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German Pages 246 Year 1972
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 196
Sozialbindung des Eigentums
Von Walter Leisner
Duncker & Humblot · Berlin
WALTER LEISNER
Sozialbindung des Eigentums
Schriften
zum Offe ntlichen Band 196
Recht
Sozialbindung des Eigentums
Von
Prof. D r . Walter Leisner
D U N C K E R
&
H U M B L O T
/
B E R L I N
Alle Rechte vorbehalten © 1972 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1972 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany I S B N 428 02792 2
Inhaltsverzeichnis Einleitung
9
Α. „Sozialgebundenheit Zeit
des Eigentums"
und Enteignung
in der Weimarer
I. Der Begriff der Sozialbindung — Allgemeines
16 16
I I . Die Erweiterung des Eigentumsbegriffes
17
1. Der „klassische" Enteignungsbegriff
17
2. Die Erweiterung der Eigentumsgarantie auf alle Vermögenswerten Gegenstände u n d ihre Bedeutung für den Begriff der Sozialbindung
19
I I I . Die Ausweitung des Begriffs des enteignenden Eingriffs: Enteignung auch durch Gesetz
21
1. Die „ursprüngliche" Einzelakttheorie: Enteignung n u r durch Verwaltungsakt
21
2. Die „modifizierte" Einzelakttheorie
22
I V . Die Erweiterung des Enteignungsbegriffs hinsichtlich der W i r k u n g der Enteignung: Enteignung ohne Eigentumsübertragung
24
1. Die „neue Lehre"
24
2. Bedeutung der Neuerung für die Sozialbindung
25
V. Ansätze zur Abgrenzung von Sozialbindung u n d Enteignung aus der Weimarer Zeit
27
1. Die nach der Erweiterung des Eigentumsbegriffs noch möglichen Kriterien
27
2. Abgrenzung nach der Tiefe des Eingriffs
27
3. Abgrenzung nach der Z a h l der betroffenen Rechtsträger
29
4. Die „Schutzwürdigkeitstheorie" als Beispiel für den Synkretismus i n der Eigentumsdogmatik von Weimar
31
B. Sozialbindung
und Enteignung
in der nationalsozialistischen
Zeit
I. K o n t i n u i t ä t zur Weimarer Zeit
34 34
1. P o l i t i k u n d Gesetzgebung
34
2. Herkömmliche Abgrenzungskriterien
35
I I . Von der Weimarer Enteignungslehre zur NS-Sozialpflichtigkeit . .
36
1. Von der „Enteignung als Nutzungsänderung" zu den „immanenten Gemeinschaftsbindungen"
36
6
Inhaltsverzeichnis 2. Der Eigentümer als „Treuhänder des Volkes" u n d die E n t eignung
39
3. Die Höhe der Enteignungsentschädigung u n d die Sozialpflichtigkeit des Eigentums
41
C. Die Sozialbindung des Eigentums zungsversuche zur Enteignung
nach geltendem
Recht —
Abgren-
43
I. Eigentum als „Rechtsposition i n der E n t w i c k l u n g " — Generelle Unmöglichkeit der Abgrenzung zur Enteignung
46
1. Eigentum als variable, relativierte Rechtsposition — oder als festes grundsätzlich unbeschränktes Schutzgut?
46
2. Unmöglichkeit einer eindeutigen Abgrenzung Sozialbindung — Enteignung?
48
3. Die „Entwicklungsgebundenheit der Sozialbindung"
50
4. Die grundsätzliche „Festigkeit des Eigentumsbegriffs" über aller Evolution
gegen-
I I . Sozialbindung u n d „allgemeine Sozial vorbehalte der Verfassung"
58 62
1. Sozialstaatlichkeit u n d Sozialbindung
63
2. Sozialisierung u n d Sozialbindung
65
3. Der „allgemeine Gemeinschaftsvorbehalt" u n d die Sozialbindung
71
4. Beschränkung des Eigentums durch die „Freiheit anderer"? . .
74
I I I . „öffentliches Interesse", „Belange der Allgemeinheit" als Bestimmungskriterien f ü r die Sozialbindung?
86
1. öffentliches Interesse als K r i t e r i u m für die Sozialbindung
86
2. Die „Abwägungslehren", insbes. die Abgrenzungsformel BVerwG
des
3. Sozialbindung nach fiskalischen Gesichtspunkten? Die Bedeutung der „Leistungsfähigkeit" des Staates
91 97
Exkurs : Die Höhe der Enteignungsentschädigung u n d die Sozialbindung — Ausweitung der Sozialbindung durch Beschränkung der Enteignungsentschädigung? 101 1. Mögliche A u s w i r k u n g e n der Höhe der Enteignungsentschädigung auf die Abgrenzung Sozialbindung / Enteignung 101 2. Unzulässigkeit der Berücksichtigung der Höhe der Entschädigung bei der Bestimmung der Grenzen der Sozialbindung 105 3. Die Höhe der Enteignungsentschädigung — Grundsätze des geltenden Rechts 109 4. Geringere Entschädigung bei „unverdientem Eigentum"
121
I V . Bestimmung der Sozialbindung nach der Z a h l der Betroffenen — Die Sonderopfertheorie des B G H 132 1. Die Theorie des B G H
132
2. K r i t i k der Sonderopfertheorie: Das unlösbare Problem der Gruppenenteignung u n d die unzulässige Einschränkung der Typisierungsgewalt des Gesetzgebers 136
Inhaltsverzeichnis 3. K r i t i k der Sonderopfertheorie: „Je größer der Eingriff, desto billiger" 141 4. K r i t i k der Sonderopfertheorie: K e i n Sonderopfer ohne Bestimmung der Schwere des Eingriffs 143 D. Die Unterscheidung von Sozialbindung und Enteignung — Fortsetzung: Abgrenzung nach der Tiefe des Eingriffs — Die bisherigen Bestimmung sv er suche der Eingriffsgrenzen 147 I. Die Bestimmung der Sozialbindung nach der Eingriffstiefe als methodische Folge aus der Grundrechtsqualität des Eigentumsrechts 147 1. Das grundrechtliche Kernbereichdenken; Konsequenzen für das Eigentum 147 2. Die zentralen Schutzbereiche des Eigentums
148
3. Die „Schweretheorie" als Folgerung aus diesem methodischen Ansatz 151 I I . „Formale" Bestimmungsversuche der möglichen Tiefe sozialbindender Eingriffe 153 1. Sachgerechtigkeit
153
2. Die allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätze als Grenze der Sozialbindung
(polizeirechtlichen)
3. Enteignung als „Ausnahme"
157 162
I I I . Die „inhärenten" Schranken des Eigentums — Bestimmung der als Sozialbindung zulässigen Eingriffstiefe nach den „dem Eigentum innewohnenden Beschränkungen" 163 1. Die Lehre von den „inhärenten Schranken"
163
2. K r i t i k
164
3. Die „prekären Rechtspositionen" Sozialbindung
als Gegenstand
zulässiger
168
I V . Bestimmung der „Enteignungsschwelle" aus der Zweckänderung beim betroffenen Recht 171 1. Die Zweckentfremdungslehre — die Privatnützigkeitstheorie .. 171 2. K r i t i k der Privatnützigkeitslehre 3. Grundsätzliche theorien
Bedenken
174
gegen
die
Zweckentfremdungs-
178
4. Sozialbindung als „Eigentumsbeschränkung i m Interesse des Eigentümers" 180 5. Das „gemeinschaftsschädliche Eigentum" E. Ansätze zu einer möglichen tendem Recht
Abgrenzung
der Sozialbindung
183 nach gel-
185
I. „Methodische" Ansätze zu einer Untersuchung der Sozialbindung 188 1. Nicht der Inhalt, sondern die Grenzen der Sozialbindung sind zu bestimmen 189
8
Inhaltsverzeichnis 2. Eine Abgrenzung der Sozialbindung durch „eine Formel" ist unmöglich 191 3. Die Bestimmung der Sozialbindung muß „ i n d u k t i v " von einer Systematisierung der Eigentumsjudikatur ausgehen 192 4. Die Grenzen der Sozialbindung liegen k r a f t Verfassung fest, sie sind aus Verfassungsrecht zu bestimmen 194 5. Die Sozialbindung setzt dem Eigentum Grenzen, sie löst das Eigentum nicht i n Einzelbefugnisse auf 196 I I . Totalentzug von Rechten u n d alles was i h m gleichkommt, ist nie Sozialbindung 199 1. Der Totalentzug von Rechten als Enteignung
199
2. Bindungen, welche dem Entzug gleichkommen
201
3. Die Eingriffsdauer als K r i t e r i u m für den Totalentzug — Die zeitlichen Schranken der Sozialbindung 205 4. Existenzvernichtung als Schranke sozialbindender Eingriffe .. 206 I I I . Die Sozialbindung muß die Grenzen achten, welche sich aus der bisherigen E n t w i c k l u n g des Eigentums ergeben 209 1. Die Tradition u n d Sozialbindung nach bisherigem Recht
209
2. Die Bedeutung des Herkommens f ü r die Sozialbindung
211
I V . Die Sozialbindung ist rechtsstaatlich fortzuentwickeln; dabei ist Bestandsschutz zu gewähren u n d Vertrauen zu wahren 214 1. Eigentum u n d Rechtsstaat
214
2. Der Bestandsschutz von Eigentumsrechten i n der J u d i k a t u r
217
V. Dem Eigentümer als „Organ der Wirtschaftsverfassung" muß ein gewisser eigentumspolitischer Spielraum erhalten bleiben 219 1. Das Privateigentum u n d das Problem der Wirtschafts Verfassung 219 2. Der Eigentümer als „Organ der Wirtschafts Verfassung"
222
V I . Sozialbindung des Eigentums ist kein Instrument der Gesellschaftspolitik; Sozialpolitik ist Sache des Steuerstaates, Sozialbindung das R e d i t nachbarlichen Zusammenlebens 226 1. Sozialbindung u n d Besteuerung
226
2. Unzulässigkeit sozialpolitischer Sozialbindung — Sozialgestaltung durch den Steuerstaat 228 V I I . Eingriffe i m Rahmen der Sozialbindung müssen auch rein quantitative Grenzen finden 234 1. Die Notwendigkeit quantitativer Abgrenzungskriterien
234
2. Die Größenordnung zulässiger Wertminderungen i m Rahmen der Sozialbindung 236 Ausblick: Sozialgebundenes sammenlebens
Eigentum
als Grundlage
solidarischen
Zu-
239
Einleitung W i r leben i n einer eigentumsbewußten Gesellschaft. Die meisten haben schätzenswertes Eigentum, manche möchten es ihnen nehmen oder m i t ihnen teilen, alle sprechen von gerechter Eigentumsverteilung. Die Bundesrepublik hat ohne Freiheit und ohne Eigentum begonnen. Die Freiheit ist bald gekommen, bald darauf selbstverständlich geworden. I n demselben Maße hat sich das allgemeine Interesse dem Eigentum zugewendet. Von i h m kann man, i m Gegensatz zur Freiheit, nie genug bekommen. Das Problem unserer Gesellschaft heißt Eigentum, nicht Freiheit, Freiheit allenfalls als Chance zu mehr Eigentum. Dieses Recht scheint den meisten heute das einzige zu gewähren, was die Freiheit schön, lebenswert macht. I n diesem Sinn hat sich die freiheitlich-demokratische Grundordnung i n eine — „eigentümliche" demokratische Grundordnung gewandelt. Eigentümlich erscheint sie vor allem jenen, welche „etwas verändern wollen" ; und möglich ist dies nur beim Eigentum. Wer die gegenwärtige Freiheit „ändern" w i l l , kann sie nur — vernichten. Wer wollte dies offen sagen? Es sei denn wiederum i m Namen des Eigentums, jener konzentrierten Freiheit i n den Händen Besitzender — Fortschritt der Freiheit nur über Fortschritt i m Eigentum! Doch Eigentum ist harter gesellschaftlicher Beton. Von jeher ist es gerade deshalb anerkannt worden, „ u m andere auszuschließen", sei es, daß diese als Sozialrevolutionäre oder als Räuber auftraten. Die Steuergewalt hat all diese Sperren umgangen und vieles umgeschichtet. Doch vielen genügt dies nicht. Steuern nehmen allzuviele Rücksichten auf das Funktionieren des Wirtschaftssystems, sie bleiben i n seinen Grenzen. Kann es „systemüberwindende Steuern" geben, würden sie dann nicht wieder als Fiskalkonfiskation an den Grenzen des Eigentums Halt machen müssen? Und vor allem: Steuern treffen alle, jedenfalls viele; darin finden sie i n der Demokratie natürliche Grenzen. Wer also verändern w i l l — muß er nicht direkt das Eigentum treffen, die wenigen schlagen, die das viele besitzen? Ist damit Frontalangriff gegen das Eigentum nicht Konsequenz der Demokratie an sich, ganz unabhängig von Marx und Lenin? Doch Eigentümer sind eben nicht „wenige", Eigentümer i n spe sind alle. Das Eigentum aufheben ist Utopie, Produktiveigentum nehmen wäre das
10
Einleitung
Ende einer Wirtschaftsordnung. Wer dies fordert, steht i n der BRD noch immer i m geistigen Getto des Radikalismus. Was kann also hier die Demokratie, die Staatsform des Kompromisses, bieten? Die Mittellösung — Beschränkung und Bindung des Eigentums zugunsten einer Allgemeinheit, die als demokratischer Souverän ex definitione wenn nicht das Gute, so doch das Richtige tut. So ist denn das Zauberwort von der Sozialbindung des Eigentums geboren. I n einem kaum bemerkbaren Worttausch t r i t t an die Stelle der aus jüngerer Vergangenheit suspekten „Gemeinschaft" das „Soziale" und damit etwas vom heute „an sich Guten"; aus der „Gemeinschaftsbindung", der stets ein Hauch von Staatsraison folgt, w i r d jene Sozialbindung, die sogleich eine Richtung anzudeuten scheint, etwas von Hilfe und Verbesserung, von egalitärer Gerechtigkeit. Es ist allerdings nur — „etwas" von alledem, nichts Präzises; und das soll ja auch nicht sein. Diese Formel verdient, mit nur ganz wenig Ironie, die Bezeichnung des „schönsten Formelkompromisses des deutschen Rechts". Sie hat wahrhaft gewaltige „IntegrationsWirkung" — i n ihrem Namen sind sich alle einig: Die Freunde und die Feinde des Eigentums: Wer es bekämpft, glaubt hier den Begriff gefunden zu haben, der seine Angriffe zugleich legitimiert und legalisiert, den Ausweg aus der odiosen, vorbelasteten Enteignung i n die volle Freiheit neuer Sozialgestaltung. Wer Eigentum verteidigt, meint damit dem Feind Wind aus den Segeln nehmen, daß er am Rande nachgibt, um i m Kern festzubleiben; daß er einen Namen gefunden hat, u m das ein Opfer nennen zu können, was ohnehin verloren ist, u m damit u m so lauter den „sozialen Diebstahl" der Enteignung anklagen zu können. Die „extrem Linken" und „extrem Rechten": Jenen ist die Sozialbindung die Straße des Fortschritts, die jederzeit verbreitert werden kann, der Weg auf dem „langen Marsch", auf dem Schritt für Schritt das Eigentum zertreten wird, bis hin zur idealen Grenze 0 der totalen Enteignung. Diesen bedeutet die Sozialbindung Pflicht des Einzelnen gegenüber dem Staat, „Gemeinnutz geht vor Eigennutz", M i t t e l zur Stärkung der Staatsmacht nach innen wie nach außen — oder gar „Verantwortung" gegenüber einem Staat, den man selbst beherrschen kann, m i t eben diesem Eigentum. K a u m irgendwo berühren sich die Extreme einträchtiger. Die „Fortschrittlichen" und die „ K o n s e r v a t i v e n D i e einen sehen i n der Sozialbindung den elastischen Begriff, der neue Entwicklungen zum Tragen bringen, das Eigentum flexibel dem Unvorhersehbaren des Progress anpassen kann. Die anderen bauen hier eine Mauer für das Eigentum, hinter der jäh der Abgrund der Enteignung beginnt; die Sozial-
Einleitung
bindung ist nur das Glacis ihrer Festung, das übrigens der angreifende Staat auch nicht ohne Verluste betreten wird. Und sie finden i n früher Vergangenheit die schönsten Beispiele eben jener Gemeinschaftsbindung des Besitzes, wenn nicht bei den alten Germanen, so doch spätestens i m Zeitalter des Lehnswesens. Befürworter und Gegner der Einheit von Staat und Gesellschaft: Für die ersteren dringt hier der Staat gerade i m Namen der von i h m repräsentierten „gesellschaftlichen Interessen" gegen gesellschaftliche Positionen vor, die Sozialbindung ist geradezu der Ausdruck staatlich-gesellschaftlicher Einheitsordnung par excellence. Alle Bedürfnisse der Gesellschaft, die sich gegen das Eigentum richten, sind zugleich staatliche Bindungen dieses Rechts; sie können ebenso rasch und vielgestaltig durchgesetzt werden, wie sie auftreten. Sozialbindung ist Gesellschaftsbindung des Eigentums. Für diejenigen, welche die Einheit von Staat und Gesellschaft ablehnen, ist die Sozialbindung umgekehrt gerade die Grenze, bis zu der allein der Staat i n den gesellschaftlichen Raum eindringen darf, sie ist ex definitione „Grenze des Eigentums", Ausdruck der wesentlichen Unterschiede eines begrenzenden Staates und der begrenzten Gesellschaft. Jenseits von ihr beginnt der freie Raum der Gesellschaft, deren zentrales Organisationsmodell gerade jenes Eigentum ist, das der Staat nur anerkennen und eingrenzen, nie voll inhaltlich ausgestalten darf. Sozialbindung mag eine Verlustliste gesellschaftlicher Selbstregelung sein, die Gesellschaft erkauft dies m i t der Freiheit des Eigentums. Und selbst dort, wo der Staat den Raum der Sozialbindung vorfindet, i n dem er sich frei betätigen darf, ist dieser gesellschaftlich vorbestimmt, von jener Gesellschaft dem Staat überlassen, die ebenso die Sozialbedürfnisse wie die Harmonie des Besitzes praestabiliert. Wenn i n diesem zentralen Punkt der Sozialpolitik so große Einmütigkeit herrscht — ist dann nicht hier wenigstens der vielbeschworene „Pluralismus" heutiger Gesellschaft aufgehoben? Mitnichten; jeder redet von Sozialbindung, nicht jeder versteht darunter etwas anderes —, sondern fast alle etwas Unklares, ein schönes juristisches Vehikel, um sozialpolitische Probleme vor sich herzuschieben. Sozialbindung ist jedenfalls Eigentumsbeschränkung ohne Entschädigungspflicht, begrifflich ist sie damit nichts anderes als Negation des Eigentums, Grenze der Eigentumsfreiheit. Doch wo liegt die Grenze, wo beginnt jenseits von i h r die Enteignung? Für Politik und Ökonomie ist dies aber „Rechtstechnik". Sie wollen nehmen und lassen, was jeweils gebraucht wird. Form und Legitimation der Begriffe aber — das ist ein Problem des Rechts, jener Ordnung also, die ihrerseits weder Eigentumsbedürfnisse schafft noch sie wirklich definieren kann. Daraus erwächst nun jene eigenartige „Gewaltenteilung" zwischen Recht und Sozialpolitik: Mehr als i n irgendeinem anderen Be-
12
Einleitung
reich soll hier das Recht ordnen was es nicht kennt, es w i r d ihm „befohlen zu befehlen". Kann es m i t dem Schwergewicht der Ordnungsmacht seiner Kategorien und Systeme auf die stärkste Dynamik wirken, die w i r heute kennen, auf den Drang zum Eigentum? M i t der „ Sozialbindung" ist es versucht worden—und gerade hier haben sich deutlich die Grenzen des Rechts gezeigt. Die Grundfrage des Eigentums — wieweit es dem Eigentümer oder der Gemeinschaft gehöre — sie läßt sich mit diesem Wort bezeichnen, nicht lösen. So muß denn auch an diesem Beginn hier wenn nicht Resignation, so doch Bescheidenheit des Rechts stehen. Gerade hier kann es nicht viel mehr schaffen als Instrumente des Ausdrucks, Räume und Kanäle für menschliches Begehren. Und so ist es i m Recht von Enteignung und Sozialbindung seit Jahrzehnten, seit ein formiertes Verfassungsrecht diese Frage traf. Ein unübersehbares Schrifttum hat sich m i t Sozialgebundenheit und Sozialpflichtigkeit, m i t Sozialbindung und Enteignung befaßt. So viele haben geschrieben, daß schon vor einem halben Menschenalter behauptet werden konnte, das Problem sei ausgeschrieben*. Doch i m ganzen ist dies alles, m i t wenigen Ausnahmen, eine Artikelliteratur geblieben. Von Einzelfällen und Einzelaspekten der zahlreichen Eigentumsrechte und ihrer noch zahlreicheren Beschränkungen wurden immer wieder kleinere Ausflüge i n die Regionen des Grundsätzlichen unternommen; doch meist blieben es Pfade, die rasch endeten oder auf die breiten Straßen der bequemen Formeln mündeten. Denn an großen, grundsätzlichen Worten zur Sozialbindung hat es nie gefehlt — sie kamen weit häufiger vom Richtertisch als aus der Studierstube. Auch die Richter begegneten zwar tagtäglich dem Eigentümer und dem Staate i m „kleinen Streit", i m Kampf um Mark und Pfennig des konkreten Gutes. Was würde ihrem Wesen mehr entsprechen, als i n der vorsichtigen Abwägung des Einzelfalls zu verharren und selbst Induktion und Rechtsanalogie dem kühneren Schrifttum zu überlassen, das nichts zu verantworten braucht? Doch anders bei der Sozialbindung. Hier brachen die Richter die breite Straße der Grundsätze durch das Dickicht der Einzelprobleme, hier gingen sie m i t großen Formeln von Ethos und Pathos ordnend vor, das Schrifttum folgte; kritiklos zum Teil und allein damit beschäftigt, die „großen Formeln" dem eigenen Interesse, der kleinen Fallgruppe nutzbar zu machen; resigniert weithin gegenüber jenen Aussprüchen, die immer wieder, gegen alle Vorstellungen, aus Richtermund repetiert wurden, gegenüber ständigen Rechtsprechungen, die weit mehr waren als Orientierungen für den Einzelfall, die mit dem Anspruch auftraten, das Problem der Sozialbindung theoretisch und praktisch gelöst zu haben. * Dürig, G., JZ 1958, S. 22 (24).
Einleitung
So ist denn, i n diesem Sinne des Grundsätzlichen, nicht zu viel, sondern zu wenig geschrieben worden. Das Problem ist nicht ausgeschrieben, die Diskussion hat kaum begonnen. Die nächsten Jahre werden i m Eigentumsrecht erst die großen Schlachten bringen, dazu gehört keine Prophetengabe. Die Sozialpolitik w i r d rücksichtslos die alten Straßen des Eigentumsrechts verlassen, wenn keine neuen gebaut werden. Die Schuld an all dem tragen weder allein die Richter, noch die Rechtswissenschaft. Diese wollte allzu „eng am Einzelfall" bleiben und verlor sich praktisch i n Urteilsexegesen. Die Richter standen weithin ohne die Hilfe der Theorie vor der kaum übersehbaren Vielfalt der Eigentumsprobleme und praktizierten daher Wissenschaft durch Richterspruch. Ihnen w i r d man den kleineren Vorwurf nur machen können, sie haben gespürt, was not tat: die grundsätzliche Diskussion um die Sozialbindung. Das Schrifttum hat sich beruhigt i n der jahrzehntelangen restaurativen Eigentumsruhe der zweiten Nachkriegszeit, in der es galt, Eigentum zu schaffen, nicht zu verteilen. Unvorbereitet treffen nun die A n griffe derer, die neue Bindungen, neue Verteilung verlangen. Doch wer heute die Grundsatzdiskussion der Sozialbindung aufnehmen w i l l , findet sich i n schwieriger Lage. Trotz aller großen Worte und Formeln ist das gesamte Eigentumsrecht ein Einzelfallrecht geworden, das erst i n neuerer Zeit durch einen sektorial entschlossenen Gesetzgeber i n Einzelbereichen normativ geregelt wird. Zwischen der einzelnen Entscheidung der Baubeschränkung oder der Preisbindung, der Außenwerbung oder des Straßenbaus, die sagt, was i n concreto Sozialbindung sei, und den „großen Formeln" vom Sonderopfer oder von der Zweckentfremdung, vom Substanzeingriff oder von der Privatnützigkeit — zwischen diesen beiden Bereichen gibt es Brücken nur i m Willen des Richters, nicht i n der Rationalität der Begründung des Urteils. A u f der einen Seite steht die Billigkeit des Einzelfalles — auf der anderen Formeln von einer Allgemeinheit, wie sie nicht dem Staats- und Verwaltungsrecht, sondern mehr schon der Allgemeinen Staatslehre entspricht. Rechtssicherheit findet der Bürger nicht i n diesen großen Worten, sondern i n den zahlreichen Ketten zahlloser Urteile, in denen die aequitas zum vorhersehbaren jus wird. Und warum sollte es auch nicht so bleiben, weshalb sollten konkretere Formeln zwischen die allgemeinen Aussagen und den einzelnen Fall treten, dieser ersichtlich aus Normen ableitend entschieden, nicht mehr an Präzedentien angelehnt werden? Weil dieser heutige Zustand rechtsstaatlich nur befriedigen kann, solange die Eigentumsruhe dauert und solange der Gesetzgeber die Sozialbindung dem Richter überläßt; wenn dagegen sozialpolitische Dynamik i n Gesetzesform vordringt, so bildet auch die engste Präzedentienkette keinen Halt mehr. So aber ist es heute: Der Gesetzgeber vermag gegen das Eigentum fast alles, wenn er die
14
Einleitung
„richtige" Form wählt, den Weg „zwischen den Großformeln" über Enteignung und Sozialbindung hindurch. Hier verlangt die Rechtsstaatlichkeit größere Klarheit der Abgrenzung, Grundsätze, welche zwischen dem Allerallgemeinsten und der Einzelfallkette liegen. Dies aber läßt sich nicht allein „von unten", vom Einzelkonflikt her lösen, gewisse Entscheidungen müssen auch bereits i m Prinzipiellen fallen. Das Eigentumsrecht ist kein Bereich, i n dem man auf die Verbindung von Einzelfallerwägung und Rechtsprinzip zugunsten allein der ersteren verzichten könnte. Doch der „prinzipielle Bereich" ist i m öffentlichen Recht zu wenig entwickelt. Hier drohen glatte „Übernahmen" aus der Gedankenwelt derjenigen, die sich nun umgekehrt sehr intensiv m i t dem „Allgemeinen" beschäftigen, ohne immer den Einzelfall sehen zu wollen: Von den „klassischen" Ökonomen bis zu den Sozialrevolutionären. Ihnen gegenüber hat es wenig Sinn, sich i m Gewirr von Schützengräben der Abwägung des Einzelfalles zu verschanzen, welche von den „großen sozialpolitischen Gedanken" leicht überfahren, wenn nicht überflogen werden. Was nützt es, i m Vorfeld des Eigentums jeden Meter zu verteidigen, wenn inzwischen die Festung selbst fällt, w e i l der Eigentumsbegriff „sich wandelt" oder der „Sozialstaat" seinen Einzug hält? Und verdienen nicht diese sozialpolitischen Gedanken, neu oder alt, auch die kritische Aufmerksamkeit des Juristen, sollte er zu dieser Diskussion aus seiner reichen Sicht der Fallerfahrung und der praktischen Konsequenzen gar nichts beitragen können? Er vermag es und es geschieht ja auch laufend; „allgemeine", „grundsätzliche" Erwägungen beeinflussen ja, offen oder unterschwellig, die meisten Entscheidungen. Doch hier liegt das, was jedenfalls eine Gefahr ist, wie immer man zum Eigentum stehen mag: Viele allgemeine Begriffe werden verwendet, vom Sozialstaat bis zur Gleichheit, vom Gemeinschaftsvorbehalt bis zur sozialen Gerechtigkeit. Irgendeiner paßt immer, um Sozialbindung i m einzelnen Fall wenn nicht zu bestimmen, so doch zu legitimieren. Kritisch werden all diese Kategorien nicht näher betrachtet — es geht ja um Eigentumsrecht, nicht u m allgemeine Verfassungsdoktrin; und das öffentliche Recht gefällt sich schon lange weit mehr darin, politisch zu legitimieren als dogmatisch abzugrenzen. Dies ist nun die erste Aufgabe einer Untersuchung der Sozialbindung, die sich ein rechtsdogmatisches Ziel setzt: Kritisch müssen all die zahlreichen Begriffe untersucht werden, die zur Beschreibung, zur Ortung der Sozialbindung eingesetzt werden — darauf, ob sie auch deren Abgrenzung zur Enteignung zu tragen vermögen. Wenn dies nicht der Fall ist, so müssen sie aus der Diskussion ausscheiden, ebenso wie einige jener judikativen „Großformeln", die sich nur aus solchen Begriffen zusammensetzen. Denn alle diese Begriffe mögen der „Legitimation", nicht der dogmatischen Abgrenzung zu dienen bestimmt sein, sie sind dennoch für letztere nicht ohne Gewicht; sie orientieren die Grenzziehung i n be-
Einleitung
stimmte Richtungen, eröffnen dem Staat unkontrollierbare Einbruchsräume, oder privatem Belieben unübersehbare Möglichkeiten. Dies alles geschieht unterschwellig, gedeckt durch den Mantel hoher Verfassungsprinzipien, wenn nicht noch m i t einem Unterton des Moralischen. Und nicht zuletzt m i t diesem darf die Diskussion nicht beginnen. Bei Sozialbindung und Enteignung geht es nicht u m „Anständigkeit" und „Verantwortung für die Gemeinschaft", Eigentum ist nicht Eigensucht, seine Beschränkung kein Diebstahl. Hier stehen sich zunächst einmal harte wirtschaftliche Interessen gegenüber. Die „Moral" sollte erst beginnen, wenn solche Gegensätze rechtlich und wirtschaftlich definiert und diskutiert sind. Denn nirgends ist „Moral" wohl eigensüchtiger, als wenn man Eigentum behalten oder es anderen nehmen w i l l . Wenn erst einmal diese Pseudobegriffe des Eigentumsrechts ausgeschaltet sind, so ist schon ein Entscheidendes gewonnen: Es herrscht mehr Begriffsklarheit i m Bereich von Eigentum und Sozialbindung. Zu einem nämlich bekennt sich diese Untersuchung schon i m methodischen Ausgangspunkt: Zur unbedingten Notwendigkeit klarer und fester Begrifflichkeit i m gesamten Raum des Eigentums. Man mag seine Grenzen ziehen wo man w i l l , aber es müssen deutliche und berechenbare Grenzen sein. Hier, i m Grundsätzlichen, ist nichts zu gewinnen m i t unklaren Relativierungen und Öffnungen, Abwägungen und Sinnerfüllungen. Stellungnahme zur Sozialbindung muß nicht nur i m einzelnen Urteil, sondern auch i n der „theoretischen" Aussage stets Entscheidung sein, nicht ein Blankoscheck auf Nationalökonomie oder Sozialrevolution. Wollte man dies, so hätte das Recht zum Eigentum nichts mehr zu besagen. Wer dies ein „wissenschaftliches Vorverständnis" nennen w i l l , der mag es tun. Ein Vorverständnis ist es i n der Tat — eben das der Dogmatik. Die Untersuchung hat ihren Zweck schon erreicht, wenn sie die Grundsatzdiskussion wieder stärker i n Bewegung bringen kann, wenn sie einige schillernde, gefährliche Begriffe aus ihr verbannt. Eine „neue Theorie" w i l l sie nicht bringen; dieses Wort ist gerade bei Sozialbindung und Enteignung entwertet worden, w e i l als „Theorie" ausgegeben wurde, was oft nur einige inhaltsarme Worte waren. Positives vermag die Untersuchung auch i n diesem Rahmen nur i n Ansätzen zu bieten — allenfalls darin, daß gewisse allgemeine Kriterien für die Bestimmung der Sozialbindung näher umschrieben und i n ihrem Prioritätsgewicht einigermaßen fixiert werden. Denn eines w i r d i n der Tat nie möglich sein: die Grenzen des Eigentums m i t einer einzigen logisch zwingenden Formel zu bestimmen. Die Alternative dazu ist aber nicht, wie der B G H meint, sogleich der Einzelfall, sondern eine dichtere allgemeine Dogmatik des Eigentums und seiner Grenzen, die w o h l nur aus einer Verbindung verschiedener Gesichtspunkte erwachsen kann und i n diesem Sinn allerdings stets „indukt i v " bestimmt bleibt. Und hier gibt es eben wirklich nur Beiträge, nicht Lösungen.
Α . „Sozialgebundenheit des Eigentums" und Enteignung i n der Weimarer Zeit I. Der Begriff der Sozialbindung — Allgemeines Die Weimarer Zeit ist für die Entwicklung des Begriffs der Sozialbindung von entscheidender Bedeutung. Zum ersten Mal i n der deutschen Geschichte wurde reichseinheitlich das Eigentum i n einer Verfassungsbestimmung anerkannt und gesichert, der normative Wirkung gegenüber Verwaltung und Gesetzgeber zukam 1 . Die Reichsverfassung selbst stellte sogar schon deutlich die Enteignung (Art. 153 Abs. II) der Bestimmung von „Inhalt und Schranken des Eigentums" durch Gesetz (Art. 153 Abs. I S. 2) gegenüber. Die großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Nachkriegsjahre und der Wirtschaftskrise, verbunden m i t den schweren politischen Spannungen i n der noch ungewohnten Staatsform der republikaninischen Parteiendemokratie, rückten Enteignung und Sozialisierung i n den Mittelpunkt der politischen Auseinandersetzungen. Aus dieser allgemeinen normativen und tatsächlichen Lage heraus w u r den i n der Weimarer Zeit die wesentlichen Grundlagen der heutigen Eigentumsdogmatik gelegt. Damit wurde zugleich zum ersten Mal die Sozialbindung, damals überwiegend „Sozialgebundenheit" genannt, aus einer Kategorie des Deutschen Privatrechts 2 , allenfalls noch des bürger1 Z u dieser „Normativierung" der W V vgl. u. a. Apelt, W., Geschichte der Weimarer Verfassung, S. 298 f.; Thoma, R., bei Nipperdey, Die Grundrechte und Grundpflichten der RV I, 1929, S. 3 f., der auf die verschiedenen Auflagen des Kommentars v o n Anschütz verweist: Hensel, P., Grundrechte u n d Rechtsprechung, RG-Praxis I, S. 24 f.; Buschke , Α., Die Grundrechte der W V i n der Rechtsprechung des RG, B e r l i n 1930, S. 106 f. 2 Vgl. dazu Gierke , Ο. v., Deutsches Privatrecht, I I , 1905, S. 358 f., 405 f. Deutschrechtlich sind sicher v o r allem zwei Grundgedanken des Enteignungsrechts, welche i n der Weimarer Zeit gewirkt haben u n d noch heute nachwirken: Einerseits die Unterscheidung zwischen dem Eigentums verfügungsrecht, das n u r i m Wege der Enteignung entzogen werden könne, u n d der Beschränkung des Eigentumsinhalts, welche durch Gesetz erfolgen dürfe — letztere stellt den Prototyp der Sozialbindung dar (vgl. dazu Gierke , aaO, S. 406 f.) ; zum anderen die Vorstellung, daß das Eigentum zwar ein unbeschränktes Sachenrecht, nicht aber ein unbeschränktes Herrschaftsrecht darstelle, daß es eine „rechtlich gebundene Macht" sei (vgl. Gierke , aaO, S. 364). Den deutschrechtlichen Ursprüngen des Sozialbindungsbegriffs kann hier nicht i m einzelnen nachgegangen werden. Daß sie, v o r allem über K o n r a d Beyerle, entscheidenden Einfluß auf die Weimarer Verfassunggebung ausgeübt haben, ist bekannt. Vgl. dazu Jellinek, W., Entschäd. f. baurechtliche Eigentumsbeschränkungen, Rechtsgutachten f. d. Dtsch. St. Tag, Schriftenreihe d. DStT Heft 3, 1929, S. 5; Schettler, R., Staatslex. 5. Aufl. 1926,1, Sp. 1688.
I I . Die Erweiterung des Eigentumsbegriffes
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liehen Rechts, zu einem faßbaren Begriff des Reichsverfassungsrechts. Sozialbindung liegt immer dann vor, wenn der Staat von seinem Recht Gebrauch macht, „den Inhalt des Eigentums (im weitesten Sinne) i n einer allgemein verbindlichen Weise zu bestimmen. I n diesem Rahmen darf er zwar nicht Eigentum entziehen oder übertragen oder i m Einzelfall belasten, wohl aber innerhalb gewisser Grenzen i n einer allgemein verbindlichen Weise den Herrschaftsbereich des Eigentumsrechts einengen, es m i t Pflichten belasten, es sozial binden" (Herv. v. Verf.) 3 . Diese Sozialbindung mußte bereits damals — und muß noch heute — näher bestimmt werden, einerseits aus dem Begriff des Eigentums i m verfassungsrechtlichen Sinne, zum anderen aus ihrem „Gegenbegriff", jener Enteignung, die über die Inhaltsbestimmung hinausgeht und den Staat zur Entschädigung verpflichtet. I n beiden Richtungen wurden i n der Weimarer Zeit entscheidende Weichen gestellt: Der Begriff des verfassungsrechtlich geschützten Eigentums wurde erweitert (i. folg. II); der Begriff der enteignenden Eingnffe wurde ausgedehnt (i. folg. III), die Enteignung von der Übertragung von Eigentum gelöst (i. folg. IV); dies alles ist auch nach 1945 beibehalten worden und für den Begriff der Sozialbindung von großer Bedeutung. Schließlich wurden bereits i n der Weimarer Zeit die wichtigsten möglichen AbgrenZungskriterien zur Enteignung herausgestellt, insbesondere die heute herrschende Einzelakt-Sonderopfertheorie entwickelt (i. folg. V). I I . Die Erweiterung des Eigentumsbegriffes 1. Der „klassische" Enteignungsbegriff
a) Entsprechend dem französischen Verwaltungsrecht, das von jeher zwischen der Expropriation und der Réquisition unterscheidet und erstere auf Grundstücke und vergleichbare dingliche Rechte beschränkt 4 , wurde auch i m deutschen Recht des 19. Jahrhunderts der Begriff Enteignung auf Grundstücke bezogen: Enteignung war lediglich die „ganze oder teilweise Entziehung von Grundeigentum oder von Rechten an solchem zur Durchführung eines dem öffentlichen Wohle dienenden Unternehmens" 5 . Dem Landesrecht war durch A r t . 109 EGBGB hier weitere Ausgestaltungsmöglichkeit eröffnet. So war etwa nach dem preußischen Enteignungsgesetz von 1874 Enteignung nur die „Abnahme des Eigentumsrechts an 3 So die f ü r die Weimarer Zeit i m wesentlichen zutreffende Umschreibung des B G H Z 6, S. 270 (278). 4 Vgl. dazu Waline, M., Droit administratif, 9. A u f l . 1963, Nr. 147 - 149. 5 So beschreibt Hof acker, W., Grundrechte u n d Grundpfiichten d. Deutschen, 1926, S. 46 das Ergebnis der Entwicklung des Enteignungsbegriffs. Vgl. auch Giese, F., i n Giese, Neuwieser, Cahn, Dt. Verwaltungsrecht, 1930, S. 108.
2 Leisner
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Α . Sozialgebundenheit i n der Weimarer Zeit
Grund und Boden unter Neubegründung desselben i n der Person eines gemeinnützigen Unternehmers durch Verwaltungsakt (...) und nur gegen vollständige Entschädigung" 6 . Diese Begrenzung des möglichen Enteignungsgegenstandes war eines der Konstitutivelemente des später sog. „klassischen Enteignungsbegriffs" 7 . Damit beschränkte sich aber auch die Entschädigungsverpflichtung des entwehrenden Staates auf die Entziehung von Grundeigentum. Für Mobilien mochte zwar gelegentlich ein entsprechender Schutz gegen Beschlagnahme bestehen. Der rechtspolitisch wirksame und seit den A n fängen der sozialistisch-marxistischen Bewegung auch gesellschaftspolitisch gängige Begriff der Expropriation war jedoch nicht ein Schutzschild für alles Eigentum, für das Eigentum als solches. Dies war auch gar nicht notwendig — daß der Staat i n größerem Umfang i n andere als dingliche Rechte eingreifen könnte, war vor den kriegsbedingten Zwangsmaßnahmen i n einer spätliberalen Wirtschaftsordnung unvorstellbar. b) Immerhin hatte jedoch dieser beschränkte klassische Enteignungsbegriff eine Folge, die noch heute indirekt auf den Begriff der Sozialbindung nachwirkt: Außerhalb des Grundstücksbereiches erschienen staatliche Eingriffe in der Regel als zμlässige Bestimmungen von Umfang und Inhalt des Eigentums, für die keine Entschädigung geschuldet wurde. Der, wiederum deutschrechtliche, sachenrechtliche Grundgedanke der Väter des BGB vom notwendigen „numerus clausus der Sachenrechte" leistete darüber hinaus der Vorstellung Vorschub, daß es letztlich überhaupt dem Gesetzgeber obliege, das Eigentum zu konstituieren, daß dieses also, außerhalb des enteignungsgeschützten Bereiches beim „natürlichen" Grundeigentum, grundsätzlich nicht nur zu seiner Disposition stehe, sondern sein „Geschöpf" sei. N u r so erklärt sich die Weimarer Formel, daß der Gesetzgebung das Recht zur Bestimmung von „Inhalt und Grenzen" des Eigentums überlassen sei. Die Enge des Enteignungsgegenstandes beim „klassischen" Enteignungsbegriff hat also von Anfang an der Sozialbindung einen sehr weiten Raum gelassen: Grundsätzlich mochte alles als Sozialbindung erscheinen, was nicht Grundstücksenteignung war. Es ist sehr fraglich, ob sich die Rechtsprechung bis auf den heutigen Tag von solchen unterschwelligen Nachwirkungen früherer Kategorien hat freimachen können 8 . Irgendwie ist „Eigentum par excellence" das Grundeigentum geblieben. β Dazu Hatschek, J., Lehrbuch d. Dt. u. preuß. Verwaltungsrechts, 7. u. 8. Aufl., Leipzig 1931, hrsg. v. Paul Kurtzig, S. 300. 7 Vgl. etwa Β G H Z 6, S. 276. 8 Dagegen spricht deutlich der unter E. noch näher zu erörternde Befund, daß die Judikative eigentlich n u r beim Grundeigentum die allgemeine A b grenzung der Formeln Enteignung — Eigentumsbindung näher verdeutlicht hat.
I I . Die Erweiterung des Eigentumsbegriffes
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2. Die Erweiterung der Eigentumsgarantie auf alle Vermögenswerten Gegenstände und ihre Bedeutung für den Begriff der Sozialbindung
a) Schon die klassische deutschrechtliche Theorie hatte den Enteignungsbegriff über den Gegenstand des Grundeigentums hinaus erweitern wollen 9 . Die große Ausweitung gelang jedoch erst unter dem Eindruck der kriegsbedingten Eingriffe i n verschiedene Eigentumsrechte und angesichts der Allgemeinheit der Eigentumsgarantie der Reichsverfassung nach 1919. Schon die Väter der W V dürften einen weiteren Eigentums- und damit auch Enteignungsbegriff i m Auge gehabt haben als den „klassischen" 10 . I n der Lehre wurde die Erweiterung des Eigentumsschutzes auch auf alle Vermögenswerten Rechte der Bürger gefordert 11 , das Reichsgericht entsprach dem bald i n ständiger Rechtsprechung 12 . Der B G H hat diese Rechtsprechung 1952 ausdrücklich m i t der Begründung gebilligt 1 3 , da der Staat heute nach allen Vermögenswerten Rechten der Bürger greife, bedeute es einen Gleichheitsverstoß, wenn sie nicht alle durch die Eigentumsgarantie geschützt würden. Die Aufgabe des „klassischen Enteignungsbegriffs" erregte schon i n der Weimarer Zeit Bedenken 14 , die K r i t i k richtete sich damit auch gegen die Ausweitung des verfassungsrechtlichen Begriffs des Eigentums als Gegenstand der Enteignung. Sie hat sich weder damals, noch nach 194515 durchsetzen können — vor allem deshalb, weil i h r Hauptargument, der Eigentumsschutz dürfe nicht zu einem Hindernis für die Gesetzgebung werden 1 6 , m i t Recht i m Verfassungsstaat keine Billigung mehr findet, i n dem der Bürger dem Gesetzgeber m i t besonderem Mißtrauen begegnet. b) Die Ausweitung des Eigentumsbegriffs ist stets als eine freiheitliche Errungenschaft gefeiert worden. I n der Tat hat sie den Freiheitsbereich des Einzelnen gegenüber allen möglichen Formen von Bindun9
Vgl. Gierke, Ο. v., Dt. Privatrecht I I , 1905. S. 465. Vgl. Nachw. b. Anschütz, G., Die Verf. d. Dt. Reiches, 14. Aufl., A r t . 153 Rdnr. 7. 11 V o r allem v. Wolff, M., Reichsverfassung u n d Eigentum, Festgabe f. M . Kahl, 1923. I V , l f . ; vgl. auch Fleiner, F., Institutionen des Dt. Verwaltungsrechts, 8. Aufl., 1928, S. 293. 12 Grundlegend w a r das U r t e i l des RG i m Streit u m den Entzug der L i p p e schen Fürstenrente (RGZ 103, S. 200 [201/2]), es folgten RGZ 109, S. 310 (319); 111, S. 123 (130) (Gothaischer Hausfideikommiß) ; 111, S. 320 (328): Nach „heute allgemein herrschender Meinung" sei der Eigentumsbegriff w e i t auszulegen. 13 B G H Z 6, S. 281/2. 14 Insbes. Schmitt, C., Die Auflösung des Enteignungsbegriffs, J W 1929, S. 495 ff. 15 Vgl. etwa Greiner, DÖV 1954, S. 583 ff.; Müller-Engelhardt, JR 1950, S. 137, denen es aber weniger u m den Gegenstand, als u m die A r t des Eingriffs geht. 16 Schmitt, C., aaO, S. 497. 10
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gen erweitert, welche die Enteignungsschwelle überschreiten, und damit der Sozialbindung klare Grenzen gezogen: Es ist nicht mehr so, daß alle Bereiche außerhalb des Grundeigentums „grundsätzlich" schrankenloser Sozialbindung ausgeliefert wären; nur das vielmehr, was beim Grundeigentum Sozialbindung ist, kann als Sozialbindung auch bei anderen Vermögenswerten Gütern anerkannt werden — mutatis mutandis; wenn ferner der Begriff „Eigentum" über das Sachenrecht hinausgreift, so entfällt das Argument, die Sachenrechte würden ja ex definitione vom Gesetzgeber erst geschaffen, dasselbe gelte für das Eigentum; dieses Geschöpf der Gesetzgebung stehe also i n vollem Umfang sozialbindendem Zugriff offen. Was „vermögenswert" ist, bestimmt i n der Kegel nicht die rechtstechnische Einzelgesetzgebung, sondern das ökonomische System, der Markt. Durch die Ausweitung des Eigentumsbegriffs w i r d also dem Gesetzgeber nicht mehr die Funktion der Eigentums Schöpfung, sondern die des Eigentumsschutzes, allenfalls noch die der Eigentumsabgrenzung zugewiesen. Dies ist jedoch ein völlig anderer — und sehr einschränkender, rechtspolitischer Ansatz für mögliche Sozialbindungen; diese „finden eben vor", sie bleiben ihrem Wesen nach deklaratorisch, nach ihrem Ausmaß randkorrigierend, so wie dies i n der Grundrechtsdogmatik allgemein für Freiheitsbeschränkungen üblich ist. Die Ausdehnung des Eigentumsbegriffs hat das juristische Eigentum durch das ökonomische Eigent u m ersetzt, die Bedeutung des Rechts auf dessen kanalisierende Rezeption und Abgrenzung beschränkt und damit erstmals das Eigentum als etwas „Natürliches" anerkannt. Nur so aber kann es Gegenstand eines Grundrechts i n jenem vom Naturrecht geprägten Verstände sein, von dem das Grundgesetz ausgeht. Doch neben dieser i n ihrer Grundsätzlichkeit noch gar nicht hinreichend erkannten Bedeutung der Ausweitung des Eigentumsbegriffs ist eine andere Folge zu beachten, die sie zum Pyrrhussieg der Eigentumsfreiheit zu machen droht. Die neue „große" Einheit des Eigentumsbegriffs hat zwar zur Übernahme von Enteignungs-Sozialbindungsvorstellungen aus dem Bereich des Grundeigentums i n andere Eigentumssektoren (Forderungen, Immaterialgüterrechte, Unternehmen) geführt — doch der Vorgang ist auch reversibel: Was bei irgendeiner Form von Eigentum als gesetzliche Inhaltsbestimmung oder als „Sozialbindung" anerkannt wird, das w i r k t sogleich auch auf alle anderen Eigentumskategorien — mutatis mutandis freilich, doch was w i r d denn jeweils geändert? Das steht doch weitgehend wieder zur Disposition des Gesetzgebers. Dieser w i r d so zum Herrn über die „Dynamisierung der Eigentumsbindung von Eigentumskategorie zu Eigentumskategorie". Es genügt, daß etwa ein „sozialpolitischer Durchbruch" i n der Einschränkung oder Erweiterung des Eigentumsbegriffs auf einem Sektor gelingt — alsbald w i r d er sich i n einer Osmose über die juristische Einheit des Eigentumsbegriffes auf alle
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anderen Eigentumsbereiche übersetzen. A m Beispiel der Mitbestimmung oder des Bodenrechts w i r d sich dies noch näher nachweisen lassen. Die Einheit des Eigentumsbegriffs hat schließlich die Tendenz verstärkt, wenn nicht eingeleitet, die Abgrenzung Sozialbindung — Enteignung m i t Hilfe von sehr allgemeinen Formeln zu versuchen, weil sie allein auf die verschiedenen Arten von Eigentum gleichmäßig angewendet werden können. Damit aber wird, wie sich noch zeigen wird, i m Ergebnis das Sozialbindungsermessen nicht unerheblich ausgeweitet. Je weiter eine Verfassungsgarantie gegenständlich wird, desto weniger gelingt es erfahrungsgemäß, sie rechtstechnisch faßbar zu sanktionieren. So war denn die Erweiterung des Eigentumsbegriffs i n der Weimarer Zeit wohl eine verfassungspolitische Notwendigkeit. Seitdem sind aber Rechtsprechung und Lehre hauptsächlich damit beschäftigt, ihre erwähnten negativen Auswirkungen auf den Eigentumsschutz durch das abzuschwächen, was hier allein helfen kann: Die Entwicklung von speziellen Sozialbindungsvorstellungen für die einzelnen Eigentumsarten. So hat denn gerade die großzügige begriffliche Vereinheitlichung des Eigentumsschutzes zu einer neuen Auffächerung geführt: Zur Ableitung der Sozialbindung aus dem jeweiligen Wesen der einzelnen Eigentumsrechte. I I I . Die Ausweitung des Begriffs des enteignenden Eingriffs: Enteignung auch durch Gesetz 1. Die „ursprüngliche" Einzelakttheorie: Enteignung durch Verwaltungsakt
a) „Enteignung konnte nach den Vorstellungen des 19. Jahrhunderts grundsätzlich nur durch ,Einzelakt {, d. h. durch Verwaltungsakt, stattfinden 17." Eine „Enteignung durch Gesetz" erschien schon deshalb als problematisch, weil der normative Vorrang der Verfassung vor dem „einfachen" Gesetz damals noch nicht gesichert war — wer hätte i n praxi den Gesetzgeber zur Entschädigung zwingen können? Zwar gab es, vor allem i n Frankreich nach Revolutionen, Enteignungen i n Gesetzesform, und man versuchte, ihnen als einem „tort du législateur" nach Staatshaftungsgrundsätzen beizukommen — doch nach Enteignungsgrundsätzen konnte hier Entschädigung nicht verlangt werden, eben weil Enteignung begrifflich nur der Einzeleingriff war. Dieser erfolgte wohl „auf Grund eines Gesetzes" — i n der Regel des allgemeinen Enteignungsgesetzes —, doch dieses enteignete nicht selbst. 17 Vgl. etwa noch i n der Weimarer Zeit: Anschütz, G., Die Verf. d. Dt. Reiches, 12. Aufl. 1929, S. 612; Mayer, O., Dt. Verwaltungsrecht I I , 3. A u f l . 1924, S. 312; Hasselbeck, Landesrechtliche Grundeigentumsbeschränkungen ohne Entschädigung, J W 1929, S. 714.
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b) Auch dies änderte sich nach 1919 aus zwei Gründen: Einerseits war nun i n der Verfassung der normative Maßstab gefunden, den auch der Gesetzgeber zu beachten hatte; zum anderen verstärkte sich die kriegsund krisenbedingte Spezialgesetzgebung, die immer häufiger enteignenden Inhalt hatte. Es war daher möglich und nötig, auch Enteignung durch Gesetz zuzulassen 18 . Enteignung war nunmehr jeder Einzeleingriff der Hoheitsgewalt i n das Eigentum, gleich i n welcher Form er erfolgte 10 . Die Rechtsprechung hat zwar gelegentlich zum Ausdruck gebracht, daß die Enteignung i n der Regel durch Verwaltungsakt erfolge 20 , i m ganzen aber hat vor allem das RG auch hier die „neue Lehre" v o l l übernommen 2 1 : Der „klassische" Enteignungsbegriff wurde auch insoweit verlassen, als der enteignende A k t kein Verwaltungsakt mehr sein mußte. Der B G H hat auch diese Weimarer Weichenstellung nach 1945 beibehalten 22 . 2. Die „modifizierte" Einzelakttheorie
Damit war nun aber ein entscheidendes K r i t e r i u m für eine Definition der Enteignung und ihre Abgrenzung zur Sozialbindung entfallen: die äußere Form des „Eingriffs". I m 19. Jahrhundert hatte man eben die Enteignung sogleich daran erkennen können, daß sie „auf Grund eines Gesetzes durch Einzelakt", nicht durch Gesetz erfolgte. Was der Gesetzgeber dem Eigentum gegenüber unternahm, war ex definitione Sozialbindung und als solche formal leicht zu erkennen. Die eigentlichen A b grenzungsschwierigkeiten zwischen Enteignung und Sozialbindung begannen zu dem Zeitpunkt, als dieses eindeutige formale K r i t e r i u m wegfiel, w e i l jeder Einzeleingriff, gleich i n welcher Form er erfolgte, stets Enteignung sein sollte. Man sprach und spricht nun zwar weiter von der „Einzelakttheone", m i t welcher die Enteignung bestimmt werden soll — „modifiziert" soll sie i n dem Sinn sein, daß der Einzelakt auch i n Gesetzesform ergehen kann. 18 h. L.; vgl. etwa Jellinek, W. (FN 2), S. 11/2; Herrnritt , H., Grundlehren des Verwaltungsrechts, 1921, S. 410; Fleiner, F., Institutionen des Dt. Verwaltungsrechts, 8. Aufl. 1928, S. 295, 302; Frickertshäuser, H., Die öff.-rechtl. Eigentumsbeschränkung i n ihrer neuesten Entfaltung usw., Diss. Bonn 1930, S. 52 f. lt t Grundsätzlich k a n n es also auch die Enteignung durch gerichtliches U r t e i l geben. Das O L G K ö l n (Betr. 57, S. 916) versucht hier den salomonischen Ausweg m i t der Begründung, ein Sonderopfer könne generell schon deshalb nicht vorliegen, w e i l sich jeder einem gerichtlichen U r t e i l beugen müsse — aber: das Gesetz muß auch jedermann befolgen! Sollte das U r t e i l der „wesentlich allgemeine A k t " sein? Letztlich akzeptieren muß der Bürger nicht das Urteil, sondern dessen „endgültig streitentscheidende W i r k u n g " . Begrifflich aber k a n n durch U r t e i l enteignet werden. 20 So etwa S t G H RGZ 124, Anh. S. 19 (32). 21 RGZ 103, S. 201 f.; 109, S. 310 (318); 111, S. 320 (325, 328); 116, S. 268 (272). 22 B G H Z 6, S. 281.
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I n der Zeit der Maßnahmegesetze ist dies an sich dogmatisch nicht unzulässig. Nur muß nun neu definiert werden, was denn ein Einzelakt sein soll — die frühere „formale" Begriffsbestimmung (gesetzesausführender Verwaltungsakt) ist ja aufgegeben. Nur eine Möglichkeit blieb hier: Der Einzelakt muß vom Inhalt aus definiert werden, d. h. aber ausgehend von der Zahl der betroffenen Rechtsinhaber oder der geregelten Rechtsverhältnisse. Genau dies aber war ja seit langem die materielle Begriffsbestimmung des Verwaltungsaktes, daß er nämlich einen Einzelfall oder eine bestimmte oder doch bestimmbare Gruppe von Fällen regelt. Die „alte" Einzelakttheorie (Enteignung = Verwaltungsakt) wurde also zwar „formell" aufgegeben — auch der Eingriff durch Gesetz konnte Enteignung sein. Da man nun aber ein neues K r i t e r i u m brauchte, um beim Gesetz Enteignung von Sozialbindung zu unterscheiden, lag es nahe, durch die Hintertür den Verwaltungsakt wieder einzuführen und Enteignung als den Eingriff zu definieren, durch den Einzelne oder Gruppen von solchen besonders betroffen würden. Dieses schon i n der Weimarer Zeit entwickelte 23 , heute herrschende K r i t e r i u m ist also, wenn auch unkritisch 2 4 , ja vielleicht unbewußt und unter Inhaltsveränderung, aus der früheren Einzelakttheorie übernommen worden. Was seit einem halben Jahrhundert endgültig überwunden zu sein scheint, w i r k t i n einem entscheidenden Punkt fort und führt zu einer, wie sich zeigen wird, unhaltbaren Abgrenzung zwischen Enteignung und Sozialbindung. I m übrigen war allerdings die Anerkennung der „Enteignung durch Gesetz" ein Triumph der Eigentums-Grundrechtlichkeit und eine grundsätzliche Absage an schrankenlose Sozialbindung. Nicht alles, was der Gesetzgeber regelt, ist nunmehr eo ipso als Sozialbindung auch verfassungsmäßig. Erst seit der Anerkennung einer „Enteignung durch Gesetz" ist der Gesetzgeber bei der Sozialbindung überhaupt i n den Raum eines „Ermessens" verwiesen, wie weit immer dieses i m Einzelfall sein möge 25 . Methodisch aber zeigt sich i n diesem „Wandel von der alten zur neuen Einzelakttheorie" eine Eigentümlichkeit der öffentlichrechtlichen Eigen28
Vgl. unten I V . Daß hier von Sonderopfer, nicht mehr v o n Einzelakttheorie die Rede sein mußte, hat schon Stödter, R., öff.r. Entschädigung 1933, S. 193 k l a r erkannt. 25 Ob allerdings damit das Eigentum unter einem „allgemeinen" oder unter einem „speziellen" Gesetzesvorbehalt steht, läßt sich erst entscheiden, w e n n der Enteignungsbegriff näher geklärt ist. Wenn all das Sozialbindung bleibt, was an „genereller" Eigentumsbeschränkung durch Gesetz angeordnet w i r d , so liegt ein klassischer allgemeiner Gesetzesvorbehalt vor. Muß dagegen die Enteignung nach anderen Gesichtspunkten, etwa nach der besonderen Schwere des Eingriffs bestimmt werden, so könnte auch f ü r die Sozialbindung ein besonderer davon abzugrenzender Gesetzesvorbehalt gegeben sein. 24
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Α. Sozialgebundenheit i n der Weimarer Zeit
tumsdogmatik, die noch mehrfach festzustellen sein w i r d : Abgrenzungskriterien der Sozialbindung, wann immer m i t welchem Inhalt immer sie entstehen, gehen kaum je ganz unter; sie werden abgewandelt, eingebaut, m i t anderen kombiniert — von einer Lehre und Rechtsprechung, die ganz offensichtlich hier so unsicher ist wie kaum irgendwo i m öffentlichen Recht und jede Stütze ergreift, weil sie eben nur zu oft von Macht und Grenzenlosigkeit der Problematik erschüttert wird. I V . Die Erweiterung des Enteignungsbegriffs hinsichtlich der Wirkung der Enteignung: Enteignung ohne Eigentumsübertragung Der entscheidende Punkt, i n dem die „neue Lehre" i n der Weimarer Zeit den „klassischen Enteignungsbegriff" verläßt, war jedoch die Anerkennung einer Enteignung ohne Eigentumsübertragung und damit, wenigstens dem Grunde nach, der Vorstellung von einem „enteignenden Eingriff". 1. Die „neue Lehre"
Früher hatte es zur Definition des Enteignungsbegriffs gehört, daß durch die Enteignung ein Rechtsträgerwechsel stattfinde. Entgegen einer zur Weimarer Zeit noch weitverbreiteten wenn nicht h. Lehre 2 6 hat die Rechtsprechung jedoch bald auch dort Enteignung angenommen, wo keine Übertragung von Rechten (auf ein gemeinnütziges Unternehmen) stattfand 2 7 . Daraus ergab sich dann die wichtige Folgerung, daß nicht nur Volloder Teilentziehungen von Rechten, sondern auch deren Beschränkung bereits den Tatbestand der Enteignung erfüllen konnte, wenn „das Recht des Eigentümers, m i t seiner Sache gem. § 903 BGB nach Belieben zu verfahren, zugunsten eines Dritten beeinträchtigt w i r d " 2 8 . Von dem früheren Übertragungskriterium blieb nur ein Rest erhalten: „Der i n A r t . 153 RV erforderte Nutzen für die Allgemeinheit muß über den durch die vorgenommene Rechtsentziehung an sich und ohne weiteres erreichten Vor26 ζ. B. Hof acker, W. (FN 5), S. 46; Frickertshäuser , H. (FN 18), S. 52; Schmitt , C., J W 1929, S. 495 (496); Wolff , M. (FN 11), aaO; Krückmann, P., Enteignung u n d Einziehung nach alter u n d neuer RV, 1925, S. 4 (alte RV), S. 34; Fleiner, F. (FN 18), S. 294. Hierher gehört auch die sog. Unternehmenslehre (Reiß, Das Verbot der entschädigungslosen Enteignung f. d. Gesetzgeber, Danz. Jur. M o natsschr. 5 (1926), S. 49 ff.), nach der Eingriffe nicht enteignen, die nicht „zum Zweck eines Unternehmens" geschehen. 27 RGZ 103, S. 200 (2011); 105, S. 251 (253); 107, S. 261 (270) (zwangsweise Beschränkung zugunsten eines D r i t t e n müsse genügen); 108, S. 252; 109, S. 310 (318); 111, S. 226; 112, S. 191; B a y K o m p G H i n Fischer 53, S. 271; aus dem Schriftt. u. a. Scheicher, W., A r t . 153, Die Rechte u n d Pflichten aus dem Eigentum, i n : Die Grundrechte u n d Grundpflichten der RV, I I I , 1930, S. 196 (209 f.); H d w b . d. Verw. R. unter bes. Berücksichtigung des sächs. LaR., hrsg. v. v. d. Mosel, G., 14. Aufl., I, 1938 Sp. 631 (632), das die Auffassungen der Weimarer Zeit wiedergibt. 28 I n RGZ 116, S. 268 (272) bereits als std. Rspr. des RG bezeichnet.
I V . Enteignung ohne Eigentumsübertragung
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teil hinausgehen und außerhalb dieses Vorteils bestehen" 29 — das galt von Anfang an auch für die Eigentumsbeschränkungen. Abgesehen davon aber, daß dies leicht behauptet werden kann — bringt denn nicht ex definitione die Beschränkung von privaten Eigentumsrechten stets dem Enteignenden einen „überschießenden Vorteil", schon weil sie i m öffentlichen Interesse erfolgt? Auch diese Neuerungen 30 hat der B G H nach 1945 übernommen 31 . 2. Bedeutung der Neuerung für die Sozialbindung
a) Die Aufgabe des Kriteriums der Übertragung von Rechten bei der Enteignung und die Anerkennung von lediglich eigentumsbeschränkenden, dennoch aber enteignenden Eingriffen hat den Begriff der Sozialbindung wesentlich eingeengt: Nicht jede übertragungslose Eigentumsbeschränkung konnte von nun an mehr kurzer Hand als entschädigungsfreie Sozialbindung gedeutet werden. Gegenüber den vielfachen, in ihrer Beschränkungswirkung i m einzelnen gar nicht vorhersehbaren Angriffen der modernen Gesetzgebung w i r d so dem Eigentum ein Schutz geboten, der i n seiner Allgemeinheit und Elastizität der Vielgestaltigkeit der Gefährdung entspricht. Doch auch dies konnte nur unter Aufgabe von bisher klaren Abgrenzungen geschehen: Solange die Rechtsübertragung zum Enteignungsbegriff gehörte, ließ sich unschwer, wiederum nach einem „äußeren", wenn nicht „formalen" K r i t e r i u m bestimmen, wann hoheitliche Entwehrung vorlag: Ein Rechtsträger mußte i n den Genuß eines Rechts kommen, das vorher einem anderen zustand, und dies bedeutete zugleich, daß die Enteignung ein feststellbares Recht klar abgrenzend aus einer Vermögensmasse herausnahm. Der neuen Lehre mußte hier die Abgrenzung Enteignung — Sozialbindung ebenso zum Problem werden, wie nach der Anerkennung der Enteignung durch Gesetz (vgl. oben III.): Wiederum war das „äußere", „formale", jedenfalls aber das leicht faßbare K r i t e r i u m aufgegeben — welcher Eigentumseingriff nunmehr als ein „enteignender" Entschädigungsfolgen auslösen sollte, das könnte und kann nur nach den W i r kungen des Eingriffs auf die betroffenen Rechte oder auf die betroffenen Eigentümer bestimmt werden. Damit aber beginnt eben jene „neue" Problematik der Begriffsbestimmung der Sozialbindung, welche i m folgenden den Gegenstand der Untersuchung bildet und vorher unbekannte Schwierigkeiten und Unsicherheiten gebracht hat. 29
I n RGZ 116, S. 268 (272) bereits als std. Rspr. des R G bezeichnet. F ü r Gierke etwa (Dt. Privatrecht I I , 1905, S. 465/6) w a r noch die öffentlichrechtliche Gebrauchsbeschränkung selbst dann keine Enteignung, w e n n sie gegen Entschädigung erfolgte. 31 B G H Z 6, S. 278 f. 30
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Α. Sozialgebundenheit i n der Weimarer Zeit
M i t großen Formeln und großzügigen „Erweiterungen" hat das Verfassungsrecht den Eigentumsschutz aus der „engen Hechtstechnik" des 19. Jahrhunderts befreit — doch hat es eine „neue Dogmatik" schaffen können? Oder sollte auch hier, wie so oft, das Verfassungsrecht seine großen Entscheidungen gegenüber dem bescheiden-präzisen Zivilrecht nur i n der Abkehr von rechtlicher Klarheit zeigen können? b) Eines jedenfalls läßt sich schon hier feststellen und w i r d sich noch i m ganzen Gang der Untersuchung erweisen: Es mag rasch getan sein, einen traditionellen Begriff wie den der Enteignung „zu erweitern", i h m auch die „enteignenden Eingriffe" anzugliedern — man hat damit noch lange nichts „integriert", keine fugenlos neue Begriffseinheit geschaffen. So bleibt für die Enteignung nach wie vor, wie sich zeigen wird, die „Entziehung" von Rechten „zentral", wenn auch nicht konstitutiv. Hier ist eben „jedenfalls "Enteignung. Dies aber zeigt allgemein: Durch die Erweiterung werden konzentrische Kreise um eine Kern-Begrifflichkeit gelegt, die eben nach wie vor der herkömmliche, „klassische" Enteignungsbegriff des 19. Jahrhunderts darstellt. Von i h m aus, i n seinem Licht werden auch die neuen Enteignungstatbestände gesehen, von der Sozialbindung abgegrenzt. Schon hier w i r d die These aufgestellt: Der Enteignung werden all die Eingriffe zugerechnet, i n denen sich eine besondere Nähe zu Konstitutivelementen des „klassischen" Enteignungsbegriffs feststellen läßt — selbst wenn man dies nicht wahrhaben w i l l , Was so etwa von der „Übertragung" geblieben ist, das steckt heute i m Begriff des „Opfers", das ja auch der eine Rechtsträger dem anderen bringt — durch eine wie immer geartete „Hingabe" von Rechten. Bedenklich ist nur, daß sich diese Begriffsassoziationen meist unbewußt, jedenfalls aber unkritisch vollziehen. Die Begriffe Enteignung und Sozialbindung sind daher, seit der Weimarer Zeit, m i t unterschwelligen Inhalten belastet, die man stets herausheben muß, w i l l man ihre weitere Entwicklung abschätzen, die sich doch angeblich so fern ab von allen früheren Eigentumsvorstellungen vollzieht. Es dürfte klar geworden sein, daß die Weimarer Zeit eine wahrhaft „neue Lehre" geschaffen, daß sie sich m i t ihr vom „klassischen Enteignungsbegriff" entfernt hat. Doch so endgültig war der Abschied von i h m gar nicht, wie viele denken mochten. Die folgenden Ausführungen werden immer wieder zeigen, daß die klassische Enteignung die Expropriation par excellence bleibt, daß die „Erweiterungsbereiche" als solche so weit unbewältigte Probleme geblieben sind, als nicht aus der Sicht des „klassischen Enteignungsbegriffs" argumentiert werden kann. Damit aber kann auch die Sozialbindung heute nicht ohne Blick auf diese Vergangenheit verstanden werden. Vielleicht mußte man gar nicht so laut rufen: „Zurück zum klassischen Enteignungsbegriff!"...
V. Ansätze zur Abgrenzung von der Enteignung aus der Weimarer Zeit
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V. Ansätze zur Abgrenzung von Sozialbindung und Enteignung aus der Weimarer Zeit 1. Die nach der Erweiterung des Eigentumsbegriffs noch möglichen Kriterien
Immerhin — formell war der klassische Enteignungsbegriff aufgegeben. A u f der Suche nach Kriterien für Enteignung und Sozialbindung war und blieb der Weg i n drei Richtungen versperrt: Die Enteignung konnte weder aus ihrem Gegenstand (Grundeigentum) oder aus der äußeren Form des enteignenden Eingriffs (Verwaltungsakt) definiert werden, noch auch aus dem Zweck der Übertragung des Gutes auf einen anderen Rechtsträger. Damit aber blieben nur mehr zwei mögliche Abgrenzungskriterien: einerseits der Umfang des enteignenden Eingriffs, seine Wirkung also auf das „betroffene Recht" (i. folg. 2.), zum anderen der Kreis der „betroffenen Rechtsträger" (i. folg. 3.). Die Frage „Enteignung oder Sozialbindung" konnte eben nur mehr entweder danach entschieden werden, wieviel oder wievielen etwas genommen wird. Die Stellungnahmen der Weimarer Zeit lassen sich denn auch nahezu alle 3 2 i n diese beiden Kategorien einordnen, ohne daß diese als solche i n ihrer Besonderheit klar bewußt gewesen wären. Vielmehr läßt sich, vor allem gegen Ende der Weimarer Zeit, eine Tendenz zum Synkretismus der Kriterien feststellen, der am Beispiel der sog. Schutzwürdigkeitstheorie verdeutlicht werden soll (i. folg. 4.) und der ebenso nach 1945 weitergewirkt hat wie die erwähnte Fragestellung und die Beschränkung der möglichen Abgrenzungskriterien von Sozialbindung und Enteignung. Denn dies war eben die bedeutsamste, bis heute fortwirkende Folge der Weimarer Entwicklung: die Beschränkung der Abgrenzungsmöglichkeiten. 2. Abgrenzung nach der Tiefe des Eingriffs
I m Vordergrund standen zunächst i n der Weimarer Zeit Abgrenzungsversuche Enteignung — Sozialbindung nach der Tiefe, nach der Schwere des Eingriffs, nach seiner Bedeutung für das betroffene Recht. 82 Erstaunlicherweise findet sich n u r selten i n der Weimarer Zeit ein Hinweis auf das „öffentliche Wohl" oder auf die „AUgemeininteressenwegen denen etwa eine Regelung der Sozialbindung zuzurechnen wäre u n d entschädigungsfrei bleiben müßte. Lediglich das R G hat ganz allgemein ausgesprochen, daß „das W o h l des einzelnen Staatsbürgers hinter dem Allgemeinwohl zurückstehen" müsse (RG 111, S. 320 [327]) u n d daß insoweit sozial gebundenes Eigent u m vorliege. E i n G r u n d für diese Zurückhaltung mag darin liegen, daß die RV j a gerade auch bei der Enteignung von den Interessen der Allgemeinheit sprach.
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Α. Sozialgebundenheit i n der Weimarer Zeit
Dieses K r i t e r i u m wurde nicht nur von jenen angewandt, welche ausdrücklich auf die Tiefe des Eingriffs i n die Substanz abstellten 33 , den Entzug des Verfügungsrechtes als Enteignung ansahen 34 oder dem sozialbindenden Gesetzgeber nicht eine Aushöhlung des Eigentums gestatten wollten, welche von dessen wirtschaftlicher Bedeutung nichts Wesentliches mehr übrig ließ 3 5 . Dasselbe Abgrenzungsmerkmal lag letztlich auch dort zugrunde, wo auf die Dauer oder Zumutbarkeit der Eingriffe abgehoben wurde 3 6 , aber auch dort, wo nach dem „Wesen" des betroffenen Rechts gefragt und Sozialbindung nur insoweit bejaht wurde, als die Bindung dem „Zweck" des Eigentums (noch) entsprach 37 oder die charakteristischen Eigentumsmerkmale i m Einzelfall nicht verändert wurden 3 8 . Gemeinsam war all dem der Versuch, eine Substanz, einen Wesensgehalt des jeweiligen durch den Eingriff betroffenen Eigentumsrechts aufzufinden und all das als Sozialbindung noch zuzulassen, was ihn nicht berührte. Dies aber war damals nicht nur deshalb besonders problematisch, weil es zunächst noch an Anschauungsmaterial, insbesondere für gesetzliche Eigentumsbeschränkungen fehlte, ein i m Einzelfall brauchbares Substanzkriterium sich jedoch nur induktiv aus einer Fülle von einzelnen Abgrenzungen entwickeln läßt; vor allem erfolgten derartige erste „Substanzsicherungsversuche" des Eigentums i n einer Zeit, i n der es nach Verfassungsrecht noch keine ausdrückliche Substanzgarantie der Grundrechte gab, der Gesetzgeber diese vielmehr bis zum „Leerlaufen" aushöhlen mochte 39 , wo er sich nur auf einen Gesetzesvorbehalt berufen konnte. Unter einem solchen aber stand ja gerade das Eigentum. Warum sollte eben hier der sozialbindende Gesetzgeber vor einem Kernbereich Halt machen müssen, wo doch der Gesetzesvorbehalt besonders weit war („Bestimmung von Inhalt und Schranken"), wenn sogar andere, doch ersichtlich stärker geschützte Freiheitsrechte voll zu seiner Disposition standen? Es fehlte eben noch ganz allgemein jenes Wesensgehalts- oder besser Kernbereichsdenken 40 , das gewohnt ist, die Schutzbereiche der 38 ζ. B. Städter, R., Z u r Frage der öffentlich-rechtlichen Entschädigung, RVB1 55 (1934), S. 518 (520); ders., ö f f . R. Entschädigung, 1933, S. 214. 34 Fleiner, F. (FN 18), S. 293; RGZ 10, 261 (270) unter Berufung auf den Sinn des Wortes Enteignung; vgl. auch Noll, Rechtswidrige Vorkaufsrechte an Grundstücken, JW 1924, S. 1900 (1901). 35 So etwa Soelling, K., Eigentumsbeschränkung u n d Enteignung nach der RV, JR 1928, S. 40 (42); vgl. auch Stödter, R., RVB1 55 (1934), S. 518 (520). 36 Beispiele b. Stödter, R., öff.r. Entschädigung 1933, S. 196 f. 37 Vgl. RGZ 105, S. 251 (253). 38 Noll (FN 34), S. 1900. 39 Buschke, A . (FN 1), S. 49 f.; Hensel (FN 1), S. 31; Giere, G., Das Problem des Wertsystems der Weimarer Grundrechte, Breslau 1932, S. 116 f.; Thoma, R., OVG-Festgabe, S. 197 f. 40 Dazu Leisner, W., Grundrechte und Privatrecht, 1960, S. 152 ff.
V. Ansätze zur Abgrenzung von der Enteignung aus der Weimarer Zeit
29
Freiheitsrechte konzentrisch aufzubauen um den Kern des jeweiligen Schutzgutes der Freiheit, hier also des Eigentums. Das Bürgerliche Recht kannte keinen rechtstechnischen Kernbereich des Eigentums, das Verfassungsrecht hatte keine Wesensgehaltstheorie entwickelt — eine Theorie der Enteignung als Substanzeingriff i n das betroffene Recht, und dam i t auch eine Theorie der Sozialbindung, konnte aus all diesen Gründen in der Weimarer Zeit i m einzelnen nicht entwickelt werden. Unter diesem Mangel leidet die Eigentumsdogmatik noch heute, denn es sollte ihr ja, wie sich zeigen wird, nicht beschieden sein, allzu weit über die Weimarer Ansätze hinauszuwachsen. 3. Abgrenzung nach der Zahl der betroffenen Rechtsträger
a) Gerade weil das Substanzkriterium weithin impraktikabel blieb, konnte nun das letzte logisch noch mögliche Abgrenzungskriterium i n die Sozialbindungsdogmatik Eingang finden: Man stellte auf die Zahl der durch den Eingriff betroffenen Personen ab. Diese Abgrenzung war gegen Ende der Weimarer Zeit durch die Rechtsprechung des RG herrschend geworden, das lange Zeit davon abgesehen hatte, allgemeine Abgrenzungskriterien zu entwickeln: Enteignung lag nach ihm vor, wenn „ein Einzeleingriff i n die Rechte eines bestimmt begrenzten Personenkreises" erfolgte, Sozialbindung dort, wo „ein Gesetz bei allgemeiner Regelung eines Rechtsgebiets ganz allgemein den Inhalt und die Schranken von Rechten und rechtlichen Befugnissen bestimmt und dabei i n bestehende Berechtigungen eingreift" 4 1 . Nach dem Staatsgerichtshof war eine Enteignung gegeben, wenn der Eingriff „nicht alle i m Geltungsgebiet des Gesetzes befindlichen Grundstücke oder Rechte gleichmäßig, sondern nur einzelne von ihnen oder einen engen Kreis von einzelnen Grundstücken oder Rechten trifft, ihnen ein besonderes Opfer zugunsten der Allgemeinheit auferlegt" 4 2 . Damit war die „Sonder opfertheorie" geboren, auf die von nun an die Rechtsprechung stets vor allem ihre Abgrenzung von Enteignung und Sozialbindung stützen sollte. Das Schrifttum folgte 4 3 . b) Die Sonderopfertheorie wurde — und dies ist aus heutiger Sicht besonders beachtlich — zunächst ganz ersichtlich nicht, wie später vom BGH, aus dem Gleichheitssatz entwickelt; sie ist vielmehr nichts anderes als eine Nachwirkung der früheren Einzelakttheorie 44 : Aus dem Wesen 41
RG DRiZ 1930, S. 455; vgl. auch B a y O b L G DJZ 1930, S. 1400. RGZ 124, Anh. S. 19 (32). 43 u. a. Dannbeck, S., Die Enteignung i m Dt. Reichsstaatsrecht, Diss. M ü n chen 1932, S. 56, 63; Bornhak, Enteignungsrecht u n d Eigentumsbeschränkung, D J Z 1933, Sp. 338 (340); Scheicher, W. (FN 27), S. 216 („Eingriff i n bestimmten einzelnen Fällen"). 44 Vgl. oben I I I , 2. 42
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Α. Sozialgebundenheit i n der Weimarer Zeit
des Einzeleingriffs wurde die Enteignung, aus dem der „generellen" Beschränkung die Sozialbindung definiert. Was aber ist nun „generell", wenn man dies nicht mehr wie früher an der Gesetzesform erkennt? Zu diesem Grundproblem fehlt jede Äußerung. Die häufige Verwendung des Wortes „allgemein" bei der Bestimmung der Sozialbindung zeigt aber von Anfang an die Unsicherheit der Richter, die das Hauptproblem noch gar nicht erkannt hatten: Wenn Enteignung i n Gesetzesform denkbar ist, der Gesetzgeber aber beliebig typisieren kann — wann ist dann seine Typisierung so eng, daß sie nicht mehr zu einer „allgemeinen" Sozialbindung führt? Läßt sich hier überhaupt begrifflich ohne das Substanzkriterium auskommen? Daß hier eine Lücke geschlossen werden müsse, wurde allerdings bald erkannt und dabei schon damals auf den Gleichheitssatz hingewiesen, der i n A r t . 134 RV i m Prinzip der öffentlichen Lastengleichheit eine spezielle Ausprägung gefunden hatte 4 5 . Doch sogleich erkannte man auch, daß „aus der bloßen Tatsache, daß eine staatliche Maßnahme sich gegen einen Einzelnen oder einen eng begrenzten Personenkreis richtet, i h r Charakter als ungleicher Eingriff nicht gefolgert" werden könne (Herv. v. Verf.) 4 6 . Schon damals also zeigte sich, daß der Begriff des Sonderopfers an sich schon doppeldeutig ist: Er kann sowohl „Belastung weniger" als auch „besonders schwere Belastung", ohne Rücksicht auf die Größe des betroffenen Kreises bedeuten. Überdies wurde deutlich, daß es kaum möglich ist, das Sonderopfer allein i m ersteren Sinn zu verstehen, es aus der Belastung weniger allein heraus zu definieren, eben w e i l der Gleichheitssatz als solcher dem Gesetzgeber gar nicht eine (auch enge) Typisierung verbietet. Doch von all diesen subtilen Schwierigkeiten hat eine Rechtsprechung überhaupt keine Kenntnis mehr genommen, die nur allzu froh war, ein neues Abgrenzungskriterium möglichst formaler A r t gefunden zu haben, nachdem so viele feste Stützen gebrochen waren. So hat sich denn aus der Spätzeit von Weimar eine Begrifflichkeit von Enteignung und Sozialbindung auf die bundesrepublikanische Ordnung vererbt, die weder völlig gefestigt, noch auch i n sich v o l l durchdacht gewesen war. Zu all dem war eben auch keine Zeit mehr. Es muß aber, überblickt man all diese Entwicklungen von Weimar, als unglücklich erscheinen, daß gerade eine so wenig ausgereifte Begrifflichkeit, derart wenig abgeklärte Kriterien, schon 1952 durch die Grundsatzentscheidung des Großen Zivilsenats des B G H versteinert werden sollten.
45 46
Grdl. Stödter, R., öff.r. Entschädigung, 1933, S. 185. Stödter, R., aaO, S. 193.
V. Ansätze zur Abgrenzung von der Enteignung aus der Weimarer Zeit
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4. Die „Schutzwürdigkeitstheorie" als Beispiel für den Synkretismus in der Eigentumsdogmatik von Weimar
Der B G H hat die „Schutzwürdigkeit" als Abgrenzungskriterium von Enteignung und Sozialbindung m i t der Bemerkung abgelehnt, ein so farbloser und dehnbarer Begriff treffe i m Bewußtsein des Volkes auf derart unterschiedliche Wertvorstellungen und biete so wenig einen einheitlichen Wertmaßstab, daß die Handhabung einer solchen Unterscheidung nur zu Ungleichheiten führen könne 4 7 . I n Wahrheit wurde unter Namen „Schutzwürdigkeitstheorie" i n der Weimarer Spätzeit eine Abgrenzungssystematik von Enteignung und Sozialbindung versucht, die weniger wegen ihrer Unfaßbarkeit problematisch ist, als deshalb, w e i l sie einen typischen spätweimarer Kriteriensynkretismus zeigt — den Versuch, mangels tragfähiger Abgrenzung alle möglichen Kriterien zu kombinieren. Insoweit verdient sie auch heute noch Beachtung, w e i l sich gerade diese Tendenz weiter fortgesetzt hat. Walther Jellinek, dem w i r die wohl bedeutsamste Eigentumsuntersuchung der Weimarer Zeit verdanken, hat als „Schutzwürdigkeitstheorie" etwa folgendes vorgetragen 48 : Das Eigentum habe eine gewisse Schwäche dem Gesetz gegenüber i n dem Sinne, daß nicht alle Eingriffe des Gesetzgebers als Enteignung empfunden würden. Geschichte, allgemeine A n schauungen, Sprachgebrauch und Andeutungen i n Gesetzen ermöglichten die Abgrenzung des Schutzwürdigen vom Schutzunwürdigen. Die Eigentumsbeschränkungen ließen sich etwa durch eine Skala verdeutlichen, die von 0 (kein Eigentum) bis 100 (völlig unbeschränktes Eigentum) reiche. Gradbestimmend könnten sein: Die Intensität der Beschränkung, die Zahl der Betroffenen, der Zweck des Eingriffs, der m i t dem Eingriff verbundene Gegenwert 49 . Diese Theorie 50 versucht also nicht etwa, wie der B G H offenbar meint, die Abgrenzung aus einem „Schutzwürdigkeitsbegriff" deduktiv zu gewinnen, die „Schutzwürdigkeit" ist vielmehr nur ein Sammelwort, durch das Jellinek zwar vielleicht die verschiedenen Kriterien zu einer gewissen Einheit integrieren 5 1 wollte, ohne daß i h m dies aber gelungen wäre. Hinter der Schutzwürdigkeit stehen diese Abgrenzungsmerkmale ohne jeden systematischen Zusammenhang, ohne Priorität oder Gewichtung, i n einer 47
GZS 6, S. 283. (FN 2), S. 13/15. 49 Vgl. dazu auch Hensel, P., A r t . 150 d. WVerf. u n d seine A u s w i r k u n g i m preußischen Recht, AöR 14 (1928), S .321 ff.; Soelling, JR 4 (1928), S. 4. 50 die schon damals kritisiert wurde, vgl. etwa Anschütz, G., Die Verf. d. Dt. R., 14. A u f l . 1933, S. 713. 51 Die Schutzwürdigkeitstheorie ist weitgehend die eigentumsdogmatische Ausprägung der Smendschen Integrationslehre, bei der j a auch möglichst viele rechtliche u n d außerrechtliche K r i t e r i e n berücksichtigt werden sollten. 48
32
Α. Sozialgebundenheit i n der Weimarer Zeit
Eklektik, die für die Weimarer Zeit typisch war und auch später nicht überwunden werden sollte. A u f eine scharfe Abgrenzung Enteignung — Sozialbindung verzichtet diese Theorie, auch darin der Integrationslehre verwandt, vollständig. Die Skala der Einschränkungen führt zu einem unmerklich-spektralen Übergang aus der Sozialbindung i n die Enteignung. Damit w i r d aber letztlich der Begriff der Enteignung und ihre besondere Schutzfunktion zugunsten der gesetzgeberischen Allmacht geopfert: Wenn es so viele Intensitätsgrade der Eigentumsbindung gibt, dann w i r d es kaum möglich sein, überzeugend zu bestimmen, wo die Enteignung beginnen und weshalb sie als ein aliud zur Entschädigung verpflichten soll. Jedenfalls w i r d die Eigentumsbeschränkung dann „ i m Zweifel" stets Sozialbindung sein. Nicht allein begriffliche Einheitlichkeit fehlt also der Schutzwürdigkeitstheorie, sie setzt nicht nur die Klarheit der Abgrenzung Eigentum — Sozialbindung überhaupt aufs Spiel — auch die heterogenen einzelnen Kriterien, die i n ihr zusammengefaßt werden sollen, bedeuten keinen Fortschritt i m Eigentumsschutz: Wer die „allgemeinen Anschauungen" so primär zum Abgrenzungskriterium erhebt, schadet der Rechtssicherheit. Wenn der Zweck des Eingriffs Anhaltspunkte geben soll, so kann dies doch n u r 5 2 bedeuten, daß das öffentliche Interesse i m Einzelfall einen Eingriff (noch) zur entschädigungslosen Sozialbindung machen kann. Ein solches „ K r i t e r i u m " aber ist ebenso simplifizierend wie schwer faßbar. Vor allem aber droht hier eine grundsätzlich unzulässige Übernahme von Kategorien, die für die Höhe der Entschädigung, nicht aber für den Begriff des enteignungsfähigen Gutes von Bedeutung sind: Die „Interessen der Allgemeinheit" mögen die Entschädigung mindern, sie machen nicht von Anfang an das Eigentum schutzlos. Noch deutlicher ist schließlich diese Argumentation „von der Entschädigung auf den Begriff des enteignungsfähigen Gutes", wenn der mögliche Gegenwert als Intensitätskriterium herangezogen werden soll: Er kann ja überhaupt nur ermittelt werden, wenn feststeht, daß Enteignung vorliegt, vermag also von der Sozialbindung nicht abzugrenzen 53 .
52 W e i l der Übereignungs-Zweck:, w i e oben I V dargelegt, j a kein Abgrenzungskriterium mehr sein kann. 53 Die Jellineksche Auffassung mag hier durch die Weimarer Diskussion u m die Höhe der Entschädigung beeinflußt worden sein: Es wurde eben allgemein der Grundsatz der „vollen" Entschädigung nach M a r k t w e r t vertreten, so etwa Jellinek selbst, aaO, S. 36; Scheicher, W. (FN 27), S. 236f.; Fleiner, F. (FN 18), S. 312, 316); Giese, F. (FN 5), S. 109; v. d. Mosel (FN 27), Sp. 636; Hatschek, J. (FN 6), S. 304; problematisch blieb eigentlich n u r mehr die Frage der Gleichstellung von Entschädigung u n d Schadensersatz nach BGB, insbesondere w e gen des lucrum cessans. Dann aber konnte i n der T a t die Schutzwürdigkeit k a u m je als dadurch herabgemindert erscheinen, daß der Gegenwert etwa aus Gemeininteressen heraus niederer festgesetzt wurde.
V. Ansätze zur Abgrenzung von der Enteignung aus der Weimarer Zeit
33
I m übrigen hat Jellinek sehr deutlich auf die beiden 54 möglichen Hauptkriterien der Abgrenzung Sozialbindung — Enteignung hingewiesen, auf Intensität des Eingriffs also und Zahl der Betroffenen. Doch gerade zum letzteren bleibt die Begründung schwach 55 . I m Ergebnis hat also der B G H die „Schutzwürdigkeitstheorie" mit Recht abgelehnt: Sie ist eine Leerformel, kein systematischer Abgrenzungsversuch. Bedeutsam aber bleibt, daß hier deutlich all das zum Ausdruck kommt, was die Weimarer Zeit zu Sozialbindung und Enteignung zu sagen hatte: Eklektik und Kriteriensynkretismus in der Methode, inhaltlich die möglichen Kriterien der Intensität der Zahl der Betroffenen, des öffentlichen Interesses und des „Eigentumswertes" nach Entschädigungsgrundsätzen. W i r werden (i. folg. C, D) sie alle, wenn auch zum Teil i n abgewandelter Form, bei der Erörterung des geltenden Rechts wiederfinden. So ist denn für die Dogmatik der Sozialbindung der Rückblick i n diese Vergangenheit mehr als nur Befriedigung historischer Interessen: Die Gegenwart ist hier so vollständig Fortsetzung früherer Entwicklungslinien, wie dies i m Recht überhaupt nur möglich ist. Diese maximale Kontinuität in der Entfaltung des Sozialbindungsbegriffs ist für die A b schätzung seiner Entwicklungsfähigkeit von größter Bedeutung. I n ihr spiegelt sich die Kontinuität des Eigentums, des wesentlich beständigen Rechts.
54
oben 2. u n d 3. erwähnten. aaO, S. 14/5: „Geteilter Schmerz ist halber Schmerz" — solchen Volksweisheiten k a n n m a n die Frage entgegensetzen, ob Unrecht dadurch zum Recht oder auch n u r leichter werde, daß es vielen widerfahre; u n d der Hinweis, Eigentum müsse gegenüber Einzeleingriffen stärker geschützt werden „ m i t Rücksicht auf die darin liegende U n b i l l i g k e i t " , argumentiert aus Vorstellungen, welche bei der Abgrenzung rechtlicher Begriffe nicht i m Vordergrund stehen dürfen. Eigentumsschutz ist keine Billigkeitsfrage. 55
3 Leisner
Β . Sozialbindung und Enteignung i n der nationalsozialistischen Zeit Die nationalsozialistische Zeit verdient hier aus zwei Gründen besondere Beachtung: Soweit sich i n i h r die Kontinuität des Eigentumsschutzes fortsetzt, zeigt sich gerade darin die Stärke einer solchen Institution, die selbst einen tiefgreifenden Regimewechsel überdauern konnte. Wo aber neue und meist „typisch nationalsozialistische" Akzente feststellbar sind, muß dies m i t besonderer Sorgfalt registriert werden: Sie wirken gelegentlich unterschwellig — die Analyse des geltenden Rechtszustandes w i r d dies erweisen — i n der heutigen Eigentumsdiskussion nach und sie zeigen auch, wohin sich diese gegebenenfalls entwickeln könnte, was demgegenüber ihre unabdingbaren demokratischen und rechtsstaatlichen Grundlagen sind. I. Kontinuität zur Weimarer Zeit 1. Politik und Gesetzgebung
Eine gewisse Kontinuität zur Weimarer Entwicklung läßt sich, vor allem i n den ersten Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft, nicht leugnen. Zwar trat die NSDAP m i t einem wuchtigen Bodenreformprogramm an 5 6 ; doch Adolf Hitler schwächte die hier geforderte „unentgeltliche Enteignung" schon bald ab: Da die NSDAP auf dem Boden des Privateigentums stehe, sollten nur gesetzliche Möglichkeiten geschaffen werden, „Boden, der auf unrechtmäßige Weise erworben wurde oder nicht nach den Gesichtspunkten des Volkswohls verwaltet wird, wenn nötig, zu enteignen" 57 . So sahen zwar zahlreiche Reichsgesetze Enteignungsmöglichkeiten vor 5 8 , doch die Rechtsprechung zum Enteignungsbegrriff blieb i m ganzen bei den Kriterien der Weimarer Zeit 5 9 . 56 P u n k t 17 des Parteiprogramms lautete: „ W i r fordern eine unseren nationalen Bedürfnissen angepaßte Bodenreform, Schaffung eines Gesetzes zur u n entgeltlichen Enteignung v o n Boden f ü r gemeinnützige Zwecke. Abschaffung des Bodenzinses u n d Verhinderung jeder Bodenspekulation." 57 Rede v o m 13.4.1928, zit. nach Huber, E. R., Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, 2. Aufl., 1937/9, S. 373. 58 Nachw. etwa bei Huber, E. R., aaO, S. 381. 59 Vgl. etwa v. d. Mosel (FN 27), Sp. 632 f.; vorwiegend zur Entschädigungsfrage Ehrenforth, W., Die Bemessung der Entschädigung bei Enteignung von Grundstücken, J W 1939, S. 11 ff.
I. K o n t i n u i t ä t zur Weimarer Zeit
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Beachtlich ist vor allem auch die konservative Tendenz, welche sich bei den Vorarbeiten für ein Reichsenteignungsgesetz (1941/2) zeigte 80 . A u f der ersten Arbeitstagung des Ausschusses für Enteignungsrecht wurde beschlossen, dem künftigen Reichsenteignungsgesetz den Begriff der klassischen Enteignung zugrunde zu legen 61 , später wurde festgelegt, daß von der angemessenen Entschädigung i m Sinne des Verkaufswertes des Grundstücks ausgegangen werden solle. 2. Herkömmliche Abgrenzungskriterien
Für die Abgrenzung von Sozialbindung und Enteignung wurden auch weiterhin die hauptsächlichen Kriterien der Weimarer Zeit herangezogen. Zwar t r i t t das Merkmal der Zahl der Betroffenen, vor allem i n der Lehre, in den Hintergrund; die Begründung aus der Gleichheit war auch i n einem Regime nicht mehr tragfähig, das die Egalität als liberalen Formalismus oder kommunisierende Gleichmacherei ablehnte. Die Intensität des Eingriffs dagegen w i r d immer wieder erwähnt — sei es ganz allgemein als „Schwere" des Eingriffs 6 2 , als Substanzeingriff 63 , als nicht zumutbare Eigentumsbeschränkung 64 oder i n der Weise, daß die Einschränkung der Ausnutzung eines Grundstücks ohne Entzug der Verfügungsbefugnis als Sozialgebundenheit erscheint 65 . Schließlich w i r d auch i n zunehmendem Maße nach dem Wesen der jeweils möglichen Nutzung des Eigentums gefragt und Sozialgebundenheit dort noch bejaht, wo sich die Nutzungsart nicht i m Wege einer Umordnung grundlegend verändert 6 6 . Alle diese Abgrenzungsversuche mögen zunächst auch dann noch als Fortsetzung von Weimarer Vorstellungen erscheinen, wenn sie i n nationalsozialistischer Terminologie dargeboten werden, oder wo sie m i t allgemeinen NS-Zielvorstellungen verbunden sind. Und doch führt von 60 Brossok, Gedanken u n d Wünsche f ü r ein Reichsenteignungsgesetz, D V 1939, S. 265 ff. (268); Jahn, G., K ü n f t i g e Gestaltung des deutschen Enteignungsrechts, RVB1 55 (1934), S. 339ff.; aus der Arbeit der Akademieausschüsse Z A k D R 1941, S. 162, 359. 61 Darin, insbesondere i n der Beschränkung des Enteignungsbegriffs auf Grundstücke, lag allerdings zugleich ein Versuch der Freistellung aller anderen enteignenden Eingriffe von der Entschädigungspflicht. 62 die dann allerdings nach „gesunder nationalsozialistischer Anschauung" näher zu bestimmen ist (so Vogt, H., Wandlungen i m Recht der Enteignung, Diss. K ö l n 1937, S. 131). 63 Deintges, H., Der Begriff der Enteignung, RVB1.1939, S. 269 (270). 64 Weber, W., Eigentum u n d öffentliche V e r w a l t u n g i m neuen Reich, D J Z 1935, Sp. 659 ff. (664); Hettlage, K., Städtebau u n d Enteignung, Z A k D R 1938, S. 11 (12), der allerdings bemerkt, daß die Grenze der Zumutbarkeit nicht a l l gemein u n d i m voraus bestimmt werden könne. 65 Vgl. etwa Jaumer, Raumordnung u n d Enteignung, RVB1. 1942, S. 142 (143). ββ Siehe i n diesem Sinne etwa Busse, M., Z u r Neugestaltung des Enteignungsrechts, Z A k D R 1936, S. 770 (775).
