Sonntagsarbeit nach dem Arbeitszeitgesetz und tarifliche Regelung der Sonntagsarbeit [1 ed.] 9783428488926, 9783428088928


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Sonntagsarbeit nach dem Arbeitszeitgesetz und tarifliche Regelung der Sonntagsarbeit [1 ed.]
 9783428488926, 9783428088928

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MICHAEL SCHNIEDERS

Sonntagsarbeit nach dem Arbeitszeitgesetz und tarifliche Regelung der Sonntagsarbeit

Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft Herausgegeben im Auftrag der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster durch die Professoren Dr. Hans-Uwe Erichsen Dr. Helmut Kollhosser Dr. Jürgen Welp

Band 104

Sonntagsarbeit nach dem Arbeitszeitgesetz und tarifliche Regelung der Sonntagsarbeit

Von

Michael Schnieders

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Schnieders, Michael: Sonntagsarbeit nach dem Arbeitszeitgesetz und tarifliche Regelung der Sonntagsarbeit I von Michael Schnieders. Berlin : Duncker und Humblot, 1996 (Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft; Bd. 104) Zug!.: Münster (Westfalen), Univ., Diss., 1996 ISBN 3-428-08892-1 NE:GT

D6 Alle Rechte vorbehalten

© 1996 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fotoprint: Wemer Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-5383 ISBN 3-428-08892-1

Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 @

parentibus meis

Vorwort Die Arbeit wurde im Wintersemester 1995/96 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Inauguraldisseration zur Erlangung der Doltorwürde angenommen. Rechtsprechung und Schrifttum sind bis Anfang November 1995 berücksichtigt. Meinem verehrten Lehrer, Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. Schlüter, danke ich herzlich für die Anregung und Betreuung der Arbeit. Er hat sich immer wieder Zeit genommen, mit mir die Grundstrukturen und Einzelheiten der Arbeit in verschiedenen Gesprächen zu erörtern. Dabei habe ich wertvolle Ratschläge erhalten. Mein besonderer Dank gilt auch Herrn Prof. Dr. Steinmeyer, der das Zweitgutachten erstattet hat, und den Herausgebern der Schriftenreihe "Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft" für die Aufnahme meiner Arbeit in diese Reihe. Der Westfälischen Wilhelms-Universität danke ich für die Bewilligung des großzügigen Druckkostenzuschusses, der die Veröffentlichung dieser Arbeit gefördert hat. Ganz herzlich danke ich meinen Eltern, die mir durch ihre Fürsorge überhaupt erst ermöglicht haben, diese Dissertation anzufertigen. Schließlich danke ich allen, die mich bei der Anfertigung der Arbeit begleitet haben, allen voran meinem Freund Tilmann Gleich.

Aachen, im Juni 1996 Michael Schnieders

Inhaltsverzeichnis § 1 Einleitung

21

§ 2 Tatsächliche Lage und Geschichte der Sonntagsarbeit

24

A.

Tatsächliche Lage der Sonntagsarbeit ............................ 24

B.

Geschichtliche Entwicklung der Sonntagsarbeit ..................... 27

§ 3 Sonntagsarbeit nach dem Arbeitszeitgesetz (ArbZG)

A.

32

Grundsatz der Sonntagsruhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 I.

Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33

11.

Zweck des Beschäftigungsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

III.

Verschiebung der Sonntagsruhe ............................ 34 1. Verschiebung der Sonntagsruhe in Schichtbetrieben ........... 34 2.

B.

Verschiebung der Sonntagsruhe für Kraftfahrer und Beifahrer .... 36

Ausnahmen: Zulässigkeit von Sonntagsarbeit ....................... 36 I.

Ausnahmen kraft Gesetzes .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

1. § 10 Abs. 1 ArbZG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 a)

Auslegung des Einleitungssatzes von § 10 Abs. I ArbZG .... 37

b) Die einzelnen Ausnahmetatbestände des § 10 Abs. 1 ArbZG .. 39 aa)

Not- und Rettungsdienste sowie Feuerwehr .......... 39

bb) Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und ähnliches .................................. 39 cc)

Krankenhäuser und ähnliches .................... 40

dd) Gaststätten und ähnliches ......... . . . . . . . . . . . . . . 40 ee)

Musikaufführungen und ähnliche Veranstaltungen ...... 41

ff)

Nichtgewerbliche Aktionen der Kirchen, Parteien und ähnlicher Vereinigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

10

Inhaltsverzeichnis gg) Sport, Freizeiteinrichtungen, Museen und ähnliches

42

hh) Rundfunk, Tagespresse, Nachrichtenagenturen und ähnliches ..................................... 42 ii)

Messen, Ausstellungen und Märkte sowie Volksfeste . . . . 45

jj)

Verkehrsbetriebe sowie Transport und Kommissionieren von leichtverderblichen Waren . . . . . . . . . . . . . . . . . 46

kk) Energie- und Wasserversorgungsbetriebe und ähn-

liches ..................................... 47

ll)

Landwirtschaft, Tierhaltung und ähnliches

...........

48

mm) Bewachungsgewerbe und Bewachung von Betriebsanlagen ..................................... 49 nn) Instandhaltung, Vorbereitung der Wiederaufnahme des Betriebs und Datennetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 00)

Verhütung des Verderbens von Rohstoffen, kontinuierliche Forschungsarbeiten etc. .................... 53

pp) Vermeidung einer Zerstörung oder erheblichen Beschädigung der Produktionseinrichtungen . . . . . . . . . . . . 57 2.

§ 10 Abs. 2 ArbZG .................................. 57

3. § 14 Abs. 1 ArbZG .................................. 60 11.

Ausnahmen durch Rechtsverordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 1. § 13 Abs. 1 Nr. 2 ArbZG .............................. 63 a)

Auslegung des Einleitungssatzes von § 13 Abs. 1 ArbZG

....

64

b) Befriedigung täglicher oder besonderer Bedürfnisse . . . . . . . . . 65 c)

Betriebe mit Arbeiten, deren Unterbrechung oder Aufschub aus bestimmten Gründen problematisch ist . . . . . . . . . . . . . . . 66 aa)

Unterbrechung oder Aufschub nach dem Stand der Technik nicht oder nur mit erheblichen Schwierigkeiten möglich ................................. 66

bb) Besondere Gefahren für Leben oder Gesundheit der Arbeitnehmer ................................. 67 ce)

Erhebliche Belastungen der Umwelt oder der Energieoder Wasserversorgung ........................ 67

d) Gründe des Gemeinwohls ........................... 68

III.

2.

§ 13 Abs. 2 ArbZG

. .................................

69

3.

§ 15 Abs. 3 ArbZG

. .................................

69

Ausnahmen durch Verwaltungs akt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 1.

§ 13 Abs. 3 Nr. 2 ArbZG .............................. 71

a)

Handelsgewerbe bei besonderen Verhältnissen ............ 71

Inhaltsverzeichnis

11

b) Besondere Verhältnisse erfordern Sonntagsarbeit zur Verhütung eines unverhältnismäßigen Schadens ............... 73 c) 2. 3.

Gesetzlich vorgeschriebene Inventur ................... 74

§ 13 Abs. 4 ArbZG .................................. 75 § 13 Abs. 5 ArbZG .................................. 77

a)

Weitgehendes Ausnutzen der gesetzlich zulässigen wöchentlichen Betriebszeiten .............................. 78

b) Längere Betriebszeiten im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79

4.

c.

c)

Unzumutbare Beeinträchtigung der Konkurrenzfahigkeit ..... 81

d)

Möglichkeit der Beschäftigungssicherung durch die Genehmigung von Sonntags arbeit ........................... 82

e)

Rechtsfolge .................................... 83

§ 15 Abs. 2 ArbZG .................................. 86

Zusammenfassung.......................................... 87

§ 4 Verfassungsmäßigkeit der Bestimmungen über die Sonntagsruhe

A.

91

Vorgaben des Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV .................. 91 I.

11.

III.

Ansichten der Literatur .................................. 92 1.

Die Ansicht Däublers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92

2.

Die Ansicht Bendas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94

3.

Die Ansicht Richardis ................................ 96

4.

Die Ansicht von Loritz ............................... 98

5.

Die Ansicht Mattners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 101

6.

Zwischenergebnis .................................. 104

Die Ansicht der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 104 1.

Die Ansicht des Bundesverfassungsgerichts

104

2.

Die Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts

105

3.

Die Ansicht des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen .................................... 107

4.

Zwischenergebnis .................................. 108

Die eigene Konzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 108 1.

Vorgaben des Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV für eine gesetzliche Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 108

12

Inhaltsverzeichnis a)

2.

Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV als institutionelle Garantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 109

b)

Kernbereichsbestimmung ausgehend vom Wortlaut ........ 110

c)

Bedeutung der Schale der institutionellen Sonntagsgarantie .. 112

d)

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ................ 113

Verhältnis des Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV zu Grundrechten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 114 a)

Bestimmung von Kollisionslagen .................... 114

b) Lösung der Kollisionslagen ........................ 115 IV. Ergebnis ........................................... 117

B.

Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der §§ 9 ff. ArbZG ............... 119 I.

Das System der Sonntagsruhe und ihrer Ausnahmen . . . . . . . . . . . .. 119 1. Einstufung der Ausnahmen vom Verbot der Sonntagsbeschäftigung ........................................... 119

11.

2.

Bewertung der Ausnahmen vom Sonntagsbeschäftigungsverbot .. 122

3.

Bewertung des grundsätzlichen Sonntagsbeschäftigungsverbots . .. 124

4.

Bewertung der Verschiebung der Sonntagsruhe . . . . . . . . . . . . .. 126

5.

Zwischenergebnis .................................. 127

Verfassungsmäßigkeit einzelner Bestimmungen ................ 128 1.

§ 13 Abs. 1 Nr. 2 b) aa) ArbZG ........................ 128

2.

§ 13 Abs. 1 Nr. 2 c) ArbZG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 129

3.

§ 15 Abs. 2 ArbZG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 133

4.

§ 13 Abs.5 ArbZG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 134

5.

Zwischenergebnis .................................. 136

111. Ergebnis ........................................... 136

§ 5 Tarifmacht gemäß § 12 ArbZG

A. B.

137

Bedeutung und Wirkung des § 12 ArbZG ........................ 137 Inhalt des § 12 ArbZG ..................................... 139

I.

Verringerung der Anzahl beschäftigungsfreier Sonntage . . . . . . . . . .. 139

11.

Abweichung hinsichtlich des Ausgleichszeitraums . . . . . . . . . . . . . .. 140

III.

Zusammenhängende Gewährung freier Tage in der Seeschiffahrt .... 140

Inhaltsverzeichnis

13

IV. Arbeitszeitverlängerung an Sonntagen in vollkontinuierlichen Schichtbetrieben ...................................... 141 V.

Anwendung des § 7 Abs. 3 bis 6 ArbZG ..................... 142

c. Verfassungsmäßigkeit des § 12 ArbZG .......................... 143 D.

Ergebnis ............................................... 148

§ 6 Tarifliche Festlegung weiterer Fälle von Sonntagsarbeit

150

A.

Wortsinn der §§ 9 ff. ArbZG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 150

B.

Regelungszusammenhang des Arbeitszeitgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 151

C.

Entstehungsgeschichte der §§ 9 ff. ArbZG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 152

D.

Objektiv-teleologische Kriterien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 154

E.

Ergebnis ............................................... 156

§ 7 Tarifvertraglicher Ausschluß von Sonntagsarbeit

A.

157

Statthaftigkeit der Tarifregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 157 I.

Sachliche Kompetenz der Tarifparteien ...................... 157

11.

Abschließende Regelung in §§ 9 ff. ArbZG ................... 159 1. Wortsinn der §§ 9 ff. ArbZG .......................... 159 2. Regelungszusammenhang des Arbeitszeitgesetzes ............ 159 3. Entstehungsgeschichte ............................... 160 4. Objektiv-teleologische Kriterien ...................... .. 162 5. Zwischenergebnis .................................. 164

III. Grundrechtliche Grenzen der Tarifmacht ..................... 164 1. Grundrechte des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 166 a)

Die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) ................ 167 aa) Der Eingriff in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG ................................ 167 (1)

Eingriff in die Freiheit der Berufsausübung . . . . .. 169

(2)

Eingriff in die Freiheit der Berufswahl . . . . . . . .. 169

14

Inhaltsverzeichnis (3)

Zwischenergebnis ....................... 171

bb) Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs .................................... 172 (1)

Der Schrankenvorbehalt des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG ............................. 172 (a) Eingriff in die Freiheit der Berufsausübung . .. 173 (b) Eingriff in die Freiheit der Berufswahl . . . . .. 176

cc)

(2)

Schrankenvorbehalt durch Grundrechtskollision . .. 177

(3)

Einwilligung in den Eingriff durch Mitgliedschaft in einer Koalition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 178

Zwischenergebnis ........................... 179

b) Die Eigentumsfreiheit (Art. 14 Abs. 1 GG) ............. 179 c)

Die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) ...... 182

d) Der allgemeiner Gleichheitssatz i. V. m. der Berufsfreiheit (Art. 3 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 12 Abs. 1 GG) .......... 183 e)

Zwischenergebnis ............................... 185

2. Grundrechte des Arbeitnehmers ........................ 186 a)

Die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) ................ 187 aa)

Der Eingriff in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG ................................ 187

bb) Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs .................................... 188 cc)

Zwischenergebnis ........................... 189

b) Die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) ...... 189 c) Zwischenergebnis ............................... 190 3. Die Grundrechte Dritter .............................. 190 4. Der Grundsatz der praktischen Konkordanz ................ 192 5. Zwischenergebnis .................................. 193 IV. Ergebnis ........................................... 195 B.

Wirkung der Tarifregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 197 I.

Das Günstigkeitsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 198 1. Meinungsstand in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 199

a)

Unzulässigkeit einzelvertraglicher Vereinbarungen ........ 199

b) Günstigkeit der Einzelvereinbarung bei dauernder Wahlmöglichkeit ................................... 201

Inhaltsverzeichnis

15

c) Günstigkeit bei Vertragsgestaltungsfreiheit in den Grenzen der Sozia1staatlichkeit ............................ 202 d) Genereller Vorrang individualrechtlicher Vereinbarungen .... 204 e) Zwischenergebnis ............................... 205 2. Eigene Beurteilung der Günstigkeit arbeitsvertraglicher Verpflichtungen zu Sonntagsarbeit ............ . . . . . . . . . . . . . . . .. 205 a)

Beschränkter Geltungsbereich des Günstigkeitsprinzips ..... 205

b) Günstigkeitsbeurteilung ........................... 206 aa)

Isolierter Vergleich der Arbeitszeitlage ............. 206

bb) Kombinierter Vergleich von Arbeitszeitlage und Arbeitslohn ................................. 207 c) Zwischenergebnis ............................... 209 3. Ergebnis......................................... 210

11.

Das Grundrecht der Berufsfreiheit der Arbeitnehmer - zugleich eigener Lösungsansatz ..................................... 210 1. Eingriff in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG .... 210

2. Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs ........ 211 a)

Der Schrankenvorbehalt des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG ..... 211

b) Vorliegen eines besonderen Rechtfertigungsgrundes ....... 213 3. Zwischenergebnis .................................. 213 III.

Ergebnis ........................................... 213

§ 8 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse

215

Literaturverzeichnis .................................... '.' . . .. 222 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 229

Abkürzungsverteichnis a.

A.

anderer Ansicht

a. F.

alte Fassung

AB!.

Amtsblatt

AcP

Archiv für die civilistische Praxis

AöR

Archiv des öffentlichen Rechts

AP·

Arbeitsrechtliche Praxis

AR-B1attei

Arbeitsrecht-B1attei

ArbRdG

Das Arbeitsrecht der Gegenwart

ArbZG

Arbeitszeitgesetz vom 6.6.1994 (BGB!. I S. 1170)

Art.

Artikel

Aufl.

Auflage

AuR

Arbeit und Recht

AZO

Arbeitszeitordnung in der Fassung vom 30.4.1938 (RGB!. I S. 447)

BAG

Bundesarbeitsgericht

BAGE

Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts

BayObLG

Bayerisches Oberstes Landesgericht

BayVGH

Bayerischer Verwaltungs gerichtshof

BAZG

Gesetz über die Arbeitszeit in Bäckereien und Konditoreien vom 29.6.1936 (RGB!. I S. 521)

BB

Der Betriebsberater

Bd.

Band

ber.

berichtigt

BeschFG

Gesetz über arbeitsrechtliche Vorschriften zur Beschäftigungsförderung vom 26.4.l985 (BGB!. I S. 710)

BetrVG

Betriebsverfassungsgesetz vom 15.1.1972 in der Fassung der Bekanntmachung vom 23.12.1988 (BGB!. 1989 I S. 1, ber. S. 902)

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch vom 18.8.l896 (RGB!. S. 195)

Abkürzungsverzeichnis BGBI

Bundesgesetzblatt

BGH

Bundesgerichtshof

BGHZ

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen

BMAS

Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung

Bsp.

Beispiel

BT

Bundestag

BUrlG

Bundesurlaubsgesetz vom 8.1.1963 (BGBl. I S. 2)

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerfGE

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

BVerwG

Bundesverwaltungsgericht

BVerwGE

Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts

bzw.

beziehungsweise

Can.

canon

dass.

dasselbe

DB

Der Betrieb

ders.

derselbe

Diss.

Dissertation

DÖV

Die öffentliche Verwaltung

DVBI

Deutsches Verwaltungsblatt

EDV

Elektronische Datenverarbeitung

EG

Europäische Gemeinschaften

Einl.

Einleitung

Erg.

Ergänzung

etc.

et cetera

EU

Europäische Union

17

f.

folgende (Seite)

FAZ

Frankfurter Allgemeine Zeitung

ff.

folgende

Fn

Fußnote

FS

Festschrift

GewA

Gewerbearchiv

GewO

Gewerbeordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 1.1.1987 (BGBl. I S. 425)

2 Schnieders

18

Abkürzungsverzeichnis

GG

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23.5.1949 (BGBI. I S. 1)

grds.

grundsätzlich

GS

Großer Senat; Gesetzsammlung

GV.NW

Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen

Hrsg.

Herausgeber

i. V. m.

in Verbindung mit

JArbSchG

Jugendarbeitsschutzgesetz vom 12.4.1976 (BGB!. I S.965)

KG

Kommanditgesellschaft

LAG

Landesarbeitsgericht

LadschlG

Gesetz über den Ladenschluß vom 28.11.1956 (BGBI. I S.875)

m.

mit

MdB

Mitglied des Bundestages

md!.

mündlich

m. H. auf

mit Hinweis auf

MuSchG

Mutterschutzgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 18.4.1968 (BGBI. I S. 315)

m.w.N.

mit weiteren Nachweisen

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

Nr.

Nummer

NRW

Nordrhein-Westfalen

NVWZ

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

Nw

nordrhein-westfälisch

NZA

Neue Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht

oHG

offene Handelsgesellschaft

OVG

Oberverwaltungsgericht

PALR

Preußisches Allgemeines Landrecht

Pr.

preußisch

RdA

Recht der Arbeit

RGBI

Reichsgesetzblatt

Rn.

Randnummer

Rspr.

Rechtsprechung

Abkürzungsverzeichnis

19

S.

Seite

StVO

Straßenverkehrs-Ordnung vom 16.11.1970 (BGBI. I S. 1565, ber. 1971 S. 38)

TVG

Tarifvertragsgesetz in der Fassung vom 25.8.1969 (BGBI. I S. 1323)

u. a.

unter anderem; und andere

usw.

und so weiter

v.

vom; von

v. a.

vor allem

Verf

Verfassung

VGH

Verwaltungsgerichtshof

vgl.

vergleiche

Vorb.

Vorbemerkung

VVDStRL

Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer

VwGO

Verwaltungsgerichtsordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 19.3.1991 (BGBI. I S. 686)

VwVfG

Verwaltungsverfahrensgesetz vom 25.5.1976 (BGBI. I S. 1253)

WRV

Verfassung des Deutschen Reiches (Weimarer Reichsverfassung) vom 11.8.1919 (RGBI. S. 1383)

z. B.

zum Beispiel

ZfA

Zeitschrift für Arbeitsrecht

zit.

zitiert

Dies dominica ex apostolica traditione in universa Ecclesia uti primordialis dies Jestus de praecepto servandß est. (Codex/uris Canonici, Lib. IV, Pars III, Titulus II, Caput I, Can. /246 - ex § I Satz I). Et in re publica Germanorum?

§ 1 Einleitung Am 1. Juli 1994 ist das neue Arbeitszeitgesetz (ArbZG) in Kraft getreten. Dieses Gesetz soll das Arbeitszeitrecht vereinheitlichen und flexibilisieren. Nach mehr als zwei Jahrzehnten ist damit das Bestreben nach Ablösung der Arbeitszeitordnung (AZO) aus dem Jahre 1938 und den Vorschriften der Gewerbeordnung (GewO) über die Sonntagsruhe (§§ 105 a ff. GewO) als vorläufig beendet anzusehen. Gerade das Entstehungsjahr der §§ 105 a ff. GewO, das Jahr 1891, verdeutlicht das bestehende Bedürfnis nach einer den tatsächlichen Gegebenheiten der modemen Industriegesellschaft des auslaufenden 20. Jahrhunderts angepaßten Arbeitszeitgesetzgebung. Das neue Arbeitszeitgesetz löst neben den bereits genannten Vorschriften der AZO und der GewO insgesamt weitere 26 Gesetze und Rechtsverordnungen ab, die teilweise ebenfalls der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts entstammen. Der Bundesgesetzgeber hat durch das Arbeitszeitgesetz die Pflicht aus Art. 30 Abs. 1 Nr. 1 des Einigungsvertrags erfüllt, wonach unter anderem das öffentlich-rechtliche Arbeitszeitrecht einschließlich der Zulässigkeit von Sonn- und Feiertagsarbeit sowie der besondere Frauenarbeitsschutz einheitlich neu zu regeln ist. l Darüber hinaus ist er verschiedenen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts nachgekommen, das unter anderem gesetzliche Bestimmungen zur Nachtarbeit als nicht verfassungsgemäß verworfen hatte. 2 Nicht zuletzt ergab sich der Bedarf nach dem neuen Arbeitszeitgesetz auch aus der Richtlinie

I

BGBI. 11 1990 S. 889, 899.

2

BVerfG vom 28.1.1992, DB 1992,377 ff.

22

§ 1 Einleitung

Nr. 93/104/ EG des Rates der Europäischen Union vom 23. November 1993 über bestimmte Gesichtspunkte der Arbeitszeitgestaltung. 3 Der endgültigen Fassung des Arbeitszeitgesetzes vorausgegangen waren unzählige Entwürfe, Diskussionen und Sachverständigenanhörungen. Dies veranschaulicht die Probleme, die der Versuch einer vereinheitlichenden Gesetzesregelung mit sich bringen muß. Hinzuweisen ist an dieser Stelle nur auf die langwierige, streitige arbeits- und verfassungsrechtliche Diskussion, die seinerzeit die Regierungsentwürfe aus den Jahren 1984 und 1987 über die Voraussetzungen von Sonntagsarbeit hervorgebracht hatten. Technische und wirtschaftliche Gründe und die Benachteiligung deutscher Unternehmen im internationalen Wettbewerb tauchten dabei als Argumente für ein Ausweiten der Sonntagsarbeit ebenso auf wie die Eigenschaft des Sonntages als eines einheitlichen, gesamtgesellschaftlichen Ruhetags dagegen. Inwieweit der Gesetzgeber der einen oder anderen Forderung entsprochen hat, wird sich an der im Rahmen dieser Arbeit erfolgenden Kommentierung der Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes über die Sonntagsarbeit ablesen lassen. Das Arbeitszeitgesetz geht zurück auf eine Gesetzesvorlage der Bundesregierung in der 12. Wahlperiode des Bundestags. Die Bundesregierung hatte am 13. Juli 1993 den Entwurf eines Arbeitszeitrechtsgesetzes (ArbZRG) beschlossen und dem Bundesrat zur Stellungnahme zugeleitet. Dessen Plenum hat in der Sitzung am 24. September 1993 zu dem Gesetzentwurf Stellung genommen und insgesamt 64 Änderungsvorschläge beschlossen. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung, die Äußerung des Bundesrats sowie die Gegenäußerung der Bundesregierung wurden am 13. Oktober 1993 dem Deutschen Bundestag zugeleitet. Dieser beriet hierüber sowie über einen Entwurf der SPD-Bundestagsfraktion am 22. Oktober 1993 in erster Lesung. Nach einer öffentlichen Sachverständigenanhörung am 29. November 1993 hat der federführende Bundestagsausschuß für Arbeit und Sozialordnung seine Beratungen am 2. März 1994 abgeschlossen und seinen Bericht vorgelegt. Daraufhin hat der Deutsche Bundestag die Beratungen der Gesetzentwürfe am 10. März 1994 in zweiter und dritter Lesung abgeschlossen. Er hat den Entwurf der Bundesregierung mit insgesamt 32 Änderungen angenommen und den Entwurf der SPD-Bundestagsfraktion abgelehnt. Das vom Deutschen Bundestag angenommene Gesetz ist am 29. April 1994 zu-

3

ABI. Nr. L 307 /18 ff. vom 13.12.1993.

§ 1 Einleitung

23

stande gekommen, weil der Bundesrat an diesem Tag einen Antrag auf Einberufen des Vermittlungsausschusses nicht gestellt hat. 4 Das neue Arbeitszeitgesetz wirft zunächst die Frage auf, inwieweit Sonntagsarbeit nunmehr öffentlich-rechtlich erlaubt ist. Vor dieser, einen wesentlichen Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit bildenden Untersuchung ist jedoch auf die nicht zu unterschätzende Bedeutung der Sonntagsarbeit für unsere heutige Gesellschaft einzugehen. Darzustellen ist auch die geschichtliche Entwicklung der Sonntagsarbeit. Dadurch wird deutlich werden, welche verschiedenen Zwecke im Laufe der Zeit mit einem Verbot von Sonntagsarbeit verfolgt worden sind. Hieran schließt sich die Untersuchung der Sonntagsarbeit nach dem Arbeitszeitgesetz an. Sie soll in Form eines Kommentars erfolgen und die wesentlichen Gesichtspunkte herausstellen. Daran anschließen wird sich die Untersuchung der Verfassungsmäßigkeit der zuvor kommentierten Sonntagsarbeit im neuen Arbeitszeitgesetz. Den zweiten Hauptteil der vorliegenden Arbeit wird die Ermittlung der Tarifmacht in bezug auf die nach dem Arbeitszeitgesetz erlaubte Sonntagsarbeit bilden. Insoweit wird zunächst auf die ausdrückliche Regelung der Tarifrnacht in § 12 ArbZG einzugehen sein. Daneben fragt sich, ob die Tarifpartner weitere Fälle statthafter Sonntagsarbeit festschreiben können. Wesentliche Bedeutung bekommt schließlich die Frage, ob und gegebenenfalls mit welcher Wirkung sie tariflich vereinbaren können, daß sonntags gar nicht gearbeitet werden muß. Mit anderen Worten ist zu untersuchen, ob die Tarifpartner (jeweils für ihren Zuständigkeitsbereich) den Sonntag vollkommen von Arbeit befreien können. Sollte das der Fall sein, fragt sich, ob eine dahin gehende Regelung unmittelbare und zwingende Wirkung besitzt.

4

Vgl. unter Hinweis auf Art. 77 Abs. 2, 78 GG Anzinger, BB 1994, 1492 m. w. N.

