Frage, welches Verständnis von Normalität der Sozialpädagogik zu Beginn des 20. Jahrhunderts zugrunde liegt, lohnt zunächst ein vertiefender Blick auf das Verhältnis der Begriffe Norm, Normalität und Normativität (vgl. dazu auch Otto/Seelmayer 2004). Der Begriff der „sozialen Norm“45 wird allgemein definiert als „mehr oder weniger verbindliche, allgemein geltende Vorschrift für menschliches Handeln“ (Peuckert 2000: 255). Normen dienen insofern zum Zweck der sozialen Kontrolle, als deren Befolgung belohnt, deren Nichtbefolgung jedoch, bei Überschreitung eines Toleranzbereichs, negativ sanktioniert wird. Während Werte eher statische Maßstäbe oder Ideale kennzeichnen und „das Gute, Richtige, Wichtige“ repräsentieren, sind Normen eher dynamisch und beziehen sich eher auf Handlungen. „,Normativität‘ kennzeichnet jene leitlinienprägenden Sachverhalte, denen ‚Normen‘ zugrunde liegen“ (Otto/Seelmayer 2004: 50). Während die „Norm“ den verbindlichen Anspruchs- und Aufforderungscharakter einer Regel zum Ausdruck bringt, beschreibt „Normalität“ eine zu beobachtende Regelmäßigkeit. Im Gegensatz zur präskriptiv bestimmbaren, imperativen und sanktionsbewehrten Norm, die sich durch ihren binären Charakter auszeichnet, bildet Normalität deskriptiv eine Tendenz kollektiven Handelns ab, die vom Individuum als „Orientierungskarte“ herangezogen werden kann (Link 1999: 444, zit. n. Otto/ Seelmayer 2004: 51).
Zum Zwecke einer Definition dessen, was in einer Gesellschaft als normativ gültig erachtet werden soll, wird in gesellschaftlichen Diskursen zunächst einmal ein Normalfeld etabliert: „Ein Normalfeld homogenisiert und kontinuiert eine bestimmte Menge von Erscheinungen innerhalb des Spezial- oder Interdiskurses, wodurch diese Erscheinungen als untereinander vergleichbare ‚Normaleinheiten‘ konstituiert werden“ (Link 1999: 75). Als paradigmatische Beispiele können die oben genannten Phänomene der psychischen Krankheit, der Behinderung oder der Auffälligkeit von Jugendlichen herangezogen werden. In allen drei Fällen gibt es ein Normalfeld der geistigen und körperlichen Gesundheit, bzw. der Unauffälligkeit. Innerhalb dieses Normalfeldes werden nun in gesellschaftlichen Diskursen verschiedene Skalierungen definiert, die eine vergleichende Anordnung von Verhaltensweisen und eine Zusammenfas-
45 Der Begriff der Norm lässt sich darüber hinaus noch in deskriptiv-statistische („normalistische“) Normen, kodifizierte (rechtliche Vorschriften, Gesetze) Normen, ethisch-moralische/ideale („Werte“) und technische (z.B. DIN) Normen differenzieren, vgl. Otto/Seelmayer 2004: 50, die sich auf Lamnek (2001) beziehen.
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sung in einer statistischen Streuungs-, bzw. Verteilungskurve mit Durchschnittswerten, Normalspektrum, Grenzwerten und Zonen der Anomalie möglich machen. Was als normal erachtet wird und wo die Normalitätsgrenzen gesetzt werden, ist Gegenstand von Diskussionen, die in der Politik, Gesellschaft und, heute ganz besonders, in den Massenmedien geführt werden. Am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts führten diese Diskussionen zur Dominanz einer „protonormalistischen Strategie“ (Link 1999: 78),46 d.h. es wurde eine relativ kleine, feststehende und stabile Normalitätszone diskursiv hergestellt. Außerhalb dieser kleinen Normalitätszone entsteht dadurch automatisch eine relativ große Zone der Anormalität. Die Situation der psychisch Kranken, der Behinderten und der auffälligen Jugendlichen ist im angegeben Zeitraum geprägt von einer solchen protonormalistischen Strategie (vgl. dazu Link 1999: 79f.): Es gilt für psychisch Kranke und Behinderte ebenso wie für auffällige Jugendliche eine relativ feste und stabile StigmaGrenze. Die beiden oben eingeführten Begriffe der Normalität und der Normativität fallen in der protonormalistischen Strategie weitgehend ineinander, die Definition von Normalität lehnt sich eng an die normativen Vorstellungen ihrer Zeit an. Von den Individuen wird Konformismus gefordert, der durch Außen-Lenkung und Dressur erreicht werden soll. Greift diese Strategie der Dressur nicht, werden Sanktionen ergriffen, im Falle der drei genannten Personengruppen werden materielle Sonderterritorien in Form von Irrenhäusern und Gefängnissen geschaffen. Für die abweichenden Individuen werden fixe, anormale Biografien und Identitäten konstruiert. Das Ziel dieser protonormalistischen Vorgehensweise ist die Aufrechterhaltung und Reproduktion der einen, spezifisch modernen gesellschaftlichen Ordnung. Es geht auch hier wieder um eine homogenisierende Strategie. Anders allerdings als im Kontext der sozialen Konflikte, die sich um die Differenz der Generationen und der Geschlechter entwickeln, wird nicht versucht, zwischen These (Normalität) und Antithese (Abweichung) eine wie auch immer geartete Synthese zu finden. Hier gilt vielmehr, dass bei anhaltendem abweichendem Verhalten der Ausschluss aus der „normalen“ Gesellschaft droht. Insofern trugen die Bemühungen der Pädagogik zur Integration auch nur so weit, wie das Klientel Anlass 46 Link betont, dass es sich bei der protonormalistischen Strategie (kleine Normalitätszone, fixe und stabile Grenzen) und der später zu beschreibenden flexibelnormalistischen Strategie (große Normalitätszone, dynamische, lockere Grenzen) nicht um zwei Strategien handelt, die in verschiedenen Epochen aufgetreten sind. Sie „operieren in einem epochal identischen Feld, dem Feld des Normalismus, das durch die partielle kulturelle Hegemoniespezial- und interdiskursiver Normalitäts-Dispositive konstituiert wird“ (Link 1999: 81). Wenn die beiden Strategien hier trotzdem zeitlich getrennt voneinander behandelt werden, dann ergibt sich dies aus der unterschiedlichen kulturellen Hegemonie, die sie zu unterschiedlichen Zeiten in den Diskursen der Pädagogik gefunden haben.
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DIE SITUATION ZU BEGINN DES 20. JAHRHUNDERTS
zur Hoffnung gab, sich tatsächlich in die Normalität der Gesellschaft einordnen zu lassen.47 Diese Chance scheint bei den verwahrlosten Jugendlichen noch gegeben – hier kann die Pädagogik „im Zögling die guten Anlagen suchen und betonen“ (Mann-Tiechler 1930: 1202). Im Fall der behinderten Menschen kommt es auf die Art und die Schwere der Behinderung an. Während bei einer leichten geistigen Behinderung und bei leichteren Körperbehinderungen evt. noch die Hoffnung auf eine Beschul- und damit Verwertbarkeit besteht, ist diese Grenze bei schwereren Behinderungen überschritten. Ebenso verhält es sich im Fall der psychisch Kranken, bei denen die Grenze zur Abweichung endgültig überschritten ist. So jedenfalls kann man den Umstand deuten, dass die zeitgenössische Pädagogik im psychiatrischen Bereich kaum Ansatzpunkte für pädagogische Konzepte findet, weil die psychisch Kranken aus den engen Vorstellungen einer legitimen Lebensführung herausfallen. Aus der Tatsache des Ineinanderfallens von Normativität und Normalität kann nachvollzogen werden, dass der Schwerpunkt staatlicher und sozialpädagogischer Handlungen im Spannungsfeld von Hilfe und Kontrolle eindeutig im Bereich der Kontrolle lag. Der zeitgenössischen Pädagogik ist die Perspektive, die abweichendes Verhalten, beispielsweise im Fall der „verwahrlosten Jugendlichen“, als individuelles, biografisches Bewältigungshandeln48 deutet, nicht bekannt. Denn aus der Sicht der handelnden Individuen können Handlungen als durchaus „normal“ gelten, selbst wenn sie von allgemeinen Normen abweichen. Vielmehr gilt für die Soziale Arbeit, dass das Verhalten auch aus der Sicht des Individuums normativen Vorgaben genügen muss. Jede Abweichung von der Norm wird gemäß der protonormalistischen Strategie und der ihr inhärenten Logik des entweder (normal) – oder (abweichend) beantwortet.49 Pointiert formuliert: Unter den Bedingungen des Protonormalismus wird die Einhaltung der Normalität durch Lenkung von Außen, Dressur und Repression geregelt (vgl. Link 1996: 25) – und auch die Pädagogik widersetzt sich dieser protonormalistischen Strategie nicht.
47 „Integriert werden kann nur, wer in seiner ‚Wildheit‘ sich zivilisieren lässt, wer bereit ist, die Regulative und Lebensweise der zivilisierten Gesellschaft zu übernehmen“. Münchmeier/Ortmann 1996: 151. 48 Die Einsicht, dass abweichendes Verhalten als Streben nach psychosozialer Handlungsfähigkeit angesehen werden muss, hat insbesondere Lothar Böhnisch systematisch dargelegt, vgl. Böhnisch 1997 und ders. 2001. 49 Das Prinzip des „entweder – oder“ kann mit Ulrich Beck als grundlegende Handlungs- und Entscheidungslogik der Ersten Moderne bezeichnet werden, vgl. dazu Beck/Lau 2004.
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Soziale Arbeit im Nationalsozialismus: Der homogene Volkskörper und die Auslöschung der Differenz
Im Zuge einer Abhandlung über den sozialpädagogischen Umgang mit Differenz ist die Beschäftigung mit der nationalsozialistischen Konzeption von Erziehung unumgänglich. In extremer Form liegt hier der Versuch vor, Grenzziehungen auf der Basis einer spezifisch nationalsozialistischen Ideologie vorzunehmen, Differenzen zu assimilieren oder, wo die Möglichkeit einer Integration in die Gesellschaft der Ideologie widerspricht, das Andere zu vernichten. Der polnische Soziologe Zygmunt Bauman (vgl. Bauman 1992: 133ff.) zeichnet die Veränderung nach, die das Verb assimilieren in der Zeit vom 17. bis zum 19. Jahrhundert genommen hat: Von seiner ursprünglichen wörtlichen Bedeutung „gleich machen“ wurde es ausgeweitet auf den biologischen Sprachgebrauch, in dessen Kontext es für den Prozess der Umwandlung einer passiven Umwelt durch einen lebenden Organismus zum Zweck der Nahrungsaufnahme stand. Ein Organismus bildet körpereigene Substanz durch von außen aufgenommene, assimilierte anorganische oder organische Stoffe. Im 19. Jahrhundert wurde der Begriff der Assimilation im Kontext der Bildung von Nationalstaaten schließlich auf soziale Praktiken ausgeweitet: Der Begriff [der Assimilation, F.L.] rief das Bild eines lebendigen, aktiven Körpers wach, der eigenmächtig und eigennützig etwas, das von ihm selbst verschieden war, seinen eigenen Inhalt eingab und ihm seine Form überstülpte (er musste es tun, um am Leben zu bleiben). Es war die Vorstellung eines Prozesses, in dessen Verlauf Form und Inhalt der anderen Entität einen radikalen Wandel durchmachten, während die Identität des „assimilierenden“ Körpers erhalten und tatsächlich auf die einzig mögliche Weise konstant blieb – durch Absorption (Bauman 1992: 135).
Diesen Vorgang der nationalen Homogenisierung, den Bauman hier mit dem Begriff der Assimilation fasst, wurde bereits in der Zusammenfassung nach dem ersten Untersuchungszeitraum im Kontext der Nationenbildung beschrieben. Im Kontext des Nationalsozialismus aber erreichte diese Assimilation, die eine Asymmetrie zwischen assimilierender und assimilierter Entität impliziert, 57
DER UMGANG DER SOZIALEN ARBEIT MIT DIFFERENZ
eine neue Dimension: die totale Intoleranz gegenüber der Differenz. Im Nationalsozialismus zeigt sich dabei die radikalisierte Variante dessen, was nach Bauman im Nationalstaat der Moderne bereits angelegt war: der Kampf gegen Ambivalenz, Mehrdeutigkeit und die Vorstellung einer sozialen Hierarchie der bestehenden Lebensformen, die die Vernichtung der vermeintlich unterlegenen Lebensform billigend in Kauf nimmt und, mehr noch, explizit anordnet.
Die Ausrichtung der Sozialen Arbeit an der nationalsozialistischen Ideologie Die oben bereits genannten und auch in der Pädagogik exponierten Begriffe der Gemeinschaft und der Nation sollten auch in der weiteren Geschichte Deutschlands eine wichtige und unrühmliche Rolle spielen. Der Nationalismus hatte sich bereits seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen festen Platz im Weltbild und Habitus der Reichsdeutschen gesichert. Zur Entwicklung dieses althergebrachten Nationalismus mit seinem Glauben an die Auserwähltheit der deutschen Nation, der Glorifizierung der Vergangenheit und der welthistorischen Zukunftsmission (vgl. Wehler 2003: 542ff.) zum extremen Nationalismus der Nationalsozialisten bedurfte es allerdings einiger weiterer Elemente wie z.B. des Sozialdarwinismus, der spezifischen politischgesellschaftlichen Konstellation nach dem ersten Weltkrieg, und der charismatischen Führergestalt Hitlers. Schon früh wurde, darauf wurde im Kontext des Umgangs mit abweichendem Verhalten zur Zeit der Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert bereits eingegangen, der Sozialdarwinismus in den Nationalismus integriert. Der Sozialdarwinismus propagierte sowohl auf Ebene der Person als auch auf der Ebene von Nationen das survival of the fittest, naturalisierte so den Kampf zwischen den Nationen radikal und bahnte einem rassenbiologischen Verständnis den Weg (vgl. Wehler 2003: 544). Nach dem Zerfall der monarchischen Ordnung, der Kriegsniederlage und der territorialen Verkleinerung des Reiches war es immer weniger der politische Staat, auf dem im Kampf ums Überleben die Hoffnung lag. Vielmehr war es die Idee des deutschen Volkes, die die Hoffnung auf ein erneutes Erstarken der Deutschen nährte. Der derart ideologisch aufgeladene neue Nationalismus avancierte gleichsam zu einer politischen Religion des Radikalnationalismus (Wehler 2003: 549) und visierte eine neue und radikalisierte Gesellschafts- und Staatsordnung an: „die gereinigte Nation als eine von traditionalen Schlacken befreite ‚Volksgemeinschaft‘ in einem hegemonialen Großreich“ (Wehler 2003: 548). Obwohl diese Art des neuen Nationalismus im Vergleich zu anderen europäischen Ländern keines-
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DER NATIONALSOZIALISMUS
wegs ein Sonderweg war, 1 sondern vielmehr kontinuierliche Entwicklungen auf dem Weg in den Nationalismus nachgewiesen werden können, kam ihm doch in Deutschland unter dem Einfluss der spezifisch nationalsozialistischen Ideologie und der Person Adolf Hitlers eine besondere Bedeutung zu. Hitler kann vor diesem Hintergrund des radikalen Nationalismus als charismatische Führerpersönlichkeit 2 bezeichnet werden. Dabei stehen sich Führer und Gesellschaft keineswegs polar, im Sinne einer einseitigen Unterdrückung der Gesellschaft durch den Führer, gegenüber, sondern es entsteht zwischen ihnen eine unauflösliche Wechselwirkung. Wesentliche Voraussetzungen für eine solche Wechselwirkung sind eine existenzielle gesellschaftliche Krise und ein soziokultureller Traditionsbestand, der die Hoffnung auf einen starken Mann zumindest latent im kollektiven Gedächtnis mitträgt – beide Faktoren waren im Deutschland der Weimarer Republik gegeben. Erscheint unter diesen gesellschaftlichen und soziokulturellen Voraussetzungen ein solcher Charismatiker, der in der Lage ist, die latenten Hoffnungen auf eine starke Führerpersönlichkeit zunächst im Rahmen einer kleinen Anhängerschaft und später auf einer größeren Ebene zu befriedigen und zu steigern, kann es zu jener spezifischen Wechselwirkung kommen, die zwischen dem Führer Hitler und dem deutschen Volk zur Zeit des Nationalsozialismus erkennbar war. So kann der Aufstieg des Nationalsozialismus als der Siegszug einer radikalnationalistischen Massenbewegung unter einem charismatischen Machthaber in einer Gesellschaft voller messianischer Hoffnungen interpretiert (Wehler 2003: 563) werden. Die auch für die jeweilige (Sozial-)Pädagogik einer Gesellschaft so wichtige Sozial- und Gesellschaftspolitik bezog ihre Ideen vor allem aus einer Volksgemeinschaftsutopie (Wehler 2003: 686), die eine nationale Erneuerung, Modernisierung und Mobilität ebenso versprach wie die Möglichkeit des sozialen Aufstiegs für jedermann, ungeachtet dessen sozialer Herkunft. Freilich gilt diese Aufstiegsmöglichkeit nur für Mitglieder der im Nationalsozialismus privilegierten deutschen Rasse. Dies korrespondierte einerseits mit dem sozia1
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Wehler weist darauf hin, dass dieses Phänomen des radikalen Nationalismus keineswegs als ein deutscher Sonderfall oder gar als geschichtlicher Unfall zu verstehen ist. Vielmehr gab es in zahlreichen Ländern Europas, so in Italien, Spanien, Portugal, Polen, den baltischen Ländern, Ungarn, Jugoslawien, Rumänien und Griechenland, autoritäre, nationalistische Massenbewegungen. Sie zogen ihre Dynamik vor allem aus einem gekränkten, gereizten, radikalisierten Nationalismus, der sich mit dem Antimarxismus und Antisemitismus, mit dem Antiparlamentarismus und Antiliberalismus, mit Großreichsvisionen und Imperialismusplänen, mit übersteigerten Feindbildern und Exklusionsphobien zu einem explosiven Aggregat verband (Wehler 2003: 550). Das idealtypische Konzept der charismatischen Führung stammt von Max Weber, Hans Ulrich Wehler wendet dieses Konstrukt überzeugend auf die Person Hitlers an, vgl. Wehler 2003: 551ff. 59
DER UMGANG DER SOZIALEN ARBEIT MIT DIFFERENZ
len Aufstiegswillen großer Teile der geburtenstarken jüngeren Generation, denen durch die Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre die vormals versprochenen wirtschaftlichen Chancen verschlossen geblieben waren, hatte aber andererseits einen rapiden Zerfall der lange Zeit dominierenden christlichhumanistisch-aufklärerischen Normenwelt zur Folge. An deren Stelle traten nun, wiederum gemäß der sozialdarwinistischen Färbung des Nationalsozialismus, Leitwerte wie Haltung, Energie, Kraft und Durchsetzungsfähigkeit, die nicht zuletzt den Ausbruch aus der patriarchalischen Konventionalität und aus dem Standes- und Kastendenken des Kaiserreichs bedeuteten (vgl. Wehler 2003: 687). Diese veränderten Leitwerte prägen auch den spezifisch nationalsozialistischen Blick auf die Jugend und auf die Erziehung. Sämtliche pädagogischen Bemühungen waren in Hitler-Deutschland politisch, genauer: nationalsozialistisch geprägt (vgl. Joch 1971). Seit dem Jahr 1936 waren alle deutschen Jungen und Mädchen im Alter von 10-18 Jahren zweimal wöchentlich zu einem „Dienst“ im Kontext der HJ, bzw. dem BDM verpflichtet, was die Möglichkeit einer enormen politischen Einflussnahme bedeutete (vgl., auch für das Folgende, Wehler 2003: 760ff.). Hier wurden systematisch nationalsozialistische Erziehungsziele wie unbeugsame Willenstärke, Härte, Kampfbereitschaft, Sportlichkeit, Entschlusskraft, Gefolgschaftstreue, die Verpflichtung zum Gehorsam gegenüber Volk, Volksgemeinschaft, Nation, Rasse und der Glaube an die besonderen Zukunftsaufgaben des deutschen Volkes verfolgt. Die Bindung an den Nationalsozialismus galt dabei höherrangig als die Bindung an Elternhaus, Schule oder Kirche. Zu den Basisannahmen der nationalsozialistischen Erziehung gehörte der Zweiklang von Charakterbildung und Leibesübungen, die zum Erreichen einer Verinnerlichung der nationalsozialistischen Erziehungsziele untrennbar zusammen gehörten. Auffällig an der Konzeption der HJ und des BDM ist die Kontinuität vorgaukelnde Nähe zu der oben im Kontext der Jugendbewegung verhandelten bündischen Jugend. Die Pfadfinderbewegung und die Wanderbewegung wurden sowohl äußerlich 3 als auch methodisch 4 imitiert und konnten nicht zuletzt wegen dieser scheinbaren Kontinuität einen enormen Zulauf verbuchen. 5 3 4 5
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Die HJ und der BDM trugen, ebenso wie die Pfadfinder Fahrtenhemd, Halstuch mit Knoten, kurze Hosen und Wimpel. Zeltlager und Fahrten in die Natur gehörten ebenso wie die bekannte Forderung der Jugendbewegung nach der Selbstführung durch Jugendliche zum Standardrepertoire der HJ. Die Frage, ob es sich bei dem Verhältnis zwischen Nationalsozialismus und Reformpädagogik bzw. Nationalsozialismus und Geisteswissenschaftlicher Pädagogik eher um eine Kontinuität oder um einen Bruch gehandelt hat, ist eine häufig und kontrovers diskutierte Frage, vgl. dazu die zahlreichen Literaturhinweise bei Schnurr 1997: 22. Eine neuere, umfangreiche Untersuchung zum Verhältnis
DER NATIONALSOZIALISMUS
Die Soziale Arbeit und die Sozialpädagogik leisteten einen wichtigen Beitrag zur Verwirklichung der Erziehungsvorstellungen, der Gesellschaftspolitik und der Herrschaftssicherung des Nationalsozialismus (vgl. Schnurr 1997: 21). Schon vor der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten hatte sich in der von ökonomischer Mittelknappheit geprägten Praxis der Fürsorge zum Teil Kosten-Nutzen-Kalküle ausgebreitet: Unterwertige und wertvolle Teile der Bevölkerung wurden unterschieden, rassehygienische und eugenische Argumente wurden für die Legitimation ungleicher Mittelvergabe hervorgebracht (Lohalm 1991, zit. n. Schnurr 1997: 15). In der Fürsorgeerziehung wurden liberale und sozialdemokratische Konzepte der Sozialpädagogik zugunsten von konservativen Sittlichkeitskampagnen zurück gedrängt. In der Zeit nach 1933 schließlich wurde die freie Wohlfahrtspflege zunehmend durch die „Nationalsozialistische Volkswohlfahrt“ (NSV) abgelöst, 6 die sich nicht mehr vorrangig um das stigmatisierte Klientel der Fürsorgeerziehung kümmerte, sondern die „normalen“ und „erbgesunden“ Jugendlichen im Visier hatte. Diese wurden propagandawirksam in Arbeitsdiensten und Landarbeit untergebracht, womit sich die vormals hohe Jugendarbeitslosigkeit deutlich verringerte. Überhaupt war die NSV von einer extremen „Durchrationalisierung im Sinne kapitalistischer Wirtschaftsinteressen“ (Baron 1986: 400) gekennzeichnet. Um das Ziel der erzieherischen Maßnahmen „im Sinne der völkischen Aufartung“ (Baron 1986: 401) zu erreichen, wurde von den Nationalsozialisten recht bald auf die in der Weimarer Republik ausgebildeten, häufig weiblichen 7 Fürsorgekräfte zurückgegriffen 8 – allerdings nur dann, wenn gewährleistet war, dass diese ihr Werk nach nationalsozialistischen Grundsätzen verrichten würden. Auch der Unterricht an den sozialen Frauenschulen, die inzwischen einheitlich von Nationalsozialisten geführt werden (vgl. Baron 1986: 393-400), wurde den Erziehungsvorstellungen der Nazis angepasst. Schon zu den Prüfungen im Frühjahr 1934 sind zusätzliche schulische Inhalte wie „Adolf Hitler und die Geschichte
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von Nationalsozialismus und Geisteswissenschaftlicher Pädagogik legen Klafki/Brockmann (2002) vor. Die Verbandslandschaft präsentierte sich nach dem Juli 1933 in einer veränderten Struktur: Der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband ging in der NSV auf, die Arbeiterwohlfahrt wurde aufgelöst. Nur noch vier Verbände, eben die NSV, die Innere Mission der evangelischen Kirche, die Caritas der katholischen Kirche und das Rote Kreuz, sind als Spitzenverbände anerkannt, vgl. Hering/Münchmeier 2003: 175. Entgegen der nationalsozialistischen Ideologie, die weibliche Erwerbsarbeit diskriminierte, griff man hier zunehmend auch auf weibliche Arbeitskräfte zurück. Vgl. zum Themenkomplex nationalsozialistischer Frauenpolitik und Sozialer Arbeit die einschlägigen Aufsätze von Reese-Nübel, Czarnowski und Dammer im Sammelband von Otto/Sünker (1986a). Zu der Frage, wie PraktikerInnen der Sozialen Arbeit den Übergang von der Weimarer Republik zum Nationalsozialismus wahrgenommen haben, vgl. Schnurr 1997. 61
DER UMGANG DER SOZIALEN ARBEIT MIT DIFFERENZ
der NSDAP, Grundzüge der Erbgesundheitslehre, nationalsozialistische Haushaltsführung, Nächstenliebe unter Volksgenossen, […] Deutsche Schicksalsgemeinschaft“ (Baron 1986: 406) vorgeschrieben – die Fürsorgepflichtverordnung, soziologische, sozialpolitische oder psychologische Inhalte bleiben hingegen unberücksichtigt (ebd.). Die gleichgeschaltete, durchrationalisierte Soziale Arbeit der Nationalsozialisten sollte gemäß der Erb- und Rasseideologie jedoch nur jenen zugute kommen, bei denen Hoffnung auf die Möglichkeit der Wiedereingliederung in den deutschen Volkskörper bestand. Demgegenüber sollten sich die anderen Träger der Fürsorgeerziehung, beispielsweise die konfessionellen Träger, um die „weniger Gesunden“ kümmern. Diese fielen allerdings in der Folge zunehmend der in der Weimarer Republik bereits angedeuteten und nun radikal durchgeführten Logik der Minderwertigkeit und Unerziehbarkeit gemäß der nationalsozialistischen Erb- und Rassenlehre zum Opfer (vgl. Harvey 1986). Neben Jugendlichen, die aus rassischen, religiösen oder politischen Gründen ausgesondert wurden, nahmen die Nazis beispielsweise, unter Hinweis auf deren angebliche Asozialität, auch Mitglieder jugendkultureller Gruppen 9 fest. Diese wurden, wie andere ausgesonderte Gruppen, in Verwahrungslagern auf ihre eventuelle Reintegrationsfähigkeit in die Volksgemeinschaft untersucht und bei negativem Untersuchungsergebnis in Konzentrationslager gesteckt, wo sie von einem Kriminalbiologen gemäß Lombrososcher Erkenntnisse 10 in unterschiedliche Kategorien eingeteilt wurden, die ihren weiteren Weg, beispielsweise die Überweisung in eine Heil- und Pflegeanstalt, in den Reicharbeitsdienst, die Wehrmacht oder den Verbleib im Konzentrationslager, festschrieben (vgl. Guse/Kohrs/Vahsen 1986: 334f.). Die theoretischen Grundlagen der nationalsozialistischen Erziehungsvorstellungen basieren auf der Umstellung von der Betrachtung der Gesellschaft als Klassengesellschaft auf die Betrachtungsweise der Volksgemeinschaft. Der in der sozialistischen Betrachtungsweise proklamierte notwendige Klassenkampf wird hier durch die nationalsozialistische Sozialutopie der Volksgemeinschaft abgelöst. Durch die Proklamation gemeinsamer, klassen- und parteiübergreifender Interessen kann die Gemeinschaftsidee des Sozialismus auf9
Guse/Kohrs/Vahsen nennen das Beispiel der „Hamburger Swing-Jugendlichen“, vgl. dies. 1986: 328f.. 10 Cesare Lombroso war ein italienischer Mediziner und Anthropologe, der die Ursache von Verbrechen auf erbliche physiopsychische Anomalien des Täters zurückführte. Das Jugendstrafrecht wurde im Nationalsozialismus weitgehend gemäß dieser These umgestellt. Freisler (1939: 100, zit.n. Hubert 1986: 350) war der Überzeugung, dass das frühzeitige Erkennen der Antisozialen und Asozialen […] der Volksgemeinschaft unendlich viel Leid [erspart], wenn sie Mittel zur Verfügung stellt, um Zugehörige solcher Gruppen, sobald sie, sei es auch im jungen Alter, sicher erkannt sind, unschädlich zu machen. 62
DER NATIONALSOZIALISMUS
genommen und sogar zu einer Antriebskraft für die nationalsozialistische Gegenutopie werden (vgl. Wehler 2003: 681) 11 . Nicht Besitz, Bildung und ständische Vorrechte qualifizieren den Menschen für den sozialen Aufstieg, sondern allein Leistungsvermögen und – quasi als vorgeschaltete, notwendige Bedingung zur Teilnahme an der Gesellschaft – die Zugehörigkeit zur arischen Rasse. Der Begriff der Rasse wird in dieser Ideologie folgerichtig auch zu einem Grundbegriff der Erziehungswissenschaft. 12 Was Baeumler noch pseudowissenschaftlich darlegt als Zusammenhang von Rasse und Charakter, der letztlich über die Intelligenz und Leistungsfähigkeit eines Menschen entscheide (vgl. Baeumler 1943: 83), legitimiert in der praktischen Zuspitzung die Nationalsozialisten letztlich zu ihrer Politik der Ausgrenzung und „Ausmerze“.
Zusammenfassung: Der Umgang der Sozialen Arbeit mit Differenz im Nationalsozialismus Aus der vorausgegangenen, relativ kurzen Beschreibung der Sozialen Arbeit im Nationalsozialismus können bereits wesentliche Erkenntnisse über den Blick des Nationalsozialismus auf Gesellschaft, Individuum und den Auftrag Sozialer Arbeit gewonnen werden. Dabei muss es vor dem Hintergrund des nationalsozialistischen Dreischritts „(1) Ausgrenzen durch Definieren und Diagnostizieren, (2) Aussondern durch Zwangseinweisung in geschlossene Anstalten, (3) Ausmerzen durch Einschläfern“ (Müller 1994: 220) vor allem darum gehen, pädagogische Erkenntnisse zu ziehen, die dazu beitragen können, dass, so die bekannte Forderung Adornos, Auschwitz nicht noch einmal sei (Adorno 1977: 674ff.).
Die Soziale Arbeit und der Blick auf die Gesellschaft II: Die Dominanz des „homogenen Volkskörpers“ Die Gesellschaft wird in der nationalsozialistischen Ideologie streng polar konzipiert: auf der einen Seite der homogene Volkskörper, die Volksgemeinschaft, zu der man qua Rasse zugehörig ist. Die Volksgemeinschaft galt, das wurde oben bereits gesagt, als Leistungsgemeinschaft, in der angeblich jeder, unabhängig von Stand und Klasse, reüssieren konnte. Ein eventueller Aufstieg war zwar tatsächlich nicht mehr von Stand und Klasse abhängig, wie die viel-
11 Vgl. auch C.W. Müller 1994: 208, der dies treffend als Entwicklung vom Klassenkampf zum Rassenkampf kennzeichnet. 12 So Alfred Baeumler (1939) in einem Aufsatz in der Internationalen Zeitschrift für Erziehungswissenschaft und in „Bildung und Gemeinschaft“ (Baeumler 1943). 63
DER UMGANG DER SOZIALEN ARBEIT MIT DIFFERENZ
fältigen Aufstiegsmöglichkeiten in den Parteiorganisationen, der Wehrmacht, der Wirtschaft oder der Staatsbürokratie zeigen, dafür aber um so mehr von der Zugehörigkeit zur „richtigen“ Rasse, zu einer nicht „erbkranken“ Familie und von der Mitgliedschaft in der NSDAP. Menschen, die diese Voraussetzungen zur Teilhabe an der Gesellschaft nicht erfüllten, waren von den Ausgrenzungsmechanismen umso härter betroffen. Jüdische Deutsche oder Deutsche mit jüdischen Vorfahren genauso wie jene, die nach Maßgaben der Erbgesundheitslehre als minderwertig betrachtet wurden und jene, die unter den willkürlich dehnbaren Begriff der Asozialität fielen: Landstreicher, Obdachlose, Bettler, Vagabunden, Langzeitarbeitslose, Arbeitsunwillige, Alkoholiker, Behinderte, Hilfsschüler, Homosexuelle, Prostituierte und ihre Zuhälter und Kriminelle (vgl. Wehler 2003: 767). Der Erhaltung des Volkskörpers kommt dabei die größte Aufmerksamkeit zu, die Pflicht eines jeden Deutschen ist der Dienst am Volk – unter Hintenanstellung der eigenen Wünsche, Pläne und Interessen. Von einem halbwegs objektiven, gar wissenschaftlichen Blick auf die Gesellschaft durch die Nationalsozialisten kann also nicht gesprochen werden. Vielmehr handelt es sich bei der nationalsozialistischen Gesellschaftsvorstellung um eine stets politisch geprägte, fast religiöse Darstellung einer Sozialutopie, die in der Realität natürlich nie bestand – zu groß war die real existierende soziale Ungleichheit unter den angeblich so gleichen Volksgenossen (vgl. dazu Wehler 2003: 715-746)
Die Soziale Arbeit und der Blick auf das Individuum II: Die nationalsozialistische Geringschätzung des Individuums Dem Individuum, bzw. allgemeiner: dem Individuellen, kommt im Kontext des Nationalsozialismus ein äußerst geringer Stellenwert zu. Dies gilt ganz offensichtlich für die oben bereits genannten Angehörigen jener Gruppierungen, die im Nationalsozialismus verfolgt wurden. Am Beispiel der (deutschen) Frauen und der (deutschen) Jugend kann jedoch auch gezeigt werden, dass es zur Grundkonstruktion des Nationalsozialismus gehört, dem Kollektiv, hier: der deutschen Volksgemeinschaft, einen höheren Stellenwert zuzubilligen als dem Individuum. Denn obwohl die auf deutsche Frauen und die deutsche Jugend ausgerichteten Fördermaßnahmen den Alltag der Frauen und der Jugend sicherlich zunächst erleichtert haben mögen, waren sie letztlich nur instrumentalisierende Aktionen, die den politischen Zielen des Regimes, der Gestaltung des Volkskörpers nach nationalsozialistischen Grundsätzen, dienen sollten, und keinesfalls der Förderung und Unterstützung der Einzelnen. Für zahlreiche deutsche Frauen zeitigten die offensiv frauenfreundlichen Maßnahmen des Regimes, die z.T. den Forderungen der ersten Frauenbewegung entlehnt waren, ihre Wirkung: Den Frauen wurde ihr Wahlrecht belassen, Ehestandsdarlehen gewährt, für jedes geborene Kind wurde ein Viertel der Schulden gestri64
DER NATIONALSOZIALISMUS
chen, Steuervorteile begünstigten kinderreiche Familien, die medizinischen und hygienischen Standards wurden erhöht, der Muttertag wurde pompös gefeiert, der Reichsmütterdienst richtete Mütterschulen ein, Mütterberatungsstellen wurden gegründet, für die vorher stigmatisierte außereheliche Geburt wurde nun sogar staatliche Unterstützung gewährt. Kurz: Allgemein wurde die Mutterschaft, damit auch die Stellung der Frau und ihr Sozialprestige in der Gesellschaft, nachhaltig aufgewertet (Wehler 2003: 754). Auch die Jugend wurde im Nationalsozialismus offensiv wertgeschätzt. Jugendlichkeit galt insgesamt als Inbegriff von Fleiß, Tüchtigkeit und als Zeichen des Aufbruchs in eine neue Zeit. In den oben bereits genannten Organisationen HJ und BDM wurden neben den Wanderfahrten auch die populären Reichssportwettkämpfe und ein Reichsberufswettkampf durchgeführt. Dass die Aufwertung von Weiblichkeit und Jugendlichkeit jedoch keinesfalls aus der Wertschätzung der einzelnen Individuen resultierte, sondern letztlich streng funktionalistisch ausgerichtet war, lässt sich beispielsweise an der Kehrseite der Frauenförderung zeigen: Für jede Heirat war ein amtliches Zeugnis über das Bestehen der Ehegesundheitsprüfung nötig, die Heirat mit Juden, Farbigen oder Zigeunern wurde 1935 in den Nürnberger Gesetzen verboten, die erwähnten Ehestandsdarlehen wurden an den Verzicht der Frauen auf Erwerbsarbeit gebunden, 13 es wurde ein Numerus clausus für Studentinnen eingeführt, Frauen durften ab dem Jahr 1936 keine leitenden Positionen in der öffentlichen Verwaltung und im Schulwesen besetzen, weder Richterin, Staatsanwältin noch Rechtsanwältin werden. Auch die öffentliche Wertschätzung der Jugend diente letztlich funktionalistischen Erwägungen: Der Weg der Erziehung der Jugend in HJ und BDM wurde als wirkungsvoller Weg der Indoktrination erkannt. Im Zweiklang von Charakterbildung und Leibesübung wird zudem der militaristische Charakter der Ausbildung deutlich: Das Regime brauchte für seine Pläne Soldaten. Mit dem Nationalsozialismus wird so der vorher angeblich herrschende pädagogische Individualismus (vgl. Otto/Sünker 1986: XXV) beendet. Die Parole Du bist nichts, dein Volk ist alles (zit. n. Hering/Münchmeier 2003: 161) drückt die Bevorzugung der kollektiven, hier: national-völkischen Identität, und den niedrigen Stellenwert des Individuums und des Individuellen in der Sichtweise des Nationalsozialismus treffend aus.
13 Auch wenn die Nationalsozialisten die Frauenerwerbsarbeit in der Öffentlichkeit verbal bekämpften, arbeitete im Nazi-Deutschland des Jahres 1940 52% der weiblichen Bevölkerung zwischen dem 15. und 60. Lebensjahr, vgl. zur Lage der Frauen im dritten Reich Wehler 2003: 752ff.. 65
DER UMGANG DER SOZIALEN ARBEIT MIT DIFFERENZ
Soziale Arbeit zwischen Hilfe und Kontrolle II: „Ausgrenzen“, „Aussondern“ und „Ausmerzen“ statt Ambivalenz von Hilfe und Kontrolle Der Nationalsozialismus kannte eine Konzeption von Hilfe, wie sie in der Tradition der Pädagogik und der Sozialpolitik der Weimarer Republik konzeptioniert worden war, faktisch nicht. Staatliche Hilfe galt vielmehr als Verschwendung, die die individuellen familiären und gemeinschaftlichen Hilfepotentiale schwächen würde. Demgegenüber wurde es als Aufgabe jedes Deutschen gesehen, Hilfe zu leisten, um die Gemeinschaft zu stärken. Nicht mehr die individuelle Wohlfahrt und der Einzelne mit seinen Rechten und Pflichten stehen im Mittelpunkt, sondern die „Wohlfahrt“ des gesamten, deutschrassigen Volkskörpers: Der im RJWG festgeschriebene „Anspruch des Jugendlichen auf Erziehung zur leiblichen, seelischen und gesellschaftlichen Tüchtigkeit wurde ersetzt durch Recht und Pflicht der Volksgemeinschaft an der Erhaltung und Förderung eines gesunden Nachwuchses“ (Ventzky, zit. n. Otto/Sünker 1986: XXVI). Hilfe konnte auch nicht aus dem Antrieb des Mitgefühls erwartet werden, denn Hilfsbedürftigkeit galt in der nationalsozialistischen Lesart als Schwäche. Kranke oder verarmte Mitglieder der Volksgemeinschaft schwächen diese im Ganzen, und somit auch die nationale Kraft und das militärische Potential (vgl. Otto/Sünker 1986: XXIII f.). Dass aus dieser Vorstellung von Hilfsbedürftigkeit nur eine Kontroll- und Selektionspolitik erwachsen kann, liegt auf der Hand. Dabei richtete sich die Selektion nicht ausschließlich auf die Juden. Verfolgt wurden auch stigmatisierte Gruppen wie Sinti und Roma, Kriminelle, Obdachlose, sog. Arbeitsscheue, Erbkranke und Anstaltsinsassen, insgesamt also Personen, die unter den beliebig füllbaren Begriff der „Asozialen“ subsummiert werden konnten. Der im Anschluss an den ersten Teil der Analyse eingeführte Protonormalismus erfährt hier noch einmal eine Zuspitzung: Die Zone der Normalität wird eng verknüpft mit der deutschen Rasse und der nationalsozialistischen Ideologie. Abweichungen von dieser rassischen Norm und vom Gebot der Leistungsfähigkeit werden selektiert und, in der grausamen Zuspitzung, vernichtet. Soziale Arbeit soll in dieser Konzeption zusehends überflüssig gemacht werden. Statt Hilfe für den Einzelnen sieht der Nationalsozialismus eine enge Maschinerie der Kontrolle bis herab zum Hausoder Blockwart (Hering/Münchmeier 2003: 166) vor. Interessant für die Nationalsozialisten ist aus dem Spektrum der Wohlfahrtspflege der Weimarer Republik nur das Gesundheitswesen, das sich um die Sozialhygiene und um die Erbgesundheitspflege kümmert (ebd.). Auch hier spiegelt sich der wesentliche Auftrag der Sozialen Arbeit im Nationalsozialismus wider: der Auftrag der Kontrolle, Auslese und Ausmerze.
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Die Differenzreflexion in der Sozialpädagogik nach 1968
Im ersten Teil der Arbeit wurde zum einen gezeigt, dass die in der Gesellschaft vorzufindenden Differenzverhältnisse in der zeitgenössischen Pädagogik ganz im Sinne der Hegelschen Dialektik unter Verweis auf ein Höheres Ganzes (Gemeinschaft, Volk, Nation) befriedet wurden. Wo dieser Mechanismus nicht griff, weil sich Individuen außerhalb einer zur Integration fähigen Zone befanden, wurden Sonderterritorien geschaffen, um die betreffenden Individuen eindeutig als abweichend einordnen zu können. Im Nationalsozialismus fand dieser Mechanismus schließlich seine perverse Vollendung. Wie verhält es sich demgegenüber mit der Differenzreflexion in der Nach68er-Ära?1 Ohne den folgenden Abschnitten zu weit voraus greifen zu wollen: Die Option, unter Verweis auf Volk und Nation gesellschaftliche Differenzverhältnisse befrieden zu wollen, erschien nach den Erfahrungen des Nationalsozialismus und vor dem politischen Hintergrund der Studentenbewegung geradezu grotesk und ausgeschlossen. Auch die bisher so eindeutige Definition von Normalität wurde vor dem Hintergrund verschiedener gesellschaftlicher Veränderungen in den 1960er Jahren zunehmend hinterfragbar. Es wird in den folgenden Abschnitten zum einen darum gehen, die in der Nach-68-Ära gesellschaftlich und pädagogisch virulenten Differenzverhältnisse zu identifizieren. Gleichzeitig soll aufgezeigt werden, aus welchen Gründen und mit welchen Zielen die jeweiligen gesellschaftlichen Gruppen, die diese Differenzen konstituierten, ihre Rechte einklagten und wie sich dies auf die Konzepte der Sozialpädagogik auswirkte.
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Die Entwicklungen und Konzepte der Sozialpädagogik der 1950er und früheren 1960er Jahre, auf die hier nur am Rande eingegangen wird, sind zusammengefasst nachzulesen in Marburger 1979: 77-110.
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DER UMGANG DER SOZIALEN ARBEIT MIT DIFFERENZ
Vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis zu den 1960er Jahren hatten vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Modernisierungsprozesse notwendigerweise Funktions- und Perspektivenwechsel in der Sozialpädagogik stattgefunden, 2 so dass zunächst begründet werden sollte, warum als zweiter Untersuchungszeitraum die Nach-68er-Ära gewählt wird: Konnte der erste Untersuchungszeitraum dieser Arbeit, die Jahre an der Schwelle vom 19. zum 20. Jahrhundert, als Beginn der sozialpädagogischen Professionalisierung und als Aufstieg der beruflichen Sozialen Arbeit gelten, so spricht Rauschenbach im Kontext der Nach-68er Jahre von der „zweiten Geburt“ (Rauschenbach 1999: 37ff.) der Sozialpädagogik. Schon allein die enorme personelle und institutionelle Expansion der Sozialpädagogik zu dieser Zeit rechtfertigen eine Betrachtung dieses Zeitraums (vgl. dazu ebenfalls Rauschenbach 1999). Darüber hinaus verändert sich die Soziale Arbeit in Bezug auf die Disziplin und auf die Differenzreflexion, so dass die Dekade nach 68 in den folgenden Abschnitten den zeitlichen Horizont der Darstellung bildet. Welche Differenzverhältnisse also sind es, die in der Sozialpädagogik der 1970er Jahre eine Rolle spielten? Grundsätzlich blieben die im zweiten Abschnitt aufgewiesenen Differenzen (Differenz der sozialen Klassen, Differenz der Generationen, Differenz der Geschlechter, Differenz von Normalität und Abweichung) für die Profession und Disziplin der Sozialpädagogik gültig und wichtig. Die Differenz der Generationen und der Geschlechter standen durch die Studenten- und die feministische Frauenbewegung sogar an exponierter Stelle. Natürlich spielte, gerade im Kontext der Sozialpädagogik, die Differenz der sozialen Klassen durch die weiterhin bestehende Armut mancher Bevölkerungsteile nach wie vor eine wichtige Rolle. Diese wurde nun, vor dem Hintergrund des Kalten Krieges und anders als im Kontext der ArbeiterInnenbewegung zum Ende des 19. Jahrhunderts, jedoch nicht mehr in der klassenkämpferischen Terminologie des Sozialismus geführt. Auch die Differenz von Normalität und Abweichung wird als „Urdifferenz“ der Sozialpädagogik hier behandelt werden. Über diese Kontinuität der Differenzverhältnisse hinaus differenzierte sich die Soziapädagogik in der Nach-68er-Ära erheblich aus. Es ist deshalb nötig, die Analyse um einige relevante Differenzverhältnisse zu erweitern: Zum einen entwickelte sich zu Beginn der 1970er Jahre, quasi hervorgerufen durch die feministische Frauenbewegung, eine Bewegung emanzipierter Männer, die das – bisher weithin unhinterfragte – männliche Geschlecht zum Gegenstand auch pädagogischer Abhandlungen machten. Ebenfalls im Kontext der Geschlechterfrage ist die Frage der Sexualität angesiedelt. Diese wurde 2
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Zur Theorien-, Ideen- und Disziplingeschichte der Erziehungswissenschaft vgl. Harney/Krüger 1999, zur Geschichte der Sozialen Arbeit vgl. Hering/ Münchmeier 2003, zur Methodengeschichte in der Sozialen Arbeit vgl. C.W. Müller 1992 und ders. 1994.
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und wird zwar sowohl im Kontext der Frauen- und Männerforschung als auch z.T. im Kontext des abweichenden Verhaltens verhandelt, verdient aber aus zwei Gründen eine gesonderte Betrachtung: Zum einen differenzierte sich mit der Sexualpädagogik ein eigenes relevantes Forschungs- und Handlungsfeld aus. Zum anderen beginnt sich mit der Differenz der sexuellen Lebensweisen in diesem Kontext ein weiteres Differenzverhältnis zu konstituieren, das bis heute in Gesellschaft, pädagogischer Praxis und sozialwissenschaftlicher Forschung relevant ist.3 Ganz besonders relevant scheinen aktuell ethnische Differenzen, die, in den 1970er Jahren noch unter dem Begriff Ausländerpädagogik subsumiert, heute in der Interkulturellen Pädagogik verhandelt werden. Eine wesentliche gesellschaftliche, und deswegen auch für die Sozialpädagogik relevante Entwicklung ist damit bereits angesprochen: die steigende Anzahl von relevanten Differenzverhältnissen verweist auf das Phänomen der Pluralisierung von Lebenswelten, mit dem die Sozialpädagogik bis heute befasst ist. Die zum Ende der vorliegenden Arbeit im Mittelpunkt stehenden Konzepte der Pädagogik zum Umgang mit gesellschaftlicher Vielfalt stehen damit quasi am Ende einer Entwicklung, die sich hier, in der Nach-68er Zeit, bereits andeutet.
Der Ausbau der Sozialen Arbeit vom repressiven Instrument des Ordnungsstaates zum strategischen Instrument der Sozialintegration Die Tatsache der sozialen Ungleichheit, gesellschaftlich ablesbar an der Differenz der sozialen Klassen und diskursiv in der Arbeiterfrage zusammengefasst, hatte im 19. Jahrhundert zunächst zur Entstehung der Arbeiterbewegung und anschließend zur Befriedung dieser Differenz durch die Implementierung einer staatlich organisierten Sozialpolitik geführt. Damit war strukturell gleichzeitig die Voraussetzung für die Entwicklung einer modernen Sozialen Arbeit geschaffen worden. Trotz der zu verzeichnenden Erfolge auf den Gebieten der Sozialpolitik und der Sozialpädagogik erweist sich das Thema der sozialen Ungleichheit und die damit eng verbundene Frage nach den Möglichkeiten der Integration in die Arbeitsgesellschaft als Dauerphänomen der industriellen Moderne. In der Zeit von Mitte der 1950er Jahre bis zum Ende der 1960er fristete die Frage der sozialen Ungleichheit im pädagogischen Diskurs jedoch eher ein
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Zur damaligen Zeit ging es insbesondere um die Differenz von Hetero- und Homosexualität, in den 1990er Jahren verschob sich dieser Diskurs durch die Rezeption der Queer Theory (vgl. Jagose 2001) noch einmal. 69
DER UMGANG DER SOZIALEN ARBEIT MIT DIFFERENZ
Schattendasein: Die vom damaligen Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard entwickelte Soziale Marktwirtschaft und das bundesdeutsche Wirtschaftswunder bestimmten das Denken. Die ersten 15 Jahre der neu gegründeten Bundesrepublik hatten einen immensen wirtschaftlichen Wachstumsprozess und für die Sozialpolitik einen Ausbau und zahlreiche Veränderungen bedeutet: Das nicht-familiale Erziehungs- und Bildungssystem sowie das schulische und berufliche Bildungssystem wurden ausgebaut, materielle Hilfen für bedürftige Familien (Wohngeld, Kindergeld) wurden bereitgestellt, aus dem traditionellen Arbeitssektor freigesetzte soziale Gruppen (Bauern, Handwerker) wurden in die soziale Sicherung einbezogen, Statusunterschiede zwischen Arbeitern und Angestellten innerhalb der sozialen Sicherung wurden angeglichen, die Hilfe für Menschen in besonderen Lebenslagen als Reaktion auf neue soziale Problemlagen wurde eingeführt, das Arbeitsförderungsgesetz (AFG) mit verschiedenen Möglichkeiten der beruflichen Qualifikation und Integration wurde eingeführt (vgl. Chassé/Drygala/Eggert-Schmid-Noerr 1992: 10), zusammengefasst: Das soziale System der frühen Bundesrepublik erfuhr unter Beibehaltung der sozialpolitischen Grundstrukturen der Weimarer Zeit eine den sich verändernden gesellschaftlichen Bedingungen gemäße Entwicklung. Die Differenz von Arbeit und Kapital stellte in Westdeutschland schon länger nicht mehr die Folie dar, vor der die sozialen Konflikte der Nachkriegszeit verhandelt wurden. Auch die materielle Armut, im 19. Jahrhundert ein Ausgangspunkt für die Implementierung sozialer Arbeit, rückte im vom „Fahrstuhleffekt“ (vgl. Beck 1986) gekennzeichneten Wirtschaftswunderland in den Hintergrund. 4 An Bewährtem festhalten, keine überzogenen Ansprüche stellen, 5 mit Fleiß und Disziplin immer um Optimierung bemüht sein – diese, auf einem breiten gesellschaftlichen Konsens beruhenden Prinzipien gaben besonderen Anstrengungen in den Bereichen Bildung, Ausbildung, Kultur und Erziehung wenig Raum. Der Traum immerwährender Prosperität und der auf der Grundlage der sozialen Marktwirtschaft ausgebaute Sozialstaat ließen eine theoretische Auseinandersetzung weitgehend unnötig erscheinen. 6 In den 1960er und 1970er Jahren schritt insbesondere die wirtschaftliche und gesellschaftliche Differenzierung voran, und mit ihr ergaben sich für die Sozialpolitik und die Sozialpädagogik folgenreiche gesellschaftliche und politische Veränderungen: Das Wirtschaftswunder hatte auf der kapitalistischen Gesell-
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Zu der Frage, ob die Armut tatsächlich weniger wurde oder nur aus dem Fokus der Öffentlichkeit und Wissenschaft verschwand vgl. Chassé 1988. „Maß halten“ wird neben „Wohlstand für alle“ zum Identität stiftenden und populären Slogan des Wirtschaftsministers und späteren Bundeskanzlers Erhard. Hanesch 2001: 82f.
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schaftsformation des Fordismus basiert. 7 Demgegenüber begann mit der Krise der Wirtschaftsform fordistischen Typs 8 seit der Mitte der 1960er Jahre der krisenhafte und diskontiniuierliche Übergang zu einer postfordistischen Gesellschaftsform. Diese zeichnet sich weniger durch Massenproduktion als durch technische Innovationen, Produktdiversifizierung und -flexibilität und damit durch die flexible Anpassung an Konsumentenmärkte aus. Mit der Veränderung der Produktionsverhältnisse polarisiert und segmentiert sich auch die Beschäftigtenstruktur. Im Kernbereich der technologischen Innovationen werden zunehmend mehr hoch qualifizierte Arbeitnehmer benötigt, während in den Randbereichen vornehmlich gering qualifizierte Arbeitnehmer eingestellt werden. Eine – freilich nicht monokausal auf der oben beschriebenen Entwicklung beruhende – bis heute andauernde strukturelle Massenarbeitslosigkeit ist die Folge. Vor diesem Hintergrund kommt es vermehrt zu einer Spaltung der Gesellschaft von in das Wirtschaftssystem inkludierten und vom Wirtschaftssystem exkludierten Individuen, der Anteil an prekären Arbeitsverhältnissen steigt (vgl. Schaarschuch 2003). Die Sozialpolitik hatte auf die Tatsache der strukturellen Massenarbeitslosigkeit in den späten 1960er Jahren mit einer Ausweitung der Sozialpolitik geantwortet. Dieses Vorgehen war der keynesianischen Erkenntnis geschuldet wonach in einer kapitalistischen Krise eine „flankierende und aktivierende Sozialpolitik (Sozialinvestitionen)“ (Böhnisch 1982: 13) nötig ist. Die Wohlfahrtspolitik hatte so nicht nur das Ziel, soziale Folgekosten zu kompensieren und Existenzen zu sichern. Sie wollte darüber hinaus „ökonomische Produktivitätsförderung durch expansive Sozialleistungspolitik und präventive Gesellschaftspolitik“ sein (Böhnisch 1982: 14). Das verstärkte monetäre Engagement des Sozialstaates fand seine Entsprechung in der quantitativen Expansion sozialer Berufe. Die gestiegene Komplexität der Gesellschaft hatte, so scheint es, einen systemfunktionalen Bedarf an sozialen Dienstleistungen notwendig gemacht. 9 Die Sozialpädagogik hatte sich in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg in ihren Strukturen konsolidiert. Die sich ausdifferenzierende Gesellschaft schuf geradezu einen Bedarf an sozialpädagogischer Intervention und die relativ solide staatliche Finanzsituation erlaubte eine solche Expansion auch. Das Differenzverhältnis der sozialen Klassen hatte sich verändert. Reich7 8
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Der Fordismus zeichnet sich durch standardisierte Massenproduktion und relativ niedrig qualifizierte Arbeitskräfte bei gleichzeitiger Ermöglichung und Weckung von Massenkonsum durch den keynesianischen Wohlfahrtsstaat aus. In den 1960er Jahren schwächte sich die Konjunktur in Folge des Auslaufens der „besonderen Wachstumsbedingungen der westdeutschen Nachkriegswirtschaft“ (Abelshauser 1983, zit. n. Rupp 2000: 142f.) merklich ab und erreichte im Jahr 1967 einen Tiefpunkt (vgl. Borowsky 1985). Vgl. zur Diskussion der Gründe des Wachstums sozialer Arbeit Rauschenbach 1999: 29ff. 71
DER UMGANG DER SOZIALEN ARBEIT MIT DIFFERENZ
tum und Armut existieren weiterhin, führten aber nicht mehr zu kollektiven Klassengegensätzen. 10 Damit wandelte sich auch die Funktionsbestimmung der Sozialpädagogik für die Gesellschaft. Das staatliche Wohlfahrtssystem wurde oben als Doppelstruktur von sozialpolitischem Versicherungssystem und Armenfürsorge für jene, die nicht in den kapitalistischen Arbeitsprozess eingebunden waren, gekennzeichnet. Sozialpädagogisches Handeln hatte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts vorrangig in den weiterentwickelten Bereichen der Armenfürsorge festgesetzt und so vor allem mit relativ eindeutig identifizierbaren „Problemgruppen“ zu tun gehabt. Sozialpädagogik fungierte hier sozusagen als Bearbeitungsinstanz für die Folgeprobleme der Klassendifferenz. Mit dem oben beschriebenen Ausbau des Bildungswesens und der sozialen Sicherung ging eine veränderte Definition des Problembegriffs einher. Dieser wurde nicht mehr einseitig kontrollierend ausbuchstabiert. Vielmehr wurde abweichendes Verhalten als Folge unzureichender Erziehung, hauptsächlich in Familie und Schule, gesehen: „Das Verhalten soll nicht einfach geahndet, sondern aus den personalen Problemstrukturen der Kinder und Jugendlichen erklärt und damit der pädagogischen Verhaltensbeeinflussung zugänglich gemacht werden“ (Böhnisch 1982: 22). An die Stelle der repressiven Ausbuchstabierung sozialpädagogischer Hilfe traten nun vorwiegend kompensatorische Maßnahmen. Darüber hinaus differenzierte sich mit der Ausweitung des öffentlichen Erziehungssystems auch der Zuständigkeitsbereich der Sozialpädagogik aus. Diese war nun grundsätzlich zuständig für alle Kinder und Jugendlichen und übernahm darüber hinaus zahlreiche andere Aufgaben in Gesellschaft und Öffentlichkeit (vgl. Böhnisch 1982: 23f.). „Die Sozialarbeit ist – im Durchschnitt – vom repressiven Instrument des Ordnungsstaates zum strategischen Instrument der Sozialintegration im Sozialstaat geworden“(Böhnisch 1982: 166). Wie dieser Funktionswandel und das neu formulierte Ziel der So-
10 Zum Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Differenz der Sozialen Klassen noch durch die Sozialgesetzgebung befriedet. Der Kapitalismus hatte sich vorerst durchgesetzt, wurde aber bis in die Weimarer Republik immer wieder von marxistischer/sozialistischer Seite angegriffen. Bis heute wird in marxistischen Theorien der Klassengegensatz mit dem Wesen des Kapitalismus verbunden, woraus nur zwei Möglichkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung resultieren: entweder der Klassenkampf und der Kapitalismus werden durch eine Revolution, aus der der Sozialismus hervorgeht, beendet. Oder aber die sozialen Klassen werden vor dem Hintergrund des Kapitalismus immer weiter kämpfen. Zu Beginn der 1970er Jahre erscheint noch eine dritte Alternative am historischen Horizont: „die Dynamik des sozialstaatlich abgesicherten Arbeitsmarktes hat die sozialen Klassen im Kapitalismus ausgedünnt oder aufgelöst. Wir stehen – marxistisch gedacht – mehr und mehr dem (noch unbegriffenen) Phänomen eines Kapitalismus ohne Klassen gegenüber mit allen damit verbundenen Strukturen und Problemen sozialer Ungleichheit“ (Beck 1986: 117). 72
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zialintegration sich auf die sozialpädagogische Reflexion und Bearbeitung der weiteren Differenzverhältnisse auswirkten ist Inhalt der folgenden Abschnitte.