3*
Β . Die nationalsozialistische Sozialpflichtigkeit
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ihnen nur ein kurzer Weg zu einer völlig neuen, typisch nationalsozialistischen Sozialpflichtigkeitsvorstellung. I I . Von der Weimarer Enteignungslehre zur NS-Sozialpflichtigkeit 1. Von der „Enteignung als Nutzungsänderung" zu den „immanenten Gemeinschaftsbindungen"
a) Der Übergang aus einer „liberalen" (Weimarer) Begrifflichkeit i n eine typisch nationalsozialistische Eigentumsvorstellung vollzog sich i n der Lehre keineswegs stets m i t politischem Getöse, sondern i n einer scheinbar konsequenten Fortentwicklung von Kriterien, die eben, wie bereits mehrfach erwähnt, nicht den erforderlichen Bestimmtheitsgrad aufwiesen. A m deutlichsten ist dies bei der „Zweckänderung" durch staatlichen Eingriff. Daß dann Enteignung vorliegt, wenn durch einen Staatsakt der Zweck des Eigentums geändert, besser: die bisher zweckentsprechende Nutzungsmöglichkeit verändert wird, war bereits i n der Weimarer Zeit, vor allem i m Fall der Zwangseinweisung von Mietern und Obdachlosen, anerkannt worden 6 7 . Wenn man also Enteignung i n all den Fällen annahm, i n denen „ein bestimmtes Vermögensobjekt der bisherigen Zweckbestimmung entzogen, einer neuen Aufgabe zugewiesen" werden sollte, so konnte dies m i t Recht noch als eine Abgrenzung nach „klassischer" Enteignungstheorie gelten 68 . Nur — es vollzog sich eben i n dieser Zeit ein entscheidender Wandel i n den Vorstellungen vom „Zweck", dem das Eigentum, wie jedes Recht, zu dienen habe. Wurde i m liberalen Weimarer Staat dieser „Zweck" i n einer (später so bezeichneten) Privatnützigkeit gesehen, welche praktisch auf eine Zwecksetzung von hoher Hand verzichtete und diese dem Privaten überließ, so war nach nationalsozialistischer Auffassung das Eigentum eine „gemeinschaftsgebundene Befugnis" 6 9 , die „Zwecke" des Eigentums waren primär Gemeinschaftszwecke. Ihnen aber konnte ex definitione das Eigentum gar nicht vom 87
z.B. RGZ 105, S. 253; 108, S. 252; 111, S. 226; vgl. dazu Bornhak, D J Z 1933, Sp. 338 (341). e8 So Huber, E. R. (FN 57), S. 380. 69 Huber, E. R., aaO, S. 376; ders., Die Rechtsstellung des Volksgenossen — Erläutert am Beispiel der Eigentumsordnung, ZgesStW 96 (1936), S. 438 ff. (455); Maunz, Th., Zur Neugestaltung des Enteignungsrechts, DJZ 1935, Sp. 1011 ff. (1013 f.); Loth, Der nationalsozialistische Eigentumsbegriff, J W 1935 I I , S. 1752 ff.; Scheuner, U., Eigentum u n d Eigentumsbindung, RVB1 57 (1936), S. 5 ff. ; Steimler, Th., Grundlinien für die Neuordnung unseres Enteignungsrechts, D G u W R 1941, S. 68 ff.; Wieacker, F., Wandlungen der Eigentumsverfassung, H a m b u r g 1935 (S. 24 ff., 42 f., 64 f., 70 f.), sowie i n D J Z 1934, Sp. 1450 f.; ders., Eigentum u n d Eigen, DR 1935, S. 497; Würdinger, H., Wandlungen i n der Eigentumsverfassung, Z A k D R 1936, S. 70 ff. (73).
I I . V o n der Weimarer Enteignungslehre zur NS-Sozialpflichtigkeit
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Staat entfremdet werden, weil dessen Aufgabe ja darin bestand, die Gemeinschaftszwecke zu verwirklichen. Nur dann also, wenn das Eigentum seinem bisherigen Gemeinschaftszweck entfremdet und einem neuen zugeführt wurde, konnte von Enteignung die Rede sein 70 , nicht aber dort, wo der (Gemeinschafts-)Zweck (vom Eigentümer) nicht mehr beachtet wurde. b) Daraus folgte zunächst einmal praktisch, daß zwar Entschädigung dann zu gewähren war, wenn etwa durch hoheitlichen Eingriff der Betrieb unwirtschaftlich wurde, er also seine (bisherigen) Gemeinschaftspflichten nicht mehr erfüllen konnte 7 1 — daß aber stets dann entschädigungslos die Sozialpflichtigkeit sanktioniert werden durfte, wenn der Eigentümer „nicht den m i t seiner Rechtsstellung verbundenen Pflichten" nachkam. Hier konnte die Sozialpflichtigkeit bis zur Verwirkung des Eigentums gesteigert werden 7 2 . Ein solcher Enteignungsbegriff aus dem nun eben nationalsozialistisch definierten „Zweck" des Eigentums führte also i m Ergebnis zu einer gewaltigen Ausweitung der Bereiche möglicher Sozialbindung, innerhalb deren der Staat eben durch Eingriff e das Eigent u m „seinem Gemeinschaftszweck" wieder zuführen konnte. Dies wurde — weit deutlicher noch — damals auch „positiv" ausgedrückt: Das Eigentum unterliege gewissen Gemeinschaftsbindungen, welche ihm immanent seien; diese „dem Eigentum innewohnenden Gemeinschaftsbindungen" müsse und dürfe der Staat i m Wege der Sozialbindung entschädigungsfrei realisieren 73 . Nun w a r zwar auch schon i n der Weimarer Zeit das K r i t e r i u m der „charakteristischen Eigentumsmerkmale" herangezogen worden, die etwa bei Eingriffen i m Rahmen der Sozialgebundenheit erhalten bleiben müßten 7 4 . Doch von „dem Eigentum innewohnenden Gemeinschaftsverpflichtungen" ist systematisch erst seit der NS-Zeit die Rede — und dieses K r i t e r i u m sollte aus der Diskussion nicht m i t dem Nationalsozialismus verschwinden! Diese Abgrenzung kam noch immer aus dem „Wesen des Eigentums", hielt sich also systematisch i m Rahmen des Kriteriums der „Intensität des Eingriffs" — doch nunmehr war der „Zweck" und seine Änderung nicht mehr allein ein Wesensmerkmal der Enteignung, sondern erstmals auch 70
Vgl. Vogt, W. (FN 62), S. 116. Deintges, H. (FN 63), S. 271; Enzinger , Α., Das Enteignungsrecht i m nationalsozialistischen Staat, Diss. München 1935, S. 39 f. 72 Huber, E. R. (FN 57), S. 388. 73 So Huber, E. R., aaO, S. 376 f ; Eichler, H., Wandlungen des Eigentumsbegriffes i n der deutschen Rechtsauffassung u n d Gesetzgebung, Weimar 1938, S. 327; Scheuner, U. (FN 69), S. 6, 8. 74 Vgl. etwa Noll, J W 1924, S. 1900. 71
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Β . Die nationalsozialistische Sozialpflichtigkeit
der Sozialbindung, die damit zur Sozialpflichtigkeit wurde. Zum ersten M a l wurde damit eine systematische Inhaltserfassung der Sozialbindung an sich, nicht nur aus ihrem Gegensatz, der Enteignung versucht. Dem demokratisch-liberalen Staat war Sozialgebundenheit alles, was nicht Enteignung war. I h m ging es um die Definition dieses „Ausnahmeeingriffs". I m Nationalsozialismus gab es diese Vorstellung von der „Enteignung als Ausnahme" nicht mehr — gerade deshalb konnte und mußte die Sozialbindung definiert werden. Die Dogmengeschichte der Sozialbindung nach geltendem Recht beginnt i n diesem Sinne i m NS-Staat. So konnte hier etwa ein System von Sozialpflichtigkeiten entworfen werden 7 6 : Steigerung „des dem Eigentum innewohnenden Pflichtcharakters" — darunter sollten global so wichtige Materien fallen, wie Bauordnung, Denkmalschutz, Naturschutz, Städteplanung. Regelung der wirtschaftlichen Verwertung von Gütern im Marktverkehr — hier wurde auf generelle Ein- und Ausfuhrverbote, Investitionsverbote u. ä. verwiesen. Ablieferungspflichten — i n ihnen sollte deshalb keine Enteignung liegen, weil die betreffenden Güter ja nur ihrer „natürlichen Verwendung" zugeführt würden. Daß allerdings diese vom Staat diktierte Verwendung weder nach bisherigem bürgerlichen Recht noch nach der Nationalökonomie einer Marktwirtschaft m i t dem „natürlichen Zweck" identisch sei oder diesen vollständig bestimmen dürfe — darüber wurde nicht gesprochen. c) Daß ein solches Sozialpflichtigkeitsschema heute unbrauchbar, weil viel zu weit ist, bedarf keiner Begründung. Es bringt keine Definition, ja nicht einmal mehr eine Umschreibung für den möglichen Umfang der Sozialbindung — es ist nur mehr eine Exemplifikation für die Totalherrschaft der Staatsgewalt über das Eigentum. Wichtiger ist das Methodische: Man könnte eine solche Methode füglich p r i m i t i v nennen, die aus der Sozialbindung nur das „herausholt", was vorher i n das Eigentum ohne jede nähere Begründung als „immanent" hineingelegt worden ist, wenn sie sich damals nicht aus dem nationalsozialistischen Staatsverständnis ergeben hätte. Erstaunlich ist, daß sie sogar i n einer freiheitlichen Demokratie noch, wie sich zeigen wird, angewendet wird. Damals wurde auch das erste Mal ein für den Eigentumsschutz höchst gefährlicher Weg eingeschlagen: Das Eigentum wurde nicht mehr als ein an sich vorgegebener Wert anderen Werten der Gemeinschaft oder D r i t ter gegenübergestellt und sozusagen „von außen" eingeschränkt, es wurde 75 Vgl. Huber, E. R., S. 376 f., der dies m i t der Bemerkung einführt, hier könnten auch erhebliche Opfer auferlegt werden; ders., ZfgesStW 96 (1936), S. 460 ff.; Eichler, H., aaO, S. 328 f.; Scheuner, U. (FN 69), S. 9.
I I . Von der Weimarer Enteignungslehre zur NS-Sozialpflichtigkeit
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„von innen", aus einem gewandelten EigentumsbegHff heraus die Sozialbindung bestimmt. I n der Weimarer Zeit war der Eigentumsbegriff erweitert, es war aber auch seine neue Abgrenzung m i t Hilfe rechtsstaatlicher Kategorien wenigstens versucht worden. I n der Zeit des Nationalsozialismus wurde erstmals m i t einem inneren Wandel des EigentumsbegHff s selbst argumentiert, aus einer angeblichen wesentlichen Zweckgebundenheit des Eigentums heraus. Die Kombination dieser Methoden hat den Eigentumsschutz grundsätzlich vernichtet. Wo sich der Staat zum Herrn über das Wesen des Eigentums aufwirft und i h m „Zwecke" vorschreibt, gibt es kein selbständiges Schutzgut Eigentum mehr. Das Eigent u m w i r d nicht zurückgedrängt, nicht gebunden, es w i r d von innen erobert. Und dies gilt für jede derartige Methode, gleich unter welcher Staatsform sie angewandt wird. 2. Der Eigentümer als „Treuhänder des Volkes" und die Enteignung
a) Die Rechtsvorstellungen des Nationalsozialismus waren nicht primär an Vermögensgegenständen und ihrer Verteilung orientiert, sondern an Strukturen persönlicher Herrschaft und Autorität; sie waren i n diesem Sinn nicht i n erster Linie „sachenrechtlicher", sondern „personenrechtlicher" A r t . So wie das Presserecht seine Neuordnung aus der Person des Schriftleiters, die Staats- und Parteiorganisation aus der Figur der Amtsträger und Amtswalter erhielt, so wurde auch das Eigentumsrecht, die Sozialbindung „personalisiert": Der Eigentümer „muß die Herrschaft über die Sache letzten Endes zum Nutzen und Besten der i h m übergeordneten Volksgemeinschaft ausüben. Er ist Treuhänder der Volksgemeinschaft" 76 . Der Eigentümer w i r d dadurch zu einer A r t von Amtsträger i m weiteren Sinn. Damit aber kann die Enteignung geradezu nach staatsorganisationsrechtlichen Gesichtspunkten bestimmt werden. Sie liegt nur dann vor, wenn nicht i n die Rechte, sondern i n die Pflichten, i n die Aufgaben, i n die „Kompetenzen" des Eigentümers gegenüber der Allgemeinheit eingegriffen wird. Der Staat enteignet nur dann, wenn er „dem Eigentümer die Möglichkeit pflichtmäßiger Ausübung dieser Sachherrschaft" entzieht 77 , wenn dem Eigentümer seine Verantwortung für den gemeinschaftsentsprechenden Gebrauch der Sache genommen wird, wenn er die sich aus dem Eigentum ergebenden öffentlich-rechtlichen Pflichten nicht mehr erfüllen kann 7 8 . 76 Enzinger , Α., Das Enteignungsrecht i m nationalsozialistischen Staat, Diss. München 1936, S. 20. 77 Enzinger , Α., aaO, S. 38; Huber, E. R., ZfgesStW 96 (1936), S. 464. 78 Deintges, H. (FN 63), S. 270; Vogt, W. (FN 62), S. 116; Maunz, Th. (FN 69), Sp. 1011 (1015/6).
Β . Die nationalsozialistische Sozialpflichtigkeit
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b) Damit ist der gesamte Eigentumsschutz auf den Kopf gestellt: Enteignet w i r d nicht mehr ein Gut oder ein Recht, sondern — eine Pflicht; und wem die Pflicht belassen wird, der unterliegt — nur der Sozialbindung. Weil eben der verantwortungsbewußte Bürger Freude nur daran hat, sein Eigentum für die Gemeinschaft zu verwalten . . . Sicher darf diese juristische Begriffsakrobatik nicht überschätzt werden, sie sollte durchaus auch Reste früherer Grundrechtlichkeit und Rechtsstaatlichkeit retten: Die „Theorie" war annehmbar, weil i n ihr die geheiligten Vokabeln „Pflicht — Gemeinschaft — Verantwortung" vorkamen — und letztlich versuchte sie genau dasselbe wie früher: Die Rechte der Bürger sollten geschützt werden — nur eben als „Pflichten". Dennoch zeigt sich hier i n aller Deutlichkeit, wohin eine bestimmte Form der „Weiterromantisierung" von deutschrechtlichen „Personal- und Pflichtigkeitsvorstellungen" führen kann 7 9 , die ihrerseits meist schon aus Romantik erwachsen waren. Eigentumsschutz ist ein e sachenrechtliche Problematik, nicht eine primär personenrechtliche. Wer mehr auf den Eigentümer als auf das Eigentum schaut, wer das Eigentum aus der Person des Eigentümers heraus definieren w i l l , der gerät stets i n die Gefahr, sogleich personale Egalitätsvorstellungen oder gar staatsbürgerliche Pflichtigkeiten i n den Eigentumsschutz hineinzutragen und diesen dadurch zu relativieren. Die nationalsozialistische Treuhändertheorie ist nichts anderes als einer jener Versuche aller totalitären Regime, den status negativus, die Freiheitsrechte als Abwehransprüche, zum status activus, den staatsbürgerlichen Teilnahmerechten an der politischen Macht, umzufunktionieren. Es werden dann Rechte i n Pflichten umgedeutet, der Freiheitsraum gegenüber dem Staat w i r d begrifflich aufgehoben. So geschah es denn auch i n jener nationalsozialistischen Zeit, welche auszog, u m die Sozialbindung des Eigentums zu bestimmen, sie i n Wahrheit jedoch begrifflich aufhob, w e i l das Wesen des Eigentums ja Pflichtigkeit wurde, Pflichtigkeit ihrerseits aber nicht wieder beschränkt werden kann. Und zu einem ähnlichen Ergebnis müssen auch heute alle jene Versuche führen, die nur m i t den schönen Worten der Pflicht, der Verantwortung, der Treuhänderschaft differenzierte rechtstechnische Probleme lösen wollen. Sie heben i m Ergebnis nicht nur den Eigentumsschutz auf, denn dann kann es eben nirgends mehr Grundrechte gegen den Staat und damit keine Freiheit mehr geben, wenn i m Herzen des Rechts — wieder die Pflicht sitzt.
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Vgl. etwa zu den „Schranken des Eigentums" Gierke, Ο. v. (FN 2), S. 358.
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3. Die Höhe der Enteignungsentschädigiing und die Sozialpflichtigkeit des Eigentums
Den Nationalsozialisten war die begriffliche Abgrenzung Enteignung — Sozialgebundenheit, die Definition einer Sozialpflichtigkeit des Eigentums nicht nur deshalb nicht mehr von primärem Interesse, weil die Gemeinschaftsbindung unverrückbarer Ausgangs- und Orientierungspunkt war: Dies alles war eine Diskussion aus der „Systemzeit", welche man einfach über die Entschädigungsregelung überwinden konnte. Wenn auch bei Enteignung nicht notwendig volle Entschädigung geschuldet wurde, so verlor die ganze Abgrenzung ihre Bedeutung. Zum ersten M a l wurde i m Dritten Reich erkannt, daß an der Entschädigungsfront zu gewinnen war, was die Sozialpflichtigkeit dem Eigentumsschutz noch nicht hatte abnehmen können. Zwar setzte die Diskussion um die Höhe der Entschädigung gerade begrifflich Enteignung voraus — aber warum sollte man diese nicht anerkennen, wenn sie nichts mehr kostete? Denn über die Höhe der Entschädigung kann eben — Enteignung zu Sozialbindung werden! Zwar traf hier zunächst die NS-Dynamik auf den Widerstand der „liberalen" Juristen, welche die Weimarer Tradition hartnäckig fortsetzten: „Entschädigung" wurde grundsätzlich von der Rechtsprechung 80 wie vom Schrifttum 8 1 als Ersatz des vollen Verkehrswerts, also des Marktwerts verstanden. Entschädigungsiose Enteignung wurde nur selten und deutlich nur für Ausnahmefälle (Unmöglichkeit des Ausgleichs, Not- und Krisenzeiten) gefordert 82 . Problematisch blieb — wie schon i n der Weimarer Zeit — der entgangene Gewinn, die Frage des Schadensersatzcharakters, also der Enteignungsentschädigung 83 . Dennoch ist nicht zu verkennen, daß das Gebot des vollen Wertersatzes nicht mehr unbedingt anerkannt wurde. Allgemein wurde betont, daß „alle Umstände" bei der Bemessung der Entschädigung zu beachten seien 84 , daß es auf die „Angemessenheit i m jeweiligen Fall" ankomme 85 , und daß Gesichtspunkte der Billigkeit zu beachten seien 88 . 80 Vgl. den guten Überblick b. Ehrenforth, E. (FN 59), S. 12; Wilke, F., Die Entschädigung f. d. Enteignung von Grundstücken i n der Spruchpraxis, Z A k D R 1940, S. 63 ff. 81 Vgl. f. viele: Jahn, G. (FN 60), S. 339 (341); Aus der Arbeit der Akademieausschüsse: Z A k D R 1942, S. 186; Schmidt-Ernsthausen, Z u r Entwicklung d. Enteignungsrechts, Z A k D R 1935, S. 657; Haak, RSiedlungsG 1935, S. 104 ff.; Kuhn, Zschr. f. Wohnungswesen 1938, S. 185. 82 Vgl. Vogt, W. (FN 62), S. 147; Zusammenstellung bei Weber, W. (FN 64), Sp. 661. 83 Vgl. etwa Noetzel, L., Vergütung u n d Entschädigung nach § 26 RLG, Z A k D R 1941, S. 261 (263); Wilke, F. (FN 80), aaO; Hettlage, K . (FN 64), S. 13. 84 Wilke, F., aaO; Larenz, Über den Begriff der „angemessenen Entschädigung" i m Sinne der neueren Enteignungsgesetze, RVB1 1937, S. 996 (1002);
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Β . Die nationalsozialistische Sozialpflichtigkeit
War damit bereits eine gewisse Aufweichung der unbedingten Wertersatzposition vollzogen, so zeigte sich der Vorstoß des öffentlichen Interesses zur Herabsetzung der Entschädigung gelegentlich schon ganz deutlich: Die Rechtsprechung forderte, es müßten auch die Interessen des Begünstigten (also ex definitione Allgemeininteressen) berücksichtigt werden 87 , die Preisgestaltung müsse auf die vom Volkswohl geforderte Bestimmung Rücksicht nehmen 88 , nach „Angemessenheit" sei nicht „vollständig", sondern nur das zu ersetzen, was zur „Wiederherstellung der gestörten Ordnung" erforderlich sei 89 — und schließlich dürften nicht „volkswirtschaftlich nicht gerechtfertigte Preise" bezahlt 90 , vor allem dürfe nicht der Spekulation Vorschub geleistet werden 9 1 — kurz das ganze Argumentationsrepertoire des Totalitarismus erscheint, derjenigen, welche dem Staat die Bestimmung des „volkswirtschaftlich Gerechtfertigten" ebenso überlassen, wie die des „Spekulanten", Prototyp des Volksfeinds. Zu all dem ist wenig zu sagen. M i t freiheitlicher Demokratie hat es nichts zu tun. Und doch werden w i r i h m auch i n der grundgesetzlichen Ordnung wieder begegnen, wo es auf dem gleichen Weg möglich erscheint, die gesamte Problematik der Sozialbindung durch die Herabsetzung der Entschädigung zu unterlaufen. Denn dem allein kann heute die Beschäftigung m i t dem Eigentumsrecht der NS-Zeit dienen: zu verdeutlichen, welche erstaunlichen geistigen Anleihen dort i n einer Zeit gemacht werden, welche sich doch sonst i n so moralischer Entrüstung vom „Unrechtsstaat" abwendet. I n i h m haben Juristen vieles aus der Weimarer Zeit bewahren können — und dies sollte mehr als bisher anerkannt werden. Und wo sie „Neues", typisch Nationalsozialistisches übernahmen, da sollte moderner Antifaschismus stets genau prüfen — ob nicht gerade diese Saat des Unrechtsstaates noch heute aufgeht. Oder sollte nur dort kein Unrecht sein, wo man, ohne zu bezahlen, anderen etwas nehmen kann? M i t so „geschärftem Blick" mag nun die Behandlung des geltenden Rechts der Sozialbindung und Enteignung versucht werden. Mirow, Die Entschädigung i m neuen Reichsenteignungsgesetz, RVB1 1942, S. 202 ff. m i t zahlr. weiteren Nachweisen. 85 Enzinger, A . (FN 76), S. 64; Quecke , H., Reichsenteignungsrecht, B e r l i n 1936. 86 z. B. Entsch. d. Pr. OVG, RVB1 1937, S. 1009. 87 Vgl. F N 86. 88
89 90
(16). 91
Knoll, Dt. Verw. 1938, S. 451 ff. Vogt, W. (FN 62), S. 147. Akademieausschüsse, Quecke (FN 85).
Z A k D R 1942, S. 186; Ehrenforth,
W., J W 1939, S. 11
C. D i e Sozialbindung des Eigentums — Abgrenzungsversuche zur Enteignung — Der Begriff der Sozialbindung steht auch heute, wie i n der Weimarer und während der nationalsozialistischen Zeit, i m Gegensatz zu der „Enteignung". Diese ist dabei, wie schon früher, i n einem weiten Sinn zu verstehen, der auch die enteignenden Eingriffe einschließt. Sozialbindung ist diejenige Beschränkung des Eigentums durch staatlichen Hoheitsakt, welche nicht als Enteignung zur Entschädigung verpflichtet. Der Begriff der Sozialbindung ist nach heutiger Eigentumsdogmatik unlösbar m i t dem der Enteignung verknüpft: Wer ihn bestimmt, definiert auch Sozialbindung. Sozialbindung zu definieren, hat aber überhaupt nur Sinn, wenn damit derjenige staatliche Aktionsraum gegenüber dem Eigentum abgegrenzt werden kann, i n dem keine Entschädigungsverpflichtungen entstehen. Nach welchen Kriterien immer Sozialbindung also bestimmt werden mag — Sinn hat sie stets nur als Grenze zur Enteignung. Einen „enteignungsfreien Sozialbindungsbegriff" gibt es nicht. Zunächst einige Vorbemerkungen: 1. Sozialbindung oder Enteignung ist nie eine Frage der Ökonomie 02 , sondern stets ein Problem des Rechts, auch und vor allem dort, wo sie zu rechtspolitischen Forderungen führt 9 3 . Zwar geht es darum, ob für gewisse Veranstaltungen der Einzelne, eine Gruppe von Bürgern oder die Gesamtheit bezahlen soll, deren gemeinschaftsgebundene Mittel die Staatsgewalt verwaltet. Doch die Frage, wer die Lasten tragen sollte, mag den Ökonomen angehen — wer sie tragen muß, bestimmt allein das Recht. 2. Eine Untersuchung der Sozialbindung nach geltendem Recht kann nicht nach den äußeren Formen des etwa enteignenden Eingriffs unterscheiden. Insbesondere können nicht spezielle Abgrenzungskriterien gegenüber der Enteignung je nachdem entwickelt werden, ob der Eingriff durch Verwaltungsakt oder durch Gesetz erfolgt 9 4 . A u f die äußere Form 92 So Sellmann, M., Sozialbindung des Eigentums u n d Enteignung, N J W 1965, S. 1689 (1692) unter Hinweis auf Haas, Disk.beitr. i n : Städteerneuerung u n d Eigentumsordnung, Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 21 (1964), S. 243. 93 Vgl. Maunz-Dürig-Herzog, GG, A r t . 14 Rdnr. 9. 94 w i e es offenbar Schulte, H., Eigentum u n d öff. Interesse, 1970, S. 66 A n m . 45, vorschwebt.
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C. Sozialbindung — Enteignung nach geltendem Recht
der Beschränkung kommt es nicht an; das ist bereits i n der Weimarer Zeit entschieden worden 9 5 . Die eigentlichen Abgrenzungsschwierigkeiten ergeben sich allerdings bei den enteignenden Wirkungen der Gesetze. Da aber die meisten Einzelakte i n der rechtsstaatlichen Verwaltung eng an das Gesetz gebunden sind, ist eine „selbständige" Bestimmung der Sozialbindung bei Eingriffen durch Verwaltungsakt i n aller Regel ohnehin nicht erforderlich 96 . 3. Die Möglichkeit der Sozialbindung des Eigentums kann auf zwei Aussagen des GG i n A r t . 14 gestützt werden: Einerseits werden „Inhalt und Schranken des Eigentums durch Gesetz bestimmt" (Abs. I); zum anderen „verpflichtet" das Eigentum, sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen (Abs. II). I n Wahrheit handelt es sich hier nicht u m zwei verschiedene Beschränkungsmöglichkeiten des Eigentums, sondern um einen einheitlichen Sozialvorbehalt, den man durchaus als Gesetzesvorbehalt verstehen kann, unter dem das Grundrecht des Eigentums steht: Welche Bedeutung immer man der Gemeinwohlklausel des Abs. I I zumessen w i l l — sie ist sicher nicht mehr als eine Gesetzgebungsrichtlinie 97 , die das Ziel bezeichnet, das der Gesetzgeber bei der Ausnutzung des Gesetzesvorbehalts verfolgen muß, der insoweit nicht ein „allgemeiner", sondern ein „spezieller" ist. Die eigentliche Eingriffsermächtigung jedoch gibt bereits A r t . 14 Abs. I GG, nicht Abs. I I 9 8 . Es kommt also, heute wie vor fünfzig Jahren, darauf an, näher zu bestimmen, was dem Gesetzgeber i m Rahmen der Sozialbindung gestattet ist. Wie „weit" immer hier sein „Ermessen" sein mag 9 9 — es ist nicht 95
Vgl. oben A , I I I . Allerdings bleibt es möglich, je nach Eingriffsform besondere K r i t e r i e n f ü r die Entschädigung festzulegen, die j a voraussetzt, daß bereits Enteignung, nicht aber Sozialbindung vorliegt (vgl. dazu Schulte, H., aaO, S. 66). 97 Maunz-Dürig-Herzog, R N 2 zu A r t . 14; Kimminich, Ο., B K (Zweitbearb.), R N 34 zu A r t . 14 GG; Geiger, W., Grundrechte u n d Rechtsprechung, 2. Aufl., S. 15 f.; BVerfGE 8, 71 (80); 18, 121 (131 f.); 21, 73 (81); vgl. auch die Nachw. bei Rudolph, K., Die Bindungen des Eigentums, Tübingen 1960, S. 15 (FN 71), der selbst allerdings die Meinung vertritt, die „immanente Gebundenheit des Eigentums (sei) damit zum Verfassungsgrundsatz erhoben" (S. 1©), der dem Eigentümer die Verpflichtung auferlege, „ i m Rahmen der Bedürfnisse der Gemeinschaft sachgerecht u n d gemeinnützig m i t seinen Gütern zu verfahren" (S. 16). 98 Es ist also systematisch zu billigen, daß dem A r t . 14 Abs. I I GG keine eigentliche Bedeutung f ü r die Abgrenzung Sozialbindung—Enteignung i n der Rspr. des B G H zukomme (so Bender, B., Sozialbindung als Eigentum u n d Enteignung, N J W 1965, S. 1297 [1299]). Dies ist kein Beweis dafür, daß der B G H von einem „vorwiegend formalen, theoretischen" Ansatz ausgeht. Was soll das auch bedeuten? Dieser Ansatz ist hier richtig, er entspricht der Verfassungssystematik. 99 Das BVerfG (DÖV 1964, S. 489) spricht v o n einer „verhältnismäßig weiten Befugnis zur Konkretisierung der dem Eigentum innewohnenden Sozialbin96
C. Sozialbindung — Enteignung nach geltendem Recht
unbegrenzt, denn es gibt eben jene Enteignung, welche durch A r t . 14 Abs. I I I GG als besonderer, zwar zulässiger, aber zur Entschädigung verpflichtender Eigentumseingriff normiert ist. Ganz abgesehen davon, daß das Eigentum als Grundrecht einen Wesensgehalt haben kann (Art. 19 Abs. I I GG), was noch näher zu prüfen ist — der Gesetzesvorbehalt zur Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums ist eben schon nach Art. 14 GG kein „genereller", schrankenloser, er unterliegt der eigenartigen, nur hier auftretenden Schranke der Enteignung. Dies muß zunächst ein für allemal unverrückbar für eine Untersuchung der Sozialbindung feststehen: Es kann nicht allgemein oder, u m i m einzelnen eine bestimmte Eigentumsbindung gegenüber der Verfassung kurzer Hand zu rechtfertigen und ohne Rücksicht auf irgendwelche speziellen Kriterien, behauptet werden, das Eigentum werde zwar von der Verfassung gewährleistet, aber nur insoweit, als Inhalt und Schranken vom Gesetz bestimmt würden 1 0 0 . Weder kann man die Diskussion u m die Schranken des Sozialvorbehalts m i t dem Hinweis auf den Vorbehalt abbrechen, noch sollte der Sozialvorbehalt dazu dienen, das Eigentum als eine A r t von „prekärem Recht" hinzustellen, bei dem der Schutz nicht so ernst zu nehmen sei, weil es ja generell völlig zur Disposition des Gesetzgebers stehe. Solche Vorstellungen werden zwar kaum je zu normativer Argumentation offen eingesetzt, sie beeinflussen jedoch unterschwellig die gesamte Diskussion, als sei das Eigentum eben „an sich schon" ein doch nur „sehr relatives Recht". Unter einem solchen relativierenden Generalvorbehalt kann keine Erörterung der Sozialbindung stehen. Hier geht es darum, die Schranken eines Rechts zu finden, das auf Grund der A r t seiner Verbürgung i n der Verfassung durchaus noch nicht begrifflich weniger „fest" zu sein braucht als jedes andere Schutzgut des Grundrechtskatalogs. Eine „immanente Schwäche des Eigentums" kann nicht axiomatischer Ausgangspunkt einer Diskussion um die Sozialbindung sein, sie muß vielmehr besonders nachgewiesen werden 1 0 1 . I m folgenden werden nun, ausgehend von den nach der Weimarer Entwicklung noch offenen 102 Möglichkeiten, die Abgrenzungskriterien von Sozialbindung und Enteignung i m einzelnen untersucht, welche i n Rechtsprechung wie Schrifttum nach 1945 verwendet worden sind. Dies erfolgt weder m i t der vorgefaßten Absicht, alle diese „Theorien" zu kritisieren, um ihnen dann eine neue hinzuzufügen, noch als ein Versuch, einen dieser dung" oder von einem „verhältnismäßig weiten Beurteilungsspielraum" (DVB1 58, S. 705). 100 So etwa neuerdings Ernst, Bodeneigentum u n d Bodenrecht, Agrarrecht 1972, S. 97. 101 Vgl. dazu unten, insbes. I., II., I V . 102 Vgl. oben A, a. E.
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C. Sozialbindung — Enteignung nach geltendem Recht
Wege besonders zu befestigen und selbst einzuschlagen. Nach einer so lange und ausführlich geführten Diskussion spricht vielmehr vieles dafür, daß die Sozialbindung nur unter Heranziehung verschiedener Gesichtspunkte bestimmt werden kann. Insoweit kann also versucht werden, i n voller Offenheit die Tragfähigkeit unterschiedlicher Argumente zu prüfen. I. Eigentum als „Rechtsposition in der Entwicklung" — Generelle Unmöglichkeit der Abgrenzung zur Enteignung Der Versuch einer Bestimmung dessen, was als Sozialbindung der Enteignung gegenübersteht, muß m i t einer kritischen Betrachtung derjenigen Auffassungen beginnen, die, offen oder mittelbar, die Möglichkeit einer solchen Abgrenzung bereits i n Frage stellen: Gelegentlich w i r d das Eigentum als wesentlich „variable Rechtsposition" bezeichnet (im folg. 1.), andere gehen von einer entwicklungsmäßigen Relativität der Abgrenzung aus (im folg. 2.). 1. Eigentum als variable, relativierte Rechtsposition — oder als festes grundsätzlich unbeschränktes Schutzgut
a) Die Verbindung zwischen dem „jedermann einleuchtenden" Erfordernis einer „sinnvollen, dem Wohl der Allgemeinheit dienenden Ordnung" und der Enteignungsdefinition soll durch die „TheoHe von der variablen Rechtsposition" geschlagen werden 1 0 3 . Natürlich eine Brücke — denn von einer „Abgrenzung" kann ja begrifflich nicht mehr gesprochen werden, wo der Inhalt des Schutzgutes wesentlich, seiner Natur nach bereits, veränderlich ist. Eine solche Variabilitätstheorie mag gefordert werden, als ausgeprägte Lehre ist sie bisher nicht entwickelt worden. Sie vermöchte auch das hier gestellte Problem nie zu lösen, weil sie nichts als dessen radikale Negation darstellt. Wenn das Eigentum seinem Wesen nach bewegliche Grenzen hat, so braucht gar nicht mehr gefragt zu werden, wo Sozialbindung aufhört und Enteignung beginnt. Dies wäre keine Brücke, sondern eine Einebnung des Flußbettes. Und es wäre nach A r t . 14 Abs. I I I GG glatt verfassungswidrig, der eben eine „besondere Enteignung" kennt. b) Gelegentlich w i r d nun nicht etwa die begriffliche Abgrenzungsmöglichkeit des Eigentums geleugnet, es werden jedoch (gewisse) B e dingungen bereits i n den Begriff des Eigentums m i t hineingenommen: Selbst wenn man den Eigentümer völlig wertungsfrei, nicht als Glied der 103 Dittus, S. 329 (330).
W., Planung u n d Sozialgebundenheit des Eigentums, DVB1 1957,
I. Generelle Unmöglichkeit der Abgrenzung?
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Gemeinschaft, sondern „als reines Subjekt i m Sinne der Logik" betrachte, so müsse selbst dann von einer Relativierung des Eigentumsbegriffes ausgegangen werden, denn jedes Eigentum sei gleichzeitig Grenze eines anderen. Die Unbeschränktheit gehöre also nicht zum Begriff des Eigentums 1 0 4 . Damit ist zwar die Abgrenzbarkeit des durch Enteignungsrecht geschützten Eigentumskerns von jenem Bereich der Sozialbindung noch nicht geleugnet, i n dem der Gesetzgeber ohne Entschädigungsfolgen tätig werden kann. Dennoch w i r d diese Unterscheidung eben grundsätzlich problematisch, wenn Beschränkungen schon zum Eigentumsbegriff gehören. Relativierung des Eigentumsbegriffs ist überdies ein höchst gefährliches Wort, weil es von vornherein eben auch die Abgrenzung Enteignung — Sozialbindung „relativiert", doch nur zugunsten des sozialbindenden Gesetzgebers. Und wie weit soll diese Relativierung gehen? Das verfassungsrechtlich Bedenkliche solcher Aussagen 105 liegt aber vor allem darin, daß sie nur eine „theoretische" Form für die verfassungsrechtliche These sind, daß das Eigentum „grundsätzlich" zur Disposition des Gesetzgebers stehe, weil dieser seinen Inhalt wie seine Schranken zu bestimmen habe. Daß dies nicht zutrifft, wurde bereits 1 0 6 dargetan. Es gilt jedoch, auch dem unterschwelligen Fortwirken solcher Vorstellungen zu wehren — darum allein ging es hier. Dies führt auch zu einer Klarstellung für die weitere Untersuchung: Hier w i r d weder von dem Begriff eines wesensmäßig variablen Schutzgutes „Eigentum" ausgegangen, noch auch von einem bereits durch immanente Bindungen „relativierten" Eigentum. Dies wäre methodisch unzulässig, begrifflich würde bereits das Ergebnis der Untersuchung zum Teil vorweggenommen: Was an Beschränkungen zulässig ist, muß ja gerade erst aufgezeigt werden, dies gilt bei jedem Schutzgut eines Grundrechts, also auch für das Eigentum. Wohl mag die Untersuchung sowohl „äußere", wie „innere", etwa begriffliche Beschränkungen des Eigentums vorfinden, sie kann aber nicht schon auf einem schwankenden, „relativierten" Boden beginnen, was heute nicht selten festzustellen ist, aber i n der Regel nur ein bestimmtes „Vorverständnis" verschleiert. Ausgangspunkt ist vielmehr das Modell von einem grundsätzlich unbeschränkten, nicht „relativierten" Schutzgut „Eigentum" 1 0 7 , die Feststel104 Dürig, G., Das Eigentum als Menschenrecht, ZgesStW 109 (1953), S. 326 (349). los übrigens auch ihrer konkretisierenden Fortsetzung, der Lehre von den „immanenten Schranken" des Eigentums, die unten D, I I I noch dargestellt wird. ιοβ vorbem. 3. 107 Zutreffend schreibt Schulte, H. (FN 94), S. 55: „Der I n h a l t des Eigentums w i r d formal, i m Denkmodell, wie nicht anders möglich, als total angesehen,
48
C. Sozialbindung — Enteignung nach geltendem
echt
lung der Beschränkungsmöglichkeiten ist das Ziel der Untersuchung. Kein grundrechtliches Schutzgut eignet sich wohl besser für ein solches Ausgangsmodell als gerade jenes Eigentum, zu dessen Begriff zunächst, vor allem anderen, gerade die unbeschränkte Verfügungs- und Nutzungsmöglichkeit gehört. Nirgends ist, lange bevor es Grundrechte gab, ein „Abwehranspruch" eindeutiger und grundsätzlicher formuliert worden, als bei diesem „Recht, andere auszuschließen". Das Eigentum unterscheidet sich schließlich auch dadurch nicht wesentlich von allen anderen Schutzgütern von Grundrechten, daß es stets „zugleich Grenze anderen Eigentumsrechts" ist. Ähnliches oder gar Gleiches gilt fast für alle grundrechtlich geschützten Güter, insbesondere aber für alle Formen der Freiheit, die ja stets zugleich Grenzen der Freiheiten anderer sind. 2. Unmöglichkeit einer eindeutigen Abgrenzung Sozialbindung — Enteignung?
Die Lehre von der Variabalität des Eigentums als Schutzgut wird, i n abgewandelter Form, auch dort vertreten, wo die Möglichkeit einer A b grenzung Sozialbindung — Enteignung geleugnet oder doch bezweifelt wird. So meint das B S G 1 0 8 unter Berufung auf den B G H 1 0 9 , eine logisch zwingende, alle Abgrenzungsfragen von vornherein klar entscheidende Formel für die Grenzziehung zwischen normativer Eigentumsbeschränkung und Enteignung lasse sich nicht finden. Das Gericht fährt dann selbständig fort: „ A u f alle Fälle ist davon auszugehen, daß keine starren Grenzen zwischen Eigentumsbindung und Enteignung bestehen und daß das ,Eigentum' nach der Entwicklung der gesellschaftlichen Anschauungen heute als stärker sozial gebunden anzusehen ist als i n Zeiten einer mehr liberalistisch-individualistisch orientierten Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. " Diese Entscheidung gibt i n mehrfacher Hinsicht zu grundsätzlicher K r i t i k Anlaß; sie zeigt insbesondere eine bedenkliche Methode der Behandlung unseres Gegenstandes. Das BSG hat zunächst den B G H nicht richtig verstanden. Der Große Zivilsenat hat die Möglichkeit einer Grenzziehung zwischen Sozialbindung und Enteignung keineswegs allgemein ausschließen wollen. Er geht i m Gegenteil davon aus, daß „Inhalt und Schranken des Eigentums i n m i t völligem Eigentümerbelieben gleichgesetzt. Eingriff i n diesem Sinne ist jeder Abstrich v o n totalem Eigentümerbelieben." 108 BSG JZ 1958, S. 20 (21). 109 Β GHZ 6, S. 270 (280).
I. Generelle Unmöglichkeit der Abgrenzung?
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einer allgemein verbindlichen Weise durch Gesetz bestimmt werden können" 1 1 0 . Begrifflich ist also eine solche Abgrenzung möglich, auch für den Richter. Der B G H hat gerade nicht gesagt, daß sich eine „Grenzziehung zwischen normativer Eigentumsbeschränkung und Enteignung nicht finden lasse". Er hat zurückhaltender und i n der Sache eindeutig anders formuliert 1 1 1 als das BSG: Die Grenzziehung sei nicht generell, sondern nur dort problematisch, wo es sich u m Eigentum mehrerer Rechtsträger (Gruppeneigentum) handle, wenn also zu entscheiden sei, wann ein „ungleich treffender, entschädigungspflichtiger Eingriff i n das Eigentum einer Gruppe" vorliege. Ferner hat der B G H ausdrücklich erklärt, die Abgrenzung sei „nicht immer leicht" zu bestimmen, es komme auf den Einzelfall an, der aber nach den von i h m (BGH) aufgestellten Richtlinien jeweils zu lösen sei, nicht durch Anwendung einer Patentformel. Der B G H hat also, und dies ist entscheidend, gar nicht grundsätzlich zur Abgrenzbarkeit Stellung genommen, sondern sich lediglich zum „Wie" derselben geäußert. Hierzu hat er die These aufgestellt, daß eine Formel nicht genügen könne. Dies leuchtet schon demjenigen ein, der die Entwicklung bis zu diesem Grundsatzbeschluß überblickt. Die Notwendigkeit, mehrere „Richtlinien" zur Abgrenzung heranzuziehen, w i r d diese Untersuchung immer wieder erweisen. Das BSG dagegen verbiegt diesen Gedankengang: Es verallgemeinert unzulässig die Abgrenzungsschwierigkeiten zur Abgrenzungsunmöglichkeit, unterschlägt die These des B G H von der Notwendigkeit differenzierender Betrachtung und zieht daraus dann eben die ganz allgemeine Folgerung, daß es „keine starren Grenzen zwischen Eigentumsbindung und Enteignung" geben könne. Hierbei hat das BSG wiederum eine andere Stelle der Grundsatzentscheidung des B G H i m Auge, verstümmelt diese jedoch in einem entscheidenden Punkt: der B G H 1 1 2 hat ausgeführt: „Das Eigentum, wie überhaupt die Vermögenswerten Rechte, sind überdies ihrem Inhalt nach nicht starr, sondern in gewissen Grenzen geschichtlich wandelbar, insbesondere i n bezug auf das Maß der sozialen Bindung, das sie sich gefallen lassen müssen." Die entscheidenden, vom Verfasser hervorgehobenen Worte unterschlägt das BSG. Aus ihnen ergibt sich jedoch gerade, daß es nach dem B G H eben doch irgendwo feste Grenzen der Sozialbindung gibt, über alle geschichtlichen Wechselfälle hinweg, daß also dem sozialbindenden Gesetzgeber nur ein gewisser Spielraum bis zu ihrer Erreichung zur Verfügung steht. Das BSG t u t so, als seien solche Grenzen überhaupt nicht anzuerkennen.
110 111 112
Β G H Z 6, S. 270 (278). aaO, S. 280. aaO, S. 277.
4 Leisner
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C. Sozialbindung — Enteignung nach geltendem Recht
Damit aberzeigt sich der entscheidende Unterschied zwischen dem B G H und BSG. Das BSG leugnet i n seiner Entscheidung die klare Abgrenzungsmöglichkeit 113 und huldigt damit der Variabilitätslehre. Daß dies m i t der Verfassung nicht vereinbar ist, bedarf hier keines Beweises mehr. Der B G H dagegen geht von der Entwicklungsgebundenheit des Eigentums aus — dies bedarf i m folgenden näherer Untersuchung. Diese kritische Betrachtung des BSG-Urteils zeigt, dies ist nochmals zu betonen, daß eine Methode von vornherein die ganze Sozialbindungsfrage i n eine falsche Richtung schiebt: der Versuch, generell begriffliche Größen schon zu relativieren, bevor noch deren Abgrenzungsversuch einsetzt. Hier w i r d eben diese so schwierige Frage aufgehoben, nicht gelöst; unterschwellig w i r k t wiederum wohl die Vorstellung, das Eigentum stehe nach der Verfassung ganz und gar zur Disposition des Gesetzgebers. Doch davon muß man sich völlig lösen; das Eigentum ist ein begrifflich fest umgrenztes Schutzgut. M i t dem Kunstgriff der begrifflichen Relativierung läßt sich dieses Grundproblem unserer Verfassungs- und Sozialordnung nicht bewältigen — es sei denn, man wolle Vorverständnisse bieten, nicht aber juristisch argumentieren. 3. Die „Entwicklungsgebundenheit der Sozialbindung"
Wie jeder Rechtsbegriff, wie jedes Rechtsgut steht auch das Eigentum i n der Entwicklung. Die Sozialbindung ist i n diesem Sinn nicht weniger „entwicklungsgebunden" als jede andere staatliche Befugnis. Hier fragt sich jedoch, ob das Eigentum, und damit die Sozialbindung, i n einer besonderen Weise entwicklungsmäßig variabel sind, dergestalt, daß jeweils für eine konkrete geschichtliche Situation erst völlig von neuem festgestellt werden müßte, wo die Grenze zwischen Sozialbindung und Enteignung verläuft. Eine spezielle „Entwicklungsgebundenheit der Sozialbindung" läge auch dann vor, wenn sich erhebliche Verschiebungen i m Begriff des sozialgebundenen Eigentums seit der Zeit feststellen ließen, i n welcher erstmals eine allgemeine Verfassungsgarantie des Eigentums proklamiert wurde. Eine derartige besondere Entwicklungsgebundenheit könnte sich ergeben aus dem Wechsel der allgemeinen Anschauungen (a), aus der Entwicklung der Gesetzgebung (b), i m Falle außergewöhnlicher Umstände (Krisen, Notzeiten) (c) oder durch die wissenschaftlich-technische Entwicklung (d). 113 Unverständlich bleibt dann übrigens, w a r u m doch die Grenze der Sozialbindung beim Wesensgehalt (Art. 19 Abs. I I GG) des Eigentums liegen soll. N u r k a n n man diesen j a auch wieder — elastisch bestimmen . . .
I. Generelle Unmöglichkeit der Abgrenzung?
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a) Daß die „allgemeinen Anschauungen" für das Ausmaß der Sozialbindung von Bedeutung sind, ist von jeher anerkannt worden 1 1 4 . Insbesondere wer davon ausgeht, daß die Abgrenzung Sozialbindung — Enteignung gewisse Wertungen voraussetzt 115 , w i r d zugeben, daß sich diese i n geschichtlichen Abläufen ändern können. Das Recht kann und w i l l solche Entwicklung nicht verhindern, welche sich schon aus der objektiven Interpretation der Gesetze ergibt, d. h. aus dem Verständnis der Normen i m jeweiligen historischen Augenblick ihrer Anwendung. Eine solche Evolution mag weit gehen, sie muß sich jedoch i n einem Rahmen halten, der insbesondere durch den Wortlaut gezogen wird, selbst wenn dessen Verständnis eben wiederum bis zu einem gewissen Grade der Entwicklung unterworfen sein mag. Wie weit immer solche allgemeine Entwicklungsgebundenheit an die jeweiligen, vom Richter endgültig proklamierten Anschauungen reichen mag — sie hat bei einem an sich, grundsätzlich fixierten Begriff nichts gemein m i t jener gesteigerten A b hängigkeit von allgemeinen Anschauungen, u m die es hier geht: Sie würde das Eigentum zu einem Blankett machen, das jeweils erst von einem Richter auszufüllen wäre, der dabei auf „allgemeine Anschauungen" zurückgreifen müßte. Und dies ist nun entscheidend: Es könnte sich hier nicht um jene sehr allgemeinen Auffassungen etwa „aller b i l l i g und gerecht Denkenden" handeln, welche den Zivilgerichten einen (sehr theoretischen) Maßstab für Treu und Glauben, gute Sitten und ähnliche Generalklauseln liefern. Die Auffassungen über Eigentum und Sozialbindung müßten vielmehr, wäre das Eigentum ein so weit entwicklungsoffener Begriff, m i t den jeweiligen sozialpolitischen Auffassungen identisch sein. Bei der großen sozialpolitischen Bedeutung des Eigentums könnte dies praktisch gar nichts anderes bedeuten, als daß die jeweiligen „herrschenden politischen Auffassungen" für den Eigentumsinhalt konstitutiv würden. Es gibt hier kein Drittes: Entweder die Bindung des Eigentumsbegriffs an die „allgemeinen Anschauungen" bedeutet nicht mehr und nicht weniger als die allgemeine Entwicklungsgebundenheit jedes Rechtsbegriffs — dann ist über diese Selbstverständlichkeit hier nicht weiter zu sprechen. Oder es soll eine irgendwie „gesteigerte Offenheit" gegenüber allgemeinen Anschauungen beim Eigentum gegeben sein — dann bedeutet dies nicht nur eine weitgehende Variabilität des Begriffs des Eigentums, von deren Bedenklichkeit bereits die Rede war, diese „allgemeinen A n schauungen" werden auch i n concreto rasch die jeweiligen ( s o z i a l p o l i t i schen Anschauungen der Allgemeinheit, d. h. aber: der Richter sein. Praktisch ist es aber ein entscheidender Unterschied, ob man vom Richter 114
Vgl. i n der Weimarer Zeit f. viele Jellinek, W. (FN 2), S. 13. Scheuner, U., Grundlagen u n d A r t der Enteignungsentschädigung, i n : Verfassungsschutz des Eigentums, 1954, S. 63 (110). 115
4*
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C. Sozialbindung — Enteignung nach geltendem Recht
Randkorrekturen des Eigentumsbegriffs erwartet, oder ob man i h n durch derart gesteigerte „Offenheit" des Eigentumsbegriffs zum Deklarationsorgan der sozialpolitischen Entwicklung macht. Eine solche Position entspricht der Aufgabe der Judikative nicht. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, daß die Begriffe Eigentum, Sozialbindung, Enteignung i n irgendeiner Weise den „allgemeinen Anschauungen" weitergehend geöffnet wären als ein anderer Begriff der Verfassung. Auch das „unterschwellige" Standardargument, das Eigentum stehe eben „zur Disposition des Gesetzgebers", versagt hier — selbst wenn dies zuträfe, stünde es sicher nicht zur Disposition des Richters und der von i h m interpretierten allgemeinen Anschauungen. Die Rechtsprechung hat sich denn hier auch nahezu vollständig zurückgehalten. Vereinzelt ist die Meinung des DOG geblieben, daß das Maß der sozialen Gebundenheit „naturgemäß" entsprechend den jeweils herrschenden politischen und wirtschaftlichen Anschauungen schwanken werde 1 1 6 . Allenfalls w i r d dem Gesetzgeber die Aufgabe der Anpassung der Sozialbindung an „veränderte Rechtsanschauungen" zugeschoben 117 . Auch der B G H hat sich nicht darauf eingelassen, die Entwicklung sozialpolitischer Anschauungen für die Sinnerfüllung des Eigentumsbegriffs heranzuziehen. Zwar geht er m i t Recht davon aus, daß grundsätzlich die Sozialbindung „ i n der konkreten historischen Situation" durch das beschränkende Gesetz festgelegt werden dürfe 1 1 8 , doch wie er sich diese „historische Entwicklungsgebundenheit" vorstellt, kommt eindeutig zum Ausdruck 1 1 9 : Nicht daß das Eigentum jeweils durch (sozial-)politische Anschauungen i n seinem Inhalt bestimmt wird: Historische Ereignisse schaffen lediglich gesteigerte konkrete Sozialbedürfnisse, denen sodann der Gesetzgeber Rechnung tragen kann. Der B G H weist hier auf die Notund Krisenzeiten der vergangenen Jahrzehnte h i n 1 2 0 . Die „geschichtliche Wandelbarkeit des Eigentums", so wie sie der B G H versteht, bedeutet also keine besondere Öffnung gegenüber den jeweiligen ( s o z i a l p o l i t i schen Anschauungen, sondern ist die Anpassung an besondere geschichtliche (Ausnahme-)Situationen. Sie ist insoweit unter c) zu erörtern. Nur das BSG macht hier eine gewisse Ausnahme — aus der „Not", i n welcher der B G H die Sozialbindung erweitert wissen wollte, w i r d die „Tugend" der veränderten „gesellschaftlichen Anschauungen", nach denen 116
DOG N J W 1950, S. 540. OVG Münster, OVGE 5, S. 181 = DVB1 52, S. 641, w o jedoch auf ethnographisch-technische Daten, die zunehmende Bevölkerungsdichte u n d die Industrialisierung des Landes hingewiesen w i r d , so daß insoweit diese E n t scheidung i n den Zusammenhang v o n unten d) gehört. 118 Β GHZ 6, S. 270 (288). 119 aaO, S. 277. 120 aaO, S. 277. 117
I. Generelle Unmöglichkeit der Abgrenzung?
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das Eigentum heute als „stärker sozial gebunden" anzusehen sei 1 2 1 . Es spricht sogar von der Veränderung der „Gesellschaftsverfassung", ohne daß klar würde, wie nun dieser Begriff wieder bestimmt werden soll. Ein normativer Begriff ist die „Gesellschaftsverfassung" nicht. Diese sozialpolitischen, sozialhistorischen Philosophemata des obersten Sozialgerichts sind ebensowenig näher begründet, wie überzeugend. I n ihrer Allgemeinheit sind sie nicht unbedenklich. Immerhin — auch aus dieser sehr entwicklungsfreundlichen Entscheidung ergibt sich noch nicht die These von einer generell gesteigerten Offenheit des Eigentumsbegriffs gegenüber „allgemeinen Anschauungen". Es verdient ausdrücklich festgehalten zu werden, daß weder i m Schriftt u m noch, vor allem, i n der Rechtsprechung ernstzunehmende Stimmen einer Relativierung des Eigentums nach allgemeinen Anschauungen das Wort reden. Das Eigentum steht derart i m Zentrum sozialpolitischer Auseinandersetzungen — und w i r d immer dort stehen—, daß eine derartige Relativierung sogleich das Ende jeder Eigentumssicherung, die Auslieferung des Eigentums an die Vorstellungen wechselnder politischer Mehrheiten bedeuten würde. Dies mögen diejenigen beachten, welche meinen, i n abstracto über die Entwicklungsgebundenheit der Eigentumsbegrifflichkeitlichkeit philosophieren zu können. Die Konsequenzen müssen hier klar sein. b) „Andeutungen der Gesetze ermöglichen die Abgrenzung des Schutzwürdigen vom Schutzunwürdigen 1 2 2 ." Entwicklungsgeschichtlich gesehen würde dies bedeuten, die Abgrenzung von Sozialbindung und Enteignung könne von einem Eigentumsbegriff ausgehen, der durch die Vielzahl der gesetzlichen Inhaltsbestimmungen fixiert werde. Da sich diese jedoch i n laufender Entwicklung befinden, der Evolution zahlreicher Einzelmaterien folgen, würde sich allein daraus bereits eine starke entwicklungsgeschichtliche Beweglichkeit der Eigentumsgrenzen, wenn nicht eine Variabilität des Eigentumsbegriffs selbst ergeben. Daß jede einzelne Inhaltsbestimmung eines Eigentumsbereichs kraft der Einheit des Eigentumsbegriffs, von der seit Weimar auszugehen ist, auf alle anderen Sektoren i m Wege einer „Osmose" w i r k t und damit i m Ergebnis rechtsanalog den Eigentumsbegriff selbst umprägen kann, wurde bereits 1 2 3 dargelegt. Der so durch vielfache „Gesetzesbewegungen" i n einer gewissen Weise festgelegte Eigentumsbegriff mag dann auch wieder neue Sozialbindungen legitimieren 1 2 4 — die wiederum „ i n d u k t i v " 121
JZ 1958, S. 20 (21). Jellinek, W. (FN 2), S. 13. 123 Vgl. oben A I I 2 b. 124 Beispiel: Der B G H (GZ 6, S. 270, 288) rechtfertigt das Wohnungsnotrecht aus der Größe der Gruppe von Schutzbestimmungen, die dem geltenden Recht 122
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C. Sozialbindung — Enteignung nach geltendem
echt
auf i h n einschränkend einwirken. Hier ergibt sich i n der Tat i m Zuge der Gesetzgebung ein sozialpolitischer Spiralvorgang von „Verfassung nach Gesetz" 125 : Einzelfixierungen gewisser Eigentumsinhalte engen den Eigentumsbegriff ein, wirken limitierend auf den Verfassungsbegriff des Eigentums; die so verschärfte Sozialbindung legitimiert dann verfassungsrechtlich weitere Sozialbindungen durch Einzelgesetz, die wieder ihre rechtsanalogen Wirkungen auf den Verfassungsbegriff des Eigentums zeitigen usw. Diese Entwicklung w i r d sich als solche gar nicht aufhalten lassen, wenn man von jener Einheit des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs ausgeht, die seit langem als freiheitsrechtliche Errungenschaft gilt. Sie ist auch ein Ausdruck des großen verfasungsrechtlichen Phänomens der „Gesetzmäßigkeit der Verfassung", welche nur durch begriffliche Selbständigkeit der Verfassungsterminologie überwunden werden könnte. Der Eigentumsbegriff ist kein günstiges Feld für einen Beginn i n dieser Richtung: Je stärker (zivilrechtlich) „technisiert" ein Begriff ist, desto mehr w i r d die Verfassung nach dem Gesetz ausgelegt werden. Wo läge dies näher als beim Eigentum, das zudem noch „heterogen technisiert" ist, i n verschiedenen Einzelgesetzgebungen sich fortentwickelt? Dennoch, nein: gerade deshalb muß hier mit besonderer Sorgfalt darauf geachtet werden, daß der erwähnte „Spiralvorgang" wenigstens „bewußt" bleibt: Jedes Einzelgesetz, das Eigentumsinhalte festlegt, muß sogleich darauf geprüft werden, ob darin nicht bereits Enteignung liegt. Entgeht eine solche Norm der Aufmerksamkeit, so macht „Enteignung i m Gewände der Sozialbindung sogleich weitere Enteignungen zu Sozialbindungen". Und schließlich: Generell unzulässig ist es, die Grenzziehung Sozialbindung — Enteignung nach „Andeutungen der Gesetze" vorzunehmen. Sie erfolgt nicht nach Gesetz, sondern nach dem Verfassungsbegriff des Eigentums, an dem alle diese „Andeutungen" zunächst zu messen sind. Der Gesetzgeber darf auch nur diejenigen „Anpassungen der Sozialbindung an veränderte Verhältnisse" durch Gesetz vornehmen 1 2 6 , welche durch den verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff legitimiert werden. Und dieser steht weder zur Disposition des Gesetzgebers, noch kann er, was ja genau dasselbe wäre, aus Gesetzen erschlossen werden, sich m i t diesen jeweils sogleich verändern. c) Die Variabilität der Grenzen der Sozialbindung w i r d nicht selten damit begründet, daß unter „außerordentlichen Umständen", i n „Notgegenüber den Gefahren der Ausnutzung einer wirtschaftlichen Machtstellung vielfach bekannt sind". Diese aber bedurften j a auch ihrerseits einmal der Legitimation als zulässige Sozialbindungen. 125 v g l dazu allg. Leisner, W., V o n der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze zur Gesetzmäßigkeit der Verfassung, 1965. 126
Vgl. oben F N 117.
I. Generelle Unmöglichkeit der Abgrenzung?
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und Krisenzeiten" die Sozialbindung weitergehen könne als unter „normalen Umständen" 1 2 7 . Der B G H hat damit eine gewisse Verstärkung der Sozialbindung i m 20. Jahrhundert gerechtfertigt, daß „der Staat i n diesem Zeitraum, u m die tiefzerstörte soziale Ordnung wieder herzustellen, i n der Tat „berechtigter- und notwendigerweise weiter i n die Vermögenswerten Rechte seiner Bürger eingreifen und diese stärker sozial binden (mußte), als dies früher erforderlich" w a r 1 2 8 . Allerdings bestimmte sich das Maß des Erforderlichen jeweils nach der geschichtlichen Lage. I n Notund Krisenzeiten könne die soziale Bindung des Eigentums naturgemäß stärker sein als i n gewöhnlichen Zeiten 1 2 9 . Wie so vieles, was „naturgemäß" gelten soll, ist jedoch auch diese „Notund Krisen-Variabilitätstheorie" des B G H heute nicht mehr haltbar. Zwar verdient es festgehalten zu werden, daß die „Entwicklungsgebundenheit" der Sozialbindung vom B G H nur m i t dem Hinweis auf „Notund Krisenzeiten" begründet wird, daß sie also ganz ersichtlich eine „ausnahmsweise" sein soll. Dann aber reicht sie von vornherein nicht aus, u m die Abgrenzung Sozialbindung — Enteignung durchgehend, i n allen Fällen zu begründen; vom Ausnahmefall kann man nicht so allgemein auf den „Normalfall" schließen 130 . Die Notzeitentheorie kann auch nicht damit begründet werden 1 3 1 , daß es hier „faktisch ausgeschlossen sei, angemessen zu entschädigen", denn die Sozialbindung schließe von vornherein „faktisch nicht erfüllbare Entschädigungsforderungen" aus. Zunächst ist es schon dogmatisch unzulässig, von der Entschädigung und ihrer „faktisch möglichen Höhe" auf das Vorliegen von Enteignung zu schließen 132 : Entschädigung kommt ja überhaupt nur i n Betracht, wenn keine Sozialbindung mehr vorliegt. Die Abgrenzung der Sozialbindung ist aber überhaupt nicht eine Funktion der fiskalischen Leistungsfähigkeit. Weder liegt Enteignung oder Sozialisierung vor, wenn es nur um ihre Steigerung geht 1 3 3 , noch entfallen diese Eingriffsmöglichkeiten umgekehrt begrifflich, wenn „der Staat kein Geld 127 Vgl. etwa O L G Stuttgart, D W W 1953, S. 299 = BBB1 53, S. 259; vgl. auch Scheuner, U. (FN 115), S. I l l ; Bender, Β . (FN 98), S. 1298; Sellmann, M. (FN 92), S. 1693. 128 B G H Z 6, S. 270 (277). 129 aaO, S. 279; B G H L M Nr. 49 zu A r t . 14 GG. 130 Gerade dies aber geschieht, w e n n man, w i e der BGH, v o n „Geschichtlichk e i t " redet, dann aber n u r N o t - u n d Krisensituationen bringen kann; oder wenn gleich die Krisentheorie dazu dienen soll, u m die Abgrenzung nach „ v o r herrschenden Wertvorstellungen u n d sonstigen soziologischen Fakten" zu relativieren (vgl. Bender, B. [ F N 98], S. 1298) — also: Krise ist Geschichte, Geschichte ist Soziologie u n d Soziologie ist dann — was politisch gefällt. 131 So etwa Sellmann, M . (FN 92), S. 1693. 132 Dazu noch näher unten nach I I I , Exkurs. 133 Vgl. unten I I I 3.
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C. Sozialbindung — Enteignung nach geltendem Recht
hat" — er muß sich dann eben die Mittel beschaffen! Das aber vermag der Steuerstaat i n grundsätzlich unbeschränkter Weise selbst i n Notzeiten. Volkswirtschaftlich mag dies eine Belastung sein; doch nur „reine Theorie" kann Fälle bilden, i n denen es „unmöglich" wäre. Und selbst dann ginge eben der Grundrechtsschutz vor: Ebenso wenig wie die anderen Grundrechte steht das Eigentum so allgemein unter einem „Vorbehalt der Volkswirtschaft". Es gibt auch keine verfassungsrechtliche Begründung dafür, daß irgendwelche Eigentümer die Last der Krisen allein tragen sollen, nicht aber jene steuerpflichtige Gemeinschaft, welche doch auch für die Krise politisch verantwortlich und als solche von ihr betroffen ist. Es wäre unerträglich, das Eigentum begrifflich zum Sündenbock einer verfehlten Wirtschaftspolitik zu machen. Die „Krisentheorie" läuft überdies letztlich nur darauf hinaus, das Eigentum unter den Vorbehalt eines i n keiner Weise näher definierten 1 8 4 „öffentlichen Interesses" zu stellen; nur damit könnte ja hier eine Verstärkung der Sozialbindung begründet werden, daß „ i n der Not" eben die Gemeinschaftsbindung vorgehe und sich verstärke. Aber — was ist denn „Not", „Krise"? Diese Begriffe sind doch derart unbestimmt, daß sie schon aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit Grundrechte nicht so allgemein beschränken können, wie es die Krisentheorie verlangt 1 3 5 . Die Krisentheorie mag frühere Entwicklungen beschreiben, sie begründet nicht Ausdehnung oder Variabalität der Sozialbindung. I n i h r kommt jener retrospektive Zug des deutschen öffentlichen Rechts zum Ausdruck, der sich aus den Katastrophen der ersten Jahrhunderthälfte erklären mag, i n denen tatsächlich der Eindruck bleibender normativer K r a f t des Faktischen entstehen mochte. Doch auch aus dieser schweren Zeit darf nicht unkontrolliert, unterschwellig eine Grundstimmung i n das heutige Recht hinüberwirken, welche für den Normalzustand Folgen aus der Ausnahme herleiten und das Eigentum damit i n „irgendeiner" unfaßbaren Weise eben doch — relativieren würde. d) Die Rechtsprechung ist außerordentlich, ja erstaunlich zurückhaltend m i t Argumenten, welche i m Sinne einer entwicklungsgeschichtlichen Relativierung und Variabilität des Eigentums und damit der Sozialbindung gedeutet werden könnten. N u r sehr selten und meist nur i n gewissen festen Bereichen finden sich überhaupt Andeutungen über eine Veränderlichkeit des Ausmaßes der Sozialbindung. So liegt keine Enteignung vor, wenn es sich u m Beschränkungen handelt, die angesichts des gesteigerten Straßenverkehrs üblich sind 1 3 6 oder 134
Vgl. auch Schulte, H. (FN 94), insbes. S. 71, 76. iss w e n n überhaupt, so ist eben nicht die Sozialbindung, sondern die entschädigungspflichtige Enteignung oder Sozialisierung i n Krisenzeiten die erforderliche u n d angemessene Maßnahme. F ü r die Sozialisierung i n diesem Sinn Maunz-Dürig-Herzog, GG, A r t . 15 Rdnr. 7.
I. Generelle Unmöglichkeit der Abgrenzung?
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sich aus wachsender Bevölkerungsdichte und Industrialisierung ergeben mögen 1 3 7 . N u r gelegentlich w i r d dann noch darauf hingewiesen, daß sich eine Veränderung des Umfanges der Sozialbindung nach dem jeweiligen Erkenntnisstand i m Gesundheitswesen 138 oder nach veränderter Baugesinnung ergeben mag 1 3 9 . Ob sich aus so sporadischen Äußerungen ein allgemeiner Grundsatz ableiten läßt, daß die Sozialbindung jeweils der wissenschaftlich-technischen Entwicklung entsprechen dürfe, mag doch zweifelhaft sein. Bei den Straßenverkehrsfällen ist insofern eine besondere Lage gegeben, als hier die Eigentumsbeschränkung nur formal aus einem Eingriff der Hoheitsgewalt, i n Wahrheit aber aus einer allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung kommt, die der Staat meist sogar nicht einmal fördert, sondern nur zuläßt. Überdies hat der B G H gerade h i e r 1 4 0 die Entwicklungsabhängigkeit der Sozialbindung nur m i t der Einschränkung ausgesprochen, daß sie zu dulden sei, weil man m i t ihr habe rechnen können und müssen. Wenn überhaupt, so kann also ein derartiges Prinzip nur m i t einer dreifachen Einschränkung anerkannt werden: Die Entwicklung kann allenfalls zu einer Steigerung schon bestehender Sozialbindung, nicht aber zu qualitativ neuartiger Sozialbindung führen. Die Sozialbindung kann sich ferner nur insoweit i m Zuge der Entwicklung ändern, als dies irgendwie für den Eigentümer voraussehbar war. Vor allem aber ist die Entwicklungsabhängigkeit des Eigentumsbegriffs auf technisch-wissenschaftliche Evolution zu beschränken, wozu aber nicht ein angeblicher oder w i r k licher Fortschritt sozialwissenschaftlicher Ideen zu zählen ist. Denn dies ist auch hier ganz klar: Die Rechtsprechung hat nirgends eine Abhängigkeit des Eigentumsbegriffs von (sozial^politischen Vorstellungen ausgesprochen; was sie an Evolution berücksichtigt wissen w i l l , bleibt deutlich i m Bereich des technisch Unpolitischen, allenfalls ist es noch jener allerallgemeinste „Gesinnungswandel", den die Gerichte auch bei den Generalklauseln des Zivilrechts, m i t entsprechender Phasenverschiebung, berücksichtigen. Für sozialpolitische, gesellschaftsverändernde Dynamik bietet also auch diese Abhängigkeit der Sozialbindung von der technisch-wissenschaftlichen Entwicklung keine begriffliche Einbruchsteile i n den Eigentumsschutz.
136 Β GHZ 8, S. 273; 49, S. 148; L G Oldenburg BBB156, S. 483. ist O V G Münster, OVGE 5, S. 181; vgl. auch Lindner, G., Die Abgrenzung zwischen Enteignung u n d Eigentumsbindung i m Bereich des heutigen Bauu n d Bodenrechts, Diss. Frankfurt 1956, S. 63. 138 O L G Hamm, DVB11957, S. 754. 139 B G H N J W 1967, S. 1855.
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136.
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C. Sozialbindung — Enteignung nach geltendem Recht 4. Die grundsätzliche „Festigkeit des Eigentumsbegriffs" gegenüber aller Evolution
Das Eigentum, und damit auch der Bereich möglicher Sozialbindung, ist begrifflich nach der heute ganz h. Lehre, wie eben dargelegt, überhaupt nur i n sehr engen Grenzen entwicklungsabhängig. Kaum bei einem anderen grundrechtlichen Schutzgut ist offenbar vor allem die Rechtsprechung so sehr auf eine „Begriffsfestigkeit" bedacht, welche evolutionäre Relativierung ausschließt. Dies ergibt sich aus den Tendenzen, vor allem der Rechtsprechung, welche auf die „bisherige Situation" des jeweiligen sozialgebundenen Eigentums abstellen (a) und die (gesteigerte) Sozialbindung nur unter Berücksichtigung des Vertauensschutzes des jeweiligen Eigentümers zulassen (b). Schließlich folgt eine besondere Begriffsfestigkeit des Eigentums gegenüber jeder Relativierung aus dem Wesen der verfassungsrechtlichen Grund- und Wertentscheidung für das Eigentum (c). a) Daß sich der Umfang der Sozialbindung aus einer „befestigten Tradition oder Rechtslage" (Scheuner) ergeben müsse, hat das Schrifttum von jeher betont 1 4 1 . Die Rechtsprechung hat immer wieder darauf abgestellt, wie ein Gut traditionell habe genutzt werden können 1 4 2 , ja sie untersucht ausdrücklich die historische Entwicklung eines bestimmten Rechts und seines Inhalts, läßt Sozialbindung nur i n diesem Rahmen 1 4 3 zu und spricht sogar vom „überkommenen Eigentumsbegriff" 1 4 4 . Für diejenigen Materien, zu welchen die meisten Sozialbindungsentscheidungen überhaupt ergangen sind (Natur- und Landschaftsschutz, Denkmalsschutz, Anschlußzwang), geht die Rechtsprechung ganz allgemein von den Kriterien der „bisherigen Nutzung" oder der „bisherigen Nutzungsmöglichkeit" aus, wie bei der Erörterung der Abgrenzung der Sozialbindung nach dem „Wesen" des jeweils beschränkten Rechts noch näher darzulegen sein w i r d 1 4 5 . Selbst das BSG hat i n jener Grundsatzentscheidung 146 , der man sicher nicht den V o r w u r f der „Rückschrittlichkeit" w i r d machen können, das 141 Vgl. f. viele Scheuner, U. (FN 115), S. I l l ; Schütz, W., Eingriffe i n das Eigentum u n d Verfassungsschutz, D W W 1954, S. 165, der sogar fordert, die „Verwurzelung der Anschauungen (über die inhaltlichen Beschränkungen des Eigentums) muß so sicher feststellbar sein, wie das Vorliegen eines Gewohnheitsrechts". 142 Vgl. etwa B G H DÖV 1959, S. 780. 143 So ausdrücklich etwa B V e r w G N J W 1957, S. 1534; B V e r w G DVB1 1959, S. 100; B a y O b L G N J W 1953, S. 1563 („geschichtliche Entwicklung des Jagdrechts"). 144 B V e r w G DÖV 1960, S. 268; ähnlich B V e r w G DÖV 1969, S. 426. 145 Vgl. unten D I U . 148 JZ 1958, S. 20 (21).
I. Generelle Unmöglichkeit der Abgrenzung?
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Recht des Gesetzgebers zur Normierung neuer Tatbestände (weitergehender Sozialbindung) i n spezieller Weise rechtfertigen zu müssen geglaubt und dabei auf die „besondere Sozialpflichtigkeit" gerade des öffentlichen Zulassungsrechts ausdrücklich hingewiesen. Damit aber beruht der überwiegende Teil der Sozialbindungsjudikative eindeutig nicht auf Kriterien, welche den Eigentumsbegriff evolutionär oder dynamisch relativieren, sondern auf einer Begrifflichkeit und Tradition, die zwar eine gewisse Entwicklungsspanne zulassen mag, grundsätzlich aber doch von dem Herkömmlichen ausgeht und darauf bedacht ist, daß der Abstand von i h m durch die neue Sozialbindung nicht allzu groß werde. Ob dieser Rechtsprechung der Vorwurf eines übertriebenen Konservativismus gemacht werden darf, kann nicht hier, sondern erst dann entschieden werden, wenn auch ihre mögliche Rechtfertigung — daß nämlich das „Wesen" des jeweiligen Eigentumsrechts gar nicht anders als „nach Tradition" bestimmt werden kann — untersucht wird. I m vorliegenden Zusammenhang ist nur die kaum bestreitbare Tatsache von Bedeutung, daß bisher die Abgrenzung Sozialbindung — Enteignung gerade nicht vorwiegend „evolutionistisch", sondern eben „traditionalistisch" erfolgt ist, wenn i n einem solchen Bereich überhaupt eine derartige schon schlagwortähnliche Kennzeichnnung am Platze sein soll. Besonders deutlich ist vor allem wiederum ein Verständnis jener geschichtlichen Evolution (die gerade i m Rahmen einer Traditionsentwicklung noch anerkannt wird), das jedenfalls weit entfernt ist von der Berücksichtigung konkreter (sozial-)politischer Akzente. b) Der Rückgriff auf „Tradition" ist ein deutlicher Versuch der Begriffsverfestigung des Eigentums gegenüber relativierender Evolutionsdynamik nach rein objektiven Maßstäben. Da jedoch das Eigentum als eine grundrechtlich geschützte Position vor allem den Interessen seines jeweiligen Inhabers dienen soll, muß das mögliche Ausmaß einer „Beweglichkeit der Sozialbindungsgrenze nach Entwicklung" vor allem auch aus der Sicht des Betroffenen betrachtet werden. Die Judikatur hat dem entsprochen, indem sie immer wieder auf das „Vertrauen" abgestellt hat, auf Grund dessen der Betroffene habe erwarten dürfen, daß seine Position nicht verändert werde 1 4 7 . Dieses K r i terium trägt einen nicht geringen Teil der Rechtsprechung zur Sozialbindung. M i t Recht schränkt dies allerdings der B G H dahin ein, daß ein Vertrauen auf weiteres Bestehen einer günstigen gesetzlichen Lage nicht geschützt werde, er läßt jedoch ausdrücklich „Fälle eines besonderen Ver147 So insbesondere i n Fragen des Gemeingebrauchs, B G H L M Nr. 2 zu § 2 ErgG. KleingartenO ; B G H N J W 1962, S. 1816; aber auch allg. B G H Z 45, S. 150 (Knäggebrotfall) ; B G H N J W 1968, S. 293; vgl. auch B G H N J W 1967, S. 1857.
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C. Sozialbindung — Enteignung nach geltendem Recht
trauenstatbestandes" zu 1 4 8 . Andererseits soll die Sozialbindung stets dann gerechtfertig sein, wenn es sich um eine bereits „prekäre Rechtsposition" handelt, die eingeschränkt w i r d 1 4 9 . Zwar könnte man dieses Abgrenzungskriterium auch den Versuchen der Grenzbestimmung nach dem „herkömmlichen, bisherigen Zustand" zurechnen (oben a), der „eben hier prekär (geworden) sei". Doch steht auch hier das Vertrauen des Betroffenen i n Frage, das i n solchen Fällen — eben nicht geschützt wird. Sicher kann nun die Sozialbindung durch Gesetz nicht i n der Weise vom Vertrauen der Betroffenen abhängig gemacht werden, daß sie etwa nur zulässig wäre, wenn und soweit sich diese schon auf die Sozialbindung eingestellt hätten. Insoweit muß vielmehr die Sozialbindung stets nach objektiven Kriterien zugelassen oder abgelehnt werden, als die Betroffenen nicht die gesamte Wirtschafts- und Sozialgesetzgebung durch Hinweise auf ihr Eigentumsvertrauen blockieren können. Doch bereits die Erwähnung der Möglichkeit besonderer Vertrauenstatbestände ist als solche antirevolutionär, antirelativistisch. Wenn und soweit das Bisherige eben so eindeutig, so vertrauenserweckend war, daß ein sozialbindender Eingriff den Betroffenen wirklich überrascht, insoweit w i r d die Wirkmächtigkeit der Vergangenheit zur Schranke gesetzlicher Sozialbindung. Daß dies aber überhaupt als möglich anerkannt wird, zeigt ein Verhältnis zum „Bisherigen", das nicht auf Evolutionsoffenheit, sondern auf Begriffsfestigkeit des Eigentums angelegt ist. c) Eine grundsätzliche Begriffsfestigkeit des Eigentums entspricht schließlich allein dem Charakter dieses Grundrechts als einer Grundsatzund Wertentscheidung des GG. Das BVerfG hat ausdrücklich das Bekenntnis des GG zum Eigentum als eine Grundentscheidung von besonderem Wertgehalt, als die wichtigste Entscheidung überhaupt i n dem an sich schon so zentralen Bereich der privaten Vermögensrechte anerkannt 1 5 0 . I n ständiger Rechtsprechung spricht es von einer Wertentscheidung 1 5 1 . Grundsätze mögen nun wohl i n einer gewissen Elastizität der Einschränkung oder Ausgestaltung offenstehen, Werte durch andere Werte relativiert werden. Wenn aber diese großen und hohen Worte überhaupt noch einen greifbaren Sinn haben sollen, so kann dieser doch nur 148
Märchenfilmverleihfall, B G H N J W 1964, S. 769. So etwa B G H Z 8, S. 273 (gesteigerter Verkehr, Straßenlärm); B G H Z 31, S. 1 (keine Ansprüche von KP-Angestellten aus ihrem Beschäftigungsverhältnis); B G H Z 37, S. 48 (situationsbedingte Gefahrenlage); B G H Z 49, S. 231 (Vertrauen eines Fischereipächters auf den Bestand v o n Wasserverhältnissen); O L G Celle, N J W 1961, S. 79. Vgl. aus der Weimarer Zeit RGZ 111, S. 320 (325), wo die Hypothekenaufwertung m i t der Begründung noch zur Sozialgebundenheit gerechnet wurde, daß hier n u r eine „allgemeine wirtschaftliche Unsicherheit" durch die Regelung v o n prekären Gläubigerrechten beseitigt w i r d . 150 BVerfGE 14, S. 277. « ι BVerfGE 18, S. 121; BVerfG DVB1 1962, S. 637; B V e r f G DÖV 1967, S. 128. 149
I. Generelle Unmöglichkeit der Abgrenzung?
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darin liegen, daß sich solche Elastizität, solche Relativierung i n Grenzen halten muß und daß es — irgendwo — eben doch feste Grenzen für solche Werte geben muß. Zu Werten bekennt man sich, zu etwas wesentlich Variablem kann man sich nicht bekennen, zum Relativismus kann man sich bekennen, zum Relativierten nie, es ist das „wesentlich Bekenntnisunwürdige". Eigent u m als Wertentscheidung verlangt feste, unbedingte Grenzen des Eigentums, wo immer sie i m einzelnen liegen mögen. Die Sozialbindungskompetenz des Gesetzgebers ist nicht der Wertgehalt des Eigentums. Grundsatzentscheidungen orientieren nicht nur vage, sie müssen — entscheiden; dies aber ist unmöglich, wenn ihre Begriffe nicht, irgendwo, doch feste Konturen haben. Die Eigentumsfreiheit kann nicht als Grundsatzentscheidung den gesamten so vielfältigen Bereich privater Vermögenswerte bestimmen und ordnen, wenn sie selbst grundsätzlich relativiert ist — und zwar gerade durch das, was sie „ordnen" soll, durch die sozialbindende Gesetzgebung. Hier nützt keine Begriffsakrobatik von „Spannungsverhältnissen", „Wechselwirkungen", „Öffnungen", i n der heute leider das öffentliche Recht so häufig jede Begriffsklarheit zu verlieren droht. Wer nicht von einem festen Eigentumsbegriff der Verfassung ausgeht, für den ist das Eigentum nicht ein Ordnungsfaktor, sondern die Beschreibung des jeweiligen Gesetzgebungszustandes. Jede Norm der Verfassung, welche den Namen „Grundentscheidung" verdient, muß m i t der Rechtsstaatlichkeit vereinbar sein 1 5 2 ; gerade die bei einer Grundentscheidung notwendige Allgemeinheit und das einer Wertentscheidung immanente Ubergreifen i n außerrechtliche Bereiche ist nur erträglich, wenn jene Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit der Normwirkung erhalten bleibt, welche die Rechtsstaatlichkeit voraussetzt. Wie aber sollte dies bei einem Begriff des Eigentums der Fall sein, der zur Disposition des Gesetzgebers stünde, dessen Konturen je nach Evolution variabel wären oder der jeweils nach den herrschenden sozialpolitischen Anschauungen zu bestimmen wäre? Zu der Aussage aber, daß sich das Eigentum nach der Entwicklung der (sozial-)politischen Anschauungen richten müsse — dazu bedarf es weder der Verfassung, noch überhaupt einer Norm. Wer das Eigentum hochtrabend als Wert- und Grundentscheidung bezeichnete, es zugleich jedoch nur als einen Verweisungsbegriff auf ständig Wechselndes auffaßte, der würde sich einer irreführenden Auslegung schuldig machen, die gerade das Gegenteil von jener normativen Sicherheit wäre, welche die Rechtsstaatlichkeit verlangt und ohne die eine Verfassung überhaupt keinen Sinn hat. 152 A u f die Notwendigkeit der Übereinstimmung der Eigentumsgarantie m i t der Rechtsstaatlichkeit weist besonders h i n BVerfG DVB1 1962, S. 637.
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C. Sozialbindung — Enteignung nach geltendem Recht
Wenn das GG i n dieser Grundsatz- und Wertentscheidung das Eigentum ganz allgemein noch weitergehend hat sichern wollen als die Weimarer Verfassung 153 , so kann das Eigentum nicht nur keine variable Rechtsposition sein, es muß vielmehr eine besondere Begnffsfestigkeit aufweisen, welche dem Druck entspricht, unter dem sozialpolitisch das Eigentum steht. Und dies war weder den Verfassunggebern von Weimar noch denen von Bonn unbekannt. Ergebnis dieses Kapitels über die mögliche Variabilität des Eigentumsbegriffs ist also: Es ist von einem festen Begriff des verfassungsrechtlich geschützten Eigentums auszugehen, der weder i n vollem Umfang zur Disposition des Gesetzgebers steht, noch einer wie immer verstandenen „Entwicklung" i n irgendeiner Weise weiter geöffnet ist, als dies auch bei anderen Verfassungsbegriffen der Fall ist. Vieles spricht umgekehrt sogar für eine besondere Festigkeit des Eigentumsbegriffs. „Beweglich" ist er, über den auch sonst i m Recht beachtlichen Wechsel der „allgemeinen A n schauungen" hinaus, allenfalls insoweit, als die wissenschaftlich-technische Entwicklung für die Abgrenzung des Bereichs der Sozialbindung von Bedeutung sein kann. Doch werden dadurch i n der Regel nicht neuartige Beschränkungen gerechtfertigt, das Vertrauen der Betroffenen ist zu beachten und (sozial-)politische Gesichtspunkte können hier keine Rolle spielen. Das Problem der Abgrenzung der Sozialbindung von der Enteignung bleibt also i n vollem Umfang bestehen. Es kann nicht durch eine Relativierung des Eigentumsbegriffs aufgehoben werden. Weil das Eigentum ein „fester Begriff ist", muß auch eine feste Abgrenzung möglich sein. Daher müssen Kriterien aufgesucht werden, welche eine möglichst klare, eindeutige Grenzziehung gestatten. I n diesem Sinn sollen nun i n den folgenden Kapiteln bisher eingesetzte Abgrenzungskriterien kritisch untersucht werden. II. Sozialbindung und „allgemeine Sozialvorbehalte der Verfassung" I n Ausübung der i n A r t . 14 Abs. I GG i h m erteilten Ermächtigung muß der Gesetzgeber sowohl die Wertentscheidung des GG zugunsten des Privateigentums beachten, wie auch alle übrigen Normen und Wertentscheidungen der Verfassung (Hervorh.v. Verf.) 1 5 4 . Verfassungsnormen, 153 B G H GZ 6, S. 270 (278): „ . . . wobei A r t . 14 GG allerdings i n bezug auf die Enteignung u n d die allgemeine inhaltliche Begrenzung des Eigentums den Schutz gegenüber dem Gesetzgeber noch stärker betont als A r t . 153 W V " . Ebenso Stein, E., Z u r Wandlung des Eigentumsbegriffs, Festschr. f. Gebh. Müller, 1970, S. 503 (514). 154 Vgl. unten, E.
I I . Sozialbindung u n d „allgemeine Sozialvorbehalte der Verfassung"
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welche eine eindeutige Konkretisierung der Sozialpflichtigkeit des Eigentums i m Sinne eines Abgrenzungskriteriums brächten, sind nicht ersichtlich. Wohl aber werden gewisse Verfassungsgrundsätze häufig i m Zusammenhang m i t A r t . 14 Abs. I und I I GG genannt, welche man als „allgemeine Sozialvorbehalte" bezeichnen könnte. Es handelt sich dabei u m die Sozialstaatlichkeit (i. folg. 1.), die Sozialisierungsklausel (i. folg. 2.), um den „allgemeinen Gemeinschaftsvorbehalt" (i. folg. 3.) und, meist i n Zusammenhang mit diesem, u m das Problem der „Freiheit anderer" als Einschränkungsvorbehalt für das Eigentum (i. folg. 4.). Es fragt sich, ob diese Verfassungsbestimmungen eine Abgrenzung der Sozialbindung i m Sinne einer Konkretisierungshilfe orientieren können, oder ob sie gar zusätzliche, eigenständige Beschränkungsvorbehalte gegenüber dem Privateigentum darstellen. 1. Sozialstaatlichkeit und Sozialbindung
a) Das Bekenntnis des GG zur Sozialstaatlichkeit i n Verbindung mit der Sozialbindung des Eigentums zu bringen, liegt nah. Es überrascht daher, daß bisher weder die Rechtsprechung noch das Schrifttum versucht haben, vertiefend oder gar systematisch die Grenze von Sozialbindung und Enteignung unter Heranziehung dieser Staatsformbestimmungsnorm festzulegen. Das BVerfG deutet lediglich an, daß bei der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums das Prinzip der Sozialstaatlichkeit „zu beachten" sei 1 5 5 , ohne daß auch nur irgendwie näher dargetan wird, was dies nun normativ bedeuten solle. BGH und BVerwG haben i n ihren Abgrenzungsformeln die Sozialstaatlichkeit nicht einmal erwähnt. Auch das Schrifttum, welches sich thematisch spezialisiert m i t dem Eigentum befaßt, argumentiert hier i m einzelnen bei der Abgrenzung Sozialbindung — Enteignung nicht aus der Sozialstaatlichkeit 156 . Eine Verbindung zwischen Sozialstaatlichkeit und A r t . 14 GG w i r d vielmehr, soweit ersichtlich, allenfalls dort gezogen, wo nicht das Eigentum, sondern die Sozialstaatlichkeit i m Mittelpunkt der Betrachtung steht. Doch hier w i r d nur in sehr allgemeinen Formulierungen die Sozialpflichtigkeit des Eigentums als eine Konkretisierung der Sozialstaatlichkeit bezeichnet 1 5 7 , wenn nicht gar aus der Sozialstaatlichkeit nur Aspekte abgeleitet iss BVerfGE DVB11962, S. 637. 156 oder n u r sehr allgemein, vgl. etwa Stein, Er. (FN 153), S. 515; Bielenberg, W., Verf.rechtl. Eigentumsgarantie u n d Sozialbindung i m Städtebau usw., DVB11971, S. 441 (445), 446; Bender, B. (FN 98), S. 1299. 157 So etwa Hesse, K., Grundzüge des Verfassungsrechts der BRD, 5. A u f l . 1972, S. 86; Maunz, Th., Deutsches Staatsrecht, 18. Aufl., 1971, S. 74/5; Stein, Ek., Lehrbuch d. Staatsrechts, 2. Aufl., 1971, S. 173.
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C. Sozialbindung — Enteignung nach geltendem Recht
werden, welche u. a. auch eine Beschränkung des Eigentums bedeuten könnten 1 5 8 . M i t solchen Bemerkungen ist jedoch für eine nähere Festlegung des Bereichs möglicher Sozialbindung nicht das Geringste gewonnen. Es handelt sich hier u m Aussagen, welche — leider — i m öffentlichen Recht immer mehr Mode, von der Rechtsprechung aber m i t Recht nicht übernommen werden — sie sind allenfalls Staatsformbeschreibungen, aber keine Hilfe bei der Entscheidung durch Normanwendung. Und wenn angedeutet wird, die Sozialstaatlichkeit könne weiter führen als der Sozialbindungsvorbehalt 1 5 9 — wohin, wie weit? Wenn das Sozialstaatsprinzip dazu führen soll, daß beim Eigentumsgebrauch das Gewinnerzielungsprinzip hinter dem Bedarfsdeckungsgrundsatz zurücktreten soll 1 6 0 , so kann dies i n solcher Allgemeinheit doch höchstens für die öffentliche Leistungsverwaltung, vielleicht noch für Wirtschaftsbetriebe der öffentlichen Hand oder Fiskaltätigkeit zutreffen. Als Grundsatz privaten W i r t schaftens würde es zur vollen Zentralverwaltungswirtschaft führen — denn wer bestimmt denn i n unserem Wirtschaftssystem den „Bedarf"? b) Bisher ist aus dem Prinzip der Sozialstaatlichkeit überhaupt noch nichts unmittelbar Normatives abgeleitet worden, was die Abgrenzung der Sozialbindung orientieren könnte. Soweit die Sozialstaatlichkeit allgemeine staatliche Interventionsermächtigung sein soll, ist A r t . 14 Abs. I und I I GG die speziellere Norm. Wenn unter sozialstaatlicher Gestaltung nur ein gewisser Minimalschutz für jeden verstanden werden soll, so richtet sich dieser Anspruch an einen Staat, der i h n m i t Steuermitteln befriedigen mag. Es ist nicht ersichtlich, warum es gerade dazu von der Sache her zwingend der Sozialbindung des Eigentums Dritter bedürfte. Die Proklamation der Sozialstaatlichkeit hat für die Sozialbindung nichts Neues gebracht 161 . Dies ist auch gar nicht möglich, denn die Sozialstaatlichkeit ist eben, soweit sie überhaupt rechtlich f aßbar ist, die weitere Norm, welche durch die lex specialis des A r t . 14 GG konkretisiert wird, ihrerseits also nichts zur Konkretisierung der Sozialbindung des Eigentums beitragen kann. Die Sozialstaatlichkeit fügt A r t . 14 GG auch nichts hinzu 1 6 2 . 158 So etwa beim Umweltschutz — aber sehr zurückhaltend — Rehbinder, E., Grundfragen des Umweltrechts, ZRP1970, S. 250 (252). 159 Maunz, aaO. 180 Stein, Ek., aaO, S. 194. 161 So m i t Recht Seilmann, M . (FN 92), S. 1692. 162 Die Beweisführung v o n Forsthoff, E., Begriff u n d Wesen des sozialen Rechtsstaates ( W d S t L 12 [1954], S. 8 [28]) ist bisher noch nicht widerlegt w o r den: „Deshalb bedarf es des Rückgriffs auf A r t . 20 Abs. I GG nicht, w e n n das Grundrecht bereits einen sozialen Vorbehalt enthält. Dies t r i f f t f ü r die Eigentumsgarantie z u . . . Wollte m a n zusätzlich zu dieser Sozialbindung noch die Berufung auf A r t . 20 Abs. I GG zulassen, so ergäbe sich damit die Duplifizierung der sozialen Bindung, die nicht dem Sinne des GG entsprechen kann."