§ 2 Tatsächliche Lage und Geschichte

der Sonntagsarbeit

Nahezu selbstverständlich können wir heute auch sonntags Essen gehen, tanken oder sonstige Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Der Sonntag stellt sich als sogenannter Ausflugs- und Besuchstag dar, weil sich um 16 Uhr an diesem Tag etwa die Hälfte der Bürger entweder auf Besuch oder auf Ausflügen und beim Spazierengehen befindet.) Trotz flexibler Arbeitszeiten ist ein kollektiver Rhythmus feststellbar. Dieser beginnt mit einem am Montag aufzubauenden Spannungsbogen, erreicht am Samstag seinen Höhepunkt und klingt am Sonntag aus. 2

A. Tatsächliche Lage der Sonntagsarbeit Daher stellt sich die Frage, inwieweit Sonntagsarbeit in unserer modemen Industriegesellschaft das Bild dieses unter anderem von der Verfassung geschützten3 Ruhetags prägt. Dies soll anhand einer aktuellen Repräsentativbefragung bei abhängig Beschäftigten in Westdeutschland aufgezeigt werden. Durchgeführt hat diese Befragung das Institut zur Erforschung sozialer Chancen, Köln, im Jahre 1993. Auftraggeber war das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen. Neben dem tatsächlichen Umfang der Sonntags beschäftigung werden bei der Darstellung die unterschiedlichen Betriebsarten mit Sonntags arbeit ebenso zu berücksichtigen sein wie die Arbeitszeitzufriedenheit der Beschäftigten. Doch zuvor ist einzugehen auf die Entwicklung der Sonntagsarbeit von 1965 bis 1993. Wochenendarbeit und damit auch Sonntagsarbeit hat seit 1965 ständig zugenommen. So hat sich der Anteil der regelmäßig an Sonntagen Beschäftigten bis

1

Garhammer, Flexible Arbeitszeiten und Lebensführung, in: Arbeitszeitpolitik '94, S. 135, 140.

2

Garhammer, Flexible Arbeitszeiten und Lebensführung, in: Arbeitszeitpolitik '94, S. 135, 140.

3

Vgl. Art. 140 GG i. V. rn. Art. 139 WRV.

A. Tatsächliche Lage der Sonntagsarbeit

25

1993 nahezu verdoppelt. 4 Dies hängt unter anderem zusammen mit der Ausweitung des Dienstleistungsbereichs.5 Im Zeitraum von 1987 bis 1993 hat sich demgegenüber der Umfang der Sonntagsarbeit kaum verändert. 6 1993 arbeiteten 12% der abhängig Beschäftigten7, also ungefähr drei Millionen Arbeitnehmet, regelmäßig an Sonntagen. Unmittelbar daraus läßt sich die vergleichsweise hohe Bedeutung der Sonntagsarbeit ablesen. Wenn man zusätzlich berücksichtigt, daß von den Sonntagsbeschäftigten die ganz überwiegende Mehrheit, nämlich 93%, auch an Samstagen arbeitete9, so liegt auf der Hand, daß für diesen Beschäftigtenanteil das freie Wochenende rein tatsächlich nicht bestand. Andererseits arbeiteten 78% der Beschäftigten nie an Sonntagen. lO Die Sonntagsbeschäftigten arbeiteten im Durchschnitt 15,3 Stunden, das heißt an zwei Sonntagen pro Monat. 11 In 74% der Fälle erwies sich Sonntagsarbeit dabei als branchenüblich. 12 Sie war demnach oftmals an die ausgeübte Tätigkeit gekoppelt. Vor allem in der Landwirtschaft, im Hotel- und Gaststättengewerbe, in Krankenhäusem, Alten- und Pflegeheimen sowie im Verkehrs- und Nachrichtengewerbe stellte sich Sonntagsarbeit als branchenüblich dar. 13 Demgegenüber wurde Sonntagsarbeit in der metallverarbeitenden Industrie und im Baugewerbe in erster Linie in Form von Überstunden geleistet. 14 In der Chemischen Industrie und im Bergbau fand Sonntagsarbeit oftmals im Rahmen von Schichtarbeit statt. 15 Mit diesem Befund einher geht die nach Wirtschaftszweigen unterteilte Häufigkeit von Sonntagsarbeit: Regelmäßige Sonntagsarbeit leisteten vornehmlich

4

Bauer I Schilling, Arbeitszeit im Überblick, S. 16.

Bauer I Groß I Schilling, Arbeitszeit '93, S. 130; Bauer I Schilling, Arbeitszeit im Überblick, S. 16. 5

6 Bauer I Groß I Schilling, Arbeitszeit '93, S. 130. Zu pauschal daher Dobberahn, Arbeitszeitrechtsgesetz, S. 36, Rn. 95, der einen Rückgang bei der Sonntagsarbeit im produzierenden Gewerbe festhält.

7

Bauer I Groß I Schilling, Arbeitszeit '93, S. 131.

8

Bauer I Schilling, Arbeitszeit im Überblick, S. 34.

9

Bauer I Groß I Schilling, Arbeitszeit '93, S. 72.

10

Bauer I Groß I Schilling, Arbeitszeit '93, S. 72.

11

Bauer I Groß I Schilling, Arbeitszeit '93, S. 74.

12

Bauer I Groß I Schilling, Arbeitszeit '93, S. 75.

13

Bauer I Groß I Schilling, Arbeitszeit '93, S. 75.

14

Bauer I Groß I Schilling, Arbeitszeit '93, S. 75.

15

Bauer I Groß I Schilling, Arbeitszeit '93, S. 75.

26

§ 2 Tatsächliche Lage und Geschichte der Sonntags arbeit

Arbeitnehmer im Hotel- und Gaststättengewerbe (41 %), in der Land- und Forstwirtschaft (34%), im öffentlichen Dienst (25%; ohne Post und Bahn) sowie im Bergbau und in der Energiewirtschaft (24%).16 Die Anteile der Beschäftigten mit regelmäßiger Sonntagsarbeit lagen in diesen Wirtschaftsbereichen deutlich über dem Durchschnitt. 17 In Kleinstbetrieben war der Anteil der Sonntags beschäftigten mit höchstens 9% unterdurchschnittlich. 18 Demgegenüber fand in Mittel- und Großbetrie-

ben regelmäßige Sonntagsarbeit mit 14% etwas häufiger als im Durchschnitt statt. 19 Die Sonntagsbeschäftigten arbeiten im Regelfall bereits seit 15 Jahren an diesem Tag?O Mithin liegt der Zusammenhang zwischen dieser Arbeitszeitform und bestimmten Berufsgruppen auf der Hand. Allerdings waren die Betroffenen mit der Sonntagsarbeit überwiegend unzufrieden: 59% lehnten sie ab. 21 Als Grund hierfür nannten sie vor allem das Bestreben, diesen Tag mit der Familie oder dem Partner beziehungsweise Freunden und Bekannten verbringen zu wollen. 22 Dahinter verbirgt sich der Wunsch nach einem von Arbeit freien Zeitabschnitt. 23 Insgesamt betrachtet begründeten die Arbeitnehmer ihren Wunsch nach einem freien Sonntag eher mit kollektiven als mit individuellen Bedürfnissen für die Verwendung ihrer Zeit. 24 Nicht zu verkennen ist allerdings, daß gegenüber 1989 (26%) im Jahre 1993 35% der Sonntagsbeschäftigten genauso häufig wie bislang sonntags arbeiten

wollten?5 Bei diesen Arbeitnehmern hat Sonntagsarbeit einen festen Platz in der Zeiteinteilung eingenommen. Denn 72% der Anhänger von Sonntagsarbeit begründeten ihren Wunsch nach dieser Arbeitszeitform mit eingespielten Zeiteinübungen. 26 37% nannten die bessere Bezahlung als Grund für ihre Einstel-

16

Bauer I Groß I Schilling, Arbeitszeit '93, S. 72, 73.

17

Bauer I Groß I Schilling, Arbeitszeit '93, S. 72.

18

Bauer I Groß I Schilling, Arbeitszeit '93, S. 73.

19

Bauer I Groß I Schilling, Arbeitszeit '93, S. 73.

20

Bauer I Groß I Schilling, Arbeitszeit '93, S. 76.

21

Bauer I Groß I Schilling, Arbeitszeit '93, S. 135.

22

Bauer I Groß I Schilling, Arbeitszeit '93, S. 133.

23

Bauer I Groß I Schilling, Arbeitszeit '93, S. 77.

24

Bauer I Groß I Schilling, Arbeitszeit '93, S. 77.

25

Bauer I Groß I Schilling, Arbeitszeit '93, S. 75.

26

Bauer I Groß I Schilling, Arbeitszeit '93, S. 77.

B. Geschichtliche Entwicklung der Sonntagsarbeit

27

lung?7 Und immerhin 12% dieser Gruppe gaben an, mit dem arbeitsfreien Sonntag nichts anfangen zu können, weil auch Partner, Freunde oder Bekannte an diesem Tag arbeiteten. 28 Insgesamt betrachtet, besitzt die Mehrheit der Sonntagsbeschäftigten eine ablehnende Haltung gegenüber dieser Arbeitszeitform. Der anhaltende Trend zur Dienstleistungsgesellschaft, der sich auf materiellen Wohlstand sowie veränderte Lebensgewohnheiten und Familiengefüge gründet29 , bringt dennoch einen beachtlichen Umfang an Sonntagsarbeit mit sich.

B. Geschichtliche Entwicklung der Sonntagsarbeit Nachdem nunmehr die nicht zu unterschätzende Bedeutung der tatsächlich geleisteten Sonntagsarbeit für unsere Gesellschaft feststeht, fragt sich, welche Gründe im Laufe der Geschichte für ein Arbeitsverbot an Sonntagen und Ausnahmen hiervon gesprochen haben. Dies soll anhand der Geschichte der Sonntags arbeit verdeutlicht werden. Dabei wird sich zeigen, daß es im wesentlichen zwei strukturell unterschiedliche Gründe für ein Verbot von Sonntagsarbeit gibt. Sie sind zum Teil gesellschafts- und religions bezogen. Zum Teil stellen sie aber auch auf den einzelnen Menschen und seinen Schutz ab. Daraus ergeben sich im wesentlichen zwei Wurzeln für die Geschichte der Sonntagsarbeit: Einerseits verehrte und verehrt die Kirche den Sonntag, andererseits ziehen sich sozialpolitische Forderungen der Arbeiter nach Ruhetagen durch die Jahrhunderte. Das Gebot, sonntags nicht zu arbeiten, ist sehr alt. So heißt es bereits im fünften Buch Mose, Kapitel 5, Vers 14: ,,Der siebte Tag ist ein Ruhetag, dem Herrn, deinem Gott, geweiht. An ihm darfst du keine Arbeit tun ... Dein Sklave und deine Sklavin sollen sich ausruhen wie du." Ähnlich formulieren dies Genesis 2,2-3 und Exodus 20,8-11. Die heilige Zahl "Sieben" stand im Alten Testament Pate für den Sieben-Tage-Rhythmus. Der Sonntag leitet seinen Namen ab vom heidnischen Sonnengott Helios, dem dieser Tag der Planetenwoche gewidmet war. 30 Im gesamten Kirchenrecht ist der Schutz des Sonn-

27

Bauer I Groß I Schilling, Arbeitszeit '93, S. 77.

21\

Bauer I Groß I Schilling, Arbeitszeit '93, S. 77.

29

Bauer I Groß I Schilling, Arbeitszeit '93, S. 81.

30

Mattner, Sonn- und Feiertagsrecht, S. 8 m.w.N.

28

§ 2 Tatsächliche Lage und Geschichte der Sonntagsarbeit

tages verankert geblieben, teilweise ist er sogar erweitert worden. 3l Im Codex Iuris Canonici von 1983 wird vom katholischen Christen verlangt, daß er sich am Sonntag ,jener Werke und Tätigkeiten" enthält, "die den Gottesdienst, die dem Sonntag eigene Freude oder die Geist und Körper geschuldete Erholung hindern".32 In dieser Formulierung kommt der Zweck des Sonntagsschutzes aus Sicht der katholischen Kirche deutlich zum Ausdruck: In erster Linie dient der Sonntag der religiösen Verehrung, er ermöglicht aber auch körperliche und geistige Erholung. Der Sieben-Tage-Rhythmus erscheint auch im ersten staatlichen Gesetz zum Schutz des Sonntages. Dieses erließ Kaiser Konstantin der Große am 7. März 321 nach Christus. Darin verbot er das Ausüben sämtlicher Gewerbe am Sonntag. 33 Bezeichnenderweise enthält bereits dieses Gesetz eine Ausnahme zugunsten des Ackerbaus, der sonntags doch stattfinden durfte. Kaiser Theodosius dehnte das Verbot 388/409 auf Nichtchristen aus, und König Childbert I. drohte sogar sehr strenge Strafen für Sonntagsarbeit an. 34 Entscheidend war damals der Schutz der Sonntagsfeier, nicht aber die Arbeitsruhe. 3s Das galt selbst zur Zeit des Preußischen Allgemeinen Landrechts noch. Dieses verpflichtete die Herrschaft, dem Gesinde den Besuch des Gottesdienstes zu ermöglichen und es zur Teilnahme daran anzuhalten. 36 Das Gesetz gebot darüber hinaus privatrechtlich den Gesellen, die Arbeit am Sonntag zu unterlassen. 37 Infolge ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit lief dieses Arbeitsverweigerungsrecht jedoch weitestgehend leer. 38 Das änderte sich erst mit dem preußischen Regulativ über die Beschäftigung jugendlicher Arbeiter vom 9.3. 1839. 39 Dies ist die erste Verbots norm mit individuellem Schutzcharakter aus Gründen des Arbeitsschutzes, deren Übertretung mit Strafe bedroht wurde. 40

31

Vgl. zu Einzelheiten Mattner, Sonn- und Feiertagsrecht, S. 8.

12

Can. 1247.

33

Vgl. Richardi, Der Sonntagsschutz S. 117, 121 rn.w.N.

34

Vgl. Mattner, Sonn- und Feiertagsrecht, S. 15 f.

3S

Richardi, Der Sonntagsschutz, S. 117, 121.

36

PALR 11 5 § 84.

37 PALR 11 8 § 358; vgl. dazu Solveen, Grundlagen, S. 8; Röhsler, Arbeitszeit, S. 126; Zmarzlik, RdA 1988,257.

38

Solveen, Grundlagen, S. 8.

39

Solveen, Grundlagen, S. 8 rn.H. auf GS 1839, S. 156.

Solveen, Grundlagen, S.8 f.; Matlner, Sonn- und Feiertagsrecht, S. 17; Zmarzlik, RdA 1988,257. 40

B. Geschichtliche Entwicklung der Sonntagsarbeit

29

Den Arbeitgebern war nunmehr untersagt, sonntags jugendliche Arbeitnehmer in Fabriken zu beschäftigen. Bereits vor der Industrialisierung, vor allem aber während dieser Zeit wurde die Wochenarbeitszeit immer weiter verlängert. Dadurch geriet der Schutz des Sonntages zunehmend zu einem Problem auch des Arbeitsschutzes. 41 Für die Heiligung des Sonntages fand sich aus Zeitgründen zunächst kein Raum mehr. Daher kam es zum öffentlich-rechtlichen Schutz der Sonntagsruhe. Die Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes übernahm 1869 das Verbot aus dem preußischen Regulativ ebenso, wie das im Jahre 1878 die Gewerbeordnung für das ganze Reich tat. 42 Besonders laut erschallte der Ruf nach einer Sozialpolitik, die die betriebsherrliche Unternehmerfreiheit beschränken sollte, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. 43 Zwar widersetzte sich Reichskanzler Bismarck heftig dem Ausbau der Schutzgesetzgebung. Doch nach seiner Entlassung gelang es Kaiser Wilhelm 11. und Handelsminister von Berlepsch, soziale Reformen durchzuführen. So entstand das ,,Arbeiterschutzgesetz" vom 1.6.1891, das 1895 durch kaiserliche Verordnung mit Zustimmung des Bundesrats in Kraft trat. 44 Neben weiteren Zwecken diente es der Arbeitsruhe am Sonntag, indem es ein strafbewehrtes, ausdrückliches Beschäftigungsverbot für Arbeiter beinhaltete.4s Das Gesetz wurde mit sozialen ("öffentliche Gesundheitspflege, geistiges Leben") und religiösen Motiven begründet. 46 Demgegenüber bezweckten Landesgesetze die Heilighaltung des Sonntages als solchem und den Schutz des Gottesdienstes. 47 1919 wurde im Zuge der wirtschaftlichen Demobilmachung48 die Arbeitszeitregelung an Sonntagen auf Angestellte ausgedehnt und 1934 als § 105 b Abs. 5 in die Gewerbeordnung übernommen. 49 Ebenfalls 1919 wurde erstmals das

41

Richardi, Der Sonntagsschutz, S. 117, 123; vgl. auch Koch, S. 59.

42

RGBI. 1869, S. 245, 269; vgl. auch Solveen, Grundlagen, S. 9; Zmarzlik, RdA 1988,257.

43

Mariner, Sonn- und Feiertagsrecht, S. 12; Richardi, Der Sonntagsschutz, S. 117, 125.

44

RGBI. 1891, S. 261

ce.; RGBI. 1895, S. 11; vgl. auch Richardi, Rechtsgutachten, S. 31.

Den seinerzeitigen § 105 b GewO; vgl. Solveen, Grundlagen, S. 11 f.; Richardi, Der Sonntagsschutz, S. 117, 124; Zmarzlik, RdA 1988,257. 45

46

Vgl. Mattner, Sonn- und Feiertagsrecht, S. 22 m.w.N.; Richardi, Rechtsgutachten, S. 24.

47

Richardi, Rechtsgutachten, S. 24.

48 RGBI. 1919 I S. 315, 317; vgl. auch Zmarzlik, RdA 1988,257; Richardi, Der Sonntagsschutz, S. 117, 128.

49

RGBI. 1934 I S. 803; vgl. auch Solveen, Grundlagen, S. 16.

30

§ 2 Tatsächliche Lage und Geschichte der Sonntagsarbeit

kirchlich-soziale Anliegen der Arbeitsruhe am Sonntag ausdrücklich in einer deutschen Verfassung verankert: In Art. 139 WRV. 50 Nach Art. 140 GG gilt diese Vorschrift auch heute noch. Die Zeit des Nationalsozialismus zeichnet sich durch eine Vielzahl von Gesetzen aus, die nationalsozialistische Gedenktage hervorheben. 51 An dieser Stelle interessiert nur § 28 AZO, wonach der Reichsarbeitsminister weitgehende Ausnahmen vom Verbot der Sonntagsarbeit anordnen konnte. Nach dem zweiten Weltkrieg verlangte zunächst der Wiederaufbau Sonntagsarbeit. Dann förderte die tarifliche Verkürzung der Wochenarbeitszeit, die mit einer Rationalisierung der Produktion einherging, die Sonntagsarbeit. 52 In dieser Zeit spezialisierte sich der Schutz der Sonntagsruhe einerseits durch Bundesgesetze, andererseits durch die Feiertagsgesetze der Länder, die sich auf kulturelle Erwägungen stützen. 53 Welche Motive der Regelung der Sonntagsarbeit durch das neue Arbeitszeitgesetz von 1994 zugrunde liegen, wird bei der Darstellung der aktuellen Rechtslage zu berücksichtigen sein. 54 Jedenfalls ergibt sich zusammen mit dem verfassungsrechtlichen Schutz ein Motivbündel für die Sonntagsruhe, der ein grundsätzliches Verbot der Sonntagsarbeit entspricht. Zunächst ist der Sonntag ein Grundelement des sozialen Zusammenlebens in der staatlichen Ordnung christlich geprägter Kultur. Das heißt er dient der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung im gesellschaftlichen Miteinander. 55 Es entsteht ein fester, für den Großteil der Arbeitnehmer gleicher Wochenrhythmus zwischen Sonnund Werktagen, der nicht nur der Abwehr von Störungen der Religionsausübung dient. 56 Der Arbeitnehmer kann durch den Ruhetag seine Arbeitskraft auffrischen und darüber hinaus auch seine Persönlichkeit entfalten. 57 Zudem

50 Richardi, Rechtsgutachten, S. 41 f. m.w.N.; Solveen, Grundlagen, S. 17; Mattner, Sonn- und Feiertagsrecht, S. 23, S. 18 zu Art. 14 Pr. Verf.

5!

Vgl. zu Einzelheiten Matlner, Sonn- und Feiertagsrecht, S. 26 f.

52

Matlner, Sonn- und Feiertagsrecht, S. 13.

53 Mattner, Sonn- und Feiertagsrecht, S. 27 I 29; Zmarzlik, AR-Blattei D Arbeitszeit VI unter A II 2 zu Einzelheiten.

S4

Siehe unten § 3, ab S. 32.

BVerwG vom 15.3.1988, BVerwGE 79, 118, 122; Koch, S. 19; Linnenkohl, BB 1989,2472, 2477; Benda, Probleme, S. 25; Richardi, Der Sonntagsschutz, S. 117, 133. 5S

56

Richardi, Der Sonntagsschutz, S. 117, 134; Benda, Probleme, S. 25.

57

Röhsler, Arbeitszeit, S. 127; Ulber, AuR 1987,249,250.

B. Geschichtliche Entwicklung der Sonntagsarbeit

31

ist er in der Lage, sich innerlich zu sammeln, Ruhe zu gewinnen und das Familienleben zu pflegen. 58 Die geschichtliche Betrachtung der Sonntagsarbeit zeigt auch folgendes: Im letzten Jahrhundert gefährdete die Verlängerung der Wochenarbeitszeit die Sonntagsruhe und führte zum Sonntagsschutz aus sozialpolitischen Gründen. Demgegenüber tritt heute die religiös-kulturelle Seite wieder in den Vordergrund. 59 Denn die Flexibilisierung der Arbeitszeit, die Einbeziehung des Sonntages in den Produktionsprozeß und die Verkürzung der Wochenarbeitszeit lassen sozialpolitische Beweggründe für den Sonntagsschutz etwas zurücktreten. Trotz Säkularisierung, die den sozialethischen Grund "Gottesdienstbesuch" für den Sonntagsschutz zurückgedrängt hat60 , gewinnt die religiös-kulturelle Seite angesichts der fortschreitenden Verkürzung der Arbeitszeit also wieder an Bedeutung. 61

58 Richardi, Rechtsgutachten, S. 30 m.H. auf den Entwurf zum "Arbeiterschutzgesetz"; Röhsler, Arbeitszeit, S. 127; Benda, Probleme, S. 20. 59

Richardi, Der Sonntagsschutz, S. 117, 134.

60

So Röhsler, Arbeitszeit, S. 127.

61

Benda, Probleme, S. 20.

§ 3 Sonntagsarbeit nach dem Arbeitszeitgesetz (ArbZG) Nachdem nunmehr mögliche Schutzzwecke der Arbeitsruhe an Sonntagen feststehen, ist auf die Rechtslage der Sonntagsarbeit nach dem Arbeitszeitgesetz (ArbZG) einzugehen. Das Arbeitszeitgesetz beschäftigt sich in §§ 9 ff. mit der Sonntagsarbeit. Diese Vorschriften haben unter anderem die §§ 105 a ff. GewO abgelöst, die bislang einen Teil der Sonntagsarbeit regelten. Die §§ 9 ff. ArbZG regeln die Sonntagsarbeit in öffentlich-rechtlicher Hinsicht.! Diese Bestimmungen gründen sich auf Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV. Art. 139 WRV lautet: "Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt." Art. 140 GG macht diese Bestimmung zum Teil des Grundgesetzes. Die genannten Vorschriften enthalten nach übereinstimmender Auffassung in Rechtsprechung2 und Literatur eine institutionelle Garantie der Sonntagsruhe. Sie beinhaltet nicht eine absolute, sondern nur eine grundsätzliche Arbeitsruhe an Sonntagen.4 Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV beauftragt und verpflichtet den Gesetzgeber, einen für alle Beteiligten in bezug auf Sonntagsarbeit verbindlichen Gestaltungsrahmen vorzugeben.s Der Dritte Abschnitt des Arbeitszeitgesetzes enthält diesen Rahmen. Dieser ist im folgenden näher zu beschreiben. 6

1

Statt aller Roggendorj, ArbZG, § 2-7.

2

Statt aller BVelWG vom 15.3.1988, NJW 1988,2254,2255.

Roggendorj, ArbZG, § 1-5; Loritz, ZfA 1990, 133, 158 m. w. N. in Fn. 3; Schatzschneider, NJW 1989, 681, 682; Linnenkohl, BB 1989, 2472, 2477; Erasmy, NZA 1995, 97; Anzinger, BB 1994, 1492, 1495; Ulber, eR 1988,399,400; Richardi, Rechtsgutachten, S. 43 m. w. N.; Solveen, Grundlagen, S. 48; Mattner, Sonn- und Feiertagsrecht, S. 38. 3

• Zmarzlik, BB 1993, 2009, 2010; so auch Solveen, Grundlagen, S. 43 ff. 147 m. H. auf den Willen des historischen Gesetzgebers. S BVelWG vom 15.3.1988, NJW 1988, 2254, 2255; Roggendorj, ArbZG, § 1-5; vgl. auch v. Münch-Hemmrich, GG, Art. 140-41; Richardi, Rechtsgutachten, S. 44; Loritz, Möglichkeiten, S. 34; Däubler, DB Beilage 7 11988, S. 4; so auch Kuhr, DB 1994,2186. 6 Die §§ 9 ff. ArbZG werden hier insoweit dargestellt, als sie sich mit Sonntagsarbeit im engeren Sinne, das heißt deren (Un-)Zulässigkeit beschäftigen.

A. Grundsatz der Sonntagsruhe

33

A. Grundsatz der Sonntagsruhe § 9 ArbZG stellt die Grundvorschrift zur Sonntagsarbeit dar. In § 1 Nr. 2 ArbZG hat der Gesetzgeber allerdings zunächst den grundsätzlichen Schutz des Sonntages in Anlehnung an den Wortlaut des Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV verankert. Daß damit eine grundsätzliche, nicht aber eine absolute Arbeitsruhe gemeint ist, ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes. 7 § 1 Nr. 2 ArbZG stellt indes nach der amtlichen Überschrift einen ,,zweck des Gesetzes" dar. Infolgedessen ist der Bedeutungsgehalt der Vorschrift, grundsätzliche Arbeitsruhe an Sonntagen, bei der Auslegung der §§ 9 ff. ArbZG zu berücksichtigen. 8

I. Inhalt Nach § 9 Abs. 1 ArbZG dürfen Arbeitnehmer an Sonn- und Feiertagen von Obis 24 Uhr nicht beschäftigt werden. Dieses Verbot richtet sich vordringlich an den Arbeitgeber, führt aber zur grundsätzlichen Unzulässigkeit von Sonntags arbeit. Es gilt im Gegensatz zum alten § 105 b GewO Abs. 1 Satz 1 GewO, der bestimmte Gewerbebereiche aufzählte, grundsätzlich für alle Arbeitnehmer. 9 Das Beschäftigungsverbot erfaßt jede Tätigkeit für Zwecke des Betriebs aufgrund des Arbeitsverhältnisses. lO Die Dauer der sich für den einzelnen Arbeitnehmer ergebenden Ruhezeit deckt sich grundsätzlich mit dem KalendersonntagY § 11 Abs. 4 ArbZG schreibt vor, daß die 24-stündige Sonntagsruhe des § 9 Abs. 1 ArbZG den Arbeitnehmern grundsätzlich direkt in Verbindung mit der Ruhezeit nach § 5 Abs. 1 ArbZG in Höhe von elf Stunden zu gewähren ist.

7

Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucksache 12/5888, S. 23/28.

Dies ergibt sich aus der Gesetzesbindung der Exekutive, Art. 20 Abs. 3 GG; vgl. auch Roggendorf, ArbZG, § 1-2; Zmarzlik I Anzinger, ArbZG, § 1-13. 8

9 Ausnahmen ergeben sich zunächst aus dem persönlichen Anwendungsbereich des ArbZG, §§ 2 Abs. 2, 18 ff. ArbZG. Vgl. dazu im einzelnen die Kommentierung bei Roggendorf, ArbZG, § 18 ff.; hinsichtlich der Sonntagsruhebestimmungen ist das LadschlG als Spezialgesetz für im Einzelhandel beschäftigte Arbeitnehmer zu beachten; vgl. Anzinger, BB 1994, 1492, 1493. Auch § 8 MuSchG ist Spezialgesetz. 10

Roggendorf, ArbZG, § 9-7 mit genauer Beschreibung der verbotenen Tätigkeitsformen.