Kulturkritik und die Differenz der Generationen: Die Studentenbewegung Die Protestkultur der 1960er Jahre, die im bekannten Zäsur-Jahr 1968 ihren Höhepunkt fand, wurzelte in verschiedenen kulturellen Strömungen der 1950er und 1960er Jahre (vgl. für das folgende Hickethier 2003). Schon seit den 1950er Jahren hatte eine vorher nicht in dem Maße gekannte Individualisierung der Jugend stattgefunden. Diese war nun nicht mehr bündisch organisiert, sondern fand in der medien- und musikorientierten amerikanischen Jugend ihr Vorbild (vgl. dazu Maase 1992). Daneben begann sich im Wirtschaftswunderland kontinuierlich eine konsumorientierte Grundhaltung in großen Teilen der Bevölkerung durchzusetzen. 11 Die neuen, „polyzentrischen Kultur- und Lebensvorstellungen“ (Hickethier 2003: 14) zeigten sich nicht zuletzt in der steigenden Bedeutung der künstlerischen Moderne, die nach den Entartete Kunst Kampagnen des Hitlerregimes zunächst kaum auf Akzeptanz in der eher provinziellen, reaktionär-konservativen Gesellschaft der Adenauer-Ära gestoßen war. Parallel zu den alltagskulturellen Veränderungen sorgten insbesondere die politischen Auseinandersetzungen der 1960er Jahre für ein Klima, das das Entstehen einer alternativen Protestkultur besonders in der jungen Generation begünstigte. Die sich ab dem Jahr 1960 entwickelnden Ostermärsche gegen die atomare Aufrüstung oder die Spiegel-Affäre im Jahr 1962 sind nur zwei Indizien für eine sich politisierende Öffentlichkeit und für das spätere Entstehen einer außerparlamentarischen Linken. Schließlich ist es auch die Tatsache des verdeckten Fortbestandes der NS-Traditionen in der Bundesrepublik, personell abzulesen an den zahlreichen ehemaligen NS-Parteifunktionären, die sich auch in der Bundesrepublik in öffentlichen Schlüsselpositionen wieder finden, der die politisierten Studenten aufbringt (vgl. dazu Klee 2003). Teile der Studentenschaft hatten sich, inspiriert von der US-Amerikanischen Studentenbewegung, bereits ab Mitte der 1960er Jahre an der Freien Universität in Berlin zu einer Bewegung zu formieren begonnen. Als am 2. Juni 1967 im Rahmen einer 11 Das Warenangebot wurde größer als die Warennachfrage und musste dementsprechend beworben werden, hierfür boten sich die immer mehr in den Alltag einbrechenden Medien, wie Tageszeitungen, Boulevardzeitungen oder Illustrierte, die an jedem Kiosk zu haben waren, Kinos, Hörfunk und Kinos geradezu an. Die Essgewohnheiten veränderten sich, die Werbung weckte auch in dieser Hinsicht immer neue Begehrlichkeiten, vgl. dazu Hickethier 2003. 73
DER UMGANG DER SOZIALEN ARBEIT MIT DIFFERENZ
Studentendemonstration gegen den Besuch des iranischen Schahs und dessen Unrechtsregime der Student Benno Ohnesorg durch eine Polizeikugel ums Leben kommt, beginnt sich die studentische Protestbewegung auf nahezu alle Universitätsstädte auszubreiten und zu radikalisieren. Die Soziale Arbeit, die Sozialpädagogik und die Erziehungswissenschaften nahmen vor diesem gesellschaftlich-politischen Hintergrund zu Beginn der siebziger Jahre einen rasanten Aufschwung. Im Bereich der studentischen Auseinandersetzungen war insbesondere eine Renaissance marxistischer Theorietraditionen zu vermelden, in deren Kontext der politisch-gesellschaftliche Stellenwert der Sozialen Arbeit thematisiert wurde. Eine wesentliche „Grundthese war die Überlegung, dass dem Sozialarbeiter in der kapitalistischen Gesellschaft die Rolle zukam, Agent und Repräsentant des herrschenden Systems zu sein“ (Erler 2004: 121). 12 In der erziehungswissenschaftlichen Debatte wurden vermehrt Stimmen laut, die die Absetzung des bis in die Nachkriegszeit weitgehend unangefochtenen Geisteswissenschaftlichen Paradigmas in der Pädagogik forderten. Dieses hatte sich insgesamt durch ihren affirmativen Charakter und durch relative sozialwissenschaftliche Theorieferne ausgezeichnet und machte sich deshalb gerade in dieser politisierten Zeit verdächtig. Die klassische Kritische Theorie hingegen hatte sich zum Ziel gesetzt, Aufklärung herzustellen über die gesellschaftlichen Verstrickungen von Forschungszusammenhängen und bot sich deshalb zur Rezeption geradezu an. Absicht und Ziel der Kritischen Theorie war dabei die Aufklärung über die Möglichkeiten der Souveränität und der Gestaltungsfähigkeit der Menschen über die wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Prozesse – also Emanzipation (vgl. Horkheimer 1970). Durch die vermehrte Rezeption sozialwissenschaftlicher Theorien, die emanzipativen Bestrebungen aus den verschiedenen sozialen Bewegungen und durch die von der sozial-liberalen Koalition erzeugte Aufbruchstimmung 13 veränderte sich das Bild der Sozialen Arbeit nachhaltig. Als Ziel wurde nun formuliert, durch die kritische Auseinandersetzung von Theorie und Praxis zu einer kritischen Handlungslehre mit emanzipativem Potential und zu Strukturveränderungen in der sozialen Arbeit zu gelangen (vgl. Otto/Schneider 1973). Ganz ähnlich wie im Kontext der Jugendbewegung wurde der jungen Generation mit kulturkritischem Impetus zugetraut und zu12 Vgl. dazu zeitgenössisch Lessing/Liebel 1974. 13 Zum Leitspruch wurde die Aussage Brandts, man wolle „mehr Demokratie wagen“. Zur Aufbruchstimmung in der Sozialen Arbeit mag auch beigetragen haben, dass das Bundesverfassungsgericht 1967 eine sozialpädagogisch und präventiv ausgerichtete Sozialarbeit explizit zur öffentlichen Aufgabe gemacht hatte. Damit war auch die rechtliche Grundlage für die Ausweitung der Sozialen Arbeit geschaffen, die sich schon länger nicht mehr nur auf die Randgruppen der Gesellschaft konzentriert, sondern tendenziell alle Familien und die gesamte Jugend als Adressaten in ihre Arbeit einbezogen hatte, vgl. Münchmeier 1997: 303. 74
DIFFERENZREFLEXION NACH 1968
gemutet, zunächst für Veränderungen innerhalb der jungen Generation sorgen zu können und diese dann durch neue Formen der Erziehung an die nächste Generation weitergeben zu können. Als Bezugspunkt und als Ziel der pädagogischen Bemühungen galt nun freilich nicht mehr eine wie auch immer geartete Gemeinschaft oder gar die Nation – beides war vor dem Hintergrund des pervertierten Gebrauchs im Nationalsozialismus in Verruf geraten – sondern die Emanzipation des Individuums. Das Individuum sollte, in Absetzung zum dem von Adorno erforschten „autoritären Charakter“ (Adorno 1980a), in die Lage versetzt werden, sich von dem im Kontext der Jugendbewegung so prominent behandelten und im Nationalsozialismus vollends zur perversen Perfektion getriebenen Führer-Folgschaft-Prinzip zu distanzieren, um so eine Gesellschaft von emanzipierten Individuen zu konstituieren. 14 In einem eigentümlichen Spannungsverhältnis zu den häufig vor radikalem marxistisch-antikapitalistischem Hintergrund argumentierenden antiautoritären Strömungen der Studentenbewegung befand sich die wissenschaftliche und etablierte Sozialpädagogik der Zeit. Von konservativer Seite wurde den Protagonisten der Kritischen Erziehungswissenschaft 15 vorgeworfen, diese hätten sich „aus verschiedensten Motiven, die von echter Gesinnungsfreundschaft bis zur opportunistischen Anbiederung an die aufsässigen Jung-Akademiker reichten“ (Brezinka 1976: 231), deren pädagogischen Vorstellungen zu Eigen gemacht. Grundsätzlich richtig ist, dass auch von jenen Pädagogen, die sich nicht der radikalen marxistischen Kritik an der bestehenden Sozialpädagogik anschlossen, neue, emanzipatorische Wege gesucht wurden. Der pädagogische Generationenbegriff, von Nohl noch wenig wissenschaftlich unterfüttert als persönliche Beziehung von Erzieher und Zögling konzipiert, veränderte sich vor dem Hintergrund des emanzipativen Paradigmas zu einer mehr sozialwissenschaftlich orientierten Betrachtungsweise. Dies wurde unterstützt durch eine Fülle von neu erscheinender soziologischer Literatur zum Thema Jugend und Generation. 16 Schon recht früh, 1964, hatte sich beispielsweise Mollenhauer von der eingeschränkten Sicht der geisteswissenschaftlichen Pädagogik auf das Generationenverhältnis vorsichtig gelöst und gefragt: „Wer ist diese Jugend?“ (Mollenhauer 1964: 33). Neu war für die Pädagogik dreierlei: „die 14 Umgesetzt wurde diese Idee beispielsweise in den Konzepten der antiautoritären Erziehung. Z.T. unter Rückgriff auf Konzepte der 1920er Jahre (A.S. Neill, W. Reich) und in Abgrenzung zu den als autoritär-kleinbürgerlich apostrophierten etablierten Kindergärten wurden selbst verwaltete Kinderläden eröffnet, in denen die Bedeutung der Selbstregulation und Selbstbestimmung der Kinder hervorgehoben wurde, vgl. etwa Bott 1970. 15 Dazu zählt der Kritiker der Kritischen Erziehungswissenschaft, Wolfgang Brezinka, die Professoren Mollenhauer, Blankertz, Klafki, v. Hentig und Gamm, vgl. Brezinka 1976: 231. 16 Vgl. als einführende Literatur Eisenstadt 1966, Ausubel 1968, Baacke 1972. 75
DER UMGANG DER SOZIALEN ARBEIT MIT DIFFERENZ
Häufigkeit, mit der diese Frage heute in Praxis und Forschung wiederholt wird, […] außerdem der soziologische Charakter der Fragerichtung und, als pädagogische Frage, der Verzicht auf naive sittliche Wertungen; zum ersten Mal erhofft man sich allen Ernstes von einer Analyse der ‚Jugend‘ Hinweise zur Beantwortung der Frage nach pädagogischen Zielen“ (ebd.) Unverkennbar tritt bei Mollenhauer die Orientierung an sozialwissenschaftlichen Konzepten zutage, wenn er beispielsweise von der Schwierigkeit einer genauen Definition von Jugend- und Erwachsenenstatus oder von den unterschiedlichen Rollenanforderungen in „primären (Familie, Freundesgruppe, Jugendgruppe etc.) und sekundären (Großorganisationen, Betriebe, Verbände, Öffentlichkeit etc.) Systeme[n]“ (Mollenhauer 1964, S. 34ff.) spricht. Auch weist Mollenhauer darauf hin, dass die junge Generation als einheitliches, homogenes Sozialgebilde lediglich in der Sozialforschung existiert und in der Realität in unterschiedliche Gruppen geteilt ist. 17 Ganz ähnlich argumentiert Kupffer (vgl. Kupffer 1974: 11ff.), wenn er behauptet: „Jugend kommt als ‚Jugend‘ im wirklichen Leben nicht vor“. Schon aus diesen wenigen Hinweisen lassen sich Erkenntnisse für den veränderten Blick der Sozialpädagogik auf das Generationenverhältnis gewinnen: Nohl hatte sich noch wenig mit den Unterschieden innerhalb der Generationen beschäftigt und legte seinen Ausführungen überwiegend eine Vorstellung von Generation als homogenes Ganzes zugrunde. Diese Sichtweise ermöglichte es, von einer systematischen Betrachtungsweise der Generationendifferenz abzusehen und die Generationendifferenz auf das persönliche Erzieher-Zögling-Verhältnis zu verengen. Mit dem expliziten Hinweis auf die bestehende Heterogenität innerhalb der Generationen bei Mollenhauer geraten die unterschiedlichen Gruppen innerhalb einer Generation und damit die unterschiedlichen Sozialisationsbedingungen dieser Gruppen in den Blick. In den Mittelpunkt der pädagogischen Betrachtung rückt in der Folge damit weniger das spezifische Verhältnis von Erzieher und Zögling, als vielmehr die Frage nach den Sozialisationsbedingungen der jungen Menschen und wie Sozialpädagogik präventiv auf diese einwirken kann. Im Gegensatz zu den homogenisierenden Konstrukten von Volk und Nation entbrennt nun eine soziologische Debatte über jugendliche Subkulturen (vgl. Baacke 1972, Schwendter 1973, Kreutz 1974: 150ff.). Vom Wesensbegriff der Jugend und der Erwachsenenwelt ist im Gegensatz zur Nohlschen Konzeption des Generationenverhältnisses nicht mehr die Rede. Vielmehr wird die Polarisierung des Generationenverhältnisses nun – vielleicht etwas übermotiviert – als „erstes Signal faschistischer Einstellungen auf ein primitives Freund-Feind-Schema“ (Brocher 1973: 17 In der Literatur wurde nun auch verstärkt auf die wachsende Bedeutung der peer groups aufmerksam gemacht und demgegenüber ein nachlassender Einfluss von politisch oder weltanschaulich geprägten Jugendorganisationen verzeichnet, vgl. Kreutz 1974. 76
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9) gewertet und die Notwendigkeit der gleichberechtigten Kommunikation zwischen den Generationen betont. Ein ebenfalls deutlicher Unterschied zwischen der Pädagogik geisteswissenschaftlicher Prägung und der Sozialpädagogik der Nach-68er Ära besteht in Bezug auf den Umgang von älterer und jüngerer Generation miteinander, sowie in Bezug auf den Prozess der Erziehung und die Zielsetzungen von Erziehung. Hatte Nohl in seinem Erzieher-Zögling-Verhältnis noch von der Tätigkeit des Hebens durch den Erzieher und des gehoben werdens auf Seiten des Zöglings gesprochen, so klopft beispielsweise Kupffer (vgl. Kupffer 1974) mit ideologiekritischem Impetus den Jugendbegriff auf seine Funktionen innerhalb der pädagogischen Diskurse ab: Der Begriff Jugend wurde, so sein Ergebnis, stets „als Hebel zur Durchsetzung eigener Vorstellungen“ (Kupffer 1974: 44) benutzt. Es existiere auf Seiten der Eltern, Lehrer, Professoren und Geistlichen ein Bedürfnis, zu dominieren (ebd.: 136). 18 Sie würden gegenüber der Jugend auf der Einhaltung eines bestimmten Wertekanons pochen, um ihr „dominantes Bedürfnis nach Verfügung über Verhalten, Denken und Empfinden Abhängiger befriedigen [zu] können“ (Kupffer 1974: 136). Hatte Spranger für die wissenschaftliche Pädagogik noch die Aufgabe formuliert, „eine bereits gegebene Kulturwirklichkeit aufzufassen, unter ordnende Begriffe zu bringen und zuletzt durch Normen und Wertsetzungen zu gestalten“(zit.n. Krüger 2002: 31), so fordert Kupffer nun das genau Gegenteil: „Erziehung findet ihre genuine Möglichkeit nicht im Beibringen von Normen, sondern umgekehrt darin, Normen in Frage zu stellen“ (Kupffer 1974: 136). Wirkliche Emanzipation sei nur möglich, wenn der Jugendliche in der Lage sei, sich von den Vorstellungen des Erziehers – und seien seine Vorstellungen auch noch so progressiv – zu entfernen: „Die Fiktion einer Überlegenheit des aufklärenden Erziehers über den aufzuklärenden Jugendlichen muss fallen, denn so lange jener im Voraus weiß, was dieser tut, ist die Emanzipation noch nicht vollzogen“ (Kupffer 1974: 32). Gegenüber der Differenzreflexion von junger und alter Generation im Kontext der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik können zusammenfassend die folgenden wesentlichen Veränderungen kenntlich gemacht werden: Es werden nicht mehr zwei sich gegenüber stehende, in sich geschlossene und mit spezifischen Wesensmerkmalen ausgestattete, Generationen postuliert. Vielmehr erkennt man auf der Basis der soziologischen Subkulturforschung die Heterogenität auch innerhalb der jüngeren Generation an. Vor dem Hintergrund des Ziels der Emanzipation des Individuums und der gesamten Gesellschaft wird die prinzipielle Überlegenheit des Erziehers gegenüber dem Ju-
18 Vgl. auch Kupffer 1984. Hier widmet sich Kupffer der Frage des Zusammenhangs von Faschismus und dem Menschenbild in der deutschen Pädagogik. 77
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gendlichen aufgegeben. Das von Nohl so prominent behandelte ErzieherZögling-Verhältnis gerät mit der Rezeption sozialwissenschaftlicher Theorien in den Hintergrund, stattdessen wird die soziale Dimension von Erziehungsproblemen betont. Die Pädagogik steht damit an einem Übergang in Bezug auf den Umgang mit der Differenz der Generationen: Obwohl verschiedene Subkulturen innerhalb der Jugend ausgemacht werden, wird die Lebensphase Jugend bis zu diesem Zeitpunkt noch als Übergangsphase vom Status der Kindheit zu der als endgültig gedachten Erwachsenenrolle gedacht. Dabei gilt die Jugend, obwohl in verschiedene Subkulturen zerfallend, als relativ homogene Statuspassage, die auf das Erwachsenwerden vorbereitet und dabei mit speziellen, einheitlichen Entwicklungsaufgaben befasst ist. 19 Während bei Nohl der forschende Blick darauf gerichtet wurde, was die junge Generation insgesamt an Gemeinsamkeiten aufweist, beginnt hier die Jugendforschung auch die Unterschiede innerhalb der Generation zumindest wahrzunehmen. Das Hauptaugenmerk gilt damit den verschiedenen Subkulturen und Gruppierungen, die sich innerhalb der Jugend ausdifferenzieren. Für diese verschiedenen Teilgruppen innerhalb der jungen Generationen aber wurden nun wiederum jeweils relativ homogene Lebensbedingungen und Lebenswelten konstruiert: so gehen Geißler/Hege davon aus, dass es „in einer Gesellschaft (wie jener der Bundesrepublik Deutschland) eine beschränkte Anzahl verschiedener Bewusstseins- und Handlungsformen, die größeren Einheiten (Klassen, Schichten) zugeordnet werden können (und von den Mitgliedern unter bestimmten sozialen und ökonomischen Bedingungen historisch entwickelt wurden)“ (vgl. Geißler/Hege 1978: 190f.) gibt. Auch in dieser Konzeption besteht also, allerdings in einer qualitativ anderen Art als in der geisteswissenschaftlichen Pädagogik, ein großes Interesse daran, homogenisierende Elemente im sozialen Zusammenleben zu identifizieren und zur Grundlage pädagogischen Handelns zu machen. Im Kontext der Differenz der Generationen wird dieses homogenisierende Element in den in sich homogenen Lebenswelten gesehen. Vor dem Hintergrund dieser Lebenswelten agieren die Jugendlichen und bilden jeweils in sich homogene Bewusstseins- und Handlungsformen aus.
19 Zu diesen für alle Jugendlichen geltenden Entwicklungsaufgaben gehören beispielsweise die berufliche und soziokulturelle Mündigkeit oder geschlechtsspezifische Entwicklungsaufgaben, wie die Vorbereitung auf den Beruf für die männliche, die Vorbereitung auf die Rolle als Hausfrau und Mutter für die weibliche Jugend. 78
DIFFERENZREFLEXION NACH 1968
Die Differenz der Geschlechter: Die feministische Frauenbewegung und die Mädchenarbeit Im Kabinett Adenauer wurde das traditionelle bürgerliche Frauenbild, das schon zu Anfang des 20. Jahrhunderts von weiten Teilen der männlich geprägten Politik vertreten wurde, von Seiten des Staates aktiv aufrechterhalten. Franz-Josef Wuermeling (CDU), erster Minister für Familien- und Jugendfragen (1953 bis 1962), propagierte das Modell der kinderreichen Versorgungsehe, kritisierte die Berufstätigkeit der Frau und richtete Hilfen für kinderreiche Familien 20 ein. So wurde bis in die 1960er Jahre das bürgerliche Familien- und Frauenbild in Deutschland konserviert und zu großen Teilen auch unhinterfragt gelebt. In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre, die Bundesrepublik sah sich zum ersten mal seit dem Zweiten Weltkrieg mit einer wirtschaftlichen Rezession konfrontiert, kam nach einer Zeit der relativen gesellschaftlichen Bewegungslosigkeit 21 Bewegung in die Geschlechterdifferenz. Im Januar des Jahres 1968 gründeten Frauen im West-Berliner Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS), als Reaktion auf die ignorante Haltung der Männer im SDS in Bezug auf die Unterdrückung der Frauen in ihren eigenen Reihen, den Aktionsrat zur Befreiung der Frau. Nur wenige Monate später wurde das Aufbranden der neuen Frauenbewegung quasi in die Wohnzimmer der Republik übertragen, als eine Gruppe von Frauen auf der 23. SDS-DelegiertenKonferenz die SDS-Genossen vor laufenden Kameras mit Tomaten bewarfen, nachdem diese sich einmal mehr ignorant gegenüber den Forderungen der SDS-Genossinnen gezeigt hatten (vgl. Hochgeschurz 1995: 155ff.). Die frauenspezifischen Themen wurden fortan selbstständig und unabhängig analysiert, vom Privaten in die politisierte Öffentlichkeit getragen und zum Teil, wie im Falle der zahlreichen selbst verwalteten Kinderläden, in die Tat umgesetzt (vgl. dazu Hochgeschurz 1995: 161f.). Die Medien wurden, wie im Kontext der Kampagne gegen den §218, 22 für die eigenen Belange genutzt. Dieser öffentlichkeitswirksamen Anfangsphase, die die anfängliche Studentinnenbewegung zu einer allgemeinen Frauenbewegung anwachsen ließ, folgte eine Phase, die mit dem Ausbau von Frauenprojekten,-zentren, -buchläden, -presse und Frauenhäuser als „Aufbau einer feministischen Gegenkultur“ (Gerhard 1995: 20 Etwa den „Wuermeling-Pass“, mit dem Kinder und Jugendliche aus kinderreichen Familien zum halben Preis Zugfahren konnten und das Kindergeld ab dem dritten Kind. 21 Adenauer hatte mit der Parole „Keine Experimente!“ mehr als eine Bundestagswahl gewonnen und damit erfolgreich an das Sicherheitsstreben weiter Teile der Bevölkerung appelliert. 22 Hier bezichtigten sich beispielsweise 374 z.T. prominente Frauen selbst der Abtreibung (Titel des Stern: „Wir haben abgetrieben“), vgl. Nullmeier/Raschke 1988: 20ff. 79
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256) begriffen werden kann. Diese entwickelte sich ständig weiter, sie institutionalisierte und normalisierte sich letztlich, wie man an den bis heute sich ausdifferenzierenden geschlechtsspezifischen, geschlechtsreflexiven oder geschlechtstypischen Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit ablesen kann. 23 Die relativ enge Verbindung von wissenschaftlicher Forschung und politischer Bewegung führte in der Folge fast zwangsläufig zu dem Versuch, eine genuin frauenspezifische Sichtweise in die Wissenschaft einzuführen. Diese widmete sich „weiblichen“ Themen wie dem weiblichen Lebenszusammenhang, dem weiblichen Denken oder der weiblichen Moral und konstituierte so das „Frau-Sein als einheitliche Kategorie, Frauen als ‚Kollektivsubjekt‘“ (Gildemeister 2001). Dieses Denken der Differenz findet sich in zahlreichen Abhandlungen des Feminismus als ein möglicher Weg zur Herstellung von Gleichheit zwischen den Geschlechtern wieder. 24 Freilich unterscheidet sich die Position der Differenz in der feministischen Frauenbewegung in einem entscheidenden Punkt von der Differenzposition der bürgerlichen Frauenbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Diese hatte das bürgerliche Frauenbild noch idealisiert und mit einseitig sozialen und gefühlsbetonten Aufgaben, z.B. in Familie und Gemeinschaft, verbunden. Darüber hinaus verband die bürgerliche Frauenbewegung das Frau-sein mit bestimmten, mit dem weiblichen Körper naturhaft und essentialistisch zusammenhängenden psychosozialen Erfahrungen und Verhaltensweisen. Im Kontext der feministischen Frauenbewegung wurde die vorherige Verbindung von demokratischer Gleichberechtigung 23 Vgl. für verschiedene Frauenprojekte Bitzan 2002, vgl. auch die Abschnitte zu Hilfen bei sexuellem Missbrauch und Anonyme Mädchenzuflucht in Böhnisch/Funk 2002: 250-268, für Frauenhäuser vgl. Brückner 2002, Böhnisch/Funk 2002: 269-276. Die Geschlechterdifferenz stellt sich dabei als Differenz dar, die sich quer durch alle Handlungsfelder der Sozialen Arbeit zieht und gleichsam durchgängig beachtet werden muss, was sich in den zahlreichen geschlechtsspezifischen, geschlechtsreflexiven oder geschlechtstypischen Ansätzen Sozialer Arbeit niederschlägt, wie z.B. in Bezug auf die verschiedenen Sozialisationsfelder (von der Familie über den Kindergarten, die Schule, den Beruf oder die Jugendhilfe, vgl. Böhnisch/Funk 2002: 147-177, vgl. dazu auch die einschlägigen Aufsätze in Hurrelmann/Ulich 1991 sowie Faulstich-Wieland 1995: 98-161), in der geschlechtsreflexiven Arbeit mit MigrantInnen (vgl. Böhnisch/Funk 2002: 293-301, Gemende 2002), geschlechtstypischen Zugängen bei Suchtabhängigkeit (vgl. Böhnisch/Funk 2002: 301-309, Stahr 1995), in den Hilfen für Frauen und Männer mit Behinderungen (vgl. Böhnisch/Funk 2002: 318-323) oder in der Jugendarbeit als Mädchen- und Jungenarbeit (vgl. zur Mädchenarbeit Klees [u.a.] 2000, Brückner 1996, Marburger 2001, für die Jungenarbeit vgl. Möller 1997, Winter 2001, Sielert 2002, Sturzenhecker 2002). 24 Beispielsweise in Carol Gilligans Auseinandersetzung mit Kohlbergs Moraltheorie der „männlichen prinzipiellen und universellen Gerechtigkeitsethik, der sie eine weibliche Ethik der Fürsorge“ entgegen setzt, vgl. Gerhard 1995 oder im Kontext der italienischen Gruppe Diotima, einem Zusammenschluss von Philosophinnen an der Universität Verona, vgl. Cavarero 1990. 80
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und essentialistischer Differenzposition sozialwissenschaftlich hinterfragt: der weibliche Körper erscheint in diesem Zusammenhang nun nicht mehr als biologisch determiniert, sondern es geht um „Körpererfahrungen als gesellschaftliche Erfahrungen, Körperbilder als gesellschaftliche Konstruktionen […], die sich historisch und kulturell unterscheiden und sich ständig verändern“ (Prengel 1995: 117f.). Eine zweite Position innerhalb der feministischen Frauenbewegung kann als Gleichstellungsansatz (vgl. ebd.: 112ff.) bezeichnet werden. Während die Vertreterinnen der Differenzperspektive demokratische Gleichberechtigung über die Anerkennung spezifisch weiblicher Lebensweisen erreichen wollten, hinterfragten die Vertreterinnen der Gleichheitsperspektive die angebliche Geschlechtsneutralität, die sich in der Gesellschaft, im Recht und in der Politik breit gemacht hatte. Zwar würde allerorten angeblich Gleichberechtigung und Gleichbehandlung der Geschlechter angestrebt, in der Realität manifestiere sich die Ungleichheit der Geschlechter jedoch im Rahmen von struktureller Ungleichheit, Diskriminierung, Ungleichbehandlung und Marginalisierung der Frauen. Um dieser Ungleichbehandlung offensiv entgegen zu treten, sollten sich Mädchen und Frauen bisher männlich dominierte Territorien erobern, indem sie sich „typisch männliche Kompetenzen wie Abgegrenztheit, Selbstsicherheit, psychisches und körperliches Durchsetzungsvermögen, Aggressivität, Konkurrenzfähigkeit und technisch-naturwissenschaftliche Sachbezogenheit“ (ebd.: 114) aneigneten. Mit dieser Strategie jedoch, so die grundlegende Kritik, würde die monistische Grundstruktur der Gesellschaft, die einseitig das Männliche zum Maßstab nimmt, nicht überwunden: Indem die Emanzipation der Frauen mit der Eroberung männlicher Territorien gleichgesetzt wird, würden männliche Werte und Verhaltensweisen zum absoluten Maßstab und der Wert weiblicher Werte und Verhaltensweisen würde herabgesetzt. Dieser Kritik schloss sich eine dritte Strategie der Gleichstellung an, die als „Androgynitätspädagogik“ (ebd.: 125) gekennzeichnet werden kann. Männern und Frauen wurden, besonders vom im Entstehen begriffenen Bürgertum im 19. Jahrhundert, spezifische Geschlechtscharaktere zugewiesen. In den 1970er Jahren entwickelte die Persönlichkeitspsychologie das Konzept der psychischen Androgynie, „mit der Individuen bezeichnet werden, die zusätzlich zu den für ihr eigenes Geschlecht als typisch angesehenen Eigenschaften auch solche des anderen ausgeprägt haben“ (Lindhoff 2002: 10). 25 Als Strategie der Gleichstellung wurde nun propagiert, die einzelnen Individuen sollten die jeweils komplementären Eigenschaften entwickeln, um so zum „ganzen“
25 Die am tiefenpsychologischen Modell von C.G. Jung orientierte Androgynität wurde in ähnlicher Weise auch in der Jungen- und Männerarbeit vertreten, vgl. Sielert 2002: 23f. 81
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Menschen zu werden: „Frauen entwickeln ihre ‚männlichen Anteile‘, das heißt sie werden auch aktiv, durchsetzungsfähig, aggressiv. Männer entwickeln ihre ‚weiblichen‘ Anteile, werden also auch passiv, emotional und fürsorglich“(Prengel 1995: 125). Die innerhalb des Feminismus engagiert geführte Auseinandersetzung um Gleichheit und/oder Differenz konnte zwar durch die Einsicht, „dass nur bei Anerkennung der Differenz die Forderung nach Gleichheit Sinn macht“ (vgl. Gerhard 1995) befriedet werden. Bestehen blieb jedoch das grundsätzliche Paradox, dass bei allen drei gerade vorgestellten Strategien, der Differenz-, der Gleichheits- und der Androgynitätsstrategie, die hierarchisch-binäre und letztlich monistisch an der Männlichkeit orientierte Konstruktion der Geschlechter nicht überwunden wurde. Auch die feministische Frauenbewegung Anfang der 1970er Jahre setzte sich also zunächst, freilich unter anderen historischen und sozialen Vorzeichen als die bürgerliche Frauenbewegung zum Ende des 19. Jahrhunderts, mit dem Paradox von Gleichheit(-sforderung) und Differenz (-betonung) auseinander. Auf zunehmende Kritik trafen nun jedoch die in der ersten Frauenbewegung noch relativ unhinterfragt gebliebene Naturalisierung der Geschlechtsunterschiede, die auch im Konzept der Androgynität noch vorzufinden war. Unter der Überschrift „Wir werden nicht als Mädchen geboren – wir werden dazu gemacht“ (so der Titel eines Buches von Ursula Scheu, vgl., auch für das Folgende, Becker-Schmidt/Knapp 2000: 31ff.) beschäftigte sich die feministische Forschung in der Folge theoretisch und empirisch intensiv mit der Frage, ob es tatsächlich nachweisbare Unterschiede zwischen den Geschlechtern gäbe oder ob diese nicht vielmehr das Ergebnis von Zuschreibungen waren, die aus den in der Gesellschaft vorfindbaren Geschlechterstereotypen generiert wurden. Mit der These, dass die gesellschaftlich tradierten Geschlechtszuschreibungen verantwortlich waren für die weiterhin bestehenden Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern, rückte die Frage nach der Unterdrückung der Frauen in den Mittelpunkt der Frauenforschung. Dabei ging es der Frauenforschung nicht nur um den Nachweis aktueller und zurückliegender Diskriminierungen, sondern gleichzeitig darum, Raum für Frauen als ernst zu nehmende gesellschaftliche Subjekte zu schaffen. 26 An der feministischen Forschung, die sich einseitig nur auf die Genusgruppe Frau konzentrierte (vgl. dazu Becker-Schmidt/Knapp 2000: 36), wurde Kritik dahingehend laut, dass sie die „hinter“ der Geschlechterdifferenz stehende soziale Ungleichheitsstruktur, die mit der Geschlechterdifferenz auf das Engste verknüpft ist, nicht genügend in den Blick bekam. Aus der feministischen Frauenforschung differenzierte sich in der Folge ein gesellschafts- und
26 Z.B. durch die oben bereits angesprochene Schaffung einer feministischen Gegenkultur. 82
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strukturtheoretisch orientierter Strang heraus, der sich nicht mehr einseitig auf die Situation der Frauen konzentrierte. Die klassisch feministische Frauenforschung wurde in der Folge durch eine nun allgemeiner als Geschlechterforschung bezeichnete Forschungsrichtung ergänzt. In ihr wurde eine vergleichende Haltung eingenommen: die männliche Genus-Gruppe fungierte hier als Bezugspunkt für gesellschaftliche Ungleichheitslagen, um genauer darstellen zu können, welche Vor- und Nachteile sich für Männer und Frauen durch die Zugehörigkeit zum jeweiligen Geschlecht ergaben. Die Beschäftigung schließlich mit Geschlechterverhältnissen verweist auf einen dritten Forschungsstrang und die Notwendigkeit, Geschlechterbeziehungen in ihrer jeweils geschichtlichen und soziokulturellen Gebundenheit zu untersuchen. Ähnlichkeit und Differenz, Gleichstellung und Hierarchisierung zwischen den Geschlechtern unterscheiden sich von Kultur zu Kultur und von Epoche zu Epoche voneinander. Dem hier beschriebenen, sozialwissenschaftlich orientierten Strang feministischer Frauenforschung geht es zunächst vor allem darum, die gesellschaftlichen und sozialstrukturellen Verhältnisse und komplexen Prozesse aufzuzeigen, in die Geschlechter involviert sind: die polarisierenden Unterscheidungen, diskriminierenden Bewertungen und ungleichen Positionierungen qua Geschlecht (vgl. Becker-Schmidt/Knapp 2000: 61). Der Frauenforschung wurde im weiteren Verlauf u.a. vorgeworfen, sie reproduziere und verfestige durch die Suche nach Übereinstimmungen, die mit dem biologischen weiblichen Geschlecht zusammenhängen, permanent Geschlechtsidentitäten (vgl. Brüns 2002). Im Gegensatz zum später zu behandelnden dekonstruktiven Feminismus plädierten weite Teile der Frauenforschung jedoch dafür, die Kategorie sex/ weibliches biologisches Geschlecht als grundlegende Strukturkategorie beizubehalten. Auf der Grundlage feministischer Frauenforschung und aus der Kritik der Koedukation entstand bereits in den 1970er Jahren das pädagogische Konzept der feministischen Mädchenarbeit. Zwar wandte sich die koedukative Jugendarbeit offiziell an Jungen und Mädchen, in der Realität jedoch orientierte sie sich an den Problemen, Interessen und Lebenslagen der Jungen – die Mädchen wurden als „Anhängsel“ der jungenorientierten Jugendarbeit vernachlässigt (vgl. Klees-Möller 2000: 179). Die feministische Mädchenarbeit orientiert sich nach Graff (vgl. Graff 1988) an drei wesentlichen Grundsätzen: Als erster zentraler Begriff feministischer Mädchenpädagogik gilt die Parteilichkeit. Parteilichkeit ist hier gemeint als „gewollte und offene Parteinahme für die Interessen der von Pädagogik betroffenen Menschen“ (Graff 1988: 82). Der Begriff der Parteilichkeit sei „inhaltlich zu füllen mit dem Ergebnis der politischen Gesellschaftsanalyse, die jedem ‚kritischen Pädagogikbegriff‘ vorausgehen“ (ebd.) müsse. Mädchen müsse im Patriarchat ermöglicht werden, sich in eigenen Räumen und ohne den direkten Zugriff von Jungen eigenständig zu entwickeln. „Parteilichkeit ist notwendig, da im Patriarchat […] Mädchen auf eine 83
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von Männern abgeleitete, auf Männer und ihre Interessen ausgerichtete Identität hin erzogen werden“ (ebd.: 82). Ziel einer solchen Parteilichkeit ist das Ermöglichen einer eigenständigen Entwicklung der Mädchen und die Zerstörung des patriarchalen Mädchenbildes. Die Pädagogin hat weiterhin die Aufgabe, ihren Einfluss auf die Mädchen positiv im feministischen Sinne zu nutzen, um den Mädchen eine Alternative zu den als „normal“ und „selbstverständlich“ verkauften Erziehungszielen im Patriarchat – also für die Mädchen Hausfrau und Mutter – eröffnen zu können. Die Beziehung zwischen der Pädagogin und den Mädchen soll genutzt werden, um den Mädchen die „Identifikation […] mit dem ‚Feminismus der Pädagogin‘“ (ebd.: 86) zu ermöglichen. 27 Schließlich ist als dritter wesentlicher Begriff der Feministischen Mädchenarbeit der Begriff der Autonomie zu nennen. Mädchen sollen ihre Eigenschaften, Interessen und Begehren als positiv besetzt erfahren können, ohne dabei an dem Maßstab des männlichen Jugendlichen gemessen zu werden. So soll verhindert werden, dass die Mädchen sich unhinterfragt am patriarchalen MädchenSchema orientieren, das ihnen die Rolle der Mutter, Ehe- und Hausfrau zuschreibe. Was kann unter Berücksichtigung des oben Dargestellten zur Differenzbearbeitung in der feministischen Frauenbewegung und in den daraus entwickelten pädagogischen Konzeptionen gesagt werden? Aus den theoretischen Überlegungen der Frauenforschung, der Geschlechterforschung und der Forschung über Geschlechterverhältnisse ist eine kaum überschaubare Vielfalt von Theorien und Betrachtungen zur Bearbeitung der Geschlechterdifferenz hervorgegangen. Gegenüber dieser theoretischen Vielfalt reduziert sich die Anzahl der Vorschläge, wenn man den Blick auf die in der feministischen Praxis tatsächlich beschrittenen Wege lenkt. Prengel (vgl. Prengel 1995: 96-138) erkennt – ich vernachlässige an dieser Stelle erst einmal die Möglichkeit der Dekonstruktion, die an späterer Stelle eingehender vorgestellt wird – in der feministischen Pädagogik zumindest die drei oben genannten Konzepte zum Umgang mit Differenz: erstens die Pädagogik der Gleichstellung, zweitens die Strategie, den Lebensweisen von Frauen Wert zu verleihen, und drittens die Androgynitätspädagogik. Als wesentliche sozialpädagogische Strategie kann die feministische oder auch parteiliche Mädchenarbeit genannt werden. Diese 27 Die Autorin problematisiert hier selbst die Nähe der von ihr so genannten „Identifikation“ der Mädchen mit dem Feminismus der Pädagogin zum klassischen Erzieher-Zögling-Verhältnis. Die „klassisch bürgerliche Erziehung“ (Graff 1988: 86) war ebenfalls darauf ausgerichtet, dass der Zögling die Einstellungen des Erziehers aus freien Stücken übernehmen sollte. Die mit der „Identifikation“ implizierte „Verbundenheit“ gerate in die Gefahr, autoritär genutzt zu werden und damit die Mädchen zu entmündigen. Indem diese Gefahr in der feministischparteilichen Mädchenarbeit aber offen thematisiert und nicht tabuisiert werde, könne man diesem Missbrauch entgehen. 84
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Strategien erkennen zwar implizit an, dass es die eine, homogene Gruppe der Frauen nicht gibt, denn es wird immer wieder auch auf die Heterogenität innerhalb der großen Gruppe der Frauen hingewiesen. Grundsätzlich jedoch hinterfragen die genannten Konzepte die Kategorie „Frau“ bzw. „Mädchen“ nicht und suchen stattdessen nach den Gemeinsamkeiten, die sich aus der Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht ergeben. Verständlich wird dieses Vorgehen, wenn man die politischen Implikationen der feministischen Ansätze, die zu der postulierten Homogenität innerhalb der Gruppe der Frauen geradezu zwingen, mit in Betracht zieht. So wird letztlich der Schwerpunkt der Forschung auf die Homogenität innerhalb der Genusgruppe Frau gelegt. Ähnlich wie im Kontext der Generationendifferenz wird zwar die potentielle Vielfalt innerhalb der eigenen Gruppe erkannt und in Ansätzen auch erforscht, als Ausgangs- und Zielpunkt pädagogischer Intervention bleibt aber insgesamt die Betonung der Homogenität weiblicher Lebenslagen und Lebensläufe erhalten.
Eine weitere Dimension in der Differenz der Geschlechter: Die Anfänge der Jungenund Männerforschung Mit der eben beschriebenen Entwicklung der Geschlechterforschung und der Forschung über Geschlechterverhältnisse gerät unweigerlich auch die andere Seite des Geschlechterverhältnisses – der Mann bzw. das Männliche – in den Blick. Schließlich bezog sich die Patriarchatskritik der feministischen Frauenbewegung grundsätzlich auf das männliche Geschlecht bzw. auf die unter dem dominierenden männlichen Geschlecht entwickelte gesellschaftliche und familiale Organisationsform. Zwar weist Winter (vgl. Winter 2001a: 1160-1163) darauf hin, dass es im Gegensatz zur landläufigen Meinung, Männlichkeit sei in der Gesellschaft und den Wissenschaften in den letzten Jahrhunderten kaum thematisiert worden, schon immer Abhandlungen über Männer und Männlichkeit gegeben habe. Nun aber, in der Auseinandersetzung mit der feministischen Frauenbewegung, schien es an der Zeit, dieses Thema auch in der Öffentlichkeit prominenter zu besetzen. Auch wenn Winter zuzustimmen ist, dass Männlichkeit auch schon vor der feministischen Frauenbewegung reflektiert wurde: in der patriarchal verfassten Gesellschaft galt der Mann, bzw. das Männliche über Jahrhunderte überwiegend als das Normale, unhinterfragte Geschlecht. Eine Auseinandersetzung mit diesem Thema war also keinesfalls eine Selbstverständlichkeit. Lange Zeit wurde, wie im Kontext der ersten Frauenbewegung beschrieben, dem Mann (wie der Frau) ein quasi-natürlicher und über Zeit und Kultur unveränderlicher Geschlechtscharakter zugeschrieben. Die Zuschreibung dieses unveränderlichen Geschlechtscharakters erfolgte allerdings überwiegend durch Männer, die die Herrschaft über die Human-, 85
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Geistes- und Sozialwissenschaften für sich beanspruchten, und dort vermeintlich neutral Erkenntnisse über den Menschen produzierten. Diese nun als einseitig-biologistisch und essentialistisch empfundenen Positionen wurden zu Beginn der 1970er Jahre, also wiederum in zeitlicher und auch politischer Nähe zu Studenten- und feministischer Frauenbewegung, von der heterosexuellen Männerbewegung und der Schwulenbewegung kritisch hinterfragt. Während die heterosexuelle Männerbewegung damit begann, die als zu einengend empfundenen Männlichkeitsideale wie Härte und Selbstbeherrschung und andere männliche Rollenklischees in ihrer historischen Relativität sichtbar zu machen und damit abzustreifen (vgl. Schmidbauer 1976), ging es der Schwulenbewegung vor allem darum, die Unterdrückung und Diskriminierung von Homosexualität durch die heterosexuelle Homophobie sichtbar zu machen und zu bekämpfen (vgl. Kühne 1996: 10). Der Forschungsbereich der Mens’ Studies konstituierte sich zu diesem frühen Zeitpunkt vornehmlich im anglo-amerika nischen Raum, stellte Fragen zu männlicher Subjektivität, Identität und Erfahrung und untersuchte die Normierungen der männlichen Geschlechtsrolle (zur Entwicklung der Männerforschung vgl. auch Döge 2001: 25ff.). Im deutschsprachigen Raum wurden diese Erkenntnisse erst in den 1980er Jahren (vgl. Vahsen 2002: 248f.) rezipiert. Auch hier widmete man sich zunächst überwiegend der Erforschung der männlichen Geschlechtsrolle und verschiedenen ideologischen Konzepten von Mannsein, konnte aber bis heute nicht die thematische Bandbreite der anglo-amerikanischen Mens’ Studies erreichen. Die Sozialpädagogik hatte lange Zeit kein besonders reflektiertes Verhältnis zur Männlichkeit. Zwar waren es schon seit der Implementierung der modernen Sozialen Arbeit im ausgehenden 19. Jahrhundert überwiegend die Jungen gewesen, die, weil sie Probleme machten oder hatten, in der Sozialpädagogik als Hauptklientengruppe festzustellen waren (vgl. Winter 2001a: 1160). Sie wurden aber in der sozialpädagogischen Reflexion eben überwiegend nicht gesondert als Geschlechtswesen reflektiert. Besonders im Kontext von kriminologischen Untersuchungen waren Jungen und Männer als Täter schon immer deutlich überrepräsentiert. Der aus dieser Tatsache gefolgerte, von Sielert so bezeichnete „Skandalisierungsdiskurs“ (vgl. Sielert 2002: 18ff.) erreichte die Sozialpädagogik zu Beginn der 1980er Jahre: Die offensichtlich unzureichenden „Bewältigungsformen besonders von männlichen Unterschichtsjugendlichen“ (Winter 2001: 906) und die harsche Kritik aus der feministischen Frauenbewegung an Jungen, Männern und Männlichkeit forderte eine eigenständige Beschäftigung mit den Jungen heraus. Als Reaktion auf den Skandalisierungsdiskurs kann ein „Defizitdiskurs“ (Sielert 2002: 20) identifiziert werden, der die Jungen, die im Kontext der Jugendhilfe als Klienten erschienen, überwiegend als Modernisierungsverlierer – also eher als Opfer denn als Täter – kennzeichnete. Dementsprechend wurde betont, dass die verübte Gewalt aus Problemen resultierte, die Jungen und Männer hatten: Männer seien kaum in 86
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der Lage, dauerhafte Beziehungen oder Kontakte zu Frauen zu pflegen, sie fühlten sich emotional verunsichert, wenn Frauen ihre Unabhängigkeit von Männern betonen, sie könnten sich immer weniger mit ihrer Berufstätigkeit identifizieren usw. (ebd.). 28 Die Antworten, die auf diese durchaus drängenden Männerfragen gefunden wurden, variierten, ließen aber die bipolare Verfasstheit der Geschlechterdifferenz unangetastet: Die „Maskulinisten“ (vgl. Sielert 2002: 20ff.) begannen, die althergebrachten patriarchalen Verhaltensweisen wieder ins Werk zu setzen, die für die Männer eine vorläufige Verhaltenssicherheit bedeutete. Eine weitere Gruppe suchte nach den essentiellen Wurzeln von Männlichkeit und fand den mythologischen „Eisenhans“ (vgl. Bly 1991). Eine dritte Gruppe plädierte, analog zur feministischen Frauenbewegung und ebenfalls auf der Grundlage eines bipolar gestalteten Geschlechterverhältnisses, für ein androgynes Identitätskonzept auf männlicher Basis. Das männliche Individuum sollte in die Lage versetzt werden, auch weibliche Anteile in die grundsätzlich männliche Identität einzuarbeiten, um so den tradierten und einseitig-dogmatischen Männlichkeitskonstruktionen zu entkommen (vgl. Sielert 2002: 23). Eine mehr sozialwissenschaftlich fundierte, sich an den angloamerikanischen mens' studies orientierende Jungen- und Männerarbeit und die dazu gehörige Forschung etablierte sich in der Bundesrepublik erst später. Auch hier, im Kontext der Jungen- und Männerarbeit, vollzieht sich der Blick auf Junge- bzw. Mannsein auf einer tendenziell homogenisierenden, bipolaren Grundlage. Zwar war es das Ziel der sich fortschrittlich-emanzipativ gebenden heterosexuellen Männerbewegung, die Handlungsmöglichkeiten der Männer zu erweitern. Grundsätzlich in Frage gestellt wurde die bipolar verfasste Geschlechterdifferenz jedoch nicht. Schon gar nicht an der möglichen Vielfalt männlicher Verhaltens- und Lebensweisen interessiert waren die so genannten Maskulinisten, die eher rückwärtsgewandt nach Verhaltenssicherheit suchten. Die Sozialpädagogik förderte, indem sie das in der Jugendhilfe auftauchende Klientel relativ einheitlich als Modernisierungsverlierer deklarierten, eine eher homogenisierende Sichtweise auf die Jungen und Männer. Auch die Frauenbewegung schließlich, die Jungen und Männer einheitlich als potentielle Täter anprangerten, ging von einer recht homogen verfassten männlichen Gruppe innerhalb der Gesellschaft aus. Alle hier benannten Sichtweisen verharren, ganz ähnlich wie oben bereits die Frauenbewegung, auf der Ebene der kollektiven Identität. Nicht das Individuum steht im Mittelpunkt der Betrachtung, sondern eine kollektive Identität, die sich hier über die Zugehörigkeit zur Genusgruppe „Mann“ konstituiert und für die damit ein gemeinsamer Erfahrungshorizont angenommen wird. Damit gilt auch hier, was oben bereits
28 Vgl. dazu auch den zeitgenössischen Aufsatz „Der verunsicherte Mann“ (Pilgrim 1976). 87
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im Kontext der Generationendifferenz und der Frauenbewegung gesagt wurde: der Ausgangspunkt der Differenzbetrachtung bleibt die Homogenität.
Sexualerziehung/Sexualpädagogik Die Sexualerziehung, verstanden als „kontinuierliche, intendierte Einflussnahme auf die Entwicklung sexueller Motivationen, Ausdrucks- und Verhaltensformen sowie von Einstellungs- und Sinnaspekten der Sexualität von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen“ (Sielert 2005: 15) wurde in unserem Kulturkreis seit Jahrhunderten durch verschiedene Ausprägungen christlichnormativer Ansichten über Sexualität geprägt. Im Mittelpunkt der „pädagogischen“ Bemühungen stand somit seit dem 17. Jahrhundert überwiegend der Versuch, Sexualität einzudämmen und zu verfolgen – wie etwa im Fall der Anti-Onanie-Kampagne der Philantropen im 18. Jahrhundert.29 Sexualität, dort wo sie nicht der Fortpflanzung diente, wurde lange Zeit auch in sexualpädagogischen Kontexten eher repressiv verhandelt, ganz zu schweigen von den Repressionen, die beispielsweise Homosexuelle, deren Lebensweise als abweichend klassifiziert wurde, zu erleiden hatten. Erst die psychoanalytisch inspirierte Erkenntnis des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, wonach zahlreiche psychische Krankheiten mit fehlgeleiteten sexuellen Energien ursächlich zusammenhingen, evozierte emanzipatorische sexualpädagogische Initiativen. So konnten die Studentenbewegung, die Frauen-, Lesben- und Schwulenbewegung der 1970er Jahre zumindest auf Anfänge der frühen Sexualreformbewegung zurückgreifen, die schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts für die sexuelle Emanzipation von Frauen und Homosexuellen eingetreten war. 30 Besonders in der Zeit des Nationalsozialismus, in der beispielsweise homosexuelle Lebensweisen als „widernatürliche Unzucht“ (vgl. Herrn 1999: 32f.) bezeichnet und besonders scharf strafrechtlich verfolgt wurden, aber auch in der konservativ-restaurativen Phase der 1950er und Anfang der 1960er Jahre 31 hatte eine emanzipatorische Se-
29 Als Sünde und Laster macht auch die Selbstschändung zeitlich und ewig unglücklich schreibt Oest im Jahre 1787, zit. n. Sielert 2005: 17. 30 Vgl. für die Geschichte der Schwulenbewegung Herrn 1999, zum Thema Homosexualität, Strafrecht und Schwulenbewegung im Kaiserreich und in der Weimarer Republik vgl. Sievert 1984. 31 Der schon erwähnte CDU-Familienminister Würmeling formulierte als sexualideologische Anforderung an das Nachkriegsdeutschland, dass Millionen innerlich gesunder Familien, mit rechtschaffen erzogenen Kindern, […] als Sicherung gegen die drohende Gefahr der kinderreichen Völker des Ostens mindestens genauso wichtig [sind] wie alle militärischen Sicherungen, zit.n. Herrath 1998: 237. Dannecker (1997) weist darauf hin, dass auch in den 1950er und 1960er Jahren 88
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xualerziehung keine Rolle gespielt. Die 68er-Bewegung erklärte demgegenüber „die radikale Befreiung von sexuellen Zwängen zur zentralen Bedingung für eine Demokratisierung der Gesellschaft“ (Sielert 2005: 18f.). Die Sexualerziehung wurde als Antwort auf diese Entwicklung schon 1970 in den schulpädagogischen Kanon einbezogen – vordergründig fortschrittlich, letztlich jedoch, um die radikalen Forderungen der Studentenbewegung in schulamtlichen Richtlinien befrieden zu können (vgl. ebd.). In der sexualpädagogischen Theorie entwickelten sich vor diesem Hintergrund drei wesentliche Hauptrichtungen der Sexualpädagogik: eine weiterhin repressiv ausgerichtete Richtung, eine sich wertfrei verstehende, auf erfahrungswissenschaftlichempirischer und biologisch-medizinischer Basis argumentierende (vgl. Kluge 1976 und 1978) und eine kritisch-emanzipatorische Richtung (vgl. Kentler 1970), die auf gesellschaftstheoretisch argumentierende Psychoanalytiker wie Wilhelm Reich oder Herbert Marcuse zurückgriff. In Bezug auf den Umgang mit der Differenz finden wir im Kontext der Sexualpädagogik der 1970er Jahre eine auffällige Nähe zu den bisher schon erarbeiteten Strategien der Differenzbearbeitung bzw. -reflexion: im Anschluss an die bereits angesprochene Emanzipatorisch-Kritische Erziehungswissenschaft entstand eine ähnlich argumentierende Emanzipatorische Sexualerziehung. Dass die Befreiung von sexuellen Repressionen im Kontext der Studentenbewegung als eine zentrale Bedingung für die Demokratisierung der Gesellschaft angesehen wurde, wurde oben bereits erwähnt. Gemäß dem Grundsatz „wie es ein Mensch mit seiner Sexualität hält, so ist er“ (Kentler 1976: 93), wurde als individuelles Ziel der Sexualerziehung u.a. formuliert, den Menschen zu einem flexiblen Umgang mit Normen und Einstellungen zu erziehen (vgl. ebd.). In der Sichtweise der Emanzipatorischen Sexualerziehung wird die Sexualität nun als normales Bedürfnis angesehen, was ein Erlernen des Umgangs mit der Sexualität nötig macht. Dabei gereiche es der Emanzipatorischen Sexualerziehung zum Vorteil, „dass in unserer Gesellschaft keine allgemein anerkannte und für alle verbindliche Moral besteht, dass vielmehr Vorstellungen von Sittlichkeit eigentlich nur im Plural vorkommen“ (Kentler 1976: 95). Ganz deutlich ist hier der sich verändernde Umgang mit den Begriffen Abweichung und Normalität zu erkennen. Die bislang dominierende, repressive Sexualerziehung hatte von der Normalität des Vorhandenseins sexueller Bedürfnisse ablenken und demgegenüber sexuelle Reize von Jugendlichen fernhalten wollen. Es ist unmittelbar einsichtig, dass einer solchen Vorgehensweise die oben beaktive Homosexuellenpolitik betrieben wurde, ich halte mich hier vorrangig an die gebräuchliche Periodisierung , wonach die zweite deutsche Homosexuellenbewegung Ende der 1960er Jahre begann. So merkt auch Stümke (1997: 45) an: „Was die gesellschaftliche Situation der Schwulen betrifft, bildete die Epoche zwischen 1935 (1933) und 1969 eine rechtspolitische historische Einheit. 89
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reits angesprochene „protonormalistische Strategie“ (Link 1999: 78) zugrunde liegt. Hier, im Kontext der Emanzipatorischen Sexualerziehung, wird nun ganz im Gegensatz dazu, gerade für einen flexiblen Umgang mit Normen und Einstellungen plädiert. Die bisher dominierende relativ enge und starre Normalitätszone der Sexualität wird zu Gunsten einer selbstbestimmten Sexualität ausgeweitet. Die Tatsache, dass in der Gesellschaft keine einheitliche und allgemeine Moralvorstellung existiert, wird nun auch für die Sexualität beansprucht: Das Individuum soll, unter Berücksichtigung der Bedürfnisse und Interessen der Mitmenschen (vgl. Kentler 1976: 94) selbst entscheiden können, wie es seine Sexualität leben möchte. Aus der Tatsache, dass sich schon im Kontext der heterosexuellen Sexualerziehung scharfe Debatten um den „richtigen“ Umgang mit Sexualität entzündeten, kann geschlossen werden, dass die Konflikte im Kontext homosexueller Lebensweisen eher noch schärfer geführt wurden. Nach der Zeit der konservativen Regierung Adenauer begann sich in den 1960er Jahren allmählich ein öffentlicher Diskurs über Homosexualität, genauer: über die Entkriminalisierung der Homosexualität, zu entwickeln (vgl. Herrn 1999: 50). Denn immer noch war seit der Gründung des Deutschen Reiches im Jahr 1871 der preußische Paragraph 175 32 in Kraft, der homosexuelle Lebensweisen weiterhin unter Strafe stellte. Überhaupt wurde der wissenschaftliche Literaturkanon, zumindest dort, wo er nicht explizit aus dem Umfeld der Homosexuellenbewegungen kam, gemäß der protonormalistischen Sicht auf Sexualität, von einer Sichtweise der Homosexualität als Abweichung bestimmt 33 . Insbesondere die klassisch psychoanalytische Sichtweise folgte der „These vom polaren Gegensatz zwischen Heterosexualität und Homosexualität“ (Morgenthaler 1987: 95) und reduzierte das Phänomen Homosexualität zu einer Betrachtungsweise, „an dem das Bedürfnis befriedigt wird, das gesunde Heterosexuelle vom kranken Homosexuellen zu unterscheiden, den leidenden Homosexuellen zu helfen, ihre ‚sexuelle Abart‘ zu beseitigen, sie aus einem Infantilismus, gleichgültig welcher Art, zu reißen und damit zu heterosexuellen Persönlichkeiten zu machen“ (ebd.: 96). Die von der Schwulenbewegung und dem lesbischen Feminismus formulierte Forderung von Gleichberechtigung homosexueller Lebensweisen legt sich mit der gesellschaftlich verankerten Norm der Heterosexualität – der 32 Im Jahr 1871 wurde der ursprünglich in Preußen erlassene Paragraph 175 (Paragraph für die Bestrafung von Unzucht zwischen männlichen Personen) auf das gesamte Deutsche Reich ausgedehnt, vgl. Herrn 1999: 11. 33 „Bemerkenswert ist, dass die meisten Wissenschaftler davon ausgehen, Homosexualität sei tatsächlich etwas außerordentliches, ein Fall für Pathologie, Biologie oder Psychiatrie. Manche halten Homosexualität für eine Neurose; manche für eine vorgeburtliche Störung. Andere verlassen sich auf die Zwillingsforschung, um das Angeborensein von Homosexualität nachzuweisen[…]“Hohmann 1976: 9. 90
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Heteronormativität – an. Die starke Verankerung der Heterosexualität in der Gesellschaft wird indes mit einem Blick auf die klassische binäre Konstruktion der Geschlechter einsichtig: Die Polarität der Geschlechter erhält schließlich nur dadurch ihren (biologischen) Sinn, dass diese aufeinander bezogen, mit dem Zweck der Fortpflanzung und mit „einer scheinbar naturhaften Begehrensstruktur“ (Hänsch 2003: 99) versehen werden. Die Strategie der Schwulenbewegung ist vergleichbar mit den politischen Strategien der Studenten- und Frauenbewegung: Es entstanden ab dem Jahr 1971 mit der Gründung zahlreicher schwuler Aktionsgruppen eine schwule Gegenkultur, die die gesellschaftlichen Verhältnisse, unter denen Schwule Menschen zu leiden hatten, analysierte und kritisierte. 34 Ein wesentliches Ziel bestand darin, die Schwulenpolitik, die Schwulenszene und eine Schwulenwissenschaft öffentlich zu machen, 35 mit dem (Fern-)Ziel, schwule Lebensweisen heterosexuellen Lebensweisen gleichzustellen. 36 Darüber hinaus wurde versucht, durch öffentlichkeitswirksame Aktionen und Aufklärungsarbeit, z.B. an Schulen, 37 das Schwulsein als zugehörig zur Normalität der bundesrepublikanischen Gesellschaft zu definieren. Die Lesbierinnenbewegung kämpft ihren Kampf um die Anerkennung lesbischer Lebensweisen vor allem in Abgrenzung zum patriarchalischen Gesellschaftsbild. „Das Bild, das sich die Öffentlichkeit von der homosexuellen Frau macht, misst sich am Bild der heterosexuellen Frau. Das Bild der heterosexuellen Frau ist bestimmt durch die Interessen des Mannes“ (Kuckuc 1975: 9). Auch hier sind die gleichen Formen der Differenzbearbeitung zu erkennen: Es werden Frauengruppen gebildet, in denen einerseits persönliche Erfahrungen ausgetauscht werden und in denen andererseits systematisch die Diskriminierung und Unterdrückung der lesbischen Frau und die gesellschaftlichen Hintergründe dieser Diskriminierung aufgearbeitet werden sollen (vgl. ebd.: 69f.). Über diese Selbstverständigung hinaus präsentieren sich die Frauengruppen in der Öffentlichkeit, veranstalten Kon34 Der Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ von Rosa von Praunheim gilt als Anlass der Gründung zahlreicher offener Schwulengruppen. Zugleich vollzieht sich damit ein Bruch zu der bisherigen Strategie vieler Schwuler Gruppen, die ihr Schwul-sein nicht offen thematisierten, sondern sich verdeckt für die Belange von Homosexuellen einsetzten, vgl. Herrn 1999: 53. 35 U.a. durch die Gründung eigener Verlage wie im Oktober 1975 der „Verlag rosa Winkel“ durch Egmont Fassbinder 36 Als realistisches Ziel wurde zunächst einmal angesehen, den §175 endgültig aufzuheben. 37 Dabei sei darauf hingewiesen, dass in der regierungsamtlichen Sexualaufklärung eine Betrachtung der Homosexualität als „normal“ nicht vorgesehen war. Bei den Aufklärungsaktionen der Schwulenbewegung handelte es sich vielmehr um halboder illegale Flugblätteraktionen u.ä., vgl. die zahlreichen Beispiele in Hohmann 1976. 91
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gresse für homosexuelle Frauen, arbeiteten punktuell auch mit schwulen Männergruppen zusammen und mussten in der Folge das Verhältnis von homosexuellen weiblichen Lebensweisen und dem Feminismus klären (vgl. ebd.). In der Sexualpädagogik der Zeit sind Abhandlungen über die Homosexualität indes noch kaum zu finden. 38 Für den Umgang mit Differenzverhältnissen in der Pädagogik lassen sich, auch wenn sie hier noch nicht unmittelbaren Eingang in die sexualpädagogische Literatur fanden, jedoch typische Charakteristika bestimmen: das Verhältnis von Abweichung und Normalität beginnt sich zu bewegen. Zumindest die ProtagonistInnen der Schwulen- und Lesbenbewegung hatten selbstverständlich ein grundsätzliches Interesse daran, die bisher so starren und engen Grenzen der gesellschaftlich konstruierten sexuellen Normalität in Bewegung zu bringen. Denn die rechtliche Gleichstellung der Homosexualität setzte zumindest voraus, dass schwule und lesbische Lebensweisen nicht mehr als krankhaft oder abnorm etikettiert werden, sondern zur Normalität der Gesellschaft gezählt werden konnten. Diese Vorgehensweise der Homosexuellenbewegungen korrespondiert damit mit der Strategie der Emanzipativen Sexualerziehung, die, wie oben dargestellt, ebenfalls für eine Flexibilisierung der Normen in Bezug auf die Sexualität arbeitete. Darüber hinaus konstituieren sich die Schwulen- und Lesbenbewegung gemäß ihrer politischen Stoßrichtung nach außen als relativ einheitliche Gruppierung – schließlich war das vorrangige Ziel zunächst, sich als politisch handlungsfähig und geeint zu präsentieren. Während in Bezug auf die Differenz von Abweichung und Normalität also für eine Flexibilisierung von Differenz eingetreten wurde, verfestigt die nach außen postulierte Homogenität innerhalb der lesbischen und schwulen Homosexuellenbewegungen die Differenz von Homosexualität und Heterosexualität: Indem sich die Schwulen und Lesben nach außen als kollektive Identität und als homogene Gruppierungen manifestieren, werden für sie, sowohl in der Selbst- als auch in der Fremdwahrnehmung, einheitliche Lebensweisen und Einstellungen konstruiert.
Die Interkulturelle Pädagogik Die Entstehung der Interkulturellen Pädagogik ist in Deutschland vor allem eine Konsequenz der Arbeitsmigration in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Anwerbung der so genannten ausländischen Gastarbeiter wurde in
38 Das gilt zumindest für die von Sielert als wesentlich erachteten und sich entweder ideologiefrei oder emanzipativ positionierenden Richtungen der Sexualpädagogik (vgl. Sielert 2005, Gamm/Koch 1977, Kluge 1978, Maskus 1979). 92
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Deutschland in den 1950er Jahren nötig, um den Bedarf an Arbeitskräften im Wirtschaftswunderland zu sichern. Diese Art der Arbeitsmigration kann als Teil des umfassenderen Prozesses weltweiter wirtschaftsbedingter Migrationsbewegungen gesehen werden, die es in komplexen Gesellschaften zwar schon immer gegeben hat, die aber mit zunehmenden wirtschaftlichen Verflechtungen, zunehmender wirtschaftlicher Ungleichheit innerhalb Europas und der gesamten Welt, und einer zunehmenden Mobilität der Menschen eine neue Qualität erreicht haben. 39 Pädagogisch virulent wurde die Frage der Interkulturalität erst zu Beginn der 1970er Jahre mit dem Auftreten von Schulproblemen der Ausländerkinder in den Schulen. Da sich diese Schulprobleme vor allem in Defiziten der deutschen Sprache zeigten, war es zunächst das Anliegen der damals noch so genannten Ausländerpädagogik, die Ausländerkinder durch Deutschkurse und „muttersprachlichen Ergänzungsunterricht“ (Auernheimer 2003: 38) in die bestehenden Schulstrukturen zu integrieren. Gleichzeitig wurde als Ziel ausgegeben, die Ausländer „rückkehrfähig“ zu erhalten, d.h. deren kulturelle Identität in dem Maße zu erhalten, dass eine Rückkehr in die Heimat möglich sein würde. Das pädagogische Konzept zum Zusammenleben dieser beiden Gruppen kann mit Nieke und Prengel als „Assimilationspädagogik“ (Prengel 1995: 74ff.) bezeichnet werden: Das Ziel der pädagogischen Intervention war es, die Defizite der Ausländerkinder in der deutschen Schule zu beheben. Ohne Frage waren und sind solche kompensatorischen Konzepte im Interesse der Einwanderer. Zugleich basierten die anfänglichen Konzepte jedoch recht einseitig auf einem monokulturellen Weltbild, das die deutsche (Mehrheits-)Kultur zum Maßstab nimmt, demgegenüber die Kulturen der Migranten ausblendet und damit tendenziell abwertet. Das Konzept der Assimilation stieß zu Beginn der 1980er Jahre auf heftige Kritik, als sich abzeichnete, dass den Einwanderern vor dem Hintergrund wirtschaftlicher Rezession die weitere soziale Marginalisierung drohte. Besonders die zweite Generation, also die Kinder der Gastarbeiter, stieß auf der Suche nach Ausbildungsplätzen auf Schwierigkeiten, wodurch als weitere pädagogische Instanz neben der Schule nun auch die Soziale Arbeit mit Fragen der Interkulturalität befasst war. In der Folge wurde in der Interkulturellen Pädagogik eine ähnliche Entwicklung wie im Kontext der feministischen Forschung, der Jugendforschung und, wie wir sehen werden, im Umgang mit abweichendem Verhalten angestoßen: Durch die Rezeption kritisch-sozialwissen schaftlicher Erkenntnisse wurden die bisherigen pädagogischen Konzepte kritisch hinterfragt und weiterentwickelt. Die anfängliche Assimilationspädagogik hatte ihre Integrationsbemühungen dahingehend fokussiert, dass sich die
39 Vgl. zu den gesellschaftlichen Anlässen interkultureller Erziehung und Bildung Auernheimer 2003: 9-20. 93
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Mitglieder der Minderheitskultur den Gegebenheiten der Mehrheitskultur anpassen sollten. Dieser, recht einseitig an vermeintlichen Defiziten der Einwanderer in Bezug auf die bundesdeutsche Mehrheitsgesellschaft orientierte Blick wurde in der Folge sozialwissenschaftlich qualifiziert und weiterentwickelt. Migrationssoziologische Forschungen, die sich an Ländern mit einer längeren Einwandererkultur orientierten (vgl. beispielsweise Esser 1980 und Heckmann 1981), fundierten die pädagogischen Diskussionen gesellschaftstheoretisch und wiesen auf den Wandel von der „Gastarbeiterbeschäftigung zur Einwanderung“ (Auernheimer 2003: 39) hin. Voraussetzung für die Entwicklung neuer pädagogischer Ansätze war somit zunächst das Anerkennen der ethnischen Minoritäten als dauerhafter Bestandteil der deutschen, nun als multikulturell bezeichneten, Gesellschaft. Als Ziel wurde formuliert, Mehrheiten und Minderheiten durch interkulturelle Erziehung auf ein dauerhaftes Miteinander in der multikulturellen Gesellschaft vorzubereiten. Dies sollte einerseits durch die positive Betonung der Möglichkeiten interkultureller Begegnung und die Betonung der daraus resultierenden Bereicherungen für beide Seiten und andererseits durch die Bearbeitung von Konflikten, die aus der interkulturellen Begegnung resultierten, geschehen. Erst zögerlich befasste man sich mit dem den Diskussionen bisher zugrunde gelegten Kulturbegriff und der Frage des Unterschieds zwischen der Herkunfts- und der Migrantenkultur. Erst nun begann eine Diskussion um die Frage nach kultureller Differenz und Identität. Sowohl die als Assimilationspädagogik gekennzeichnete Ausländerpädagogik als auch das Konzept der Multikulturellen Gesellschaft verfolgen in ihrer Reflexion der Differenz eine grundsätzlich ähnliche Strategie: kulturelle Differenzen bleiben strikt bipolar strukturiert. Es wird im essentialistischen Sinne eine kulturelle Differenz angenommen. Zwei in sich recht homogene Gruppen von Menschen (die Deutschen – die Migranten) leben zusammen in einer Gesellschaft. Schon die Tatsache, dass der Ausländerpädagogik zunächst die Annahme zugrunde gelegt wurde, die Ausländer könnten „rückkehrfähig“ erhalten werden, verweist zum einen auf die politische Stoßrichtung, zum anderen aber auf das Bild von Kultur, das dieser Annahme zugrunde liegt: Kultur in diesem Sinne beinhaltet keine kontinuierliche Veränderung, sondern etwas den Menschen angeborenes oder zumindest früh erlerntes Äußeres. Kulturen in diesem Sinne blieben überzeitlich relativ stabil und die „Träger“ der jeweiligen Kultur verfügen über einen homogenen kulturellen Erfahrungshintergrund. Zwar stellt das Konzept der Multikulturalität gegenüber der Ausländerpädagogik einen gewissen Fortschritt dar: Die Minderheit der Migranten soll sich nun nicht mehr zwangsläufig an den kulturellen Vorgaben der Mehrheit orientieren und sich ihnen unterordnen, sondern die Unterschiede zwischen den beiden Kulturen sollen als normative Vorgabe wertgeschätzt werden. Im Grunde stellt es jedoch den schon bekannten homogenisierenden Versuch dar, einen bipolar verfassten Gegensatz (Deutsche – Migranten) auf einer höheren Ebene (die 94
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multikulturelle Gesellschaft) zu vereinen. Der bipolare Gegensatz wird damit freilich nicht aufgehoben, vielmehr wird er noch verfestigt, indem weiterhin auf der Ebene der kollektiven Identität argumentiert und homogene Lebensweisen und Lebenswelten der beiden Gruppen konstruiert werden.
Die Reflexion von Abweichung und Normalität in den 1970ern Zu Beginn des 20. Jahrhunderts konnte die Hegemonie einer protonormalistischen Strategie im Umgang mit der Differenz von Normalität und Abweichung identifiziert werden (vgl. den Abschnitt „Soziale Arbeit zwischen Hilfe und Kontrolle I“). Diese zeichnete sich durch eine relativ kleine, feststehende und stabile Normalitätszone aus, die diskursiv hergestellt wurde. Außerhalb dieser kleinen Normalitätszone entstand dadurch automatisch eine relativ große Zone der Anormalität, der bestimmte Verhaltensweisen oder gar ganze Gruppen der Bevölkerung zugewiesen wurden. Dies wurde für den Zeitraum an der Schwelle vom 19. zum 20. Jahrhundert an den Beispielen der verwahrlosten Jugendlichen, der psychisch Kranken und der Behinderten ausgeführt. In der Zeit des Nationalsozialismus verstärkte sich die protonormalistische Strategie noch einmal. In den 1970er Jahren veränderte sich nun der Umgang mit der Differenz von Abweichung und Normalität: bereits im Zusammenhang mit der Sexualpädagogik bzw. der Homosexualität wurde darauf hingewiesen, dass die Grenze zwischen Normalität und Abweichung flexibler wurde. Ob dies auch im Zusammenhang mit delinquenten Jugendlichen (der Begriff der Verwahrlosung wurde nun kaum noch gebraucht), psychisch kranken und behinderten Menschen der Fall gewesen ist, wird im Folgenden untersucht.
Jugend und Delinquenz Im Zuge der bereits beschriebenen allgemeinen Reformstimmung und einer bis dahin nicht gekannten Politisierung des offiziellen Wissenschaftsbetriebes wurde die Sozialarbeit seit dem Ende der 1960er Jahre immer häufiger als „Kontrollinstanz zur Stabilisierung einer bestehenden gesellschaftlichen Ordnung“ (Matthes 1973: 110) kritisiert. Die Folge war „eine radikale Funktionsund Ideologiekritik der ‚bürgerlichen‘ Sozialarbeit mit einer ebenso radikalen Kritik der ‚bürgerlichen‘ Gesellschaft und ihrer Machtstruktur, die diesen Typus von Sozialarbeit erst hervorbringt“ (ebd.). Mit dem theoretischen Handwerkszeug der Kritischen Theorie und neueren soziologischen Ansätze USamerikanischer Provenienz ausgestattet, machte man sich an die Kritik der überkommenen Theorien zum Entstehen abweichenden Verhaltens.