I I . Sozialbindung u n d „allgemeine Sozial vorbehalte der Verfassung"
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Es entspricht heute politischer Mode, die Sozialstaatlichkeit zu bemühen, u m eine Verstärkung der Sozialbindung zu verlangen. Alles, was sozialpolitisch wünschbar erscheint, w i r d sogleich auch als eine normative Folge der Sozialstaatlichkeit ausgegeben oder durch diese legitimiert. Über Sozialpolitik ist hier nicht zu handeln. Einer derartigen Blankonormifizierung sozialpolitischer Wünsche durch Berufung auf die Sozialstaatlichkeit muß jedoch entschieden widersprochen werden. Dies ist auch keine Frage des „Wissenschaftsbegriffs" oder eines sozialpolitischen Vorverständnisses der Grundrechte. Es ist nichts als die nüchterne Feststellung, daß es bisher der Norminhalt des Sozialstaatsprinzips nicht gestattet, die Sozialbindung des Eigentums i n irgendeiner Weise zu erweitern. Dies könnte sich nur ändern, wenn das Sozialstaatsprinzip normativ weiterentwickelt würde, was praktisch wohl nur durch Grundsatzentscheidungen des BVerfG möglich wäre. Umgekehrt eine Fortentwicklung der Sozialstaatlichkeit durch eine Dynamisierung der Sozialbindung anzustreben — das ist nur i m Rahmen von A r t . 14 GG möglich; und zu dessen Bestimmung ergibt die Sozialstaatlichkeit nichts. Die gesamte Grundstimmung der Eigentumsdiskussion würde sich verändern, wenn man endlich dieser klaren normativen Lage Rechnung tragen und nicht mehr von der Sozialstaatlichkeit ausgehen wollte, wenn es gilt, Sozialbindung zu definieren. Von Juristen müßte dies erwartet werden dürfen — die Politik mag ihren Gesetzen folgen. 2. Sozialisierung und Sozialbindung
a) A r t . 15 GG stellt die Sozialisierungsfähigkeit der wichtigsten W i r t schaftsgüter fest. Daraus könnten sich, unabhängig von einem Sozialisierungsvollzug, Folgerungen für die Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums an sozialisierungsreif en Wirtschaftsgütern ergeben 163 . I n der Tat w i r d die Sozialisierung nicht nur, ähnlich wie die Sozialbindung (vgl. oben 1.) als Konkretisierung der Sozialstaatsentscheidung erw ä h n t 1 6 4 oder als „Beschränkung der Eigentumsgarantie" bezeichnet 165 ; aus i h r soll auch folgen, daß die sozialisierungsfähigen Güter anderem Eigentum gegenüber einer gesteigerten Sozialbindung unterliegen 1 6 6 . Überdies soll es zwischen der Sozialbindung nach A r t . 14 GG und der 163
So Maunz, Th. (FN 157), S. 182. Hamann, Α., Dt. Wirtschaftsverfassungsrecht, 1958, S. 164; Ipsen, H. P., Enteignung u n d Sozialisierung, W d S t L 10, S. 74 (110); Kimminich , Ο., B K A r t . 15 (Zweitbearb. 1965), Rdnr. 21. 165 So etwa Hamann, Α., aaO; Jerusalem, F., Das B G G u n d die hessische Sozialisierung, N J W 1950, S. 210 (212). 166 Ipsen, H. P., aaO, S. 95. 184
5 Leisner
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C. Sozialbindung — Enteignung nach geltendem Recht
Enteignung nach A r t . 14 Abs. I I I GG noch einen Bereich geben, i n welchem „gemeinwirtschaftliche Eigentumsbindungen" zulässig sein sollen und für sie eine besondere Entschädigungsabwägung stattfinden soll 1 6 7 . Eine derartige Bedeutung der Sozialisierung für die Sozialbindung — generelle Steigerung und „Übergang" zur Enteignung über eine Z w i schenzone „gemeinwirtschaftlicher Sozialbindung", für welche die Entschädigungsverpflichtung aus der Enteignung nicht gelten würde — könnte jedoch nur anerkannt werden, wenn die Sozialisierung entweder selbst eine Form der Sozialbindung wäre oder doch zwischen deren Bereich und dem durch die Enteignung gesicherten Eigentumskern anzusiedeln wäre. Erst dann könnte gefragt werden, w o r i n die erwähnte „Steigerung der Sozialbindung" bei den sozialisierungsfähigen Gütern besteht oder welche A r t von Entschädigungsabwägung nun „zwischen Sozialbindung und Enteignung" am Platz sein soll. Wenn dagegen die Sozialisierung nur eine Form der Enteignung ist, so steht sie nicht zwischen dieser und der Sozialbindung. Nach der bisherigen Diskussion i m Schrifttum u m die Sozialisierung — die Rechtsprechung hat noch keine bedeutsamen Beiträge liefern können — ist davon auszugehen, daß die Sozialisierung eine Form der Enteignung ist, sich von der Sozialbindung des Eigentums durch Gesetz jedoch ihrem Wesen nach unterscheidet. Dies ergibt sich vor allem aus der Entschädigungspflicht bei Sozialisierungsmaßnahmen (im folg. b), aber auch aus Voraussetzungen und Zielen der Sozialisierung (im folg. c). b) Wesentlich für Sozialbindungsmaßnahmen ist es, daß die grundsätzliche Entschädigungspflicht entfällt, während die Enteignung ein Recht auf Entschädigung verleiht. Wie hoch diese allerdings ist, das ist ein zweites, besonderes Problem innerhalb des Enteignungsrechts, das begrifflich nichts m i t der Abgrenzung Sozialbindung — Enteignung zu t u n hat. Die Frage nach der Höhe der Entschädigung erhebt sich erst, wenn das Vorliegen einer Enteignung bejaht wird. Für den Bereich der „klassischen" Enteignung w i r d durchaus nicht allenthalben vom Prinzip der „vollen" Entschädigung ausgegangen 168 . Es gilt aber die Gleichung: Wo Enteignung — da Entschädigung; aber auch umgekehrt: Wo Entschädigung — da nicht Sozialbindung, sondern Enteignung. Nach diesen Prämissen ist nun die Sozialisierung eindeutig Enteignung; die Entschädigungspflicht ist, soweit ersichtlich, noch nie ernstlich vollständig abgelehnt worden 1 6 9 , wenn auch manchmal behauptet wurde, daß 167
Dazu Ipsen, H. P., aaO; vgl. auch Hamann-Lenz, Das GG der BRD, 3. Aufl., 1970, A r t . 15 Β 6; Benda, E., Industrielle Herrschaft u n d sozialer Staat, 1966, S. 371/2. ice v g l dazu unten Exkurs nach I I I , 3. i6· £ j u r vereinzelt w i r d behauptet, der Gesetzgeber müsse hier „ v ö l l i g freie H a n d haben" (so Apelt, W., Betrachtungen zum BGG, N J W 1949, S. 481 [482],
I I . Sozialbindung u n d „allgemeine Sozialvorbehalte der Verfassung"
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sie geringer sein könne als bei der Enteignung 1 7 0 . Diese Autoren übernahmen zum Teil noch Vorstellungen der Weimarer Zeit oder sie wollten, angesichts der schweren Wirtschaftsprobleme i m Nachkriegsdeutschland, die Norm des A r t . 15 GG nicht an der faktischen Unmöglichkeit voller Entschädigung völlig scheitern lassen 171 . Demgegenüber setzte sich jedoch bald eine heute herrschende Auffassung durch, nach welcher die Entschädigung i m Fall der Sozialisierung derjenigen entsprechen muß, welche bei Enteignung geschuldet w i r d 1 7 2 . I m entscheidenden Punkt besteht daher kein Unterschied mehr zwischen Enteignung und Sozialisierung. Auch die „Zwischenbereiche" der sozialisierenden Maßnahmen ohne Überführung i n Gemeineigentum 173 sind begrifflich nicht „Sozialbindung zur Sozialisierung", sondern eben deutlich Sozialisierung, weil auch für sie Entschädigung geschuldet wird, mag diese auch anders bemessen werden, als i n (anderen) Fällen der Enteignung. Allerdings kann es auch sozialisierende Sozialbindungen geben — aber sie bleiben dann eben i m Rahmen der allgemeinen Sozialpflichtigkeit, Entschädigung kommt nicht i n Betracht 1 7 4 . Die Abgrenzung solcher Formen von Enteignung/Sozialisierung erfolgt nach den allgemeinen Kriterien 1 7 5 . Weder gibt es also echte „Zwischenstufen" zwischen Enteignung und Sozialisierung, noch kann die Sozialisierung die Sozialbindung des Eigentums begrifflich steigern, weil sie ja nichts als Enteignung ist. Enteignung aber kann Sozialbindung, als deren logischer Gegenbegriff, nicht intensivieren. der jedoch n u r v o n der, insoweit anderen Lage der Weimarer Zeit ausgeht); oder die Entschädigung sei „ i n v i e l höherem Grad Ermessensfrage" (so v. NeilBreuning, O., „Sozialisierung", Staatslexikon, 6. Aufl., V I I , 1962, Sp. 295 [299] — jedoch w e i t mehr m i t wirtschaftlicher u n d ethischer, als m i t juristischer Begründung); oder die Entschädigung habe „notorischen Billigkeitscharakter" (Ridder, H., Enteignung u n d Sozialisierung, V V D S t R L 10 [1952], S. 124 [141] — doch auch er geht offensichtlich davon aus, daß „dem Grunde nach" E n t schädigung geschuldet werde [vgl. aaO, S. 145]). 170 Vgl. neben den i n F N 169 Genannten noch Ballerstedt, K., Sozialisierung (III) Rechtl. Problematik, HdSW I X , 1956, S. 479; Weber, W., Z u r Problematik von Enteignung u n d Sozialisierung nach neuem Verfassungsrecht, N J W 1950, S. 401 (402); eine „bloße Nominalentschädigung" w i r d jedoch als „jedenfalls grundgesetzwidrig" angesehen von v. Mangoldt-Klein, BGG, I, 2. Aufl., 1966, S.472. 171 So ersichtlich Weber, W., aaO. 172 Grundlegend: Krüger, H., Sozialisierung, i n : Die Grundrechte I I I / l , 1958, S. 267 (312); vgl. ferner Kimminich, O. (FN 164) Rdnr. 24; Giese, F., Z u r Frage der Enteignungsentschädigung nach dem BGG, N J W 1950, S. 290 (292); vgl. auch Stein, Er. (FN 153), S. 514; Seilmann , M. (FN 92), S. 1691; Hamann, Α . (FN 164), S. 169; v. Mangoldt-Klein (FN 170), S. 472. 173 Vgl. oben F N 165. 174 v. Mangoldt-Klein , aaO, S. 472. 175 So Benda (FN 167), aaO. 5·
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C. Sozialbindung — Enteignung nach geltendem Recht
c) Die Sozialisierung steht aber auch nach ihren Zielen bei der Enteignung, nicht bei der Sozialbindung oder zwischen beiden. Dies gilt, wie immer man das Wesen der Sozialisierung auffassen mag. Daß Art. 15 GG nicht zur allgemeinen Wirtschaftslenkung legitimiert, w i r d mit Recht angenommen 176 — schon darin aber zeigt sich deutlich der Abstand zur Sozialbindung. Für diese ist es gerade wesentlich, daß sie der Raum ist, i n dem sich staatliche Wirtschaftslenkung legitimerweise vollzieht. Sozialbindung ist etwas „Normales", Laufendes, wie immer man diese Begriffe verstehen mag, die Sozialisierung ist es nicht. Sozialbindung meint ein Ordnen, Sozialisieren ein Verändern. Doch die Unterschiede lassen sich noch konkreter fassen. Wer Sozialisierung nur zulassen w i l l , u m „konkrete Mißstände" zu beseitigen 177 , wer sie als ein Ventil i n Notzeiten 1 7 8 oder gar als einen A k t der sozialen Gerechtigkeit gegen gemeinschaftsschädliches Verhalten auffaßt 1 7 9 , für den liegt das Wesen der Sozialisierung i n konkret-situationsgebundenen Maßnahmen, denen i n jedem Falle eine gewisse „Einmaligkeit" eigen ist, zugleich wohl auch die Absicht der unwiderruflich-endgültigen Entscheidung. A l l dies aber charakterisiert — das läßt sich schon hier sagen — doch weit mehr die Enteignung als die Sozialbindung. Diese letztere ist ein laufender wirtschafts- oder gesellschaftspolitischer Steuerungsvorgang in verschiedenen Richtungen, während gerade der Enteignung umgekehrt das Ziel der Beseitigung konkreter Schwierigkeiten oder gar Mißstände durch „endgültige Maßnahmen" eigentümlich ist. Die Gleichung Sozialisierung — Enteignung bleibt jedoch auch, ja erst recht, dann bestehen, wenn man die Vergesellschaftung nicht als Lösung von Einzelkonflikten 1 8 0 sieht, sondern als planmäßige und umfassende Umgestaltung der gesamten Eigentumsordnung 181 , sei es nun auf evolu176
Kimminich, O. (FN 164), Rdnr. 37; Hamann-Lenz, Das GG f ü r die BRD, 1970, A r t . 15 A 16; v. Mangoldt-Klein, BGG, S. 463. 177 „ M i t dem GG sind nur, aber auch alle diejenigen Motive der Vergesellschaftung vereinbar, denen es u m die Ausräumung konkreter Mißstände geht, die auf andere Weise nicht zu beheben sind." Krüger, H. (FN 172), S. 285. 178 So etwa Maunz-Dürig-Herzog, GG, A r t . 15, Rdnr. 7. 179 Vgl. etwa Ridder, H. (FN 169), S. 140; v. Nell-Breuning, Ο. (FN 169), Sp. 297, anders allerdings die heute ganz h. L., nach der die Sozialisierung nichts m i t einem V o r w u r f sozialschädlichen Verhaltens zu t u n hat (vgl. u. a. Krüger, H. (FN 172), S. 306; Kimminich, Ο. (FN 164), Rdnr. 16; Hamann-Lenz, Das GG, A r t . 15 Β 2; ν. Mangoldt-Klein, BGG, S. 460; Model-Müller, GG f ü r die BRD, 6. Aufl., A r t . 15 A n m . 3; Maunz-Dürig-Herzog, GG, A r t . 15 Rdnr. 22). Dasselbe gilt aber auch f ü r die Enteignung. 180 A n Einzelkonflikte v o r allem denken w o h l auch diejenigen, welche die Sozialisierung zur Verhinderung gemeinschaftsgefährdender Machtballungen einsetzen wollen, vgl. etwa Eschenburg, Th., Staat u n d Gesellschaft i n Deutschland, 4. Aufl., 1960, S. 443; Weber, W., N J W 1950, S. 401 (402); Kimminich, O. (FN 164), Rdnr. 21 ; Krüger, H. (FN 172), S. 285.
I I . Sozialbindung u n d „allgemeine Sozialvorbehalte der Verfassung"
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tionäre 1 8 2 oder gar auf revolutionäre Weise 1 8 3 : Gerade dann bedeutet doch die Sozialisierung schwerstwiegende Eingriffe i n bestehende Eigentumsverhältnisse, dann gerade w i r d sie doch recht eigentlich zu einer „Massenenteignung". Wenn aber der völlige Entzug einzelner Rechtspositionen nach heute ganz unbestrittener Auffassung jedenfalls Enteignung ist 1 8 4 , so kann doch wohl nicht ein Vorgang anders beurteilt und damit dem Bereich der Sozialbindung zugeordnet werden, bei dem i n unvergleichbar viel größerem Umfang Eigentum entzogen w i r d — nämlich die Sozialisierung. Dies wäre nur möglich, wenn hier nach der Verfassung keine Entschädigungspflicht bestünde. Daß dies unrichtig ist, wurde bereits (oben a) nachgewiesen. Wenn aber nach der Rechtsfolge Enteignung und Sozialisierung gleichstehen, so kann doch nicht die Vergesellschaftung allein deshalb anders behandelt werden, weil sie i n größerem Umfang oder allgemeiner, also mehr Bürger t r i f f t 1 8 5 . Das würde ja zu dem widersinnigen Ergebnis führen, daß man den „kleinen Eingriff" m i t allen möglichen Sicherungen umgibt, nicht aber den größeren — dies wäre nichts als eine Ermunterung für den Gesetzgeber, zum sozialverändernden Morgenstern zu greifen. Und dies sollte eine Verfassung gewünscht haben, der das Eigentum Schutzgut eines Grundrechts ist? Überdies könnte man nur dann die Sozialisierung zur Sozialbindung zählen oder m i t dieser auch nur i n Zusammenhang bringen, wenn man das „Eigentum als solches" (wenigstens für die vergesellschaftungsfähigen Güter) generell unter den Vorbehalt stellen wollte, daß es völlig entzogen, daß die bestehende Eigentumsordnung vollständig verändert werden kann. Dies würde jedoch eine weit radikalere Relativierung des Eigentumsbegriffs bedeuten als jede Form der bereits oben (I) kritisierten Variabilitätslehren. Ein Eigentumsrecht, das unter dem Sozialvorbehalt der völligen Entziehung, ja Vernichtung stünde, hätte grundrechtlich auch nicht den geringsten Sinn mehr. Je stärker also — übrigens m i t vollem Recht — die außerordentliche Wirkung der Sozialisierung betont wird, desto deutlicher t r i t t der Ausnahmecharakter der Vergesellschaftung hervor, von dem aus schon methodisch nicht auf den „Normalzustand" geschlossen werden darf, i n dem das Eigentum der Sozialbindung unterliegt. 181 Ipsen, H. P. (FN 164), S. 75; Ballerstedt, Κ . (FN 170), S. 478; Weber, W., aaO, S. 402; Hamann-Lenz, GG, A r t . 15 Β 2; Model-Müller, GG, A r t . 15 Anm. 3; Maunz, Th., Dt. Staatsrecht, 18. Aufl., 1971, S. 181; v. Plessen, Chr.-F., Qualifizierte Mitbestimmung u n d Eigentumsgarantie, Heft 50 der F I W - S c h r i f tenreihe, 1969, S. 95; a. A . Kimminich, O. (FN 164), Rdnr. 37. 182 v. Mangoldt-Klein, BGG, S. 462. 183 Weber, W., N J W 1950, S. 401 (402); Apelt, W., N J W 1949, S. 481 (482); dagegen Krüger, H. (FN 172), S. 282. 184 Dazu unten D. 185 Z u diesem letzteren Aspekt vgl. unten I V .
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C. Sozialbindung — Enteignung nach geltendem Recht
Ziel und Wirkung der Sozialisierung rücken dagegen diese Maßnahme, ebenso wie die Entschädigungspflicht, ganz eindeutig i n die Nähe der Enteignung. Weder kann sich also aus A r t . 15 GG eine gesteigerte Sozialbindung der sozialisierungsfähigen Güter ergeben, noch liegt der Sozialisierungsbereich irgendwie „als Übergang" zwischen Enteignung und Sozialbindung — ganz abgesehen davon übrigens, daß bisher auch nicht i n Ansätzen angedeutet wurde, worin denn nun eine solche Intensivierung oder Erweiterung der Sozialbindung konkret bestehen könnte. Dies aber muß gar nicht mehr weiter untersucht werden, denn: Sozialisierung bedeutet für die Sozialbindung nichts, sie ist nichts als eine Form der Enteignung. d) Bleibt allerdings die — hier nicht i n extenso zu behandelnde — Frage, weshalb dann neben der Enteignung noch ein besonderes „Institut" der Sozialisierung hat geschaffen werden müssen, wenn die Rechtsfolgen i n beiden Fällen gleich, die Voraussetzungen bei der Sozialisierung m i t Sicherheit enger zu fassen sind als bei der Enteignung. Dazu hier, unter Vorbehalt der Vertiefung, nur so viel: Die Sozialisierung ist nicht eine „erleichterte" Enteignung — als solche könnte sie ja sogar als „Übergang" zur Sozialbindung angesehen werden. Die Bedeutung des A r t . 15 liegt vielmehr auf einer ganz anderen Ebene, die bisher, soweit ersichtlich, noch gar nicht gesehen worden ist: Die Sozialisierungsklausel deckt gewisse Formen der „Massen"-, „Global"» oder „Kategorieenteignungen" gegen den Vorwurf der Verfassungswidrigkeit ab, der sonst auf Grund von Art. 12 GG gegen sie erhoben werden könnte. Die Berufs- und Gewerbefreiheit gestattet es dem Gesetzgeber nicht, objektive Berufssperren einzuführen, es sei denn, dies sei zum Schutz überragend wichtiger Gemeinschaftsgüter zwingend erforderlich 1 8 8 . Sozialisierungen w i r k e n sich jedoch i n der Regel, sektoral oder total, als Berufssperren aus — die vergesellschafteten Güter können nicht mehr von Privaten zur Grundlage ihrer Berufstätigkeit gemacht werden, womit das Ergreifen einer Reihe von „typischen" Berufen objektiv unmöglich gemacht wird, weitere Berufsbilder i n diesen Bereichen nicht mehr geschaffen werden können. Ob die Vergesellschaftung stets dem Schutz eines überragend wichtigen Gemeinschaftsgutes dient, w o r i n dieses überhaupt gefunden werden sollte, mag schon sehr zweifelhaft sein; daß gerade die Vergesellschaftung, unter Berücksichtigung des Übermaßverbotes, zu solchem Schutz „zwingend erforderlich" sei, würde sich wohl kaum je erweisen lassen.
18· BVerfGE 7, S. 398 f. (Apothekenurteil).
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Sozialisierungen wären damit i n aller Regel verfassungswidrig — wenn hier nicht A r t . 15 GG eingriffe. Diese Vorschnft ist daher nichts anderes als ein zusätzlicher Gesetzesvorbehalt zu Art. 12 GG, als solcher ist sie aber auch von eminenter Bedeutung 1 8 7 . Die Väter des GG mögen dies 1949 nicht erkannt haben — sie konnten ja auch die „Stufenlehre" des BVerfG, die heutige Auslegung des A r t . 12 GG, nicht ahnen. Nach der gebotenen objektiven Interpretation ist dies jedoch heute der Sinn der Sozialisierungsklausel. Diese erweitert also i n keiner Weise den Bereich der Enteignung, sie hat daher auch unter diesem Aspekt keinerlei Bedeutung für die Abgrenzung von Enteignung und Sozialbindung und damit für die Bestimmung der letzteren. Die rechtsdogmatische Bedeutung dieser Aussage mag nicht allzu groß sein — was könnte man denn schon de lege lata aus einer so wenig konkretisierten Norm wie A r t . 15 GG, die bisher noch nie angewendet worden ist, zur näheren Konkretisierung einer Abgrenzung gewinnen, welche tagtäglich die Gerichte beschäftigt? Doch bedeutsam ist das rechtspolitische, vielleicht sogar das allgemein politische Gewicht der Feststellung, daß von Sozialisierung nicht die Rede sein darf, wenn über Sozialbindung gesprochen wird. Die Sozialisierungsklausel w i r d eben sehr häufig i n sozial-politischer Diskussion eingesetzt, u m eine A r t von genereller „Anti-Eigentums-Stimmung" zu erzeugen oder doch einen nicht allzu eigentumsfreundlichen „Geist des Grundgesetzes" zu beschwören. I m Licht der juristischen Dogmatik besehen, löst sich allerdings dieser Geist auf. Und auch zu unterschwelliger Reserveargumentation („wer mehr [sozialisieren] kann, vermag auch weniger [sozial zu binden]") taugt die Sozialisierung nicht. Die Wünsche werden hier nicht durch Normen gestützt. 3. Der „allgemeine Gemeinschaftsvorbehalt" und die Sozialbindung
Die Sozialbindung des Eigentums w i r d heute häufig i n der allgemeinen (sozial-)politischen Diskussion, gelegentlich auch i m Schrifttum 1 8 8 i n Zusammenhang mit einem allgemeinen „Gemeinschaftsvorbehält" gebracht, unter dem die Grundrechte oder einige von ihnen stünden. Es fragt sich hier, ob sich aus einem solchen Gemeinschaftsvorbehalt, und damit aus der allgemeinen Grundrechtsdogmatik, etwas für eine nähere Bestimmung der Sozialbindung des Eigentums ergeben kann. 187 Es mag hier offen bleiben, ob A r t . 15 GG darüber hinaus auch eine Legitimation dafür bietet, daß gewisse Unternehmen u n d Betriebe, welche sich heute i n öffentlicher Hand befinden u n d damit berufssperrend w i r k e n können (etwa Finanzmonopole), nicht privatisiert zu werden brauchen (so v. Nell-Breuning, O. [ F N 169], Sp. 297). 188 Vgl. etwa Weber, W., Umweltschutz i m Verfassungs- u n d Verwaltungsrecht, DVB1 1971, S. 806 (807); Rudolph, K . (FN 97), S. 41 f.
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a) Daß es überhaupt etwas wie einen solchen allgemeinen Gemeinschaftsvorbehalt gibt, w i r d bereits von vielen bezweifelt. Sie lehnen ihn ab, weil er zur einer unerträglichen Relativierung der Grundrechte führe 1 8 9 , wollen das öffentliche Interesse nur über Gesetzesvorbehalte und Vorbehaltsschranken wirken lassen 190 oder sie beschränken derartige „immanente Grundrechtsschranken" auf Maßnahmen des „gefahrenabwehrenden Hoheitsstaates", während sich der sozialgestaltende, wohlfahrtsfördernde Staat nur auf spezielle Einschränkungsvorbehalte berufen dürfe 1 9 1 . Damit aber würde die Bedeutung eines solchen allgemeinen Vorbehalts für das Eigentum i n den meisten Fällen entfallen. Soweit nur i m Sinne einer „Konkordanz" verlangt wird, daß „die verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgüter i n der verfassungsrechtlichen Problemlösung einander so zugeordnet werden, daß jedes von ihnen Wirklichkeit gewinnt" 1 9 2 , w i r d allenfalls einem allgemeinen Gemeinschaftsvorbehalt i n dem Sinne das Wort geredet, daß durch die Berufung auf ein Grundrecht nicht andere ebenfalls grundrechtlich geschützte Interessen beeinträchtigt werden dürfen. Dazu vgl. jedoch unten 4. Eine allgemeine Dogmatik eines Gemeinschaftsvorbehalts, der jenseits der speziellen Gesetzesvorbehalte die Grundrechte, und damit auch das Eigentum begrenzt, gibt es nicht 1 9 3 . Nur i n einer Richtung ist überhaupt der Versuch näherer Begründung gemacht worden: I n der Ableitung eines allgemeinen Gemeinschaftsvorbehalts aus A r t . 2 Abs. I GG und der dort normierten Schrankentrias der „freien Entfaltung der Persönlichkeit". Ausgangsproblem waren die vorbehaltlos garantierten Grundrechte 194 — hier mußten „grundrechtsimmanente Schranken" gefunden werden; was lag näher, als auf die Schrankentrias zurückzugreifen, welche sich, schon nach ihrer allgemeinen Formulierung, als Beschränkung aller Grundrechte anbot 1 9 5 ? 189
So etwa Hamann-Lenz, Das GG, Die Grundrechte, Vorbem. Nr. 8. Vgl. v. Mangoldt-Klein, BGG, S. 177/8; Schulte, H. (FN 94), S. 71 ff. 191 So Maunz-Dürig-Herzog, GG, A r t . 2 Rdnr. 87. 192 So Hesse, K., Grundzüge des Verfassungsrechts der BRD, 4. Aufl., 1970, S. 28; Stein, Ek., Lehrb. d. Staatsrechts, 2. Aufl., 1971, S. 261; v. Mangoldt-Klein, BGG, S. 125/7. 193 Aus so allgemeinen Bemerkungen wie der Behauptung, daß jeder Grundrechtsgebrauch rechtswidrig sei, der „überwiegenden Gemeinschaftsinteressen" zuwiderlaufe (Model-Müller, GG 1971, S. 38), oder daß „freiheitsbeschränkende Zwangsgesetze zulässig sind, w e n n überragende Forderungen des Gemeinwohls gewahrt werden müssen" (Huber, E. R., Wirtschaftsverfassungsrecht I, 2. Aufl., 1953, S. 663) läßt sich f ü r einen Gemeinschaftsvorbehalt nichts gewinnen. 194 Dazu etwa Ott, S., Kunstfreiheit u n d Filmbewertung, JuS 1968, S. 459 (462); Maunz-Dürig-Herzog, GG, A r t . 1 Rdnr. 24. 195 I n diesem Sinn, außer den i n F N 194 Genannten, noch u. a. Wolff, H. J., Verwaltungsrecht I, 8. Aufl., 1971, S. 206/7; v. Mangoldt-Klein, BGG, S. 130; 190
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b) Für die Bestimmung der Sozialbindung jedoch ergibt weder ein „allgemeiner Gemeinschaftsvorbehalt" irgend etwas, noch können dafür konkrete Folgerungen aus A r t . 2 Abs. I GG abgeleitet werden. Ein „allgemeiner Gemeinschaftsvorbehalt" ohne Beziehung zu einer Norm des GG ist völlig unfaßbar. Und wenn es ihn gäbe, wäre er m i t Sicherheit noch viel allgemeiner als das Prinzip der „Sozialgebundenheit des Eigentums", könnte also nicht zu dessen Konkretisierung eingesetzt werden. Ein solcher Vorbehalt könnte schließlich nicht von jenem „öffentlichen Interesse" unterschieden werden, dessen Bedeutung für die A b grenzung der Sozialbindung noch gesondert zu untersuchen ist (unten III). Darauf kann insoweit verwiesen werden. Was eine Übernahme der Schrankentrias des Art. 2 Abs. I GG auf Art. 14 GG anlangt, so erheben sich grundsätzliche Bedenken. A r t . 14 GG ist nach der Auffassung des BVerfG als eine lex specialis zu A r t . 2 Abs. I GG zu verstehen 196 . Sowohl das Schutzgut (Eigentumsrecht) ist hier spezieller als das der „allgemeinen Entfaltungsfreiheit der Persönlichkeit", als auch die Schranken bei A r t . 14 GG ganz ersichtlich konkreter sind als die Trias des A r t . 2 Abs. I GG: Sozialgebundenheit und Enteignungsmöglichkeit können daher nicht durch Art. 2 Abs. I GG oder gar durch einen allgemeinen Gemeinschaftsvorbehalt konkretisiert werden, sie sind vielmehr ihrerseits Konkretisierungen der allgemeinen Gemeinschaftsbindung jeder Freiheit. Aus grundsätzlichen dogmatischen Erwägungen muß also einem „allgemeinen Gemeinschaftsvorbehalt" oder „immanenten Schranken aller Grundrechte" jede verdeutlichende Bedeutung für die Sozialbindung abgesprochen werden. Eindeutig ist dies auch, wenn man die Schranken der Trias einzeln betrachtet. Für die „Rechte anderer" geschieht dies unten (4.). Was die „verfassungsmäßige Ordnung" anlangt, so ist sie nach dem BVerfG nur mehr eine Eingriffsermächtigung für jedes formell und materiell i m übrigen verfassungsgemäße Gesetz 197 — dies aber sagt noch weniger über die Grenzen solcher Bindungsmöglichkeit aus, als der bereits sehr weite Begriff der Sozialbindung. Was schließlich das „Sittengesetz" anlangt, so ist es eine derart allgemeine Schranke 198 , daß es allenfalls durch die Sozialstaatlichkeit näher Zippelius, R., B K (Zweitbearb.) A r t . 4, 1966, Rdnr. 65; Schmidt-BleibtreuKlein, Kommentar z. GG, 2. Aufl., 1969, Vorbem. v o r A r t . 1 ; Maunz, Th., Dt. Staatsrecht, 18. Aufl., 1971, S. 112/3. we BVerfGE 6, S. 32 ff. 197 Vgl. F N 196. Das Schrifttum geht hier ζ. T. noch von Vorstellungen einer verfassungsmäßigen Ordnung aus, die durch diese Rspr. überholt sind, vgl. etwa Maunz-Dürig-Herzog, GG, A r t . 2, Rdnr. 19 ff. 198 v g l . dazu neuerdings Erbel, G., Das Sittengesetz als Schranke der G r u n d rechte, 1971, passim.
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bestimmt werden könnte 1 9 9 — und diese ist doch ihrerseits bereits weiter als die i n A r t . 14 normierten Schranken (vgl. oben 1.). I m übrigen ist das Sittengesetz eine „ethische" Schranke, die als solche für das Eigentum wie für alles Recht gilt, doch können daraus kaum dogmatisch greifbare Formeln für eine Abgrenzung von Enteignung und Sozialbindung abgeleitet werden — es sei denn, man verfalle i n den schlimmsten Fehler: Seine (sozial-)politischen Wünsche nicht nur für geltendes Recht, sondern sogar noch für herrschende Moral auszugeben. Daß i m einzelnen das Sittengesetz immer wieder Impulse geben mag, sei hier nicht bestritten. Nur kann daraus keine rechtsdogmatische Patentlösung abgeleitet werden — gerade nicht i n der vielberufenen „pluralistischen Gesellschaft". Auch die Feststellung, daß aus einem „allgemeinen Gemeinschaftsvorbehalt" nichts für den Begriff der Sozialbindung abzuleiten ist, mag, wie schon i m Falle der Sozialisierung (vgl. oben 2. a. E.), dogmatisch nicht überzubewerten sein. Es zeigt sich hier eben nur sehr deutlich, daß die Eingriffsmöglichkeiten, welche Art. 14 GG eröffnet, besondere Gesetzesvorbehalte i m technischen Sinn darstellen. Weit bedeutsamer ist aber wiederum das rechtspolitische Gewicht der Aussage: Es ist unzulässig, sich auf eine allgemeine „Gemeinschaftsbindung" der Grundrechte zu berufen, u m etwa die Sozialbindung irgendwie zu intensivieren oder auf neue Bereiche zu erstrecken. Auch dem „Gemeinschaftsvorbehalt" ist etwas „Atmosphäreschaffendes" eigen — wer möchte schon einer rechtspolitischen Forderung widerstehen, die auf ihn gestützt werden könnte? Was kann man nicht durchsetzen, wenn man „ i n seinem Lichte" A r t . 14 GG interpretiert? Doch all dies ist eben verfassungsrechtlich unzulässig. Aus diesem bis zur Konturlosigkeit verdämmernden Begriff ist für das Eigentum nichts zu gewinnen, dessen Schutz und Einschränkungsmöglichkeiten hier wahrhaft eine lex specialis darstellen — wenn es überhaupt einen allgemeinen Gemeinschaftsvorbehalt geben soll, der ja letztlich nichts anderes ist, als eine höchst gefährliche Relativierung jeglicher Grundrechtlichkeit. Und überdies sollte doch einmal auch methodisch überdacht werden, ob eine „Sinnerfüllung vom Allgemeinen zum Besonderen" überhaupt möglich ist, wie sie heute, meist aus einem unrichtigen Verständnis der Integrationslehre heraus, oft so leichthin betrieben wird. 4. Beschränkung des Eigentums durch die „Freiheit anderer"?
I m Rahmen der Problematik „Eigentum und Gemeinschaftsvorbehalt" verdient jedoch ein Gesichtspunkt besondere Erörterung: die „Rechte 199
Vgl. Erbel, R., aaO, S. 340 f.
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Dritter", vor allem die Freiheit(srechte) anderer als Schranke des Eigentums. Darf Eigentum gebraucht werden, um die Grundrechte anderer zu beschränken oder aufzuheben, kann dies geduldet werden, selbst wenn es nur eine unbeabsichtigte Nebenwirkung des Eigentumsgebrauchs ist? Wenn diese Frage verneint wird, so bezeichnen die Grundrechte anderer Bereiche der Sozialbindung, sie begründen nicht die Enteignung, denn die Gemeinschaft muß dem Eigentümer den Respekt verfassungsgeschützter Rechte Dritter nicht abkaufen. Hier würde sich auch eine greifbare und wirksame Spezialisierung der Sozialbindung ergeben — je nach den vielfachen Freiheitsaspekten, welche der Eigentumsgebrauch berühren könnte. a) Dies ist seit langem die wichtigste (sozial-)politische Stoßrichtung gegen das Eigentum: Wenn dieses eine „Freiheit" verleiht, grundrechtlich legitimiert, ja besonders geschützt wird, so kann es auch nur i m Namen von (anderen) Grundrechten beschränkt oder gebrochen werden. Wer dem Eigentum jedoch Grundrechtscharakter absprechen möchte, der muß doch gerade jene Freiheit i n das Zentrum der Grundrechtlichkeit stellen, i n deren Namen dann das Eigentum aus ihr ausgeschlossen werden kann. Und selbst wer überhaupt nichts hält von Grundrechten und lediglich eine Neuverteilung der Wirtschaftsgüter anstrebt, kann dies doch unschwer i m Namen einer Freiheit tun, die i h m jedenfalls Gefolgschaft bringt und i h n „wenig kostet", weil sie eben — kein Eigentum ist. So kommt denn der Ruf „Wider das Eigentum i m Namen der Freiheit" nicht nur aus den Reihen eines freiheitlichen Sozialismus, sie war auch von jeher eine Forderung marxistischer Kommunisten — insoweit eben, als man auch dort behauptet, gerade den Freiheitsraum der Menschen durch eine andere Eigentumsordnung verändern zu wollen. Doch selbst wenn w i r hier dieses politische, ja ideologische Feld verlassen müssen, auf dem die Entscheidungsschlacht u m das Privateigentum ausgetragen w i r d — das Problem hat bereits eine verfassungsrechtliche, ja i m engeren Sinne eine eigentumsrechtliche Dimension bekommen. Das Eigentum ist allerdings i n der juristischen Diskussion bisher noch kaum i n einen grundsätzlichen Gegensatz zur Freiheit gebracht worden. Das sonst so beliebte Wort „Spannungsverhältnis" könnte hier am Platze sein: So wie die Libertät i n wesentlicher, dauernder Spannung steht zur Egalität, so könnte Ähnliches auch vom Eigentum behauptet werden. Was ist es denn anderes, als eine Möglichkeit, die eigene Freiheit zu beschäftigen, i h r Sinn und Wert zu geben? Und wer m i t dem Eigentum solche Mittel i n seinen Händen hält und andere „von deren Gebrauch ausschließen kann" — schließt er sie damit nicht von der Freiheit aus? Auch diese Problematik — Ausgangspunkt einer Rechts- und Staatslehre des ökonomischen Marxismus — kann hier nicht vertieft werden.
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Sie bedarf jedoch der grundsätzlichen Klärung, nicht nur aus der Sicht der Rechtsphilosophie, sondern auch aus der der Allgemeinen Staatslehre und der Dogmatik des Staatsrechts: Freiheit und Eigentum dürfen nicht i n einem ungelösten Spannungsverhältnis stehen, sie müssen voneinander abgegrenzt werden. Dies aber setzt vor allem voraus, daß der Selbstwert, die eigentumsunabhängige Bedeutung der Freiheit bestimmt werden kann, ebenso wie auch das Eigentum zwar als Schutzgut einer bestimmten Freiheit zu erfassen, nicht aber lediglich als Instrument aller möglichen anderen Freiheiten zu verstehen wäre. I m Staatsrecht gehört diese Aufgabe zu jenem Prozeß der dogmatischen Spezialisierung der einzelnen Freiheiten, die ja grundrechtlich nur i n solcher Verdeutlichung wirksam werden können, nicht aber dann, wenn sie immer nur als Aspekte einer einheitlichen Freiheit erfaßt werden. Dieser dogmatische Spezialisierungsprozeß hat bereits seit langem begonnen, auch beim Eigentum ist er, wenn auch nicht bewußt, i m Gange. Eigentumsschutz kann es eben nur geben, wenn das Eigentum nicht „der Freiheit", sondern anderen Freiheiten gegenüber ein Selbstwert ist. b) I m geltenden Eigentumsrecht ergeben sich allerdings gewisse mögliche Anknüpfungspunkte für eine Beschränkung des Eigentums aus den Grundrechten anderer Rechtsträger. Wenn die Schrankentrias des A r t . 2 Abs. I GG von Bedeutung auch für andere Grundrechte, etwa das Eigentum, sein soll, so bedeutet dies vor allem, daß die „Rechte anderer" i m Wege der Sozialbindung gegen die Eigentümer geschützt werden dürfen 2 0 0 . Denn wie weit immer man den Begriff der „Rechte anderer" fassen mag — die Freiheitsrechte gehören sicher dazu. Auch aus der allgemeinen Forderung nach einer Konkordanz der Verfassungsnormen und der Berücksichtigung aller verfassungsgeschützten Interessen 201 läßt sich der Grundsatz ableiten, daß fremde Freiheit vom Eigentümer geachtet, vom Staat i h m gegenüber entsprechend geschützt werden darf. Oder kann es Sinn eines „Wert- und A n spruchssystems der Grundrechte" sein, daß sich die Freiheiten gegenseitig aufheben? Nicht zuletzt ist hier jedoch die enge Verbindung von Bedeutung, die nach Schrifttum und Rechtsprechung zwischen Eigentum und Freiheit besteht. Die doch vor allem durch die Eigentumsordnung geprägte „Wirtschaftsverfassung" der BRD wird, soweit sie überhaupt normativen Charakter haben kann, aus dem allgemeinen Freiheitsrecht des A r t . 2 Abs. I GG heraus begründet 2 0 2 . Auf das Eigentum als Grundlage der Frei200 D e r Schutz der Rechte anderer steht dann auch dort i m Vordergrund, wo einer A n w e n d u n g der Schrankentrias auf alle Grundrechte das Wort, geredet w i r d , vgl. oben F N 194,195. 201 Vgl. oben F N 192.
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heit weist das Schrifttum 2 0 3 wie die Rechtsprechung h i n 2 0 4 . Wenn diese Aussagen i n ihrer Allgemeinheit auch kaum über eine Kennzeichnung der allgemeinen Spannungslage Eigentum — Freiheit hinausgehen (vgl. oben a), so werfen sie doch die Frage auf, ob nicht auch nach geltendem Eigentumsrecht bereits Beschränkungen des Eigentums aus der Freiheit erforderlich sind; denn dies ist ja die Kehrseite der Medaille: Wer das Eigentum aus der Freiheit legitimiert, sein Wesen i n Freiheit sichert, der hat damit das Eigentum „libertifiziert", er geht von einem gemeinsamen Nenner bei Eigentum und Freiheiten aus — und warum sollte dann nicht auch das Eigentum durch fremde Freiheit i m Wege der Sozialbindung beschränkt werden können? Muß nicht, wer aus Freiheit begründet, Freiheit als Beschränkung gelten lassen? Auch das BVerfG verlangt, daß bei der Bestimmung des Umfangs der Sozialbindung das allgemeine Freiheitsrecht des Art. 2 Abs. I GG berücksichtigt werde 2 0 5 . I h m geht es allerdings nicht u m eine Beschränkung des Eigentums aus der Freiheit, sondern um seine Legitimierung durch diese 206 . Doch auch hier läßt sich einwenden, wer die Legitimation suche, müsse auch die Beschränkung des Eigentums durch Freiheit zulassen. Eine derartige Konkretisierung der Sozialbindung durch die Freiheiten anderer setzt auch keineswegs eine direkte oder auch nur mittelbare „Drittwirkung der Grundrechte" i m technischen Sinn voraus; sie ist auch dann möglich, wenn man jede eigentliche D r i t t w i r k u n g ablehnt. Das Eigentum würde ja i n der Regel nicht dadurch sozial gebunden, daß etwa der Richter dem Dritten unmittelbar die Berufung auf seine Freiheit gegenüber dem Eigentümer gestattete. Die „Freiheitsrechte anderer" würden vielmehr den Gesetzgeber ermächtigen, zu ihrem Schutz die erforderlichen Normen i m Rahmen der Sozialbindung zu erlassen 207 . 202 So f. viele Lampert, H., Die Wirtschafts- u n d Sozialordnung der BRD, 3. Aufl., 1970, S. 58 f.; Rinck, G., Wirtschaftsrecht, 2. Aufl., K ö l n ; Huber, E. R., Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2. Aufl., I, 1953, S. 646; Hamann, Α., Dt. W i r t schaftsverfassungsrecht 1958, S. 56. 203 ζ. B. Scheuner, U. (FN 115), S. I l l : „Ausgangsidee v o m Eigentum als n o t wendigem Bestandteil der privaten Rechts- und Freiheitssphäre." 204 So etwa B G H Z 6, S. 270 (276): „Der i n den Staat eingegliederte Einzelne bedarf, u m unter seinesgleichen als Person, d. h. frei u n d selbstverantwortlich leben zu können u n d u m nicht zum bloßen Objekt einer übermächtigen Staatsgewalt zu werden, also u m seiner Freiheit u n d Würde willen, einer streng gesicherten Sphäre des Eigentums." 205 So etwa BVerfG DVB162, S. 637. 2υβ So deutlich BVerfGE 21, S. 73: Die Inhaltsbestimmung müsse ferner das Grundrecht des A r t . 2 Abs. I GG beachten, „eine solche Regelung darf die Handlungsfreiheit i m Bereich der Eigentumsordnung nicht unverhältnismäßig beschneiden". 207 Hier erweist sich übrigens, daß das Drittwirkungsproblem letztlich nicht so sehr eine Frage der N o r m w i r k u n g der Grundrechte ist, als vielmehr eine Frage nach dem, der sie jeweils realisieren k a n n — der Einzelne m i t Hilfe des
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c) Alle diese Ansätze führen allerdings nicht nennenswert über die oben (a) allgemein gestellte Ausgangsfrage „Freiheit als Vorbehalt der Eigentumsfreiheit" hinaus. Nur i n einem Bereich ist es darüber zu einer konkreten Diskussion gekommen, welche erhebliche allgemeine Bedeutung für den Enteignungsbegriff, insbesondere aber für die Sozialbindung aus der Freiheit Dritter gewinnen könnte — bei dem Streit um die paritätische Mitbestimmung. Es geht hier nicht darum, ob Formen paritätischer Mitbestimmung m i t der Verfassung vereinbar sind oder nicht. Bedeutsam sind nur gewisse Argumente, welche zu ihrer Begründung vorgebracht werden. Daß es sich zunächst bei der Mitbestimmung u m Formen der Sozialbindung des Eigentums an den Produktionsmitteln oder am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb handelt, steht heute dem Grundsatz nach außer Zweifel 2 0 8 . Streitig ist lediglich, ob sich die paritätische M i t bestimmung noch i m Rahmen der Sozialbindung h ä l t 2 0 9 . Zur Begründung der Mitbestimmung, und damit also einer A r t der Sozialbindung, werden, sieht man von allgemeinen Hinweisen auf die Sozialstaatlichkeit 210 ab, vor allem zwei Argumente vorgebracht, welche beide auf eine „Beschränkung des Eigentums durch Freiheit" hinauslaufen und übrigens zusammenhängen: — Bei der Mitbestimmung gehe es lediglich u m den Schutz der Freiheit der Arbeitnehmer 2 1 1 gegenüber den freiheitsbeschränkenden WirkunRichters — oder der Gesetzgeber. Denn daß eine D r i t t w i r k u n g der G r u n d rechte über die Gesetzgebung möglich ist, zeigt sich nicht n u r bei der hier erörterten Frage. Vgl. Scfvwabe, J., Die sog. D r i t t w i r k u n g der Grundrechte, 1971, S. 14 ff. sue v g l a u s dem uferlosen Schrifttum etwa: DGB-Bundesvorstand (Hrsg.), Mitbestimmung — Argumente, Informationen, 2. Aufl., 1968, S. 20; Klüber, F., Wirtschaftliche Mitbestimmung als gesellschaftspolitisches Ziel der katholischen Soziallehre, i n : Schriftenreihe Mitbestimmung, hrsg. v. DGB-Bundesvorstand, 1969, S. 17; Oelinger, J., Wirtschaftliche Mitbestimmung, hrsg. v. kath.soz. I n s t i t u t der Erzdiöz. Köln, 1967, S. 58 f.; v. Plessen, Chr.-F. (FN 181), S. 97; Nipperdey, H. C., i n : Hueck-Nipperdey, Lehrbuch d. Arbeitsrechts I I , 2, 7. Aufl., 1970, S. 1321; Hueck-Nipperdey, Grundriß d. Arbeitsrechts, 5. Aufl., 1970, S. 373; Lenk, E., Die qualifizierte Mitbestimmung usw., Diss. K ö l n 1961, S. 87; Benda, E., Industrielle Herrschaft u n d sozialer Staat, 1966, S. 368; Neumann-Duesberg, H., Betriebsverfassungsgesetz, 1960, S. 79; Küchenhoff, G., Betriebsverfassungsgesetz, 1954, S. 55; ders., Mitbestimmung u n d Grundrechte, D Ö V 1952, S. 454/5. 209 So z. B. v. Berenberg-Gossler, G., Die Einführung der paritätischen M i t b e stimmung, Die Aktiengesellschaft 13 (1968), S. 37, 67, 108 (113); Jauberg, H., Die Auswirkungen der paritätischen Mitbestimmung usw., D B 1968, S. 1433 (1434) ; Weber, W., Die sozialethischen I m p l i k a t i o n e n i m MB-Bericht der Sachverständigenkommission, i n : Mitbestimmung — Ordnungselement oder politischer Kompromiß? (Hrsg. v. Böhm, Fr. u n d Briefs, Götz, 1971, S. 51 [64]). F ü r den Spezialfall der A G vgl. v. Plessen, Chr.-F. (FN 181), S. 71 f. zio F ü r viele: Nipperdey, H. C. (FN 208), S. 1321. 211 So etwa bes. deutlich Klüber, F. (FN 208), S. 16: Das Mitbestimmungsgesetz sei ein Schutzgesetz zugunsten der rechtlichen Freiheit der Arbeiter.
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gen des Eigentums an den Produktionsmitteln. M i t deren Hilfe dürfe keine „Macht über Menschen" ausgeübt werden 2 1 2 . Damit w i r d ausdrücklich die Freiheit gegen das Eigentum ausgespielt, wenn auch nirgends näher definiert wird, was denn nun als eine solche „Herrschaft über Menschen" anzusehen sei. Eindeutig ist nur, daß das Eigent u m vor dieser Freiheit zurücktreten muß. — Die Mitbestimmung bringt, selbst wenn sie dem „Faktor Arbeit" kein Übergewicht, ja nicht einmal die Parität einräumt, doch sehr deutlich eine Verfügungsbeschränkung des Eigentums. U m nun von vornherein den Einwand abzuschneiden, hier werde die „Substanz des Eigentums" getroffen 2 1 3 , w i r d behauptet, es sei schon begrifflich i n diesem Bereich von einer Aufspaltung von Kapital und Verantwortung auszugehen 214 , also von der Unterscheidung Eigentum als Innehabung von Werten einerseits, Eigentum als Verfügungsbefugnis über fremde Arbeit zum anderen. Geschützt sei allenfalls das Eigentum i m ersteren Sinn. Wo immer aber das Eigentum Ertrag nur durch die Arbeit anderer bringe, sei es unsittlich, diesen nicht Mitbestimmung einzuräumen. Arbeit sei das eigentliche Organisationsprinzip der Wirtschaft; das Management, bei dem das Auseinanderfallen von Kapitalbesitz und Verfügungsbefugnis besonders deutlich werde, sei begrifflich zur „Arbeit" zu rechnen, nicht aber als Form der Verfügung über Eigentum zu verstehen 215 . Eigentum gestatte überhaupt nur diejenigen freien Verfügungen, welche der Eigentümer allein, ohne fremde Hilfe ausführen könne; brauche er solche, so gebe i h m das Eigentum keine Befehlsgewalt 216 . Die Anhänger dieser Auffassung sind offenbar von deren Richtigkeit derart überzeugt, daß sie gelegentlich sogar die wissenschaftliche, vor allem die verfassungsrechtliche Diskussion darüber abbrechen wollen 2 1 7 . 212 Vgl. ζ. B. Oelinger, J. (FN 208), S. 61; Klenner, F., Chancen oder Illusion? Z u m Problem der betrieblichen wirtschaftlichen Mitbestimmung, 1970, S. 85; siehe dazu auch Messner, J., Grundlagen des Biedenkopf-Gutachtens tragfähig? (vgl. F N 209); Weber, W., Experiment Mitbestimmung, i n : Der Standpunkt, 1968, Nr. 5 - 7, S. 19 (21) unter Zitat von Kluncker. 213 Was j a auch bei der Mitbestimmung nicht geschehen darf, vgl. etwa D G B Bundesvorstand (FN 208), S. 21 ; Nipperdey, H. C. (FN 208), S. 912. 214 So insbes. gewisse Richtungen der kath. Soziallehre, vgl. den Überblick bei Riele, W., Deutscher Katholizismus u n d paritätische Mitbestimmung, Ges. K o m m . 1965 (H. 23), S. 247 f.; hierauf beruft sich auch der DGB-Bundesvorstand, aaO. 215 Dazu auch Klenner, F. (FN 212), aaO. 216 Riele, W., aaO, S. 248/9; bes. radikal hat sich hier schon frühzeitig Küchenhoff, G., vernehmen lassen (FN 208), aaO: Das Betriebsverfassungsgesetz realisiere lediglich das „ v o r s t a a t l i c h e . . . menschliche Grundrecht des M e n schen auf M i t w i r k u n g bei der Ausgestaltung der Gesellschaft"; das Eigentum w o l l e nicht allgemeine Machtstellung aufrechterhalten, sondern konkrete Rechtsgüter erhalten.
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Es möge uns dennoch erlaubt sein, diese Diskussion fortzusetzen, um so mehr, als w i r hier nicht als „Mitbestimmungsgegner" auftreten, sondern lediglich die Bedeutung der genannten Argumente für den allgemeinen Begriff der Sozialbindung des Eigentums zu untersuchen haben. Die Lehre von der Trennung von Eigentumsinnehabung und Verfügungsgewalt ist nur die nähere Begründung für die Forderung, daß durch Eigentum „keine Gewalt über Menschen" ausgeübt werden dürfe. Wie diese w i l l sie also vor allem die Freiheit der Arbeitnehmer sichern 218 . Die Trennung Kapital — Verfügung ist geradezu der Ausdruck dafür, daß das Eigentum insoweit sozial gebunden sein soll, als es zur Beschränkung fremder Freiheit führen kann — denn gerade das ist ja jenes „Verfügen", das sozusagen aus dem bisherigen Eigentumsbegriff abgespaltet, ausgegliedert werden soll. Zugleich bestimmt auch diese Lehre bereits denjenigen Raum des (bisherigen) Eigentums, i n dem sich die freiheitsschützende Sozialbindung entfalten kann, ohne enteignend zu wirken: Es ist eben „jene Zone der Verfügung", i n der das Eigentum bei Kollision m i t der Freiheit anderer generell soll zurücktreten müssen. Denn obwohl die Vertreter dieser Auffassung eine nähere grundsätzliche Abgrenzung, soweit ersichtlich, bisher nicht versucht haben, so ergibt ihre Stellungnahme doch eindeutig, daß sie entscheiden wollen i n dubio pro liberiate contra proprietatem. Die Bedeutung einer solchen These, und damit überhaupt der M i t bestimmungsdiskussion für die Sozialbindung des Eigentums, kann gar nicht überschätzt werden. I n der sozial-ökonomischen Sphäre könnte so i n der Tat ein neuer Eigentumsbegriff entstehen 219 . Angesichts der bereits mehrmals erwähnten Osmose, die sich gerade über die Einheit des Eigentumsbegriffs von einem Sektor zum anderen sogleich einstellt, wenn irgendwo die Begrifflichkeit des Eigentums durchgreifend verändert 217
z. B. Wiethölter, R., Unternehmensverfassungsrecht, i n : Juristen-Jahrbuch V I I (1966/7), S. 162 (174): „Die Argumente Eigentum der Kapitalanteileigner, Selbstverantwortung der Unternehmer, Soziale Marktwirtschaft u n d freiheitliche Verfassung auf der Seite der Mitbestimmungsgegner sollten wissenschaftlicher K r i t i k nicht mehr bedürfen", es handle sich u m „politische Zielsetzungen einer speziellen Gruppe." — N u r : Ist eigentlich die Mitbestimmungsforderung etwas anderes? 218 Diese Freiheit hat allerdings über A r t . 9 Abs. I I I GG auch unmittelbaren Bezug zur materiellen Lage der Arbeitnehmer, die außerordentliche Bedeutung der Koalitionsfreiheit liegt j a darin, daß sie nach vielen den Anspruch auf materielle Güter begrifflich zu einem Freiheitsanspruch macht u n d damit, indirekt, eine A r t v o n „dynamischem Recht auf Eigentum" verleihen soll, w ä h rend nach dem „herkömmlichen" Grundrechtsverständnis jedenfalls sehr deutlich zu unterscheiden ist zwischen dem „Recht zu fordern" u n d sich dazu entsprechend zu organisieren — u n d einem „Recht das Geforderte zu erlangen u n d zu besitzen", das sich aus A r t . 9 Abs. I I I GG nicht herleiten läßt. 219 So bereits 1957 Potthoff, E., Der K a m p f u m die Montan-Mitbestimmung, S.144.
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wird, muß durchaus erwartet werden, daß die Unterscheidung Wertinnehabung — Verfügungsbefugnis auch für andere Eigentumsbereiche außerhalb des Arbeitsverhältnisses versucht wird. Dies würde praktisch bedeuten, daß man allenthalben das Eigentum nicht als ein einheitliches Recht, sondern als ein Bündel von Befugnissen sieht, die dann i m einzelnen verselbständigt und jeweils entzogen oder doch wesentlich eingeschränkt werden können, so daß es zu einer „Entblätterung des Eigentums" i n allen Bereichen käme. Diese Problematik muß weiterer vertiefter Behandlung vorbehalten bleiben. Hier mag einstweilen der Hinweis genügen, daß dies alles gerade Formen der „Aushöhlung" des Eigentums wären, die seit langem bekannt sind, aber weder m i t dem Eigentumsbegriff des Zivilrechts, noch m i t dem des Verfassungsrechts bisher für vereinbar gehalten werden. Nirgends finden sich, vor allem nicht i n der Rechtsprechung, Ansätze für eine derartige Auflösung des Eigentumsbegriffs. Denn gerade die Lehre von der Sozialbindung und der „immanenten Pflichtigkeit des Eigentums" zeigt, wie unten 2 2 0 noch näher nachzuweisen sein wird, daß eben die Pflichten viele, das Eigentum aber eines und nicht ein Bündel isolierbarer Berechtigungen ist. Hier geht es jedoch, vor allen derartigen allgemeineren Erwägungen, darum, ob das Ziel, dem eine solche Aufsplitterung des Eigentumsbegriffs vor allem dienen soll, überhaupt erreicht werden kann, realisiert werden darf: Sozialbindung nach „Freiheit anderer", Relativierung des Eigentumsbegriffs durch Freiheitsrechte Dritter. d) Gegen eine allgemeine Bestimmung der Sozialbindung nach den Freiheitsrechten Dritter, welche durch das Eigentum berührt werden könnten, sprechen entscheidende Gründe: — Aus der sozialpolitischen Erwägung, daß das Eigentum an Produktionsmitteln nicht zur Herrschaft über die Arbeitnehmer mißbraucht werden darf, mögen sich Formen der Mitbestimmung rechtfertigen lassen; zu der allgemeinen Folgerung, daß alles Eigentum zugunsten der Freiheitsrechte Dritter sozial gebunden sei, trägt dies nicht. Das Arbeitsverhältnis ist sowohl sozialhistorisch wie rechtlich ein besonderes und einigermaßen klar abgegrenztes Phänomen. Hier hat sich i n der Tat ein Recht entwickelt, das von einer generellen Unterlegenheit des Arbeitnehmers ausgeht; deshalb haben sich mannigfache Formen der Sozialbindung i m Arbeitsrecht entwickeln können. Sie lassen sich übrigens durchaus nicht überall auf „Rechte" oder gar auf „Grundrechte" der Arbeitnehmer zurückführen, sondern gehen von deren wirtschaftlich schwächeren Stellung und ihrer existentiellen Abhängigkeit gegenüber dem Arbeitnehmer aus. Alle diese Voraus220
Vgl. unten D.
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Setzungen mögen i m Arbeitsverhältnis erfüllt sein, sie sind aber auch nur dort gegeben, nicht aber i m Verhältnis jedes Eigentümers zu jedem Dritten. Wer etwa fremden Grund und Boden betreten w i l l , um dort Erholung zu suchen, vom Eigentümer jedoch daran gehindert wird, der kann doch i n keiner Weise dieselben Rechte geltend machen, welche dem „sozial abhängigen" Lohnarbeiter gegenüber seinem A r beitgeber zustehen mögen. Das Arbeitsverhältnis ist i m Eigentumsrecht ein deutliches Spezialphänomen und als solches für andere Formen der Sozialbindung überhaupt nicht analogiefähig. Dieselbe Folgerung ergibt sich übrigens auch daraus, daß die Sozialbindungen des arbeitsrechtlichen Bereichs, einschließlich der Mitbestimmung, stets nur zugunsten eines ganz bestimmten Kreises von „Dritten", nämlich der jeweiligen Arbeitnehmer erfolgen. Diese aber stehen dem Eigentum an diesen konkreten Produktionsmitteln jedenfalls „besonders nahe": Sie halten die Produktionsmittel i n ihren Händen, ihr starker A r m kann die Räder still stehen lassen. Diese unzweifelhaft besondere Beziehung zu einem bestimmten Eigentum mag zu gewissen Einflußrechten legitimieren, und i n der Tat w i r d von gewisser sozialistischer Seite ja gerade von jeher damit argumentiert, daß dem Arbeiter die Produktionsmittel gehören müßten, die er ohnehin i n der Hand habe. Und selbst wer generelle Sozialisierung fordert, beruft sich doch gerade darauf, daß solche Entwehrung notwendig sei, u m der besonderen Nähe der Arbeiter zum Produktiveigentum Rechnung zu tragen. Er behauptet dann nur weiter, daß eine „gerechte Ordnung" weder durch Kollektiveigentum der Arbeitnehmer, noch durch „Eigentumsteilung" i m Wege einer Mitbestimmung verwirklicht werden könne, weshalb eben der Staat einzugreifen habe. Dahinter steht aber auch hier, nach wie vor, das Argument der besonderen Nähe der Arbeiter zu den Produktionsmitteln, das ja eine Sozialisierung überhaupt erst legitimieren kann. Dies alles fehlt i n allen anderen Beziehungen zwischen Eigentümer und Dritten, die i n der Regel eben keine derartige „Nähe" zu dem jeweiligen Eigentum nachweisen können, daß der Staat legitimiert wäre, diese nun bereits i m Wege einer Sozialbindung zu berücksichtigen. Jedenfalls müßte eine solche aus dem Wesen des einzelnen Rechts, des einzelnen Freiheitsanspruchs jeweils gesondert abgeleitet werden, und das ist nichts anderes, als eine Rückkehr zur differenzierenden Betrachtung der Abgrenzung Sozialbindung — Enteignung, die ja ohnehin erforderlich ist. Es bedeutet jedenfalls einen Verzicht auf Analogie aus Arbeitsrecht und Mitbestimmung, die auch hier eigentumsrechtlich wieder als deutliches Sonderphänomen erscheinen. — Der Versuch, das Eigentum durch die Freiheitsrechte zu binden, ist aber schon grundsätzlich, rechtsdogmatisch wenigstens, zum Schei-
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tern verurteilt, weil hier der Begriff der Sozialbindung nicht konkretisiert, sondern verunklart würde. Welcher Freiheitsbegriff, welche Freiheitsinhalte sollten denn das Eigentum beschränken? Bisher ist es noch nicht entfernt irgendwo gelungen, eine praktikable D r i t t w i r kungslehre zu entwickeln. Gerade hier, an dem w o h l am meisten problematischen Punkt sollten so weite und wenig bestimmte Normen wie die Freiheitsrechte — gerade jenem Eigentumsrecht begrenzend entgegengehalten werden, das wie kaum eine andere Befugnis rechtstechnisch i n jahrhundertelanger Entwicklung spezialisiert und ausgestaltet worden ist? Wenn irgendwo die Befürchtung begründet ist, Freiheitsrechte könnten das „hochtechnisierte Zivilrecht" sprengen, so wäre dies doch beim Eigentum der Fall. Die Sozialbindung würde m i t zahllosen „Unbekannten" belastet werden — und wie könnte überhaupt noch die Eigentumsfreiheit die wichtigste Grundentscheidung i m Bereich der privaten Vermögensrechte sein (BVerfG), wenn sie unter dem Vorbehalt der Freiheit anderer stünde? Dann müßte dies doch von der Freiheit gesagt werden. Das Schrifttum hat bisher noch nicht das Geringste konkret zu solcher Sinnerfüllung der Sozialbindung aus Drittfreiheit aussagen können, die Rechtsprechung hat damit noch nicht einmal i n Ansätzen begonnen — mit Recht: Es müßten zuerst die Freiheiten viel deutlicher konkretisiert werden, bevor sie zur Konkretisierung der Sozialbindung herangezogen werden könnten. — Die ganz h. L. lehnt überdies die Begrenzung des Eigentums, wie bisher zu wenig betont worden ist, ganz eindeutig ab, und zwar m i t einer allgemein-grundrechtsdogmatischen Begründung: Die Freiheitsrechte sind Abwehrrechte des Einzelnen, sie geben i h m kein Recht auf fremdes Eigentum 2 2 1 . Die Wohnungsfreiheit verleiht kein Recht auf eine Wohnung 2 2 2 , die Meinungsfreiheit kein Recht auf Eigentum an den Mitteln der Meinungsübermittlung oder -Verbreitung 223 ; ähnliches gilt für die Vereinigungs- 2 2 4 und Versammlungsfreiheit 225 . Wenn jedoch i m Wege der Sozialbindung das Eigentum des einen zugunsten der Freiheit des anderen beeinträchtigt werden dürfte, so würde dies gerade darauf hinauslaufen, daß die Freiheitsrechte jedenfalls Teile von Eigentumsrechten gewähren. Das Eigentum berechtigt ja, wenn es solcher Sozialbindung nicht unterliegt, u. a. auch dazu, andere von 221 Vgl. zu den einzelnen Grundrechten v. Mangoldt-Klein, B G G (Art. 4, 5, 9,10,11,12). 222 Dagtoglou, P., B K , Zweitbearb. 1966, A r t . 13 Rdnr. 48; Maunz-DürigHerzog, GG, A r t . 13, Rdnr. 3; Gentz, M., Die Unverletzlichkeit der Wohnung, 1968, S. 41/2. 223 BVerfGE 8, S. 45 f.; 18, S. 315; Maunz-Dürig-Herzog, GG, A r t . 5, Rdnr. 14, 61, 62, 64, 101; Schmidt-Bleibtreu-Klein, GG, 2. Aufl., 1969, A r t . 5, Rdnr. 4. 224 Maunz-Dürig-Herzog, GG, A r t . 9 Rdnr. 51. 225 Maunz-Dürig-Herzog, GG, A r t . 8 Rdnr. 9, 20; v. Münch, I, B K Zweitbearb. 1964, A r t . 8 Rdnr. 15.
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seinem Gebrauch zur „Verwirklichung" ihrer Freiheitsrechte auszuschließen. Wenn es nur mehr so weit gebraucht werden darf, wie dies fremder Freiheit nicht schadet, so muß eben der Eigentümer seine Verfügungsgewalt ganz oder teilweise anderen i m Namen von deren „Freiheit" abtreten. Der Grundeigentümer muß zulassen, daß sich politisch Engagierte auf seinem Grundstück versammeln, der Hausbesitzer darf über seine Wohnungen nicht entgegen den Interessen des Trägers der Wohnungsfreiheit disponieren — d. h. er muß i h m eine Wohnung vermieten. Und auch dort, wo die Verfügungsbeschränkung „rein negativ" bleibt, keine Verfügungsbefugnis übertragen wird, gew i n n t der „Freiheitsträger" i m Ergebnis eigentumswerte Macht: Der „Meinungsfreie" kann den „Monopolverleger" daran hindern, ihn oder andere durch seine Erzeugnisse zu „manipulieren" — d. h. seine (bisher begrenzten) Meinungsverbreitungsmittel erfahren eine Aufwertung, die auch i n Eigentumsgrößen meßbar ist. Dies alles ist verfassungswidrig: Die Grundrechte sind eben Abwehrrechte gegen freiheitsbedrohende Gewalt, nicht Recht auf M i t t e l zur Realisierung der Freiheit. Und ob man es nun w i l l oder nicht: Ex definitione geht vom Eigentum als solchem nach diesem ganz herrschenden Verständnis des GG eben eine freiheitszerstörende Wirkung nicht aus. — Die Grundrechte könnten nur dann i m Namen der Freiheit fremdes Eigentum beschränken, wenn sie ihrem Wesen nach Teilhaberechte wären, denn gerade dies würde eine „Sozialbindung nach Rechten Dritter" bedeuten: daß diese Dritten i m Namen ihrer Freiheit teilhätten am Eigentum anderer, daß ihnen derjenige Raum zustünde, aus dem der Staat die Eigentümer i m Namen der Freiheit vertreiben dürfte. Daß aber die geltenden Grundrechte des GG ihrem Wesen nach auf Teilhabe angelegt seien, w i r d heute 2 2 6 von keiner Seite mehr ernsthaft behauptet. Ein Verständnis der Grundrechte als Teilhabe ist vielmehr der K e r n der Grundrechtsauffassung der sozialistischen Rechtsordnungen. I n der BRD dagegen sind die Grundrechte ihrem Wesen nach Abwehrrechte 227. I n dem Augenblick aber, i n welchem dieser status negativus i n einen status positivus umschlägt, ist die bisher geltende Grundrechtlichkeit verlassen. — Keine „Uminterpretation der Grundrechte i m Sinne von sozialen Grundrechten" 2 2 8 kann nach dem GG die Freiheitsrechte zu Ansprü228 So etwa Abendroth, W., Diskussionsbeitrag i n W d S t L 12 (1954), S. 87; nicht weit entfernt davon sind auch die Ausführungen von Küchenhoff, G. (FN 208), aaO. 227 F ü r die ganz h. L . vgl. etwa Henke, W., Grundrechte u n d Grundpflichten, i n : HdSW I V , 1965, S. 688 (690). 228 Rehbinder, E. (FN 159), S. 252.
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chen auf Teilhabe an fremdem Gut machen. Wer dies fordert, verläßt den Boden der Verfassung und verwendet die Grundrechte als Ausgangspunkt für eine Sozialrevolution, denn wo sollen hier die Grenzen liegen? Dasselbe gilt auch für eine „Sinnerfüllung" der Sozialbindung aus den Freiheitsrechten anderer, die ja nur den Staat „zwischenschaltet", der ohnehin praktisch allein eine solche Umwälzung i n Gesetzesform bewirken könnte. Die „Rechte Dritter" können also auch, gerade nicht als Grundrechte die Sozialbindung des Eigentums näher konkretisieren. I m Namen einer „Freiheit", die das Grundgesetz nicht kennt, würde nämlich auf diese Weise das Eigentum völlig ausgehöhlt. Darüber hinaus würde die gesamte Grundrechtlichkeit i m eigentlichen Sinne des Wortes „umfunktioniert". Ausgrenzende Freiheit müßte sich i n Recht auf Teilhabe verwandeln. Damit würde aus dem GG eine sozialistische Verfassung. Die Untersuchung gelangt also bei diesen wie bei allen anderen „allgemeinen Verfassungsvorbehalten", unter denen das Eigentum angeblich steht, zu dem Ergebnis, daß diese für die Konkretisierung der Sozialbindung, für eine Abgrenzung von Sozialbindung und Enteignung keine Kriterien bieten. Sie scheiden daher bei der weiteren Erörterung aus. Es hat auch keinen Sinn, sie etwa als „Legitimation" sozialbindender Eingriffe anzuerkennen, wenn sich aus ihnen für die dogmatische Abgrenzung nichts ergibt. Dann könnten sie ja nur i n jener unkontrollierten, unterschwelligen Weise gegen die Eigentumsfreiheit (sozial-)politische Stimmung erzeugen, die hier schon mehrfach zurückgewiesen worden ist und den Richter nicht beeinflussen darf, der zu entscheiden hat, ob i n einem konkreten Fall Entschädigung zuzubilligen ist oder nicht. Was aber der Richter braucht, ist Rechtsdogmatik i n faßbarer Begrifflichkeit, nicht ein „Geist des Grundgesetzes", der aus allen möglichen „Grundentscheidungen" aufgebaut wird, welche sich bei näherem Zusehen i n nichts auflösen. Hier zeigt sich eine methodische Schwierigkeit, die heute i m Verfassungsrecht allgemein auftritt: Konkretisierungen ergeben sich i n der Regel nicht, wenn man eine Reihe von höchst allgemeinen Vorstellungen verbindet, hier h i l f t kein „doppelt Nähen". Und das Eigentum ist das „konkreteste", „faßbarste" Recht, das w i r überhaupt kennen — zu seiner Abgrenzung genügen nicht Theorien und Theoreme, wenn sie sich nicht zu begrifflich klarer Eigentumsdogmatik verdichten. Es mag bedauerlich sein, von jenem „allgemeinen Verfassungsrecht" bei der vorliegenden Problematik Abschied nehmen zu müssen, das doch eigentlich einen faßbaren Systemrahmen auch für das Eigentum bieten sollte. Doch i n diesem Bereich sind eben bisher vor allem — große Worte gefallen...
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C. Sozialbindung — Enteignung nach geltendem Recht
Methodisch bedeutet dies aber keineswegs, daß nun die Sozialbindung nur mehr i m Einzelfall, i n der ad hoc-Entscheidung bestimmt werden kann; dies wäre das Ende aller Vorhersehbarkeit und damit der Rechtsstaatlichkeit. Erforderlich ist es jedoch, Abgrenzungen aus dem „Recht des Eigentums" selbst zu gewinnen, das sich seit Jahrzehnten vor allem i n der Rechtsprechung entfaltet hat und i n seinem systematischen Gehalt bisher vielleicht zu wenig erf aßt worden ist. Nur eines hat dieser Abschnitt gezeigt: A u f den deus ex machina eines „sozialen Geistes der Verfassung" sollte man nicht warten. Was hier i n Normverkleidung aufträte, wären nur sozialpolitische Forderungen.
I I I . „öffentliches Interesse", „Belange der Allgemeinheit" als Bestimmungskriterien für die Sozialbindung? Nach dem GG soll die Sozialbindung gewährleisten, daß der Gebrauch des Eigentums zugleich dem „Wohle der Allgemeinheit" dient (Art. 14 Abs. II). Schon i n der Weimarer Zeit hatte das Reichsgericht festgestellt, daß die Gewährleistung des Eigentums überhaupt nur m i t den sich daraus ergebenden Beschränkungen gelte, denn es sei ein allgemein anerkannter Grundsatz, daß das Wohl der einzelnen Staatsbürger hinter dem Allgemeinwohl zurückstehen müsse 220 . Ergeben sich nun dogmatisch greifbare „Beschränkungen des Eigentums" aus dem „Allgemeinwohl", kann die Sozialbindung unter Rückgriff auf das „öffentliche Interesse", auf „Belange der Allgemeinheit" oder ähnliche Vorstellungen von der Enteignung abgegrenzt werden? Diese Frage ist i m folgenden Abschnitt nicht nur dahin zu stellen, ob sich aus dem öffentlichen Interesse oder verwandten Begriffen Abgrenzungskriterien entwickeln lassen; es müssen i n diesem Zusammenhang auch alle diejenigen Abgrenzungsversuche behandelt werden, welche sich auf ein wie immer bezeichnetes öffentliches Interesse irgendwie zurückführen lassen. Dies gilt insbesondere für die Interessenabwägungstheorie. 1. öffentliches Interesse als Kriterium für die Sozialbindung
a) Das „öffentliche Interesse" ist nach der Rechtsprechung des BVerfG Voraussetzung dafür, daß eine Inhaltsbestimmung des Eigentums erfolgen darf: Da öffentlich-rechtliche Eigentumsbeschränkungen m i t dem öffentlichen Interesse motiviert würden, müßten sie auch von daher legitimiert sein. Beschränkungen seien also nur zulässig, „soweit das öffentliche Interesse sie unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Ver229
RGZ 111, S. 320 (327) ; heute vgl. dazu etwa: Rudolph, K . (FN 97), S. 41 ff.
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hältnismäßigkeit" rechtfertige 230 . Eine Beschränkung der Stellung von Mietern sei zulässig, „ w e i l berechtigte Gründe des öffentlichen Interesses dafür gegeben sind, der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht verletzt ist und die rechtsstaatliche Kontrolle erhalten bleibt" 2 3 1 . Daraus könnte der Schluß gezogen werden, daß das öffentliche Interesse nicht nur eine Voraussetzung für die Sozialbindung sei, sondern diese auch von der Enteignung abgrenze, w e i l sie ja nur so weit gehen dürfe, wie die öffentlichen Interessen reichten; sie sei doch nur zulässig, „ w e i l " Gründe des öffentlichen Interesses für sie sprächen. Einige Erkenntnisse des B G H 2 3 2 und anderer Gerichte 233 berufen sich gleichfalls einigermaßen pauschal auf öffentliche Interessen, um eine bestimmte Regelung als Sozialbindung zu rechtfertigen. Zurückhaltender ist hier das Schrifttum, das zwar das öffentliche Interesse als einen ganz allgemeinen Vorbehalt des Wirtschaftsrechts gelegentlich nennt 2 3 4 , es jedoch kaum je als ein Abgrenzungskriterium für die Sozialbindung anführt 2 3 5 . b) Das öffentliche Interesse kann aus mehreren Gründen kein Abgrenzungskriterium der Sozialbindung gegenüber der Enteignung sein: — öffentliches Interesse ist nicht nur erforderlich, damit sozialbindend eingegriffen werden dürfe, es ist auch Voraussetzung für die Enteignung. Dies bedarf hier keines Beleges, der Wortlaut des A r t . 14 GG ergibt es klar. Wenn die Interessen der Allgemeinheit neben denen der entwehrten Eigentümer bei der Bemessung der Entschädigung zu berücksichtigen sind, so kann es eben ohne Allgemeininteressen keine Enteignung geben. Eine Voraussetzung jedoch, welche zwei Begriffen gemeinsam ist, kann sie nicht voneinander abgrenzen. Man müßte denn i n der Lage sein, das „Wohl der Allgemeinheit" bei der Sozialbindung aus der Dogmatik des öffentlichen Interesses heraus ,den Interessen der Allgemeinheit' gegenüberzustellen, welche allein die Enteignung tragen. Dafür jedoch sind bisher nirgends A n 230 BVerfG DVB11958, S. 705. 231 BVerfG 18, S. 121. 232 B G H M D R 1961, S. 764 (Beschränkungen des land- u n d forstwirtschaftlichen Eigentums). 233 B a y V G H DÖV 1962, S. 426 (Aufforstungsverbot i. d. R. keine Enteignung); V G H Mannheim, DVB1 1965, S. 815 (Veränderungsverbot i m Naturschutzgebiet); O V G Münster OVGE 5, S. 221 (Natur- u n d Landschaftsschutz); O V G Rheinland-Pfalz, N J W 1956, S. 886 (Tötung von Tieren nach dem Viehseuchengesetz). 234 Vgl. etwa Huber, E. R., Wirtschaftsverwaltungsrecht I, 2. Aufl., 1953, S. 663; Model-Müller, GG, 6. Aufl., 1971, S. 38. 235 V g L e t w a Seilmann, M . (FN 92), S. 1692; Oelinger, J. (FN 208), S. 63 f.; k r i tisch dazu auch Schulte, H. (FN 94), S. 72 f., 85 ff. m i t weiteren Nachweisen.
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sätze entwickelt worden. Und wenn dies möglich wäre, so hätte man eben zwei Begriffe des öffentlichen Interesses. Daß das bei der Enteignung erforderliche öffentliche Interesse intensiver sein müßte als das für die Sozialbindung unumgängliche, wäre nichts als der tautologische Ausdruck dafür, daß die Enteignung weiter geht als die Sozialbindung 236 . — Wäre das „öffentliche Interesse" ein Wesenselement der Sozialbindung, so wären entschädigungslose Eingriffe i n das Eigentum zulässig, wenn immer eine gewisse Intensität des öffentlichen Interesses erreicht wäre. Dies aber würde eindeutig den einseitigen Vorrang der Interessen der Allgemeinheit vor denen des Individuums bedeuten. M i t Recht hat dies der Große Zivilsenat des B G H i n seinem Grundsatzbeschluß nachdrücklich zurückgewiesen — sogar i m Zusammenhang m i t der von i h m vertretenen „Krisentheorie" 2 3 7 : „Mag auch die heutige Notzeit der öffentlichen Hand i n besonderem Maße die Pflicht zu umfassenden Fürsorgemaßnahmen auferlegen, so kann doch aus Rechtsgründen diese Pflicht allein noch nicht zum Anlaß für eine sachliche Beschränkung der entschädigungspflichtigen Enteignung genommen werden. Der Bereich der geschützten Eigentumssphäre läßt sich nicht einseitig vom Interesse des Staates her bestimmen . . . " (Herv. v. Verf.) 2 3 8 . Das öffentliche Interesse konstituiert nicht nur die Sozialbindung nicht, es spricht sogar meist gegen sie: Gerade wenn „die Allgemeinheit i n besonderem Maße an einem hoheitlichen Eingriff i n die Privatrechtssphäre interessiert ist, gebietet es die Gerechtigkeit, daß nicht dem zufällig von dem Eingriff Betroffenen . . . die Lasten des Eingriffs überbürdet bleiben, sondern daß diese nach dem Grundsatz der Gleichheit von der Allgemeinheit, also der Gesamtheit der A b gabepflichtigen aufgebracht werden" 2 3 9 . — Dem Wesen der Grundrechte widerspricht es, sie generell einem Vorbehalt des öffentlichen Interesses zu unterwerfen. Dies würde auch der „Ausgangsidee vom Eigentum als einem notwendigen Bestandteil der Rechts- und Freiheitssphäre" zuwiderlaufen, zu der, trotz 236 „Der Umstand, daß gewisse Vermögenswerte durch ihren Bezug zu einem öffentlichen Interesse eher v o n einem Entzug bedroht sind als andere . . . ist kein Argument dafür, daß dieser Entzug, w e n n er erfolgt, auch entschädigungslos zu geschehen hat" (Badura y P., Eigentumsgarantie u n d Benutzungszwang, DÖV 1964, S. 539 [540]). 237 Vgl. oben I, 3; diese Krisentheorie ist letztlich auch ein Versuch, das öffentliche Interesse zum K r i t e r i u m der Sozialbindung zu machen — aber eben n u r i n Verbindung m i t den besonderen Umständen der Not- u n d Krisenzeiten. Die meisten der gegen diese Theorie vorgebrachten Gründe gelten daher a fortiori auch gegen eine Annahme des öffentlichen Interesses als Wesensm e r k m a l der Sozialbindung. 238 Β GHZ 6, S. 270 (282). 239 BayObLG DÖV 1961, S. 838.
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aller Pflichtigkeit des Eigentümers, ein „Vorrang dieser privaten Stellung vor den Anforderungen der Gemeinschaft gehört" 2 4 0 . — Auch A r t . 14 Abs. I I GG verweist nicht auf das öffentliche Interesse: Ziel der Sozialbindung soll es doch nicht sein, das öffentliche Interesse oder alle öffentlichen Interessen schlechthin gegenüber dem Eigentum durchzusetzen; das Gesetz darf nur sicherstellen, daß der Gebrauch des Eigentums neben den Interessen des Eigentümers auch diejenigen der Allgemeinheit berücksichtige. Es kommt also allenfalls eine A b wägung oder eine Kombination von privaten und öffentlichen Interessen i n Betracht. Daß so die Sozialbindung zu bestimmen sei, ist i m Grundsatz ganz unbestritten, dieser führt aber auch nicht weiter — es geht eben darum, nach welchen Kriterien hier privates und öffentliches Interesse voneinander abzugrenzen, miteinander zu verbinden seien. Wer nur das öffentliche Interesse als K r i t e r i u m nennt, stellt sich nicht nur gegen die Grundidee der Grundrechte, den Vorrang der Individualidee vor den Gemeinschaftsinteressen, er hebt sogar die typische Eigentumsproblematik einfach einseitig zugunsten des Staates auf, anstatt sie zu lösen. — A r t . 14 Abs. I und I I GG stellen das Grundrecht des Eigentums unter den speziellen Gesetzesvorbehalt der Sozialbindung 241 . Ein spezieller Gesetzesvorbehalt kann jedoch begrifflich nicht allgemein durch Verweis auf „öffentliches Interesse" konkretisiert werden. Jedes Gesetz ergeht „ i m öffentlichen Interesse", alle seine Regelungen müssen durch dieses getragen werden. Wer die Sozialbindung aus öffentlichem Interesse definieren w i l l , macht den speziellen Gesetzesvorbehalt zu einem allgemeinen. — Das „öffentliche Interesse" ist als solches zu unbestimmt, als daß sich aus ihm ein K r i t e r i u m für die Zulässigkeit der Sozialbindung ergeben könnte. Kaum i n irgend einem Fall könnte der Bürger noch vorher absehen, ob i h m nun bei einem hoheitlichen Eingriff Entschädigung geschuldet werde oder nicht. Damit aber wäre auf die Position des Eigentums nicht der geringste rechtsstaatliche Verlaß mehr: Das öffentliche Interesse könnte und würde i n jedem Falle anders definiert werden. Selbst i n Verwaltungsgesetzen, welche doch i m übrigen die Interessenwertungen schon klar erkennen lassen, w i r d immer seltener auf „das öffentliche Interesse" als solches Bezug genommen — eben weil der Begriff an sich schon rechtsstaatlich nicht unbedenklich ist und allenfalls als „Auffangtatbestand" neben spezielleren Kriterien am Platze ist. Wollte man ihn in einer der wichtigsten Fragen des öffentlichen und privaten Rechts, bei der Sozialbindung des Eigen240 241
Scheuner, U. (FN 115), S. 111. Dazu oben Vorbemerkung vor C, 3.
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turns zum alleinigen K r i t e r i u m erheben, so würde dies praktisch den Verzicht auf die Definition des Begriffes, ja auf rechtliche Regelung überhaupt bedeuten. — Ein „ K r i t e r i u m öffentlichen Interesses" wäre schließlich weithin ein Rückfall i n eine schon i n der Weimarer Zeit verlassene Position: i n die Definition des Eingriffs aus seinem Ziel 2 4 2 . Wenn die Enteignung nicht mehr aus dem öffentlichen Zweck des Unternehmens definiert werden kann, zu dessen Gunsten die Entwehrung erfolgt, so ist dies erst recht bei der Sozialbindung unzulässig. Damit aber entfällt das noch am besten greifbare K r i t e r i u m für eine Bestimmung des öffentlichen Interesses bei einem sozialbindenden Eingriff 2 4 3 . c) „öffentliches Interesse" kommt also als Konstitutivelement der Sozialbindung oder als Abgrenzungskriterium Sozialbindung / Enteignung nicht i n Betracht — auch nicht auf Seiten der Enteignung, dergestalt etwa, daß bei öffentlichem Interesse immer Enteignung zu bejahen wäre. Dies würde ja zu dem abwegigen Ergebnis führen, daß es Sozialbindungen ohne öffentliches Interesse, also etwa i m fiskalischen Interesse, geben könnte 2 4 4 . M i t dem „öffentlichen Interesse" scheiden auch alle ähnlichen Begriffe aus, wie Allgemeinwohl oder Gemeinschaftsinteressen, sowie umgekehrt Begriffe wie die der „Gemeinwohlgefährdung" oder „Sozialschädlichkeit". I n ihnen allen liegt nichts anderes als eine Argumentation aus einem unsubstantiierten, aber als generell vorrangig unterstellten öffentlichen Interesse. Die Rechtsprechung sollte das öffentliche Interesse nicht kurzweg als Begründung für die Annahme einer Sozialbindung anführen, was allerdings 2 4 5 ohnehin meist nur i n Verbindung m i t anderen Argumenten geschieht. I m Einzelfall mag dies noch so einleuchtend sein — methodisch darf die Beschränkung nicht nur vom Eingriff her, sie muß m i t Blick auf das beschränkte Recht erfolgen. Das öffentliche Interesse ist deshalb allerdings nicht etwa bedeutungslos i m Recht der Eigentumsbeschränkung. Es ist die Voraussetzung dafür, daß es überhaupt zu einer solchen Einschränkung kommen darf. So ist auch die eingangs erwähnte Rechtsprechung des BVerfG 2 4 6 zu verstehen: 242
Dazu oben A , I V . Allerdings k a n n öffentliches Interesse auch unabhängig von der Zielsetzung des Enteignungsbegünstigten bestehen, allein darin eben, daß die Sache von einem Privaten zum anderen wechsle. Der Staat k a n n insoweit sogar „ p r i vates Interesse als öffentliches Interesse" verfolgen. Vgl. dazu m. Nachw. Leisner, W., Privates Interesse als öffentliches Interesse, DÖV 1970, S. 217. 244 Dazu noch näher unten 3. 245 Vgl. oben F N 232, 233. 24β F N 230, 231. 243
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Unzulässig ist die Sozialbindung i n jedem Fall, soweit sie nicht durch ein öffentliches Interesse getragen wird. Das „öffentliche Interesse" legitimiert also jede A r t der Eigentumsbeschränkung, es ist kein K r i t e r i u m für eine bestimmte Form desselben. Diese Feststellung ist für das gesamte Eigentumsrecht von grundlegender Bedeutung. So selten das öffentliche Interesse als solches zur Begründung von (sozial-)politischen Forderungen herangezogen wird, so häufig dienen hierzu seine populären Ersatzbegriffe, insbesondere der der „Gemeinschaftsinteressen" oder des „Gemeinwohls". Wer könnte, wer wollte ihnen i m Namen von Eigentum widersprechen, i n dem doch schon vom Wort her vielen etwas „Eigensüchtiges" zu liegen scheint! Wiederum begegnet hier die Untersuchung einem jener schwer faßbaren, aber politisch um so stärker wirksamen Begriffe, mit deren Hilfe eine grundsätzliche „Anti-Eigentumsstimmung" erzeugt werden kann, die sich dann leicht i m besonderen Fall zur Eigentumsbeschränkung konkretisieren läßt. Wichtig ist es daher zu betonen, daß all dies i m Recht jedenfalls keine Stütze findet. 2. Die „Abwägungslehren", insbes. die Abgrenzungsformel des BVerwG
a) Da die Berücksichtigung des öffentlichen Interesses keinesfalls zu einer einseitigen Bestimmung der Grenzen der Sozialbindung aus der Sicht des Staates führen darf (vgl. oben 1. b), liegt es nahe, das öffentliche Interesse i n der Weise zur Geltung zu bringen, daß es gegenüber den privaten Interessen des Eigentümers abgewogen wird. „Bei der Regelung des Eigentumsinhalts müssen die Belange der Gemeinschaft und die Individualinteressen i n ein ausgewogenes Verhältnis gebracht werden" (BVerfG) 2 4 7 . Während sich bei anderen Gerichten derartige Formeln nur gelegentlich finden, hat das BVerwG zur Grundlage seiner Abgrenzungsversuche von Eigentumsbindung und Enteignung eine Form dieser „Abwägungslehre" gemacht. Gelegentlich heißt es bei ihm, die dem Gesetzgeber überlassene Bestimmung des Eigentumsinhalts müsse auf sachgerechten Erwägungen und auf einer angemessenen Abwägung der Belange des einzelnen und der Allgemeinheit beruhen 2 4 8 . Die eigentliche Definition der Sozialbindung aber liegt nach dem BVerwG darin, daß diese vorgenommen werde, „ u m das Eigentumsrecht gegen übergeordnete oder gleich247 BVerfG DÖV 1969, S. 281; ähnlich B G H Z 49, S. 231: „ . . . s o wäre eine Entschädigung doch nicht ohne weiteres f ü r jeden dadurch bedingten Ausfall zu zahlen; vielmehr müßten die widerstreitenden Interessen gegeneinander abgewogen werden. Ähnliches könnte aus dem Grundsatzbeschluß des Großen Senats des B G H abgeleitet werden, der sich gegen eine „einseitige" Berücksichtigung der Interessen des Staates wendet (vgl. E 6, S. 270 [282])." 248
B V e r w G N J W 65, S. 879.
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geordnete kollidierende Werte abzugrenzen". Durch diesen Zweck werde die Sozialbindung auch gerechtfertigt 249 . Hier stößt also die Untersuchung zum ersten M a l auf eine jener Formeln, m i t denen die Judikative versucht, die Sozialbindung allgemein zu bestimmen. Ersichtlich sollte hier auch die Grundlage für eine eigenständige Rechtsprechung geschaffen werden; der B G H hat diese Formel als solche i n seiner ständigen Rechtsprechung nicht übernommen. Nun zeigen zwar die angeführten Urteile des BVerwG, daß die „Abgrenzungsformel" durchaus nicht das einzige Abgrenzungskriterium bringen sollte; vielmehr werden daneben unterschiedliche andere Kriterien noch herangezogen, die i n späterem Zusammenhang darzustellen sind. Dennoch muß die „Großformel" darauf untersucht werden, ob sie eigenständige Abgrenzungsbedeutung hat. Deshalb zunächst noch einiges zu ihrem Verständnis. Verbal handelt es sich nicht um eine Abwägungs-, sondern u m eine Abgrenzungsformel. Wenn sie aber auf letzteres beschränkt würde, so wäre sie nichts als Tautologie. Selbstverständlich ist es Aufgabe einer inhaltsbestimmenden Beschränkung des Eigentums, dieses von anderen Werten abzugrenzen, wenn man es selbst als einen Wert auffaßt, was hier in ausdrücklichem Anschluß an die Wertentscheidungsjudikatur des BVerfG geschieht. I n Wahrheit aber liegt i n der Formel des BVerwG eben doch eine Abwägung: Sie geht davon aus, daß es Werte gibt, die dem Eigentum gleich — und solche, die i h m übergeordnet sind. So wie aber jede Wertabwägung eine Wertgewichtung voraussetzt 250 , so ist eine Gewichtung, insbesondere eine Gleich-Gewichtung von Werten, nur sinnvoll, wenn sie dann auf eine Abwägung hinausläuft — wenn sie nicht schon eine solche voraussetzt. Dies geschieht auch hier: Sozialbindung liegt eben dann vor, wenn auf Grund einer Abwägung die Gewichtigkeit der Interessen des Eigentümers und der Allgemeinheit festgestellt und dementsprechend dann abgegrenzt wird. Darin, in der A r t der Abgrenzung, liegt das Wesentliche, nicht i n der Tatsache derselben. Sozialbindung ist als wesentlicher Wertvergleich aber nicht Abwägung von privaten Werten untereinander, wie sie der Zivilrichter i m Einzelfall vornehmen mag; auch nicht Abwägung von Freiheitsrechten Dritter (als solchen) und Eigentumsrechten, die gar nicht zulässig w ä r e 2 5 1 und auch nie ausdrücklich angeführt wird. Bleibt also, trotz der so allgemeinen Fassung, als eigentlicher Kern der Formel nur dieser: Sozialbindung ist 249 std. Rspr., vgl. etwa B V e r w G E 2, S. 172 (174); 3, S. 335 (337); 3, 351 (354); DVB1 1955, S. 640; DÖV 1956, S. 576; DVB1 1958, S. 168; B a W ü V B l 1958, S. 89; DVB11959, S. 100; R d L 1968, S. 23. 250 Vgl. dazu Zippelius, R., B K Zweitbearb. 1966, A r t . 4 Rdnr. 65. 251 Vgl. oben I I . 4.
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die Abwägung des Wertes der Eigentumsfreiheit gegenüber jenen öffentlichen Interessen, welche den Schutz anderer, gleicher oder höherer Werte bezwecken. I n den vom BVerwG entschiedenen Fällen handelt es sich auch stets u m eine „Kollision" von derartigen öffentlichen Interessen m i t dem „Wert" Eigentumsfreiheit. Die Formel des BVerwG ist also i n diesem Zusammenhang des öffentlichen Interesses zu prüfen. b) Das Ergebnis dieser Prüfung muß negativ sein: Die Formel des BVerwG ergibt für das Wesen der Sozialbindung ebensowenig, wie der Hinweis auf das „öffentliche Interesse"; auch für die anderen Formen der Abwägungslehre gilt dasselbe: — Zunächst ist schon nicht ersichtlich, weshalb das Eigentum nicht nur gegen gleichgeordnete, sondern sogar gegen übergeordnete Werte „abgegrenzt" werden muß. Wenn die „Überordnung" einen normativen Sinn haben soll, diese Werte von den „gleichgeordneten" abhebt, so kann dieser nur darin liegen, daß diese höheren Werte dem Eigentum vorgehen sollen. Dann aber sind sie von i h m nicht mehr „abzugrenzen"; sie „kollidieren" auch ebensowenig m i t dem Eigentum, wie Bundesrecht m i t Landesrecht „kollidiert" — letzteres w i r d vielmehr gebrochen. Abgrenzungen kann es, normativ jedenfalls, immer nur auf derselben, also auf der Gleichordnungsebene geben. U m philosophische Abgrenzungen aber hat sich das BVerwG nicht zu bemühen. Dies alles ist nicht ein Streit um Worte oder die Korrektur einer ungenauen Terminologie. Die Formel des BVerwG erweckt den Eindruck, als gehe es bei der Inhaltsbestimmung lediglich u m Abgrenzung, also stets um eine Abwägung privater und öffentlicher Belange, von der ja auch das BVerfG spricht. I n Wahrheit aber w i r d m i t dem Ausdruck „übergeordnete" Werte nichts anderes angesprochen, als — ein öffentliches Interesse, dem das Eigentum eben weichen muß. I n der Formel des BVerwG liegt also neben der Abwägung auch die „reine" Theorie des öffentlichen Interesses, die bereits oben (1.) k r i t i siert worden ist. Sie ist sogar noch weiter und unbestimmter als die „schlichte" Lehre vom Vorrang der öffentlichen Belange, denn sie stellt ohne Gewichtung, ja ohne Beziehung nebeneinander: die Möglichkeit, das Eigentum zu brechen, aufzuheben („übergeordnete Werte) und die Fälle, i n denen das Eigentum lediglich (durch ein offenbar weniger intensives öffentliches Interesse) zurückgedrängt werden kann. Dies ist nichts als, mit hohen Worten, eine höchst generische Umschreibung für einen simplen Sachverhalt: daß nämlich das Eigentum entweder aufgehoben oder beschränkt werden kann. — Wie soll aber nun die Gleich- oder Höherrangigkeit i m Einzelfall bestimmt werden? Doch wohl durch einen Vergleich. Dieser aber setzt voraus, daß die Wertigkeit jeweils bestimmt ist. Wie das aber zu ge-
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C. Sozialbindung — Enteignung nach geltendem
echt
schehen habe, dafür gibt das BVerwG auch nicht den geringsten A n haltspunkt. Schon deshalb ist seine Formel, i m Eigentumsrecht jedenfalls, unpraktikabel. Eine klare, eindeutige oder auch nur dogmatisch faßbare Wertlehre gibt es heute nicht einmal für den Grundrechtsbereich, geschweige denn für alle Interessen, m i t denen es das öffentliche Recht zu t u n hat. Der Verweis auf ein,en Wertvergleich als einziges Abgrenzungskriter i u m kann daher rechtsstaatlichen Anforderungen nicht genügen. Eine so allgemeine „Abgrenzung nach Wertgehalt" kann sich auch nicht auf die („überragend") „wichtigen Gemeinschaftswerte" berufen, auf denen das BVerfG 2 5 2 eine Einschränkungs-Stufentheorie für ein vorbehaltlos garantiertes Grundrecht aufgebaut hat. Ganz abgesehen davon, daß eben das Eigentum nicht vorbehaltlos gewährleistet ist - - die „Abgrenzungswerte" nach dem Apothekenurteil wären i n ihrer Bedeutung für die Schrankenbestimmung m i t denen nicht vergleichbar, welche das BVerwG dem Eigentum als „kollidierende Werte" gegenüberstellen w i l l : Nach der Theorie des BVerfG werden diese Werte noch näher, und zwar einschränkend bestimmt („wichtig", „überragend"); sie sind nicht i n jedem Fall, sondern nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen überhaupt Begrenzungskriterien der Berufsfreiheit (bei subjektiven oder objektiven Zulassungsschranken), schließlich sind sie nur i m Extremfall der objektiven Zulassungssperre alleiniges Abgrenzungskritenum, der vom BVerfG deutlich als Ausnahme gekennzeichnet wird. Das BVerwG dagegen w i l l völlig pauschal und für alle Fälle die Wertlehre zur Abgrenzung einsetzen — und das noch gegenüber einem so hochdifferenzierten Schutzgut wie dem Eigentum. M i t der Wertlehre des BVerfG hat dies nichts zu tun, es w i r d hier vielmehr jede A r t von Wertlehre überfordert. — Angenommen aber, es gäbe Kriterien, u m die Gleichwertigkeit zu bestimmen, wie soll dann dementsprechend „abgegrenzt" werden? (Bei Höherwertigkeit der kollidierenden Interessen müßte ja ohnehin das Eigentum zurücktreten.) Soll hier dann immer eine Mittellösung am Platze sein? Oder steht es dem Gesetzgeber doch wieder frei, wo er die Grenze zwischen „gleichgeordneten Werten" zieht? Dies würde i m Ergebnis nur darauf hinauslaufen, daß das Eigentum unter einen i n keiner Weise näher detaillierten Vorbehalt des öffentlichen Interesses gestellt würde. Das einzig faßbare Ergebnis wäre also eine „Lösung des halben Weges" der Abgrenzung des Eigentums von einem etwa „gleichgeordneten Wert". Wenn dies zu einem brauchbaren dogmatischen Kriter i u m werden sollte, so wäre Voraussetzung dafür, daß beide „Werte" 252
i m Apothekenurteil E 7, S. 398 f.