11

Zmarzlik, DB 1994, 1082, 1084.

3 Schnicders

34

§ 3 Sonntags arbeit nach dem Arbeitszeitgesetz

Dies stellt eine Ruhezeit von 35 Stunden einmal in der Woche sicher. Wenn aber technische oder arbeitsorganisatorische Gründe dem entgegenstehen, ist ein Einschränken der Ruhezeit auf 24 Stunden am Sonntag nach § 11 Abs. 4 ArbZG möglich. Arbeitsorganisatorische Gründe liegen beispielsweise vor beim Schichtwechsel. I2 Statthaft ist daher etwa ein Schichtwechsel von der samstäglichen Spätschicht (Ende: 22 Uhr) auf die Frühschicht am Montag (Beginn: 6 Uhr), obwohl die Ruhezeit dabei insgesamt nur 32 Stunden umfaßt. 13

11. Zweck des Beschäftigungsverbots

Das Verbot der Beschäftigung an Sonntagen verfolgt mehrere Zwecke. Zum einen ermöglicht es die ungestörte Religionsausübung. Darüber hinaus trägt es dem sozialpolitischen Belang der Erholung und Wiederherstellung der Arbeitskraft Rechnung. 14 Zugleich gewährleistet es, daß möglichst viele Bürger gleichzeitig am gesamtgesellschaftlichen Leben teilnehmen und so unter anderem mitmenschliche Beziehungen pflegen können. Auf diese Weise wird die Voraussetzung für eine rein tatsächliche, auf die Gesamtgesellschaft bezogene Ausübung von Grundrechten geschaffen. ls

111. Verschiebung der Sonntagsruhe

Gemäß § 9 Abs. 2 und 3 ArbZG kann die Sonntagsruhe in bestimmten Bereichen verschoben werden.

1. Verschiebung der Sonntagsruhe in Schichtbetrieben Nach § 9 Abs. 2 ArbZG darf der Beginn oder das Ende der Sonntagsruhe in mehrschichtigen Betrieben mit regelmäßiger Tag- und Nachtschicht um bis zu

12

Dobberahn, Arbeitszeitrechtsgesetz, S. 37, Rn. 97.

Beispiel nach Dobberahn, Arbeitszeitrechtsgesetz, S. 37, Rn. 97. Widersprüchlich Roggendor!, ArbZG, § 11-15, der zwar auch das genannte Beispiel bringt, aber die Ruhezeit ansonsten 35 Stunden betragen lassen will, das heißt bei technischen oder arbeitsorganisatorischen Problemen das Verschieben des Arbeitsbeginns am darauffolgenden Werktag fordert. 13

14

Zmarzlik I Anzinger, ArbZG, § 9-2.

IS

Vlber, eR 1988,399,400 zu Art. 140 GG, Art. 139 WRV.

A. Grundsatz der Sonntagsruhe

35

sechs Stunden vor- oder zurückverlegt werden. Damit können Betriebe von der starren Lage der 24-stündigen Sonntagsruhe abweichen. Möglich ist beispielsweise eine Ruhezeit von samstags 18 Uhr bis sonntags 18 Uhr oder aber von sonntags sechs Uhr bis montags sechs Uhr. Voraussetzung hierfür ist aber, daß der Betrieb regelmäßig Tag- und Nachtschichten fährt. Dies ist unter anderem dann der Fall, wenn der Betrieb mit zwei- oder dreischichtiger Arbeitsweise läuft l6 , wobei eine Schicht gemäß den Bestimmungen über Nachtzeit und Nachtarbeit, § 2 Abs. 3 und 4 ArbZG, mehr als zwei Stunden in der Zeit zwischen 23 und 6 Uhr umfassen muß. Denn nur in diesem Fall liegt Nachtarbeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes vor. Darüber hinaus muß der Betrieb nach dem Wortlaut des § 9 Abs. 2 ArbZG für die auf den Beginn der Ruhezeit folgenden 24 Stunden ruhen. Zweifelhaft ist, ob tatsächlich für mindestens 24 Stunden eine uneingeschränkte Betriebsruhe eintreten muß. Dafür spricht der in § 1 Nr. 2 ArbZG niedergelegte Schutz der Sonntage als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung der Arbeitnehmer. Nach Ansicht von Dobberahn 17 dient das Einhalten der Sonntagsruhe aber vor allem dem Interesse des einzelnen Arbeitnehmers. Dieses sei nicht darauf angelegt, den Betrieb von vornherein zum Ruhen zu bringen. Aufgrund dessen sei ein Ruhen des ganzen Betriebs nicht erforderlich. Diese Auffassung übersieht aber, daß zu dem gleich lautenden § 105 b Abs. 1 Satz 4 GewO überwiegend die Ansicht vertreten wurde, es dürfe in dieser Zeit weder ein Mensch noch eine Maschine tätig sein. 18 Im übrigen legt die fehlende Änderung des Gesetzeswortlauts nahe, daß der Gesetzgeber eine Rechtsänderung nicht beabsichtigt hat. 19 Schließlich spricht § 9 Abs. 2 ArbZG von "Betrieb" im Gegensatz zu § 9 Abs. 3 ArbZG, wo mit "Kraftfahrer und Beifahrer" der einzelne Arbeitnehmer gemeint ist. Nicht zuletzt aufgrund dieser systematischen Interpretation hat also für die auf den Beginn der Ruhezeit folgenden 24 Stunden eine absolute Betriebsruhe zu herrschen. 20 Außerdem muß das Verlegen der Sonntagsruhe für alle Arbeitnehmer des Betriebs einheitlich erfolgen, weil ansonsten der Betrieb als solcher weniger als 24 Stunden ruhte?1

16

Zmarzlik I Anzinger, ArbZG, § 9-40 f.; enger Roggendorf, ArbZG, § 9-14.

I7

Arbeitszeitrechtsgesetz, S. 37, Rn. 98.

IR

Erasmy, NZA 1995, 97; Zmarzlik, DB 1991, 901, 903 m. w. N.

19

So auch Erasmy, NZA 1995,97.

20

Ebenso Zmarzlik I Anzinger, ArbZG, § 9-46; Zmarzlik, DB 1994, 1082, 1085.

21

Roggendorf, ArbZG, § 9-15.

36

§ 3 Sonntagsarbeit nach dem Arbeitszeitgesetz

2. Verschiebung der Sonntagsruhe für Kraftfahrer und Beifahrer § 9 Abs. 3 ArbZG erlaubt schließlich das Vorverlegen des Beginns der 24stündigen Sonntagsruhe um bis zu zwei Stunden für Kraftfahrer und Beifahrer. Diese Regelung lehnt sich an § 30 Abs. 3 Satz 1 StVO an. Danach dürfen an Sonntagen in der Zeit von 0 bis 22 Uhr Lastkraftwagen mit einem zulässigen Gesamtgewicht über 7,5 Tonnen sowie Anhänger hinter Lastkraftwagen grundsätzlich nicht verkehren. Dies hat zur Folge, daß auch Beschäftigte der Verkehrsbetriebe im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 10 ArbZG, wonach die Sonntagsbeschäftigung in Verkehrsbetrieben statthaft ist, diese Fahrzeuge an Sonntagen nicht lenken dürfen. 22 Nach § 9 Abs. 3 ArbZG dürfen aber die vom ArbZG erfaßten Kraftfahrer und Beifahrer an Sonntagen bereits ab 22 Uhr beschäftigt werden, wenn ihre Ruhezeit samstags schon um 22 Uhr begonnen hat. Weil sich § 9 Abs. 3 ArbZG nach seinem Wortlaut auf den einzelnen Arbeitnehmer bezieht, ist das Arbeiten einzelner Kraftfahrer und Beifahrer bis Samstag 24 Uhr möglich, während andere Kollegen am Sonntag um 22 Uhr wieder mit der Arbeit beginnen. 23

B. Ausnahmen: Zulässigkeit von Sonntagsarbeit Die §§ 10 ff. ArbZG enthalten zahlreiche Ausnahmen vom Grundsatz des Beschäftigungsverbots. Sie lassen sich unterteilen in solche, die kraft Gesetzes gelten (§§ 10, 14 Abs. 1 ArbZG) und solche, die aufgrund Rechtsverordnung oder behördlicher Bewilligung eintreten (§§ 13, 15 Abs. 2 ArbZG). Hierauf ist im folgenden einzugehen. Zuvor ist aber darauf hinzuweisen, daß nach der Entstehungsgeschichte der §§ 10 ff. ArbZG Ausnahmen vom Beschäftigungsverbot nach den bisherigen Grundsätzen zulässig bleiben sollen?4 Das bedeutet, daß das Arbeitszeitgesetz nicht zu einer Einschränkung der Sonntagsarbeit gegenüber der bisherigen Rechtslage führen soll. Das ist bei der nunmehr folgenden Auslegung der einzelnen Ausnahmetatbestände zu berücksichtigen.

22

Roggendorf, ArbZG, § 9-16.

23

Roggendorf, ArbZG, § 9-16.

24

Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucksache 12/ 5888, S. 22.

B. Ausnahmen: Zulässigkeit von Sonntagsarbeit

37

I. Ausnahmen kraft Gesetzes

Das Arbeitszeitgesetz enthält kraft Gesetzes eintretende Ausnahmen vom Beschäftigungsverbot an Sonntagen in den §§ 10 und 14 Abs. l. § 10 ArbZG beinhaltet insgesamt 17 Fälle zulässiger Beschäftigung an Sonntagen. Das Gesetz zählt sie katalogartig auf. Der Arbeitgeber hat, wie bei § 14 Abs. 1 ArbZG, in bußgeld- beziehungsweise strafbewehrter Verantwortung 2S darüber zu entscheiden, ob die Ausnahmetatbestände in seinem Fall erfüllt sind. Abgesichert wird dieser Vorgang zudem durch die Aufsichtsbehörden, die nach § 17 Abs. 1 ArbZG das Einhalten dieses Gesetzes zu überwachen haben. Im übrigen können die Aufsichtsbehörden nach § 13 Abs. 3 Nr. 1 ArbZG einen feststellenden Verwaltungsakt darüber erlassen, ob eine Beschäftigung nach § 10 ArbZG zulässig ist, und Anordnungen über die Beschäftigungszeit unter Berücksichtigung der für den öffentlichen Gottesdienst bestimmten Zeit treffen?6

1. § 10 Abs. 1 ArbZG § 10 Abs. 1 ArbZG faßt die bisherigen Ausnahmen vom Beschäftigungsverbot an Sonntagen in einem Katalog zusammen. 27 Zugleich sind einige Neuerungen hinzugekommen, die insbesondere der technischen Entwicklung Rechnung tragen.

a) Auslegung des Einleitungssatzes von § 10 Abs. 1 ArbZG Allen Ausnahmetatbeständen des § 10 Abs. 1 ArbZG ist gleich, daß Arbeitnehmer nur an Sonntagen beschäftigt werden dürfen, "sofern die Arbeiten nicht an Werktagen vorgenommen werden können". Der Gesetzgeber hat diese Formulierung aus § 105 c Abs. 1 Nr. 3 und 4 GewO übernommen und nunmehr hinsichtlich aller genannten Ausnahmen festgeschrieben.

25

Vgl. § 22 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 sowie § 23 ArbZG.

Unklar Roggendorj, ArbZG, § 13-15 f., aber angesichts des Bezugs des letzten Halbsatzes der Vorschrift auf den gesamten Absatz in dem hier geschehenen Sinne zu entscheiden. 26

27

Vgl. die Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucksache 12/5888,

S.29.

38

§ 3 Sonntagsarbeit nach dem Arbeitszeitgesetz

Arbeiten können nicht an Werktagen vorgenommen werden, wenn dies aus technischen Gründen unmöglich ist oder die Vornahme dieser Arbeiten an Werktagen dem Betrieb unverhältnismäßige Nachteile, auch wirtschaftlicher Art, brächte. 28 Als zulässig erweisen sich danach unter anderem Arbeiten, die ihrer Art oder der Art des Betriebs nach einen Aufschub oder eine Unterbrechung nicht gestatten oder ohne die ein störungsfreies Erreichen des Betriebszwecks nicht oder nur mit Hilfe unzumutbarer Vorkehrungen möglich ist. 29 Weil § 1 Nr. 2 ArbZG ausdrücklich den Sonntag schützt, müssen die Nachteile, die dem Betrieb ohne die Sonntagsarbeit drohen, so erheblich sein, daß sie ein Durchbrechen des Sonntagsruhegebots rechtfertigen. 30 Diese Prüfung hat sich auszurichten an der Art der Arbeit und den tatsächlichen betrieblichen Verhältnissen, wobei es nicht auf die Möglichkeit anderer Herstellungsweisen ohne das Erfordernis von Sonntagsarbeit ankommt. 3 ! Wenn der Arbeitgeber auch nicht daran gehindert werden soll, eine dem Stand der Technik und der Wirtschaft angepaßte Produktion einzuführen, so hat er doch abzuwägen, ob nicht ein Verzicht auf die mit der neuen Methode erziel baren Vorteile im Hinblick auf die sozialen Nachteile der Sonntagsarbeit zumutbar ist. 32 Soweit § 10 Abs. 1 ArbZG eingreift, sind zwar nur die Arbeiten zulässig, die unbedingt notwendig sind. 33 Andererseits erfassen die Ausnahmetatbestände auch diejenigen Hilfs- und Nebentätigkeiten, die unmittelbar mit den zugelassenen Arbeiten zusammenhängen und ohne die letztere nicht durchführbar wären.

28 Zmarzlik / Anzinger, ArbZG, § 10-24; Dobberahn, Arbeitszeitrechtsgesetz, S. 38, Rn. 100; Roggendoif, ArbZG, § 10-16; Erasmy, NZA 1995, 97, 98.

29

Roggendoif, ArbZG, § 10-16.

30

Roggendoif, ArbZG, § 10-16.

Roggendoif, ArbZG, § 10-17 m. w. N.; die gegenteilige Auffassung von Buschmann / U/ber, Arbeitszeitrechtsgesetz, § 10-3, wonach der Arbeitgeber zum Ausnutzen von alternativen Gestaltungsmöglichkeiten verpflichtet ist, ist nicht durch den in Bezug auf die Gründe der Unverschiebbarkeit der Arbeiten offenen Wortlaut des Gesetzes angezeigt. Im übrigen gefahrdet die Ansicht, die wirtschaftliche Gründe für eine fehlende Verschiebbarkeit ausreichen läßt, nicht die Institution des Sonntags; vgl. ausführlich Zmarzlik, RdA 1988,257,263. 31

32 Vgl. aus der Entstehungsgeschichte des ArbZG ausdrücklich die Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucksache 12/5888, S. 53 (Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates); Roggendoif, ArbZG, § 10-17. 33

Zmarzlik / Anzinger, ArbZG, § 10-26; Roggendoif, ArbZG, § 10-18.

B. Ausnahmen: Zulässigkeit von Sonntagsarbeit

39

Unerheblich ist dabei, ob diese Verrichtungen durch Betriebsabteilungen oder rechtlich selbständige Betriebe vorgenommen werden. 34

b) Die einzelnen Ausnahmetatbestände des § 10 Abs. I ArbZG § 10 Abs. I ArbZG erfaßt folgende Fälle:

aa) Not- und Rettungsdienste sowie Feuerwehr

Nr. I erlaubt die Beschäftigung "in Not- und Rettungsdiensten sowie bei der Feuerwehr". Hierzu gehören nach dem Wortsinn und den Gesetzesmaterialien auch die handwerklichen Notdienste und die Notrufzentralen, etwa diejenigen der Automobilclubs sowie der zentralen Sperrannahmedienste35 von Banken und Kreditkarteninstituten.

bb) Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und ähnliches

Nr. 2 gestattet das Beschäftigen "zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sowie der Funktionsfähigkeit von Gerichten und Behörden und für Zwecke der Verteidigung". Zu denken ist hierbei etwa an die Tätigkeit bei gerichtlichen Bereitschaftsdiensten36 oder der Zivilangestellten der Bundeswehr im Rahmen der Verteidigung.

34 So auch der Erlaß des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NordrheinWestfalen vom 23.6.1994, Aktenzeichen III A 7 - 8300, S. 3; Roggendorf, ArbZG, § 10-13; Erasmy, NZA 1995, 97, 98. 35 BT-Drucksache 12/5888, S. 29. Vgl. auch BVerfG vom 21.5.1952, BVerfGE 1, 299, 312, wonach die Entstehungsgeschichte eines Gesetzes unter anderem zum Absichern der Auslegung des Wortlauts und zum Beheben von Zweifeln berücksichtigungsfähig ist. 36 Zu beachten ist insoweit aber § 19 ArbZG, wonach die §§ 3 bis 13 ArbZG gegebenenfalls keine Anwendung finden.

40

§ 3 Sonntagsarbeit nach dem Arbeitszeitgesetz

cc) Krankenhäuser und ähnliches Nach Nr. 3 ist die Beschäftigung "in Krankenhäusern und anderen Einrichtungen zur Behandlung, Pflege und Betreuung von Personen" zulässig. Neben dem eigentlichen Bereich der Krankenpflege zählt hierzu nach dem Gesetzeswortlaut auch derjenige der rein pflegerischen Versorgung. Daher gehören auch die ambulanten Pflegedienste zu den "anderen Einrichtungen" zum Behandeln, Pflegen und Betreuen von Personen. 37 Im übrigen sind hierunter vor allem Kinder- und Jugendheime, Internate, Altersheime, Rehabilitationskliniken sowie Kur- und Pflegeheime zu verstehen. 38

dd) Gaststätten und ähnliches Nr. 4 erlaubt die Beschäftigung "in Gaststätten und anderen Einrichtungen zur Bewirtung und Beherbergung sowie im Haushalt". Zu den Gaststätten und anderen Einrichtungen zur Bewirtung und Beherbergung gehören alle Betriebe, die gewerbsmäßig oder gemeinnützig jedermann oder Angehörigen bestimmter Personenkreise vorübergehend Unterkunft und Bewirtung geben. 39 Zu nennen sind Gasthöfe, Restaurants, Rasthäuser, Kantinen, eafes sowie Hotels, Pensionen oder Jugendherbergen. Der Ausnahmetatbestand erfaßt auch das Bewirten von Personen außerhalb des Betriebs, etwa durch einen sogenannten Party-Service. 40 Nicht hierzu rechnet aber der Verkauf von Speisen und Getränken, die nicht an Ort und Stelle verzehrt werden. Hierbei handelt es sich nämlich um eine dem Einzelhandel zuzurechnende, unter das Ladenschlußgesetz fallende Tätigkeit. 41 Schließlich ist die Beschäftigung von Arbeitnehmern im Haushalt an Sonntagen statthaft. Hintergrund ist, daß nach dem Regierungsentwurf die im Haushalt Beschäftigten von der Anwendung des Arbeitszeitrechtsgesetzes aus genom-

31 Vgl. aus der Entstehungsgeschichte des § 10 Abs. 1 Nr. 2 ArbZG die Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucksache 12/5888, S. 29. 38

Roggendorf, ArbZG, § 10-19 i. V. m. § 5-20.

39

Roggendorf, ArbZG, § 10-19 i. V. m. § 5-21.

40

Vgl. klarstellend BT-Drucksache 12/6990, S. 40.

4. Vgl. §§ 1 Abs. 1 Nr.

i. V. m. § 5-21.

1 und 2, 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LadschlG; Roggendorf, ArbZG, § 10-19

B. Ausnahmen: Zulässigkeit von Sonntagsarbeit

41

men sein sollten. 42 Später wurde dann aber die Anwendung des Arbeitszeitgesetzes auch auf diese Arbeitnehmergruppe beschlossen. 43 Durch die jetzige Regelung in § 10 Abs. 1 Nr. 4 ArbZG wird sichergestellt, daß im Haushalt tätige Arbeitnehmer auch an Sonntagen beschäftigt werden dürfen. 44

ee) Musikaufführungen und ähnliche Veranstaltungen Gemäß Nr. 5 können Arbeitnehmer sonntags beschäftigt werden "bei Musikaufführungen, Theatervorstellungen, Filmvorführungen, Schaustellungen, Darbietungen und anderen ähnlichen Veranstaltungen". Dazu gehört etwa die Tätigkeit bei Opern, Schauspielen und Marionettentheatern. 4S Unter die "ähnlichen Veranstaltungen" fallen beispielsweise Zirkusvorstellungen, aber auch das Aufstellen und Betreiben von Musik- und Unterhaltungsautomaten, zum Beispiel in Spielhallen.46 Nach den eingangs getroffenen Feststellungen47 ist als sogenannte Hilfs- und Nebentätigkeit auch statthaft, Arbeitnehmer mit dem Beseitigen von Störungen an solchen Automaten zu beschäftigen.48

ff) Nichtgewerbliche Aktionen der Kirchen, Parteien und ähnlicher Vereinigungen

Nr. 6 gestattet das Beschäftigen von Arbeitnehmern "bei nichtgewerblichen Aktionen und Veranstaltungen der Kirchen, Religionsgesellschaften, Verbände, Vereine, Parteien und anderer ähnlicher Vereinigungen". Dieser Ausnahmetatbestand will vornehmlich Beschäftigungen im sozial-kulturellen und religiösen49 Bereich zulassen. Unter "ähnlichen Vereinigungen" sind daher solche zu ver-

42

Vgl. BT-Drucksache 12/5888, S. 32 .

., Vgl. BT-Drucksache 12/6990, S. 43 . .. BT-Drucksache 12/6990, S. 43. 4S

Roggendorf, ArbZG, § 10-20 .

.., Roggendorf, ArbZG, § 10-20. 47

Siehe oben Seite 37 f.

Siehe zum damaligen § 105 i Abs. 1 GewO BVerwG vom 7.10.1965, BVerwGE 22, 144, 148 ff. 48

49 Wegen § 18 Abs. 1 Nr. 4 ArbZG, wonach das Gesetz nicht anzuwenden ist auf den liturgischen Bereich der Kirchen und Religionsgemeinschaften, bezieht sich der Tatbestand nicht auf den liturgischen Bereich der Kirchen und Religionsgemeinschaften.

42

§ 3 Sonntagsarbeit nach dem Arbeitszeitgesetz

stehen, die anerkanntennaßen Aufgaben in zumindest einem der vorgenannten Bereiche über einen längeren Zeitraum wahrnehmen, wie dies etwa die Wohlfahrtsverbände tun. 50

gg) Sport, Freizeiteinrichtungen, Museen und ähnliches

Nach Nr. 7 können Arbeitnehmer "beim Sport und in Freizeit-, Erholungsund Vergnügungseinrichtungen, beim Fremdenverkehr sowie in Museen und wissenschaftlichen Präsenzbibliotheken" beschäftigt werden. Unter "Sport" im Sinne der Vorschrift sind alle denkbaren sportlichen Veranstaltungen zu verstehen, seien es echte Wettkämpfe oder Schauturnen. Dabei können nicht nur arbeitnehmende Sportler beschäftigt werden, sondern auch Helfer und sonstige mit dem Ablauf der Veranstaltung befaßte Arbeitnehmer. 51 Die Freizeit-, Erholungs- und Vergnügungseinrichtungen umfassen den gesamten Bereich der Freizeitgestaltung. Unter den Begriff ,,Fremdenverkehr" fallen unter anderem Unterkunftsvermittlungen und Stadtführungen. Dieser Tatbestand dient genau wie der der Museen vornehmlich dem kulturellen Interesse der Gesellschaft. Die "wissenschaftlichen Präsenzbibliotheken" umfassen alle öffentlichen Bibliotheken, die wissenschaftliche Literatur zum Forschen, Studieren und für geistige Berufsarbeit aufbewahren, dieselbe aber nur in begrenztem Umfang ausleihen. Dies ist insbesondere bei Universitätsbibliotheken der Fall. 52

hh) Rundfunk, Tagespresse, Nachrichtenagenturen und ähnliches

Nr. 8 erlaubt die Beschäftigung "beim Rundfunk, bei der Tages- und Sportpresse, bei Nachrichtenagenturen sowie bei den der Tagesaktualität dienenden Tätigkeiten53 für andere Presseerzeugnisse einschließlich des Austragens, bei der Herstellung von Satz, Filmen und Druckfonnen für tages aktuelle Nachrich-

so Vgl. auch Zmarzlik I Anzinger, ArbZG, § 10-46. 51

Roggendoif, ArbZG, § 10-21.

52

Roggendoif, ArbZG, § 10-21.

Mit einer genauen Auslegung dieses Merkmals, auch im Wortsinn, beschäftigt sich BergerDelhey, BB 1994, 2199, 2200 ff., der zu dem Ergebnis kommt, daß sowohl "spot news" als auch ..diary news" hiervon erfaßt sind. 53

B. Ausnahmen: Zulässigkeit von Sonntagsarbeit

43

ten und Bilder, bei tagesaktuellen Aufnahmen auf Ton- und Bildträger sowie beim Transport und Kommissionieren von Presseerzeugnissen, deren Ersterscheinungstag am Montag oder am Tag nach einem Feiertag liegt". Nunmehr wird ausdrücklich das Beschäftigen von Arbeitnehmern mit dem Austragen von Presseerzeugnissen an Sonntagen erlaubt. Denn der Begriff ,journalistischen" vor dem Wort Tätigkeiten wurde gestrichen, die Formulierung "dienenden Tätigkeiten" gewählt und die Wendung "einschließlich des Austragens" eingefügt. 54 Diese Gesetzesfassung begünstigt vor allem die sogenannten Anzeigenblätter. Dabei handelt es sich um Druckwerke, die in Form einer Zeitung erscheinen und einen ausgeprägten Anzeigenteil sowie einen redaktionellen Teil mit Berichten vornehmlich über Lokalereignisse enthalten. 55 Auch zukünftig unstatthaft ist allerdings das sonntägliche Austragen von ,,reinem Werbematerial".56 Unter den Begriff "Tagespresse" fallen nach dem Wortlaut auch Sonntagszeitungen, unabhängig davon, ob sie als reine Sonntagszeitung nur an diesem Tag oder aber als sogenannte siebte Ausgabe einer Tageszeitung am Sonntag erscheinen.57 Schließlich sind der Transport und das Kommissionieren von Presseerzeugnissen an Sonntagen zulässig, sofern der Ersterscheinungstag am Montag liegt. Dazu zählt das Verpacken für den Transport ebenso wie das versandfertige Zusammenstellen der Presseerzeugnisse. Buschmann / Ulber 8 meinen, § 10 Abs. 1 Nr. 8 ArbZG stelle einen Grenzfall zulässiger Sonntagsarbeit dar, soweit es sich um den Transport und das Kommissionieren von Presseerzeugnissen handele, deren Ersterscheinungstag am Montag liege. Diese Fallvariante sei im Licht der Pflicht des Arbeitgebers zu beurteilen, Sonntagsarbeit durch die Gestaltung des Vertriebs zu vermeiden. So sei nicht nur besonders der Einleitungssatz des § 10 Abs. 1 ArbZG, "sofern die Arbeiten nicht an Werktagen vorgenommen werden können", von entscheidender Bedeutung. Vielmehr müßten darüber hinaus im Einzelfall zwingende

54

Vgl. hierzu BT-Drucksache 12/6990, S. 13 f. /43.

55

Roggendorj, ArbZG, § 10-22.

56

Roggendorj, ArbZG, § 10-22; Anzinger, BB 1994, 1492, 1496.

Vgl. zur Absicherung dieser Wortlaut-Auslegung die Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucksache 12/5888, S. 29. 57

58

Arbeitszeitrechtsgesetz, § 10-7.