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Die so genannte positivistische oder auch ätiologische Herangehensweise hatte, wie im ersten Teil am Umgang mit verwahrlosten und kriminellen Jugendlichen zu Beginn des 20. Jahrhunderts dargestellt, das kriminell, delinquent, allgemein: abweichend sich verhaltende Subjekt zum alleinigen Gegenstand und Ausgangspunkt der wissenschaftlichen Analyse gemacht (vgl. Sack 1973: 130). Abweichendes Verhalten galt in dieser Sichtweise als Eigenschaft einer Person. Die Aufgabe der Wissenschaft bestand dementsprechend darin, das abweichende Verhalten in Zusammenhang mit anderen Eigenschaften der Person zu bringen, um die Ursachen des abweichenden Verhaltens möglichst genau beschreiben zu können. 40 Dies kann gleichzeitig als Konzept zur Aufrechterhaltung der protonormalistischen Strategie gesehen werden, denn es wurde so möglich, das abweichende Individuum zu identifizieren und zu bestrafen, um die bestehenden Normen und Werte zu festigen. Die schon Ende der 1930er Jahre von Tannenbaum erstmals formulierte, aber erst gegen Ende der 1960er Jahre im deutschsprachigen Raum Fuß fassende Theorie des „labeling approach“ (vgl. dazu Lamnek 2001: 216-236) wandte sich gegen dieses Verständnis von Abweichung. Es wurde hier darauf hingewiesen, dass die Abweichung keine Eigenschaft darstellt, die einem Verhalten ursprünglich innewohnt. Vielmehr entsteht die Abweichung erst dadurch, dass das jeweilige Verhalten von außen beurteilt wird. Verhaltensweisen wie kriminelles oder abweichendes Verhalten seien deshalb nicht primär neutral beschreibende Kategorien, sondern Kategorien der Zuschreibung. Kriminalität und Normabweichungen seien gesellschaftliche Produkte, die nicht durch das Verhalten des Täters in die Welt gesetzt würden. Vielmehr handele es sich dabei um das Resultat gesellschaftlicher Interaktions- und Bewertungsprozesse, letztlich also um gesellschaftliche Produkte (vgl. Sack 1973: 131f.). Auf der Grundlage dieser veränderten Sichtweise von Abweichung, die fortan zum selbstverständlichen Grundbestand sozialpädagogischen Wissens gehörte, gerieten nun zwei auch für die Soziale Arbeit wesentliche Sachverhalte in den Mittelpunkt kritischer Überprüfung. Zum einen wurde deutlich hervorgehoben, dass Normen und damit auch Normverletzungen von Gesellschaft zu Gesellschaft unterschiedlich definiert sind. Zweitens verändert sich der Katalog abweichenden Verhaltens bzw. krimineller Handlungen auch innerhalb ein und derselben Gesellschaft und kann damit zwischen verschiedenen Gruppen in einer Gesellschaft variieren. Damit war die (Macht-)Frage gestellt: Welche gesellschaftlichen Gruppen verfügen über so viel Macht, ihre eigenen Normen und ihre eigene Moral so durchzusetzen, dass sich der Staat als Rep40 So sucht die Biologie oder die Medizin nach Zusammenhängen des abweichenden Verhaltens mit körperlichen, organischen oder hereditären Komponenten, die Psychologie sucht nach nach Dispositionen, Charaktermerkmalen, Motiven, Trieben, Bedürfnissen oder anderen psychischen Faktoren, Sack 1973: 130. 96
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räsentant aller gesellschaftlicher Gruppen ihnen anschließt? (vgl. Sack 1973: 135). Anhand empirischer Daten über den Zusammenhang von sozialer Schicht und Delinquenz konnte aus diesen Erkenntnissen heraus schnell nachgewiesen werden, dass die mittlere und die obere Gesellschaftsschicht weitaus größere Chancen haben, den „Anderen sozial zu kontrollieren, zu stigmatisieren, zu kriminalisieren“ (Sack 1973: 138) als dies die unteren Gesellschaftsschichten könnten. Die Tatsache, dass die Abweichenden und Kriminellen überproportional aus den unteren Schichten stammen, sei mithin kein kriminogener, sondern ein politischer Sachverhalt. Die Labeling-Theorien stellen die Delinquenz prinzipiell in einen politischen Zusammenhang: sowohl bei der Gesetzesformulierung als auch bei der Interpretation und Anwendung der Gesetze spiele die Politik stets eine wesentliche Rolle. Diejenigen, die über genügend Einfluss auf die politischen Institutionen verfügten, können, vermittelt über Recht und Gesetz, ihre eigenen Normen und Werte für die Allgemeinheit verbindlich festsetzen. Diese Sichtweise wurde im Kontext des Kultur-MachtModells (vgl. Keckeisen 1974: 93-120) verdichtet. Dieses behauptet, dass gesellschaftliche Gruppen sich durch bestimmte gruppenspezifischen Normen und Werte, also durch eine ihnen eigene Gruppenkultur auszeichnen. Die Macht kommt dort ins Spiel, wo die verschiedenen Gruppen bzw. ihre Gruppenkulturen entweder um gesellschaftliche Dominanz ringen oder wo eine innergesellschaftliche Repression bestimmter unterlegener Gruppen sichtbar wird. Damit ist postuliert, dass kulturelle Differenzierungen relevant, mehr noch: bedeutsame Selektions- und Klassifikationskriterien im Kontext von sozialen Kontrollprozessen darstellen. Mit dem Kultur-Macht Modell lässt sich gegenüber der Differenzreflexion zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein wesentlicher Fortschritt feststellen. Wurde dort noch auf die Nation oder das Volk als homogenisierender Bezugspunkt der Differenzreflexion abgehoben, wird zu diesem Zeitpunkt die Existenz einer Mehrzahl innergesellschaftlicher Gruppen, deren Normen und Werte sich voneinander unterscheiden können, anerkannt. Es besteht aber auch hier die Ansicht eines kulturellen Essentialismus. Das heißt, für die jeweiligen Gruppen wird eine je spezifische Lebenswelt angenommen, die in sich durch einen einheitlichen Sinnhorizont begrenzt ist. Im Kontext der von der Sozialpädagogik erkannten Stigmatisierungen ihrer Klienten wurde die Frage diskutiert, welche Möglichkeiten der Sozialpädagogik bleiben, um den beobachteten Stigmatisierungsprozessen entgegen zu treten. Dazu muss zunächst einmal der Blick kritisch-reflexiv auf die eigenen Anteile an der Stigmatisierung gelenkt werden. Ganz wie es das Kultur-MachtModell postuliert, werden auf dem Gebiet der Sozialen Arbeit Definitions- und Selektionsprozesse in Gang gesetzt und reproduziert, wenn Klienten in eine einseitige helfende Beziehung gedrängt werden: Wird eine fürsorgerische Maßnahme angeordnet, liegt dieser Anordnung zum einen die spezifische Dynamik zwischen Hilfe und Kontrolle, zum anderen Definitionsmuster der Sozi97
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alen Arbeit, und damit eher mittelschichtsorientierte Definitionsmuster, zugrunde. Diese Grundkonstellation, so Lothar Böhnisch 1975 (vgl. Böhnisch 1975: 147ff.), führe kaum zu lernorientierten Resozialisierungssituationen, sondern eher zu Ablehnung und Entfremdung. Die Ablehnung des Fürsorgesystems durch die Klienten werde diesen dann nicht selten als individuelles Fehlverhalten ausgelegt und weiter sanktioniert. Böhnisch entwickelt in der Folge einen Bezugsrahmen für eine Soziale Arbeit mit einer weniger individualistischen, reaktiven, symptom- und defizitorientierten Herangehensweise. Entstigmatisierungsperspektiven dürften nicht nur auf das unmittelbare sozialarbeiterische Interventionsfeld beschränkt bleiben, sondern müssten „vor allem auch eine gesellschaftspolitische Perspektive enthalten“ (Böhnisch 1975: 166). So müssten Sozialarbeiter für sozialstrukturell orientierte gesellschaftspolitische Perspektiven genügend Kapazitäten bekommen und sozialarbeiterische Interventionen sollten weniger individualisierend und isolierend strukturiert sein, sondern sich an der Erfahrungs- und Lebenswelt der Klienten orientieren (vgl. Böhnisch 1975: 166f.). 41 In den Konzepten der hier angesprochenen und zu der damaligen Zeit noch in ihren Anfängen steckenden Alltagswende der Sozialen Arbeit steht also nicht mehr einseitig das Individuum und sein „Fehlverhalten“ im Mittelpunkt. Es wird vielmehr gefragt: Welche Umstände haben zu dem Verhalten geführt und was können Pädagoginnen an diesen Umständen in der Lebenswelt der Adressaten produktiv ändern? Der Fokus der erziehungswissenschaftlichen und pädagogischen Anstrengungen richtet sich fortan immer auch auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen des Erziehungsfeldes.42 Unhintergehbar war auch hier, im Kontext des abweichenden Verhaltens Jugendlicher, die Notwendigkeit der Rezeption sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse in der Sozialpädagogik: Im Anschluss an die kritisch-radikalen Auseinandersetzungen seit den späten 1960er Jahren wurde das Hauptaugenmerk weg von dem von Nohl noch so einseitig-prominent behandelten Erzieher-Zögling-Verhältnis auf die Lebensräume und sozialen Bezüge der Adressaten gelenkt. Die Ziele von Erziehung und die dem Handeln zugrunde liegende pädagogische Haltung sind nicht mehr aus dem Erzieher-Zögling-Verhältnis ableitbar, sondern müssen die Lebensbedingungen der Adressaten Sozialer Arbeit mit berücksichtigen Die 41 Was Böhnisch hier anspricht wurde in der Folge insbesondere von Hans Thiersch zur Lebensweltorientierung ausgearbeitet, auf die später noch einzugehen sein wird. 42 Allerdings, so resümieren Hollstein/Meinhold schon im Jahre 1977 selbstkritisch, hatte insbesondere die kapitalismuskritische Debatte zu Beginn der 1970er Jahre häufig zu einer einseitig gesellschaftskritischen Debatte geführt: der (berechtigte) gesellschaftskritische Impetus „ließ vergessen, dass eine Funktionsbestimmung und Analyse von Sozialarbeit nicht einzig aus der Gesellschaftskritik zu leisten ist“. Hollstein/Meinhold 1977: 9. 98
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zahlreichen alltäglich zu bewältigenden Aufgaben und Probleme des Individuums müssen ebenso wahrgenommen und betont werden wie die grundsätzliche Autonomie aller Menschen, diese Probleme in ihrem Alltag, unabhängig von ihrer Unterstützungsbedürftigkeit und den Vorstellungen der Professionellen oder Institutionen, zu lösen (vgl. Grunwald/Thiersch 2001: 1137). Auch hier, im Kontext des Komplexes Jugend und Delinquenz, zeichnet sich ein anderer Umgang mit abweichendem Verhalten an. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde im Rahmen der protonormalistischen Strategie eine feste, diskursive Grenze von Normalität angenommen und demgegenüber eine relativ weite Zone von abweichendem Verhalten konstruiert. Hier nun wird das Zustandekommen dieser festen und kleinen Zone der Normalität kritisch hinterfragt. Dass diese Sichtweise auf abweichendes Verhalten bzw. auf den Begriff der Abweichung eine veränderte pädagogische Herangehensweise herausfordert, liegt auf der Hand. Zwar ist der Erfolg der Labeling-Theorie in der Sozialen Arbeit, die abweichendes Verhalten ausschließlich als gesellschaftlich verursacht definiert, schon durch den sozialpädagogischen Auftrag der Kontrolle begrenzt (vgl. zur Ambivalenz von Hilfe und Kontrolle Böhnisch/Lösch 1973). Doch durch die Berücksichtigung der durchaus unterschiedlichen Lebensbedingungen der Adressaten beginnt sich hier die enge Koppelung von Normalität als das sozial Etablierte und Normativität im Sinne von normativen Setzungen tendenziell aufzulösen. Die protonormalistische Strategie war darauf angewiesen, dass normative Vorgaben und die Normalität in eins fallen. Nun, unter dem Eindruck gesellschaftlicher Differenzierung, durch das Erscheinen verschiedener Subkulturen und durch das Hinterfragen gesellschaftlicher Normen durch die verschiedenen sozialen Bewegungen, begann sich das Verhältnis von Normativität und Normalität zu flexibilisieren.
Die Sozialpsychiatrie Auch die Psychiatrie, und damit der Umgang mit krankheitsbedingtem abweichenden Verhalten, sah sich in der bewegten Zeit seit dem Ende der 1960er Jahre tief greifenden Veränderungen ausgesetzt. Die Psychiatrie zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde oben vorwiegend als Versuch einer umfassenden Kontrolle und Disziplinierung der psychisch Erkrankten gekennzeichnet, in dem medizinische Sichtweisen und autoritäre Behandlungsstrukturen vorherrschten (vgl. den Abschnitt „Psychiatrie“ im ersten Kapitel). In der Zeit des Nationalsozialismus dann hatte die Psychiatrie, bzw. die große Mehrzahl ihrer exponierten Vertreter, am nationalsozialistischen Größenwahn, Missbrauch und Verbrechen teilgenommen (vgl. dazu zum Beispiel Klee 1985, Dörner/Buck 1995). In den 1960er Jahren schließlich begann sich Widerstand gegen die überkommenen Strukturen der stationären Psychiatrie in Deutschland zu regen. Als Antwort auf verschiedene gesellschaftliche, psychiatrische und politi99
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sche Initiativen 43 wurde eine Enquete-Kommission einberufen, die im Jahr 1973 einen Zwischenbericht und 1975 einen Abschlussbericht über die „Lage der Psychiatrie in Deutschland“ (vgl. Deutscher Bundestag 1975) vorlegte. Darin wurden u.a. die Größe der Krankenhäuser, ihre abgeschiedene Lage, ihre großen Einzugsgebiete, die lange Verweildauer der Patienten, die Überfüllung der Bettensäle, die Quantität und Qualität des Personals, mithin: die gesamten althergebrachten Versorgungsstrukturen als reformbedürftig kritisiert (vgl. Kersting 2001: 47). Diese Vorstöße aus Praxis, Wissenschaft und Politik fielen zu Beginn der 1970er Jahre auf fruchtbaren Boden. Während die klassische Psychiatrie mit ihrer vornehmlich naturwissenschaftlich-medizinischen Sichtweise der Psychopathologie 44 noch versucht hatte, das Phänomen psychische Krankheit auf das Individuum zu reduzieren und damit die wahrgenommene Abweichung aus genetisch-biologischen Bedingungen herzuleiten, wurde nun zunehmend der Versuch unternommen, „psychische Störungen als soziale Probleme zu thematisieren“ (Keupp 1972: VI). Die konkreten gesellschaftlichen Lebensbedingungen des Individuums und deren Einfluss auf das Entstehen einer psychischen Krankheit, so die nun einflussreicher werdende Meinung, müssten bei der Prävention und bei der Behandlung psychischer Krankheiten berücksichtigt werden. Ähnlich wie im Kontext der Veränderungen in der Wahrnehmung abweichenden Verhaltens wurden psychische Krankheiten nun auch unter der Etikettierungsperspektive beleuchtet: Ein Verhalten kann nur als abweichend, in diesem Fall als „krank“ bezeichnet werden, wenn man die komplexen sozialen Prozesse der Zuschreibung und Etikettierung mit in die Bewertung einbezieht. Das wissenschaftliche Interesse wird von der „Person des Abweichenden auf die soziale Konstellation gerichtet, in der sich die Regeln darüber ausbilden, welches Verhalten als abweichend anzusehen ist und mit welchen Sanktionen darauf zu antworten ist“ (Keupp 1972: 116). Nun konnte die Etikettierungsperspektive in der Psychiatrie nicht in gleichem Maße reüssieren wie im Kontext der delinquenten Jugendlichen – immerhin ist mit psychischer Krankheit in den allermeisten Fällen auch ein individuelles und persönliches Leiden verbunden, das nicht unter Verweis auf gesellschaftliche Etikettierungen wegdiskutiert oder ausgeblendet werden kann und sollte. Die Tatsache aber, dass psychische Krankheit immer auch als sozialer Prozess angesehen werden 43 Kersting (2001: 47) nennt u.a. Diskussionen vom „Deutschen Ärztetag“ und der „Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenheilkunde“ zur Verbesserung der psychiatrischen Krankenversorgung, die „Aktion Psychisch Kranke“ zur politischen Durchsetzung von Patienteninteressen und verschiedene lokale Initiativen (Mannheim, Gütersloh, Evangelische Akademie Loccum) in denen die bestehende Anstaltspsychiatrie kritisiert und für eine komplementäre Versorgung eingetreten wurde. 44 Die medizinische Sichtweise stellt Keupp 1972: 68 prägnant dar. 100
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muss, war fortan unhintergehbar. Ihr wurde mit der vor allem in den USA, England, Holland und Skandinavien bereits etablierten und nun auch in Deutschland aufstrebenden Sichtweise der Sozialpsychiatrie Rechnung getragen. Trotz diverser Unterschiedlichkeiten der verschiedenen Konzepte von Sozial- und Gemeindepsychiatrie, Gemeindepsychologie, Anti-Psychiatrie oder der Psychiatriesoziologie lassen sich mit v. Kardorff einige übergreifende Prin zipien formulieren (Kardorff 2001: 1438, dort auch Literatur zu den einzelnen Bezugswissenschaften): es geht hier um die „Entwicklung von Strategien, die auf eine Gleichbehandlung körperlich und seelisch kranker/behinderter Menschen zielen, […] die Würde und Rechtssicherheit psychisch kranker Menschen wahren, Selbstbestimmung und gesellschaftliche Partizipation fördern, berufliche und soziale (Wieder-)eingliederung in die Gesellschaft unterstützen, Diskriminierungen entgegenwirken und zu einer möglichst weitgehend selbständigen Lebensführung […] befähigen und dafür ausreichend materielle Bedingungen schaffen; Vorrang ambulanter vor teilstationären und stationären Behandlungsformen und Rehabilitation vor Pflege, […] um Alltagsnähe zu sichern; Aufbau einer gemeindenahen Infrastruktur mit differenzierten wohnortnahen Angeboten […] Anregung und Begleitung von Selbsthilfe- und Angehörigengruppen und ‚empowerment‘; Einheit von medizinischer, psychosozialer und beruflicher Rehabilitation durch multiprofessionelle Teamarbeit und interdisziplinäre Kooperation“.
Im Rahmen dieser Konzeption von Sozialpsychiatrie kommen den SozialarbeiterInnen verschiedene Aufgaben zu: In Tageskliniken, die für psychisch kranke Menschen mit ansonsten intakten sozialen Bezügen konzipiert waren, sollen sich die PädagogInnen gemeinsam mit den Klienten – damals noch gemäß der hegemonialen medizinischen Sichtweise in der Psychiatrie Patienten genannt– mit der psychischen Krankheit auseinander setzen. Als Ziel der gemeinsamen Arbeit wird ein „sozial konstruktiveres und persönlich befriedigenderes Dasein führen zu können“ (Mohr 1969: 24) formuliert. Darüber hinaus wurde es als generelle Aufgabe von Sozialarbeitern in der Psychiatrie gesehen, den Kontakt zu der Familie und zum bisherigen Arbeitsplatz des Patienten aufrecht zu erhalten oder wieder herzustellen (vgl. Hohm 1977: 127). 45 Auch das Emanzipationspostulat der Kritischen Theorie wird bedient: „Das große Thema Gesellschaft und Krankheit, d.h. also sowohl die Gesellschaft als pathogenes Feld wie auch die Einstellung verschiedener gesellschaftlicher Gruppen (Familie, soziale Klasse usw.) zur speziellen Krankheit des Einzelnen und zu bestimm-
45 Hier kommt gut der optimistische Grundtenor der sozialpsychiatrischen Konzeptionen zum Vorschein, wenn wie selbstverständlich davon ausgegangen wird, dass der Klient bisher in der Lage war, einer Arbeit nachzugehen und eine intakte Familie existiert. 101
DER UMGANG DER SOZIALEN ARBEIT MIT DIFFERENZ
ten Krankheitsgruppen, ist ein großer Themenkreis, in den hinein auch die gesamte Rehabilitationsproblematik gehört“ (Viehfues 1969, zit. n. Hohm 1977: 127). Ähnlich wie im Kontext des abweichenden Verhaltens folgte im Bereich der Psychiatrie auf die Erkenntnis, dass die Abweichung der Klienten immer im Zusammenhang mit den sie umgebenden sozialen Prozessen gesehen werden muss, die Ausrichtung der sozialpsychiatrischen Konzepte an der Lebenswelt und am Alltag der Adressaten. Statt der beschützenden – und tendenziell entmündigenden – Verwahrung in den besagten Großkrankenhäusern wurde ein differenziertes System von Nachsorgeeinrichtungen gefordert und implementiert. Die in Deutschland zum Ende der 1960er Jahre erst im Entstehen begriffene Sozialpsychiatrie ist damit deutlich von dem Versuch geprägt, der vorherigen Aussonderung der psychisch Kranken aktiv zu begegnen. Dies drückt sich zum einen in der oben beschriebenen Ausdifferenzierung sozialpsychiatrischer Institutionen und zum anderen im veränderten Bild von psychischer Krankheit, das der Sozialpsychiatrie nun zugrunde gelegt wird, aus. Im Gegensatz zum streng medizinisch-naturwissenschaftlichen Krankheitsbild, das bis dahin überwiegend in der Psychiatrie gegolten hatte, formuliert Sigmond im Jahr 1965: „Geisteskrankheit und -gesundheit sind nicht zwei völlig verschiedene Dinge, sondern jeder von uns kommt in verschiedenen Phasen seines Lebens mit wechselnden Graden von beiden in Berührung“ (zit. n. Mohr 1969: 4). Diese veränderte Sichtweise auf psychische Krankheit kann übertragen werden auf die gesellschaftliche Konstruktion von Normalität und Abweichung, die hier einem deutlichen Wandel unterworfen wird. Während zu Beginn des Jahrhunderts die psychische Krankheit als strikte Abweichung von der Norm gesehen und ausgesondert wurde, wird hier nun ein Kontinuum psychischer Gesundheit und psychischer Krankheit behauptet. Durch diese erweiterte Sicht auf Krankheit wird es überhaupt erst möglich, die Strukturen der psychiatrischen Behandlung zu verändern und gesellschaftlich zu legitimieren: der frühere Blick auf psychische Krankheit als eindeutig von psychischer Gesundheit zu unterscheidendes Phänomen und die damit in Verbindung stehende, protonormalistische Strategie mussten fast zwangsläufig zu der bekannten Separierung der psychisch Kranken in den gesonderten Territorien der Großkrankenhäuser führen. Mit der nun vorzufindenden Vorstellung von psychischer Krankheit als Kontinuum zwischen den Polen Gesundheit und Krankheit kann legitimiert werden, dass psychisch Kranke nicht zwangsläufig von der „normalen“ Gesellschaft separiert werden müssen. Mit den Zielen der Sicherung von Alltagsnähe und dem Aufbau einer gemeindenahen Infrastruktur mit differenzierten wohnortnahen Angeboten wird die vormals enge Grenze von Gesundheit und Krankheit, von Normalität und Abweichung in der Psychiatrie aufgeweicht. Auch hier zeichnet sich die Veränderung des Umgangs mit Normalität und Abweichung in der Sozialpädagogik deutlich ab. 102
DIFFERENZREFLEXION NACH 1968
Die Behindertenpädagogik Die Entwicklungen in der Behindertenpädagogik nach dem Nationalsozialismus können mit den beschriebenen Entwicklungen im Kontext der Psychiatrie in Teilen durchaus verglichen werden: Auch hier bestanden nach dem Krieg zunächst die überkommenen Strukturen, theoretischen Ansätze und das Interesse von Öffentlichkeit und Politik an der Lebenssituation von Behinderten hielt sich in engen Grenzen. Allerdings sind auch Unterschiede zu berücksichtigen, denn zum einen konnte im Bereich der Sonderpädagogik wegen der Heterogenität des großen Gebietes der Behinderungen lange Zeit nicht von einer einheitlichen theoretischen Entwicklung gesprochen werden (vgl. dazu EllgerRüttgardt 1985: 112ff.). Zum anderen muss die Geschichte der Sonderpädagogik mehr als die Geschichte der Psychiatrie oder der Sozialen Arbeit wegen des besonderen Fokus auf Kinder und Jugendliche immer auch im Verhältnis zur Entwicklung des Schulwesens gesehen werden. Während körperlich behinderte Menschen in der Nachkriegszeit z.T. noch Arbeit in der Landwirtschaft finden konnten (vgl. Fandrey 1990: 205f.), wurden insbesondere geistig Behinderte in psychiatrischen Krankenhäusern und Pflegeanstalten lediglich verwahrt oder sie wohnten, überwiegend ohne professionelle Unterstützung, komplementäre Strukturen und Möglichkeiten der Beschulung, in ihren Familien. In Reaktion auf diese belastenden Umstände gründeten Eltern von geistig behinderten Kindern und Jugendlichen im Jahr 1958 den Verein Lebenshilfe für geistig Behinderte e.V. 46 , der sich an dem Programm der US-Amerikanischen National Association for Retarded Chil dren orientierte und für eine „Förderung aller Maßnahmen und Einrichtungen, die eine wirksame Lebenshilfe für geistig Behinderte aller Alterstufen“ (Möckel/Adam/Adam 1999: 158) ebenso eintrat wie „für ein besseres Verständnis der Öffentlichkeit gegenüber den besonderen Problemen der geistig Behinderten“ (ebd.). Nicht zuletzt den Bemühungen des Vereins ist es zu verdanken, dass sich die Lage der geistig, aber auch der körperlich Behinderten in der Folge verbesserte: In den 1960er Jahren bauten fast alle deutschen Bundesländer ein dichtes Netz von Tagesschulen für geistig und körperlich Behinderte auf, in denen speziell ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer und heilpädagogische Unterrichtsassistenten arbeiteten. 47 Ebenfalls überwiegend dem Engage-
46 Das Einladungsschreiben zur ersten Versammlung, das Gründungsprotokoll und verschiedene Satzungen des Vereins sind abgedruckt in Möckel/Adam/Adam 1999: 154-159. 47 Vgl. die Ausführungen zum KMK-Gutachten zur Ordnung des Sonderschulwesens von 1960 in Stadler/Wilken 2004: 343ff. sowie das Gesetz zur Vereinheitlichung und Ordnung des Schulwesens in Baden Württemberg aus dem Jahr 1964, zu finden in Möckel/Adam/Adam 1999: 178ff. Einen allgemeinen Überblick 103
DER UMGANG DER SOZIALEN ARBEIT MIT DIFFERENZ
ment der Lebenshilfe zu verdanken ist die Gründung von beschützenden Werkstätten, von Wohnheimen und alternativen Hilfen wie betreuten Wohngruppen und individuellen Hilfsdiensten in der Wohnung (vgl. dazu ebenfalls Fandrey 1990: 234-244). In Bezug auf die Theorie der Sonderpädagogik fällt, ebenso wie in den anderen bereits genannten Feldern der Pädagogik, eine Ausdifferenzierung der Forschung zum Ende der 1960er und in den 1970er Jahren auf. Nach dem recht einheitlich biologistischen Verständnis von Behinderung, das an der Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert und erst recht im Nationalsozialismus vorgeherrscht hatte, werden weitere Dimensionen von Behinderung theoretisch gefasst – beispielsweise die personenorientierte, die interaktionistische, die systemorientierte und die gesellschaftstheoretische Dimension (vgl. Bleidick 1976). Die im Bereich der Jugendhilfe so enorm wichtige und auch im Kontext der Sozialpsychiatrie zu findende soziologisch inspirierte Etikettierungsperspektive ist ebenso in der Behindertenpädagogik zu finden. 48 so beeinflusste die bereits angesprochene Antipsychiatriebewegung auch die Behindertenpädagogik, in der beispielsweise die „Krüppelbewegung“, also behinderte Menschen selbst, auf den Zusammenhang von gesellschaftlicher Normalität und die damit einhergehende Kontrolle und Sanktionierung des Abweichenden aufmerksam machte (vgl. Schildmann 2001: 7). Auch hier findet sich damit der Emanzipationsgedanke, der bereits im Kontext der Sozialen Arbeit nach 1968 als wesentliche Leitidee gekennzeichnet werden konnte. Für die Frage nach dem Umgang mit Abweichung und Normalität in der Behindertenpädagogik ist indes noch ein anderer Zugang als der kritischsoziologische, zu berücksichtigen: im Jahr 1969 erscheint ein wegweisender Aufsatz von dem Schweden Bengt Nirje, 49 der darin für das „Normalisierungsprinzip“ (vgl. Nirje 1969, in Möckel/Adam/Adam 1999: 227) im pädagogischen Umgang mit geistig Behinderten plädiert. Der dänische Jurist Niels über die Entwicklung der verschiedenen Sonderschulen im Deutschland der 1960er Jahre gibt Fandrey 1990: 225-234. 48 Eine soziologische Sichtweise für die Behindertenpädagogik wird erstmals ausführlich von Walter Thimm (1972) in seiner Soziologie der Behinderten vorgelegt. Vgl. zum Thema der Stigmatisierung der Behinderten auch den Aufsatz Lernbehinderung als Stigma von Thimm (1975). Als wesentlicher aktueller Vertreter einer Soziologie der Behinderten gilt Cloerkes (vgl. etwa Cloerkes 2003). Beiträge zu einer Kritischen Behindertenpädagogik, die allerdings weniger einflussreich und metatheoretisch fundiert als in der Sozialpädagogik und vielmehr für die Praxis konzeptioniert waren finden sich in Probst 1982. 49 Nirje ist zu dieser Zeit Executive Director der schwedischen Elternvereinigung für Kinder mit geistiger Behinderung. Vgl. zu den persönlichen Daten Möckel/ Adam/Adam 1999: 226. Auch der Aufsatz „Das Normalisierungsprinzip und seine Auswirkungen in der fürsorgerischen Betreuung“ ist hier abgedruckt (ebd.: 227-232). 104
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Bank-Mikkelsen hatte diesen Ansatz bereits Ende der 1950er Jahre zu einer Leitidee der dänischen Sozialpolitik gemacht (vgl. Wolfensberger 1986, in Möckel/Adam/Adam 1999: 249-255),50 nun aber begann er, unmittelbare systemverändernde Kraft zu entfalten. Hatte bis dato noch überwiegend das Dogma der Verwahrung und der Segregation gegriffen, wurde mit der Leitidee der Normalisierung die Angleichung der Lebensbedingungen behinderter Menschen an die durchschnittlichen Lebensbedingungen nicht behinderter Menschen gefordert. 51 Was im Kontext des abweichenden Verhaltens und im Kontext der Psychiatrie noch kritisiert wird, wird hier genau anders herum gewendet: es findet eine explizite und positive Bezugnahme auf die statistische Norm statt (vgl. Greving/Ondracek 2005: 149ff.). Die Tatsache aber, dass nun auch für Behinderte Normalität gefordert wird, zeigt, dass der Normalitätsbegriff, der in den ersten beiden Untersuchungszeiträumen noch als protonormalistisch gekennzeichnet wurde, in Bewegung geraten und flexibler geworden ist. 52
Zusammenfassung: Differenzreflexion nach 1968 Ging es zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch darum, überhaupt eine professionelle Sozialpädagogik zu implementieren, waren seitdem vielfältige institutionelle und professionalisierte Unterstützungs-, Betreuungs- und Bildungsaufgaben hinzugekommen. Die Sozialpolitik nahm in den 1970er Jahren die Forderungen verschiedener sozialer Bewegungen auf, die dann in der Sozialen Arbeit sozialstaatlich gerahmt und in ein „System von Anspruch und Zumutbarkeit“ (Böhnisch/Schröer/Thiersch 2005: 102) umgewandelt, bearbeitet wurden. 50 Der US-Amerikaner Wolf Wolfensberger hat das Normalisierungsprinzip wissenschaftlich untersucht und weiter geführt. In Deutschland hat wiederum Walter Thimm das Normalisierungsprinzip eingeführt und begleitet. 51 Zu den Bereichen und Elementen des Normalisierungsprinzip vgl. auch Greving/ Ondracek 2005: 149ff. 52 An dieser Stelle verzichte ich auf eine weitere Ausführung zum Thema Behinderung und Normalität, denn es geht hier zunächst lediglich um die Darstellung des flexiblen Normalismus, der nach 1968 hegemonial wird, im Gegensatz zum in den ersten beiden Untersuchungszeiträumen dominierenden Protonormalismus. Das Verhältnis von Normalität und Behinderung bleibt allerdings ein bis heute diskutiertes: auf der einen Seite wird die Normalisierung weiterhin als Leitidee der Behindertenpädagogik gekennzeichnet, andererseits wird die positive Bezugnahme auf die Normalität immer wieder auch kritisiert (vgl. insbesondere die Bände der Reihe Konstruktionen von Normalität: Schildmann 2001, Weinmann 2003, Lingenauber 2003, Schildmann 2004). So gilt vorerst Schildmanns grundlegende Feststellung: „Das Verhältnis von Normalität und Behinderung stellt sich als ein zentrales, allerdings nicht klar strukturiertes und definiertes Konstrukt heraus“ (Schildmann 2001a: 7). 105
DER UMGANG DER SOZIALEN ARBEIT MIT DIFFERENZ
Vor diesem Hintergrund hatte sich auch die Differenzbearbeitung in der Sozialpädagogik im Vergleich zum Beginn des 20. Jahrhunderts verändert. Wie sich diese Veränderung nun im Detail vollzog, soll, analog zum ersten Teil der Untersuchung, durch eine Beschreibung des philosophischen Hintergrundes des Differenzreflexion, mit einem Blick auf die Dimensionen Gesellschaft und Individuum sowie auf das Spannungsfeld von Hilfe und Kontrolle und den zugrunde liegenden Vorstellungen von Normalität erfolgen.
Die Kritische Theorie als theoretischer Hintergrund der sozialpädagogischen Differenzreflexion in den Nach-68er-Jahren Der im ersten Punkt referierte Inhalt der westlichen Philosophie, die Hegelsche Vorstellung der Philosophie als geschlossenes, monistisches System (vgl. den Abschnitt „Die systematische Philosophie als Orientierungsrahmen für die Differenzbearbeitung der Sozialen Arbeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts“), blieb nicht ohne Widerspruch und sorgte besonders im Kontext der Kritischen Theorie Frankfurter Schule für Kritik. Vor allem das im Deutschen Idealismus geprägte Bild von Philosophie wurde im Kontext der ersten Generation der Kritischen Theorie hinterfragt. Theodor W. Adorno bezeichnete es auch als herrschaftlich und unterdrückend, „sofern es allumfassend sein will“ (vgl. Kimmerle 2000: 61). Ein früher einflussreicher Kritiker der Hegelschen Philosophie war bereits Friedrich Nietzsche (1844-1900), der wiederum wesentlich jene Philosophen beeinflusste, die zum Ende der 1960er Jahre von der Sozialpädagogik rezipiert wurden: Theodor W. Adorno und die Kritische Theorie Frankfurter Schule. Nietzsche suchte, entgegen der bis dahin gültigen philosophischen Geschichtsschreibung, einen positiven Zugang zum „Anderen der Vernunft“. Für die Hinwendung der Philosophie auch zur bis dato abgewerteten Vielfalt, Differenz und Relationalität war er damit zunächst von vorentscheidender Bedeutung. In der Götzen-Dämmerung (vgl. Nietzsche 1999), entstanden im Jahr 1888, thematisierte und diskreditierte Nietzsche die Funktion und die herausgehobene Rolle der einen Vernunft. Sie erst verfälsche „das Zeugnis der Sinne“ (Nietzsche 1999: 75), sie erst habe „die Lüge der Einheit, die Lüge der Dinglichkeit, der Substanz, der Dauer“ (ebd.) hervorgebracht und verfälsche so die eigentlich richtige Wahrnehmung der Sinne, denn „sofern die Sinne das Werden, das Vergehen, den Wechsel zeigen, lügen sie nicht“ (ebd.). Die Geschichte der Philosophie als einheitliches System, wie sie oben im Hegelschen Kontext erzählt wurde, erscheint bei Nietzsche nun als „Geschichte eines Irrthums“ (ebd.: 76). In der kurzen Erzählung „Wie die ´wahre Welt´ endlich zur Fabel wird“ (ebd.) beschreibt Nietzsche den Aufstieg und den Untergang der Zweiweltentheorie. Die wahre Welt, also jene nur der Vernunft zugängliche Welt, ist nach der Metaphysik- Kritik des Positivismus, so Nietzsche, un106
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nütz und überflüssig geworden und kann folglich abgeschafft werden. Übrig bleibt aber nicht etwa die sinnlich-materielle scheinbare Werdewelt, denn „mit der wahren Welt haben wir auch die scheinbare abgeschafft“ (ebd.). Die von Nietzsche so vollzogene kritische Wendung gegen die Traditionen der westlichen Philosophie eröffnete dieser in der Folge die Möglichkeit, sich auch der bislang vernachlässigten Seite der Vernunft zu widmen. Nachdem bis dato das Identitätsdenken eindeutig dominierte, wurde in der Philosophie des 20. Jahrhunderts nun der Blick frei für das Andere der Vernunft, die Differenz, und deren eigenen spezifischen Bedeutung. Theodor W. Adorno (1903-1969) und die Frankfurter Schule hatten schon in den 1930er Jahren die Grundlagen ihrer Theorie definiert: sie wollten kritische Theorie in Form einer kritisch auf die bestehenden Verhältnisse in Staat und Gesellschaft reflektierende Theorie betreiben (vgl. Horkheimer 1970), im Gegensatz zur traditionellen Theorie, die als Philosophie oder bestehende Sozialwissenschaft losgelöst von der Praxis des sozialen und politischen Geschehens gedacht wurde. Kritische Theorie will dagegen Aufklärung herstellen über die gesellschaftlichen Verstrickungen jedweden Forschungszusammenhangs. Dabei ist die Aufklärung über die Möglichkeiten der Souveränität und der Gestaltungsfähigkeit der Menschen über die wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Prozesse, also Emanzipation, Absicht und Ziel der Kritischen Theorie. Allerdings sollte dieses von den Protagonisten der ersten Generation der Frankfurter Schule zunächst so positiv formulierte Ziel unter dem Eindruck der Niederlage der sozialistischen Bewegung in Europa, unter dem Eindruck des Nationalsozialismus, und nach der Begegnung mit der US-amerikanischen Kulturindustrie im Exil zu Anfang der 1940er Jahre, später einem tiefen Pessimismus weichen. Auf dem Weg zum formulierten Ziel der Kritischen Theorie, der Emanzipation, gerät auch das Individuum – genauer: die Gefährdung des Individuellen – in den Blick. Zwischen totalitären Staaten wie dem Nationalsozialismus und der industriellen Massenkultur, mit der Horkheimer und Adorno im Exil in Form der US-Amerikanischen Unterhaltungsindustrie konfrontiert werden, postuliert die Kritische Theorie eine Kontinuität in Bezug auf die Stellung und Geltung von Individualität, Besonderem und Einzelnem. Während in totalitären Systemen wie dem Faschismus und dem Stalinismus die Institutionen Individualität direkt beschädigen, wird in demokratisch verfassten Staaten das Bewusstsein durch die Kulturindustrie manipuliert, was ebenfalls zur Negation von Individualität führt. Das Besondere, das sich dem Allgemeinen widersetzende, wird marginalisiert und liquidiert, indem es vollständig in das System integriert oder aber vernichtet wird (vgl. Kipfer 1998: 33f. und 111f.). Die postulierte vollständige Integration des Individuellen in die Gesellschaft, also das Nicht-(An)erkennen-Können und Gleichmachen von Differenzen, korrespondiert auf theoretisch-philosophischer Ebene mit dem von Adorno kritisierten 107
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Identitätsdenken der westlichen Philosophie. Indem die westlich-systematische Philosophie, die sich ganz ausgeprägt in der bereits erwähnten idealistischen Hegelschen Dialektik zeigt, alles Denken in einer Einheit zusammenzufassen sucht, und das Besondere stets von einer höchsten Allgemeinheit oder Identität ableitet, neigt sie dazu, so Adorno, „das Nicht-Identische, das sich dieser Allgemeinheit oder Identität nicht einfügen lässt“ (Kimmerle 2000: 26), zu übersehen und damit abzuwerten. Begriffliches, diskursiv-rationales Denken identifiziert zwangsläufig („Denken heißt Identifizieren“, Adorno 1975: 17), indem es die zu erkennenden Phänomene mit Begriffen belegt und sie somit festschreibt. So schiebt sich eine begriffliche Ordnung vor das, was Denken begreifen will, ein „konsistentes, fixiertes und dies heißt: lebloses, zu einem universalen Verstrickungszusammenhang geronnenes ‚System‘“ (Beierwaltes 1980: 269) der Identität entsteht, das das Differente oder das Emanzipative tendenziell entschärft oder unterdrückt. Nach Adorno hat das versöhnendglättende und harmonisierende Identitäts-Denken, das er auch Ursprungsdenken oder Einheitsdenken nennt, den Zug zum Totalitären, es lässt „sich leiten von einem Ersten als ihrem Prinzip; sie setzt dieses Erste auch als Absolutes“ (ebd.: 270). Das Differente, also auch Differenzverhältnisse zwischen Menschen oder Gruppen von Menschen, wird vom identifizierenden Denken nicht in der ihr eigenen Identität erfasst, sondern es wird ihr eine für sie fremde Identität aufgezwungen. 53 Daraus folgt, so Adorno, dass es einen prinzipiellen Zusammenhang gibt zwischen der systematischen Philosophie und dem Herrschaftsdenken. Denn das Systemdenken, so einseitig und übersteigert, wie es sich in Teilen der westlichen Philosophie der Aufklärung zeigt, führt „zum Vergessen und zur Unterdrückung des Besonderen, das sich der rationalen Erklärung und der systematischen Einordnung entzieht. Das Besondere ist im Rahmen dieses Denkens das Andere, das es auszuschalten gilt“ (Kimmerle 2000: 62). Im Jahr 1966 publiziert Adorno, als Fortführung und Vertiefung der eben dargestellten Gedanken, die „Negative Dialektik“ (vgl. Adorno 1975). Das eigentliche dialektische Denken kennzeichnet Adorno nun als konsequentes Denken der Nicht-Identität. Nach dieser Definition von Dialektik als „Dialektik der Nichtidentität können weder Platon noch Hegel […] als ‚dialektisch‘ gelten, weil ihre Form von Dialektik das Allgemeine entweder als Idee oder als das sich selbst begreifende Absolute über das Besondere (Nicht-Identische) setzt“ (Beierwaltes 1980: 273). Die Negative Dialektik nach Adorno hätte demgegenüber gerade das Nonkonforme, die Inkonsistenz, das Heterogene zu 53 „Attestiert man dem Neger, er sei genau wie der Weiße, während er es doch nicht ist, so tut man ihm insgheim schon wieder Unrecht an. Man demütigt ihn freundschaftlich durch einen Maßstab, hinter dem er unter dem Druck der Systeme notwendig zurückbleiben muß […]“ (Adorno 1980: 116). 108
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denken, es theoretisch darzulegen und es in der gesellschaftlichen Realität bewusst zu machen. Anders als Hegel, der in seiner Dialektik Widersprüche zu harmonisieren und spekulativ zu versöhnen suchte, verfährt Adorno negativ, indem er objektive Widersprüche aufdeckt und festhält. Dialektisch verfährt Adorno, indem er die historische Genese und begriffliche Vermitteltheit der Gegensätze zu durchdringen sucht, anstatt sie „zu verdinglichen und zu mythischen Seinsverhältnissen zu stilisieren“ (vgl. Lang 2003). Das von Adorno in der Negativen Dialektik geforderte Denken der Inkonsistenz und Nonkonformität ist in der zeitgenössischen Gesellschaft der industriell vermittelten Massenkultur nirgends zu entdecken. Vielmehr nähmen die Mächtigen des Staates, so Adorno, den Menschen nur als Menschen wahr, wenn er ihrem eigenen Spiegelbild entspräche, „anstatt das Menschliche gerade als das Verschiedene zurückzuspiegeln“ (Adorno 1980: 116). Die Gleichheit, die für die Menschen in den gegenwärtigen demokratischen Staaten gefordert wird, ist nach Adorno eine „schlechte“ Gleichheit (Adorno 1980: 114), denn sie zwingt das Verschiedene unter einen Maßstab, hinter dem es „unter dem Druck der Systeme notwendig zurückbleiben“ muss (ebd.) und demütigt es so. Das bürgerliche Zeitalter, ja, die gesamte abendländische Geschichte, ist geprägt von diesem identifizierenden Denken, das das unbekannte Andere stets der eigenen Identität gleichzumachen sucht. Der, die oder das Andere und Fremde wird als Bedrohung für die eigene Identität aufgefasst, im menschlichen Kampf ums Überleben wird folglich die Richtung der Herrschaft umgedreht: „um nicht beherrscht zu werden, versucht der Mensch zu beherrschen“ (Guzzoni 1981: 52). Die Herrschenden betrachten die beherrschten Menschen nun, ähnlich wie die Natur, als Material, das nach eigenem Willen geformt werden kann. Das Fremde wird aus seinen genuinen Bezügen herausgerissen, dem eigenen Machtbereich einverleibt und angeglichen. Die positive Utopie, eine emanzipierte Gesellschaft, die kein Einheitsstaat wäre, „sondern die Verwirklichung des Allgemeinen in der Versöhnung der Differenzen“ (ebd.), ein Staat in dem man, so der bekannte Ausspruch, „ohne Angst verschieden sein“ könnte, ist nach Adorno unter den gegebenen Voraussetzungen kaum möglich. Vielmehr bleibt die erste Generation der Kritischen Theorie unabdingbar mit einer Negativität ihrer Theorie in Erinnerung, die schon zu Beginn der Dialektik der Aufklärung zum Ausdruck kommt, in der sich Horkheimer und Adorno unter dem Eindruck des nationalsozialistischen Faschismus die Frage stellen, „warum die Menschheit, anstatt in einen wahrhaft menschlichen Zustand einzutreten, in eine neue Art von Barbarei versinkt“ (Horkheimer/Adorno 1971: 1) und die später in der Negativen Dialektik auch als Titel gewählt wird. Die Pädagogik konnte als handlungsorientierte Wissenschaft bei der eben dargestellten negativen Dialektik nicht stehen bleiben. Wesentliche Impulse verdankte sie jedoch sowohl der Kritischen Theorie der ersten Generation (Adorno, Horkheimer u.a.) als auch und vor allem Jürgen Habermas als 109
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Hauptvertreter der zweiten Generation. Von der Kritischen Theorie inspiriert entstand die „Kritische Erziehungswissenschaft“ (vgl. Krüger 2002: 57-83), die zum einen das „Emanzipationspostulat“ (vgl. dazu Mollenhauer 1970) der Kritischen Theorie übernahm. Zwar hatte schon die Geisteswissenschaftliche Pädagogik die Mündigkeit/Emanzipation des Individuums als Ziel der Erziehung formuliert, nun jedoch wurde das Ziel der Emanzipation vom Individuum auf die gesamte Gesellschaft ausgeweitet (vgl. Krüger 2002: 67) und aus pädagogischer Sicht ausformuliert. Zum anderen konnte man mit dem theoretischen Rüstzeug der Kritischen Theorie der gesellschaftstheoretischen Blindheit begegnen, die die Geisteswissenschaftliche Pädagogik noch überwiegend ausgezeichnet hatte. Diese hatte, wie gesehen, noch auf ideengeschichtliche Konstrukte wie Gemeinschaft, Volk und Nation zurückgreifen müssen, um Aufgabe und Ziel von Erziehung zu formulieren (vgl. den Abschnitt „Soziale Arbeit und der Blick auf die Gesellschaft“). Die Kritische Erziehungswissenschaft hingegen war „stets bemüht, pädagogisches Handeln als historisch vermittelte gesellschaftliche Praxis zu fassen und die Interdependenz zwischen dem jeweiligen Erziehungssystem und der Struktur der Gesellschaft herauszuarbeiten“ (vgl. Krüger 2002: 67). Auch bei der Reflexion und Bearbeitung der Differenzverhältnisse steht, wie oben gezeigt, die kritische Analyse der Gesellschafts- und Sozialstruktur im Mittelpunkt erziehungswissenschaftlicher Forschung – der philosophietheoretische Hintergrund der Kritischen Theorie veränderte in der Folge auch die pädagogische Konzeption von Gesellschaft, Individuum und die Ambivalenz von Hilfe und Kontrolle.
Soziale Arbeit und der Blick auf die Gesellschaft III: Politisierung von Ungleichheit und Verschiedenheit Mit der Rezeption der Kritischen Theorie und weiterer sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse begann sich die Pädagogik von dem sozialwissenschaftlich noch wenig qualifizierten Gesellschafts- und Kulturbegriff der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik zu emanzipieren. In der sich ausdifferenzierenden Gesellschaft der Nachkriegszeit brauchte es elaboriertere Vorstellungen und sozialwissenschaftlich unterfütterte Konzepte, um die Konstitution der Gesellschaft, die Lebensbedingungen der KlientInnen und damit die gesellschaftlichen Bedingungen der Sozialpädagogik zu erhellen. Im Kontext der Neuen Sozialen Bewegungen bot sich die Kritische Theorie schon deshalb an, weil sie, ähnlich der Intentionen der Bewegungen, die in Staat und Gesellschaft herrschenden Lebensbedingungen und die damit verbundenen sozialen Ungleichheiten kritisch reflektieren wollte. Mit den Zielen der Aufklärung über die gesellschaftlichen Verstrickungen wissenschaftlicher Forschungszusammenhänge, Beseitigung gesellschaftlichen Unrechts und der Emanzipation von Individuum und Gesellschaft war sie insbesondere auch für 110
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die Theorie und Praxis der Sozialpädagogik attraktiv. War die Differenzreflexion im Kontext der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik zu Beginn des 20. Jahrhunderts geprägt von der klassisch-idealistischen Dialektik, die gesellschaftliche Heterogenität unter Rückgriff auf Begriffe wie Gemeinschaft, Volk und Nation homogenisierte und damit tendenziell affirmativ gegenüber den bestehenden und Ungleichheiten reproduzierenden gesellschaftlichen Strukturen war, emanzipierte sich die Sozialpädagogik seit den 1960er Jahren nun vom bisher so dominanten geisteswissenschaftlichen Paradigma. Die bisherigen Grundannahmen der Sozialpädagogik wurden kritisch auf ihre affirmativen Inhalte und auf Macht verschleiernde Aspekte untersucht. Die Kritische Erziehungswissenschaft zu Beginn der 1970er Jahre war von dem politischen Grundsatz der Kritischen Theorie geprägt, dass alle wissenschaftliche Forschung aus dem „Widerstand gegenüber der Gegenwart“ (Kimmerle 2000: 11) hervorgehen solle. Dieser geforderte Widerstand gegenüber der Gegenwart wurde in der Sozialpädagogik in der Folge umgesetzt, indem die Lebensverhältnisse verschiedener gesellschaftlicher Gruppen mit Hilfe sozialwissenschaftlicher Erkenntnis und mit politischem Erkenntnis- und Veränderungsinteresse 54 kritisch auf Unterdrückungspotentiale und Benachteiligung hin untersucht wurden. In der Sozialpädagogik differenzierte sich die Forschung und die Praxis entlang der z.T schon bekannten Differenzverhältnisse und entlang der neu hinzugekommenen kollektiven Identitäten aus: zusätzlich zum Ursprungsklientel der Sozialpädagogik, den benachteiligten Jugendlichen, wurden nun pädagogische Konzepte für benachteiligte Mädchen, Jungen, Ausländer, Randgruppen, psychisch kranke Menschen usw. konzipiert. Der bereits beschriebene Vorwurf der Kritischen Theorie, in der klassischen systematischen Denkweise werde das Besondere, das sich dem Allgemeinen widersetzende, marginalisiert, liquidiert, übersehen und abgewertet, wird hier von der Sozialen Arbeit aufgenommen, indem gerade diese Differenzen kenntlich gemacht und für sie Partei ergriffen wird. Mit dieser Hinwendung zu den jeweils unterdrückten kollektiven Identitäten und der kritischen Reflexion ihrer Lebensbedingungen wird im Vergleich zum Beginn des 20. Jahrhunderts ein bedeutender Schritt getätigt: Die Sozialpädagogik geht nun nicht mehr von einem ideengeschichtlich inspirierten einheitlichen Gebilde (Volk, Nation) aus, sondern orientiert sich an der Lebenswirklichkeit, der Lebenswelt der verschiedenen Adressaten54 „Gegenüber einer sozialpädagogischen Tradition, für die der Umgang mit Rechts-, Verwaltungsregeln und den Praxismethoden im Vordergrund stand, wurden in den letzten Jahren Fragen der gesellschaftlich-politischen Funktion und Formenbestimmtheit von Sozialarbeit/Sozialpädagogik vorrangig“, schreiben Eyfert/Otto/Thiersch im Vorwort zu ihrem Handbuch der SozialarbeitSozialpädagogik im Jahr 1984 (Eyfert/Otto Thiersch 1984: X.). 111
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gruppen und erkennt damit potentiell die gesellschaftliche Heterogenität an. Die Orientierung an den kollektiven Differenzen als Bezugspunkt der Sozialpädagogik bietet sich auch in Folge der Diskussionen um die Stigmatisierung geradezu an: In Absetzung zu den pädagogisch-individualisierenden Zuschreibungen von Lebensschwierigkeiten zu Beginn des 20. Jahrhunderts korrespondierte die Orientierung an der Lebenswelt der Adressaten zum einen mit der Selbstkritik der Sozialpädagogik und zum anderen mit der politischen Stoßrichtung der zeitgenössischen Sozialpädagogik. Kriminalität, Armut, Krankheit und soziale Notlage wurden nun nicht mehr der alleinigen Verantwortung des Individuums zugerechnet, sondern sie konnten in ihrem historischen und gesellschaftlichen Charakter rekonstruiert werden (Thiersch/Rauschenbach 1984: 1001). Aus der Sicht der Sozialpädagogik wurden die Lebenswelten einer bestimmten Klientengruppe – und sei es nur aus heuristischen Zwecken – dabei als relativ einheitlich aufgefasst. Indem die Sozialpädagogik ihre Theorie und Praxis entlang der verschiedenen Differenzverhältnisse strukturierte, vereinheitlichte sie die – in der Realität u.U. ganz unterschiedlichen Alltagserfahrungen der Individuen – zu einer relativ geschlossenen Einheit. Es wird unterstellt, dass eine bestimmte Gruppe von Menschen, z.B. die Mädchen in der feministischen Mädchenarbeit oder die psychisch Kranken in der Sozialpsychiatrie über einen gemeinsamen Sinnhorizont verfügen, der zum Ausgangspunkt sozialpädagogischer Intervention wird. In der Gesellschaft existiert zwar potentiell eine Vielzahl ganz unterschiedlicher Lebenswelten, dies wird in der Sozialpädagogik auch wahrgenommen, zu heuristischen Zwecken und wohl auch aus politsch-strategischen Gründen werden diese jedoch zu kollektiven Identitäten (die Unterschichtsjugendlichen, die Mädchen, die psychisch Kranken usw.) zusammengefasst und homogenisiert. In Anlehnung an Reckwitz (vgl. Reckwitz 2001) können wir damit von einem „pluralistischen Homogenitätsmodell der Lebenswelten“ sprechen: Pluralistisch ist dieses Modell, weil es sich verabschiedet von den vereinheitlichenden Konzepten wie Volk und Nation, und stattdessen die Möglichkeit einer Vielzahl von Lebenswelten innerhalb der Gesellschaft annimmt. Von einem homogenisierenden Modell kann weiterhin gesprochen werden, weil für die einzelnen Adressatengruppen und ihrer Lebenswelten eine deutliche Homogenität angenommen und sprachlich hergestellt wird. Pointiert gesagt geht die Sozialpädagogik damit von einer Multiplizierung mehrerer Mono-Kulturen aus: Aus der Sicht des jeweiligen Forschungs- oder Handlungsfeldes der Sozialpädagogik erscheinen die Individuen jeweils unter der homogenisierenden kollektiven Identität der Mädchen, der Jungen, der psychisch Kranken etc. 55
55 So schreibt Renate Thiersch in ihrem Artikel über Frauen im 1984 erschienenen Handbuch Sozialarbeit/Sozialpädagogik: „die Lebenswelt der Frauen soll genau112
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Die Betonung der kollektiven Differenzen dient dazu, die damit verbundenen Asymmetrien zu kennzeichnen und das Ziel der zeitgenössischen Sozialpädagogik – die Emanzipation von diesen Verhältnissen – zu verdeutlichen.
Soziale Arbeit und der Blick auf das Individuum III: Auf der Suche nach dem revolutionären Subjekt Vor diesem Hintergrund des sozialwissenschaftlich elaborierteren Gesellschaftsverständnisses veränderte sich in den 1970er Jahren auch der sozialpädagogische Blick auf das Individuum. Im Zusammenhang mit dem ersten Untersuchungszeitraum, dem Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert, konnte als wesentliches Erziehungsziel für das Individuum die Erziehung zur Gemeinschaft bestimmt werden (vgl. den Abschnitt „Soziale Arbeit und der Blick auf die Gesellschaft I“). Der Zögling sollte, vermittelt in der Gemeinschaft von Erzieher und Zögling, letztlich die gesellschaftlich vorgegebenen Werte, Normen und Vorstellungen der Gemeinschaft verinnerlichen und nach ihnen leben. Wenn die Normen und Werte internalisiert waren, es also nicht mehr eines Erziehers bedurfte, sondern das Über-Ich an dessen Stelle getreten war, konnte Erziehung als erfolgreich gekennzeichnet werden. Das Webersche Bild des stahlharten Gehäuses der Hörigkeit kennzeichnete das Ziel der Persönlichkeitsentwicklung treffend. In den 1970er Jahren definierte man demgegenüber das emanzipierte Subjekt als Ziel der Erziehung. Dabei wurde Emanzipation als die „Befreiung der Subjekte […] aus Bedingungen, die ihre Rationalität und das mit ihr verbundene gesellschaftliche Handeln beschränken“ (Mollenhauer 1970: 11) definiert. Um das Erziehungsziel einer emanzipierten Persönlichkeit und einer emanzipierten Gesellschaft zu erreichen, mussten die zur Emanzipation notwendigen Fähigkeiten des Individuums definiert werden. An dieser Analyse wurde beispielsweise im Kontext der Sozialisationsforschung gearbeitet. Erziehung dürfe, wenn sie dem Ziel der Emanzipation verpflichtet sei, eben nicht bei der Ausbildung eines Über-Ichs, das als moralische Kontrollinstanz gegenüber den eigenen Bedürfnissen vermittelt, stehen bleiben. Vielmehr müsse das Individuum in die Lage versetzt werden, bewusst Entscheidungsalternativen zu er betrachtet werden als eine besondere Lebenswelt, die aus der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung zu erklären ist“ (Thiersch 1984: 388). Andrés LópezBlasco sieht als wesentliches Problem der Arbeit mit Ausländern „die Nichtberücksichtigung der Kultur der Ausländer innerhalb der deutschen Gesellschaft“ (Lopéz-Blasco 1984: 176). Walter Hornstein spricht in Bezug auf das Generationenverhältnis verallgemeinernd von einer „qualitativ neuen Art im Verhältnis von Jugend und Erwachsenen“ (Hornstein 1984: 506), weil „sich große Teile der heranwachsenden Generation den gesellschaftlich geltend gemachten Erwartungen durch vielfältige Formen des Aussteigens […] (ebd.) entziehen würde. 113
DER UMGANG DER SOZIALEN ARBEIT MIT DIFFERENZ
erkennen und zwischen ihnen abzuwägen – in der Sprache der in der zeitgenössischen Sozialisationstheorie führenden interaktionistischen Rollentheorie (vgl. Peuckert 2000a: 292) ausgedrückt: bei den Verhaltensdispositionen und Verhaltensweisen, über die das emanzipierte Individuum verfügen sollte, handelt es sich um „Rollendistanz als die Fähigkeit, sich Normen gegenüber reflektierend und interpretierend zu verhalten, role taking/Empathie als die Fähigkeit, Erwartungen der Interaktionspartner zu erkennen und im eigenen Handeln zu berücksichtigen, Ambiguitätstoleranz als Fähigkeit, Inkongruenzen, die bei der Interaktion auftreten zu tolerieren“ (Krappmann, zit. n. Reif 1973: 191). Die drei genannten Fähigkeiten – Rollendistanz, Empathie und Ambiguitätstoleranz – stellen Grundqualifikationen dar, „von denen Freiheitsgrade des kommunikativen Handelns abhängen“ (Habermas 1968a: 47). Damit entwickelt sich das Bild vom Subjekt in der Pädagogik weg vom Bild des „stahlharten Gehäuses der Hörigkeit“, das das Individuum in einer eher passiven Position verortete. Hier wird das Individuum demgegenüber als aktiv handelndes Individuum gesehen, das in der Lage ist, soziale Situationen mit zu gestalten (vgl. dazu Peuckert 2000a: 292). Deutlich wird der Optimismus in Bezug auf die Überwindung der horizontalen Differenzen bzw. der Asymmetrien und der sozialen Ungleichheiten in der Gesellschaft. Denn in dem Maße, wie das Individuum einen aktiven Beitrag zu sozialen Situationen zu leisten in der Lage ist, wird es auch in der Lage sein, diese Situationen so zu gestalten, dass fortan soziale Ungleichheit in der Gesellschaft sich verringert und sich das Individuum von den von gesellschaftlichen Zwängen weitgehend emanzipiert. Zu diesem Zweck wäre das Ziel der Erziehung die Ablösung des Individuums „aus allen gesellschaftlich verursachten Abhängigkeiten, sofern – und dies ist die einzige, aber entscheidende pädagogische Einschränkung – diese Abhängigkeiten subjektiv als ‚Übel‘ erlebt werden […]“ (vgl. dazu Peuckert 2000a: 292). Denkt man diesen Ansatz zu Ende, so könnte man gemäß dieser Sichtweise als Ziel der Pädagogik formulieren, dass alle Differenzen, egal ob horizontaler oder vertikaler Art prinzipiell durch Emanzipation überwindbar und damit – eines Tages – bedeutungslos wären. Nicht zufällig erinnert dieses hier pointiert formulierte Ziel an die Vorstellung einer sozialistischen Gesellschaft, die im Kontext der kritisch-emanzipativen Erziehung zunächst ja auch so anvisiert wurde. „Emanzipatorische Erziehung geht dann in allgemeine politische Praxis über, ist nicht mehr subversives Bildungsprinzip, sondern Erziehung zum Sozialismus, als Aufhebung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, als Konkretisierung einer kritischen Gesellschaftstheorie“ (J. Beck, zit. n. Bönsch 1973: 24). Der Blick auf das Individuum zur Zeit der Kritisch-Emanzipativen Sozialen Arbeit ist damit letztlich vielfach geprägt von den politischen Zielen der jeweiligen PädagogInnen. Dies gilt zumindest ganz besonders für die nachwachsende Generation der SozialarbeiterInnen, die ihr politisches Engagement 114
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in der pädagogischen Praxis umzusetzen gedachten. So fällt auf, dass der Blick auf das Individuum immer in Zusammenhang mit einer Analyse der gesellschaftlichen und politischen Bedingungen im Kapitalismus gebracht wird. Die enge Verbindung von Politik und Pädagogik, die den Blick auf das Individuum bestimmte, kann insbesondere am Handlungsfeld der Heimerziehung verdeutlicht werden. Diese kann zwar nicht stellvertretend für alle anderen Bereiche der Jugendarbeit stehen, aber es wird darin deutlich, wie sehr der sozialpädagogische Blick auf das Individuum durch die politische Perspektive bestimmt war. Denn man war, so scheint es aus heutiger Perspektive, in der Tat weniger daran interessiert, das Individuum als solches in den Blick zu nehmen, als daran, ein „revolutionäres Subjekt“ (Arbeitsgruppe: Modelle offener Jugendhilfe 1973: 5) für die eigenen politischen Ziele zu finden. Große Hoffnungen setzte man diesbezüglich – allerdings nur für kurze Zeit – in Teile des Klientels der Heimerziehung. Die Randgruppenstrategie beruhte auf der Hoffnung, dass jene Jugendliche, die besonders unter den Repressionen im kapitalistischen System litten, auch am ehesten für den revolutionären Kampf zu begeistern waren (vgl. ebd.). 56 Trotz der praktischen Erfolglosigkeit dieses Unterfangens hielt sich der politische und von der Klassendifferenz geprägte Blick auf das Individuum in Teilen der Jugendhilfe weiter: so forderte Liebel eine „Selbstdefinition sozialistischer Pädagoginnen […], die in bewusster Anerkennung der Klassendifferenz zwischen sich und den Arbeiterjugendlichen an der Überwindung dieser Differenz ‚im gemeinsamen politischen Kampf‘ zu arbeiten erlaubt“ (vgl. Liebel 1974: 248). So erhoffte man sich, sich von der pädagogischen „Bearbeitung“ der Jugendlichen zu entfernen und Lernprozesse durch die gemeinsame „‚Bearbeitung‘ eines ‚Objekts‘ außerhalb der Beziehung zwischen Arbeiterjugendlichen und Pädagogen“ (vgl. Liebel 1974: 249) anzustoßen.