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auf einen gemeinsamen Nenner gebracht und dann „quantitativ" halb und halb, i m Wege gegenseitigen Nachgebens, der Kollisionsraum geteilt würde. Dann aber müßte etwa das Eigentum bei Kollision m i t einem „Freiheitswert" „libertifiziert" 2 5 3 — oder dieser „Wert" müßte „materialisiert" werden. Dies alles aber ist doch wirklich „reine Theorie", i m heutigen Zustand der Dogmatik geradezu Utopie. Bliebe die heute so beliebte „Methode", die beiden „gleichgeordneten Werte gegeneinander abzuwägen" — der Ausgangspunkt des Kapitels ist wieder erreicht. Doch hier ist grundsätzlich K r i t i k angebracht. Die „Abwägung" ist aus der Interessenjurisprudenz heraus i m Zivilrecht entwickelt worden; dort mochte und mag sie ihren Platz haben, w e i l die gegensätzlichen Interessen i n der Regel quantifizierbar und vergleichbar sind. Sie lassen sich häufig auch auf einen „dritten" Punkt beziehen — etwa auf die konkrete Vermögenslage eines oder einiger Beteiligter. Dann aber kann i n der Tat eine echte „Abwägung" stattfinden. Ins öffentliche Recht dagegen ist die „Abwägung" meist k r i t i k los übernommen worden, mehr als ein Modewort ist sie kaum i n irgendeinem Bereich dieses Rechtsgebiets. Wie sollte man denn öffentliche und private Interessen „gegeneinander abwägen", wo ist der gemeinsame Nenner, die Vergleichbarkeit, wo soll die „Waage aufgehängt werden". Abwägen ist eben ein „gutes juristisches Wort", aus dem Sprachschatz auch des öffentlichen Rechts w i r d es so rasch nicht verschwinden — vor allem dann, wenn klare Entscheidungskriterien fehlen wie hier bei der Sozialbindung. Dann nämlich läßt sich die mangelnde Begründung besonders gut durch ein Wort ersetzen, das zwar gar keinen faßbaren Inhalt hat, aber doch zeigt, wie ernsthaft sich der Abgrenzende Gedanken gemacht hat. U m es offen zu sagen: Die „ A b wägung" bedeutet meist nicht mehr, als daß sich der Entscheidende selbst das Zeugnis eines nicht einseitigen, damit aber eines guten Richters ausstellt. Darüber hinaus bietet die Formel, für die Sozialbindung jedenfalls, auch nicht den geringsten Anhalt für eine Begriffsbestimmung, weder inhaltlich, noch methodisch. — Ein letztes und grundsätzliches Bedenken erhebt sich auch dagegen, daß bei jeder Inhaltsbestimmung des Eigentums eine Abwägung von „Werten" stattfinden soll. „Wert" i m Sinne des BVerfG ist doch die persönlichkeitsbezogene Bedeutung des Eigentums als Grundrecht, nicht der materielle Wert des einzelnen Eigentumsgegenstandes. Wertentscheidung des Grundgesetzes für das Eigentum ist i n jenem allgemeinen Sinn gemeint. Das BVerwG w i l l aber den Wertbegriff gerade dort einsetzen, wo es u m die Beschränkung von Verfügungsrechten an 253
Die grundsätzlichen Bedenken dagegen w u r d e n bereits dargelegt, vgl. oben I I , 4.
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ganz bestimmten Gütern, und damit meist um materiell bestimmbare Opfer geht. Ist das aber noch derselbe Wertbegriff, sollte hier überhaupt von „Werten" gesprochen werden? Stehen sich nicht weit bescheidenere, lediglich konkrete, meist Vermögenswerte Interessen gegenüber, kommt es nicht darauf an, ob man ein bestimmtes, meist summenmäßig bestimmtes Opfer dem Eigentümer oder der steuergewaltigen Gemeinschaft zumuten soll — kollidieren hier also überhaupt „Werte"? Doch dies ist nicht nur eine Frage höherer oder einfacherer Worte; wer das Eigentum als „Wert" gegen andere Werte abwägen w i l l , gerät sehr rasch i n die Versuchung, nicht mehr einzelne Vermögenswerte Interessenlagen zu vergleichen, sondern nur die jeweiligen Legitimationsgrundlagen — die der zu beschränkenden Position (Eigentum) und die des einschränkenden Eingriffs. Dann aber w i r d in aller Regel das Eigentum geopfert werden, denn als „Wert" w i r d es doch, weder allgemein noch für den Einzelnen, schon durch irgendeinen konkreten Verlust herabgesetzt. Die Abwägungslehre, insbesondere i n der Formel des BVerwG, führt also zu einem eigenartigen Eindringen von institutionellen Vorstellungen i n den Bereich grundrechtlicher Ansprüchlichkeit und damit zu einer „Objektivierung" der Grundrechte, die noch immer der erste Schritt zu ihrer vollständigen Entwertung war. Das BVerwG hat daher m i t seiner Formel zu weit und zu hoch gegriffen. Abgrenzungswert, Bedeutung für eine Bestimmung der Sozialbindung hat sie nicht. Es ist auch nicht nur eine Frage des Urteilsstils, ob derartige „Philosophieformeln" mit gebetsmühlenhafter Eintönigkeit von Urteil zu Urteil weitergeschleppt werden sollten. Wenn es schon Aufgabe des Richters ist, den Einzelfall zu entscheiden, nicht aber Gesetze zu geben, so sollte er doch, bei aller Notwendigkeit eines Richterrechts, bei allem Verständnis für dieses, solche Richternormen nicht laufend i n einer so allgemeinen Form anbieten, wie dies weder der Gesetzgeber, noch sogar der Verfassunggeber wagen würde. Der Richter muß konkretisieren, nicht ohnehin schon weite Formeln noch weiter durch Richterrecht generalisieren. Das Gebot der Rechtsstaatlichkeit richtet sich auch an den Richter als Normgeber des Richterrechts. Und grundsätzlich: M i t derartigen Großformeln w i r d nur Präzision vorgetäuscht, i n der „Sache Sozialbindung" sind sie nicht nur unbehilflich, sondern irreführend. Das öffentliche Interesse aber — das ist das Ergebnis für diesen A b schnitt — mag Voraussetzung für Eigentumsbeschränkungen sein, es definiert ihre Formen nicht, grenzt sie nicht voneinander ab, weder, wenn es „rein" zum Einsatz kommt, noch wenn es „abwägend", bei „Kollisionsfällen" eine Bedeutung haben soll, die gar nicht näher definiert werden
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kann. Wiederum erweist sich einer jener allgemeinen Einschränkungsbegriffe, die nicht selten gegen das Eigentum eingesetzt werden, als unbehilflich. 3. Sozialbindung nach fiskalischen Gesichtspunkten? Die Bedeutung der „Leistungsfähigkeit" des Staates
Die Sozialbindung und ihre Abgrenzung zur Enteignung sei, so w i r d behauptet 2 5 4 , nicht ein juristisches, sondern „ein finanzielles bzw. fiskalisches Problem" ; und es w i r d hinzugefügt, zwar dürften fiskalische Interessen bei der Abgrenzung nicht einseitig berücksichtigt werden, die Heranziehung fiskalischer Gesichtspunkte sei jedoch i n bestimmtem Umfang möglich. Bei der Prüfung dieser These sind zunächst zwei mögliche Bedeutungen des „Fiskalischen" i n diesem Zusammenhang zu unterscheiden: Einerseits Fiskalinteressen i m Sinne von Fiskaltätigkeit der öffentlichen Hand, Gesichtspunkte also, die sich aus Bereichen ergeben, i n denen die öffentliche Hand genauso, insbesondere erwerbswirtschaftlich, tätig w i r d wie Private; zum anderen etatmäßige Interessen des Staates, die Frage also, wieviel es den Steuerstaat kosten würde, wenn er für den betreffenden Eingriff volle Entschädigung zu leisten hätte, und ob dies der Allgemeinheit zumutbar ist, ob also nicht Sozialbindung angenommen werden muß, weil der betreffende Eingriff als Enteignung unerträglich teuer werden würde. a) Fiskalische Gesichtspunkte i m Sinne der Fiskaltätigkeit der öffentlichen Hand rechtfertigen die Enteignung ebensowenig wie die Sozialisier u n g 2 5 5 : Eigentum darf nicht zur Förderung erwerbswirtschaftlicher Interessen der öffentlichen Hand entzogen werden. Damit ist aber noch nicht entschieden, ob nicht die Sozialbindung u. a. auch durch derartige fiskalische Interessen gerechtfertigt werden kann. Diese würden dann zugleich die Sozialbindung i n solchen Fällen rechtfertigen und ein wenigstens teilweises K r i t e r i u m zur Abgrenzung gegenüber der Enteignung bieten: Wann immer fiskalische Gesichtspunkte die Maßnahme trügen, könnte diese nie Enteignung, sie müßte stets Sozialbindung sein. Erwerbswirtschaftliche Interessen der öffentlichen Hand vermögen jedoch eine Sozialbindung nicht zu rechtfertigen. Man könnte zwar gel254
Seilmann, M . (FN 92), S. 1692/3. Z u letzterer i n diesem Sinne u. a. Hamann, A . (FN 164), S. 167; Kimminich, Ο. (FN 164), Rdnr. 11 ; Hamann-Lenz, GG, 3. Aufl., 1970, A r t . 15 Β 2; ν. MangoldtKlein, BGG, I, S. 463; a. A . offenbar Eschenburg, Th., Staat u n d Gesellschaft i n Deutschland, 4. Aufl., 1960, S. 443, nach dem die Einnahmesteigerung durch V e r 255
7 Leisner
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tend machen, die Enteignung sei der „schwerere Eingriff", hier müsse also die öffentliche Hand „stärkere" und „bessere", d. h. öffentliche Interessen ins Feld führen können als bei der Sozialbindung, die doch nur leichtere Eingriffe bringe; hier könnten also auch erwerbswirtschaftliche Interessen genügen. Das Argument schlägt jedoch nicht durch. Die Enteignung ist allenfalls nach ihrer unmittelbaren Rechtswirkung, nicht aber nach den Rechtsfolgen i m ganzen der „schwerere" Eingriff — sie gibt ja A n spruch auf Entschädigung, während durch Sozialbindung vielleicht weniger, dafür aber entschädigungslos, entzogen wird. Nach der „Schwere der Rechtsfolgen" lassen sich also beide Eingriffsformen nicht so allgemein vergleichen. Sie sind unterschiedlich. Dies schließt nun zwar nicht aus, daß auch unterschiedliche Interessenvoraussetzungen auf Seiten des Staates für beide erforderlich sein könnten. Die erwerbswirtschaftlichen Interessen sind jedoch generell ungeeignet, Eingriffe von hoher Hand i n das Eigentum zu legitimieren. I m Fiskalbereich handelt die öffentliche Hand „wie ein Privater", sie darf sich dort also der hoheitlichen Sozialbindung überhaupt nicht bedienen, u m ihre Position, die meist auch eine Situation privatwirtschaftlichen Wettbewerbs sein wird, zu Lasten ihrer Konkurrenten zu verbessern. Dies würde ebenso gegen den Begriff des fiskalischen Handelns verstoßen wie gegen das Wettbewerbsrecht. Daraus aber folgt, daß bei Sozialbindungen fiskalische Erwägungen überhaupt keine Rolle spielen, daß erwerbswirtschaftliche Vorteile auch nicht als Nebenzwecke mitgewollt sein dürfen. Für die Sozialbindung gilt insoweit dasselbe wie für die Enteignung, eine Abgrenzung zwischen beiden kann sich aus so verstandenen „fiskalischen Gesichtspunkten" nicht ergeben. b) Fiskalinteressen nach Gesichtspunkten wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit des Steuerstaates dagegen stehen tatsächlich fast immer hinter dem Bestreben, eine bestimmte Eigentumsbeschränkung als Sozialbindung von der Entschädigungspflicht auszunehmen, welche sie als Enteignung oder Sozialisierung auslösen würde 2 5 6 . Es w i r d nun behauptet, die Entschädigungspflicht müsse dann entfallen, wenn der Allgemeinheit die Leistung dieses Ausgleichs faktisch nicht möglich ist oder wenn ihr das Mißverhältnis zwischen dem m i t einem entsprechenden Entschädigungsverfahren notwendigerweise verbundenem Aufwand und dem hierdurch für den betroffenen Eigentümer erreichbaren materiellen Erfolg bei verständiger Würdigung der Dinge nicht zugemutet werden kann 2 5 7 . Hier w i r d also das K r i t e r i u m der Leistungsfähigkeit des Staates als gesellschaftung bestimmter ertragreicher Wirtschaftszweige ein M o t i v der E n t eignung sein kann. 256
Selbmann, M. (FN 92), S. 1692.
257
aaO, S. 1693 f.
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Hoheitsträger, damit aber ein Argument eingesetzt, das sich aus öffentlichem, nicht privatem Interesse ableitet. Zwar ist zuzugeben, daß es praktisch unmöglich wäre, volle Entschädigung für alle sozialbindenden Eingriffe zu gewähren, von den Beeinträchtigungen durch den Gemeingebrauch an den Straßen bis zu arbeitsrechtlichen Vorschriften. Dennoch kann die Sozialbindung nicht nach dem K r i t e r i u m der Leistungsfähigkeit des Staates, sie darf nicht danach definiert werden, wie teuer sie als Enteignung dem Staate zu stehen kommen würde 256. Wollte man nämlich darauf abstellen, so müßte dies zu dem grotesken Ergebnis führen, daß alle „teueren" und damit einschneidenden Maßnahmen entschädigungsfrei vorgenommen werden könnten, während für Kleineingriffe Enteignungsentschädigung zu zahlen wäre. Die Enteignung als Bagatelleingriff — das würde das gesamte Eigentumsrecht auf den Kopf stellen. Würde der „Preis" des Eingriffs aber nicht i m Einzelfall, sondern unter Addierung der Belastungen errechnet, die allen Betroffenen entstehen könnten, so wäre praktisch das eigentliche K r i t e rium nicht mehr der Preis, den die Staatsgewalt zahlen müßte, sondern die Zahl der Betroffenen. Dies aber ist ein anderes, unten (IV) noch näher zu erörterndes mögliches Abgrenzungskriterium. Fälle, i n denen ein Ausgleich dem Staat überhaupt nicht möglich wäre, sind volkswirtschaftlich nicht vorstellbar: Der Steuerstaat kann sich alle Mittel verschaffen, die er braucht. Er kann jedenfalls vorhandenes K a pital so weit durch Abgaben abschöpfen, daß er denjenigen Preis für einen Eingriff i n das Eigentum bezahlen kann, der dem konkreten Wert dieser Güter entspricht. Dieser Wert muß ja, gerade wenn er nach dem M a r k t bestimmt wird, irgendwie der kapitalmäßigen Leistungsfähigkeit der Bürger i n dieser Gemeinschaft entsprechen. Diese läßt sich aber wiederum durch Besteuerung verändern. Selbst bei größten Enteignungsmaßnahmen bleibt also der Staat stets leistungsfähig zur Entschädigung — je mehr er sich über Abgaben M i t t e l verschafft, desto stärker drückt er gerade dann zugleich mittelbar den Marktwert zu enteignender Güter, wenn diese infolge ihres hohen Wertes von Bedeutung für das Gesamtmarktsystem sind. Daß die Leistungsfähigkeit i n Krisenzeiten eine Sozialbindung nicht definieren kann, wurde bereits nachgewiesen 259 . Alles andere aber ist kein Fall der Unmöglichkeit der Ersatzleistung, sondern der politischen Entschädigungsunwilligkeit der Staatsgewalt. Diese darf sich jedoch nicht verstecken: Was als Entschädigungsleistung „politisch unrealistisch" sein sollte, ist deshalb noch lange nicht rechtlich unmöglich. Auf politische Schwierigkeiten aber nimmt der Grundrechtsschutz keine Rücksicht 258 259
7*
So auch Ridder, H. (FN 169), S. 145. Vgl. oben 1,3.
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Wenn eine Regierung ein Enteignungsprogramm finanziell nicht durchhalten kann, so muß sie es aufgeben oder zurücktreten. Die „Möglichkeiten des Staates" sind nicht identisch m i t dem, was für die jeweils parteipolitisch herrschende Gruppe politisch erreichbar ist. Wer anders entscheidet, wer hier auch nur ein Zugeständnis macht, stellt das Eigent u m nicht nur unter den Vorbehalt des öffentlichen Interesses, sondern der jeweiligen politischen Konstellation. Dann aber gibt es überhaupt keinen Eigentumsschutz mehr. Es ist auch nicht einzusehen, weshalb es ungerecht oder „der Gemeinschaft nicht zuzumuten" sein soll, dem Einzelnen für Verminderung des Wertes seines Eigentums Ersatz zu bieten. Grundsätzlich — allgemein kann diese Frage doch überhaupt nicht aufgeworfen werden, weil die Verfassung eben die Entschädigungspflicht für Enteignungsfälle statuiert hat. Beide Fälle, die Enteignung wie die Sozialbindung, sind aber schon nach dem Wortlaut der Verfassung nicht aus der Leistungsfähigkeit des Entschädigungsschuldners definiert, sondern aus A r t und Umfang des Eingriffs i n das Eigentumsrecht. Und der „Gerechtigkeit" — wenn sie hier schon bemüht werden soll — entspricht es doch, gerade wenn die Allgemeinheit an dem Eingriff interessiert ist, daß seine Folgen nicht von einem, dem mehr oder weniger zufällig Betroffenen, sondern von allen (Steuerpflichtigen) getragen werden 2 6 0 . Schon aus dem Begriff der Eigentumsbeschränkung i m Interesse aller folgt also, daß die Leistungsfähigkeit des Entschädigungsschuldners i n einem Steuerstaat ohne Bedeutung für die Entschädigungspflicht ist, w e i l eben alle entschädigen müssen. Dann aber kann auch die Sozialbindung des Eigentums nicht danach von der entschädigungspflichtigen Enteignung abgegrenzt werden, ob dem Staat die Beschränkung teuerer oder billiger kommt. Wer jedoch hier die Abwägung der Allgemeinheit und der Betroffenen im Rahmen der Festsetzung der Entschädigung für die Abgrenzung von Sozialbindung und Enteignung heranziehen und letztere etwa nur annehmen w i l l , wenn diese Abwägung zu einem Überwiegen der Eigentümerinteressen und damit zu (hoher, voller) Entschädigung führt, der begeht einen schweren dogmatischen Fehler, über den noch näher i m folgenden Kapitel zu handeln sein w i r d : Er stellt zur Abgrenzung der Enteignung von der Sozialbindung Erwägungen an, die voraussetzen, daß diese selbe Abgrenzung bereits stattgefunden hat, daß nämlich Enteignung, nicht aber Sozialbindung vorliegt. Das „öffentliche Interesse", wie immer man es einsetzen mag, kann also eine Abgrenzung der Sozialbindung von der Enteignung nicht leisten. Es ist Voraussetzung und vielleicht einer der Beurteilungsgesichtspunkte, nicht aber als solches Grundlage der Entscheidung. Dies gilt auch für jene 260
So zutr. B a y O b L G DÖV 1961, S. 838.
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Leistungsfähigkeit des Staates, die zwar als solche i m öffentlichen Interesse steht und zur Erfüllung öffentlicher Interessen eingesetzt wird, jedoch nicht dadurch „geschont" werden darf, daß alles zur Sozialbindung gemacht wird, was dem Staat zu teuer ist. Der „Preis" ist eben nicht einseitig i m staatlichen Interesse zu bestimmen, i n einer Marktwirtschaft bildet er sich aus privaten Interessen und privaten Interessen dient auch jenes Eigentum i n erster Linie, das durch A r t . 14 GG geschützt wird. Exkurs: Die Höhe der Enteignungsentschädigung und die Sozialbindung — Ausweitung der Sozialbindung durch Beschränkung der Enteignungsentschädigung? 1. Mögliche Auswirkungen der Höhe der Enteignungsentschädigung auf die Abgrenzung Sozialbindung / Enteignung
Die Abwägung von öffentlichem und privatem Interesse kann keine Abgrenzung von Sozialbindung und Enteignung tragen; dies wurde bereits nachgewiesen 261 . Sie w i r d jedoch vom GG beim Eigentumsschutz ausdrücklich erwähnt: Nach A r t . 14 Abs. I I I GG sind die Interessen des Betroffenen und die der Allgemeinheit zu einem Ausgleich zu bringen — bei der Bemessung der Enteignungsentschädigung. Kann nun die Höhe der Enteignungsentschädigung Auswirkungen auf die Abgrenzung von Enteignung und Sozialbindung haben? Wenn dies zu bejahen wäre, so käme dem genannten Ausgleich von Individual- und Gemeinschaftsinteresse auf diesem Wege doch noch Bedeutung für den Begriff der Sozialbindung zu. a) Praktisch-politisch läßt sich die gesamte Abgrenzung der Sozialbindung von der Enteignung durch eine entsprechende Gestaltung der Höhe der Enteignungsentschädigung „unterlaufen"; damit würde die Institution der Enteignung faktisch völlig entwertet — schon daraus ergibt sich die Bedeutung der Problematik der Wirkung der Enteignungsentschädigungshöhe auf den Begriff der Sozialbindung. Wenn nämlich die Höhe der Entschädigung niedriger angesetzt wird, als jener Marktwert, den der Eigentümer beim Verkauf des Gutes erzielen kann, so nähert sich i n demselben Maß die Enteignung quantitativ dem Zustand der Sozialbindung an, i n dem ja keine Entschädigung zu leisten ist. Umgekehrt könnte man Sozialbindung geradezu als den Fall definieren, i n dem eine Abwägung der Interessen von Allgemeinheit und Betroffenem ergeben habe, daß eben keinerlei Entschädigung zu entrichten sei. Die Unterschiede zwischen den beiden Formen der Eigentumsbeschränkung wären dann nur mehr quantitativer A r t ; ja es ließe sich gar nicht 261
Vgl. oben I I I , 2.
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C. Sozialbindung — Enteignung nach geltendem
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mehr eindeutig bestimmen, wann nun der Übergang von der Enteignung zu der Sozialbindung vollzogen würde. Letztere müßte doch nicht nur angenommen werden, wenn die Entschädigung gleich 0 gesetzt würde, sondern auch dann, wenn an diesen „Grenzwert" eine Annäherung stattfände, welche wirtschaftlich auf das gleiche hinausliefe. Wann dies aber der Fall wäre, ließe sich überzeugend allgemein überhaupt nicht festlegen; die Abgrenzung hätte für jedes einzelne Gut anders, stets aber nach quantitativen Gesichtspunkten zu erfolgen. Alle Spielarten der Eigentumsbeschränkung, Formen der Sozialbindung wie der Enteignung, lägen i n einer Skala, i n deren Raum bruchlose, vielleicht unmerkliche Übergänge von der maximalen Eingriffsintensität der „vollen" Enteignung zu jenen minimalen Eingriffen reichten, welche als Sozialbindung mehr zu „orten" als fest zu „definieren" wären 2 6 2 . Wenn man also von einer möglichen beweglichen Höhe der Entschädigung ausgeht und dies bei der Definition der Sozialbindung berücksichtigt, so wandelt die Unterscheidung von Sozialbindung und Enteignung ihren Sinn. Es geht dann überhaupt nicht mehr u m die Schwere des Eingriffs, u m die „Tiefe", i n die der Staat i n den Rechtskreis des Einzelnen, vielleicht bis zur „Substanz" des Eigentums vordringt. Die ganze Unterscheidung beruht dann vielmehr auf dem Ergebnis von Interessenwertungen (Allgemeinheit — Betroffener), die grundsätzlich überhaupt ohne Berücksichtigung der materiellen Schwere des Eingrìffs erfolgen können. Auch der „leichteste" Eigentumseingriff kann dann eben Enteignung sein, wenn das Interesse der Allgemeinheit gering ist, die schwerstwiegende Beschränkung bleibt Sozialbindung, wenn die Interessen des Betroffenen nicht schwer genug wiegen. Diese Interessen aber bemessen sich doch danach, wie „notwendig" dem Entwehrenden die Beschränkung, dem Eigentümer die Sache ist — nicht aber nach deren Wert. Und diese beiden Kriterien werden i n aller Regel zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen führen. Die Unterscheidung Sozialbindung — Enteignung verliert jedoch überhaupt ihren Sinn, wenn eine grundsätzlich bewegliche Entschädigungshöhe hier berücksichtigt wird. Wenn die Sozialbindung nur ein Endpunkt der Skala der Eigentumsbindungen ist — warum sollte es dann diesen Begriff überhaupt noch geben? Er bedeutet ja nur den „ N u l l t a r i f " bei Enteignungen, selbständige dogmatische Bedeutung kommt i h m nach der Rechtsfolge nicht mehr zu — warum sollte er unter speziellen Voraussetzungen stehen, eine „besondere Institution" des Enteignungsrechts sein? Übrigens könnte man dann ebensogut auch den Begriff der Ent262 M a n käme dann doch zu dem Zustand, welchen Jellinek schon i n der Weimarer Zeit m i t seiner Schutzwürdigkeitstheorie beschrieben hat, vgl. m. Nachw. oben A V, 4.
Exkurs
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eignung eliminieren wie den der Sozialbindung und alles auf Sozialbindung zurückführen — Enteignung wäre dann nichts anderes als eine gesteigerte Form der Sozialbindung. Die Entschädigungsverpflichtung würde dadurch deutlich zum (möglichst seltenen) Unterfall der sozialen Pflichtigkeit des Eigentums degradiert werden. Rechtlich wäre damit zwar nichts gewonnen, sehr viel aber (sozial-)politisch: Unausgesprochen wäre der „Grundsatz", die Regel, der Normalfall der Eigentumsbindung aus der Sicht der entschädigungslosen Sozialbindung zu definieren, die Enteignung würde damit geradezu zur systematischen Ausnahme. Dies ließe sich dann weiter auch rechtlich zu der „Vermutung" steigern, daß eine Entschädigungspflicht nicht vorliege. Praktisch jedenfalls würde aus der „beweglichen Höhe" der Entschädigung sehr bald die „möglichst geringe Entschädigung" werden. Doch dies mögen politische Aussichten sein; rechtlich jedenfalls würde durch eine Einbeziehung mobiler Entschädigungshöhe i n den Problemkreis Sozialbindung — Enteignung eine „Einheit des Eigentumseingriffs" hergestellt werden, welche m i t Sicherheit (sozial-)politischer Dynamik breiteren Raum gewähren würde als bisher. b) Die Tatsache, daß es überhaupt die Möglichkeit gibt, über die Höhe der Enteignungsentschädigung die Abgrenzung Sozialbindung — Enteignung, wenn auch nur indirekt, zu beeinflussen, daß dies sogar ökonomischer Betrachtungsweise zu entsprechen scheint, belastet die gesamte Diskussion um die Sozialbindung. Zwar ist, soweit ersichtlich, noch nie deutlich herausgestellt worden, daß ein Zusammenhang zwischen Entschädigungshöhe und Sozialbindungsbegriff besteht 263 , daß bei mobiler Höhe der Entschädigung eine Relativierung des Enteignungsbereichs und damit zugleich die Variabilität des Sozialbindungsbegriffs droht. Ein Uberblick über die Entwicklung der Sozialbindungsdiskussion zeigt jedoch eines sehr deutlich: Wenn i n einer Periode die Höhe der Enteignungsentschädigung mehr oder weniger festgelegt ist, was meistens beim „vollen Wertersatz" nach Marktwert geschieht, so beginnt m i t besonderer Intensität die Diskussion u m die Sozialbindung des Eigentums. (Sozial-) Politische Dynamik kann sich ja dann praktisch nur insoweit L u f t machen, als der Raum der Sozialbindung erweitert wird, weil hier die Veränderung der Eigentumsverhältnisse dann den Staat gar nichts kostet. So war es gegen Ende der Weimarer Zeit. Sobald man sich dagegen umgekehrt von dem Grundsatz fester Entschädigungshöhe abwendet und hier eine 268 allerdings die Sozialbindung aus der Abwägung zwischen öffentlichen u n d privaten Interessen bestimmt werden soll (vgl. oben I I , 2., insbes. etwa Sellmann, M. (FN 92), S. 1693/4; Bielenberg, W. (FN 156), S. 446; Lindner , G. (FN 137), S. 63)), dort w i r d bereits dieselbe Methode zur Bestimmung der Sozialbindung w i e der Höhe der Enteignungsentschädigung eingesetzt. Beides gerät damit i n einen engen Zusammenhang, der sich bis zu einer „Sozialbindung nach Entschädigungshöhe" steigern läßt.
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Mobilität einziehen läßt, braucht man sich um die Abgrenzung der Sozialbindung von der Enteignung nicht mehr so intensiv zu bemühen; man kann ja die Enteignung, wenigstens teilweise, durch Zubilligung niederer Entschädigung entschärfen und kann dann die entschädigungslosen Eingriffe i m Rahmen der Sozialbindung auf einen engeren Raum beschränken, weil sich die Erweiterung des Enteignungsbereichs eben i n Kauf nehmen läßt. Diese Tendenz wurde i n der nationalsozialistischen Zeit deutlich sichtbar 264 . Das „öffentliche Interesse" versucht eben den Vorstoß gegen die Eigentumsposition entweder über eine Verminderung der Enteignungsentschädigung — oder durch Erweiterung der Sozialbindung, denn letztlich geht es ja immer wirtschaftlich u m das, was der Staat dem Eigentümer (nicht) bezahlen muß — auf diesem oder jenem rechtlichen Weg. Die Entwicklung der Diskussion um die Sozialbindung läßt sich auch heute nur einigermaßen absehen, wenn das Entschädigungsrecht, wenigstens i n seinen Umrissen und allgemeinen Tendenzen, herangezogen und vor allem der Grad möglicher Mobilität der Entschädigungshöhe festgestellt wird. Dies soll i m folgenden unter 3. geschehen. Bevor nun zur rechtlichen Zulässigkeit der Heranziehung der Entschädigungshöhe für eine Bestimmung der Sozialbindung Stellung genommen w i r d (im folg. 2.), ist noch zu fragen, ob es für den Eigentumsschutz günstiger oder gefährlicher ist, wenn die Entschädigungshöhe mobilisiert, als wenn der Bereich entschädigungsloser Sozialbindung ausgedehnt wird. Zwar drohen i m letzteren Fall den Eigentümern gewisse Eingriffe, für welche sie bei Mobilisierung der Entschädigungshöhe noch einen, wenn auch nicht vollen Ersatz bekämen, nun ohne jede Entschädigung. Dennoch ist das Eigentum i m ganzen weit weniger durch eine Ausdehnung der Sozialbindung gefährdet als durch Mobilisierung der Entschädigunghöhe: Wenn diese Höhe nicht mehr, wenigstens „ i m Grundsatz" oder „ i n der Regel" bei vollem Wertersatz liegt, so drohen den Eigentümern schwere Einbußen gerade bei den enteignenden Eingriffen, die doch wertmäßig meist besonders weit gehen. Ist einmal die Entschädigungshöhe grundsätzlich mobilisiert, so gibt es auch keine feste Grenze vor dem O-Punkt der Sozialbindung mehr, an der die Entschädigung Halt machen müßte. Praktisch können also dieselben Folgen erreicht werden wie durch Ausweitung der Sozialbindung — nur daß diese immer nur für einige umgrenzte Bereiche gelingen wird, während die Mobilisierung der Entschädigungshöhe den gesamten Eigentumsschutz relativiert. Die Ausdehnung der Sozialbindung ist auch stets eine klare und oft aufsehenerregende rechtliche und politische Entscheidung, welche die gerichtliche Zensur zu fürchten hat — ist dagegen die Entschädigungshöhe grundsätz264
Vgl. oben Β a. E.
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lieh mobilisiert, so kann nur i n seltenen Fällen der Richter die gesetzliche Regelung der Höhe rügen; nach welchen Kriterien sollte er denn praktisch entscheiden? Nicht zuletzt aber hat die Teilentschädigung nie das Odium der „entschädigungslosen Enteignung", der „Konfiskation" gegen sich, es erscheint Außenstehenden so, als habe doch „jeder das Seine" erhalten. Nicht zuletzt aus solchen Gründen konnten Nationalsozialisten diese Lösung bevorzugen, denen es um staatsrechtliche Kontinuität ging. Für die Staatsraison ist also die Mobilität der Höhe der Enteignungsentschädigung i m Ergebnis die bessere Lösung, vor allem aber diejenige, welche i n ihrer Flexibilität größeren Handlungsspielraum für solche sozialpolitische Veränderungen schafft, die nicht offen gegen die Grundrechtlichkeit gerichtet sein sollen. Denn am stärksten gefährdet ist ja das Eigentum nicht dann, wenn es durch präzise Erweiterung der Sozialbindung punktuell zurückgedrängt wird, sondern wenn es i n einer Variabili tat der Begriffe von Sozialbindung und Enteignung als solcher i m ganzen relativiert wird. Nichts anderes bewirkt, wenn auch auf Umwegen, die Mobilisierung der Höhe der Enteignungsentschädigung. 2. Unzulässigkeit der Berücksichtigung der Höhe der Entschädigung bei der Bestimmung der Grenzen der Sozialbindung
Wirtschaftlich betrachtet mag es ein und dasselbe Problem sein, ob der Staat für einen Eigentumseingriff gar nichts zu bezahlen braucht, w e i l Sozialbindung vorliegt, oder ob er die Entschädigung weitgehend, vielleicht bis in die Nähe des Nullpunkts, absenken kann, obwohl Enteignung gegeben ist — i n beiden Fällen geht es darum, wieviel zu bezahlen ist. Politisch gesehen mag es als wenig k l u g erscheinen, die gesamte „Dynamik des öffentlichen Interesses" i n die Diskussion um die Höhe der Entschädigung zu verlegen, die Grenze von der Sozialbindung zur Enteignung dagegen „abwägungsfrei" bestimmen zu wollen — steht nicht gerade dann für das Eigentum zu befürchten, daß es „als Begriff fest bleibt", i n seinem Wert aber relativiert wird( vgl. oben 1. a. E.)? Sollte nicht i n einer Mittellösung die Höhe der Entschädigung doch von einer „gewissen" Bedeutung für die Abgrenzung Sozialbindung — Enteignung sein? Dies ist aus den folgenden Gründen abzulehnen, weil es mit der Verfassung nicht vereinbar wäre und das gesamte System des Eigentumsschutzes sprengen würde: a) Die Verfassung hat die Enteignung nach Voraussetzung, Rechtsfolge und Rechtsschutz besonders geregelt (Art. 14 Abs. I I I GG). Dies berechtigt dazu, von einem besonderen „Rechtsinstitut" der Enteignung zu sprechen, was heute auch von keiner Seite bestritten wird. Konstitutivelement der Enteignung ist jedoch die Entschädigung. Nicht die Höhe der Entschädi-
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C. Sozialbindung — Enteignung nach geltendem Recht
gung ist ein Wesensmerkmal der Enteignung, sondern die grundsätzliche Verpflichtung, unter angemessener Berücksichtigung der gegenläufigen Interessen überhaupt zu entschädigen. Der Begriff der Entschädigung ist i m geltenden öffentlichen Recht so wesentlich m i t dem der Enteignung verbunden, daß er nur auftritt, wenn enteignende Eingriffe vorliegen, ja daß er geradezu ein Indiz dafür ist. Die Sozialbindung des Eigentums ist zwar nicht so eingehend von der Verfassung geregelt; es mag auch hier offen bleiben, ob man bei ihr von einem „Institut der Verfassung" sprechen kann. Wesentlich ist für sie jedoch, daß bei i h r keinerlei Entschädigung zu gewähren ist. Dies ist das einzige bisher unstreitige Abgrenzungskriterium von Sozialbindung und Enteignung, das allerdings ungenügend ist, weil es nur die Rechtsfolgenseite betrifft. Immerhin steht fest, daß die Verfassung keine Enteignung ohne Entschädigung kennt, aber auch keine Sozialbindung, bei der Entschädigungspflicht entstünde. Die Abwägung von Interessen der Allgemeinheit und der Betroffenen sieht diese Verfassung nur i n einem Fall vor: bei der Bestimmung der Höhe der Enteignungsentschädigung. Eine solche Abwägung kann also überhaupt nur in Betracht kommen, wenn zuvor festgestellt ist, daß keine Sozialbindung, sondern Enteignung vorliegt. Wer also sogleich überlegt, wie wohl bei einem bestimmten Eigentumseingriff die Interessenlage zwischen Staat und Eigentümer sei, und wieviel an Ersatz hier angemessen sein könnte, dann zu dem Ergebnis kommt, eine Entschädigung sei nach dieser Interessenlage nicht angebracht und nur deshalb Sozialbindung annimmt, der handelt systematisch unzulässig: Er t u t den zweiten Schritt vor dem ersten; anstatt zunächst zu prüfen, ob überhaupt Enteignung vorliegt und erst dann die Interessenabwägung einsetzen zu lassen, wenn bereits das Vorliegen der Enteignung bejaht worden ist, verfährt er zunächst nach Enteignungsgesichtspunkten — und begründet damit das Vorliegen der Sozialbindung. Anders ausgedrückt: Interessenabwägungen, die nur möglich sind, wenn endgültig Enteignung bereits bejaht ist, die Grenzziehung zur Sozialbindung also feststeht, können nicht eingesetzt werden, u m eben diese Grenze erst zu ziehen. Daraus ergibt sich ein weiteres wesentliches Argument gegen die Bestimmung der Sozialbindung aus Interessenabwägung 265 : Diese überspringt eine Stufe, sie stellt Erwägungen zur Bestimmung der Sozialbindung an, die erst beginnen dürfen, wenn feststeht, daß diese nicht vorliegt. b) Die Methode zur Feststellung der Höhe der Entschädigung i m Enteignungsfall (Abwägung) kann also für die Bestimmung der Sozialbin265
Vgl. oben I I I , 2.
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dung nicht i n Betracht kommen. Deshalb aber kann auch ihr Ergebnis, eben die fixierte jeweilige Höhe der geschuldeten Ersatzleistung, für die Abgrenzung Sozialbindung — Enteignung überhaupt nicht von Bedeutung sein. W i r d eine solche Höhe festgesetzt, so bewegt man sich bereits ex definitione nicht i m Raum der Sozialbindung, sondern i n dem der Enteignung. Es führt deshalb aber auch rechtlich keine Brücke, kein Übergang von der Sozialbindung zur Enteignung. Und wenn i m Einzelfall die Entschädigung bei letzterer noch so niedrig angesetzt werden sollte, dies wäre doch noch immer generell etwas anderes als Sozialbindung. Die Höhe der Enteignungsentschädigung schafft keine Übergänge, keine Zwischenformen zwischen Enteignung und Sozialbindung, beide sind nicht Endpunkte eines Spektrums, sondern deutlich geschiedene Gegenpole i m Bereich des Eigentumsschutzes. Als solche sind sie von der Verfassung gewollt und tragen das ganze System der Eigentumsgewährleistungen. c) I m Enteignungsfall gilt die Junktimverpflichtung — dasselbe Gesetz, das die Enteignung vorsieht, muß A r t und Ausmaß der Entschädigung regeln. Sehr deutlich hat damit der Verfassunggeber vom Gesetzgeber zwei Entscheidungen erwartet: Zunächst darüber, ob enteignet werden soll — hier ist die Abgrenzung zur Sozialbindung entscheidend, von Entschädigung ist noch nicht die Rede; sodann die Festlegung der Höhe der Entschädigung — eben wenn die Abgrenzungsfrage vom Gesetzgeber bereits beantwortet worden ist. Wer der Höhe der Entschädigung irgendeine Bedeutung für diese Abgrenzung zuerkennt, verkennt diese klare Junktimregelung. Wegen der so begründeten Unzulässigkeit der Berücksichtigung der Höhe der Entschädigung bei der Bestimmung der Grenzen der Enteignung sind auch alle Erwägungen verfassungswidrig, welche darauf hinauslaufen, Entscheidungen über die Höhe der Entschädigung als Ersatz für Sozialbindungen zu sehen, sie durch solche zu ergänzen oder zu kompensieren und umgekehrt. Hier liegt die zentrale Bedeutung der Entschädigungsproblematik für den Begriff der Sozialbindung: — I n die Abwägung zwischen den Interessen der Allgemeinheit und denen des betroffenen Eigentümers, i n welcher die Höhe der Entschädigung festgesetzt wird, darf keine Erwägung über eine etwaige Sozialbindung des betreffenden Gutes einfließen. Unzulässig wäre es also etwa, die Entschädigung deshalb unter dem Marktwert anzusetzen, weil das Entwehrte „an sich schon einer intensiven Sozialbindung" unterliege. Ebenso rechtswidrig wäre es aber auch, eine (geringe) Entschädigung anzusetzen, w e i l der Eingriff zwar „möglicherweise" noch i m Rahmen einer Sozialbindung des Eigentums bleibe, dies aber doch nicht eindeutig sei, so daß man lieber den Eigentümer
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echt
durch eine gewisse Entschädigungsabfindung mundtot machen wolle; es ist ja für den Staat weit gefahrloser, später noch über eine Erhöhung der Entschädigung zu streiten, hier kann er nachgeben, ohne sein Gesicht zu verlieren. Nimmt er jedoch zu Unrecht Sozialbindung an, so ist die Regelung verfassungswidrig. Unzulässig ist all dies einerseits deshalb, weil der Staat nichts zu verschenken hat — wenn Sozialbindung möglich ist, so darf er nicht entschädigen. Zum anderen aber würde durch solche Erwägungen eine Krypto-Ausdehnung nicht etwa der Enteignung, sondern der Sozialbindung vollzogen, es würden „Zonen billiger Enteignung" geschaffen; i m Hintergrund stünde vielleicht sogar die Drohung m i t der völlig entschädigungslosen Sozialbindung. — Ebenso unzulässig aber ist es umgekehrt, den Bereich der Sozialbindung unter Einsatz von Erwägungen zu bestimmen, welche allenfalls für die Höhe der Entschädigung i m Enteignungsfall maßgebend sein können. So dürfte nicht etwa deshalb ein Eigentumseingriff aus der Sozialbindung ausgeklammert werden, weil er ja „auch als Enteignung nicht viel teurer kommen werde", nachdem man die Höhe der Entschädigung ja entsprechend herabsetzen könne. Andererseits aber darf das Vorliegen einer Sozialbindung auch nicht deshalb bejaht werden, weil der betreffende Eingriff etwa, wäre er als Enteignung anzusehen, so teuer kommen würde, daß er für den Staat untragbar würde, w e i l man die Entschädigung nicht hinreichend senken könnte — hier würde Sozialbindung „probiert" werden. Es wäre aber auch rechtswidrig, Sozialbindung deshalb anzunehmen, w e i l der Eingriff, wiederum als Enteignung gesehen, durch (zulässige) Herabsetzung der Höhe der Entschädigung so b i l l i g werden könnte, daß es praktisch auf dasselbe hinausliefe und der Staat das Odium der Enteignung vermeiden könnte, ohne dem Betroffenen materiell „viel zu nehmen". I n all diesen Fällen würde eben, systematisch unzulässig, erst hypothetisch der Enteignungsfall durchgespielt, obwohl dies noch gar nicht geschehen dürfte, und dann nach dem Ergebnis dieser Prüfung über Sozialbindung entschieden. Es ist aber nicht ein übersteigertes Streben nach Systemreinheit, aus dem heraus jede Verbindung von Enteignungsentschädigung und Sozialbindung abgelehnt werden muß. Ein Argumentieren von einem dieser Begriffe zum anderen verführt vielmehr stets und notwendig dazu, dem betroffenen Eigentümer zu viel oder zu wenig an Ersatz zuzusprechen, w e i l nach sachfremden Gesichtspunkten entschieden w i r d : Der Staat befindet über Wert und Entschädigungspflicht bei einem Eigentumsobjekt, bevor er festgestellt hat, daß und wie er es überhaupt dem Eigentümer nehmen darf. Die Argumentation von der Entschädigungshöhe auf den Sozialbindungsbegriff ist also ein typischer Schluß von der Rechtsfolge
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auf die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Eingriffs i n Grundrechte. Als solcher ist er aber bereits nach allgemeinen Grundsätzen unzulässig. Gerade weil es i n beiden Fällen um den „Preis des Eingriffs" geht, der bei wirtschaftlicher Betrachtung, wie gesagt, ein einheitliches Problem darstellt, muß die rechtliche Unzulässigkeit der Verbindung beider Bereiche besonders betont werden. Nur wenn sie streng beachtet wird, können verfassungswidrige Erwägungen schon bei der Entscheidung, ob überhaupt eingegriffen werden darf, vermieden werden. Der Rechtsstaat argumentiert nicht von den Kosten her. Seine Legalitätsentscheidung darf nicht durch Geldrücksichten manipuliert werden. 3. Die Höhe der Enteignungsentschädigung — Grundsätze des geltenden Rechts
Die i n den vorhergehenden Abschnitten angedeuteten Gefahren einer Manipulation der Sozialbindung durch Festsetzung der Enteignungsentschädigung — und umgekehrt — treten nur dann auf, wenn eine Voraussetzung erfüllt ist: Die Höhe der Entschädigung muß beweglich sein, die Entschädigung darf nicht auf eine „feste" Höhe, etwa auf den Marktwert, festgelegt sein. T r i f f t letzteres nämlich für alle Enteignungsfälle zu, so besteht keine Möglichkeit, durch Sozialbindungsgesichtspunkte Enteignungen zu verbilligen oder durch eine bestimmte Gestaltung der Entschädigung praktisch weitere Bereiche der Sozialbindung zu schaffen. Wie streng immer man ein Argumentieren von Entschädigungshöhe zur Sozialbindung und umgekehrt verbieten mag — es w i r d sich kaum je aufdecken lassen und eine starke Versuchung bleibt stets, wenn Mobilität der Entschädigungshöhe besteht. Sozialbindung nach geltendem Recht läßt sich also weder i n ihrem heutigen Umfang, noch nach ihrer voraussichtlichen Entwicklung abschätzen, wenn nicht über den Umfang der Mobilität der Entschädigungshöhe Klarheit besteht. I n diesem Sinn ist das Entschädigungsrecht ein Teil des Rechts der Sozialbindung. Es geht hier allerdings nicht u m Einzelheiten der möglichen Entschädigungshöhe, sondern nur u m deren allgemeinen Mobilitätsrahmen und u m die Argumente, welche zu seiner Rechtfertigung hauptsächlich angeführt werden. a) Daß die Weimarer Zeit vom Grundsatz der „vollen" Entschädigung nach dem Marktwert des betreffenden Gutes trotz der Fassung des Art. 153 W V („angemessene Entschädigung") ausgegangen ist 2 6 6 , und daß die Rechtsprechung selbst i n der nationalsozialistischen Zeit daran noch festgehalten hat 2 6 7 , wurde bereits erwähnt. 266 267
Vgl. oben A . Vgl. oben B.
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Die Grundgesetzgeber wollten offensichtlich eine größere Mobilität der Entschädigungshöhe schaffen. A u f die Formulierung des GG („Festsetzung der Entschädigung unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten") hatten sich die CDU und SPD geeinigt, beide aus Erwägungen, welche den Versuch einer „Dynamisierung der Eigentumseingriffe" erkennen lassen: Der Abgeordnete Schmid (SPD) meinte, es müsse nun möglich sein, bestimmte strukturelle Änderungen der Wirtschaftsverfassung vorzunehmen 2 6 8 ; für die CDU erklärte v. Mangoldt, man habe nur die entschädigungslose Enteignung ausgeschlossen wissen wollen. Die Formulierung lasse jedoch die Möglichkeit offen, wenn Vermögenswerte unter Verletzung der m i t dem Eigentum verbundenen Pflichten erworben seien, die Entschädigung dann u. U. bis auf einen kleinen Nominalbetrag abzusenken 269 . Wiederholte Vorstöße der Abgeordneten Dr. Seebohm (DP), Dr. Dehler und Dr. Heuß 2 7 0 wurden m i t teilweise knapper Mehrheit abgelehnt; sie liefen alle darauf hinaus, daß entweder in der Regel voller Ersatz gewährt werden solle, oder daß jene Weimarer Formeln übernommen werden sollten, auf Grund deren die Rechtsprechung bis zu diesem Zeitpunkt regelmäßig auf volle Entschädigung erkannt hatte. A n dem Willen zur Mobilisierung der Entschädigungshöhe kann also kaum ein Zweifel bestehen. Die Ausführungen des CDU-Sprechers 271 erinnern sogar deutlich an Pflichtigkeitsvorstellungen der unmittelbar vorangegangenen Zeit; sie lassen überdies ausdrücklich die (oben 2. a. E.) kritisierte Absicht erkennen, von der Sozialpflichtigkeit auf die Höhe der Entschädigung zu schließen; wenn diese auf einen Nominalbetrag gesenkt werden kann, so ist ja der Übergang zwischen Enteignung und Sozialbindung perfekt. Allerdings darf diese subjektive Interpretation des GG nicht überbewertet werden — die Absichten der Verfassunggeber waren nachweislich durch die Not der Nachkriegszeit motiviert 2 7 2 . b) Zu einer grundsätzlichen Mobilisierung der Entschädigungshöhe ist es jedoch später doch nicht gekommen. Was nämlich i n das GG (Art. 14) überging, war die Formel, welche das Reichsentschädigungsgericht zugrunde gelegt hatte. Hier war die Entschädigung i n der Regel nach dem Verkehrswert, d. h. nach dem gemeinen Wert bestimmt worden, wobei objektive Sondermomente berücksichtigt und für Nebenschäden Ersatz 268 Zit. nach v. Doemming-Füßlein-Matz, Entstehungsgeschichte der A r t . d. GG, i n : JöR n.F. 1 (1951), S. 149. 269 aaO, S. 151. 270 aaO, S. 152,153. 271 Vgl. dazu auch v. Mangoldt, H., Grundrechte u n d Grundsatzfragen des BGG, AöR 75 (1949), S. 273 (289). 272 Vgl. etwa Abg. Dr. Schmid, aaO, S. 150.
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geleistet wurde. Das Gericht sah demgemäß i m Erfordernis der Gleichwertigkeit der Enteignungsentschädigung eine Grenze, die bei der Interessenabwägung, wenn sie gerecht sein sollte, nicht unterschritten werden durfte 2 7 3 . Diesen Gerechtigkeitsvorstellungen hat sich nun der BGH, als Richter der Höhe der Entschädigung, angeschlossen: Diese „gerechte" Entschädigung entspricht der „angemessenen" Ersatzleistung der Weimarer Zeit, d. h. es ist grundsätzlich vom vollen Wert des enteigneten Gutes auszugehen 274 . Dieser ist i n der Regel der Marktwert zum Zeitpunkt des enteignenden Eingriffes 2 7 5 . Dieser Grundsatz gestattet nach dem B G H nur „leichte Differenzierungen", kleine Abweichungen nach oben und unten 2 7 6 . I n diesem Sinn ist der gemeine Wert zugleich die „untere Grenze" der Entschädigung, welche zwar keinen ausgesprochenen Liebhaberwert ersetzen 277 , dennoch aber i n gewissem Umfang von der Bedeutung des Enteignungsobjekts für den gegenwärtigen Besitzer ausgehen d a r f 2 7 8 — und auch die obere Grenze der Entschädigung 270 : N u r „besondere Gründe" können die Festsetzung einer Entschädigung rechtfertigen, die hinter dem gemeinen Wert der Sache zurückbleibt und dem Betroffenen keinen Ersatz für seine Vermögenseinbuße bietet 2 8 0 . Nach dem B G H ist also die Höhe der Entschädigung nicht nach Billigkeit festzusetzen 281 , der Betroffene hat vielmehr grundsätzlich einen normativ begründeten Anspruch darauf, daß ihm der volle, gemeine Wert ersetzt werde, der i h m durch den enteignenden Eingriff entzogen wird. „Grundsätzlich" bedeutet hier ein Zweifaches: I m Zweifel muß der volle gemeine Wert ersetzt werden, Ausnahmen bedürfen „besonderer" Recht273 Tischbein, H., Z u r Interessenabwägung bei der Enteignungsentschädigung, R d L 1957, S. 113, 202 (113). 274 Vgl. etwa B G H Z 6, S. 270 (293 f.); 19, S. 139; B G H N J W 1959, S. 1915; B G H B B 1963, S. 330; std. Rspr. Vgl. auch Giese, F. (NF 172), S. 292, auf den sich der B G H ausdrücklich beruft, sowie m. Nachw. Weber, W., Eigentum und Enteignung, i n : Die Grundrechte, Bd. 2, S. 331 ff. (388 ff.). 275 Nicht etwa der Einheitswert, vgl. Diester, H., Enteignung u n d Entschädigung nach altem und neuem Recht, 1953, S. 177. 276 Nach dem B G H (E 19, S. 139) stimmt die Regelung des GG m i t dem Begriff der „angemessenen Entschädigung" der W V i m wesentlichen überein; sie entfernt sich nicht weit davon u n d läßt lediglich leichte Differenzierungen zu. Ä h n l i c h das Schrifttum, vgl. etwa Scheuner, U. (FN 115), S. 129; Diester, H. (FN 274), S. 175: Eine „prinzipielle Abwendung" von der angemessenen E n t schädigung ist nicht statthaft. 277 B G H N J W 1959, S. 1915. 278 B G H aaO; vgl. f ü r die Weimarer Zeit m. Nachw. dazu Dane, J., Die E n t schädigung bei der schleswig-holsteinischen Bodenreform als Anwendungsf a l l des A r t . 14 GG, Diss. Mainz 1953, S. 39. 279 B G H B B 1963, S. 330. 280 B G H Z 6, S. 270 (293, 295); B G H N J W 1954, S. 1362. 281 Z u r N S - J u d i k a t u r vgl. i m Gegensatz dazu Dane, J., aaO.
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fertigung; selbst wenn aber derartige „besondere Gründe" vorliegen, so darf sich dennoch die Höhe der Entschädigung weder nach oben noch, nach unten allzuweit von der „Marke" des gemeinen Wertes entfernen, w e i l hier eben nur „leichte Differenzierungen" überhaupt zulässig sind. Dies gilt übrigens auch für die „ A r t " der Ersatzleistung, die sich ebenfalls nicht allzuweit vom „Normalfall" der vollen Barzahlung entfernen darf 2 8 2 . Nach der Rechtsprechung des BGH ist also die Höhe der Entschädigung nicht voll, sondern nur i n sehr engen Grenzen überhaupt mobil und selbst dies soll eindeutig Ausnahme bleiben. c) I n einem gewissen Gegensatz zu dieser ständigen Rechtsprechung des B G H als obersten Entschädigungsgerichts, erscheint nun allerdings die Judikatur des BVerfG zu stehen. Dieses hatte schon früh auf der strengen Beachtung der Junktimklausel bestanden, weil die durch A r t . 14 Abs. I I I 3 GG geforderte Interessenabwägung wegen der großen und von einem Gericht selten zu übersehenden Zahl von wirtschaftlichen, sozialen und politischen Faktoren dem Gesetzgeber vorbehalten und nicht den Gerichten überlassen sei 2 8 3 . Darin liegt zwar nicht ausdrücklich ein A b gehen „von der vollen Entschädigung als Regelersatz". Wenn von dieser aber auszugehen wäre, so müßte nicht die Bedeutung der gesetzgeberischen Entscheidung derart betont werden, weil ja gerade das Gericht am besten i m Einzelfall den Marktwert feststellen kann. Wenn jedoch „ w i r t schaftliche, soziale und politische Faktoren" bei der Festsetzung der Höhe der Entschädigung überhaupt zu berücksichtigen sind, so kann dies i n der Tat nur der Gesetzgeber — darin liegt aber zugleich die Feststellung, daß es auf den Marktwert
nicht allein
a n k o m m e n soll.
Diese Rechtfertigung der Junktimklausel ist übrigens, das sei hier nur am Rande bemerkt, nicht die einzig mögliche. Die Klausel behält auch dann ihren guten Sinn, wenn i n der Regel vom vollen Marktwert auszugehen ist. Ganz abgesehen davon, daß nach ihr die A r t der Entschädigung normiert werden muß — die „Zugleichregelung" kann ja die „besonderen Umstände" begründen, welche zur Abweichung von der Normalmarke der vollen Entschädigung führen können, und sie ist darüber hinaus ganz allgemein ein Reflexionszwang für den enteignenden Gesetzgeber: Er soll wissen, wie schwer seine Entscheidung wiegt, wie sehr sie auch den Staat treffen kann. Dies aber war wohl der ursprüngliche Sinn eines solchen Junktims, das keineswegs notwendig zur Mobilität der Enteignungsentschädigung führen muß. 282 Entsprechend dieser J u d i k a t u r sind Regelungen als verfassungswidrig angesehen worden, i n denen der Enteignete lediglich 1 0 % Barabfindung erhielt, 90 °/o jedoch i n Schuldverschreibungen oder Schuldbuchforderungen übernehmen sollte, vgl. V G Darmstadt, N J W 1953, S. 1366 (zum Hess. Siedlungsu n d Bodenreformgesetz v o n 1946). 283 BVerfGE 4, S. 219 (236).
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Das BVerfG hat jedoch noch allgemeiner und deutlicher entschieden, daß das Grundgesetz „durch den Hinweis auf die Abwägung zwischen den Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten eine geringere als die volle Entschädigung zuläßt" 2 8 4 . Daraus könnte geschlossen werden, daß dieses oberste Gericht den Grundsatz der vollen Mobilität aufgestellt habe. d) I n der Judikatur anderer Gerichte finden sich allerdings, soweit ersichtlich, keine Erkenntnisse i n diesem Sinn 2 8 5 . Eine Ausnahme stellt nur ein früheres Urteil des B V e r w G 2 8 6 dar, das als zulässigen Abwägungsgesichtspunkt den Wunsch des Gesetzgebers anerkennt zu vermeiden, daß neue Wohnsiedlungen m i t Kosten belastet werden, die über den w i r t schaftlichen Ertragswert der enteigneten Grundstücke hinausgehen, auch wenn i h r Verkehrswert höher liegt. Es mag hier dahinstehen, ob i n diesem Einzelfall dieselbe Entscheidung nicht auch der ständigen Rechtsprechung des B G H entsprochen hätte, weil etwa „besondere Umstände" vorlagen, die eine Unterschreitung der vollen Entschädigung rechtfertigen mochten. Es ist auch nicht auszuschließen, daß das BVerwG hier an ähnliche Erwägungen i n früheren Entscheidungen zum gemeinnützigen Siedlungsrecht angeknüpft hat, die allerdings unter anderen Voraussetzungen ergangen waren 2 8 7 . Immerhin könnte aus dem U r t e i l das Prinzip abgeleitet werden, es seien ganz allgemein bei der Festsetzung der Entschädigungshöhe die Belange des eingreifenden Staates i n dem Sinn zu berücksichtigen, daß die Entschädigung desto niederer sein müsse, je geringeren Wert das enteignete Gut für den Staat oder die von i h m Begünstigten habe. Eine solche Maxime stünde jedoch i m Widerspruch zur h. L . 2 8 8 , sie wäre völlig unvereinbar auch m i t der Rechtsprechung des BGH, der wiederholt 284
BVerfGE 14, S. 263 (284) ; 24, 367 (421). Lediglich das B a y O b L G meint (BayObLGZ 69, S. 122): „Eine starre, allein am M a r k t w e r t orientierte Entschädigung schreibt das GG f ü r die Legalenteignung allerdings nicht v o r ; der Gesetzgeber k a n n je nach den Umständen vollen Ersatz, aber auch eine darunter liegende Entschädigung bestimmen." Diese letzteren Worte dürfen jedoch nicht überbewertet werden: Das Gericht bezieht sich ausdrücklich u n d ohne K r i t i k auf die Rspr. des BGH, nach der „ v o m gemeinen Wert auszugehen sei". Es hat also w o h l n u r unterstreichen wollen, daß gewisse Abweichungen möglich seien, was j a auch der B G H zuläßt. 288 Z i t . v. Sendler, H., Die Konkretisierung einer modernen Eigentumsverfassung durch Richterspruch, DÖV 1971, S. 16 (27). 287 Vgl. die Zusammenstellung bei Dane, J. (FN 278), S. 30 f. Die Erkenntnisse des preuß. Oberlandeskulturamtes nehmen jedoch ausdrücklich auf die damalige Krisenlage bezug, die sicher einen „besonderen Umstand" i m Sinn des B G H darstellen würde; die Urteile des P r O V G ergingen nach 1933. 288 Vgl. u. a. Scheuner, U. (FN 115), S. 136/7 m. Nachw., der m i t Recht ausf ü h r t : „Die politische, soziale u n d kulturelle Bedeutung des Zweckes, f ü r den enteignet w i r d (ist kein zulässiger Gesichtspunkt). Hohe Bewertung dieses 285
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ausgeführt hat, es komme nicht auf den Wert dessen an, was dem Begünstigten zugeflossen, sondern dessen, was dem Betroffenen genommen worden sei 2 8 9 , hier aber könne vom Äquivalenzprinzip bei der Entschädigungsbemessung nicht abgegangen werden 2 9 0 . e) Die Rechtsprechung des BVerfG (vgl. oben c) muß jedoch gar nicht i m Sinne einer allgemeinen Mobilisierung der Höhe der Enteignungsentschädigung verstanden werden. Dem BVerfG konnte nicht unbekannt sein, daß die übrigen Gerichte m i t unbedeutenden Ausnahmen i n ständiger Rechtsprechung seit Jahrzehnten vom Prinzip der „vollen" Entschädigung ausgingen. Wenn es dies nicht gebilligt und sich für eine grundsätzliche Mobilisierung hätte aussprechen wollen, so hätte dies i n einer eindeutigen Stellungnahme, insbesondere gegenüber der ständigen Judikatur des BGH, zum Ausdruck kommen müssen. Bei grundsätzlichen Abweichungen pflegt sich ja das BVerfG m i t den Ansichten anderer oberster Bundesgerichte auseinanderzusetzen. Wenn also das BVerfG ausspricht, die Entschädigung könne „auch unter" dem vollen Wertersatz liegen, so kann dies durchaus i n dem Sinn zu verstehen sein, daß prinzipiell vom vollen Wert ausgegangen, von diesem jedoch i n besonderen Fällen i n gewissen Grenzen nach oben oder unten abgewichen werden dürfe. Dann würden BVerfG und B G H übereinstimmen. Das BVerfG kann auch noch einen anderen Fall möglicher Abweichung nach unten bei der Festsetzung der Entschädigungshöhe i m Auge gehabt haben 2 9 1 : denjenigen nämlich, daß etwa Planungsgewinne Zieles der Enteignung ist kein Grund, den Betroffenen Sonderopfer f ü r die Durchführung aufzuerlegen, die von der Gesamtheit zu tragen ist." Diester, H. (FN 274), S. 175 meint: Es ist „ f ü r die Bemessung der angemessenen Entschädigung nicht v o n den Belangen der Gemeinschaft, sondern von denen des E i n zelnen auszugehen, der dem allgemeinen W o h l nicht geopfert werden soll". 289 B G H N J W 1964, S. 652: Das Äquivalenzprinzip bei der Entschädigungsbemessung erfährt keine Einschränkung unter dem Gesichtspunkt, daß die Energieversorgung i m dringenden Interesse der Allgemeinheit liegt. A r t . 14 GG läßt grundsätzlich keine Abstriche von der vollen Entschädigung m i t Rücksicht auf die wirtschaftlichen Folgen f ü r den Enteignungsbegünstigten zu. — B G H R d L 1964, S. 219: F ü r die Bestimmung des Sonderopfers ist nicht entscheidend, was die Streitkräfte aus dem Grundstück gewonnen haben, welchen Nutzen sie zogen, sondern allein, was dem Betroffenen genommen worden ist u n d welche Einbuße er dadurch erlitten hat. 290 Nach dieser ständigen u n d eindeutigen Rspr. des BGH, welche dieser auch nach den Urteilen des BVerfG noch aufrecht erhalten hat (vgl. F N 284), kann auch eine neuere allgemeine Äußerung des Gerichts („ . . . ist zu bedenken, daß nach A r t . 14 Abs. I I I GG die Entschädigung unter gerechter Abwägung sowohl der Interessen der Allgemeinheit w i e der Beteiligten (also nicht n u r nach den Belangen des von der Enteignung Betroffenen) zu bestimmen ist" (BGHZ 50, S. 93)) n u r i n dem Sinn verstanden werden, daß v o m gemeinen Wert auszugehen sei, i n besonderen Fällen jedoch eine höhere oder geringere Entschädigung i n Betracht kommen könne. 291
So Sendler, H. (FN 286), aaO.
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oder ähnliche durch staatliche Maßnahmen verursachte Werterhöhungen „abgeschöpft" werden sollten 2 9 2 . Eine Grundsatzentscheidung für eine volle Mobilisierung der Entschädigungshöhe ist also bisher nicht gefallen. f) Es wäre auch außerordentlich bedenklich, wenn es i n der Zukunft zu einer derartigen Entscheidung für v o l l mobile Entschädigungshöhe käme; dies wäre mehr als ein Bruch m i t jahrzehntelanger, gesicherter Rechtsprechungstradition und damit eine „neue Ä r a " des Eigentumsrechts, welche auf die sorgfältig aufgebauten und i n vielen Entscheidungen erhärteten Kriterien verzichten würde — es ergäben sich auch tiefgreifende Folgen für die gesamte Dogmatik von Enteignung und Sozialbindung. Daß sich eine solche Veränderung aus der Sozialstaatsformel nicht begründen läßt 2 9 3 , bedarf nach früheren Ausführungen 2 9 4 hier keines weiteren Beweises. Immerhin aber könnte eben auf den Wortlaut des GG hingewiesen werden, der doch eine Festsetzung der Entschädigung unter A b wägung der sich gegenüberstehenden Interessen vorsieht. W i l l die bisher h. Rechtsprechung diese Regel nicht i n die Ausnahme der „besonderen Umstände" drängen, die vorliegen müßten, damit überhaupt eine solche Abwägung von Bedeutung sein könne? Handelt es sich denn u m gerechten Ausgleich, wenn lediglich der Marktwert zugrunde gelegt wird, entspricht dieser nicht immer den Interessen des Betroffenen, während die des Staates überhaupt nicht berücksichtigt werden? I n solcher Argumentation läge jedoch bereits ein dogmatischer Fehler, der allerdings bisher erstaunlicherweise, soweit ersichtlich, noch nicht aufgedeckt worden ist: Das Prinzip, daß vom vollen Wert auszugehen ist, begünstigt keineswegs an sich schon den Betroffenen, genausowenig, wie der Marktwert einer Sache bei einem freien Verkauf stets ausschließlich Verkäuferbelange berücksichtigt. Er bildet sich ja ex definitione aus A n gebot und Nachfrage, d. h. er stellt bereits i n sich einen Ausgleich der w i derstreitenden Interessen der Beteiligten dar, der eben nach m a r k t w i r t schaftlichen Vorstellungen als solcher schon „gerecht" ist. Die M a r k t w i r t schaft mag nicht die einzige nach dem GG zulässige „Wirtschaf tsverfassung" sein, jedenfalls aber ist sie und sind also auch ihre Preisbildungsprinzipien mit dem GG vereinbar. Der Marktpreis eines Gutes, das ent292 Daß dies allerdings nicht eine Frage der Abwägung von Interessen des Staates u n d der Betroffenen, j a nicht einmal ein Sozialbindungsproblem ist, w i r d unten 3. noch nachzuweisen sein. 293 die, w i e könnte es auch anders sein, auch hier wieder „ergänzungsweise" (Dane, J. [ F N 278], S. 39) oder unter „Berufung auf das Rechtsempfinden i n einem sozialen Rechtsstaat" (Winkelmann, Α., Fragen aus den Entwürfen eines BBauG, DÖV 1959, S. 249 [250]) herangezogen w i r d . Wäre es nicht endlich an der Zeit, daß man i n Deutschland rechtlich „ausempfunden" hätte? 294 Vgl. oben I I , 1.
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eignet wird, stellt also an sich schon in der Marktwirtschaft eine Form des gerechten Ausgleichs der Interessen von Staat und Betroffenen dar, er begünstigt keineswegs den letzteren. Die Enteignung ist und bleibt eine A r t von „Zwangskauf". Wenn bei ihr vom Marktwert auszugehen ist, so hat schon ein Ausgleich stattgefunden. Der Entwehrte kann ebensowenig einen besonders hohen Preis verlangen, wie der Staat einen niedrigen bieten darf. Dies ist allerdings eine Pauschal-, eine Regelmethode des Ausgleichs, welche eben den „besonderen Umständen" nicht Rechnung trägt, die ja i n einem Enteignungsfall vorliegen können. Werden sie aber, wie es ja der B G H wünscht, auch noch berücksichtigt, so kann es kaum eine „gerechtere" Lösung geben, der „Ausgleich", den das GG verlangt, ist i n vollem Umfang vorgenommen. Daraus ergibt sich also, daß nur derjenige dem B G H und schon früher dem RG vorwerfen kann, sie gingen contra constitutionem vom Prinzip der Marktpreisentschädigung aus, der nicht verstanden hat, was der Preis i n einer Marktwirtschaft bedeutet. Die Rechtsprechung des B G H ist also i n vollem Umfang m i t dem GG vereinbar. Wollte man nun von i h r zugunsten einer vollen Mobilisierung der Entschädigungshöhe abweichen, so wäre eine Entwertung der Enteignung und damit eine Annäherung von Enteignung und Sozialbindung gar nicht zu vermeiden 2 9 5 . Zunächst: Nach welchen Kriterien sollte denn die „Abwägung" vorgenommen werden? Es müßte doch i n jedem Einzelfall zu einer Wertung der Intensität des öffentlichen Interesses kommen, deren Ergebnis dann den Eigentümerinteressen gegenübergestellt würde. Dadurch würde der Richter i n evidenter Weise überfordert, es würden willkürliche Entscheidungen ergehen, jedenfalls würde die Rechtssicherheit i n schwerster Weise beeinträchtigt. Ferner könnten sich die öffentlichen Haushalte, die doch die Entschädigung tragen müssen, auch nicht annähernd mehr auf deren Höhe einstellen. Eine Grundstücksbeschaffungsplanung würde dadurch außerordentlich erschwert, weil die Entschädigungshöhe noch weit weniger voraussehbar wäre als die mögliche Preisentwicklung auf dem Markt. Vor allem aber wäre Voraussetzung für eine solche „ A b wägung", daß es überhaupt gemeinsame Bezugspunkte gäbe, daß die „Waage an einem festen Punkt aufgehängt" werden könnte. Wie bereits ausgeführt 296 , ist dies jedoch i m Falle des Eigentums kaum möglich — w o h l aber läßt sich „abwägen", wenn man sich auf einen außenstehenden Dritten beziehen kann; gerade dies aber geschieht durch den Marktpreis, der M a r k t ist dieser Bezugspunkt: Dort w i r d die Waage aufgehängt. Die „Abwägung" könnte also praktisch nur zu einer einseitigen Berück205 296
Dazu oben 2. a. E. Siehe oben I I I , 2.
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sichtigung des öffentlichen Interesses führen, jedenfalls gäbe es dagegen keinerlei grundrechtliche Sicherung. Gerade dies aber kann doch nicht der Sinn eines Grundrechts sein! Selbst wenn man aber unterstellen wollte, daß Kriterien gefunden würden, u m die vom GG geforderte Abwägung ohne Bezug auf den M a r k t wert i n einigermaßen ausgewogener und vorhersehbarer Form durchzuführen — allein schon durch die Möglichkeit einer unbegrenzten Mobilisierung der Entschädigungshöhe würden die Schranken eingenssen, welche nach der Verfassung Enteignung und Sozialbindung begüfflich voneinander trennen. Die Entschädigung würde abgesenkt, dieser Versuchung, zu „billigem Gut" zu kommen, würde der Gesetzgeber bestimmt nicht widerstehen. Und das Ende wären alle jenen schillernden Zwischenformen der Quasienteignung, der „billigen Enteignung", von denen schon mehrfach die Rede war, und die dann i n der Tat bruchlos i n die entschädigungslose Sozialbindung übergehen würden. Daß all dies verfassungswidrig wäre, wurde aus der Sicht der Sozialbindung bereits nachgewiesen. Hier dagegen ist die Erkenntnis wichtig, daß die Judikatur zur Höhe der Enteignung dies, wenn auch unausgesprochen, seit einem halben Jahrhundert erkannt und durch die grundsätzliche Festschreibung der Entschädigungshöhe die Unterscheidung von Sozialbindung und Enteignung aufrechterhalten hat. Wenn diese Mobilisierung zugelassen würde, so gäbe es bald keine greifbaren Unterschiede zwischen beiden Begriffen mehr. Weil ein fester Begriff des Eigentums eindeutige Prinzipien bei der Festsetzung der Entschädigung voraussetzt, ist das Ausgehen vom Marktpreis der enteigneten Güter allein schon durch den begrifflichen Gegensatz von Sozialbindung und Enteignung gerechtfertigt, eine volle Mobilisierung der Höhe der Enteignungsentschädigung würde der Verfassung widersprechen. Die Rechtsprechung zur Entschädigung und zur Begrifflichkeit der Enteignung bilden heute eine Einheit. Diese darf nicht durch grundsätzliche Abwendung vom Prinzip der Entschädigung nach gemeinem Wert gebrochen werden 2 9 7 . g) Eine gewisse Mobilisierung der Höhe der Enteignungsentschädigung läßt allerdings auch die Rechtsprechung des B G H zu: Bei Vorliegen „besonderer Umstände" soll von der Normalhöhe der Entschädigung nach gemeinem Wert abgegangen werden dürfen. Dies bedeutet jedoch nicht eine Mobilisierung der Entschädigung, welche die Unterschiede zwischen Enteignung und Sozialbindung ver297 Die bequeme A b k ü r z u n g „volle" Entschädigung ist mißverständlich; sie trägt w o h l nicht zuletzt die Verantwortung dafür, daß die Enteignungsentschädigung nach M a r k t w e r t als eine abwägungslose Entscheidung zugunsten des Betroffenen erscheinen konnte.
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wischen könnte: Die Abweichungen müssen sich zunächst i n Grenzen halten, nur eine „leichte Differenzierung" ist zulässig, nicht aber etwa ein Absenken der Entschädigung bis i n die Nähe des Nullpunkts, i n Form einer Minimalentschädigung. Diese quantitative Beschränkung ist i n der Regel auch faßbar, weil sie auf einen festen Ausgangspunkt, eben den Marktwert, bezogen ist. Eine Annäherung an die entschädigungslose Sozialbindung ist dadurch ausgeschlossen. Zugleich zeigt diese Funktion des Marktpreises, daß die Abweichungen von i h m auch „gering" bleiben müssen, soll nicht die Abgrenzung von Enteignung und Sozialbindung aufgehoben werden. Allgemeine Regeln können hier nicht für alle Güter aufgestellt werden, denn es w i r d i m Einzelfall auch darauf ankommen, ob die Entschädigungssumme zur Beschaffung eines qualitativ gleichwertigen Gutes ausreicht. Dies ist häufig nur bei quantitativ integralem Ersatz möglich, manchmal aber auch dann, wenn die Entschädigung gekürzt wird. Eine weitere Begrenzung der Gefahr der Entschädigungsmobilisierung für den Begriff der Sozialbindung liegt darin, daß vom Marktwert nach unten und nach oben abgewichen werden kann, wenn es besondere Umstände rechtfertigen. Die bereits i m Marktwert liegende Pauschalabwägung der Interessen der Allgemeinheit und des Betroffenen kann also auch zugunsten des letzteren korrigiert werden. Dies vergrößert dann tatsächlich, aber wegen der stets bestehenden Möglichkeit auch rechtlichgrundsätzlich, den Abstand von Enteignung und Sozialbindung. Die Entscheidung über die Höhe der Enteignungsentschädigung ist nicht i n jedem Fall, nicht wesentlich, ein Kompromiß von typischen Sozialwohlvorstellungen der Sozialbindung und Ersatzvorstellungen des Enteignungsrechts, sie ist nur nach letzteren zu bestimmen. Das „öffentliche Interesse" kommt i m Regelfall gar nicht zum Tragen (weil es eben schon i m Marktpreis Berücksichtigung fand), i n den besonderen Fällen auch nur dort, wo nicht besondere Eigentümerinteressen sogar eine Erhöhung über den Marktpreis hinaus rechtfertigen. Selbst dann aber, wenn besondere Interessen der Allgemeinheit vorliegen, müssen diese i n einer Weise bestimmt werden, die nicht einfach, undifferenziert die Eigentumsinteressen durch Staatsraison niederschlägt, sondern sich an dem orientiert, was der legitime Ausgangspunkt ist: der Marktpreis. Dies bedeutet, daß grundsätzlich keine legitimen Interessen der Allgemeinheit dann vorliegen, wenn die Interessen nur darin bestehen, das Gut b i l l i g zu erhalten. Wer wollte das nicht? Wenn überhaupt von einem Marktpreis auszugehen ist und Ausnahmen nur i n „besonderen Fällen" zulässig sind, so ist dies kein solcher spezieller Fall, denn er liegt ja stets vor. Die besonderen Umstände beziehen sich nicht auf Preis und Wert des Gutes, sondern auf die Dringlichkeit, mit der die Allgemeinheit es benötigt. M. a. W.: Es kommt weder auf den Wert an,
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den das enteignete Gut i n den Händen der Allgemeinheit (voraussichtlich) haben w i r d 2 9 8 , noch darauf, wieviel der Staat dafür bieten kann 2 9 9 , er ist ja unbegrenzt leistungsfähig. Vielmehr sind die konkreten Interessen der Allgemeinheit, das Gut zu bekommen, gegen die Interessen des Betroffenen abzuwägen, es i m konkreten Fall zu behalten. I m Normalfall, i n dem nach Marktpreis entschädigt wird, w i r d vom Regelfall des privaten Kaufes ausgegangen — der Verkäufer ist verkaufswillig, aber natürlich nur zum Marktpreis. „Besondere Umstände" liegen jedoch dann vor, wenn der Betroffene, läge ein privates Geschäft vor, überhaupt nicht oder nur „über dem Preis" verkaufen wollte, weil das Gut für ihn von besonderer Wichtigkeit ist, der Käufer es aber aus eben solchen, i n seiner Person liegenden Gründen haben möchte und daher mehr bieten würde — oder, umgekehrt, wenn der Eigentümer es aus ähnlichen Erwägungen eben doch „unter Preis" verkaufen würde. Ob eine solche besondere Situation gegeben ist, kann i m Fall des privaten Geschäfts i n der Regel kein Dritter, am wenigsten der Staat, bestimmen. Käufer und Verkäufer legen es vielmehr durch ihre konkrete Einigung fest, welche post festum die „besonderen Umstände" eben an einem Preis zeigt, der höher oder niedriger liegt als der Marktpreis des Gutes. I m Fall der Enteignung, des Zwangskaufes also, gibt es davon nur eine, aber wichtige Abweichung: Kraft Verfassungsnorm darf zunächst die Enteignungsgewalt den Preis festsetzen, der Richter kann ihn kontrollieren und ändern, eben i m Wege der „gerechten Abwägung". Dies aber gibt diesen Instanzen nur ein Recht: Sie dürfen sich an die Stelle der beiden Beteiligten setzen und den Preis fixieren, den i n einer Marktwirtschaft ein b i l l i g und gerecht denkender Käufer und Verkäufer unter Berücksichtigung ihrer konkreten Lage und der daraus resultierenden Interessen, das Gut zu erhalten oder aufzugeben, bestimmen würden. A r t . 14 Abs. I I I bedeutet insoweit eine „Kompetenzübertragung" von den Beteiligten auf die Enteignungsgewalt bzw. die Judikative. A n dem Inhalt der Abwägungsüberlegungen und damit an ihrem Ergebnis aber ändert dies alles nichts: Auch dieses Abwägungsverfahren staatlicher Instanzen hat sich am Markt zu orientieren, wenn auch nicht am Marktpreis. Es müssen also generell dieselben Erwägungen angestellt werden, die auch bei einem Verkauf auf dem Markt i n Betracht kämen, nicht etwa andere, von der Staatsraison diktierte Vorstellungen. Dies ist auch der Sinn des „gerechten" Preises, des „gerechten" Ausgleichs: Nicht, daß der Staat einseitig dem Einzelnen etwas nehme — wie sollte denn auch solche „Gerechtigkeit", ein derartiger „gerechter Preis" bestimmt werden, irgendwie vorhersehbar sein? Was öffentliches Interesse ist, bestimmt doch einseitig die Staatsgewalt. Der einzige Unterschied beim 298 299
Vgl. oben d. Dazu oben I I , 3.
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Zwangskauf der Enteignung liegt eben darin, daß die Abwägung von Dritten vorgenommen, sozusagen „objektiviert" wird. Objektiviert werden können aber nur die Interessen, welche die Beteiligten eben sonst als „subjektive" auf dem M a r k t austragen würden. Die Enteignungsabwägung ist die Objektivierung marktgerechter Preisgestaltung im Einzelfall durch Enteignungsgewalt und Richter. Eine andere „gerechte Abwägung" kann es auch i n einer M a r k t w i r t schaft gar nicht geben. Sie würde nämlich voraussetzen, daß es ein Preissystem gäbe, das auf dem M a r k t gebildet würde, ein anderes aber, das i m Falle der Enteignung entstünde. Da nun durchaus Enteignungen nicht so selten sein oder bleiben müssen, daß es sich stets u m isolierte Preise ohne jede gesamtwirtschaftliche Bedeutung handeln müßte, ist ein enger Zusammenhang zwischen Marktpreis und Enteignungsentschädigung auf jeden Fall erforderlich; andernfalls würden die Betroffenen die Enteignungsentschädigung als „ungerecht" empfinden müssen, weil diese nach einem völlig anderen und von ihnen nicht vorhersehbaren „Koordinatensystem" errechnet würde als dem, das normalerweise auf dem M a r k t w i r k t . Gerade wer dem Staat übrigens größeren Raum zur Enteignung schaffen w i l l , darf die Enteignungsentschädigung nicht völlig oder grundsätzlich vom Marktpreis trennen: Ein staatsbestimmtes Preissystem ad hoc grundsätzlich für alle Güter und immer dann, wenn der Staat es wünscht — das ist m i t der Marktwirtschaft nicht vereinbar. Solange diese noch gesetzlich aufrecht erhalten wird, müssen auch die Enteignungsgesetze auf sie Rücksicht nehmen, solange ist eben auch die Enteignung doch nur — ein Zwangskauf. Eine Annäherung oder gar Vermengung von Sozialbindung und Enteignung w i r d also durch das System überhaupt nicht bewirkt, auf dem die Rechtsprechung des B G H beruht — Marktpreis als Ausgangspunkt, A b weichung von i h m unter besonderen Umständen, diese jedoch nach Marktgesichtspunkten beurteilt: Erwägungen über das „reine Vorgehen öffentlicher Belange vor privaten Interessen" werden bei der Enteignung überhaupt nicht angestellt, soweit es u m die Höhe des Preises geht; sie charakterisieren die Sozialbindung, mögen sie sich auch im einzelnen nicht zur Abgrenzung dieses Bereichs von der Enteignung eignen. Es besteht also auch nicht die Gefahr, daß durch methodisch gleiches Vorgehen bei der Bestimmung von Enteignung und Sozialbindung („Abwägung") die beiden Begriffe inhaltlich vermengt werden. Bedenkt man schließlich, daß nach der Rechtsprechung des B G H das Abweichen vom Marktpreis eine sehr deutliche Aufnahme bleiben soll, so zeigt sich noch klarer, daß diese Rechtsprechung zur Entschädigungshöhe verfassungskonform ist, was bei einer vollen Mobilisierung der Ersatzleistungshöhe eben schon deshalb zweifelhaft wäre, w e i l die Unter-
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Scheidung Sozialbindung — Enteignung dann auf die Dauer nicht mehr gehalten werden könnte. Nicht nur, daß also aus grundsätzlichen Erwägungen eine Judikatur beibehalten und auch durch Gesetzgebung verfestigt werden sollte, welche man kaum durch eine bessere ersetzen könnte — das geltende Recht der Entschädigung liefert damit wesentliche Anhaltspunkte auch für eine Bestimmung der Sozialbindung: Sie ist eben all dies nicht, was hier für die Enteignung angeführt w i r d ; sie stellt keinen Ausgleich, kein Abwägen dar, sondern hier werden i n der Tat dem Eigentum durch die Staatsraison „feste Schranken" gesetzt. Und auch die Bedeutung der „Festigkeit" der Begriffe i m Eigentumsrecht hat die Betrachtung des Entschädigungsrechts erwiesen. Wenn i m Enteignungsrecht eine grundsätzlich feste, klar bestimmbare Höhe für die Ersatzleistung oder doch ein fester Ausgangspunkt für diese verlangt werden muß, so zeigt sich eben, daß das Eigentum eine „grundsätzlich feste Größe" ist. Diese aber darf dann auch, erst recht nicht relativiert werden durch eine „flottierende Sozialbindung", die das Eigentum bereits entwerten müßte, bevor es überhaupt zur Annahme einer Enteignung und damit zur Entschädigungsleistung i n einer festen Höhe käme. 4. Geringere Entschädigung bei „unverdientem Eigentum"
a) Vor allem i n neuester Zeit w i r d die eigentumspolitische Diskussion auf einer besonderen Ebene, wenn auch noch i m Bereich der Höhe der Enteignungsentschädigung geführt: Unverdientes Eigentum soll entschädigungslos oder gegen geringere Abfindung entzogen werden können, als es dem Marktpreis des betreffenden Gutes an sich entspräche. Damit werde, so heißt es i n der politischen Diskussion, nur der Gewinn „abgeschöpft", der ohnehin, rechtlich oder volkswirtschaftlich, zu Unrecht gemacht worden sei, die Allgemeinheit erhalte nur, was i h r der Einzelne vorher genommen habe. Durch das Städtebauförderungsgesetz hat diese Diskussion neuen A u f trieb erhalten — zum ersten M a l nach 1945 wurde hier die Möglichkeit geschaffen, i n großem Umfang „abzuschöpfen". Hier geht es nicht u m Einzelheiten dieser Regelung oder u m ihre Berechtigung. Von Bedeutung für den Begriff der Sozialbindung sind lediglich die Argumente, m i t denen solche und ähnliche Regelungen begründet werden. Da sie die Höhe der Entschädigung betreffen und diese, oft sogar sehr drastisch, unter den jeweiligen Marktpreis zu senken gestatten, treten die bereits oben (2. und 3.) dargelegten Gefahren einer A n näherung oder gar Vermengung von Enteignung und Sozialbindung erneut auf. I n all diesen Fällen geht es doch u m „billige Enteignung" und damit praktisch u m eine Zwischenform von Sozialbindung und Enteig-
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nung. Es fragt sich daher, ob dies zulässig ist und von welcher Bedeutung solche Begründungen für die Abgrenzung Sozialbindung — Enteignung sein können. Vor allem aber ist zu untersuchen, ob damit nicht Sozialbindungsvorstellungen in die Enteignung hineingetragen werden, u m diese zu „verbilligen". I n der bisherigen Diskussion um das „unverdiente Eigentum" sind, soweit ersichtlich, zwei Gesichtspunkte noch nicht hinreichend unterschieden worden, welche beide die Absenkung der Entschädigung unter den Marktwert tragen sollen: einerseits die Bekämpfung der Spekulation (i. folg. b), zum anderen der entschädigungslose Entzug staatsverursachter Gewinne oder Gewinnmöglichkeiten (i. folg. c). Nur dieser letztere ist „Abschöpfung" i m eigentlichen Sinn. Gerade dadurch, daß diese Gedanken nicht klar geschieden werden, ist es bisher stets schwer gewesen, die beiden Begründungen auf ihre Berechtigung zu untersuchen. Synkretismus erweist sich auch hier als starke Waffe gegen „Rationalisierung der Begründung". Ob der Begriff „unverdientes Eigentum" wirklich für beide Gesichtspunkte, für Antispekulationsaktion wie für Abschöpfung paßt, muß ebenfalls bis zu näherer Klärung noch offen bleiben. b) Der „Kampf gegen Spekulation" i m öffentlichen Recht ist ein Phänomen, das sicher bis i n die Zeit des Ersten Weltkrieges, wenn nicht noch weiter zurückreicht. Es verdient eine gesonderte und eingehende Untersuchung. Sie w i r d u. a. ergeben, daß das öffentliche Recht hier häufig nur die Form war, i n der sich undifferenzierte, vielfach völlig irrationale sozialpolitische Affekte entladen konnten — bis h i n zu jenen der Geistesverwirrung nahen Ängsten der Kriegs- und Nachkriegszeiten, welche das „große Unglück" irgendwelchen geheimnisvollen, schwer faßbaren Mächten anlasten wollten. Zu diesen haben aber von jeher „die Spekulanten" gehört. Das Wort selbst verurteilt bereits, es bezeichnet den Schuldigen, der sich arbeitslos am Volksvermögen bereichert. Derartige Emotionen haben von jeher auch die ganze Diskussion u m das unverdiente Eigentum belastet. Besonders hart gingen die Nationalsozialisten, schon auf Grund ihres Parteiprogrammes, gegen die Spekulanten vor 3 0 0 . Auch heute w i r d gelegentlich gefordert, es müßten Spekulationen, insbesondere bei Grund und Boden, verhindert werden 3 0 1 , indem die Enteignungsentschädigung i n solchen Fällen geringer bemessen werde. 300 Vgl. Zitate bei Ehrenforth, W., J W 1939, S. 11 (13): Ausschaltung „ u n v e r dienter Zufallsgewinne, Spekulationsgewinne sowie von Wertsteigerungen, die durch starke Nachfrage bedingt sind". 301 z.B. Diester, H. (FN 274), wo diese i m typischen Zusammenhang m i t dem „unverdienten Eigentum" auftritt, das nicht so weitgehenden Schutz v e r diene.