44

§ 3 Sonntagsarbeit nach dem Arbeitszeitgesetz

Gründe vorliegen, die den Erscheinungstag des Presseerzeugnisses am Montag als unvermeidbar erscheinen ließen. Diese Auffassung verkennt allerdings zunächst den Wortlaut des § 10 Abs. 1 Nr. 8 ArbZG, der allein darauf abstellt, ob der Ersterscheinungstag am Montag liegt. S9 Darüber hinaus mißachtet diese Ansicht Reichweite und Bedeutung des Grundrechts der Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG. Danach sind alle wesensmäßig mit der Pressearbeit zusammenhängenden Tätigkeiten geschützt, von der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung der Nachricht und der Meinung. 60 Hierzu gehört auch die freie Entscheidung über den Erscheinungszeitpunkt des Druckwerks. 61 Die Pressefreiheit ist daher beeinträchtigt, wenn das Verbot von Sonntagsbeschäftigung den ansonsten möglichen frühzeitigen Vertrieb von Druckwerken und damit deren Erscheinen zum Beispiel am Montag verhindert. 62 Zwar können nach Art. 5 Abs. 2 GG sogenannte allgemeine Gesetze diese Freiheit einschränken. Sie sind dann allerdings ihrerseits im Lichte der besonderen Bedeutung des Grundrechts der Pressefreiheit für den freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat auszulegen und anzuwenden. 63 Daher sind die Verfassungswerte Presse- und Informationsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Sätze 1 und 2 GG) einerseits und die Sonntagsruhe (Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV) andererseits gegeneinander abzuwägen. 64 Anerkanntermaßen entspricht die zeitnahe Berichterstattung der "öffentlichen Aufgabe" der Presse. 6S Dies gilt zunächst für Tageszeitungen, die auch montags erscheinen. Dies gilt aber ebenso für Wochenzeitungen und -zeitschriften, die den Montag als Ersterscheinungstag bestimmen und mit einem beachtlichen Teil ihres Inhalts Themen der vorhergehenden Woche bis hin zum Wochenende erfassen. 66 Hinzu kommt, daß die Wahl des Erscheinungstags abhängt von den

59 Dies hat nach der hier vertretenen Konzeption zu den Vorgaben des Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV zur Folge, daß wegen der Abwägung von Sonntagsschutz und Pressefreiheit durch den Gesetzgeber dessen Entscheidung vorliegt, die grundSätzlich bindet; vgl. dazu unten ab S. 108. 60 BVerfG vom 15.11.1982, BVerfGE 62, 230, 243; vom 13.1.1988, BVerfGE 77, 346, 354; v. Münch-Wendt, GG, Art. 5-33. 61 Maum I Dürig I Herzog I Scholz, GG, Art. 5 I, II-136; vgl. zur Freiheit des Vertriebs von Presseerzeugnissen auch Berger-Delhey, BB 1994,2199,2202. 62

Vgl. auch BVerwG vom 14.11.1989, BVerwGE 84, 86, 92.

BVerwG vom 14.11.1989, BVerwGE 84, 86,92.; grundlegend das sogenannte Lüth-Urteil des BVerfG: BVerfG vom 15.1.1958, BVerfGE 7, 198,208 f. 63

.. BVerwG vom 14.11.1989, BVerwGE 84,86,92. os Statt aller BVerwG vom 14.11.1989, BVerwGE 84, 86, 93. 66

BVerwG vom 14.11.1989, BVerwGE 84, 86, 93.

B. Ausnahmen: Zulässigkeit von Sonntagsarbeit

45

Erwartungen der Zielgruppe und davon bestimmten Vertriebsmöglichkeiten innerhalb des bestehenden Wettbewerbs 67• Weil das Leserinteresse bei geringstmöglichem Zeitabstand der Information zum Anlaß besonders stark ist und weil ein striktes Verbot von Sonntagsbeschäftigung die unverhältnismäßige Folge hätte, daß die zeitnahe Berichterstattung unmöglich gemacht oder wesentlich erschwert würde, stellt sich zunächst die Sonntagsarbeit einschließlich Transport und Kommissionieren der Erzeugnisse für die Montagsausgabe von Tageszeitungen als statthaft dar. 68 Dasselbe gilt unter den eben dargestellten Voraussetzungen auch für Wochenzeitungen oder -zeitschriften, die den Montag als Ersterscheinungstag bestimmen. Denn sie sind wie die Montagsausgabe von Tageszeitungen auf Sonntagsarbeit angewiesen. 69 Deshalb müssen für die Statthaftigkeit von Transportieren und Kommissionieren von Presseerzeugnissen, die am Montag erstmals erscheinen, entgegen Buschmann I Ulber nicht im Einzelfall zwingende Gründe vorliegen, die den Erscheinungstag des Presseerzeugnisses am Montag als unvermeidbar erscheinen lassen.

ii) Messen, Ausstellungen und Märkte sowie Volksfeste

Gemäß Nr. 9 ist die Sonntags beschäftigung von Arbeitnehmern "bei Messen, Ausstellungen und Märkten im Sinne des Titels IV der Gewerbeordnung sowie bei Volksfesten" zulässig. Dieser Ausnahmetatbestand geht darauf zurück, daß zu den sogenannten Marktprivilegien der nach § 69 GewO festgesetzten Messen, Märkte und Volksfeste seit eh und je die Befreiung vom Beschäftigungsverbot an Sonntagen zählt. 70 Hinsichtlich der Voraussetzungen der §§ 64 ff. GewO, die sich mit der Frage befassen, wann eine Messe, eine Ausstellung oder ein Markt im Sinne des Titels IV der GewO vorliegt, wird auf die dahin gehende Kommentierung verwiesen. 71

67

Berger-Delhey, BB 1994,2199,2202.

68

Vgl. in bezug auf den alten § 105 e GewO BVerwG vom 14.11.1989, BVerwGE 84,86,92 f.

69 Vgl. in bezug auf den alten § 105 e GewO BVerwG vom 14.11.1989, BVerwGE 84, 86, 93 m. H. auf die Bedeutungslosigkeit der Tatsache, daß auch Artikel hierin enthalten sein mögen, die später noch ihren Leser finden.

70 Vgl. die Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucksache 12/5888, S.29. 71

Etwa Landmann / Rohmer-Schönleiter, GewO, Vor §§ 64 ff. GewO.

46

§ 3 Sonntagsarbeit nach dem Arbeitszeitgesetz

Fraglich ist, ob auch sogenannte Hausmessen des Großhandels und der Einkaufs verbände von § 10 Abs. 1 Nr. 9 ArbZG erfaßt sind. Solche Hausmessen finden statt, wenn eine oder mehrere Firmen eine Veranstaltung für gewerbliche Wiederverkäufer durchführen, die zu einer Veranstaltung im Sinne der §§ 64, 65, 66 oder 68 GewO in einem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang steht. 72 Eine Messe im Sinne des § 64 Abs. 1 GewO setzt unter anderem voraus, daß eine Vielzahl von Ausstellern das wesentliche Angebot eines Wirtschaftszweigs auf einer Veranstaltung ausstellt. Eine solche Vielzahl von Ausstellern ist aber häufig erst dann vorhanden, wenn mehr als die Hälfte der Unternehmen eines Wirtschaftszweigs ihre Waren auf der Veranstaltung zur Schau stellt. 73 Daher erstreckt sich § 10 Abs. 1 Nr. 9 ArbZG nicht auf sogenannte Hausmessen des Großhandels und der Einkaufsverbände. 74 Ein "Volksfest" im Sinne der Nr. 9 schließlich liegt vor, wenn es sich um eine festliche Veranstaltung für die Bevölkerung handelt. Dies ist etwa bei den regionalen Kirmessen der Fall.

jj) Verkehrsbetriebe sowie Transport und Kommissionieren von leichtverderblichen Waren

Nr. 10 gestattet die Sonntagsbeschäftigung "in Verkehrsbetrieben sowie beim Transport und Kommissionieren von leichtverderblichen Waren im Sinne des § 30 Abs. 3 Nr. 2 der Straßenverkehrsordnung". Verkehrsbetriebe sind solche, deren Zweck im Befördern von Personen, Gütern oder Nachrichten für andere besteht. Beispielhaft zu nennen sind hier die Eisenbahn, Straßenbahn, Schiffahrt, öffentliche und private Busunternehmen, Taxi- und Mietwagenunternehmen, Betriebe des Gütertransports sowie Postund Telegrafenbetriebe. 7s Dagegen gehört der sogenannte Werkverkehr nicht hierhin. Dieser stellt sich nämlich als unselbständiger Teil eines Betriebs dar,

72

Roggendoif, ArbZG, § 10-23.

Landmann I Rohmer-Schönleiter, GewO, § 64 Rn. 3; Dobberahn, Arbeitszeitrechtsgesetz, S. 40, Rn. 106 mit zusätzlichem Hinweis darauf, daß Hausmessen nicht für alle Anbieter allgemein zugänglich im Sinne des § 70 Abs. 1 GewO sind. 73

74 So auch Roggendoif, ArbZG, § 10-23 mit Hinweis darauf, daß eine Genehmigungsmöglichkeit für die Beschäftigung nach § 13 Abs. 3 Nr. 2 a ArbZG bestehen kann; Zmanlik I Anzinger, ArbZG, § 10-73 f.; Erasmy, NZA 1995,97,98.

7S

Roggendoif, ArbZG, § 10-24 i. V. m. § 5-22.

47

B. Ausnahmen: Zulässigkeit von Sonntags arbeit

der nicht unmittelbar das Befördern von Personen, Gütern oder Nachrichten für Dritte bezweckt. 76 Erfaßt werden hingegen die zu den Verkehrsbetrieben gehörenden selbständigen und unselbständigen Hilfs- und Nebenbetriebe, die für den reibungslosen Ablauf des Verkehrs notwendig sind.77 Hilfsbetriebe sind unter anderem Reparatur- und Autobahnbetriebe, Reisebüros sowie Schlaf- und Speisewagenbetriebe. Immer aber muß ihre Tätigkeit Voraussetzung für den reibungslosen Verkehrs ablauf sein, damit Sonntagsbeschäftigung in ihnen statthaft ist. 78 Darüber hinaus erlaubt § 10 Abs. 1 Nr. 10 ArbZG die Sonntagsbeschäftigung von Arbeitnehmern beim Transport und Kommissionieren von leichtverderblichen Waren im Sinne des § 30 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StVO. Damit ist sichergestellt, daß diese Waren nicht nur abweichend vom generellen Sonntagsfahrverbot des § 30 Abs. 3 Satz 1 StVO befördert, sondern auch kommissioniert werden dürfen. Mit Kommissionieren sind das Aufbereiten, Verpacken und versandfertige Zusammenstellen der Waren gemeint. 79 Auf diese Weise trägt der Gesetzgeber dem Bedürfnis des Verbrauchers nach Frischwaren schon am Montagmorgen ebenso Rechnung wie dem Verhindern des Verderbens oder des Qualitätsverlusts von Frischwaren. 8o § 30 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StVO nennt als leichtverderbliche Waren: frische Milch und frische Milcherzeugnisse, frisches Fleisch und frische Fleischerzeugnisse, frische und lebende Fische sowie frische Fischerzeugnisse und leichtverderbliches Obst und Gemüse. Leichtverderbliches Obst und Gemüse sind etwa Weintrauben, Erdbeeren, Salat, Tomaten oder Spargel. 8!

kk) Energie- und Wasserversorgungsbetriebe und ähnliches

Nach Nr. 11 ist die Beschäftigung "in den Energie- und Wasserversorgungsbetrieben sowie in Abfall- und Abwasserentsorgungsbetrieben" an Sonntagen statthaft. Der Gesetzgeber hat mit diesem Tatbestand nicht nur die Beschäfti-

7.

Zmarzlik 1 Anzinger, ArbZG, § 10-76; Roggendoif, ArbZG, § 10·24 i. V.

77

Roggendoif, ArbZG, § 10-24 i. V.

In.

§ 5-22. Siehe dazu auch bereits oben S. 38 f.

ffi.

§ 5-23.

In.

§ 5-22.

7R

Roggendoif, ArbZG, § 10-24 i. V.

79

Roggendoif, ArbZG, § 10-24.

RO

Vgl. Bundestagsausschuß für Arbeit und Sozialordnung, BT-Drucksache 12/6990, S. 43.

Roggendoif, ArbZG, § 10-24 ffi. H. aufOVG NW VOIn 7.10.1993, GewArch 1994,170 sowie unter Benennung einzelner gestatteter Tätigkeiten; vgl. auch Anzinger, BB 1994, 1492, 1496. RI

48

§ 3 Sonntagsarbeit nach dem Arbeitszeitgesetz

gung in den genannten Betrieben erlaubt. Vielmehr dürfen auch die Arbeitnehmer in den jeweiligen Zulieferbetrieben tätig werden, wenn und soweit dies für das Aufrechterhalten der jeweiligen Betriebsart, etwa durch kontinuierliches Beliefern mit Rohstoffen, unerläßlich ist. 82 Zu den Abfallentsorgungsbetrieben sind auch Tierkörperbeseitigungsanstalten zu rechnen. 83

ll) Landwirtschaft, Tierhaltung und ähnliches

Nr. 12 erlaubt die Beschäftigung von Arbeitnehmern "in der Landwirtschaft und in der Tierhaltung sowie in Einrichtungen zur Behandlung und Pflege von Tieren". Diese Erlaubnis schränkt die selbständige Tätigkeit des Landwirts, Tierhalters und Tierpflegers auch zukünftig nicht ein. 84 Unter Einrichtungen zur Behandlung und Pflege von Tieren sind beispielsweise Tierheime zu verstehen. 85 Erlaubt sind ausschließlich solche Arbeiten, die sonntags aus naturbedingten Gründen vorgenommen werden müssen, etwa das Füttern oder sonstige Versorgen von Tieren. Andererseits gehören hierzu aber auch unaufschiebbare wetter- und witterungsabhängige Arbeiten wie das Einfahren von Heu bei bevorstehenden Unwettem. 86 Jedenfalls nicht gestattet ist das Durchführen regulärer ärztlicher Untersuchungen oder Verwaltungsarbeiten durch abhängig Beschäftigte. 87 Diese Arbeiten können nämlich im Sinne des Eingangssatzes von § 10 Abs. 1 ArbZG auch "an Werktagen vorgenommen werden".

82 Siehe schon oben Seite 38 zu den erlaubten Hilfs- und Nebentätigkeiten. V gl. im übrigen Bundestagsausschuß für Arbeit und Sozialordnung, BT-Drucksache 12/6990, S. 40 hinsichtlich der Energieversorgungsbetriebe. Erasmy, NZA 1995, 97, 98, weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß diese Lösung schon wegen der Absicht des Gesetzgebers anzunehmen sei, den Rahmen der Sonntagsarbeit nicht einzuschränken; bisher aber sei Beschäftigung in Zulieferbetrieben unbestritten möglich gewesen. 83

Anzinger, BB 1994, 1492, 1496.

84

Roggendorf, ArbZG, § 10-26; Zmarzlik, DB 1994, 1082, 1085.

8S

Roggendorf, ArbZG, § 10-26.

86

Roggendorf, ArbZG, § 10-26.

87

Buschmann 1 Ulber, Arbeitszeitrechtsgesetz, § 10-9.

B. Ausnahmen: Zulässigkeit von Sonntagsarbeit

49

mm) Bewachungsgewerbe und Bewachung von Betriebsanlagen Nr. 13 des § 10 Abs. 1 ArbZG gestattet die Sonntagsbeschäftigung von Arbeitnehmern "im Bewachungsgewerbe und bei der Bewachung von Betriebsanlagen". Unter "Bewachungsgewerbe" fällt vor allem das Bewachen fremder Objekte durch Arbeitnehmer der Wach- und Schließgesellschaften. 88 Das "Bewachen" von Betriebsanlagen umfaßt den Wächterdienst über sowie in den Betriebsanlagen. Zu denken ist an Werkswachen (Pförtner und Wächter), Werksfeuerwehren und ähnliche Beschäftigtengruppen. 89 Unerheblich ist insoweit, ob es sich um Beschäftigte des eigenen oder eines fremden Betriebs handelt. Vom Bewachen von Betriebsanlagen zu unterscheiden ist das nicht statthafte Überwachen oder Kontrollieren voll- oder teilautomatisch ablaufender Produktionsanlagen. Denn hierbei geht es nicht um reinen, auf das Sichern des Eigentums gerichteten Wächterdienst.90

nn) Instandhaltung, Vorbereitung der Wiederaufnahme des Betriebs und Datennetze Nach Nr. 14 ist Sonntagsbeschäftigung statthaft "bei der Reinigung und Instandhaltung von Betriebseinrichtungen, soweit hierdurch der regelmäßige Fortgang des eigenen oder eines fremden Betriebs bedingt ist, bei der Vorbereitung der Wiederaufnahme des vollen werktägigen Betriebs sowie bei der Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit von Datennetzen und Rechnersystemen" . Die erste Fallvariante erlaubt Arbeiten zum Reinigen oder Instandhalten von Betriebseinrichtungen. Hierzu zählen beispielsweise Betriebsstätten, Maschinen, Apparate, Feuerungsanlagen und Werkskanäle. 91 Das Reinigen kann sich erstrecken auf das Befreien von Schmutz, Abfällen und sonstigen Fremdkörpern. Den Gegensatz dazu bildet das Säubern des zu verarbeitenden Materials und der

88

Roggendoif, ArbZG, § 10-27.

89

Roggendoif, ArbZG, § 10-27.

Roggendoif, ArbZG, § 10-27; Zmarzlik I Anzinger, ArbZG, § 10-94 f. m. H. darauf, daß bei gefährlichen Anlagen § 10 Abs. 1 Nr. 2 ArbZG einschlägig sein kann. !Hl

91

Roggendoif, ArbZG, § 10-28.

4 Schnieders

50

§

3 Sonntagsarbeit nach dem Arbeitszeitgesetz

Rohstoffe. 92 Hierbei handelt es sich nämlich bereits um Elemente des Produktionsvorgangs. Instandhaltungsarbeiten sind etwa Wartung und Pflege von Maschinen, sämtliche Reparaturarbeiten und das Auswechseln von Maschinenoder Anlagenteilen. Nicht dazu gehört hingegen das Aufstellen neuer Betriebseinrichtungen. 93 Statthaft ist demgegenüber auch das Ingangsetzen der reparierten Maschinen zwecks Funktionsprüfung, unabhängig davon, ob damit zugleich der Produktionsprozeß in Gang gesetzt wird. Beim Überwachen der laufenden Maschinen nach abgeschlossener Funktionsprüfung geht es allerdings nicht mehr nur um die Kontrolle der erfolgten Reinigung oder Instandhaltung. Solche Tätigkeiten sind daher nicht mehr erlaubt. 94 Voraussetzung für die StaUhaftigkeit von Reinigungs- und Instandsetzungsarbeiten an Sonntagen ist weiter, daß durch ihre Vornahme der regelmäßige Fortgang des eigenen oder eines fremden Betriebs bedingt ist. Das bedeutet, das Unterlassen der genannten Tätigkeiten muß zur Folge haben, daß der Betrieb am nächsten Tag nicht in der regelmäßigen Art oder dem regelmäßigem Umfang fortgeführt werden kann. Dabei ist maßgeblich der Fortgang des ganzen Betriebs, also aller Betriebsmittel, nicht nur derjenige der einzelnen Maschine. 95 Die zweite Variante des § 10 Abs. 1 Nr. 13 ArbZG gestattet Arbeiten bei der Vorbereitung der Wiederaufnahme des vollen werktätigen Betriebs. Zu nennen sind hier etwa das Anfeuern von Öfen oder das Inbetriebnehmen von Förderund Aufzugsanlagen. 96 Buschmann I Ulber7 vertreten die Auffassung, daß der Ausnahmetatbestand ausschließlich Vorbereitungsarbeiten erfaßt, im Gegensatz zum alten § 105 c Abs. 1 Nr. 3 GewO nicht aber alle Tätigkeiten, von denen die Wiederaufnahme des vollen werktätigen Betriebs abhängt. Für diese Ansicht könnte der Wortlaut

92

Roggendoif, ArbZG, § 10-28.

9, Roggendoif, ArbZG, § 10-28. 94 Roggendoif, ArbZG, § 10-29 m. H. aufOVG NW vom 16.12.1993, GewAreh 1994, 241, 242 (zum damaligen § 105 c Abs. 1 Nr. 3 GewO) und darauf, daß die Funktionsprüfung bei einer Gefahr eines Maschinenschadens durch Abstellen nach erfolgter Funktionsprüfung zeitlich so zu legen ist, daß das Weiterlaufenlassen der Maschinen nicht gegen das Sonntagsruhegebot verstößt. Dem ist zuzustimmen, weil ansonsten die Ausnahme des § 10 Abs. 1 Nr. 16 ArbZG, wonach Arbeiten zum Vermeiden einer erheblichen Beschädigung der Produktionseinrichtungen statthaft sind, überbeansprucht würde.

95

Roggendoif, ArbZG, § 10-30.

96

Roggendoif, ArbZG, § 10-31.

91

Arbeitszeitrechtsgesetz, § 10-11.

B. Ausnahmen: Zulässigkeit von Sonntagsarbeit

51

des § 10 Abs. 1 Nr. 13 ArbZG streiten, der von "Vorbereitung der Wiederaufnahme" im Gegensatz zu "Arbeiten, von denen die Wiederaufnahme des vollen werktägigen Betriebs abhängig ist" (so § 105 c Abs. 1 Nr. 3 GewO) spricht. Allerdings sollen ausweislich der Entstehungsgeschichte der §§ 10 ff. ArbZG98 Ausnahmen vom Beschäftigungsverbot nach den bisherigen Grundsätzen zulässig bleiben. Nach dem alten § 105 c Abs. 1 Nr. 3 GewO war aber auch das Ingangsetzen von Maschinen gestattet, selbst wenn es sich dabei um Produktionsarbeiten handelte. 99 Mit Rücksicht darauf sind daher entgegen Buschmann / Ulber alle Arbeiten zulässig, von denen die Wiederaufnahme des vollen werktätigen Betriebs abhängt. Dies gilt selbst für solche Tätigkeiten, die zugleich der Produktion angehören, sofern sie aus technologischen Gründen mit einer Funktionsprüfung der Maschine oder einer Prüfung des Produkts einhergehen. 100 Als Beispiele statthafter Tätigkeiten ist etwa das Wiederanfahren einer Rotorspinnmaschine zum Garnherstellen oder das Wiederanfahren einer Walzenstraße zum Gewinnen von Feinstahl und Draht zu nennen. 101 Unter Wiederaufnahme des vollen werktägigen Betriebs ist das Ingangsein aller regelmäßig betriebenen Maschinen in einer Art und Weise zu verstehen, die eine ausreichende Beschäftigungsmöglichkeit für alle Arbeitnehmer des Betriebs zuläßt. Dabei reicht aus, daß sämtliche Maschinen laufen und somit möglich ist, die nach den Betriebsverhältnissen reguläre Gesamtheit der Arbeiter im wesentlichen zu beschäftigen. 102 Statthaft ist nach Nr. 14 schließlich die Sonntagsbeschäftigung bei der Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit von Datennetzen und Rechnersystemen. Diese Ausnahme trägt dem in den 80er Jahren erheblich angestiegenen bargeldlosen Zahlungsverkehr mit Eurocheque-Karten, Kreditkarten usw. Rechnung.

9R Vgl. die Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucksache 12/5888, S.22.

99 Erasmy, NZA 1995,97,99; vgl. auch Bundestagsausschuß für Arbeit und Sozialordnung, BTDrucksache 12/6990, S. 40. 100 Ebenso Anzinger, BB 1994, 1492, 1497; Roggendorf, ArbZG, § 10-31 mit dem zutreffenden Hinweis, daß das Ingangsetzen der Produktion zwecks Funktionsprüfung in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Wiederaufnahme des vollen werktägigen Betriebs nach der Beendigung der Sonntagsruhe liegen, diesen also vorbereiten muß. 101

Vgl. Bundestagsausschuß für Arbeit und Sozialordnung, BT-Drucksache 12/6990, S. 40.

Roggendorf, ArbZG, § 10-32, in § 10-33 m. H. auf das Urteil des OVG NW vom 16.12.1993, GewArch 1994,240,243 (zum damaligen § 105 c Abs. 1 Nr. 3 GewO), wonach bei mehrstufig gestalteten Produktionsvorgängen das Ende der Vorbereitungsarbeiten erreicht ist, wenn die jeweils erste Produktionsstufe in Gang gesetzt ist. 102

52

§ 3 Sonntagsarbeit nach dem Arbeitszeitgesetz

Die Funktionsfähigkeit von Datennetzen und Rechnersystemen soll an Sonntagen aufrechterhalten werden dürfen. 103 Zum Datennetz gehören alle mit dem Rechner verbundenen Einzelkomponenten, etwa das electronic-cash-terminal oder der Geldausgabeautomat. I04 Die "Aufrechterhaltung" erstreckt sich auf kontrollierende und instandhaltende Tätigkeiten. lOs Außerdem sind solche Arbeiten zulässig, die im Rahmen der EDV entstehen und die für solche Tätigkeiten unerläßlich sind, die im Ausland anfallen, das am Sonntag kein Arbeitsverbot kennt. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn in einem international verbundenen Unternehmen die Datenverarbeitungszentrale in der Bundesrepublik liegt. 106 Im übrigen gehört auch das Bestücken von Geldausgabeautomaten grundsätzlich zu den zugelassenen Ausnahmen. Hierbei handelt es sich um eine sogenannte Hilfstätigkeie 07 , weil das Bestücken des Automaten unmittelbar mit dem Aufrechterhalten dessen Funktionsfähigkeit zusammenhängt, und ohne das im gegebenen Fall notwendig gewordene Nachbestücken liefe das Aufrechterhalten der Funktionsfahigkeit des Geldautomaten als Datennetz leer. Es kommt daher gemäß dem Einleitungssatz von § 10 Abs. 1 ArbZG darauf an, ob das Bestücken nicht an Werktagen möglich ist. Dies ist aber bei einem plötzlichen Ansturm auf den Automaten am Wochenende, insbesondere am Sonntag, nicht der Fall. Denn ohne das notwendig werdende Nachfüllen von Geld ist ein störungsfreies Erreichen des Betriebszwecks der Geldautomaten nicht gewährleistet. Sie bezwecken gerade die Versorgung der Bevölkerung mit Geld rund um die Uhr. lOS Im Hinblick auf den grundsätzlichen Schutz der Sonntagsruhe lO9 darf der Betreiber des Geldautomaten es aber nicht bewußt zu einem Leerlauf kommen lassen. Das heißt er muß gegebenenfalls samstags den noch vorhandenen Inhalt kontrollieren und 103 Vgl. aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift Bundestagsausschuß für Arbeit und Sozialordnung, BT-Drucksache 12/6990, S. 43; vgl. auch die Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucksache 12/5888, S. 29.

104 Roggendoif, ArbZG, § 10-34; Anzinger, BB 1994, 1492, 1497; so auch der Erlaß des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen vom 23.6.1994, Aktenzeichen III A 7 - 8300, S. 4. 105 Anzinger, BB 1994, 1492, 1497; so auch der Erlaß des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen vom 23.6.1994, Aktenzeichen III A 7 - 8300, S. 4.

106

Roggendoif, ArbZG, § 10-34; Erasmy, NZA 1995, 97, 99.

107

Siehe dazu oben S. 38.

Insoweit kann den zurückhaltend formulierten Auffassungen von Roggendolj, ArbZG, § 10-34 und Erasmy, NZA 1995, 97, 99, beide im übrigen m. H. darauf, daß diese Arbeiten nach § 13 Abs. 3 Nr. 2 a ArbZG genehmigungsfähig sein können, nicht gefolgt werden. 108

109

Vgl. §§ 1 Nr. 2, 9 Abs. 1 ArbZG.