Soziale Arbeit zwischen Hilfe und Kontrolle III: Die Flexibilisierung der Normalität Bei der Betrachtung des Normalitätsbegriffes der Sozialpädagogik zu Beginn des 20. Jahrhunderts konnte die Dominanz einer protonormalistischen Strategie festgestellt werden. Diese protonormalistische Strategie zeichnete sich dadurch aus, dass eine relativ kleine, feststehende und stabile Normalitätszone diskursiv hergestellt wurde und außerhalb dieser kleinen Normalitätszone da-
56 Die Realität zeigte freilich etwas anderes: die derart instrumentalisierten Jugendlichen ließen sich für die Ziele der Revolution kaum vereinnahmen. Sie lehnten vielmehr das Leben in Kollektiven, wie es in studentischen Wohngemeinschaften gepflegt wurde, aufgrund ihrer schlechten Erfahrungen der kollektiven Erziehung in den Wohnheimen überwiegend ab und zeigten auch kaum Interesse an politischen Aktionen. Vgl. Müller 1992: 162ff. 115
DER UMGANG DER SOZIALEN ARBEIT MIT DIFFERENZ
durch automatisch eine relativ große Zone der Anormalität entstand. Normativität als verbindlicher Aufforderungscharakter und Normalität als Orientierungskarte für das tatsächliche kollektive Handeln waren eng aneinander gekoppelt. Die klassische Ambivalenz der Sozialen Arbeit zwischen Hilfe und Kontrolle wurde vor dem Hintergrund der protonormalistischen Strategie in der pädagogischen Praxis überwiegend mit einem Schwerpunkt auf dem Kontrollaspekt beantwortet. Die Zeit um das Jahr 1968 bedeutete allerdings auch für die Pädagogik und ihre bis dahin vertretene Konzeption von Normalität eine erhebliche Veränderung. Hatte die protonormalistische Strategie auf einem Maßstab der Regelmäßigkeit basiert, an dem das Verhalten der Individuen (die Normalität) gemessen werden konnte, zeichnete sich nun in ganz verschiedenen Dimensionen eine Flexibilisierung von Normalität ab. Im Wirtschaftssystem dominierte nicht mehr unangefochten die Produktionsweise fordistischen Typs, die vorher strukturbildend wirkende männliche und weibliche Normalbiografie verlor an Kraft. Die ProtagonistInnen der Neuen Sozialen Bewegungen, also die Bewegungen des Feminismus, Multikulturalismus, der Schwulen- und Lesbenbewegung oder der Sozialpsychiatrie begehrten gegen die bis dahin dominierende protonormalistische Strategie auf. Ganz im Sinne Adornos richteten die verschiedenen sozialen Bewegungen und die emanzipative Sozialpädagogik ihren Blick nun vermehrt auf das vorher Ausgegrenzte, Abweichende und es wurden die gesellschaftlichen Verhältnisse kritisiert, die zu dieser Ausgrenzung führten. Die Kritik Adornos, wonach das Besondere, „das sich der rationalen Erklärung und der systematischen Einordnung entzieht“ (Kimmerle 2000: 62) in der bürgerlichen Gesellschaft ausgeschaltet wird, wird aufgenommen und die Unterdrückung öffentlich skandalisiert. Das Ziel der Kritischen Erziehungswissenschaft, die Emanzipation des Individuums und der Gesellschaft, zielt geradezu darauf, vorgegebene normative Muster der Gesellschaft zu hinterfragen und gegebenenfalls zu verändern. Es vollzieht sich seit dem Anfang der 1960er Jahre ein Übergang von der Hegemonie des protonormalistischen Diskurses zu einer Hegemonie des „flexiblen Normalismus“ (in Anlehnung an Link 1999: 30): die vormals enge, starre Zone der Normalität wird ausgeweitet, es gelten nicht mehr fixe Grenzen von Normalität, sondern die Normalitätsgrenzen sind dynamisch und in der Zeit variabel. Diese nun flexibleren Normalitätsgrenzen betreffen die Sozialpädagogik ganz unmittelbar. Ob es um alltägliche Lebensweisen, sexuelle Freiheiten oder psychische Krankheit geht: der vormals gesellschaftlich überwiegend gültige Reflex, derart abweichendes Verhalten durch Ausgrenzung zu missachten oder gar strafrechtlich zu sanktionieren, kann nun nicht mehr greifen. „Insgesamt hat Achtundsechzig die Normalisierung sexueller Freiheiten und sexueller Minderheiten ebenso beschleunigt wie die Flexibilisierung der Psychiatrie“ (Link 1999: 30). Das Auseinanderfallen von Normativität und 116
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Normalität bedeutet für die Soziale Arbeit, dass ihr fortan weniger klare, auch einschränkende, Muster von Normalität zur Verfügung stehen, aus denen unmittelbar pädagogische Zielsetzungen abgeleitet werden können. Hatte sich die Soziale Arbeit in ihrem normativen Bezugspunkt vorher noch weitgehend adaptiv und affirmativ gegenüber den gesellschaftlich dominanten Werten gezeigt (Otto/Seelmayer 2004: 53), können nun in einer pädagogischen Arbeit, die sich die Emanzipation der Klienten und der Gesellschaft zum Ziel gesetzt hat, nicht Normen von außen vorgegeben und vorbehaltlos verteidigt werden. Vielmehr können lediglich auf Seiten der Klienten wie auf Seiten der Professionellen Reflexionsvorgänge in Gang gebracht werden, im Laufe derer sich die Beteiligten einem für beide Seiten befriedigenden Begriff von Normalität annähern können. Der Begriff der Normalität bleibt somit zwar grundsätzlich als Bezugspunkt sozialpädagogischer Arbeit notwendigerweise erhalten, er ist nun nur „ungemein geschmeidiger und anpassungsfähiger für Krisen infolge der Verarbeitung von Achtundsechzig“ (Link 1999: 30). Das bedeutet, dass mit der Flexibilisierung der vormals starren Normalitätsgrenzen nun Unbestimmtheit und Uneindeutigkeit der Konsequenzen abweichenden Verhaltens einhergeht. Diese Tatsache wird aus Sicht einer der Emanzipation verpflichteten Sozialpädagogik positiv bewertet: Durch die nun festzustellende Dominanz des flexiblen Normalismus werden die Handlungsspielräume des Individuums und damit potentiell seine Teilhabechancen erweitert. Vormals als abweichend disqualifizierte Lebensstile haben nun größere Chancen, ohne repressive Konsequenzen fürchten zu müssen, realisiert zu werden. In der Behindertenpädagogik kann, weil der vormals weithin unhinterfragt gültige biologische Behinderungsbegriff, der eine strikte Trennung von behindert und nicht-behindert vorsieht, durch soziale und gesellschaftliche Dimensionen flankiert wird, ein positiver Bezug zur Normalität hergestellt werden: gerade weil der Normalitätsbegriff flexibler geworden ist, kann auch Behinderung zur Normalitätszone zählen. Für die Soziale Arbeit im Spannungsfeld von Hilfe und Kontrolle bedeutet die Hegemonie des flexiblen Normalismus die Möglichkeit, ihre Arbeit mit einem Schwerpunkt auf dem Hilfeaspekt auszubuchstabieren. Denn die Tatsache, dass nicht mehr auf eine vorgegebene Normativität zurückgegriffen werden kann und muss, entlastet die Soziale Arbeit zumindest partiell von ihren kontrollierenden Tätigkeiten. Natürlich besteht das Spannungsfeld von Hilfe und
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Kontrolle weiterhin, aber die Handlungsspielräume für den Hilfeaspekt sind vor dem Hintergrund emanzipativer Bestrebungen deutlich vergrößert worden. 57
57 Darüber hinaus kann die Vergrößerung der Normalitätszone im Kontext flexibel normalistischer Strategien natürlich auch Verhaltensunsicherheiten für das Individuum produzieren: in verschiedenen Lebenswelten können theoretisch ganz verschiedene Zonen von Normalität und Abweichung diskursiv hergestellt werden, was für das Individuum auch Risiken birgt. Denn verschiedene Verhaltensweisen verharren so ständig in einer „Art Schwebe […] zwischen flexibler Normalisierung und transnormalistischer Exploration“ (Link 1999: 30). Was in dem einen sozialen Kontext als normal gilt, gilt in einem anderen Kontext als abweichend. Das Individuum gerät also in die Gefahr, keine festen Verhaltensvorgaben und damit keine Verhaltenssicherheit vorzufinden. Diese Sichtweise, die eher die Risiken des flexiblen Normalismus betont, steht im Kontext der emanzipativen Sozialpädagogik deutlich im Hintergrund. Hier werden eher die oben beschriebenen Chancen der Auflösung der starren Normalitätsvorgaben betont. 118
Die Bearbeitung von Differenzen in der Lebensweltorientierten Sozialen Arbeit
Mit der bisherigen, an den relevanten binären Differenzverhältnissen der Sozialen Arbeit ausgerichteten Darstellungsweise, konnte die Entwicklung der Differenzreflexion in der Sozialen Arbeit bis in die 1970er Jahre nachvollzogen werden: Von der Homogenisierung und Befriedung der Differenzen zu Beginn des 20. Jahrhunderts über die Vernichtung der Differenz zur Zeit des Nationalsozialismus bis zu deren politisierter Betonung in den Nach-68erJahren. Der politische und ökonomische Aufstieg des Sozialstaates seit den 1960er Jahren war vor allem mit einer infrastrukturellen Ausbreitung der Sozialen Arbeit und ihrer spezifisch professionellen Strukturierung entlang der relevanten Differenzverhältnisse einher gegangen, die sich bis heute im Wesentlichen gehalten hat. Mehr noch: Die einzelnen pädagogischen Handlungsund Theoriefelder haben sich ausdifferenziert und untereinander häufig in theoretischer wie praktischer Hinsicht befruchtet. Aus diesem Grund wird in der Folge der bisher beschrittene Pfad der historischen Analyse verlassen. Es werden nicht die einzelnen Differenzen in ihrer sozialpädagogischen Reflexion analysiert, sondern es werden die wesentlichen theoretischen Entwicklungen der Sozialen Arbeit beschrieben und untersucht, wie sich innerhalb dieser Theorierichtung die Differenzreflexion vollzieht. Hinter dieser Vorgehensweise steht die folgende These: es hat seit Anfang des 20. Jahrhunderts einen grundlegenden Perspektivenwechsel in Bezug auf die Differenzreflexion gegeben. Von den starken Homogenisierungstendenzen zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte sich die Soziale Arbeit in den 1970er Jahren bereits entfernt, indem die Differenzen nun mit dem Ziel der politisch-pädagogischen Emanzipation besonders betont und instrumentalisiert wurden. In der Folge, seit dem Ende der 1970er Jahre, wurde der Blick auf die Differenz insbesondere durch das Konzept der Lebensweltorientierung sozialwissenschaftlich qualifiziert. Darüber hinaus wurde mit der Rezeption des Individualisierungsparadigmas in 119
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den 1980er Jahren auch der Blick auf gesellschaftliche Pluralisierungstendenzen gerichtet. Schließlich wurde die Pluralität im Kontext der Postmoderne, der Pädagogik der Vielfalt und der Dekonstruktion zum Ausgangspunkt pädagogischer Konzepte im Umgang mit der Differenz. Im Mittelpunkt der folgenden Ausführungen stehen zunächst die beiden handlungsleitenden Konzepte der Lebensweltorientierung und der Individualisierung. In Anschluss an die Darstellung der beiden Konzepte erfolgt, analog zu der Vorgehensweise in Anschluss an die ersten Abschnitte eine Analyse in Bezug auf den philosophischen Hintergrund, die gesellschaftliche und die individuelle Dimensionen und die Konstruktion von Normalität.
Lebensweltorientierung in der Sozialen Arbeit Jürgen Habermas wird als Protagonist einer zweiten Generation der Kritischen Theorie bezeichnet, obwohl er sich zu großen Teilen mehr von seinen Vorgängern, Adorno und Horkheimer, unterscheidet, als dass er ihr Werk stringent fortführte. Denn Habermas' Denken setzt genau dort ein, wo die erste Generation der Frankfurter Schule mit negativem Impetus aufgehört hatte: es ging ihm zuvörderst um die Verständigung unter Menschen und die Frage nach dem Wesen des Handelns, nicht zuletzt durch die Sprache. Weder die einseitig negative Geschichtsphilosophie noch die tiefe Skepsis gegenüber der Wissenschaft teilt er mit seinen Vorgängern. Es geht ihm um eine zusammenhängende Lehre, die in der Kritischen Theorie der ersten Generation kaum erkennbar war, und um das Aufzeigen konstruktiver Entwicklungspotentiale „in der unzulänglichen Gesellschaft“ (Horster 2003: 270). In der Theorie des kommunikativen Handelns, dem Hauptwerk von 1981, stellte Habermas die Sphäre des Politischen und der Willensbildung in Demokratien zur Diskussion, welche die frühe Kritische Theorie wenig ausgearbeitet hatte. Vor allem nahm er Teile der amerikanischen Philosophie und den Gedanken universaler Menschenrechte auf. Die Beschädigungen, die Menschen im Kapitalismus erleiden, finden bei Habermas ein Gegengewicht in der Möglichkeit, sich rational als handelnde Menschen zu verständigen und auf die Normen einzuwirken, die das Leben bestimmen. Dies ist allerdings keine fortschrittsgläubige Auffassung von der befreienden Macht der Vernunft. Denn die Sorge, dass die Logiken der Verwaltungs- und Wirtschaftssysteme auf die Lebenswelten übergreifen, macht den Kern von Habermas' Kritik an der Moderne aus (vgl. Horster 2003: 272). Auf seine Vorstellung der einen Öffentlichkeit, in der alle Diskutanten hörbar werden, gründet Habermas' Idee, dass eine Gesellschaft über sich selbst „Bescheid wissen“ kann und sich selbst zu kritisieren vermag, um dem Verfall zu widerstehen, den die frühe Kritische Theorie für zwangsläufig gegeben hielt. Die eben genannten Elemente – die 120
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Lebenswelt der Menschen, ihre drohende Beschädigung im Kapitalismus und die potentielle Möglichkeit, durch einen herrschaftsfreien Diskurs zu einer gerechteren Gesellschaft zu gelangen – bilden ganz wesentliche Anschlusspunkte für die Lebensweltorientierte Sozialpädagogik, die sich ab dem Ende der 1970er Jahre entwickelte. Den Lebensweltbegriff, der seit dem Ende der 1970er Jahre zu einem zentralen Paradigma sozialpädagogischen Handelns geworden und dies bis heute geblieben ist, hatte Jürgen Habermas im Anschluss an Husserl und Schütz bereits in den 1960er und zu Beginn der 1970er Jahren sporadisch aufgegriffen.1 1981, in seinem Hauptwerk Theorie des kommunikativen Handelns, entfaltet er den Begriff der Lebenswelt schließlich zu einem Schlüsselbegriff seiner Theorie. Er definiert hier die Lebenswelt als „ein Reservoir von Selbstverständlichkeiten oder unerschütterten Überzeugungen, welche die Kommunikationsteilnehmer für kooperative Deutungsprozesse nutzen“ (Habermas 1981, Bd. 2: 189). Kommunikativ handelnde2 Subjekte verständigen sich stets im Horizont ihrer Lebenswelt, zu der primäre Handlungszusammenhänge wie Familie, Nachbarschaften, Gemeinwesen oder verschiedene soziokulturelle Milieus gezählt werden (vgl. Kleve 2000: 41f.). Dieser Hintergrund dient als Quelle für Situationsdefinitionen, die von den Beteiligten als unproblematisch vorausgesetzt werden (vgl. Habermas 1981b, Bd. 1: 107). Die Strukturen der Lebenswelt reproduzieren sich „auf dem Weg der Kontinuierung gültigen Wissens, der Stabilisierung von Gruppensolidarität und der Heranbildung zurechnungsfähiger Aktoren“ (Habermas 1981, Bd. 2: 209). Lebenswelt ist allerdings nicht mit der Gesellschaft gleichzusetzen. Da Habermas die Lebenswelt als „Komplementärbegriff zum kommunikativen Handeln“ (ebd.: 182) konzeptualisiert, und kommunikatives Handeln im Habermasschen Sinne sich vom zweckorientierten, strategischen Handeln grundsätzlich unterscheidet, kann der Lebensweltbegriff nicht die gesamte Gesellschaft meinen, denn diese ist in zentralen Bereichen, z.B. dem Wirtschaftssystem oder dem politischen System, zweckrational organisiert. Der Lebenswelt-Begriff gilt vielmehr aus der Teilnehmerperspektive der verständigungsorientiert handelnden Subjekte. Aus der Beobachterperspektive ist sie hingegen ein System von Handlungen. Indem Habermas vorschlägt, „Gesellschaften gleichzeitig als System und Lebenswelt zu konzipieren“ (Habermas 1981, Bd. 2: 180), verbreitert er die Grundlagen sei1 2
In „Theorie und Praxis“ (1963), in „Technik und Wissenschaft als Ideologie“ (1968) und in „Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus“ (1973). Habermas beschreibt das kommunikative Handeln als Komplementärbegriff zur Lebenswelt (Habermas 1981, Bd. 2: 182) und in Abgrenzung zu teleologischem Handeln, normativem Handeln und dramaturgischem Handeln. Das kommunikative Handeln integriert die anderen drei Handlungsarten und stellt somit diejenige Handlungsart dar, die sich reflexiv auf die anderen Welten bezieht, vgl. Habermas 1981, Bd. 1:149.
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nes Gesellschaftsmodells auf beide Perspektiven, nämlich auf die der Akteure und auf die des Beobachters. Er entlastet so die Theoriekonstrukte Handlungstheorie und Systemtheorie „von dem Anspruch, jeweils allein eine umfassende Gesellschaftstheorie begründen und entwickeln zu müssen“ (vgl. Rauschenbach 1999: 93). Dass sich Lebenswelt und System voneinander entkoppeln, ist Habermas zufolge Resultat der arbeitsteiligen Gesellschaft: „In der europäischen Neuzeit entsteht mit der kapitalistischen Wirtschaft ein über das Geldmedium ausdifferenziertes Teilsystem, das seinerseits den Staat zur Reorganisation zwingt. In den komplementär aufeinander bezogenen Subsystemen von Marktwirtschaft und moderner Verwaltung findet der Mechanismus des Steuerungsmediums […] die ihm angemessene Sozialstruktur“ (ebd.: 247). Dass die Subsysteme Staat und Wirtschaft sich über die Steuerungsmedien Macht und Geld selbst regulieren und somit aus dem Bereich der Lebenswelt verschwinden, ist für Habermas Indiz für die Entkoppelung von System und Lebenswelt. Aber nicht genug, dass die Lebenswelt durch die Entkoppelung immer mehr zu einem Subsystem neben anderen herabgesetzt wird (ebd.: 230), ihr droht zudem durch das Übermächtigwerden der systemischen Einflüsse eine „Kolonialisierung“.3 Da im Habermasschen Konstrukt kommunikatives Handeln, also auf zwanglose Verständigung ausgerichtete Interaktion, ausschließlich in der Sphäre der Lebenswelt stattfindet, hat diese Kolonialisierungstendenz weitreichende Folgen für die Menschen und ihr Zusammenleben. Das der lebensweltlichen Kommunikation entzogene zweckrationale Handeln führt in der Zuspitzung zu militärischen und ökologischen Krisen, im Alltagsleben macht es sich an der Ausrichtung an Verwaltungszwängen und ökonomischen Bedingungen fest. Der Lebensweltbegriff wurde seit etwa dem Ende der 1970er Jahre auch in den sozialpädagogischen Diskurs eingeführt und avanciert dort zu einem zentralen Begriff der Alltagswende. Insbesondere Hans Thiersch adaptiert den von Habermas geprägten Begriff, erweitert das von Habermas geprägte Konzept jedoch um einen spezifisch pädagogischen Aspekt: während die Lebenswelt in der Sozialphilosophie Habermas' ein im Wesentlichen unproblematisches Apriori darstellt, dass durch systemische Imperative gleichsam von außen gestört wird, richtet Thiersch den Blick gleichermaßen auf das „Innenleben“ der
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Die „Kolonialisierung der Lebenswelt, das Eindringen von Formen ökonomischer und administrativer Rationalität in Handlungsbereiche, die sich der Umstellung auf die Medien Geld und Macht widersetzen, weil sie auf kulturelle Überlieferung, soziale Integration und Erziehung spezialisiert sind und auf Verständigung als Mechanismus der Handlungskoordinierung angewiesen bleiben“ (Habermas 1981, Bd. 2: 488) ist nach Habermas das eigentliche Problem moderner westlicher Gesellschaften. Zu weiteren gegenwartsdiagnostischen Aspekten der Habermasschen Gesellschaftstheorie vgl. Heming 2000.
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DIFFERENZREFLEXION IN DER LEBENSWELTORIENTIERTEN SOZIALEN ARBEIT
Lebenswelt mit den dazugehörigen alltäglichen Problemen der Menschen. 4 Durch Thiersch erfährt das Lebensweltkonzept eine paradigmatische Erweiterung, weil die immanenten Strukturen der Lebenswelt zum Gegenstand der Forschung werden. So bedeutet Lebensweltorientierung in der Pädagogik zunächst – und vorerst allgemein formuliert – zweierlei: im Habermasschen Sinne die von den systemischen Imperativen hervorgerufenen Störungen auffangen und, zweitens, mit dem pädagogischen Blick auf das möglicherweise nicht mehr intakte innere Gefüge der Lebenswelt, durch sozialpädagogische Tätigkeit professionell lebensweltliche Bezüge rekonstruieren (vgl. Thiersch 1992: 26). Der Lebensweltbegriff bzw. die Lebensweltorientierung ist bis heute die zentrale theoretische wie praktische Ausrichtung in der Sozialen Arbeit geblieben. Dabei können neben dem grundsätzlichen Bezugspunkt der Habermasschen Sozialphilosophie weitere, aus verschiedenen wissenschaftlichen Traditionen stammende, Theoriebezüge genannt werden: zum einen wird das Konzept der Lebensweltorientierten Sozialen Arbeit in der Traditionslinie der hermeneutisch-pragmatischen Erziehungswissenschaft verortet. 5 Im Mittelpunkt der Betrachtung stehen in dieser Sichtweise die verstehende Rekonstruktion des Alltagshandelns der KlientInnen und deren je individuelle Interpretation der Welt. Die bereits vorgefundene und vorinterpretierte Lebenswirklichkeit in ihrer historischen, sozialen, und kulturellen Dimension wird dabei respektiert, zugleich jedoch als veränderbar empfunden – entlastet vom unmittelbaren Handlungsdruck wird nach einem höheren Verstehen der aufzuklärenden Alltagspraxis gestrebt. Mit ihrer zweiten wesentlichen Traditionslinie begibt sich die Lebensweltorientierte Soziale Arbeit noch weiter in die Rekonstruktion des Alltags der KlientInnen, indem sie unter Bezug auf das phänomenologisch-interaktionistische Paradigma (vgl. Grunwald/Thiersch 2004a: 18, dort auch Literaturhinweise) alltägliche Mikrostrukturen untersucht. Dabei geht sie davon aus, dass der Alltag strukturiert ist „durch die erlebte Zeit, den erlebten Raum und die erlebten sozialen Bezüge“ (ebd.) der KlientInnen. Die kritische Reformulierung des phänomenologisch-interaktionistischen Paradigmas – und
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Der „Aspekt der Lebensweltorientierung bezieht sich auf die Bewältigungs- und Verarbeitungsformen von Problemen in der Lebenswelt der AdressatInnen, gewissermaßen auf die Spielregeln, in denen Vorgaben, Themen und Strukturen bearbeitet werden, die sich aus der gesellschaftlichen Situation, den biographisch geprägten Lebenserfahrungen und den normativen Ansprüchen ergeben“ (Thiersch 1993: 12). Dazu zählen in der ersten Generation vor allem Dilthey, Nohl und Weniger, in der zweiten Generation Roth und Mollenhauer, die die Erziehungswissenschaft, wie in Kapitel XX dargestellt, sozialwissenschaftlich unterfütterten und zur kritischen Erziehungswissenschaft ausbauten (vgl. Grunwald/Thiersch 2004a: 17). 123
DER UMGANG DER SOZIALEN ARBEIT MIT DIFFERENZ
dies wird als dritter wesentlicher Theoriebezug genannt 6 – weist auf die dialektischen Anteile des Alltags hin. Dieser sei gekennzeichnet durch Routinen, die einerseits Entlastung, Sicherheit und produktives Handeln für das Individuum bedeuteten, andererseits aber auch von Unbeweglichkeit und Borniertheit gekennzeichnet sein könnten. Das Ziel der kritischen Analyse der ambivalenten Routinen besteht darin, „die Ressourcen zu sehen, Borniertheiten zu destruieren und in ihnen auch unentdeckte und verborgene Möglichkeiten aufzuzeigen und auf diese Weise eine Produktivität in den Gegensätzen und Widersprüchen des Alltags, also Möglichkeiten eines ‚gelingenderen Alltags‘ hervorzubringen“ (ebd.). Zum vierten berücksichtigt Lebensweltorientierte Soziale Arbeit aktuelle Analysen gesellschaftlicher Strukturen, denn die Lebenswelt, das hatten wir bereits bei Habermas gesehen, kann als Schnittstelle von Objektivem bzw. Strukturen und Subjektivem bzw. Handlungsmustern gesehen werden. Dabei werden insbesondere alte und neue Formen sozialer Ungleichheit, neue Formen der Anomie und der lebensweltlichen Verunsicherung im Zeichen einer reflexiven Moderne 7 analysiert. Immer geht es dabei darum, den Zusammenhang von gesellschaftlichen Strukturen und individuellen Erfahrungen zu erhellen – wie beispielsweise unter Rückgriff auf Bourdieus Untersuchungen zu materiellen, sozialen oder ideologischen Ressourcen/Kapitale oder unter Verweis auf gesellschaftliche und soziale Bestimmungen von Lebensmustern wie Migrationskulturen oder Geschlechterverhältnisse (Grunwald/Thiersch 2004a: 19). „Im Zusammenspiel dieser vier Zugänge kann das Konzept Lebensweltorientierung in der Sozialen Arbeit verstanden werden als theoretisches Konzept, das seinen Ausgang nimmt in der Verbindung der Tradition der hermeneutisch-pragmatischen Erziehungswissenschaft mit dem interaktionistischen Paradigma, reformuliert im Kontext der kritischen Alltagstheorie und bezogen auf Gesellschaftsanalysen zu Ungleichheiten und Offenheiten in der reflexiven Moderne“ (ebd.)
Dabei gewinnt der letzte Punkt, die Analyse sozialer Ungleichheiten vor dem Hintergrund wohlfahrtsstaatlicher Veränderungen, in verschiedenen neueren Veröffentlichungen vor dem Hintergrund von Globalisierung, der Durchsetzung neoliberaler Wirtschaftsmodelle und dem Rückbau sozialstaatlicher Errungenschaften, wieder deutlich mehr an Gewicht. In kaum einem einschlägigen Werk fehlen, meist grundsätzlich dem eigentlichen Text vorangestellt, quasi als Kompass für die weitere Lektüre, Hinweise darauf, dass die „Sozialpädagogik […] zu Beginn des 21. Jahrhunderts vor einer umfassenden sozial6 7
Als wesentliche Vertreter nennen Grunwald/Thiersch (ebd.) Heller, Kosik und Bourdieu. Vgl. zur „reflexiven Modernisierung“ den nächsten Abschnitt dieser Arbeit.
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DIFFERENZREFLEXION IN DER LEBENSWELTORIENTIERTEN SOZIALEN ARBEIT
politischen Herausforderung (Lenz/Schefold/Schröer 2004: 7) stehe. Dass sie sich heute mit „einem – eigentlich überwunden geglaubten – neuen Ausmaß und einer neuen Qualität sozialer Ungleichheits- und Auschließungsverhältnisse (Anhorn 2005: 11) zu beschäftigen habe und dabei gesellschaftlich und politisch bestimmt werde „durch den Primat ökonomischer Zwänge“ (Thiersch 2002: 5). Diese äußerten sich in der „oftmals argumentlose[n] Durchsetzung von Organisations- und Finanzkonzepten“ (Grunwald/Thiersch 2004a: 7). Lebensweltorientierte Soziale Arbeit arbeitet sich somit gegenwärtig an der „Janusköpfigkeit gesellschaftlicher Teilnahme in der derzeitigen Krise der Arbeitsgesellschaft“ (Böhnisch/Schröer 2001: 95) ab: Pädagogische Einrichtungen werden von der Logik des digitalen Kapitalismus 8 erfasst, der vor dem Hintergrund fortschreitender Rationalisierung und Automatisierung nicht mehr auf feste Orte und die dort lebenden Menschen angewiesen scheint. Die derart von der Erwerbsarbeit freigesetzten Menschen werden in ihrer Arbeitslosigkeit auf eine negative Identität festgeschrieben und müssen doch, wenn sie in der Logik des digitalen Kapitalismus eine Chance zur Teilhabe haben wollen, mit pädagogischer Unterstützung lernen, hinreichend flexibel zu bleiben: „Will der Mensch im Mithalte- und Flexibilisierungskampf bestehen können […], dann hat er mit unterschiedlichen Identitäten zu jonglieren, sich in unterschiedlichen Teilhabeformen zu bewegen. Er darf sich nicht auf eine Identität festlegen, da er sonst für den Wandel zu unflexibel wird. Er braucht die Sicherheit mehrerer Identitäten und sozialer Teilhabeformen, die er aktivieren kann. Der Schlüssel zu diesen Teilhabeformen und Identitäten ist in der Krise der Arbeitsgesellschaft umso mehr die Erwerbsarbeit geworden“ (Böhnisch/Schröer 2001: 94f.).
Nötig scheint vor diesem Hintergrund eine sozialpolitische Reflexivität einerseits und eine Beschäftigung mit den Folgen des gesellschaftlich-ökono mischen Wandels für das Individuum andererseits. Denn die Fragen nach der Handlungsfähigkeit und der Lebensbewältigung haben sich in der Individualisierten Gesellschaft in die Biografien der Individuen hineinverlagert (vgl. Böhnisch/Schröer 2001: 97).
Eine weitere aktuelle Bezugstheorie sozialpädagogischen Handelns: Reflexive Modernisierung Das für die Sozialpädagogik so bedeutsame Individualisierungstheorem ist vor allem im Kontext der Theorie reflexiver Modernisierung in den Diskurs einge-
8
Vgl. die viel zitierte Studie von Boltanski/Chiapello zum “Neuen Geist des Kapitalismus“ (Boltanski/Chiapello 2003). 125
DER UMGANG DER SOZIALEN ARBEIT MIT DIFFERENZ
führt worden. Die Theorie reflexiver Modernisierung wurde in Deutschland vor allem von dem Münchener Soziologen Ulrich Beck (vgl. Beck 1986, Beck 1993, Beck/Giddens/Lash 1996) in Abgrenzung zu den Grundannahmen einfacher Modernisierungssoziologie formuliert und wird auch im Kontext Lebensweltorientierter Sozialpädagogik als grundlegende Gegenwartsdiagnose anerkannt und fruchtbar gemacht. Kennzeichen der einfachen, industriellen Moderne waren laut Beck zum einen die in sozialen Klassen organisierten und soziologisch abbildbaren Lebenslagen und Lebensverläufe. Ein zweites Kennzeichen dieser von Beck so bezeichneten ersten Moderne war die Auflösung der traditionalen Ordnung. An die Stelle der Stände und Feudalordnung trat die Ordnung der Industriegesellschaft, die durch „funktionale Differenzierung von Subsystemen“ (vgl. Beck/Giddens/Lash 1996: 40f.) gekennzeichnet ist. Schließlich machen diese voneinander abgespaltenen Teilsysteme einen Rationalisierungsprozess durch, der die Steigerung und Entfaltung der spezifischen Eigenheiten der Systeme zur Folge hat: „Die westliche Moderne wird sich selbst zum Thema und zum Problem; ihre Basisprinzipien, Grundunterscheidungen und Schlüsselinstitutionen lösen sich im Zuge radikalisierter Modernisierung von innen her auf; das Projekt der Moderne muss neu verhandelt, revidiert, restrukturiert werden“ (Beck/Bonß/Lau 2001: 11). Die Kategorien der ersten Moderne implizierten zwar bereits die Möglichkeit gesellschaftlichen und sozialen Wandels, die leitenden Ideen und Koordinaten blieben aber relativ stabil. Die weiter voranschreitende funktionale Differenzierung der industriellen Moderne erzeugte zahlreiche Probleme, die zunächst durch weitere Spezialisierung der Subsysteme gelöst wurden. Durch die immer stärker expandierenden Nebenwirkungen und Risiken wird dieses Modell einfacher Modernisierung zunehmend fragwürdig – der Prozess reflexiver Modernisierung wird, so die These, den Weg in eine andere, zweite Moderne eröffnen. Diese zweite, reflexive Moderne ist gekennzeichnet von einer Öffnung der vormals nationalstaatlich organisierten Bereiche der Industrie, Politik und Kultur im Angesicht der Globalisierungsprozesse und durch die Veränderung ständisch eingefärbter, kollektiver Lebensmuster vor dem Hintergrund weitreichender Individualisierungsprozesse, die dadurch ihre sozial prägende Bedeutung zunehmend einbüßen. Geschlechterverhältnisse und familiale Konstellationen verändern sich in der reflexiven Moderne ebenso wie der Arbeitsmarkt. Die chronische hohe Arbeitslosigkeit großer Bevölkerungsanteile zeigt die Krise der Vollbeschäftigungsgesellschaft. Ökologische Krisen stellen die bisherige Wirtschaftsweise der großen Industrienationen in Frage und fordern zum Umdenken im Umgang mit der Natur heraus (vgl. Beck/Bonß/Lau 2001: 23). Das Thema „Individualisierung“ (vgl. Beck 1986, Beck/Beck-Gernsheim 1994) stellt einen wesentlichen Bereich der Theorie reflexiver Modernisierung dar und ist in den 1980er und 1990er Jahren zu einem der zentralen Themen in 126
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der sozialwissenschaftlichen Diskussion der Bundesrepublik avanciert. Obwohl Individualisierung als gesellschaftlicher Prozess und als analytische Kategorie kein neues Phänomen darstellt, vielmehr als „Grundsachverhalt der Moderne“ (Ebers 1995: 17) anzusehen ist, ist in der sozialpädagogischen Theoriebildung seit dem Erscheinen der Beckschen „Risikogesellschaft“ (vgl. Beck 1986) eine verstärkte Beschäftigung mit den pädagogischen Implikationen des Begriffs zu verzeichnen. 9 Das Individualisierungstheorem ist für die Sozialpädagogik u.a. deshalb von herausragendem Interesse, weil es zweierlei verbindet: Es steht an der Verbindungslinie zwischen den das Erziehungsfeld strukturierenden gesellschaftlichen Strukturen und der persönlichen Verarbeitung, Sichtweise oder Kompetenz des Subjekts und vermag so, sozialstrukturelle und subjektive Betrachtungsweise zu verbinden. Individualisierung meint nach Beck dreierlei: Die Herauslösung aus traditionellen sozialen Bindungen, der Verlust von traditionalen Sicherheiten und schließlich eine neue Art von sozialer Einbindung (vgl. Beck 1986: 206). 10 Die pädagogischen Implikationen liegen auf der Hand. Nachdem das emanzipatorische Paradigma seinen Fokus im Wesentlichen auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen des Erziehungsfeldes ausgerichtet hatte, scheint das Individualisierungstheorem schlüssig Antworten auf die Fragen, die aus der fortgesetzten Ausdifferenzierung sämtlicher Lebens- und Arbeitsbereiche der Menschen erwachsen, zu geben. Die Folgen der Individualisierung für das Individuum sind ambivalent. Einerseits verheißt die Emanzipation von traditionalen Zwängen mehr Freiheit, mehr Gestaltungsspielraum, mehr „Handlungsspielräume“ (vgl. Weymann 1989) für das Individuum, andererseits bietet das Leben in der individualisierten Gesellschaft immer weniger Sicherheiten, z.B. im Hinblick auf soziale Bindungen oder normative Orientierungen. So wird das Individuum zur Autonomie geradezu gezwungen und muss sich fortan „selbst als Handlungszentrum, als Planungsbüro in Bezug auf seinen eigenen Lebenslauf, seine Fähigkeiten, Orientierungen, Partnerschaften usw. [...] begreifen (Beck 1986: 217). Mit der oben beschriebenen Tendenz der Individualisierung geht potentiell eine Pluralisierung der Lebenswelten einher. Wesentliche Grundbedingungen der Gesellschaft, z.B. die Konstitution des Arbeitsmarktes (vgl. Offe 1984, Willke 1998), das Geschlechterverhältnis der Moderne (vgl. Beck/Beck-Gerns heim 1990, Geissler/Oechsle 2000, Weber/Schaeffer-Hegel 2000) oder die Vorstellung von klassischen Familienformen (vgl. Peukert 1991) haben sich 9
Die Wirkungskraft des Individualisierungstheorems für die Sozialpädagogik lässt sich auch an der Tatsache ablesen, dass bereits der achte Jugendbericht der Bundesregierung aus dem Jahr 1990 explizit die Individualisierung als konstitutiv für das Verständnis jugendlicher Entwicklungsmodi aufgreift. 10 Beck nennt diese Dimensionen Freisetzungs-, Entzauberungs-, und Kontrolldimension (Reintegrationsdimension), vgl. Beck 1986: 206. 127
DER UMGANG DER SOZIALEN ARBEIT MIT DIFFERENZ
verändert und begünstigen bzw. erzwingen in institutionalisierter Form Individualisierung – mit gravierenden Folgen für die Lebensführung der Individuen. Diese finden sich, „zur Freiheit verurteilt“ (Hitzler/Honer 1994: 307), in der Situation wieder, mit einer Vielzahl von widersprüchlichen Beziehungen, Orientierungen und Einstellungen, vielfältigen Situationen, Begegnungen und Teilkulturen konfrontiert zu sein und diese Situationen auch bewältigen zu müssen. In dieser unübersichtlichen lebensweltlichen Situation müssen Entscheidungen gefällt werden, die in die Unübersichtlichkeit eine individuell sinnvolle Schneise der Lebensführung schlagen. Das Individuum muss sich immer wieder zwischen konkurrierenden Sinnsystemen mit je eigenen Relevanzen, Regeln und Routinen entscheiden und diese heterogenen Orientierungen zu einem spezifischen Lebensstil zusammenbasteln (vgl. ebd.: 308f.). Die Normalbiografie ist zur Bastelbiografie geworden und eröffnet so potentiell die Möglichkeit, und den Zwang, vielfältige Lebensweisen (vgl. Hartmann 2002) zu realisieren. Schon im achten Jugendbericht der Bundesregierung von 1990 wird das Individualisierungstheorem quasi zur regierungsamtlichen Sichtweise: „Aufgrund der zeitlichen Ausdehnung der Jugendphase, aber auch aufgrund vieler heterogener Verhaltensweisen Jugendlicher heute erscheint es sinnvoll, Jugend nicht mehr als eine Übergangsphase von der Kindheit in das Erwachsenenalter zu sehen; vielmehr ist davon auszugehen, daß Jugendliche und junge Erwachsene für diese Lebensphase typische Verhaltensweisen zeigen, die nicht nur als Vorbereitung auf das Erwachsenenleben interpretiert werden können. Jugendliche haben heute eigene Gesellungsformen herausgebildet und dafür vielfältige kulturelle Ausdrucksformen entwickelt“ (Achter Jugendbericht 1990: 53, zit. n. Böhnisch 1993: 161).
Für das Thema der Differenzbearbeitung in der Sozialpädagogik ergibt sich mit dem Individualisierungstheorem eine bedeutende Perspektivenerweiterung: indem mit dem Prozess der Individualisierung neben den sozialstrukturellen Bedingungen des Lebens auch die persönliche Verarbeitung, Sichtweise oder Kompetenz des Subjekts in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gelangt, wird die im Kontext des emanzipativen Paradigmas überwiegend bemühte Ebene der kollektiven Identitäten und die politische Stoßrichtung verlassen. Es wird damit möglich, die Vielfalt menschlicher Lebensweisen nicht nur potentiell wahrzunehmen, sondern ganz explizit zum Ausgangspunkt pädagogischer Theorie und Praxis zu machen. Für die Sozialpädagogik hat insbesondere Lothar Böhnisch das Individualisierungstheorem mit seinem Konzept der Lebensbewältigung fruchtbar zu machen versucht: „Im begrifflichen Konstrukt Lebensbewältigung […] kann damit der gesellschaftliche Ort aufgeschlossen werden, an dem psychosoziale Probleme für den modernen Menschen entstehen und darauf ausgerichtetes sozialpädagogisches Handeln (Hilfe 128
DIFFERENZREFLEXION IN DER LEBENSWELTORIENTIERTEN SOZIALEN ARBEIT
zur Lebensbewältigung) angesiedelt ist. Zum anderen können mit dem – nun subjektbezogenen – Bewältigungskonzept auch die Betroffenheiten und Befindlichkeiten der KlientInnen erkannt und ihr darauf bezogenes Verhalten (Bewältigungsverhalten) verstanden werden“ (Böhnisch 2001: 1119).
In den neueren Veröffentlichungen zur Theorie reflexiver Modernisierung (vgl. insbesondere Beck 2004, Beck/Lau 2004, Beck/Lau 2005) gewinnt der auch für die Soziale Arbeit relevante Begriff der Entgrenzung zunehmend an Bedeutung. Mit Entgrenzung wird dabei die Beobachtung beschrieben, wonach in der gegenwärtigen, von Beck so genannten zweiten Moderne, die aus der ersten Moderne bekannten dualen Basisunterscheidungen und Grundinstitutionen – „Erwerbsgesellschaft, Nationalstaat, Kleinfamilie, geschlechtspezifische Arbeitsteilung, fordistische Produktion, wissenschaftliche Kontrollrationalität“ (Beck/Bonß/Lau 2004: 22) – erodieren. Dabei lösen sie sich die Grenzen und Dualismen nicht einfach auf, sondern bestehen in veränderter Form fort und fordern damit das Individuum zu neuen Entscheidungen heraus: „Je mehr Entgrenzung, desto mehr Entscheidungszwänge, desto mehr provisorisch-moralische Grenzkonstruktionen, das heißt Grenzpolitik“ (Beck/Bonß/ Lau 2004: 15). Das Individuum gerät dabei in die oftmals als prekär bezeichnete Situation, als Planungsbüro seiner selbst fungieren zu dürfen – und zu müssen – und die nicht mehr allgemein und eindeutig vorgegebenen Rahmenbedingungen des Lebens für die eigene Biografie individuell herzustellen. Für die Soziale Arbeit ergibt sich, folgt man dieser Perspektive der Entgrenzung, die Notwendigkeit, die Frage nach der Lebensbewältigung noch einmal zuzuspitzen. War das bisherige Konzept der Lebensbewältigung in Bezug auf psychosoziale Problemlagen konzipiert – „Lebensschwierigkeiten und kritische Lebensereignisse […] sind für die Menschen zuvörderst Anlässe, ihre Handlungsfähigkeit herzustellen“ (Böhnisch 1997: 27) – wird die Frage der Lebensbewältigung unter den Vorzeichen der Entgrenzung zu einem alltäglichen Problem für potentiell jedes Individuum. „Lebensbewältigung lässt sich damit längst nicht mehr auf kritische Lebensereignisse im Lebenslauf eingrenzen. Lebensbewältigung heute ist nicht nur ein Krisenmanagement, sondern eine permanente Anforderung und Zumutung an die Subjekte im digitalen Kapitalismus […]“ (Lenz/Schefold/Schröer 2004: 12). Die Tatsache der Entgrenzung betrifft dabei u.a. genau jene Differenzen, die bisher auch im Kontext dieser Arbeit verhandelt wurden: die Differenz der Generationen (vgl. Schröer 2004 und Böhnisch/Schröer/Thiersch 2005: 134-155), die Differenz der Geschlechter (vgl. Lenz 2004 und Böhnisch/Schröer/Thiersch 2005: 165-174) oder die Frage der Integration in das Wirtschaftssystem (Böhnisch/Schröer/Thiersch 2005: 174-182). Das Phänomen der Entgrenzung betrifft aber darüber hinaus auch weitere für pädagogische Handlungsfelder relevante Differenzen – wie
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DER UMGANG DER SOZIALEN ARBEIT MIT DIFFERENZ
kulturelle Differenzen 11 oder die Entgrenzung von (psychischer) Krankheit und Gesundheit.
Zusammenfassung: Differenzreflexion im Kontext der Lebensweltorientierten Sozialen Arbeit Die Lebensweltorientierung ist seit dem Ende der 1970erJahre zum wesentlichen Paradigma in der Sozialen Arbeit geworden. Nach der stark politisch ausgerichteten Phase der kritisch-emanzipativen Pädagogik nahm die lebensweltorientierte Soziale Arbeit die Kritik an der stark normierenden und stigmatisierenden Ausrichtung der Sozialen Arbeit vor 1968 auf und wollte sich stärker an der Subjektivität der Adressaten orientieren. Dies ist jedoch – so die These – nur bedingt gelungen. In der nun folgenden Zusammenfassung soll gezeigt werden, dass unter der Überschrift der Lebensweltorientierung in der Sozialen Arbeit überwiegend die objektiven Lebenslagen der Adressaten und die politischen Bedingungen der Sozialen Arbeit reflektiert werden. Damit geht einher, dass die ursprüngliche Intention der Lebensweltorientierung, die Orientierung an der Subjektivität der Adressaten, potentiell vernachlässigt wird. Auch wenn der Begriff der Individualisierung von der Sozialpädagogik produktiv aufgenommen wurde, hat dies nicht hinreichend zu einer Betrachtung der Verschiedenheit und Vielfalt der Lebenswelten der Adressaten und zu einer differenzsensiblen Grundhaltung geführt. Vielmehr wurde in Folge der Rezeption der Marxschen Theorie und der Kritischen Theorie vor allen Dingen die soziale Ungleichheit, die Differenz von oben und unten und damit die politische Strategie der Umverteilung thematisiert. Die Subjektivität wird demgegenüber vor allem in anderen Bereichen der Pädagogik, wie in der feministischen Pädagogik oder der Interkulturellen Arbeit, thematisiert. In der konstitutiven Ambivalenz von Hilfe und Kontrolle reicht die Spannbreite der Bewertung seit den 1970er Jahren von der Angst vor einer universellen Entmündigung über die Auflösung der Normalität bis hin zu einer Entdramatisierung der Ambivalenz.
Soziale Arbeit und der Blick auf die Gesellschaft IV: Individualisierung, Entgrenzung und die Betonung der sozialen Ungleichheit im digitalen Kapitalismus Zu Beginn der Alltagswende in der Sozialpädagogik war die Analyse der gegenwärtigen Gesellschaft geprägt von dem Habermasschen Dualismus von 11 Beck selbst untersucht dies ansatzweise, wenn er den Dualismus national/international thematisiert, vgl. Beck/Bonß/Lau 2004: 13ff. 130
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System und Lebenswelt. Die Lebenswelt als normativer Hintergrund von Routinen, Rollen, soziokulturell eingeübten Lebensformen und sprachlichen Konventionen erscheint dabei aus der Sicht kollektiver Identitäten zunächst als relativ homogenes Gebilde, das aus der Sicht der jeweiligen Akteuren nicht hinterfragt wird. Die Lebenswelt befindet sich in dieser Sichtweise als intuitives Wissen gleichsam im Rücken der Individuen. Gefahr drohte der Lebenswelt vor allen Dingen von Seiten der Systeme. Diese kolonialisieren die Lebenswelt, indem sie ihr die systemeigenen Handlungslogiken aufzwingen. Hans Thiersch erweiterte das Habermasche Konzept um eine spezifisch pädagogische Dimension und thematisierte die immanenten Strukturen der Lebenswelt. Die Habermassche Konstruktion von Gesellschaft als System(e) und Lebenswelt(en) und die Gegenwartsdiagnose von der Kolonialisierung der Lebenswelt wird verschiedentlich kritisiert. Denn einerseits versteht Habermas die Lebenswelt – also ausschließlich die Familien, Nachbarschaften und freien Assoziationen (vgl. Habermas 1981: 387, zit.n. Bommes/Scheer 2000: 55) – als unhintergehbare Grundlage für die Reproduktion des Sozialen und spricht damit den Subsystemen Markt und Staat jede Relevanz für diese Funktion der Reproduktion des Sozialen ab. Andererseits aber seien die Individuen auf die Teilnahme an den Subsystemen insofern angewiesen, als sie hier kulturelles Wissen, Fertigkeiten und normative Erwartungen erwerben: „Die Durchdringung der Lebenswelt mit systemischen Imperativen scheint damit aber geradezu unvermeidbar, sofern die Individuen sich selbstverständlich den Anforderungen des Rechts, der Politik oder der Einnahme von Mitgliedschaftsrollen stellen und lebensweltlich in Bezug darauf Wissen, Fertigkeiten und normative Erwartungen ausbilden müssen. Die Metapher der Kolonialisierung verdeckt hier erhebliche Unklarheiten“ (Bommes/Scheer 2000: 56)
Legt man die Frage nach dem Umgang mit Differenz und Gleichheit zugrunde, erscheint die Aufteilung der Gesellschaft in System(e) und Lebenswelt(en) noch aus einem anderen Grunde unzureichend. Die Lebenswelt in der Habermasschen Vorstellung konnte in Anlehnung an Reckwitz gekennzeichnet werden als pluralistisches Homogenitätsmodell (vgl. den Abschnitt „Die Kritische Theorie als theoretischer Hintergrund der sozialpädagogischen Differenzreflexion“): es wird zwar potentiell eine Vielzahl von Lebenswelten innerhalb der Gesellschaft angenommen, das Innenleben der Lebenswelten wird aber insofern weitgehend homogen konstruiert, als die Gesellschaftsmitglieder darauf selbstverständlich zurückgreifen können und dort einen gemeinsamen Vorrat an Werten vorfinden. Die Theorie- und Praxisfelder der Sozialen Arbeit sind dementsprechend entlang der bekannten Differenzen und kollektiven Identitäten (Soziale Arbeit für Jungen, Mädchen, Migranten, psychisch Kranke etc.), für die eine relativ gemeinsame Lebenswelt angenommen wird, ausbuchsta131
DER UMGANG DER SOZIALEN ARBEIT MIT DIFFERENZ
biert worden. Die Sichtweise der relativen Homogenität der Lebenswelten wurde schon durch das in der Sozialpädagogik weithin rezipierte Individualisierungstheorem brüchig, denn dieses postulierte gerade eine bedeutende Veränderung für die Lebenswelten. Gerade jene Instanzen, die für die Reproduktion des Sozialen verantwortlich waren, also Familien, feste soziale Strukturen in Nachbarschaften oder gemeinsame traditionelle Handlungsbestände konnten nicht mehr als selbstverständlich vorausgesetzt werden. Das heißt natürlich nicht, dass sich bisherige Formen der sozialen Bindung einfach auflösten, aber für die Soziale Arbeit heißt das, dass sie zunehmend von einer sozialen Pluralität ausgehen muss, die die bisherige Vorstellung von Lebenswelt in Frage stellt. Während das Theorem der Individualisierung als Beispiel gelten kann für Entstrukturierungsprozesse, mit denen sich Soziale Arbeit auseinander setzen muss – eben indem sie von einer Pluralisierung sozialer Konfigurationen ausgeht – geht das Theorem der Entgrenzung noch darüber hinaus. Denn mit der Entgrenzung werden zunehmend die Basisunterscheidungen der ersten Moderne brüchig, nach denen auch das Feld der Sozialen Arbeit bisher strukturiert war: Jugend bedeutet nicht mehr, sich in einem relativ geschützten sozialen Entwicklungsraum zu befinden und vor dem Hintergrund eines „psychosozialen Moratoriums“ (vgl. Erikson 1973) relativ risikobefreit experimentieren zu können. Vielmehr geraten Jugendliche bereits früh in eine Generationenkonkurrenz, auf die sie zu wenig vorbereitet sind, deren Belastungen sie nicht überblicken und mit der sie häufig unbefangen umgehen (vgl. Böhnisch/ Schröer/Thiersch 2005: 147). Männlichkeit bedeutet schon länger nicht mehr „Normalarbeitsverhältnis“ und relative „Befreiung von der familiären Reproduktionsarbeit“ (vgl. zur Entgrenzung der Männlichkeit Böhnisch 2004: 41ff.) genauso wenig wie mit Weiblichkeit die „Hausfrauenehe“ oder die „berufsfreie Biografie“ verbunden ist (vgl. Lenz 2004). 12 Das Phänomen der Entgrenzung sorgt gegenwärtig für eine neue Suchhaltung in der Sozialen Arbeit. Die wesentliche Frage dabei ist, wie sich im digitalen Kapitalismus die Gesellschaft und damit die Lebenswelten der Klienten verändern und welche Aufgabe die Soziale Arbeit vor diesem Hintergrund übernehmen kann und soll. Die Klammer, die die Lebensweltorientierte Soziale Arbeit bei all den eben genannten Veränderungen zusammenhält, ist die Konzentration auf die ungleichen Lebensbedingungen der Klienten im digitalen Kapitalismus. Im Mittelpunkt der Reflexionen stehen vorrangig soziale Differenzen, die sich nach der Logik des Oben und Unten, den vertikalen Ungleichheiten, richten: Es sind die 12 Es sei noch einmal darauf hingewiesen, dass sowohl das männliche Normalarbeitsverhältnis als auch die weibliche Hausfrauenehe und berufsfreie Biografie in früheren Jahrzehnten nicht unbedingt der Normalfall im empirischen Sinne dargestellt hat. Die Konstrukte entwickelten aber als hegemoniale Konzepte eine enorme normativ strukturierende Wirkkraft. 132
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prekären Lebenssituationen aufgrund von mangelnder finanzieller Ausstattung, niedrigen Bildungsabschlüssen oder ungesunden Lebens- und Arbeitsbedingungen (vgl. Hradil 2001: 30ff.), die mit der lebensweltorientierten Perspektive vorrangig wahrgenommen werden. Dieser Blickwinkel manifestiert sich in den einzelnen Handlungsfeldern: Lebensweltorientierung wird dann in Bezug auf die klassischen sozialpädagogischen Klientengruppen beispielsweise ausbuchstabiert als Lebensweltorientierte Jugendsozialarbeit für die so bezeichneten sozial benachteiligten Jugendlichen und jungen Erwachsenen (vgl. Galuske 2004), als Lebensweltorientierte Soziale Arbeit in Familien (vgl. Woog 2004), die soziale Ressourcen nicht mehr aktivieren können, als Lebensweltorientiertes sozialpsychiatrisches Handeln (vgl. Obert 2004) oder als Lebensweltorientierung in den Hilfen zur Erziehung in stationären Einrichtungen (vgl. Freigang 2004) oder in der Drogentherapie (vgl. Reinl [u.a.] 2004). Mit dieser Konzentration auf die vertikalen Ungleichheiten wird eine Tradition fortgeführt, deren Anfänge oben im Zusammenhang mit der Renaissance der Marxschen Theorie und ihrer Weiterentwicklung in der Kritischen Theorie zum Ende der 1960er Jahre beschrieben wurden. Die Lebensweltorientierte Soziale Arbeit favorisiert somit jenen Blickwinkel auf die Differenz, der die „Ordnung der modernen Gesellschaft umfassend und hinreichend als eine Ordnung sozialer Ungleichheit“ (Bommes/Scherr 2000: 84) analysiert. Dieser Blickwinkel kann ohne Zweifel, gerade vor dem Hintergrund der aktuellen neoliberalen Wirtschaftspolitik, einige Plausibilität für sich beanspruchen. Nicht von Ungefähr geraten die Themen der Sozialen Ausschließung und die Reflexion der sozialpolitischen Situation wieder verstärkt in den Fokus sozialpädagogischer Diskurse (vgl. Störch 2005, Anhorn/Bettinger 2005). Gefragt werden muss jedoch, ob dieser Blickwinkel mit dem Fokus auf die Soziale Ungleichheit die Konstitution der gegenwärtigen Gesellschaft in der zweiten Moderne angemessen beschreibt und ob dieser Fokus hinreichend geeignet ist für die Beschreibung der Aufgaben der Sozialen Arbeit als Vermittlung zwischen Gesellschaft und Individuum (vgl. für das folgende Scherr 2005: 88ff.). Denn indem in dieser Sichtweise vom Maßstab der Gleichheit und Gerechtigkeit ausgegangen wird, werden vor allem sozioökonomische, rechtliche und politische Ungleichheiten als Ungerechtigkeit kritisiert. Es werden also jene Menschen in den Blick genommen, die von Ungleichheit wegen ihrer Stellung in Produktionsprozessen (Klassenlage), wegen ihrer Berufsposition oder mangelndem beruflichen Prestige, wegen ihrem formellen Bildungsniveau oder ihres erzielten Einkommens betroffen sind. Andere spezifische Benachteiligungen werden hingegen dem Bereich der Minderheiten oder Randgruppen zugeordnet und damit tendenziell vernachlässigt. Diese Sichtweise, dass die zentralen Ungleichheiten in der Gesellschaft in der ökonomischen Konstitution der Gesellschaft wurzeln, wird jedoch in den letzten Jahren zunehmend von einer Perspektivenerweiterung flankiert. So wurde u.a. vor dem Hintergrund feministi133
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scher Kritik, im Zusammenhang mit Foucaults Studien zum Ausschluss des Wahnsinns und der Kriminalität, im Kontext von Diskussionen um Migranten, die ohne gesicherten Aufenthaltsstatus keinen Rechtszugang haben oder in Studien zur strukturellen Massenarbeitslosigkeit gezeigt, dass die bisherige Ungleichheitsforschung sich überwiegend an einer Gesellschaft orientiert hat, die in sich abgeschlossen, intern homogen und wesentlich ökonomisch strukturiert war. Vernachlässigt werden in dieser Perspektive Regulierungen und Diskriminierungen, „die von rechtlich kodifizierten politischen Partizipationsbegrenzungen und teilsystemischen Inklusionsvoraussetzungen über gruppenbezogene Diskriminierungen und formelle Teilnahmebegrenzungen in Organisationen bis hin zu Kommunikationsverweigerungen in informellen Netzwerken reichen, die aber auch sozialräumliche Segregationen und Formen der Einschließung in totale Institutionen umfassen“ (Scherr 2005: 91).
Diese Kritik am bisherigen Gesellschafts- und Ungleichheitsverständnis deutet bereits an, dass sich eine der gesellschaftlichen Komplexität angemessene Vorstellung von Ungleichheitsverhältnissen nicht an einer einzigen, der kapitalistischen, Ordnung orientieren kann. Vielmehr müssen verschiedene Diskurse, Ideologien, organisatorische Strukturbildungen, Konstruktionsprozesse kollektiver Identitäten und weitere Merkmale in den Blick genommen werden, um die Gesellschaft und die ihr immanenten Anlässe für das aktiv-werden sozialer Arbeit zu analysieren.
Soziale Arbeit und der Blick auf das Individuum IV: Die Vernachlässigung des Subjektiven Das Individuum – das revolutionäre Subjekt – war in der kritisch-eman zipativen Pädagogik zum Hoffnungsträger für emanzipative Erziehung und letztlich gesellschaftliche Emanzipation geworden (vgl. den Abschnitt „Soziale Arbeit und der Blick auf das Individuum III“). Gleichzeitig wurde die Beziehung von PädagogInnen und KlientInnen durch die Bearbeitung eines gleichsam außerhalb der pädagogischen Beziehung liegenden Objektes, z.B. dem Kampf um jugendliche Freiräume und Rechte, strukturiert (vgl. B. Müller 2002: 237). In Abgrenzung zu dieser zwar emanzipativ gemeinten, aber tendenziell instrumentalisierenden pädagogischen Haltung, betont die Lebensweltorientierte Soziale Arbeit das Eigenrecht des Klienten. „Dieses bis heute in der Disziplin weithin geteilte bewältigungs- und lebensweltorientierte Professionsverständnis sucht bei allen vorgegebenen gesellschaftlichen und institutionellen Rahmenbedingungen zunächst das Subjekt in seinen Verhältnissen zu respektieren“ (so Böhnisch/Schröer/Thiersch 2005: 122). Lebensweltorientierte Soziale Arbeit soll sich konsequent an den spezifischen Selbstdeutungen 134
DIFFERENZREFLEXION IN DER LEBENSWELTORIENTIERTEN SOZIALEN ARBEIT
und Handlungsmustern der Adressaten orientieren, ohne dabei jedoch den spezifisch sozialpädagogischen Blick zu vernachlässigen, der immer auch den gesellschaftlichen Hintergrund dieser Selbstdeutungen und Handlungsmuster mitreflektiert (vgl. Thiersch/Grunwald 2002: 129). Als Grundhaltung für die pädagogische Arbeit spielen der Respekt vor der Eigenständigkeit der Adressaten und die Anerkennung der Unterschiedlichkeit lebensweltlicher Erfahrungen eine Rolle. Dieser Respekt, so Thiersch und Grunwald „muss durchgesetzt werden gegenüber den Traditionen der Sozialen Arbeit, die im Namen und Auftrag allgemeiner Normen Anpassung, Sozialdisziplinierung und Stigmatisierung praktizieren“ (Grunwald/Thiersch 2004: 24). Darüber hinaus gelte es, die Vielfalt lebensweltlicher Erfahrungen anzuerkennen und das eventuell Fremde auch als fremdes stehen lassen zu können (vgl. ebd.). Für eine tiefer gehende Auseinandersetzung mit der Lebenswelt der Adressaten spielen, so Thiersch (vgl. Thiersch 2002: 167ff.), Erkenntnisse aus der Biografieforschung eine bedeutende Rolle. In autobiografischen Materialien artikulierten sich Erfahrungen, Deutungsmuster und Handlungskonzepte der AdressatInnen, die wesentlich bei der weiteren pädagogischen Planung einbezogen werden müssten. Allerdings fällt bei dieser Sichtweise auf das Individuum auf, dass zwar das subjektive Eigenrecht der KlientInnen berücksichtigt werden soll, dass aber gleichzeitig wenig kaum hinterfragt wird, wie der eigene Blick auf die KlientInnen strukturiert ist. Auf diese Problematik macht Thiersch selbst aufmerksam, wenn er konstatiert, dass „alte Klassifikationsmuster – in der Sicht der Familien, in geschlechtsspezifischen Kategorien, in Gleichgültigkeiten gegenüber ethnisch anderen Kulturen, in Arbeits- und Lebensmoral – […] das praktizierte Verständnis von Lebensproblemen und Biografien [prägen]“ (Thiersch 2002: 169). Zwar wird immer wieder die Subjektorientierung der lebensweltorientierten Sozialen Arbeit betont – verkürzende Schemata des Erkennens und Disziplinierungsmuster bleiben aber, so Thiersch, mitbestimmend (vgl. ebd.). In Bezug auf das Thema der Identitätsbildung wird u.a. auf G.H. Meads Rollenmodell des Symbolischen Interaktionismus rekurriert (vgl. Böhnisch 1996: 67-88). Ohne die grundsätzliche Relevanz dieses Ansatzes auch für die gegenwärtige Soziale Arbeit bestreiten zu wollen, sind doch wesentliche Erweiterungen der Vorstellung von Identitätsbildung nötig, um der Vielfalt heutiger Identitäten gerecht zu werden. Dies kann anhand eines Beispiels aus dem Symbolischen Interaktionismus verdeutlicht werden: das Grundprinzip der Identitätsbildung basiert nach Mead auf der Kommunikation. Kommunikation impliziert, dass der Andere in der eigenen Identität auftritt, was eine Anteilnahme am Anderen nötig macht. Das hier sehr stark verkürzt beschriebene Prinzip der Internalisierung des verallgemeinerten Anderen ist nach Böhnisch der Kern der Meadschen Argumentation. Es hat zur Voraussetzung, „dass man mit anderen gleiche, d.h. untereinander verständliche Symbole teilt. Wir hören 135
DER UMGANG DER SOZIALEN ARBEIT MIT DIFFERENZ
uns selbst sprechen und sind uns sicher, dass der/die andere(n) das Gesagte versteht, also ihm den gleichen Bedeutungsgehalt zumisst wie wir“ (Böhnisch 1996: 70). Was für die Identitätsbildung bei Kindern oder in homogenen Gruppen zutrifft, kann allerdings auf die heutige heterogene Gesellschaft und auf die Beziehung von Sozialarbeiter und Klient nicht einfach übertragen werden. Die wesentliche Voraussetzung, dass Sozialarbeiter und Klient über die gleichen Symbole verfügen bzw. ihnen die gleiche Bedeutung zusprechen ist sicher nur im Idealfall gegeben. Dabei braucht man noch nicht einmal den relativ offensichtlichen Fall annehmen, dass Sozialarbeiter und Klient eben nicht eine gemeinsame Sprache sprechen. 13 Auch die Verständigung über Befindlichkeiten im Zusammenhang mit psychischen Krankheiten oder Jugendkulturen kann wegen eines Mangels an gemeinsamen Symbolen oder Ausdrucksweisen scheitern. Im Symbolischen Interaktionismus wird das Scheitern einer Kommunikation mit einem Defizit an Empathie, Frustrationstoleranz oder Ambiguitätstoleranz der Individuen erklärt, jenen Kompetenzen also, die bereits im Kontext der kritisch-emanzipativen Pädagogik als Bedingung für eine emanzipierte Persönlichkeit angesehen wurden. In Zeiten allerdings, in denen sich in der Sozialen Arbeit Tätige immer häufiger vor die Herausforderung gestellt sehen, mit Angehörigen anderer Traditionen, Rechtssysteme, Sprachen und kollektiven Sinnsystemen interagieren zu müssen stellt sich die Frage, ob die im Symbolischen Interaktionismus Vorstellung von Identitätsbildung der heutigen gesellschaftlichen Realität hinreichend angemessen ist. Es liegen in der Literatur durchaus detaillierte Arbeiten vor, die sich mit den Fragen von Subjektivität und Identität in der reflexiven Moderne beschäftigen (vgl. etwa Keupp/Höfer 1997, Keupp 2002). Geradezu selbstverständlich finden sich allerorten inzwischen arrivierte Begriffe wie „Bastelbiografie“ (Gross 1985), „Patchworkidentität“ (vgl. Keupp 2002) oder „Bastelexistenz“ (vgl. Hitzler/ Honer 1994). Alle drei verweisen auf den Konstruktionscharakter von Identitäten in der gegenwärtigen, pluralisierten Gesellschaft. Subjekte wachsen nicht mehr in ihnen vorgegebene feste Sets von Rollen hinein, sondern werden, analog zu der Beckschen Forderung, das Individuum müsse zum „Planungsbüro in Bezug auf seinen eigenen Lebenslauf“ (Beck 1986: 216) werden, nun ihrerseits zu „Baumeistern des Sozialen“ (Keupp 1994: 342ff.). Hier werden statische Vorstellungen von Identität verabschiedet und demgegenüber die „zunehmende Mobilität, Pluralität, Ambiguität, Offenheit und Fragmentierung gesellschaftlicher Organisationen“ (Keupp 2002: 62) betont, die sich auch in den Identitäten niederschlägt.
13 Weil es sich beim Klienten beispielsweise um einen nicht deutsch sprechenden Migranten handelt (F.L.) 136
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Alle drei hier genannten Dimensionen des Blicks auf das Individuum – die Relevanz autobiografischer Materialien, die Entwicklung der Identität in der Sicht des Symbolischen Interaktionismus und schließlich die Vorstellungen einer Patchworkidentität in der reflexiven Moderne – stellen Versuche der Lebensweltorientierten Sozialpädagogik dar, beim Blick auf das Individuum dem Eigenrecht des Klienten gerecht zu werden. Mit anderen Worten: Es ist der Versuch der Lebensweltorientierung, dem Aspekt der Anerkennung gerecht zu werden, dem z.Zt. im Kontext des Ziels der Schaffung von Zugangsgerechtigkeit ein prominenter Stellenwert zugewiesen wird. Allerdings bleiben diese Versuche bisher stets unvollständig. Die Interpretation autobiografischer Materialien ist, Thiersch weist selbst darauf hin, allzu oft geprägt von verkürzenden Schemata des Erkennens. Der Symbolische Interaktionismus ist darauf angewiesen, dass beim Aufeinandertreffen zweier Individuen ein gemeinsames Symbolsystem vorhanden ist, was in der gegenwärtigen Gesellschaft zunehmend kontingent wird. Mit dem Konzept der Patchworkidentität wird zwar auf das Fragmentarische und auf die Heterogenität heutiger Identitäten hingewiesen, hier bleibt aber der Aspekt der Interaktion unterbelichtet. Die Lebensweltorientierte Soziale Arbeit verfügt damit nicht über ein angemessenes Instrumentarium, um dem Aspekt der Anerkennung des Individuellen angemessen gerecht zu werden. Dies liegt m.E. daran, dass einschlägige mikrosoziologische Studien zu wenig rezipiert wurden. So lag beispielsweise mit der Ethnomethodologie Harold Garfinkels schon früh ein Konzept vor, 14 das auf die Brüchigkeit und Kontingenz von Identität, 15 sowie auf die Möglichkeit des Scheiterns von Kommunikation aufgrund von verschiedenem Vorwissen und verschiedener Alltagsrituale in der menschlichen Interaktion hingewiesen hat. Hier sind bereits wesentliche Aspekte angelegt, die heute im Kontext der Anerkennungsdebatte neu gefordert und als Aufgabe der Pädagogik angesehen werden (so beispielsweise bei Scherr 2002: 29): die Ausbildung einer kritischen, selbstreflexiven Subjektivität, die die Voraussetzung darstellt für intersubjektive Anerkennungsverhältnisse. Die mikrosoziologische Ethnomethodologie Garfinkels wurde in der Folge vor allem im feministischen Kontext rezipiert und weiterentwickelt (u.a. von Kessler/McKenna 1978), während die Lebensweltorientierte Soziale Arbeit sich überwiegend makrosoziologischen Theorien zuwandte. Der Blick auf das Individuum und damit auf die Subjekti-
14 Garfinkel hat keine ausgearbeitete Theorie vorgelegt, seine Aufsätze erschienen nur zum Teil in deutscher Sprache. Ein grundlegender Aufsatz erschien in deutscher Sprache jedoch bereits im Jahr 1973 (vgl. Garfinkel 1973). Vgl. als einführende Sekundärliteratur Treibel 2000: 137ff. 15 Dies vor allem im Kontext der Studie über die Transsexuelle Agnes, vgl. Treibel 2000: 140f. 137
DER UMGANG DER SOZIALEN ARBEIT MIT DIFFERENZ
vität und Verschiedenheit wurde hier zugunsten der Untersuchung sozialer Ungleichheit eher vernachlässigt. 16
Soziale Arbeit zwischen Hilfe und Kontrolle IV: Therapeutokratie, Normalisierung der Hilfe oder Entdramatisierung des Gegensatzes von Hilfe und Kontrolle? Die Frage nach der Amivalenz von Hilfe und Kontrolle hat seit der Durchsetzung der flexibel normalistischen Strategie in den 1960er/70er Jahren verschiedene Veränderungen durchgemacht. War die sozialpädagogische Aufgabe der Kontrolle im Kontext der Neuen Sozialen Bewegungen und der KritischEmanzipativen Pädagogik stark kritisiert und als stigmatisierend und machtverschleiernd schlicht zurückgewiesen worden, wurde bald erkannt, dass die Soziale Arbeit auf eine weitere Auseinandersetzung mit dem Thema Hilfe und Kontrolle nicht verzichten kann. So hatten die gesellschaftlichen Ereignisse nach 1968 die vormals enge Kopplung von Normativität im Sinne von normativen Setzungen und Normalität als das Regelmäßige bzw. sozial etablierte zunächst zwar nachhaltig erschüttert. In der Folge konnte es sich, freilich unter den Vorzeichen einer veränderten normativen Basis, jedoch neu konsolidieren und wurde somit auch in der Sozialen Arbeit neu diskutiert (vgl. Otto/Seel mayer 2004: 54). Im Kontext der Lebensweltorientierung der Sozialen Arbeit wurde demnach zunächst die Gefahr einer „Therapeutokratie“ (vgl. Habermas 1981: 533f. und Bommes/Scherr 2000: 51ff.) erkannt. Auch diese Befürchtung hat letztlich mit der oben bereits angesprochenen Habermasschen Gegenwartsdiagnose von der Kolonialisierung der Lebenswelt zu tun. Denn Soziale Arbeit würde gerade ihrem Auftrag der Hilfe zuwider handeln, wenn sie nach ihren eigenen spezifischen Funktionsbedingungen in die Lebenswelten der Adressaten eindringen würde: „Zusammenfassend wird die Ambivalenz bzw. das Dilemma sozialstaatlicher Leistungen darin gesehen, dass diese dem Ziel der sozialen Integration durch den Ausgleich systematischer Desintegrationsfolgen dienen sollen, dass sie aber durch die Kombination der Mittel Geld und Recht, die den lebensweltlichen Strukturen der Verständigung unangemessen sind, mit einer kompensatorischen Betreuung durch soziale Dienste selbst zur Erosion des lebensweltlichen Integrationsmechanismus der kommunikativen Verständigung beitragen“ (Bommes/Scherr 2000: 53).