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I m ganzen hat sich jedoch das öffentliche Recht i n den letzten Jahrzehnten beim „Kampf gegen die Spekulanten" sehr zurückgehalten. M i t Recht: In einer Marktwirtschaft läßt sich nämlich „die Spekulation" zwar leicht verurteilen, jedoch überhaupt nicht rechtlich definieren. Versucht man sie dahin zu bestimmen, daß sich der Spekulant Güter beschaffe und darauf hoffe oder rechne, daß deren Preis steigen werde, so sind alle Bürger Spekulanten, die sich Sachwerte anschaffen; denn wer t u t dies schon ohne die Hoffnung, daß diese i m Wert steigen würden? Es sind dann aber insbesondere alle Gewerbetreibenden ex definitione Spekulanten, denn sie versuchen doch, i m günstigsten Augenblick zum höchsten Preis anzubieten — umgekehrt aber auch alle Käufer, die „à la baisse spekulieren". Soll Spekulant derjenige sein, der „nur kauft, u m zu verkaufen"? Dann sind es alle Zwischenhändler. Oder der, welcher (möglicherweise) rasch nach dem Ankauf wieder veräußert? Dann gilt dasselbe wohl für alle Kaufleute — oder sollte der Marktwirtschaft das Prinzip zugrundeliegen, Güter lange i n einer Hand festzuhalten? Oder kann man den als Spekulanten bezeichnen, der nicht „eigene Arbeit" aufwendet, u m die Marktverhältnisse zu beeinflussen? Wiederum wären dann aber viele Gewerbetreibende und die meisten Käufer von Sachwerten Spekulanten, denn sie tun eben nicht mehr und nicht weniger als „kaufen und verkaufen". Darin besteht gerade ihre Marktbeeinflussung, und in einer Marktwirtschaft ist dies das am meisten legitime M i t t e l des Marktverhaltens, das marktwirtschaftliche Verhalten par excellence — eben Kaufen und Verkaufen. Wie immer man also „Spekulation" definieren w i l l — stets kommt dabei nichts anderes heraus als das, was fast alle tun, das typische Marktverhalten. Marktwirtschaft liegt vor, wenn alle spekulieren. Grenzen zulässigen Marktverhaltens mögen zu ziehen sein, zum Schutz anderer grundrechtlich geschützter Güter oder des Marktmechanismus selbst, wie i m Wettbewerbsrecht. M i t dem Begriff der Spekulation aber kann hier nie gearbeitet werden, sie ist nichts anderes als eine abschätzende Bezeichnung für marktwirtschaftliches Verhalten. I m privaten Gespräch mag sie ihren Platz haben, in Gesetze und Richterspruch gehört sie nicht. Es geht auch nicht an, das reine „Kaufen und Verkaufen i n der Hoffnung auf Gewinn" — denn etwas anderes ist die Spekulation ja nicht — als „arbeitslosen Gewinn" abzuqualifizieren. Man müßte dann konsequenterweise dem gesamten Handel die Qualifikation der „Arbeit" streitig machen. Es wäre auch wirklichkeitsfremd, ja schlechthin unrichtig, demjenigen, der gewerbsmäßig A k t i e n oder Grundstücke kauft und verkauft, abzusprechen, daß er „arbeite". Allein schon das Kaufen und Verkaufen ist „Arbeit", ebenso das Besitzen und Verwalten, gar nicht zu sprechen von der Mühe der Marktbeobachtung, der Reklame für das eigene Gut und ähnlichem mehr. Wo aber sollte die Grenze zwischen
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einem „schmutzigen Winkelspekulanten" und einem hochmodernen I m mobiliengeschäft rechtlich gezogen werden, wenn beide i m übrigen nicht gegen die Gesetze verstoßen? Eine solche Grenze kann es gar nicht geben. Es ist also gar kein „Spekulationsvorgang" vorstellbar, dem als solchem der V o r w u r f gemacht werden könnte, er führe zu „unverdientem Gew i n n " . Oder sollte es nicht — verdienstwürdig sein, wenn einer, vielleicht unter Verlusten und i n ständiger Anspannung, sein Gut behält und wartet, ob er es nicht günstiger verkaufen kann, während alle anderen es abstoßen? Zum Wesen einer wie immer verstandenen „Spekulation" gehört es ferner, daß man dabei eben auch erheblich verlieren kann. Sollte dies etwa auch nicht zulässig sein? Dann müßte man sich schlechthin gegen risikointensives Handeln auf dem M a r k t wenden. Könnte es dann überhaupt noch einen M a r k t geben? Wo lägen die Grenzen? Eine letzte Möglichkeit bestünde darin, die Spekulation als ein Hasardspiel u m Vermögenswerte zu definieren. Doch auch ein solches ist keineswegs verboten, soweit nicht greifbare Rechte bestimmter anderer verletzt werden. Wiederum könnten kaum Grenzen rechtlich fixiert werden. Und dürfte ein Staat überhaupt gegen solches Hasardieren vorgehen, der Spielbanken und Glücksspiele erlaubt, ja der von ihnen wie von Toto und Lotto laufend profitiert, der selbst das Hasardspiel seiner Bürger anregt? Welche Vorstellungen i m einzelnen hinter der Spekulantenangst stehen, ist hier nicht zu erörtern. Sicher ist aber, daß es einen rechtlich faßbaren Begriff des Spekulanten nur i n Systemen geben kann, die entweder von physiokratisch-agrarischen Auffassungen geprägt sind und den „Händler" grundsätzlich m i t Mißtrauen betrachten — oder Formen der Zentralverwaltungswirtschaft bieten. Dort ist i n der Tat der Spekulant i m weitesten Sinne eine systemfremde, ja systemfeindliche Erscheinung, dort w i r d der Kampf gegen Spekulanten jeder A r t zu einer Form der Sozialbindung des Eigentums. I n einer marktwirtschaftlichen Ordnung hat Spekulation m i t Sozialbindung begrifflich nichts zu tun; es gibt keine „immanente Eigentumsschranke", welche etwa die Spekulation verböte. Der Spekulationsbegriff muß also aus der gesamten Eigentumsdiskussion verschwinden. Er trägt insbesondere keine Herabsetzung der Höhe der Enteignungsentschädigung. Wo immer, offen oder unterschwellig, Antispekulationsabsichten mitspielen, die nicht unter anderen Gesichtspunkten i m konkreten F a l l begründet erscheinen, da ist die Regelung oder Entscheidung rechtswidrig. Dies ist auch bei der „Abschöpfung" von staatsverursachten Gewinnen (i. folg. c) von nicht geringer Bedeutung, weil auch dort oft Antispeku-
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lationsdenken mitspielt, wie noch näher nachzuweisen sein wird. Derartige Kryptoargumentationen sind meist leicht daran zu erkennen, daß sie eine moralisierende Note i n die Beweisführung bringen, denn — Spekulation ist eben verwerflich; nur leider kennt sie das Recht nicht. c) Weit ernsthafter ist die Abschöpfungsproblematik. Auch sie gibt es seit langem, mehr noch als Problem des Steuerrechts und der Finanzpolitik als i m Recht des Eigentumsschutzes. Doch auch hier hat sie seit längerer Zeit einen festen Platz. I m Enteignungsrecht entspricht es h. L., daß bei der Festsetzung der Entschädigungshöhe nicht berücksichtigt werden darf, was an Wertdifferenz durch die Aussicht auf ein Enteignungsverfahren entstanden ist 3 0 2 . I n Erweiterung dieses Grundsatzes w i r d jedoch auch seit längerer Zeit angenommen, daß für Wertsteigerungen nicht entschädigt zu werden braucht, die aus Maßnahmen eines Hoheitsträgers erwachsen sind 3 0 3 . Diese „Abschöpfung von Planungsgewinnen" ist auch eine wesentliche Begründung für die gesetzlichen Städtebauförderungsmaßnahmen der jüngsten Zeit 3 0 4 . Hier w i r d vor allem vorgebracht, das betreffende Eigentum habe „an sich" gar keinen so hohen Wert besessen, dieser komme i h m vielmehr lediglich infolge staatlicher Maßnahmen zu. Nicht der Eigentümer habe 302
Diester, H. (FN 274), S. 180; Scheuner, U. (FN 115), S. 136 (wobei in beiden
Fällen nicht recht verständlich ist, w a r u m auch noch von „spekulativen Forderungen" die Rede ist); Sendler, H. (FN 286), S. 27; B G H N J W 1960, S. 530: „Wie Wertsteigerungen, die i m Hinblick auf ein bevorstehendes Enteignungsverfahren entstanden sind, bei der Entschädigungsfestsetzung unberücksichtigt bleiben müssen, so auch Wertminderungen, die sich erst aus der künftigen Zweckbestimmung eines Grundstücks ergeben, m i t dessen Enteignung angesichts seiner neuen Zweckbestimmung nach dem Bebauungsplan gerechnet werden mußte." 303 Vgl. u. a. Winkelmann , Α., Fragen aus den Entwürfen des BBauG, DÖV
1959, S. 249 (250); Sendler, H. (FN 286), S. 21; Bielenberg, W. (FN 156), S. 445;
Rasner , H., Vorbereitende Bauleitplanung u n d Enteignung, DVB1 1956, S. 813 (814/5) (vor allem zum AufbauG NRW); vgl. das rhld.-pfälz. Gesetz über den Aufbau i n der Gemeinde v. 1. 8.1949 (GVB11, S. 31) m i t Ä n d G v o m 23.12.1949 (GVB11, S. 623), § 52 d; N R W - G über Maßnahmen zum Aufbau der Gemeinden des Landes v. 29.4.1950 (GVB1 S. 78), § 46; B V e r w G DVB1 1957, S. 541 (542); L G Aachen N J W 1960, S. 1529. 304 Vgl. zu diesem Problemkreis u. a. Niemeier, H. G., Entschädigung auf G r u n d v o n Maßnahmen der Landesplanung, 1968; Streit, W., Es geht u m gerechte W e r t e r m i t t l u n g usw., Das Grundeigentum 1970, S. 106, 4; Althaus, F. O., Umfaßt die Enteignungsentschädigung den merkantilen Minderwert eines Grundstücks?, N J W 1970, S. 793; Freudling, F., Wert-Schaden-Entschädigung, DÖV 1970, S. 308; Rausch, R., Enteignungsrechtliche Probleme i m Licht der Junktimklausel, DVB1 1969, S. 167; Haman, U., Bodenwert u n d Stadtplanung, 1969; Steffen, E., Die Enteignungsentschädigung, Grundsätze f ü r ihre Bemessung, DRiZ 1968, S. 126; Konow, K . O., Eigentumsschutz gegen Eingriffe der öffentlichen Hand, 1968; Schack, F., Die Berücksichtigung des Interessenausgleichs bei der Enteignungsentschädigung, DÖV 1966, S. 549; Luhmann, N., ö f fentlich-rechtliche Entschädigung rechtspolitisch betrachtet, 1965; Dittus, W., Die Enteignungsentschädigung nach heutigem Recht, N J W 1965, S. 2179.
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„durch eigene Arbeit" oder durch Einsatz eigenen Kapitals den „Wert geschaffen". Er habe vielmehr nur abgewartet, bis die Allgemeinheit den höheren Wert durch ihre Planung hervorgebracht habe, wobei sie ja nicht selten auch erhebliche Leistungen, etwa durch die Schaffung von Infrastrukturen, erbracht habe. Was aber der Staat gegeben habe, dürfe er auch wieder nehmen. Diese These führt dann notwendig zu einer Erweiterung dahin, daß alle staatsverursachten Gewinne bei der Festsetzung der Enteignungsentschädigung nicht zu berücksichtigen seien. Es geht hier nicht darum, ob diese These an sich haltbar ist oder nicht, sondern nur darum, ob sie zu einer Mobilisierung der Höhe der Enteignungsentschädigung und damit zu einer Verwischung der Grenzen zwischen Sozialbindung und Enteignung führen kann. Vorweg muß jedoch zu ihrer Klärung noch bemerkt werden, daß sie nur unter einer dreifachen Einschränkung überhaupt diskutabel ist: Zunächst einmal ist es nicht das Fehlen der „eigenen Arbeit des Eigentümers", welche das Eigentum entschädigungsunwert macht, wenn hierunter etwa ein laufendes positives Handeln, ein „Arbeiten" verstanden werden sollte. Die Formel vom „Fehlen eigener Anstrengung", eigener „Leistung" w i r d vor allem bei der Entscheidung der Frage eingesetzt, ob subjektiv-öffentliche Ansprüche den Enteignungsschutz der Verfassung genießen 305 . Dies aber ist bekanntlich nur dann nicht der Fall, wenn es sich um eine A r t von „Staatsgeschenk" handelt, während all das umgekehrt „Eigentum" ist, was auch „nur" durch Einsatz eigenen Kapitals erworben worden ist. Es ist also nicht so, daß der Eigentümer etwas „getan" haben müßte, u m den Wert seines Gutes zu schaffen; entschädigungsunwert ist dieses nur dann, wenn es i h m „vom Staat geschenkt" worden ist. Ferner ist es nicht das „Rechnen auf " die staatliche Maßnahme und dam i t ein spekulatives Moment, welches die Entschädigungspflicht ausschließt, sondern die staatliche Maßnahme selbst. Es darf hier nicht auf Umwegen doch wieder ein negatives Urteil über die „Spekulation" eingeführt werden, das (wie oben b) nachgewiesen) gar nicht möglich ist; die Entschädigungsunwürdigkeit staatsverursachter Gewinne wäre durch ein Unwerturteil über „Spekulation" allgemein nicht zu begründen. Schließlich können allenfalls staatsverursachte Gewinne von der Entschädigung ausgenommen werden, nicht aber solche, die durch gesellschaftliche Entwicklungen hervorgerufen worden sind. Selbst wenn diese wieder durch den Staat gefördert worden sein sollten, genügt dies nicht. Wo immer die Verursachung der Wertsteigerung nicht unmittelbar, ohne Zwischenschaltung oder M i t w i r k u n g der „Gesellschaft" (d. h. hier: an305
Vgl. dazu Weber, W. (FN 274), S. 354; Maunz-Dürig-Herzog,
A r t . 14 GG; Leibholz-Rinck, Nachweisen.
RN 33 ff. zu
GG, 4. Aufl., A n m . 2 zu A r t . 14 GG, jeweils m i t
Exkurs
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derer Privater) auf den Staat zurückzuführen ist, muß grundsätzlich v o l l entschädigt werden. Ob eine solche „reine" Kausalität überhaupt denkbar ist, braucht hier nicht entschieden zu werden. Aus demselben Grunde sind auch solche Wertsteigerungen durchaus entschädigungswürdig, die durch eine „allgemeine Entwicklung", etwa „die Nachkriegssituation", verursacht worden sind. Wer hier anders entscheidet 306 , trägt der M a r k t w i r t schaft nicht Rechnung und handelt i m Ergebnis lediglich antispekulativ, was aber unzulässig ist. I m Ergebnis bleibt also festzustellen, daß lediglich solche Werte ein generelles Abgehen vom Grundsatz der vollen Entschädigung rechtfertigen könnten, welche „staatsverursacht" i n dem dargelegten engeren Sinn wären, wobei die Berechtigung dieser These hier offen bleibt. Nur solches Eigentum könnte überhaupt „unverdient" sein. d) Bedeutet dies nun eine Mobilisierung der Höhe der Enteignungsentschädigung? Kommen hier Vorstellungen der Sozialbindung i m Enteignungsrecht zum Einsatz, wodurch dann i m Ergebnis die Unterscheidung von Sozialbindung und Enteignung verwischt werden könnte? Eine solche Gefahr der „Variabilisierung des Eigentums über A b schöpfung als Ausdruck der Sozialbindung" besteht jedoch nicht. Dies ergibt sich schon daraus, daß die eigentliche Abschöpfungsproblematik nicht eine Frage einer, wie immer vorzunehmenden, Interessenabwägung i m Einzelfall, sondern der Feststellung des Wertes des enteigneten Gutes ist 3 0 7 . Es kommt darauf an, zu bestimmen, welche Wertsteigerungen sich auf Veranstaltungen der Hoheitsgewalt zurückführen lassen. Hier droht begrifflich keine Mobilisierung der Entschädigungshöhe, die vielmehr grundsätzlich dem gemeinen Wert des enteigneten Gutes entspricht. Es werden n u r Wertbestandteile aus dieser Bewertung ausgeklammert, und zwar „feste" Elemente, die nicht etwa durch Abwägung zu bestimmen sind. A l l dies geschieht auf Grund des Prinzips, daß für Staatsverursachtes keine, und zwar überhaupt keine Entschädigung zu bezahlen ist, nicht etwa eine geringere Entschädigung. Praktisch mag sich dies so auswirken, als würde die Entschädigungshöhe gesenkt; doch dies geschieht nicht aus Gesichtspunkten, die i n der „Person" des Betroffenen oder des Enteignungsgewaltigen liegen und gegeneinander abgewogen werden, sondern allein deshalb, w e i l das Gut, wirtschaftlich jedenfalls, der Enteignungsgewalt bereits zuzurechnen ist, nicht dem „formal-rechtlichen Eigentü306
So etwa Werner, F., Das Baulandbeschaffungsgesetz, DVB1 1954, S. 44 (45). Vgl. außer den i n F N 304 einschlägig Zitierten noch: Geizer, K., Der U m fang des Entschädigungsanspruchs, 1969; Fritzen , Α., Entschädigungsregelung beim Landentzug, 1966; Vonficht, F., W e r t e r m i t t l u n g i m Enteignungsverfahren, Bay VB11966, S. 10; Müller, K . P., Die Bewertung von Grundstücksteilflächen i m Enteignungsverfahren, B a y V B l 1966, S. 161; Rössler, R., Langner, J., Schätzung und E r m i t t l u n g von Grundstückswerten, 1966. 307
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C. Sozialbindung — Enteignung nach geltendem Recht
mer". Ob dies allgemein oder i m Einzelfall berechtigt sei, ist eine andere Frage. Wenn man aber von einem derartigen Prinzip einmal ausgeht, so w i r d nicht i m Wege einer Abwägung i m Einzelfall die Entschädigung mobilisiert, sondern es w i r d der Wert des Gutes nach gewissen festen K r i t e r i e n fixiert. Schon deshalb liegt keine Annäherung an die Sozialbindung vor, Sozialpflichtigkeitsvorstellungen treten nicht auf. Rechtsdogmatisch gesehen gehört „das Staatsverursachte" i n diesem Sinn gar nicht zum Begriff des verfassungsgeschützten Eigentums 8 0 8 , es ist „wirtschaftlich" Eigentum des die Wertsteigerung verursachenden Hoheitsträgers, und das Recht trägt diesem Sachverhalt lediglich Rechnung, indem es dem Eigentümer dafür keinerlei Entschädigung gewährt. Eine Abschöpfung k a n n schon deshalb begrifflich m i t Sozialbindung nichts zu t u n haben 8 0 9 , w e i l Sozialbindung ja voraussetzt, daß das betreffende Gut zum Eigentum des Betroffenen gehört, daß es also durch seine Arbeit, durch Einsatz seines Kapitals geschaffen worden ist, nicht aber durch den Hoheitsträger. Wer etwas hergeben muß, was i h m nicht gehört, der unterliegt hier nicht der Sozialbindung, er hat eben insoweit kein verfassungsgeschütztes Eigentum. Diejenige Begründung also, die allein überhaupt eine Abschöpfung tragen kann, verbietet es begrifflich, hier von Sozialbindung zu sprechen. Wie immer die Abschöpfung gestaltet, erweitert werden mag, m i t einer Ausdehnung der Sozialbindung hat das nichts zu tun. e) Mag also auch „formal" die Abschöpfung von staatsverursachtem Gewinn nicht zur Mobilisierung der Entschädigungshöhe führen u n d daher den Begriff der Sozialbindung nicht berühren, es ergeben sich doch aus i h r nicht unerhebliche Gefahren für eine klare Abgrenzung zur Enteignung. Ein und dasselbe Gut, das jeweils enteignete Eigentumsobjekt, w i r d doch, obwohl es „als solches", i n dinglich-sachenrechtlicher Unteilbarkeit, „formal" dem durch die Enteignung Betroffenen zusteht, sozusagen aufgespalten, und zwar i n verschiedene Wertelemente zerlegt. Die einen werden dem Eigentümer zugerechnet, w e i l sie sich auf seine Arbeit, auf seinen Kapitaleinsatz zurückführen lassen, die anderen dagegen dem enteignenden Staat. Dieser „sitzt also bereits i n dem Eigentum", das er an sich ziehen w i l l . Eine solche Betrachtungsweise ist nicht weit von der der „immanenten Schranken" entfernt, welche dem Eigentum wesentlich sein sollen; auch durch sie soll eben bewiesen werden, daß „insoweit" das 308
So zutr. Werner, F. (FN 306), S. 44; Bielenberg, W. (FN 156), S. 445. Bedenklich daher etwa Sendle H. (FN 286), S. 21: „ W a r u m sollten nicht i n solchen Bereichen die E i g e n t ü m e r . . . entschädigungslosen Eigentumsbindungen i n größerem Umfang unterworfen werden, als man das heute vielleicht noch für zulässig hält?" Hier zeigt sich sehr deutlich der mehrfach kritisierte Synkretismus von Sozialbindung und Höhe der Enteignungsentschädigung. 309
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Eigentum dem Betroffenen „gar nicht gehört", sondern der „Allgemeinheit", die bis zu dieser Grenze entschädigungslos eingreifen darf. Die „immanenten Schranken" aber gehören zum Begriffsarsenal der Sozialbindung. Die völlige Entschädigungslosigkeit bis zu einer bestimmten Grenze ist wiederum der Abschöpfung wie der Sozialbindung gemeinsam. Zwar bleibt noch eine Verschiedenheit i n der Begründung — bei der Sozialbindung „allgemeine" Pfiichtbelastungen unstreitigen Eigentums der Betroffenen, bei der Abschöpfung konkrete Veranstaltungen der Hoheitsgewalt. Praktisch entsprechen sich aber die Wirkungen nahezu vollständig: Ein Teil des Gutes darf entschädigungslos genommen werden. W i r d die Unterschiedlichkeit der Voraussetzungen genügen, u m auf die Dauer beides zu trennen? W i r d dann nicht doch die Abschöpfung einfach zu einer Form der Sozialbindung werden? Man mag einwenden, dies sei doch unschädlich, die Abschöpfung könne umgekehrt gerade zur Konkretisierung des Sozialbindungsbegriffes beitragen. Als ein Wesenselement der Sozialbindung sei es dann etwa anzusehen, daß die entzogenen Verf ügungs- oder Nutzungsmöglichkeiten nicht vom Betroffenen, sondern von der Allgemeinheit geschaffen worden seien. I n solchen Fällen sei immer Sozialbindung zulässig. Dieser These muß widersprochen werden, die „Abschöpfungsbegründungen" ergeben nichts für den Begriff der Sozialbindung des Eigentums. Werden sie ernst genommen, so sind sie für eine Begriffsbestimmung der Sozialbindung zu eng — Sozialpflichtigkeit besteht nicht nur insoweit, als sich konkrete Aufwendungen oder Veranstaltungen eines Hoheitsträgers nachweisen lassen, deren Wert nun entschädigungslos entzogen werden soll. Der Staat hat nichts „für das Grundstück" getan, auf das nun Naturschutzbeschränkungen gelegt werden sollen. W i r d jedoch die Begründung der Abschöpfung dahin erweitert, daß keine konkreten wertsteigernden Veranstaltungen eines bestimmten Hoheitsträgers nachgewiesen werden müssen, und daß gar an die Stelle dieses Hoheitsträgers die „Allgemeinheit" t r i t t , die etwa durch die „allgemeine Staatsgewalt" das Eigentum „erst zu einem Wert macht" — wenn so allgemein die A b schöpfung begründet werden soll, so sind das nur andere Worte für die Sozialbindung, sicher aber nicht das, worum es hier geht: Ein Wesenselement der Sozialbindung, ein Abgrenzungskriterium gegenüber der Enteignung. Selbst wenn man aber bei dem oben (d) dargelegten „engeren" Begriff der Abschöpfung bleibt und diese nur eingreifen läßt, wo sich i m Einzelfall bestimmte Wertsteigerungen auf ebenso bestimmte Maßnahmen des Staates zurückführen lassen, so besteht doch die Gefahr, daß die Sozialbindung dadurch, indirekt wenigstens, i n kaum absehbarer Weise „dynamisiert" w i r d : θ Leisner
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C. Sozialbindung — Enteignung nach geltendem Recht
— Die Voraussetzungen der Abschöpfung lassen sich unschwer „etwas", „schrittweise" erweitern. Man muß ja nicht gleich bis zur „allgemeinen Wertsteigerung durch Existenz der staatlichen Gemeinschaft" gehen; doch welches Eigentum w i r d denn nicht „irgendwie" i n seinem Wert durch staatliche Veranstaltungen wenigstens „mitbestimmt"? Hier läßt sich doch die Verbindung zur Sozialbindung nicht nur tatsächlich herstellen, diese läßt sich auch auf solchem Weg beliebig intensivieren. Man kann ja die „Kausalität" der staatlichen Veranstaltungen beliebig weit verfolgen. „Irgendwo" t r i f f t man doch heute immer auf den Staat. Damit aber w i r d die unter der „Abschöpfung" getarnte Sozialbindung zum dehnbaren und nach Belieben „dynamisierbaren" Begriff. — Die Abschöpfung kann eben praktisch doch zu einer Mobilisierung der Höhe der Enteignungsentschädigung führen; von dieser aber ist bereits nachgewiesen worden 3 1 0 , daß sie i m Ergebnis zu einer Aufhebung des Unterschieds von Sozialbindung und Enteignung führt. Wenn nämlich Abschöpfung zulässig sein soll, so müssen innerhalb der rechtlichen Einheit ein und desselben Eigentumsobjekts Wertelemente gebildet und zum Teil dem Staat, zum Teil dem Eigentümer zugerechnet werden. Wie aber sollen diese Elemente fixiert, gewichtet werden? Zwar geht eine wohlverstandene Abschöpfungstheorie (vgl. oben d) davon aus, daß es sich jeweils um die Ermittlung „fester" Wertbestandteile handeln muß, die kausal auf Staat und Betroffenen zurückzuführen wären, so daß eine Interessenabwägung ausschiede. I n der Praxis werden aber so subtile Unterschiede nicht gemacht werden. I m Ergebnis w i r d man eben doch abschätzen, ja abwägen müssen, denn ganz sichere Anhaltspunkte gibt es durchaus nicht immer. Dann aber kommt es zu eben derjenigen Mobilisierung der Höhe der Entschädigung, die wenigstens eine de facto-Annäherung an die Sozialbindung bewirkt, wenn sie nicht die Unterschiede Enteignung — Sozialbindung überhaupt aufhebt. — Bedenklich ist schließlich, daß die Abschöpfungslehre das rechtliche Eigentum auf eine rein „formale" Stellung des Eigentümers reduziert, die „als solche" für den Eigentumsschutz „noch gar nichts aussagt", weil es ja letztlich auf die wirtschaftliche Situation, auf das Eigentum i m wirtschaftlichen Sinne ankommt, darauf, wer die Werte geschaffen hat. Damit aber w i r d der Eigentumsbegriff als solcher unterwandert, wenn nicht aufgelöst. Niemand kann sich mehr darauf verlassen, daß er eine feste Stellung habe, i n die der Staat nur bis zu gewissen festliegenden, vorhersehbaren Grenzen eindringen könne. I m Entwehrungsfall „kommt es auf das Eigentum gar nicht an", nicht Eigentum 310
Oben 3.
Exkurs
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w i r d beschränkt oder entzogen, wirtschaftliche Werte werden entflochten. Damit aber findet doch, wenn auch auf einem Umweg, genau jene Auflösung des einheitlichen Eigentumsbegriffs statt, welche eine beliebige Erweiterung der Sozialbindung ermöglicht. — Vor allem aber würde eine konsequent praktizierte und bis i n die Sozialbindung hinein erweiterte Abschöpfungstheorie auf jeden Fall eines bewirken: Es käme für die Grenzziehung Sozialbindung — Enteignung nicht mehr auf Schwere, Tiefe oder Bedeutung des Eingriffs für den Betroffenen an, nicht mehr darauf, „wieviel von dem Recht" entzogen würde; denn dieses Recht wäre ja bereits vorher gedanklich aufgespalten i n Wertelemente, begrifflich fände überhaupt kein „Eingriff" statt, dem Kaiser würde nur gegeben, was des Kaisers ist. Demgegenüber w i r d die weitere Untersuchung ergeben, daß es gerade ganz wesentlich auf die Eingriffstiefe ankommt 3 1 1 , und daß es zum Wesen der Sozialbindung gehört, daß sie nicht nimmt, was „dem Staat schon gehört", sondern den Eigentümer diesem Staat gegenüber i n gewissen Grenzen verpflichtet, wenn und soweit es dieser Staat wünscht. Dieser aber holt nicht das Seine zurück, sonst wäre er ja auch zur vollen Ausnützung der Sozialbindungsspanne verpflichtet, denn — der Staat darf nichts verschenken. I m Ergebnis bleibt also festzuhalten: „Unverdientes" Eigentum kann es insoweit geben, als Eigentumswert „staatsverursacht" ist, nicht aber als „Spekulationseigentum". Wenn „staatsverursachter Mehrwert" abgeschöpft werden darf, so ist der Nachweis erforderlich, daß ein fest bestimmbarer Teil des Wertes eines bestimmten Gutes durch konkrete Veranstaltungen gerade des Staates geschaffen worden und daher dem Eigentümer nicht zuzurechnen ist. M i t Sozialbindung des Eigentums hat dies nichts zu tun; hier w i r d nur entzogen, was den Eigentumsschutz gar nicht verdient, was „kein Eigentum ist", während die Sozialbindung „echtes Eigentum" des Betroffenen voraussetzt. Wenn also auch recht verstandene Abschöpfung theoretisch weder den Begriff der Sozialbindung berührt, noch eine für diese gefährliche Mobilisierung der Höhe der Entschädigung herbeiführt, so geschieht doch beides praktisch, wenn die Abschöpfung weiter ausgedehnt wird. Aus dem Verfassungsgebot der Unterscheidung von Sozialbindung und Enteignung folgt also auch, daß sich die Abschöpfung staatsverursachten Gewinnes, der entschädigungslose Entzug „staatsgeschaffener Werte", jedenfalls i n engen, klar feststellbaren Grenzen halten muß, welche ohne die Variabilität von Interessenabwägungen zu ziehen sind. 311
9*
Vgl. unten D.
132
C. Sozialbindung — Enteignung nach geltendem Recht
Die gesamte Problematik des „unverdienten Eigentums", aus dem ja i m Ergebnis doch immer nur eine Verbilligung der Enteignung abgeleitet werden soll, zeigt aber wieder, von einer anderen Seite: Wenn immer die Höhe der Enteignungsentschädigung verändert werden soll und sich, m i t welcher Begründung es auch sei, von der festen Marke des Marktpreises entfernt, gerät sogleich die Abgrenzung von Sozialbindung und Enteignung i n Gefahr. Dasselbe gilt aber auch dann, wenn eine solche Mobilisierung der Enteignungsentschädigung indirekt dadurch bewirkt wird, daß gewisse Wertelemente aus dem Eigentumsbegriff ausgeklammert werden. Wer die von der Verfassung vorausgesetzte Unterscheidung von Sozialbindung und Enteignung überhaupt aufrechterhalten w i l l , unabhängig davon, wo hier die Grenzen verlaufen sollen, der darf weder den Eigentumsbegriff noch die Höhe der Entschädigung beweglich gestalten. Überall geht es ja hier u m den Wert des Gutes, i n das eingegriffen werden soll — durch Sozialbindung wie Enteignung. Und wenn das Objekt dieser beiden Eingriffsformen schon nicht festliegt, so hat es keinen Sinn, nach Unterschieden zwischen ihnen zu suchen. Veränderung der Entschädigungshöhe oder einschränkendes Verständnis des Eigentumsbegriffs auf „Verdientes" sind letztlich eben doch nur Kryptoformen einer Sozialbindung, deren Ausdehnung man offen nicht zu begründen, vielleicht auch nicht zu diskutieren wünscht. Doch dem allen sollte ein deutlicher Riegel vom Gesetzgeber wie von den Gerichten vorgeschoben werden. Wenn nämlich das mißhandelte Wort „Manipulation" einmal am Platz ist, so hier: i n einer Manipulation des Eigentums durch Kryptoformen der Sozialbindung. IV. Bestimmung der Sozialbindung nach der Zahl der Betroffenen — Die Sonderopfertheorie des BGH 1. Die Theorie des B G H
a) I n der Weimarer Zeit bereits war die sog. „Sonderopfertheorie" zur Bestimmung der Enteignung aufgestellt worden. Sie geht eindeutig zurück auf die frühere Einzelaktlehre, nach der nur der Einzeleingriff durch Verwaltungsakt, nicht aber die „allgemeine" Beschränkung durch Gesetz Enteignung sein konnte 3 1 2 . Nachdem dann i n der Folge auch die „Enteignung durch Gesetz" anerkannt werden mußte, weil sonst jeder Enteignungsschutz illusorisch geworden wäre, wurde die Einzelakttheorie „modifiziert" auch auf die nun wichtigsten Fälle der Legislativenteignung angewendet — und es entstand die Sonderopfertheorie. 312
Vgl. oben A I I I .
I V . Die Sonderopfertheorie des B G H
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Der Staatsgerichtshof hat sie i n einer klassischen Entscheidung 313 wie folgt formuliert: „Dieser Eingriff, der i n der Regel ein Verwaltungsakt ist, kann allerdings, wie i n der Rechtsprechung des Reichsgerichts anerkannt ist, ausnahmsweise auch unmittelbar durch Gesetz erfolgen. Aber auch dann muß er sich als Einzeleingriff darstellen, der nicht alle i m Geltungsgebiet des Gesetzes befindlichen Grundstücke oder Rechte gleichmäßig, sondern nur einzelne von ihnen oder einen engen Kreis von einzelnen Grundstücken oder Rechten trifft, ihnen ein besonderes Opfer zugunsten der Allgemeinheit auferlegt." Die Sozialbindung w i r d auf diese Weise „negativ" definiert; unter ihren Begriff fällt jede Eigentumsbeschränkung, die nicht Enteignung ist. Diese Sonderopfertheorie berief sich schon damals auf die „Gleichheit" aller gegenüber den öffentlichen Lasten 3 1 4 . Sie ist auch i n der nationalsozialistischen Zeit Grundlage der Judikatur geblieben und der B G H hat sie zur Basis der gesamten Sozialbindungstheorie nach 1945 gemacht. b) I n der Grundsatzentscheidung des Großen Zivilsenats des B G H zum Enteignungsrecht 315 w i r d zunächst verschiedentlich betont, daß es zum Wesen der Sozialbindung gehöre, daß sie i n einer „allgemein verbindlichen Weise" Inhalt und Grenzen des Eigentums festlege. „Diese inhaltliche Bestimmung und Begrenzung des Eigentums muß ihrem Wesen nach allgemeiner Natur sein", sie muß „die Rechtsträger unterschiedslos und einheitlich bei der Ausübung ihrer Rechte sozial binden". Von dieser „Definition" der Sozialbindung gelangt dann der BGH, umgekehrt wie der StGH, erst zur Enteignung, welche wie folgt definiert w i r d : „Bei der Enteignung handelt es sich nicht u m eine allgemeine und gleichwirkende, m i t dem Wesen des betroffenen Rechts vereinbare inhaltliche Bestimmung und Begrenzung des Eigentumsrechts, sondern u m einen gesetzlich zulässigen zwangsweisen staatlichen Eingriff i n das Eigentum, sei es i n der Gestalt der Entziehung oder der Belastung, der die betroffenen Einzelnen oder Gruppen i m Vergleich zu anderen ungleich, besonders t r i f f t und sie zu einem besonderen, den übrigen nicht zugemuteten Opfer für die Allgemeinheit zwingt, und zwar zu einem Opfer, das gerade nicht den Inhalt und die Grenzen der betroffenen Rechtsgattung allgemein und einheitlich festlegt, sondern das aus dem Kreise der Rechtsträger Einzelne oder Gruppen von ihnen unter Verletzung des Gleichheitssatzes besonders trifft. Der Verstoß gegen den Gleichheitssatz kennzeichnet die Enteignung. Gerade u m i h n wieder auszugleichen, fordert die Enteignung eine diesen Ausgleich gewährleistende Entschädigung des Enteigneten, während die alle gleich treffende allgemeine inhaltliche Begrenzung des 313 314 315
S t G H RGZ 124, A n h . S. 19 (32). Vgl. Stödter, R., öffentlich-rechtliche Entschädigung, 1933, S. 185. B G H Z 6, S. 270 (277 f.).
134
C. Sozialbindung — Enteignung nach geltendem Recht
Eigentums keine Entschädigung fordert. Das ist der richtige und deswegen durchaus beizubehaltende Grundgedanke der reichsgerichtlichen Rechtsprechung über die Enteignung als Einzeleingriff. Diese Rechtsanschauung bestimmt — entgegen,zahlreichen erhobenen Angriffen — die Enteignung gerade nicht nach einem formalen Maßstab. Sie liefert i m Gegenteil den einzig zutreffenden, durchaus inhaltlich bestimmten Maßstab für die Enteignung, nämlich ihren Charakter als erzwungenes, ungleich treffendes Sonderopfer für die Allgemeinheit." c) Der Kern dieser „Theorie" liegt darin, daß Enteignung all das sein soll, was „Einzelne oder Gruppen i m Vergleich zu anderen ungleich, besonders trifft". I n dieser Formulierung liegt jedoch eine grundsätzliche und schwerwiegende Doppeldeutigkeit, die zunächst einmal eine Interpretation erforderlich macht. „Ungleich treffen" kann eine Maßnahme nämlich i n zweifacher Hinsicht: — entweder sie t r i f f t nur einzelne Rechtsträger, läßt aber andere, welche die gleichen Rechte oder Güter besitzen, unberührt. Hier w i r d die Ungleichheit nach der Person des Betroffenen bestimmt, nicht nach der Schwere oder Tiefe des Eingriffs i n das betreffende Recht. Dies war der Sinn der ursprünglichen Einzelakttheorie, denn der Verwaltungsakt, der allein enteignen konnte, war ja ex definitione der Eingriff, der nur Einzelne traf, ohne Rücksicht darauf, wie schwere Rechtsverluste er ihnen zufügte. Auch der Staatsgerichtshof hat diese Bestimmung nach der Person des Betroffenen i m Auge, wenn er Enteignung dort sieht, wo nur „Einzelne" oder „einzelne Grundstücke oder Rechte" betroffen sind; denn letztere stehen hier für die Personen ihrer Eigentümer, von der Schwere des Eingriffs ist nicht die Rede; — oder es w i r d dem einen dadurch ein „schwereres" und somit „ungleiches" Opfer auferlegt, daß er mehr von seinem Eigentum verliert, als der Staat anderen von ihrem Eigentum nimmt. Dies aber setzt nun gerade nicht voraus, daß es sich u m gleichartiges Eigentum handelt; i m Gegensatz zur Bestimmung der Enteignung nach der Person w i r d bei der Bestimmung nach der Opferhöhe nur nach dem Umfang des (materiellen) Verlustes gefragt. Die Gruppe der Betroffenen, wie groß immer sie sein mag, w i r d auch m i t den Eigentümern anderer Güter verglichen, welche der Staat nicht wegnimmt, nicht beschränkt. Das Opfer liegt i n der Größe des Verlustes, nicht i n der Zahl der Betroffenen. Daraus ergibt sich, daß die Sonderopferformel des BGH, begrifflich jedenfalls, zwei völlig heterogene Abgrenzungskriterien beinhaltet: Die Enteignung könnte nach ihr sowohl danach bestimmt werden, wieviel genommen w i r d (gegenüber anderen, denen von ihrem Eigentum nichts
I V . Die Sonderopfertheorie des B G H
135
entzogen wird, welcher A r t immer dieses sein mag) als auch danach, wievielen Eigentümern desselben Gutes Beschränkungen oder Entwehrungen auferlegt werden. Diese beiden „Definitionen" der Enteignung, und damit mittelbar der Sozialbindung, mögen miteinander kombiniert werden, sie stehen jedoch i n keinerlei wesensmäßigem Zusammenhang. Dies ist bereits zur Weimarer Zeit deutlich erkannt worden 3 1 6 . Die Bestimmung der Enteignung nach der Schwere des Opfers mag man m i t Stödter Aufopferungstheorie nennen; sie ist begrifflich i m Zusammenhang mit all jenen Abgrenzungsversuchen zu behandeln, welche von der Tiefe des Eingriffs ausgehen 317 . Hier dagegen ist jenem K r i t e r i u m nachzugehen, das der Rechtsprechung des BGH, wenn nicht allein, so doch auch zugrunde liegt: der Abgrenzung von Sozialbindung und Enteignung nach der Zahl der betroffenen Eigentümer. Denn u m nichts anderes geht es bei der oben erwähnten ersten Alternative des „Sonderopfers", der Bestimmung desselben danach, ob nur Einzelne oder Gruppen von solchen „betroffen" werden, oder ob der Eingriff „allgemein (verbindlich)" Inhalt und Schranken des Eigentums festlegt. Wer die Enteignung von der Person des Betroffenen abhängig macht, die er mit anderen „nicht oder weniger betroffenen Eigentümern" gleichartiger Güter vergleicht, der macht die Abgrenzung von Enteignung und Sozialbindung zur Funktion der Zahl der Betroffenen. Wenn nämlich „alle" betroffen sind, kann es nach i h m ja begrifflich nur Sozialbindung geben. Eine Maßnahme kommt der Sozialbindung um so näher, je näher die Zahl der konkret Betroffenen an die Gesamtzahl aller „möglichen" Betroffenen heranrückt. Irgendwo muß also hier quantitativ eine Grenze bestimmt werden. Und eine „Besonderheit" liegt sicher dort nicht mehr vor, wo mehr als die Hälfte der möglichen Betroffenen aktuell, konkret betroffen werden. Hierbei muß es natürlich nicht, insoweit mag das oben Dargelegte noch konkretisiert werden, u m die Zahl der Eigentümer, sondern es kann auch u m die Zahl der Eigentumsobjekte, der Rechtsbeziehungen zu solchen gehen 318 . Wollte man hier demokratische Vorstellungen einsetzen, so wären Enteignung alle diejenigen Maßnahmen, durch welche weniger als die Hälfte aller möglichen Betroffenen auch zu aktuell Betroffenen würden, denn die „Mehrheit ist das Allgemeine". Dem Sinn der BGH-Rechtsprechung kommt es aber wohl näher, wenn „das Besondere" auf noch engere Fälle von Personen oder Rechtsbeziehungen beschränkt wird. 316
Vgl. Stödter, R., aaO, S. 185,193. Dazu unten D. 318 Dazu hat sich übrigens, soweit ersichtlich der B G H nicht eindeutig geäußert, ob es n u n f ü r die „Opfer" auf die Menschen oder auf die Rechtsbeziehungen ankommen soll. 317
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C. Sozialbindung — Enteignung nach geltendem Recht 2. Kritik der Sonderopfertheorie: Das unlösbare Problem der Gruppenenteignung und die unzulässige Einschränkung der Typisierungsgewalt des Gesetzgebers
a) Die BGH-Formel vom Sonderopfer ist schon deshalb bedenklich, w e i l sie Heterogenes i n sich birgt. Doch selbst wenn man sie auf das K r i t e r i u m der Zahl der betroffenen Personen oder Rechtsbeziehungen zurückführt, ist sie unhaltbar, und zwar zunächst schon deshalb, w e i l es i h r nicht gelingen kann, das zu definieren, was sie vergleichen w i l l . Wie oben 1. a. E. dargelegt, setzt ihre Anwendung nämlich voraus, daß einer „Allgemeinheit" von Eigentümern gegenüber „einzelne oder Gruppen von solchen" anders behandelt werden; nur dann soll ja Enteignung vorliegen. Fällt die betroffene Gruppe m i t der „Allgemeinheit" der Eigentümer zusammen oder kommt sie ihr näher, so soll dagegen Sozialbindung gegeben sein. Was ist aber nun Allgemeinheit, was Gruppe? Wenn der Gesetzgeber einen Teil der Eigentumsbeziehungen i n besonderer Weise neu ordnet, schafft er dann eine „Gruppe" und damit entschädigungsberechtigte Enteignete — oder eine „neuartige Allgemeinheit", deren Eigentum er eben i n zulässiger Weise sozial gebunden hat? b) Der B G H hat diese Schwierigkeit gesehen, auf die ja schon früher und auch neuerdings aufmerksam gemacht worden ist. Er versucht ihr zu begegnen 3 1 8 3 : „Allerdings ist es, wenn es sich u m Eigentum mehrerer Rechtsträger (Gruppeneigentum) handelt, i m Einzelfall nicht immer leicht zu bestimmen, wann ein ungleich treffender, entschädigungspflichtiger Eingriff i n das Eigentum einer Gruppe vorliegt und wann eine entschädigungslose allgemeine Begrenzung von Gruppeneigentum. Diese Schwierigkeit liegt aber i n der Natur der Sache und kann jeweils nur durch eine eingehende Untersuchung des Einzelfalles nach den oben angegebenen Richtlinien überwunden werden. Dagegen läßt sich keine logisch zwingende, alle A b grenzungsfragen von vornherein klar entscheidende Formel für die Überwindung dieser Schwierigkeiten angeben. Weder die von dem Reichsgericht zuweilen gebrauchte Formel, es komme darauf an, ob der Eingriff nach allgemeinen Gattungsmerkmalen vorgenommen werde oder nicht, noch die vom Obersten Gerichtshof für die Britische Zone angewendete Formel, es komme darauf an, ob der betreffende Personenkreis sogleich festgestellt werden könne oder nicht, führen m i t Notwendigkeit oder auch nur m i t Regelmäßigkeit zum Ziel. Sie haben nur den Wert von i m Einzelfall mehr oder minder brauchbaren Beweiszeichen." 318a
B G H Z 6, S. 270 (280 f.).
I V . Die Sonderopfertheorie des B G H
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Damit gibt der B G H sein Abgrenzungskriterium i m Ergebnis selbst wieder preis. Vergeblich versucht er den Eindruck zu erwecken, als handle es sich bei der Gruppenenteignung u m einen „Sonderfall" innerhalb des großen Bereichs der Enteignung, für den ohne weiteres auch Spezielles gelten könne: Die Gruppenenteignung ist der Regelfall der Legislativenteignung, damit aber der einzige problematische Fall der Abgrenzung von Enteignung und Sozialbindung überhaupt. Weder wegen der Enteignung bestimmter Einzelner durch Verwaltungsakt, noch durch Gesetz, was ja stets seltene Ausnahme sein w i r d 3 1 9 , hätte je eine Diskussion solchen Ausmaßes begonnen, wäre es je zu einer Entscheidung des Großen Zivilsenats des B G H gekommen. Wenn dieser also gerade hier den Eindruck erwecken w i l l , als sei dies ein Fall unter vielen, so ist das methodisch unzulässig und nichts als eine Verschleierung der Tatsache, daß das Problem nicht gelöst ist. Denn auf die Lösung verzichten diese Sätze ja eindeutig. Sie polemisieren gegen mögliche Konkretisierungen (allgemeine Gattungsmerkmale, Feststellbarkeit des Personenkreises), aber sie bieten nur zweierlei an: den „Einzelfall" und die „oben angegebenen Richtlinien". Ersteres ist nichts als der Verzicht auf jede Normierung. I n einem so zentralen Grundrechtsbereich wäre es jedoch m i t der Rechtsstaatlichkeit nicht vereinbar, den Einzelnen auf eine völlig unvorhersehbare Einzelentscheidung zu verweisen, die nichts anderes bedeuten würde als den Verzicht auf den Vorbehalt des Gesetzes beim Eigentum und damit einen Rückschritt u m zwei Jahrhunderte. Auch eine „eingehende" Prüfung ändert hier nichts — eingehend hat der Richter immer zu untersuchen, es sei denn, die Prozeßgesetze gestatteten i h m i m Einzelfall summarische Behandlung. Die „oben angegebenen Richtlinien" aber sind entweder die des Substanzeingriffes — und damit ein K r i t e r i u m nach der Schwere des Eingriffs, das mit der hier untersuchten Abgrenzung nichts zu t u n h a t 3 2 0 — oder wiederum die der „Allgemeinheit der Regelung" oder der zu beachtenden Gleichheit; hier aber ist der Z i r k e l perfekt, denn gerade dies, und damit die Formel vom Sonderopfer, genügt ja für die Gruppenenteignungen nicht. Der Abgrenzungsversuch des B G H ist also schon deshalb unbehilflich, weil er i n sich nicht schlüssig begründet ist. c) Was eine „Gruppe" ist, i m Sinn der Gruppenentscheidung, i m Gegensatz zu jener „Allgemeinheit", der gegenüber ein Eingriff Sozialbindung sein soll, kann gar nicht so allgemein bestimmt werden, weil damit i n die Gestaltungsfreiheit, insbesondere i n die Typisierungsfreiheit des Gesetzgebers eingegriffen würde. Jeder Versuch der Gruppendefinition nach der Zahl der Betroffenen muß scheitern, aus folgenden Gründen: 819
Wenn es überhaupt nach A r t . 19 Abs. I GG zulässig ist, was abzulehnen ist, w e n n m a n die Enteignung als eine Form des Gesetzesvorbehalts sieht. 320 Vgl. B G H Z 6, S. 270 (279).
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C. Sozialbindung — Enteignung nach geltendem Recht
Nach dem Staatsgerichtshof 321 war eine Gruppe gegeben, wenn „nicht alle i m Geltungsbereich des Gesetzes befindlichen Grundstücke oder Rechte gleichmäßig, sondern nur ein enger Kreis von solchen (bzw. ihre Eigentümer) betroffen" wurden. Was aber soll hier „Geltungsbereich" bedeuten? Wenn es der territoriale (oder personale) Geltungsbereich des Gesetzes sein soll, so lautet die Aussage ganz einfach: Enteignung liegt vor, wenn nicht „alle", sondern nur ein enger Kreis betroffen ist. Dann aber läßt sich nicht feststellen, was ein solcher „enger" Kreis sein soll, wann er so eng wird, daß ihn der Gesetzgeber nicht mehr entschädigungslos beschränken darf. Ist jedoch „Geltungsbereich" bereits derjenige Kreis von Rechten, für den eben das beschränkende Gesetz Normierungen aufstellt, so wäre Enteignung nur gegeben, wenn aus diesem Kreis wieder einzelne Rechte herausgegriffen und besonderen, weitergehenden Einschränkungen unterworfen würden. Dies aber könnte doch nur aus sachlichen Gründen geschehen, sonst wäre ja das Gesetz wegen Verstoßes gegen das Willkürverbot (Art. 3 Abs. I GG) sogleich nichtig. Wenn aber eine „Gruppe innerhalb des Geltungsbereichs des Gesetzes durch Gesetz bestimmt w i r d " , so hat dieses letztere Gesetz eben einen eigenen Geltungsbereich, jenen „engeren" Kreis, innerhalb dessen aber alle gleich behandelt werden. Dann könnte es überhaupt keine Enteignung durch Gesetz geben. Dies zeigt die unüberwindliche Schwierigkeit klar: Was immer nämlich der Gesetzgeber tut, das ist eben Gruppenbildung. Die Legislative ist Gruppenbilder ex definitione. Ohne ein solches Typisierungsrecht des Gesetzgebers kann es überhaupt keine Gesetzgebung geben. Wo sollen nun aber für das Eigentum die Grenzen dieses Typisierungsrechts und damit der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit liegen? Welche Gruppe ist ein „enger Kreis" und w i r d damit enteignet, welche ist eine „neue kleinere tatbestandlich abgegrenzte Allgemeinheit"? Wenn alle Grundstücke i n einem Stadtgebiet, einem Landkreis, einem Regierungsbezirk einem völligen und endgültigen Bauverbot unterworfen werden — ist dies dann nicht eine „allgemeine" Regelung? Wo beginnt die Grenze der Allgemeinheit? d) Der B G H weist nur auf die Gleichheit hin. Dies ist i n der Tat eine Grenze gesetzgeberischer Gestaltungsfreiheit — doch sie kann unmöglich genügen: Einerseits deshalb, w e i l Art. 3 Abs. I GG dem Gesetzgeber einen „besonders weiten" Gestaltungsspielraum läßt und praktisch bis h i n zur W i l l k ü r alles erlaubt. Wenn dies die einzige Grenze für eine Gruppenbildung durch den Gesetzgeber wäre, so gäbe es praktisch überhaupt keine Legalenteignung mehr, denn irgendein „sachlich einleuchtender Grund" läßt sich doch für jede Maßnahme der Beschränkung des Eigentums unschwer finden. 321
S t G H RGZ 124, Anh. S. 19 (32).
I V . Die Sonderopfertheorie des B G H
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Das GG wäre auch eine eigenartige Verfassung: Die Abgrenzung Sozialbindung—Enteignung, der wichtigste Inhalt von A r t . 14 GG, würde sich — aus A r t . 3 Abs. I GG ergeben, und dieser wieder ist ja so hoch und bedeutsam, daß er gar nicht i m Grundgesetz verankert sein müßte 3 2 2 . Nach dem B G H müßte also auch A r t . 14 GG nicht i n der Verfassung stehen. Was sollte dann eigentlich dort überhaupt noch normiert werden? Was für eine „Wertentscheidung" ist denn i n A r t . 14 GG gefallen, wenn dieser A r t i k e l i m entscheidenden Punkt nur eine Verweisung auf eine bis zur Inhaltslosigkeit ausgeweitete Norm enthält? e) Die Abgrenzung muß doch „irgendwie" aus Eigentumsgesichtspunkten erfolgen, die Entscheidung über die Zulässigkeit der Gruppenbildung kann nie allein nach dem wahrhaft „formalen" K r i t e r i u m der Gleichheit erfolgen. Alle Versuche jedoch, das Kriterium der Gleichheit näher zu bestimmen, sind zum Scheitern verurteilt, wenn es um den „engen Kreis" bei der Enteignung geht: Es liegt nahe, den „engen Kreis" danach bestimmen zu wollen, ob er überschaubar ist. Dieses K r i t e r i u m kann aber, soll es nicht rein quantitat i v verstanden werden, nur bedeuten, daß Enteignung vorliegt, wenn der betroffene Personenkreis von vornherein bekannt ist, oder sich auf Grund vorhandener Unterlagen sofort feststellen läßt, während Sozialbindung gegeben wäre, wenn sich der Eingriff gegen einen zwar geschlossenen, aber seinem Umfang und seiner Zusammensetzung nach nicht bestimmten und nicht ohne weiteres feststellbaren Kreis von Personen richtete 3 2 3 . Der B G H hat jedoch selbst zugegeben, daß dies nur ein Indiz sein könne. Nicht einmal dies ist der Fall — es liegt gar keine „typische" Legalentscheidung vor, wenn der Kreis der Betroffenen „bestimmbar" ist, sondern ein Maßnahmegesetz, ein enteignender Verwaltungsakt i n Gesetzesform. Daß dies Enteignung darstellt, ist nie zweifelhaft gewesen. Eine solche Lösung hätte sich schon aus der „alten" Einzelakttheorie ergeben, die man dann gar nicht unter Heranziehung der Gleichheit hätte „modifizieren" müssen; das eigentliche Problem der Gruppenenteignung bleibt hier also unber ü h r t 3 2 4 . Ganz abgesehen davon übrigens wäre dieses K r i t e r i u m schon deshalb bedenklich, weil es einem geschickten Gesetzesredaktor unschwer gelingt, den Kreis der Betroffenen „unüberschaubar" zu formulieren. Die „Größe" des Kreises könnte entscheidend sein, damit aber ein rein numerisches Abgrenzungskriterium. Je größer die vom Gesetzgeber gebildete Gruppe, desto näher bei der Sozialbindung, je kleiner, desto eher Enteignung 3 2 5 . Doch auch dies überzeugt nicht. Wer ist denn hier die „grö322
Vgl. BVerfGE 26,185, 244; 6, 91; 23, 373. So O G H Br. Z. N J W 1949, S. 147. 324 Auch das B V e r w G hat (E 32,173) von „einem kleinen übersehbaren Kreis" gesprochen, doch dieses K r i t e r i u m sogleich m i t dem der Schwere des Eingriffs verbunden. 323
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C. Sozialbindung — Enteignung nach geltendem Recht
ßere" Gruppe, wenn der Gesetzgeber etwa für eine von ihm geschaffene neue Kategorie von Grundstücken besondere Beschränkungen vorsieht? A l l e Grundstücke i n Deutschland, alle Grundstücke, für die einige, aber nicht alle Voraussetzungen der Sonderregelung zutreffen, alle Grundstücke, bei denen nur eine Voraussetzung noch fehlt? Die Vergleichsgröße w i r d doch meist w i l l k ü r l i c h „gegriffen", hier fehlt jeder systematische Anhaltspunkt. Ferner gibt es eben die lex specialis, die den kleineren Kreis nach besonderen Merkmalen abgrenzt. Warum soll denn bei der Enteignung etwas besondere Folgen haben, was sonst nie solche auslöst? Die Normqualität hat doch nirgends etwas m i t der Zahl der Betroffenen zu tun. Z u r Definition des Gesetzes gehört es übrigens gerade, daß diese Zahl nicht feststellbar ist Es könnten also i n jedem Falle nur „geschätzte Zahlen" verglichen werden; das Verfahren wäre m i t dem Begriff des Gesetzes nicht vereinbar. Das numerische K r i t e r i u m ist aber schließlich schon deshalb völlig unbrauchbar, weil es gar keine klare A b grenzung ermöglicht. Selbst wenn die Vergleichsgrößen, der „enge Kreis" und die „weitere Allgemeinheit" vorhersehbar zu bestimmen wären, so bliebe noch völlig offen, bei welchem Grad der „Annäherung" an die Allgemeinheit Sozialbindung vorläge. Und da ja die Annäherung eine rein quantitativ-numerische wäre, könnte ein solcher „Punkt des Umschlages" nur ohne jedes qualitative, d. h. aber sachbezogene K r i t e r i u m i m Einzelfall bestimmt werden. Damit wäre eine solche Entscheidung willkürlich. Die Art der Abgrenzung könnte entscheiden: Sozialbindung bei „abstrakter" Bestimmung des „kleinen Kreises", nach „generischen Merkmalen", Enteignung i n allen anderen Fällen. Nach der Grundsatzentscheidung des B G H soll auch dies ein bedeutsames Indiz sein können, gelegentlich greift die Judikatur darauf zurück 3 2 6 . Doch auch dieser Abgrenzungsversuch schlägt fehl: A u f die redaktionelle Form allein kommt es nicht an. I n aller Regel normiert der Gesetzgeber nach Gattungsmerkmalen. Dies 325 Darauf laufen nicht wenige Urteile hinaus, vgl. etwa B G H B B 1962, S. 355: „Das Sonderopfer ergibt sich zwingend aus der Tatsache, daß zwar die B a u zoneneinteilung f ü r das ganze Stadtgebiet getroffen wurde, der Kreis der Personen aber, die i n der bisherigen Nutzung behindert wurden, i m Vergleich zu der Gesamtheit der Grundstückseigentümer verhältnismäßig k l e i n i s t " ; B G H Ζ 37, S. 48: „Es k a n n vielmehr genügen, w e n n der Einzelne als Glied eines begrenzten Personenkreises ein Opfer erleidet"; B G H N J W 1962, S. 1673: A u f schließung eines „verhältnismäßig kleinen Bereiches"; O L G Neustadt N J W 1952, S. 1407: „Einerseits ist i h r Kreis sowie der Umfang der betroffenen Eigentumsgattung sehr groß". — Auch der Grundsatzbeschluß des Großen Z i v i l senats versucht eine solche Begründung, w e n n er das damals umstrittene W o h nungsnotrecht damit rechtfertigen w i l l , daß es sich i n die große Gruppe der Schutzbestimmungen einfüge, die dem geltenden Recht gegenüber den Gefahren der Ausnützung einer wirtschaftlichen Machtstellung vielfach bekannt seien (E 6, S. 270 [288]). 328 B V e r w G BBB1 1954, S. 556: Enteignung zweifelhaft angesichts des „ a l l gemeinen u n d abstrakten Gebots"; vgl. auch B a y V e r f G H BBB1 1961, S. 232; O L G Hamm, R d L 1969, S. 165.
I V . Die Sonderopfertheorie des B G H
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bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als daß ein „echtes Gesetz", nicht ein Maßnahmegesetz vorliegt. Damit aber beginnt erst das Problem der Gruppenenteignung. Weder i n der Rechtsprechung, noch i m Schrifttum also ist bisher ein K r i t e r i u m für die Bestimmung des „engeren Kreises" gefunden worden 3 2 7 . Es gibt auch kein solches. Schon deshalb ist also die Sonderopferformel abzulehnen: Sie bringt nur Worte, keinerlei faßbares Kriterium. Sicher ist nun die Typisierungsgewalt des Gesetzgebers i m Bereich der Eigentumsbeschränkungen nicht grenzenlos. Ihre Schranken aber findet sie nur an der Verfassung, welche die entschädigungslose Enteignung verbietet und das enteignende Gesetz besonderen Bindungen (Junktim) unterwirft. I m Namen der Verfassungsnorm des A r t . 14 Abs. I I I GG darf der Richter die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers beschränken. Es genügt aber nicht, daß er „irgendwelche Gruppen" bildet — „engeren Kreis" und „Allgemeinheit" — und diese m i t den Regelungen des betreffenden Gesetzes vergleicht. Wie groß die „kleinere Enteignungsgruppe" gegenüber der „größeren Sozialbindungsgruppe" sein darf, kann nur danach bestimmt werden, was den Betroffenen jeweils genommen wird. M i t Recht ist also i m Schrifttum die BGH-Formel schon wegen des ungelösten Gruppenproblems auf Ablehnung gestoßen 328 . 3. Kritik der Sonderopfertheorie: „Je größer der Eingriff, desto billiger"
a) Das GG w i l l ersichtlich denen Entschädigung zukommen lassen, welchen Eigentum vom Staat entzogen wird. Davon, daß dies von einer gewissen Größenordnung des Eingriffs an nicht mehr der Fall sei, sagt die Verfassung nichts. Als Grundrechtsnorm hat A r t . 14 GG m i t Sicherheit nicht primär fiskalische Interessen, sondern den Schutz des Einzelnen i m Auge. I m übrigen ist der Staat, wie mehrfach dargelegt, unbeschränkt leistungsfähig. Die Formel des B G H führt demgegenüber zu einer völlig abwegigen Konsequenz, welche den Grundrechtsschutz auf den Kopf stellt: Zur Prämie für den massiven Eingriff. Je größer nämlich nach dem Enteignungsgesetz der Kreis der Betroffenen ist, je mehr Eigentum entzogen oder 327 Der BayVerfGH (BBB1 1953, S. 561) lehnt etwa eine Enteignung ab, w e i l n u r „bestimmte Gruppen v o n Eigentümern betroffen seien, die baurechtlich zu einer Einheit zusammengefaßt werden" — dort aber beginnt doch die Frage: Durfte das der Gesetzgeber der Sozialbindung?
328
Städter, R. (FN 314), S. 193; Scheuner, U. (FN 115), S. I l l ; Forsthoff,
Lehrbuch des Verwaltungsrechts I, 9. Aufl. I960, S. 315 f.; Westphal, J., Die Entschädigungspflicht bei Baubeschränkungen zugunsten der Luftfahrt, DÖV
1958, S. 809; vgl. auch Bender, B. (FN 98), S. 1299.
E.,
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C. Sozialbindung — Enteignung nach geltendem Recht
belastet wird, desto näher soll der Eingriff bei der Sozialbindung stehen. Wenn also allen etwas genommen wird, so kostet es als Sozialbindung gar nichts — gleich wieviel entzogen wird. Wehe, wenn der Staat sich beschränkt und wenige trifft, ihnen muß er alles bezahlen! Dies ist nichts anderes als die Ermunterung zum großen Griff, der ganz ungefährlich nur wird, wenn er ganz groß ist. Wenn man allen alles nimmt, so kostet es überhaupt nichts. Das Grundgesetz würde damit den integralen Kommunismus legalisieren, während alle „Übergangsstufen" zu ihm, weil zurückhaltender, verfassungsrechtlich bedenklich wären. Wie „einfach" man übrigens auf diese Weise auch heute schon schwierige Eigentumsprobleme lösen kann, zeigt die Mitbestimmungsdiskussion. Dort w i r d allen Ernstes behauptet, dem Kapital könne schon deshalb hier keine Enteignung drohen, weil kein Sonderopfer vorliege, nachdem alle gleichmäßig beschränkt würden 3 2 9 . Es genügt also, alle zu eliminieren, m i t denen die Betroffenen verglichen werden könnten. A m besten geschieht dies dadurch, daß man sie auch gleich enteignet. Solchen Folgerungen kann man aus der Position des BGH heraus nichts entgegensetzen. Daß sie die gesamte Grundrechtlichkeit ad absurdum führen müßten, indem sie den Gesetzgeber durch die Grundrechte zwängen, möglichst viel Grundrechtsraum zu entziehen, bedarf keiner weiteren Darlegung. Während doch das GG den Gesetzgeber durch die Junktimklausel zum Nachdenken über die finanziellen Folgen seiner Eingriffe anhalten w i l l , würde jede solche Erwägung unnötig, wenn die Folgen nur eine gewisse Höhe überstiegen! Die Folgen dieser „Lösung" erweisen sich aber nicht nur dort als abwegig, wo Sozialbindung allein deshalb bejaht wird, weil viele getroffen werden. Ebenso sinnlos wäre es umgekehrt, stets von Enteignung zu sprechen, wenn nur wenigen etwas entzogen würde; dann nämlich müßte alles ersetzt werden. Der Staat müßte den wenigen das Wenige bezahlen, den vielen das Viele nicht. b) Kann man zugunsten derart absurd erscheinender Ergebnisse überhaupt noch Argumente finden? Es hat sie gegeben. Es sei leichter, zusammen m i t vielen betroffen zu sein, als allein; Einzeleingriffe erschienen als unbillig, geteilter Schmerz sei halber Schmerz 330 . „Subjektive" Gesichtspunkte müßten berücksichtigt werden, nämlich der Umstand, daß neben dem einen Betroffenen noch andere Eigentümer der gleichen Maßnahme unterworfen worden seien; i n einem 329 Hueck- Nipper dey, Lehrbuch des Arbeitsrechts I I , 2, 7. Aufl., S. 1321; dies., Grundriß des Arbeitsrechts, 1970, S. 373: E i n Sonderopfer w i r d nicht auferlegt, denn „andere vergleichbare Rechtsträger gibt es hier nicht" ; Lenk, E., Die qualifizierte Mitbestimmung der Arbeitnehmer usw., Diss. K ö l n 1961, S. 88. 330 Jellinek, W., Rechtsgutachten f. d. DStT, 1929, S. 14/5.
V. Die Sonderopfertheorie des B G H
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solchen Fall sei subjektiv die Schwere und Tragweite des Eingriffs gemindert 3 3 1 . Es mag hier offen bleiben, ob und inwieweit „subjektive" Momente bei der Enteignung eine Rolle spielen dürfen. Psychologisch mag auch gelegentlich Kollektivleiden leichter sein, als Individualleiden. Doch darum geht es hier gar nicht. Rechtlich betrachtet wäre eine solche Rechtfertigung nichts anderes als Berufung auf eigenes Unrecht seitens des Staates. Unrecht handelt dieser nach der Verfassung, wenn er für Enteignung nicht entschädigt. Geschieht dies m i t der Berufung darauf, dies widerfahre ja auch anderen — deshalb sei es „leichter zu tragen" und überhaupt Sozialbindung, so versucht der Staat das Unrecht an einem durch Berufung auf das weitere Unrecht, das er anderen zufügt, zu rechtfertigen. Geteiltes Leid mag halbes Leid sein — aber verdoppeltes Unrecht, w i r d nicht Recht. Oder sollte es gerecht sein, alle Angehörigen einer Gruppe einzusperren („Geteiltes L e i d . . . " ) oder zu töten, während unbestritten Mord vorläge, wenn dies mit einigen geschähe? Sit venia verbo — doch so harte Entgegnung rufen diejenigen hervor, denen es sicher nicht u m Böses, sondern u m Gerechtigkeit geht, die aber Kriterien i n die Eigentumsdiskussion einführen, welche nicht nur die Grundrechte, sondern auch noch die Demokratie und ihre Gleichheit ad absurdum führen — denn wenn es so wäre, so würde die Demokratie zur Staatsform des kollektiven Diebstahls. Viel von solchem falsch verstandenen Solidarismus mag w o h l unterschwellig i n der Sonderopfertheorie mitschwingen; dies alles muß ans Licht gehoben werden, von solchen Argumenten darf auch nicht ein Schatten bleiben. 4. Kritik der Sonderopfertheorie: Kein Sonderopfer ohne Bestimmung der Schwere des Eingriffs
a) I n diesem Kapitel wurde eingangs (1., a. A.) bereits darauf hingewiesen, daß die Sonderopferlehre des B G H sowohl so verstanden werden könne, daß es auf die Zahl der Betroffenen, wie auch i n der Weise, daß es auf den Umfang des Eingriffs ankomme. Beide Verständnisse lassen sich isolieren, das erstere ist vorstehend kritisiert, seine Unhaltbarkeit ist dargelegt worden. Begreift man die Sonderopfertheorie so, daß es auf die Schwere des Eingriffs ankommen soll, so legt man den Akzent auf das Sonderopfer. Es w i r d dann nicht die Zahl der Betroffenen mit einer, wie immer be331
B V e r w G E 15, S. 1.
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C. Sozialbindung — Enteignung nach geltendem Recht
stimmten „Allgemeinheit" verglichen, vielmehr w i r d das, was den Einzelnen oder der Gruppe genommen wird, an dem gemessen, was anderen entzogen wurde oder genommen wird, denen gegenüber unbestrittenerweise nicht von Enteignung gesprochen werden kann. Die „anderen", „denen gegenüber" die Enteigneten dann „besonders getroffen" werden, sind nicht notwendig diejenigen, welche „dieselben" Güter besitzen (denn was „dieselben" sind, bestimmt ja das enteignende Gesetz), sondern diejenigen, welche irgendwelches Eigentum innehaben, i n das nicht enteignend eingegriffen worden ist. Daß man hier praktisch nicht die sachfernsten Kategorien heranziehen, nicht notwendig Geschäftsanteile m i t Waldgrundstücken vergleichen wird, bedarf keiner Begründung. Immerh i n — ein Vergleich ist in dieser Weise immer möglich, der Gesetzgeber kann ihn nicht durch wirtschaftlich gesehen künstlich anmutende, rechtlich aber verbindliche Kategorisierungen unmöglich machen oder beschränken. Verglichen werden dann eben Eigentumsobjekte, welche w i r t schaftlich ähnlich sind, und zwar nach ihrer ökonomischen Bedeutung. b) Damit aber wechselt der rechtliche Gesichtspunkt. Man mag noch immer von Gleichheit, von Sonderopfer sprechen. K r i t e r i u m ist aber i n keiner Weise mehr die Größe der betroffenen Gruppe, sondern die Schwere des Eingriffs, die Tiefe des Eindringens der Staatsgewalt i n die jeweilige Zone des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes. Es kommt einfach darauf an, wieviel dem einen i m Vergleich zum anderen genommen wird, nicht wieviele i m Vergleich zu wievielen anderen beschränkt werden. Das eigentliche Kriterium, das einzige, ist somit das der Schwere, nicht das der Zahl der Betroffenen. Und dieses K r i t e r i u m muß sogar selbst dann immer auch eingesetzt werden, wenn man nach den Betroffenen abgrenzen w i l l , ohne Schwerekriterium ist das Zahlkriterium absurd: Nur wer zugleich auf die Schwere des Eingriffs abhebt, kann das groteske Ergebnis vermeiden, daß der Staat für jede noch so kleine Beschränkung Ersatz zu leisten hat, wenn sie nur „wenigen" widerfährt: Enteignung ist sie eben nur, wenn sie eine gewisse Schwere aufweist. Umgekehrt kann nur dann die totale Kollektiventeignung ersatzpflichtig — und damit praktisch unmöglich — bleiben, wenn bei einer gewissen Schwere eben Enteignung vorliegt, unabhängig davon, wieviele getroffen werden. So hat denn auch die Rechtsprechung meistens geurteilt; verbal auch nach der Zahl der Betroffenen, zugleich aber stets nach der Schwere des Eingriffs und i n Wahrheit allein nach i h r 3 3 2 hat sie die „Gruppen" gebildet. 332 z.B. B G H N J W 1959, S. 752: „ . . . d i e hierdurch auch einen besonderen Nachteil erleiden"; B V e r w G E 32, S. 173 „ . . . w e n n s i e . . . schwer u n d unerträglich getroffen werden"; O V G Rheinld.-Pfalz, AS 3, S. 308; O L G Neustadt, N J W 1952, S. 1417; O L G Düsseldorf, N J W 1968, S. 555.
I V . Die Sonderopfertheorie des B G H
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c) Bleibt die Frage, was denn überhaupt die Sonderopfertheorie nützen kann, wenn sie nichts anderes ist als eine verschleierte „Schweretheorie", von dieser überdies allein noch abgehoben durch ein K r i t e r i u m (der Zahl der Betroffenen), das undefinierbar ist und zu völlig abwegigen Konsequenzen führen muß. Die A n t w o r t kann nur lauten: Nichts. Daß die Sonderopfertheorie i n Wahrheit nichts ist als eine verschleierte Schweretheorie, das allein w o h l hat dazu geführt, daß sie sich so lange halten konnte. Ihre Unhaltbarkeit läßt sich eben nicht leicht erweisen, weil sie wie ein Proteus i n alle möglichen anderen Formen ausweicht. Niemand w i r d dem B G H die Achtung versagen, der seine Bemühungen um den Eigentumsschutz kennt. Und selbst der unzweifelhafte theoretische Mißgriff, den der Große Zivilsenat m i t seiner Version der Sonderopfertheorie getan, besser gesagt: fortgesetzt hat — er wurde erträglich dadurch, daß hinter i h m die i m Kerne richtige Schweretheorie stand und daß das Gericht selbst diese dann auch immer wieder angewendet hat. Die Judikatur des B G H ist groß, weil sie sich, wie sich zeigen wird, praktisch von der unglücklichen „Großformel" entfernt, die einmal entstanden, von Urteil zu Urteil geschleppt wird. Wäre es nicht Zeit, endlich einmal auf die „Erkenntnisse" von 1952 zu verzichten? Würde sich das Oberste Zivilgericht etwas vergeben, wenn es eine Formel aufgäbe, die i n Wahrheit gar nicht mehr Grundlage seiner Judikatur ist? Ist es wirklich so bedeutsam, derartige Großformeln zu gebrauchen, die günstigenfalls inhaltsleer sind, die aber sehr wohl einmal i n die Irre führen können? Gerade dies droht aber durch die „ Sonderopfertheorie". Von ihr sollte nicht mehr die Rede sein, denn — sie ermuntert den Gesetzgeber dazu, möglichst viele treffen zu wollen; — sie regt bei den Betroffenen Grundrechtsverzicht aus falsch verstandenem Solidarismus an; — sie überspannt die normative Kraft der Gleichheit und erweckt zu Unrecht den Anschein, als ließen sich aus ihr Abgrenzungen gewinnen; — sie lenkt den Blick auf die Betroffenen anstatt auf das, was entzogen w i r d ; die Untersuchung der Gegenstände der Enteignung w i r d vernachlässigt. Die Sonderopfertheorie kann leicht zu einer verschleierten Grundentscheidung für den Staat, gegen den Einzelnen werden. Wie immer man die Grenzen des Eigentums ziehen mag — m i t Grundrechtlichkeit hätte dies nichts zu tun. Die K r i t i k der Sonderopfertheorie hat wiederum etwas gezeigt, was, unter verschiedenen Aspekten, dieser ganze Abschnitt erwiesen hat: Wer 10 Leisner
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C. Sozialbindung — Enteignung nach geltendem Recht
Sozialbindung bestimmen und sie von der Enteignung abgrenzen w i l l , der darf nicht auf den Eingreifenden oder die Person des Betroffenen sehen — er muß den Blick auf das beschränkte oder entzogene Eigentumsobjekt richten. „Wieviel von i h m " genommen wird, danach richtet es sich, ob noch Sozialbindung oder ob bereits Enteignung vorliegt. Sozialbindung kann nur definiert werden — aus Eigentum.
D . D i e Unterscheidung von Sozialbindung und Enteignung —Fortsetzung: Abgrenzung nach der Tiefe des Eingriffs — D i e bisherigen Bestimmungsversuche der zulässigen Eingriffsgrenzen I. Die Bestimmung der Sozialbindung nach der Eingriffstiefe als methodische Folge aus der Grundrechtsqualität des Eigentumsrechts 1. Das grundrechtliche Kernbereichdenken Konsequenzen für das Eigentum
Die Frage nach der Sozialbindung ist m i t Blick auf das Eigentumsrecht zu beantworten, i n welches i m Namen der Sozialbindung eingegriffen wird. Sozialbindung ist nur bis zu einer gewissen Tiefe des Eingnffs möglich. Dies ergibt sich nicht nur daraus, daß keine andere A r t der Definition die Sozialbindung bestimmen kann (etwa nach A r t des Eingriffs oder nach der Zahl der Betroffenen; vgl. oben C); es folgt vielmehr vor allem aus der Grundrechtsqualität des verfassungsrechtlich geschützten Eigentums. Die Sozialbindung des Eigentums stellt einen Eingriffsvorbehalt i n ein verfassungsrechtlich geschütztes Grundrecht dar; die Enteignung ist ebenfalls ein derartiger Gesetzesvorbehalt, der i n besonderer, eigentumsspezifischer Form ausgestaltet ist. Der jeweilige Umfang jedes einzelnen dieser Vorbehalte, und damit auch ihr Verhältnis zueinander, kann nur aus derjenigen Sicht bestimmt werden, welche die Grundrechtsqualität des geschützten Eigentums verlangt: Es ist zu fragen, was nach dem Eingriff jeweils noch übrigbleibt, wie tief also der Eingriff in den Rechtsbereich des Eigentümers vordringen darf. Die Besonderheit des Eigentums als eines Grundrechts verlangt also die Definition der Sozialbindung mit Blick auf das betroffene Recht i n einem spezifischen Sinn: Es muß stets etwas bleiben vom Eigentum, wie weit immer Sozialbindung gehen mag. Dies aber bedeutet für die Bestimmung der Sozialbindung bereits methodisch ein Zweifaches: — Sozialbindung kann nie ausschließlich aiis einer Abwägung zwischen den Interessen des eingreifenden Staates und des betroffenen Grundrechtsträgers erfolgen; dies hat sich bereits herausgestellt. Alle A b wägung findet vielmehr ihre Grenze dort, wo sie zu einem Einbruch i n den Kernbereich des Eigentums führen würde. 10*
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D. Insbesondere: Abgrenzung nach der Eingriffstiefe
— Schon bevor der Kernbereich des Eigentums erreicht wird, entfaltet er eine Wirkung i n dem Sinn, daß sich die „Interessen des Betroffenen" i n dem Maße verstärken, i n welchem sich die vordringende Sozialbindung dem Kernbereich nähert. Der Kernbereich eines Grundrechts ist nichts Statisches, er entfaltet seine Wirkungen i m Gesamtraum eines geschützten Grundrechts. Daß der Schutzbereich der Grundrechte konzentrisch, u m einen Kernbereich sich aufbaut, ist heute allgemein anerkannt. Die Grundrechte haben einen Menschenrechtskern, der i m Namen der Menschenwürde überhaupt nicht angetastet werden darf 3 3 3 . Der einfache Gesetzgeber muß darüber hinaus jedenfalls noch den Wesensgehalt der Grundrechte achten (Art. 19 Abs. I I GG). Die Grundrechte sind also ganz allgemein, allen Beschränkungen gegenüber, nur aus einem echten Kernbereichdenken zu verstehen 334 . Dieses aber verlangt gerade jene typische grundrechtliche Betrachtung, welche die Gesetzesvorbehalte aus der Sicht des betroffenen Rechts bestimmt, und zwar unter Berücksichtigung dessen, was von diesem unbedingt bleiben muß. Für das Eigentum führt dies zur Bestimmung der Sozialbindung nach der Eingriffstiefe. Dies alles ist zunächst nur ein methodisches Ergebnis. Nichts ist damit ausgesagt über die Grenzen, bis zu denen die Sozialbindung gehen darf, es ist nur ein Weg gewiesen, wie sie zu bestimmen sind. Es gibt eben nicht nur materielle Inhalte von Grundrechten, sondern auch Methoden von deren Bestimmung, die typisch grundrechtlich sind, sich aus der Grundrechtsqualität eines Rechts ergeben. 2. Die zentralen Schutzbereiche des Eigentums
Das Grundrecht des A r t . 14 GG weist dieselbe „konzentrische Struktur" auf wie die anderen Freiheitsrechte; auch bei ihm muß daher die Grenze des Sozialbindungsvorbehalts nach der Tiefe des Eingriffs bestimmt werden, unter Achtung dessen, was „unbedingt" bleiben muß: a) Daß bei A r t . 14 GG ein Menschenrechtskern zu achten sei, könnte bestritten werden, wenn man aus der Formel „Inhalt und Schranken des Eigentums werden durch die Gesetze bestimmt" schließen wollte, das Eigentum stehe vollständig zur Disposition des Gesetzgebers. Einem solchem Recht könne nicht die unantastbare Höhe eines Menschenrechts zukommen. Dieses Argument ist jedoch seit langem überzeugend widerlegt worden 3 3 5 : Die Beschränkbarkeit eines Rechts ist kein Argument gegen 333 Dies hat überzeugend Dürig nachgewiesen (Maunz-Dürig-Herzog, GG, A r t . 1, Rdnr. 79 f.). 334 Dazu Leisner, W., Grundrechte u n d Privatrecht, 1960, S. 152 ff. 335 V o n G. Dürig, Das Eigentum als Menschenrecht, ZgesStW 109 (1953), S. 326 ff. i n seiner Beweisführung gegen Carl Schmitt.
I. Folge aus der Grundrechtsqualität des Eigentums
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dessen Menschenrechtsqualität. Überdies kann auch der genannte „Vorbehalt" des Art. 14 Abs. I S. 2 GG nicht zu einem vollständigen Leerlaufen des Eigentums führen, weil eben die Sozialbindung kein allgemeiner, sondern, wie die Enteignungsregelung zeigt, ein spezieller Gesetzesvorbehalt ist 3 3 6 . Ein solcher aber relativiert ein Grundrecht nicht so weit, daß bei i h m kein Menschenrechtskern mehr geachtet werden könnte. Gerade aus der Existenz eines besonderen Rechtsinstituts der Enteignung ergibt sich überdies, daß es innerhalb des Schutzbereichs des Eigentums eine Konzentrik gibt — bei Eingriffen einer bestimmten Tiefe muß dem Betroffenen das „Eigentumssurrogat der Entschädigung" gewährt werden, eben weil nie und nirgends irgend ein Eigentumsrecht vollständig entzogen werden darf. Deutlicher könnte gar nicht ausgesprochen werden, daß ein innerster Kern a fortiori zu achten ist. Wer die These aufstellen wollte, das Eigentum habe nach dem Grundgesetz keinen Menschenrechtscharakter, der müßte diese Verfassung aus einer liberalen Tradition herausreißen, i n der sie historisch betrachtet eindeutig steht und und aus der heraus sie überhaupt nur verständlich ist: I m Namen von Freiheit und Eigentum ist der deutsche Konstitutionalismus entstanden, Freiheit und Eigentum der Bürger werden durch den „Vorbehalt des Gesetzes" seit den Anfängen der Legalität i m Rechtsstaat gegen staatliche Übergriffe geschützt. Daß die Freiheit ein Menschenrecht ist, daß jedes Freiheitsrecht einen Menschenrechtskern auf weist, ist außer Streit. Wenn das für das Eigentum nicht gelten sollte, so würde ein prinzipieller qualitativer Unterschied zwischen Freiheit und Eigentum gemacht, welcher der gesamten bisherigen Verfassungslehre unbekannt ist und der herkömmlichen redaktionellen Stellung der Eigentumsgarantie i m Grundrechtskatalog ebenso wiederspräche wie dem völig gleichartigen verfassungsrechtlichen Rechtsschutz von Freiheit und Eigentum. Die Eigentumsverbürgung wäre ein Fremdkörper i m Grundrechtsbereich; ihre von der h. L. stets betonte Verbindung zur Freiheit 3 3 7 müßte völlig abgelehnt werden. Daß all dies den Grundlagen der Grundrechtsdogmatik widerspricht, bedarf keines weiteren Nachweises. Das BVerfG hat denn auch den Menschenrechtscharakter des Eigentums so eindeutig festgestellt, wie dies nach der zurückhaltenden A r t seiner Rechtsprechung überhaupt nur möglich war: Es stellt ausdrücklich Eigent u m und Freiheit gleich, es bezeichnet Freiheit und Eigentum als elementare Grundrechte und es sieht i m Eigentum eine Wertentscheidung von besonderer Bedeutung für den sozialen Rechtsstaat 338 . Ausdrücklich führt es schließlich mehrfach aus, die Regelungsbefugnis des Gesetzgebers nach säe v g L oben Vorbem. v o r C 3. Vgl. oben C I I 4 b m. Nachw. 338 BVerfGE 14, S. 277.
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D. Insbesondere: Abgrenzung nach der Eingriffstiefe
A r t . 14 Abs. I S. 2 sei „nicht schrankenlos", zu beachten sei u. a. stets die „grundlegende Wertentscheidung des GG zugunsten des Privateigentums i m herkömmlichen Sinn" 3 3 9 . Darüber, ob das Eigentum ein Menschenrecht ist, und daß es somit einen unentziehbaren Menschenrechtskern aufweist, muß daher nicht mehr gesprochen werden — die Sache ist entschieden. Daraus ergeben sich zwei grundlegende Folgerungen für die Bestimmung der Sozialbindung. Einerseits ist das Eigentum ein konzentrisch aufgebautes Grundrecht, m i t all den methodischen Folgen, die oben 1. entwickelt wurden; zum anderen aber gilt es, bei der Bestimmung des Umfangs möglicher Sozialbindung vorrangig zu versuchen, den Menschenrechtskern des Eigentums materiell-rechtlich zu definieren (dazu unten E). Lehre und Rechtsprechung dürfen sich dieser Forderung, die einem höchstrangigen Verfassungsgebot entspricht, nicht entziehen. b) Das Eigentum hat nicht nur einen Menschenrechtsgehalt, den nicht einmal der Verfassungsgesetzgeber antasten, den also nur der Revolutionär entreißen könnte; es gibt auch einen Wesensgehalt des Eigentums i m Sinne des A r t . 19 Abs. I I GG, vor dem der ordentliche Gesetzgeber Halt machen muß, der sich auf einen Gesetzesvorbehalt beruft. Und weil die Sozialbindung einen Gesetzesvorbehalt darstellt, darf sie diesen Wesensgehalt nicht verletzen. Was er i m einzelnen materiell-rechtlich schützt, ist, wie schon beim Menschenrechtskern, nicht hier zu bestimmen. Es geht vielmehr nur um die typisch grundrechtliche Konzentrik beim Aufbau des eigentumsrechtlichen Schutzbereichs, sie setzt auch eine Beachtung des Wesensgehalts voraus. Nach ganz h. L. gibt es einen Wesensgehalt des Eigentums, an dem jede Sozialbindung ihre Grenze findet 340. Die Rechtsprechung ist dem gefolgt 3 4 1 . Sie hat immer wieder ausgesprochen, daß kein „Substanz-Eingriff" i m Namen der Sozialbindung des Eigentums erfolgen dürfe. Das
339 BVerfGE 1, S. 276; 4, S. 240. Vgl. f ü r viele Ipsen, H. P., Enteignung u n d Sozialisierung, W d S t L 10 (1952), S. 74 (94); Stödter, R., Über den Enteignungsbegriff, DÖV 1953, S. 136 (138) Mitbestimmungskommission, BT-Drucksache VI/334, S. 75; Messner, J. (FN 212), S. 41; Ballerstedt, Κ . , Wirtschaftsverfassungsrecht, Die Grundrechte III/l. 341 ζ. B. B G H M D R 1969, S. 912: Die Gültigkeit der betr. Bestimmungen könnte n u r zweifelhaft sein, „ w e n n die i n ihnen getroffenen Regelungen der i n A r t . 19 Abs. I I GG verankerten Substanzgarantie des als Grundrecht geschützten Eigentums w i d e r s t r e i t e n . . . " ; B G H N J W 1967, S. 1749 (wo v o m Substanzverlust die Rede ist); B G H R d L 1964, S. 218; B G H M D R 1964, S. 486; BSG amtl. Slg. 8, 40 (45); B a y O b L G N J W 1953, S. 1563; B a y O b L G DÖV 1956, S. 578 = Bay VB1 1956, S. 286; B V e r w G E 7, 297 (299); 10, 3 (7); B V e r w G BBB1 1958, S. 535; B a y V e r f G H BBB1 1961, S. 232; O V G Rhld.-Pfalz A S 3, S. 308; L G Stuttgart VerfRspr. 7, A r t . 14 (a) Nr. 40; O V G Lüneburg OVGE 13, S. 476. 340
I. Folge aus der Grundrechtsqualität des Eigentums
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BVerfG hat sich ebenfalls implizit diese Auffassung zu eigen gemacht, indem es einerseits das Eigentum als ein besonders bedeutsames Grundrecht bezeichnet, andererseits aber betont hat, bei seiner Einschränkung seien „alle übrigen Verfassungsnormen" zu beachten 342 . Dies gilt ja vor allem auch für A r t . 19 Abs. I I GG. Auch diese Frage ist also endgültig beantwortet: Der Gesetzgeber hat den Wesensgehalt des Eigentums zu achten; dieses Grundrecht ist ebenso „konzentrisch" aufgebaut wie alle anderen durch die Verfassung besonders gesicherten Individualrechte. Wo immer i m einzelnen hier die Grenzen des Wesensgehalts liegen mögen 3 4 3 — die methodische Folgerung ist gerade beim Eigentum i n vollem Umfang begründet, daß die Grenze der Eingriffsvorbehalte (d. h. auch der Sozialbindung) nach der Tiefe des Eingriffs i n das Recht 3 4 4 , deren Zulässigkeit aber wiederum unter Achtung eines „Wesensgehalts" zu bestimmen ist. Das Eigentum ist ein Menschenrecht. Nie darf es völlig leerlaufen i n Sozialbindung 345 . Was aber muß nun jede Sozialbindung von jedem Eigentum übrig lassen? 3. Die „Schweretheorie" als Folgerung aus diesem methodischen Ansatz
Daß es für die Abgrenzung von Sozialbindung und Enteignung darauf ankommt, wie schwer der Eingriff das Eigentumsrecht und damit den Eigentümer trifft, ist heute ein sowohl i n der Lehre 3 4 6 wie auch i n der 342
BVerfGE 14, S. 277 f.; 18, S. 132. Dazu unten E. 344 Denn i n diesem Sinn t r i f f t es zu, daß es nicht auf den Eigentümer, „sondern auf die durch den Eingriff bedingte Veränderung des Eigentumsrechts an sich" ankomme (OVG Lüneburg OVGE 13, S. 476): Die „privaten Interessen u n d Neigungen des Eigentümers" sind nicht entscheidend. Die Grenzen der Sozialbindung können i m m e r n u r m i t Blick auf die Veränderungen bestimmt w e r den, welche ein bestimmter staatlicher Eingriff bei einem irgendwie nach seinem Wert festgelegten Eigentum hervorruft. Diese Festlegung aber k a n n nur der M a r k t übernehmen. Wer also den M a r k t w e r t ausschaltet f ü r die Bemessung der Enteignung — u n d damit auch f ü r die Bestimmung der Sozialbindung — der macht es methodisch unmöglich so zu verfahren, w i e es die Grundrechtlichkeit des Eigentums verlangt: m i t Blick auf das Recht. 345 Dies läßt sich grundrechtsdogmatisch auch noch aus dem institutionellen Aspekt des Eigentumsschutzes herleiten: Es muß eben stets „etwas bleiben" von dem Eigentum i m herkömmlichen Sinn. 346 I n der oder jener verbalen Form sprechen sich ausdrücklich f ü r die „Schwere" des Eingriffs als K r i t e r i u m aus: Ipsen, H. P. (FN 164), S. 113; Hamann, A . (FN 164), S. 169; v. Köhler, K.-H., Fragen des Eigentums i m V e r 343
waltungsrecht, DVB1 1958, S. 191 (194); Bender, B. (FN 98), S. 1304; Forsthoff,
E., Verf.r. Prüfung der i n § 12 d. Entwurfs d. Städtebauförderungsgesetzes vorgesehenen Eigentumsbeschränkungen, D W W 1971, S. 76 (78); sowie diejenigen, welche die „Substanz" des Eigentums als Grenze der Sozialbindung nennen (vgl. F N 340).
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D. Insbesondere: Abgrenzung nach der Eingriffstiefe
Rechtsprechung 347 allgemein gebrauchtes „Kriterium". M i t Ausnahme vielleicht noch der bereits kritisierten „Sonderopfertheorie" ist die Schwere des Eingriffs das einzige überall anerkannte Abgrenzungsmerkmal. Da aber letztlich auch die „Sonderopfertheorie" gar nicht ohne Rückgriff auf die Schwere des Eingriffs auskommt 3 4 8 , läßt sich behaupten, daß die „Schwere des Eingriffs" heute überhaupt die einzige wirklich allgemein anerkannte Abgrenzungsformel für die Sozialbindung ist. Bei der gerade i n der Eigentumsdogmatik üblichen Neigung, jede Formel zur „Theorie" zu erheben, ist es nicht verwunderlich, daß sogar gelegentlich von einer „Schweretheorie" gesprochen wird, und i n der Tat könnte es ja wohl nur einer ausgebauten und systematischen Theorie wirklich gelingen, die ganz offensichtlich überaus schwierige und komplexe Abgrenzung von Sozialbindung und Enteignung zu leisten. Wie immer man aber nun diese „Schweretheorie" einkleiden mag, ob man von „Intensität" oder „Substanzschutz", von „Opfergrenze" oder vom „Umfang des Eingriffs" spricht — stets sind es eben nur Worte, keine Theorie. Methodisch weisen sie zwar den richtigen Weg, doch eine eigentliche Schweretheorie gibt es im Eigentumsrecht nicht. Dies ist wohl einer der größten Mängel: Wieder hat man nichts als ein Wort geprägt und sich damit weithin zufrieden gegeben — obwohl doch all die genannten und ähnliche Vokabeln letztlich nichts anderes darstellen als den Verzicht auf jede dogmatische, rechtsstaatlich auch nur irgendwie faßbare Abgrenzung der Sozialbindung. Hinter dem K r i t e r i u m der Schwere steht, vor allem i n der Judikatur, meist nicht viel mehr als die Vorstellung, daß eben i m Einzelfall dann zu entschädigen sei, wenn der Staat „zu viel" genommen habe. Dies aber verdeckt nur Erwägungen, die das Recht hier nicht zuläßt: Die „Schweretheorie" tarnt meist nur Billigkeitsrücksichten im Einzelfall. Nach dem GG aber, und dies muß m i t Nachdruck betont werden, ist „Enteignung oder Sozialbindung" keine Frage der Billigkeit, sondern des zwingenden Rechts, hier gibt es nicht einmal ein Ermessen, sondern allenfalls einen (nur innerhalb der Judikative) nachprüfbaren Beurteilungsspielraum 3 4 9 . Nicht zuletzt wegen dieser Gefahr der völligen „Entrechtlichung" i m Verfolg einer „Schweretheorie" hat sich wohl die Rechtsprechung teilweise zu jener „Sonderopfertheorie" bekannt, die aber eben auch nicht ohne Schwereerwägungen auskommt. Die „Schweretheorie" zeigt eine 347 Vgl. etwa B G H Z 8, S. 273; 30, S. 241; 50, 93 (98); B V e r w G E 5, 143 (145); 7, 297 (299); B V e r w G DÖV 1969, S. 426; B V e r w G E 32, S. 173; vgl. auch die oben F N 341 zit. Entscheidungen sowie m i t Nachw. Bender, B. (FN 98), S. 1300. 348 Deutlich zeigt sich die „ K o m b i n a t i o n " etwa i n O L G Neustadt, N J W 1952, S. 1417, siehe auch dazu oben C I V , 4. 349 Forsthoff, E., Lehrbuch, 9. Aufl., S. 317, macht m i t Recht Bedenken der Rechtsunsicherheit geltend.
I I . Formale Bestimmungsversuche der Eingriffstiefe
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gute Richtung, aber sie ist keine Straße. Der Weg muß erst gebaut, diejenige „Schwere" muß bestimmt werden, bei deren Überschreitung ein staatlicher Eingriff nicht mehr Sozialbindung, sondern eben bereits Enteignung ist und damit zur Entschädigung verpflichtet. Zahlreiche Versuche sind bereits unternommen worden, u m die „Enteignungsschwelle" nach der Schwere des Eingriffs zu bestimmen: Teils sind sie „formaler" A r t (im folg. II.), andere stellen auf den Entzug von Rechten ab (im folg. III.), wieder andere versuchen, die Opfergrenze durch die qualitative Veränderung zu fixieren, welche der Eingriff bei dem betroffenen Recht bewirkt (im folg. IV.). Alle diese Versuche müssen k r i tisch beleuchtet und darauf untersucht werden, welche möglichen Ansätze sie für das bieten können, was das einzig mögliche Ziel sein kann: Eine rechtsstaatliche Theorie der Grenzbestimmung der Sozialbindung nach der Schwere des Eingriffs. I I . „Formale" Bestimmungsversuche der möglichen Tiefe sozialbindender Eingriffe Wenn Unterscheidungen nicht gesichert sind, wenn sie i n Klarheit nur durch wirkliche Entscheidungen getroffen werden könnten, sucht das öffentliche Recht i n zunehmendem Maße den Ausweg i n Kategorien, die man „formal" i n dem Sinn nennen kann, daß sie für sich allein keine vorhersehbare Grenzziehung bringen, sondern nur Formen bezeichnen, die dabei zu beachten sind. Da jedoch jede solche methodische Richtlinie zugleich, i n Verbindung m i t anderen Kriterien, zu bestimmten Abgrenzungen führen kann, haben sie insoweit doch auch materielle Bedeutung. Der entscheidende Unterschied zu einem materiellen K r i t e r i u m liegt jedoch darin, daß solche „formale" Bestimmungshilfen nicht allein A n haltspunkte, etwa für die Abgrenzung von Sozialbindung und Enteignung, liefern können, sondern nur in Verbindung mit anderen, matenellen Kriterien, die sie nicht voll zu ersetzen vermögen. Die Versuchung, solche „formale" Abgrenzungsversuche anstelle materieller Entscheidungskriterien einzuführen, liegt gerade i m Eigentumsrecht nahe. Vor allem die Rechtsprechung erliegt ihr nicht selten. Es gilt hier klarzustellen, daß mit ihrer Hilfe allein die Sozialbindung nicht fixiert werden kann; sie dürfen nicht zum Ausweg werden. 1. Sachgerechtigkeit
Nach dem BVerfG müssen Eigentumsbindungen „vom geregelten Sachbereich her geboten und in ihrer Ausgestaltung selbst sachgerecht sein" 3 5 0 , der Gesetzgeber darf Inhalt und Schranken des Eigentums nicht i n einer 350
BVerfGE 25,112 (117 f.).