B. Ausnahmen: Zulässigkeit von Sonntagsarbeit

53

vor einem absehbaren Ansturm auf den Automaten bei Festen oder ähnlichem die Bestückung so groß wie möglich vornehmen.

00)

Verhütung des Verderbens von Rohstoffen, kontinuierliche Forschungsarbeiten etc.

Nr. 15 erlaubt die Sonntagsbeschäftigung "zur Verhütung des Verderbens von Naturerzeugnissen oder Rohstoffen oder des Mißlingens von Arbeitsergebnissen sowie bei kontinuierlich durchzuführenden Forschungsarbeiten". Der erste Fall des § 10 Abs. 1 Nr. 15 ArbZG gestattet Arbeiten zum Verhüten des Verderbens von Naturerzeugnissen oder Rohstoffen. Naturerzeugnisse sind vor allem tierische und pflanzliche Erzeugnisse, die naturbelassen verbraucht oder zu anderen Produkten verarbeitet werden. 110 Rohstoffe sind sowohl die eigentlichen Rohprodukte als auch die im Produktionsvorgang anfallenden Zwischenprodukte. lll "Verderben" liegt vor, wenn die Rohstoffe oder Naturerzeugnisse durch chemische, biologische oder physikalische Prozesse in ihrer Beschaffenheit nachteilig verändert werden. Dabei handelt es sich in erster Linie um Fäulnis, Oxidation, Schimmel bildung und andere Zersetzungsvorgänge. ll2 Entscheidend für die Frage, ab wann ein Verderben anzunehmen ist, sind Zweckbestimmung und Verwendungsmöglichkeit hinsichtlich des jeweiligen Stoffs sowie das Konsumverhalten der Abnehmer, nicht aber allein toxikologische oder chemische Maßstäbe. 1I3 Zwecks Vermeidens überflüssiger Sonntagsarbeit ist der Arbeitgeber gehalten, die allgemein üblichen und zumutbaren betriebstechnischen und organisatorischen Möglichkeiten auszuschöpfen, um das Verderben der Naturerzeugnisse oder Rohstoffe zu verhindernY4 Dabei ist vornehmlich zu denken an Kühlung oder Haltbarmachen durch Begasen, Trocknen, Einsalzen, Erhitzen, Einfrieren oder eine besondere Verpackung. Der zweite Fall des § 10 Abs. 1 Nr. 15 ArbZG läßt Arbeiten zum Verhüten des Mißlingens von Arbeitsergebnissen zu. Der Gesetzgeber hat den Begriff "Arbeitserzeugnisse" aus § 105 c Abs. 1 Nr. 4, 2. Fall GewO durch das inhalt110 Roggendorf, ArbZG, § 10-35; Zmarzlik, DB 1994, 1082, 1085; Anzinger, BB 1994, 1492, 1497.

111

Roggendorf, ArbZG, § 10-35; Zmarzlik I Anzinger, ArbZG, § 10-142.

112

Roggendorf, ArbZG, § 10-35.

113

Roggendorf, ArbZG, § 10-35.

114

Zmarzlik I Anzinger, ArbZG, § 10-146.

54

§ 3 Sonntagsarbeit nach dem Arbeitszeitgesetz

lich weitergehende Wort ,,Arbeitsergebnisse" ersetzt. Dadurch sind nunmehr nicht nur End- und Zwischenprodukte aus Herstellungsprozessen, sondern auch die Ergebnisse jeder außerhalb der Herstellungsprozesse liegenden Arbeit erfaßt. 115 Zu nennen sind hier etwa Dienstleistungen. 116 Arbeitsergebnisse mißlingen, wenn sie wegen der Arbeitsunterbrechung an Sonntagen nicht gelingen oder Fehler aufweisen, die ihrer bestimmungsgemäßen Verwendung entgegenstehen oder dieselbe erheblich beeinträchtigen. 117 Im Hinblick auf den grundsätzlichen Schutz des Sonntages l18 muß der Arbeitgeber die allgemein üblichen und auch zumutbaren betriebstechnischen und organisatorischen Vorkehrungen treffen, um ein Mißlingen von Arbeitsergebnissen zu minimieren. 119 Darüber hinaus muß das Unterbrechen des Arbeitsvorgangs die Ursache für das Mißlingen darstellen, so daß ungeeignete Ausgangsstoffe keine Ausnahme vom Gebot der Sonntagsruhe rechtfertigen können. 120 Nach der Entstehungsgeschichte der Vorschrift liegt ein Mißlingen von Arbeitsergebnissen bei kontinuierlicher Sonntagsarbeit in der Regel vor, wenn wegen der Unterbrechung am Sonntag nicht oder fehlerhaft gelungene (mißlungene) Arbeitserzeugnisse in Höhe von 5% einer Wochenproduktion an fehlerfreien Arbeitserzeugnissen anfallen, bezogen auf die sechs Werktage von Montag bis Samstag mit 144 Arbeitsstunden. l2l Die 5%-Grenze geht zurück auf die Grundsätze, die die Arbeitsschutzbehörden der Länder im Interesse einer einheitlichen Verwaltungspraxis aufgestellt hatten. 122 Buschmann I Ulber 123 meinen hingegen, im Gesetz finde sich für eine solche Praxis keinerlei Stütze mehr. Abgesehen davon, daß diese Ansicht an der Entstehungsgeschichte der Vorschrift vorbeigeht, gibt gerade der Ausdruck "Mißlingen" eine derartig ein-

115

Erasmy, NZA 1995,97,99; Zmarzlik, BB 1993,2009,2014; ders., DB 1994, 1082, 1085.

116

Roggendorf, ArbZG, § 10-37.

117

Roggendorf, ArbZG, § 10-37.

118

Vgl. §§ 1 Nr. 2, 9 Abs. 1 ArbZG.

119

Zmarzlik / Anzinger, ArbZG, § 10-154.

120 Roggendorf, ArbZG, § 10-37 m. H. darauf, daß für den Betrieb absetzbare Arbeitsergebnisse minderer Qualität entsprechend ihrer Minderung zu berücksichtigen sind. 121

Vgl. klarstellend BT-Drucksache 12/5888, S. 29.

Roggendorf, ArbZG, § 10-38; Erasmy, NZA 1995, 97, 99. Für eine Fortgeltung dieser Grundsätze spricht sich unter anderem Dobberahn, Arbeitszeitrechtsgesetz, S. 41, Rn. 110 aus. 122

123

Arbeitszeitrechtsgesetz, § 10-12.

B. Ausnahmen: Zulässigkeit von Sonntagsarbeit

55

schränkende Auslegung nicht her. 124 Die Ansicht von Buschmann / Ulber ist daher abzulehnen. Bei Vorhandensein mehrerer gleichartiger Fertigungsstraßen in einem Betrieb ist die Gesamtproduktion all dieser Fertigungsstraßen die maßgebende Bezugsgröße. Und bei Überschreiten der 5%-Grenze ist die Sonntagsarbeit nur an den Maschinen erlaubt, für die die Mindestausschußquote vorliegt. 12s Allerdings kann auch bei Unterschreiten der 5%-Grenze im Einzelfall ein "Mißlingen von Arbeitserzeugnissen" anzunehmen sein. 126 Ein Ausschuß ist aber unbeachtlich, wenn der Arbeitsprozeß aus anderen Gründen mindestens einmal pro Woche unterbrochen werden muß, sofern die Unterbrechung auf den Sonntag gelegt werden kann. 127 Diese Erweiterung der dargestellten Verwaltungspraxis trägt den unterschiedlichen Bedingungen in der Industrie Rechnung. Mit Rücksicht auf den grundsätzlichen Schutz des Sonntages 128 erfüllt dabei im Regelfall nicht bereits ein geringer Ausschuß den Tatbestand des § 10 Abs. 1 Nr. 15 ArbZG. Andererseits sind nicht nur die Erzeugnisse selbst, sondern auch die Auswirkungen von Folgeschäden in die Betrachtung einzubeziehen. 129 Maßgebend ist dabei im Rahmen der zumutbaren betriebstechnischen und organisatorischen Maßnahmen zum Geringhalten der mißlungenen Arbeitsergebnisse der tatsächlich herrschende Betriebsablauf, nicht aber ein solcher, der aufgrund anderer Produktionsmöglichkeiten den Ausschuß und damit die Sonntagsarbeit vermiede. 130 Beim Ermitteln der zumutbaren Opfergrenze ist aber zu beachten, daß der Gesetzgeber bewußt dem Unternehmer das Hinnehmen des reinen durch die Sonntagsunterbrechung entstehenden Produktionsausfalls und der allein hierdurch bedingten Kosten zugemutet hat. 13l Infolgedessen müssen besondere Umstände hinzutreten, die eine Ausnahme vom Sonntagsruhegebot rechtfertigen können. Dies ist etwa bei erheblicher Um-

124 Erasmy, NZA 1995, 97, 99. Im übrigen besitzt der Gesetzgeber nach der hier vertretenen Konzeption zu den Vorgaben des Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV kraft Gestaltungsspielraums die Kompetenz, eine 5%-Grenze festzulegen; vgl. insoweit unten § 4 A III, ab S. 108.

125

Roggendoif, ArbZG, § 10-38.

126

Roggendoif, ArbZG, § 10-39; Zmarzlik / Anzinger, ArbZG, § 10-167.

127

Vgl. klarstellend BT-Drucksache 12/5888, S. 29.

12R

Vgl. §§ 1 Nr. 2, 9 Abs. 1 ArbZG.

129

Dobberahn, Arbeitszeitrechtsgesetz, S. 41, Rn. 110 mit Beispielen; Erasmy, NZA 1995,97,99.

130

Dobberahn, Arbeitszeitrechtsgesetz, S. 42, Rn. 110; Erasmy, NZA 1995,97,99.

IJI

Roggendoif, ArbZG, § 10-39. Vgl. auch § 9 Abs. 1 ArbZG.

56

§ 3 Sonntagsarbeit nach dem Arbeitszeitgesetz

weltbelastung oder bedeutender Belastung der Energie- und Wasserversorgung durch Produktionsunterbrechung an Sonntagen der Fall. 132 Ohne weiteres statthaft ist nach den heiden ersten Fallvarianten des § 10 Abs. 1 Nr. 15 ArbZG das notwendige Zuendeführen einer am Werktag begonnenen Arbeit oder eines solchen Herstellungsverfahrens im Gegensatz zum Ansetzen einer neuen Charge. 133 Wenn und soweit die in Nummer 15 zugelassenen Arbeiten einen ununterbrochenen Fortgang an Sonntagen erfordern, gilt die Vorschrift auch für kontinuierliche Arbeitsweise. 134 Schließlich sind nach Nr. 15 kontinuierlich durchzuführende Forschungsarbeiten erlaubt. Dieser Tatbestand berücksichtigt, daß Forschungstätigkeiten Sonntagsarbeit erfordern kann. Zu denken ist etwa an Beobachtungszyklen der Astronomie, bei denen ein Wiederholen der Beobachtung erst zu sehr viel späterer Zeit möglich wäre. 135 Der Wortlaut "kontinuierlich" bedeutet, daß die Forschungsarbeiten bereits an Werktagen begonnen worden sein müssen. 136 Immer aber muß eine Unterbrechung der 168-Stunden-Woche unmöglich sein. 137 Denkbar ist dies etwa bei Tierversuchen. 138 Im Einzelfall ist abzuwägen zwischen dem Gebot der Sonntagsruhe 139 und der Wissenschaftsfreiheit. 140 Je mehr dabei Arbeitnehmer neben dem eigentlich Forschenden SOnntags beschäftigt werden sollen, desto strenger ist der anzulegende Maßstab. 141

m Roggendorf, ArbZG, § 10-39. m Roggendorf, ArbZG, §10-40; Zmarzlik I Anzinger, ArbZG, § 10-176 ff., beide mit weiteren Einzelheiten. 134 So klarstellend BT-Drucksache 12 I 5888, S. 29. Die gegenteilige, begründungslose Ansicht von Buschmann lU/her, Arbeitszeitrechtsgesetz, § 10-12, ist daher als mit der Entstehungsgeschichte des Gesetzes unvereinbar abzulehnen. Im übrigen ist der Begriff ,,kontinuierlich" in § 10 Abs. 1 Nr. 15,3. Fall ArbZG ausdrücklich aufgenommen worden, was die KlarsteIlung der Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung bestätigt; vgl. Zmanlik, DB 1994, 1082, 1086. 135

Zmanlik I Anzinger, ArbZG, § 10-208.

136

Roggendorf, ArbZG, § 10-41.

131

Buschmann lU/her, Arbeitszeitrechtsgesetz, § 10-12.

138

Buschmann lU/her, Arbeitszeitrechtsgesetz, § 10-12.

139

§§ 1 Nr. 2, 9 Abs. 1 ArbZG.

Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG. Insoweit ist die grundsätzlich vom Gesetzgeber vorgenommene Abwägung für den Einzelfall zu präzisieren; vgl. bezüglich der Vorgaben von Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV unten § 4 A 111, ab S. 108. 14{)

141

Roggendorf, ArbZG, § 10-41.

B. Ausnahmen: Zulässigkeit von Sonntagsarbeit

57

pp) Vermeidung einer Zerstörung oder erheblichen Beschädigung der Produktionseinrichtungen Nach Nr. 16 ist schließlich Sonntagsarbeit "zur Venneidung einer Zerstörung oder erheblichen Beschädigung der Produktionseinrichtungen" erlaubt. Dieser Tatbestand stellt gleichsam eine Generalklausei dar, die vor allem technisch bedingte, nicht von § 10 Abs. 1 Nr. 15 ArbZG abgedeckte Ausnahmen erfaßt. 142 Gemeint sind dabei Fälle, in denen kraft der Wirkungsweise der Produktionseinrichtungen, der zu verarbeitenden Stoffe etc. eine verdeckt vorhandene Zerstörungs- oder Beschädigungsgefahr besteht. 143 Ennöglicht wird Sonntagsarbeit bei Herstellungsprozessen, die aus chemischen, biologischen, physikalischen oder technischen Gründen einen Fortgang der Arbeiten erfordern, um ein Zerstören oder erhebliches Beschädigen der Produktionseinrichtungen zu venneiden. l44 Produktionseinrichtungen werden zerstört, wenn sie insgesamt unbrauchbar gemacht werden. Eine erhebliche Beschädigung von Produktionseinrichtungen liegt vor, wenn sie zu einem Großteil nicht mehr voll funktionstüchtig sind oder wenn ein für den Herstellungsprozeß entscheidender Teil seine Wirkkraft verloren hat. Auch § 10 Abs. 1 Nr. 16 ArbZG gilt nach der Entstehungsgeschichte der Vorschrift für kontinuierliche Sonntagsarbeit, sofern die zugelassenen Arbeiten einen ununterbrochenen Fortgang der Arbeiten an Sonntagen erfordern. 14S

2. § 10 Abs. 2 ArbZG § 10 Abs. 2 ArbZG gestattet darüber hinaus die Sonntagsbeschäftigung mit Produktionsarbeiten, "wenn die infolge der Unterbrechung der Produktion" nach § 10 Abs. 1 Nr. 14 ArbZG "zulässigen Arbeiten den Einsatz von mehr Arbeitnehmern als bei durchgängiger Produktion erfordern". Diese Vorschrift will die

142

Dobberahn, Arbeitszeitrechtsgesetz, S. 42, Rn. 111; Erasmy, NZA 1995,97,99.

143

Buschmann / Ulber, Arbeitszeitrechtsgesetz, § 10-13.

144 Roggendoif, ArbZG, § 10-42 m. H. darauf, daß es sich für den Arbeitgeber empfiehlt, wegen der Kompliziertheit der Materie einen klarstellenden Verwaltungsakt über die Statthaftigkeit der Sonntagsarbeit nach § 13 Abs. 3 Nr. 1 ArbZG herbeizuführen.

143 Vgl. klarstellend BT-Drucksache 12/5888, S. 29. Vgl. näher zur früheren Streitfrage der kontinuierlichen Arbeitsweise Erasmy, NZA 1995,97,99 m. w. N.

58

§ 3 Sonntagsarbeit nach dem Arbeitszeitgesetz

Zahl der von Sonntagsarbeit betroffenen Arbeitnehmer verringern. l46 Das bedeutet: Die Beschäftigung von Arbeitnehmern mit Produktionsarbeiten ist an Sonntagen nach § 10 Abs. 2 ArbZG möglich, wenn beim Unterbrechen der Produktion mehr Arbeitnehmer mit dem Reinigen, Instandhalten oder den Vorbereitungsarbeiten im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 14 ArbZG beschäftigt werden müßten als bei fortlaufender Produktion. Fraglich ist, wann "mehr Arbeitnehmer" eingesetzt werden. Der Wortlaut ist insofern offen, als entweder die Zahl der tatsächlich eingesetzten Arbeitnehmer entscheidet oder aber die von den eingesetzten Arbeitnehmern insgesamt geleisteten Arbeitsstunden. Nach der ersten Auslegungsmöglichkeit könnte es etwa dazu kommen, daß zehn Arbeitnehmer zu je acht Stunden beschäftigt würden. Demgegenüber wäre nach der zweiten Auslegungsvariante möglich, daß 15 Arbeitnehmer dasselbe Arbeitsergebnis in 75 Stunden erreichen. Mit Rücksicht auf den Zweck des § 10 Abs. 2 ArbZG, Verringern der Zahl der von Sonntagsarbeit betroffenen Arbeitnehmer, könnte man zu der ersten Variante neigen, nach der nur zehn Arbeitnehmer beschäftigt werden. Indes dient es dem Sonntagsschutz noch mehr, wenn weniger Arbeitsstunden für ein bestimmtes Arbeitsergebnis aufgewendet werden müssen. Daher entscheidet die von den betreffenden Arbeitnehmern geleistete Gesamtstundenzahl, die sogenannten "MannStunden". 147 Folgendes Beispiel 148 möge diesen Tatbestand verdeutlichen: Ein Betrieb zur Herstellung kühlfrischer Lebensmittel auf Teigbasis (Pizzen, Zwiebelkuchen etc.) beschäftigt bei kontinuierlicher Produktion (24 Stunden) sonntags Arbeitnehmer mit insgesamt 168 Stunden. Die technisch mögliche Produktionsunterbrechung erforderte für die statthafte Reinigung der Produktionsanlagen aber den Einsatz von Arbeitnehmern mit insgesamt 240 Stunden. Der große Reinigungsaufwand beruht auf der bei jeder Produktionsunterbrechung unvermeidbaren Demontage, Reinigung und Desinfektion der Anlage. In einem solchen Fall ist Sonntagsarbeit nach § 10 Abs. 2 ArbZG statthaft. Dem Sonntagsschutz widerspräche es nämlich, die Produktionsunterbrechung mit der Folge durchI" Vgl. die Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucksache 12/5888, S.29. 147 Ebenso Zmarzlik / Anzinger, ArbZG, § 10-246; Anzinger, BB 1994, 1492, 1497; Erasmy, NZA 1995, 97, 100 m. H. auf die ansonsten eintretende Mißbrauchsgefahr hinsichtlich § 10 Abs. 2 ArbZG. Etwas undeutlich Roggendorf, ArbZG, § 10-45, der diesen Maßstab zum Vermeiden von Mißbräuchen anwenden will, im übrigen aber auf die Zahl der jeweils heranzuziehenden Arbeitnehmer abstellt. 148

Nach Anzinger, RdA 1994, 11,21.

B. Ausnahmen: Zulässigkeit von Sonntagsarbeit

59

zusetzen, daß dann sonntags mehr Arbeitnehmer als bei fortlaufender Produktion beschäftigt werden müßten. 149 Buschmann 1 Ulber l50 kritisieren die Ausnahme des § 10 Abs. 2 ArbZG mit Hinweis darauf, daß der Tatbestand Sonntagsarbeit aus rein wirtschaftlichen Gründen zulasse. Dies verstoße gegen Art. 17 Abs. 2 Nr. 2.1 c) v) der EGRichtlinie 93/1041 EG vom 23.11.1993 151 , wonach Sonntagsarbeit nur in Industriezweigen ermöglicht werden dürfe, "in denen der Arbeitsprozeß aus technischen Gründen nicht unterbrochen werden kann". Trotzdem wollen sie die Vorschrift offenbar anwenden. Diese Ansicht verkennt zunächst, daß § 10 Abs. 2 ArbZG die Verringerung der Zahl der von Sonntagsarbeit Betroffenen gerade in deren Interesse bezweckt. Das heißt es geht insoweit gar nicht um "rein wirtschaftliche Gründe". Schon deswegen kann Buschmann 1 Ulber nicht gefolgt werden. 152 Im übrigen verkennen sie den Inhalt der genannten Richtlinie: Gemäß Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie treffen die Mitgliedsstaaten die erforderlichen Maßnahmen, damit jedem Arbeitnehmer pro Siebentageszeitraum eine kontinuierliche Mindestruhezeit von 24 Stunden zuzüglich der vorgesehenen täglichen Ruhezeit von elf Stunden gewährt wird. Nach Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie schließt die wöchentliche Mindestruhezeit von 24 Stunden grundsätzlich den Sonntag ein. 153 Indes beläßt Art. 18 Abs. 3 der Richtlinie l54 den Mitgliedsstaaten das Recht, unterschiedliche Rechtsvorschriften zu entwickeln, sofern die Mindestvorschriften der Richtlinie eingehalten werden. Wenn § 10 Abs. 2 ArbZG nun aber im Interesse der Arbeitnehmer die Anzahl der Sonntagsbeschäftigten gering halten will, ist im Ergebnis der Schutzzweck des Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie gar nicht berührt. Denn die Mindestruhezeit von 24 Stunden wird dann möglichst umfassend gewährt. Darüber hinaus ist eine Richtlinie für die Mitgliedsstaaten nur hinsichtlich ihres Ziels verbindlich, überläßt ihnen aber die Auswahl der Formen und Mittel,

149 Vgl. die Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucksache 12/5888, S. 29; Dobberahn, Arbeitszeitrechtsgesetz, S. 42, Rn. 112.

150

Arbeitszeitgesetz, § 10-14.

Richtlinie des Rates der EU vom 23.11.1993 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ArbzRL) (93/104/ EG), ABI. Nr. L 307/18 ff. vom 13.12.1993. 151

152

So auch Erasmy, NZA 1995,97, 100.

153

ABI. Nr. L 307/20 vom 13.12.1993.

154

ABI. Nr. L 307 /24 vom 13.12.1993.

60

§ 3 Sonntagsarbeit nach dem Arbeitszeitgesetz

die sie zum Erreichen des Ziels als geeignet ansehen. 155 Nicht zuletzt nach dem eben Gesagten liegt § 10 Abs. 2 ArbZG im Rahmen dieser Auswahlfreiheit, die sich auf den Arbeitnehmerschutz bezieht. Daher ist der von Buschmann / Ulber angenommene Verstoß gegen die genannte EG-Richtlinie nicht feststellbar. Wegen des Verhältnismäßigkeitsprinzips und wegen der Möglichkeit, daß auch in anderen Fällen beim Unterbrechen der Produktion mehr Arbeitnehmer mit statthaften Sonntagsarbeiten beschäftigt werden als beim Fortsetzen der Produktion, fordern Teile der Literatur 1S6, den Rechtsgedanken des § 10 Abs. 2 auf sämtliche Fälle des § 10 Abs. 1 ArbZG anzuwenden. Damit sei dem Interesse der zu schützenden Arbeitnehmer jedenfalls mehr gedient. 157 Dem ist aber entgegenzuhalten, daß der Gesetzgeber sich bewußt für die Regelung in § 10 Abs. 2 ArbZG entschieden hat. 158 Diese stellt zudem der Sache nach eine Ausnahmevorschrift da, die den umfassenden Grundsatz des Sonntagsarbeitsverbots aus § 9 Abs. 1 ArbZG für die Fälle des § 10 Abs. 1 Nr. 14 ArbZG durchbricht. Infolgedessen ist § 10 Abs. 2 ArbZG nach allgemeinen Grundsätzen nicht analogiefähig. 159 Daher ist die genannte Auffassung nicht zuletzt mit Rücksicht auf den eindeutigen Gesetzeswortlaut abzulehnen. 160

3. § 14 Abs. 1 ArbZG Das Arbeitszeitgesetz enthält schließlich in § 14 Abs. 1 eine kraft Gesetzes geltende Ausnahme vom Grundsatz der Sonntagsruhe. Danach dürfen Arbeitnehmer sonntags beschäftigt werden ..bei vorübergehenden Arbeiten in Notfällen und in außergewöhnlichen Fällen, die unabhängig vom Willen der Betroffenen eintreten und deren Folgen nicht auf andere Weise zu beseitigen sind, besonders wenn Rohstoffe oder Lebensmittel zu verderben oder Arbeitsergebnisse zu mißlingen drohen". Der Gesetzgeber hat hiermit die Vorschrift des

ISS

Streinz, Europarecht, § 5 11 3 a, Rn. 384.

Dobberahn, Arbeitszeitrechtsgesetz, S. 42 f., Rn. 112; Erasmy, NZA 1995,97, 100; Zmarzlik, BB 1993, 2009, 2015 ausdrücklich nur für § 10 Abs. 1 Nr. 15 und 16. 1S6

IS7

Erasmy, NZA 1995, 97, 100.

Dies beruht auf der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers und hat nach der hier vertretenen Konzeption zu den Vorgaben der Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV zur Folge, daß seine Entscheidung grundsätzlich bindet; vgl. unten § 4 A III, ab S. 108. ISS

IS_

V gl. dazu Larem, Methodenlehre, S. 355 f.

160

So auch im Ergebnis Roggendoif, ArbZG, § 10-44.

B. Ausnahmen: Zulässigkeit von Sonntagsarbeit

61

§ 14 AZO übernommen und aktualisiert, weil sich diese Regelung in der Praxis bewährt hat. 161

Voraussetzung für das Eingreifen von § 14 Abs. 1 ArbZG ist zunächst das Vorliegen eines Not- oder außergewöhnlichen Falls, der unabhängig vom Willen der Betroffenen eintritt. Ein Notfall ist gegeben, wenn ungewöhnliche, unvorhersehbare und plötzlich eintretende Ereignisse Arbeiten veranlassen, die darüber hinaus unverzüglich zum Beseitigen eines Notstandes oder zum Abwenden einer dringenden Gefahr vorgenommen werden müssen. 162 Nicht erforderlich ist, daß ein öffentlicher Notstand oder ein besonderes öffentliches Interesse die Arbeiten notwendig macht. 163 Mit anderen Worten muß der Eintritt des Bedürfnisses nach Sonntags arbeit außerhalb der unternehmerischen Vorhersehbarkeit liegen, und es darf auch nicht regelmäßiger Natur sein. l64 Ein Notfall ist daher grundsätzlich nicht gegeben bei einem streikbedingten Ausfall von Arbeitskräften. 16s Notfälle sind beispielsweise Brände, Wassereinbrüche oder Explosionen. 166 Außergewöhnliche Fälle sind anzunehmen, wenn eine Situation vorübergehender Art vorliegt, die weder regelmäßig eintritt noch vorhersehbar ist. Zusätzlich muß die Situation die Gefahr eines unverhältnismäßigen Schadens mit sich bringen. 167 Sowohl der Not- als auch der außergewöhnliche Fall müssen unabhängig vom Willen des Betroffenen eintreten. Der Arbeitgeber darf die besonderen Umstände also weder vorsätzlich noch fahrlässig herbeigeführt haben l68 , etwa durch falsche Disposition. Hierzu ist etwa das Unterlassen rechtzeitiger Arbeitsverteilung oder Bestellung von Materialien zu zählen. 169 Auch Rufbereitschaft

IM Vgl. die Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucksache 12/5888, S.31. 162

Dobberahn, Arbeitszeitrechtsgesetz, S. 57, Rn. 152; Roggendorf, ArbZG, § 14-11.

163

Roggendorf, ArbZG, § 14-11.

164

Dobberahn, Arbeitszeitrechtsgesetz, S. 57, Rn. 152.