Die Soziale Arbeit droht in dieser Sichtweise um so mehr ein Instrument der sanften Kontrolle zu werden, wie sie sich um die Entwicklung von verständigungsorientierten und kommunikativen Instrumenten bemühe. In Anschluss an 16 Vgl. hierzu den in der Einleitung bereits erwähnten Essay von Niemeyer 2005. 138
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diese Sichtweise argumentiert auch Brumlik. Er erkennt das „Problem der entmündigenden Wirkung von Hilfeinstitutionen“ und kritisiert die „Pädagogisierung und Therapeutisierung der Gesellschaft mit den möglichen Folgen der völlige[n] Enteignung des Bewusstseins der Ausgeforschten und […] die totale Pädagogisierung und Therapeutisierung, d.h. die allgegenwärtige soziale Kontrolle und damit universelle Entmündigung“ (Brumlik 1984, zit. n. Bommes/ Scherr 2000: 53). Mit der Rezeption der Theorie der reflexiven Modernisierung verschiebt sich die Diskussion der Sozialpädagogik um die Ambivalenz von Hilfe und Kontrolle noch einmal. Gemäß der oben bereits beschriebenen Diagnosen von der Individualisierung, Pluralisierung und Enttraditionalisierung, die eben keine allgemeine normative Orientierung mehr ermöglichten, wurde Normalität als aufgelöst betrachtet. „Normalität pluralisiert sich – und zwar so lange, bis sie als durchschnittlicher Orientierungsmaßstab, an dem man glaubt, sich anlehnen zu können, von dem man sich aber auch stilisiert absetzen kann, von selbst verschwindet“ (Rauschenbach 1992: 39). Wenn sich klassische normative Orientierungen der Sozialen Arbeit wie das Normalarbeitsverhältnis, die Normalbiografie etc. zunehmend auflösten, müsse sich auch die Soziale Arbeit von ihnen als normativer Bezugspunkt distanzieren. Gemäß der These von der Risikogesellschaft, wonach Risiken der Lebensführung nicht mehr vorrangig sozial schwache Bevölkerungsteile treffe, sondern potentiell für alle Individuen gelte, wurde darüber hinaus eine gesellschaftliche Instanz gefordert, die potentiell auch allen Individuen Unterstützung anbieten können. Derart konzipiert konnte es nicht mehr als Aufgabe der Sozialen Arbeit angesehen werden, abweichendes Verhalten zu kontrollieren, sondern Soziale Arbeit zielt in dieser Sichtweise auf „individuelle Unterstützung bei der Bewältigung von Unsicherheiten und Risiken“ (Otto/Seelmayer 2004: 49). Der Bezugspunkt der Pädagogik verschiebt sich dabei von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen auf das Individuum: „Soziale Arbeit normalisiert sich als ein gesellschaftlicher Teilbereich in dem Maße, in dem die Normalisierung des Klientels – im Sinne einer Bearbeitung von Normverletzungen und Abweichungen – überlagert wird durch die Unterstützung bei der biografischen Bewältigung von gesellschaftlichen Individualisierungs- und Pluralisierungsprozessen“ (Otto/Seel mayer 2004: 50). Weder die Befürchtung der allgegenwärtigen sozialen Kontrolle und damit der universellen Entmündigung, wie sie im Zuge der Therapeutokratie-These vorgetragen wurde, noch die These, dass sich die Soziale Arbeit in der gegenwärtigen Gesellschaft soweit normalisiert, dass sich eine Beschäftigung mit der Kontrollfunktion erübrigt, haben sich in ihrer reinen Form bestätigt. Vielmehr haben sich im Zuge gesellschaftlicher Umbrüche Komplexitätssteigerungen ergeben, die in der Sozialen Arbeit der Reflexion bedürfen. Zu diesem Zweck bietet es sich an, auf die bereits eingeführte Unterscheidung von Proto139
DER UMGANG DER SOZIALEN ARBEIT MIT DIFFERENZ
normalismus und Flexiblem Normalismus, sowie auf die Unterscheidung von Normalität und Normativität zurück zu greifen (vgl. für das Folgende Otto/ Seelmayer 2004: 52ff.). Gegenwärtig scheint die vormals relativ enge Kopplung von Normativität und Normalität zunehmend aufzulösen. Gesamtgesellschaftlich gesehen lösen sich allgemein verbindliche Normalitätsmuster zunehmend auf und die Strategie des flexiblen Normalismus scheint hegemonial. Gleichzeitig reproduzieren sich in bestimmten gesellschaftlichen Feldern oder Milieus ganz im Sinne der protonormalistischen Strategie recht starre und rigide Normalitätsvorstellungen und konterkarieren damit die allgemeine Tendenz des flexiblen Normalismus. 17 Auch haben sich die Begründungen normativer Orientierung verändert. Während der Wirkungsgrad ethisch-moralischer und z.T. auch rechtlicher Normen eher abnimmt, nimmt die Orientierung an deskriptiv-statistischen Normen tendenziell zu. Das heißt, die Vorgaben für das eigene Handeln werden tendenziell zunehmend an dem beobachteten durchschnittlichen Verhalten anderer Subjekte festgemacht als an vorgegebenen ethisch-moralischen oder rechtlichen Normen. 18 Die Folge dieser Entwicklungen für die Soziale Arbeit ist in jedem Fall der Verlust einer breiten normativen Basis und damit der Verlust der Möglichkeit, gegenwärtige sozialpolitische Entwicklungen konsistent mit Bezug auf einen normativen Bezugspunkt zu kritisieren: „Die Tradition des an die sozialpolitische Diskussion gebundenen Diskurses um Norm und Gerechtigkeit verliert damit an Bedeutung. Ins Zentrum der Überlegung tritt in der Folge erneut der am einzelnen Individuum orientierte Hilfegedanke“ (Graf 1996, zit.n. Otto/Seelmayer 2004: 56). Damit wird aber der Kontrollaspekt nicht gleichzeitig obsolet. Vielmehr scheint sich das Verhältnis von Hilfe und Kontrolle seit der radikalen Kritik der kritischemanzipativen Pädagogik zu Beginn der 1970er Jahre zwischenzeitlich entdramatisiert zu haben: „Jedes, auch alltägliches, nicht-berufliches gegenseitiges Helfen schließt die Erwartung ein, dass Hilfeleistungen zweckgebunden, also so verwendet werden, dass die das Helfen veranlassende Mangelsituation überwunden werden kann. Die vielfach 17 Als Beispiel kann die Anfang 2006 veröffentlichte Instruktion des Vatikans gelten, wonach Homosexuelle nicht die Priesterweihe erfahren dürfen, obwohl sich das Thema Homosexualität gesamtgesellschaftlich in den letzten Jahren deutlich entdramatisiert und normalisiert hat. Ein weiteres drastisches Beispiel für protonormalistische Strategien in einer insgesamt flexibel normalistischen Gesellschaft stellen Ehrenmorde dar, die aus der Sicht der Täter die Ehre einer Familie oder einzelnen Personen wiederherstellen sollen. Ehrenmorde wurden in den Jahren 2005 und 2006 insbesondere im Kontext der Tötung von muslimischen Frauen diskutiert, die in der Sichtweise der Täter die Familienehre verletzt hatten. 18 Als Beispiel nennen Otto/Seelmayer die Phänomene Schwarzarbeit und Steuerhinterziehung, die rechtlich eindeutig sanktioniert sind und dennoch fast zur gesellschaftlichen Normalität geworden sind. 140
DIFFERENZREFLEXION IN DER LEBENSWELTORIENTIERTEN SOZIALEN ARBEIT
dramatisierende Beschreibung, dass Hilfe in der Sozialen Arbeit immer auch mit Kontrolle verbunden sei, scheint oftmals nicht mehr als diesen eher trivialen Sachverhalt zu meinen. Es ist daher auch nicht zu sehen, wie ausgehend von der kaum bestreitbaren, kritisch gemeinten Feststellung, dass Soziale Arbeit zeitgleich Hilfe und Kontrolle sei, Alternativen der Organisation von Hilfe in der Sozialen Arbeit aussehen sollte, die von Kontrolle prinzipiell absehen könnten“ (Bommes/Scherr 2000: 45f.)
Auch wenn man dieser nüchternen Aussage prinzipiell zustimmt, ist damit die Frage, auf welcher normativen Basis Lebensweltorientierte Soziale Arbeit operieren kann, nicht beantwortet. Sie müsste sich also entweder vertieft mit einem eigenen normativen Maßstab auseinandersetzen oder aber sie muss einen produktiven Umgang mit der ungelösten Normenfrage finden. Zumindest aber scheint der Weg zu einer Hinwendung zu mehr Kontrolle und einer breiten und sicheren normativen Basis in der pluralisierten Gesellschaft verschlossen. Aus dieser Einsicht entsteht wiederum eine neue Perspektive: die Ambivalenz von Hilfe und Kontrolle scheint z.T. gar nicht mehr ambivalent bewertet zu werden. So kann nur im Einzelfall entschieden werden, ob eigentlich als Hilfe gemeinte Intervention als kontrollierend in einem obrigkeitsstaatlichen Sinne empfunden wird, oder ob Klienten Kontrolle auch einfordern, um schließlich wieder selber Kontrolle über ihr Leben zu erlangen.
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Differenzsensible Konzepte: Die Heterogenität als Ausgangspunkt sozialwissenschaftlicher Reflexion
Die Lebensweltorientierte Soziale Arbeit reflektiert, das wurde bereits beschrieben, Differenzverhältnisse vor allem in Rückbezug auf die politischökonomischen Verhältnisse im Kapitalismus. Es stehen mithin vor allem jene Differenzverhältnisse im Mittelpunkt, die durch ein oben und unten gekennzeichnet sind, die also die sozioökonomische Ungleichheiten kennzeichnen (vgl. Sennett 2002: 307). In einer Zeit des Rückbaus des Sozialstaats, einer sich immer weiter öffnenden Schere von Arm und Reich (vgl. Schmid 2005), kann dieser politisch-ökonomische Standpunkt durchaus eine gewisse Plausibilität für sich beanspruchen. Gleichzeitig beschränkt sich die Soziale Arbeit in ihrer Lebensweltorientierten Ausbuchstabierung zu sehr auf die sozialstrukturelle Seite der Gleichheitsforderung – die interaktionstheoretische Seite der Anerkennung wird zwar keinesfalls ausgeblendet, wird aber auch nicht systematisch und unter Einbezug neuerer differenzsensibler Studien zu den Mikrostrukturen der Macht beleuchtet.1 Die Soziale Arbeit gerät damit in die Gefahr, durch die enge diskursive Bindung an den Sozialstaat, vor dessen Hintergrund sie zum Ende des 19. Jahrhunderts entstand, an den sie materiell zur Zeit ihrer Expansion in den 1970er Jahren so eng gebunden war und dies bis heute noch ist, in überwiegend defensiver Weise neoliberale politische Entwicklungen anzuprangern, die sie selbst nur begrenzt imstande ist, aufzuhalten. In dieser Sichtweise wird als 1
Auch die aktuelle Veröffentlichung von Böhnisch, Schröer und Thiersch (2005), ausgewiesenen Vertretern der Sozialpädagogik also, bezieht differenzsensible Theorien nicht systematisch mit ein. Hier werden eher additiv Differenzverhältnisse aufgezählt, die einen Einfluss auf die Lebensgestaltung der Individuen haben.
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DER UMGANG DER SOZIALEN ARBEIT MIT DIFFERENZ
das Ziel der Sozialen Arbeit die Kompensation der „unerträglichsten Auswirkungen und Unzulänglichkeiten der Marktlogik“ (Bourdieu 1997, zit.n. Bommes/Scherr 2000: 57) formuliert. Vergleicht man jedoch die zur Verfügung stehenden Mittel mit den anstehenden Aufgaben, gerät man mit diesem Blickwinkel leicht in eine Verlegenheit. Die soziale Arbeit „kann keine Arbeitsplätze für Arbeitslose schaffen; keine Familien für Waisen oder Kinder gründen, deren Verbleib in ihrer Herkunftsfamilie unmöglich geworden ist; nicht die erforderlichen Geldleistungen für Arme beschaffen, nicht die Karrieren von straffällig Gewordenen zum Zwecke der Beschaffung von Teilnahmechancen reparieren. Ihre Leistungsfähigkeit beruht auf dem Aufspüren von Chancen an den Individuen, denen sie hilft, oder in den sozialen Funktions- und Organisationskontexten, aus denen ökonomische, rechtliche, politische, gesundheitliche oder erzieherische Leistungen bezogen werden können“ (Bommes/Scherr 2000: 57)
Zu dieser, im Vergleich zu manch kämpferischen Zielformulierung der Nach68er-Ära, vergleichsweise nüchternen Bestandsaufnahme von Bommes und Scherr passen auch jene Diskurse, die betonen, dass der Sozialen Arbeit in der reflexiven Moderne weniger die Aufgabe zugewiesen werden kann, abweichendes Verhalten zu kontrollieren, sondern dass es vielmehr ihr Ziel sei, „individuelle Unterstützung bei der Bewältigung von Unsicherheiten und Risiken“ (Otto/Seelmayer 2004: 49) zu leisten. Soziale Arbeit ist in dieser Sichtweise zum gesellschaftlichen Normalfall geworden: „Unter ‚Normalisierung der Sozialpädagogik‘ wird dabei verstanden der Prozess der quantitativen Zunahme des sozialpädagogischen Personals, die Ausweitung sozialpädagogischer Praxis in immer neue Erziehungsfelder hinein […], sowie der Vorgang der immer weiter sich ausbreitenden und nicht kontrollierenden, resozialisierend sich verstehenden, sondern lebenslagenstützenden, also präventiven Praxis; ferner wird dem Normalisierungsvorgang zugerechnet das in den letzten Jahrzehnten entstandene System sozialpädagogischen Wissens und die Institutionalisierung, die die Verbreitung dieses Wissens (z.B. in Jugendberichten) gefunden hat […], und schließlich werden dazu gezählt erste Versuche und Ansätze einer wissenssoziologischen Selbstbeobachtung, die als Indikator dafür betrachtet werden, dass sich Sozialpädagogik auch als Wissenschaft dem Zustand einer normalen Wissenschaft nähert!“ (Merten 2001: 92f.)
Zwar lösen sich soziale Ungleichheiten nicht auf, aber die sozialpädagogischen Interventionen beschränken sich schon längst nicht mehr, wie noch überwiegend zu Beginn ihrer Implementierung, auf Jugendliche aus der Unterschicht. Vielmehr wird sozialpädagogische Hilfe gesellschaftsweit nachgefragt. Dabei geht es immer weniger um eine Defizitorientierung und um eine Anpassung von KlientInnen an eine vorgegebene Norm, sondern um eine inzwischen 144
DIFFERENZSENSIBLE KONZEPTE
normalisierte systematische Aufgabe eines Funktionssystems der Gesellschaft. Damit gerät vor dem Hintergrund einer neuen Zielorientierung der Sozialen Arbeit – der in der Einleitung bereits angesprochenen „zweidimensionalen Konzeption von Gerechtigkeit“ (Fraser 2004) – die Anerkennung als Komplementärbegriff zur Umverteilung in den Blick. Mit der Anerkennungsdimension der Gerechtigkeit haben sich in den letzten Jahren verschiedene differenzsensible Konzepte aus unterschiedlichen sozialwissenschaftlichen Zusammenhängen beschäftigt. Als Apologetin der Differenzsensibilität kann das Konzept der Postmoderne mit ihrer Wertschätzung radikaler Pluralität gelten. Auch wenn postmoderne Konzeptionen sich insbesondere in der lebensweltorientierten Sozialen Arbeit nicht haben entscheidend durchsetzen können, so hat die Diskussion um radikale Pluralität doch den Blick geschärft für Vielfalt und Differenz. Mit der Bedeutung von Differenzen beschäftigt sich auch Jacques Derrida, dessen Konzept der Dekonstruktion zunächst insbesondere im Kontext feministischer Studien, dann aber auch in Ansätzen in der Pädagogik rezipiert wurde. Ebenfalls unter Rückgriff auf poststrukturalistische Konzepte der Identitätskritik agiert die Queer Theory (vgl. einführend Jagose 2001 und Kraß 2003). Ursprünglich im Kontext der nordamerikanischen gay and lesbian studies entstanden, thematisiert die Queer Theory zunächst vor allem die Unterdrückung sexuell oder geschlechtlich marginalisierter Gruppen, bezieht aber auch weitere Differenzen, beispielsweise im Hinblick auf Ethnizität, Rasse oder Religion, in ihre Überlegungen ein (vgl. Breger 2002). Als weiteres differenzsensibles Konzept kann die Pädagogik der Vielfalt (vgl. Prengel 1995) gelten, die ursprünglich für den Bereich der Schulpädagogik konzipiert war, wegen ihrer breiten Fundierung auf der Basis von Feministischer Pädagogik, Interkultureller Pädagogik und Integrationspädagogik aber auch für die Soziale Arbeit relevant ist. Darüber hinaus wird noch auf Erkenntnisse der Cultural Studies, der Postcolonial Studies und der Xenologie eingegangen, die von der Pädagogik bislang nur in wenigen Ansätzen, beispielsweise im Kontext der Interkulturellen Arbeit, rezipiert wurden. Insbesondere die Cultural Studies analysieren den Einfluss und die Rolle der Populärkultur auf den Alltag der Menschen: Cultural Studies thematisieren „die gelebte[n] Erfahrungen und Alltagshandeln als sozial bedeutsame und kulturell bedeutungsvolle Praxen“ (Lindner 2000: 19). In dem Maße, wie in der Sozialen Arbeit tätige z.T. die Lebenswelt ihrer Klienten analysieren müssen, um daraus pädagogische Handlungskonzepte abzuleiten, kann es hilfreich sein, die Erkenntnisse der Cultural Studies in die Reflexion mit einzubeziehen, denn diese legen einen besonderen Schwerpunkt auf die Analyse des spezifischen Sinns, den die Akteure ihren performativen Praxen geben. Sie gehen insofern über die Deutung des Alltags in der Lebensweltorientierten Sozialen Arbeit hinaus. Die Postcolonial Studies und die Xenologie thematisieren schließlich im weitesten Sinne den Umgang mit Fremdheit, Identität und Alterität. Während die Xenologie hier unmittelbar 145
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praxisrelevantes Wissen zum Umgang mit den Fremden generieren will, analysieren die postcolonial studies eher hegemoniale Verhältnisse, die im Rahmen von Kolonisationsprozessen entstanden sind und deren Folgen und deren Weiterführung bis heute im Umgang verschiedener Kulturen miteinander nachgewiesen werden können. Auch hier finden sich u.U. Hinweise für eine Soziale Arbeit, die sowohl den Umverteilungs- als auch den differenzsensiblen Anerkennungsaspekt systematisch in ihre Theorie und Praxis integrieren will. Zu klären wird darüber hinaus sein, welchen Stellenwert das Konzept des Managing Diversity im Kontext pädagogischer Überlegungen für sich reklamieren kann. Ursprünglich als Instrument der politischen Antidiskriminierungsarbeit in betriebswirtschaftlichen Kontexten konzipiert, wurde es auch in pädagogischen Zusammenhängen diskutiert (vgl. Koall u.a. 2002). Dabei bezieht sich das Diversity Management, ebenso wie das ebenfalls vorzustellende und aus der Behindertenpädagogik stammende Konzept der Inclusive Education, insbesondere auf die Gestaltung von institutionellen Kontexten.
Die Postmoderne als Apologetin der Differenzsensibilität Die Vielfalt/Pluralität wurde in den Sozialwissenschaften insbesondere im Kontext des Konzepts der Postmoderne verhandelt. Mit dem Begriff der Postmoderne, ein bereits seit den 1960er Jahren in der Kunst- und Kulturtheorie, Philosophie und Soziologie diskutierter Begriff, sind seit seiner Verwendung verschiedene unscharfe Assoziationen verbunden – worin ein Grund für die kontroversen Auseinandersetzungen um ihn zu sehen ist.2 Mit der Postmoderne ist eine Kritik der Dogmatisierungen der Moderne ebenso verbunden, wie die Aufforderung, sich mit den Widersprüchen, die die Moderne gesellschaftlich und kulturell hervorbrachte, offen auseinander zu setzen. Die Postmoderne, die z.T als Epochenbegriff missverstanden wurde, aber eher als deskriptiver Begriff, theoretisch-programmatisches Projekt und Ausdruck eines Zeitgeistes und einer Lebenshaltung zu verstehen ist, verabschiedet sich vom Fortschritts- und Innovationsimpetus der Moderne. Ebenso plädiert sie für die radikale Anerkennung der Pluralität und Heterogenität von Lebensstilen, Haltungen, Wissensformen und Handlungsmustern. Der französische Philosoph Jean-Francois Lyotard verabschiedet 1979 das Konzept der „großen Erzählun-
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Als prominentes Beispiel sei an die Auseinandersetzung um die Postmoderne zwischen Jürgen Habermas und Jean-Francois Lyotard zu Beginn der 1980er Jahre erinnert, vgl. dazu Lamp 2002.
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gen“,3 die der aufklärerischen Moderne als Legitimationsinstanz und Begründungszusammenhang dienten und betont demgegenüber die irreduzible Vielfalt von Sprach-, Denk- und Lebensformen. Der Moderne wohnte tendenziell, so die Vertreter der Postmoderne, der Zwang zur Einheit, Homogenität und Festschreibung und damit letztlich ein Hang zu Totalitarismus inne.4 Demgegenüber hätten wir es in der Realität der Postmoderne mit einer unhintergehbaren Pluralität von hybriden und flexiblen Identitäten und Lebensstilen zu tun, deren Existenz nicht als Verlust von Einheit und Eindeutigkeit angesehen werden sollte. Vielmehr beinhaltet die Anerkennung dieser Pluralität die Möglichkeit der Öffnung, Erweiterung und Differenzierung in allen Bereichen des Lebens (vgl. Hofmann 2002). Die Pädagogik reagierte zunächst vorsichtig bis abweisend auf die im Kontext des postmodernen Denkens aufgestellten Thesen (vgl. ausführlich dazu Lamp 2002). Wichtige Vertreter der Pädagogik sprachen von einer „bestandskritische[n] Bedrohung“ (Lenzen 1987: 41) oder gar von einem „suizidalen Programm“ (Oelkers 1987: 32). Mit der Postmoderne werde, so ein prominenter Vorwurf, das in den 1970er Jahren mühsam erkämpfte emanzipatorische Erkenntnisinteresse der Sozialpädagogik untergraben. Diese harsche (Ideologie-) Kritik verhinderte zunächst eine differenziertere und produktive Sichtweise des postmodernen Denkens in der Pädagogik. Einen ersten Ausweg aus dieser Sackgasse bot das Zusammendenken der in der Sozialpädagogik breit rezipierten und oben bereits beschriebenen Theorie reflexiver Modernisierung mit der postmodernen Theorie. Die im postmodernen Diskurs vorgetragene These vom Ende der Moderne wurde nun als Folgeproblem reflexiver Modernisierung aufgefasst und formuliert (vgl. Krüger 1990: 9), die in der postmodernen Theorie konstatierten Pluralisierungstendenzen, abzulesen beispielsweise im sich ausdifferenzierenden Arbeitsleben, hatte die Theorie reflexiver Modernisierung als „Entstandardisierung der Erwerbsarbeit und als Ausbreitung eines Systems von flexiblen und pluralen Formen der Unterbeschäftigung gefasst“ (Krüger 1990: 11f.). Der Begriff Postmoderne konnte sich zwar auch im weiteren Diskursverlauf der Pädagogik nicht durchsetzen, das Thema der Pluralität und dem sozialpädagogischen Umgang damit bleibt jedoch bis heute virulent. Gerade in den Konzepten der Dekonstruktion, der Pädagogik der Vielfalt, des Diversity Managements, der Inclusive Education und den Cultural Studies, jenen Kon-
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Zu den von Lyotard so genannten Metaerzählungen zählen die Teleologie des Geistes im Idealismus, die Hermeneutik des Sinns im Historismus, die Beglückung aller Menschen durch Reichtum im Kapitalismus, die Befreiung des Menschen zur Autonomie im Marxismus (vgl. Welsch 1994: 12-20). Herausgearbeitet beispielsweise von Zygmunt Bauman 1992.
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zepten also, die in den nächsten Abschnitten im Zentrum der Arbeit stehen, wird das Thema der Pluralität aufgenommen und neu verhandelt.
Das philosophische Konzept der Dekonstruktion Das inzwischen auch in den Sozialwissenschaften weithin rezipierte Konzept der Dekonstruktion geht auf den französischen Philosophen Jacques Derrida zurück. Derridas Überlegungen zu einer Philosophie der Differenz entspringen dabei einer grundsätzlichen Kritik der westlichen Philosophie der Moderne und des ihr immanenten System- und Totalitätsdenkens (vgl. Kimmerle 2000: 136 und den Abschnitt „Die systematische Philosophie als Orientierungsrahmen für die Differenzbearbeitung…“ der vorliegenden Arbeit). Im Jahr 1930 geboren und aufgewachsen in Algerien, erlebt Derrida schon früh den Antisemitismus und die Konflikte mit dem Kolonialland Frankreich. Dieser Umstand erklärt u.U. die Beschäftigung mit Heterogenität und die Ablehnung von Ethnozentrismus, sowie in seinem wissenschaftlichen Werk: von Logo- und Phonozentrismus der westlichen Metaphysik (vgl. Mai/Wetzel 2003: 166). Mit 19 Jahren wechselt Derrida nach Paris, wo er später u.a. an der Sorbonne und an der École Normale Superieur lehrt und wo er sich während seines Schaffens vom Strukturalismus, der seinen philosophischen Werdegang bestimmte, abund der eigenen Konzeption des Poststrukturalismus zuwendet. Im Gegensatz zur traditionellen westlich-systematischen Philosophie, die, wie in der Zusammenfassung nach dem Untersuchungszeitraum um 1900 dargestellt, tendenziell auf der Suche nach Einheit und Allgemeinheit ist, versucht Derrida genau das zu denken, was sich nicht in ein System einfügen lässt: „Der Gedanke des Fragments […] ist noch eine Sehnsucht nach Totalität. Was ich Differenz nenne […] ist eine Auflösung der Beziehung zum Anderen, zum Heterogenen, ohne Hoffnung und ohne Wunsch nach Totalisierung“ (so Derrida in einem Gespräch mit Florian Rötzer, vgl. Rötzer 1987: 78). Zu diesem Zweck bedient sich Derrida der Dekonstruktion, einer Praxis der Textlektüre, wobei der Begriff des Textes bei Derrida weit gefasst ist. Als Text bezeichnet Derrida genauso eine „Institution, wie eine politische Situation, einen Körper, einen Tanz usw.“ (Derrida in Rötzer 1987: 70). Im Gegensatz zu der insbesondere für die Geisteswissenschaftliche Pädagogik so bedeutenden Theorie der Hermeneutik, die davon ausgeht, dass man durch tiefgründiges Lesen eines Textes zwangsläufig zu dessen Sinn, Inhalt oder Bedeutung stößt, geht die Dekonstruktion davon aus, dass sich der Sinn „als letzte Schicht des Textes“ (ebd.: 71) nicht zusammenfügen lässt, weil er geteilt und vielfältig ist. Statt einen bestimmten Sinn eines Textes zu interpretieren, begibt sich die Dekonstruktion in den Text, z.B. in die Philosophie, und versucht dort, quasi von Innen, „die strukturierte Genealogie ihrer Begriffe […] in der getreuest mögli148
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chen Weise […] zu denken, gleichzeitig von einem gewissen, für sie selbst unbestimmbaren, nicht benennbaren Draußen her festzulegen, was diese Geschichte verbergen oder verbieten konnte, indem sie sich durch diese irgendwie eigennützige Repression zur Geschichte machte“ (Derrida 1986: 38). Die Dekonstruktion greift somit die in einem Text vorzufindenden metaphysischen Annahmen und binären Gegensatzpaare sowie deren inhärente Hierarchie an. Die bisherige Begrifflichkeit wird verschoben, indem zunächst die bislang unterdrückte und ausgeschlossene Seite des Gegensatzpaares hervorgehoben und das unbewusste Spannungsverhältnis zum etablierten Begriff explizit mitgedacht wird. So wird die alte hierarchische Begrifflichkeit destruiert, verändert und neu, im Sinne einer nicht-hierarchischen Differenz konstruiert (vgl. Mai/Wetzel 2003: 167). Dabei arbeitet die Dekonstruktion nicht-teleologisch. Es ist keine neue festgelegte, wiederum totalitäre, Begrifflichkeit intendiert, sondern eine Verflüssigung der Begriffe. Die Dekonstruktion selbst will keine festgelegte Disziplin, Meta-Disziplin, Methode oder Philosophie sein, sondern ist sich ihrer eigenen Überholbarkeit stets bewusst (vgl. Mai/Wetzel 2003: 168 und Rötzer 1987: 85ff.). Vielleicht war es dieser nicht-teleologische Impetus der Dekonstruktion, der zunächst eine direkte, breite und systematische Rezeption des Derrida`schen Poststrukturalismus in der Erziehungswissenschaft verhinderte. Denn aus der Dekonstruktion sind nur schwerlich unmittelbare Handlungsanweisungen für die pädagogische Praxis zu generieren. Diese Theorielücke wurde in der Folge vor allem durch bestimmte Strömungen des Feminismus geschlossen, die sich der Dekonstruktion zuwandten und auf die aus diesem Grund hier eingegangen wird. Verallgemeinernd lässt sich sagen, dass die Dekonstruktion in der Folge in all jenen sozialwissenschaftlichen Feldern attraktiv erscheint, in denen bisher fest gefügte Identitäten und binäre, hierarchische Strukturen aufgebrochen werden sollen. Neben dem Feminismus also beispielsweise im Kontext der Queer Theory (vgl. dazu einführend Jagose 2001, eine frühe Rezeption der Queer Theory in Deutschland findet sich bei Hark 1993), in Teilen der Cultural Studies und etwas später auch in der Pädagogik (vgl. Fritzsche u.a. 2001 und Trifonas/Peters 2004).
Die Rezeption der Dekonstruktion in Genderforschung und Queer Theory Der Dekonstruktive Feminismus (vgl. für das Folgende Feldmann 2002) zu Beginn der 1980er Jahre bedeutete innerhalb der feministischen Theorie inso-
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fern eine Weiterentwicklung, 5 als er das Hauptaugenmerk von der Frage nach den Gemeinsamkeiten, die sich aus der Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht ergaben, auf die Fragen nach der symbolischen Reproduktion und den kulturellen Strategien der Ontologisierung der Geschlechterdifferenz lenkte. Die zunehmend als unproduktiv empfundenen Auseinandersetzungen über Gleichheit 6 oder Verschiedenheit 7 von Mann und Frau wurden durch die Analyse jener Symbolisierungspraktiken ersetzt, die die Identität bzw. Differenz von Mann und Frau erst herstellen und festschreiben. Die u.a. von Simone de Beauvoir vertretene These, wonach Weiblichkeit kein biologisches Faktum, sondern eine soziokulturell geprägte Konstruktion sei, radikalisiert der Dekonstruktive Feminismus. Die vermeintlich natürliche Ordnung der Geschlechter wird als Produkt einer männlich geprägten, binären Logik in einer androzentristischen Welt entlarvt. Das Weibliche erscheint in dieser binären Lesart immer nur als die Ableitung des Normalen, des Männlichen, als das Andere des Logos, die Natürlichkeit, die Körperlichkeit. Besonders pointiert vertritt Judith Butler (vgl. Butler 1991 und Butler 1995) zu Beginn der 1990er Jahre die These, wonach die gesamte Wirklichkeit, also nicht nur das soziale Geschlecht (gender), sondern auch das biologische Geschlecht (sex), konstruiert seien. Die Wirklichkeit, also auch gesetzte Differenzen/binäre Oppositionen werden dieser Sichtweise zufolge in einer performativen Wiederholung immer wieder neu sprachlich hervorgebracht. Da die zur Sprache gebrachten Erfahrungen und Sachverhalte immer in einem machtförmig strukturierten sozialen Raum verhandelt werden, setzt sich jene Sichtweise/Konstruktion durch, die über die meisten Machtmittel verfügen. In der westlichen Gesellschaft ist dies das kulturelle System der Zweigeschlechtlichkeit, die damit zusammenhängende Ordnung der Geschlechter kann als „Zwangsheterosexuell und als einer hegemonialen heterosexuellen Matrix unterliegend“ (Funk 2002: 45) gekennzeichnet werden. In der Praxis der Sozialen Arbeit, insbesondere im Kontext der Mädchenarbeit, ist vor dem Hintergrund der Dekonstruktionsrezeption ein Übergang von einer „geschlechterdifferenzierenden“ zu einer „geschlechterreflektierenden“ (vgl. Voigt-Kehlenbeck 2001) Pädagogik zu erkennen. Nachdem vor allem in den 1980er Jahren dafür gefochten wurde, in der androzentrisch geprägten Jugendarbeit Freiräume insbesondere für Mädchen zu schaffen, wurde un5
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Die Rezeption der Dekonstruktion wurde freilich nicht von allen Vertreterinnen der feministischen Theorie als Weiterentwicklung gesehen. Vielmehr sorgte die Rezeption der Dekonstruktion in der feministischen Theorie zu zahlreichen Irritationen und Debatten, vgl. beispielsweise die Aufsätze in „Feministische Studien“ 11. Jg. Nr.2 vom November 1993. Vgl. als Vordenkerin des Gleichheitsfeminismus Simone de Beauvoir (1968). Als klassische Vertreterin des Differenzfeminismus kann Luce Irigaray (1979 und 1980) gelten.
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ter dem Eindruck der Dekonstruktion die Ambivalenz dieses Ansatzes deutlich. Denn indem geschlechterdifferenzierend gearbeitet wird, wird gleichzeitig die Differenz festgeschrieben und die entgrenzten Lebensbedingungen der jungen weiblichen Generation, die eben keinen einheitlichen Erfahrungshorizont aufgrund ihres Geschlechts hat, werden nicht angemessen konzeptuell einbezogen. Im Zuge einer geschlechterreflektierenden Jugendarbeit wird der Fokus auf den Prozess des doing gender gelegt (vgl. Voigt-Kehlenbeck 2001: 249). Damit wird ein Schwerpunkt insbesondere auf die Reflexion der eigenen geschlechtlichen Gewordenheit gelegt. Denn egal ob Frauen mit Mädchen arbeiten, Männer mit Jungen oder ob in gemischgeschlechtlichen settings pädagogisch gearbeitet wird: immer bringen die PädagogInnen ihre biografischen Prägungen und Erfahrungen als Männer bzw. als Frauen, ihre Entscheidungen für bestimmte Lebensformen, ihre sexuellen Orientierungen und ihre Wertorientierungen mit. Immer wird in der theoretischen und praktischen Berücksichtigung der Geschlechterdifferenz diese neu hervorgebracht. Dieses Paradox lässt sich nicht einfach auflösen, sondern muss in der Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit fortlaufend reflektiert werden. Neben diesem Blick auf die Gewordenheit der Geschlechtsidentität von Pädagoginnen und Pädagogen wird das Ziel der pädagogischen Arbeit in einer geschlechterreflektierenden Sozialen Arbeit darin gesehen, Mädchen und Jungen in ihrer alltäglichen Identitätsarbeit zu begleiten, ihnen eine Erweiterung ihrer Lebensentwürfe genauso zu ermöglichen wie körperbezogene Erfahrungen, die auf sexuelle Selbstbestimmung, Wohlbefinden und Gesundheit zielen (vgl. den Beitrag zur Jungenarbeit von Olaf Stuve in Fritzsche (u.a.) 2001). Die oben eingeführte Dekonstruktion in der Butlerschen Lesart gilt insbesondere auch für die Queer Theory als wesentliche Stichwortgeberin (vgl. Jagose 2001: 107ff.). Die Queer Theory wurde vor allem aus der Enttäuschung über den von Großteilen der schwul-lesbischen Bewegung eingeschlagenen Weg der Ausbildung einer „Community-Identität“ (Jagose 2001: 79) entwickelt. Hatte die schwul-lesbische Bewegung in ihren Anfängen in den 1970er Jahren noch für eine radikale Neuordnung des zweigeschlechtlichen Systems, für eine sexuelle Revolution und damit letztlich gegen die bipolaren Einteilungen in homo/hetero und weiblich/männlich gefochten, konzentrierte sie sich im Laufe der Zeit zunehmend darauf, für den homosexuellen Bevölkerungsanteil in konkreten Projekten Gleichberechtigung einzufordern. Das „BefreiungsModell wurde aus der Enttäuschung über nur wenige Erfolge gegen ein ethnisierendes Identitätsmodell“ (vgl. Jagose 2001: 80) eingetauscht, das seinerseits schwule und lesbische Identität zu politischen Zwecken homogenisierte. 8 Ge-
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Diese spezifische politische Strategie wurde bereits im Kontext des Zeitraumes nach 1968 dargestellt. 151
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gen diese Homogenisierung erhebt die Queer Theory unter Rückgriff auf die Dekonstruktion Einspruch: „Queer […] ist an keine besondere Identität gebunden […] Gegenstand der Queer Theory ist die Analyse und Destabilisierung gesellschaftlicher Normen von Heterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit“ (Jagose 2001: 11). Dabei will die Queer Theory jegliche neue Festschreibung vermeiden und stets in einem „Feld von Möglichkeiten“ (Jagose 2001: 15) verharren. Diese Unbestimmbarkeit forderte fast reflexartig die schon aus dem Kontext der Postmoderne bekannte Kritik des anything goes heraus. Denn indem im queeren Feld potentiell unendlich viele, nicht normative SubjektPositionen zusammenlaufen, unterscheidet es sich deutlich von allen bisherigen politischen Bewegungen – die Queer-Bewegung musste sich deshalb den Vorwurf gefallen lassen, unpolitisch, gar homophob und reaktionär zu sein (vgl. Jagose 2001: 129ff.). Der Queer-Theory geht es allerdings gar nicht um eine ihr von den Kritikern vorgehaltene Offenheit im Sinne des anything goes, sondern beinhaltet durchaus eine politische Strategie. 9 So wird dafür plädiert, queer weniger als Substantiv denn als Verb, im Sinne eines queering bzw. eines verqueeren, zu verwenden: „als Verb verweist es auf eine Methode, die die Gegenstände und Anordnungen der normativen Heterosexualität und der binären Geschlechterordnung in Bewegung bringt und deren stillschweigende Voraussetzungen und Hierarchien anficht“ (Jagose 2001: 173). Versuche der Über tragung queerer Ansichten in die Pädagogik sind bislang nur in Ansätzen vorgelegt worden (vgl. etwa Stuve und Howald in Fritzsche (u.a.) 2001, Tuider 2002). Ähnlich aber wie in den noch vorzustellenden weiteren differenzsensiblen Konzepten geht es dabei um die Verflüssigung starrer Identitätsgrenzen, hier vorrangig in Bezug auf die Geschlechtsidentität, und die Frage, welche hegemonialen Diskurse die Heteronormativität reifizieren.
Die Rezeption der Dekonstruktion in der Erziehungswissenschaft In der Allgemeinen Erziehungswissenschaft ist die Dekonstruktionsdebatte zunächst ebenfalls im Kontext von Geschlechterfragen erörtert worden (vgl. dazu Lemmermöhle (u.a.) 2000). Als offene Themenfelder erwiesen sich vor allem die Fragen, inwieweit auch in der erziehungswissenschaftlichen Frauenund Geschlechterforschung männliche und weibliche Menschen im modernen Sinne als autonome, individualistische Subjekte aufgefasst werden und – nun aus der Sicht der Subjekte – wie sich Subjekte unter den historisch-konkreten Lebensverhältnisse jeweils selbst entwerfen (vgl. Klika 2000: 16). Erst nach 9
Vgl. beispielsweise die Aufsätze in femina politica e.V. 2005.
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dieser Übertragung dekonstruktiver Debatten durch die Genderforschung entwickelte sich eine weitere Rezeption auch in anderen Gebieten der Erziehungswissenschaft. 10 Für die Allgemeine Pädagogik ist die Dekonstruktion, das deutete sich im Kontext der Genderforschung bereits an, insbesondere vor dem Hintergrund des humanistischen Verständnisses von Identität und Subjektivität fruchtbar gemacht worden. Lag der Pädagogik in ihrer Geschichte über wiegend die Vorstellung eines sich selbst vollständig bewussten, autonomen Subjekts zugrunde, betonen poststrukturalistische Ansätze „die Prozesshaftigkeit und Unabgeschlossenheit von Subjektivität, die durch eine Vielzahl sowohl diskursiver als auch nicht-diskursiver Praktiken immer wieder neu hergestellt wird: Subjektivität erweist sich als widersprüchlich, offen, instabil und situativ veränderlich“ (Fritzsche u.a. 2001: 10). Mit Hilfe der Dekonstruktion kann innerhalb der Pädagogik auf die Widersprüchlichkeiten, oder besser: auf die blinden Flecken, aufmerksam gemacht werden, die zwangsläufig entstehen, wenn sich pädagogische Theorie und Praxis, wie im Kontext kritischemanzipativer Pädagogik, in gesellschafts- und ideologiekritischer Perspektive einseitig auf die gesellschaftlich-historischen Machtverhältnisse und Voraussetzungen und Bedingungen des Aufwachsens konzentriert. Die Kritische Pädagogik analysiert die Überwindung von Herrschaft und Unterdrückung entlang gesellschaftlicher Stratifikationslinien wie Geschlecht, Ethnie oder Lebensform, weist eine vorwiegend materialistische und ökonomische Gewichtung auf und konzentriert sich auf die Analyse von Macht im Makrobereich der Gesellschaft (vgl. Hartmann 2001: 78). Das Subjekt erscheint hier im Idealfall als instrumentell handelnde Person, die in der Lage ist, dem gesellschaftlichen Feld gegenüber zu treten (ebd.: 73). In dekonstruktiven Ansätzen wird Macht demgegenüber vorrangig in der Mikroperspektive der beteiligten Subjekte analysiert, eine Perspektive, die vor dem Hintergrund der interaktionstheoretischen Seite der Gerechtigkeit, der Anerkennung, auch in der Lebensweltorientierten Sozialen Arbeit vermehrt beachtet werden sollte. Dabei sind für die Pädagogik insbesondere die Machtanalysen von Michel Foucault und Judith Butler fruchtbar gemacht worden. Beide stellen das Individuum und damit den Mikrobereich der Macht in das Zentrum ihrer Analysen. Foucault zufolge ist Macht nichts Greifbares. Vielmehr repräsentiert sich Macht vielfältig und überall, etwa in der Gesellschaftsstruktur, in der Struktur von Organisationen, in moralischen Vorgaben, in der Sprache, in der Familie und im Körper eines jeden Einzelnen (vgl. Helferich 2001: 430). Das einzelne Individuum ist sowohl der Macht anderer ausgeliefert als auch in der Lage, Macht auf sich selbst und auf andere auszuüben. Dabei ist die Machtausübung – also zum ei-
10 Vgl. dafür verschiedene Aufsätze zu Interkulturalität, Rassismus, Behinderung in Fritzsche (u.a.) 2001. 153
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nen das Anführen anderer und zum anderen die Selbstführung – immer schon „durch ein Feld diskursiver Artikulationen und sozialer Praktiken begrenzt“ (Hartmann 2001: 75). Das Individuum ist damit grundsätzlich in der Lage, zu handeln und genießt die Freiheit, einer selbst bestimmten Lebensweise nachzugehen. Diese Handlungsfähigkeit ist aber gleichzeitig durch herrschende Moral- oder Normvorstellungen oder staatliche Vorgaben vorstrukturiert und begrenzt. Judith Butler, auf ihre Konzeption von Macht war oben bereits kurz eingegangen worden, befasst sich auf der Grundlage der Foucaultschen Machtanalysen mit dem Zusammenhang von Macht und Geschlecht. Butler vertritt die These, wonach das Subjekt in Handlungen, Gestiken und Sprache keinesfalls eine wesenhafte oder natürlich gegebene Geschlechtsidentität ausdrückt. Vielmehr zitiert das Subjekt in seinen Handlungen zwangsweise hegemoniale Geschlechternormen. Geschlecht wird damit als performativ verstanden, d.h. als ständige Wiederholung bestimmter Akte. Welche Akte dabei beispielsweise als spezifisch männlich oder spezifisch weiblich wahrgenommen und dementsprechend eingeordnet werden können, wird durch zahlreiche wirkmächtige gesellschaftliche Diskurse determiniert, die beispielsweise durch die Medien oder aber auch durch die Pädagogik transportiert werden. Während hier bislang vorwiegend auf die diskursiv transportierten Zwänge eingegangen wurde, denen das Subjekt unterliegt, liegt der pädagogische Reiz dieser (de-)konstruktivistischen Sichtweise auf der Hand: „was sozial konstruiert wurde, kann auch dekonstruiert werden“ (Mogge-Grotjahn 2004: 85). Mit dem Ansatz der Dekonstruktion ist also die Hoffnung verbunden, normative Zwänge, die in sozial konstruierten binären Oppositionen zum Ausdruck kommen (z.B. Zweigeschlechtlichkeit, Heteronormativität) offen zu legen und in der pädagogischen Arbeit in nicht-diskriminierender Art und Weise neu zu konstruieren, allerdings ohne sie erneut festzuschreiben. Dabei ist zu betonen, dass weder das pädagogisch handelnde Subjekt, so kritisch es sich auch mit bestehenden Machtverhältnissen auseinandersetzen mag, noch Kritische Pädagogik und Erziehungswissenschaft sich außerhalb der gesellschaftlichen Machtverhältnisse befinden. Vielmehr sind sie „mit ihren Diskursen aktiv an der Produktion von ‚Wahrheiten‘ und deren Hinterfragung, an der Festschreibung hierarchisierter Subjektpositionen und deren Verschiebung beteiligt. Auf diese Verstrickungen zu reflektieren stellt einen Teil verantwortungsbewusster Auseinandersetzung innerhalb der Disziplin dar“ (Hartmann 2001: 79). Für die Pädagogik ergibt sich daraus eine doppelte Aufgabe: Zum einen gilt es, in der Qualifizierung professioneller Pädagoginnen und Pädagogen Wissen über gesellschaftlich vermittelte, quasi-natürlich erscheinende, aber in dekonstruktiver Sichtweise konstruierte und hierarchisierte bipolare Ordnungssysteme zu vermitteln. Damit eng verbunden ist die Ausbildung einer differenzreflexiven Grundhaltung. Damit ist hier eine Haltung gemeint, die selbstkritisch hinterfragt, welche eigenen Vorannahmen, Ordnungssysteme, Stereotype oder Hie154
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rarchisierungen 11 in die alltägliche pädagogische Arbeit einfließen, diese fortund festschreiben und damit affirmativ ungerechten, unterdrückenden gesellschaftlichen Verhältnissen gegenüberstehen. Mit einer solchen dekonstruktiven, differenzsensiblen und differenzreflexiven Grundhaltung könnte auch der von Thiersch angesprochenen Problematik begegnet werden, wonach „alte Klassifikationsmuster – in der Sicht der Familien, in geschlechtsspezifischen Kategorien, in Gleichgültigkeiten gegenüber ethnisch anderen Kulturen, in Arbeits- und Lebensmoral – […] das praktizierte Verständnis von Lebensproblemen und Biografien [prägen]“ (Thiersch 2002: 169). Auf der Grundlage dieser differenzreflexiven Grundhaltung können Pädagoginnen und Pädagogen als „MöglichkeitseröffnerInnen“ (vgl. Voigt Kehlenbeck 2005) fungieren, die die KlientInnen, Kinder und Jugendliche genau so wie Erwachsene, dabei unterstützen, eigene Wege der Lebensbewältigung zu finden. Als Ziel einer solchen differenzsensiblen pädagogischen Grundhaltung kann in Anlehnung an Voigt-Kehlenbeck (vgl. ebd .) formuliert werden: Ausgangspunkt für die Ausbildung einer differenzsensiblen Haltung bleibt dabei der Respekt vor der jeweiligen Inszenierung des Einzelnen. Sie anzuerkennen als seinen/ihren Bewältigungsversuch für die von ihm/ihr antizipierten Differenzverhältnisse und deren jeweiligen Zuschreibungen hilft, die Problematik der differenzbezogenen Identität zu erkennen. Das Ziel pädagogischer Arbeit in interaktioneller Hinsicht muss es sein, den KlientInnen Chancen zu eröffnen, sich von Zuschreibungen zu distanzieren, die mit bipolaren, hierarchisierenden Ordnungsmustern transportiert werden und die in dem individuellen Fall als belastend empfunden werden. Dabei bleibt Pädagogik in jedem Fall im Spannungsfeld von Dekonstruktion und Rekonstruktion verhaftet (vgl. Schmidt 2001: 271f.). Differenzverhältnisse können zwar immer wieder in ihrer Bedeutung verschoben, verflüssigt und enthierarchisiert werden, gleichzeitig muss im alltäglichen Handeln immer wieder auf bekannte Verhaltensmuster und Wissensbestände zurückgegriffen werden, so dass gleichzeitig Differenzverhältnisse rekonstruiert werden. Es geht also bei einer differenzsensiblen Grundhaltung weder um eine Verabschiedung oder eine Auflösung von Differenzen noch um die Festschreibung derselben. Vielmehr geht es darum, Differenzen und den Umgang mit ihnen als nicht abschließbaren Prozess anzuerkennen. Eine differenzsensible Grundhaltung nimmt einen Perspektivenwechsel dahingehend vor, dass die Herstellung von Identität begriffen wird als „eine Bewältigung von widersprüchlichen Zuschreibungen und Zuordnungen qua Geschlecht“ (Voigt-Kehlenbeck 2001: 251), qua Ethnie, Klasse oder Kultur usw. Diese Differenzlinien, die das indi-
11 Z.B. in Bezug auf verschiedene Differenzkategorien wie Geschlecht, sexuelle Orientierung, Ethnie, Behinderung etc., (F.L.) 155
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viduelle Bewältigungshandeln wesentlich mit strukturieren, müssen somit in pädagogischen Zusammenhängen systematisch mitreflektiert werden.
Differenzreflexion im Kontext der Cultural Studies Zwar kann an dieser Stelle keine umfassende Darstellung der in der Überschrift genannten Theoriekonzepte erfolgen, weil die Konzepte, die im Umkreis der Cultural Studies 12 der letzten Jahrzehnte verhandelt wurden (vgl. dazu einführend Nünning/Nünning 2003a), zu heterogen, multiperspektivisch und vielstimmig sind. Genau diese Heterogenität und Multiperspektivität führt aber dazu, dass die Cultural Studies sich dem Themengebiet der Alltagskultur besonders sensibel zu nähern vermögen – einem Themengebiet, der in der Lebensweltorientierung genuiner Bestandteil sozialpädagogischen Denkens und Handelns ist. Im Kontext der vorliegenden Arbeit gewinnen die Cultural Studies darüber hinaus an Interesse, weil sie mit Lindner (vgl. Lindner 2000) als Differenzwissenschaften zu kennzeichnen sind. Die Thematik, die aus pädagogischer Sicht in dieser Arbeit behandelt wird, der Umgang mit Verschiedenheit und Gleichheit, ist also als genuiner Gegenstand der Kulturstudien zu verstehen. In diesem Sinne der Differenzwissenschaft werden im Kontext der Cultural Studies ganz verschiedene Phänomene der Gegenwartskultur untersucht und auf deren „diskursiven, politischen und lebensweltlichen Implikationen und Kontexte hin“ (Baßler 2003: 150) analysiert. Dabei geht es insbesondere um problematische Aspekte wie „institutionalisierte Vorurteile, Ausgrenzung und Diskriminierung“ (ebd.), die in den Cultural Studies zur Sprache gebracht werden. Bei der Beschreibung dieser Themenkomplexe fällt die eindeutige Nähe zu gegenwärtig virulenten Problemen und Fragestellungen der lebensweltorientierten Sozialen Arbeit auf – ein Umstand, der die Frage nach den Möglichkeiten der Rezeption der Cultural Studies in der Sozialpädagogik aufwirft. Auf einen weiteren, für die Theorie der Sozialpädagogik grundsätzlich fruchtbaren Aspekt der Cultural Studies soll hier nur kurz einleitend eingegangen werden. Die Disziplin der Sozialpädagogik scheint stets bemüht, sich ihrer Eigenständigkeit und Besonderheit im Kanon der Erziehungswissenschaften zu versichern, indem sie sich von anderen Richtungen der Pädagogik abgrenzt. Dies war insbesondere zu Beginn der Implementierung sozialpädagogischer 12 Bei dem Begriff der Cultural Studies handelt es sich um einen Ober-/Sammel begriff für die multi- bzw. interdisziplinäre Analyse kultureller Fragestellungen (vgl. Nünning 2004), vgl. auch Dannenbeck 2002: 40f. Der deutsche Begriff für Cultural Studies wäre demnach Kulturstudien, nicht der Begriff Kulturwissenschaft. Dieser bezeichnet eine eigenständige Disziplin. 156
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Studiengänge an Universitäten und Fachhochschulen nötig, um in der Konkurrenz mit der Allgemeinen Erziehungswissenschaft oder der Schulpädagogik bestehen zu können. Die sich ausdifferenzierende und komplexer werdende Gesellschaft erforderten eine wissenschaftliche Unterfütterung der quantitativ wachsenden, in ihrer sozialwissenschaftlichen Orientierung aber erst im Entstehen begriffenen Sozialen Arbeit. Vor diesem geschichtlichen Hintergrund definiert sich die Sozialpädagogik bis heute somit vor allem darüber, was sie nicht ist 13 – und differenzierte sicht entlang der schon genannten spezialisierten Handlungsfelder aus. Demgegenüber beschreiten die Cultural Studies einen entgegen gesetzten Weg. Sie definieren sich nicht über einen Prozess der Differenzierung, sondern über einen Prozess der Synthetisierung. Alles, was im Kontext der Cultural Studies verhandelt und analysiert wird, wird auch als Cultural Studies bezeichnet (vgl. Lindner 2000: 85). Damit begeben sich die Cultural Studies, weil sie konkrete, praktisch relevante Fragestellungen beispielsweise der Populärkultur Jugendlicher zum Ausgangspunkt haben, genau dorthin, wo die Soziale Arbeit seit der Einführung der Alltagswende vorgibt zu sein: in die Lebenswelten der Adressaten.
Die Cultural Studies und die Begriffe der Hegemonie und der Performativität Dem Begriff der Kultur wurden in seiner Geschichte ganz verschiedene Bedeutungen zugeschrieben (vgl. zu verschiedenen Kulturbegriffen Ort 2003). Als ganz wesentlich auch für die heutige Vorstellung von Kultur bezeichnet Nünning allerdings u.a. die folgenden Entwicklungsschritte (vgl. Nünning 2004): Nachdem der Begriff zunächst im Begriff der Land- und Forstwirtschaft als Kultivierung benutzt wurde und er in der Folgezeit auch auf den Menschen ausgedehnt wurde (ein „kultiviertes Benehmen“), setzte in der Folgezeit eine Relativierung des Begriffes ein, der es erlaubte, von Kulturen im Plural zu sprechen. Kultur bezeichnete nun, in diesem anthropologischen Sinne, die verschiedenen Lebensweisen von Gruppen auch innerhalb einer Gesellschaft. Besonderes Interesse wurde der symbolischen Dimension, also dem gemeinsamen Vorrat an Zeichen und deren Bedeutungen einer Gruppe entgegen gebracht, aus diesem Interesse entwickelte sich der semiotische Kulturbegriff. Beide Dimensionen, die anthropologische wie die semiotische Dimension des Kulturbegriffs sind konstitutive Bestandteile des gesellschaftlichen Systems. Während sich der Begriff der Kultur eher auf die alltäglich gelebten Pra13 Dies kommt schon in der berühmten Definition von Bäumer paradigmatisch zum Vorschein, die im von Nohl/Pallat herausgegebenen Handbuch der Pädagogik Sozialpädagogik definierte als alles, was Erziehung, aber nicht Schule und nicht Familie ist (vgl. Bäumer in Nohl/Pallat 1929). 157
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xen einer Gruppe bezieht, bezieht sich der Begriff der Ideologie darauf, wie diese Gruppen ihre Alltagspraxen nach außen darstellen und sich so nicht zuletzt von anderen Gruppen abzugrenzen versuchen. Kultur und Ideologie werden nach außen repräsentiert, wobei bestimmte Kulturen und bestimmte Ideologien nicht einfach bestimmten Gruppen (z.B. Rassen, Klassen, Gender) zugeordnet werden können. Vielmehr sind Kultur und Ideologie umstrittene Größen, die immer wieder neu konstruiert, dekonstruiert und rekonstruiert werden müssen. 14 Kulturen, ihre Symbole und ihre Repräsentationstechniken sind damit keine festen und in sich homogenen Gebilde, sondern kontingent, veränderbar und ständig im Fluss. Diese Sichtweise von Kultur verdeutlicht auch die Auffassung der Cultural Studies, wonach Kulturen nicht in sich homogen sind, sondern allseits Hybridisierungen und kulturelle Interferenzen 15 zu erwarten sind, was für gesellschaftliche Akteure – und erst recht für die Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit – die ständige Notwendigkeit einer simultanen Auseinandersetzung mit unterschiedlichen „‚background languages‘ in Kollektiven“ (vgl. Reckwitz 2001) bedeutet. Im Gegensatz zu der in der klassischen Soziologie dominierenden Sichtweise, wonach die Kultur in erster Linie auf die Gemeinsamkeiten in Werte- und Bedeutungsfragen befragt werden sollte, machen die Cultural Studies auf die Heterogenität der Wert- und Bedeutungsvorstellungen innerhalb einer Gesellschaft aufmerksam. Dabei produzieren kulturelle Äußerungsformen in ihrem tendenziellen Streben nach Einheitlichkeit 16 unweigerlich Differenzen, die wiederum nur im Zusammenhang mit ihrem jeweiligen historischen Kontext analysiert werden können. Diese Analyse ist dabei als ein unabschließbarer Prozess zu verstehen, denn auch gesellschaftliche Akteure weisen bestimmten kulturellen Praktiken permanent veränderliche Bedeutungen zu – die Suche nach einer richtigen, wah14 Gut abzulesen sind solche De-, Re- und Konstruktion am Beispiel von Jugendkulturen, die insbesondere seit den 1980er Jahren ein überwiegend kombinatorisches Prinzip verfolgen. Schon weit vorher hatte es allerdings Wechselwirkungen und Hybridisierungen gegeben, etwa im Kontext „schwarzer“ und „weißer“ Musikstile, vgl. Hewitt 1998: 19ff. 15 Der Begriff der Kulturellen Interferenzen meint hier nicht zwangsläufig ethnische Interferenzen, sondern wird auf die Alltagskultur ausgedehnt: so überlagern sich innerhalb der Jugendkultur nicht nur verschiedene Ethnien, sondern auch verschiedene Subkulturen. Diese Subkulturen beeinflussen in einem mikrosemiotischen Sinne nicht nur die Identitätsbildung der Jugendlichen, sondern wirken nicht selten in einem makrosemiotischen Sinn auch auf die Unterhaltungsindustrie zurück, die nun ihrerseits wiederum die Jugendkulturen beeinflusst, vgl. Hewitt 1998. 16 Beispielsweise im Kontext der Arbeit an der eigenen Identität, die tendenziell ein Gefühl der Kohärenz, also, wörtlich genommen, des Zusammenhangs, erzeugen soll, im Kontext der Bildung von kollektiven Identitäten im Rahmen von subkulturellen Jugendgruppen oder auch in ethnozentrischen Suchhaltungen von Minderheitengruppen. 158
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ren Lesart gerät damit in den Hintergrund. Gewonnen wird mit dieser nicht abzuschließenden Praxis eine erhöhte Sensibilität für bisher nicht beachtete Bedeutungen und damit „auch die Möglichkeit, unterdrückten Bedeutungen nachzuspüren und gegebenenfalls nachzuzeichnen, welche Prozesse zu diesen Ausschlüssen oder Verdrängungen geführt haben“ (Dannebeck 2002: 44). Insbesondere für die Soziale Arbeit interessant ist darüber hinaus der spezifische Blick auf den Herrschafts-Aspekt, so wie er vor diesem Hintergrund in der Sichtweise der Cultural Studies dargestellt wird. Die in der bundesdeutschen Sozialen Arbeit, insbesondere im Kontext der Kritischen Erziehungswissenschaft, lange dominierende marxsche Basis-Überbau-Hypothese wird von einer komplexeren Sichtweise, der Dominanzstruktur, abgelöst. In ihr sind verschiedene autonome Elemente vorhanden, die in widersprüchlicher, asymmetrischer Beziehung zueinander stehen. Die Dominanz eines bestimmten Elementes ist nicht selbstverständlich und auch nicht zwangsläufig auf Dauer gestellt, sondern vielmehr abhängig von komplexen Konstellationen auf verschiedenen Ebenen der Gesellschaft. Herrschaft wird dabei in den Cultural Studies überwiegend in Anlehnung an den italienischen Philosophen und Marxisten Antonio Gramsci (1891-1937) mit dem Begriff der Hegemonie gefasst, der sowohl die intellektuell-moralische Herrschaft als auch die politische und militärische Herrschaft umfasst (vgl. Helferich 2003: 262). Gramsci formuliert den Begriff der Herrschaft nicht in abstrakter Weise wie Foucault, sondern vor allem als „Konsens der Beherrschten“ (ebd.). Damit gerät die Alltagskultur „der Beherrschten“ als Brennpunkt der Analyse in den Mittelpunkt. Einer Revolution müsste in Gramscis Sichtweise wegen der Komplexität der Dominanzstrukturen einer Gesellschaft erst eine umfassende Umwälzung der kollektiven Weltanschauung vorausgehen – im Grunde stellt dieser Prozess selbst die Revolution dar. Mit diesem Begriff der Hegemonie nach Gramsci kann ein auch für die Soziale Arbeit relevanter Begriff des Politischen, und mehr noch: die pädagogische Dimension des Politischen, verdeutlicht werden. Denn indem Gramsci das Verhältnis von Herrschenden und Beherrschten um die Dimension der Teilnahme oder Eingebundenheit der Beherrschten in dieses Verhältnis erweitert, ist er imstande, auch den Anteil der Beherrschten an hegemonialen Diskursen zu analysieren und die Kontingenz von bestimmten hegemonialen Konzepten zu bestimmen. Herrschaft ist in dieser Sichtweise auf die Zustimmung der Beherrschten angewiesen, womit Herrschaft eine genuin pädagogische Dimension erhält. 17 Anders als Foucault, der den zentrumslosen Charakter von Macht betont, bindet Gramsci seinen Machtbegriff an eine materialistische Gesellschaftsanalyse zurück. Darüber hinaus verweist Gramsci mit sei-
17 Weitere fruchtbare Anstöße Gramscis für die Pädagogik finden sich in Gramsci 2004. 159
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nem Hegemoniebegriff auf die pädagogische Verfasstheit von Führung. Anhand der Durchsetzung des Fordismus stellt er dar, dass Staat und Unternehmen gleichzeitig disziplinierende Mittel (Prohibition, Puritanismus) aufzwingen und libertäre Anreize schaffen (Freizeit- und Konsumanreize) muss, damit die Arbeiter die für den Fordismus notwendige Lebensweise (allgemeine Ausbildung, psycho-physische Anpassung an bestimmte Bedingungen der Arbeit, der Ernährung, der Wohnung) sozusagen freiwillig, im Konsens erlernen. „Auf dieser Einheit von autoritären wie libertären Maßnahmen, von Zwang und Konsens, gründet die pädagogische Vermittlungstätigkeit des Staates, wobei die Hegemoniefähigkeit einer neuen Produktionsweise sich darin entscheidet, ob der erzieherische Druck schließlich in Mitarbeit und Zustimmung aufgeht, in gesellschaftlichen Konformismus“ (ebd.: 5). Auf der Grundlage dieser Konzeption von Hegemonie können nun die möglicherweise fruchtbaren Verbindungen aufgezeigt werden zwischen den Cultural Studies und der gegenwärtigen Sozialen Arbeit in Deutschland. Dazu ist es allerdings nötig, einen kurzen Ausflug in die Critical Pedagogy der USA zu machen. Insbesondere deren wesentlicher Vertreter, Henry A. Giroux, hat bereits früh die britischen Cultural Studies rezipiert und in eine Konzeption kritischer Pädagogik eingebunden. Die Kritische Pädagogik der USA18 basiert, ganz ähnlich wie die bundesdeutsche Kritische Erziehungswissenschaft auf dem ideologischen Fundament der Frankfurter Schule. 19 Schon früh, in den späten 1970er Jahren (vgl. Giroux/Shannon 1997: 1), öffnete sie sich allerdings den Erkenntnissen des für die Cultural Studies wegweisenden Birmingham Centre for Contemporary Cultural Studies (CCCS), das zunächst von Richard Hoggart und später von Stuart Hall geleitet wurde. 20 Insbesondere das oben beschriebene Hegemonie-Konzept mit seinen politisch-pädagogischen Implikationen schien einen möglichen Weg zur Erreichung des selbst gesteckten Ziels der „radikalen Demokratie“ (vgl. Giroux 1997: ix) 21 zu weisen. Denn in der Sichtweise der critical pedagogy, namentlich einem ihrer Hauptvertreter Henry A. Giroux, ist es die Aufgabe des Erziehers, die machtförmig struktu-
18 Wesentliche Protagonisten der Critical Pedagogy sind beispielsweise Henry A. Giroux und Peter McLaren. Vgl. zur Übersicht Giroux 1997 und McLaren 2000. 19 Vgl. Giroux 1997: 35-70, einen interessanten Einblick in die englischsprachige Kritische Soziale Arbeit bieten auch die Artikel des Online Magazins Critical Social Work (http://www.criticalsocialwork.com). 20 So stellte Peter McLaren 1986 auf der Basis der Hegemonietheorie und Jugendsubkulturstudien der Cultural Studies Schulen als „hegemoniale Orte von Praktiken sowie Ritualen und Ideologien als gelebte Erfahrung und Praxis“ dar (Winter 2004: 7). 21 Dabei lehnt Giroux allerdings jegliche dogmatische Politik ab. Er betrachtet Theorie vielmehr als „lokale pädagogische Intervention, die gesellschaftlichen Projekten dient“ (Neubauer 1998: 616). 160
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rierten Zusammenhänge zwischen Kultur, Politik und Lehr- und Lernprozessen zunächst erkennen und analysieren zu können, um dann in einem zweiten Schritt den weniger Mächtigen zur Sprache zu verhelfen. Giroux plädiert in enger Anlehnung an Stuart Halls These, wonach Kultur und Politik eins seien (vgl. Steinwidder 2004: 9) für eine „pedagogy of representation“ bzw. eine „pedagogy as a performative praxis“ (vgl. Giroux/Shannon 1997), in der verschiedene Repräsentationen bzw. Darstellungen der Populärkultur analysiert werden. Denn diese populärkulturellen Güter, egal ob es sich dabei um niedergeschriebene Worte, Filme, Fotografien, gesprochene Sprache, Kleidung, Musik oder performative Akte, die sich in einem bestimmten Habitus repräsentieren, handelt, verfügen über einen enormen alltäglichen erzieherischen Einfluss und müssen kritisch in Bezug auf die ihnen innewohnenden Machtkonstellationen analysiert werden. 22 Die kritische Reflexion, mit Hilfe derer die „spezifischen Machtverhältnisse, die bestimmen, was, wer und wie wir zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt sein“ (Steinwidder 2004: 4) kann, analysiert werden können, kann aber nach Giroux nur der erste Schritt sein. In einem zweiten Schritt der pädagogischen Arbeit muss es darum gehen, die erkannten Darstellungsarten für die eigenen Zwecke nutzen zu lernen, um so Alternativen für das eigene Denken, Handeln und Sprechen zu erarbeiten. „Es müssen hier also Möglichkeiten, Räume für Kreativität zum Schreiben einer ‚GegenGeschichte‘ gefunden und genützt werden“ (Steinwidder 2004: 16). Gerade die Cultural Studies und die Betonung der sozialen Konstruiertheit von Diskursen und Identitäten können das theoretische Handwerkszeug liefern, das nach Giroux die Voraussetzung ist für praktische politische Intervention. 23 Der Erzieher bzw. der Sozialpädagoge wird hier zum cultural worker (vgl. Giroux 1998: 627), der die weniger Mächtigen ermutigt, ihre Geschichten zu erzählen und in diesem Zuge zu lernen, nicht nur regiert zu werden, sondern selbst regieren zu können. 24 Der Bezug zu den Konzepten des Empowerment (vgl. Herriger 1997) und der Ressourcenorientierung (vgl. Nestmann 2004) in der Lebensweltorientierung liegt hier deutlich auf der Hand. 22 Göttlich/Winter (2002) sowie Göttlich/Albrecht/Gebhardt (2002) liefern einen guten Überblick über die Analyse verschiedener populärkultureller Praktiken im Rahmen der Cultural Studies. 23 „Both critical traditions have emphasized […] the importance of understanding theory as the grounded basis for ‚intervening into contexts and power‘ [...] in order to enable people to act more strategically in ways that many change their context forthe better“, Giroux/Shannon 1997: 2. Diese Gemeinsamkeit gilt natürlich nur für die jeweils kritischen Strömungen innerhalb der beiden Disziplinen. 24 „Aufgabe der Intellektuellen ist es nach Giroux` Überzeugung nicht, durch Analyse die Unentrinnbarkeit ideologischer Apparate zu postulieren und so zu deren Komplizen zu werden, sondern in gesellschaftliche Dialoge zu intervenieren und in allen Bereichen Sprachen zu entwickeln und bereitzustellen, die Möglichkeiten radikal-demokratischer Transformationen eröffnen“ (Neubauer 1998: 616). 161
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Darüber hinaus kann die Soziale Arbeit durch die Rezeption von Analysen der Cultural Studies eine erhöhte Sensibilität erlangen für die Lebenswelten der Individuen. Denn die Cultural Studies haben ja gerade die Bedeutungen verschiedener Alltagspraxen für das Individuum zum Gegenstand. Diese Bedeutungen werden als konstruiert aufgefasst und es wird davon ausgegangen, dass sich Bedeutungen verschieben können, je nachdem, vor welchem Hintergrund oder mit welchem Vorwissen kulturelle Gegenstände konsumiert werden. Der Konsum von alltagskulturellen Gütern hat einen erzieherischen Einfluss auf den Konsumenten. Die Cultural Studies billigen dem Konsumenten aber, und hier stehen sie im Gegensatz zur Kulturkritik nach Adorno, einen durchaus kreativen Umgang mit der Alltagskultur zu. Anders also als im Kontext der ersten Generation der Frankfurter Schule, in der Kulturproduzenten und –konsumenten sich fast blockartig gegenüber standen und die Konsumenten eher als passiv und machtlos angesehen wurden, betonen die Cultural Studies die Möglichkeit des kreativen – und kritischen – Umgangs der Konsumenten mit kulturellen Gegenständen. Dadurch kommt gleichzeitig der Bildung eine große Bedeutung zu, die in dieser Sichtweise den Umgang mit kulturellen Gütern und damit den Alltag der Konsumenten, durchaus verändern kann. Bildung erscheint hier als Weg, allen Individuen und besonders den Marginalisierten eine Stimme zu geben und den Weg zu einer radikalen Demokratie zu ebnen. „Lernende müssen das Handwerkszeug erhalten, dominante Darstellungen zu decodieren und ihre eigenen Verortungen und gesellschaftlichen Formationen mittels eines politischen Diskurses zu analysieren, der zu einem Verständnis von Machtverhältnissen führt“ (Giroux 1998: 628). Das vollständige Bild vom Umgang mit und den möglichen Wirkungen von alltagskulturellen Gütern entsteht allerdings erst, wenn man nicht nur diesen hoffnungsvollen, kreativen, chancenreichen Bereich der Alltagskultur fokussiert, sondern wenn darüber hinaus der Blick kritisch auf die öffentliche Inszenierung des Leidens 25 gerichtet wird. Denn die Massenmedien haben mit ihren verschiedenen, überwiegend personalisierten und stereotypisierten, Darstellungen einen erheblichen Anteil daran, wie Exklusionstendenzen, Armut, Ausgrenzung, in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Diese medial vermittelten Repräsentationen des Elends zeichnen ein Bild von Ausgrenzung und Armut, das wiederum eine erhebliche Auswirkung auf die Diskurse über Exklusion, sowohl auf Seiten der Betroffenen selbst als auch auf Seiten der anderen Gesellschaftsmitglieder oder der mit den beschriebenen Tendenzen befassten PädagogInnen, zeitigt (vgl. auch Schimank 2000a).