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D. Insbesondere: Abgrenzung nach der Eingriffstiefe
Weise bestimmen, die „grob sachwidrig" ist 3 5 1 , und die Eigentumsbindung w i r d gebilligt, wenn sie sich unter Berücksichtigung des geordneten Bereiches als „sachgerecht" erweist 3 5 2 . Ähnliche Formulierungen finden sich i n der Judikatur anderer oberster Bundesgerichte 353 . Kann man demnach von einem „ K r i t e r i u m der Sachgerechtigkeit" sprechen, nach dem die Grenzen der Sozialbindung zu bestimmen wären? Dagegen bestehen Bedenken. Das „ K r i t e r i u m " sagt für sich selbst gar nichts aus, es verweist vielmehr auf eine „Sache", einen „Sachbereich", dem hier entsprochen werden müsse. Insoweit ist es nichts als eine Verweisung und i m oben dargelegten Sinn schon deshalb wirklich „nur formal". Aber selbst der Nutzen dieser Verweisung für die Grenzbestimmung der Sozialbindung bleibt zweifelhaft: Es ist ja völlig offen, was denn nun „die Sache", der Sachbereich i m einzelnen sei, dem die Kriterien dann allenfalls entnommen werden könnten. Handelt es sich u m die Materie, welcher die Regelung zuzurechnen ist (etwa Straßenbau), oder u m das Recht, i n das eingegriffen werden, oder vielleicht u m die gegensätzliche Interessenlage von Staat und Einzelnen, die hier ausgeglichen werden soll? I m letzteren Fall wäre dies nur ein globales Bekenntnis zu der bereits 3 5 4 kritisierten Abwägungsmethode. Ist die „Sache" dagegen das i n concreto zu beschränkende Recht, so ist das Gebot der Sachgerechtigkeit auch nur eine sehr allgemeine Feststellung, daß die Bestimmung der Sozialbindung nach dem Wesen des jeweils beschränkten Rechts zu erfolgen habe. Dies ist an sich zu begrüßen und entspricht der hier (oben I) vertretenen Auffassung; ein wirkliches „ K r i t e r i u m " für die Festlegung der zulässigen Eingriffstiefe i m Rahmen der Sozialbindung ergibt sich jedoch dabei nicht. Wenn schließlich auf die Materie i m ganzen verwiesen wird, welcher die betreffende Sozialbindung zugehört, und dies ist w o h l meist der Sinn solcher Aussagen über „Sachgerechtigkeit", so kann dies zwar gewisse Anhaltspunkte für die Abgrenzung Sozialbindung — Enteignung liefern, es könnte jedoch auch zum Ausgangspunkt eines Verständnisses der Sozialbindung v/erden, die dem Grundrechtscharakter des Eigentums nicht entspricht: a) Zutreffend würde zwar einerseits m i t einem solchen Verlangen nach „Sachgerechtigkeit" darauf hingewiesen, daß die Sozialbindung stets primär nach den Interessenlagen eines konkreten Bereiches zu bestimmen ist: beim Landschaftsschutz aus der Lage des betreffenden Gegenstandes in der freien Natur, i n der bestimmte rechtlich geschützte Interessen kollidie351
BVerfGE 18, S. 121. BVerfG DÖV 1964, S. 489. 353 Siehe etwa B V e r w G N J W 1965, S. 879 („sachgerechte Erwägungen"); B G H N J W 1965, S. 2101 (die V e r w a l t u n g muß „sachgemäß" die Grenzen „bestimmen"). Siehe dazu auch Bielenberg, W. (FN 156), S. 446. 354 Vgl. oben C I I I 2. 352
I I . Formale Bestimmungsversuche der Eingriffstiefe
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ren mögen (etwa Bau- und Anbauinteressen einerseits — Umweltschutz, Erholung, Wasserwirtschaft u. ä. zum anderen), bei der Außenwerbung aus der Situation der Werbeflächen i m Verkehrsbereich. Daraus ergäbe sich eine gewisse Beschränkung der Abgrenzungsgesichtspunkte, auf diejenigen eben, welche i n dem jeweiligen spezifischen Bereich diskutabel erscheinen. Ausgeschlossen wären Überlegungen, welche aus insoweit „sachfremden" Bereichen hereingetragen würden, so etwa verkehrspolitische Vorstellungen bei gewissen Bereichen des Denkmal- oder Landschaftsschutzes. Diese Beschränkung wäre allerdings weit weniger bedeutsam — sie würde ja ohnehin i n den meisten Fällen beachtet — als der m i t einem derartigen Verständnis der Sachgerechtigkeit ebenfalls verbundene Ausschluß allgemein-sozialpolitischer Erwägungen aus der Bestimmung der Sozialbindung für konkrete Sachbereiche. Wenn Sachgerechtigkeit bedeutet, daß jeweils das konkrete Eigentum unter Berücksichtigung der Interessenlage der konkreten Materie zu beschränken ist, so erfolgt die Sozialbindung eben für „ein bestimmtes" Eigentum, nicht schlechthin „für Eigentum". Die sozialpolitische Wünschbarkeit etwa kleineren oder größeren Eigentums oder einer gewissen allgemeinen Sozialstruktur ist dann kein Gesichtspunkt für die Sozialbindung, die sich vielmehr m i t „Eigentum i n einer bestimmten (Interessen-)Lage" zu befassen und das Problem aus dieser begrenzten Materie heraus zu lösen hat, nicht als einen Anwendungsfall eines größeren sozialpolitischen Konzepts. Wenn die Sachgerechtigkeit so zu verstehen ist, so steht sie i m Einklang m i t der noch zu erörternden Rechtsprechung über die Bedeutung der „natürlichen" oder „traditionellen" Lage des zu beschränkenden Eigentumsobjekts für die Grenzen der Sozialbindung. Sie überläßt dann auch dem Enteignungsrecht als Teil des Verwaltungsrechts den i h m gemäßen sektorialen Interessenausgleich, während dem Steuerrecht die Durchsetzung sozialpolitischer Konzepte verbleibt. b) Zum anderen darf jedoch nicht verkannt werden, daß ein gewisses Verständnis der „Sachgerechtigkeit" auch i n Sozialbindungen führen könnte, die m i t dem Grundrechtscharakter des Eigentums unvereinbar wären. Eine „Sache als solche" ergibt keine rechtlichen Kriterien, es sei denn i m Sinne der normativen K r a f t des Faktischen. Wer also die Sachgerechtigkeit als Verweisung auf diejenigen Grenzziehungen versteht, die sich aus der jeweiligen faktischen Lage ergeben können, der stellt das Eigentum — überall unter den Vorbehalt des Faktischen. Damit hebt er nicht nur die Grundrechtsqualität, sondern sogar die Rechtsnatur des Eigentumsschutzes auf. Das Eigentum würde zur Position, welche nach technologischen Notwendigkeiten zu bestimmen wäre. Daß dies m i t der Grundrechtlichkeit und m i t der Rechtsstaatlichkeit unvereinbar wäre, bedarf keines Nachweises. So ist auch Sachgerechtigkeit w o h l von den Gerichten nie verstanden worden. Immerhin sind diese kritischen Be-
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D. Insbesondere: Abgrenzung nach der Eingriffstiefe
merkungen nötig: Auch wenn nur „irgendwo" das Eigentum so allgemein unter einen „technologischen Vorbehalt" gestellt wird, so kann dieser unschwer ausgeweitet werden und jederzeit mag sich dann der sozialbindende Staat darauf berufen, daß diese oder jene Bindung eben „nach der Natur der Sache" erforderlich sei. Demgegenüber muß hier festgestellt werden: Der Sachgerechtigkeit aus der „Natur der Sache" kann beim Eigentum keinesfalls größere Bedeutung zukommen als i m organisatorischen Staatsrecht, wo sich aus der Natur der Sache ja etwa auch keine selbständigen Bundes- oder Landeskompetenzen ableiten lassen. Ebensowenig legitimiert diese Natur der Sache hier als solche schon irgendwelche Grenzen der Sozialbindungen. Sie kann vielmehr, wie auch i n anderen Bereichen der Rechtsordnung, allenfalls als eine Interpretationshilfe i m einzelnen eingesetzt werden, welche Randkorrekturen von Grenzziehungen ermöglicht, die sich bereits aus anderen, und zwar rechtlich normativ fundierten Überlegungen ergeben. „Sachgerechtigkeit" legitimiert also nicht selbst Sozialbindung, sie ist ein Auslegungsprinzip für andere Legitimationsgrundlagen der Sozialbindung. Die Sachgerechtigkeit als K r i t e r i u m der Sozialbindung könnte auch in einem anderen Sinn dem Grundrechtsschutz des Eigentums prinzipiell gefährlich werden. Wenn es auf die nun nicht faktischen, sondern normativen Strukturen des jeweiligen Sachbereichs ankommen sollte, i n dem das Eigentum sozial gebunden ist, so würde damit die Berücksichtigung aller Normen verlangt, welche diese Materie konstituieren. Dies aber würde nichts anderes bedeuten, als daß das Eigentum i m Namen der Sozialbindung unter den Vorbehalt aller i n dem betreffenden „Sachgebiet" geltenden Normen gestellt würde. Dies wäre i m Ergebnis ein allgemeiner Gesetzesvorbehalt. Der Grundrechtscharakter des Eigentums, seine konzentrische Struktur (vgl. oben I) und sein Kernbereich würden nicht berücksichtigt. Die Sozialbindung würde nicht, was doch allein dem Grundrechtscharakter des Eigentums entspricht, aus der Sicht des betroffenen Rechts, sondern aus „Strukturen einer Materie" heraus gebunden, denen an sich gar nichts Eigentumspezifisches zukommen muß. Es würde keinerlei Versuch mehr unternommen, den Begriff der Sozialbindung aus der Verfassung zu gewinnen, dieser würde vielmehr — „Verfassung nach Gesetz" — nichts als eine Verweisung auf niederrangiges Recht enthalten. Dies alles kann nicht der Sinn einer Grundrechtsgarantie sein. Wer sie also der Sozialbindung unterwirft, sollte nicht versuchen, deren Grenzen nach „Sachgerechtigkeit" zu bestimmen. Was dieser Begriff an Richtigem aussagt (oben a), läßt sich auch m i t anderer Terminologie, m i t anderen Kategorien erreichen. Die nicht ungefährliche Relativierung aber, welcher ein gewisses Verständnis der Sachgerechtigkeit die Eigentumsgarantie unterwirft, kann nicht hingenommen werden.
I I . Formale Bestimmungsversuche der Eingriffstiefe
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Nicht zuletzt aber ist die Sachgerechtigkeit deshalb kein eigentliches Bestimmungskriterium der Sozialbindung, w e i l sie das dafür Entscheidende nicht leisten kann: die Grenzziehung gegenüber der Enteignung. Wenn nämlich ein Eigentumseingriff nicht sachgerecht ist, so darf er überhaupt nicht stattfinden, er w i r d dadurch nicht etwa zur Enteignung, die ja auch, erst recht, Sachgerechtigkeit verlangt. Sachgerechtigkeit ist also Voraussetzung jedes Eingriffs, nicht Abgrenzungskriterium der Sozialbindung. Sachgemäß, sachgerecht zu handeln — das nimmt jeder für sich i n A n spruch. Es sind dies also ebenso „gute" wie juristisch inhaltslose Worte, durch die sich, wie m i t manchen anderen Wendungen, der Urteilende meist nur selbst das Zeugnis der Sorgfalt ausstellen w i l l . Gerade weil sich aber hinter solchen scheinbaren Selbstverständlichkeiten so vieles verbirgt, was leicht Ausgangspunkt für eine bedenkliche Einschränkung oder Erweiterung des Eigentums abgeben könnte, deshalb sollte die „Sachgerechtigkeit", die nicht selten etwas von Selbstgerechtigkeit hat, hier aus der Judikatur verschwinden — selbst wenn, nein: gerade weil sie häufig nur der Ausdruck für Billigkeitserwägungen ist, die es bei der Grenzbestimmung der Sozialbindung nicht geben darf 3 5 5 . 2. Die allgemeinen verwaltungsrechtlichen (polizeirechtlichen) Grundsätze als Grenze der Sozialbindung
Die allgemeinen Grundsätze des Verwaltungshandelns, wie sie sich vor allem i m Polizeirecht entwickelt haben, sind zwar nicht Grundlage, w o h l aber Grenzen staatlicher Eingriffsbefugnisse i n private Rechte. Verständlich ist es daher, daß die Rechtsprechung versucht, sie auch zur Abgrenzung der Sozialbindung heranzuziehen. Es fragt sich jedoch, ob damit inhaltlich die Grenzen des entschädigungslosen Eigentumsentzugs präzisiert werden können. a) Häufig w i r d betont, daß die Sozialbindung nur so weit reichen dürfe, wie sie nach dem jeweiligen Zweck erforderlich sei: „Die gesetzlichen Eigentumsbindungen müssen von dem geregelten Sachbereich her geboten sein; sie dürfen nicht weiter gehen, als der Schutzzweck reicht, dem die Regelung dient 3 5 6 ." Umgekehrt ist auch nur dort zu enteignen, wo es „keine andere rechtlich und wirtschaftlich vertretbare Lösung gibt als die Enteignung" 3 5 7 . 355 So sagt etwa das O V G Hamburg, Urt. v. 24. 2. 51, B f I, 421/50, eine Baubeschränkung sei Enteignung, w e n n der Eingriff „ m i t Rücksicht auf die Sozialgebundenheit allen privaten Vermögensrechts billigerweise dem Belasteten nicht zugemutet werden" könne. äse BVerfGE 21, S. 73; B G H N J W 1965, S. 1907; O L G Stuttgart BBB1 1953, S. 259; vgl. auch Bielenberg, W. (FN 156); Schulte, H. (FN 94), S. 77 ff. Dies gilt insbes. auch für die zeitliche Inanspruchnahme, vgl. OVG Münster E 8, S. 213.
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D. Insbesondere: Abgrenzung nach der Eingriffstiefe
Die Notwendigkeit ist also sicher Schranke der Enteignung wie der Sozialbindung — aber sie ist nicht ihre gemeinsame Grenze: Was als Eingriff i m Rahmen der Sozialbindung nicht gerechtfertigt, weil nicht notwendig ist, w i r d damit keineswegs eo ipso als Enteignung legitimiert; es muß vielmehr i n dem — anderen — Rahmen der Enteignung erforderlich sein, darüber aber ist nichts ausgesagt, wenn die Erforderlichkeit bei der Sozialbindung verneint wird. Eine Abgrenzung der Sozialbindung von der Enteignung bietet also der Grundsatz der Notwendigkeit nicht, er gilt für beide Eingriffsformen. Überdies setzt eine Notwendigkeitsprüfung voraus, daß die Ziele fixiert sind, welche durch den Eigentumseingriff erreicht werden sollen, nur dann kann durch Vergleich m i t dem Eingriff festgestellt werden, ob der letztere notwendig und damit rechtmäßig ist. Bei allen Formen der Eigentumseingriffe, i m Falle der Sozialbindung wie in dem der Enteignung, ist Ziel die Verwirklichung eines gewissen öffentlichen Interesses. M i t dem Ziel steht nun zwar fest, wieviel an Eingriff erforderlich ist, u m es zu realisieren; nichts ist aber darüber ausgesagt, ob dafür Entschädigung geschuldet w i r d oder nicht. Typische Sozialbindungsziele, typische Enteignungsziele, Ziele also, die nur durch die eine oder andere Form des Eingriffs erreicht werden können, gibt es aber nicht. Aus den Zielen des Eingriffs kann nicht entnommen werden, wie weit entschädigungslos i m Rahmen der Sozialbindung eingegriffen wird, bevor die Enteignungsschwelle überschritten wird. Auch aus diesem Grund kann also die Notwendigkeit überhaupt kein Abgrenzungskriterium von Sozialbindung und Enteignung sein. Die Notwendigkeit legitimiert den jeweiligen Eingriff, sie sagt überhaupt nichts darüber, ob er als Sozialbindung oder Enteignung, m i t oder ohne Entschädigungsverpflichtung erfolgen kann. Das „Notwendigkeitskriterium" sollte also aus der gesamten Diskussion um die Sozialbindung ersatzlos verschwinden. b) Eigentumsbeschränkungen sollen nur zulässig sein, soweit das öffentliche Interesse sie unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit rechtfertigt? 58; vor allem Inhaltsbestimmungen des Eigentums stünden unter dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 3 5 9 . Unter Verhältnismäßigkeit ist, wie i m Polizeirecht, das Gebot zu verstehen, daß auch an sich zur Zielerreichung erforderliche M i t t e l noch danach zu prüfen sind, ob der durch ihre Anwendung verursachte Eingriff i n das Eigentum i n einem angemessenen Verhältnis zum Ziel steht. Daraus könnten sich, anders als i m Falle der „Notwendigkeit", Anhalts357
B V e r w G E 2, S. 36. 358 BVerfGE 8, 71 (80). 35Θ BVerfGE 21, 150 (155); vgl. auch BVerfGE 18, S. 121; B V e r w G R d L 68, S. 23 ( I C 98/61).
I I . Formale Bestimmungsversuche der Eingriffstiefe
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punkte für eine Abgrenzung von Sozialbindung und Enteignung ergeben. Wenn nämlich eine sozialbindende Eigentumsbeschränkung, etwa i m Baurecht, den Eigentümer so schwer trifft, daß dies i m Hinblick auf das zu verwirklichende öffentliche Interesse nicht mehr vertretbar erscheint, so kann eben diese Schwere des Eingriffs dadurch gemildert werden, daß Enteignung angenommen und somit entschädigt wird. Durch einen Wechsel von einer Eingriffsart zur anderen kann also die Verhältnismäßigkeit wieder hergestellt werden. W i l l man aber dergestalt die Grenze von Sozialbindung und Enteignung über die Verhältnismäßigkeit bestimmen, so ergibt sich ein anderes entscheidendes Bedenken. Auch die Verhältnismäßigkeit setzt, wie schon die Notwendigkeit, voraus, daß die Eingriffstiefe i n eine funktionale Beziehung zu dem öffentlichen Zweck gesetzt werde, dem der Eingriff dienen soll. Daraus aber würde dann folgen, daß bei großer Bedeutung dieses öffentlichen Zwecks auch ein tieferer Eingriff i m Rahmen der Sozialbindung noch entschädigungslos hinzunehmen wäre, w e i l die Belastung i m Hinblick auf das Wohl der Allgemeinheit hier vertretbar erschiene; umgekehrt könnte bei weniger großer Bedeutung des verfolgten öffentlichen Zwecks auch ein vergleichsweise kleinerer Eingriff schon als so „schwer" erscheinen, daß er als Enteignung anzusehen und durch Gewährung einer Entschädigung erleichtert werden müßte. Einer solchen funktionalen Mobilitätsbeziehung zwischen öffentlichem Interesse und Sozialbindungsgrenze steht die gesamte bisherige Judikatur entgegen. Sie würde zu großer Rechtsunsicherheit führen und letztlich nichts anderes bedeuten, als eine besonders radikale Form der bereits 3 6 0 abgelehnten „Abwägungslehren" von Eigentum und öffentlichem Interesse. I m Ergebnis würde also gerade nicht die Abgrenzung Enteignung — Sozialbildung nach der Eingriffstiefe, sondern unter Vergleich derselben m i t dem Ziel des Eingriffs gewonnen. Dies aber ist, wie bereits nachgewiesen, schon wegen der Grundrechtsqualität des Eigentums unzulässig. Die Abgrenzung ist eben nicht abhängig von dem dem Eigentum gegenüberstehenden öffentlichen Interesse. Auch die Verhältnismäßigkeit hat also dogmatisch keinen Platz i n der Standortbestimmung der Sozialbindung. c) Das BVerfG hat bei der Sozialbindung ausdrücklich das Übermaßverbot bemüht: Der Gesetzgeber dürfe Inhalt und Schranken des Eigentums nicht i n einer Weise bestimmen, die „ i n die Interessen der Beteiligten . . . übermäßig eingreift" 3 6 1 . 360 361
Vgl. oben C I I I 2. BVerfGE 18, S. 121; vgl. f. d. Rspr. d. B G H Bender, B. (FN 98), S. 1300.
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D. Insbesondere: Abgrenzung nach der Eingriffstiefe
Ein von dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu unterscheidendes Übermaßverbot kann nur darin gesehen werden, daß der Gesetzgeber notwendige und verhältnismäßige Eigentumsbeschränkungen dann nicht verordnen darf, wenn dadurch dem Betroffenen ein Opfer auferlegt würde, das i h m keinesfalls zugemutet werden darf. Dies gilt dann, wie groß i m mer das öffentliche Interesse sein mag, das eben allenfalls noch die Verhältnismäßigkeit begründet, ein Übermaß jedoch nicht ausschließt. Es mag hier dahinstehen, ob die Richter diese Unterscheidung beachtet haben und nicht i n Wahrheit jener Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gemeint war, der i m Recht der Eigentumsbindung, wie nachgewiesen, keinen Platz haben kann. Geht man davon aus, daß das Übermaßverbot hier seinen eigenständigen Sinn haben sollte, so kann sich aus i h m doch kaum ein Anhaltspunkt für eine nähere Bestimmung der Grenze der Sozialbindung ergeben. W i r d nämlich ein Eigentümer durch eine Sozialbindung „übermäßig" getroffen, so steht damit keineswegs fest, was die Rechtsfolge ist: Der Eingriff könnte als solcher, „absolut" rechtswidrig sein, seine übermäßige Schwere ließe sich aber vielleicht auch durch Zubilligung einer Entschädigung abmildern, also dadurch, daß man i h n als Enteignung qualifiziert. Es läßt sich also, i n dogmatischer Schärfe jedenfalls, nicht die These halten, daß jede übermäßige Sozialbindung Enteignung, die Grenzziehung also aus dem Ubermaßbegriff zu gewinnen wäre. Selbst wenn man dies aber annehmen wollte — was wäre anderes gewonnen, als die Feststellung, daß bei einer gewissen Eingriffstiefe die Sozialbindung i n Enteignung umschlägt? Dies aber ist bereits auf anderem Wege nachgewiesen worden. Die Heranziehung des Übermaßverbotes ist also für die Abgrenzung Sozialbindung — Enteignung nicht schädlich, w o h l aber nutzlos. Hier würde nur als komplizierte Banalität etwas ausgedrückt, was sich schon daraus ergibt — daß es eben diese beiden Formen des Eigentumseingriffs gibt. d) Auch der Grundsatz der Bestimmtheit 362 kann für die Abgrenzung der Sozialbindung nichts erbringen. Ist er verletzt, so ist die hoheitliche Maßnahme als solche fehlerhaft, gleich ob der Eingriff als Sozialbindung oder als Enteignung zu betrachten ist. Diese Qualifikation aber ist als solche von der größeren oder geringeren Bestimmtheit unabhängig, der weniger bestimmte Eingriff w i r d nicht eben dadurch zur Enteignung 3 6 3 . Allerdings mag es gelegentlich zutreffen, daß die geringere Bestimmtheit 362 A n k l i n g e n d etwa i n B G H N J W 1965, S. 2101, w o ausgeführt w i r d , ein Eingriff bleibe i m Rahmen der Sozialbindung n u r solange, w i e die V e r w a l t u n g sachgemäß, vorausschauend, planvoll u n d ohne Verzögerung zu Werke gehe. 383 Vgl. allerdings B G H N J W 1960, S. 1995 bei der Verzögerung v o n Straßenarbeiten.
I I . Formale Bestimmungsversuche der Eingriffstiefe
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i m konkreten Fall zu einer so schweren Belastung und damit Eingriffstiefe führt, daß Entschädigung gewährt werden muß. Ebenso kann es aber sein, daß die Unbestimmtheit den Eigentumseingriff überhaupt rechtsw i d r i g macht. Der Bestimmtheitsgrundsatz kann also als solcher nicht für eine Grenzbestimmung der Sozialbindung eingesetzt werden. e) Zur Abgrenzung der Sozialbindung könnte schließlich der Bagatellgrundsatz i n der Weise herangezogen werden, daß als Sozialbindung jedenfalls das entschädigungslos hinzunehmen sei, was den Eigentümer nur geringfügig belaste 364 . Es mag offen bleiben, ob es ein solches Prinzip i m Enteignungsrecht gibt und ob es dann nicht dazu führen müßte, bei Geringfügigkeit der Belastung weder Enteignung noch Sozialbindung anzunehmen, was w o h l konsequenter wäre. Wollte man die Abgrenzung zwischen diesen beiden Eingriffsformen darauf aufbauen, so würde sich wiederum nichts anderes ergeben, als — das allgemeine Prinzip der Grenzziehung nach Eingriffstiefe, allerdings sogar i n sehr unvollständiger Weise begründet, w e i l das Bagatellprinzip ja nur die Kategorie der geringfügigen Fälle i m Auge hat, bei denen es kein Problem gibt. Ein „Bagatellgrundsatz" führt i n diesem Zusammenhang nicht weiter. Keiner der allgemeinen Grundsätze des Verwaltungshandelns kann also bei der Abgrenzung Sozialbindung — Enteignung weiterhelfen. Bei diesem Problem geht es eben, anders als i m Polizeirecht, gar nicht darum, eine bestimmte, an sich schon begrenzte staatliche Maßnahme noch weiter zu umgrenzen. Es fragt sich vielmehr, welche Maßnahme, oder: eine Maßnahme m i t welcher Rechtsfolge unter welchen Voraussetzungen ergehen kann. Weil also, polizeirechtlich gesprochen, die Befugnisnorm noch gar nicht bekannt ist, können die allgemeinen Grundsätze nicht weiterhelfen, welche nur deren weitere Eingrenzung ermöglichen. Man kann sich häufig des Eindrucks nicht erwehren, als suche die Judikatur durch Berufung auf solche Prinzipien einen festeren dogmatischen Halt i n jenem Eigentumsrecht, i n dem sie praktisch so oft nach Billigkeit entscheidet. Doch dies ist ein untauglicher normativer Strohhalm. Es w i r d so nur der Anschein einer rechtsstaatlichen Abgrenzung erweckt, die eben nicht gelungen ist; m i t vielen Worten w i r d jene Zumutbarkeit umschrieben, die ihrerseits meist nur Billigkeit verschleiert. Gerade deshalb sollten diese allgemeinen Formeln, die hier wirklich i m schlechten Sinn „formal" und i n ihrer Anwendung kaum je durchdacht sind, nicht mehr verwendet werden.
364 So etwa B V e r w G E 22, S. 26; B a y O b L G D Ö V 1956, S. 578 = B a y V B l 1956, 286; vgl. auch B G H Z 26, 248 (253 f.).
11 Leisner
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D. Insbesondere: Abgrenzung nach der Eingriffstiefe 3. Enteignung als „Ausnahme"
Läßt sich daraus etwas für die Abgrenzung Enteignung — Sozialbindung gewinnen, daß das Verhältnis der beiden Eingriffsformen zueinander als Ausnahme und Regel bestimmt wird, ist die Sozialbindung das „Normale", während Enteignung nur „unter besonderen Voraussetzungen" angenommen werden könnte? Mag auch eine solche Aussage „formal" bleiben, sie würde doch jedenfalls eine i n dubio-Entscheidung stets ermöglichen, das Vorliegen einer Enteignung müßte „besonders nachgewiesen", hier müßten spezielle Voraussetzungen entwickelt werden, während i m „Normalfall" der Sozialbindung eben geringere A n forderungen an die Legitimation staatlichen Handelns zu stellen wären. Ein Ausnahme-Regelverhältnis i m Verhältnis Enteignung — Sozialbindung ist jedoch grundsätzlich abzulehnen, die beiden Eingriffsformen stehen selbständig nebeneinander. Was immer ihre Voraussetzungen oder Grenzen sein mögen, diese sind i n beiden Fällen eigenständig und gesondert zu bestimmen. Dies ergibt sich bereits deutlich aus der Redaktion des A r t . 14 GG, die beide Gestaltungsformen nebeneinander stellt. Sowohl für die Sozialbindung wie für die Enteignung werden nähere Angaben über Voraussetzungen und Form des Eingriffs gemacht. Daß dies bei der Enteignung eingehender geschieht als i m Falle der Sozialbindung, ergibt sich aus der formierten institutionellen Tradition der Expropriation ebenso wie aus der Notwendigkeit, über deren wesentliche Rechtsfolge, die Entschädigung, Näheres auszuführen. Nichts deutet darauf hin, daß erst „als Ausnahme", also bei besonders tiefen Eingriffen, von Enteignung gesprochen werden dürfe — eher wäre noch die entgegengesetzte These zu vertreten, daß nämlich bei allem, was man als „Eingriff" auch nur irgendwie bezeichnen könnte, stets Enteignungs-(entschädigung) anzunehmen sei, während die Sozialbindung nur „Schranken" ziehen könne, daß also bei jedem „Eingriff" eine Vermutung für Enteignung spreche. „Enteignung als Ausnahme" läßt sich auch nicht aus gelegentlichen Äußerungen ableiten, welche die Enteignung als solche als Ausnahme bezeichnen 365 . Hier ist „Regel" nicht ein entschädigungsloser Eingriff i m Rahmen der Sozialbindung, sondern die ungestörte Innehabung des Eigentums i m Namen der Grundrechtsgarantie. Insoweit allerdings ist die Enteignung — aber ebenso auch die Sozialbindung — eine „Ausnahme", weil eben die Regel das unangetastete Grundrecht, Ausnahme stets seine Beschränkung ist. Die Enteignung könnte schließlich deshalb der Sozialbindung gegenüber als Ausnahme erscheinen, w e i l in ihrem Fall dem Betroffenen ein mehr an prozessualem und materiellem Rechtsschutz gewährt w i r d 365 So etwa B G H Z 6, S. 270 (277): „Der Staat darf dieses Eigentum i m einzelnen n u r ausnahmsweise . . . enteignen."
I I I . Die „inhärenten Schranken" des Eigentums
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als i m Falle der Sozialbindung. Doch eine solche Argumentation würde die Grundrechtlichkeit i n i h r Gegenteil verkehren: „Normal" wäre der Eingriff, „Ausnahme" der volle Schutz. Wenn Grundrechte überhaupt einen Sinn haben sollen, so müßte das Umgekehrte vertreten werden. Doch dies mag hier offen bleiben: Einen wie immer gearteten Ausnahmecharakter hat die Enteignung gegenüber der Sozialbindung nicht. I I I . Die „inhärenten" Schranken des Eigentums — Bestimmung der als Sozialbindung zulässigen Eingriffstiefe nach den „dem Eigentum innewohnenden Beschränkungen" 1. Die Lehre von den „inhärenten Schranken"
Wenn die i m Rahmen der Sozialbindung zulässige Eingriffstiefe aus der Sicht des jeweils betroffenen Eigentumsrechts bestimmt werden soll, so liegt es nahe, nach Grenzen zu suchen, welche dem Eigentum „seinem Wesen nach" eigen sind. Wenn der Staat nur bis zu diesen Schranken i m Namen der Sozialbindung vordringt, so greift er eigentlich, begrifflich gar nicht i n das Eigentum ein, er w i r d i m Grunde außerhalb des Schutzbereichs des Eigentums tätig; jeder „eigentliche" Eigentumseingriff löst dann als Enteignung Entschädigungspflicht aus. Damit wäre nicht nur Systemklarheit erreicht, es scheint auch, als könne gerade so den Besonderheiten der jeweils betroffenen Eigentumsrechte Rechnung getragen und damit dem Grundrechtscharakter des Eigentums, der den „Blick auf das betroffene Recht" verlangt (vgl. oben I.), i n besonderer Weise entsprochen werden. Die Eigentumsdogmatik ist allenthalben ganz ersichtlich auf der Suche nach Zauberformeln; sollte eine solche nicht i n den „inhärenten Schranken des Eigentums" zu finden sein? I m Schrifttum w i r d seit langem darauf abgestellt, „ob die Inanspruchnahme adäquat zu derjenigen Sozialgebundenheit erfolgt, die dem Objekt innewohnt oder nicht" 3 6 6 . Solche Auffassungen nähern sich dabei nicht selten denjenigen, nach welchen es auf die Zwecke des Eigentums ankommen und nur deren Änderung Enteignung, alle (noch) zweckentsprechenden Eingriffe jedoch Sozialbindung sein sollen — auch diese Zwecke werden ja häufig als „immanent" verstanden 3 6 7 . Dennoch w i r d hier das Zweckänderungskriterium i n einem gesonderten Abschnitt behandelt (vgl. unten IV), w e i l es dogmatisch gegenüber der Inhärenzlehre einen selbständigen Gesichtspunkt bringt. 366
Ipsen, H. P. (FN 340), S. 94; ebenso Stödter, R. (FN 340), aaO; Thomä, V.,
Wolters, B., Zweckentfremdung u n d Enteignung, M D R 1958, S. 203 (205). 367 Vgl. z . B . Weber, W., Enteignung, HDSW I I I , 1961, S. 227 (229); Warfsmann, G., Z u r Abgrenzung von Enteignung u n d Eigentumsbindung i m Rahmen des BBauG, G B W 1963, S. 181 (182); Rudolph, K . (FN 97) erhebt die „ i m m a nente Gebundenheit des Eigentums" zum „Verfassungsgrundsatz" (S. 16). 11·
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D. Insbesondere: Abgrenzung nach der Eingriffstiefe
Die Rechtsprechung hat ebenfalls gelegentlich bei der Sozialbindung darauf abgestellt, ob eine „dem Eigentum von vornherein innewohnende Beschränkung verwirklicht werde" 3 6 8 . Auch der B G H hat i n seinem Grundsatzbeschluß 369 gefragt, ob das umstrittene Wohnungsgesetz „eine gesetzliche Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums enthält", oder ob es über diesen Rahmen hinausgreift und dem Eigentum eine i h m nicht innewohnende Beschränkung der Herrschaftsbefugnis nur von außen „auferlegt". Hier w i r d also zugleich noch eine Unterscheidung von „inneren" und „äußeren" Beschränkungen versucht. 2. Kritik
a) Die „Inhärenzlehre" vermag nicht zu befriedigen. Zunächst einmal handelt es sich nicht u m eine v o l l ausgebaute, i n ihren Konsequenzen durchdachte „Theorie", sondern um wenige obiter dicta, welche m i t anderen Argumenten verbunden werden und diese offensichtlich nur „verstärken" oder für sie einen allgemeinen Rahmen oder eine prinzipielle Grundlage schaffen sollen. Zu beidem jedoch taugt die Inhärenzlehre aus folgenden Gründen nicht 3 7 0 : — Wer die Sozialbindung nur i m Rahmen „immanenter Schranken" stattfinden lassen w i l l , der lenkt letztlich nur zurück zu dem bereits 3 7 1 widerlegten Bestimmungsversuch aus der „Natur der Sache". Die I m manenzlehre ist ebenso doppeldeutig wie dieser; i n ihr kann ebenso ein Verweis auf außernormative Sachverhalte gesehen werden und damit eine Verschiebung vom Normativen ins Ontische, wie auch ein Grenzbestimmungsversuch nach den normativen Besonderheiten des jeweiligen Sachbereichs. Beides ist nicht nur praktisch kaum faßbar, es bringt auch verfassungsrechtlich bedenkliche Gesichtspunkte zum Tragen, wie bereits dargelegt worden ist. Die Inhärenzlehre muß daher aus denselben Gründen abgelehnt werden. — Die Inhärenzlehre erweckt, vor allem wenn sie „innere" Schranken den „äußeren" der enteignenden Eingriffe gegenüberstellt (BGH), den Eindruck, als erfolge hier gar kein Eingriff i n das Eigentum, als w ü r den hier durch das Gesetz gar nicht die Schranken des Eigentums bestimmt. Dies aber steht i m Widerspruch zu A r t . 14 Abs. I S . 2 GG, nach dem i m Rahmen der Sozialbindung „Inhalt und Schranken" des Eigen368
So etwa OVG Lüneburg, R d L 1966, S. 271. B G H Z 6, S. 270 (286). 370 Sehr deutlich w i r d dies i m Grundsatzbeschluß des B G H (aaO), i n dem das Inhärenzargument nicht etwa dort auftaucht, wo die grundsätzliche, allgemeine Abgrenzung über die Sonderopfertheorie versucht w i r d , sondern gelegentlich, fast zufällig bei der Entscheidungsbegründung des konkreten Falles. 371 Oben 11,1. 369
I I I . Die „inhärenten Schranken" des Eigentums
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turns zu bestimmen sind. Nach der Inhärenzlehre würden sich alle diese Schranken bereits aus dem Inhalt ergeben, dieser allein wäre also zu bestimmen. Nun bedeutet zwar jede gesetzliche Inhaltsbestimmung zugleich stets auch eine Schrankenziehung, die sich schon aus der Begrifflichkeit ergibt, m i t welcher der Inhalt festgelegt wird. Das GG aber wollte ganz ersichtlich darauf die Sozialbindungsmöglichkeiten nicht beschränken und hat deshalb dem Gesetzgeber die Bestimmung von Inhalt und Schranken überlassen. Dies hat auch einen guten Sinn: Gerade beim Eigentum erfolgt die Festlegung des Inhalts i n der Regel sehr generiseli etwa i n der A r t , daß man m i t dem Gegenstand nach Belieben verfahren darf oder, wenn man schon einzelne Befugnisse ansprechen w i l l , daß z. B. der Eigentümer auf seinem Grundstück auch bauen darf. Damit kann es natürlich nicht getan sein. Nun müssen erst die sozialen Schranken des Eigentums bestimmt werden. M. a. W.: Wie bereits mehrfach dargelegt, ist es nicht zulässig, i m Inhalt bereits alle möglichen Schranken „mitzudenken", weil es dadurch zu einem Synkretismus käme, der jede rechtliche Klarheit aufheben müßte. Vor allem aber würde die klare, juristische und politische Diskussion u m die Schranken eines so wichtigen Grundrechts dadurch umgangen, daß alle wünschbaren Beschränkungen sozusagen schon i n den Eigentumsinhalt „hineingeheimnißt" würden. M i t der Berufung auf die „Immanenz" der Beschränkungen w i r d i m Grunde eine A r t von Selbstverständlichkeit für gewisse Beschränkungen i n Anspruch genommen, die den gegen sie Auftretenden i n die Rolle dessen drängt, der sich gegen „Natürliches" wenden wolle. Diese eigentümliche pseudonaturrechtliche Umkehrung aller naturrechtlichen Grundrechtlichkeit ist bisher bei den Grundrechten viel zu wenig beachtet worden. Wenn überhaupt etwas „natürlich" ist bei Menschenrechten, so nicht die Beschränkung, sondern die Befugnis. — Die Inhärenzlehre ist nicht nur allgemein-grundsätzlich, sondern auch bei jedem einzelnen Recht nichts anderes als der Versuch, sich die konkrete Begründung für eine bestimmte Abgrenzung der Sozialbindung zu ersparen. Man möchte meinen, daß „Inhärentes" besonders leicht zu legitimieren wäre — das Gegenteil ist der Fall. Regelmäßig bricht die Begründung sogleich ab, wenn pauschal erklärt wird, dies sei eben dem betreffenden Recht als Schranke „wesentlich". Damit aber ist die „Immanenzlehre" meist entweder der Versuch, die Diskussion einfach abzubrechen — oder sie verdeckt Begründungen, die man als solche nicht offen vorbringen möchte, insbesondere den „allgemeinen Gemeinschaftsvorbehalt", den Vorbehalt des „öffentlichen Interesses" oder ähnliche i n dieser Allgemeinheit grundrechtswidrige Formen der Staatsraison. Vor allem aber soll, und dies ist besonders bedenklich, die sorgfältige Einzelbegründung durch die globale For-
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D. Insbesondere: Abgrenzung nach der Eingriffstiefe
mei ersetzt werden, die letztlich nichts ist als eine Floskel. Und diese ist auch noch verfassungsrechtlich bedenklich: Der Rechtsstaat verlangt, daß dem Bürger Beschränkungen seiner Rechte nicht i n ontischer Gesamtschau, sondern i m einzelnen und m i t detaillierter Begründung verdeutlicht werden. Grundrechtliche Rechtsstaatlichkeit ist anders nicht vorstellbar. — Die Lehre von den immanenten Gemeinschaftsbindungen ist nicht neu, sie hat ihren ersten Höhepunkt i n der nationalsozialistischen Zeit erreicht, als i n ihrem Namen die Grundrechtlichkeit des Eigentums i n ihr Gegenteil, i n durchgehende Pflichtigkeit verkehrt wurde 3 7 2 . Zwar sind Immanenzvorstellungen in der Grundrechtsdogmatik keineswegs eine Besonderheit faschistischen Rechtsdenkens; sie haben jedoch gerade i m Eigentumsbereich der Aushöhlung der Verfassungsgarantie schon einmal derart Vorschub geleistet, daß sie nicht erneut zur Standortbestimmung der Sozialbindung herangezogen werden sollten. b) Die Rechtsprechung gibt nicht immer eine Begründung für eine von i h r i m konkreten Fall vorgenommene Schrankenziehung der Sozialbindung. Sie greift aber auch nicht vereinfachend auf die Inhärenzlehre zurück. Dies läßt sich selbst dort nachweisen, wo die Judikatur den Immanenzvorstellungen noch am nächsten zu kommen scheint. So w i r d die Beschränkung des Gemeingebrauchs an Verkehrsflächen ganz allgemein unter Berufung auf die Sozialbindung gerechtfertigt 373 . Der B G H verkürzt dann aber nicht die Begründungen i n der Weise, daß er sich etwa kurzer Hand auf Beschränkungen des Gemeingebrauchs beriefe, welche diesem Recht an sich wesentlich wären, obwohl dies gerade beim Gemeingebrauch nahe läge. Stets w i r d vielmehr der besondere sich aus der Widmung ergebende Zweck des Gemeingebrauchs hervorgehoben und aus der Kollision der verschiedenen gleichgerichteten Gemeingebrauchsinteressen die Beschränkung gerechtfertigt. Das Gericht sucht also nach der eigentlichen ratio und ersetzt diese nicht durch eine Blankokategorie. Der Anschluß- und Benutzungszwang stellt eine nicht selten erheblich belastende Sozialbindung dar. Hier w i r d gelegentlich ausgeführt, die betroffenen Grundstücke seien von vorneherein m i t dieser Pflichtigkeit belastet 3 7 4 . Aber auch dabei ist nicht etwa die „immanente Pflichtigkeit" als solche ein Abgrenzungskriterium der Sozialbindung. Gerade der A n schluß- und Benutzungszwang ist in Rechtsprechung und Schrifttum ein372
Vgl. oben C I I 1. Vgl. etwa B G H Z 8, S. 273; B G H Z 23, S. 157; B G H N J W 1960, S. 1995; B G H N J W 1962, S. 1816; B G H Z 49, S. 231 (237). 374 Siehe z.B. B G H Z 40, 355 (360); B G H M D R 1969, S. 912; B V e r w G B B 60, S. 760; B a y V G H n. F. 14, 24 (27). 373
I I I . Die „inhärenten Schranken" des Eigentums
167
gehend begründet worden 3 7 5 — sei es m i t Gesichtspunkten der Volksgesundheit, der nötigen Effizienz der betreffenden öffentlichen Einrichtung oder m i t anderen, für den jeweiligen Bereich spezifischen Argumenten. M i t einer Immanenz oder Inhärenz wäre hier nichts hinzugefügt und nichts erklärt. I m Natur- und Landschaftsschutz, einem der traditionellen Hauptanwendungsgebiete der Sozialbindung, bestimmt die Judikatur deren Grenze häufig entsprechend der „konkreten Situation", i n der sich das betreffende Gut befindet 376 . Aber auch hier w i r d damit nicht einfach auf „ i m Wesen des betreffenden Eigentumsrechts" liegende Belastungen zurückgegriffen, es werden vielmehr die Grenzen der Sozialbindung unter anderem (meist spielen noch andere Gesichtspunkte, insbesondere der des Vertrauens, eine Holle) auch aus der besonderen tatsächlichen Lage des betreffenden Grundstücks abgeleitet. Das Ausmaß der Sozialbindung ist nach der Rechtsprechung bereits aus seiner „Situation" i m Sinne der konkreten Örtlichkeit bestimmt, welche eine bestimmte Beziehung zur Umwelt zur Folge hat. Insoweit muß die Sozialbindung nicht ausdrücklich positiv-rechtlich normiert sein 3 7 7 . Die Sozialbindung ergibt sich also u. a. aus der Natur des konkreten Eigentumsgegenstandes, nicht als inhärente Pflichtbelastung des Eigentumsrechts als solchen. Dieses Situationskriterium ist i m übrigen als ein „natürliches" nur i m besonderen Fall der „Grundstücke i n der Landschaft" anwendbar und daher an sich schon nicht Ausdruck einer allgemeinen Grenzbestimmung der Sozialbindung. Mag also auch die Rechtsprechung gelegentlich, sozusagen als verallgemeinernden Abschluß der Begründung für eine bestimmte A r t der Sozialbindung, Wendungen gebrauchen, die i n die Nähe der Inhärenzkategorien zu weisen scheinen, so erhalten diese doch keineswegs Selbstgewichtigkeit i n der Judikatur. Diese zeigt vielmehr gerade deutlich die methodischen Gefahren der „kupierten Begründung", die meist die Folge des Immanenzdenkens ist. Sie ist diesen Versuchungen i m allgemeinen nicht erlegen, deshalb sollte auch das Schrifttum nicht Steine statt Brot, Kategorien anstatt von Begründungen bieten. Die „inhärenten Schranken" sind ein Blankobegriff, über den beliebig und kaum kontrollierbar der Freiheitsraum des Eigentums verengt wer375 Vgl. etwa B G H Z 54, S. 384; B a y V G H n. F. 7, S. 12; 8, S. 25; 12, S. 4 f.; 14, S. 25. Aus dem Schrifttum u. a. Badura, P., Eigentumsgarantie u n d Benutzungszwang, DÖV 1964, S. 539 (540); Hammer, R., Benutzungszwang und Eigentumsgarantie, B a y V B l 1962, S. 103 (105). 376 Siehe ζ. Β. B G H DÖV 1957, S. 669; B G H Z 30, S. 338; B G H N J W 60, S. 1611; B G H N J W 1966, S. 884; B G H DÖV 1968, S. 875; B V e r w G 3, S. 335; 4, S. 57; 5, S. 143; B V e r w G DÖV 1956, S. 729; O V G Lüneburg, R d L 1966, S. 271; aus der L i t . etwa Schmitt, G., Die Landschaftsschutzverordnung, B a y V B l 1972, S. 281 (283), 317. 377 Vgl. B G H Z 23, S. 30.
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D. Insbesondere: Abgrenzung nach der Eingriffstiefe
den kann. Aus der Diskussion u m die Sozialbindung sollten sie daher verschwinden. 3. Die „prekären Rechtspositionen" als Gegenstand zulässiger Sozialbindung
a) Manche Äußerungen der Judikatur könnten dazu verleiten, eine „Theorie der prekären Rechtspositionen" zu entwickeln, bei denen Eingriffe stets als entschädigungslose Sozialbindung zu dulden wären. Es wäre damit wenigstens ein mögliches Abgrenzungskriterium zur Enteignung gefunden: Je „fester" die Eigentumsposition — desto eher Enteignung, je schwächer, desto eher Sozialbindung. Zugleich würde damit eine spezifische Form immanenter Eigentumsschranken sichtbar werden, eben die Prekarietät der Rechtsposition. Schon das Reichsgericht hatte bei der vielumstrittenen Hypothekenaufwertung 3 7 8 angenommen, eine Entziehung von Rechten, und damit Enteignung, komme hier schon deshalb nicht i n Betracht, w e i l es sich u m eine infolge der allgemeinen wirtschaftlichen Unsicherheit notwendig gewordene „gesetzliche Normierung streitig gewordener zivilrechtlicher Rechtsverhältnisse" handele. Also: Prekäre Positionen sind nicht enteignungsfähig. Ein Menschenalter später entschied der B G H i m Streit über A n sprüche der KPD-Angestellten: „Wer aber solche m i t einem Makel behaftete Rechtsbeziehungen . . . unterhält, muß m i t dem Einschreiten der staatlichen Ordnungsgewalt und dem i m Zuge der Wiederherstellung der Ordnung eintretenden Verlust seiner Rechte und Vorteile aus dem Beschäftigungsverhältnis rechnen 379 ." Hätte der B G H aus der Prekarietät des Rechtsverhältnisses geschlossen, daß hier keine als Eigentum geschützte Position vorliege, so hätte die wahre Diskussion beginnen können — darüber nämlich, was denn nun Eigentum sei. Mag das Gericht dies auch gemeint haben, zum Ausdruck hat es etwas anderes gebracht: daß nämlich diese Prekarietät das Sonderopfer ausschließt; woraus man dann eben schließen könnte, daß Sozialbindung alle Eingriffe i n diejenigen Positionen seien, auf die man sich nicht verlassen dürfe, Enteignung dagegen solche, welche i n „vertrauenswürdige" Rechte erfolgten. Diese These könnte sich auch noch auf nicht wenige Entscheidungen stützen 380 , i n denen bei der Behandlung der Abgrenzung von Sozialbindung und Enteignung u. a. darauf abgehoben wird, ob sich die Betroffenen auf die Unwandelbarkeit ihrer Lage hätten verlassen dürfen. Sei dies nicht der Fall, so liege Sozialbindung vor. 878
RGZ 111, S. 320 (324). B G H Z 31, S. 1. 380 Siehe etwa B G H Z 8, S. 273; 23, S. 157; 37, S. 48; 49, S. 231; O L G Celle N J W 1961, S. 79; B G H M D R 1969, S. 912; B G H N J W 1962, S. 1816; B G H N J W 1968, S. 293. 379
I I I . Die „inhärenten Schranken" des Eigentums
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b) Eine solche „„Theorie" ist abzulehnen, sie müßte zu unübersehbaren Gefahren für die Eigentumsgarantie führen und wäre m i t der Dogmatik des heutigen Eigentumsrechts nicht mehr vereinbar. Für prekäre Positionen würde dies zu einem ganz wesentlich verminderten Schutz führen: Derselbe Eingriff, der einem „verläßlichen" Eigentum gegenüber Entschädigungspflicht auslösen müßte, könnte dem prekären Recht gegenüber entschädigungslos i m Rahmen der Sozialbindung erfolgen. Es gäbe also zwei Kategorien von Eigentum, Eigentum zweierlei Rechts. Die hier nun wirklich „immanenten Schranken" kämen auch nicht nur aus seiner „Natur", sondern ebenso, wenn nicht vorwiegend, aus dem Verhältnis des Rechtsträgers zu diesem Recht. Wenn er, gerade er sich nach allen Umständen „verlassen durfte" — dann Enteignung, sonst Sozialbindung. Dasselbe Recht könnte also, je nach seinem Träger, völlig unterschiedlich geschützt werden. Selbst wenn man aber so weit nicht gehen wollte — zwei Arten von Eigentum gäbe es, dies aber widerspräche den Grundlagen des Entschädigungsrechts. Praktisch würde eine solche Prämisse dazu führen, daß sich die gesamte Diskussion u m die Abgrenzung der Sozialbindung i n die Frage verlagern müßte, ob der Eigentümer „habe vertrauen dürfen". Und hier läßt sich der Eigentumsschutz leicht unterlaufen. Was gibt es denn an „ w i r k l i c h Sicherem" i n einem hochindustrialisierten Staat m i t rasch wechselnder Gesetzgebung 381 ? Dies war doch auch der Sinn des Eigentums von jeher: daß es nicht etwa durch den Glauben des Eigentümers geheiligt werde, sondern schon aus sich selbst heraus, als Rechtsposition eben, und zwar unbedingt, vertrauenswürdig sei. Eigentum ist oder es ist nicht. Eine „Transsubstantiation durch Glauben" hat es hier nie gegeben. Vor allem aber würde damit die gesamte Systematik des Eigentumsrechts zerstört. Zunächst ist doch zu fragen, ob Eigentum vorliege, erst wenn dies bejaht wird, kann entschieden werden, ob in diese Position nun i m Wege der Sozialbindung oder der Enteignung eingegriffen werde. Die Abgrenzung Sozialbindung — Enteignung kann nicht daraus gewonnen werden, ob Eigentum oder welche A r t von Eigentum gegeben ist, sie setzt ja das Vorliegen des Eigentums schon voraus. Niemals kann also ein Eingriff deshalb „ n u r " Sozialbindung sein, w e i l das betroffene Recht prekär sei. Entweder ein Schutzobjekt des A r t . 14 GG liegt vor — dann kommt es darauf an, wie tief der Eingriff reicht; oder das „Recht" ist als Eigentum gar nicht geschützt, wie dies etwa bei gewissen subjektiv-öffentlichen Rechten der Fall ist — dann kommt weder Enteignung noch Sozialbindung i n Betracht. 381 M i t Recht meint der B G H N J W 1964, S. 769, daß m a n sich auf die gesetzliche Lage n u r unter besonderen Voraussetzungen verlassen dürfe.
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D. Insbesondere: Abgrenzung nach der Eingriffstiefe
Seit Weimar ist außer Streit, daß jede Vermögenswerte Rechtsposition der Bürger grundsätzlich den Schutz der Verfassung genießt 382 , die Enteignung bestimmt sich nicht nach ihrem Gegenstand. Diese seit Jahrzehnten unstreitige Grundlage des Eigentumsrechts würde verlassen, wenn nun, auf dem Umweg der Prekarietät, „mehr oder weniger" geschütztes Eigentum unterschieden würde. Sicher kann und muß das Vertrauen, schon i m Namen der Rechtsstaatlichkeit, seine Bedeutung i m Enteignungsrecht haben 3 8 3 — aber nur i n dem Sinn, daß Überraschungsentwehrung unter bestimmten Voraussetzungen jene besondere Tiefe des Eingriffs indizieren kann, welche dann Entschädigungspflicht auslöst 384 . Dies war wohl auch bei den erwähnten Entscheidungen gemeint. Sie dürfen keineswegs so verstanden werden, als machten sie dogmatisch die Abgrenzung Sozialbindung — Enteignung als solche vom Vertrauen oder von der Prekarität einer Rechtsposition abhängig. Wie der erwähnte K P - F a l l zeigt, bringt die „Prekarietät" als K r i t e r i u m auch noch eine große Gefahr für das Eigentum: Sie wurde dort aus parteienrechtlichen Gesichtspunkten begründet, aus einem vom Eigentumsrecht weit entfernten Rechtsgebiet also. Bei aller „Einheit der Rechtsordnung" — daß diese parteienrechtliche Problematik zu Eigentumsauswirkungen führen könne, wer hätte daran denken wollen? Wenn ein Grundrecht gewisse Positionen sichert, so muß erwartet werden, daß Auswirkungen auf dieses Recht stets ausdrücklich bedacht werden, dem dient das Zitiergebot des A r t . 19 Abs. I S. 2 GG. Wer Eigentum einschränken oder „abschwächen" w i l l , der mag eine „typische Eigentumsentscheidung" treffen. Eine Parteienentscheidung ist keine solche. Die Prekarietät müßte jedoch dazu führen, daß sich aus allen möglichen eigentumsfernen Bereichen i m einzelnen schwer übersehbare, aber sehr bedeutsame W i r kungen auf das Eigentum ergäben. Dies entspricht nicht der Systematik der Verfassung. Die Lehre von den „inhärenten Schranken" begegnet übrigens letztlich i n vollem Umfang denselben Einwendungen wie ihre Unterform der „prekären Rechtsposition": Sie führt i m Ergebnis zu einer Auflösung des einheitlichen verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs, der doch so oft als große Errungenschaft gefeiert worden ist, und verlagert die Diskussion um die Sozialbindung systemwidrig von der Eingriffstiefe i n den Begriff des geschützten Gutes. Schon aus diesem Grund kann sie nicht zu einer Abgrenzung der Sozialbindung taugen.
382
Vgl. oben A I I , 2. Vgl. dazu unten E, I V . 384 v g L ebenda. 383
I V . Zweckänderung als K r i t e r i u m ?
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IV. Bestimmung der „Enteignungsschwelle" aus der Zweckänderung beim betroffenen Recht 1. Die Zweckentfremdungslehre — Die Privatnützigkeitstheorie
a) Die Ermittlung der Grenzen der Sozialbindung nach der Tiefe des Eingriffs verlangt, daß sich „irgendwo" deutlich feststellbare Grenzen finden lassen, bei deren Überschreitung der Eingriff von der Sozialbindung i n Enteignung umschlägt. Wenn davon auszugehen ist, daß die Sozialbindung jedenfalls die Substanz des Eigentums nicht angreifen darf 8 8 5 , so liegt der Versuch nahe, diesen Wesensgehalt qualitativ zu bestimmen. Wo sollte denn auch bei einer rein quantitativen Grenzziehung die Enteignungsschwelle liegen, m i t welchem Argument könnte sie begründet werden? Sozialbindung und Enteignung unterscheiden sich ja auch nicht quantitativ, sondern qualitativ i n den Rechtsfolgen: I m einen Fall ist Entschädigung zu leisten, i m anderen nicht. Ergibt sich daraus nicht m i t Notwendigkeit, daß auch die Auswirkungen der beiden Eingriffsformen auf das betroffene Eigentumsrecht qualitativ verschieden sein müssen? Solche Überlegungen haben dazu geführt, die Zweckentfremdung als Abgrenzungskriterium von Enteignung und Sozialbindung zu empfehlen. „Erfaßt ein Gesetz Eigentum nach seinem Zweck, bindet es den Eigentümer lediglich i n der funktionsgerechten Verwendung des Eigentumsgegenstandes, so w i r d die Dispositionsbefugnis des Eigentümers i n den Grenzen der Sozialgebundenheit beschränkt." „ W i r d dagegen dem Eigentümer eine Bindung auferlegt, die das Eigentum seinem Zweck entfremdet, dann kann i n der Regel nicht mehr von Sozialgebundenheit gesprochen werden 3 8 6 ." Diese Zweckentfremdungslehre ist nicht neu. Schon i n der Weimarer Zeit hatte das Reichsgericht bei der Ermittlung der Grenzen der Sozialgebundenheit insbesondere bei Wohnraum darauf abgestellt, ob i n dem Eingriff eine Änderung des Zweckes zu sehen sei, dem die Räume bisher gedient hätten 3 8 7 . Allerdings war dabei nicht allgemein vom „Zweck" die Rede, dem das betreffende Gut diene, sondern von seinem Wesen und den darin liegenden Beschränkungen. Deutlich wandelt sich dies jedoch zum Zweckkriterium i n der nationalsozialistischen Z e i t 3 8 8 : Enteignung soll vorliegen, wenn „ein bestimmtes Vermögensobjekt der bisherigen Zweck-
385 V
g L Nachw. oben F N 340 u n d 341. Forsthoff, E., Lehrb. d. Verwaltungsrechts, 9. Aufl. 1966, S. 318. 387 Vgl. etwa RGZ 105, S. 251; siehe auch Bornhak, Enteignungsrecht u n d Eigentumsbeschränkung, DJZ 1933, S. 338 (340/1). 388 Kutscher, H., Die Enteignung, 1938, S. 123 f.; Huber, E. R., ZgesStW, Bd. 96,1936, S. 463; ders. (FN 57), S. 379/80. 386
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D. Insbesondere: Abgrenzung nach der Eingriffstiefe
bestimmung entzogen und einer neuen Aufgabe zugewiesen werden soll" 3 8 9 . Nach 1945 wurde diese Auffassung sowohl i n dieser F o r m 3 9 0 als auch i n der Weise vertreten, daß man darauf abstellte, ob der jeweilige Eingriff den „Funktionen des Eigentums konform" sei 3 9 1 . Die Eigentumsbindung erhalte ihre nähere Inhaltsbestimmung durch die Widmung der W i r t schaftsgüter an den Unternehmenszweck seitens des Eigentümers 3 9 2 . b) Ihren eigentlichen Publizitätserfolg verdankt die Zweckentfremdungslehre der Form, welche i h r Rudolf Reinhardt m i t seiner sog. „ P r i vatnützigkeitstheorie" verschafft h a t 3 9 3 . Allerdings trägt diese Auffassung den Namen „Theorie" w o h l kaum zu Recht. Reinhardt hat zunächst nur für die funktionsgerechte Verwendung der Güter den Begriff der Privatnützigkeit geprägt; Sozialbindung ist nach i h m alles, was diese Privatnützigkeit nicht antastet, enteignend w i r k e n Eingriffe, welche die Privatnützigkeit aufheben, indem die Zweckbestimmung des Gutes aus einer „privaten" i n eine „öffentliche" verwandelt w i r d 3 9 4 . Darüber hinaus verdeutlicht Reinhardt diese Privatnützigkeit noch an einer Reihe von Beispielen, aus denen sich folgende Konkretisierung entnehmen läßt: Die Privatnützigkeit steht nicht entgegen, Entschädigung w i r d nicht geschuldet, wenn der Staat den Unternehmer zwingt, seine Produkte zu Bedingungen abzugeben, welche den erwerbswirtschaftlichen Grundsätzen gerecht werden; wenn er den Vermieter dazu anhält, Wohnraum zur Verfügung zu stellen, zu einer Miete, welche noch die Unkosten der Erhaltung und Verzinsung des Kapitals deckt; wenn er i m Rahmen des Anerbenrechts dafür Sorge trägt, daß das landwirtschaftliche Eigentum i n wirtschaftlich rationeller Form genutzt werden kann; wenn er durch Planung die Schranken der einzelnen Grundstücke, die sich aus ihrer Lage ergeben, zur Schaffung gesunder Verhältnisse konkretisiert. Niemals 380
Huber, E. R. (FN 57), aaO. Huber, E. R., Wirtschaftsverwaltungsrecht I I , 2. Aufl. 1954, S. 17 f. 3W Reinhardt, R., Wo liegen für den Gesetzgeber die Grenzen, gem. A r t . 14 des Bonner GG über Inhalt und Schranken des Eigentums zu bestimmen?, i n : Verfassungsschutz des Eigentums, 1954, S. 33 f. (insbes. S. 43) ; ebenso Scheuner, 390
U. (FN 115), S. I l l ; vgl. auch Thomä, V., Wolters, B. (FN 366), S. 204 f.; Weber,
W., Eigentum und Enteignung, Die Grundrechte I I , 1954, S. 331 (374); Westphal, J. (FN 328), S. 810. 392 Ballerstedt , Κ., Wirtschaftsverfassungsrecht, Die Grundrechte I I I / l , 1958,
S. 79; vgl. auch Benda, E. (FN 208), S. 371. 393 v g L
F N
390.
394
Wobei es sich hier bereits u m eine Interpretation seiner Gedanken handelt. Vgl. i m übrigen (zustimmend) zur Privatnützigkeitstheorie u. a. noch:
Schütz, W. (FN 141), S. 198; Warfsmann, G. (FN 367), S. 183; Pleyer , Κ., Eigentum
und Wirtschaftsordnung, JuS 1963, S. 8 (12) ; Dane, I. (FN 278), S. 94 m. Nachw.; Jellinek , W., Schadensersatz aus Amtshaftung und Enteignungsentschädigung, JZ 1955, S. 147 (148) n i m m t selbst nicht Stellung.
I V . Zweckänderung als K r i t e r i u m ?
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kann dagegen privatnützig sein, was Eigentum entzieht, wie etwa eine Landabgabeverpflichtung 395 . Die „Privatnützigkeitstheorie" führt also zu drei hauptsächlichen Folgerungen: Entziehung von Eigentum ist stets Enteignung; Konkretisierung von Bindungen, die sich aus der Lage von Grundstücken ergeben, ist i n der Regel Sozialbindung; Sozialbindung ist jeder Eingriff, welcher eine erwerbswirtschaftlich vertretbare Nutzung erhält oder gar ermöglicht. Der letztere Gesichtspunkt ist bei weitem der wichtigste. c) Die Zweckentfremdungs- oder Privatnützigkeitskriterien haben i n der Rechtsprechung nur einen verhältnismäßig schwachen Niederschlag gefunden. Das BVerfG hat die Enteignung einen „ A k t i m fremden Interesse" genannt 3 9 6 , womit aber nicht einmal eindeutig auf die Zweckentfremdung abgehoben wird, die etwa dadurch bewirkt würde. Der B G H hat zwar allgemein ausgesprochen, ein bestimmter Eingriff sei Sozialbindung, weil er das Eigentum dem Grunde nach nicht seinem Zweck entfremde, den Interessen des Eigentümers zu dienen 3 9 7 . Doch auch hier w i r d nicht näher gesagt, was denn nun privatnützig sei, wie diese Interessen des Eigentümers zu bestimmen seien. Weitere Urteile des B G H ergeben für dieses K r i t e r i u m nichts 3 9 8 . Deutlicher hat sich das BSG geäußert 399 : Es genüge zur Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums, „das Eigentum zugleich m i t dieser Begrenzung zu entfalten und damit seiner funktionsgerechten Verwendung zuzuführen. Hingegen ist die Enteignung dadurch charakterisiert, daß die eigentliche Zweckbestimmung des ,Eigentums' i n der konkreten Gestalt, u m die es sich jeweils handelt, wesensmäßig fremden Zwecken geopfert w i r d " . „Der Schutzbereich des ,Eigentums' i m Sinne von A r t . 14 GG w i r d somit wesentlich durch seine Zweckbestimmung festgelegt. Er ist nicht bei allen unter den verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff fallenden Rechten schematisch gleich abgegrenzt." Doch auch dieses Urteil bringt allenfalls eine Übernahme, nicht aber eine nähere Konkretisierung des Zweckänderungs- und Privatnützigkeitskriteriums. Die Rechtsprechung hat also zu diesem K r i t e r i u m nichts beigetragen; sie hat es nicht i n nennenswertem Umfang übernommen. 395
aaO, S. 39. B V e r w G E 1, S. 227. Vgl. auch O V G Lüneburg, E 15, 500. 397 B G H DÖV 1956, S. 729. 398 So etwa B G H Z 8, S. 273; 23, S. 157, welche Thomä , V., Wolters, B. (FN 36) zu Unrecht i n diesem Sinn verstehen. Dasselbe gilt f ü r das U r t e i l B G H N J W 1958, S. 380, einen der Fälle, i n denen es als Enteignung gewertet w i r d , w e n n einem Grundstückseigentümer die Nutzung „ i m bisherigen Umfang" entzogen w i r d . Das eigentliche K r i t e r i u m ist hier nicht die Privatnützigkeit (vgl. unten 2.). 399 BSGE 5, S. 40. 398
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D. Insbesondere: Abgrenzung nach der Eingriffstiefe 2. Kritik der Privatnützigkeitslehre
a) Die Zweckentfremdungstheorien, insbesondere die Lehre von der Privatnützigkeit, haben sicher auf den ersten Blick vieles für sich. Das Eigentum dient dem privaten Nutzen, es ist „etwas wesentlich Privates". Wenn der Staat ein Gut aus dieser Sphäre herausnimmt und es dem „öffentlichen" dienstbar macht, so ist gerade dies eben die Ent-Eignung. Es entspricht auch dem — i m Prinzip richtigen — Schwerekriterium für die Abgrenzung Sozialbindung — Enteignung, daß m i t der Privatnützigkeit nach dem Nutzen gefragt wird, welchen jedes Gut vor und nach dem Eingriff für den Eigentümer (noch) abwirft, und daß danach die Qualität dieses Eingriffs bestimmt wird. Insoweit ist die Privatnützigkeit i n der Tat sehr nützlich und sie sollte auf jeden Fall terminologisch beibehalten werden; sie umschreibt exakt, was durch das Grundrecht des Eigentums geschützt w i r d : einerseits, daß das Gut i n privater Hand bleiben, zum anderen, daß es dort noch „von Nutzen" sein soll. Dies muß auch zum Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen 400 gemacht werden, daran kann überhaupt keine wie immer geartete Abgrenzung der Sozialbindung vorübergehen. Hier stößt also die Untersuchung das erste Mal, i n der Unübersichtlichkeit von Lehren und Theorien, auf eine klare, wenn auch allgemeine Aussage. I n diesem Sinne ist Reinhardts Beitrag das Beste, was seit 1945 zur Eigentumsbeschränkung geschrieben worden ist. Eine ganz andere Frage ist es, ob m i t den Zwecktheorien ein brauchbares K r i t e r i u m für die Abgrenzung entwickelt worden ist oder ob doch damit i n einer dogmatisch greifbaren Weise die entscheidenden Kriterien systematisiert werden konnten. Daran bestehen erhebliche Zweifel. b) Man gehe von dem aus, was oben (1. a) als die drei wesentlichen faßbaren Ergebnisse der Privatnützigkeitslehre festgehalten wurden — nur i n ihnen kann sie sich ja dogmatisch bewähren: — (Total-)Entzug eines Rechtes, eines Gutes ist immer Enteignung, nie Sozialbindung. Dies ist keine neue und auch keine irgendwie kontroverse Aussage — der eigentliche Entzug von Rechten ist stets und allenthalben als Enteignung gewertet worden 4 0 1 ; das Problem der Sozialbindung liegt gerade darin, daß sie nicht entzieht, sich dennoch aber so steigern kann, daß sie i n Enteignung umschlägt. Doch dazu sagt die Privatnützigkeitstheorie nichts; sie bestimmt auch nicht näher, welche Auswirkungen sich für den Nicht-Entzug daraus ergeben könnten, daß die (Total-)Entwehrung stets Enteignung ist, oder was etwa als „Bindung" dem „Entzug" gleichsteht. Sie bringt also insoweit nichts Neues. 400 401
Unten E. Siehe Nachw. unten E I .
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Es fragt sich jedoch, darüberhinaus, ob denn der Qualifikation des Eigentumsentzugs als Enteignung dadurch etwas hinzugefügt wird, daß man dies nicht mehr als privatnützig anerkennen kann. Der Entzug ist eben allein schon deshalb Enteignung, weil hier von einer wie immer gearteten Bindung nicht mehr die Rede sein kann, weil Inhalt und Schranken dessen gar nicht bestimmt werden können, was genommen wird, und weil das Eigentum nicht mehr „zugleich" dem Wohl der Allgemeinheit dient, wenn es dem Privaten überhaupt nicht mehr nützt. Der Entzug eines Gutes ist also Enteignung allein schon aus Gründen der Verfassungsbegrifflichkeit, dies bedarf keiner Begründung aus einer Privatnützigkeit. Das K r i terium der Privatnützigkeit ist also hier als ein „allgemeines" unnötig, konkretisierend w i r k t es nicht — für diesen Bereich des (Total-)Entzuges ist es daher überhaupt entbehrlich. — Konkretisierung von Bindungen, die sich allgemein bereits aus der Lage eines Gutes ergeben, sind i n der Regel nur Sozialbindungen. Diese Aussage resümiert die Rechtsprechung zur „natürlichen Lage" der Grundstücke, auf die noch einzugehen sein wird. Sie verdeutlicht jedoch nicht, ob und i n welcher Weise derartige Grundsätze auf andere Kategorien von Gütern übertragen oder doch dort irgendwie nutzbar gemacht werden können. Die Privatnützigkeit w i r d hier also nicht als eine Hilfe zu gesetzes- oder rechtsanaloger Systematisierung eingesetzt, was aber allein der eigentliche Sinn der Aussage hätte sein können; denn es hat wenig Sinn, unter den Namen „Privatnützigkeit" nur einzelne und heterogene Prinzipien bisheriger Judikatur zu subsumieren. Es ist jedoch, abgesehen davon, sehr zweifelhaft, ob die Aussage, daß die Konkretisierung lagebedingter Beschränkungen stets Sozialbindung sei, überhaupt m i t der Privatnützigkeit etwas zu tun hat. Daß es solche „natürliche" Beschränkungen gibt, mag eine Grenze des privaten Nutzens sein, die hingenommen werden muß; dann gilt dies natürlich auch für ihre Konkretisierungen. Daß aber all diese Beschränkungen irgendwie aus der Privatnützigkeit legitimiert und daher auch durch sie definiert würden, dafür gibt es gar keinen Anhalt — sie bestehen vielmehr „kraft Lage" und beschränken ihrerseits die Privatnützigkeit, das Eigentum. Und die wesentliche Aussage liegt ja gerade darin, daß sie konkretisiert, nicht aber geändert werden dürfen, daß es also etwa unzulässig ist, einem Eigentümer die bisherige Nutzungsart streitig zu machen. Dies aber läßt sich doch nicht m i t einer allgemeinen Privatnützigkeit begründen, von der ja gar nicht feststeht, ob sie nicht auch noch nach solcher Nutzungsänderung gegeben sei. Es ergibt sich vielmehr allein aus einem Prinzip des Bestandsschutzes, für das man nun allerdings weitere Begründungen suchen mag. Sie mögen i n der
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D. Insbesondere: Abgrenzung nach der Eingriffstiefe
Tradition, i m Vertrauen, i n der rechtsstaatlichen Vorhersehbarkeit liegen — sie können aber doch nicht allgemein aus einer Privatnützigkeit abgeleitet werden. Diese ist also bei näherem Zusehen gar nicht die richtige Begründung für eine Aussage, welche unter i h r angebliches Prinzip subsumiert wird. — Die bei weitem wichtigste Folgerung aus der Privatnützigkeitslehre besteht darin, daß jeder Eingriff des Staates, der eine erwerbswirtschaftlich vertretbare Nutzung des Eigentums erhält oder gar ermöglicht, noch „funktionskonform" und daher entschädigungslose Sozialbindung sein soll. Gegen diese These sind nun grundsätzliche Bedenken zu erheben. Was ist denn „erwerbswirtschaftlich vertretbar"? Etwa alles, was gerade noch Unterhaltung und (übliche) Verzinsung deckt? Wer so denkt, führt letztlich die Marktwirtschaft ad absurdum und zerstört die w i r t schaftliche Freiheit. Diese Freiheit besteht nicht darin, stets gerade noch soviel an Gewinn machen zu dürfen, daß eben noch das betreffende Eigentumsrecht nicht zu einem Verlustgeschäft führt. Gestattet ist vielmehr i n einer Marktwirtschaft auch der größere, der große Gewinn. Wenn der Staat i h n auf allen Sektoren durch Sozialbindung verhindern darf — und das ist ja die Konsequenz dieser Theorie —, dann drückt er damit i m Ergebnis auch jenen Gewinn immer weiter, den er als Verzinsung dem Kapitaleigner „gerade noch" lassen w i l l ; denn dieser „Durchschnittsgewinn", der dann als „angemessen privatnützig" bezeichnet wird, setzt sich ja aus vielen größeren und kleineren Gewinnen zusammen. Wer „alle größeren" Gewinne systematisch sozialbindend verhindert, w i r d m i t mathematischer Sicherheit eines Tages bei N u l l und damit bei der totalen allgemeinen Enteignung landen. Und was bedeutet denn die „Freiheit", gerade soviel Gewinn zu erwirtschaften, wie der Staat, wie der Richter noch als „angemessen" ansieht? Ist es denn nun i n der freiheitlichen Ordnung der Richter, welcher die Preise und die Werte festsetzt? Oder der Gesetzgeber, welcher sozialbindend eingreift und jeden auf den Gewinn beschränkt, den er als „angemessen" noch beanspruchen darf? I n einer solchen Ordnung ist von eigentlicher Marktwirtschaft nicht mehr die Rede; ein so verstandenes Prinzip der Privatnützigkeit überläßt dem Staat die Bestimmung, was privater Nutzen sei. Dies aber ist ein Widerspruch i n sich: Richtig verstandene Privatnützigkeit überläßt es dem Privaten, was er als seinen Nutzen definieren will. Sie ist kein materielles Prinzip, das aussagt, wieviel an Nutzen gezogen werden darf, die wahre Privatnützigkeit ist ein formelles, ein Kompetenzprinzip: Sie nimmt dem Staat das Recht, den privaten Nutzen zu definieren. Privatnützigkeit kann nur ein einziges bedeuten: daß der Private bestimmt, was ihm nützt, nicht der Staat, was i h m nützen darf. Wer letzteres an-
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nimmt, der hat dem Grunde nach schon alle Wirtschaftsfreiheit i n Zentralverwaltungswirtschaft vernichtet. Erlaubt aber ein Marktsystem nicht, daß der Richter i m Einzelfall entscheide, was nun „angemessen" sei, würde nicht eine konsequente Marktwirtschaft zum Zusammenbruch jeder Judikative, jeder staatlichen Entscheidungsmöglichkeit führen, w e i l alles eben „der M a r k t " regulieren müsse? Mitnichten. Der Richter entscheidet den Einzelfall. Soweit er nun festzustellen hat, was hier jeweils „angemessen" ist, greift er auf den M a r k t zurück und beeinflußt diesen nicht. Gelegentlich mag dort seine Entscheidung fühlbar werden — i m ganzen sind es unwesentliche, systemunschädliche Randerscheinungen. Ganz anders der Gesetzgeber: Wenn er durch das sozialbindende Gesetz eine Vielzahl von Fällen, ganze Wirtschaftssektoren regelt, so verändert er den Markt. Dies aber bedarf eben stets, auch als Sozialbindung, einer Legitimation, und diese läßt sich nicht der Formel der Privatnützigkeitslehre entnehmen, daß alles dem Gesetzgeber erlaubt sei, was den „angemessenen" Gewinn festlege. Zu seiner Bestimmung muß man sich nämlich am M a r k t orientieren, dies aber w i r d unmöglich, wenn man allenthalben „sozial bindet" — weil man ja damit den M a r k t ausschalten kann. M. a. W.: Diese Formel der Privatnützigkeit gibt dem Staat einen viel zu weiten Eingriffsraum, der Gesetzgeber kann nach ihr auf allen Sektoren bestimmen, was „angemessen" sei, ohne auf eine Freiheit Rücksicht zu nehmen, die er i m Namen der Sozialbindung grundsätzlich vollständig ausschalten darf. Dies aber ist nicht nur das Ende jeder Marktwirtschaft, sondern zugleich auch jeder wirtschaftlichen Freiheit — insbesondere die A r t . 12 und 14 GG wären nichts mehr als Papier. „Funktionskonform" bleibt das Eigentum nicht erhalten, wenn der Staat sagt, was man i n seinem Namen darf, sondern wenn das der Private selbst, und zwar er allein, vermag. Die Privatnützigkeit zeigt als Wort den richtigen Weg: Was dem Bürger nützt, bestimmt der Bürger, nicht der Staat. Jene Form von Angemessenheits-Dirigismus aber, welche man unter Berufung auf privaten Nutzen so hat rechtfertigen wollen, mag i n den Zeiten nach der Währungsreform ein verständliches Anliegen gewesen sein — m i t der Eigentumsgarantie des GG ist sie nicht vereinbar. Wenn also die Privatnützigkeit so verstanden wird, wie sie damals entstanden und seither meist unkritisch tradiert worden ist, so ist sie für eine Definition der Sozialbindung heute unbrauchbar.
12 Leisner
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D. Insbesondere: Abgrenzung nach der Eingriffstiefe 3. Grundsätzliche Bedenken gegen die Zweckentfremdungstheorien
Was gegen die Privatnützigkeitstheorie spricht, ist ein Argument gegen alle Formen der Zweckentfremdungslehren: Es gelingt auf solcher Grundlage nicht, auch nur einigermaßen klar zu bestimmen, wann denn nun das Eigentum durch eine Bindung seinem Zweck wirklich entfremdet, oder, anders ausgedrückt, wann der Zweck durch einen Eingriff geändert wird. Dies ist schon deshalb kaum möglich, w e i l die Kategorie des „Zweckes" eben an sich schon der unrichtige Ansatzpunkt für eine Dogmatik der Eigentumsbeschränkungen ist. a) Das Eigentum als Prototyp des Sachenrechts, als höchster Ausdruck privaten Rechts überhaupt, hat seinem Wesen nach keinen als solchen faßbaren Zweck. Es verleiht zwar das Eigentum die Möglichkeit, ein Gut zu nutzen und andere von der Nutzung auszuschließen. „Zweck" könnte also allenfalls diese Nutzung sein. Damit aber würden sich die ganzen Zweckentfremdungslehren als Tautologie oder als reiner Verbalismus herausstellen: Zweckentfremdung würde dann immer vorliegen, wenn eben — die Nutzung entzogen, d. h. etwas vom Eigentum genommen würde. M i t einer solchen Aussage ist nichts gewonnen. Sie könnte sogar zu einer unerträglichen Zurückdrängung der Sozialbindung führen: Jede Veränderung der Nutzung kann doch unmöglich sogleich Enteignung sein. Welche Veränderung aber als Sozialbindung (noch) gerechtfertigt ist — darauf kann die Zwecklehre schon aus begrifflichen Gründen keine A n t wort geben. Und darin zeigt sich eben, daß die Zweckkategorie als solche hier bedenklich ist. Der „Zweck" des Eigentums besteht darin, daß es dem Eigentümer gehört. Wer diesen Zweck näher definieren w i l l , der löst den Begriff des Eigentums als eines sachenrechtlichen Vollrechts auf i n ein Bündel von Berechtigungen, deren konkrete Zielrichtung jeweils von der Staatsgewalt bestimmt wird. Was dann noch Grundrechtlichkeit bedeuten soll, w i r d niemand sagen können. Zwar soll das Eigentum „zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen" (Art. 14 Abs. I S. 2 GG). Doch hier w i r d eben nur ganz allgemein neben den Nutzen des Eigentümers der Nutzen der Allgemeinheit gestellt und das ausgedrückt, was keiner bestreitet: daß es eben eine Sozialbindung des Eigentums gibt. Näher aber w i r d der „Zweck" dadurch auch nicht definiert. Wenn dies aber nicht gelingt und i n dieser Weise gar nicht möglich ist, so hat eben die Zweckkategorie als solche hier keinen spezifischen dogmatischen Sinn — sie fällt zusammen m i t dem Eigentümernutzen und ist damit nichts als ein anderes Wort für — Eigentumsrecht. Ein solches Recht kann man aber nicht „ändern", sondern nur „beschränken": Die ganze Begrifflichkeit paßt nicht zu der Materie und führt i n die Irre. b) Die „Zweckänderung" des Eigentums könnte nur dann faßbar werden, wenn man unter „Zweck" des Eigentums nicht dessen Nutzen und
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den Anspruch auf diesen, sondern die verschiedenen Nutzungsarten verstehen wollte — und aus der Rechtsprechung zur Änderung der Nutzungsart bei Grundstücken und Wohnungen ist ja diese Lehre ersichtlich entstanden. Dann aber sollte man wiederum nicht vom „Zweck" sprechen: Die Nutzungsart ist nicht Zweck des Eigentumsrechts oder auch nur irgendeines Gutes, das zu eigen besessen wird, sondern ein M i t t e l zu dessen Verwertung oder Beherrschung. „Zweck" eines Forstes ist es für den Eigentümer nicht, daß er Holz liefert, sondern daß sich aus dessen Verkauf oder Verwertung ein gewisser Nutzen ergebe. Wer also Zweck und Nutzungsart gleichsetzt, führt allenfalls einen volkswirtschaftlichen Zweckbegriff ein, der sich eben m i t der Nutzungsform decken mag; „Zweck" ist dann aber nicht mehr der Nutzen für den Eigentümer, der Zweck w i r d vom Eigentümer getrennt. Die Zwecklehren denken insoweit makroökonomisch, nicht grundrechtlich. Für eine Abgrenzung der Sozialbindung aber kommt es immer auf das Verhältnis zum Eigentümer, zum Grundrechtsträger an. Die Zwecktheorien sind dazu also generell ungeeignet. c) Die Zweckänderungslehren sind ferner meist nichts anderes als eine andere sprachliche Form für die Bestimmung der Sozialbindung nach der „Natur der Sache" und nach den „immanenten Bindungen", die bereits oben (III) kritisiert und abgelehnt worden sind. Dies zeigt sich klar i n nicht wenigen Äußerungen von Schrifttum und Rechtsprechung 402 . I n der Tat kann ja auch nur dann der „Zweck" des jeweiligen Eigentums näher bestimmt werden, wenn man diesen i n demjenigen Nutzen für den Eigentümer sieht, der übrig bleibt, nachdem man die immanenten Beschränkungen abgezogen hat. Damit aber zeigt sich die Zwecklehre als ein Spiel m i t Worten, das aber überaus gefährlich für die Grundrechtlichkeit ist: Gegen „immanente Schranken" werden immer i n der Grundrechtsdogmat i k Bedenken bestehen, weil hier ganz ersichtlich die Rechtsstaatlichkeit wegen der Unfaßbarkeit solcher Schrankenziehung i n Gefahr ist. Was wollte man aber gegen den „Zweck" erinnern? Und gerade deshalb muß hier klargestellt werden: Die Zwecklehren sind nichts als eine elegantere Form der Inhärenztheorie, sie sind abzulehnen wie diese. d) Wie die Inhärenzlehre hatte auch die Zwecklehre ihre „große Zeit" während des Nationalsozialismus 403 , als man i n ihrem Namen den Staat zum Richter über alle die Zwecke setzte, welche der Private überhaupt noch verfolgen dürfe, mehr noch: indem man den öffentlichen Zweck m i t i n jeden privaten Zweck noch hineinlegte. Die Zwecklehren sind sogar i n der nationalsozialistischen Zeit recht eigentlich entstanden, sie ent402 Vgl. etwa Reinhardt, R. (FN 391), S. 47; Thomä, V., Wolters, B. (FN 366), S. 205; Warfsmann, G. (FN 367), S. 182; Westphal, J. (FN 328), S. 810; BSGE 5,
40.
403
12•
Β II.
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D. Insbesondere: Abgrenzung nach der Eingriffstiefe
sprechen deren Pflichtigkeitsdenken. M i t der heutigen Staatsgrundauffassung sind sie unvereinbar. Es ist höchst erstaunlich, daß sogar, ja vor allem politische Richtungen auf sie zurückgreifen, welche sonst alles Nationalsozialistische erbittert bekämpfen. Sollten gegen das Privateigentum alle Waffen gut sein — auch die des NS-Staates? Sie sind es nicht. Das Eigentum ist keine Spezialbefugnis, die auf einen bestimmten Zweck zielt und durch i h n legitimiert wird, sondern eine allgemeine Rechtsstellung, welche durch die Sozialbindung jedoch beschränkt w i r d ; wie weit — das läßt sich nach Zweckkriterien nicht bestimmen. 4. Sozialbindung als „Eigentumsbeschränkung im Interesse des Eigentümers"
Wenn das Eigentum überhaupt Zwecke hat, so liegen sie darin, dem Eigentümer und der Allgemeinheit zu dienen, i n einem Verhältnis, das allerdings die Zwecklehren, wie dargelegt, nicht bestimmen können. Da nun aber (auch) vom Eigentümernutzen auszugehen ist, kann da nicht Sozialbindung jedenfalls dann angenommen werden, wenn durch sie nichts genommen wird, was man „eigentlich" als Eigentümernutzen noch bezeichnen kann? I n diese Richtung weisen vor allem zwei Arten der Rechtfertigung der Sozialbindung: Die Vorstellung von der „Sozialbindung i m Interesse des Betroffenen" (a) und die von den „Interessen des vernünftigen Eigentümers" (b); beide liegen eng zusammen. a) Zulässige Eigentumsbeschränkung sei, so w i r d behauptet, stets das, was nur den Interessen des Eigentümers diene, w e i l ja Enteignung dadurch definiert sei, daß sie eigentümerfremde Interessen verfolge. So sei Sozialbindung eine Wiederaufforstungsverpflichtung, da „die Aufforstung zu einer Steigerung des Grundstückswertes f ü h r t " 4 0 4 . Die Umlegung sei nicht Enteignung, w e i l bei der Flurbereinigung die Interessen der Allgemeinheit denen des Betroffenen nicht entgegengesetzt seien 405 , aus demselben Grund seien Landabzüge für die Interessen der alten Besitzer, etwa für gemeinschaftliche Einrichtungen, keine Enteignung 4 0 6 . N u r bei vollständigem Rechtsverlust i m Zuge einer Umlegung müsse stets Enteignung angenommen werden, weil dieser nie i m Interesse des Beteiligten stehe 407 . Dieser Begründungsversuch der Rechtsprechung kommt also ersichtlich aus gewissen Einzelbereichen, insbesondere aus der Flurbereinigung, wo 404
OVG Lüneburg OVGE 15, S. 500. 405 ß V e r w G E 1, S. 225. 406 407
B V e r w G E 1, S. 156. O V G Münster OVGE 12, S. 117.
I V . Zweckänderung als K r i t e r i u m ?
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man damit die staatlichen Eingriffe global zu rechtfertigen versucht. Die Formel von der „Sozialbindung i m Interesse des Eigentümers" trägt aber viel weiter, an sich kann sie für alle Güter, bei jeder A r t von Eingriff eingesetzt werden. Man kann auch nicht gegen sie einwenden, der Richter dürfe grundsätzlich nicht darüber befinden, ob eine staatliche Maßnahme den Interessen Privater diene oder diese verletze; täglich ergehen Entscheidungen, i n welchen i m Einzelfall das Rechtsschutzbedürfnis des angeblich Betroffenen verneint wird, w e i l seine Interessen eben nicht berührt seien. Mag also auch der Richter grundsätzlich kompetent sein, mag die Formel von der Parallelität von staatlichen und privaten Interessen auch da und dort zutreffen, so birgt sie doch, i n solcher Allgemeinheit vorgetragen, schwere Gefahren für das Eigentum. Dies zeigen zunächst die erwähnten Beispiele: Eine Aufforstungsverpflichtung kann durchaus nur zu einer Wertsteigerung führen und damit, i m Einzelfall, zu einem wirtschaftlichen Vorteil, der m i t dem Grundstück auf andere Weise überhaupt nicht erzielt werden könnte; es kann aber umgekehrt eine solche Pflicht den Eigentümer an einer günstigen Nutzung des Grundstücks oder an einem gewinnbringenden Verkauf hindern. Unzulässig ist es jedenfalls, generell jede Aufforstungspflicht deshalb als Sozialbindung zu qualifizieren, weil sie wertsteigernd sei. Dies würde zumindest die stillschweigende Prämisse voraussetzen, daß eben die forstwirtschaftliche Nutzungsart nicht verändert werden dürfe. Ähnlich bei der Flurbereinigung: I m ganzen mag sie sich volkswirtschaftlich, i n der Regel auch betriebswirtschaftlich günstig auswirken, und i n diesen Fällen kann sicher von Enteignung nicht die Rede sein. Es läßt sich aber doch nicht die generelle Maxime aufstellen, bei der Umlegung als solcher liefen staatliche und private Interessen stets parallel. Ein Richter, der so entscheidet, w i l l sich lediglich die erforderliche Begründung i m Einzelfall ersparen. Es mag hier offen bleiben, ob man eine staatliche Maßnahme, welche den Interessen des Eigentümers dient, überhaupt einen Eingriff nennen kann und ob er einer Rechtfertigung aus der Sozialbindung begrifflich bedürftig oder auch nur zugänglich ist. Die Formel von der Interessenparallelität könnte jedenfalls, würde sie verallgemeinert, dazu führen, daß i n ihrem Namen für große Bereiche der Eigentumsschutz aufgehoben würde, indem gar nicht mehr i m Einzelfall über die Eingriffsschwere entschieden würde, „ w e i l ja für einen Gesamtbereich private Interessen ex definitione nicht berührt seien". Darüber hinaus wäre aber die Versuchung groß, für immer weitere solche Großbereiche kurzer Hand anzunehmen, daß bei ihnen die Interessen der Eigentümer nicht verletzt, sondern womöglich noch gefördert würden. Damit könnte der Eigentumsschutz ausgehöhlt werden, und es käme i m Ergebnis nur zu einer Neuauflage der Lehren von der Natur der Sache,
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D. Insbesondere: Abgrenzung nach der Eingriffstiefe
den immanenten Schranken und der Zwecke des Eigentums — immer wieder würde, an Stelle einer klaren, rationalen Einzelbegründung, auf irgendein nebelhaftes „Wesen" von Rechten zurückgegriffen. Das darf nicht geschehen. b) Kaum weniger gefährlich für das Eigentum ist eine Betrachtungsweise, welche darauf abstellt, ob i m Einzelfall ein „vernünftig" wirtschaftender Eigentümer durch den Eingriff i n seinen Interessen schwerwiegend beeinträchtigt würde. Zwar ist dieser „vernünftige" Mensch i m ganzen w o h l identisch m i t jenem „ b i l l i g und gerecht denkenden" Fabelwesen der Reichsgerichtsrechtsprechung, das aus unserer Rechtsordnung so lange nicht verschwinden wird, wie es freie Richter und einen gewissen Entscheidungsraum der Judikative gibt. Deshalb w i r d also auch stets das „Vernünftige" seine Rolle spielen; es w i r d meist das sein, was der Richter i m konkreten Fall täte. So w i r d man weiterhin die „Lage eines Grundstücks i n einer wirtschaftlich vernünftigen Benutzung" betrachten 4 0 8 und bei der Grenzziehung der Sozialbindung auf die Interessenlage des „vernünftig wirtschaftlich denkenden Menschen" abstellen 4 0 9 . Wie problematisch aber das „Vernünftige" i m Eigentumsrecht werden kann, zeigt das sog. Grünflächenurteil des B G H 4 1 0 , i n dem ausgeführt w i r d : Die eine oder andere Einzelbefugnis, die aus dem Eigentum fließe, sei dann nicht auszuüben, wenn ein vernünftiger und einsichtiger Eigentümer diese Nutzungsart ernsthaft nicht ins Auge fassen würde. Dies sei der Fall, wenn das Eigeninteresse intensiv mit zwingenden, jedermann einleuchtenden übergeordneten Erfordernissen einer der Allgemeinheit dienenden Ordnung kollidiere. So geht es unter dem Grundgesetz nicht mehr. Der freie Bürger braucht sich nicht m i t der allgemeinen Formel von den „übergeordneten Ordnungserfordernissen" abspeisen zu lassen. Er hat ein Recht darauf, daß i h m diese im einzelnen nachgewiesen und daß sie gesetzlich begründet werden. Andere, etwa „natürliche" Erfordernisse, braucht er nicht zu kennen. Ungeschriebene Eingriffsmöglichkeiten i n seine Rechte gibt es i m Rechtsstaat nicht. Wenn diese übergeordneten Erfordernisse „jedermann einleuchten", so wäre die Sache w o h l nicht zum B G H gekommen. Und m i t Vernunft hat all dies nichts zu tun. Der Bürger beweist Vernunft nicht durch Unterwerfung unter eine Staatsraison, sondern dadurch, daß er diese i n ihre Schranken weist. Doch abgesehen von dieser i n solcher Form unhaltbaren Begründung zeigt das Urteil deutlich die Gefahr: „Vernünftig" ist der Eigentümer für den Richter nur zu leicht dann, wenn er sich beugt, und u m ihn zu beugen, ist es nur allzu leicht, ihn zum „Vernünftigen" zu ernennen. 408 409 410
B G H DVB11960, S. 558. B G H DÖV 1958, S. 311. B G H Z 23, S. 30.
I V . Zweckänderung als K r i t e r i u m ?
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Vernunft ist wieder ein schöner „Wesensbegriff" — so wie Substanz und Inhärenz, Zweck und Interessenparallelität. Gefährlich sind alle diese Harmonieformeln, das hat dieser Abschnitt erwiesen. Besonders schlimm aber wäre es, würde der Bürger, der für sein Grundrecht kämpfen w i l l , gleich auch noch i n die Unvernunft gedrängt. Dann würde Vernunft Unsinn — Vorsicht also m i t der V e r n u n f t . . . 5. Das „Gemeinschaftsschädliche Eigentum"
Ein milder Tadel für den störrischen Grundrechtsträger ist die Unvernunft. Härter geht i h m schon der Vorwurf der Gemeinschaftsschädlichkeit zu Leibe. Er macht den Eigentümer gewissermaßen vogelfrei und rückt i h n i n die Nähe des Volksschädlings einer gewissen Vergangenheit oder des Volksfeinds bestimmter Staats- und Gesellschaftsordnungen. Schon aus diesem Grund sollten solche Worte vermieden werden. Das Schrifttum 4 1 1 hat sich hier erfreulicherweise ebenso zurückgehalten wie die Rechtsprechung 412 . Es ist sehr zu wünschen, daß derartige politische Morgensternvokabeln auch dann nicht i n die Eigentumsdiskussion eindringen, wenn sich der „Eigentumsbegriff" wandeln 4 1 3 und wenn die Sozialbindungen verschärft werden sollten. Denn Gemeinschaftsschädlichkeit, Sozialgefährlichkeit und ähnliche Vokabeln bezeichnen nie das Richtige — sie verdecken entweder reine Staatsraison oder eine angebliche „Wesensschau" des Eigentums, welche dort alle diejenigen Beschränkungen schon voraussetzt, die es doch zu begründen gilt. Diese harten Worte schießen auch i n jedem Fall über das Ziel hinaus: Sie suchen nicht Grenzen, sondern einen Feind, den es zu vernichten gilt. Ein solcher aber ist der Grundrechtsträger des Eigentums niemals. Man mag i h n binden, man darf i h n nicht erdrosseln. Die Sozialgefährlichkeit ist nur die schärfste unter einer ganzen Reihe von Kategorien, m i t denen die „Enteignungsschwelle" qualitativ bestimmt werden sollte. Sie haben sich i n diesem Kapitel alle als unbrauch411
Anklänge etwa bei Lindner, G., Die Abgrenzung zwischen Enteignung u n d Eigentumsbindung i m Bereich des heutigen B a u - u n d Bodenrechts, Diss. F r a n k furt 1956, S. 63, der eine „gemeinschädliche Ausnutzung von G r u n d u n d Boden" verhindern w i l l . Durchaus rechtsstaatlich dagegen bereits die Gefährdungsproblematik, welche Bielenberg, W. (FN 156), S. 446/7 erörtert. Hier geht es u m die Bestimmung der Sozialbindung aus den „Rechten anderer", siehe dazu k r i t . oben C I I 4. 412 Bedauerlich daher B G H Z 54, S. 293 (298), wo der an sich unproblematische u n d seit langem als F o r m der Sozialbindung anerkannte Anschluß- u n d Benutzungszwang w i e folgt gerechtfertigt w i r d : „Dieses GemeindeG hält sich i m Rahmen des A r t . 14 Abs. I I GG, w e i l es den Eigentümer hindert, von seinen Rechten einen sozialschädlichen Gebrauch zu machen." 413 Dazu k r i t . Weber, W., Das Eigentum u n d seine Garantie i n der Krise, Festschr. f. K a r l Michaelis, 1972, S. 316.
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D. Insbesondere: Abgrenzung nach der Eingriffstiefe
bar erwiesen, u m die Sozialbindung von der Enteignung abzugrenzen. Letztlich sind sie alle nur Versuche, dem einen Namen zu geben, was man wünscht, im einzelnen aber nicht zu begründen vermag: daß der Einzelne von seinem Eigentum, das für i h n nur i n der Gemeinschaft sinnvoll ist, auch nur einen Gebrauch machen darf, der die Interessen eben dieser Gemeinschaft berücksichtigt. A l l die vielen „Kriterien", nach denen bei einer bestimmten Schwere des Eingriffs die Sozialbindung i n entschädigungspflichtige Enteignung umschlägt — sie setzen entweder zu Beweisendes voraus, oder sie übertragen der Staatsgewalt die KompetenzKompetenz zur Entscheidung über die Eingriffstiefe, die nichts kostet. N u r eines bleibt von all dem, eine Orientierung: A u f den Nutzen des Eigentums i n Eigentümerhand kommt es an.Von i h m muß irgend etwas bleiben — was aber?