Dobberahn, Arbeitszeitrechtsgesetz, S. 58, Rn. 152; Buschmann / Ulber, Arbeitszeitrechtsgesetz, § 14- I; siehe zur Ausnahme bei weit über die typischen Folgen streikbedingter Auswirkungen hinausgehenden Folgen, etwa den betriebsvernichtenden Abbruch einer Geschäftsbeziehung, OLG Celle vorn 8.10.1986, NZA 1987,283. 165

166

Roggendorf, ArbZG, § 14-15 mit weiteren Fällen.

167

Roggendorf, ArbZG, § 14-12 m. w. N.

168

Roggendorf, ArbZG, § 14-13; eingehend auch Zmarzlik / Anzinger, ArbZG, § 14-7.

169

Dobberahn, Arbeitszeitrechtsgesetz, S. 57, Rn. 152.

62

§ 3 Sonntagsarbeit nach dem Arbeitszeitgesetz

oder Bereitschaftsdienst sind als Maßnahmen, die vorhersehbaren Betriebsstörungen begegnen wollen, grundsätzlich weder Not- noch außergewöhnliche Fälle. 170 Die Folgen des außergewöhnlichen oder Notfalls dürfen nicht auf andere Weise zu beseitigen sein. Der Gesetzgeber nennt hierfür ausdrücklich das Verderben von Rohstoffen oder Lebensmitteln oder das drohende Mißlingen von Arbeitsergebnissen. 171 Im übrigen können die Folgen, die zu beseitigen sind, sowohl technischer als auch wirtschaftlicher Art sein. 172 Die Schäden aus außergewöhnlichen Fällen müssen nicht den Arbeitgeber selbst betreffen. Wegen des Gesetzeswortlauts "Betroffenen" können sie auch einem Kunden drohen. 173 Dies ist etwa bei einem Rohrbruch der Fall. 174 Voraussetzung der Statthaftigkeit von Sonntags arbeit ist aber, daß der Arbeitgeber alle anderen Möglichkeiten zum Vermeiden dieser Arbeitszeitform ausgeschöpft hat. 175 Denn nur dann sind die "Folgen nicht auf andere Weise zu beseitigen". Rechtsfolge ist, daß bei vorübergehenden Arbeiten vom Grundsatz des Beschäftigungsverbots von Arbeitnehmern nach § 9 ArbZG abgewichen werden darf. Das bedeutet zunächst, daß die Arbeiten nicht über längere Zeit hinaus anfallen dürfen. Arbeiten, die verschoben werden können, müssen außerhalb des Sonntages ausgeführt werden. 176 Erlaubt sind Arbeiten, die zum Beseitigen des Notfalls oder des außergewöhnlichen Falls beziehungsweise zum Abwenden der hierdurch bedingten Gefahren erforderlich und geeignet sind. 177 Daher hat der Arbeitgeber im Einzelfall die Verletzung der Arbeitsruhe an Sonntagen gegenüber den Rechtsgütern oder rechtlich geschützten Interessen abzuwägen, die durch das schädigende Ereignis bedroht werden. Statthaft sind also nur Arbeiten, bei denen die Durchbrechung der Sonntagsruhe das geringere Übel im

170

RoggendoTj, ArbZG, § 14-13.

Siehe dazu oben ab Seite 53. Was dort hinsichtlich des Verderbens von Rohstoffen ausgeführt wurde, gilt entsprechend für Lebensmittel. 171

172

Dobberahn, Arbeitszeitrechtsgesetz, S. 58, Rn. 153.

173

Zmarzlik I Anzinger, ArbZG, § 14-6.

174

Dobberahn, Arbeitszeitrechtsgesetz, S. 58, Rn. 153.

m RoggendoTj, ArbZG, § 14-14. 176

Dobberahn, Arbeitszeitrechtsgesetz, S. 58, Rn. 153; Zmarzlik I Anzinger, ArbZG, § 14-9.

177

RoggendoTj, ArbZG, § 14-16.

B. Ausnahmen: Zulässigkeit von Sonntagsarbeit

63

Vergleich zu den bedrohten Rechtsgütern oder rechtlich geschützten Interessen darstellt. 178

11. Ausnahmen durch Rechtsverordnung

Über die bislang beschriebenen Ausnahmen vom Sonntagsarbeitsverbot hinaus können weitere Erlaubnistatbestände durch Rechtsverordnung geschaffen werden. Mit ihnen beschäftigt sich das Arbeitszeitgesetz in § 13 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 sowie in § 15 Abs. 3. 179

1. § 13 Abs. 1 Nr. 2 ArbZG § 13 Abs. 1 Nr. 2 ArbZG ermächtigt die Bundesregierung, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bestimmte, über die Tatbestände des § 10 ArbZG hinausgehende Ausnahmen vom Verbot der Sonntagsbeschäftigung zuzulassen. Dabei sind drei Fälle vorgesehen (Buchstaben a) bis c) des § 13 Abs. 1 Nr. 2 ArbZG).

Die Ermächtigungen zum Erlaß von Rechtsverordnungen in § 13 Abs. 1 Nr. 2 ArbZG gehen auf §§ 105 d und 105 e GewO zurück. Sie sind den heutigen Erfordernissen entsprechend näher konkretisiert worden. 180 Fraglich ist der Inhalt der drei Ermächtigungen in § 13 Abs. 1 Nr. 2 ArbZG.

178 Roggendorj', ArbZG, § 14-16. Ähnlich Buschmann / Ulber, Arbeitszeitrechtsgesetz, § 14-2, die aber weitergehend das Verderben von Rohstoffen oder Lebensmitteln als nicht prinzipiell vorrangig vor dem Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer ansehen. 179 § 13 Abs. 1 Nr. 1 ArbZG ermächtigt schon seinem Wortlaut nach nur zu den § 10 ArbZG konkretisierenden Rechtsverordnungen. Eine Ausweitung statthafter Sonntagsarbeit über § 10 ArbZG hinaus kommt nach dieser Vorschrift nicht in Betracht; so auch Buschmann / Ulber, Arbeitszeitrechtsgesetz, § 13-2. Vg!. zur bloßen Änderung bestimmter bislang schon geltender Verordnungen im Bereich der Eisen- und Stahl- sowie Papierindustrie Art. 13, 14 ArbZRG, BGB!. I 1994 S. 1181.

IRO Vg!. die Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucksache 12/5888, S.30.

64

§ 3 Sonntagsarbeit nach dem Arbeitszeitgesetz

a) Auslegung des Einleitungssatzes von § 13 Abs. 1 ArbZG Allen drei Ermächtigungen des § 13 Abs. 1 Nr. 2 ArbZG ist gleich, daß Rechtsverordnungen nur "zur Vermeidung erheblicher Schäden unter Berücksichtigung des Schutzes der Arbeitnehmer und der Sonn- und Feiertagsruhe" ergehen dürfen und daß der Verordnungsgeber "die zum Schutz der Arbeitnehmer und der Sonn- und Feiertagsruhe notwendigen Bedingungen bestimmen" kann. Damit schreibt der Gesetzgeber zunächst dem Verordnungsgeber vor, beim Erlaß der Rechtsverordnung den Schutz der Arbeitnehmer und der Sonntagsruhe zu berücksichtigen. Soweit es um Ausnahmen vom Verbot der Sonntagsbeschäftigung geht, hat der Verordnungsgeber unter anderem den Schutz der Arbeitnehmer und der Sonntagsruhe in die Abwägung hinsichtlich der Gründe einzustellen, die für eine Durchbrechung des Sonntagsbeschäftigungsverbots sprechen. Außerdem muß es um das Vermeiden erheblicher Schäden gehen. Das bedeutet, ohne eine über die Ausnahmetatbestände des § 10 ArbZG hinausgehende weitere Erlaubnis von Sonntagsarbeit muß ein beträchtlicher Schaden drohen. Ohne Tätigwerden des Verordnungsgebers müßte also der Eintritt eines überdurchschnittlich großen Schadens in absehbarer Zukunft in einer Vielzahl von Fällen bevorstehen. 181 Der Schaden kann der Gesamtbevölkerung ebenso drohen wie möglichen vom Ausnahmetatbestand Begünstigten. Schaden ist dabei jede gegenüber der aktuellen Lage nachteilige Entwicklung in materieller oder immaterieller Hinsicht. Erheblich ist jeder Schaden, der für den Betroffenen - aus welchen Gründen auch immer - beträchtliche Nachteile bedeutet. Schließlich kann der Verordnungsgeber auch die Bedingungen festschreiben, die zum Schutz der Arbeitnehmer und der Sonntagsruhe notwendig sind. Zu denken ist hier etwa an besondere Auflagen in bezug auf Schutzvorkehrungen für die Gesundheit der Arbeitnehmer oder an Vorschriften für die Lage der Beschäftigungszeit, gegebenenfalls unter Beachtung der üblichen Gottesdienstzeiten.

181

Vgl. dazu auch Zmarzlik I Anzinger, ArbZG, § 13-5.

B. Ausnahmen: Zulässigkeit von Sonntagsarbeit

65

b) Befriedigung täglicher oder besonderer Bedürfnisse § 13 Abs. 1 Nr. 2 a) ArbZG ermächtigt den Verordnungsgeber zum Zulassen von weiteren Ausnahmen vom Grundsatz der Sonntagsruhe "für Betriebe, in denen die Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- oder Feiertagen zur Befriedigung täglicher oder an diesen Tagen besonders hervortretender Bedürfnisse der Bevölkerung erforderlich ist".

Die Rechtsverordnungen müssen also Betriebe betreffen, die nach allgemeinen Kriterien jeweils ähnliche arbeitstechnische Zwecke verfolgen. 182 Zum sogenannten Bedürfnisgewerbe zählen unter anderem Betriebe, die Nahrungs- und Genußmittel herstellen und vertreiben, soweit sie nicht als Verkaufs stellen anzusehen sind. Letztere fallen nämlich unter das Ladenschlußgesetz. 183 Ein tägliches oder an Sonntagen besonders hervortretendes Bedürfnis liegt vor, wenn ein erheblicher Teil der Bevölkerung Waren oder Dienstleistungen im Versorgungs gewerbe als täglich wichtig oder gerade an Sonntagen wichtig in Anspruch nimmt und daher deren Fehlen als Mangel empfande. 184 Zu denken ist hier etwa an die Nachfrage der Bevölkerung nach Obst und Gemüse. 18S Immer aber muß die Sonntagsarbeit erforderlich sein, um das Bedürfnis der Bevölkerung zu befriedigen. Dieses Tatbestandsmerkmal ist erfüllt, wenn die Bedürfnisse ausschließlich durch Sonntagsarbeit befriedigt werden können. 186 Das ist zum Beispiel nicht der Fall, wenn der Unternehmer den zur Bedürfnisbefriedigung notwendigen Vorrat ohne Schwierigkeiten am Vortag beschaffen kann. 187 Der Ermächtigungstatbestand bezieht sich wegen des grundSätzlichen Schutzes der Sonntagsruhe in §§ 1 Nr. 2, 9 Abs. 1 und im Einleitungssatz von § 13 Abs. 1 ArbZG immer nur auf die unmittelbar der Befriedigung der genannten

182

Buschmann I Ulber, Arbeitszeitrechtsgesetz, § 13-3.

Vgl. §§ 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2, 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LadschlG und Zmarzlik, BB 1991,901, 909 zum insoweit inhaltsgleichen § 105 e Abs. 1 GewO. 183

1114

Roggendoif, ArbZG, § 13-9; Zmanlik I Anzinger, ArbZG, § 13-12, beide m. w. N.

Zmanlik, BB 1991,901,909 zum insoweit inhaltsgleichen § 105 e Abs. 1 GewO. Die Mehrzahl der dem sogenannten Bedürfnisgewerbe angehörenden Bereiche ist im übrigen in den AusnahmekataIog des § 10 ArbZG aufgenommen worden; vgl. auch Roggendoif, ArbZG, § 13-10. ISS

186

Buschmann I U/ber, Arbeitszeitrechtsgesetz, § 13-3.

187

Zmarzlik, BB 1991,901,909 zum insoweit inhaltsgleichen § 105 e Abs. 1 GewO.

S Schnieders

66

§ 3 Sonntagsarbeit nach dem Arbeitszeitgesetz

Bedürfnisse dienenden Bereiche, nicht aber auf die ihr vor- oder nachgelagerten Tätigkeiten wie etwa die Buchhaltung. 188

c) Betriebe mit Arbeiten, deren Unterbrechung oder Aufschub aus bestimmten Gründen problematisch ist § 13 Abs. 1 Nr. 2 b) ArbZG enthält drei Einzelermächtigungen in bezug auf Betriebe, bei denen aus verschiedenen Gründen das Unterbrechen oder der Aufschub von Arbeiten mit Schwierigkeiten verbunden ist. Danach kann der Verordnungsgeber weitere Ausnahmen vom Verbot der Sonntagsbeschäftigung zulassen "für Betriebe, in denen Arbeiten vorkommen, deren Unterbrechung oder Aufschub

- nach dem Stand der Technik ihrer Art nach nicht oder nur mit erheblichen Schwierigkeiten möglich ist, - besondere Gefahren für Leben oder Gesundheit der Arbeitnehmer zur Folge hätte, - zu erheblichen Belastungen der Umwelt oder der Energie- oder Wasserversorgung führen würde".

aa) Unterbrechung oder Aufschub nach dem Stand der Technik nicht oder nur mit erheblichen Schwierigkeiten möglich Buchstabe aa) der Vorschrift hat dabei zur Voraussetzung, daß die betroffenen Arbeiten nach dem Stand der Technik ihrer Art nach nicht oder nur mit erheblichen Schwierigkeiten unterbrochen werden können. Wirtschaftliche Gründe sind demnach unzureichend. Und durch das Abstellen auf den Stand der Technik hat der Gesetzgeber verdeutlicht, daß nicht die im konkreten Betrieb eingesetzte Verfahrensweise den Ausschlag gibt. 1R9 Vielmehr muß der Stand der Technik, also das technisch Machbare, beim Erlaß einer entsprechenden Rechtsverordnung Berücksichtigung gefunden haben. 190

,•• So auch Buschmann / V/ber, Arbeitszeitrechtsgesetz, § 13-3.

I"' Buschmann / V/ber, Arbeitszeitrechtsgesetz, § 13-4. "0 Vgl. auch Bundestagsausschuß für Arbeit und Sozialordnung, BT-Drucksache 12/6990, S. 44.

B. Ausnahmen: Zulässigkeit von Sonntagsarbeit

67

Fraglich ist, wann erhebliche Schwierigkeiten im Sinne der Vorschrift vorliegen. Sie sind anzunehmen, wenn und soweit das Unterbrechen oder der Aufschub der entsprechenden Arbeiten mit Problemen verbunden ist, die im Hinblick auf den jeweiligen Arbeitsprozeß unter Beachtung des Stands der Technik nicht mehr zumutbar sind. Das muß aus Gründen der Fall sein, die auf der Art der Arbeiten beruhen, das heißt die sich auf das Arbeitsverfahren als solches gründen.

bb) Besondere Gefahren für Leben oder Gesundheit der Arbeitnehmer § 13 Abs. 1 Nr. 2 b) bb) ArbZG ermächtigt zu Verordnungen für Betriebe, in denen Arbeiten an Sonntagen vorkommen, deren Unterbrechung oder Aufschub besondere Gefahren für Leben oder Gesundheit der Arbeitnehmer zur Folge hätte. Erfaßt werden dadurch Tätigkeiten, bei deren Unterbrechen oder Aufschieben aufgrund des Verfahrens als solchem oder kraft nicht zu beeinflussender äußerer Umstände die körperliche Unversehrtheit der Arbeitnehmer außergewöhnlich 191 verletzt zu werden droht. Das kommt in Betracht, wenn der Produktionsprozeß bei Unterbrechungen außer Kontrolle gerät. 192

cc) Erhebliche Belastungen der Umwelt oder der Energieoder Wasserversorgung Nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 b) cc) ArbZG sind Verordnungen mit weiteren Ausnahmen vom Verbot der Sonntagsbeschäftigung möglich, wenn das Unterbrechen oder der Aufschub von Arbeiten in Betrieben mit erheblichen Belastungen der Umwelt oder der Energie- oder Wasserversorgung verbunden wäre. Das kann zum Beispiel beim Unterbrechen der Tätigkeit von betrieblichen Kläranlagen als Umweltschutzeinrichtungen der Fall sein. 193

191 In dem Sinne, daß durch Unterbrechung oder Aufschub von Arbeiten Situationen eintreten müssen, die über die mit dem normalen Ablauf des Arbeitsprozesses als solchem verbundenen Gefahren hinausgehen und regelwidrig sind. 192

Zmarzlik I Anzinger, ArbZG, § 13-17.

193

Zmarzlik I Anzinger, ArbZG, § 13-18 mit weiteren Bsp.

68

§ 3 Sonntags arbeit nach dem Arbeitszeitgesetz

d) Gründe des Gemeinwohls § 13 Abs. 1 Nr. 2 c) ArbZG ermächtigt den Verordnungsgeber zum Festschreiben weiterer Erlaubnistatbestände für Sonntagsarbeit "aus Gründen des Gemeinwohls, insbesondere auch zur Sicherung der Beschäftigung".

Bei dem Begriff "Gemeinwohl" handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff. 194 Hierunter ist das Wohlergehen der Allgemeinheit zu verstehen. Das heißt es muß um Arbeiten gehen, die für den Staat, die Gemeinde oder die Allgemeinheit von Nutzen sind. Die Gründe des Gemeinwohls müssen dabei sowohl die Tätigkeiten überhaupt als auch deren Vornahme an Sonntagen erfordern. Soweit nicht schon § 10 ArbZG entsprechende Arbeiten erfaßt, kommen zum Beispiel Reparatur und Errichtung von Telekommunikations- oder Fernsprechanlagen in Betracht. Im übrigen fallen unter den Begriff des "Gemeinwohls" nach der Entstehungsgeschichte des Gesetzes auch gesamtwirtschaftliche Gründe, beispielsweise die angespannte internationale Wettbewerbssituation in einer Branche sowie die Existenzgefahrdung von Betrieben und der damit verbundene drohende Verlust von Arbeitsplätzen. 195 Das Sichern der Beschäftigung ist im übrigen ausdrücklich als ein Fall des Gemeinwohls in die Gesetzesfassung eingegangen. Damit trägt der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung, daß im äußersten Fall ohne Sonntagsarbeit Arbeitsplätze verloren gehen können. In dieser Regelung dürfte eine Annäherung an die teilweise noch weitergehenden Ausnahmeregelungen in anderen Mitgliedsstaaten der EU, vor allem in Frankreich und Belgien, zu erblicken sein. 196 Beschäftigung wird gesichert, wenn das Zulassen weiterer, über § 10 ArbZG hinausgehender Sonntagsarbeit den Erhalt von Arbeitsplätzen bewirkt oder sogar neue schafft. Das Gesetz spricht hier vom Zulassen von Ausnahmetatbeständen "zur Sicherung der Beschäftigung". Anders als bei § 13 Abs. 5 ArbZG, wonach ausreicht, daß "die Beschäftigung gesichert werden kann", ist insoweit im Zeitpunkt des Verordnungserlasses die Gewißheit des Verordnungsgebers nötig, daß das Zulassen weiterer Beschäftigungsmöglichkeiten an Sonntagen zum Erhalt oder Neuschaffen von Arbeitsplätzen geeignet ist. Der Verordnungsgeber hat hierbei aber eine sogenannte Einschätzungsprärogative. 197 Allerdings

194

So auch ausdrücklich Erichsen / Martens, § 10-4.

19S

Vgl. klarstellend BT-Drucksache 12/5888, S. 30.

196

Zmarzlik, BB 1993,2009,2015.

197 Vgl. hierzu BVerfG vorn 9.3.1994, NJW 1994, 1577, 1579 betreffend Gesetze; vgl. auch BVerfG vorn 1.3.1979, BVerfGE 50, 290, 332 f.

B. Ausnahmen: Zulässigkeit von Sonntags arbeit

69

folgt aus dem unter anderem im Rechtsstaatsgebot der Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 Satz 1 GG wurzelnden Verhältnismäßigkeitsprinzip, daß das vom Verordnungsgeber eingesetzte Mittel zum Erreichen des beabsichtigten Zwecks nicht ungeeignet sein darf. Daher besteht eine Korrekturpflicht des Verordnungs gebers für den Fall, daß sich nachträglich die Zweckuntauglichkeit der ergriffenen Maßnahme herausstellt, die anfänglich vertretbare Prognose sich also später als fehlerhaft erweist. 198 Die Verordnung ist daher aufzuheben, wenn sich nach ihrem Erlaß ergibt, daß die Beschäftigung nicht gesichert wird. Um Sicherung der Beschäftigung kann es schließlich auch dann gehen, wenn Konkurrenten aufgrund von Sonntagsarbeit Wettbewerbsvorteile besitzen. 199

2. § 13 Abs. 2 ArbZG Soweit die Bundesregierung von der Ermächtigung des § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a) ArbZG keinen Gebrauch gemacht hat, können die jeweiligen Landesregierungen nach § 13 Abs. 2 Satz 1 ArbZG entsprechende Bestimmungen erlassen. Darüber hinaus können sie gemäß § 13 Abs. 2 Satz 2 ArbZG die genannte Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf oberste Landesbehörden übertragen. § 13 Abs. 1 Nr. 2 a) ArbZG stellt auf bestimmte Bedürfnisse der Bevölkerung ab. Daher kommen Landesverordnungen nach der Entstehungsgeschichte des Gesetzes insbesondere dann in Betracht, wenn das Regelungsbedürfnis regionaler Art ist. 200

3. § 15 Abs. 3 ArbZG Der Vollständigkeit halber ist noch § 15 Abs. 3 ArbZG zu nennen. Danach kann das Bundesministerium der Verteidigung in seinem Geschäftsbereich durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung aus zwingenden Gründen der Verteidigung Arbeitnehmer

'9' Vgl. BVerfG vorn 18.12.1968, BVerfGE 25, I, 13; vorn 1.3.1979, BVerfGE 50,290, 335; Benda, Handbuch, § 18-82. '99 So klarstellend BT-Drucksache 12/5888, S. 30. Die gegenteilige Auffassung von Buschmann / Ulber, Arbeitszeitrechtsgesetz, § 13-5, wonach Wettbewerbsvorteile durch Sonntagsarbeit grundsätzlich außer Betracht zu bleiben haben, ist daher nicht haltbar. 200 Vgl. die Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucksache 12/5888, S.30.

70

§ 3 Sonntagsarbeit nach dem Arbeitszeitgesetz

verpflichten, über die im Arbeitszeitgesetz und in den auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen und Tarifverträgen festgelegten Arbeitszeitgrenzen und -beschränkungen hinaus Arbeit zu leisten. Diese Regelung entspricht inhaltlich § 14 a AZO und wurde redaktionell an die sonstigen Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes angepaßt. 201 Zwingende Gründe der Verteidigung sind solche, die sich im Rahmen der Einschätzungsprärogative des Verordnungsgebers 202 als unausweichlich darstellen. Sie liegen jedenfalls in einem Verteidigungs fall nach Art. 115 a GG und in einem Spannungsfall nach Art. 80 a GG vor. 203 Zu den durch das Arbeitszeitgesetz festgelegten Arbeitszeitgrenzen und -beschränkungen gehören auch die Vorschriften über die Sonntagsruhe (§ 9 ArbZG) und den Ausgleich für Sonntagsbeschäftigung (§ 11 ArbZG). Weil aber bereits nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 ArbZG die Sonntagsbeschäftigung von Arbeitnehmern für Zwecke der Verteidigung kraft Gesetzes erlaubt ist204 , dürfte § 15 Abs. 3 ArbZG für die Statthaftigkeit der Sonntagsarbeit im Bereich der Verteidigung nur geringe Bedeutung erlangen. Die Bedeutung der Vorschrift liegt darin, daß die von einer Rechtsverordnung nach § 15 Abs. 3 ArbZG erfaßten Arbeitnehmer zum Ableisten der durch Rechtsverordnung angeordneten Arbeit verpflichtet sind. Auf den Inhalt des Arbeits- oder Tarifvertrags oder von Dienstvereinbarungen kommt es insoweit nicht mehr an. Es genügt vielmehr die einseitige Weisung des Arbeitgebers. 205

III. Ausnahmen durch Verwaltungsakt

Das Arbeitszeitgesetz enthält schließlich in § 13 Abs. 3 Nr. 2, Abs. 4 und Abs. 5 sowie in § 15 Abs. 2 Vorschriften, wonach die zuständigen Aufsichtsbehörden durch VerwaItungsakt weitere Ausnahmen vom grundsätzlichen Verbot der Sonntags beschäftigung zulassen können.

201

Vgl. Regierungsentwurf, BT-Drucksache 12/5888, S. 31.

202

Siehe dazu oben S. 68 f.

203

Eingehend Zmarzlik / Anzinger, ArbZG, § 15-42 f.

204

Vgl. hierzu oben S. 39.

Zmarzlik / Anzinger, ArbZG, § 15-45; Denecke / Neumann, AZO, § 14 a AZO-2 zum inhaltlich entsprechenden § 14 a AZO. 205

B. Ausnahmen: Zulässigkeit von Sonntagsarbeit

71

1. § 13 Abs. 3 Nr. 2 ArbZG Gemäß § 13 Abs. 3 Nr. 2 ArbZG kann die Aufsichtsbehörde206 in insgesamt drei Fällen (Buchstabe a) bis c) der Vorschrift) abweichend von § 9 ArbZG bewilligen, Arbeitnehmer zu beschäftigen. Dabei kann sie zusätzlich Anordnungen über die Beschäftigungszeit unter Berücksichtigung der für den öffentlichen Gottesdienst bestimmten Zeit treffen. Allen genannten Tatbeständen ist gleich, daß das Gesetz der Aufsichtsbehörde Ermessen einräumt. Infolgedessen hat der antragstellende Unternehmer grundsätzlich nur einen Anspruch auf ermessens fehlerfreie Bescheidung, der sich nur bei einer sogenannten Ermessensreduktion in einen Anspruch auf Erteilung einer Genehmigung umwandelt. 207 Im übrigen beziehen sich die Ausnahmebewilligungen auf den einzelnen, örtlich begrenzten Betrieb, mit dem der Arbeitgeber zusammen mit seinen Mitarbeitern einen bestimmten arbeitstechnischen Zweck verfolgt, nicht aber auf den einzelnen Arbeitnehmer. 208 Dies hat zur Folge, daß der Arbeitgeber in seinem Betrieb im Umfang der behördlichen Genehmigung einen oder mehrere Arbeitnehmer beschäftigen darf. Mehr als die in § 13 Abs. 3 Nr. 2 a) bis c) jeweils genannte Höchstzahl an Beschäftigungstagen darf die Aufsichtsbehörde allerdings in keinem Fall bewilligen.

a) Handelsgewerbe bei besonderen Verhältnissen § 13 Abs. 3 Nr. 2 a) ArbZG ermächtigt die Behörde, "im Handelsgewerbe an bis zu zehn Sonn- und Feiertagen im Jahr, an denen besondere Verhältnisse einen erweiterten Geschäftsverkehr erforderlich machen," die Beschäftigung von

206 Das ist nach § 17 Abs. 1 ArbZG die nach Landesrecht zuständige Behörde. Das sind grundsätzlich Staatlichen Ämter für Arbeitsschutz, die auch Entscheidungen nach § 13 Abs. 3 ArbZG treffen. Teilweise sind aber auch die Bezirksregierungen zuständig, so für Entscheidungen gemäß §§ 13 Abs. 4 und Abs. 5, 15 Abs. 2 ArbZG. Vgl. zu alledem etwa Art. 12. g) der Verordnung zur Änderung der Verordnung zur Regelung von Zuständigkeiten auf dem Gebiet des Arbeits- und technischen Gefahrenschutzes vom 20.9.1994, GV. NW S. 742.