25 Diesen Blickwinkel thematisieren insbesondere Pierre Bourdieu (u.a.) in ihren umfangreichen Studien zum neoliberalen Umbau des Sozialstaats (vgl. Bourdieu u.a. 1997). 162
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Der oben angesprochene kreative Umgang mit alltagskulturellen Phänomenen wird in den Cultural Studies im Zusammenhang mit den Begriffen des performativen Wissens und der Mimesis thematisiert (vgl. Wulf 2001a: 257f., als einführender Aufsatz eignet sich auch Breinbauer 2002). Hier wird dargelegt, wie in mimetischen Prozessen praktisches Wissen entsteht. Menschen erlangen in dieser Sichtweise Wissen über die soziale Welt, indem sie Handlungen anderer Menschen wahrnehmen und dann eigenständig wiederholen. Soziales und sprachliches Handeln wird in diesem Zusammenhang vorrangig in mikrosoziologischen Studien 26 daraufhin untersucht, wie es mit gesellschaftlichen und kulturellen Mustern in Verbindung steht, und welche Rolle die Wiederholung kultureller Praktiken für die Ausbildung geschlechtlicher, sozialer oder kultureller Identität spielt (vgl. Wulf/Göhlich/Zirfas 2001: 10). Mit der Begrifflichkeit des Performativen wird, genauer noch als in der für die Soziale Arbeit so bedeutsamen Sozialisationsforschung, ein Schwerpunkt auf die „(a) Konstitution von gemeinsamen Wirklichkeiten im Wege von gemeinsam geübten (auch ‚pädagogischen‘) Praktiken (Inszenierungen) gelenkt, die gleichsam ‚hinterrücks‘ normative Orientierungen stiften, andererseits (b) die ‚welterzeugende Wirksamkeit pädagogischer Reflexivität‘ […] selbst in Erinnerung gerufen“ (Breinbauer 2002: 7). So plädiert der performative Ansatz zum einen für eine gesteigerte Sensibilität für normative Setzungen, die sich im Alltagshandeln der Klienten perpetuieren. Indem aber auch das pädagogische Handeln selbst als performative Praxis angesehen wird, wird es für eine Analyse für den Zusammenhang von Sprache, Macht und Handeln zugänglich. Betont wird dabei erneut die Notwendigkeit, pädagogisches Handeln selbstreflexiv zu wenden und zu fragen, inwieweit pädagogisches Handeln soziale Situationen erst herstellt: „eine ‚pädagogisch‘ relevante Situation ist also Teil einer Geschichte, die von PädagogInnen (mit-)geschrieben, sprich: aktiv beeinflusst werden muß. – Eine solche sinnerzeugende Interpretation mag ‚aussehen‘ wie eine reine ‚Beobachtung‘. Sie wird jedoch nicht allein aus (scheinbar) vorliegenden Daten hergeleitet“ (Koch 1998: 23). Diese Forderung nach Selbstreflexivität ist nicht neu, wird aber in dieser Sichtweise systematisch neu mikrosoziologisch eingeführt und als dringend notwendig betont: so können in dieser Sichtweise eines performativen Theorieansatzes die Risiken und die Gefahren der Selbsttäuschung, die mit jeder pädagogischen (Gegenwarts-)Diagnose oder Intervention einhergehen, ins Bewusstsein gebracht werden. Daneben führt die Einführung einer zweiten, selbstreflexiven Beobachterposition dazu, die von
26 Das können beispielsweise Gespräche einer Familie am Frühstückstisch (vgl. Zirfas/Wulf, zit.n. Breinbauer 2002: 8) oder Gespräche im Klassenzimmer sein (vgl. Tervooren 2001, zit.n. Breinbauer 2002: 16). 163
DER UMGANG DER SOZIALEN ARBEIT MIT DIFFERENZ
Paradoxien durchzogene Wirklichkeit bescheidener und realitätsangemessener betrachten zu können. 27 „Abstrakt formuliert, ermöglicht die performative Sichtweise, eine (oder mehrere) der widersprüchlichen Dimensionen ‚pädagogischer‘ Handlungen als einen unverfügbaren Bestimmungsfaktor der eigenen Handlung anzuerkennen. Die widersinnige Selbstreferenz des ‚traditionellen‘ pädagogischen Paradoxes wird so zur unabgeschlossenen und unabschließbaren ‚Selbstreferenz‘ vermittelter Prozesse ‚aufgebrochen‘“(Koch 1998: 30).
In der eben beschriebenen Verbindung von Cultural Studies und Critical pedagogy wird eine Strategie vorgeschlagen, eine auch selbstreflexive Differenzsensibilität mit einer politischen Ausrichtung der Sozialen Arbeit zu verbinden, womit sie auch für eine differenzsensible Soziale Arbeit interessant wird. Indem die Cultural Studies partikulare und lokale Erscheinungen aus der Populärkultur auf ihren Zusammenhang mit sozialstrukturellen Merkmalen, wie z. B. Ethnie, Klasse, Schicht, Gender und sexuelle Orientierung hin untersuchen, beziehen sie, anders beispielsweise als die lebensweltorientierte Soziale Arbeit, einen differenzsensiblen Standpunkt systematisch in ihre Analysen ein und berücksichtigen darüber hinaus die Bedeutung, die der Alltag für die Individuen hat, noch genauer. Darüber hinaus wird mit der Verbindung von Politik und Pädagogik gemäß der Gramsci`schen Hegemonialtheorie der emanzipative Charakter dieser Verbindung deutlich: die eingangs geforderte Verbindung der Strategien der Anerkennung und Umverteilung nach Fraser wird hier bereits ernst genommen und ist zentraler Bestandteil der pädagogischen Konzeption.
Postcolonial Studies/Postkolonialismus Ebenfalls im Kontext der Untersuchung von Kultur, Subjektivität und Identität angesiedelt ist das interdisziplinäre Projekt der Postcolonial Studies. 28 Diese befassen sich, bislang vor allem aus geschichtswissenschaftlicher, literaturwissenschaftlicher und politischer Perspektive und dabei vor allem von marxistischen und poststrukturalistischen Ansätzen beeinflusst, im weitesten Sinne mit den Folgen der Kolonisation, der De- und Rekolonisation (vgl. Castro Varela/ Dhawan 2005: 8). Während unter poststrukturalistischem Einfluss vor allem 27 Auch diese Forderung ist inzwischen im pädagogischen, insbesondere im von Luhmann geprägten und postmodernen, Diskurs selbstverständlicher geworden, vgl. beispielsweise Kleve 2000. 28 Vgl. zur Einführung Castro Varela/Dhawan 2005. Als herausragende Vertreter, gar als „heilige Dreifaltigkeit“ (Castro Varela/Dhawan 2005: 25) postkolonialer Theorie gelten Homi K. Bhaba (vgl. Bhaba 2000), Edward Said (vgl. Said 1978) und Gayatri Spivak (vgl. Spivak 1988). 164
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Kritik an westlichen Epistemologien und an der Theoretisierung einer eurozentrischen Gewalt geübt wird, wird in der marxistischen Perspektive vor allem die internationale Arbeitsteilung und aktuellen Prozesse des Neokolonialismus und der Rekolonisierung betrachtet und kritisiert (vgl. ebd). Ein besonderer Schwerpunkt der Untersuchungen liegt dabei auf der Untersuchung der Veränderungen in Politik, Kultur und Gesellschaft in Metropolen und Peripherien. Der Begriff der Hegemonie nimmt, wie insgesamt im Feld der Cultural Studies, auch in der Postkolonialen Theorie eine zentrale Stellung ein. So geht es im Kontext der Postkolonialen Theorie um die Analyse althergebrachter Produktion von Erkenntnis über kolonisierte Kulturen und die damit einhergehenden Herrschaftszusammenhänge. 29 Der Prozess der Kolonisierung wird hier nicht nur in seiner unmittelbar physischen Gewaltdimension untersucht, die mit jeder Kolonisierung einherging, sondern es werden die hegemonialen theoretischen Konstrukte und Wissensproduktionen über die kolonisierten Kulturen, die Prozesse der Subjektbildung in der Auseinandersetzung mit Migration, Rassismus oder Marginalisierung sowohl auf Seiten der Kolonisatoren als auch auf Seiten der Kolonisierten untersucht. Darüber hinaus wird der Sprache und der Produktion von Wissen eine wesentliche Bedeutung bei diesen hegemonialen Prozessen zugeschrieben. Der/die/das Andere wird durch Sprache erst geschaffen, und der/die/das Andere muss sich vor dem Hintergrund von Kolonialismus, Antisemitismus, Rassismus mit den Folgen dieser machtförmigen Praktiken auseinandersetzen (vgl. Steyerl/Guitiérrez Rodrígez 2003: 9). Nun könnte kritisch eingewandt werden, dass Deutschland nicht in dem Maß über eine koloniale Vergangenheit verfügt wie dies beispielsweise in Großbritannien der Fall ist, die postkolonialen Analysen somit für Deutschland obsolet wären. Nimmt man aber die größeren Zusammenhänge in den Blick, so gerät Deutschlands Zugehörigkeit zur im 20. Jahrhundert so genannten ersten Welt in den Fokus, die in einer langen kolonialen Tradition mit der so genannten dritten Welt in wirtschaftlichem Austausch steht – mit dem eindeutig an der weltweiten Armutsverteilung ablesbaren Ergebnis einer industriellen und inzwischen digitalen Aufrüstung der ersten Welt und dem weitgehenden Verharren der dritte Welt Länder in einem Status der Rohstofflieferanten. „Kapitalismus, Kolonialismus, Sklaverei, Rassismus bilden also ein dynamisches Quadrupel, dessen Elemente nicht voneinander getrennt werden können“ (Weibel 1997: 14). Die Themen also, die im Kontext der Postcolonial Studies verhandelt werden, sind auch für die Bundesrepublik relevant und spielen ins29 So widmete sich Said in seiner Studie Orientalism der Konstruktion des Orients durch Europa, den damit einhergehenden Repräsentationspolitiken und der Herrschaftsstabilisierung durch die Nutzung dieses vermeintlich objektiv-wissen schaftlichen im Zuge der Kolonisation, vgl. Said 1978 und Castro Varela/ Dhawan 2005: 33f. 165
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besondere im Kontext der Sozialen Arbeit, die sich in verschiedenen Handlungsfeldern mit ganz unterschiedlichen Formen von Exklusionen und Phänomenen wie Arbeitsmigration und Rassismus auseinander zu setzen hat, eine immer größer werdende Rolle (vgl. Treichler/Cyrus 2004). So setzen sich beispielsweise Ernesto Laclau und Chantal Mouffe aus der Sicht einer postmarxistischen politischen Theorie grundsätzlich mit verschiedenen Formen von Inklusion und Exklusion auseinander – auf diese Theorie wird in der Zusammenfassung zu diesem Abschnitt ausführlich eingegangen. Was daran für eine differenzsensible Soziale Arbeit interessant ist, ist die Tatsache, dass die Autoren von Heterogenität und Differenz in Gesellschaften ausgehen, so dass sie in der Lage sind, Formen von Demokratie zu konzipieren, die das Ziel einer politischen Gleichberechtigung verfolgen, ohne dabei auf homogenisierende Konzepte zurückgreifen zu müssen (vgl. Laclau/Mouffe 1991, Mouffe 1997, zusammenfassend Stäheli 2001). Die Tatsache, dass hier Vielfalt und Differenz zum Ausgangspunkt der Reflexion gemacht wird, bedeutet natürlich nicht zwangsläufig, dass sich damit auch für die Soziale Arbeit zwangsläufig „besser“ gebräuchliche politische Analysen ergeben. Gerade aber in sozialarbeiterischen Kontexten, die sich beispielsweise mit den Themenfeldern der Migration oder mit konkurrierenden Sinnsystemen unterschiedlichen Religionen auseinander zu setzen haben, wird es unumgänglich sein, solche transnationalen Perspektiven oder veränderte Formen der Demokratie systematisch in die Konzepte einzubeziehen. Dies geschieht bisher nur am Rande (vgl. etwa die relativ kurzen Abschnitte bei Böhnisch/Schröer/Thiersch 2005). Auf die Migrationsströme innerhalb der Weltgesellschaft und die Folgen für national verfasste Gesellschaften wird im Konztext der Postcolonial Studies ebenfalls eingegangen. Eine wesentliche Herausforderung für die Soziale Arbeit bildet dabei der Umstand der Hybriditätsbildung. Ursprünglich aus dem Bereich der Biologie stammend, und dort eher negativ, im Sinne einer Verunreinigung eines reinen Genoms gebraucht, wird der Begriff der Hybridität im Kontext der Postcolonial Studies auf sozial-kulturelle Verhältnisse übertragen und dort wertfrei oder mit positiver Konnotation verstanden (vgl. Reckwitz 2001: 189 und 197). Hybridität entsteht beispielsweise im Prozess einer Kombination zweier Sprachen – im Falle kultureller Entwicklung kann die Bildung von Hybridität geradezu als Normalfall angesehen werden – und entweder unbewusst, wie in frühen Kulturen, oder bewusst im Sinne eines virtuosen und experimentellen Umgangs mit kulturellen Versatzstücken, was als Spezialfall der Moderne gewertet wird (vgl. Reckwitz 2001: 189). Kollektive Gemeinschaften erscheinen vor diesem Hintergrund als das homogenisierte Ergebnis von sozialen Aushandlungs-, Fremd- und Selbstdefinitionsprozessen, denen in der Realität nicht selten ganz heterogene kulturelle Codes und Bevölkerungs-
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zusammensetzungen vorausgegangen sein können. 30 Die Tatsache der Migration und Hybridität, und das ist für die gegenwärtige Soziale Arbeit von besonderer Relevanz, schlägt sich vermehrt auch in den Lebenswelten vieler KlientInnen der Sozialen Arbeit nieder, die sich gleichzeitig mit ganz unterschiedlichen Sinnsystemen und kulturellen Codes auseinandersetzen müssen. Anders als es die Lebensweltorientierte Soziale Arbeit sprachlich vorgibt, können einheitliche Lebenswelten, die entlang der klassischen Differenzen wie Geschlecht, Ethnie oder Generation relativ homogen strukturiert sind, vor dem Hintergrund der Ergebnisse der Postcolonial Studies gegenwärtig nicht unhinterfragt angenommen und nicht zum Ausgangspunkt sozialpädagogischer Reflexion gemacht werden. Neben dem postkolonialen Versuch, demokratische Konzepte vor dem Hintergrund von Differenz und Heterogenität zu formulieren und der Reflexion von Hybriditätsbildungen ist in Bezug auf die Soziale Arbeit das Konzept der Subalternität von Relevanz. Das Verb subaltern bedeutet im ursprünglichen Sinne soviel wie „(abwertend) unterwürfig, untertänig, Subalternität bedeutet Abhängigkeit, Unselbständigkeit“ (vgl. Drosdowski 1990). Spivak analysierte in ihrem bekannten Artikel Can the subaltern speak? (vgl. Spivak 1988a) die Mechanismen, die dazu führen, dass bestimmte Stimmen im öffentlichen Diskurs systematisch nicht gehört und so abgewertet werden. Die Stelle der Subalternen wird in der Bundesrepublik von verschiedenen Minderheiten besetzt, etwa von Gastarbeitern oder Migranten, deren Stimmen in öffentlichen hegemonialen Diskursen kaum gehört werden. Im Kontext der postkolonialen Theorie wird u.a. analysiert, wie in der sozialwissenschaftlichen Wahrnehmung MigrantInnen als Gastarbeiter, Ausländer, Türken, oder – gegenwärtig besonders virulent: die Muslime – bezeichnet werden und so einerseits eine in der Realität nicht vorzufindende Homogenität konstruiert und die Position eben dieser Gruppen systematisch abgewertet wird (vgl. dazu insbesondere auch Beck-Gernsheim 2004). Ganz ähnlich wie im Kontext der critical pedagogy vorgeschlagen, müsste es aus diesem Grund in einer gesellschaftspolitischen Dimension darum gehen, strukturelle Bedingungen zu schaffen, damit die Subalterne in ihrem Sprechen eben doch gehört wird. Zum anderen, und das liegt unmittelbar im Aufgabenbereich der Sozialen Arbeit, muss der Begriff des Empowerments für eine Soziale Arbeit mit Migranten ausbuchstabiert werden, damit eben ein solches Sprechen der Subalterne verstärkt möglich wird (vgl. zum Empowerment-Ansatz in der Sozialen Arbeit mit Migranten Badawia 2004).
30 Vgl zur Konzeption von Hybridität insbesondere Bhaba 2000, zur Kritik daran vgl. Castro Varela/Dhawan 2005: 100ff. 167
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Die Xenologie/Fremdheitsforschung und die Konstruktion des Fremden Der Begriff Xenologie (Fremdheitsforschung) wurde bereits im Jahre 1977 von Duala-M’bedy vorgeschlagen (vgl., auch für das Folgende, Wierlacher/Al brecht 2003: 281), zu Beginn des 21. Jahrhunderts gewinnt er vor dem Hintergrund einer potentiell steigenden Anzahl interkultureller Begegnungen in der heterogenen Gesellschaft verstärkt an Aktualität. In der Sichtweise der Xenologie werden Kulturen dargestellt als Kommunikations- und Wertsysteme, die sich in Geschichte und Gegenwart immer wieder durch bestimmte Interdependenzen ausgezeichnet haben. Kulturen haben sich wechselseitig beeinflusst, einander angepasst oder auch voneinander abgestoßen. Auffassungen des Menschen über das Andere oder das Fremde sind dabei schon immer kulturspezifisch akzentuiert. Individuen wachsen vor dem Hintergrund eines spezifischen kollektiven kulturellen Gedächtnisses auf und machen sowohl innerhalb der eigenen Kultur als auch in der Begegnung mit der fremden Kultur Fremdheitserfahrungen. Die Xenologie sieht ihre Aufgabe darin, für die Begegnung mit dem Fremden praxisrelevantes Wissen bereit zu stellen, das dem Individuum eine produktive Bewältigung der Fremdheitserfahrungen ermöglicht. Dieses Fremdheitswissen kann einerseits in seiner deskriptiven Grundbedeutung verstanden werden als Wissen darüber, welches Sozialisations- und Erfahrungswissen von verschiedenen Gruppen als kulturelle Grundausstattung tradiert, den einzelnen Mitgliedern übermittelt wird, und dann innerhalb der jeweiligen Kultur eine handlungsleitende Funktion übernimmt. Zum anderen wird Fremdheitswissen in einer normativen Dimension bedeutsam. So gesehen meint Fremdheitswissen die Wissensbestände und intellektuellen Kompetenzen, die vom Individuum in der Begegnung mit dem Fremden und in der Auseinandersetzung mit den deskriptiven Wissensvorräten erworben werden und dann für weitere Fremdheitserfahrungen zur Verfügung stehen (vgl. Wierlacher/Albrecht 2003: 281). Zentrale Themen der internationalen Fremdheitsforschung wurden grundlegend schon in den 1970er und 1980er Jahren dargestellt. Hierzu zählen u.a. die „Theorie kultureller Andersheit, die konstitutive Rolle Fremder im Kulturwandel, die Konstitution von Fremdheitsprofilen oder die kulturelle Funktion und Wirkungsweise fremden- und fremdheitsfeindlicher Vorurteile“ (vgl. Wierlacher/Albrecht 2003: 283, dort auch weitere einschlägige Literaturhinweise) – für die Pädagogik fruchtbar gemacht wurden diese grundlegenden Betrachtungen insbesondere im Kontext der Interkulturellen Pädagogik. 31 31 Vgl. zur Einführung Auernheimer 2003, für die Pädagogik relevante und grundsätzliche Betrachtungen finden sich in Kiesel/Messerschmidt/Scherr 1999. Auf die Interkulturelle Pädagogik, auf die an ihr geäußerte Kritik (zur Kritik der In168
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Für eine differenzsensible Soziale Arbeit ist zunächst zweifellos die xenologische Prämisse, wonach kulturelle Vielfalt nicht als Chaos oder Unordnung zu bezeichnen ist, sondern als anregender Reichtum (vgl. Wierlacher/Albrecht 2003: 282), unhintergehbar. Betont wird in der Xenologie ebenfalls die Tatsache der „weltaufschließenden Ausbildung des Ich in der Begegnung mit dem Fremden“ (Wierlacher/Albrecht 2003: 283) – ein Fakt, der im Konzept des interkulturellen Lernens eine zentrale Rolle spielt (vgl. Auernheimer 2003: 124ff.), der aber auch allgemein übertragbar ist auf verschiedene Situationen des in der heterogenen Gesellschaft immer wichtiger werdenden sozialen Lernens (vgl. beispielsweise Jugert 2004, Langmaack 2004). Denn das Andere oder das Fremde ist in den Lebenswelten der Individuen faktisch nicht beschränkt auf kulturelle Andersheit oder Fremdheit. Vielmehr vervielfältigt sich Andersheit in dem Maße, wie Individuen beispielsweise verschiedene Lebensweisen realisieren können. Je nach der eigenen Lebensweise kann dann auch die Begegnung mit dem anderen Geschlecht, mit einer anderen sexuellen Orientierung, mit alten oder jungen Menschen, mit behinderten und nicht behinderten Menschen oder schlicht mit anders denkenden Menschen eine Begegnung mit dem Anderen oder dem mir Fremden sein. Gerade in der Sozialen Arbeit Tätige, die mit ganz unterschiedlichem Klientel zusammenarbeiten, müssen über ein hohes Maß an sozialer Kompetenz verfügen, denn in der pädagogischen Praxis sind Fremdheitserfahrungen in diesem Sinne alltäglich und müssen produktiv bewältigt werden. Darüber hinaus erweist sich die Xenologie in ihrer erkenntnistheoretischen Position als durchaus anschlussfähig an verschiedene sozialwissenschaftliche und pädagogische Diskussionen. So ähnelt die Sicht auf die Basisdistinktion der Xenologie – das Andere und das Fremde – konstruktivistischen Diskussionen, die auch in der Sozialen Arbeit rezipiert werden. 32 Die Xenologie greift terkulturellen Pädagogik vgl. Griese 2002) oder auch auf die heuristischen Grenzen der Xenologie wird hier jedoch nicht vertiefend eingegangen. Vielmehr werden jene Diskussionen herausgearbeitet, die im Kontext der Xenologie geführt werden, die aber zugleich verallgemeinerbar sind für eine differenzsensible Soziale Arbeit. Es soll damit keineswegs behauptet werden, dass diese Diskussionen zuerst im Kontext der Xenologie geführt wurden und nun nachfolgend von der Pädagogik rezipiert werden können. Zum Teil gehören die xenologischen Diskussionen, wie im weiteren Verlauf der Darstellung deutlich werden wird, zum pädagogischen, besonders zum interkulturellen, Grundwissen. Die Xenologie aber bündelt diese Erkenntnisse und kann für eine differenzsensible Pädagogik darüber hinaus m.E. den terminologischen Vorteil haben, dass Fremdheit nicht von vornherein auf kulturelle Fremdheit eingeschränkt wird – auch wenn die kulturelle Fremdheit in der kulturwissenschaftlichen Xenologie natürlich im Vordergrund steht. 32 Es gibt nicht „den“ Konstruktivimus, der hier in aller Kürze beschreibbar wäre. Vielmehr handelt es sich bei den verschiedenen konstruktivistischen Spielarten um ein breit gefächertes Feld erkenntnistheoretischer Positionen. Gemeinsam ist 169
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hier auf die sozialkonstruktivistischen Erkenntnisse von Alfred Schütz zurück, wenn sie betont, dass das Fremde eben nicht einfach das Andere oder das abweichende ist, sondern stets das von einer bestimmten Perspektive so „aufgefasste Andere. Folglich beruht alle Bemühung um das Verstehen des Anderen als eines Fremden […] auf Akten des Selbstverstehens, dieses immer verstanden als ‚Selbstauslegung‘“ (Wierlacher/Albrecht 2003, S. 284, das Zitat im Zitat stammt von Schütz 1974: 156). Damit ist die auch für die Soziale Arbeit so essenzielle, in der Theorie der Lebensweltorientierten Sozialpädagogik häufig geforderte, aber m.E. nicht systematisch berücksichtigte Selbstreflexivität angesprochen. Der Umgang mit dem Fremden erfordert, weil es das vom Individuum lediglich so aufgefasste Fremde ist, zunächst immer den prüfenden Blick auf die Konstruktionsbedingungen des Fremden, also den Blick auf sich selbst. Für die Soziale Arbeit kann diese aus den Erkenntnissen der Xenologie und des Konstruktivismus gefolgerte Notwendigkeit der Selbstreflexivität, die ganz ähnlich auch schon im Kontext der Pädagogik der Vielfalt herausgearbeitet wurde, in verschiedenen Dimensionen konkretisiert werden. So wäre zunächst eine kritische Auseinandersetzung mit den eigenen Denk- und Fühlmustern in Bezug auf das Fremde unabdingbar. 33 Darüber hinaus gilt es, die aus diesen inneren Strukturen resultierenden Verhaltensmuster und damit die Ziele der pädagogischen Intervention selbstkritisch zu hinterfragen (vgl. Kraus 2002: 158ff.). Auch in Bezug auf die Methoden der Sozialen Arbeit und deren Einsatz in spezifischen pädagogischen Konstellationen muss eine selbstkritische Prüfung erfolgen, da in der konstruktivistischen Sicht die Tatsache betont wird, dass bestimmte methodische Entscheidungen nur als eine der möglichen „Lösungen in einem pluralen Spektrum viabler Alternativen verstanden werden“ (Kraus 2002: 161) können. Die unbedingte Notwendigkeit der Selbstreflexivität in der denk- und gefühlsmäßigen Dimension, in der Verhaltensdimension und in der methodischen Dimension kann aus der Sicht des Konstruktivismus mit einem Blick auf die Voraussetzungen der Konstruktionsfähigkeit von Individuen erklärt werden: In der Sichtweise des radikalen Konstruktivismus konstruieren Individuen ihre Wirklichkeit, indem sie bestimmte Handlungsweisen, Begriffe und Vorihnen die Ausgangsfrage nach dem Status der Realität in der Erkenntnis. Grundlagen des Konstruktivismus finden sich in so unterschiedlichen Disziplinen wie Neurobiologie bzw. Gehirnforschung, Kognitionswissenschaften, Psychologie, Kybernetik, Kommunikationstheorie, Systemtheorie, Chaostheorie und Postmodern (vgl. Siebert 2002: 49). Für den Nutzen des Konstruktivismus für die Schule und Erwachsenenbildung vgl. Siebert 2005, für die Lebensweltorientierte Soziale Arbeit hat Kraus in einer lesenswerten Studie radikal konstruktivistische Positionen fruchtbar zu machen versucht (vgl. Kraus 2002). 33 Vgl. dazu auch die allgemeinen Ziele des Kompetenztrainings Pädagogik der Vielfalt von Sielert (Sielert 2004: 270f.). 170
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stellungen ausprobieren und jene beibehalten, die für ihre Zwecke „funktioniert“ haben, die viabel sind. Dabei spielen gewisse Vorlieben eine Rolle, die das Ziel des Handelns beeinflussen: „Damit also etwas als ‚funktionierend‘ bewertet werden kann, muss zunächst ein Ziel oder ein Zweck definiert werden, den es zu erreichen oder zu erfüllen gilt und als Voraussetzung für das Entstehen solcher Ziele sind zumindest gewisse Vorlieben des Organismus anzunehmen“ (Kraus 2002: 44). Darüber hinaus muss das Individuum, um eine Wirklichkeit zu konstruieren, welches erfolgreiches Handeln möglich macht, in der Lage sein, zu lernen. Diese beiden Voraussetzungen des Konstruierens von Wirklichkeit spielen auch in der Sozialen Arbeit eine wichtige Rolle. In der Begegnung von KlientIn und PädagogIn treffen in dieser Sichtweise zwei mehr oder weniger fremde Individuen aufeinander, die vor dem Hintergrund ihrer bisherigen Sozialisationserfahrungen, Lerngeschichten, Lebensverhältnisse und Zukunftsperspektiven jeweils eine bestimmte Wirklichkeit und eine bestimmte Vorstellung von sich selbst, eine bestimmte Sicht auf ihr Gegenüber und ein spezifisches Ziel der gemeinsamen pädagogischen Arbeit konstruieren. Je nachdem, welcher Erfahrungshintergrund bei den beteiligten Personen vorliegt, welche Fremdheitsstereotypen oder Vorurteile beispielsweise vorhanden sind, werden diese Wirklichkeitskonstruktionen nun eine fruchtbare pädagogische Arbeit ermöglichen – oder eben auch nicht. Das Ziel sozialpädagogischer Intervention, darauf wurde bereits häufiger eingegangen, ist in die Ambivalenz von Hilfe und Kontrolle, oder anders: in die gleichzeitige Subjektorientierung und Berücksichtigung der gesellschaftlichen Integrationsperspektive, eingewoben. Unter Rückgriff auf den Konstruktivismus kann diese Ambivalenz mit Hilfe des Begriffs der Viabilität bearbeitet werden. So geht es in der sozialen Arbeit darum, gemeinsam mit den Klienten ein sowohl für den Klienten als auch für seine Umwelt funktionales, brauchbares, passendes Verhalten zu erarbeiten. „Es ist inakzeptabel, vom Klienten zu fordern, dass er sich in einer bestimmten Art und Weise (gesellschaftlich konform) verhält, weil diese die einzig ‚Richtige‘ ist. Dennoch ist es möglich, gemeinsam mit dem Klienten zu diskutieren, warum bestimmte Verhaltensweisen unter den gegebenen Bedingungen erfolgversprechend sind, andere nicht. Es ist ebenso möglich zu diskutieren, welche Strategien warum und unter welchen Maßgaben mehr oder weniger Erfolg versprechen. Und hierbei sind dann auch gesellschaftliche Erwartungen eine relevante Bewertungsgröße“ (Kraus 2002: 160. Hervorhebungen im Original)
Die Pädagogin kann in dieser Sichtweise einen erweiterten Blick anbieten, der den Klienten neue Sichtweisen und damit neue Konstruktionsmöglichkeiten
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für viable Verhaltensweisen eröffnet, beispielsweise indem subjektive Bedürfnissen des Klienten gesellschaftlichen Erwartungen gegenüber gestellt werden. 34 Betont wird in der konstruktivistischen Sichtweise aber stets, dass immer der Klient die letzte Instanz ist, die bewerten muss, ob ein erarbeiteter Weg viabel ist oder nicht und ob für den erarbeiteten Weg die notwendigen Ressourcen vorhanden sind. So wird gleichzeitig der Subjektivität des Klienten Rechnung getragen und die gesellschaftliche Dimension berücksichtigt. Die Verantwortung für das eigene Handeln wird aber dem Klienten zugestanden und zugemutet – nicht zuletzt ein Aspekt, der auf dem Weg in die Selbständigkeit, Selbstbestimmung und Autonomie in der Empowerment-Perspektive (vgl. Herriger 1997) und in der Ressourcenorientierung (vgl. Nestmann 2004) favorisiert wird.
Differenzreflexion im Kontext der Pädagogik der Vielfalt Das Thema der Pluralität und Heterogenität wurde bislang vor allem im Kontext der Postmoderne- und Dekonstruktionsdiskussionen dargestellt. Neben den bereits dargestellten Ansätzen liegen für die Schulpädagogik Konzepte vor, die die pädagogischen Möglichkeiten und Chancen des PluralitätsPostulats betonen. Als wesentliche Referenzen für diese Diskussionen können die 1993 erstmals erschienenen Werke Die Kinder des Jahrhunderts – Zur Pädagogik der Vielfalt im Jahr 2000 von Ulf Preuss-Lausitz (vgl. Preuss-Lausitz 1993) und insbesondere die Pädagogik der Vielfalt von Annedore Prengel (vgl. Prengel 1995) gelten. Ein gemeinsamer Bezugspunkt zwischen der Pädagogik der Vielfalt und der Sozialen Arbeit findet sich jedoch besonders in der Diskussion um den Stellenwert und die theoretischen wie praktischen Implikationen des Anerkennungsbegriffs, der sowohl im Kontext der Pädagogik der Vielfalt als auch in der Sozialen Arbeit rezipiert wird (vgl. etwa die beiden Sammelbände Kampf um Anerkennung (Sauerwald u.a. 2002) und Pädagogik der Anerkennung (Hafeneger u.a. 2002). Preuss-Lausitz nimmt in seinem eben genannten Buch explizit Bezug auf die Diskussionen der Postmoderne. Er setzt sich dabei ab von, wie er es ausdrückt, extremen postmodernen Strömungen, 35 schließt sich aber der postmo-
34 Auch diese Beschreibung von Sozialer Arbeit erinnert an die oben bereits genannte Formulierung des/der PädagogIn als MöglichkeitseröffnerIn (VoigtKehlenbeck 2005). 35 Dazu zählt Preuss-Lausitz die postmodernen Postulate, die Inhalte und Wirklichkeit für obsolet erklärten und demgegenüber auf Sprache/Sprachspiele, verschie172
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dernen Verabschiedung von normativen Hegemonien und der postmodernen Hinwendung zum Individuum als Mittelpunkt der Bildung an (vgl. ebd.). So hält er einerseits am klassischen Bildungsbegriff fest und wendet sich damit gegen ein „Ende der Erziehung, gegen postmoderne Beliebigkeit, gegen Nichtoder Antipädagogik“ (Preuss-Lausitz 1993: 32). 36 Andererseits, quasi als Lehre der Postmoderne, stellt er aber klar, dass dieser Bildungsbegriff universal durchgesetzt werden müsse. „So verbindlich also Bildung als Bildung für die Erhaltung der Welt und der Möglichkeit des Zusammenlebens in der Krisengesellschaft sein muss, so plural muss sie zugleich in allen übrigen Bereichen sein […] Hier hat nicht eine Religion, eine pädagogische Richtung, eine nationale Kultur, eine Gruppe (ein Geschlecht, eine soziale Schicht, eine Lebensweise) das Recht auf Vorherrschaft (etwa im Curriculum). Pädagogik der Vielfalt zielt auf sozial gleiche Chancen, um Individualität zu entfalten, und ist nicht-hegemonial orientiert“ (Preuss-Lausitz 1993: 34).
Hier verweist Preuss-Lausitz auf eine frühere Schrift Annedore Prengels, die, ebenfalls 1993, ihre Habilitationsschrift Pädagogik der Vielfalt vorlegt. Zwar beziehen sich Prengels Ausführungen vorrangig ebenfalls auf die Schulpädagogik, wegen ihrer breit angelegten Untersuchung von essentialistischhierarchisierenden Konstruktionen in Interkultureller, Feministischer und Integrativer Pädagogik erwies sich die Pädagogik der Vielfalt jedoch als thematisch relevant auch im Kontext der Sozialen Arbeit. Wenn auch die Pädagogik der Vielfalt nicht systematisch auf die oben dargestellte Philosophie der Dekonstruktion zurückgreift,37 so können doch wesentliche Gemeinsamkeiten der beiden Konzepte nachgewiesen werden. In Bezug auf die Bildungsinstitution Schule problematisiert Prengel das Verhältnis von real existierender Vielfalt in Schulen und pädagogischer Theoriebildung. Während Lehrerinnen und Lehrer in der Schule alltäglich Erfahrungen mit vielfältig zusammengesetzten Lerngruppen (z.B. in Bezug auf Ethnien, Geschlechter oder Behinderungen) machten, nähme die pädagogische Theoriebildung diese Vielfalt kaum systematisch wahr. Vielmehr gäbe es unterschiedliche pädagogische Bewegungen, die, unabhängig voneinander, die Verschiedenheit von Kindern und Jugendlichen und deren implizite Hierarchisierung thematisierten: die Interkulturelle Pädagogik, die Feministische Pädadene Wirklichkeitskonstruktionen und mythologische Rückzüge verwiesen, vgl. Preuss-Lausitz 1993: 31f. 36 Die Diskussion, ob die Postmoderne all dies (Ende der Erziehung, Beliebigkeit, Nicht- oder Antipädagogik) überhaupt meinte, soll hier nicht erneut geführt werden. Vgl. dafür die Standardwerke von Welsch (Welsch 1988, ders. 1994). 37 Vgl. zum Verhältnis von Pädagogik der Vielfalt zur Dekonstruktion Prengel 1995: 135-138. 173
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gogik und die Integrative Pädagogik (vgl. Prengel 1995: 11f.). Prengels Verdienst besteht darin, die systematischen Gemeinsamkeiten der drei pädagogischen Bewegungen verdeutlicht zu haben. Der gemeinsame Ausgangspunkt sei, „bestehende hierarchische Verhältnisse nicht zu reproduzieren, sondern in der Erziehung am Abbau von Hierarchien zu arbeiten. Indem sie sich gegen Behindertendiskriminierung, Frauenfeindlichkeit und Ausländerfeindlichkeit, auch Rassismus, wenden, sind sie einer emanzipatorischen Pädagogik verpflichtet“ (Prengel 1995: 14). Auf Grundlage dieses gemeinsamen emanzipatorischen Erkenntnis- und Handlungsinteresses formuliert Prengel strukturelle Gemeinsamkeiten der pädagogischen Bewegungen (vgl. Prengel 1995: 171180). Die in der Philosophie der Postmoderne und in der soziologischen Theorie der reflexiven Modernisierung postulierte Vielfalt wird damit zum Ausgangspunkt pädagogischer Betrachtungsweise. Das emanzipatorische Ziel der Pädagogik der Vielfalt besteht darin, „Machtverhältnisse zur Sprache zu bringen, die Vielfalt hierarchisieren, einschränken oder behindern“ (Hartmann 2002: 185). Als wesentliche Grundlage pädagogischer Theorie und Praxis, die sich der Vielfalt verpflichtet sieht, wird daraufhin ein egalitärer bzw. demokratischer Differenzbegriff formuliert, in dem „Emanzipation nicht gleich Assimilation und Differenz nicht gleich Hierarchie ist“ (Prengel 1995: 181. Vgl. für das Folgende Prengel 1995: 181ff.). Differenzen zwischen Menschen dürften nicht zur Legitimation von Hierarchien herangezogen werden, Differenzen sollten sensibel wahrgenommen und nicht unter Rückgriff auf feststehende, Ungleichheit reproduzierende binäre Strukturen homogenisiert werden. Vielmehr gehe es in pädagogischer Theorie und Praxis um Offenheit für Unvorhersehbares und Inkommensurables, das sich in der Realität auf den Ebenen kollektiver wie individueller Identitäten zeige. Diese Sichtweise von Differenz basiert auf einer nicht-essentialisierenden, nicht-biologisierenden Sichtweise. Differenzen sind vielmehr ständiger Veränderung unterworfen, sie werden als historisch geworden, sozio-kulturell bedingt und konstruiert begriffen. Während dominierende Kulturen dazu neigten, Differenzen zu homogenisieren, zu entwerten, auszubeuten und auszugrenzen, komme der Pädagogik in dieser Sichtweise die Aufgabe zu, Differenzen immer wieder offen zu legen, neu zu entdecken und in ihrem Eigenwert anzuerkennen. Dem schon aus der Postmoderne-Dis kussion bekannten Vorwurf des anything goes werden in der in der Pädagogik der Vielfalt klare Kriterien zur Urteilsbildung entgegen gesetzt: „All jene Tendenzen, die monistisch, totalitär, hegemonial, ausbeuterisch und diskriminierend die Gleichberechtigung des Differenten zu zerstören trachten, können aus dieser Sicht nur bekämpft werden“ (Prengel 1995: 184). Abschließend formuliert Prengel wesentliche pädagogische Erfordernisse und notwendige Kompetenzen, die im Kontext der Pädagogik der Vielfalt berücksichtigt werden müss-
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ten, um dem demokratischen Differenzbegriff zu seiner Durchsetzung zu verhelfen. 38 Eine wesentliche Rolle im Kontext der Pädagogik der Vielfalt spielt der Begriff der Anerkennung (vgl. Prengel 1995: 184-196), 39 der, das wurde bereits verschiedentlich angedeutet, inzwischen auch im Kontext der Sozialen Arbeit rezipiert und als eine wesentliche Seite der Gerechtigkeit diskutiert wird. Prengel kritisiert am deutschen Bildungssystem seine einseitig selektive Ausrichtung. Das deutsche Bildungssystem orientiere sich in seinen jahrgangshomogenen Klassen überwiegend an einem gedachten, durchschnittlichen Leistungsniveau. Damit produziere es – quasi systemimmanent – „Erfahrungen der Missachtung und Entwertung für all jene Schülerinnen und Schüler, die in ihren Leistungen unter der gedachten Mitte des Durchschnittsniveaus liegen“ (Prengel 1995: 61). 40 Ein Bildungssystem, das sich einem umfassenderen Gerechtigkeitsbegriff im Sinne der Pädagogik der Vielfalt verpflichtet fühlt, hätte demgegenüber für die „intersubjektive Anerkennung jeder einzelnen Person in ihrer je einmaligen Lebenslage“ (Prengel 1995: 61) einzutreten. Eine Grundhaltung der Anerkennung führe, so die These, auf Seiten der Subjekte zu einer positiven Selbstbeziehung und beuge somit Tendenzen der Gewalt und der „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ (vgl. Heitmeyer 2002a) vor. Die Forderung und die pädagogische Grundhaltung der „intersubjektiven Anerkennung zwischen gleichberechtigten Verschiedenen“ (Prengel 1995: 62), die Prengel hier mit Blick auf das Bildungssystem formuliert, ist auch für sie Sozialen Arbeit relevant. Gesellschaftlicher Hintergrund und Anlass für die Attraktivität des Anerkennungsbegriffs sind zum einen die eben schon kurz erwähnten Folgen gesellschaftlicher Desintegration. So betonen beispielsweise Endrikat u.a. (vgl. Endrikat u.a. 2002: 37ff.) die hohe Bedeutung von individueller Anerkennung in sozialstruktureller, institutioneller und sozial-emotionaler Dimension. Die Teilhabe an den materiellen und kulturellen Gütern einer Gesellschaft, die Chance auf politische Partizipationsmöglichkeiten und die Erfahrung von emotionaler Nähe und sozialer Unterstützung sind wesentli-
38 Als wesentliche Punkte können u.a. genannt werden: Selbstachtung, Kennen lernen und Anerkennung der Anderen, Anerkennung innerpsychischer Heterogenität, keine Definition von Menschen und keine Leitbilder, Aufmerksamkeit für die individuelle und kollektive Geschichte und für gesellschaftliche und ökonomische Bedingungen, Verschiedenheit und Gleichberechtigung als institutionelle Aufgabe. 39 Vgl. Prengel 1995: 60ff. Prengel bezieht sich dabei auf die Konzeption von Anerkennung des Frankfurter Sozialphilosophen Axel Honneth. Vgl. Honneth 1990 und 1992. 40 Diese Einschätzung Prengels wurde durch die PISA Studie leider eindrucksvoll bestätigt. 175
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che Voraussetzungen für ein selbst bestimmtes, gesichertes Leben. Die individualisierte und plurale Gesellschaft bietet dem Individuum grundsätzlich die Chance auf Anerkennung auf allen drei genannten Ebenen. Allerdings beinhaltet diese Chance immer gleichzeitig auch das Risiko, von einer oder mehreren dieser Anerkennungsdimensionen ausgeschlossen zu bleiben. Wird Individuen auf einer Stufe die Anerkennung verweigert oder ist die Anerkennung auf einer der Stufen gefährdet, so steigt die Gefahr, dass diese Individuen nun ihrerseits anderen Personen die Anerkennung verweigern und das Gebot der Unversehrtheit der anderen Person(en) verletzen. In der Sozialen Arbeit wurde und wird der Begriff der Anerkennung unter Rückgriff auf verschiedene philosophische Konzepte für je unterschiedliche Handlungsfelder 41 unterschiedlich bestimmt. Unabhängig jedoch davon, ob dabei auf Hegel und Fichte (wie bei Brumlik 2002), John Dewey (wie bei Himmelmann 2002), Charles Taylor (wie bei Holzbrecher 2002) oder, wie von Annedore Prengel, auf Axel Honneth zurück gegriffen wird: Sozialer Arbeit wird vor dem Hintergrund der verschiedenen Konzeptionen von Anerkennung die Aufgabe zugewiesen, „Individuen in der Entwicklung selbstbestimmter und rational begründeter Entscheidungs-, Handlungs- und Urteilsfähigkeit zu unterstützen. Dies setzt die Anerkennung der Fähigkeit jedes Einzelnen als Individuum voraus, das prinzipiell über entsprechende Fähigkeiten verfügt, deren Entfaltung mit den Mitteln der Pädagogik gefördert und unterstützt werden kann“ (Hafeneger u.a. 2002: 8f.)
Eine derart geforderte Haltung der Anerkennung als Querschnittsthema in ganz verschiedenen pädagogischen Handlungsfeldern muss von Pädagoginnen und Pädagogen systematisch erlernt werden. Für die Qualifizierung von Pädagoginnen und Pädagogen hat Sielert (vgl. Sielert 2002a und Sielert 2004) auf der Grundlage der Pädagogik der Vielfalt und unter Berücksichtigung von Erkenntnissen aus der Dekonstruktion und dem Diversity Management ein sozialpädagogisches Trainingskonzept zum Erwerb von Kompetenzen im Umgang mit Heterogenität vorgelegt. Hier wird theoretisches Grundlagenwissen zu Themenkomplexen wie Diskriminierung und Antidiskriminierungsarbeit und Wissen über relevante Differenzverhältnisse und deren pädagogische Bearbeitung vermittelt. Darüber hinaus geht es im Sinne eines persönlich bedeutsamen, selbstreflexiven Lernens um die Auseinandersetzung mit eigenen Denk-, Fühl- und Verhaltensmustern im Umgang mit Fremdheit/dem Fremden und schließlich um Anwendungsmöglichkeiten der Inhalte in verschiedenen Hand41 So finden sich in den beiden genannten Sammelbänden neben Aufsätzen zum Handlungsfeld Schule u.a. Aufsätze zur interkulturellen Pädagogik, Jugendarbeit und zur Jungen- und Männerarbeit. 176
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lungsfeldern der Pädagogik. Mit einem solchen Training wird damit der oben im Zusammenhang geforderten Differenzsensibilität näher gekommen, die als Voraussetzung angesehen werden kann für das Gelingen pädagogischer Arbeit in einer heterogenen Gesellschaft. Bisher wurde das Thema der Anerkennung vor allem vor dem Hintergrund des pädagogischen Hilfe-Auftrags dargestellt. Wie aber verhält sich das Thema der Anerkennung, die im Kontext der Pädagogik der Vielfalt eingefordert wird, zum Kontrollauftrag der Sozialen Arbeit? Zwar wurde oben bereits angesprochen, dass sich in Zeiten der Entkopplung von Normalität und Normativität die Formen der Subjektivierung und Kontrolle verändern, wie Soziale Arbeit aber mit ihrem Kontrollauftrag gegenwärtig umgehen kann, war bisher nicht weiter thematisiert worden. Prengel plädiert für den schulpädagogischen Bereich für eine dialogische Intersubjektivität, die der Wertschätzung radikaler Pluralität einen zentralen Stellenwert einräumt (vgl. Prengel 1995: 53 und Prengel 1995: 62). Diese Entscheidung für eine radikale Pluralität kann mit Schildmann als „transnormalistische Suchbewegung“ (Schildmann 2004: 143) gekennzeichnet werden, die jedoch einige Fragen nach sich zieht, die bereits im Kontext der Postmoderne-Diskussion gestellt wurden. So zieht eine Haltung der „unstrukturierten Pluralität“ 42 in pädagogischen Kontexten unweigerlich den Vorwurf des anything goes nach sich, weil beispielsweise keinerlei Orientierung darüber besteht, welche pädagogischen Handlungen in der Praxis gegenüber anderen Handlungen bevorzugt werden sollten und welcher Maßstab für sinnvolle pädagogische Handlungen angelegt werden kann. Prengel selbst allerdings relativiert ihre Forderung der radikalen Pluralität. Diese kann nun vielmehr als Grundhaltung, eben als transnormalistische Suchbewegung, verstanden werden, die allerdings in der pädagogischen Praxis der Flankierung durch eine konkrete „gute Ordnung“ (Prengel 1997, zit. n. Schildmann 2004: 153) bedarf. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass Verhaltenregeln festgelegt werden, die der Heterogenität individueller Existenzen geschuldet sind und die unter Berücksichtigung der jeweiligen pädagogischen Erfordernisse heraus aufgestellt werden. Die Normen der guten Ordnungen sind demnach angesiedelt „auf der Ebene zwischenmenschlicher Übereinkünfte im Sinne von Verhaltensregeln und passen sich den jeweiligen Anforderungen des integrativen Geschehens flexibel an“ (Schildmann 2004: 155). Gute Ordnungen im Prengelschen Sinne erteilen normalistischen Perspektiven, die auf einer Orientierung an einer gesellschaftlich-durchschnittlichen Normalität basieren, eine Absage und sollen nicht um eine gedachte Mitte, die dann als herausgehobenes Zentrum dienen kann, herum aufgebaut werden. Vielmehr bietet Prengel in
42 So nennen Beck/Bonß (Beck/Bonß 2004: 37f.) die Strategie der vollständigen Gleichrangigkeit alternativer Varianten im Umgang mit Uneindeutigkeit. 177
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Anschluss an Deleuze und Guattari als Versinnbildlichung einer guten Ordnung das Myzelium 43 an, ein Gefüge also, das „keine starren Strukturen, keine Polarisierungen in Zentrum und Peripherie, keine Hierarchien und keine Ausgrenzungen“ (Prengel 1999, zit.n. Schildmann 2004: 156f.) aufweist. Der Hinweis auf die Notwendigkeit guter Ordnungen als normative Richtschnur für pädagogisches Handeln hat Prengel, das wurde bereits erwähnt, für den schulischen Kontext erstellt. Für den Bereich der Sozialen Arbeit kann die Vorgabe einer guten Ordnung wiederum für die direkte Interaktion mit den Klientinnen und Klienten fruchtbar gemacht werden – unterbelichtet bleibt hier allerdings die sozialstrukturelle Seite. Diese wird in der Prengelschen Pädagogik der Vielfalt in ihrem Zuschnitt auf das Handlungsfeld der Schule und in ihrer Schwerpunktsetzung auf die Interaktionen zwischen PädagogInnen und KlientInnen potentiell vernachlässigt. 44
Differenzreflexion im Kontext des Diversity Managements Als weiteres Konzept, das sich neben der Dekonstruktion und ihrer verschiedenen Rezeptionen, den verschiedenen Richtungen der Cultural Studies und der Pädagogik der Vielfalt mit dem Umgang mit Heterogenität auseinander setzt, hat das Managing Diversity45 Eingang (auch) in die pädagogische Literatur gefunden. Zwar bestehen bedeutende Unterschiede zwischen dem betriebswirtschaftlichen Konzept des Diversity Managements einerseits und den anderen genannten Konzepten, dennoch kann eine Betrachtung des Konzepts u.U. insbesondere die institutionelle Dimension der Heterogenitätsdebatte in der Pädagogik erhellen und verdeutlichen. Das Diversity Management, verstanden als Konzept von Unternehmensführung, mit dem Verschiedenartigkeiten und Gemeinsamkeiten zwischen Menschen in Unternehmen und Organisationen gemanagt werden (vgl. zur Definition von Managing Diversity Sepehri 2002: 77ff. und Krell 2004), entstammt ursprünglich der US-Amerikanischen Gleichstellungsdebatte. Die amerikanischen Bürgerrechtsbewegungen der 1960er Jahre hatten die politische Öffentlichkeit auf die lange Geschichte der Diskriminierung von Frauen
43 Das Myzelium ist das Wurzelgeflecht von Pilzen, F.L. 44 Zwar verortet Prengel die Pädagogik der Vielfalt u.a. im Kontext der Kritischen Theorie (vgl. Prengel 1995: 56ff.), beschränkt sich aber auch hier auf die Untersuchung von Interaktionen, also auf mikrostrukturelle Aspekte. 45 Im Herkunftsland des Konzepts, den USA, spricht man vom managing diversity, in Deutschland wird das Konzept auch als Diversity Management bezeichnet. Die Begriffe werden hier synonym verwendet. 178
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oder ethnischen Minderheiten in den USA aufmerksam gemacht und für die Gleichberechtigung der diskriminierten Gruppen gekämpft. Angestoßen durch die Bürgerrechtsbewegungen, begannen die gesetzgebenden Institutionen der USA Gesetze ins Werk zu setzen, die die bisherige Diskriminierung gesellschaftlicher Gruppen verbieten sollten. Auf der Grundlage der historischen US-Amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, wonach alle Menschen gleich erschaffen und mit unveräußerlichen Rechten – Leben, Freiheit und das Streben nach Glückseligkeit –ausgestattet worden sind, wurden seit etwa der Mitte der 1960er Jahre insbesondere solche Gesetze erlassen, die den diskriminierten Gesellschaftsgruppen zu einem gleichberechtigten Zugang zum Arbeitsmarkt verhelfen sollten.46 Dieser als Equal Employment Opportunity (EEO) bezeichnete Ansatz wurde recht bald für unzureichend erklärt, denn er blieb bei dem Verbot von Diskriminierung stehen. Zwar war damit ein erster Schritt gegen Diskriminierung bzw. für Gleichberechtigung getan, es änderten sich jedoch die prozentualen Anteile der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen in den Unternehmen kaum. Aus diesem Grund wurde als nachfolgendes Instrument des EEO die Affirmative Action (AA) Kampagne ins Werk gesetzt. Dieses Instrument der Quotierung sollte dafür sorgen, dass die von Diskriminierung betroffenen Gruppen gemäß ihrer demografischen Verteilung auch bei der Arbeitsplatzvergabe berücksichtigt werden. Insbesondere African-Americans und Frauen profitierten von diesem Instrument der positiven Diskriminierung, während sich für Angehörige anderer diskriminierter Gruppen wie Latinos, Asiaten oder Menschen, die erst kurze Zeit in den USA lebten, weniger Erfolg einstellte. Darüber hinaus wurde das Affirmative Action Programm dahingehend kritisiert, dass es zwar für bisher diskriminierte Menschen vermehrt Arbeitsplätze gebracht habe, dass diese Arbeitsplätze aber zum geringsten Teil zum mittleren und gehobenen Management gehörten. Eine wirkliche Gleichberechtigung in der vertikalen Dimension sei somit ausgeblieben (vgl. Gardenswartz/Rowe 1998: 487). Widerstand gegenüber dem Affirmative Action Programm regte sich z.T. auch auf Seiten der Arbeitgeber, die sich zum einen in ihrem Recht, frei zu entscheiden, wen sie einstellen und fördern sollten und wen nicht, ein-
46 Gardenswartz/Rowe nennen den Titel VII des Civil Right Acts aus dem Jahr 1964, wonach niemand aufgrund seiner Rasse, Hautfarbe, Religion, nationalen Herkunft oder seines Geschlechts am Arbeitsplatz diskriminiert werden dürfe und die zugehörige Ergänzung, wonach schwangere Frauen nicht benachteiligt werden dürfen, den Age Discrimination in Emloyment Act aus dem Jahr 1967, der die Diskriminierung von 40-70 jährigen Arbeitssuchenden verbietet, den Vietnam Era Veterans Readjustment Assistance Act von 1972,wonach Menschen mit Behinderung und Vietnam Veteranen bei gleicher Qualifikation in Unternehmen gefördert werden sollten, den Rehabilitation Act von 1973, der Unternehmen dazu verpflichtet, physische und intellektuelle Bedürfnisse von gehandicapten Personen zu berücksichtigen. Vgl. Gardenswartz/Rowe 1998: 486. 179
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geschränkt sahen. Zum anderen wurde argumentiert, die „verordnete“ Erhöhung der Heterogenität der Arbeitnehmerschaft im Unternehmen wirke sich negativ auf die Qualität der Arbeitsergebnisse aus. Als weiterer möglicher negativer Nebeneffekt des Affirmative Action Programms stellte sich die Tatsache heraus, dass sich Angehörige bislang privilegierter gesellschaftlicher Gruppen nun ihrerseits diskriminiert fühlten, wenn ihnen ein Arbeitsplatz zugunsten eines Bewerbers vorenthalten wurde, der zu einer der diskriminierten Gruppen gehörte (vgl. Gardenswartz/Rowe 1998,: 488f.). Als Antwort auf die genannten Kritikpunkte kann der Ansatz des Diversity Managements gelten. Dieser wurde, wie Gardenswartz/Rowe betonen, jedoch nicht als Ersatz für die vorhergehenden Programme des EEO und der Affirmative Action implementiert, sondern muss als sinnvolle Weiterentwicklung, die die blinden Flecke der jeweils anderen Konzepte abdeckt, gesehen werden (vgl. Gardenswartz/Rowe 1998: 490). Das Diversity Management impliziert einen mehrfachen Perspektivenwechsel bzw. eine Perspektivenerweiterung. Es folgt beispielsweise weniger als die Affirmative Action ethisch-moralischen Gesichtspunkten, sondern es betont, quasi als Umsetzungsanreiz, die Vorteile, die sich bei Implementierung des Diversity Managements für die Unternehmen ergeben. Es wird davon ausgegangen, dass Menschen mit unterschiedlichem Alter, Geschlecht, unterschiedlicher sexueller Orientierung, Glaubensrichtung, Ethnizität, körperlicher Leistungsfähigkeit, aber auch unterschiedlichem Bildungsstand, unterschiedlicher Arbeits- und Lebenserfahrung und unterschiedlicher Lebensweisen, auch im Betrieb durch vielfältige Verhaltens- und Verfahrensweisen auszeichnen. Diese individuelle Unterschiedlichkeit kann für das Unternehmen in zweifacher Weise nutzbar gemacht werden (vgl. dazu Stuber 2002: 30f., vgl. zu den ökonomischen Vorteilen des Managing Diversity auch Krell 2004: 45f.): Der externe Nutzen bezieht sich zum einen auf die größere Nähe zum Kunden. Wenn das Unternehmen vielfaltssensibel agiert und eine vielfältige, diverse 47 Belegschaft beschäftigt, dann wird es, so die Annahme, auch eine größere Bandbreite an Kunden ansprechen. Darüber hinaus kann mit dem Diversity Ansatz und dem damit verbundenen positiven Arbeitgeberimage das Arbeitskräftepotenzial besser ausgeschöpft werden. Als internen Nutzen erhofft man sich durch das Diversity Management vor allem eine bessere Zusammenarbeit in den heterogen zusammengesetzten Teams und
47 „Divers“ wird in zahlreichen Publikationen zum Diversity Management als Adjektiv zu „Diversity“ benutzt. Es bezieht sich dabei zumeist auf die schon genannten Kerndimensionen des Diversity Managements, wonach innerhalb einer Gruppe von Menschen Unterschiede vor allem hinsichtlich des Alters, Geschlechts, der sexuellen Orientierung, Behinderung, Ethnizität und der unterschiedlichen Glaubensrichtung identifiziert werden können. vgl. Himmel/ Henning 2005: 21. 180
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eine erhöhte Produktivität des einzelnen Mitarbeiters. Dabei endet das Diversity Management nicht bei der Mitarbeiterschaft. Während die Affirmative Action Kampagne vorrangig auf eine Veränderung der Verhaltensweisen und Einstellungen der Mitarbeiter und eine Veränderung der Unternehmenskultur setzte, zielt das Diversity Management auf eine Öffnung des Unternehmenssystems und bezieht damit explizit auch die höheren Management-Ebenen mit in den Veränderungsprozess mit ein (vgl. Gardenswartz/Rowe 1998: 491). Es hat sich in der Zwischenzeit erwiesen, dass das Diversity Management aus verschiedenen Gründen nicht ohne weiteres von den USA auf die Gesellschafts- und Unternehmensstrukturen der Bundesrepublik Deutschland übertragen werden kann. Zwar kann die Bundesrepublik spätestens seit der Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte in der Zeit des Wirtschaftswunders de facto als Einwanderungsland bezeichnet werden, es lässt sich jedoch keine allseits akzeptierte Tradition der Zuwanderung erkennen, wie dies in einigen anderen europäischen Ländern, aber insbesondere in den USA zu konstatieren ist. Heterogenität in der Bevölkerung wurde deshalb in der Bundesrepublik über eine lange Zeit eher als Ausnahme denn als Regel empfunden, nicht hinreichend thematisiert und schon gar nicht, wie in den USA, in verbindliche Gesetze zur Chancengleichheit umgesetzt. 48 Die unzureichende gesetzliche Grundlage stellt einen weiteren Grund für das relativ geringe Engagement von Wirtschaftsunternehmen dar, die sich in der Bundesrepublik bislang ebenfalls nicht flächendeckend dem Diversity Management gewidmet haben (vgl. Vedder 2005: 20). 49 48 Wie schwierig ein solches Unterfangen in der Bundesrepublik ist, ist an der Geschichte des Antidiskriminierungsgesetzes abzulesen, dass die rot-grüne Bundesregierung auf der Grundlage von Vorgaben der EU in den Bundesrat einbrachte. Dort wurde es am 17. Juni 2005 verabschiedet, am 8. Juli 2005 vom Bundesrat abgelehnt und an den Vermittlungsausschuss überwiesen. Dieser hat am 5. September 2005 die Beratungen über das Antidiskriminierungsgesetz vertagt. Da wegen der vorgezogenen Bundestagsneuwahlen am 18. September 2005 alle nicht verabschiedeten Gesetzesvorhaben automatisch verfallen, tritt das ADG vorerst nicht in Kraft. Zwar weist Krell (2004: 47f.) auf eine ganze Reihe von nationalen Gesetzen hin, die auf Gleichberechtigung in Bezug auf einzelne Differenzverhältnisse zielen, ein explizites, belastbares Gesetz zur Implementierung von Antidiskriminierungs-Konzepten fehlt aber bislang in Deutschland. 49 Unternehmen, die sich dem Diversity Management verschrieben haben, sind meist international agierende Unternehmen wie Banken oder Automobilhersteller, die das Konzept nach Deutschland „importiert“ haben, weil sie US-ameri kanische Mutterunternehmen haben oder weil Fusionen stattgefunden haben. Darüber hinaus haben einige Unternehmen auch eigeninitiativ Anstrengungen unternommen. Insgesamt kann man sagen, dass in vielen Unternehmen Maßnahmen in Bezug auf einzelne Differenzverhältnisse unternommen werden (z.B. in Bezug auf das Geschlecht, die Ethnie oder Behinderung), dass aber nur eine Minderheit an privatwirtschaftlichen Unternehmen oder auch Organisationen des öffentlichen Dienstes das Managing Diversity als ganzheitliches Konzept verste181
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Die Rezeptions- und Implementierungsgeschichte des Diversity Managements stellt sich gegenwärtig somit ambivalent dar. Einerseits hat sich das Konzept, wie eben beschrieben, bislang in der Unternehmenspraxis und in anderen Feldern nicht endgültig durchsetzen können. Neben den genannten Gründen, der fehlenden Sensibilität bzw. der mangelnden Bereitschaft, sich des Themas Heterogenität mit all seinen Problematiken und Chancen anzunehmen, und der fehlenden gesetzlichen Unterfütterung des Konzepts, bedarf aber auch das Konzept des Diversity Managements selbst einer kritischen Über arbeitung. So wird u.a. kritisiert, dass keine einheitliche Definition darüber existiert, welche Dimensionen der Vielfalt eigentlich wertgeschätzt werden sollen. 50 Auch vernachlässige das Diversity Management den machtpolitischen Aspekt, denn hinter der prägnanten Formel gehe es schließlich noch immer darum, dass Vorgesetzte als dominante Gruppe im Unternehmen gemäß den eigenen Interessen das Verhalten der vielfältigen Mitarbeiterschaft managen. Es sei ebenfalls nicht gesichert, inwiefern die demografischen Annahmen, wonach die Belegschaften in den nächsten 30 Jahren vor allem in Bezug auf die Dimensionen Behinderung, Alter (mehr ältere Arbeitnehmer), Geschlecht (mehr Frauen) oder Ethnie diverser werden, zutreffen. Schließlich könne niemand vorhersagen, wie sich die Nachfrage nach Arbeitskräften in der Bundesrepublik der nächsten Jahrzehnte verändern wird. Überhaupt stelle sich die Frage, ob eine Erhöhung der Quote von Frauen, Menschen mit Behinderungen, unterschiedlicher Ethnien etc. überhaupt zu einer Erhöhung der Vielfalt im Betrieb führt. Es steht bislang kein verbindliches Instrument zur Messung der personellen Vielfalt zur Verfügung und es bestehen bereits jetzt und auch in äußerlich recht homogen erscheinenden Gruppen (z.B. viele Männer deutscher Herkunft in mittlerem Alter in einer Gruppe) vielfältige Unterschiede, wenn man als vielfaltsrelevante Dimensionen etwa den Elternstatus, die Abteilungszugehörigkeit, den Arbeitsstil, individuelle Wertvorstellungen oder die Karriereambitionen zugrunde legt. Jede Gruppe weise bei näherer Betrachtung zahlreiche Heterogenitäten auf, die, um effizient arbeiten zu können, durch homogenitätsstiftende Maßnahmen reduziert werden müssen. Schließlich sei weiterhin nicht wissenschaftlich abgesichert, in welchen Situationen und unter welhen und dementsprechend realisieren (vgl. Krell 2004: 50). Koall (2001: 130ff.) stellt darüber hinaus Begründungen dar, die Unternehmen zur Legitimierung homogenisierender Prozesse nennen, und die dazu führen, dass das Ziel der Organisation weiterhin Homogenität in der MitarbeiterInnenstruktur ist. 50 Vedder weist auf die Tatsache hin, dass in Bezug auf die Sprache (Englisch) oder die Kleidung (relativ einheitlicher Business-Dresscode) keinesfalls von einer Heterogenisierung gesprochen werden kann. Als prägnantes Beispiel dafür, welche Diversität in Organisationen zunehmend nicht gewertschätzt wird, nennt er die Gruppe der Raucher. Er stellt die Frage, ob es in Organisationen eine „gute“ und eine „schlechte“ Vielfalt gibt und wer die Definitionsmacht darüber besitzt. Vgl., auch für das Folgende, Vedder 2005: 37. 182
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chen Bedingungen heterogen zusammengesetzte Teams effizienter arbeiten als homogen zusammengesetzte Gruppen. Vielfaltsrelevante Faktoren wie die Größe der Gruppe, die Relationen der Subgruppen untereinander, die Gruppensozialisation oder die unterschiedlichen Kommunikationsstile sind zu komplex, als dass sie für verschiedene Organisationen und Kontexte operationalisierbar wären. Letztlich, so Vedder, ist das Konzept des Diversity Managements in seinen vielfältigen Anschlussmöglichkeiten und Dimensionen 51 auch nach 20 Jahren seiner Existenz noch viel zu wenig erforscht und theoretisch fundiert, um befriedigende Strategien oder Ergebnisse für den Umgang mit Heterogenität in Wirtschaftsunternehmen und anderen Gebieten bereitzustellen. Bei der eben dargestellten, recht fundamentalen, Kritik am DiversityKonzept erscheint unklar, worin nun eigentlich die Vorteile dieser Strategie liegen sollen und warum es sich nach wie vor, gemessen an der relativ hohen Anzahl von Forschungsvorhaben, Fortbildungskonzepten, Tagungen, Kongressen und praktischen Implementierungsbeispielen52 zum Thema, einer recht großen Beliebtheit erfreut. Zunächst einmal sind die Argumente, wonach das Managing Diversity wirtschaftlichen Erfolg verspricht und gleichzeitig, früher oder später, auch auf nationaler Ebene durch rechtliche Verordnungen der Antidiskriminierung rechtlich geboten ist, bei aller Skepsis nicht einfach von der Hand zu weisen. Außerdem ist der Begriff der Vielfalt in den meisten Fällen positiv besetzt und das Diversity Konzept spricht für viele Menschen und besonders für die Sozialpädagogik zentrale Werte wie Fairness, Toleranz und Chancengleichheit an (vgl. Vedder 2005: 27). 53 In Bezug auf die Organisationsstruktur existieren in Organisationen des öffentlichen Dienstes und in NonProfit Organisationen bereits zahlreiche Erfahrungen mit dem Gleichstellungsinstrument des Gender Mainstreaming (vgl. Jochmann-Döll [u.a.] 2004, Merk 51 Vedder nennt etwa Vielfalt an möglichen Zielgruppen (Mitarbeiter, Kunden, Zulieferer, Geldgeber) und der tangierten Disziplinen (Personal-, Absatz-, Beschaffungs-, Finanzmanagement). Gleiches könnte man für die vielfältigen Bezüge und Zusammenhänge im sozialen Bereich konstruieren. 52 Das Schlagwort Managing Diversity ergibt im Rahmen einer kurzen Recherche bei google im Oktober 2005 bei weltweiter Suche 23.900.000 Einträge, bei einer Einschränkung auf Websites in deutscher Sprache immerhin noch 78.300. Das Schlagwort Diversity Management ergibt bei weltweiter Suche eine Anzahl von 91.800.000 Einträgen, bei einer Einschränkung auf deutsche Sites ergeben sich immerhin noch 310.000 Einträge. Natürlich können diese nackten Zahlen keinerlei Hinweise auf eine inhaltliche Relevanz geben, sie weisen aber auf die Tatsache hin, dass das Konzept breit rezipiert und diskutiert wird. 53 Dazu lässt es sich, u.U. auch ein Grund für eine recht beständige mediale Präsenz, auf zahlreichen Fortbildungen und Informationsveranstaltungen prägnant präsentieren. Nicht zuletzt haben einige Experten wohl auch die Vermarktbarkeit des Konzepts erkannt und setzen sich deshalb mit aller Kraft für die Verbreitung ein. 183
DER UMGANG DER SOZIALEN ARBEIT MIT DIFFERENZ
2004). Allerdings bezieht sich dieses Instrument ausschließlich auf die Differenz der Geschlechter. Es stellt sich also die Frage, ob und wie das Instrument des Gender Mainstreaming zu einem Konzept des Diversity Mainstreaming ausgebaut werden kann. Zu diesem Zweck ist ein kurzer Blick auf das in der Betriebswirtschaft und im Sozialmanagement bereits vorhandene Konzept der „lernenden Organisationen“ (vgl. Schwarz/Beck 1997: 118ff.) notwendig. In dieser Sichtweise werden Organisationen, egal ob im privatwirtschaftlichen Sektor oder im non-profit Bereich, als soziale Systeme gesehen, deren „Elemente miteinander vernetzt sind und sich gegenseitig beeinflussen, [deren] Strukturen und Verhaltensweisen das Ergebnis zirkulärer Prozesse sind, [die] gleichzeitig in vielfältigen, zirkulären Austauschbeziehungen mit anderen Systemen ihrer Umwelt stehen, und somit Teil einer komplexen, vernetzten, dynamischen Wirklichkeit sind“ (ebd.). Solche Unternehmen haben im Laufe ihres Bestehens bestimmte Traditionen, Normen und Werte entwickelt, die sich unmittelbar auf das Verhalten der Mitarbeiter auswirken. 54 Das Diversity Management zielt nun darauf ab, die Traditionen, Normen und Werte von Unternehmen von der bisher dominierenden Homogenität in Richtung Heterogenität zu verändern (vgl. Koall 2001). Dazu wird die Implementierung einer neuen, nicht einseitig an kurzfristigen Gewinnmaximierungen orientierten Unternehmens- und Managementkultur nötig. In der Sprache des Sozialmanagements ausgedrückt: es ist eine Balance gefordert „zwischen den Werten und Normen der Organisation als Leistungsgemeinschaft und Personengemeinschaft“ (Schwarz/Beck 1997: 124). Denn nur, wenn ein Unternehmen sein Streben nach Leistungserbringung und Gewinnmaximierung einerseits und die Individualität der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die diese Leistung schließlich erbringen sollen, andererseits miteinander in Balance hält, kann auf Dauer eine Organisationskultur entstehen, die sowohl die Zufriedenheit von Management, Mitarbeitern und Kundschaft sowie das Fortbestehen der Organisation sichert. Als ganz fundamental wichtig für die Implementierung von Diversity Management Konzepten wird deshalb nicht nur die Lernbereitschaft auf Seiten der Organisation angesehen. Vielmehr muss neben der eben beschriebenen lernenden Organisation die Förderung der Fähigkeiten der in einer Organisation arbeitenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sich offen auf Vielfalt einzulassen und dementsprechend zu handeln, treten. An diesem Punkt des Diversity-Prozesses können ganz offensichtliche Parallelen zur Sozialen Arbeit gezogen werden. Denn sowohl bei der Implementierung des Diversity Managements als auch in pädagogischen Zusammenhängen geht es um den Erwerb ei54 Im klassischen Ansatz der lernenden Organisationen werden beispielsweise Dimensionen wie Fehlerfreundlichkeit oder Umgang mit Konflikten angesprochen und ein konstruktiver Umgang mit Fehlern und Konflikten gefordert, vgl. Schwarz/Beck 1997: 123. 184
DIFFERENZSENSIBLE KONZEPTE
ner Handlungskompetenz, die fachliche Kompetenz, selbstreflexive Kompetenz und zwischenmenschliche Kompetenz miteinander zu verbinden mag. In der Diversity-Literatur (vgl. Himmel/Henning 2005: 21ff.) wird dazu folgender Weg vorgeschlagen: Zunächst geht es darum, die im jeweiligen Kontext, sei es innerhalb einer Belegschaft einer Organisation oder in Bezug auf das Klientel in der Sozialen Arbeit, vorgefundene Vielfalt zu erkennen. Menschen mit der Kompetenz des diverse thinkings (ebd.) sind sensibilisiert für die Unterschiede, Benachteiligungen, Stereotype und Vorurteile, die zwischen Individuen bestehen können. Darüber hinaus sind sie sensibilisiert für die Vielfalt, die innerhalb der einzelnen Individuen erkennbar ist. 55 Neben dem Erwerb des diverse thinkings geht es darum, diese Fähigkeit auch im Umgang mit anderen Mitarbeitern oder in der Führung einer vielfältigen Mitarbeiterschaft umsetzen zu können, eine Fähigkeit, die mit dem Terminus des diverse acting umschrieben wird (vgl. Himmel/Henning 2005: 21f.). Um die Ziele des diverse thinking und des diverse acting zu erreichen, müssen neben den fachlichen Kompetenzen, die in dem jeweiligen Berufsfeld obligatorisch sind, intrapersonale und interpersonale Schlüsselkompetenzen erworben werden. Zu den intrapersonalen Kompetenzen zählen Himmel/Henning (vgl. Himmel/Henning 2005: 22ff.) zum einen eine Innovationskompetenz, die es der Person erlaubt, offenes Interesse an seiner Umgebung, an neuen Impulsen und an ungewöhnlichen Lösungswegen zu zeigen. Zum zweiten gilt es, eine Prozesskompetenz zu erlangen, die durch ein Gespür für Arbeitsabläufe und Entscheidungsspielräume zu einer hohen Selbstverantwortung des Individuums beiträgt. Zum dritten zählt zu den vielfaltsrelevanten intrapersonalen Kompetenzen die Ausbildung einer Parallelitäts- und Flexibilitätskompetenz. Diese soll das Individuum zum einen in die Lage versetzen, gleichzeitig parallel verlaufende Prozesse begleiten zu können, andererseits aber auch angemessene Reaktion auf unvorhergesehene Ereignisse ermöglichen. Schließlich wird die Notwendigkeit eines diversityreflektierten Selbstkonzepts betont. Der Mitarbeiter bzw. der/die PädagogIn sollte in der Lage sein, die eigenen kulturellen Prägungen und die kulturellen Prägungen der anderen Beteiligten kontinuierlich zu reflektieren. Diese Kompetenz, die u.a. darauf zielt, hegemoniale Strukturen zu reflektieren, abzubauen und interkulturelle Kompetenz aufzubauen, ist aus der Interkulturellen Pädagogik hinreichend bekannt – wie überhaupt die hier aufgezählten Fähigkeiten eng verwandt sind mit einer spezifisch reflexiven, flexiblen pädagogischen Grundhaltung, die in der Sozialen Arbeit so eminent wichtig ist. Zu den interpersonalen Kompetenzen, die sich auf den zwischenmenschlichen Umgang
55 Dies erinnert ganz eindeutig an das in der Pädagogik breit rezipierte sozialpsychologische Konzept der Patchworkidentität, vgl. Keupp/Höfer 1997 und Keupp 2002. 185
DER UMGANG DER SOZIALEN ARBEIT MIT DIFFERENZ
beziehen, werden insbesondere Teamkompetenz, Netzwerkkompetenz und multikulturelle Kompetenz gezählt. Die Teamkompetenz verlangt ein hohes Maß an kommunikativen Fähigkeiten und bildet damit eine wesentliche Voraussetzung für die Zusammenarbeit an einer komplexen Aufgabe oder für die konstruktive Abwägungen von Zielen der gemeinsamen Arbeit, sei es innerhalb eines Teams oder in der Zusammenarbeit zwischen Pädagogin und Klientin. Netzwerkkompetenz meint die Fähigkeit, Bindung zu gestalten, beispielsweise während einer gemeinsamen Teamarbeit oder im Anfangsstadium einer neu gegründeten Gruppe. Von herausragender Wichtigkeit bei den interpersonalen Kompetenzen ist die multikulturelle Kompetenz, die ein grundsätzliches Interesse und eine grundsätzliche Offenheit anderen Kulturen und Identitäten gegenüber ebenso beinhaltet wie die Fähigkeit, zwischen den Angehörigen unterschiedlicher Kulturen zu vermitteln Bei aller oben bereits angesprochenen und berechtigten Kritik am Konzept des Diversity Managements sollen hier vor allem die Chancen betont werden, die sich für die Soziale Arbeit ergeben können. Zunächst einmal ist Sielert zuzustimmen, der für die Implementierung des Diversity Managements in soziale Organisationen formuliert: „Soziale Dienstleistungsunternehmen […] können sich die positiven Synergieeffekte zunutze machen, die mehr gleichberechtigte Verschiedenheit und ein Abbau von Leitkultur mit sich bringen. Sie können dadurch dem Ziel der persönlichen, rechtlichen und gesellschaftlichen Anerkennung eines jeden Menschen näher kommen und gleichzeitig im Hinblick auf den Organisationszweck erfolgreicher werden“ (Sielert 2004: 267)
Neben diesem Nutzen für einzelne soziale Organisationen und deren MitarbeiterInnen steckt in dem Konzept des Diversity Managements insbesondere die Chance des Anstoßes einer Reflexion über die Organisationsstrukturen in der Sozialen Arbeit. Der Bereich der Reflexion von Organisationsstrukturen, der Entwicklung von Eigendynamiken innerhalb einer Organisation oder die Analyse der Folgen von Eigenrationalitäten sozialer Organisationen für pädagogisches Handeln fristet bislang ein Schattendasein in der sozialpädagogischen Forschung (vgl. Ader 2006: 250ff.). Die Einführung des Gender Mainstreaming hat zwar den Fokus auch auf organisationale Strukturen gerichtet, eine grundsätzliche Bearbeitung der Frage, welche Rolle die Strukturen sozialer Organisationen für die Soziale Arbeit spielen, steht indes noch aus.