E. Ansätze zu einer möglichen Abgrenzung der Sozialbindung nach geltendem Recht Vorbemerkung: Sinn der folgenden Ausführungen — Plan 1. Das bisherige Ergebnis ist — negativ. Keine der Formeln, die bisher zur Abgrenzung der Sozialbindung angeboten worden sind, vermag zu befriedigen. Anstatt einer Literatur, i n der angeblich das Problem „ausgeschrieben" worden ist, haben w i r ein Schrifttum vorgefunden, i n dem es, grundsätzlich gesehen, kaum „angeschrieben" worden ist. A n Stelle einer Judikatur, die alle Fälle nach rechtsstaatlich f aßbaren Kriterien entscheidet, begegnet man einer Rechtsprechung, die selbstsicher Großformeln vor sich herschiebt, von denen keine einzige zu befriedigen vermag. Die Grenzen des Eigentums sind nicht befestigt, i m Recht hat der Kampf ums Eigentum noch nicht einmal begonnen. Vielleicht w i r d man von i h m erst Kenntnis nehmen, wenn die Schlacht schon geschlagen ist; bewährter Juristentradition würde es entsprechen . . . Recht haben diejenigen, welche von einer Sklerose des Eigentums sprechen — doch wenn es nur i n klaren Formeln versteinert wäre! Bei der sozialpolitischen Bedeutung dieses Rechts ist es wahrhaft bedrückend festzustellen — daß i m Prinzipiellen kaum etwas festzustellen ist. Wohl könnte, sollte vielleicht die Untersuchung hier enden. Wenn es ihr gelungen sein sollte, auch nur etwas von den vertrauten begrifflichen Ablagerungen wegzuräumen, auf denen sich das Eigentum ausruht, so hätte sie einen Beitrag geleistet. Den so zahlreich Kritisierten würde sie die Möglichkeit nehmen, nun ihrerseits das anzugreifen, was „doch nicht besser ist" — und daraus vielleicht gar noch eine neue Rechtfertigung für das zu machen, was „vielleicht nicht perfekt, aber immer noch das Beste ist". Einer Zeit schließlich, die sich so gerne „kritisch" nennt, könnte es doch nicht mißfallen, wenn ein Ergebnis auch einmal „rein negativ" ausfiele. Wenn dennoch ein letztes Kapitel Ansätze für eine mögliche Standortbestimmung der Sozialbindung aufzeigen soll, so geschieht dies zwar i n der äußersten Skepsis, ob hier irgend etwas Wesentliches ausgesagt werden kann — und dies sei keine captatio benevolentiae: Wer so viel Zweifelhaftem begegnet ist, muß sich doch wirklich fragen, ob überhaupt hier etwas beizutragen ist. Doch weil er überzeugt ist, daß etwas Grund-
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E. Ansätze einer möglichen Abgrenzung nach geltendem Recht
sätzliches entwickelt werden muß, von wem immer, deshalb muß zu diesen Ansätzen geschrieben werden, u m den Raum der Diskussion zu vergrößern. 2. Wenn es nicht gelingt, feste Grundsätze des Eigentumsrechts aufzuzeigen oder zu entwickeln, so ist nicht nur dieses zentrale Grundrecht, es sind die sozialpolitischen Grundlagen dieser Gemeinschaft in großer Gefahr: Das öffentliche Recht ist heute i n vielen Bereichen durch Verfassungsrecht und Verfassungsinterpretation verfestigt. Hier findet alle sozialpolitische Dynamik, jede Reformbestrebung feste Schranken. M i t Sicherheit w i r d sie sich daher dorthin wenden, wo weithin freies Feld ist — zum Eigentum, wo sie nur Formeln der Vergangenheit findet, die schon mehrmals unterschiedlich ausgelegt worden sind und gerade deshalb neuer Sinnerfüllung offenstehen. Und wenn hier nun endlich größere Eigentumsentscheidungen normativ getroffen werden — das erste Mal seit vielen Jahrzehnten —, so w i r d sich eben diese sozialpolitische Dynamik grundlegend ändern. Sie w i r d nicht mehr i n freier gesellschaftlicher Fluktuation, i n den unfaßbaren „Grenzen" der Verfassung, i n einem plébiscite de tous les jours, täglich neu die Balance zwischen Eigentum und Sozialbindung finden, sondern der Staat w i r d m i t Befehl und Gewalt die Sozialpolitik offensiv gestalten, i m Namen einer Sozialbindung, die von ihm täglich neu gesteuert wird. Damit würden sich aber nicht nur die Methoden, die gesamte Strukt u r bisheriger Sozialpolitik wandeln, es käme auch zu einer Veränderung der Staatsform: Die politische Dynamik würde dann i n einem freien Raum wirken, i n dem es weder rechtliche Kanäle noch auch nur feste juristische Kategorien gäbe. Es würden sich also aus i h r neue Begriffe entwickeln, die sich jedoch weder i n die bisherige Grundrechtsdogmatik, noch i n die Rechtsstaatlichkeit einfügen. Bald w i r d man dann behaupten können, daß der Rechtsstaat am Eigentum gescheitert sei — m i t Recht, wenn es dieser Ordnung, die überall auf vorhersehbare Normierung abstellt, nicht gelingt, i m Eigentumsbereich etwas anderes als Billigkeit zu schaffen. Es hat keinen Sinn, von der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu sprechen, wenn deren Vertreter zum Eigentum nur zu sagen wissen, daß es bis zu einer „Opferschwelle" entschädigungslos entzogen werden kann, die i m Einzelfall zu bestimmen sei. Der „Einzelfall" ist kein Prinzip, das man i m Namen der streitbaren Demokratie m i t Armee und Verfassungsschutz verteidigen könnte. Wenn es keine Prinzipien gibt, nach denen die Grenzen des Eigentums, und damit die Sozialbindung, bestimmt werden können, so hat diese Staatsordnung i m entscheidenden Punkt keine geistigen Grundlagen. Ihre Vertreter werden unglaubwürdig, denn sie bekämpfen auf den Mauern der Freiheit etwas, was sie selbst i m trojanischen Pferd des sozialgebundenen Eigentums in die Stadt zerren.
Vorbemerkung: Sinn der folgenden Ausführungen — Plan
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Wenn man die meisten der hier kritisierten „Kriterien" „ v o l l ausschöpft", bis an die „Grenzen" geht, die sie angeblich der Einwirkung der Staatsgewalt ziehen, so kann man sowohl den faschistischen Staat des totalitären Gemeinwohls wie auch den sozialistischen Staat der totalitären Gemeinwirtschaft errichten. Jene wahrlich „formale" „bürgerliche" Freiheit kann dann als Fassade stehen bleiben, wenn sich die Staatlichkeit hinter ihr bequem i m Eigentum einrichtet. Das GG hat tönende Entscheidungen getroffen oder aus der Vergangenheit übernommen. Nicht selten sind es aber „Entscheidungen, die nichts kosten" — teuer würde die offene Entscheidung über die Sozialbindung des Eigentums, deshalb sollte sie dem Staat auch teuer sein. I n Freiheit kann sie nur fallen, wenn sie dem sozialbindenden Staat klare und feste Schranken zieht, m i t einiger Überspitzung könnte man sagen: Hier gibt es bisher Worte der Verfassung — ein eigentliches Verfassungsrecht gibt es noch nicht. Hier muß sich das GG bewähren, es muß sich zeigen, ob es soviel an systematischer K r a f t besitzt, daß sich jene „Lücke" verfassungskonform schließen läßt, oder ob sich hier Wucherungen ansiedeln, welche die gesamte Verfassungsordnung eines Tages zerstören können. Es liegt viel Richtiges i n der Forderung, daß der Sozialstaat endlich realisiert werden soll, daß die Sozial- und Wirtschaftsverfassung nicht auf ewig ausgeklammert werden darf. Auch das Grundgesetz ist keine „ v o l l realisierte Verfassung". A m Eigentumsrecht w i r d sich zeigen, ob sie sich aus sich selbst hinaufpflanzen, oder ob sie langsam, aber sicher absterben wird. 3. Doch das Entscheidende an dieser Selbstverwirklichung der Verfassung im Eigentumsrecht ist dies: Es muß eine Verfassungsentscheidung sein, die aus einem begrifflichen und normativen Eigengewicht der Verfassung kommt. Abzulehnen sind alle jene zahlreichen Vorschläge, die nur darauf hinauslaufen, dem einfachen Gesetzgeber der Sozialpolitik die alleinige Verantwortung für die Verwirklichung des Sozialstaates zuzuschieben. Seine Ausgestaltung i m einzelnen mag i h m i m wesentlichen obliegen 4 1 4 ; doch es wäre ein Widerspruch i n sich, wollte man diese unantastbare Grundentscheidung der Verfassung (Art. 20, 79 Abs. I I I GG) v o l l zur Disposition der einfachen Parlamentsmehrheit stellen. Die Verfassung muß hier i m wahren Sinn des Wortes normativ orientieren, und deshalb muß gerade die Eigentumsgarantie aus Verfassungsrecht und aus Verfassungsprinzipien heraus der sozialstaatlichen Gesetzgebungsdynamik feste Schranken ziehen 415 .
414
BVerfGE 1, S. 105; 8, S. 329. Davon geht auch das BVerfG aus, w e n n es „wirtschaftsverfassungsrechtliche" Normen v o r allem der Nachprüfung an der Gewährleistung des P r i v a t eigentums u n t e r w i r f t (BVerfGE 14, S. 275). 415
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E. Ansätze einer möglichen Abgrenzung nach geltendem Recht
I m jetzigen Stand der Abgrenzungsbemühungen der Sozialbindung kann dies nur höchst unvollständig gelingen. Der Abstand, oft Abgrund zwischen den stolzen Großformeln und „Theorien" der Rechtsprechung, zwischen Sonderopfer und Privatnützigkeit auf der einen Seite — und dem oft nach reiner Billigkeit entschiedenen Einzelfall auf der anderen ist so groß, daß dies gerade den Gesetzgeber anlockt. W i r d er nicht i m Namen eben der Rechtsstaatlichkeit i n dieses sozialpolitische Vakuum gezogen, i n dem das Verfassungsrecht versagt? Ist dann nicht noch besser die schärfste eigentumsbeschränkende Gesetzgebung als eine Judikatur, die sich nur zu oft ersichtlich unwohl fühlt i n der Rolle eines „Platzhalters der Gesetzgebung"? Im Prinzipiellen muß also für die Abgrenzung Sozialbindung — Eigentum etwas geschehen. Aufgerufen ist dazu jenes Organ, das zugleich die Höhe der Verfassung und die sozialpolitische Unabhängigkeit der richterlichen Gewalt verkörpert: das Bundesverfassungsgericht Das Schrifttum kann nur Entscheidungshilfe leisten — i m Wegräumen unbehilflicher Formeln und Kategorien, wie dies i n dem Vorstehenden unternommen worden ist, und i n jenen Ansätzen, die i m folgenden aufgezeigt werden sollen. Zunächst werden hier „methodische" Grundsätze aufgestellt (im folg. I.), darauf folgen Thesen zur inhaltlichen Abgrenzung des unantastbaren Eigentums gegenüber dem sozialbindenden Staat. Sie versuchen, gewisse Grundsatzaussagen der bisherigen Judikatur i n ihrem verfasungsrechtlichen Gewicht für die Sozialbindung zu bestimmen und verfassungsrechtlich zu systematisieren: die Bedeutung der „Entziehung von Gütern als Enteignung" für die Grenzen der Sozialbindung; die Gewährleistung des Eigentums und die herkömmlichen Eigentumsinhalte; Vertrauen und Bestandsschutz des Eigentums m i t Blick auf die Rechtsstaatlichkeit (im folg. I I - IV). Sodann w i r d der private Eigentümer i n seiner grundsätzlichen Bedeutung als „Organ der Wirtschaftsverfassung" dargestellt und dabei sein notwendiger „privat-eigentumspolitischer Spielraum" untersucht (im folg. V). I n den letzten Abschnitten (VI, V I I ) werden Grundentscheidungen des organistorìschen Staatsrechts (insbesondere der „Steuerstaat") auf ihre eigentumsrechtlichen Auswirkungen geprüft. I. „Methodische" Ansätze zu einer Untersuchung der Sozialbindung Die Frage nach der Sozialbindung läßt sich, die bisherigen Diskussionen zeigen es deutlich, nicht kurzer Hand m i t glatten Aussagen über den möglichen Raum der Sozialbindung i m ganzen und die möglichen Zweckrichtungen der Sozialbindung i m einzelnen beantworten. Es gilt vielmehr, zunächst den Weg abzustecken, auf dem solche Aussagen gewonnen werden können. Dabei geht es teilweise u m die Methode i m engeren Sinn,
I. „Methodische" Ansätze zu einer Untersuchung der Sozialbindung
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d. h. darum, welche juristischen Erkenntnis- oder Gestaltungsmittel überhaupt eingesetzt werden können, zum Teil w i r d so aber auch schon das Ziel der Untersuchung, wenn auch sehr allgemein, fixiert. I n diesem weiteren Sinn jedenfalls können sich die folgenden Ausführungen als methodische verstehen. 1. Nicht der Inhalt, sondern die Grenzen der Sozialbindung sind zu bestimmen
a) Sozialbindung des Eigentums ist eine Form des Gesetzesvorbehalts. Den Eingriffsraum, welchen der Gesetzesvorbehalt eröffnet, darf der Gesetzgeber ausfüllen, ohne daß er jeden seiner Eingriffe in spezieller Weise zu rechtfertigen brauchte; er muß lediglich die allgemeinen Grundsätze (Notwendigkeit, Übermaß verbot u. ä. m.) dabei beachten. Wenn also eine (neue) Form der Sozialbindung statuiert wird, so bedarf der Gesetzgeber nicht einer spezifischen Legitimation, er muß nicht nachweisen, daß der jeweils verfolgte Zweck i m öffentlichen Interesse liege. Was öffentliches Interesse ist, bestimmt eben der Gesetzgeber. Wohl aber muß jede Form der Sozialbindung die Grenzen achten, die diesem Gesetzesvorbehalt durch die Verfassung gesetzt sind. Diese Grenzen aber bestimmen sich nicht nach dem öffentlichen Interesse 416 oder i n einer Abwägung von öffentlichem Interesse und Eigentumsrecht 417 , die etwa i n jedem Einzelfall stattzufinden hätte. Wäre eine solche Abwägung vonnöten, so müßte der Gesetzgeber i n jedem Fall das besondere öffentliche Interesse begründen, welches die Sozialbindung legitimiert, insbesondere müßte er dessen jeweilige Intensität dartun, w e i l ja von ihr die Grenzen der Sozialbindung i n concreto abhingen. Praktisch wäre dies kaum möglich, Kriterien, nach denen die Intensität des öffentlichen Sozialbindungsinteresses einheitlich i n jedem Fall gemessen werden könnten, gibt es nicht. Hier wenigstens gilt auch: Der Gesetzgeber ordnet an, er begründet nicht; seine Begründungen könnten auch nur Floskeln sein. Außerdem würde eine solche Abwägung von staatlichen Sozialbindungs- und privaten Eigentumsinteressen nur dazu führen, daß die Grenzen des Eigentums nicht m i t Blick auf dieses allein, sondern (auch) unter Berücksichtigung des jeweiligen Eingriffsinteresses bestimmt würden, was m i t dem Grundrechtscharakter des Eigentums nicht vereinbar wäre 4 1 8 . Schließlich würde eine solche Legitimation des Sozialbindungsinteresses zu beweglichen Eigentumsgrenzen führen, was aus grundsätzlichen Erwägungen abzulehnen ist 4 1 9 . 416 417 418 419
Siehe oben C I I I 1 . Vgl. oben C I I I 2. Siehe oben D I . Siehe dazu oben C I 1 .
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E. Ansätze einer möglichen Abgrenzung nach geltendem Recht
b) Daraus, daß die Sozialbindung i m Einzelfall keiner Legitimation bedarf, solange sie die Eingriffsschranken achtet, welche die Verfassung zieht, ergibt sich aber, daß Sozialbindung nicht näher positiv definiert werden kann. Sozialbindung ist, materiell-rechtlich, jeder Eingriff der Staatsgewalt i n das Grundrecht des Eigentums, der keine Entschädigungspflicht auslöst. Dies aber bedeutet: Bei der Sozialbindung kann nie nach dem Inhalt, es kann stets nur nach den Schranken gefragt werden. Die Sozialbindung bietet kein Inhalts-, sondern ein Abgrenzungsproblem. Die heute so häufig erhobene Forderung, die Sozialpflichtigkeit des Eigentums müsse „ v o l l realisiert" werden, richtet sich nicht an das geltende öffentliche Recht, insbesondere nicht an das Verfassungsrecht. Ob und i n welcher Weise der Gesetzgeber bis „an die Grenzen" der Sozialbindung geht, ist eine Frage der Rechtspolitik, nicht ein Grundrechtsproblem. Das Verfassungsrecht aber setzt die Grenzen, die dabei nicht überschritten werden dürfen. Wer die Diskussion um die Sozialbindung m i t deren Legitimation beginnt, setzt methodisch am falschen Punkt an; nicht selten allerdings soll eine besonders intensive Begründung gewisser Sozialbindungsvorhaben nur dazu führen, die Grenzen eben zugunsten des Staates zu verschieben: Wo „besondere Notwendigkeiten" bestünden, da müsse eben das Eigentum weichen. Dem ist jedoch m i t aller Entschiedenheit entgegenzutreten. Das Eigent u m ist kein „schwammiges Grundrecht", welches durch die Faust der Staatsraison beliebig zusammengepreßt werden könnte. Es steht nicht einmal unter einem Krisenvorbehalt 4 2 0 , geschweige denn unter dem Vorbehalt des allgemeinen öffentlichen Interesses, es stünde sonst unter einem permanenten Notstandsrecht — wann hat irgend jemand denn „genug Eigentum" — insbesondere der S t a a t . . . ! A n dieser Entscheidung w i r d keine Eigentumsdiskussion mehr vorbeikommen: Wenn man sich intensiv auf eine Legitimation der Sozialbindung einläßt oder gar deren Begründung sucht, so steht dahinter schon die Absicht, das Eigentum zurückzudrängen. Es ist denn auch hier nie gefragt worden, welche Gemeinschaftsinteressen i m einzelnen die Sozialbindung tragen können 4 2 1 . Vor jedem Eingriff aber stehen die Grenzen unbedingt fest. Wer die Sozialbindung rechtlich nicht als ein reines Schrankenproblem sieht, für den kann es kein Grundrecht des Eigentums geben. 420
Oben C 1 3 b. Bei der Berufs- u n d Gewerbefreiheit sind allerdings nach dem Apothekenu r t e i l (BVerfGE 7, S. 377) die freiheitsbeschränkenden Interessen besonders darzutun. Doch dies steht der hier vertretenen Auffassung nicht entgegen: A r t . 12 GG steht gegenüber A r t . 14 GG unter einem andersartigen u n d spezielleren Gesetzesvorbehalt; auch dort sind allerdings die hier beschworenen Gefahren auf getreten: Durch solche Begründungen, die meist rein floskelhaft bleiben, w i r d der grundrechtliche Freiheitsraum i m Ergebnis eingeengt. 421
I. „Methodische" Ansätze zu einer Untersuchung der Sozialbindung
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2. Eine Abgrenzung der Sozialbindung durch eine „Formel" ist unmöglich
Nichts hat sich ganz allgemein für die Sozialbindung besser bestätigt als die Skepsis des B G H 4 2 2 : Es „läßt sich keine logisch zwingende, alle A b grenzungsfragen von vornherein klar entscheidende Formel" zu ihrer Abgrenzung finden. Die Formeln der obersten Gerichte haben ebenso versagt wie die entsprechenden „Theorien" des Schrifttums. Sozialbindung des Eigentums ist keine Materie für elegante „Großformeln". Daraus darf jedoch nicht sogleich geschlossen werden, daß die Abgrenzung der Dynamik der sozialpolitischen Gesetzgebung zu überlassen oder i n der Billigkeitsentscheidung des Richters völlig aus dem materiellen Recht zu lösen wäre. Dies wäre der Verzicht auf die verfassungsrechtliche Grundentscheidung des Eigentums. Der wesentliche methodische Fehler lag vielmehr darin, daß die Abgrenzung m i t einer materiellen Formel aus einem möglichst einheitlichen Gesichtspunkt heraus geleistet werden sollte. Dies aber kann nicht gelingen; nicht so sehr wegen der Vielfalt der Interessen, welche die Sozialbindung begründen, sondern vor allem, w e i l die unübersehbare Vielfalt von Lebenssachverhalten entgegensteht, die unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des Eigentums zusammengefaßt werden. Hier kann nie ein einheitliches materielles Kriterium gefunden werden, welches vom Unternehmen bis zum Grundstück, von der Forderung bis zum Goldbarren überall m i t absoluter Treffsicherheit den Kernbereich bezeichnen könnte. Vielleicht könnte man noch die „Substanz" von gewissen materiellen, greifbaren Gütern einheitlich bestimmen — und müßte auch hier bereits nach Mobilien und Immobilien sowie nach Kategorien von solchen differenzieren. Nachdem aber der verfassungsrechtliche Eigentumsbegriff auf Rechte und Inbegriffe von solchen ausgedehnt worden ist, muß jeweils zunächst bestimmt werden, was denn nun das betreffende Eigentum „als Gut" seinem Wesen nach sei — und daraus ergeben sich dann spezifische Substanzgrenzen. V ö l l i g einheitliche Substanzgrenzen lassen sich aber nur insoweit finden, als Eigentumsgegenstände ihrem wirtschaftlichen Wesen entsprechend von einheitlicher Natur sind, wie dies etwa i m Grundstücksbereich der Fall sein mag. Sicher lag daher eine gewisse Weisheit darin, daß man früher die Enteignungsproblematik auf diesen Bereich beschränkt hat. Die Abgrenzung muß also einerseits von dem ausgehen, was die Verfassung vom Eigentum, von allem Eigentum erwartet, von den Gründen, aus welchen heraus so heterogene Güter einheitlich i n A r t . 14 GG geschützt worden sind; zum anderen darf die Entscheidung für das Eigentum i m Grundgesetz nicht isoliert, sie muß i m Gesamtsystem der Verfassung gesehen werden, auch daraus ergeben sich für alles Eigentum 422
B G H Z 6, S. 270 (280).
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E. Ansätze einer möglichen Abgrenzung nach geltendem R e t
gewisse abgrenzende Folgerungen. Es kann also nur unter Berücksichtigung einer Reihe von Gesichtspunkten, nicht unter Zugrundelegung eines einzigen Kriteriums gelingen, die Grenzen des Eigentums einigermaßen zu befestigen. N u r so läßt sich auch eine gewisse Elastizität erreichen, welche nicht i n Variabilität zu entarten braucht. Es gilt sodann, diese Gesichtspunkte, soweit irgend möglich, zu gewichten und zu kombinieren. Dies ist eine Aufgabe der Systematisierung, welche nur i n langem, bewußtem und entschiedenem Bemühen gelöst werden kann. Eine schwache Zone i n der Grundrechtsdogmatik von solchen Ausmaßen kann nur dadurch abgesichert werden, daß von allen Seiten gebaut und dann verfassungssystematisch verschränkt wird. Darin w i r d sich dann die Systematisierungskraft der Verfassung, des öffentlichen Rechts überhaupt erweisen. Auszugehen ist jedoch stets davon: Sozialbindung ist kein E i des Kolumbus und kein gordischer Knoten, hier kann nichts einheitlich, nichts gewaltsam gelöst werden. Hier muß die Mechanik der Demokratie als der „komplizierten Staatsform" zu einer ausgewogenen Kombination von mehreren Gesichtspunkten führen; hier sollte sich die Pluralität der Gesellschaft i n einer Kriterienpluralität niederschlagen. Wie das B i l d des „grundgesetzlichen Menschen" nicht m i t einem Strich zu zeichnen ist, so kann auch dessen Beziehung zu den Gütern dieser Welt nicht m i t einer einzigen Formel erf aßt werden. Der Eigentümer, dessen Person das Eigentum „dienen" kann, steht nach der Verfassung i n verschiedenen Bezügen: i m status activus als Träger der politischen Macht und als Organ der Wirtschaftsverfassung; i m status positivus als Leistungsempfänger; i m status negativus als .„still Besitzender". Alle diese Rollen aber prägen auch sein Verhältnis zum Eigentum, ihnen allen muß die Abgrenzung der Substanz des Eigentums Rechnung tragen. Schon aus der Rollenvielfalt des Bürgers i m demokratischen Staat folgt die Kriterienvielfalt bei der Begrenzung seines Eigentums. 3. Die Bestimmung der Sozialbindung muß „induktiv" von einer Systematisierung der Eigentums Judikatur ausgehen
Die einzelnen Kriterien für die Grenzbestimmung des Eigentums können nicht alle positiv-rechtlich dekretiert werden. Ein solches Verfahren der allgemeinen Bestimmung der Grenzen der Sozialpflichtigkeit durch Gesetz würde das gesamte Eigentumsrecht zu einem großen Bereich der „Verfassung nach Gesetz" machen und das Grundrecht praktisch der Dynamik der sozialpolitischen Gesetzgebung überantworten. Zur Verfügung steht jedoch die umfangreiche Eigentumsjudikatur, insbesondere der obersten Gerichte. Sie mag von bedenklichen „Großformeln" ausgegangen sein, i n ihren Einzelbegründungen häufig nicht die Verbindung
I. „Methodische" Ansätze zu einer Untersuchung der Sozialbindung
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zum Grundsätzlichen gesucht haben. Dennoch ist die Entscheidung des Einzelfalles meist nicht aus „reinen", anknüpfungslosen Billigkeitserwägungen erwachsen; die Urteile fügen sich zu Reihen, die ihrerseits, sozusagen unterhalb der Ebene der hier kritisierten „Großformeln", einzelne „Subprinzipien" erkennen lassen — von der Eingriffsdauer bis zum Vertrauen, von der Tradition bis zur Existenzvernichtung. Diese sind häufig nur für einzelne Bereiche wirklich faßbar und stellen dort das eigentlich geltende Recht des Eigentums i n einer Präzedentienkette dar. Es gilt, diese Aussagen auf ihre Anwendbarkeit i n anderen Bereichen zu prüfen und auf solche Gesetzesanalogie den Versuch der aufsteigenden Rechtsanalogie folgen zu lassen. Hier besteht i n der Regel keine allzu große Gefahr einer systematisch bedenklichen „Interpretation von unten nach oben". Was die Gerichte teilweise seit Jahrzehnten entscheiden, ist eben häufig ein Ausdruck jener „deutschen Rechtskultur", welche schon i n der Weimarer Zeit ihren Niederschlag i n den Grundrechten und damit vor allem auch i m Eigentum finden sollte. Gerade hier, wo die Dogmatik noch immer weit unterentwickelt ist, w i r d der Gehalt der Verfassung auch darin faßbar, daß man entschieden hat, ohne sie bewußt realisieren zu wollen. Eine Entfaltung der Grenzen der Sozialbindung aus der Judikatur, wie sie i m folgenden nur an einzelnen Punkten exemplarisch begonnen werden kann, entspricht i n der i n ihr zum Ausdruck kommenden Kontinuität dem rechtsstaatlichen Vertrauen, das der Bürger i n das überdauernde Eigentum haben kann und soll. Sie zeigt aber auch dessen Rang: Es handelt sich eben nicht u m eine kontingente politische Entscheidung des Grundgesetzes, sondern um eine der Grundlagen des gesamten deutschen Konstitutionalismus. Gerade wenn Sozialbindungskriterien aus beständiger Judikatur entwickelt werden, kann wirklich deutlich werden, womit derjenige brechen muß, der das Eigentum i n seiner Substanz angreift. Wer dergestalt induktiv Verfassungsrecht aus der Judikatur entfalten, Verfassungsentscheidung dem Pouvoir en quelque façon n u l entlocken w i l l , der macht gewiß aus der Not prinzipienloser Entscheidung die Tugend der Prinzipiengewinnung. Dies aber ist vielleicht gerade einer unter mehreren verfassungskonformen Wegen — daß man die Einzelurteile als Vorbereitung für das nehme, was sie nicht leisten konnten und durften, für die Entwicklung des Grundsätzlichen. Denn alle oft leichte K r i t i k an den Großformeln der Judikatur muß insoweit auch Selbstkritik sein: Vom Richter der ordentlichen Z i v i l - und Verwaltungsgerichtsbarkeit konnte mehr nicht erwartet werden; für i h n war all dies ungesicherte Prinzipielle letztlich auch nie etwas anderes als — Arbeitshypothese, ein generelles Bekenntnis zu einer Verfassung, deren spezielle Wirkungen 13 Leisner
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E. Ansätze einer möglichen Abgrenzung nach geltendem Recht
i n den Eigentumsbereich hinein bisher von der Theorie vernachlässigt worden waren. Schließlich entspricht die Induktion aus der Judikatur einer Besonderheit der Verfassungsgarantie des Eigentums: Seine „Funktion" ist der Nutzen für den Eigentümer und letztlich ist er es weitestgehend, der damit i m Einzelfall die „Funktion des Eigentums" bestimmt, nach der i n der Theorie so häufig gefahndet worden ist. Nur i m einzelnen Streitfall aber zeigt sich wirklich die „Interpretation", die der Eigentümer seinem Eigentum gibt; nur aus Ketten solcher Fälle ergibt sich, i n einer gewissen Typisierung, das typische, damit aber auch das eigentliche Eigentümerinteresse, welches der Ausgangspunkt jeder Substanzbestimmung des Eigentums zu sein hat. Der verfassungskonforme Weg zur Bestimmung der Grenzen des Eigentums führt also über eine Systematisierung jener Judikative, i n der allein die Eigentümer, die Betroffenen, wirklich zu Wort kommen. I n diesem Sinne ist das Aufsteigen aus der Judikatur auch eine eminent demokratische Methode der Ermittlung der Substanz eines Grundrechts. Der Richter war stets der vornehmste Schützer des Eigentums, ohne ihn können seine Grenzen zur Sozialbindung nicht bestimmt werden. 4. Die Grenzen der Sozialbindung liegen kraft Verfassung fest; sie sind aus Verfassungsrecht zu bestimmen
Die Abgrenzungskriterien der Sozialbindung sind Verfassungsrecht, nicht ein besonderes Verwaltungsrecht, das nur „ i m Ergebnis" darauf zu überprüfen wäre, ob es „noch" m i t allgemeinsten Formeln der Verfassung harmonisiert werden kann. Die Grenzen des Eigentums müssen daher aus den Prinzipien des Grundgesetzes heraus entwickelt, nicht nur an diesen gemessen werden. Zwischen diesen beiden Möglichkeiten liegt ein wesentlicher methodischer Unterschied: Wer die Verfassung nur i m Sinne eines letzten Kontrolltests einsetzt, nimmt i n Kauf, daß sie nur einen alleräußersten Rahmen bietet; wer positive Aussagen der Verfassung sucht, sie zum normativen Ausgangspunkt der Grenzziehung macht, der erwartet von i h r konkrete Inhalte oder er ist bereit, solche aus ihr zu entwickeln. Nur dieses letztere Verfassungsverständnis kann, vor allem bei den Grundrechten, das Grundgesetz am Leben erhalten; ein allgemeiner Prinzipienkodex wäre nichts anderes als eine Marktwaage, auf der man die Einzelfall-Dosen des Apothekers nachwiegen wollte. Wenn die Grenzen der Sozialbindung nicht kraft Verfassung festliegen, so ist das Problem der Sozialpflichtigkeit des Eigentums schon gelöst: durch globale Kompetenzzuweisung an den einfachen Gesetzgeber, oder an die Billigkeit des Richters. Gerade wenn hier dem Gesetzgeber an sich
I. „Methodische" Ansätze zu einer Untersuchung der Sozialbindung
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schon ein „verhältnismäßig weiter Beurteilungsspielraum" 4 2 3 bleibt — und wer wollte dies bestreiten? —, müssen die Grenzen fest sein, soll nicht alles Gesetzgebung werden. Die Sozialbindungsgrenzen sind nach den Grundgedanken des A r t . 14 GG zu bestimmen, der den Eingriffsvorbehalt statuiert hat, doch diese Bestimmung kann nicht der einzige Anhaltspunkt sein. Es muß methodisch etwas erfolgen wie eine „induktive Sammlung von Gesichtspunkten" auf der normativen Höhe des Verfassungsrechts. Die Grundentscheidungen der Verfassung, auch deren organisationsrechtliche Gestaltungsformen, sind darauf zu untersuchen, was sich aus ihnen für das Eigentum und für den Eigentümer als „Organ der Gesellschaft und der Staatlichkeit" ergibt. Eine „konstruktive", fortentwickelnde Interpretation des Eigentumsartikels der Verfassung w i r d sicher erforderlich sein; gerade dafür haben die Verfassunggeber die besondere richterliche Instanz des Bundesverfassungsgerichts geschaffen. Doch auch dieses Organ kann „neue" Lösungen nicht aus der L u f t greifen, es darf auch nicht einfach aus dem „Vollen" irgendeines sozialpolitischen Diskussionsstandes des heutigen Tages schöpfen, Verfassungsrecht ist nicht die Summe tagtäglicher Wünsche. Doch dieses Grundgesetz bringt viele, kleine und große Entscheidungen; sie alle haben Ausstrahlungskraft für den, der die brückenbauende K r a f t der Analogie besitzt. I n diesem Sinn ist eine wahrhaft verfassungsrechtliche Lösung möglich, wenn nicht A r t . 14 GG, sondern die Gesamtverfassung m i t Blick auf das Eigentum ausgelegt wird. Die (oben 3) geforderte „induktive" Gewinnung von Grenzen der Sozialbindung aus der Judikatur, nicht aus deren „Großformeln", sondern aus „Reihen von Einzelfällen", steht dem verfassungsrechtlichen Ziel der Lösung, dem verfassungsrechtlichen Charakter der zu gewinnenden Normen nicht entgegen. Auch diese Rechtsprechung hat ja Verfassungsrecht gesetzt — „unbenanntes" vielleicht, ohne ausdrückliche Anbindung an das Grundgesetz, ohne den Versuch der systematischen Deduktion. Und doch hat eben diese Rechtsprechung die Brücke vom Einzelfall zur höchsten Norm von unten begonnen; es gilt nun, sie von oben zu vollenden. Eine wirklich verfassungsrechtliche Lösung, welche den Abstand der unübersehbaren Wirklichkeit zu der stolzen Einfachheit der verfassungsrechtlichen Normhöhe überwinden w i l l , kann nur aus einer Verschränkung von judikativer Induktion und verfassungsprinzipieller Deduktion erwachsen. Die Bestimmung der Grenzen der Sozialbindung aus Verfassungsrecht ist nicht ein Gegensatz zur Induktion aus Richterrecht, sie ist deren notwendige Ergänzung und Vollendung. Was gut ist an der Fortentwicklung der Sozialbindung durch den Richter, die einzelfallbezogene Elastizität, das kann nur i n der prinzipiellen Norm des Verfassungs423
13»
Vgl. BVerfGE 8, S. 71 (80); 10, S. 59; 18, S. 131.
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E. Ansätze einer möglichen Abgrenzung nach geltendem Recht
rechts seinen festen Ort und seine Begründung, aber auch seinen Spielraum gewinnen. Was gefährlich werden kann i n einem reinen Richterrecht des Eigentums, die prinzipienlose Zersplitterung, das kann nur i n der Verfassung Orientierung und Halt wiederfinden. Bei aller K r i t i k i m einzelnen: Die Richter haben diesem Staat eine gute Eigentumsordnung, ein zugleich elastisches und, i n Grenzen, noch vorhersehbares Recht gegeben. Wer diese Leistung zu schätzen weiß, der sollte nicht versuchen, die Judikative durch „Gesetze über Sozialpflichtigkeit" aus der tagtäglichen Entscheidung über die Güter unserer Welt zu verdrängen, sie zum Subsumtionsautomaten einer Sozialmechanik zu degradieren. Gerade deshalb bleibt letztlich nur die Lösung „Sozialbindung nach Verfassungsrecht", nicht nach sozialpolitischer Gesetzesdynamik. Durch eine entfaltete Verfassung erhält der Richter hinreichenden Halt und er w i r d doch nicht zum fremdgesteuerten Handlanger fallferner Autoritäten. I m Eigentumsrecht w i r d nicht befohlen, sondern geordnet, ausgleichend entwickelt. Dies ist der Rhythmus des Verfassungsrechts. Wer i h n v o l l durch den Rhythmus der Gesetzgebung ersetzen w i l l , der errichtet den sozialpolitischen Beutestaat, die „Ordnung", i n der i m Namen des Rechts exploitiert oder gestohlen wird. Sozialbindung nach Verfassung ist daher nicht nur eine Forderung der Dogmatik, sondern auch der Sozialpolitik. Wenn es Aufgabe der Verfassung ist, Werte zu sichern, i n deren Namen die Bürger einig sind, einig sein können, so müssen sich die Grenzen des Eigentums aus der Verfassung ergeben, nur i n ihrer Höhe kann so bedeutsame Einigkeit erwartet werden, eine Integration, die nicht Tag für Tag durch wechselnde Mehrheiten i n Frage gestellt wird. Und wenn die Verfassung nur diesen Namen verdient, soweit sie Dezision ist — wo gäbe es eine bedeutsamere, eine höhere Entscheidung als die über die Grenzen des Eigentums? Was immer also an staatstheoretischen Erkenntnissen gewonnen sein mag — es verweist die Sozialbindung i n die Verfassung. 5. Die Sozialbindung setzt dem Eigentum Grenzen; sie löst das Eigentum nicht in Einzelbefugnisse auf
Sozialbindung ist ein Grenzziehungsproblem, kein Definitionsproblem des Eigentums. Sie muß methodisch davon ausgehen, daß das Eigentum die grundsätzlich absolute Befugnis eines Menschen ist, über gewisse Güter zu herrschen und andere von deren Benutzung auszuschließen. Das Sozialbindungsproblem darf also nicht methodisch dergestalt unterlaufen werden, daß der Begriff des Eigentums aufgespalten und das einheitliche Eigentumsrecht i n eine Reihe von Einzelbefugnisse aufgelöst wird. Es obliegt zwar der Rechtsprechung, die „eigentumsfähigen Güter" festzu-
I. „Methodische" Ansätze zu einer Untersuchung der Sozialbindung
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legen, hier mag auch eine gewisse Entwicklung festzustellen sein. I m ganzen ist diese Aufgabe jedoch bisher immer so verstanden worden, daß Eigentumsgegenstand eben das sein sollte, was sich i m wirtschaftlichen Bereich als eine A r t von „selbständigem Gut" herausgebildet und bewährt hatte. Das Recht sah sich hier stets auf eine Anerkennungsfunktion beschränkt: Ein Eigentumsrecht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb etwa wurde anerkannt, nachdem sich gezeigt hatte, daß der Betrieb als solcher — und nicht nur seine Bestandteile oder Ausübungsinstrumente — den Charakter eines eigenständigen Wirtschaftsgutes besaß und damit eigentumsfähig war. Das Recht muß dieser außerrechtlichen, vorwiegend ökonomischen Entwicklung des Güter-Begriffs durch die Anerkennung der Eigentumsfähigkeit Rechnung tragen, es darf nicht versuchen, die Realität der wirtschaftlichen Güterwelt dadurch zu manipulieren, daß ihnen die Anerkennung als „Eigentum" versagt wird. Wenn A r t . 14 GG das Eigentum so schützen w i l l , „wie es durch das bürgerliche R e c h t . . . geformt worden" i s t 4 2 4 (Hervorh. v. Verf.), so bezieht sich dies nicht nur auf den materiellen Inhalt des Eigentums, sondern auch auf die Grundsätze und Methoden dieser „Formung". Eines der wichtigsten Prinzipien des bürgerlichen Rechts w a r es hier jedoch stets, daß Vermögenswerte Güter als solche eben auch eigentumsfähig sind. M i t dem Zauberstab der „einzelnen Eigentumsbefugnisse" läßt sich jedes Eigentum nicht nur beliebig zertrümmern, verkleinern, ja atomisieren, es läßt sich geradezu i n nichts auflösen. Das „Eigentum am Grundstück" kann dann verstanden werden als ein Bündel von Befugnissen: das Grundstück zu betreten; sich dort zur Erholung aufzuhalten; i h m Bodenbestandteile zu entnehmen; es land- oder forstwirtschaftlich zu nutzen; es zu bebauen usw. Jede dieser „Befugnisse" kann ihrerseits wiederum aufgelöst werden, etwa nach Anbauarten oder nach Umfang und Form der Bebauung. Eine logische Grenze läßt sich überhaupt nicht mehr finden, wenn einmal die Auflösung des Eigentums in „Befugnisse" begonnen hat. I n Erkenntnis dessen ist von jeher das Eigentum so verstanden worden, daß der Eigentümer m i t i h m „nach seinem Belieben" verfahren dürfe. Damit war nicht an W i l l k ü r gedacht, es war nur eine Globalformel, welche die Zertrümmerung i n Befugnisse vermeiden wollte. Daß, vor allem i n der deutsch-rechtlichen Rechtsentwicklung, Einbrüche i n diese i m römischen Recht deutlicher gesicherte Begrifflichkeit stattgefunden haben, ist bekannt. Vor allem das Lehnsrecht hat zu vielfachen Eigentumsverschränkungen geführt. Heute würde man diese aber weithin eben als öffentlich-rechtliche Sozialbindungen verstehen, nicht so sehr als A u f lösung des einen Eigentumsbegriff s — w e n n es überhaupt noch möglich ist, 424
BVerfGE 1, S. 278; 2, S. 402; 11, S. 70.
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E. Ansätze einer möglichen Abgrenzung nach geltendem Recht
aus diesen Gestaltungsformen irgendetwas für die Gegenwart abzuleiten. Letztlich läßt sich aber auch aus diesen Vorstellungen heraus nichts Entscheidendes gegen die These vorbringen, daß eben spätestens seit der Neugeburt des öffentlichen Rechts i n der französischen Revolution eine einheitliche und grundsätzlich absolute Propriété dem sozialbindenden Pouvoir gegenübersteht. Wenn man das Eigentum i n Einzelbefugnisse auflöst, so wird begnfflich die Sozialbindung überflüssig. Man kann ja jeden einzelnen Eingriff des Staates i n das Eigentum derart „umkategorisieren", daß man dem Eigentumsrecht nur solche Befugnisse entnimmt, welche m i t dem betreffenden staatlichen Anspruch nicht kollidieren können; der Sozialbindungsraum würde damit einfach aus dem Eigentumsbegriff ausgeklammert. So muß dann ein allgemeines Betretungsrecht bei Seegrundstücken nicht mehr als Sozialbindung angesehen und nach deren Grenzen gefragt werden, es w i r d eben keine „Befugnis" angenommen, auf Grund des Eigentums am Boden ein unbebautes (oder vielleicht sogar bebautes) Grundstück i n unmittelbarer Nähe von Seen allseitig einzuzäunen. Wer weiter gehen w i l l , kann die Kommunalisierung von Stadtgrundstücken i n der Weise begründen, daß die „Befugnis zu Bauen" m i t dem Eigentum an Grund und Boden nicht notwendig gegeben sei und damit den Eigentümern von City-Grundstücken ohne jede Sozialbindung vorenthalten werden könne. Das Eigentum ist dann begrifflich gar nicht mehr ein „Recht", sondern nur ein Zurechnungspunkt für staatliche Konzessionen, eine Voraussetzung für Werte und Güter, die vom Staat verliehen werden: die Baukonzession, die Anbaukonzession u. ä. m. Der Status negativus w i r d dam i t vollständig i n einen status positivus umgemodelt: Der Einzelne hat kein Abwehrrecht, sondern allenfalls die Möglichkeit, vom Staat etwas zu fordern. Damit w i r d die Grundrechtsvorstellung des Grundgesetzes verlassen und die Auffassung der sozialistischen Staaten eingeführt, nach der Grundrechte ganz wesentlich auf Teilhabe gerichtet sind. Die Auflösung des Eigentumsrechts i n einzelne Befugnisse ist also grundsätzlich verfassungswidrig, sie vernichtet das Eigentum und widerspricht der eindeutig vom Grundgesetz vorgesehenen Möglichkeit der Sozialbindung. Dies wäre keine Lösung, sondern Gewalt gegen das Eigentum. Man überlege nur einmal, wie sich eine solche Methode bei anderen Freiheitsrechten auswirken müßte: Man würde dann etwa die Pressefreiheit i n verschiedene „Befugnisse" auflösen — diejenigen, sich „ k r i tisch gegen die Regierung" zu äußern oder zu „Fragen hoher Politik" unter gewissen Voraussetzungen Stellung zu nehmen, müßten ja gerade nicht dabei sein . . . So wie aber jede Freiheit i n sich eine Einheit bildet, so gilt dies auch für das Eigentum. Und eine Konzentrik hat bei einem Grundrecht keinen Sinn, wenn es nur ein Bündel von Befugnissen ist.
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Deshalb muß auch eine Unterscheidung von „Wert" und „Gebrauch" des Eigentums abgelehnt werden 4 2 5 , welche den Wert und allen wertbeeinflussenden Gebrauch eines Gutes zum Substanzkern des Eigentums rechnen, den Gebrauch i m übrigen jedoch dem Zugriff der Sozialbindung öffnen wollte. Wert und Gebrauch lassen sich überhaupt nicht trennen, weil der Wert vor allem durch die Möglichkeiten des Gebrauchs begründet wird. Einen Gebrauch, der den Wert überhaupt nicht berührt, kann niemand verbieten, er würde schikanös handeln (§ 226 BGB), die Allgemeinheit könnte er ebenso wenig von solchem Gebrauch ausschließen wie irgend einen anderen Bürger. Fraglich bleibt vielmehr wieder, wie schwer die Wertminderung sein darf, bis sie Entschädigungspflicht begründet — das aber ist das Problem der Grenzen der Sozialbindung. Eine Trennung von Wert und Befugnissen hift nicht weiter. Gewiß muß vor jeder Erörterung sozialbindender Eingriffe zunächst das jeweilige Schutzgut, das Eigentumsrecht, genau definiert werden. Dies darf aber nicht bereits m i t Blick auf den drohenden Staat geschehen, sonst wäre die Sozialbindung vor dem sozial Gebundenen. Für oder wider das Eigentum muß m i t offenem Visier gekämpft werden, nicht m i t rechtstechnischen Kunstgriffen. Grundrechte haben so viel an allgemein menschlicher und staatsgrundsätzlicher Bedeutung, daß man sie nicht mit rechtstechnischen Kategorien zerspielen darf, w i l l man nicht die Freiheit verspielen. Die Frage nach den Grenzen des Eigentums und damit dem Bereich der Sozialbindung ist kein „falsches Problem", das man durch Kategorien und Worte beseitigen könnte. Hier muß offen bekannt werden, wo man die Grenzen zieht. II. Totalentzug von Rechten und alles was ihm gleichkommt, ist nie Sozialbindung Nach der Verfassung löst alles, was enteignet, Entschädigungsverpflichtung aus (Art. 14 Abs. I I I GG) und geht über die Sozialbindung hinaus. I n der Praxis ist zur Bestimmung dieses Enteignungsbegriffs vor allem das K r i t e r i u m des Entzugs von Rechten herangezogen worden. Es stellt die erste verfassungsrechtliche „Annäherung" an eine mögliche Abgrenzung zur Sozialbindung dar. 1. Der Totalentzug von Rechten als Enteignung
Daß der Totalentzug irgendwelcher Eigentumsrechte stets Enteignung ist, daß nie Sozialbindung zu einer vollständigen Entwehrung führen 425
Wie sie etwa von Forsthoff,
E. (FN 346), S. 76 vertreten w i r d .
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dürfe, ist i n Schrifttum 4 2 6 und Rechtsprechung 427 unbestritten. Es w i r d meist als „unproblematisch" bezeichnet und vorwiegend rein begrifflich damit begründet, daß das eben nicht mehr „sozial gebunden" werden könne, was entzogen worden sei. Dieser Entzug ist als solcher i n jedem Falle Enteignung, selbst wenn er, etwa aus Gründen eines kompensierenden gleichzeitigen Vorteils, nicht zu voller Entschädigung führt. Überzeugend ist i n der Tat die Überlegung, daß die Verfassung selbst der Sozialbindung einen als „Enteignung" bezeichneten Eingriff gegenüberstellt. Dieser muß daher irgendeinen selbständigen Begriffskern haben. Ganz abgesehen davon, daß bisher stets die Entwehrung als Enteignung verstanden worden ist, läßt sich eine andere Kernbegrifflichkeit der Enteignung gar nicht vorstellen als eben die des vollständigen Entzugs eines Rechts. Dies bestätigt zunächst das, was oben 4 2 8 zur Auflösung des Eigentums i n einzelne Befugnisse ausgeführt worden ist. Wenn es nicht zulässig ist, verschiedene Eigentumsbefugnisse zu unterscheiden und zu fragen, ob sie jeweils durch die Sozialbindung berührt werden, w e i l auf diese Weise die Schutzfunktion des Eigentums zerstört würde, so kann auch das Umgekehrte nicht gestattet sein: Die Eigentumsgarantie würde viel zu weit ausgedehnt, wollte man Eigentumsbefugnisse unterscheiden und beim Entzug von jeder einzelnen, der ja meist nur eine gewisse Beschränkung des Gesamt-Rechts „Eigentum" bedeuten könnte, sogleich entschädigungspflichtige Enteignung annehmen. Jede Bauauflage könnte unschwer dadurch zur Enteignung gestempelt werden, daß man sie als „Entzug der entsprechenden Befugnis" etikettiert. Hier zeigt sich also, daß sich die „Auflösung des Eigentums i n Befugnisse" nicht nur gegen die Eigentümer, sondern auch gegen die Gemeinschaft i n unerträglicher Weise auswirken würde und daher nicht versucht werden sollte. „Totalentzug" kann nur dann ein Enteignungskriterium und zugleich eine Schranke der Sozialbindung sein, wenn es jeweils u m Eigentumsrechte, nicht u m einzelne aus ihnen etwa fließende Befugnisse geht. N u n ist jedoch nirgends je versucht worden, die Enteignung etwa auf den vollen oder „formalen" Entzug von Rechten zu beschränken. Einigkeit besteht vielmehr darin, daß auch andere Eingriffsformen die Schranken der Sozialbindung überschreiten und damit enteignend wirken können.
426 Reinhardt, R. (FN 391), S. 39; Schütz, W. (FN 141), S. 198; Bielenberg, W. (FN 156), S. 447; Bender, Β. (FN 98), S. 1297 u. a. m. 427 F ü r viele B G H M D R 1958, S. 493; B V e r w G D Ö V 1969, S. 426; B a y V e r f G H E 9, S. 14; B a y V e r f G H VerwRspr. 4, S. 289; OVG Rhld.-Pfalz, AS 3, S. 308. 428 1 5.
I I . Totalentzug ist nie Sozialbindung
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Der Grundsatz vom Totalentzug als Enteignung hat jedoch vor allem insoweit Auswirkungen für die Abgrenzung der Sozialbindung, als gewisse „Bindungen" dem Totalentzug gleichgestellt werden. 2. Bindungen, welche dem Entzug gleichkommen
a) Anerkannt ist, daß nicht mehr Sozialbindung, sondern bereits Enteignung vorliegt, wenn ein bestimmtes Eigentumsrecht zwar formell aufrechterhalten, „ i n seinem rechtlichen Kern jedoch vernichtet" w i r d 4 2 9 . Die Kategorie „Entzug" darf nicht formal verstanden, sie muß vom materiellen Inhalt des Rechts her bestimmt werden, sonst könnte sie nur allzu leicht unterlaufen werden, indem ein verschwindender Teil des Rechts belassen würde, der überdies völlig nutzlos wäre. b) Zur näheren Bestimmung eines so verstandenen und erweiterten Begriffs des „Entzugs" ist m i t Recht stets auf die Verfügungsbefugnis" abgehoben worden: „Die Verfügungsgewalt des Rechtsträgers darf nicht so weit beschränkt werden, daß sie praktisch nicht mehr besteht 4 3 0 ." Das Eigentum erschöpft sich nach der Rechtsprechung nicht allein i n der statischen Innehabung von Werten, die ohne weiteres von anderen verwaltet werden dürften und dabei doch (noch) Eigentum blieben; das Eigentum ist vor allem dynamisch zu verstehen, es ist dann „entzogen", wenn es vom Eigentümer nicht mehr „verwendet" werden kann, so wie er dies wünscht 4 3 1 . Dies ist schon aus sozialpolitischen Gründen heute besonders zu begrüßen. Das Eigentümer-Menschenbild des GG ist grundsätzlich nicht das vom untätigen Kapitalisten, sondern das des verfügenden und verwaltenden, des aktiven Eigentümers, der allerdings auch darin prinzipiell noch dynamisch sein kann, daß er zu Zeiten abwartet und auf Verfügungen und Verwendungen verzichtet. Dennoch bleibt der Grundsatz: Für den Begriff des „Entzugs" kommt es primär darauf an, wieviel an Verfügungsbefugnis vom Eigentum bleibt; das heißt aber: Enteignung ist grundsätzlich dann gegeben, wenn nahezu alle Verfügungsalternativen abgeschnitten sind und der Eigentümer i n eine völlige Einspurigkeit der Verfügung gedrängt wird, die sich nicht etwa schon aus der ökonomischen Natur des betreffenden Gutes ergibt. Damit ist nun zwar kein eindeutiges K r i t e r i u m gewonnen, w o h l aber ist die Verfügungsgewalt ein wertvoller Orientierungsbegriff für die Bestimmung der Grenzen der Sozialbindung. Sie bedeutet zunächst die rechtliche Dispositionsmöglichkeit und diese ist eben ein wichtiges Indiz für die Herrschaftsmöglichkeit des Einzelnen über Sachen. Sie umgreift 429 430 431
B a y V e r f G H VerwRspr. 4, S. 289. O V G Rhld.-Pfalz A S 4, S. 308. Vgl. dazu etwa O V G Lüneburg A S 22, S. 433.
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E. Ansätze einer möglichen Abgrenzung nach geltendem
echt
dann aber auch die wirtschaftliche Verwendung des Gutes. W i r d diese i n völlige Einspurigkeit gedrängt, indem bisherige oder gar herkömmliche Mehrspurigkeit verengt wird, so sind meist die Grenzen der Sozialbindung erreicht, wenn nicht überschritten 432 . c) Als zusätzliches K r i t e r i u m für eine Verfügungs- und Verwendungsverengung, welche einem Entzug des betreffenden Rechtes gleichzustellen ist, muß jedoch die wesentliche Beschneidung des wirtschaftlichen Nutzens noch hinzukommen, welche sich daraus für den Eigentümer ergibt. A u f sie kommt es vor allem an, weil ja Eigentum dann entzogen wird, wenn dem Eigentümer „nichts mehr bleibt". So sind sicher dann die Grenzen der Sozialbindung überschritten, wenn dem Eigentümer jede wirtschaftliche Verwendung eines bestimmten Gutes unmöglich gemacht, oder wenn er i n eine völlig „fruchtlose Einspurigkeit" der Verwendung gedrängt wird, die ihn zum einkommenslosen Verwalter seines eigenen Gutes degradiert 4 3 3 . Mehr als bisher sollte jedoch auch der meist wirtschaftlich bedeutende und häufig enteignende Verlust berücksichtigt werden, der eben schon darin allein liegt, daß dem Eigentümer die Verwendungsalternativen b und c abgeschnitten werden, wenn ihm auch i n der Möglichkeit a eine nutzbringende Möglichkeit bleibt. Ganz abgesehen von der ökonomischen Erfahrung, daß für eine ungewisse, fernere Zukunft, deren Chancen ja stets auch i n einem Gut stecken und mit i h m gekauft und verkauft werden, die Alternativen als solche meist ebenso wertvoll sind wie die Nutzungsmöglichkeit von heute — das GG sieht eben den Eigentümer nicht nur als den Rentier, der froh sein soll, wenn er von seinem Gut „irgend etwas hat". Der Wert eines Gutes liegt ganz wesentlich auch darin, daß man es mehrspurig einsetzen kann. Dies ist zugleich ein ideeller, ein echter Freiheitswert. Die Richter sollten ihn noch mehr als bisher als ein selbständiges Unter-Kriterium ihrer Entscheidungen berücksichtigen, denn das Eigentum darf nicht vollständig materialisiert werden. „Entzogen" ist es auch, wenn seine Nutzung zwar gut, faktisch aber völlig durch den Staat fremdbestimmt ist 4 3 4 . d) Zur näheren Bestimmung der Grenzen, bei deren Überschreitung eine Maßnahme zum „Entzug eines Rechts" wird, hat die Judikatur noch 432 Insoweit muß stets das Traditionskriterium noch ergänzend i n jener typischen „Verschränkung" v o n Gesichtspunkten herangezogen werden, ohne die sich die Sozialbindung nicht abgrenzen läßt, vgl. oben I, 2 sowie zur T r a d i tion unten I I I . 433 Siehe dazu Bielenberg, W. (FN 156), S. 447; OVG Lüneburg AS 22, S. 433. Hier ist auch noch die Rechtsprechung über die „natürlichen Verwendungsmöglichkeiten" eines Gutes heranzuziehen, die insbesondere f ü r Grundstücke entwickelt worden ist, vgl. B G H DVB11960, S. 557. 434 Z u r „Eigentümerinitiative", die stets bleiben muß, vgl. hierzu ergänzend, unten V.
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verschiedene andere „Subformeln" entwickelt, die alle nicht nur i m Einzelfall von Bedeutung sein, sondern auch als Ausgangspunkt einer Analogie dienen können: Gesetze, welche es dem Eigentümer unmöglich machen, sich gegen Eigentumsstörungen zu wehren, haben enteignenden Charakter 4 3 5 . Wenn der Eigentümer nicht einmal mehr die am Eigentum haftenden Verpflichtungen gegenüber der Allgemeinheit aus Nutzungen der Sache bestreiten kann, darf von Sozialbindung nicht mehr gesprochen werden 4 3 6 . Daraus ergibt sich etwa der Grundsatz, daß der Eigentümer nie dazu gezwungen werden darf, den Wert des Gutes laufend zu verringern und daß er auch nicht auf reine Zukunftserwartungen möglicher besserer Nutzbarkeit verwiesen werden darf: „Entzug" liegt schon i n der laufenden Wertminderung durch Abgaben; das Eigentum soll grundsätzlich kein Verlustgeschäft von heute sein müssen, das man allenfalls aus spekulativen Gründen eingeht. Der Staat darf zur Spekulation nicht zwingen, mag er sie i n aller Regel auch nicht verbieten dürfen 4 3 7 . Diese Beispiele zeigen, wie sich aus einzelnen Entscheidungen, welche die Verfassung eigenständig weiterdenken und dies auch formulieren, durchaus allgemeinere Grundsätze entfalten lassen. Es erweist sich jedoch auch, auf welchen Punkt alle diese Prinzipien immer wieder konvergieren: Der „Entzug", welcher zur Enteignung wird, kann nur m i t Blick auf das „Eigentum i n der Hand des Eigentümers" bestimmt werden, unter Berücksichtigung der Wirkungen also, welche die Maßnahme auf seine Verfügungs- und Verwendungsmöglichkeiten zeitigt. Eigentumsrecht ist keine ökonomische Mechanik, kein Spiel m i t Gütern, sondern deren Bezug zum Menschen. Und i n diesem Sinn ist Eigentum i n der Tat — ganz wesentlich Freiheit. e) Bisher noch grundsätzlich ungelöst, aber besonders klärungsbedürftig ist die Problematik der Teilenteignung. Eigentum w i r d sicher dann entzogen, wenn „reale Teile" eines Gutes genommen werden 4 3 8 , d. h. Teile, welche als solche gesondert rechtlich disponibel und ökonomisch verwertbar sind, selbst wenn dies i n concreto bei dem bisherigen Eigentümer nicht der Fall ist. Für diese reale Teilbarkeit eines Eigentumsgegenstandes kommt es ebenso auf die ökonomische Betrachtungsweise an, wie diese auch beim Güterbegriff vom Recht rezipiert wird. Problematisch ist jedoch, wie die Wirkung eines Teilentzuges auf den „Rest" des betroffenen Gutes zu beurteilen ist, d. h. es fragt sich, an welchem Punkt der Teilentzug zum Totalentzug wird. Hier w i r d gelegentlich allgemein darauf abgestellt, ob der Teilentzug den Wert des Restes „nennenswert be435
B V e r w G DÖV 1969, S. 283. 43β B V e r w G DÖV 1969, S. 426. 437 438
Siehe dazu oben Exkurs nach I I I , 4. Vgl. Schütz, W. (FN 141), S. 198.
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r ü h r t " 4 3 9 . Nach dem B G H w i r k t ein dauerndes Bauverbot „bereits wie eine endgültige, teilweise Eigentumsentziehung", welche eine Entschädigungspflicht wegen des Minderwertes des Grundstückes auslöst; dem Eigentum sei ein „Teil seiner Substanz" entzogen worden 4 4 0 . Hier ist jedoch Vorsicht am Platze, es muß unterschieden werden: Von „Teilenteignung" sollte nur dort die Rede sein, wo reale Teile eines Gutes, also etwa ein Teil eines Grundstückes, völlig oder quasi-total entzogen werden. Dies mag dann Auswirkungen auf den „Rest" haben, die so schwerwiegend sind, daß auch dieser quasi-total entzogen und damit enteignet ist. Diese Auswirkungen können sich jedoch auch noch i n den Grenzen der Sozialbindung halten. Es liegt dann Teilenteignung und Sozialbindung, i m anderen Fall liegt Enteignung durch Teilenteignung vor. A u f solche Fälle der realen Teilbarkeit sollte der Begriff der Teilenteignung aber auch beschränkt werden. Wenn dagegen durch staatlichen Eingriff bei einem Gut die Verfügbarkeit und/oder der Wert „weitgehend" entzogen wird, so mag dies Enteignung oder Sozialbindung sein, von Teilenteignung sollte nicht gesprochen werden. Es gibt eben dogmatisch nur eine quantitative, nicht eine qualitative Teilenteignung. Wer auch hier von Teilenteignung spricht, entwertet, relativiert den Begriff der Expropriation, denn es liegt bei dauernder Bausperre eben nicht „teilweise" Enteignung vor, sondern ein perfekter enteignender Eingriff. Zugleich w i r d der dogmatische Fehler begangen, daß Differenzierungen, welchen über unterschiedliche Entschädigungshöhe Rechnung zu tragen ist, i n den Enteignungsbegrrff hineingelegt und die Voraussetzung damit unzulässig m i t ihrer Rechtsfolge verbunden, wenn nicht aus ihr definiert w i r d 4 4 1 . Klärungsbedürftig bleibt jedoch nach wie vor die Auswirkung der echten Teilenteignung auf den „Rest". Dies ist zum Teil eine Frage ökonomischer Schätzung, etwa beim Teilentzug von Grundstücken oder deren Durchschneidung durch Straßen, Kanäle, Leitungen. Hinzukommen jedoch meist auch grundsätzliche Rechtsprobleme. Insbesondere muß sich der Eigentümer eine Teilung, welche ökonomisch möglich und vielleicht sogar i n einem bestimmten Zeitpunkt wirtschaftlich nicht unzweckmäßig sein kann, nicht i n jedem Fall vom Staat aufzwingen lassen. Besonders sorgfältig ist insbesondere stets zu prüfen, ob die quantitative Verkleinerung nicht zur qualitativen Veränderung führt, welche dann quasi-totaler Entzug und somit Enteignung ist. Denn auszugehen ist stets von dem Eigentum i n seiner konkreten Gestalt, welche der Staat angreift.
439 440 441
Schütz, W., aaO. B G H Z 37, S. 269. Siehe oben E x k u r s C, I I I , 2.
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3. Die Eingriffsdauer als Kriterium für den Totalentzug Die zeitlichen Schranken der Sozialbindung
Unbestritten ist heute, daß dem Zeitfaktor bei staatlichen Eingriffen i n das Eigentum eine große Bedeutung zukommt. Eigentum ist ein Wert i n der Zeit, es w i r d entzogen, wenn es auf längere Zeit nicht genutzt werden kann. Dies ist vor allem i m Baurecht anerkannt worden 4 4 2 : Bausperren, die über Jahre hinaus wirken, sind grundsätzlich Enteignung 4 4 3 , während sie i m übrigen als vorübergehendes Hilfsmittel der Bauplanung Sozialbindung sind 4 4 4 . Diese feste Grenze w i r d i m Baurecht vorwiegend damit begründet, daß binnen dieser Frist auf jeden Fall ein Bebauungsplan aufgestellt werden kann 4 4 5 , und daß damit eine weitere Verzögerung schon den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungshandelns widersprechen würde 4 4 6 . Dennoch kann diese baurechtliche Überlegung allein eine solche Judikatur nicht tragen, sie müßte ja zur Folge haben, daß weiter verschleppte Planungsmaßnahmen nicht enteignend wirken könnten, sondern wegen Verstoßes gegen allgemeine Verwaltungsgrundsätze rechtsw i d r i g wären. Dem K r i t e r i u m der Dauer des Eingriffs muß also eine selbständige eigentumsrechtliche Bedeutung i m Zusammenhang m i t der Schwere zukommen 4 4 7 . Die Eingriffsdauer mag i m Baurecht, i m Grundstücksrecht überhaupt, besonders bedeutsam sein, sie ist jedoch bei anderen Eingriffen (so etwa bei der Beeinträchtigung von Gewerbebetrieben durch Verkehrs- und Baumaßnahmen, bei Viehseuchenregelungen oder bei Obdachloseneinweisung), grundsätzlich bei jeder Sozialbindung stets zu berücksichtigen. Hier kann es naturgemäß nicht eine einzige oder auch nur einzelne feste zeitliche Grenze geben, es muß vielmehr je nach Eigentumsgegenständen und Eingriffen differenziert werden. Der Weg jedoch, welchen die Rechtsprechung i m Falle der Bausperren eingeschlagen hat, ist grundsätzlich der richtige: Es müssen feste zeitliche Grenzen gesetzt werden, damit ein M i n i m u m rechtsstaatlicher Vorhersehbarkeit bestehe. N u r die Überschreitung einer festen Schwelle kann auch den Umschlag von Sozialbindung i n Enteignung wirklich begründen. Es sollte 442 B G H N J W 1962, S. 1673; B V e r w G E 4, S. 120; O V G B e r l i n D Ö V 1964, S. 818; OVG Berlin, JR 1965, S. 74; O L G Hamburg M D R 1958, S. 36; O L G Nürnberg M D R 1952, S. 48. 443 Vgl. f ü r viele B G H Z 30, S. 338; früher wurde die Bestimmung fester zeitlicher Grenzen gelegentlich abgelehnt, siehe etwa A G Stuttgart, Verf.Rspr. 7, A r t . 14 GG (b) Nr. 12; O L G Stuttgart BBB11953, S. 259. 444 B G H Z 15, S. 268.
445
Warfsmann, G. (Fn 367), S. 183.
448
Diese Gesichtspunkte klingen auch i m Grundsatzurteil B G H Z 30, S. 338 an, das damit sicher einen gewissen „moralischen Druck" auf die V e r w a l t u n g ausüben wollte. 447
So u. a. Forsthoff,
E. (FN 346), aaO; Bielenberg, W. (FN 156), S. 447.
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E. Ansätze einer möglichen Abgrenzung nach geltendem Recht
daher versucht werden, eine Reihe von typischen zeitlichen Beschränkungen aufzustellen — je nach Eigentumsgegenstand und A r t des Eingriffs, nicht aber nach der Intensität des etwa durch den Eingriff realisierten öffentlichen Interesses oder nach den Möglichkeiten des Verwaltungsverfahrens. Nicht darauf kommt es an, was die Verwaltung leisten kann oder könnte; Sinn des Enteignungsrechts ist es nicht primär, die Verwaltung zu rascher, rationeller Arbeit anzuhalten, sondern den Einzelnen zu schützen und i h m entsprechend seinem Verlust Ersatz zu bieten. Dieser Verlust kann i n gewissen Grenzen durch Zeitschranken sozialbindender Eingriffe typisiert werden, diese zeitlichen Schranken dürfen nicht ihrerseits aus einer Abwägung öffentlicher und privater Belange heraus bestimmt werden. Hinter diesen zeitlichen Schranken der Sozialbindung steht natürlich i m letzten deren Grundgedanke, den das Recht lediglich zu präzisieren hat: daß „ein gewisser Teil" des Eigentumswertes der Gemeinschaft zur Verfügung stehen muß. Die zeitlichen Schranken können also nicht „ w i l l kürlich gegriffen" werden, sie müssen dem entsprechen, was die Rechtsprechung auch sonst im Rahmen der Sozialbindung noch zuläßt. Die zeitlichen Schranken haben daher einen notwendigen quantitativen Bezug zum Wert des betreffenden Eigentumsgegenstandes. Sie sind nach Kapitalisierungsgrundsätzen typisierend zu bestimmen, indem ein gewisser (geschätzter) Ertragswert zum Substanzwert in Beziehung gesetzt wird. Letztlich laufen also alle diese Quasi-Formen des Entzuges von Rechten darauf hinaus, daß es eine quantitative Schwelle des Umschlages von Sozialbindung i n Enteignung gibt. Besonders deutlich zeigt dies das Dauerkriterium, das zwar eine Bestimmungsmethode dieser Schwelle darstellt, jedoch nichts darüber aussagt, wo diese liegen soll. Und dies ist eben überhaupt der einzig mögliche Sinn der „Kriterien" dieses Abschnitts: Sie zeigen Methoden der Schrankenbestimmung und Gesichtspunkte der Schwerebestimmung des Eingriffs — wann er aber von der Sozialbindung zur Enteignung wird, das ist letztlich oft eine Frage quantitativer Entscheidung: Wieviel muß dem Eigentümer bleiben 4 4 8 ? 4. Existenzvernichtung als Schranke sozialbindender Eingriffe
I m Zusammenhang m i t dem vom Totalentzug ausgehenden Schwerekriterium w i r d gelegentlich als Grenze sozialbindender Eingriffe auch genannt, daß diese nicht zur Existenzvernichtung der betroffenen Eigentümer führen dürften. Eine solche Schranke kommt vor allem bei Eingriffen i n den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, etwa durch Straßenbaumaßnahmen, i n Betracht. 448
Siehe dazu unten V I I .
I I . Totalentzug ist nie Sozialbindung
207
a) Soweit Enteignung angenommen wird, wenn der Hoheitsträger unter Einsatz geringer zusätzlicher Mittel die Gefahr einer Existenzvernichtung für den betroffenen Eigentümer abwehren könnte 4 4 9 , w i r d nicht ein besonderes „ K r i t e r i u m " eingesetzt, sondern lediglich der verwaltungsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt. W i r d er bei einer sozialbindenden Maßnahme verletzt, so sollte eigentlich die Folge nicht sein, daß diese nun zur Enteignung würde und als solche rechtmäßig bliebe, sondern daß sie als rechtswidrig einzustellen wäre. Nachdem es aber entscheidend darauf ankommt, wer die Kosten trägt, Entschädigung nach Enteignungsgrundsätzen jedoch auch für rechtswidrig-schuldlose Eingriffe zu leisten ist, sind die erwähnten Grundsätze zu billigen: Die Grenzen der Sozialbindung sind überschritten, Entschädigungspflicht t r i t t ein, zwar nicht für rechtmäßig-schuldlose Enteignung, wohl aber, wegen Verletzung der Verhältnismäßigkeit, für einen rechtswidrig-schuldlosen Eingriff. K l a r muß lediglich bleiben, daß nicht etwa die rechtswidrige Sozialbindung eo ipso dogmatisch zur Enteignung wird. Die Rechtswidrigkeit spielt hier keine Rolle. b) Auch wenn festgestellt wird, Verkehrsbeschränkungen zur Verbesserung einer Straße dürften nicht dazu führen, daß dadurch der gesunde Gewerbebetrieb eines Anliegers zusammenbreche 450 , so soll damit nur ausgesprochen werden, daß die Arbeit eben mit verhältnismäßigen Mitteln durchzuführen sei. Immerhin erscheint hier aber doch der Existenzschutz des betroffenen Eigentümers als eine feste Schranke der Sozialbindung, er ist nicht nur ein Faktor bei seiner Verhältnismäßigkeitsabwägung: Die Sozialbindung darf nicht zur Existenzvernichtung führen. Ein solches Verständnis der Sozialbindungsschranken ist zu billigen. Es ist nichts als die Übertragung der Vorstellungen vom Totalentzug von Rechten auf den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Dieser w i r d i n der Regel nicht „entzogen", sondern i n Unrentabilität vernichtet. Das aber erfüllt die Voraussetzungen der Enteignung, weil diese ja nicht die Übertragung des entzogenen Gutes auf andere Rechtsträger voraussetzt 451 . c) Existenzvernichtung als Schranke der Sozialbindung steht auch nicht i m Widerspruch zu den Grundsätzen des Berufsrechts. Die Rechtsprechung zur Berufsfreiheit w i l l , soweit irgend möglich, den Bürger vor der Vernichtung seiner gewerblichen Existenz durch den Staat schützen. Die Existenzvernichtung muß daher grundsätzlich auch eine Schranke der Sozialbindung sein, welche diesem berufsrechtlichen Existenzschutz ent449 450 451
B G H M D R 1964, S. 656. B G H N J W 1965, S. 1907. Vgl. oben A I V .
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E. Ansätze einer möglichen Abgrenzung nach geltendem
echt
spricht, w e i l sonst diejenigen M i t t e l entschädigungslos entzogen werden dürften, auf denen die berufliche Existenz aufbaut. Es ist hier nicht zu untersuchen, ob i m einzelnen der Eigentümer insoweit i n besonderer, über den Schutz des A r t . 14 GG hinausgehender Weise über A r t . 12 GG zu schützen ist, als er den „Beruf eines Eigentümers" ausübt 4 5 2 . Die Harmonisierung der beiden Verfassungsbestimmungen verlangt jedenfalls, daß schwere berufsrechtliche Eingriffe auch Auswirkungen auf das Eigentum an den Berufsmitteln zeitigen. Wenn sie den Staat zur Entschädigung verpflichten, so ist dies zugleich der beste Ausgangspunkt zur Überwindung der Existenzvernichtung — indem die M i t t e l zum Aufbau einer neuen Existenz zur Verfügung gestellt werden. Nach Berufsrecht darf der Staat nur unter ganz besonderen Voraussetzungen bis zur Existenzbedrohung der Bürger vordringen. A r t . 14 GG kennt solche Schranken nicht — insoweit schützt er „schwächer" als A r t . 12, er gestattet der Staatsgewalt mehr. Wenn aber Existenzvernichtung dem Staat nach Berufsrecht erlaubt ist, so hat er i n solchen Fällen dennoch deshalb noch nicht nach A r t . 14 GG das Recht, die bisher aufgebaute und Vermögenswerte berufliche Position entschädigungslos zu zerstören. Nach Berufsordnungsgrundsätzen mag er den Beruf verbieten dürfen — nach Enteignungsrecht hat er für diese rechtmäßige Maßnahme Entschädigung zu leisten. Insoweit ist Eigentumsrecht stärker als Beruf srecht, denn dieses ist ein Recht der Chancen, jenes ein Recht der realisierten Möglichkeiten. d) Nicht nur die effektive und endgültige Vernichtung der beruflichen Existenz, vor allem i m gewerblichen Bereich, ist eine absolute Schranke für jede Sozialbindung, dasselbe gilt auch für existenzbedrohende Eingriffe, welche einem Quasi-Totalentzug von Rechten gleichkommen. Auch der Zeitfaktor spielt hier wieder eine Rolle. Schwieriger w i r d allerdings i n der Regel die exakte Bestimmung der „Bedrohungsschwelle" sein, w e i l der quantitative Anhaltspunkt fehlt, der sich bei anderen Rechtsgütern m i t Bezug auf deren Wert meist finden läßt. Bei der w i r t schaftlichen Existenz als vermögenswertem Gut sind dagegen sehr häufig Schätzungen erforderlich. Dies kann jedoch keinen entscheidenden Unterschied begründen. Auch beim Eingriff, der den Wert eines bestimmten Gutes vermindert, kann man auf Schätzungen nicht verzichten, soll der Wert w i r k l i c h erfaßt und sodann die Enteignungsschwelle richtig bestimmt werden. Daß umgekehrt beim ausgeübten und eingerichteten Gewerbebetrieb nicht alle Chancen m i t berücksichtigt werden können, welche die besondere Persönlichkeit des Inhabers vielleicht wertsteigernd i n den Betrieb trägt — das ist die Folge des Eigentumsschutzes, der eine gewisse Materialisierung unvergleichbarer menschlicher Freiheiten zur 452
Vgl. dazu Leisner, W., Eigentümer als Beruf, JZ 1972, S. 33 ff. m. Nachw.
I I I . T r a d i t i o n als Ausgangspunkt der Grenzbestimmung
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notwendigen Folge hat. Daß diese Materialisierung nicht die menschliche Persönlichkeit hinter den Sachen vergessen darf, dies sollte stets eine Rechtsprechung beachten, welche die Existenzbedrohung zu einer zugleich materiellen und doch sehr menschlichen, i m wahren Sinne humanen Schranke der Sozialbindung werden läßt. I I I . Die Sozialbindung muß die Grenzen achten, welche sich aus der bisherigen Entwicklung des Eigentums ergeben Das Grundgesetz hat „das Eigentum" gewährleistet. Wie die Weimarer Verfassung hat es dieses Recht ersichtlich nicht konstituiert, sondern als etwas Bestehendes rezipiert. Dem entspricht die heute ganz herrschende Auffassung, welche i n A r t . 14 GG zugleich eine Anspruchsgrundlage und eine Rechtsinstitutsgarantie sieht; diese letztere bedeutet, daß die Grundprinzipien des bisherigen, des herkömmlichen Eigentumsrechts nunmehr auch verfassungsrechtlich verfestigt sind. Der Verfassung liegt also ein Eigentumsverständnis zugrunde, welches der Tradition eine nicht geringe Bedeutung für die Bestimmung der Schranken der Sozialbindung einräumt. Sozialbindung nach Tradition wäre zuviel, Sozialbindung ohne Tradition ist nicht denkbar. 1. Die Tradition und Sozialbindung nach bisherigem Recht
a) Die Rechtsprechung hat immer wieder die Grenzen der Sozialbindung unter Rückgriff auf die historische Entwicklung eines bestimmten Rechts oder einer Rechtsmaterie bestimmt 4 5 3 , vor allem i n der Judikatur des B V e r w G finden sich derartige Hinweise. Die Tradition w i r d sowohl zur Feststellung des Inhalts des jeweiligen Eigentumsrechts bemüht, als auch zur Legitimation der staatlichen Eingriffsbefugnis. Was dieses „Herkommen" sei, bleibt allerdings meist offen — man greift ebenso auf die „Entwicklung" einer Rechtsmaterie wie auf die Feststellung zurück, daß bestimmte Rechte seit langem bestanden hätten, gewisse Eingriffe stets hätten geduldet werden müssen. I m ganzen erscheint das Traditionsargument i n der Rechtsprechung mehr als eine unkritische Zusatzbegründung für eine aus anderen Gesichtspunkten heraus für nötig befundene Lösung denn als ein selbständiges „ K r i t e r i u m " . Noch weniger ergibt das Schrifttum, i n dem nur gelegentlich die Tradition erwähnt 4 5 4 , nirgends aber, soweit ersichtlich, das Herkommen zur Abgrenzung des Raumes möglicher Sozialbindung verwendet und zu diesem Zweck näher definiert
453 Siehe u.a. B G H DÖV 1959, S. 780; B V e r w G DÖV 1957, S. 666; B V e r w G DVB1 1959, S. 100; DÖV 1960, S. 268; B V e r w G DÖV 1969, S. 426; B a y O b L G N J W 1953, S. 1563.
454
Scheuner, U. (FN 115), S. 111.
14 Leisner
210
E. Ansätze einer möglichen Abgrenzung nach geltendem R e t
worden ist. Wie i n anderen Bereichen des öffentlichen Rechts fehlt es auch hier vollständig an einer „Theorie der Tradition". b) Gerade i m Eigentumsrecht darf auch nicht alles als Rückgriff auf Tradition verstanden werden, was frühere Verhältnisse, insbesondere die Umstände vor dem sozialbindenden Eingriff berücksichtigt. So ist etwa i m Grundstücksrecht, vor allem gegenüber Maßnahmen des Landschaftsschutzes, von der Rechtsprechung der unten (IV) noch näher zu erörternde Grundsatz entwickelt worden, daß der Zwang zu einer Nutzungsänderung i n der Regel Enteignung sei, wenn die bisherige Nutzung zulässig und ungestört gewesen sei 455 . Sei es, daß man hierbei verlangt, die Nutzungsart, deren Änderung erzwungen wird, müsse früher tatsächlich bestanden haben, sei es, daß ihre rechtliche Zulässigkeit genügen soll — i n beiden Fällen w i r d zur Bestimmung der Eigentumsgrenzen auf einen „früheren Zustand" zurückgegriffen. Nicht anders ist es bei dem damit meist verbundenen K r i t e r i u m der „Situationsgebundenheit" eines Grundstücks, aus dem sich ein gewisser zulässiger Umfang der Sozialbindung ergeben soll 4 5 6 . Diese vorgegebene Situation kann sich ändern 4 5 7 ; ist dies der Fall, so liegt i n der Regel nur Sozialbindung vor, wenn dem durch staatlichen Eingriff Rechnung getragen wird. Wenn dagegen eine über die Situationsgebundenheit hinausgehende Beschränkung eintritt, ohne daß sich die Lage verändert hätte, so ist grundsätzlich Enteignung anzunehmen. I n all diesen Fällen w i r d also die Veränderung eines bisherigen Zustandes, der als „vorgegeben" unterstellt wird, i n der Regel als Enteignung angesehen; ändert sich die Lage selbst jedoch, so darf dies durch einen Eingriff berücksichtigt werden, der seinerseits dann nur Sozialbindung ist. Dennoch w i r d hier nicht die Tradition als solche zur Abgrenzung der Sozialbindung herangezogen: Es kommt nicht auf die bisherige rechtliche Übung, sondern auf frühere Zustände an, die ein gewisses wirtschaftliches Verhalten ermöglicht haben mögen; es w i r d nicht ein Recht oder eine Materie in der Entwicklung betrachtet und daraus die Abgrenzung des Eigentums gewonnen, sondern es w i r d i n der einmaligen Änderung bereits die Enteignung gesehen; schließlich w i r d nicht auf die wechselnden „Zustände" einer i n der Regel mehr- oder vielschichtigen Rechtsmaterie abgehoben, i n der sich abstrakte Normen für eine Vielzahl von konkreten Fällen entfalten, sondern auf die tatsächliche Situations455 Siehe z.B. B G H BBB1 1959, S. 395; B G H DÖV 1959, S. 780; B G H Z 30, S. 338; B G H N J W 1960, S. 1619 usw. 456 Vgl. etwa B V e r w G E 3, S. 335; 4, S. 57; 5, S. 143; 32, S. 173; B G H DÖV 1957, S. 669 = B G H Z 23, S. 30; B G H Z 30, S. 338; B G H N J W 1960, S. 1619; B G H N J W 1966, S. 884; B G H DÖV 1968, S. 875; O V G Lüneburg, R d L 1966, S. 271. 457 B G H N J W 1960, S. 1619; B G H DÖV 1968, S. 875.
I I I . Tradition als Ausgangspunkt der Grenzbestimmung
211
Veränderung i n einem Einzelfall. Man legt also nicht die Entwicklung von Eigentumsnormen, sondern von faktischen Eigentumszuständen zugrunde. I n all dem liegt nicht ein wie immer verstandenes Traditionsmerkmal, sondern ein K r i t e r i u m des Bestandsschutzes, das noch gesondert behandelt werden muß 4 5 8 . Dasselbe gilt auch für das „Vertrauen" des Eigentümers i n einen bestimmten Zustand, dessen Enttäuschungen u. U. einen an sich sozialbindenden Eingriff zur Enteignung machen k a n n 4 5 9 : Auch hier w i r d die Abgrenzung aus einer einmaligen Veränderung abgeleitet, nicht aus einem „Zustand i n der Entwicklung", wie ihn die Tradition kennt. Die Kriterien des Bestandsschutzes und der Tradition sind daher bei der Bestimmung der Grenzen möglicher Sozialbindung zu unterscheiden. 2. Die Bedeutung des Herkommens für die Sozialbindung
a) Von Tradition w i r d i m Eigentumsrecht nur wenig gesprochen, dennoch ist sie vielleicht praktisch das wichtigste Abgrenzungskriterium für alle Sozialbindung, und zwar als ein „stillschweigendes", ein „implizites" Wesensmerkmal. Die zentrale Aussage des BVerfG zu den Grenzen des Eigentums lautet: Art. 14 GG w i l l das Eigentum so schützen, wie das bürgerliche Hecht und die gesellschaftlichen Anschauungen es geformt haben (Herv. v. Verf.) 4 6 0 . I n den Worten „geformt haben" liegt sehr deutlich die Anerkennung der Bedeutung des Entwicklungsvorgangs und damit eben — der Tradition. I n ihr wirken auch rechtlich die beiden „Produktionsquellen" des Eigentums zusammen: die (bürgerlich-rechtliche) Gesetzgebung und jene gesellschaftlichen Anschauungen, welche durch die Judikatur i n der Sinnerfüllung der zivilrechtlichen Generalklauseln zu Recht werden. Wesentliches Merkmal des Herkommens, welches i m Eigentumsrecht von Bedeutung wird, ist wie auch sonst das, was bereits oben 1 b) bei der Abgrenzung zum reinen Bestandsschutz erwähnt wurde: Tradition ist das, was sich aus der bisherigen Entwicklung einer bestimmten Rechtsmaterie oder von gewissen einzelnen Rechtsgrundsätzen oder Rechtsinhalten ergibt. Entscheidend ist also, daß das Herkommen nicht als etwas Statisch-Unveränderliches, sondern daß es i n der Entwicklung gesehen wird. Und wenn sich dieselbe Abgrenzung der Sozialbindung seit langer Zeit, i n verschiedenen rechtlichen und politischen Konstellationen 458
Vgl. unten I V . Siehe etwa B G H Z 23, S. 157; B G H N J W 1962, S. 1816; B G H Z 45, S. 83; B G H N J W 1968, S. 293; B G H M D R 1969, S. 912. 460 BVerfGE 1, S. 278; 2, S. 462; 11, S. 70; 14, S. 278. 459
14*
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E. Ansätze einer möglichen Abgrenzung nach geltendem
echt
bewährt und nicht verändert hat, so ist auch dies nicht einfach etwas Statisches, Undynamisches, sondern ebenso ein Ergebnis der Evolution, deren wechselnden Strömungen es standgehalten, i n denen es sich bewährt hat. Auch einer über längere Zeit hinaus gleichbleibenden Übung kann man deshalb allein ebensowenig den Vorwurf des „Konservativen" oder „Reaktionären" machen, wie sich aus i h r auch keineswegs ergibt, daß sie sich morgen, unter veränderten Umständen, nicht doch wandeln muß. Entscheidend ist i n diesem Zusammenhang, daß der eminent dynamische evolutionäre Charakter der Tradition gerade i m Eigentumsbereich erkannt und daß das Herkommen nicht einfach m i t Beharrung verwechselt wird. Die Entwicklung des Eigentumsrechts und der Sozialbindung zeigt gerade sehr deutlich, daß es hier nichts völlig Starres geben kann. Tradition ist daher stets, und hier vor allem, Recht im Wandel. b) Was kann ein so verstandenes Herkommen für die Grenzbestimmung der Sozialbindung bedeuten? Relativiert es diese nicht i n einer Weise, welche jede Tradition als K r i t e r i u m unbrauchbar macht? Sicher — einer Tradition, die i n Entwicklung gesehen wird, läßt sich nie eine scharfe Abgrenzung entnehmen. Dennoch ist sie für die Bestimmung der Sozialbindung unentbehrlich: Sie fixiert den Ausgangspunkt einer möglichen Veränderung der Eigentumsgrenzen und sie gibt jene Methode der kleinen Schritte an, welche allein der „Verbürgung des Eigentums" entsprechen kann. — Was überhaupt für einen bestimmten Bereich von Gütern der jeweilige Raum möglicher Sozialbindung des Eigentums ist, ergibt sich zunächst nur aus der Tradition. Die einzelnen Eigentumsrechte sind i n ihrer heutigen Gestalt i n ganz bestimmten Perioden entstanden oder haben doch i n ihnen ihre heute maßgebliche, „grundsätzliche" Ausgestaltung erfahren. M i t dieser Anerkennung und Ausgestaltung, etwa bei den beschränkten dinglichen Rechten, bei A k t i e n oder beim Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, waren von Anfang an gewisse Beschränkungen verbunden: Diese lagen nicht notwendig bereits i m Inhalt des so anerkannten Eigentumsrechts, sondern kamen durchaus „von außen", bestimmten also nicht den Inhalt, sondern die Schranken des Eigentums. I n diesem Sinn waren bei dinglichen Rechten die besonderen Formen, i n denen allein ihre Veräußerung erfolgen konnte, von Anfang an nicht „Inhalt", auch nicht „immanente Schranken" dieser Eigentumsrechte, sondern echte Formen der Sozialbindung. I m Ausgangspunkt solcher Eigentumsrechtlichkeit zeigte sich auch jeweils sogleich, welche Formen der Sozialpflichtigkeit sich praktisch aus den Notwendigkeiten des Zusammenlebens ergaben. Sie wurden anerkannt und entwickelten sich sodann meist einigermaßen kontinuierlich weiter. Selbst bei den Rechten, wo ein fester Ausgangspunkt historisch nicht zu fixieren ist, hat sich zu
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einer bestimmten Zeit eine „eigentumsrechtliche Lage" ergeben oder „eingependelt", welche für die heutige Betrachtung eben den maßgebenden Ausgangspunkt bietet. Durchaus nicht für alle Rechte, w o h l aber für viele von ihnen ist dies die Rechtslage i n der liberalen Zeit des deutschen Konstitutionalismus gewesen. Dieses Eigentum, m i t seinem Inhalt und dem es umgebenden Raum zulässiger Sozialbindung, ist von der Verfassung institutionell übernommen und i n A r t . 14 Abs. I GG garantiert worden. Durch diese Übernahme ist zunächst einmal der Raum der Sozialbindung abgesteckt. Seine Erweiterung ist damit nicht grundsätzlich ausgeschlossen oder auch nur erschwert, sie muß nur bei dem ansetzen, was von der Verfassung rezipiert worden ist. Denn wenn solche Rezeption überhaupt einen Sinn haben, wenn die institutionelle Sicherung des Eigentums nicht nur ein Wort sein soll, so ist eben die bisherige Lage auch Ausgangspunkt jeder Neubestimmung der Sozialbindung. Mehr noch: Von diesem Ausgangspunkt mag sich die Entwicklung der Sozialbindung schrittweise entfernen, sie darf ihn jedoch nicht aufgeben. M i t der institutionellen Garantie des Eigentums ist auch der Kern der Grundsätze über die jeweils mögliche Sozialbindung, der sich aus der Tradition ergibt, verfassungsrechtlich festgelegt. Dieser K e r n darf nicht alteriert werden. So sind Baubeschränkungen bei Grundstücken eine herkömmliche Sozialbindung, Zwangserbbaurechte, die anderen das Bauen erlauben, sind es nicht. Mitbestimmungsformen i m Betrieb sind grundsätzlich zulässige Sozialbindung, nicht dagegen entsprechende Mitdirektionsrechte des Staates oder parastaatlicher Fonds oder Gewalten. Man erwidere nicht, „früher" habe es auch keine M i t bestimmung und nur weit geringfügigere Baubeschränkungen gegeben: Es gibt inzwischen eine Verfassung, welche das Eigentum rezeptiv garantiert und damit aller Entwicklung der Sozialbindung einen gewissen festen Ausgangspunkt gesetzt hat. — Die Tradition steht nicht still, der Ausgangspunkt ist nicht das Endziel der Entwicklung. Doch auch hier, i n der A r t , wie man sich von i h m i n einer Entwicklung der Sozialbindung entfernen kann, mag das Herkommen i n einem doppelten Sinn orientieren: Die bisherige Entwicklung zeigt zunächst stets eine gewisse Richtung an. Diese mag aus besonderem Anlaß verlassen werden. I m Zweifel verfassungskonform ist jedoch eine Neubestimmung der Grenzen der Sozialbildung stets dann, wenn sie i n Fortsetzung bisheriger Entwicklung, jedenfalls aber i n deren Bahnen stattfindet. Dies ist die Orientierungswirkung der Tradition. Sie mag etwa eine Verstärkung der betrieblichen Mitbestimmung des Personals indizieren; eine Mitdirektion der Gewerkschaften jedoch wäre eine metabasis eis allo genos, welche als Traditionsbruch besonderer Rechtfertigung bedürfte.
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E. Ansätze einer möglichen Abgrenzung nach geltendem Recht
Tradition wird, soweit irgend möglich, nicht i n Sprüngen, sondern in kleinen Schritten gebildet und fortgesetzt. Die institutionelle Sicherung des Eigentums ist eine klare methodische Absage an große Eigentumsexperimente oder an Eigentumsrevolutionen. Dies hat nichts mit einer Stagnation der Sozialpolitik zu tun. M i t Steuern und Sozialisierungen kann wahrlich genug verändert werden. Nur — das bestehende Eigentum ist nicht der richtige Ausgangspunkt für eine Gesellschaftsveränderung, diese muß sich um die Eigentumsverteilung der Zukunft kümmern. Der institutionelle Schutz ist eine ganz klare Entscheidung der Verfassung für die Beibehaltung derjenigen Eigentumskategorie, welche sich i n Tradition entwickelt hat. Damit ist auch die Methode ihrer Fortentwicklung m i t übernommen worden: Situationsgebundene Veränderung i n kleinen Schritten — ja, traditionslose „Neuordnung" — nein. Nachdem aber solche Neuordnung praktisch nur über eine Forcierung der Sozialbindungen erfolgen könnte, gilt auch, vor allem für alle Sozialbindung: Sie hat sich i n kleinen Schritten zu entfalten, i n Vorsicht und Zurückhaltung nur kann sie verstärkt werden. Dies schließt nicht jeden „großen Sprung nach vorne" aus; auch der sozialbindende Gesetzgeber mag i n außergewöhnlicher Lage den großen Schritt tun. Verfassungsgemäß ist er jedoch, wenn er sich von bisheriger Tradition wirklich entfernt, nur dort, wo ihn auch die besonderen Umstände wirklich erzwingen. Die Rechtsprechung muß hier die Verfassungskonformität der Ausübung gesetzgeberischen Ermessens besonders kritisch überprüfen. So ist der Halt i n einer richtig verstandenen Tradition zugleich ein methodisches und ein inhaltliches K r i t e r i u m bei einer Bestimmung der Grenzen der Sozialbindung, welche den institutionellen Aspekten der Eigentumsfreiheit Rechnung trägt. IV. Die Sozialbindung ist rechtsstaatlich fortzuentwickeln; dabei ist Bestandsschutz zu gewähren und Vertrauen zu wahren 1. Eigentum und Rechtsstaat
a) Das Rechtsstaatsprinzip ist eine Leitidee unseres Verfassungsrechts 461 . Über allen Konkretisierungen, welche i m einzelnen der Gesetzgebung obliegen, müssen die fundamentalen Elemente des Rechtsstaates und der Rechtsstaatlichkeit stets gewahrt bleiben 4 8 2 . I n der Diskussion u m die Sozialbindung ist das Rechtsstaatsprinzip bisher kaum berücksichtigt worden, obwohl das BVerfG gerade bei der Bestimmung von Inhalt und 461 462
BVerfGE 2, S. 403. BVerfGE 7, S. 92 f.; 11, S. 72.