207 § 40 VwVfG; § 113 Abs. 5 Sätze 1 und 2 VwGO. Vgl. statt aller Kopp, VwGO, § 11372/84/86. 208

Roggendorf, ArbZG, § 13-17 m. w. N.

72

§ 3 Sonntags arbeit nach dem Arbeitszeitgesetz

Arbeitnehmern zuzulassen. Dieser Tatbestand entspricht im wesentlichen der bislang gültigen Ermächtigung in § 105 b Abs. 2 Satz 2 GewO,z09 Der Begriff "Handelsgewerbe" erfaßt den Umsatz von Waren aller Art und von Geld21O, einschließlich der im Ladenlokal zur sofortigen Befriedigung der Kunden notwendigen Handwerkstätigkeit sowie der Hilfstätigkeit von Lagerung und Spedition. 2lI Als Beispiele sind der Geld- und Kredithandel oder Buch-, Presse- oder Zeitungsverlage zu nennen. 212 Sogar Gewerbetreibende, die Automaten an andere vermieten, die Geräte aufstellen und dadurch wirtschaftlich nutzen, gehören dazu. 213 Voraussetzung für eine Ausnahmegenehmigung ist weiter, daß besondere Verhältnisse einen erweiterten Geschäftsverkehr erforderlich machen. Das ist der Fall, wenn von außen auf den Betrieb Umstände einwirken. Diese dürfen weder von ihm selbst geschaffen sein noch in unternehmensbezogenen Sondersituationen bestehen,z14 Daher fallen sowohl fehlerhafte Arbeitsorganisation als auch Umsatzrückgang oder Absatzschwierigkeiten aus dem Tatbestand heraus. Die besonderen Verhältnisse müssen zudem so gewichtig sein, daß sie den Schutz der Sonntagsruhe überwiegen. 21S Hierfür genügt die bloße Beeinträchtigung der Rentabilität nicht. 216 Anerkannt hat die Rechtsprechung beispielsweise für den bislang geltenden § 105 b Abs. 2 Satz 2 GewO die Beschäftigung in Broker-Firmen wegen der unvorhersehbaren politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen und der hiermit verbundenen Kursschwankungen an internationalen Börsen. 2I1

209 So auch die Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucksache 12/5888, S.30. 210 Roggendorf, ArbZG, § 13-18 m. H. darauf, daß das LadschlG Spezialgesetz für den Einzelhandel ist und daß § 10 Abs. I Nr. 19 ArbZG bereits die Messen etc. im Sinne des Titels IV der GewO erfaßt. 211

Dobberahn, Arbeitszeitrechtsgesetz, S. 48, Rn. 129; vgl. auch Roggendorf, ArbZG, § 13-18.

212

Roggendorf, ArbZG, § 13-18.

m Roggendorf, ArbZG, § 13-18 m. w. N. 214

Roggendorf, ArbZG, § 13-19.

215

Dobberahn, Arbeitszeitrechtsgesetz, S. 48, Rn. 129.

216

Roggendorf, ArbZG, § 13-19 m. w. N.

217

BVerwG vom 29.4.1983, GewArch 1983, 338 f. betreffend Feiertagsarbeit.

B. Ausnahmen: Zulässigkeit von Sonntagsarbeit

73

b) Besondere Verhältnisse erfordern Sonntagsarbeit zur VerhÜtung eines unverhältnismäßigen Schadens Die Aufsichtsbehörde kann nach § 13 Abs. 3 Nr. 2 b) ArbZG die Beschäftigung von Arbeitnehmern an bis zu fünf Sonn- und Feiertagen im Jahr bewilligen, "wenn besondere Verhältnisse zur Verhütung eines unverhältnismäßigen Schadens dies erfordern". Im Unterschied zu Buchstabe a) der Vorschrift erfaßt dieser Tatbestand alle Beschäftigungsbereiche. "Besondere Verhältnisse" sind gegeben, wenn eine vorübergehende Sondersituation vorliegt, die den Eintritt eines unverhältnismäßigen Schadens beim Arbeitgeber nach sich zieht, wenn ihm nicht die Sonn- beziehungsweise Feiertagsbeschäftigung genehmigt wird. 218 Zu denken ist etwa an die Notwendigkeit ausgeweiteter Produktion zum Erledigen saisonaler Spitzen.219 Aber auch die plötzliche Erkrankung eines Teils der Arbeitnehmer gehört hierhin. 22o Die besonderen Verhältnisse müssen weder unvorhersehbar sein noch muß es sich um Umstände handeln, die von außen auf den Betrieb einwirken. 221 Immer aber ist notwendig, daß ein unmittelbarer, betriebsbezogener Zusammenhang das schadensstiftende Ereignis und das Bedürfnis nach Sonntagsarbeit verbindet. 222 Weil angesichts der grundSätzlichen Gewährleistung der Sonntagsruhe223 nicht dem Unternehmer überlassen werden kann, den Umfang statthafter Sonntagsarbeit zu bestimmen, liegen keine "besonderen Verhältnisse" vor, wenn allein die vereinbarte Stückzahl bei bestehenden Aufträgen erhöht wird. 224 "Schaden" ist jeder Nachteil, den der Arbeitgeber durch die eben beschriebene vorübergehende Sondersituation erleidet. Als Nachteil ist dabei jede in Geld oder geldwerten Gütern bezifferbare Vermögensminderung einschließlich des entgangenen Gewinns anzusehen. 225 Daher werden auch drohende Vertragsstra-

2lH

Roggendoif, ArbZG, § 13-22.

21.

Zmarzlik / Anzinger, ArbZG, § 13-74.

220

Dobberahn, Arbeitszeitrechtsgesetz, S. 49, Rn. 130.

221

Roggendoif, ArbZG, § 13-22.

222

Dobberahn, Arbeitszeitrechtsgesetz, S. 49, Rn. 130.

22J

In §§ I Nr. 2, 9 Abs. I ArbZG.

224

So auch, wenngleich etwas zurückhaltender, Roggendoif, ArbZG, § 13-22.

225 Roggendoif, ArbZG, § 13-23; Dobberahn, Arbeitszeitrechtsgesetz, S. 49, Rn. 130, auch hinsichtlich des entgangenen Gewinns.

74

§ 3 Sonntagsarbeit nach dem Arbeitszeitgesetz

fen oder der zu befürchtende Verlust eines guten Kunden erfaBt. 226 Ob em Schaden "unverhältnismäßig" ist, hängt davon ab, wie erheblich seine wirtschaftlichen Auswirkungen sind, inwieweit diese nur durch Sonntagsbeschäftigung verhindert oder gemildert werden können und ob sie angesichts des grundsätzlichen Verbots der Sonntagsbeschäftigung besonders schwer wiegen. 227 Die Prüfung hat sich dabei jeweils an dem zu beurteilenden Betrieb auszurichten. Denn für einen Kleinbetrieb können Sondersituationen eher unverhältnismäßige Folgen mit sich bringen als für einen finanzstarken Großbetrieb. 228 Fraglich ist schließlich die Abgrenzung von § 13 Abs. 3 Nr. 2 b) ArbZG gegenüber § 14 Abs. 1 ArbZG. Besondere Verhältnisse im Sinne von § 13 Abs. 3 Nr. 2 b) ArbZG können nämlich auch beim Vorliegen eines Notfalls oder außergewöhnlichen Falls im Sinne des § 14 Abs. 1 ArbZG bestehen. Überschneidungen zwischen den beiden Vorschriften sind denkbar, wenn eine vorübergehende Sondersituation vorliegt, die sich als unvorhersehbar erweist. Wollte man in solchen Fällen beide Vorschriften nebeneinander anwenden, so wäre Rechtsunsicherheit die Folge. Unklar wäre nämlich, ob der Arbeitgeber eine behördliche Bewilligung nach § 13 Abs. 3 Nr. 2 b) ArbZG einholen müßte oder ob er ohne weiteres unter Berufen auf § 14 Abs. 1 ArbZG Arbeitnehmer beschäftigen kann. Zwecks Vermeidens derartiger Schwierigkeiten ist ein Anwendungsvorrang von § 14 Abs. 1 ArbZG für die von dieser Vorschrift erfaBten Fallgestaltungen anzunehmen. 229 Soweit § 14 Abs. 1 ArbZG eingreift, ist daher Sonntags beschäftigung von Arbeitnehmern ohne behördliche Bewilligung statthaft.

c) Gesetzlich vorgeschriebene Inventur § 13 Abs. 3 Nr. 2 c) ArbZG ermächtigt die Aufsichtsbehörde, "an einem Sonntag im Jahr zur Durchführung einer gesetzlich vorgeschriebenen Inventur" Sonntags beschäftigung zuzulassen. 23o Hintergrund dieser Ausnahmevorschrift ist, daß man Inventuren an Werktagen wegen des schwankenden Warenbestands durch Kauf und Verkauf nur schwer durchführen kann. Das Gesetz schreibt

226

Dobberahn, Arbeitszeitrechtsgesetz, S. 49, Rn. 130.

227

Roggendoif, ArbZG, § 13-23; Zmarzlik I Anzinger, ArbZG, § 13-78 ff.

228

Dobberahn, Arbeitszeitrechtsgesetz, S. 49, Rn. 130.

229

So auch Roggendoif, ArbZG, § 14-17 mit weiteren Ausführungen.

Nach bisher geltendem Recht, § 105 c Abs. 1 Nr. 2 GewO, konnte die gesetzlich vorgeschrieben Inventur ohne behördliche Bewilligung durchgeführt werden. 230

B. Ausnahmen: Zulässigkeit von Sonntagsarbeit

75

eine Inventur beispielsweise in § 240 Abs. 2 Satz 1 HGB für jeden Kaufmann zum Schluß eines jeden Geschäftsjahrs vor. Zu denken ist aber auch an § 124 Satz 1 KO, wonach der Konkursverwalter ein Inventar anzufertigen hat.

2. § 13 Abs. 4 ArbZG Gemäß § 13 Abs. 4 ArbZG soll die Aufsichtsbehörde "abweichend von § 9 bewilligen, daß Arbeitnehmer an Sonn- und Feiertagen mit Arbeiten beschäftigt werden, die aus chemischen, biologischen, technischen oder physikalischen Gründen einen ununterbrochenen Fortgang auch an Sonn- und Feiertagen erfordern". Durch diese Vorschrift wird Sonntagsarbeit für Arbeitsverfahren ermöglicht, die aus Gründen, die im Arbeitsverfahren als solchem liegen, einen ununterbrochenen Fortgang der Tätigkeiten erfordern. 23J Im Gegensatz zu § 10 Abs. 1 Nr. 15 ArbZG ist dabei ein Mißlingen von Arbeitsergebnissen nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut nicht Tatbestandsvoraussetzung. 232 Voraussetzung für eine Ausnahmebewilligung ist zunächst, daß aus Gründen, die im Ablauf des Arbeitsverfahrens liegen, ein ununterbrochener Fortgang der Tätigkeiten auch am Sonntag notwendig ist. Das Gesetz nennt insoweit chemische, biologische, technische oder physikalische Gründe. Chemische Gründe liegen vor, wenn zum Herstellen eines Stoffs chemische Reaktionen erforderlich sind, die über längere Zeit unter gleichbleibenden Bedingungen wie Druck, Temperatur oder ähnlichem ablaufen müssen. Das Unterbrechen dieser Verfahren müßte dazu führen, daß das Herstellen des Stoffs unmöglich gemacht oder wesentlich erschwert würde. 233 Biologische Gründe sind anzunehmen, wenn mit dem Unterbrechen des Prozesses dessen nachfolgende Unkontrollierbarkeit einhergeht oder wenn ein solcher Prozeß anschließend nicht fortgesetzt werden kann. 234 Als Beispiel ist

231 So ausdrücklich die Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucksache 12 I 5888, S. 30. 212 Dobberahn, Arbeitszeitrechtsgesetz, S. 50, Rn. 132. Fehlgehend daher der Erlaß des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen vom 23.6.1994, Aktenzeichen III A 7 - 8300, S. 5, wonach die bislang gültigen Anforderungen hinsichtlich des § 105 c Abs. 1 Nr. 4 GewO entsprechend heranziehbar sein sollen.

233

Roggendoif, ArbZG, § 13-28.

234

Dobberahn, Arbeitszeitrechtsgesetz, S. 50, Rn. 132.

76

§ 3 Sonntagsarbeit nach dem Arbeitszeitgesetz

das Herstellen von Antibiotika durch Fermentation mittels Mikroorganismen zu nennen. 23S Technische Gründe erfordern den ununterbrochenen Fortgang der Tätigkeiten, wenn das Unterbrechen des Prozesses Produktionseinrichtungen erheblich schädigte?36 Dies kann etwa durch stark wechselnde thermische oder mechanische Beanspruchung der Fall sein, zum Beispiel beim Abkühlen und Aufheizen von Öfen. 237 Physikalische Gründe liegen schließlich vor, wenn beispielsweise gleichbleibende Magnetfelder für den Arbeitsprozeß erforderlich sind. Zu denken ist hier etwa an Langzeitmessungen analytischer Proben, die auch sonntags kontrolliert und eingestellt werden müssen. 238 Die genannten Gründe müssen den ununterbrochenen Fortgang der Tätigkeiten auch an Sonntagen "erfordern". Hierbei geht es um die Frage, inwieweit das Unterbrechen der Arbeit zumutbar ist. 239 Letztlich sind dabei der grundsätzliche Schutz der Sonntagsruhe (§§ 1 Nr. 2, 9 Abs. 1 ArbZG) und die Interessen des Arbeitgebers (Art. 12, 14 GG) gegeneinander abzuwägen. 240 241 Rechtsfolge ist, daß die Aufsichtsbehörde die Sonntagsbeschäftigung genehmigen "soll". Sie hat aufgrund der Formulierung "sol1"242 kein Ermessen hinsichtlich der Erteilung der Ausnahmebewilligung. Vielmehr ist sie zum Genehmigen der Sonntagsarbeit verpflichtet, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen

2J5

Zmarzlik / Anzinger, ArbZG, § 13-94.

236

Insoweit sind Überschneidungen mit § 10 Abs. 1 Nr. 16 ArbZG denkbar.

237

Roggendorf, ArbZG, § 13-29; Dobberahn, Arbeitszeitrechtsgesetz, S. 50, Rn. 132.

238

Roggendorf, ArbZG, § 13-31 m. w. Beispielen.

So auch der Erlaß des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen vom 23.6.1994, Aktenzeichen III A 7 - 8300, S. 5. 239

2010 In Konkretisierung der vom Gesetzgeber vorgenommenen GrundgestaItung; vgl. insoweit zu den Vorgaben des Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV unten § 4 A IlI, ab S. 108. W Roggendorf, ArbZG, § 13-32. Buschmann / U/ber, Arbeitszeitrechtsgesetz, § 13-9 wollen die Prüfung am objektiven Stand der jeweiligen wissenschaftlich- technischen Entwicklung ausrichten. Diese Ansicht verkennt indes den Unterschied der Vorschrift im Vergleich zu § 13 Abs. 1 Nr. 2 b) aa) ArbZG, wo der Gesetzgeber ausnahmsweise ausdrücklich den Stand der Technik ins Gesetz aufgenommen hat. Vgl. im übrigen die umfassende Kritik an Buschmann / U/ber bei Erasmy, NZA 1995,97, 100 f.

242 Die erst im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens gewählt worden ist; vgl. Bundestagsausschuß für Arbeit und Sozialordnung, BT-Drucksache 12/6990, S. 16/44.

B. Ausnahmen: Zulässigkeit von Sonntagsarbeit

77

vorliegen. 243 Nur in atypischen Fällen kann sie eine abweichende Entscheidung treffen. 244 Den Sachverhalt ermittelt sie kraft des in § 24 VwVfG niedergelegten sogenannten Amtsermittlungsgrundsatzes des von Amts wegen. 24S § 13 Abs. 4 ArbZG dürfte in der heutigen Zeit deswegen keine große Bedeutung erlangen, weil bereits § 10 Abs. 1 Nr. 15 und Nr. 16 ArbZG alle Arbeiten erfassen, die zur Zeit aus chemischen, biologischen, technischen oder physikalischen Gründen einen ununterbrochenen Fortgang auch an Sonntagen erfordern?46 Der Gesetzgeber hat § 13 Abs. 4 ArbZG denn auch als Option für die Zukunft angesehen. 247 Einerseits soll daher das Einführen neuer Produktionstechniken nicht behindert werden. 248 Andererseits soll das Tätigwerden der Aufsichtsbehörde einen Mißbrauch des Ausnahmetatbestands ausschließen. 249

3. § 13 Abs. 5 ArbZG Nach § 13 Abs. 5 ArbZG hat die Aufsichtsbehörde "abweichend von § 9 die Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen zu bewilligen, wenn bei einer weitgehenden Ausnutzung der gesetzlich zulässigen wöchentlichen Betriebszeiten und bei längeren Betriebszeiten im Ausland die Konkurrenzfähigkeit unzumutbar beeinträchtigt ist und durch die Genehmigung von Sonn- und Feiertagsarbeit die Beschäftigung gesichert werden kann". Dieser Ausnahmetatbestand ist neu in das Arbeitszeitgesetz aufgenommen worden. Er trägt dem Umstand Rechnung, daß in allen anderen EU-Ländern und den USA entweder überhaupt keine Sonntagsarbeitsverbote bestehen oder erheblich großzügigere

243 So auch ausdrücklich Bundestagsausschuß für Arbeit und Sozialordnung, BT-Drucksache 12/6990, S. 44.

244 Roggendoif, ArbZG, § 13-27; Dobberahn, Arbeitszeitrechtsgesetz, S. 50, Rn. 133 m. H. darauf, daß die Behörde insoweit die kollidierenden öffentlichen und privaten Interessen abzuwägen hat; Erasmy, NZA 1995,97, 100.

245 Siehe zu näheren Einzelheiten §§ 24 Abs. 1 und 2 VwVfG, 26 Abs. 1 und 2 VwVfG und Dobberahn, Arbeitszeitrechtsgesetz, S. 51, Rn. 134 m. w. N. 246

89. 247

Siehe oben ab S. 53; so auch Roggendoif, ArbZG, § 13-33; Zmanlik / Anzinger, ArbZG, § 13Bundestagsausschuß für Arbeit und Sozialordnung, BT-Drucksache 12/6990, S. 41.

Mit Rücksicht darauf kann dem Erlaß des Ministeriums rlir Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen vom 23.6.1994, Aktenzeichen III A 7 - 8300, S. 5 nicht gefolgt werden, soweit er den Aufsichtsbehörden das Anlegen strenger Maßstäbe vorschreibt bei der Frage, ob eine Unterbrechung aus den im Gesetz genannten Gründen dem Antragsteller zuzumuten ist. 248

249

Roggendoif, ArbZG, § 13-33.

78

§ 3 Sonntagsarbeit nach dem Arbeitszeitgesetz

Ausnahmetatbestände gelten. 25o § 13 Abs. 5 ArbZG hat innerhalb kürzester Zeit in der Praxis eine erhebliche Bedeutung erlangt. 251 Die Vorschrift verwendet mehrere ausfüllungsbedürftige unbestimmte Rechtsbegriffe. Bei der Umsetzung in die Praxis gewinnt daher § 1 Nr. 2 ArbZG besondere Bedeutung. Danach ist der grundsätzliche Schutz des Sonntages als Tag der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung der Arbeitnehmer beim Auslegen auch des § 13 Abs. 5 ArbZG zu beachten. 252 Die Bundesländer haben mittlerweile Richtlinien für die Zulassung von Ausnahmen nach § 13 Abs. 5 ArbZG beschlossen, um das Bewilligungsverfahren zu vereinheitlichen und unterschiedliche Beurteilungen gleichartiger Tatbestände soweit wie möglich zu vermeiden. 253 Die Aufsichtsbehörde hat vor Erteilen einer Ausnahmegenehmigung insgesamt vier Umstände positiv festzustellen, die im nachfolgenden näher zu beschreiben sind.

a) Weitgehendes Ausnutzen der gesetzlich zulässigen wöchentlichen Betriebszeiten Erste Tatbestandsvoraussetzung von § 13 Abs. 5 ArbZG ist, daß das antragstellende Unternehmen die gesetzlich zulässigen wöchentlichen Betriebszeiten von 144 Stunden254 weitgehend ausschöpft. Bezugsgröße für das Ausnutzen sind die wöchentlichen, nicht die jährlichen Betriebszeiten. Daher kommt eine Ausnahme nach § 13 Abs. 5 ArbZG auch dann noch in Betracht, wenn das antragstellende Unternehmen etwa wegen mehrwöchiger Betriebsferien die höchstzulässige jährliche Betriebszeit nicht erreicht. 255 Die Ausnutzung der zulässigen wöchentlichen Betriebszeiten muß nicht vollständig, sondern nur "weitgehend" erfolgen. Unter "weitgehend" ist nach all-

250

Diller, NJW 1994,2726,2728.

Vgl. nur FAZ vom 8.8.1995, Nr. 182, S. 13, wonach der Reifenhersteller PirelIi eine Genehmigung nach § 13 Abs. 5 ArbZG erhalten hat sowie den mit statistischen Daten versehenen Bericht des Parlamentarischen Staatssekretärs im BMAS, Horst Günther, MdB, vom 5.9.1995 zur Genehmigungspraxis der Bundesländer bei § 13 Abs. 5 ArbZG. 251

m Für die Exekutive folgt dies aus Art. 20 Abs. 3 GG; vgl. auch Roggendorf, ArbZG, § 1-2 und bereits oben S. 33.

m Vgl. Erlaß des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen vom 25.11.1994, Aktenzeichen III A 7 - 8300. 254

Statt aller Bundestagsausschuß für Arbeit und Sozialordnung, BT-Drucksache 12/6990, S. 41.

255

So zu Recht Dobberahn, Arbeitszeitrechtsgesetz, S. 52, Rn. 136; Erasmy, NZA 1995,97, 101.

B. Ausnahmen: Zulässigkeit von Sonntagsarbeit

79

gemeinem Sprachgebrauch soviel wie "umfangreich" und "soweit wie möglich" zu verstehen?56 Daher ist das Tatbestandsmerkmal bereits erfüllt, wenn der Betrieb die zulässige wöchentliche Betriebszeit zum Großteil ausnutzt. Dies ist selbstverständlich immer dann der Fall, wenn ein Betrieb in der Regel 144 Stunden in der Woche produziert, das heißt wenn eine dreischichtige Produktion unter Einschluß des Samstags vorliegt. 257 Denn dann wird die zulässige wöchentliche Betriebszeit voll ausgenutzt. Andererseits soll das Tatbestandsmerkmal nach der Entstehungsgeschichte des Gesetzes dazu dienen, den Kreis möglicher Antragsteller wirksam zu begrenzen. 258 Daher reicht nicht aus, wenn an Samstagen oder während der Nachtzeit der Betrieb grundsätzlich ruht. 259 Wegen des Begriffs "weitgehend" sind allerdings bestimmte Stillstandszeiten wie Betriebsurlaub oder Umrüstungsabeiten unschädlich. Sie sind also in die Berechnung der Ausnutzung der Betriebszeit einzubeziehen. 260 Die vorbeschriebene Ausnutzung muß zumindest in dem Zeitraum gegeben sein, für den die Ausnahme beantragt wird. 261

b) Längere Betriebszeiten im Ausland Des weiteren müssen im Ausland längere Betriebszeiten als die gesetzlich in der Bundesrepublik zulässige Zeit von 144 Stunden in der Woche herrschen. 262 Ob das der Fall ist, richtet sich zunächst nach den dort gesetzlich zulässigen Betriebszeiten für mit dem antragstellenden Unternehmen vergleichbare Betriebe. 263 Dabei sind die von den dortigen Behörden erteilten Ausnah-

256 Wahrig, Deutsches Wörterbuch, S. 1423, "weitgehend" unter 1. und 2; vgl. auch Zmarzlik / Anzinger, ArbZG, § 13-111.

257

Roggendoif, ArbZG, § 13-37.

Vgl. klarstellend Bundestagsausschuß für Arbeit und SoziaJordnung, BT-Drucksache 12/6990, S.41. 258

259

Erasmy, NZA 1995,97, 101.

Vgl. klarstellend Bundestagsausschuß für Arbeit und SoziaJordnung, BT-Drucksache 12/6990, S.41. 200

261

Roggendoif, ArbZG, § 13-37; so im Ergebnis auch Zmarzlik / Anzinger, ArbZG, § 13-114.

262

Zmarzlik / Anzinger, ArbZG, § 13-115 m. H. auf den Normzweck.

263 Roggendoif, ArbZG, § 13-38; vgl. auch Dobberahn, Arbeitszeitrechtsgesetz, S. 52, Rn. 137; Erasmy, NZA 1995,97, 101.

80

§ 3 Sonntagsarbeit nach dem Arbeitszeitgesetz

megenehmigungen zu berücksichtigen. 264 Wenn gesetzliche Bestimmungen nicht bestehen, ist auf Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern, den Betriebspartnern oder den Arbeitsvertragsparteien abzustellen. 26s Schließlich kommen auch statistische Unterlagen als Beweismittel in Betracht. 266 Grundsätzlich muß dabei die Mehrzahl der auf dem gleichen Markt mit gleichen Produkten konkurrierenden ausländischen Betriebe längere Betriebszeiten besitzen als der antragstellende Betrieb. 261 Der Schutzzweck des § 13 Abs. 5 ArbZG, die Beseitigung von unzumutbaren Beeinträchtigungen der Konkurrenzfahigkeit inländischer Betriebe, die sich bei längeren Betriebszeiten im Ausland ergeben, kann allerdings bei entsprechender Marktrnacht auch schon durch längere Betriebszeiten nur einzelner oder weniger Betriebe nachhaltig betroffen sein. In diesen Fällen, wo ein einziger oder einige wenige Betriebe das Marktgeschehen beherrschen, reicht aus, daß diese über längere Betriebszeiten verfügen?68 Buschmann / Ulber69 meinen, längere Betriebszeiten der Unterzeichnerstaaten der EG-Richtlinie210 sowie der elf Mitgliedsstaaten der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer würden nicht als unzumutbare Beeinträchtigung der Konkurrenzfähigkeit im Sinne des § 13 Abs. 5 ArbZG gelten. Diese Auffassung läßt sich aber weder mit dem Wortlaut des § 13 Abs. 5 ArbZG vereinbaren noch findet sie im Gesetzgebungsverfahren irgendeinen Anhaltspunkt. Weil diese Ansicht letztlich dem Gesetzeszweck zuwiderläuft, die bei längeren Betriebszeiten im Ausland unzumutbar beeinträchtigte Konkurrenzfähigkeit inländischer Betriebe wiederherzustellen, ist sie abzulehnen. Auch die angrenzenden europäische Nachbarländer sind daher Ausland im Sinne des § 13 Abs. 5 ArbZG.

264 Erasmy, NZA 1995, 97, 101. So auch der Kriterienkatalog für Entscheidungen nach § 13 Abs. 5 ArbZG, den die Bundesländer als Richtlinie beschlossen haben, unter LU, vgl. Erlaß des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen vom 25.11.1994, Aktenzeichen III A 7 - 8300. 265

Roggendoif, ArbZG, § 13-38; Dobberahn, Arbeitszeitrechtsgesetz, S. 52, Rn. 137.

266

Dobberahn, Arbeitszeitrechtsgesetz, S. 52, Rn. 137; Erasmy, NZA 1995,97, 101.

267

Roggendoif, ArbZG, § 13-38.

268

Roggendoif, ArbZG, § 13-38; Erasmy, NZA 1995, 97, 101.

269

Arbeitszeitrechtsgesetz, § 13-10.