Differenzreflexion im Kontext der Inclusive Education Das Konzept der Inclusive Education (vgl. Thomas/Vaughan 2005) soll hier vorgestellt werden, weil es sich, darin dem Diversity Management ähnlich, mit 186
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Organisationsstrukturen und deren Veränderung beschäftigt. Allerdings entstammt die Inclusive Education einem gänzlich anderen Zusammenhang, nämlich der Debatte um die Integration von behinderten Kindern bzw. den unterschiedlichen Bildungschancen, die unterschiedlich begabte Kinder in der Institution Schule haben. Diese Debatte wird schon länger in Ländern wie Kanada, England und auch in den USA geführt, sie wird gegenwärtig aber auch verstärkt in der Bundesrepublik virulent, nachdem die PISA Studie festgestellt hatte, dass etwa Kinder aus Migrantenfamilien im deutschen Bildungssystem benachteiligt werden (vgl. Füller 2006) 56 – hier kommt das Thema der Zugangsgerechtigkeit auch im Kontext der Schule zum Vorschein. Die Inclusive Education fordert auf der Basis von Sozialer Gerechtigkeit, allgemeinen Teilhaberechten und Partizipation 57 die inklusive Beschulung aller Kinder. Damit ist im Gegensatz zur Praxis der Integration von behinderten Kindern in allgemeinbildenden Schulen eine Praxis gemeint, die die Heterogenität aller Schüler anerkennt und diese in einem gemeinsamen System beschult. Obwohl die Inclusive Education aus dem Bereich der Behindertenpädagogik stammt, wird in ihrem Kontext die Berücksichtigung ganz verschiedener Differenzverhältnisse, neben der Dimension der ability etwa die Dimensionen gender, ethnicity, nationality, first language, races, classes, religions, sexual orientation, physical conditions und andere, gefordert (vgl. Hinz 2006: 4). „Inclusive Pädagogik beansprucht einen Paradigmenwechsel, von der ‚functional limitation perspective‘ zur ‚minority perspective‘ […]. Es geht diesem Verständnis nach nicht um die Einbeziehung einer Gruppe von Menschen mit Schädigungen in eine Gruppe Nichtgeschädigter, vielmehr liegt die Zielsetzung in einem Miteinander unterschiedlichster Mehr- und Minderheiten – darunter auch die Minderheit der Menschen mit Behinderungen“ (Hinz 1998: 2)
56 Füller berichtet in der taz vom Mittwoch, den 15. Februar vom Besuch des Sondergesandten der Vereinten Nationen, Vernor Muñoz Villalobos in deutschen Bildungseinrichtungen. Dieser hatte den Auftrag, das deutsche Bildungssystem im Rahmen einer Resolution des Ausschusses für Menschenrechte der Vereinten Nationen auf etwaige Menschenrechtsverletzungen zu überprüfen. Villalobos kritisierte nach Abschluss seiner Inspektionen eine zu frühe Trennung deutscher Schüler nach Leistung und bemängelte die Integration von Ausländerkindern und einen engen Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildung. 57 Hier bezieht sich die Inclusive Education auf ganz unterschiedliche Quellen, etwa auf Martin Luther King, John Rawls oder auch Thomas Paine, der in den Jahren 1791 und 1792 in seiner zweiteiligen Schrift „The Rights of Man“ die französische Revolution verteidigte und sie über die Grenzen Frankreichs hinaus, besonders im englischsprachigen Bereich, bekannt machte. Auszüge finden sich in Thomas/Vaughan 2005. 187
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Damit wird zum einen deutlich, dass diese Konzeption über das bisherige Verständnis von Integration weit hinausgeht, zum anderen bedarf es zur Erreichung der Ziele der Inclusive Education neben einem produktiven Umgang mit Heterogenität in der Schule (vgl. Becker [u.a.] 2004) vor allem Veränderungen am „System Schule“ und damit Veränderungen der Organisationsstruktur einer jeden einzelnen Schule. Die institutionelle Ebene ist dabei nicht die einzige zu berücksichtigende Dimension (vgl. Booth/Ainscow 2005: 181ff.), sie bildet aber den Rahmen für die Prozesse, die Gemeinsamkeit stiften sollen zwischen den vielfältig unterschiedlichen Schülerinnen und Schüler. Der umfassende Prozess der Schulentwicklung hin zu einem inklusiven System bedarf dabei, ähnlich wie das im Kontext des Diversity Managements beschrieben wurde, der kontinuierlichen Reflexion und der Lernbereitschaft aller Beteiligten.
Zusammenfassung: Die Differenzreflexion im Kontext der differenzsensiblen Konzepte In den vorangegangenen Punkten wurden ganz verschiedene Theorien und Konzepte aus unterschiedlichen wissenschaftlichen und praktischen Zusammenhängen vorgestellt, die jedoch in Bezug auf ein Merkmal zusammenfassbar sind: die Differenz steht im Mittelpunkt der Reflexion. Trotz der Heterogenität der vorgestellten Theorien und Konzepte soll an dieser Stelle der Versuch unternommen werden, analog zu den vorangegangenen Abschnitten der Arbeit, die Erkenntnisse in den drei für die Soziale Arbeit wichtigen Perspektiven auf die Gesellschaft, auf das Individuum und auf das Spannungsfeld von Hilfe und Kontrolle zusammen zu fassen.
Der Blick auf die Gesellschaft V: Polykontexturalität und das Soziale als Diskurs Die in den letzten Punkten dargestellten Theorien und Konzeptionen, die Dekonstruktion und deren Rezeption in Feminismus und Pädagogik, die aus der Schulpädagogik stammende Pädagogik der Vielfalt, das betriebswirtschaftliche Konzept des Diversity Managements und verschiedene Konzepte der Kulturwissenschaften, zeichnen sich nicht durch eine gemeinsame Vorstellung von Gesellschaft aus. Es liegt zum Teil gar nicht in deren Erkenntnisinteresse, eine Perspektive auf die Gesellschaft zu eröffnen, geschweige denn, eine einheitliche Konzeption von Gesellschaft vorzulegen. War es in den verschiedenen vorigen Kapiteln immerhin holzschnittartig gelungen, eine gemeinsame Sicht der pädagogischen Konzepte auf die Gesellschaft zu erkennen, muss dieses Unterfangen hier schon deshalb scheitern, weil die hier vorerst als diffe188
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renzsensibel dargestellten Theorien z.T. noch kaum oder zumindest nicht systematisch in der Theorie der Sozialen Arbeit rezipiert wurden und deshalb keine einheitliche Perspektive vorliegt. Es wird an dieser Stelle deshalb nicht darum gehen, den einen einheitlichen Blick auf die Gesellschaft vorzuschlagen, vielmehr soll sich angenähert werden an verschiedene Theorieangebote, die die Differenz zum Ausgangspunkt ihrer Gesellschaftsbeobachtung machen, die verschiedene Perspektiven auf die Gesellschaft eröffnen und die deshalb im Kontext einer differenzsensiblen Sozialen Arbeit fruchtbar sein können. Es sind dies die Theorie der funktionalen Differenzierung nach Niklas Luhmann und die Politische Theorie der Hegemonie nach Chantal Mouffe und Ernesto Laclau. Auf den gesellschaftstheoretischen Entwurf Luhmanns, die Theorie der funktionalen Differenzierung (vgl. Luhmann 1987 und 1997), wurde bereits kurz im Kontext des Diversity Managements eingegangen. Auch in der Erziehungswissenschaft inzwischen breit rezipiert, stellt Luhmann die Grundorientierung seiner Theorie von Identität auf Differenz um, sie verabschiedet die Vorstellung von Gesellschaft als homogenes Ganzes und die Vorstellung eines ideellen und normativem Sinnzentrums und kommt so dem pädagogischen Ausgangspunkt der Heterogenität entgegen. Allerdings stellen sich in Anschluss an die Luhmannsche Theorie der funktionalen Differenzierung aus Sicht der Sozialen Arbeit wichtige Fragen, denn die Theorie funktionaler Differenzierung stößt dort an ihre Grenzen, wo sich in der Gesellschaft andere Formen der Differenzierung zeigen, etwa stratifizierte, klassenbasierte Formen der Differenzierung. Damit ist die Systemtheorie Luhmanns auch relativ blind für eine präzise Konzeption von politischen oder sozialen Identitäten, denn diese befinden sich bei Luhmann ortlos in der Umwelt der Systeme. Die Theorie der funktionalen Differenzierung betont, dass die gegenwärtige Gesellschaft verschiedene Systeme ausdifferenziert, die gesellschaftsweit für bestimmte Problemlösungen alleinzuständig sind. Die verschiedenen Teilsysteme sind, weil sie sich in ihrer Kommunikation ausschließlich an den ihnen zugrunde liegenden binären Codes orientieren, selbstreferentiell geschlossen (vgl. Schimank 2000: 129). Allerdings gibt es vielfältige fremdreferentielle Einwirkungen der Teilsysteme untereinander, sie sind damit gleichzeitig strukturell gekoppelt. Es kann somit nicht von einer Einheit der Gesellschaft ausgegangen werden, denn die jeweiligen Systeme orientieren sich in ihrer spezifischen Funktionsweise nicht an einer übergeordneten Norm, sondern entscheiden ausschließlich nach den ihnen zugrunde liegenden binären Codes. „In diesem Sinne wird nur im Wirtschaftssystem über das Zahlen bzw. Nichtzahlen disponiert, nur im Politiksystem wird die Frage behandelt, wer Macht oder keine Macht hat, um kollektiv bindende Entscheidungen zu treffen und durchzusetzen, nur im Rechtssystem wird über das Recht oder Unrecht von Handlungen entschieden, nur 189
DER UMGANG DER SOZIALEN ARBEIT MIT DIFFERENZ
in der Wissenschaft geht es um die Wahrheit oder Unwahrheit von Erkenntnissen und nur in der Sozialen Arbeit wird bedürftigen Personen fallförmig geholfen oder (nicht[mehr-] bedürftigen) eben nicht (mehr)“ (Kleve 2000: 29f.)
Das Ideal der Moderne, die gesellschaftliche Einheit, kann so nur noch paradox beschrieben werden. Die Identität der Gesellschaft besteht letztlich aus einer Mehrzahl von Selbstbeschreibungen, sie ist polykontextural (vgl. wiederum Kleve 2000: 35ff. und Schimank 2000: 126ff.). Die Theorie funktionaler Differenzierung orientiert sich somit als Ausgangspunkt nicht mehr an der Einheit, sondern an der Differenz. Um der Komplexität der funktional differenzierten Gesellschaft gerecht zu werden, müssen die eingenommenen Beobachtungsstandpunkte vervielfältigt werden. Aus den verschiedenen Perspektiven resultieren ambivalente oder gar plurivalente Beschreibungen ein und desselben Gegenstandes. Die Konstruktion einer in sich eindeutigen, geschlossenen Theorie, z.B. der Gesellschaft, wird unmöglich. 58 Mit der Theorie der funktionalen Differenzierung von Luhmann liegt nun eine soziologische Theorie vor, die Differenz zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen macht und ein radikal dezentriertes und heterarchisches Gesellschaftsmodell vorschlägt. Darüber hinaus weist die Systemtheorie Luhmannscher Prägung weitere Gemeinsamkeiten mit der Dekonstruktion auf, die eine wesentliche Grundlage der in den letzten Abschnitten vorgestellten Feministischen Theorie, der Queer Theory, der Cultural Studies und der Postcolonial Studies darstellt: „die Systemtheorie verabschiedet sich vom cartesianischen Subjektbegriff wie auch vom ‚Kompromiß‘ der Intersubjektivität […]; sie bezieht eine pessimistische Position hinsichtlich der Möglichkeit einer universellen Rationalität und betont statt dessen die Unmöglichkeit von MetaNarrativen (Stäheli 2000a: 15). Allerdings würde sich die überwiegende An58 „Die Erhaltung der Paradoxität wird zur Notwendigkeit und zum Maßstab der Orientierung an Differenz“ (Clam 2002: 29), vgl auch Kleve 2000: 98ff. Vor diesem Hintergrund ist die Frage erörtert worden, ob es sich bei der Sozialen Arbeit um ein eigenes Funktionssystem handelt, oder wie die Soziale Arbeit im Kontext der Theorie der funktionalen Differenzierung anders beschrieben werden könnte(vgl. zu dieser Diskussion Bommes/Scherr 2000: 109ff.). In Anschluss an Bommes/Scherr, die Soziale Arbeit nicht als eigenständiges Funktionssystem definieren, ist sie vielmehr „als ein Komplex von Organisationen zu begreifen, die sich auf der Basis der Herausbildung des modernen Wohlfahrtsstaates auf die Bearbeitung vielfältiger Formen von Hilfsbedürftigkeit spezialisieren“ (Bommes/Scherr 2000: 66). Bommes und Scherr begeben sich mit dieser Formulierung in Opposition zu Autoren wie Baecker, Fuchs/Schneider oder Weber/Hillebrand, die die Soziale Arbeit als eigenständiges Funktionssystem in der Gesellschaft ansehen (vgl. ebd.). Die Soziale Arbeit reagiert damit nicht nur auf Hilfsbedürftigkeit, die ökonomisch veranlasst ist, sondern auch auf Hilfsbedürftigkeit, die politisch, rechtlich, durch Erziehung oder durch spezifische Anforderungen moderner Organisationen bedingt ist. 190
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zahl von VertreterInnen des Feminismus, der Queer Theory, der Cultural Studies oder der Postcolonial Studies vehement dagegen wehren, die Theorie funktionaler Differenzierung als hinreichendes gesellschaftstheoretisches Fundament zu bezeichnen, denn in ihr nimmt der Platz des Politischen einen eher geringen Stellenwert ein. Während die eben genannten Theorien unter Rückgriff auf die Dekonstruktion explizit eine politische Perspektive einnehmen und versuchen, eine politische Stoßwirkung zu erzielen, lehnt Luhmann vehement die Möglichkeit einer politischen Gesellschaftssteuerung ab. Das politische System ist bei Luhmann genau so selbstreferentiell geschlossen wie andere Teilsysteme und kann keine direkt steuernde Wirkung auf diese ausüben, auch seine Einschätzung über die Wirkmächtigkeit sozialer Bewegungen fällt allenfalls ambivalent aus (vgl. dazu Schimank 2000: 138ff.). Indem die Theorie funktionaler Differenzierung auf einen ausgewiesenen Begriff des Politischen verzichtet und Politik auf die Kommunikationen des politischen Systems reduziert, genügt sie nicht als hinreichende Gesellschaftstheorie für den Feminismus, die Queer Theory, die Cultural und die Postcolonial Studies. Diese sind angewiesen auf eine politische Gesellschaftstheorie, mit der die Vielfalt von Hegemonialkämpfen und Differenzen in einer postmodernen Welt reflektiert werden können. Eine solche Theorie legen Ernesto Laclau und Chantal Mouffe mit ihrer Dekonstruktion des Marxismus vor (vgl. Laclau/Mouffe 1991). Laclau und Mouffe entwickeln hier eine Diskurs- und Hegemonietheorie, in der sie den Begriff des Sozialen durch den Begriff des Diskurses ersetzen. Das Soziale erscheint als diskursives System kontingenter Differenzen (vgl. Stäheli 1998: 54). „Der Diskursbegriff erlaubt es, eine dezidiert konstruktivistische Position zu vertreten, die das Soziale unter dem Gesichtspunkt der Sinnerzeugung und des Scheiterns von Sinnfixierungen analysiert“ (Stäheli 2001: 197f.). Laclau und Mouffe setzen sich damit von Theorien ab, die eine sozial-strukturelle, materiale Ebene der Gesellschaft von einer kulturellen, diskursiven Ebene unterscheiden und formulieren die Frage nach der Ordnung einer Gesellschaft um in die Frage, wie Sinn erzeugt wird. Anders allerdings als bei Habermas wird der Diskursbegriff hier nicht sprachbasiert zur normativen Begründung einer kritischen Gesellschaftstheorie verwendet, sondern in den Fokus der Analyse gerät die Frage, wie Realität in Diskursen hergestellt wird (ebd.). Nach Mouffe und Lauclau sind Diskurse Differenzsysteme, in denen um die Bedeutung spezifischer sozialer Tatsachen gerungen wird. Dazu wird diskursiv ein Horizont abgesteckt, der die Möglichkeiten und Grenzen eines Diskurses definiert: in politischen Auseinandersetzungen übernimmt ein leerer Signifikant59 die Rolle
59 Der Begriff des leeren Signifikanten stammt aus dem Strukturalismus. Hier wird ein Zeichen als die Differenz von Signifikant (Bezeichnendem) und Signifikat 191
DER UMGANG DER SOZIALEN ARBEIT MIT DIFFERENZ
eines Platzhalters, der mit Bedeutung gefüllt werden muss. Solche leeren Signifikanten könnten beispielsweise Begriffe wie Ordnung, Freiheit oder auch Leitkultur, Gemeinschaft und Familie sein. Dies sind Begriffe, die von ganz unterschiedlicher Seite mit Bedeutung gefüllt werden könnten, die sich aber einer eindeutigen Definition entziehen. Innerhalb eines Diskurses sind darüber hinaus zwei einander widerstrebende Logiken am Werk. Zum einen handelt es sich dabei um die Logik der Äquivalenz, die unterschiedlichen Elementen eines Diskurses eine Gemeinsamkeit verleiht. Im Kontext des Diskurses Nationalismus könnte die Logik der Äquivalenz beispielsweise dazu führen, dass Eigenschaften wie Ordnung, Verlässlichkeit, Tatkraft, Sauberkeit und Ehrlichkeit den Mitgliedern einer bestimmten Nation zugeordnet werden und so eine bestimmte Bedeutung erzeugt wird. Gleichzeitig ist innerhalb eines Diskurses jedoch die Logik der Differenz am Werk, die es erlaubt, die einzelnen Elemente eines Diskurses getrennt voneinander wahrzunehmen. So können die oben als äquivalent bezeichneten Elemente Ordnung, Verlässlichkeit, Tatkraft, Sauberkeit und Ehrlichkeit weiterhin voneinander unterschieden werden. Die Gleichzeitigkeit von den sich widerstrebenden Logiken der Äquivalenz und der Differenz führt dazu, dass Diskurse sich theoretisch nicht vollständig schließen können, weil permanent die Logik der Differenz, die es uns erlaubt, Elemente voneinander zu unterscheiden, und die Logik der Äquivalenz, die es uns erlaubt, differente Elemente gleichzusetzen, zur gleichen Zeit am Werk sind. Hier kommt jedoch der oben eingeführte Begriff des leeren Signifikanten ins Spiel, der die Aufgabe übernimmt, als Symbol für die äquivalenten Elemente zu dienen und diese zu organisieren und zusammenzuhalten. „‚Grün‘ als leerer Signifikant ermöglicht es, diskursive Elemente wie ‚ökologisches Auto‘ und ‚Pazifismus‘ in einem gemeinsamen Diskurs zu artikulieren“ (Stäheli 2001: 204), obwohl die Beziehung zwischen den beiden Elementen nicht zwangsläufig vorgegeben wurde. Der leere Signifikant ‚grün‘ organisiert und schließt hier einen speziellen Diskurs und bezeichnet damit gleichzeitig seine Grenzen. 60 Der Diskurs ist damit auf Grenzziehungen angewiesen, die zumindest vorübergehend festlegen, welche Bedeutung dem Diskurs zukommen sollen und welche nicht. Endgültig fixiert werden kann eine solche Bedeutung indes nicht, weil keine höhere Instanz existiert, die dazu in der Lage wäre. Hier kommt der Begriff des Politischen ins Spiel, bei dem es sich nach Laclau/ Mouffe um ein Ensemble jener Entscheidungen handelt, „die auf einem unentscheidbaren Terrain getroffen worden sind, d.h. einem Terrain, für welches Macht konstitutiv ist“ (Laclau 1996: 103, zit.n. Stäheli 2001: 205). Politische (Bezeichneten) bestimmt. „Ein leerer Signifikant verliert seine Zeichenhaftigkeit, weil ihm sein Signifikat abhanden gekommen ist“. Stäheli 2001: 201. 60 Die etwa dann erreicht ist, wenn beispielsweise ein Krieg als probates ökologisches Mittel gegen die Überbevölkerung propagiert wird (vgl. ebd.). 192
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Entscheidungen können nicht auf ein bereits vorgegebenes Sinngebäude rekurrieren, sondern nur auf jene Diskurse, die vorher bereits hergestellt wurden: „keine der Gruppen, die eine bestimmte Option durchsetzen möchten, können sich auf eine Rationalität stützen, die aus der entscheidenden Situation hervorgeht“ (Laclau 1996: 31, zit.n. Stäheli 2001: 205). Im Gegensatz zum Feyerabendschen anything goes, das für eine solche unstrukturierte Situation keine Lösung vorsieht, muss in der gesellschaftlichen Realität zur Herstellung einer Struktur eine Entscheidung getroffen werden, was zu der paradoxen Formel „das Unentscheidbare muss entschieden werden“ führt (vgl. ebd. und Beck/ Bonß/Lau 2004: 37f.). Damit wird klar, dass Diskurse Machtgefüge sind, deren spezifischen Inhalte und deren Veränderbarkeit von den herrschenden Machtverhältnissen abhängen. Dabei wird Macht nicht ausschließlich als negative und repressive Instanz gedacht, sondern sie ist konstitutiv für jede alltägliche Sinnproduktion, weil durch jede auf der Basis von Machtverhältnissen getroffene Entscheidung neue Artikulationen, also neue Verbindungen von diskursiven Momenten, geschaffen werden. In einer radikal-demokratischen Gesellschaft ist nun eine Vielzahl von unterschiedlichen und heterogenen Subjektpositionen denkbar, die miteinander auf der Basis der Zustimmung zu den demokratischen Prinzipien von Gleichheit und Freiheit um hegemonialen Einfluss ringen. Da Gleichheit und Freiheit leere Signifikanten sind, also mit ganz verschiedenen Bedeutungen füllbar, „kann sich eine Pluralität von ganz unterschiedlichen communities in den demokratischen Raum einschreiben“ (Mouffe 1993, zit.n. Stäheli 2001: 212). Auch das Projekt der radikalen Demokratie bezieht sich auf einen leeren Signifikanten, „nämlich dem ‚demokratischegalitären Imaginären‘“ Stäheli 2001: 213), auch in diesem Diskurs ist zum einen die Logik der Differenz am Werk, insofern als verschiedene Identitäten einen möglichst großen Selbstbestimmungsraum für sich beanspruchen können. Die Äquivalenz wird gleichzeitig durch die Gemeinsamkeit der Demokratie hergestellt. Indem das Projekt der radikalen Demokratie die Allgegenwärtigkeit von Machtverhältnissen und Antagonismen anerkennt, diese aber nicht essentialisiert, sondern als kontingent kennzeichnet, unterscheidet es sich deutlich von traditionellen emanzipativen Bewegungen. Es erkennt somit an, dass sowohl innerhalb des eigenen Diskurses als auch innerhalb anderer Diskurse die Logiken der Äquivalenz und der Differenz gleichzeitig am Wirken sind, so dass nicht von homogenen, konsistenten Positionen gesprochen werden kann. Das Konzept der radikalen Demokratie lässt eine Vielzahl von Identitäten zu, homogenisiert diese nicht, lässt die bestehenden Differenzen zu und fordert als strukturierendes Moment das Bekenntnis zur egalitären Demokratie. Insofern handelt es sich auch bei der radikalen Demokratie um ein hegemoniales Projekt, das versucht, den leer gewordenen Platz der Macht einzunehmen. Die von Mouffe und Laclau vorgelegte Theorie korrespondiert in ihrer dekonstruktiven Herangehensweise mit den Konzepten des dekonstruktiven Fe193
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minismus, der Queer Theory sowie den Cultural und Postcolonial Studies. Auch hier lässt sich eine politische Stoßrichtung identifizieren, die von Differenz ausgeht, die eigenen Homogenisierungen kritisch reflektiert und sie damit sichtbar macht.
Der Blick auf das Individuum V: Die Dezentrierung des Subjekts Für den Untersuchungszeitraum der Nach-68er Ära wurde für den Bereich der Persönlichkeitsentwicklung die Notwendigkeit der Ausbildung von Rollendistanz, Empathie und Ambiguitätstoleranz beschrieben. Die drei genannten Fähigkeiten galten in der Sicht der Rollentheorie als Grundqualifikationen für kommunikatives Handeln und korrespondierten insofern mit dem Erziehungsziel der Emanzipation. Um die Rollentheorie ist es zu Beginn des 21. Jahrhunderts recht ruhig geworden, was natürlich nicht bedeutet, dass sie damit für die Soziale Arbeit obsolet geworden ist. Dennoch argumentieren dekonstruktive und auf die Dekonstruktion aufbauende differenzsensible Ansätze anders als die Rollentheorie und gehen beispielsweise in Bezug auf die Identitätsbildung über sie hinaus. So könnte man aus der Sicht der Rollentheorie argumentieren, dass sich in der pluralisierten, funktional differenzierten Gesellschaft zu Beginn des 21. Jahrhunderts die Rollenstruktur für das Individuum noch einmal vervielfältigt. Diese Vervielfältigung findet in dem Maße statt, wie die Anzahl der Rollen, die das Individuum potentiell ausfüllen könnte, ansteigt und wie gleichzeitig normierte Beschränkungen der Kombinierbarkeit dieser verschiedenen Rollen abnehmen. So würde aus der Sicht der Rollentheorie eine Vielzahl möglicher Kombinationen verschiedener Rollen, die das Individuum potentiell wahrnehmen könnte, entstehen. Diese Art der Argumentation nimmt zwar gesellschaftliche Erscheinungen der Pluralisierung auf, geht aber weiterhin von einem autonom handelnden, mit sich selbst identischen Subjekt aus. Gerade gegen diese Vorstellung verwahren sich jedoch die oben angesprochenen poststrukturalistischen Theorien, die von der Dezentrierung des Subjekts sprechen: „Die Identität des Subjekts kann nicht unabhängig von seiner Einschreibung in verschiedene diskursive Oberflächen und Dispositive gefasst werden. Das Subjekt wird erst durch den Ort des Sprechens, Fühlens und Handelns geschaffen. Die Vielfältigkeit gesellschaftlicher Diskurse ist denn auch gleichzeitig die Vielfältigkeit des Subjekts“ (Stäheli 2000: 48). Stäheli identifiziert drei wesentliche Unterschiede zwischen der Subjektkonstruktion im Kontext der Rollentheorie und der im Kontext der Dekonstruktion (vgl. Stäheli 2000: 49). Während die Rollentheorie Handlungen an einem gesetzten Maßstab von Rollenerwartungen misst, weist die Dekonstruktion gerade auf die Tatsache hin, dass diese Maßstäbe des angemessenen Rollenhandelns in der gegenwärtigen Gesellschaft prekär werden. Denn 194
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auch diese Maßstäbe unterliegen ihrerseits diskursiven Auseinandersetzungen, in denen sie immer wieder neu hervorgebracht werden. Zweitens sieht die Rollentheorie die Fragmentierung des Selbst, beispielsweise durch Rollenkonflikte, eher als unerwünschten Nebeneffekt von Rollendifferenzierungen. Die Dekonstruktion hingegen sieht die konflikthafte Fragmentierung des Selbst als Normalfall an. Als Folge dieser Normalität der Fragmentierung geht dann auch die Vorstellung eines einheitlichen Subjekts verloren. Vielmehr konstituiert sich das Individuum 61 durch die Einnahme verschiedener Subjektpositionen, mit dem es sich dann, sozusagen nachträglich, identifiziert. Für das Individuum differenzieren sich in der polyzentrisch verfassten Gesellschaft potentiell vielfältige Realitäten und Sinnhorizonte aus, die sich nicht mehr unter eine normative, alles abdeckende Zentralperspektive subsumieren lassen. Das Individuum ist, das wurde oben bereits im Kontext der kulturellen Interferenzen gesagt, heute gleichzeitig der Wirkung ganz unterschiedlicher handlungsleitender Wissensordnungen ausgesetzt (vgl. Reckwitz 2001: 190). Diese kulturellen Interferenzen bedeuten für das Individuum interpretative Mehrdeutigkeit. „Handlungssituationen und insbesondere die eigene Person sowie die soziale Zugehörigkeit erscheinen nicht mehr eindeutig bestimmbar, sondern werden ambivalent. Je nachdem, welches der lebensweltlichen kulturellen Codes herangezogen wird, sind unterschiedliche Sinnzuschreibungen möglich, werden unterschiedliche Praktiken nahegelegt“ (Reckwitz 2001: 191). Man muss sich aus pädagogischer Sicht nicht unbedingt Foucaults abstrakter Sichtweise des Subjekts, die das Subjekt ganz aufgelöst und es nur in diskursiv bestimmten Subjektpositionen erkennt, anschließen. Eine völlige Dekonstruktion des Subjekts ist im Kontext der Sozialwissenschaften, insbesondere in der Pädagogik, nicht durchhaltbar und auch nicht unbedingt das Ziel der dekonstruktiven Herangehensweise. Das konsistente und selbstreflexive Individuum wird mit der Foucaultschen Lesart lediglich als analytische Kategorie obsolet, während es zumindest als hegemoniales Projekt in der gesellschaftlichen Realität erhalten bleibt Stäheli 2000: 49). Das analytische Subjekt ist zwar dekonstruiert, trotzdem können aus Sicht der Pädagogik weiterhin Dimensionen der Subjektivität beschreiben werden, die zeigen, dass das Subjekt auf Dimensionen wie Selbstgefühl und Selbstwahrnehmung, Selbstbewertung, Selbstbewusstsein, Selbstbestimmungsfähigkeit angewiesen bleibt (vgl. Scherr 2002a: 31ff.). Auf diese Tatsache wurde insbesondere im Kontext der Pädagogik der Vielfalt und in der Verbindung von Cultural Studies und Kritischer Pädagogik bei Henry A. Giroux aufmerksam gemacht, die auf verschiedene Spielarten der Theorie der Anerkennung und auf den Stellenwert der Bildung für das Individuum zurückgegriffen hatten. In der Sicht des einzelnen In61 Hier argumentiert Stäheli (2000: 50) in Anschluss an Foucault. 195
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dividuums besteht Subjektivität in einem anderen als dem dekonstruktiven Sinn weiter und es bedarf einer kontinuierlichen Identitätsarbeit (vgl. Keupp 2002), um vor dem Hintergrund der heterogenen und fragmentierten gesellschaftlichen und kulturellen Gegebenheiten „Architekt und Baumeister des eigenen Lebensgehäuses zu werden (Keupp 2002: 54). 62 Trotz dieser Relativierung der Dezentrierung des Subjekts bleibt die dekonstruktive Herangehensweise für eine differenzsensible Soziale Arbeit bedeutsam. Denn während die Pädagogik häufiger damit beschäftigt ist, notwendige Voraussetzungen und Fähigkeiten des Individuums zur Herstellung einer gelingenden Identität zu formulieren, kann die dekonstruktive Herangehensweise darüber hinaus den eigenen, sozialpädagogischen Blick auf das Individuum qualifizieren. Denn im Kontext der Dekonstruktion wurden systematisch scheinbar feststehende Identitäten, z.B. Geschlechts-, Klassen-, ethnische, kulturelle oder sexuelle Identitäten verflüssigt. Identität wurde zu einem prozesshaften Begriff, in dem gleichzeitig auch immer das durch eine bestimmte Identität ausgegrenzte, die Alterität, von Interesse für die Pädagogik ist. „Jede Identität wird über Exklusionsprozesse und Grenzziehungen hergestellt – und es ist gerade eine der Aufgaben poststrukturalistischer Analyse, die Spuren dieser Exklusionen nachzuzeichnen“ (Stäheli 2000: 69). Das Ziel dieses Analyseprozesses besteht dabei nicht darin, Grenzziehungen abzuschaffen. Vielmehr sollen Grenzziehungen sichtbar und variabler gemacht und Alternativen zu den bisherigen Grenzziehungen aufgezeigt werden. Im letzten Punkt steckt nun der pädagogische Impetus der Dezentrierung des Subjekts. Denn indem die Soziale Arbeit und die in ihr Tätigen diese Grenzziehungen im Kontext ganz unterschiedlicher Identitäten erkennen und wahrnehmen lernen, und darüber hinaus die damit einher gehenden Exklusionen erkennen, qualifiziert sie sich für einen differenzsensiblen Umgang mit Klienten in der pluralisierten Gesellschaft. Wenn in der Pädagogik der Vielfalt als Aufgabe formuliert wird, die Pädagogik solle Subjekte anerkennen und ihnen Möglichkeiten eröffnen, so ist dazu eine hinreichende Differenzsensibilität nötig. Einer solchen kann durch das Wahrnehmen unterschiedlicher Differenzen, die sich auch untereinander in komplexer Weise beeinflussen, näher gekommen werden. Denn es müssen in der pädagogischen Praxis stets mehrere Differenzen gehandhabt werden, auch wenn die bisherige Theorie der Sozialen Arbeit eher die für sie relevanten ausgesondert und in den den jeweiligen Gegenstandsbereich strukturierenden Entwurf integriert hat. Demgegenüber wird mit der hier vorgeschlagenen Herangehensweise die Komplexität wieder erhöht: Differenzen 62 Über welche Kompetenzen das Individuum bestenfalls verfügen sollte, um dieser Aufgabe gerecht zu werden, hat Antonovsky in seinem Konzept der Salutogenese dargestellt (vgl. Antonovsky 1998). Auf Antonovskys Modell greift auch Keupp zurück. 196
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und Grenzziehungen sind vielfältig wirksam, sie sollten deshalb in der pädagogischen Arbeit auch systematisch berücksichtigt werden.
Das Spannungsfeld von Hilfe und Kontrolle V: Gouvernementalität und transnormalistische Suchhaltung Im Kontext der lebensweltorientierten Sozialen Arbeit kreiste die Ambivalenz von Hilfe und Kontrolle um eine zunächst befürchtete Therapeutokratie, bevor der Bereich der Kontrolle vor dem Hintergrund der Individualisierungs- und Pluralisierungspostulats in der reflexiven Moderne für obsolet erklärt wurde. Schließlich endete die Analyse mit dem einigermaßen lapidaren Befund von Bommes und Scherr, wonach Hilfe in der Sozialen Arbeit immer auch mit Kontrolle verbunden sei und dass dieser triviale Sachverhalt allein kaum kritikwürdig wäre. Vor dem Hintergrund der eben erfolgten Darstellung von Gesellschafts-, Kultur- und Subjektvorstellungen in der dekonstruktiven Sicht, wird klar, dass auch von der Dekonstruktion kein neuer allgemeinverbindlicher Vorschlag von Normativität zu erwarten ist. Normativität und Normalität sind gleichwohl auch in der Dekonstruktion nicht einfach verschwunden. Es sind allerdings neue Formen der Kontrolle entstanden, auf die beispielsweise Foucault in seinen Analysen der Gouvernementalität hingewiesen hat. Mit Gouvernementalität ist bei Foucault ein umfassender Begriff der Regierung gemeint. Er bezieht in seinen Begriff der Regierung die Beherrschten mit ein, indem er die Verbindungslinien zu analysieren sucht, die zwischen der Herrschaft und der Subjektivität existieren. Im geht es um eine Analyse des Verhältnisses von Herrschaftstechniken und Selbsttechnologien, um die Regierung von anderen und um die Regierung seiner selbst. Schon in seinen früheren Arbeiten (vgl. etwa Foucault 1977) 63 plädiert Foucault für eine Neukonzeption der Machtanalyse, indem er darauf hinweist, dass Macht nicht eine Institution, nicht eine Struktur und nicht eine Mächtigkeit einiger Mächtiger ist (vgl. Foucault 1977: 114). Statt sich weiterhin auf die Suche nach einer verbietenden Kraft oder kontrollierenden Überwachung zu machen, die die Form der Kontrolle noch im Protonormalismus geregelt haben, betont Foucault mit dem Begriff der Gouvernementalität die besondere Machtform Regierung, die in der modernen Gesellschaft ihre Wirkung entfaltet. Diese Regierung ist gekennzeichnet durch das Zusammenwirken einer Fremdführung von außen und einer Selbstführung der Individuen. Wichtig für die Soziale Arbeit ist daran, dass nicht die Kontrolle weggefallen ist, sondern dass sich die Formen der Kontrolle verändert haben. Es geht dabei nun immer weniger um die protonormalistische Art und Weise des Über63 Eine gut lesbare Einführung in das Werk Foucaults liefert Sarasin 2005. Zum Begriff der Gouvernementalität vgl. Foucault 2004 und Sarasin 2005: 172-196. 197
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wachens, sondern es wird, da von einem rationalen Individuum ausgegangen wird, das Kosten und Nutzen seines Handelns abwägt, „die Regulation des Sozialen über eine Steuerung der jeweils entscheidungs-relevanten Rahmenbedingungen vollzogen“ (Otto/Seelmayer 2004: 59). Dem Individuum wird in dieser Form der Kontrolle mehr Freiheit zugestanden. Es muss allerdings in der Lage sein, diese Freiheit auszufüllen und eventuelle Risiken durch rationale Entscheidungen zu bewältigen. Die dazu nötigen Kompetenzen des Individuums, Eigenverantwortlichkeit, Selbststeuerung und Selbstkontrolle verweisen auf das politische Konzept, das sich dem Mechanismus der Gouvernementalität bedient: den aktivierenden Sozialstaat. Dieser ist auf eben jene Akteure angewiesen, die in der Lage sind, rationale Planungsbüros ihrer Selbst zu sein. Sind sie es nicht, greift der Staat durch fördernde Maßnahmen kompensatorisch ein. Helfen auch diese fördernden Maßnahmen nicht, das Individuum beispielsweise in den Arbeitsmarkt zu integrieren, werden fordernde und repressive Maßnahmen ergriffen (vgl. Otto/Ziegler 2005: 124). So steht die Soziale Arbeit vor der paradoxen Situation, dass das von ihr mit staatskritischem Impetus schon immer geforderte Primat der Selbstführung nun im neoliberalen Sinne ergänzt und umgebaut wird. Es werden nicht nur die erhofften Möglichkeiten einer individuellen und selbst gestalteten Lebensführung sichtbar, sondern auch die Gefahren, die mit dem Abbau einer sozialstaatlich organisierten Sicherung für das Individuum einhergehen. Dabei wird die wesentliche Gefahr darin gesehen, dass allgemeine Risiken des Lebens verstärkt in die Hände der Individuen zurückgelegt werden. Diese müssen nun im Sinne eines Managements der persönlichen Risiken durch individuelle Vorsorge ihre Lebensführung selbsttätig absichern. Problematisch wird dies in Fällen, in denen die Individuen, aus welchen Gründen auch immer, nicht in der Lage sind, für eine solche Sicherung selber zu sorgen. Denn hier wird das Soziale Netz weitmaschiger und fängt diese Personen eben nicht mehr zwangsläufig auf. Da dies gegenwärtig immer häufiger der Fall ist, wie etwa am Armutsbericht (vgl. Deutsche Bundesregierung 2005) und der Frage der zunehmenden Überschuldung privater Haushalte (vgl. Verbraucherzentrale des Bundesverbandes zur Verbraucherpolitik 2006) abzulesen ist – gewinnen kapitalismuskritische Sichtweisen und Diskurse um soziale Ausschlüsse in der Sozialen Arbeit in der letzten Zeit und zurecht wieder an Gewicht. Die Bedeutung des Kontrollmodells der Gouvernementalität für das Soziale und die Soziale Arbeit wird gegenwärtig kontrovers diskutiert. 64 Dabei 64 Vgl. wiederum Böhnisch/Schröer/Thiersch 2005 und insbesondere Kessl 2005. Kessl macht darauf aufmerksam, dass die Foucaultschen Machtanalysen in der bundesdeutschen Sozialen Arbeit noch kaum explizit rezipiert sind. Wenn dies doch der Fall ist, dann werden sie überwiegend zurückgewiesen, vgl. Kessl 2005: 67ff. 198
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scheint sich die Kontroversität der Debatte vor allem aus der Abkehr von der bisher in der Lebensweltorientierten Sozialen Arbeit dominierenden Repressionshypothese der Macht zu speisen, wonach „Macht und Herrschaft als kolonialisierende, also unterdrückende Handlungsformen erfass[t]“ (Kessl 2005: 80) werden können. Demgegenüber wird in der Sichtweise Foucaults eben die Sichtweise vertreten, wonach Macht das Handeln der Individuen durchdringt und das individuelle Handeln Machtverhältnisse (re)produziert. Kessl plädiert deshalb dafür, Macht im Kontext der Sozialen Arbeit nicht nur staatstheoretisch zu reflektieren, sondern pädagogisches Handeln selbst als „historischspezifisches Regierungshandeln“ zu analysieren. In den Fokus der Analyse geriete dann nicht mehr die Frage, ob Soziale Arbeit Regierungshandeln vollzieht, sondern „in welcher Weise und mit welcher Zielsetzung“ (Kessl 2005: 81). Brumlik etwa kritisiert die Abkehr von der Repressionshypothese scharf: „Wenn Kessl im Anschluß an den späten Foucault, im Gestus überlegener Distanz endlich auch noch die sog. ‚Repressionshypothese‘ der Macht verwirft, […] hat er den Begriff der Macht nicht nur seiner theoretischen, explanativen Möglichkeiten benommen, sondern ihn auch noch seiner normativ kriterialen Dimension entkleidet und kann daher nur noch bei einem nun wirklich positivistischen Gebrauch bleiben“ (Brumlik 2005: 36)
Gegen eine kritiklose Übernahme der einen oder anderen Position, die Foucaultsche Annahme einer Allgegenwart der Macht, die eine kritische Analyse von Machtverhältnissen in Erziehungsverhältnissen in den Hintergrund drängt einerseits und die Repressionshypothese, die eine Dichotomie von Herrschenden und Beherrschten voraussetzen muss, andererseits, sprechen aus der Sicht der Sozialen Arbeit gewichtige Gründe. Die Foucaultsche Gouvernementalität lässt kritische Interventionen in Herrschaftsverhältnisse in der Tat kaum zu, weil „jede Sozialisation, jede Erziehung und jede Bildung eben ‚Regierung‘ [ist]“ (Kessl 2005:81) – nicht mehr und nicht weniger. Allerdings wäre der einfache Verweis auf die Repressionshypothese gesellschaftstheoretisch unterkomplex und würde zudem keine neuen Erkenntnisse für die Soziale Arbeit zulassen. Welche neuen Einsichten lassen sich demgegenüber mit der oben bereits angesprochenen Hegemonietheorie nach Gramsci gewinnen? Zunächst einmal geht Gramsci, daran hat sich Foucault später angeschlossen, von einer komplexen Dominanzstruktur aus, die das Soziale durchzieht. Damit ist deutlich, dass sich Soziale Arbeit nicht außerhalb der staatlichen Macht positionieren kann, wie dies im Kontext des „anti-staatliche Impuls[es] (Kessl 2005: 75ff.) suggeriert wird. Anders als Foucault, dessen Position darauf hinaus zu laufen scheint, dass jegliches Handeln letztlich Regierungshandeln bedeutet und schon deshalb nicht von einer bestimmten Position aus kritisiert werden kann, können mit Gramsci jedoch mögliche gesellschaftliche Rezeptionspraxen analysiert werden, die wiederum eine Wirkung auf Regierungs- und Füh199
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rungshandeln ausüben. Mit Gramscis Analyse, wonach die Regierungstätigkeit der herrschenden Gruppen „als ein gesellschaftliches Verhältnis zu denken [ist], das sich in Aushandlungen, Kompromissen, und ideologischen Deutungskämpfen verdichtet und schließlich über pädagogische Formen der Einbindung, Integration und Führung hegemonial wird“ (Merkens 2005: 3), wird somit zweierlei deutlich. Die Soziale Arbeit kann programmatisch weiterhin an einem kritischen Begriff der Macht festhalten und bestehende Machtverhältnisse in ihren ideologischen Zusammenhängen kritisieren – sie ist dazu vor ihrem gesellschaftlichen Auftrag der Hilfe geradezu aufgefordert. Insbesondere kann sie, wie dies von Giroux vorgeschlagen wird, auf die Rezeptionspraxen der „Beherrschten“ Einfluss nehmen, indem sie die Handlungsmöglichkeiten ihrer KlientInnen zu erweitern sucht. Soziale Arbeit kann sich aber andererseits nicht außerhalb der bestehenden Dominanzstruktur positionieren, sondern muss die eigene Rolle innerhalb dieser permanent mitreflektieren. Mit Gramsci gesprochen: „Jeder Lehrer [ist] immer auch Schüler und jeder Schüler Lehrer“. 65 So wird es zur permanenten Aufgabe der Sozialen Arbeit, die eigene von der Sozialpolitik zugewiesene Kontrollfunktion im Kontext der jeweils hegemonialen politischen Diskurse zu reflektieren und diese offen zu legen. Das Paradoxon von Hilfe und Kontrolle kann damit nicht gelöst, aber immerhin koordiniert und prozessorientiert gewendet werden. Vor dem dargelegten Hintergrund wird nun der Fokus der Aufmerksamkeit zunehmend auch auf den Mikrobereich der Macht gelegt, nämlich auf die direkte Auseinandersetzung zwischen PädagogInnen und KlientInnen. In dieser Perspektive wird es für die praktische Pädagogik zunehmend wichtiger, strukturelle Widersprüche, wie beispielsweise das Paradox von Hilfe und Kontrolle, im beruflichen Alltag zu erkennen und kontinuierlich zu reflektieren. Unterschiedliche Sichtweisen und Perspektiven auf ein bestimmte Thema oder auf einen bestimmten Fall müssen stets mitbedacht und in den Handlungsprozess eingespeist werden, immer in dem Bewusstsein, dass das eigene Handeln nur vorläufig richtig sein kann und der steten Überprüfung bedarf (vgl. Urban 2004: 94f.). Als normative Basis einer solchen reflexiven Haltung kann die oben im Kontext der Pädagogik der Vielfalt bereits angesprochene transnormalistische Suchhaltung dienen. Diese Suchhaltung war im Kontext der Pädagogik der Vielfalt als eine mögliche Haltung vorgeschlagen worden, wie in der face-to-face Interaktion mit den KlientInnen mit der Differenz von Abweichung und Normalität produktiv und demokratisch umgegangen werden könnte. Auf der Basis einer transnormalistischen Grundhaltung plädierte Prengel für die Suche nach einer guten Ordnung
65 So Gramsci in seinen Gefängnisheften, zit. n. Merkens 2005: 6. Gramsci bezieht sich hier auf die Marxschen Feuerbachthesen und die darin enthaltene Forderung der Selbstreflexivität jeder materialistischer Theoriebildung. 200
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in der pädagogischen Praxis, die die Heterogenität individueller Existenz ebenso berücksichtigt wie die jeweiligen pädagogischen Erfordernisse. Dabei hatte Prengel dafür plädiert, im Umgang mit Normalität und Abweichung auf starre Strukturen, auf Polarisierungen in Zentrum und Peripherie sowie auf Hierarchien und Ausgrenzungen zu verzichten. Neben dieser normativen Orientierung bedarf reflexives pädagogisches Handeln theoretischen Wissens über die Widersprüchlichkeit von Normalität und Abweichung sowie Hilfe und Kontrolle vor dem Hintergrund zahlreicher, sich in ihrer Wirkung überlagernder Differenzverhältnisse. Je nach Handlungsfeld werden dabei verschiedene Differenzverhältnisse ihre Wirkung entfalten, so dass allgemein sozialpädagogisches Wissen über historische und gesellschaftliche Zusammenhänge und spezifisches Differenzwissen, wie etwa interkulturelle Kompetenz oder Genderkompetenz, zusammenkommen müssen mit dem Bewusstsein, unauflösbar in diese Vielschichtigkeit verstrickt zu sein, mithin immer HelferIn und KontrolleurIn zugleich zu sein (vgl. Urban 2004).
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Schluss: Anstöße aus den Differenzdiskussionen für die Soziale Arbeit
Was lässt sich nun aus dem historischen Durchgang und der Vorstellung der unterschiedlichen differenzsensiblen Konzepte für die Soziale Arbeit lernen? Eine Antwort soll in sechs Schritten erfolgen und eher thesenartig denn systematisch zeigen, in welche Bereiche der Sozialen Arbeit die differenzsensiblen Konzepte integriert werden können, um dem anfangs formulierten Ziel der Zugangsgerechtigkeit näher zu kommen. Die Aufgabe der Sozialen Arbeit wurde zu Beginn der vorliegenden Untersuchung definiert „als Arbeit an der Schaffung gerechter Zugänge zu Ressourcen der Lebensgestaltung wie zur Erreichung gesellschaftlich anerkannter Ziele und Integrationswege“ (Böhnisch/ Thiersch/Schröer 2005: 251). Damit wurde verdeutlicht, dass auf dem Weg zum Ziel eben dieser Zugangsgerechtigkeit einerseits die sozialstrukturelle Dimension, also die Fragen nach der sozialökonomischen Verteilung gesellschaftlicher Güter sowie die Lebenslagen der Personen in die Reflexion einbezogen werden muss und zum anderen die interaktionstheoretische Dimension der Gleichheit und Gerechtigkeit, die Anerkennung im Sinne des Respekts vor der Eigenheit des Anderen in pädagogischen Kontexten nicht vernachlässigt werden darf. Notwendig ist also ein Problembewusstsein in Bezug auf Differenz, Heterogenität, Hybridität und Vielfalt sowohl in ihrer chancenreichen Dimension der Verwirklichung eines eigenen Lebens als auch in der Dimension neu entstehender Exklusionsrisiken. Im Verlauf der vorliegenden Arbeit konnten verschiedene Arten des Umgangs mit Differenzverhältnissen in Geschichte und Gegenwart der Sozialen Arbeit gekennzeichnet werden. Diese reichten von einer Suche nach Gemeinsamkeiten in einer homogen konstruierten Volksgemeinschaft an der Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert über die Ausmerze aller nicht in das von den Nationalsozialisten bestimmte enge Normalfeld der arischen Rasse passenden Individuen im Nationalsozialismus, bis hin zur politisch motivierten 203
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Betonung vor allem kollektiver Differenzen und der damit einhergehenden Vernachlässigung des Individuums nach 1968. Die Lebensweltorientierte Soziale Arbeit schließlich ist zwar in der Lage, Pluralität und Individualisierung zu erkennen, bezieht aber Differenz nicht systematisch als analytische Kategorie in ihre Konzeption ein. Die Dekonstruktion und ihre verschiedenen Rezeptionen, die Cultural und Postcolonial Studies, die Xenologie , die Pädagogik der Vielfalt, das Diversity Management und die Inclusive Education schließlich wählen Differenz als Ausgangspunkt ihrer Konzeptionen, sind aber aus unterschiedlichen Gründen nicht umstandslos in das Feld der Sozialen Arbeit übertragbar, bzw. sie reichen je für sich nicht für eine (Neu-)Begründung Sozialer Arbeit in ihrer spezifischen Vermittlungsposition zwischen Individuum und Gesellschaft, zwischen Hilfe und Kontrolle aus. Die moderne Soziale Arbeit erwuchs zum Ende des 19. Jahrhunderts aus der Tatsache der Sozialen Frage und bleibt bis heute ganz wesentlich mit ihr verbunden. Aus dieser Verbundenheit resultiert auch die vorwiegende Konzentration auf Soziale Ungleichheit im sozioökonomischen Sinne und die daraus resultierende Strategie der sozioökonomischen Umverteilung, die auch in der aktuellen, lebensweltorientierten Sozialen Arbeit dominiert. Zwar geriet, angestoßen durch die Neuen Sozialen Bewegungen der 1970er Jahre, zunehmend auch die Gerechtigkeitsstrategie der Anerkennung in den Aufmerksamkeitsbereich der Sozialen Arbeit, denn es wurde zunehmend die gesellschaftliche Heterogenität, die damit neu entstehenden Ungleichheitsdimensionen und die notwendige Stärkung einer Strategie der Anerkennung differenter Lebensweisen erkannt, die vormals eher vernachlässigt wurde. Die mit dieser Strategie implizierte systematische Zurkenntnisnahme wesentlicher, das Soziale strukturierende Differenzverhältnisse fand aber nicht in ausreichendem Maße statt, bzw. es wurden daraus nicht in genügendem Maße theoretische und praktische Konsequenzen für eine Soziale Arbeit gezogen, die zugleich die Gerechtigkeitsstrategie der Umverteilung und die Gerechtigkeitsstrategie der Anerkennung berücksichtigt. Um der Anerkennung im Kontext der Sozialen Arbeit einen größeren Stellenwert einzuräumen ist die Integration der in den letzten Abschnitten dargestellten differenzsensiblen Konzepten nötig. Diese können insbesondere den Bereich gesellschaftlich dominanter Repräsentations-, Interpretations- und Kommunikationsmuster erhellen und dekonstruieren, sind aber zugleich nicht blind für sozioökonomische Ungleichheiten. Es ist also nicht nötig, einen Gegensatz zwischen der Umverteilungs- und der Anerkennungsstrategie im Sinne eines entweder-oder zu formulieren, sondern es können und müssen beide Strategien in einer zweidimensionalen Konzeption von Gerechtigkeit zugleich verfolgt werden. In einem letzten Abschnitt sollen nun Dimensionen einer Sozialen Arbeit ausgeleuchtet werden, die sowohl die Gerechtigkeitsstrategie der Umverteilung als auch die der Anerkennung berücksichtigt. Thesenartig wird zusam204
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mengetragen, über welche Kompetenzen professionell tätige Pädagoginnen und Pädagogen verfügen sollten und welche Perspektiven die Soziale Arbeit einnehmen kann, um die beiden genannten Dimensionen der Gerechtigkeit angemessen zu integrieren. Dabei wird der Blick gemäß einer klassisch sozialpädagogischen Einteilung (vgl. zu dieser Einteilung Thiersch 1993: 12) (1.) gerichtet auf das Soziale Feld bzw. die Gesellschaft insgesamt, auf das Individuum – hier spezifiziert (2.) im Blick auf die Person des/der KlientIn und (3.) auf die Person des/der PädagogIn – sowie auf die (4.) pädagogische Beziehung, auf die (5.) Institutionen der Sozialen Arbeit und schließlich (6.) auf die Disziplin. Das Ziel dieser abschließenden Betrachtung besteht darin, die Erträge der einzelnen differenzsensiblen Theorie- und Konzeptquellen für eine differenzsensible Soziale Arbeit herauszuarbeiten und die Möglichkeiten der Integration dieser Theorien und Konzepte in verschiedene Dimensionen der Sozialen Arbeit zu verdeutlichen.