IV. Rechtsstaatliche Sozialbindung — Vertrauen, Bestandsschutz
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Schranken des Eigentums seine Beachtung ausdrücklich gefordert hat 4 6 3 . Theorien und Formeln zur Abgrenzung von Sozialbindung und Enteignung sind, soweit ersichtlich, nie vertiefend aus der Sicht der Rechtsstaatlichkeit geprüft oder gar auf diese gegründet worden 4 6 4 . Dies mag verständlich erscheinen: Dem wichtigsten Ausdruck der Rechtsstaatlichkeit, der Legalität, schien ja durch den strengen Vorbehalt des Gesetzes Genüge getan, der auch für die Sozialbindung jeweils die gesetzliche Form vorschrieb. Übersehen wurde dabei, daß der Rechtsstaat nicht nur diese formale, sondern auch eine wichtige inhaltliche Form des Eigentumsschutzes bietet. Rechtsstaatlichkeit verlangt vor allem maximale Durchschaubarkeit und Vorhersehbarkeit staatlicher Machtäußerungen, damit sich der Bürger auf sie einrichten und sie wirksam bekämpfen kann. I n einer Zeit, i n welcher die Abläufe der Entscheidungen i m Staat wie i n der Gesellschaft immer komplizierter werden, w i r d mit Recht allenthalben die Forderung nach maximaler Transparenz erhoben. I m Eigentumsrecht hat man bisher geglaubt, diese Problematik i m wesentlichen auf die Gestaltung des Enteignungsverfahrens, die V o r w i r kungen der Enteignungen und ähnliche Themenkreise beschränken zu können — zu Unrecht. Nicht nur die Formen der Enteignung, sondern auch die Grenzen der Sozialbindung stehen als Eingriffsgestaltungen unter dem materiell-rechtlichen Gebot der Vorhersehbarkeit staatlicher Machtäußerungen. b) Die Rechtsstaatlichkeit gebietet, daß die Entwicklung der Sozialpflichtigkeit, und damit deren Grenzziehung, der besonderen Vorhersehbarkeit Rechnung trägt, welche gerade bei Eingriffen in das Grundrecht des Eigentums zu wahren ist. Dem kann nicht von vornherein mit dem formalen Einwand begegnet werden, Sozialbindungen beruhten auf Gesetz, das Vertrauen auf das Weiterbestehen einer günstigen gesetzlichen Lage werde jedoch nicht geschützt, wenn man von Fällen eines besonderen Vertrauenstatbestandes absehe 465 . Die Eigentümer position als solche ist kraft Verfassungsrecht ein besonderer Vertrauenstatbestand. Dies ergibt sich zunächst aus ihrer institutionellen Verfestigung. Durch Einrichtungsgarantien w i r d alles, aber auch nur das geschützt, was besonderes Vertrauen genießen, worauf sich der Bürger besonders langfristig soll einstellen können — vom Erbrecht bis zum Beruf sbeamtentum. I n der Reihe dieser „besonders vertrau463 B V e r f G DVB1 1962, S. 637. Es sei denn i m Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (vgl. oben D I I , 2), der sich j a auch aus der Rechtsstaatlichkeit ergibt (BVerfGE 10, S. 117). 465 B G H N J W 1964, S. 769. 464
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E. Ansätze einer möglichen Abgrenzung nach geltendem Recht
enswürdigen Rechte" steht auch das Eigentum. Ferner ergibt sich aber schon aus seinem Wesen, daß es größere Vorhersehbarkeit verlangt, als andere Freiheitsrechte. A u f Änderungen i m Bereich der Meinungsfreiheit oder der postalischen Grundrechte kann sich der Bürger, der durch sie geschützt wird, meist auch kürzerfristig ein- und umstellen als dies bei Veränderungen der Eigentumsordnung der Fall ist, welche oft Güter betreffen, die langfristig und eben i m Vertrauen auf die Stabilität dieser Ordnung festgelegt sind. Das Eigentum steht überdies weitergehend unter Gesetzesvorbehalt als die meisten anderen Grundrechte; dies ist notwendig, weil die Sozialbindung nicht an inhaltliche Voraussetzungen gebunden werden kann, eine Vollspezialisierung des Gesetzesvorbehalts daher unmöglich ist 4 6 6 . Da schon infolgedessen die Voraussehbarkeit staatlicher Eingriffe geringer ist, welche sich nicht i n einem von der Verfassung i m einzelnen vorgezeichneten Rahmen bewegen müssen, ist dies durch eine möglichst vorhersehbare Ausgestaltung der Sozialbindung i n besonderem Maße zu kompensieren. Der Grundrechtsschutz des Eigentums w i r d schließlich vor allem dadurch legitimiert, daß hier die materiellen Grundlagen der Freiheit gesichert werden sollen. Das Eigentum ist eben das beständige Recht par excellence ; nur deshalb schützt es die Verfassung, w e i l es gerade nicht eine rollende Kugel darstellen sollte, auf die niemand seinen Lebensraum als freier Bürger gründen könnte. Wer daher das Eigentum i n eine hemmungslos sozialpolitische Dynamik w i r f t , der verkennt materiell die wesentliche Schutzrichtung dieses Grundrechts, selbst wenn er formell i n Gesetzesform handelt. Aus all diesen Gründen werden die Grenzen der Sozialbindung nur dann verfassungskonform bestimmt, wenn sie dem eingreifenden Staat nicht mehr gestatten, als der Bürger vorhersehen konnte — m i t einer Längerfristigkeit, welche der i m ganzen „schwerfälligen" Natur der Eigentumsrechte entspricht. Entscheidend w i r d es dabei naturgemäß auf die jeweilige Tiefe des Eingriffs ankommen. Während m i t oberflächlichen Bindungen jedermann zu jeder Zeit zu rechnen hat, muß die Vorhersehbarkeit der Sozialbindung im übngen proportional mit der EingHffstiefe zunehmen. Dies hindert keineswegs gelegentlichen raschen, einschneidenden Zugriff. Er mag durch Bedürfnisse gerechtfertigt sein, welche der Gesetzgeber zu beurteilen hat. Dann aber muß eben Entschädigung gewährt werden. Der Staat muß zahlen, wenn er den Bürger überrumpelt. Und dies bleibt auch dogmatisch eine Frage der Eingriffstiefe. Der Eingriff t r i f f t u m so schwerer, je überraschender er kommt. c) Doch die Rechtsstaatlichkeit verlangt nicht nur zeitliche Vorhersehbarkeit, sie gebietet auch i n gewissen Fällen einen unbedingten Verm
Dazu oben I I .
I V . Rechtsstaatliche Sozialbindung — Vertrauen, Bestandsschutz
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trauensschutz: Bestimmte Eigentumspositionen sind eben derart verfestigt, daß sie überhaupt nicht ohne die Gewährung von Enteignungsentschädigung angetastet werden dürfen. Es handelt sich u m alle diejenigen, welche den Kern des Eigentumswertes i m weiten Sinn des Wortes ausmachen, bei deren Entziehung das Eigentum eben entscheidend an Wert verlieren müßte. Letztlich sind solche Positionen nach einem quantitativen K r i t e r i u m zu bestimmen, denn immer kommt es eben auf die Eingriffstiefe an. Die Rechtsstaatlichkeit verlangt aber, daß diese „quantitative Enteignungsschwelle", so weit irgend möglich, so gelegt wird, daß sie „sogleich", nicht nur auf den „ersten", sondern auch auf einen „vorhersehenden" Blick bestimmt werden kann. Und insoweit ist die Anerkennung gewisser Rechtspositionen als „unbedingt vertrauenswürdig" ein Gebot des Rechtsstaates, w e i l nur so der Bürger praktisch vorhersehen kann, womit er zu rechnen hat. Dieser Bestandsschutz gewisser Eigentumspositionen verbindet Gesichtspunkte der Rechtsstaatlichkeit m i t solchen der Tradition (oben III): Was Bestandsschutz verdient, bestimmt sich praktisch häufig nach dem, was eben i n einer langen Entwicklung, auf Grund vielfältiger, langer Erfahrung stets als besonders wertkonstruktiv für ein bestimmtes Eigentumsrecht angesehen worden ist. I m Eigentumsrecht verlangt Rechtsstaatlichkeit die Beachtung der Tradition, wie umgekehrt das Herkommen ein hervorragendes M i t t e l ist, staatliche Machtäußerung vorhersehbar und damit die Staatsgewalt transparent zu machen. 2. Der Bestandsschutz von Eigentumsrechten in der Judikatur
Die Rechtsprechung hat i n einzelnen Bereichen klare Grundsätze für einen unbedingten Bestandsschutz entwickelt, welche der Rechtsstaatlichkeit dienen und für andere Sektoren methodisch wie inhaltlich vorbildlich sein sollten. a) Staatliche Eingriffe, welche die bisherige Nutzungsart eines Grundstücks wesentlich verändern, sind i n aller Regel Enteignung 4 6 7 . Die Rechtsprechung hat dabei zunächst darauf abgestellt, ob die bisherige N u t zungsart zulässig gewesen und tatsächlich ausgeübt worden sei; i m weiteren Verlauf dagegen hat sie sich auf das erstere K r i t e r i u m beschränkt. Damit ist der Bestandsschutz der bisher zulässigen Nutzungsart an sich betont worden, die nicht etwa durch ein tatsächliches Gebrauchmachen 467 B G H BBB1 1959, S. 395; B G H DÖV 1959, S. 780; B G H Z 30, S. 338; B G H N J W 1959, S. 1557; B G H N J W 1960, S. 1619; B G H D Ö V 1960, S. 909; B G H N J W 1966, S. 884; B V e r w G N J W 1956, S. 1369; B V e r w G N J W 1957, S. 1534; B V e r w G DÖV 1969, S. 426; O V G Lüneburg DVB1 1966, S. 760; O L G Bamberg, O L G Z 1970, S. 19.
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E. Ansätze einer möglichen Abgrenzung nach geltendem Recht.
oder gar durch den Einsatz von Arbeit und Kapital erst zur unbedingt gesicherten Eigentumsposition wird. Verbunden wurde dieses Argument meist m i t dem Hinweis auf die besondere Situationsgebundenheit solcher Positionen 468 , aus deren natürlicher Lage sich eben schon ergebe, wie sie zu nutzen seien, so daß sich auch deshalb der Eigentümer darauf verlassen dürfe. Hier ist es kaum berechtigt, noch von einem „besonderen" Vertrauenstatbestand zu sprechen, der allerdings überall i m öffentlichen Recht feste Eigentumspositionen begründet, bei deren Entzug Entschädigung zu zahlen ist. I n den hier besprochenen Grundstücksfällen liegt der Vertrauenstatbestand vielmehr ganz allgemein in der möglichen Nutzungsart, auf die sich der Eigentümer eingestellt, i m Hinblick auf welche er das Grundstück möglicherweise erst erworben hat. Diese Judikatur ergibt also nicht nur die allgemeine Maxime, daß bei der tiefgreifenden Veränderung bestehender Verhältnisse i n der Regel die Grenzen der Sozialbindung überschritten sind — dies ist ein Ausdruck für die Politik der „kleinen Schritte", die hier allein verfassungskonform sein kann. Sie trägt noch weiter zu dem Satz, daß die Änderung von Nutzungsformen, die bisher zulässig waren, i n der Regel Enteignung ist. Dieses Prinzip kann, m i t den jeweils gebotenen Modifikationen, durchaus auch i n anderen Bereichen, etwa bei gewerblichem Eigentum, Anwendung finden. Der Rechtsstaatlichkeit würde dabei ebenso i m Hinblick auf die Vorhersehbarkeit wie auf das unbedingte Vertrauen i n gewisse Güterverwertungsformen angemessen Rechnung getragen. b) Das konkrete Vertrauen des Eigentümers kann aber auch einen speziellen Tatbestand schaffen, der unbedingten Enteignungsschutz genießt 4 6 9 . Dies ist zwar vor allem für den F a l l des Gemeingebrauchs ausgesprochen worden, bei dem anders eine echte Eigentumsposition gar nicht begründet werden kann; es läßt sich dies jedoch dem Grundgesetz nach nicht nur auf alle Fälle des Gemeingebrauchs 470 , sondern auch auf Bereiche übertragen, i n denen die Staatsgewalt durch bisherige Handhabung der Sozialbindung ein Vertrauen des Bürgers geschaffen hat, das sie nun nicht plötzlich unter Verletzung der Rechtsstaatlichkeit enttäuschen darf. Durch solches Vertrauen werden nicht nur bestimmte Positionen erst zum Eigentum, es werden auch bei von Anfang an bestehendem Eigentum die Grenzen der Sozialbindung zuungunsten des 468 Vgl. die Nachw. oben F N 456. 4β9 v g l . Nachw. F N 459. 470 H i e r k a n n es z. B. i m Umweltschutz praktische Bedeutung erlangen, w o es der Staat nicht selten — u n d bedauerlicherweise — geduldet hat, daß sich Einzelne auf gewisse Benutzungsarten eingerichtet haben. Wenn hier i m Einzelf a l l ein wirkliches Vertrauen geschaffen worden ist, so k a n n es der Staat nicht entschädigungslos entziehen.
V. Der Eigentümer als Organ der Wirtschafts Verfassung
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Staates verschoben. Die Rechtsstaatlichkeit verlangt eben, daß der Staat gegenüber dem Eigentum in besonderer Weise stets konsequent bleibe. Das Eigentum genießt nicht nur besonderes Vertrauen unter den Bürgern, es schafft auch besonderes Vertrauen für die Bürger gegenüber dem Staat. I m Namen der Rechtsstaatlichkeit sind also die Schranken der Sozialbindung einerseits stets i n vorhersehbarer Weise zu bestimmen — unvorhersehbare Sozialbindung w i r d zur Enteignung. Zum anderen verlangt der Rechtsstaat einen gewissen unbedingten Bestandsschutz für bestimmte typisierte Eigentumspositionen, deren Beeinträchtigung dem Entzug des Rechtes gleichzustellen und durch Entschädigung zu kompensieren ist. Die Typisierung muß verstärkt und möglichst auf alle Eigentumsbereiche ausgedehnt werden, ausgehend von jenem Grundstückssektor, i n dem sie begonnen hat, wie so vieles i m Eigentum. I n all dem ist der Rechtsstaat kein Staat der Rechten, des Konservativismus, der Reaktion. Er w i l l den gesicherten Bürger, der den Staat vorhersieht und durchschaut. Und dieser Blick ist am schärfsten aus der Sicht des Eigentums. V. Dem Eigentümer als „Organ der Wirtschaftsverfassung" muß ein gewisser eigentumspolitischer Spielraum erhalten bleiben 1. Das Privateigentum und das Problem der Wirtschaftsverfassung
a) Die Institution des Privateigentums ist für die rechtliche Ordnung der wirtschaftlichen Abläufe i m Gemeinwesen von zentraler Bedeutung — wie immer man diese Ordnung verstehen oder benennen mag. Unbestritten stellt dieses Eigentum die Grundlage marktwirtschaftlicher Ordnungen dar, die i m Gegensatz zu Formen der Zentralverwaltungswirtschaft stehen 471 . Als nach der Gründung der Bundesrepublik die Diskussion um die „WirtschaftsVerfassung", i m Sinn der verfassungsrechtlichen Regelung der Wirtschaftsordnung, erneut begann, stand dabei zwar stets i m Mittelpunkt die neuartige Verbürgung der persönlichen Entfaltungsfreiheit (Art. 2 Abs. I GG) 4 7 2 . Aus i h r wurden bekanntlich eine Reihe von wirtschaftlich bedeutsamen „Freiheitsaspekten" oder „unbenannten wirtschaftlichen Freiheiten" abgeleitet, von der Wettbewerbsfreiheit bis zur Vertragsfreiheit, von der Streikfreiheit bis zur allgemeinen Unternehmensfreiheit 473 - 4 7 4 . Sei es nun rechtliche Grundlage oder rechtliche 471 Fü r vigie pfister, B., „Eigentum", Staatslex., 6. Aufl., 1958, Sp. 1073. 472 Vgl. u. a. Lampert, H. (FN 202), S. 58 f.; Rinck, G., Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 1959, S. 19 ff.; Huber, E. R., Wirtschaftsverwaltungsrecht, I, 2. A u f l . 1953, S. 30 f.; Hamann, Α., Deutsches Wirtschaftsverfassungsrecht 1958, S. 56/7. 473 Das BVerfG hat dies grundsätzlich gebilligt, vgl. E 6, S. 37.
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E. Ansätze einer möglichen Abgrenzung nach geltendem Recht
Schranke — daß das Privateigentum ein Grundprinzip des Wirtschaftsrechts ist, bedarf heute keines Nachweises mehr. Das Eigentum und seine Sozialbindung ist nun i m öffentlichen Recht bis heute nahezu ausschließlich nicht unter wirtschaftsverfassungsrechtlichen Gesichtspunkten, sondern als grundrechtlicher Anspruch erörtert worden. Das deutsche Staatsrecht kennt das Eigentum als eine Schranke der Staatsgewalt, nicht als ein Organisationsprinzip der Staatlichkeit. Der Eigentümer w i r d durch die Verfassung berechtigt, er hat i n ihr keinerlei „Organstellung"; und selbst das „Privateigentum als Institution" erscheint meist nur als eine andere Form der Absicherung punktueller privater Ansprüche. Aus dem Wirtschaftsverfassungsrecht i m engeren Sinn sind daher bisher keine nennenswerten Beiträge zur Dogmatik der Sozialbindung gekommen. Daß die wirtschaftsverfassungsrechtUchen Funktionen nicht nur des Eigentums, sondern auch der Eigentümer bisher kaum beachtet worden sind, hat seinen Grund vor allem i n der bis heute, heute mehr denn je, ungelösten Problematik der Wirtschaftsverfassung. Ohne eine klare Bestimmung der Wirtschaftsverfassung kann jedoch, so scheint es, über die (im weitesten Sinne) „staatsorganisatorische Bedeutung" des Privateigentums nichts ausgesagt werden. b) Die Diskussion u m die „Wirtschaftsverfassung" hat i n der Bundesrepublik unglücklich begonnen; der Begriff ist daher i n einer Weise belastet, die ihn weithin überhaupt als unbrauchbar erscheinen läßt. Schon zu Beginn der Fünfziger Jahre wurde versucht, ein ökonomisches System, die sog. „soziale Marktwirtschaft", als alleinigen Inhalt einer deutschen Wirtschaftsverfassung verfassungsrechtlich zu versteinern. Es ist hier nicht zu entscheiden, ob sich die „soziale Marktwirtschaft" damals oder heute als systematische Grundlage für eine Wirtschaftsverfassung überhaupt eignen könnte, noch weniger kann hier i n die wirtschaftswissenschaftliche Diskussion u m den ökonomischen Systembegriff eingetreten werden. Rechtlich gesehen war bereits der Ansatz verfehlt: Das deutsche Staatsrecht konnte nicht i n solcher Weise „global ökonomifiziert" werden, ohne daß die wirtschaftsordnende Staatsgewalt allgemein gelähmt und insbesondere der Entscheidungsspielraum des demokratisch legitimierten Gesetzgebers unerträglich eingeschränkt worden wäre 4 7 5 . M i t Recht ist daher das BVerfG von Anfang an von einer weitgehenden Zurückhaltung des Grundgesetzes i n Fragen der Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsverwaltung ausgegangen 476 . 474 Siehe etwa Ballerstedt, K., Wirtschaftsverfassungsrecht, i n : Die G r u n d rechte I I I / l , 1958, S. 79; Lantpert, H., aaO, S. 66; Huber, E. R., aaO; Badura, P., Wirtschaftsverwaltungsrecht, i n : Besond. Verw.R., hrsg. v. Ingo v. Münch, 2. Aufl., 1970, S. 262. 475 Siehe dazu m. Nachw. Spanner, H., Z u r Verfassungskontrolle wirtschaftlicher Gesetze, DÖV 1972, S. 217 f.
V. Der Eigentümer als Organ der Wirtschafts Verfassung
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Die „Wirtschaftsverfassung des GG" kann also nicht deduktiv aus einem ökonomischen System erfolgen. Dies bedeutet allerdings umgekehrt nicht, daß das GG überhaupt keine wirtschaftsverfassungsrechtlichen Normen enthielte — zu beachten sind neben den allgemeinen Verfassungsprinzipien der Rechts- und Sozialstaatlichkeit die Grundrechte, und hier w i r d an erster Stelle die Gewährleistung des Privateigentums genannt 4 7 7 . Obwohl damit also die wirtschaftsverfassungsmäßige Bedeutung des Eigentums anerkannt worden ist, hat doch gerade diese Rechtsprechung des BVerfG die Erörterung des Problemkreises „Wirtschaftsverfassung und Eigentum" i n eine ganz bestimmte Richtung gedrängt: Das Eigentum erscheint, wie die anderen Grundrechte, als Schranke der Staatsgewalt, nicht als ein staatsrechtliches „Organisationsprinzipes steht einem „sehr weiten Gestaltungsermessen des Gesetzgebers" gegenüber. Die deutsche Wirtschaftsverfassung scheint nur das „defensive Eigentum", nicht den status activus des Eigentümers zu kennen. Dann aber kann aus ihr heraus die Sozialbindung nicht näher bestimmt werden, das Eigentum ist nur Festung, nicht Funktion — doch gerade das „Privateigentum als staatsrechtliche Funktion" würde dem Gesetzgeber nähere Direktiven geben können, wie er es zu binden habe. Mehr noch: Der Begriff der Wirtschaf tsverfassung ist nicht nur i n seinem konkreten Inhalt, er ist als solcher problematisch geworden. Hat es überhaupt einen Sinn, von einer „Verfassung" zu sprechen, wenn diese nur i n einer so „weiten Gestaltungsfreiheit" und einigen, mehr oder weniger erfolgreich, jedenfalls aber sehr mühsam gehaltenen Schranken besteht? Wie immer man den Verfassungsbegriff verstehen mag, er setzt jedenfalls eine gewisse durchgehende Ordnung von Kompetenzen, ein System von Organen voraus, das sich i n eine Ordnungsorganisation i m rechtlichen Sinn verdichtet. Kann davon i m wirtschaftlichen Bereich überhaupt gesprochen werden, gibt es hier mehr als allgemeine Staatsorganisation und weites, besonders weites Ermessen auf der einen Seite — auf der anderen, wie stets, den Bürger? Wie immer man diese Frage beantworten mag, Wirtschaf tsverfassung als eine „Sub Verfassung", als ein „sektorial konkretisiertes Grundgesetz", w i r d heute kaum jemand beschreiben. Wirtschaftsverfassung ist kein Rechtssystem, sondern allenfalls die Summe der wirtschaftsrelevanten Verfassungsnormen. c) Ist damit die hier aufgerollte Problematik des Privateigentums i n der Wirtschaftsverfassung nicht bereits erledigt, ist dies alles nicht nur eine andere Form der Frage nach dem ursprünglichen Eigentumsschutz?
476 Siehe bereits E 4, S. 18 f. — bis herauf zum Absicherungsurteil (E 30, S. 250). 477 Grdl. BVerfGE 14, S. 275.
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E. Ansätze einer möglichen Abgrenzung nach geltendem Recht
Eine bejahende A n t w o r t liegt um so näher, als eine wirtschaftsverfassungsrechtliche Betrachtung des Eigentums i n zweifacher Hinsicht erhebliche Gefahren für den vom Grundgesetz unbestrittenermaßen gewünschten individuellen Eigentumsschutz heraufbeschwören könnte: — Es gibt heute mächtige ökonomische Theorien, ja Ideologien, welche von einer formierten Wirtschaftsverfassung als Bestandteil der Staatsverfassung, ja als deren wesentlicher Grundlage ausgehen. Diese vorwiegend marxistisch orientierten Richtungen stellen überdies das Eigentum i n den Mittelpunkt ihrer Wirtschaftsverfassung, ihrer Staatsordnung und weisen i h m bestimmte Funktionen zu. I n den meisten Fällen laufen diese Auffassungen jedoch auf eine Abschaffung oder doch wesentliche Veränderung des Privateigentums hinaus, welches vom Grundgesetz übernommen und garantiert worden ist. Ist es daher nicht schon methodisch überaus bedenklich, die Frage „Eigentum und Wirtschaftsverfassung" überhaupt zu stellen, wenn dies doch nur die Tür zu einer Entwicklung öffnen kann, i n deren Verlauf das Eigentum verschwinden muß? Geht nicht das GG gerade davon aus, daß Eigentum und Eigentümer außerhalb des Staates, daß sie diesem defensiv gegenüber stehen? Ist nicht die „wirtschaftsverfassungsrechtliche Zurückhaltung des GG" die sicherste Garantie des privaten Eigentums? — „Eigentum und Wirtschaftsverfassung" kann nur erörtert werden, wenn man nach gewissen staatsrechtlich relevanten Funktionen des Privateigentums sucht. Gerät man damit aber nicht zwangsläufig i n die Nähe nationalsozialistischer Pflichtigkeitsvorstellungen 478 , welche vom Eigentum als status negativus, als ausgrenzender Freiheit alsbald nichts mehr übrig lassen werden? Wer das Eigentum als ein „aktives Element" i n die Wirtschaftsverfassung einführt, der vollzieht damit dogmatisch eine gewisse „Objektivierung der Grundrechte", welche, vor allem i m Namen des Universalismus, schon am Ende der Weimarer Zeit i m Schwange und sicher dem Garantiegedanken der Grundrechte abträglich war. W i r d die Ausübung eines Grundrechts zur Staatsfunktion, so w i r d der immanente Gegensatz Individuum — Staat aufgehoben, vom Grundrecht bleibt nichts erhalten. Kann angesichts all dieser Schwierigkeiten und Gefahren überhaupt noch nach Eigentum und Wirtschaftsverf assung gefragt werden? 2. Der Eigentümer als „Organ der Wirtschaftsverfassung"
Der Begriff der Wirtschaftsverfassung mag m i t Problemen belastet sein, das Privateigentum mag einer scharf formierten Wirtschaftsverfas478
Vgl. oben Β I I .
V. Der Eigentümer als Organ der Wirtschaftserfassung
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sung gegenüber i n der Gefahr stehen, in einer faschistischen Sozialpflichtigkeit oder i n einer kommunistischen Kollektivierung unterzugehen — dies alles enthebt das öffentliche Recht weder der Verpflichtung, ein wirtschaftliches Verfassungsrecht zu entfalten, noch darf die wirtschaftsverfassungsrechtliche Bedeutung ignoriert werden, welche das GG ganz ersichtlich dem Eigentum und dem Eigentümer zuerkennt; auch aus ihr müssen die Grenzen der Sozialbindung bestimmt werden. Die erste Frage kann hier nicht vertieft, zur zweiten aber sollen einige Ansätze entwickelt werden. Bei Wortinterpretation von allgemeinen Verfassungsformeln ist sicher große Zurückhaltung am Platze — doch bei Art, 14 GG gibt selbst sie einen deutlichen Hinweis: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen." Hier folgt doch unmittelbar auf die Proklamation der Eigentumsbindung eine Aussage, welche diese ersichtlich verdeutlichen soll: Der Gebrauch soll zugleich der Gemeinschaft zugute kommen. W i l l man diesen Wortlaut auch nur irgendwie ernst nehmen, und darum bemüht sich doch heute jedermann, so ergibt er zwei wesentliche Hinweise: a) Die Sozialbindung t r i f f t das Eigentum i n privater Eigentümerhand; sie ist keine Entziehung, von dieser handeln Abs. I I I des A r t . 14 und A r t . 15 GG. Das Wohl der Allgemeinheit ist durch Sozialbindung zu gewährleisten — doch diese betrifft ein „Gebrauchmachen" vom Eigentum durch den Bürger, nicht durch den Staat. Darin liegt eine Grundentscheidung: Dem Bürger steht die Eigentumsinitiative zu, nicht der Gemeinschaft, die daran nur partizipieren soll. Sozialbindung darf schon aus diesem Grunde nie ein Instrument großangelegter, systematischer, aktiver Wirtschaftsoder Gesellschaftsordnung sein. Wenn der Gesetzgeber diese betreiben will, jedoch über Sozialbindungen des Eigentums vorgeht, so hat er generell das falsche M i t t e l gewählt. Er darf nicht dem Bürger ein konkretes Gut entschädigungslos aus der Hand nehmen, u m es zu verteilen; denn dann ist ja vom „Gebrauch" durch den Bürger nicht mehr die Rede; „Gebrauch macht" dann vom Eigentum der Staat, dies aber widerspricht der Verfassung. Wenn der Bürger ein Gut erworben hat, so hat der Staat dessen Gebrauch nicht so vorzuschreiben, daß der Eigentümergebrauch fremdbestimmt ist, das Grundgesetz w i l l das autonome, nicht das heteronome Eigentum. Der Staat hat der Initiative des Eigentümers stets zu folgen, sie dann allenfalls zu korrigieren und an ihr zu partizipieren, er hat ihr nicht zuvorzukommen. Die Sozialbindung ist ein Folgerecht des Staates gegenüber dem eigentumsaktiven Bürger, keine sachenrechtliche Vormundschaft. Konkret verlangt dies, daß dem Bürger stets, bei aller Sozialbindung jedenfalls noch soviel Initiativraum bleibt, daß er eigene Eigentumsent-
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E. Ansätze einer möglichen Abgrenzung nach geltendem Recht
Scheidungen treffen kann, welchen der Staat sodann partizipierend folgt. Jede volle Eingleisigkeit des vorgeschriebenen Gebrauchs überschreitet die Grenzen der Sozialbindung und wirkt enteignend. b) Das Eigentum soll vom Bürger „zugleich" zum Wohle der Allgemeinheit gebraucht werden. I n diesem Sinne ist also der Private kraft ausdrücklicher Verfassungsvorschrift Sachwalter der Allgemeinheit und damit, man mag es nun wünschen oder nicht, eben doch ein, und zwar das bedeutendste Organ der Wirtschaftsverf assung 479. Dies aber hat nur Sinn, wenn dem Bürger ein Raum echter wirtschaftspolitischer Entscheidung en miniature, einBereich der Wirtschaftspolitik durch Eigentumsgebraueh stets und bei jedem Gut verbleibt. Der Eigentümer ist hier kein Untergebener des Staates, weder ein Staatsdiener noch ein beliehener Unternehmer. Mit Eigentum wird heute niemand mehr beliehen, Eigentum wird erworben. Nach der Verfassung darf der Eigentümer aber sein Gut auch für sich selbst nutzen — er muß gerade bei diesem Gebrauch im eigenen Interesse auf das Wohl der Allgemeinheit Rücksicht nehmen. Das GG verlangt also nicht, daß er dieses allgemeine Wohl vorrangig berücksichtige. Der Eigengebrauch erst zieht die Sozialbindung nach sich, der private Gebrauch des Eigentums ist m i t h i n das Primäre, durch Ausdehnung der Sozialbindung darf dieses Verhältnis nicht umgekehrt werden. Dieser primär autonome Eigentums gebrauch ist dem Bürger auch nicht wiederum nur i m öffentlichen Interesse, sondern i n seinem eigenen Interesse gestattet. Sicher gibt es makroökonomische Funktionen des Privateigentums 480 , von der Maximierung der Produktion bis zur Sekuritätsfunktion; doch der private Gebrauch von Eigentumsgütern ist eben nicht nur deshalb gestattet, weil so die Erdengüter ökonomisch optimal ausgenutzt werden können 4 8 1 , sondern w e i l der Einzelne hier als wirtschaftliche Entscheidungsinstanz anerkannt wird. Privateigentum steht also weder unter dem Vorbehalt makroökonomischer Produktivität, noch mikroökonomischer Effizienz. Wäre dies nämlich der Fall, so wäre Eigent u m nur ein ökonomischer Mechanismus. Es ist jedoch mehr: ein Grundrecht und eine auch organisatorische Grundentscheidung der Wirtschaf tsverfassung. 47» N u r die o. e. Unsicherheit i n der Frage der Wirtschaftsverf assung k a n n es erklären, daß dies bisher n u r selten anklingt. So spricht etwa Lampert, H. (FN 202), S. 237 v o n den „ I n d i v i d u e n als Träger der Wirtschaftspolitik"; Badura l, P. (FN 474), sieht i m Privateigentum m i t Recht eine Form des Gebrauchs u n d der Verteilung der Güter i n privatautonomer Entscheidung, welche zu einer Dezentralisation des wirtschaftlichen Prozesses führe. 480
Siehe dazu etwa Molitor, B., Eigentum (I), i n : HdSW I I I , 1961, S. 34. Bedenklich hier Messner, J., Experiment Mitbestimmung, i n : Der Standpunkt, Beilage z. Gesellschaftspol. Kommentare 17,1968, Nr. 5 - 7, S. 19 (21/2). 481
V. Der Eigentümer als Organ der Wirtschaftsverfassung
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Der eigene eigentumspolitische Entscheidungsraum, der dem Bürger bleiben muß, der sein Gut dabei „zugleich" zum Wohl der Allgemeinheit gebraucht, darf ihn aber nicht nur auf eingleisige Nutzung drängen, i h m eine enge Auswahlinitiative belassen; alle Sozialbindung entspricht nur so lange dem Geist der Verfassung, als der private Entscheidungsraum etwas wahrhaft Politisches behält, eine Wahlmöglichkeit zwischen mehreren Gebrauchsmöglichkeiten eröffnet. Private Eigentumspolitik verlangt die Pluralität der Gebrauchsmöglichkeiten, der Bürger der pluralistischen Gesellschaft darf auch sein Eigentum pluralistisch nutzen. N i m m t i h m der Staat zu viele dieser Möglichkeiten, so hebt er die pluralistische Gesellschaft i n der Monotonie des Gütergebrauchs auf. Enteignend w i r k e n daher Anbaubeschränkungen, die praktisch keine landwirtschaftliche Wahl mehr lassen und den Bauern zum staatlichen Landarbeiter machen; über die Sozialbindung hinaus gehen Baubeschränkungen, welche dem Eigentümer keinerlei Wahl i n der baulichen Gestaltung mehr eröffnen; nicht mehr zur Sozialpflichtigkeit zählen gewerberechtliche Auflagen und arbeitsrechtliche Beschränkungen, die dem Unternehmer jede eigene Unternehmenspolitik i m Sinne der laufenden Wahl zwischen mehreren Entscheidungen unmöglich machen. Enteignung liegt also nicht nur vor, wenn dem Eigentümer überhaupt keine wirtschaftlich vertretbare Nutzungsmöglichkeit mehr verbleibt, sondern 482 dann, wenn der Raum der Möglichkeiten so verengt ist, daß von einer Eigentumspolitik en miniature überhaupt nicht mehr die Rede sein kann. Hier muß natürlich nach der A r t der Güter unterschieden werden, welche jeweils unterschiedlich große Entscheidungsräume nach ihrem ökonomischen Wesen eröffnen. Ein Waldgrundstück läßt sich hier nicht m i t einem eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb vergleichen. Dennoch kann nach ökonomischen Grundsätzen durchaus bestimmt werden, wann noch von einem gewissen Entscheidungsraum für den Einzelnen gesprochen werden kann, wann die Bindung i n Eingleisigkeit, ja i n volle Fremdbestimmung übergeht. Hier wäre schon viel gewonnen, wenn solche Kategorien übernommen oder ähnliche neu entwickelt würden. I n Eigentumsinitiative und Eigentumsautonomie allein kann sich A r t . 14 GG bewähren. Sozialbindung meint dagegen Abgrenzung und Partizipation, nicht aktive Eigentums- oder gar allgemeine Sozialpolitik. E i n so verstandenes Eigentumsrecht und eine entsprechend ausgestaltete, verfassungskonforme Sozialbindung ist das einzig mögliche Kernstück eines künftigen Wirtschaftsverfassungsrechts des Grundgesetzes. So lange es keine v o l l formierte Eigentumsdogmatik gibt, kann es überhaupt kein Wirtschaftsverwaltungsrecht geben. Und wenn nicht erkannt wird, daß der Bürger gerade i m privaten Gebrauch seines Eigentums auch eine ge482
Siehe etwa O L G Lüneburg DVB11966, S. 760.
15 Leisner
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echt
wisse öffentliche Funktion erfüllt, so kann es i n einem Regime der Freiheit nie zu einer Annäherung von Staat und Gesellschaft kommen. Das demokratische Verhältnis von Staat und Volk bleibt gebrochen, solange nicht grundsätzlich anerkannt wird, daß gerade private Eigentumsentscheidung den Staat trägt. Wer sie durch Sozialbindung erdrosselt, kennt nur mehr den Staat. Sozialbindung des Eigentums ist nicht nur eine materielle Regelung, sie ist eine Organisationsform der Wirtschaftsverfassung des sozialen Rechtsstaates. VI. Sozialbindung des Eigentums ist kein Instrument der Gesellschaftspolitik; Sozialpolitik ist Sache des Steuerstaates Sozialbindung das Recht nachbarlichen Zusammenlebens 1. Sozialbindung und Besteuerung
a) Der enge Zusammenhang zwischen Eigentumsrecht und Besteuerung ist seit langem erkannt worden. Durch Steuergesetze kann auf die Dauer die Eigentumsverteilung, ja die gesamte Eigentumsordnung geändert werden. Gezielte Besteuerung zwingt, verbunden m i t hohen Steuersätzen, nicht selten den Steuerpflichtigen zur Aufgabe bestimmter Eigentumsgegenstände oder zur Vergesellschaftung von Eigentum. Der Eigentumsschutz des A r t . 14 GG wäre jedoch sinnlos, wenn er durch konfiskatorisch wirkende Steuern jederzeit unterlaufen werden könnte. Es ist daher allgemein anerkannt, daß die Eigentumsgarantie auch eine Schranke der staatlichen Steuergewalt darstellt 4 8 3 , und daß konfiskatorisch wirkende Steuern unzulässig sind. Ob sich allerdings aus solchen Erkenntnissen heraus wirkliche Schranken für die allgegenwärtige Steuermacht ziehen lassen, muß nach den bisherigen Erfahrungen bezweifelt werden. Immerhin — die schwerstwiegende aller tatsächlichen Sozialbindungen des Eigentums, die Steuerlast gilt nach herrschender Auffassung begrifflich überhaupt nicht als rechtliche Sozialpflichtigkeit, weil sie nicht das Eigentum, sondern den Eigentümer trifft. Doch dies zu kritisieren ist nicht so sehr Aufgabe der Eigentumsdogmatik als vielmehr der Lehre vom Steuerbegriff. b) Die Kehrseite dieser viel erörterten Problematik ist jedoch, so weit ersichtlich, kaum je vertiefend behandelt worden 4 8 4 : Es kann nicht nur durch die Steuergewalt Eigentum entzogen, umgekehrt kann auch die Besteuerung durch Ausdehnung der Sozialbindung vermieden werden; 483 Siehe f ü r viele Friauf, K., Eigentumsgarantie, Geldentwertung u n d Steuerrecht, Steuerberater-Jahrbuch 1971/2, S. 426 (428f.); Leisner, W., V e r fassungsrechtliche Grenzen der Erbschaftsbesteuerung, 1970, S. 76 f., beide m i t weit. Nachw. 484 A n k l i n g e n d etwa bei Sellmann, M. (FN 92), S. 1692.
V I . Sozialbindung u n d Steuerstaat
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Eigentumsgesetzgebung kann Steuergesetzgebung ersetzen. Wenn es etwa zulässig sein sollte, Stadtgrundstücke entschädigungslos zu kommunalisieren, so würden durch solche „Sozialbindung" die öffentlichen Haushalte so wesentlich entlastet, daß sich dies i n der Steuerbelastung auswirken müßte. Wo immer der Staat über die Sozialbindung ohne Gegenleistung Vermögenswerte an sich ziehen oder nur verteilen darf, w i r d die Steuerlast leichter. Entschädigung i m Enteignungsfall muß letztlich stets durch Steuern aufgebracht werden. Nicht nur i m staatstheoretischen Modell, sondern auch i n der täglichen Wirklichkeit ist daher das Problem der Sozialbindung nichts anderes als die Frage nach dem, der letztlich bezahlt — entweder ist es der betroffene Eigentümer, sind es einzelne Bürger oder Gruppen von solchen, oder es ist die Allgemeinheit der Steuerpflichtigen, welche die einzelnen für ihr Opfer entschädigt. Dies zeigt sogleich den entscheidenden sozialpolitischen Aspekt der Sozialpflichtigkeit des Eigentums: Verstärkung der Sozialbindung führt zu einer Bereicherung der Allgemeinheit auf Kosten Einzelner und hat daher eindeutigen Nivellierungseffekt; Abschwächung der Sozialbindung bereichert Einzelne auf Kosten der Gemeinschaft und verstärkt dadurch soziale Unterschiede. Die erste Frage ist hier nicht, welche der beiden Lösungen die bessere sei — entscheidend ist, daß diese Konsequenzen klar erkannt und daß daher rechtlich und sozialpolitisch offen und ehrlich argumentiert wird. Es geht nämlich gar nicht u m die Alternative „Einzelner oder Allgemeinheit" — es geht allein darum, ob die Eigentumsordnung nivelliert oder hierarchisiert sein soll, u m es m i t gängigen Schlagworten zu sagen. c) Dieser sozialpolitische Aspekt zeigt sogleich, weshalb politisch immer wieder so nachdrücklich die Verstärkung der Sozialbindung des Eigentums gefordert w i r d : A u f diese Weise kann Nivellierung verstärkt werden, ohne daß man dieses odiose Wort gebrauchen müßte; man versteckt es vielmehr hinter dem „Wohl der Allgemeinheit". Gezielte Spezialsteuern, m i t denen man ähnliche Effekte erreichen kann, wirken politisch oft ungünstig als Ausnahmegesetze. Politisch ist es meist leichter, eine vielleicht vergleichsweise kleine Gruppe von Eigentümern anzugreifen, als einer großen Masse potentieller Wähler stärkere Steuerlasten zu verheißen. Der geschickte Techniker politischer Macht w i r d daher, vor allem i n der Demokratie, immer wieder versucht sein, die Sozialbindung zu erweitern, um den Steuerzahler zu schonen. Und mögen auch solche „Sozialbindungsgewinne der Staatsgewalt" volkswirtschaftlich nicht ins Gewicht fallen, für die Optik des Politischen sind sie entscheidend. Es muß daher, heute mehr denn je, die sozialpolitische Bedeutung verstärkter Sozialbindung gesehen werden. Deshalb ist die grundsätzliche 15*
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Frage zu stellen: Ist Sozialpolitik überhaupt ein legitimes Ziel staatlicher Sozialbindung? 2. Unzulässigkeit sozialpolitischer Sozialbindung Sozialgestaltung durch den Steuerstaat
a) Zunächst muß hier der Begriff der „Sozialpolitik" näher umschrieben werden. „Gesellschaftsgestaltend" i m weiteren Sinn w i r k t jede Gesetzgebung, welche auch nur irgendwie das Privateigentum berührt, vom privaten Nachbarrecht bis zum Ladenschluß. Dabei handelt es sich jedoch nicht u m jene Sozialpolitik, deren Zulässigkeit i m Rahmen der Sozialbindung i m vorliegenden Zusammenhang zu prüfen ist. Sicher — auch dort findet meist eine gewisse LastenVerteilung statt: I n sehr vielen Fällen unbestrittener Sozialbindung, etwa bei der Belästigung durch Verkehrslärm, wäre es, theoretisch jedenfalls, ohne weiteres vorstellbar, daß dem betroffenen Eigentümer seine Nachteile durch jene i m Steuer Staat zusammengefaßte Allgemeinheit ersetzt werden müßten, welche ja diese Straße benützt oder doch befahren kann. Daß der Eigentümer hier nichts erhält, bedeutet, daß er zugunsten des Steuerpflichtigen zurücktreten muß. Dennoch liegt i n all dem keine eigentlich sozialpolitische Entscheidung i m engeren Sinn: Es geht nicht bewußt und primär um Vermögensverteilung und Gesellschaf tsstrukturierung, sondern um gewisse nachbarrechtsähnliche Abwägungen. Wie sich solche herkömmliche Sozialbindung, beim Denkmalschutz oder i m Gemeingebrauch an der Straße, sozialpolitisch auswirkt, läßt sich meist gar nicht eindeutig feststellen. Fest steht jedoch, daß i n den meisten Formen traditioneller Sozialbindung keine sozialpolitische Zielsetzung i m engeren Sinn liegt, daß hier weder Güter umverteilt werden, noch die Gesellschaft ökonomisch, sozial, politisch verändert werden soll. Die bisherige Sozialbindung des Eigentums ist, i m großen und ganzen, eine großnachbarrechtliche Form guten Zusammenlebens, nicht eine dynamische Veränderung der Gesellschaft. U m diese letztere aber geht es heute vielen und damit nicht nur um Verstärkung der Sozialbindung, sondern um ihre qualitative Veränderung. Wer dem Grundeigentümer verbietet, über eine bestimmte Höhe zu bauen, handelt m i t völlig anderer Intention als derjenige, welcher i m Namen der Sozialbindung Kommunalisierung der City-Grundstücke fordert oder die Enteignungsentschädigung bei stadtnahen Grundstücken erheblich absenken w i l l , damit die öffentliche Hand möglichst billig den sozial erforderlichen Wohnraum schaffen könne. I m ersteren Falle geht es u m die Sozialbindung des Zusammenlebens, i m letzten eben doch — um klare Umverteilung von Eigentum. Ist diese letztere Form der „aktiven Sozialpolitik", die heute zu Lasten des Eigentums so häufig gefordert wird, auf dem Wege über verstärkte Sozialbindung zulässig?
V I . Sozialbindung u n d Steuerstaat
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Die A n t w o r t muß negativ ausfallen: Aktive Sozialpolitik durch Sozialbindung widerspricht den Grundprinzipien der egalitären Demokratie ebenso wie der Entscheidung des Grundgesetzes für den Steuerstaat (i. folg. c). b) Zentraler Grundsatz der egalitären Demokratie ist es, daß alle gleichmäßig zu den öffentlichen Lasten herangezogen werden; was i m Namen aller geschieht, soll von allen bezahlt werden. Es gibt kaum etwas, was derart „allgemein" wäre, was i n gleicher Weise alle anginge, wie aktive Sozialpolitik, welche die Güter i n der Gemeinschaft umverteilen und damit die Gesellschaft umstrukturieren w i l l . Wenn also die égalité devant les charges publiques auch nur noch irgend einen Sinn haben soll, so muß i n der Demokratie Sozialpolitik von allen Bürgern getragen und bezahlt werden. Dies bedeutet nicht quantitativ gleiche Belastung jedes einzelnen, w o h l aber Verpflichtung aller je nach ihrer Leistungsfähigkeit. Gerade darin liegt ja die Gleichheit, daß jeder vergleichsweise dasselbe tragen muß. Die Grundlagen des Vergleichs, die Leistungsfähigkeit nach Vermögen, bestimmt i n weitem Ermessen die Legislative. Sie kann dabei Kategorien bilden, die einen stärker belasten als andere, wenn sich dafür gute Gründe finden lassen. Nur eines ist dem Staat versagt: Grundsätzlich und vollständig von dem Prinzip der Lastengleichheit nach Leistungsvermögen abzugehen. Gerade dies aber würde geschehen, wollte man Sozialpolitik über Sozialbindung betreiben. Getroffen würden nicht notwendig die „VermögendenErwägungen über das richtige Verhältnis von Vermögen und Belastung würden vom Gesetzgeber überhaupt nicht angestellt. Belastet würden vielmehr alle diejenigen, welche bestimmte Eigentumsgegenstände besäßen — ohne jede Rücksicht auf ihre sonstige Leistungsfähigkeit. Wer etwa nichts anderes besitzt, als ein Grundstück i n einer bestimmten Lage, sonst aber von bescheidenen Einkünften leben muß, der könnte durch eine solche Verstärkung der Sozialbindung m i t einem Schlag um den größten Teil seines Vermögens gebracht werden, während der Großaktionär neben i h m nicht einen Pfennig zu zahlen bräuchte — und dies alles i m Namen der Sozialpolitik! Sozialpolitische Sozialbindung trifft, ohne jede Rücksicht auf Leistungsfähigkeit, die „zufälligen" Eigentümer bestimmter Güter. Es läßt sich keinerlei Vermutung dafür begründen, daß gerade sie besonders leistungsfähig wären. Sozialpolitik w i r d i n einem solchen Fall ausschließlich zu Lasten einer bestimmten Gruppe gemacht, die übrigen Mitglieder der Gemeinschaft nehmen überhaupt nicht teil; und die belastete Gruppe w i r d nach völlig sachfremden Gesichtspunkten, nämlich nach der Innehabung von Gütern, nicht nach der Leistungsfähigkeit bestimmt. Sachfremd ist schließlich auch das Motiv solcher „Sozialpolitik gegen das Eigentum" : Sozialpolitik soll b i l l i g sein — und zwar b i l l i g nicht für die
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E. Ansätze einer möglichen Abgrenzung nach geltendem Recht
Armen, sondern für alle, also auch für die Reichen —, und dies alles zu Lasten einiger Bürger! Ein schwererer Verstoß gegen den Grundsatz der Lastengleichheit ist nicht vorstellbar. Ein Staat, der so belastet, handelt als Räuber, der nimmt, wo er zufällig findet, nicht dort, wo bezahlt werden kann. Sozialpolitik auf Kosten des Eigentums ist also keineswegs ein Schlag gegen die „Reichen", sondern nur ein Schlag gegen die letzte Grundlage der Demokratie: die Solidarität der Bürger. „Rechtfertigen" läßt sich solche Sozialbindung n u r dann, wenn man es für Demokratie hält, daß jede beliebig ausgewählte Gruppe innerhalb der Gemeinschaft v o l l und ganz, m i t all ihrem Gut zur Disposition der Mehrheit steht. Doch dies ist nicht überlegte Sozialpolitik, sondern Vergewaltigung von Minderheiten. Solche A k t e können nie von einer gesellschaftsgestaltenden volonté générale getragen sein, sie opfern den Schwächeren einem Stärkeren, der nur deshalb nicht zu bezahlen braucht, w e i l er i n der Überzahl ist. Damit aber würde sich die Demokratie ad absurdum führen; sie müßte gerade zu dem entarten, was stets i h r Ende angekündigt hat: Z u einem hemmungslosen Kampf von Fraktionen, die i m Namen eigener, letztlich privater Interessen ohne jeden Blick aufs Ganze, nach mehr Gut trachten. W i r d i n einer „Sozialbindung zu Sozialpolitik" der Grundsatz der demokratischen Lastengleichheit aufgegeben, so ist die Demokratie nicht mehr ein Ordnungsversuch zum gemeinen Wohl, sondern die nackte Gewaltherrschaft der Mehrheit über wenige. c) Gemeinschaftsaufgaben müssen erfüllt, Sozial- und Wirtschaftspolitik muß geführt werden; dies alles sind Existenznotwendigkeiten moderner Staatlichkeit. Gäbe es hierfür kein anderes M i t t e l als eine Dynamisierung der Sozialbindung bis h i n zur „billigen Enteignung", so könnten selbst solche Eingriffe noch legitim sein. Doch die Verfassung gibt dem Gesetzgeber ein Instrument, m i t dem er die Lasten gerecht verteilen und den Belangen der Allgemeinheit gerecht werden kann: Die Abgaben. Das GG hat sich für den Steuerstaat entschieden: Einerseits schützt es das Privateigentum — auf der anderen Seite verleiht es weitreichende Steuerkompetenzen und, was entscheidend ist, es läßt i n ihrem Rahmen der Steuergestaltung und der Steuerhöhe weitesten Spielraum 4 8 5 . Darin liegt also die Entscheidung zum Steuerstaat, verbunden m i t dem Schutz der Berufsfreiheit und damit dem grundsätzlichen Verzicht auf großangelegte Veranstaltungen der Staatswirtschaft. Hätte die Verfassung der Steuergewalt engere Grenzen gezogen, so könnte die Frage auftauchen, ob nicht auch der direkte entschädigungslose Zugriff auf das 485
Zur Rspr. d. BVerfG vgl. Spanner, H. (FN 475), S. 218.
V I . Sozialbindung und Steuerstaat
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Eigentum i m Wege erweiterter Sozialbindung verfassungskonform sei. I n der heutigen Verfassungslage ist dies ausgeschlossen. Diese Entscheidung zum Steuerstaat bedeutet aber nicht, daß nun Sozial- oder Wirtschaftspolitik ausschließlich über Steuern zu betreiben sei. Unbestritten ist, daß hier ein viel umfangreicheres, differenzierteres Instrumentarium zur Verfügung stehen muß — eben alle Formen jenes staatlichen Interventionismus, der nicht selten zu Sozialbindungen des Eigentums, vor allem i m Unternehmensbereich, führen wird. Soweit derartige Eingriffe unmittelbar durch die Verfassung i m Rahmen der W i r t schaftslenkung gedeckt sind, kann das Eigentum ohnehin eingeschränkt werden. Wo Eigentumseingriffe dadurch nicht legitimiert sind, bleiben sie dennoch als Intervention i n der Regel rechtmäßig — sie verpflichten jedoch als Enteignung zur Entschädigung! Und darin liegt nun vor allem der Sinn der Entscheidung zum Steuerstaat: Nicht, daß alle Sozialpolitik über Steuern zu betreiben, sondern daß sie stets, soweit sie enteignend wirkt, über Steuern abzugleichen ist. Unter Berufung auf Notwendigkeiten der Sozialpolitik dürfen deshalb die Grenzen der Sozialpolitik auch nicht im geringsten verschoben weren, w e i l die Steuergewalt dem Staat die A u f bringung der M i t t e l gestattet, m i t denen die Gemeinschaft der Leistungsfähigen dem Eigentümer sein Gut abkaufen muß. Der Steuerstaat ist die einzige verfassungsentsprechende Organisationsform einer Güterordnung der egalitären Demokratie. Sein Bestehen allein macht jede Dynamisierung der Sozialbindung i m Namen der Sozial- oder Wirtschaftspolitik unnötig und damit unzulässig. Die Steuergewalt kennt keine Grenzen, der Staat ist unbeschränkt leistungsfähig 486 . Wenn die Regierung politisch nicht die K r a f t hat, den Bürgern kostspielige Reformen zuzumuten, so muß sie auf diese verzichten oder zurücktreten; sie darf sich nicht auf dem „billigen" Weg der Sozialbindung bei einzelnen Eigentümern schadlos halten, deren Leistungsfähigkeit überhaupt nicht geprüft, jedenfalls aber nicht zu der anderer Mitglieder der staatlichen Gemeinschaft i n Beziehung gesetzt ist. So ist denn die Steuergewalt nicht nur Staatsorganisation, sondern zugleich Grundrechtsschutz; sie ist nicht nur Befugnis, sondern auch Verpflichtung. Weder darf sie selbst zur Vernichtung des Eigentums eingesetzt werden, noch darf dieses zerstört werden, u m ihren Einsatz zu vermeiden. d) Ergebnis dieser Überlegungen ist also: Sozial- oder wirtschaftspolitische Erwägungen vermögen i n keiner Weise die Grenzziehung der Sozialbindung des Eigentums zu beeinflussen. Dies ergibt sich letztlich schon aus der herkömmlichen Eigentumsdogmatik: Das Ziel der Eigentumseingriffe ist ohne Bedeutung für die Abgrenzung von Sozialbindung 486
Vgl. oben C I I I 3.
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E. Ansätze einer möglichen Abgrenzung nach geltendem Recht
und Enteignung 4 8 7 , entscheidend hierfür ist allein die Tiefe des Eingriffs, das, was nach i h m an Eigentum noch bleibt. Insoweit sind diese (negativen) Kriterien der Sozialbindung, i n deren Namen eben weder Sozialnoch Wirtschaftspolitik betrieben werden darf, kein positiver Ansatz für eine Bestimmung der Grenzen der Sozialpflichtigkeit; solche positiven Ansätze ergeben sich jedoch, wenn man bedenkt, welche Motivationen und Zielrichtungen für eine Sozialbindung übrig bleiben, wenn diese nicht der Sozial- und Wirtschaftspolitik dienstbar gemacht werden darf, welche über Steuern zu führen oder abzuwickeln ist. Die Sozialbindung des Eigentums erfaßt alle Eigentumsrechte. Entwickelt hat sie sich jedoch vor allem i m Immobiliarrecht, aus dem Bodenrecht kommen auch heute noch die meisten Entscheidungen zu ihr, die stärksten Impulse, die weitestgesteckten Forderungen 488 . Einer immobiliarrechtlichen Betrachtung erschließt sich daher auch heute noch am besten, was die Sozialbindung von jeher war und noch immer ist, selbst i n den anderen Bereichen der Eigentumsordnung: Eine Organisationsform gutnachbarlichen, „großnachbarlichen" Zusammenlebens, i n der jeder Eigentümer auf den Nachbarn, aber auch auf die Allgemeinheit als Nachbarn Rücksicht nehmen muß. Die Sozialbindung ist insoweit ein großangelegtes System von Kontaktrechten, von gegenseitigen Einschränkungen i n Grenzen, die aus der Naturnotwendigkeit des Zusammenlebens kommen. Dies alles hat sie m i t dem klassischen Nachbarrecht des bürgerlichen Rechts gemeinsam, das man rechtstechnisch als einen Prototyp der Sozialbindung betrachten kann. Und die Prinzipien solchen Nachbarrechts gelten eben auch dann, mutatis mutandis, wenn die Allgemeinheit, wenn unbeschränkt viele oder wenn die organisierte Gemeinschaft „Nachbar" ist. Gewiß läßt sich daraus keine eindeutige Grenzziehung der Sozialbindung ableiten, w o h l aber eine gewisse Orientierung: Eingriffstiefen, welche „nachbarrechtlich" betrachtet hingenommen werden müssen, berechtigen auch nicht zur Entschädigung i m Falle der Sozialbindung. Was über eine gedeihliche Ordnung nachbarlichen Zusammenlebens hinausgeht, bedarf als möglicher Raum einer Sozialbindung besonderer Rechtfertigung, etwa aus der Entwicklung des Herkommens. Eine letzte nicht unwesentliche Orientierung ergibt sich aus dieser im weiten Sinne nachbarrechtlichen Natur der Sozialbindung, welche die 487
Siehe dazu bereits oben A I V . Eindeutig ergibt sich dies, wenn m a n die Rechtsprechung zur Sozialbindung nach Materien aufgliedert; w e i t i m Vordergrund stehen bodenrechtliche oder doch grundstücksbezogene Beschränkungen, m i t deutlichem Abstand folgen gewerbliche Berufsregelungen. I m eigentlichen Wirtschafts- u n d Arbeitsrecht ist die Sozialbindung, soweit ersichtlich, n u r bei der Mitbestimmung eingehender erörtert worden. 488
V I . Sozialbindung u n d Steuerstaat
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„Gemeinverträglichkeit des Eigentums" zu gewährleisten hat: Die Sozialbindung ist überhaupt nicht so sehr ein Ausdruck staatlich-politischen Veränderungswillens, als vielmehr eine Form, i n der außerstaatliche, ja außerrechtliche, vorwiegend technische Entwicklungen aufgefangen und verrechtlicht werden. Die „typischen" Formen der Sozialbindung sind eben Baubeschränkungen und Gesundheitsvorschriften, Umweltschutz und Verkehrsregelungen — all die Bereiche, i n welchen die Entwicklung der Technik immer neue Formen der Beschränkung privaten Eigentumsgebrauchs erforderlich macht. Der Staat mag hier fördern und erleichtern, er muß heute auch vorausschauend planen. I m ganzen aber registriert er doch Außerstaatliches oder jedenfalls nicht ausschließlich oder typisch Staatliches, selbst dort, wo er plant. I n diesem Sinn ist die Sozialbindung eine typische Form der Transformation gesellschaftlicher Entwicklungen ins Recht. Sozialbindung ist eben — nun einmal wirklich nach dem Wortsinn — primär Bindung des Eigentums an gesellschaftliche Entwicklungen, nicht an staatlich-politischen Gestaltungswillen. Solange eine Verfassungsordnung wie die des GG noch nicht von einer vollen Identität von Staat und Gesellschaft ausgeht, muß der Staat dem i n der Sozialbindung Rechnung tragen: Er hat die Gesellschaft zu registrieren, nicht m i t staatlichem Imperium zu dominieren. Ob also Sozialbindung überhaupt etwas „Politisches" ist, darüber mag man politologisch streiten, die A n t w o r t w i r d je nach dem gewählten Politikbegriff ausfallen. Aus der Sicht dieser Ausführungen bestehen jedenfalls erhebliche Bedenken dagegen, die Eigentumsbindung und dam i t das Eigentum überhaupt i n einer „neuartigen Weise zu politisieren". Die Grenzen der Sozialbindung sollten vielmehr stets so gezogen werden, daß die Sozialpflichtigkeit in erster Linie das gedeihliche Zusammenleben in der großen Nachbarschaft der Gemeinschaft sichert, daß sie ein Kanal bleibt, durch den außerstaatliche, insbesondere technische Entwicklungen laufend ins Recht fließen können. A l l diese Orientierungen bedürfen der Kategorisierung durch die Judikative. Doch wo die Richtung klar ist, lassen sich an Fällen Begriffe entwickeln.
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E. Ansätze einer möglichen Abgrenzung nach geltendem Recht
V I I . Eingriffe im Rahmen der Sozialbindung müssen auch rein quantitative Grenzen finden 1. Die Notwendigkeit quantitativer Abgrenzungskriterien
a) I n diesem Abschnitt ist bisher versucht worden, Orientierungen allgemein für eine Grenzziehung zu finden, bis zu der entschädigungslose Sozialbindung zulässig ist. Stets wurde dabei von der Erkenntnis ausgegangen, daß sich die Sozialbindung von der Enteignung ausschließlich durch die geringere Eingriffstiefe unterscheidet. Ansätze von Kriterien für diese Eingriffstiefe können wie dargelegt, nach der bisherigen Rechtsprechung etwa aus der Tradition oder aus allgemeinen verfassungsrechtlichen Erwägungen (vgl. oben VI) gewonnen werden. Über all dem darf jedoch nicht vergessen werden, daß es bei der Sozialbindung letztlich doch auf etwas „rein Quantitatives" ankommt: auf das Verhältnis der Wertminderung zum verbleibenden Wert, das sich i n aller Regel i n Geld ausdrücken und damit rein quantitativ bestimmen läßt. Das allgemeine Schwerekriterium, zu welchem diese Untersuchung gelangt ist und das letztlich auch allein der gesamten Judikatur zugrunde liegt, würde bei „reinem Modelldenken" und strenger Berücksichtigung der Rechtsstaatlichkeit dazu führen, die Grenze zwischen Sozialbindung und Enteignung rein quantitativ, etwa i n Prozenten des Marktwertes des jeweiligen Gutes zu bestimmen. Das hieße etwa: Sozialbindung bei einer Minderung von bis zu 25 % , Enteignung bei allem, was schwerer trifft. Die Entscheidung über die Sozialbindung würde damit dem Richter wesentlich erleichtert, sie liefe auf die Überwachung geordneter Schätzung hinaus. Einer solchen Abgrenzung könnte zwar der V o r w u r f des w i l l k ü r lichen Griffes gemacht werden, doch wenn die rein quantitative Grenze systemgerecht ist, so könnte jedenfalls diejenige Lösung vor der K r i t i k bestehen, welche nicht etwa die Begriffe i n i h r Gegenteil verkehren würde und Sozialbindung noch bei quantitativem Quasitotalentzug annähme. b) F ü r Berechtigung und Notwendigkeit rein quantitativer Bestimmung der zulässigen Eingriffstiefe sprechen auch Erwägungen, welche schon bisher angestellt wurden. So spielt etwa bei der Bestimmung des Begriffs der konfiskatorischen oder der Erdrosselungssteuer 489 die rein quantitative Belastung sicher eine, wenn auch noch nicht v o l l geklärte Rolle. Von einer gewissen Höhe des Steuersatzes an spricht eben eine gewisse Vermutung für konfiskatorische oder erdrosselnde Wirkung, und es ist w o h l zulässig, hier i n bestimmtem Umfang nach wirtschaftlichen Erfahrungswerten zu typisieren. Die Rechtsprechung hat ferner bei der 489
Vgl. dazu Leisner, W. (FN 483), S. 77,89 m. Nachw.
V I I . Quantitative Grenzen der Sozialbindung
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Beurteilung von Formen des Quasi-Totalentzuges von Eigentumsgegenständen bereits „rein quantitative Kriterien" herangezogen, insbesondere bei der zeitlichen Begrenzung sozialbindender Bausperren auf drei Jahre 4 9 0 . Auch dort sind gewisse quantitative Marken nach Erfahrungen i m Bauplanungswesen „gegriffen" worden, gegen welche die Einwendung erhoben werden kann, die jeder quantitativen Fixierung entgegensteht: daß nämlich „gerade sie" rational nicht eindeutig begründet werden könne. Dennoch hat sich diese feste zeitliche Grenze i m ganzen gut bewährt, sie hat sicher zur Verstärkung der Rechtssicherheit wesentlich beigetragen. Was aber für die zeitlichen Schranken gilt, läßt sich auch auf (feste) Wertminderungsgrenzen anwenden; die absolute zeitlicheSchranke ist nur eine der zulässigen Formen ihrer Abschätzung. c) Feste quantitative Grenzen würden auch am besten dem Gleichheitsgebot entsprechen. Zwar ist die Sozialbindung des Eigentums nicht zu den „öffentlichen Lasten" i m engeren Sinn der Abgaben zu zählen, sie hat völlig andere Funktionen (vgl. oben IV, 2.). Dennoch steht sie als Ausnutzung eines grundrechtlichen Gesetzesvorbehalts i n besonderer Weise unter dem Gleichheitsgebot. Unbestritten hat der Gesetzgeber hier ein weites Ermessen der Typisierung und Kategorisierung; die Sozialbindung als großnachbarrechtliche Ordnung gedeihlichen Zusammenlebens (vgl. oben IV, 2.) mag für verschiedene Eigentumsarten je nach Tradition, Vertrauen oder notwendigem, privat-eigentumspolitischem Spielraum auch unterschiedliche Tiefen sozialbindenden Eingriffs rechtfertigen. K a u m ein Zweifel dürfte jedoch bestehen, daß es dem Gebot der Gleichheit am nächsten käme, wenn für alle Eigentumsgegenstände eine möglichst gleichmäßige Grenze zulässiger Sozialbindungsbelastung bestimmt würde. Dies allein würde auch der Begriffseinheit des durch die Verfassung geschützten Eigentums 4 9 1 am besten entsprechen: Wenn schon jedes Vermögenswerte Gut i n den Händen des Eigentümers gleichmäßig gesichert werden soll, so sollte diese (Enteignungs-)Sicherung auch unter möglichst gleichen Voraussetzungen eingreifen, d. h. bei vergleichbaren Wertminderungsgrenzen beginnen. Diese Grenzen einheitlich zu bestimmen, sollte das Ziel einer verfassungsbewußten Gesetzgebung sein, ein derartiger allgemeiner Verfassungsauftrag läßt sich ohne Überinterpretation dem GG entnehmen. Soweit die Legislative aber untätig bleibt, sind die Richter aufgerufen, das Gleichheitsgebot durch konstruktive Entwicklung möglichst einheitlicher, i m Rahmen der Sozialbindung zulässiger Wertminderungsgrenzen zu realisieren. N u r dann kann es i n diesem Bereich echte Rechtssicherheit geben. 490 491
Siehe dazu oben I I . Hierzu bereits oben A , I I 2.
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E. Ansätze einer möglichen Abgrenzung nach geltendem Recht 2. Die Größenordnung zulässiger Wertminderungen im Rahmen der Sozialbindung
a) Die Entwicklung zur Gewinnung quantitativer Wertminderungsgrenzen bei der Sozialbindung hat i n verschiedenen Bereichen, vor allem i m Baurecht, schon seit langem begonnen. Doch weit über solche i n U r teilsgründen ausgesprochene Erwägungen hinaus dürften die Richter von jeher m i t unausgesprochenen Kriterien quantitativer Wertminderung arbeiten und vor allem, wenn nicht ausschließlich m i t ihrer Hilfe den Einzelfall entscheiden. Vieles spricht dafür, daß hier, wie so oft, die unausgesprochenen Kriterien — die eigentlichen Entscheidungskriterien darstellen. Andernfalls hätte eine Eigentumsjudikatur gar nicht entstehen können, die, wenn nicht immer i n der Begründung, so doch meist i m Ergebnis zu billigen ist. Die unhaltbaren Groß-Formeln der Abgrenzung von Sozialbindung und Enteignung (Sonderopfer, Interessenabwägung u. ä. m.) konnten hingenommen werden, w e i l i m Einzelfall meist nach dem Besten geurteilt wurde, was es zur Bestimmung der zulässigen Eingriffstiefe geben kann — nach einem wie immer bestimmten quantitativen Wertminderungsgesichtspunkt. Wenn eben der Eigentümer „zu viel verliert", so kann er Entschädigung fordern. b) Doch was ist „zu viel", lassen sich allgemeine Anhaltspunkte für eine quantitative Bestimmung der zulässigen Eingriffstiefe der Sozialbindung aufzeigen, kann der Maßstab formuliert und offen ausgesprochen werden, der i n Wahrheit jeden guten Richter leitet? Hier ist kaum etwas zu diktieren, zu normieren. Quantitative Grenzen sind nur überzeugend, wenn sie aus vielfacher Fallentscheidung erwachsen, i n Urteilsketten sich aufbauen. Hier vor allem ist Induktion geboten, nicht schabionisierender Normbefehl. Es ist das Reich der Richter, nicht der Bereich der Gesetze. Die Festlegung quantitativer Grenzen kann wohl auch nicht i m direkten Zugriff erfolgen, sie muß über vielfache „quantifizierende Vorstufen" laufen, von der Fixierung fester möglicher Eingriffsdauer bis zur Bestimmung erträglicher Gewinnausfälle. Sie kann auch nicht sogleich für alle Eigentumsgegenstände einheitlich erfolgen, sondern sie w i r d sektorial zu entwickeln sein — allerdings stets m i t dem Bewußtsein der notwendigen Vereinheitlichung und daher m i t einem Blick aufs Ganze des Eigentumsschutzes. Die zulässigen Wertminderungsgrenzen i m Rahmen der Sozialbindung werden vor allem unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten quantitativ zu bestimmen sein, wobei Rentabilität und betriebliche Leistungsfähigkeit von wesentlicher Bedeutung sein müssen. Die quantitativen Schranken sind auch, i n Grenzen, je nach der makroökonomischen Entwicklung, flexibel, eben weil sie auf Grundlagen gewonnen werden, welche ihrer-
V I I . Quantitative Grenzen der Sozialbindung
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seits auf volkswirtschaftlichen Daten beruhen. Daß dies nicht zu einer Abwandlung der „Krisentheorie" führen darf, welche das Eigentum unter den Vorbehalt volkswirtschaftlicher Prosperität stellt, muß hier nicht mehr betont werden. c) Nähere Anhaltspunkte für eine quantitative Bestimmung der Höhe zulässiger Wertminderung lassen sich also allgemein heute kaum geben. Immerhin können einige ferne Ausgangspunkte markiert werden. — I m Rahmen der Sozialbindung darf nicht allzu viel an Wertminderung zulässig sein, w e i l sonst das von der Verfassung gewollte Nebeneinander von Sozialbindung und Enteignung zu ungerechten Ergebnissen führen müßte. Wenn etwa einem Eigentümer 80 % des M a r k t wertes seines Gutes entschädigungslos entzogen werden dürfte, i h m jedoch die „formale Eigentümerstellung" verbliebe, so würde sich das abwegige Resultat ergeben, daß er gar nichts, der neben i h m stehende Eigentümer jedoch, dem 90 °/o oder 100 °/o genommen würde, wegen Quasi-Total- oder Totalentzug alles ersetzt bekäme. Man müßte also „ u m Enteignung bitten"! Daß der „tiefere" Eingriff, die Enteignung, „besser" stellen kann als der „schwächere", die Sozialbindung, das ist allerdings eine Folge der dogmatischen Konstruktion des Eigentumsrechts und läßt sich nicht v o l l vermeiden. Es bleibt auch dadurch vernünftig, daß i m Enteignungsfall immerhin zum Wertverlust noch der Verlust des Gegenstandes selbst kommt, der i m Sozialbindungsf all ja dem Eigentümer verbleibt; dies darf veranschlagt und insoweit eben der Enteignete „besser" gestellt werden. Kann jedoch die Sozialbindung allzu weit gehen, so schafft dies offene Ungerechtigkeit gegenüber dem Enteignungsfall, es kommt zu einer unvertretbaren „Enteignungsprämie". — Die bisher anerkannten absoluten Belastungsgrenzen, insbesondere die der dreijährigen Bausperre, geben Anhaltspunkte für die quantitat i v möglichen Belastungen i m Rahmen der Sozialbindung auch i n anderen Fällen, muß doch versucht werden, die Grenzen der Pflichtigkeit möglichst einheitlich zu ziehen. — Nicht zuletzt sollten hier aber auch die Zusammenhänge von Eigentumsrecht und Steuerrecht nicht vollständig ignoriert werden. Die Verfassung setzt zwar der Steuergewalt i m allgemeinen keine quantitativen Höchstgrenzen, ihr gegenüber ist eben das Gesamtvermögen des Bürgers nicht i n der Weise geschützt wie das Eigentum gegenüber der Sozialbindungsgewalt. Die Steuerhöhe kann also bis an die Grenze der Konfiskation oder Erdrosselung gehen. Daß aber bei einer noch stärkeren Belastung, wenn sie eigentumsrechtlich erfolgte, auch die Grenzen der Sozialbindung überschritten wären, bedarf keines Nachweises.
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E. Ansätze einer möglichen Abgrenzung nach geltendem Recht
Daraus ergibt sich jedenfalls die Folgerung, daß die mögliche Sozialbindungsbelastung nicht über die mögliche Steuerbelastung hinausgehen darf. Fraglich ist dagegen, ob man einen Schritt weiter und bis zu der These gehen darf, daß die Sozialbindungsbelastung stets (oder i n der Regel) hinter der jeweils sachnächsten Steuerbelastung zurückbleiben muß. Dagegen spricht, daß die Grenzen der Besteuerungshöhe eben nicht festgelegt sind und nicht nach rechtlichen, sondern nach wirtschafts- oder finanzpolitischen Gesichtspunkten bestimmt werden; die Grenzen der Sozialbindung dagegen sind — wie immer dies geschieht — fest und nicht „dynamisch", ihre Fixierung ist eine Frage des Rechts, nicht der Ökonomie. Wenn sich also auch ein J u n k t i m von Steuerhöhe und Sozialbindungsintensität nicht rechtfertigen läßt, so gibt doch der große, i n einer geschichtlichen Epoche einigermaßen festliegende Steuerrahmen einen, wenn auch sehr fernen, Anhaltspunkt für das, was man noch als Partizipation des Staates, und für das, was man schon als sozialordnende Verteilung ansprechen kann. Und dann allerdings muß die Wertminderung durch Sozialbindung stets erheblich unter diesen Marken bleiben, denn der Steuergewalt obliegt es ja gerade, Steuer- und Wirtschaftspolitik zu betreiben und i n diesem Rahmen auch Sozialbindungsbelastungen gerecht auszugleichen. Gegenüber der Sozialbindung hat also die Steuer stets eine „überschießende Tendenz" — so w i l l es der Steuerstaat, der Staat der Grundrechte. Quantitative Grenzen zulässiger Sozialbindung — ihre Wünschbarkeit leuchtet ebenso ein wie die Schwierigkeit ihrer Fixierung. Hier muß vieles versteckte Billigkeit bleiben — gerade daraus aber w i r d dann Rechtssicherheit. Ein Paradox vielleicht: Rechtsstaatlichkeit durch B i l l i g k e i t . . .
Ausblick: Sozialgebundenes Eigentum als Grundlage solidarischen Zusammenlebens Diese Untersuchung hat i n ihren ersten Teilen versucht, unbrauchbare Kriterien der Sozialbindung auszuschalten, falsche Sicherheiten der Eigentumsdogmatik zu zerstören. Neue Sicherheit zu schaffen, ist ihr sicher nicht gelungen; sie hat i h r Ziel erreicht, wenn sie aufzeigen konnte, wie sie gewonnen werden kann. Die Arbeit am Eigentum als Rechtsbegriff muß erst beginnen. Doch zu einer Grunderkenntnis glaubt dieser Versuch gelangt zu sein: A m Privateigentum gibt es nichts zu manipulieren, das Eigentum ist kein sozialpolitisches Experimentierfeld, sondern ein Gegenstand rechtlicher Sicherung und die Grundlage der rechtlichen Sicherheit i n diesem Staate. Eigentum ist in diesem Sinne nicht ein Gegenstand ökonomischer Theorie, sondern ein Grundrecht, ein Gegenstand staatspolitischen Bekennens. Der demokratische Staat zieht seine Legitimation daraus, daß er m i t den Grundrechten seiner Bürger nicht experimentiert, sondern sie auch dann achtet, wenn sie i h m unbequem sind. Jede Freiheit ist so viel wert, wie sie dem Staat unbequem ist. Deshalb ist heute die Eigentumsgarantie die wertvollste Freiheit. Sozialreformen muß es geben, Wirtschaftsreform tut not, eine „Eigentumsreform" aber kann nicht stattfinden, es sei denn, man vernichte diese Staatsordnung. Die Sozialbindung eröffnet keine Räume gesellschaftsverändernder Reformen, sie ist kein neues Ufer, das man gerade erst entdeckt hätte, zu dem man i m Namen sozialer Gerechtigkeit aufbrechen dürfte. Wer hier die M i t t e l zur Verbesserung der Gesellschaft finden w i l l , sucht als Blinder, er t r i f f t auch, gerade den Kleinen, den Aufstiegswilligen, den Träger der Demokratie. Manipulation des Eigentums durch forcierte Sozialbindung schafft eine Unruhe, die nichts ist als die erste Stufe zur Revolution. Diese Untersuchung kommt zu folgendem Gesamtergebnis: Sozialbindung ist kein „dynamischer Begriff", sie ist ebenso fest und beständig wie das Eigentum, dem sie zugeordnet ist. Im Namen der Sozialpflichtigkeit darf der Staat den Wert des Eigentums unter Berücksichtigung von Herkommen, Vertrauen und technischer Entwicklung so weit mindern, wie dies zu solidarischem Zusammenleben in der großen Nachbarschaft der staatlichen Gemeinschaft unumgänglich ist; sozialpolitische Reformen
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Ausblick
kann er mit ihr nicht betreiben. Und bleiben muß dem Bürger stets der Raum seiner kleinen, aber autonomen eigentumspolitischen Privatentscheidung. Dies, nur dies ist Sozialbindung, alles andere ist Enteignung, in welcher der Steuerstaat dem Bürger dessen Gut abkaufen muß. Wer dies konservativ nennt, der kennt nicht den Begriff des Bewährten, aus dem allein heraus fortgeschritten werden kann. Und niemand erzeugt verhängnisvollere Stagnation als der, welcher alles zugleich i n den Fluß w i r f t . Das deutsche Staatsrecht öffnet dem intervenierenden Staat die Tore, es macht den Steuerstaat fast allmächtig — doch all dies nur, damit eines bleibe: was zu Recht erworben worden ist. Demokratische Verfassungen sind geschrieben, auf daß der Bürger seine Rechte fassen könne, daß er sie fest i n der Hand halte. Was nützt es dem Bürger, wenn er alle Freiheit dieser Welt gewinnt, an seinem Eigent u m aber Schaden leidet? Welches sichere Recht kann der Staat dem Bürger noch geben, wenn er i h m die größte Sicherheit des Rechts, das Eigentum streitig macht? Jedes System hat seine Axiome und so auch jede Staatsordnung. Ein A x i o m des grundrechtlichen Staates ist der ruhende Pol des sicheren Eigentums für jedermann, eines Eigentums ohne den grenzenlosen Vorbehalt der Sozialbindung. Reformen können auf vielen Wegen kommen, wenn es M u t zu ihnen gibt. Doch alle müssen sie den breiten Haupteingang des Interventions- und Steuerstaates benützen, sie dürfen sich nicht über die Hintertreppe der Sozialbindung ins Haus schleichen, denn der Staat ordnet, er stiehlt nicht. Die große französische Enzyklopädie von Diderot und d'Alembert kennt das Wort Propriété i n einem doppelten Verstände: i m „metaphysischen" Sinn der „wesensmäßigen Eigenschaft" und i n der rechtlich-politischen Bedeutung des „Eigentums". Es ist mehr als ein Wortspiel, wenn man vom Staat des Grundgesetzes sagen kann: La propriété de l'Etat c'est la propriété!
Sachregister Abgrenzungsformel 92 ff., 191 ff. Abgrenzungskriterien — Enteignungsgegenstand (Grundeigentum) 17 ff. — formale K r i t e r i e n 153 ff. — F o r m (Einzelakt) 21 ff., 43 f. — mögliche Nutzung 35 ff. — quantitative K r i t e r i e n 234 ff. — Regel-Ausnahmeverhältnis 162 ff. — Sachgerechtigkeit 153 ff. — Schutzwürdigkeit 31 ff., 102 F N 262 — Sonderopfer 132 ff., 152 — Tiefe, bzw. Schwere des Eingriffs 27 ff., 35, 37, 102, 131, 143 ff., 147 ff., 152 ff., 206 f., 216, 234 — Übertragungszweck 24 ff., 163 — Z a h l der Betroffenen (Sonderopfertheorie) 29 ff., 35 — Zweckänderung beim betroffenen Recht 163, 171 ff. Ablieferungspflichten 38 Abschöpfung 121 ff., 124 ff., 129 ff. Abwägungslehren 91 ff., 154, 159 Abwehrrechte 40, 83 ff. Äquivalenzprinzip 114 Allgemeininteressen 27 F N 32, 32, 86 ff., 91, 187 Allgemeinwohl 86 ff., 90, 227 Allgemeine Verfassungsvorbehalte 85 ff. Allg. verwaltungsrechtl. Grundsätze 157 ff., 189, 205 Anbaubeschränkungen 225 Anschluß- u n d Benutzungszwang 58, 166 f. Anspruchsgrundlage 209 arbeitsloser Gewinn 123 f., 126 Arbeitsverhältnis 81 f. Auflösung des Eigentumsbegriffs 81, 200 Aufopferungstheorie 135 Ausnahmecharakter der Vergesellschaftung 69 Ausnahme-Regel-Verhältnis 162 ff. außerordentliche Umstände 54 f. Ausweitung des Enteignungsbegriffs 19 f., 26 Autonomes Eigentum 223 Bagatelleingriff 99 Bagatellgrundsatz 161
Baubeschränkungen 213, 225, 233 Bauplanung 205 Bausperren 205, 235 Bedarfsdeckungsgrundsatz 64 Begriffsfestigkeit des Eigentums 58 ff. Begriffsfestigkeit von Enteignung u n d Sozialbindung 58 ff., 239 Begriffskern 66, 147 ff., 200 f., 213 Belange der Allgemeinheit 86 ff. Belastungsgrenzen 236 ff. Beschränkung des Eigentumsgebrauchs 202, 224 Beschränkung von Rechten 24 „besondere Umstände" 113 ff., 118 f., 214 Bestandsschutz 175 ff., 211, 217 ff. — J u d i k a t u r 217 ff. bestehende Verhältnisse 218 Besteuerung 99, 226 ff. Bestimmtheitsgrundsatz 160 f. B i l l i g k e i t 188, 238 bisherige Nutzungsart 217 f. Bodenrecht 17 f., 21, 232 Bodenreform 34 Dauer des Eingriffs 205 ff. Demokratie 230 ff., 23θ Denkmalschutz 58, 155 Dispositionsbefugnis des Eigentümers 171 ff. Dispositionsbefugnis des Gesetzgebers 50, 61, 149 f. D r i t t W i r k u n g der Grundrechte 77 Dynamisierung der Sozialbindung 129 ff., 230 Eigengewicht der Verfassung 187 Eigentümer als — Amtsträger 39 — Organ freiheitlicher Wirtschaftsverfassung 219, 222 ff. — Treuhänder der Volksgemeinschaft 39 ff. Eigentümer — Menschenbild des GG 201 Eigentümernutzen 180 Eigentum — Begriff 12 ff., 38 f., 46 ff., 49, 52, 57, 60 f., 71 ff., 103 ff., 128, 130 f., 170, 197, 209 ff., 212 ff.
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Sachregister
— Bündel von Befugnissen 81, 197 ff., 200 — Einzelbefugnisse 197 ff., 200 — formale Stellung 130 f. — u n d Freiheit 9, 52 ff., 74 ff., 80 ff., 88, 95, 149, 202, 216 — als Grundrecht 84 ff., 147 ff. — immanente Schranken 36 ff., 45, 47, 72 ff., 128 f., 163 ff., 168 f., 179 f., 182 — Innehabung von Werten 79 f., 201 — als Organisationsprinzip 221 — Schranken 74 ff., 81 ff. — variable Hechtsposition 46 f., 55, 127 — Verfügungsbefugnis 16, 20 f., 79 f. — Wesensgehalt 28 f., 45, 147 f., 150 f., 171 — Wirtschaftsverfassung 224 ff. — zentrale Schutzbereiche 148 ff. Eigentumsabgrenzung 20 Eigentumsautonomie 225 Eigentumsbefugnisse 16, 79 f., 197, 200 Eigentumsbeschränkung — Begriff 100 Eigentumsdogmatik 16, 23 f., 26, 29, 163, 187, 192 f., 194 ff., 203, 225 Eigentumsfreiheit als Grundsatzentscheidung 60 f., 223 f. Eigentumsinitiative 223, 225 Eigentumsjudikatur 132 ff., 143 ff., 192 ff. Eigentumskern 66, 147 ff., 150 f., 201, 213 Eigentumsordnung 68 f., 76, 227 Eigentumsschöpfung 20 Eigentumsschutz 104 ff. — System 105 ff. Eigentumsteilung 82 Eingleisigkeit des Eigentumsgebrauchs 224 Eingriffsdauer 205 ff. Eingriffstiefe 27 ff., 35, 37, 102, 131, 143 ff., 147 ff., 152 ff., 206 f., 216, 234 Einheit des Eigentumsbegriffs 20, 53, 80 Einheit von Enteignungsbegriff u n d Entschädigungsrechtsprechung 117 f. Einheit der Rechtsordnung 170 einheitliche Abgrenzungsformel 191 ff. Einrichtungsgarantie 209, 214 ff. Einzelakt 23 Einzelakttheorie 21 ff., 132 ff. — ursprüngliche, alte 21 ff., 29, 134, 139 — „modifizierte" 22 ff.
enteignender Eingriff 21 ff., 106 Enteignung — Ausweitung des Begriffs 19 f., 26, 37 133 f. — Begriff 26, 34, 105 — besonderes Rechtsinstitut 105 — Entschädigung 101 ff., 105 ff. — Gegenstand 18 f. — K e r n des Enteignungsbegriffs 26 — klassischer Enteignungsbegriff 26 — Schutz Wirkung der Enteignungsregelung 24 f., 41 Entfaltungsfreiheit der Persönlichkeit 72 ff., 219 f. Entschädigung 35, 55, 66, 106, 110 ff. — Bemessung 41 f., 101, 127 — Höhe 32 F N 53, 41 ff., 66, 101 ff., 109 ff., 127, 130 — Einfluß der Höhe auf die Abgrenzung Sozialbindung - Enteignung 101 ff. Entwicklungsabhängigkeit der Sozialbindung 50 ff., 57 Entwicklungsgebundenheit des Eigentums 50 ff., 55, 212 Entziehung von Rechten 24, 26, 174 f., 199 ff. Evolutionsoffenheit des Eigentums 50 ff., 60, 212 Existenzvernichtung 206 ff. expropriation 17 f. Fiskalinteressen 97 ff. — aus Fiskaltätigkeit d. öff. H a n d 97 f. — vermögensrechtl. Staatsinteressen 97, 98 f. Freiheitsrechte 40, 48, 75, 83, 148 ff. Funktionen des Eigentums 172 ff., 194, 220 ff., 224 funktionsgerechte Verwendung des Eigentumsgegenstandes 171 ff., 176 ff., 202 Gebrauchmachen von Eigentum 199, 223 Gebrauchsbeschränkung 202, 224 Gemeingebrauch 59, 99, 166, 218 Gemeininteressen 32, 86 ff. Gemeinschaftsaufgaben 230 Gemeinschaftsbindungen 10 ff., 36 ff., 73, 166 Gemeinschaftsinteressen 89 ff., 101 Gemeinschaftspflichten 37 ff. gemeinschaftsschädliches Eigentum 183 f. Gemeinschafts vorbehält 71 ff. Gemeinverträglichkeit des Eigentums 233 Gemeinwirtschaft 187
Sachregister gemein wirtschaf ti. Eigentums bindungen 66 Gemeinwohl 44, 86 ff., 91, 187 Gemeinwohlgefährdung 90 Gemeinwohlklausel 44 Gesellschaftsordnung 48 Gesellschaftsverfassung 53 Gesetzesvorbehalt 28, 44, 71 f., 147 ff., 189, 216 — allgemeiner 156 — spezieller 89 Gesetzgebungsermessen 44 f., 94, 112, 194 f., 214, 221, 235 „Gesetzmäßigkeit der Verfassung" 54 Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers 137 ff., 141 gesteigerte Sozialbindung 70 ff. Gewinnerzielungsgrundsatz 64 Gleichheitssatz 29 f., 133 ff., 138, 139 ff., 144, 229 ff., 235 Gleichwertigkeit der Enteignungsentschädigung 111 Globalenteignung 70 Grenzen der Sozialbindung 20 ff., 43 ff., 63 ff., 157 ff., 190 ff., 205 ff., 213 f. Groß-Enteignungen 99 Grundrechte 84 ff., 88 f., 141 f., 147 ff., 150 Grundrechte D r i t t e r als Eigentumsschranken 74 ff. Grundrechtsauffassung 84 ff., 96, 222 Grundrechtscharakter des Eigentums 147 ff., 155 f., 159, 162, 178, 190 Grundstücksbeschaffungsplanung 116 Gruppenenteignung 136 ff. Gruppeneigentum 49 Herkommen 209, 211 ff. heteronomes Eigentum 223 historische E n t w i c k l u n g 209 ff. Hypothekenaufwertung 60 F N 149, 168 Immanente Schranken des Eigentums 36 ff., 45, 47, 72 ff., 128 f., 163 ff., 148 f., 179 f., 182 Immobiliarrecht 17 f., 21, 232 Individualidee 89 Individualinteresse 101 I n d u k t i v e Bestimmung der Sozialbindung 192 ff., 195 inhärente Schranken 163 ff. Inhaltsbestimmung des Eigentums durch Gesetz 20, 53, 133, 164 f. Innehabung von Werten 79 f., 201 I n i t i a t i v r a u m des Bürgers 223 f. Institutsgarantie 209, 214 ff. Integrationslehre 32
Interessenabwägung 91 ff., 101 ff., 106 ff., 111, 112 ff., 116 f., 147 ff. — I n h a l t 119 Interessenjurisprudenz 95 Interessenkollision 93 Interessenparallelität 181 Interessenwertung 102 Interventionsermächtigung 64 J u n k t i m 107 f., 112, 141 f. Kausalität 127, 130 Kernbereich des Eigentums 147 ff., 201, 213 Kernbereichdenken 288, 147 ff. Kollektiveigentum 82 Kollektiventeignung 144 K o m b i n a t i o n von Abgrenzungskriterien 46, 89, 192 K o m b i n a t i o n privater u n d öff. I n t e r essen 89 Konkretisierung des Sozialbindungsbegriffs 85, 129 ff. Konstitutionalismus 193, 213 K o n t i n u i t ä t des Eigentumsschutzes 34 K o n t i n u i t ä t des Sozialbindungsbegriff s 33 f. Krisentheorie 55 f., 88, 99 Kriteriensynkretismus 33 Lagegebundenheit 167, 175 Landschaftsschutz 58, 154 f., 167, 210 Lastengleichheit 229 f. Legalenteignung 137 ff. Lehnsrecht 197 Leistungsfähigkeit des Bürgers 229 f. Leistungsfähigkeit des Staates 55 f., 97 ff., 229 ff. Leistungsverwaltung 64 Makroökonomische F u n k t i o n des Eigentums 224 Marktordnungen 38 Marktpreis 115 f. M a r k t w e r t 101 ff., 111 ff., 115 ff., 118 ff. Marktwirtschaft 123 ff., 177 Maßnahmegesetz 23 Menschenrechtskern des Eigentums 148 ff. Minimalschutz 64 Mitbestimmung 21, 78, 142, 213 Mobilisierung der Entschädigungshöhe 101 ff., 109 ff., 126 ff. Nachbarrecht 232 nationalsozialistische Akzente 34 ff. Natur der Sache 156, 179, 181 f. Naturschutz 58, 167 Neubestimmung der Sozialbindungsgrenzen 193 ff., 213 f.
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Sachregister
Nivellierungseffekt 227 Notzeiten 54 f., 88, 99 Nutzbringende Verwendung 202 Nutzen 176 ff. Nutzungsänderung 36 ff., 210 Nutzungsart 35 ff. Nutzungsformen 218 „ O b j e k t i v i e r u n g " der Grundrechte 96, 222 öffentliches Interesse 56, 72 f., 86 ff., 93 f., 101 f., 116 Öffentliches W o h l 27 F N 32 Ordnungserfordernisse 182 Organstellung des Eigentümers 220 ff., 222 ff. Orientierungsbegriff 201 Orientierungswirkung der Tradition 213 Osmose zwischen einzelnen Eigentumskategorien 20, 53 Pflichtigkeit 35 ff., 40, 215 Pflichtigkeitsvorstellungen 222 Planungsgewinne 114 f., 125 ff. Pluralität des Eigentumsgebrauchs 225 Pluralität der K r i t e r i e n 192 polizeirechtliche Grundsätze 157 ff. Präzedentien 193 prekäre Rechtspositionen 168 ff. Prinzipiengewinnung zur Abgrenzung 193 ff., 213 f. Privateigentum als I n s t i t u t i o n 220 ff. private Eigentumspolitik 225 Privatnützigkeitstheorie 171 ff. Produktionsmittel 78 ff., 82 Produktiveigentum 82 propriété 198 Quantitative Abgrenzung 234 ff. Rechtssicherheit 116, 159 Rechtsstaatsprinzip 214 ff. Rechtsübertragung 24 ff. Reichsenteignungsgesetz 34 Relativierung der Grundrechte 72 Relativität des Eigentums 46 ff., 56 réquisition 17 Sachgerechtigkeit 153 ff. Schranken des Eigentums 36 ff., 74 ff., 81 ff., 163 ff. Schutzbereiche des Eigentums 148 ff. Schutzfunktion des Enteignungsbegriffs 32 Schutzwürdigkeitstheorie 31 ff., 102 F N 262 Schwere des Eingriffs 102, 143 ff., 147 ff., 153 ff., 206 f., 216, 234
Schweretheorie — als Folgerung aus der G r u n d rechtsqualität des Eigentums 151 ff. Situationsgebundenheit des Eigentums 167, 175, 210 Sittengesetz 73 f. Sonderopfer 26, 29 f., 133, 143 f., 168 Sonderopfertheorie 132 ff. — Doppeldeutigkeit 134 f. — Gruppenenteignung 137 ff. — Eingriffsgröße 141 ff. Sozialbindung — u n d „allgemeine Anschauungen" 51 f. — Begriff 16 ff., 25, 37 f., 43, 103, 106, 239 — Begriffskontinuität 33 f. — Entwicklungsgebundenheit 50 ff., 57 — u n d Freiheitsrechte D r i t t e r 74 ff., 77, 81 ff. — Grenzen 20 ff., 43 ff., 49 f., 63 ff., 157 ff., 190 ff., 205 ff., 213 f., 234 ff. — i m Interesse des Betroffenen 180 ff. — durch Nominalentschädigung bei der Enteignung 101 ff., 109 — u n d Sozialisierung 65 ff. — u n d Sozialpolitik 11 f., 226 ff. — u n d Sozialstaatsprinzip 63 ff. — Untersuchungsmethode 188 ff. Sozialbindungsermessen 21 Sozialgefährlichkeit 183 Sozialisierung 65 ff. Sozialpflichtigkeit 36 ff., 41 ff., 59, 63, 103, 110, 190, 215 — Schema 38 f. Sozialpolitik 186 f., 228 ff. sozialpolitische D y n a m i k 186 f. Sozialschädlichkeit 90 Sozialstaatlichkeit 63 ff., 65, 73, 115 Sozialvorbehalt 44 f., 62 ff. Spannungsverhältnis 75 f. Spekulation 122 ff. Spezialisierung der einzelnen Freiheiten 76 Spezialisierung der Sozialbindung 75 Staatsverursachung von Wertsteigerungen 115, 122 ff., 128 Städtebauförderungsgesetz 121 f. Status — activus 192, 221 — negativus 84, 192, 198, 222 — positivus 84, 192, 198 Steuerbelastung 226 ff., 238 Steuergesetze 226 ff. Steuergewalt 231 Steuerlast als Sozialbindung 226 ff. Steuerstaat 56, 99, 228 ff.
Sachregister Subprinzipien der Abgrenzung 193 ff. Substanzkern 199 Teilhaberechte 40, 83 ff. Teilenteignung 203 ff. Teilentziehung von Hechten 24, 201 ff., 203 ff. Teilnahmerechte 40, 83 ff. T r a d i t i o n 58 ff., 175 f., 209 ff., 212 ff., 217 Treuhänder 39 ff. Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers 30, 136, 137 ff., 141, 235 Übermaßverbot 70, 159 f. Übertragung des Eigentums 24 ff. Umweltschutz 64 F N 158 unverdientes Eigentum 121 ff. Variabilität des Eigentums 46 ff., 50, 56, 127 Variabilitätstheorie 46 f., 55 Verfassungsbegriff des Eigentums 54 Verfassungsgarantie des Eigentums 16, 19, 50, 58, 60 ff., 83, 105, 147 ff., 191, 194 ff., 209 ff., 212 ff., 215, 223 f. Verfügungsbefugnis 16, 20 f., 79 Verfügungsbeschränkung des Eigentums 79 Verfügungsrecht 16, 28, 79, 95 f. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 87, 158 Verkehrsbeschränkungen 207 „vernünftiger" Eigentümer 180,182 ff. Vertrauenstatbestand 215 Vertrauensschutz 58 ff., 169, 175, 217 Verwaltungsakt 23 Verwendung des Gutes 202 V e r w i r k u n g des Eigentums 37
Vorbehalt des öff. Interesses 88 f., 94 Vorbehalt der Volkswirtschaft 56 Vorbehalt des Wirtschaftsrechts 87 Vorhersehbarkeit 175 f., 215 f. Wertbegriff 95 f., 199 Wertelemente 128, 130 Werteordnung 93 ff. Wertlehre 93 Wertminderungsgrenzen 236 ff. Werterhöhung infolge staatl. Maßnahmen 115, 122 ff. Wertvergleich 92 Wesensgehalt 28 f., 45, 147, 150 f., 171 Wesensgehaltstheorie 29 Wiederaufforstungs Verpflichtung 180 Wirtschaftslenkung 68 wirtschaftliche Freiheiten 219 Wirtschaftsordnung 48 Wirtschaftsverfassung 76, 115, 219 ff., 224 ff. wirtschaftsverfassungsmäßige Bedeutung des Eigentums 220 f. Zentralverwaltungswirtschaft 64, 124, 177 Ziel der Eigentumseingriffe 158 f. Zwangserbbaurechte 213 Zweck des Eigentums 171, 178 ff. Zweckänderung 171 ff. Zweckbestimmung des Eigentums 36 ff., 172 ff. Zweckentfremdungslehren 171 ff., 178 ff. Z w e c k k r i t e r i u m 24 ff., 90 Zwischenformen zwischen Enteignung u n d Sozialbindung 67, 107, 117, 121 f.