Der Blick auf das soziale Feld Die Cultural Studies können einer differenzsensiblen Sozialen Arbeit, die sich der zweidimensionalen Konzeption von Gerechtigkeit verschreibt, insbesondere für den Blick auf das soziale Feld, also die gesellschaftliche Dimension Sozialer Arbeit, wertvolle Hinweise liefern. Denn während die Soziale Arbeit ihren Blick auf das soziale Feld bislang durch den Habermasschen Dualismus von System und Lebenswelt oder durch die Theorie funktionaler Differenzierung in Anschluss an Luhmann (vgl. den Abschnitt „Der Blick auf die Gesellschaft V“) strukturiert – und damit zugleich in spezifischer Weise limitiert – plädieren die Cultural Studies für einen interdisziplinären und multiperspektivischen Zugang, der der Realität vielfältiger Lebenslagen in der Gesellschaft wesentlich näher kommt. Diese Herangehensweise eröffnet der Sozialen Arbeit die Möglichkeit, den eigenen wissenschaftlichen Blick auf das soziale Feld differenzsensibel auszurichten und so zu einer neuen wissenschaftlichen Wahrnehmungsfähigkeit der vielfältigen Chancen und Exklusionsrisiken in einer heterogenen Gesellschaft zu gelangen. Für den differenzsensiblen Blick auf das Soziale eignet sich insbesondere die Diskurs- und Hegemonietheorie nach Laclau und Mouffe (vgl. ebd.). In Anschluss an diese Sichtweise kann das soziale Feld im Sinne eines heuristischen Prinzips zunächst gekennzeichnet werden als diskursives System kontingenter Differenzen. Aus der Sicht der Sozialen Arbeit ergibt sich daraus die Notwendigkeit, Kenntnisse über verschiedene, die Gesellschaft strukturierende, Differenzdiskurse, etwa über soziale Ungleichheit und Ausgrenzung, Fragen von Abweichung und Normalität, Geschlechterfragen oder interkulturelle Fragen kontextorientiert auf bestimmte pädagogische Settings anzuwenden. Indem der Diskursbegriff auf das Soziale 205
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angewendet wird, wird es für die Soziale Arbeit möglich, vielfältig sich überlagernde Differenzverhältnisse in den Blick zu nehmen. Damit werden Differenzen als konstruiert und veränderbar sichtbar, gleichzeitig ist es möglich, die Wirkmächtigkeit und die herrschaftlichen Wirkungen dieser Konstruktionen auf das Individuum zu reflektieren. Eine Hierarchisierung von Differenzen ist damit nicht verbunden. Es kann nicht zwangsläufig von vornherein für alle Theorie- und Praxisfelder der Sozialen Arbeit eine wesentliche Leitdifferenz, etwa die Differenz der Sozialen Ungleichheit, ausgemacht werden, unter die andere Differenzverhältnisse subsumiert werden könnten. Vielmehr ist es die Intention einer differenzsensiblen Sozialen Arbeit, mit dieser Prämisse der konstruierten Diskurse auf den Perspektivenreichtum hinzuweisen, der notwendig ist, um das Soziale und soziale Probleme in seiner heutigen Gestalt hinreichend komplex zu beschreiben. Mit der konstruktivistischen Position ist hier allerdings dezidiert kein anything goes, keine unstrukturierte Pluralität im Beckschen Sinne (vgl. Beck/Bonß/Lau 2004: 37f.) und auch kein Vernachlässigen der materialistischen Dimension sozialer Ungleichheit gemeint, sondern es ist mit dieser Position intendiert, die jeweils passende(n) und relevante(n) Perspektive(n) auf das Soziale einzunehmen, die vor dem jeweiligen pädagogischen Hintergrund, dem pädagogischen Auftrag und der jeweiligen Klientel angemessen erscheinen. Denn je nach Handlungs- und Theoriefeld werden unterschiedliche Differenzen dieses Feld strukturieren. Als besonders häufige, miteinander verschränkte und sich überlagernde Querschnittsdifferenzen können dabei sicher die Differenz der Sozialen Ungleichheit, die Geschlechterdifferenz, die Differenz der Ethnien und weiterhin die Differenz von Abweichung und Normalität gelten. Es gilt aber, den Blick offen zu halten für weitere oder andere Differenzverhältnisse und deren spezifischen Exklusionsrisiken, die in unterschiedlichen Feldern virulent und dort für die pädagogische Arbeit und für das Ziel der Zugangsgerechtigkeit viel wichtiger sein können, etwa Differenzen in Bezug auf Behinderung, psychische Erkrankungen, auf Gesundheit allgemein, Altersstufen, Religionen, Körper usw.. Darüber hinaus sollten auch die Wirkungen reflektiert werden, die öffentliche und wissenschaftliche Differenzdiskurse auf alle Beteiligten der pädagogischen Arbeit ausüben, etwa auf ForscherInnen, SozialpädagogInnen, KlientInnen, Angehörige von KlientInnen und nicht zuletzt auf die mediale Öffentlichkeit. So wird es zu einer wesentlichen Kompetenz von SozialpädagogInnen, Differenzdiskurse auf ihre lebensweltlichen und politischen Implikationen kritisch zu überprüfen, ganz so, wie es oben im Kontext der Cultural Studies beschrieben wurde (vgl. den Abschnitt „Die Cultural Studies und die Begriffe der Hegemonie und der Performativität“). Insbesondere das dargestellte Konzept des leeren Signifikanten verweist darauf, dass scheinbar geschlossene Diskurse, die eine bestimmte, festgelegte Bedeutung vortäuschen, hinterfragbar sind und bestimmte hegemoniale Wirkungen zeitigen, man denke gegenwärtig etwa an die Auseinander206
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setzungen über das Gelingen oder das Scheitern der multikulturellen Gesellschaft, über den Islam, Parallelgesellschaften, die Gewaltbereitschaft von Jugendlichen mit Migrationshintergrund, die Rolle der Frau im Islam etc.. Die aktuelle Auseinandersetzung um diese Begriffe, in denen Verhandlungen über das Verhältnis von Abweichung und Normalität und spezifische Werte und Normen implizit immer mittransportiert werden, und der Streit um einen angemessenen Umgang mit ihnen, zeigt die Vielschichtigkeit und die Vielzahl von Perspektiven, die auf diese Phänomene möglich – und nötig – sind. Zweitrangig wird in dieser Perspektive die Suche nach der einen richtigen Definition oder Bedeutung eines Diskurses oder eines Begriffes, sondern es ist zunächst anzuerkennen, dass solche Diskurse hegemoniale Wirkmächtigkeit erlangen, sich auf das Fühlen, Denken und Handeln der beteiligten Individuen in verschiedener Weise auswirken und in ihrer ganzen Komplexität nur durch die Einnahme mehrerer, auch paradoxer, Perspektiven angemessen zu erfassen sind. Das Ziel einer solchen diskursorientierten Herangehensweise ist nicht zuletzt die Ausbildung einer professionellen Haltung, die den Blick auf die Gesellschaft offen hält, die die Heterogenität, Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit (an-)erkennt und so in der Lage ist, sich sensibler mit der Vielzahl von unterschiedlichen Problem- und Lebenslagen von KlientInnen zu beschäftigen. 1 Dieser an Diskursen orientierte, differenzsensible Blick entbindet Studierende der Sozialen Arbeit keinesfalls davon, über genuin soziologische, gesellschaftstheoretische Fragestellungen nachzudenken und zu begründen, welche Aufgaben die Soziale Arbeit in einer Gesellschaft übernehmen kann und soll und welche gesellschaftstheoretischen Voraussetzungen dafür bestehen. In den Fokus gelangen in dieser kulturwissenschaftlich akzentuierten Herangehensweise aber vermehrt die Darstellung und der Vollzug von Sinn durch die jeweils handelnden Personen (vgl. Brumlik 2006: 62). Die Lebensweltorientierte Soziale Arbeit nimmt zwar, insbesondere nach der Rezeption der Theorie der reflexiven Modernisierung, Individualisierung, Pluralisierung (vgl. etwa Thiersch 1993) und Entgrenzungen (vgl. Böhnisch/Schröer/Thiersch 2005) in den Lebenswelten wahr. Diese Wahrnehmung ist jedoch bisher entweder strukturiert von dem sozialwissenschaftlichen Ansatz des Erklärens und Verstehens sozialen Handelns im Anschluss an die zweite Generation der Kriti-
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Zu einem solchen offenen Blick würde dann etwa auch gehören, die hegemonialen Wirkungen zu reflektieren, die aus der Festlegung der Sozialen Arbeit auf bestimmte soziologische Theorien resultieren. Denn mit der Entscheidung, etwa den Habermasschen System – Lebenswelt – Dualismus zur erkenntnisleitenden Theorie zu machen, ist das Soziale Feld ja bereits in spezifischer Weise vorstrukturiert und die wissenschaftliche Wahrnehmung in bestimmte Richtungen geleitet. 207
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schen Theorie oder konzipiert als selbstreferenzielle Theorie sozialer Systeme in Anschluss an Luhmann. Im Gegensatz zu diesen beiden sozialwissenschaftlichen Ansätzen wird es unter Bezugnahme auf die Kulturwissenschaften möglich, sich in die vielfältigen Formen kulturellen Lebens zu begeben und zu versuchen, diese auch aus Sicht der Individuen zu rekonstruieren, zu verstehen und zu erklären, denn der lebenspraktische, performative Vollzug dieser Sinnsysteme wird in die Analyse mit einbezogen (vgl. Brumlik 2006: 62). Der Erziehungswissenschaft ist eine solche Vorgehensweise nicht fremd, 2 in der Lebensweltorientierten Sozialen Arbeit ist diese Perspektive allerdings allenfalls am Rande aufgenommen worden, in der pädagogischen Ausbildung spielen kulturwissenschaftliche Konzepte noch keine wesentliche Rolle. Es wird durch die kulturwissenschaftliche Perspektive möglich, den Alltag der Menschen als den Prozess einer sprachlich verfassten, gedeuteten und interpretierten „Präsentation von Welt“, als performative Praxis, zu verstehen. Auf diese kulturwissenschaftliche Fundierung von Pädagogik machte bereits Klaus Mollenhauer im Jahr 1983 aufmerksam, der die „Präsentation von Welt“ von Generation zu Generation sprachlich bzw. durch strukturierte Handlungen weitervermittelt sah. Dabei repräsentiere die Sprache eine bestimmte historische Lebensform und werde je individuell gedeutet (vgl. Mollenhauer 1991: 32f. und Brumlik 2006). Für die Soziale Arbeit in ihrer Alltags- und Lebensweltorientierung muss die Mollenhauersche kulturwissenschaftliche Fundierung der Pädagogik in ihrer Verengung auf das Eltern-Kind-Verhältnis allerdings verbreitert werden. Das gesamte kulturelle Geschehen, zwischenmenschliche Interaktionen ebenso wie beispielsweise der Einfluss von Massenmedien, ist als Erziehungsgeschehen relevant für die Lebensweltorientierte Soziale Arbeit. In einer pluralisierten Gesellschaft sind die Lebenswelten durch den Austausch kultureller Muster ständig von Hybridisierungen gekennzeichnet und sie verändern sich auch in der zeitlichen Dimension, sind ständig im Fluss. 3 Zwar beschäftigen sich die Postcolonial Studies (vgl. den Abschnitt „Postcolonial Studies/Postkolonialismus“) explizit mit Hybriditätsbildungen im Kontext postkolonialer (Migrations-)Prozesse, diese Analyse gilt indes auch für die Veränderung von Lebenswelten, die nicht explizit im Kontext von Migrationshintergründen angesiedelt sind. Denn auch Menschen ohne Migrationshintergrund werden heute vermehrt simultan mit unterschiedlichen Deutungssystemen kon-
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Brumlik kennzeichnet sie gar als das, „was die Erziehungswissenschaft in Deutschland dem Anspruch nach und de facto betreibt“, (Brumlik 2006: 62). Vgl. zur diachronen und synchronen Perspektive auf gesellschaftliche Ordnungsmuster in der Postmoderne Junge 2003. Bauman kennzeichnet die Periode der letzten 40-50 Jahre insgesamt als liquid, zu deutsch flüchtig, vgl. Bauman 2003.
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frontiert, müssen diese Vielfalt und Hybridität biografisch bewältigen und benötigen dabei u.U. pädagogische Begleitung. Auch hier sei wieder betont: Mit dem Plädoyer für einen kulturwissenschaftlich akzentuierten Blick auf das soziale Feld soll nicht einer unstrukturierten Pluralität oder einem postmodern-unproblematischen anything goes das Wort geredet werden, denn es finden sich in den hybriden, tendenziell fließenden Lebenswelten wirkmächtige Strukturierungen, die etwa entlang jener Differenzverhältnisse erkannt werden können, die im Verlaufe dieser Arbeit beschrieben wurden. Diese Strukturen haben selbstverständlich einen begrenzenden wie ermöglichenden Einfluss auf das Handeln des Individuums. Sie können in ihrer Bedeutung für die Individuen etwa unter Bezugnahme auf die Begrifflichkeit des Feldes und des Habitus nach Pierre Bourdieu analysiert werden. Im Grunde ist der Ansatz von Bourdieu, der die Gesellschaft als soziales Feld kennzeichnet, der kulturwissenschaftlichen Herangehensweise recht ähnlich. Denn auch hier wird in die Analyse die Gesamtheit der gesellschaftlichen Interaktionen und Konstellationen und verschiedene Felder wie Ökonomie, Politik, Kunst einbezogen (vgl. dazu etwa Bourdieu 1982). Das soziale Feld ist, bei Bourdieu ebenso wie in den Kulturwissenschaften, von Kämpfen zwischen jenen, die hegemonial über die jeweilige Definitionsmacht verfügen und jenen, die um Ansehen und bestimmte Positionen kämpfen, geprägt. Eine wesentliche Rolle bei diesen Kämpfen spielt die Verfügbarkeit oder NichtVerfügbarkeit der unterschiedlichen Kapitalsorten ökonomisches Kapital, soziales Kapital, symbolisches und kulturelles Kapital (vgl. Bourdieu 1997a, dort insbesondere den Abschnitt „Zur Genese der Begriffe Habitus und Feld“). Mit Bourdieu lässt sich somit ebenfalls die Attraktivität der kulturwissenschaftlichen Herangehensweise begründen, denn Bourdieu ist sowohl für eine kritisch sich verstehende Erziehungswissenschaft von außerordentlicher Relevanz und seine Herangehensweise ist der kulturwissenschaftlichen Herangehensweise sehr nah. Bourdieu stellt eine Begrifflichkeit zur Verfügung, die sowohl sozioökonomische Ungleichheiten als auch Phänomene wie Geringschätzung, kulturellen Imperialismus oder Statusunterschiede einzufangen vermag und kommt somit der doppelten Strategie der Gerechtigkeit besonders entgegen. Wenn schließlich Thiersch für eine lebensweltorientierte Soziale Arbeit ein Handeln verlangt, „das im erziehenden Umgang, in der Beratung, in der Begleitung und in der Kooperation orientiert ist an der Eigensinnigkeit der Problemsicht der AdressatInnen im Lebensfeld, am ganzheitlichen Zusammenhang von Problemverständnis und Lösungsressourcen, an den in der Lebenswelt verfügbaren Ressourcen und Kompetenzen“ (Thiersch 1993: 22), dann verlangt dieses Handeln von den in der Sozialen Arbeit Tätigen fundierte Kenntnisse über die Kämpfe im sozialen Feld, und über die Zusammenhänge von Differenzverhältnissen und deren habituelle Einschreibung. Wenn „Lebensweltorientiertes Handeln […] auf der Fähigkeit [gründet], zu prüfen, was je209
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weils der Fall ist“ (vgl. ebd.), dann muss diese Prüfung auf der Basis einer Differenzsensibilität erfolgen, für die die Kenntnisse der vielfältigen kulturellen Repräsentationen und performativen Praxen die Voraussetzung ist. Gleichzeitig muss ein solch kulturwissenschaftlich geschärfter, differenzsensibler Blick auf den Alltag in dekonstruktiver Grundhaltung immer zugleich mitfragen, welche Bedeutungen, Routinen, Identitäten und Strukturen mit diesem Blick transportiert werden und welche Bedeutungen, Routinen, Identitäten und Strukturen mit diesem Blick ausgeblendet werden – denn nicht zuletzt besteht der Ertrag der Kulturwissenshaften für einen differenzsensiblen Blick auf die Gesellschaft darin, dass sie eben nicht neue Sicherheiten und eine neue Ordnung des Sozialen vorschlägt, sondern dass sie eingelebte Sicherheiten in Frage stellt.
Der Blick auf den Adressaten/die Adressatin Nachdem oben in Ansätzen dargestellt wurde, was die als differenzsensibel vorgestellten Konzepte für den sozialpädagogischen Blick auf das soziale Feld bedeuten können, soll nun ausgeleuchtet werden, welche Erkenntnisse daraus für den Blick auf das Subjekt, genauer: das Individuum, das im Kontext sozialpädagogischen Handelns als KlientIn zum Fall wird, gezogen werden können. 4 Dabei wird hier insbesondere auf die Dekonstruktion und die Notwendigkeit einer dekonstruktiven Grundhaltung 5 hingewiesen, die kontinuierlich die eigenen Perspektiven und Entscheidungen reflektiert und hinterfragt. Was der Fall im pädagogischen Kontext eigentlich ist, ist Gegenstand der Diskussionen der eher wissenschaftstheoretisch orientierten Debatte um die „Rekonstruktive Sozialpädagogik“. 6 Es geht dabei um „die Intention, einen sinnverstehenden, interpretativen Zugang zu prinzipiell fremden Lebenswelten zu finden und die darin enthaltenen subjektiven Sinnstrukturen und Deutungsmuster, die auf der Basis sozialer und kultureller Wissenssysteme gebildet werden, zu analysieren und zu typisieren“ (Ader 2006: 23). Bei einer sol-
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Zu einem umfassenden Blick auf „den Fall“ gehören daneben noch weitere Dimensionen, etwa – in Anschluss an Ader 2006: 230 - der Blick auf sozialpädagogische Institutionen und der Blick auf das eigene sozialpädagogische Handeln. Diese Dimensionen werden hier aus heuristischen Gründen getrennt voneinander behandelt. Vgl. die Abschnitte „Das philosophische Konzept der Dekonstruktion“, „Die Rezeption der Dekonstruktion in Genderforschung und Queer Theory“ sowie „Die Rezeption der Dekonstruktion in der Erziehungswissenschaft“ der vorliegenden Arbeit. Angestoßen wesentlich durch Fritz Schütze (1993), weitergeführt bspw. in Jakob/Wensierski 1997.
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chen Fallrekonstruktion geht es in Bezug auf das Individuum darum, in der Vorgeschichte des Individuums nach Hinweisen dafür zu suchen, die u.U. Antworten geben können auf die Frage, was in der Vergangenheit geschehen ist. Insbesondere in jenen Diagnose-Ansätzen, die durch eine Entscheidungsfindung auf der Basis eines kommunikativen Prozesses mit dem Klienten gekennzeichnet sind, 7 ist eine gewisse Differenzsensibilität von vornherein intendiert, denn es wird hier besonderen Wert gelegt auf die subjektiven Sinnkonstruktionen des Klienten. Nichtsdestotrotz erscheint es sinnvoll, auch in Bezug auf die Dimension des Blicks auf den Klienten spezifische Differenzdimensionen zu beachten, insbesondere dann, wenn der Blick nicht nur auf das Individuum gerichtet ist, sondern die strukturelle Dimension, der Kontext (vgl. Hampe-Grosser/Kleve 2005), mitbeachtet werden soll.8 So wird es zur professionellen Kompetenz, mit verschiedenen großen Ausschnitten der Wirklichkeit flexibel umzugehen und diese im jeweiligen Kontext aktivieren zu können. Neben der Dimension der verschieden großen Perspektiven auf einen Fall können auch unterschiedliche Differenzverhältnisse den Blick auf einen Fall strukturieren, etwa durch die Einnahme eines geschlechterspezifischen Blicks, eines interkulturellen Blicks usw.. Allerdings dürfen dann diese Perspektiven ihrerseits nicht wieder zu einer Identität erstarren: der spezifisch differenzorientierte Blick muss sich seiner Überholbarkeit stets bewusst sein – womit in diesem Kontext des Blickes auf den Klienten eine dekonstruktive Grundhaltung an Relevanz gewinnt. Die bereits geschilderte dekonstruktive Herangehensweise könnte hier dann bedeuten, analog zu dem im Kontext der geschlechterreflektierenden Jugendarbeit dargestellten Fokus des doing gender den Blick auf ein doing case und damit auf die Konstruktionen durch die eigene Person zu richten und sich selber daraufhin zu befragen, welche eigenen Vorannahmen, Stereotype, Ordnungssysteme und Hierarchisierungen in der Beurteilung der Person bzw. des Falles stecken. Damit würde der eigene Beitrag zur Konstitution eines Falles durch die in der Sozialen Arbeit Tätigen reflektierbar. Zum anderen wäre besondere Achtsamkeit auf jene Fragen zu legen, die möglicherweise (noch) nicht gestellt wurden und die trotzdem wesent-
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Diese Vorgehensweise kann als Aushandlungsposition bezeichnet werden, im Gegensatz zu einer am medizinischen Verfahren von Anamnese, Diagnose und Indikation orientierten Vorgehensweise, die als Diagnoseposition gekennzeichnet werden kann. Vgl. zu dieser Einteilung Urban 2004. Eine solche strukturelle, kontextorientierte Dimension gehört zum Grundbestand des sozialpädagogischen Blicks und wird beispielsweise im „Fall Ahmet“ konkret, wenn etwa die Schulschwierigkeiten und Diebstähle eines Kindes vor dem Hintergrund der gesamten Familiensituation mit einem permanent Existenz bedrohenden, ungesicherten Aufenthaltsstatus und vielfach wechselnden Aufenthaltsorten gesehen werden müssen, vgl. die anschauliche und eindringliche Darstellung des Falls Ahmet und Familie Kanat/Linek in Ader 2006. 211
DER UMGANG DER SOZIALEN ARBEIT MIT DIFFERENZ
liche Aufschlüsse über die Vorgeschichte zuließen. Ziel einer solchen diagnostischen Fallverstehens 9 ist in jedem Fall (sic!) ein multiperspektivisches Verständnis des Falles (vgl. als praxisorientierte Einführung etwa B. Müller 1994), das aus möglichst vielfältigen Zugängen und Materialien generiert werden muss (vgl. zur konzeptionellen Rahmung des diagnostischen Fallverstehens Ader 2006: 240ff.). Ein solcher mehrperspektivischer Zugang ist indes nicht nur in Bezug auf das Fallverstehen notwendig, sondern kann auf ganz verschiedene Handlungszusammenhänge der Sozialen Arbeit ausgeweitet werden, die stets auf Situationsanalysen und daraus resultierenden Handlungsentwürfen basieren. Perspektivenvielfalt und eine dekonstruktive Grundhaltung sind insofern nicht nur ein Thema in der pädagogischen Arbeit an einem konkreten, problematischen Fall, sondern bildet gerade vor dem Hintergrund des in dieser Arbeit betrachteten Themas der Differenz und Gleichheit eine wesentliche Grundlage jeden pädagogischen Handelns. So wird etwa in der geschlechterreflektierenden Jugendarbeit auf die Notwendigkeit hingewiesen, einseitigeinschränkende Konstruktionen von Geschlecht zu destruieren und durch das Anbieten alternativer (geschlechts-)identitärer Entwürfe zu bereichern. Die Fähigkeit zu einer solchen Eröffnung alternativer Möglichkeiten setzt wiederum Kenntnisse über die vielfältigen Lern- und Lebenszusammenhänge von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen voraus. Um ein angemessenes pädagogisches Angebot für die heterogene Klientel in der Sozialen Arbeit entwerfen zu können, sind Kenntnisse über deren hybride Lebenswelten (s.o.) ebenso nötig wie die Fähigkeit, die andere Person in der direkten Begegnung als gleichberechtigt und verschieden anzuerkennen (vgl. den Abschnitt „Differenzreflexion im Kontext der Pädagogik der Vielfalt“). Das Anerkennen der Verschiedenheit setzt insbesondere die Erkenntnis voraus, dass der eigene Blick auf das Gegenüber immer vorstrukturiert ist durch eigene Handlungslogiken, Vorerfahrungen und Wissensbestände. So besteht die Gefahr, den Blick auf das Gegenüber lediglich entlang der eigenen „Leitplanken“, oder entlang der Eigenlogik der jeweiligen Organisation (s.u.), zu strukturieren, ohne sich der Gefahr bewusst zu werden, damit die komplexe Lebenssituation des Gegenüber nicht zu erfassen. Mit dem Blick auf den Fall kommt unweigerlich, das ist hier bereits angeklungen und wird insbesondere im Kontext konstruktivistischer Positionen vertreten, die Person des/der Pädagogin ins Spiel. Denn der Fall oder eine jegliche andere pädagogische Realität kann gemäß der konstruktivistischen Posi9
In dem Terminus des diagnostischen Fallverstehens sind die beiden wesentlichen Termini aufgenommen, die sich mit der Rekonstruktion von „Fällen“ beschäftigen und um die im Kontext der Sozialen Arbeit schon länger gestritten wird , nämlich der Terminus der Diagnose und der Terminus des sozialpädagogischen Fallverstehens. Zum Begriffsstreit vgl. Ader 2006: 27ff.
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ANSTÖSSE AUS DEN DIFFERENZDISKUSSIONEN FÜR DIE SOZIALE ARBEIT
tion immer nur im Zusammenhang mit ihrem Beobachter, der diese Realität konstruiert, gesehen werden.
Der selbstreflexive Blick Die Notwendigkeit eines reflexiven Blicks in der Sozialpädagogik ist spätestens mit der Rezeption der Theorie reflexiver Modernisierung zu einem Grundbestand pädagogisch-theoretischen Wissens geworden. In diesem Abschnitt soll es allerdings weniger um eine reflexive Wissenschaftstheorie der Sozialen Arbeit gehen (s.u.), als vielmehr um die Frage, welche Hinweise die differenzsensiblen Konzepte für eine differenzsensible Haltung der pädagogisch Tätigen geben können. Für diese Dimension sind insbesondere jene Erkenntnisse relevant, die im Kontext der Xenologie (vgl. den Abschnitt „Die Xenologie und die Konstruktion des Fremden“) und, in Bezug auf die aufzubauenden Kompetenzen, auch im Kontext des Diversity Managements (vgl. den Abschnitt „Differenzreflexion im Kontext des Diversity Managements“ und der Pädagogik der Vielfalt (vgl. den Abschnitt „Differenzreflexion im Kontext der Pädagogik der Vielfalt“) bereits in Ansätzen dargestellt wurden. Sie sollen an dieser Stelle aber noch einmal in ihren verallgemeinerbaren Aspekten dargestellt werden. Aus der Tatsache, dass es sich bei der Sozialen Arbeit um einen strukturell offenen, multiperspektivischen Ansatz handelt, der „ein hohes Maß an Flexibilität und einen ständigen Perspektivenwechsel erfordert“ (Karger/Lehner 2005: 455), folgt die oben bereits dargestellte Einsicht, dass insbesondere die Person des Pädagogen/der Pädagogin über die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme, Differenzsensibilität und Selbstreflexivität verfügen sollte. Wenn der Blick auf das Gegenüber immer strukturiert wird durch die eigenen Konstruktionen von Welt, dann wird es zu einem wesentlichen Kennzeichen pädagogischer Professionalität, einen Selbstbeobachtungshabitus (vgl. Kade/Seitter 2004) auszubilden und Methoden der Selbstevaluation (vgl. „Unsere Jugend“ Heft 1/2006) in die pädagogische Praxis zu implementieren. Ein solcher Selbstbeobachtungshabitus könnte etwa die Beobachtung der eigenen Biografie, hier genauer: die Beobachtung der Veränderung des pädagogischen Wissens innerhalb der eigenen Biografie, umfassen. Darüber hinaus bedeutet die Ausbildung eines Selbstbeobachtungshabitus den stetigen Vergleich mit den Wissensformen anderer Individuen, wodurch wiederum die Beobachtung und Reflexion des eigenen pädagogischen Wissensbestandes angeregt wird. Diese Selbstbeobachtung lässt sich wiederum entlang ganz unterschiedlicher Differenzverhältnisse in verschiedenen Dimensionen strukturieren, die nur im Sinne eines heuristischen Modells getrennt werden können, die sich in der Realität bzw. in der eigenen Identität aber vielfältig überlagern. Mögliche Selbstbeobachtungen 213
DER UMGANG DER SOZIALEN ARBEIT MIT DIFFERENZ
könnten dann die eigene geschlechtliche Gewordenheit, die im Kontext einer geschlechterreflektierenden Jugendarbeit von besonderer Relevanz ist, die Reflexion der eigenen sexuellen Identität für eine professionelle Sexualpädagogik, die Reflexion und das Anerkennen der eigenen kulturellen Beschränktheit im Kontext der interkulturellen Arbeit, die eigenen Fähigkeiten oder auch Nicht-Fähigkeiten, etwa im Kontext von Behinderung oder psychischer Erkrankung, die eigene Konstruktion von Abweichung und Normalität in verschiedenen Kontexten, die eigene Spiritualität oder die eigenen Grenzen und Trübungen sein. Kurz: Es geht bei dieser Form der Selbstbeobachtung darum, ergebnisoffen den eigenen Konstruktionen über sich selbst und über die Umwelt auf die Spur zu kommen. Ein solcher Selbstbeobachtungshabitus in der Sozialen Arbeit umfasst dann auch das Anerkennen der eigenen Verstrickung in vielfältige Dominanzverhältnisse, einerseits im strukturellen Sinne der Hilfe und Kontrolle, andererseits auch im ganz persönlichen Sinne zwischenmenschlicher Beziehungen. Auf diese Verstrickungen zu reflektieren bedeutet, sich selber etwa daraufhin zu befragen, inwiefern mann/frau selbst Abweichung und Normalität konstruiert, inwiefern mann/frau selbst in die Aufrechterhaltung von Privilegien verstrickt ist, inwiefern mann/frau selbst Stereotype in Bezug auf Geschlecht oder Gesinnung verkörpert und weitergibt, inwiefern mann/frau selbst Uneindeutigkeit und Fremdheit nicht aushält und deshalb möglichst aus dem Blickfeld verdrängt, inwiefern mann/frau in der Lage ist, eigene, auch unterdrückte Werte oder (An-)Triebe zu erkennen und bewusst mit ihnen umzugehen und ob mann/frau selber in der Lage ist, jede einzelne Person in seinem bzw. ihrem beruflichen oder persönlichen Umfeld anzuerkennen – wie dies für die pädagogische Arbeit ja relativ leicht zu fordern ist (vgl. Sielert 2004: 266). Häufig genügt es schon, sich dieser Dinge bewusst zu werden, um in unterschiedlichen pädagogischen Situationen reflektiert(er) handeln zu können. Darüber hinaus existieren, gerade im Kontext der behandelten Differenzverhältnisse, Konzepte, die sich dem Aufbau unterschiedlicher Differenzkompetenzen widmen. So existieren Konzepte zum Aufbau von Genderkompetenzen, einer interkulturellen Kompetenz oder einer interreligiösen Kompetenz. Im Kontext des Diversity Managements wurde dies als diversity-reflektiertes Selbstkonzept bezeichnet, die Pädagogik der Vielfalt und die Xenologie sprechen von der Notwendigkeit eines persönlich bedeutsamen Lernens und einer Auseinandersetzung mit den eigenen Denk-, Fühl- und Handlungsmustern in Bezug auf Fremdheit. Das letztgenannte kann dabei als Zusammenfassung – nicht als Ersatz – der vorherigen Kompetenzen gelten: Es geht darum, sich einzugestehen und anzuerkennen, dass das Gegenüber mir evt. fremd, befremdlich erscheint – was u.U. auch für das Gegenüber in Bezug auf meine Person gilt. Diese Aufzählung von unterschiedlichen Kompetenzen für den Umgang mit Differenz soll und kann nun allerdings nicht verschleiern, dass pädagogi214
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sches Handeln auch bei einer Berücksichtigung und achtsamen Anwendung der verschiedenen Kompetenzen weiterhin ungewollte Nebenfolgen produzieren wird. 10 Pädagogisches Handeln ist damit, darauf macht auch die Dekonstruktion aufmerksam, Handeln unter Unsicherheit (vgl. zum Themenkomplex Unsicherheit – Ungewissheit – Entscheidungen grundsätzlich Keiner 2005). Diese Unsicherheit, die Ambivalenzen und Paradoxien, müssen genauso ausgehalten werden wie die oben angesprochene Multiperspektivität, die keine einfache Deutung – Eindeutigkeit – zulässt. So kann es wiederum zunächst nur darum gehen, diese Unsicherheit, die strukturellen Paradoxien, die zum sozialen Feld konstitutiv dazugehören, zu erkennen, anzuerkennen und diese reflexiv zu bearbeiten. Wenn etwa von der Sozialen Arbeit wegen ihrer Vielgestaltigkeit postmodern-wertschätzend als Profession ohne Eigenschaften (vgl. Kleve 2000) gesprochen wird, gleichzeitig aber nach einem einheitlichen beruflichen Selbstverständnis gesucht wird, 11 so zeigen sich schon hier die Spannungen, die in der vielgestaltigen Praxis der Sozialen Arbeit eher noch zunehmen. Wenn etwa die oben vorgeschlagene Blickrichtung auf unterschiedliche Differenzdiskurse als Strukturierungshilfe für die Komplexität der Gesellschaft eingenommen wird, so muss damit gleichzeitig in Kauf genommen werden, dass sich ein paradoxes, ambivalentes Bild von Gesellschaft ergeben wird, weil gleichzeitig ganz unterschiedliche Sichtweisen, etwa sozialpolitische, soziologische, psychologische und pädagogische Sichtweisen, unterschiedlich über den gleichen Sachverhalt äußern. Diese Widersprüchlichkeit darf nun allerdings nicht zu einem Tunnelblick führen, der diese Komplexität vorschnell zugunsten der eigenen Handlungsfähigkeit reduziert. Bereits in der Ausbildung von Pädagoginnen und Pädagogen muss auf die Fähigkeit hingearbeitet werden, Verunsicherungen auszuhalten, sich stets ergebnisoffen selbst zu beobachten, Paradoxien und Ambivalenzen zu erkennen und reflexivbiografisch zu bearbeiten, um sich mit offenem Blick eigene Perspektiven auf die Praxis zu erarbeiten und gleichzeitig andere Perspektiven anzuerkennen und in die eigene einzubeziehen.
Die pädagogische Beziehung Nach dem Blick auf den Fall bzw. auf den/die KlientIn und dem reflexiven Blick auf die Person des/der pädagogisch Tätigen wird nun der Blick gerichtet 10 Das ist eine Tatsache, auf die bereits Adorno und Horkheimer (1969) in ihrer Dialektik der Aufklärung hingewiesen haben. Die neuere pädagogische Nebenfolge-Diskussion bezieht sich vor allem auf Beck (1986). 11 Wie etwa in der Formulierung des Deutschen Berufsverbandes für Soziale Arbeit, vgl. Karges/Lehner 2005. 215
DER UMGANG DER SOZIALEN ARBEIT MIT DIFFERENZ
auf das Verhältnis zwischen diesen beiden Personen und möglichen Themen, die im Rahmen dieses Verhältnisses bearbeitet werden können. Dabei wird gemäß der xenologischen Sichtweise angenommen, dass in der pädagogischen Beziehung zwei sich zunächst einmal fremde Individuen mit u.U. unterschiedlichen Zielen aufeinander treffen (vgl. den Abschnitt „Die Xenologie/ Fremdheitsforschung und die Konstruktion des Fremden“). Das Eingehen einer tragfähigen pädagogischen Beziehung ist insofern schon einmal außerordentlich voraussetzungsreich. Umso höher ist der Anspruch zu bewerten, innerhalb einer solch riskanten, fragilen Beziehung auch noch bildungsrelevante Themen zu bearbeiten. Dennoch: Eine differenzsensible Soziale Arbeit, die Subjektivität konstituieren und verteidigen will, hat den Auftrag, Bildungsprozesse zu initiieren und zu befördern. Dieser Bildungsauftrag wird in der pädagogischen Beziehung verwirklicht und findet Hinweise etwa in der pädagogischen Beziehung, wie sie von Giroux unter Rückgriff auf die Cultural Studies vorgeschlagen wird (vgl. dazu den Abschnitt „Die Cultural Studies und die Begriffe der Hegemonie und der Performativität“). Zunächst gilt natürlich ganz allgemein, was oben bereits im Kontext der selbstreflexiven Dimension beschrieben wurde. Pädagogisches Handeln bedeutet stets die Bewältigung von Unsicherheit, insofern, als es einen „bisubjektiven“ (Winkler, zit.n. Müller 1994: 49) Charakter hat: (mindestens) zwei Personen treffen im pädagogischen Handeln zusammen und es kann im Voraus nicht exakt definiert werden, welches Ergebnis dieses pädagogische Handeln haben wird. Die zwei aufeinander treffenden Subjekte können gemäß der konstruktivistischen Sichtweise als informationell geschlossene Systeme bezeichnet werden, die in der pädagogischen Beziehung aufeinander treffen, die ihre je eigene Realität vor dem Hintergrund ihrer bisherigen Sozialisationserfahrungen, Lerngeschichten, Lebensverhältnisse und Zukunftsperspektiven konstruieren, und die dabei eine bestimmte Vorstellung von sich selbst, eine bestimmte Sicht auf ihr Gegenüber und ein spezifisches Ziel der gemeinsamen pädagogischen Arbeit konstruieren. Insofern ist jeder der beiden am pädagogischen Prozess beteiligten selbst verantwortlich für die eigenen Gedanken, die eigenen Entscheidungen und für die aus den Entscheidungen resultierenden Handlungen. Allerdings kann diese Verantwortung dem Individuum nur für jenen Bereich zugewiesen werden, den es auch zu erkennen in der Lage ist. 12 In der pädagogischen Beziehung geht es also darum, die Anzahl der von den KlientInnen erkennbaren Handlungsalternativen zu erweitern, ihnen neue Möglichkeiten des Handelns zu eröffnen. In diesem Zusammenhang wird in der jüngsten Zeit, etwa im Zusammenhang mit der PISA-Studie und besonders
12 „Allerdings beschränkt sich diese Verantwortung auf den Horizont der individuell erkennbaren Möglichkeiten“, Kraus 2002: 194. Hervorhebung im Original. 216
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im Zusammenhang mit dem Armutsbericht der Bundesregierung aus dem Jahr 2005, auf die eminent wichtige Rolle der Bildung hingewiesen. Zwischen dem Grad der Bildung und Armut oder Erwerbslosigkeit besteht ein enger Zusammenhang und insbesondere besteht die Gefahr, dass sich Bildungsarmut und Einkommensarmut gegenseitig verstärken (vgl. Deutsche Bundesregierung 2005: XXXIIIff und 223ff.). Nun ist die Soziale Arbeit nicht die erste Adresse für die Vermittlung von (Schul-)Bildung, im Bereich der (Persönlichkeits-)Bil dung allerdings kommt ihr ein nicht unwesentliches Gewicht zu. Denn neben den unerlässlichen (Fach-)Kompetenzen spielen soziale Kompetenzen für die Chancen auf dem Arbeitsmarkt eine immer größere Rolle, etwa wenn es darum geht, in heterogenen Teams zu arbeiten und Konfliktsituationen konstruktiv lösen zu lernen. Auf diese Tatsache wurde bereits im Kontext des Diversity Managements hingewiesen und dieser Bildungsauftrag kann an dieser Stelle exemplarisch für den Bereich der Jungenarbeit dargestellt werden. Hier geht es etwa darum, soziale Probleme wie schlechte Schulleistungen, häufige Krankheit oder Kriminalität, auch als Schwierigkeiten, die in Verbindung mit der Dimension Geschlecht stehen, zu identifizieren. Darüber hinaus gilt es, aus den Problemen, die Jungen machen und die sie haben, Potenziale und Chancen heraus zu kristallisieren und die Jungen in ihrer geschlechtlichen Identitätsbildung so zu begleiten, dass sie sich in diesem zentralen Bereich für eine individuelle (Geschlechts-)Identität entscheiden können, eine Anforderung, die gegenwärtig verstärkt auch im interkulturellen Kontext diskutiert wird. 13 Eben dazu müssen Jungen neue Alternativen zu bisherigen, für sie selber und für die soziale Umwelt problematischen, Verhaltensweisen lernen, die sie u.a. in der Rahmung der pädagogischen Beziehung und unter Rückgriff auf Themen, die die Jungen in ihrer Lebenswelt und in der sie interessierenden Populärkultur vorfinden, entdecken können. Dieser Ansatz korrespondiert mit dem im Kontext der Cultural Studies vorgestellten Konzeption von Giroux (vgl. den Abschnitt „Die Cultural Studies und die Begriffe der Hegemonie und der Performativität“), der der Pädagogik die Aufgabe zuweist, gemeinsam mit den AdressatInnen Alternativen zu hegemonialen Diskursen für das eigene Denken, Handeln und Sprechen zu erarbeiten und so die Emanzipation der AdressatInnen zu fördern. Um bei dem eingeführten Beispiel der Jungenarbeit zu 13 Vgl. zur Jungenarbeit Winter (2001), Winter/Neubauer 2001, Jantz/Grote 2003, Sielert 2002. Vgl. für die Diskussionen um die Verquickung von sozialen Problemen, (männlichem) Geschlecht und Interkulturalität Sturzenhecker (2001) und insbesondere Heiliger (2006), die die Debatte um männliche Leitbilder in türkischen Subkulturen, „Ehrenmorde“ und die Entrechtung der Frau im Zusammenhang mit pseudo-religiösen Begründungen aufnimmt. Vgl. auch die Auseinandersetzung zwischen 60 MigrationsforscherInnen und der Autorin des Buches „Die fremde Braut“, Necla Kelek, in der ZEIT zu Beginn des Jahres 2006 (vgl. Terkessidis/Karakasoglu 2006 und Kelek 2006). 217
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bleiben: es könnte dann das Ziel sein, hegemoniale Bilder von Männlichkeit, die etwa in der Populärkultur transportiert werden, und deren Implikationen für das eigene Handeln zu thematisieren und zu reflektieren. Ein weiteres Thema, dass insbesondere im Kontext des konstruktiven Umgangs mit Verschiedenheit relevant ist und das als Bildungsauftrag der Sozialen Arbeit verstanden und thematisiert werden kann, ist das aktuelle Thema der „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ (vgl. Heitmeyer 2002, 2003, 2005). Mit diesem Ansatz werden Einstellungen beschrieben, die auf „Ideologien der Ungleichwertigkeit“ (Heitmeyer 2002a: 18) basieren und die sich etwa in Rassismus, Antisemitismus, Islamophobie, Sexismus, Homophobie, Heterophobie etc. äußern (vgl. ebd.). In diesem Kontext wird die Wirkmächtigkeit hegemonialer Diskurse und deren Wirkungen auf das Individuum besonders deutlich, denn bei der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit handelt es sich nicht um ein „interindividuelles Feindschaftsverhältnis“ (Heitmeyer 2002a: 19) zwischen konkreten Personen, sondern um eine allgemeine vorurteilsbehaftete Einstellung zu bestimmten Gruppen. Diskurse, die auf einer Ideologie der Ungleichwertigkeit beruhen, können mitunter auf eine erhebliche Tradition in einer Kultur zurückblicken und dienen zur Legitimation von Ausgrenzung und Gewaltanwendung. Gerade hier zeigt sich, wie enorm wichtig die Fähigkeit ist, hegemoniale Diskurse zu hinterfragen und Alternativen zu bisherigen Denk- und Verhaltensweisen aufzubauen. Mit Mollenhauer, der dies im Rahmen seiner schon erwähnten kulturwissenschaftlichen Fundierung von Pädagogik darstellt, kann als Aufgabe der Pädagogik dann formuliert werden: „die Pädagogik muss an kultureller und biografischer Erinnerung arbeiten; sie muss in dieser Erinnerung die begründbaren (zukunftsfähigen) Prinzipien aufsuchen; sie muss für diese Arbeit eine der Sache angemessene, genaue Sprache finden“ (Mollenhauer 1991: 10). Zu dieser Sprache, die im Rahmen einer pädagogischen Beziehung gesprochen wird, gehört dann unweigerlich auch der Machtaspekt, der sich zum Einen strukturell im ambivalenten Auftrag der Hilfe und Kontrolle, zum anderen in der direkten Auseinandersetzung zwischen PädagogIn und AdressatIn, eben der pädagogischen Beziehung, ausdrückt. 14 Nicht zuletzt gehört zur Aufrechterhaltung einer konstruktiven pädagogischen Beziehung eine dialogische Orientierung, die das Bewusstsein darüber einschließt, dass die eigene Position nur vor dem Hintergrund von wie-
14 Wie mit diesem Machtaspekt umgegangen wird, hängt dabei wesentlich von den beteiligten Personen, dem jeweiligen sozialen Umfeld und von dem Kontext des Falles ab. In jedem Fall ist es aber notwendig, sowohl die Chancen als auch die Gefahren von Machtausübung im Rahmen der pädagogischen Beziehung zu reflektieren Vgl. dafür den Vorschlag von Kraus (2002: 173ff.), der den Bereich der Macht im Rahmen einer pädagogischen Beziehung in instruktive und destruktive Macht aufteilt. 218
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derum hinterfragbaren Prämissen verstanden werden kann: „zu wissen, wo es lang geht, zu wissen, was der Fall ist, und damit die Ansicht zu verbinden, man habe einen Zugang zur Realität und andere müssten dann folgen oder zuhören oder Autorität akzeptieren, das ist eine veraltete Mentalität, die in unserer Gesellschaft einfach nicht mehr adäquat ist“ (Luhmann 1987, zit.n. Kleve 2000: 172). Eine solche Grundhaltung unterscheidet sich fundamental sowohl von der zu Beginn der Arbeit vorgestellten Nohlschen Konzeption einer pädagogischen Beziehung (vgl. den Abschnitt „Kulturkritik und die Differenz der Generationen (I)“) als auch von deren Reformulierung durch Giesecke (vgl. Giesecke 1997). Zur unhintergehbaren Voraussetzung für eine Differenzen reflektierende, dialogisch ausgerichtete pädagogische Beziehung wird dann eine Aushandlungskompetenz, wie sie im Abschnitt zur Xenologie bereits vorgestellt wurde. Diese Aushandlungskompetenz ist auf Seiten der professionell Tätigen unabdingbar, wird aber auch für die Klienten in dem Maße immer wichtiger, wie sie in unterschiedlichen Kontexten, etwa in der Arbeitswelt oder in der Familie, Konflikte möglichst konstruktiv bewältigen lernen müssen.
Der Blick auf die Institutionen Im Zuge der thesenartigen Darstellung einer differenzsensiblen Sozialen Arbeit darf der Blick auf die Institutionen der Sozialen Arbeit nicht vernachlässigt werden, in der Praxis der Sozialen Arbeit ergibt sich ein komplexes Gefüge, das von den Biografien der Adressaten und deren Lebens- und Familiengeschichten, dem professionellen Handeln der PädagogInnen und eben dem institutionellen Kontext, in dem der Fall bearbeitet wird, strukturiert wird (vgl. Ader 2006: 229ff.). Zusätzlich zu dieser fachlichen Dimension ist ein Blick auf die Institutionen auch deshalb notwendig, weil diese den Kristallisationspunkt darstellen zwischen aktuellem fachlichem Anspruch und den historisch gewachsenen sozialpolitischen und ökonomischen Einflüssen, die auf die Soziale Arbeit wirken. Die gesamte Debatte um den Wandel von sozialen Organisationen vor dem Hintergrund von ökonomischen, gesellschaftlichen und politischen Veränderungen kann in diesem Rahmen freilich nicht dargestellt werden (vgl. dazu etwa Engelfried 2005). Es können aber einige Erkenntnisse in Bezug auf die Frage, welche Rolle Institutionen für eine differenzsensible Soziale Arbeit spielen und wie diese Institutionen gestaltet werden können, herausgegriffen werden. Dafür kann insbesondere Bezug genommen werden auf die Erkenntnisse des Diversity Managements (vgl. den Abschnitt „Differenzreflexion im Kontext des Diversity Managements“) und der Inclusive Education (vgl. den Abschnitt „Differenzreflexion im Kontext der Inclusive Education“). Beide Konzepte widmen sich grundsätzlich der Frage, wie Organisationsstrukturen beschaffen sein müssen, um der Individualität der Mitarbeiter oder der 219
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Schüler, auf die Soziale Arbeit übertragen: der Individualität der KlientInnen und der PädagogInnen, gerecht werden zu können. Verbunden damit ist letztlich auch die Frage nach der Qualität in der Sozialen Arbeit. Die beiden Konzepte des Diversity Managements und der Inclusive Education gehen von der Annahme aus, dass es sich bei Organisationen nicht um statische Gefüge handelt, sondern um eine lebendige Kultur, die von den in den Organisationen tätigen Menschen (mit)gestaltet werden kann. Ausgehend von dieser Prämisse wird dort die Frage gestellt, wie entweder Schulen beschaffen sein müssen, damit alle SchülerInnen gleichberechtigt lernen können (Inclusive Education) bzw. wie eine Organisation beschaffen sein muss, damit alle MitarbeiterInnen ihre individuelle Kompetenz zum Ziel der Gewinnmaximierung einbringen können (Diversity Management). Analog dazu könnte man in Bezug auf soziale Organisationen fragen, wie diese gestaltet sein müssen, damit sie erstens der individuellen Lebenssituation der Adressaten gerecht werden, zweitens allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit entsprechender Qualifikation einen gleichberechtigten Zugang zu einem Arbeitsplatz gewähren und drittens, wie in diesen Strukturen gleichzeitig eine qualitativ hochwertige und effiziente Soziale Arbeit möglich ist. Mit der ersten Dimension ist die Frage gestellt, wie Soziale Arbeit ausgerichtet sein soll, um der Individualität der Adressaten gerecht zu werden. In dieser Arbeit wurde dafür plädiert, sich zu diesem Zweck an Differenzverhältnissen zu orientieren. Um diesem Ziel näher zu kommen, kann aus der Sicht von Organisationen etwa auf das in der Betriebswirtschaft selbstverständliche Instrument der Personalentwicklung zurückgegriffen werden (vgl. etwa Schwarz/Beck 1997). Die Frage nach den notwendigen Kompetenzen des Personals musste in der Sozialen Arbeit implizit schon immer mitbedacht werden, denn wenn etwa in der Jungen- oder Mädchenarbeit Geschlechtshomogenität als methodische Form der Arbeit bevorzugt wird (vgl. für die Jungenarbeit Bentheim (u.a.) 2004: 118), oder wenn es in der Arbeit mit MigrantInnen um spezifische Sprachkenntnisse oder etwa um spezifische Migrationserfahrungen geht, spielt die Frage nach den „passenden“ MitarbeiterInnen und deren Kompetenzen schon immer eine Rolle. Anstatt aber ein solches nach pädagogischfachlichen Kriterien geformtes Instrument der Personalentwicklung systematisch und selbstbewusst auszubauen, erscheint die Personalentwicklung in pädagogischen Diskussionen bislang eher ein Instrument der Betriebswirtschaft, das der Sozialen Arbeit aus Kosten- und Effizienzgründen quasi übergestülpt wird. Auch sollten soziale Organisationen in der Lage sein, die vieldeutigen und komplexen Probleme ihrer Klientel aus vielen Perspektiven zu betrachten, was im Zweifel besser mit einer heterogenen Mitarbeiterschaft zu erreichen ist, die sich nicht oder zumindest weniger als homogene Teams an routinisierten Handlungs- und Entscheidungsfolien orientieren muss. Die Voraussetzungen 220
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dafür können als „‚Varietät‘ […] bzw. ‚inhaltliche […] Vielfalt und Differenziertheit von praktischen Ideologien‘“ (Hansbauer und Klatetzki, zit.n. Ader 2006: 246) gekennzeichnet werden. Eine „praktische Ideologie“ bezeichnet dabei ein „relativ kohärentes System, bestehend aus emotional besetzten Vorstellungen, Werten und Normen, das Personen gemeinsam ist, sie zusammenbindet und ihnen hilft, ihrer Umwelt Sinn zu verleihen“ (Klatetzki, zit.n. ebd.). Diese Vielzahl von praktischen Ideologien, die in der Organisation Platz haben, muss von einem Kommunikationsstil flankiert werden, der die Variationen der verschiedenen Interpretationen fördert, so dass das Wissen, die Einstellungen und die Perspektiven der Mitarbeiterschaft ständig verändert und erweitert werden können. Dabei dürfen bei aller Vielfalt der Perspektiven die Kooperationsbereitschaft und die Bereitschaft zu einer konstruktiven Zusammenarbeit unter den Mitarbeitern oder auch zwischen verschiedenen Organisationen nicht verloren gehen. Das Ziel einer differenzsensiblen Ausrichtung von Organisationen aber bleibt es, sich stärker an der Individualität des Einzelfalls ausrichten zu können, die Deutungsflexibilität zu erhöhen, die Vielfalt an möglichen Entscheidungsgängen im Sinne der AdressatInnen zu steigern und das „organisationsspezifische Repertoire an Angemessenheitsregeln“ (Ader 2006: 247) zu verbreitern – eine Forderung, die auch im Kontext des Diversity Managements formuliert wird. Zu reflektieren ist darüber hinaus, und hier kann auf das Konzept der Inclusive Education verwiesen werden, die Breite an Publikumsrollen, die die einzelnen Organisationen ansprechen, d.h. die Frage, ob bestimmte Organisationen sich auf eine enge Zuständigkeit spezialisieren, oder ob eine ganze Breite an Problem- und Hilfestellungen zugelassen wird. Im Kontext der Inclusive Education war kritisiert worden, dass die Implementierung von Sonderschulen, die ursprünglich zur gezielten Förderung für Kinder mit special educational needs ins Werk gesetzt wurden, letztlich dazu führte, dass diese Kinder von anderen Kindern separiert wurden. Das anvisierte Ziel der Integration wurde damit tendenziell unterlaufen. Diese Überlegungen sind nicht umstandslos auf die Soziale Arbeit übertragbar, aber auch hier kann gefragt werden, welche Folgen etwa eine Spezialisierung von Institutionen auf eine bestimmte Klientel haben könnte. Diese Frage kann nur in Abhängigkeit der jeweiligen Adressaten und vor dem Hintergrund des jeweiligen Ziels der Organisation beantwortet werden. So könnte eine Ausdifferenzierung des Hilfesystems in viele, spezialisierte Einheiten zwar einerseits Expertenwissen in Bezug auf bestimmte Problemkonstellationen bereithalten, eine Ausdifferenzierung in viele, spezialisierte Einheiten könnte dann aber auch die Nebenfolge produzieren, dass wertvolles Wissen über den Fall, etwa über die Biografie des Adressaten oder über bereits durchgeführte pädagogische Maßnahmen, zwischen den einzelnen Organisationen verloren geht. Weiterhin kann es die Folge einer hohen Spezialisierung von Organisationen sein, dass Zuständigkeiten für bestimmte, meist 221
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besonders schwierige Fälle, zwischen den Institutionen hin- und hergeschoben werden. Die Orientierung erfolgt dann weniger an dem Einzelfall, sondern an der eigenen Systemrationalität, die sich aus dem jeweilig gültigen Systemzweck, den spezifischen Strukturen, Regeln, Rollen oder Rollenerwartungen einer Organisation ergeben (vgl. Ader 2006: 170). Letztlich geht es bei all diesen Überlegungen um die Frage nach der Qualität in der Sozialen Arbeit. Auch diese Frage ist insbesondere aus der Betriebswirtschaft und etwa aus dem Diversity Management bekannt. In der Sozialen Arbeit wird die Qualitätsdebatte häufig emotional aufgeladen geführt. Denn hier tritt der Widerspruch zwischen sozialpädagogischer Perspektive einerseits und technokratisch-betriebswirtschaftlichem Denken andererseits zutage. Jugend- und Sozialämter, Wohlfahrtsverbände, Selbsthilfeorganisationen und freie Träger werden vor dem Hintergrund des Umbaus des Sozialstaats aufgefordert, effektiver und effizienter zu arbeiten, und betriebswirtschaftliche Konzepte wie Personal- und Organisationsentwicklung zur Qualitätssicherung zu implementieren. Diese Forderung wird von den einen nicht selten barsch zurückgewiesen, weil mit betriebswirtschaftlichem Denken keine Pädagogik zu machen sei, während andere die betriebswirtschaftliche Perspektive als besonders fortschrittlich unkritisch übernehmen. Während sich die sozialpädagogische und die betriebswirtschaftliche Perspektive dann zunächst einmal relativ unvereinbar gegenüber stehen (vgl. Engelfried 2005: 7), scheint es mit Blick auf die Konzepte des Diversity Managements und der Inclusive Education durchaus fruchtbar zu sein, solche Anstöße als Herausforderung anzunehmen und konstruktiv zu bewältigen. Dabei kann und sollte sich die Soziale Arbeit selbstbewusst zu ihrer eigenen Fachlichkeit bekennen, denn die Themen, die nun überwiegend aus betriebswirtschaftlich-technokratischer Richtung an die Soziale Arbeit herangetragen werden, gehören zum Teil zum Grundbestand pädagogischen Handelns, etwa wenn es um die Kompetenzentwicklung der MitarbeiterInnen, die Teamentwicklung oder die Gestaltung der Organisationskultur geht. Schließlich sei auf eine letzte Dimension eingegangen, die im Zusammenhang von Diversity Management und sozialen Organisationen eine Rolle spielt: Das Instrument des Gender Mainstreaming ist inzwischen eingeführt, breit rezipiert, kritisiert und in Anfängen in der Praxis umgesetzt (vgl. v. Ginsheim/Meyer 2001, Nohr/Veth 2002, Bohn 2002, Rose 2003). Als Ziel des Instruments wird die Gleichstellung der Geschlechter auf allen Ebenen des politischen Handelns formuliert (vgl. Döge 2002). Hier stellt sich unter Berücksichtigung des Diversity Managements die Frage, ob nicht langfristig ein Ausbau dieser Strategie auch auf andere Differenzverhältnisse sinnvoll und notwendig ist. Sowohl in Bezug auf pädagogische Konzeptionen als auch in Bezug auf die Struktur von Organisationen sollte nicht nur die Differenzkategorie Gender in den Mainstream der Betrachtung gezogen werden. Vielmehr könnte 222
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im Rahmen eines Diversity Mainstreaming gefragt werden, wie sich Organisationsstrukturen oder pädagogische Angebotsformulierungen auf ganz unterschiedliche Differenzverhältnisse auswirken und so etwa die Teilhabe von Individuen in sozialen Organisationen oder pädagogischen Maßnahmen begrenzen bzw. ermöglichen.
Der Blick auf die Disziplin Was in Bezug auf die Differenzverhältnisse im nationalen Kontext gilt, die zahlreichen, auch pädagogischen, Möglichkeiten und neu gewonnenen Freiheiten durch Pluralisierung, Individualisierung und Hybridisierung einerseits und die gleichzeitige Vervielfältigung prekärer Lebenslagen und neuartige Formen der Ausschließung andererseits, gilt natürlich erst recht, wenn man die Perspektive über den nationalen Tellerrand hinaus erweitert. Um die Gesamtheit der Chancen und Risiken der von Pluralisierung, Individualisierung und Hybridisierung gekennzeichneten Gesellschaften einzufangen, bedarf es einer verstärkten transnationalen Orientierung der Disziplin der Sozialen Arbeit. Die Analyse von Differenz, man denke etwa an Phänomene wie soziale Ungleichheit oder das Phänomen der Migration, kann im nationalen Kontext nur unzureichend betrieben werden (vgl. dazu auch Beck 2004, der dies als kosmopolitischen Blick bezeichnet). Genau genommen haben wesentliche Triebkräfte der sozialen, ökonomischen oder politischen Entwicklung schon immer transnationalen Charakter gehabt, wenn man etwa die oben angesprochenen Prozesse der Kolonisierung oder die schon von Adorno kritisierte internationale Ausbreitung der Kulturindustrie betrachtet. Die Tatsache der Globalisierung (vgl. zu den möglichen Folgen der Globalisierung für die Erziehung Wulf/Merkel 2002) ist damit keinesfalls ein neues Phänomen, sie hat aber spätestens mit dem Zusammenbruch des Sozialismus am Ende des 20. Jahrhunderts noch einmal eine neue Dynamik entfalten können und hat so enorme Auswirkungen auf das kulturelle Leben, das Selbstverständnis der Menschen und damit (auch) auf die Erziehung. 15 Dabei gilt es, diese Entwicklungen in ihrer transnationalen Bedeutung und vor allem in ihrer Ambivalenz zu verdeutlichen. So geht die wirtschaftliche Globalisierung bislang keinesfalls mit einer steigenden Emanzipation, erhöhten Mit- und Selbstbestimmungsmöglichkeiten und steigendem ökonomischen Wohlstand für den Großteil der Weltbevölkerung einher, wie dies häufig als erhofftes Ergebnis der Globalisierung dargestellt wird. Vielmehr bedeutet sie für einen großen Teil der Weltbevölkerung die Steige-
15 Diese Tatsache wird etwa im Zusammenhang mit dem Entstehen „transnationaler Bildungsräume“ reflektiert, vgl. dazu Gogolin/Pries 2004. 223
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rung prekärer Lebensverhältnisse, die Spaltung von Weltregionen und (National-)Gesellschaften in Globalisierungsverlierer und -gewinner, und nicht zuletzt die Steigerung von postkolonialer Arbeitsmigration mit ihren ambivalenten Folgen für alle Beteiligten. Mit dem Stichwort der McDonaldisierung wird allgemein die globale Angleichung von Lebensformen bezeichnet und kritisiert. Diese Analyse trifft aber nur einen Teil des Problems. Denn während diese Diagnose, wenn man sich die weltweite Ähnlichkeit von Konsumtempeln und Einkaufsstraßen der großstädtischen Metropolen einmal vor Augen führt, oberflächlich betrachtet sicher zutreffend sein mag, so unzutreffend ist sie, wenn man den Blick richtet auf die weiterhin vielfältigen Unterschiede regionaler und lokaler Kulturen. Die ökonomischen Auswirkungen der Globalisierung für die Weltbevölkerung und die Spannung von Globalem und Lokalem sind nur zwei Felder, die insbesondere in der Disziplin der Sozialen Arbeit reflektiert werden müssen. Darüber hinaus zeitigt insbesondere die Entwicklung der Neuen Medien mit dem Stichwort des iconic turn eine nicht unerhebliche Wirkung auf globale wie auf lokale Kulturen. 16 Die Liste der Auswirkungen der Globalisierung (auch) auf die Konzeption von Erziehung wäre durchaus ausbaubar (vgl. dafür die zahlreichen Anregungen in Wulf/Merkel 2002) – deutlich wird aber schon nach diesen wenigen Hinweisen die Notwendigkeit eines transnationalen Blicks in der Erziehungswissenschaft, mit dem Ziel, nachwachsende Generationen zu einer verantwortlichen Mitgestaltung von Globalisierungsprozessen zu befähigen und selbst zu einer „reflexiven, kritischen und heterogenen Globalisierung“ (Wulf 2002: 75) beizutragen. Neben der Etablierung eines transnationalen Blicks bedarf es zur Reflexion von Differenzen einer vermehrt interdisziplinären Orientierung. Dies ist eine bekannte Forderung und die Disziplin der Sozialpädagogik arbeitet längst interdisziplinär. Diese Forderung wird allerdings noch einmal plausibler, wenn, wie in dieser Arbeit, für eine Orientierung an Differenz plädiert wird. Dabei bedeutet interdisziplinäre Orientierung durchaus mehr als der gelegentliche Blick „über den Tellerrand“ der eigenen Fachdisziplin. Vielmehr ist der Versuch gefordert, für eine integrative theoretische Vermittlung von unterschiedlichen theoretischen Erkenntnissen und unterschiedlichen Wissensformen, etwa aus der Forschung und aus der Praxis, über einen Gegenstand zu sorgen. Wobei mit „Gegenstand“ hier im weitesten Sinne die Auswirkungen von Differenz auf das Soziale und der sozialpädagogische Umgang damit gemeint sind. Sozialpädagogik als Reflexionstheorie, die Praxisprobleme unter Orientierungsgesichtspunkten behandelt (vgl. Dewe/Otto 1996: 10), 17 muss, wenn sie 16 Auch dies eine Tatsache, die im Bereich der Cultural Studies reflektiert wird. 17 Dewe/Otto unterscheiden in Anschluss an Luhmann/Schorr „normale“ wissenschaftliche Theorien, die ihre Objekte von einer externen Position aus erörtern und Reflexionstheorien, denen der externe Beobachter-Standpunkt fehlt. 224
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Differenzsensibilität als ein wesentliches Ziel pädagogischer Praxis benennt, möglichst unterschiedliche Perspektiven einnehmen und diese in einem sozialpädagogischen Blick synthetisieren. Mit diesen unterschiedlichen Positionen können u.U. neue theoretische Optionen eröffnet werden, wie dies etwa im Kontext dieser Arbeit anhand der Cultural Studies gezeigt wurde, und es können eingeschlichene Reduktionen aufgebrochen werden – die Analyse und Bearbeitung der Differenz ist ein passendes Beispiel dafür. Diese Tatsache betonen indes bereits Dewe/Otto, wenn sie fordern, sozialpädagogische Arbeit müsse „für ‚Differenzen‘ sensibel werden, wenn sie sich auf die unterschiedlichen Wissensformen und auf die damit gegebenen funktionalen Unterscheidungen einlässt“ (vgl. Dewe/Otto 1996: 19). Aus der Sicht einer an Differenz orientierten Disziplin der Sozialen Arbeit wäre darüber hinaus eine permanente Reflexion des eigenen Theorieangebots in dekonstruktiver Absicht geboten. Gerade der Differenzbegriff kann in vielfältiger Art gebraucht werden, kann zur Anerkennung von Verschiedenheit ebenso führen wie zur Festschreibung von Differenz und Stigmatisierung des Anderen. Die Forderung nach Anerkennung der Differenz als Einspruch gegen Identität kann ihrerseits wieder zur Identität werden (Messerschmidt 2005: 204). Daraus folgt die unerlässliche Notwendigkeit, sich selbst mit einem spezifischen Theorieverständnis im Forschungsprozess zu positionieren, d.h. dieses mitzuteilen und die eigenen theoretischen Hintergründe offen zu legen. Dies ist bei dem Thema der Differenz insbesondere deswegen wichtig, weil er eben von verschiedensten Seiten mit unterschiedlichem Erkenntnisinteresse und unterschiedlichen normativen Ansprüchen in Beschlag genommen wird. Abschließend sei darauf hingewiesen, dass eine an Differenz orientierte Soziale Arbeit einer wissenschaftlichen Arbeit interventionistischen und politischen Charakters bedarf. Wissenschaft sollte in diesem Sinne wissenschaftliches Wissen bereitstellen, das an soziokulturellen Problemen und Konflikten orientiert ist, diese kritisch analysiert und reflektiert und somit, auch hier, Möglichkeiten des Handelns und der Intervention erweitert. So schließt sich der Kreis der vorliegenden Arbeit: Wenn Soziale Gerechtigkeit auf die Gestaltung von alltäglichen Lebensverhältnissen zielt (vgl. Böhnisch/Schröer/ Thiersch 2005: 250) und als Zugangsgerechtigkeit konkretisiert wird, bedarf es von pädagogischer Seite einer vorausgehenden Analyse, die verschlossene Zugänge zu Ressourcen der Lebensgestaltung identifiziert. Zu dieser Analyse, die sich auf die Suche nach individuellen Ressourcen und sozialstrukturellen Hindernissen macht, gehört die Reflexion von Differenzverhältnissen – und dies nicht etwa in einem additiven (wie etwa bei Böhnisch/Schröer/Thiersch 2005: 250ff.), sondern in einem systematischen Sinne. Die in dieser Arbeit vorgestellten differenzsensiblen Konzepte liefern der Sozialen Arbeit dafür eine wertvolle Reflexionshilfe. Anfänge einer Integration der differenzsensiblen Konzepte in sozialpädagogische Theorie und Praxis sind in der vorliegenden 225
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Untersuchung erarbeitet worden, diese bedürfen in der Zukunft der weiteren Präzisierung.
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Pädagogik Kathrin Audehm Erziehung bei Tisch Zur sozialen Magie eines Familienrituals
Andrea Liesner, Olaf Sanders (Hg.) Bildung der Universität Beiträge zum Reformdiskurs
April 2007, ca. 220 Seiten, kart., ca. 25,80 €, ISBN: 978-3-89942-617-5
2005, 164 Seiten, kart., 18,80 €, ISBN: 978-3-89942-316-7
Fabian Lamp Soziale Arbeit zwischen Umverteilung und Anerkennung Der Umgang mit Differenz in der sozialpädagogischen Theorie und Praxis
Ellen Schwitalski »Werde, die du bist« Pionierinnen der Reformpädagogik. Die Odenwaldschule im Kaiserreich und in der Weimarer Republik
April 2007, 258 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN: 978-3-89942-662-5
2004, 394 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN: 978-3-89942-206-1
Paul Mecheril, Monika Witsch (Hg.) Cultural Studies und Pädagogik Kritische Artikulationen
Thomas Brüsemeister, Klaus-Dieter Eubel (Hg.) Zur Modernisierung der Schule Leitideen – Konzepte – Akteure. Ein Überblick
2006, 322 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN: 978-3-89942-366-2
Peter Kossack Lernen Beraten Eine dekonstruktive Analyse des Diskurses zur Weiterbildung 2006, 218 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN: 978-3-89942-294-8
Thorsten Kubitza Identität – Verkörperung – Bildung Pädagogische Perspektiven der Philosophischen Anthropologie Helmuth Plessners 2005, 352 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN: 978-3-89942-318-1
2003, 426 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN: 978-3-89942-120-0
Thomas Höhne Pädagogik der Wissensgesellschaft 2003, 326 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN: 978-3-89942-119-4
Werner Friedrichs, Olaf Sanders (Hg.) Bildung / Transformation Kulturelle und gesellschaftliche Umbrüche aus bildungstheoretischer Perspektive 2002, 252 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN: 978-3-933127-94-5
Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de