Gemeint sein dürfte die Richtlinie der Rates der EU vom 23.11.1993 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ArbzRL) (93 /104/ EG), ABI. Nr. L 307 /18 ff. vom 13.12.1993. 270

B. Ausnahmen: Zulässigkeit von Sonntagsarbeit

81

Das Gesetz verlangt nach seinem eindeutigen Wortlaut schließlich nicht, daß der Antragsteller der Aufsichtsbehörde einen nationalen Konkurrenten angeben müßte, der über längere Betriebszeiten verfügt. 271 Es spricht nämlich nur von "längeren Betriebszeiten im Ausland". Im übrigen sagen längere Betriebszeiten bei einem inländischen Mitbewerber nichts darüber aus, ob der antragstellende Betrieb kürzere Betriebszeiten im Vergleich zu ausländischen Anbietem hat. 272 Außerdem ist die Angabe nationaler Konkurrenten unvereinbar mit dem Zweck des § 13 Abs. 5 ArbZG, der Sonntagsbeschäftigung zum Beseitigen unzumutbarer Konkurrenznachteile für inländische Betriebe bei längeren Betriebszeiten im Ausland zulassen will.

c) Unzumutbare Beeinträchtigung der Konkurrenzfähigkeit Drittes Tatbestandsmerkmal des § 13 Abs. 5 ArbZG ist, daß die Konkurrenzfähigkeit des Betriebs unter Berücksichtigung der grundsätzlich garantierten Sonn- und Feiertagsruhe273 aus dessen Sicht274 unzumutbar beeinträchtigt sein muß. Hinsichtlich dieser Frage kommt es ebenfalls auf die Lage vergleichbarer Betriebe im Ausland mit gleichen oder gleichartigen Produkten für denselben Markt an. 275 Entscheidend ist letztlich die Höhe der Fertigungskosten, welche unter anderem durch unterschiedliche Betriebszeiten beeinflußt werden. 276

271 So auch Dobberalm, Arbeitszeitrechtsgesetz, S. 52, Rn. 137, der zugleich auf Schwierigkeiten wegen des Betriebsgeheimnisses hinweist; Erasmy, NZA 1995,97, 101.

272

Dobberahn, Arbeitszeitrechtsgesetz, S. 52, Rn. 137.

273

Vgl. §§ I Nr. 2,9 Abs. 1 ArbZG.

So klarstellend die Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucksache 12/5888, S. 31; Bundestagsausschuß für Arbeit und Sozialordnung, BT-Drucksache 12/6990, S.41. 274

275 Vgl. auch Roggendoif, ArbZG, § 13-39 sowie den Kriterienkatalog für Entscheidungen nach § 13 Abs. 5 ArbZG, den die Bundesländer als Richtlinie beschlossen haben, unter 1.3.1, vgl. Erlaß

des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen vorn 25.11. 1994, Aktenzeichen III A 7 - 8300. Angesichts der allein zu vergleichenden Situation des antragstellenden Betriebs mit ausländischen Konkurrenten erscheint der Kriterienkatalog unter 1.4.1, wo auf nationale Wettbewerber abgestellt wird, fehlerhaft; vgl. ZnulrZlik / Anzinger, ArbZG, § 13-121. 276 Roggendoif, ArbZG, § 13-40. Der vermeintliche Streit zwischen Roggendoif, ArbZG, § 13-39 f., wonach allein längere Betriebszeiten im Ausland nicht ausreichen sollen für eine unzumutbare Beeinträchtigung der Konkurrenzfähigkeit, hinzukommen müßten vielmehr weitere Umstände, und Dobberalm, Arbeitszeitrechtsgesetz, S. 52, Rn. 138, wonach grundsätzlich eine Vermutung bestehen soll, daß bei längeren Arbeitszeiten im Ausland die Konkurrenzfähigkeit unzumutbar beeinträchtigt

6 Schnieders

82

§ 3 Sonntagsarbeit nach dem Arbeitszeitgesetz

Unzumutbar ist die Beeinträchtigung der Konkurrenzfähigkeit immer dann, wenn ihr auf längere Sicht ein Verlust von Marktanteilen und damit eine Gefahr für den Betrieb als solchen folgen kann. 277 Demgegenüber kann eine Beeinträchtigung der Konkurrenzfähigkeit nicht als unzumutbar angesehen werden, wenn es allein um das Bearbeiten von Einzelaufträgen oder das Auffangen saisonaler Spitzen geht. 278 Zwischen der Beeinträchtigung der Konkurrenzfähigkeit einerseits und der weitgehenden Ausnutzung der gesetzlich zulässigen wöchentlichen Betriebszeiten sowie den längeren Betriebszeiten im Ausland muß kein ursächlicher Zusammenhang bestehen. Denn der Gesetzgeber hat bewußt das Wort "bei" gewählt, nicht aber "wegen"279 oder "durch",z80

d) Möglichkeit der Beschäftigungssicherung durch die Genehmigung von Sonntagsarbeit Schließlich muß durch die Genehmigung von Sonn- und Feiertagsarbeit die Beschäftigung gesichert werden können. Dies ist der Fall, wenn nach dem Erkenntnisstand im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung281 Arbeitsplätze im antragstellenden Betrieb erhalten oder geschaffen werden. 282 Mit Rücksicht

wird, wirkt sich daher praktisch nicht aus. Denn die Fertigungskosten sind unter anderem durch unterschiedliche Betriebszeiten beeinflußt; so zu Recht Erasmy, NZA 1995, 97, 101 und auch RoggendoTj selbst, ArbZG, § 13-40. 271

Roggendoif, ArbZG, § 13-41.

Roggendoif, ArbZG, § 13-41. Insoweit kann § 13 Abs. 3 Nr. 2 b) ArbZG einschlägig sein; siehe oben ab S. 73. 278

279 So noch der Regierungsentwurf, BT-Drucksache 12/ 5888, S. 9; vgl. auch Bundestagsausschuß für Arbeit und Sozialordnung, BT-Drucksache 13/6990, S. 17. 280 Vgl. auch Dobberahn, Arbeitszeitrechtsgesetz, S. 52, Rn. 138. Fehlerhaft daher der Kriterienkatalog für Entscheidungen nach § 13 Abs. 5 ArbZG, den die Bundesländer als Richtlinie beschlossen haben, unter 1.3.1 / 1.4.1, vgl. Erlaß des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen vorn 25.11.1994, Aktenzeichen III A 7 - 8300. 281 Für das etwaige verwaltungsgerichtliche Verfahren bleibt es beim Grundsatz, daß die Begründetheit nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zu beurteilen ist. Vgl. allgemein hierzu: Kopp, VwGO, § 113-95 ff. 282 So auch der Kriterienkatalog für Entscheidungen nach § 13 Abs. 5 ArbZG, den die Bundesländer als Richtlinie beschlossen haben, unter 1.5.1, vgl. Erlaß des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen vorn 25.11.1994, Aktenzeichen 111 A 7 8300; vgl. auch die Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucksache 12/ 5888, S. 31 sowie Roggendoif, ArbZG, § 13-41; Zmarzlik / Anzinger, ArbZG, § 13-133.

B. Ausnahmen: Zulässigkeit von Sonntagsarbeit

83

auf das Wort ,,kann" ist nicht ein mathematisch genauer Nachweis zu erbringen. Vielmehr genügt die Möglichkeit der Beschäftigungssicherung. 283 Insofern gilt die Vermutung, daß eine unzumutbare Beeinträchtigung der Konkurrenzfähigkeit letztlich zum Verlust von Arbeitsplätzen im Inland führt: Längere Maschinenlaufzeiten ermöglichen, die Fertigungskosten niedrig zu halten und einen bestehenden Kostenvorsprung der internationalen Konkurrenz, die unter günstigeren Bedingungen arbeitet, zu verringern. 284 Bei Angleichung der unterschiedlichen Betriebszeiten besteht infolgedessen im Ergebnis die Möglichkeit, die Beschäftigung zu sichern.

e) Rechtsfolge Liegen die Voraussetzungen der Vorschrift vor, so ist die Aufsichtsbehörde zum Genehmigen der Sonntagsarbeit verpflichtet. Sie hat kein Ermessen. 285 Die Aufsichtsbehörde hat bei ihrer Genehmigungspraxis die Zweckbestimmung des § 1 Nr. 2 ArbZG, den Schutz der Sonn- und Feiertage als Tage der Arbeitsruhe, zu beachten. 286 Gemäß § 36 Abs. 1 VwVfG kann sie die Genehmigung mit Nebenbestimmungen versehen, um sicherzustellen, daß die gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsakts erfüllt werden. Zu denken ist hier etwa an einen Widerrufsvorbehalt für den Fall, daß das Erfordernis von Sonntagsarbeit nachträglich entfallt. 287 In Betracht kommt aber auch die Auflage einer regelmäßigen Berichtspflicht durch den Unternehmer?88

283 Erasmy, NZA 1995, 97, 102. Zumindest mißverständlich daher der Kriterienkatalog für Entscheidungen nach § 13 Abs. 5 ArbZG, den die Bundesländer als Richtlinie beschlossen haben, unter 1.5.2, vgl. Erlaß des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen vom 25.11.1994, Aktenzeichen III A 7 - 8300. 284 Dobberahn, Arbeitszeitrechtsgesetz, S. 53, Rn. 139 m. H. auf mögliche Anschlußaufträge; Zmarzlik / Anzinger, ArbZG, § 13-135.

285 Vgl. auch die Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucksache 12/5888, S.31. 286 Wegen Art. 20 Abs. 3 GG; vgl. auch Bundestagsausschuß für Arbeit und Sozialordnung, BTDrucksache 12/6990, S. 41. 287 Vgl. auch § 49 Abs. 2 Nr. I VwVfG. Nach dem Erlaß des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen vom 23.6.1994, Aktenzeichen III A 7 - 8300, S. 5, ist in die Bewilligung ein Widerrufs vorbehalt aufzunehmen. 288 Vgl. Bundestagsausschuß für Arbeit und Sozialordnung, BT-Drucksache 12/6990, S. 41. Kritisch unter anderem wegen des Kostenaufwands insoweit Erasmy, NZA 1995,97, 102. Vgl. zu Nebenbestimmungen auch den Kriterienkatalog für Entscheidungen nach § 13 Abs. 5 ArbZG, den die Bundesländer als Richtlinie beschlossen haben, unter 3., vgl. Erlaß des Ministeriums für Arbeit,

84

§ 3 Sonntags arbeit nach dem Arbeitszeitgesetz

Mit Rücksicht auf § 24 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 VwVfG, wonach die Behörde den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch die für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen hat, ist der Antragsteller nicht zum Nachweis der Tatbestandsmerkmale des § 13 Abs. 5 ArbZG verpflichtet. 289 Vielmehr trägt er nur die Beweislast. Das bedeutet, es geht zu seinen Lasten, wenn sich ein Tatbestandsmerkmal des § 13 Abs. 5 ArbZG nicht positiv feststellen läßt. 290 Fraglich ist schließlich, ob die Aufsichtsbehörde beim Ermitteln des Sachverhalts auch Betriebsräte, Gewerkschaften oder Arbeitgeberverbände beteiligen kann. Das Arbeitszeitgesetz sieht eine Beteiligung des Betriebsrats nicht schon wie bei §§ 6 Abs. 4 Sätze 2 und 3, 7 und 12 ArbZG vor. Allerdings betreffen diese Vorschriften das Verhältnis des Betriebsrats zum Arbeitgeber. Demgegenüber stellt sich bei § 13 Abs. 5 ArbZG die Frage, ob der Betriebsrat auch im Verwaltungsverfahren zu beteiligen ist. Das hängt davon ab, ob das Gesetz das Verwaltungsverfahren regelt. Hierzu wäre nach Art. 84 Abs. 1 GG erforderlich, daß ein Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates vorliegt. Das Arbeitszeitgesetz ist aber als Einspruchsgesetz zustande gekommen. 291 Daher enthält es keine Bestimmungen über das Verwaltungs verfahren, die mangels entsprechender Regelung eine Beteiligung des Betriebsrats ausschließen könnten. Mit Rücksicht darauf kommt eine Beteiligung des Betriebsrats nach § 26 Abs. 1

Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen vom 25.11.1994, Aktenzeichen III A 7 - 8300. 289 Zumindest mißverständlich ist insoweit der Kriterienkatalog für Entscheidungen nach § 13 Abs. 5 ArbZG, den die Bundesländer als Richtlinie beschlossen haben, unter 1.3.2 / 1.4.2, vgl. Erlaß des Ministeriums ftir Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen vom 25.11.1994, Aktenzeichen III A 7 - 8300; vgl. auch Diller, NJW 1994,2726,2728, der auf die in der Praxis sich wohl ergebende Nachweispflicht des Unternehmers hinweist. Eine Nachweispflicht zu Lasten des Antragstellers sah ursprünglich der Regierungsentwurf vor, vgl. BT-Drucksache 12/ 5888, S. 9/31 sowie Bundestagsausschuß für Arbeit und Sozialordnung, BT-Drucksache 12/6990, S.41.

2!1O

So auch Erasmy, NZA 1995,97, 102.

Siehe oben § I, ab S. 21. Vgl. auch Diller, NJW 1994,2726,2728, der im Zusammenhang mit der diskutierten Glaubhaftmachung der Voraussetzungen des § 13 Abs. 5 ArbZG auf die Problematik des Zustimmungsgesetzes hinweist. 291

B. Ausnahmen: Zulässigkeit von Sonntagsarbeit

85

Satz 2 Nr. 1 VwVfG in Betracht.292 Danach kann die Behörde Auskünfte jeder Art einholen, also auch eine Stellungnahme des Betriebsrats. 293 294 Hingegen kann die Genehmigung nach § 13 Abs. 5 ArbZG nicht mit dem Hinweis darauf versagt werden, der Betriebsrat sei nicht im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes ordnungsgemäß beteiligt worden. Nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG hat zwar der Betriebsrat unter anderem bei der Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage mitzubestimmen. Ein Verstoß gegen Vorschriften des Betriebsverfassungsrechts hat indes ausschließlich betriebsverfassungsrechtliche, nicht aber öffentlich-rechtliche Wirkungen. 295 Daher ergibt sich aus diesem Gesichtspunkt keine eigenständige Möglichkeit zum Beteiligen des Betriebsrats im Verfahren nach § 13 Abs. 5 ArbZG. § 26 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VwVfG gibt der Aufsichtsbehörde auch die Möglichkeit, Auskünfte von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden einzuholen und sie auf diese Weise am Verfahren nach § 13 Abs. 5 ArbZG zu beteiligen?96 Bei alledem ist aber Vorsicht insoweit geboten, als zum einen die oftmals betriebsfremden Gewerkschaften nicht überfordert werden dürfen. Und zum anderen sind allgemeinpolitische Stellungnahmen mit dem Versuch, den

292 Dies übersehen Dobberahn, Arbeitszeitrechtsgesetz, S. 53, Rn. 140 und Erasmy, NZA 1995, 97, 102, die darauf hinweisen, eine Beteiligung des Betriebsrats nach § 13 Abs. 5 ArbZG sei gerade nicht gesetzlich vorgesehen. Sie halten indes eine positive Stellungnahme des Betriebsrats für geeignet, die Behörde von der Notwendigkeit der Sonntagsarbeit zu überzeugen. 293 § 26 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG, wonach Beteiligte angehört werden können, scheidet hingegen aus. Denn Betriebsräte sind keine Beteiligten im Sinne des § 13 Abs. 1 Nr. 1 und 2 VwVfG, weil sie weder Antragsteller oder Antragsgegner noch diejenigen sind, an die die Behörde den Verwaltungsakt richten will. Auch § 13 Abs. 2 Satz 1 VwVfG greift nicht ein, weil die Genehmigung nach § 13 Abs. 5 ArbZG nicht unmittelbar die (betriebsverfassungs-)rechtlichen Interessen des Betriebsrats berühren kann. 294 Nach dem Kriterienkatalog für Entscheidungen nach § 13 Abs. 5 ArbZG, den die Bundesländer als Richtlinie beschlossen haben, unter 2., vgl. Erlaß des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen vom 25.11.1994, Aktenzeichen III A 7 - 8300, ist bei Vorhandensein eins Betriebsrats dessen Stellungnahme einzuholen.

2.5 Dobberahn, Arbeitszeitrechtsgesetz, S. 53, Rn. 140; Erasmy, NZA 1995, 97, 102. Vgl. auch Fitting / Auffarth / Kaiser / Heither, BetrVG, § 87-23, wonach Maßnahmen unter Verstoß gegen das Mitbestimmungsrecht im Verhältnis zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber unwirksam sind. 2% Nach dem Erlaß des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NordrheinWestfalen vom 23.6.1994, Aktenzeichen III A 7 - 8300, S. 5, der sich auf den Tatbestand des § 13 Abs. 4 ArbZG erstreckt, hat der Antragsteller eine Stellungnahme der zuständigen Gewerkschaft beizubringen, die in die Entscheidung einzubeziehen ist.

86

§ 3 Sonntags arbeit nach dem Arbeitszeitgesetz

Ausgang des Bewilligungsverfahrens zu beeinflussen, ungeeignet, eine Entscheidung nach § 13 Abs. 5 ArbZG zu tragen?97 Abschließend ist festzuhalten, daß die Genehmigung nach § 13 Abs. 5 ArbZG auf die Tätigkeiten zu beschränken ist, für die die Ausnahmevoraussetzungen vorliegen und die mit ihnen als notwendige Hilfs- und Nebenarbeiten unmittelbar zusammenhängen. Andere betriebliche Arbeiten sind nicht zu gestatten. 298

4. § 15 Abs. 2 ArbZG Nach § 15 Abs. 2 ArbZG kann die Aufsichtsbehörde schließlich "über die in diesem Gesetz vorgesehenen Ausnahmen hinaus weitergehende Ausnahmen zulassen, soweit sie im öffentlichen Interesse dringend nötig werden". Danach kommen auch Ausnahmen vom Verbot der Sonntagsbeschäftigung in Betracht, die nicht bereits unter die erörterten Vorschriften fallen. 299 Inhaltlich entspricht dieser Tatbestand im wesentlichen § 28 AZO. 3OO Voraussetzung ist, daß diese weiteren Ausnahmen "im öffentlichen Interesse dringend nötig werden". Dies ist der Fall, wenn ohne die Arbeiten der Allgemeinheit oder einem wesentlichen Teil der Bevölkerung kurzfristig ein nicht unerheblicher Nachteil droht. 301 Erfaßt sind beispielsweise Tätigkeiten zum Sichern der Ernährung oder solche der Landesverteidigung. 302 Demgegenüber können wirtschaftliche Interessen des Arbeitgebers, etwa das termingerechte Ausführen eines Auftrags, nicht ein öffentliches Interesse begründen. 303 Nach ihrer Entstehungsgeschichte fallen unter diese Vorschrift auch Arbeiten aus Anlaß von Dienst-, Werk- und Sachleistung, die im Rahmen notstandsrechtlicher Regelungen zu erbringen sind. 304

297

Darauf weist Dobberahn, Arbeitszeitrechtsgesetz, S. 53 f., Rn. 141, zu Recht hin.

298

Roggendorf, ArbZG, § 13-14; Erasmy, NZA 1995,97, 102.

299

So grundsätzlich auch Zmarzlik / Anzinger, ArbZG, § 15-25 f.

Vgl. auch die Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucksache 12 / 5888, S.31. 300

301

Roggendorf, ArbZG, § 15-13; Zmarzlik / Anzinger, ArbZG, § 15-30.

302

Dobberahn, Arbeitszeitrechtsgesetz, S. 60, Rn. 162.

Roggendorf, ArbZG, § 15-13 m. H. darauf, daß der Begriff des "öffentlichen Interesses" nach dem Inkrafttreten des ArbZG im Gegensatz zum früheren, veralteten Recht wieder eng auszulegen ist. 303

304

So klarstellend BT-Drucksache 12/5888, S. 31.

c. Zusammenfassung

87

C. Zusammenfassung Die Schilderung der Rechtslage der Sonntags arbeit nach dem Arbeitszeitgesetz hat im wesentlichen folgendes gezeigt: § 9 Abs. 1 ArbZG enthält ein grundsätzliches Beschäftigungsverbot an Sonntagen, das in Anlehnung an die Zweckbestimmung des § 1 Nr. 2 ArbZG Ar-

beitsruhe und Möglichkeit zu seelischer Erhebung der Arbeitnehmer sicherstellen will. § 9 Abs. 2 und 3 ArbZG gestatten in geringem Umfang das Verschieben der Sonntagsruhe zwecks besserer Ausnutzung der Werktags arbeitszeit durch flexibleren Schichtwechsel auch am Wochenende (§ 9 Abs. 2 ArbZG)30S beziehungsweise zum Herstellen eines Einklangs mit § 30 Abs. 3 Satz 1 StVO, der sonntags ab 22 Uhr den Verkehr mit schweren Lastkraftwagen und Anhängern hinter Lastkraftwagen erlaubt. Diese Tatbestände optimieren die grundrechtliche Freiheit der Berufsausübung von Arbeitgeber und Arbeitnehmer (Art. 12 Abs. 1 GG). §§ 10 ff. ArbZG enthalten zahlreiche Ausnahmen vom grundsätzlichen Be-

schäftigungsverbot. Der Gestattung von Sonntagsbeschäftigung liegt dabei ein dreigeteiltes System zugrunde: Der Gesetzgeber hat kraft Gesetzes (§§ 10, 14 Abs. 1 ArbZG), durch Rechtsverordnung (§ 13 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2, § 15 Abs. 3 ArbZG) und durch Verwaltungsakt (§ 13 Abs. 3 Nr. 2, Abs. 4 und 5, § 15 Abs. 2 ArbZG) eintretende Ausnahmen vom grundsätzlichen Sonntagsbeschäftigungsverbot festgeschrieben. Sie reichen von einer generellen, gesetzlichen Freigabe für bestimmte Tätigkeiten, die bestimmten Bedürfnissen Rechnung tragen 306 (§§ 10, 13 Abs. 1 Nr. 2, § 13 Abs. 4 und 5, § 14 Abs. 1, § 15 Abs. 2 und 3 ArbZG), über behördliche Bewilligungen mit teilweise strengen Tatbestandsvoraussetzungen (etwa bei § 13 Abs. 5 ArbZG - "weitgehende Ausnutzung der gesetzlich zulässigen wöchentlichen Betriebszeiten", "unzumutbare Beeinträchtigung der Konkurrenzfähigkeit" -) bis hin zu einer zahlenmäßig eng begrenzten, behördlichen Freigabe bestimmter Arten von Sonntagsbeschäftigung (etwa § 13 Abs. 3 Nr. 2 a) ArbZG, wonach die Aufsichtsbehörde im Handelsgewerbe Sonntagsbeschäftigung an höchstens zehn Sonntagen bewilligen kann). § 10 Abs. 1 ArbZG legt in seinen sechzehn Nummern Ausnahmen vom Sonn-

tagsbeschäftigungsverbot fest, die sich schwerpunktmäßig insgesamt fünf Kate-

305

Vgl. Roggendoif, ArbZG, § 9-13.

306

Unter der Voraussetzung, daß die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind.

88

§ 3 Sonntagsarbeit nach dem Arbeitszeitgesetz

gorien zuordnen lassen. Die erste Kategorie betrifft Ausnahmen im öffentlichen Interesse des Funktionierens des gesellschaftlichen Lebens. Dies sind die Nummern eins bis drei, zehn und elf des § 10 Abs. 1 ArbZG. Hierbei geht es im wesentlichen um Notdienste, die öffentliche Sicherheit, Krankenhäuser, Verkehrssowie Energie- und Wasserversorgungsbetriebe. Die zweite Kategorie des § 10 Abs. 1 ArbZG bezieht sich auf Tatbestände, die im überwiegenden Allgemeininteresse geschaffen wurden, damit der Großteil der Bevölkerung den Sonntag zur Erholung etc. nutzen kann. Dies sind die Fälle der Nummern vier bis sieben. Bei ihnen geht es beispielsweise um Gaststätten, Musikaufführungen, nichtgewerbliche Aktionen der Verbände sowie Freizeit- und Vergnügungseinrichtungen. Die dritte Fallgruppe des § 10 Abs. 1 ArbZG bezieht sich auf Arbeiten, die eine erhebliche gesamtgesellschaftliche Bedeutung aufweisen. Dies sind die Nummern acht und zwölf. Sie erfassen Unter anderem Tätigkeiten beim Rundfunk, bei der Tagespresse und in der Landwirtschaft. Die vierte Kategorie bezieht sich auf eine Ausnahme kraft Tradition, die Nummer 9 des § 10 Abs. 1 ArbZG, weil schon seit jeher Sonntagsbeschäftigung bei Messen, Ausstellungen und Märkten im Sinne des Titels IV der Gewerbeordnung und bei Volksfesten zum Erscheinungsbild dieser Veranstaltungen gehört. 307 Die letzte Kategorie des § 10 Abs. 1 ArbZG befaßt sich mit dem Eigentumsschutz beziehungsweise der Optimierung grundrechtlicher Freiheiten, vor allem der Berufs- und der Eigentumsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 und 14 Abs. 1 GG. Dies sind die Fälle der Nummern dreizehn bis sechzehn. Bei ihnen geht es unter anderem um Tätigkeiten bei der Bewachung von Betriebsanlagen, bei der Reinigung und Instandhaltung von Betriebseinrichtungen, zum Verhüten des Verderbens von Naturerzeugnissen und zum Vermeiden einer Zerstörung oder erheblichen Beschädigung der Produktionseinrichtungen. § 10 Abs. 2 ArbZG gestattet für die Fälle des § 10 Abs. 1 Nr. 14 ArbZG die Beschäftigung mit Produktions arbeiten im Interesse der Verringerung der Zahl der VOn Sonntagsarbeit betroffenen Arbeitnehmer. § 14 Abs. 1 ArbZG ermöglicht Sonntagsbeschäftigung in außergewöhnlichen Fällen und Notfällen. Diese Ausnahme optimiert erneut das Eigentumsgrundrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG.

Die §§ 13 Abs. 1 Nr. 2, 13 Abs. 2 und 15 Abs. 3 ArbZG ermächtigen zum Erlaß von Rechtsverordnungen, die weitere Fälle statthafter Sonntagsarbeit schaffen.

307

Statt aller Dobberahn, Arbeitszeitrechtsgesetz, S. 39, Rn. 106.

C. Zusammenfassung

89

§ 13 Abs. 1 Nr. 2 ArbZG ennöglicht Bundesrechtsverordnungen für insgesamt drei Tatbestände. Sie können sich auf die Beschäftigung zum Befriedigen besonderer Bedürfnisse der Bevölkerung308 und Sonntags arbeit aus Gründen des Gemeinwohls beziehen. Außerdem können Betriebe mit Arbeiten erfaßt werden, deren Aufschub oder Unterbrechung entweder mit besonderen Problemen etwa für die Gesundheit der Arbeitnehmer oder für die Umwelt verbunden oder ihrer Art nach gar nicht oder aber nur sehr schwer möglich ist. Die Vorschrift bezieht das überwiegende Allgemeininteresse an Sonntagsbeschäftigung ebenso ein wie die Optimierung der Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) und auf Freiheit des Berufs (Art. 12 Abs. 1 GG). § 15 Abs. 3 ArbZG ennächtigt schließlich das Bundesministerium der Verteidigung, in seinem Geschäftsbereich durch Rechtsverordnung Arbeitnehmer unter anderem zu Sonntagsarbeit aus zwingenden Gründen der Verteidigung zu verpflichten. Die Vorschrift gründet sich also auf das öffentliche Interesse an der Tätigkeit für den Staat.

Mit den durch Verwaltungsakt eintretenden Fällen zulässiger Sonntagsarbeit beinhaltet das Arbeitszeitgesetz die dritte Gruppe der Ausnahmen vorn grundsätzlichen Beschäftigungsverbot an Sonntagen. Dies sind die Fälle der §§ 13 Abs. 3 Nr. 2, Abs. 4 und 5, 15 Abs. 2 ArbZG. Gemäß pflichtgemäßem Ennessen kann die Aufsichtsbehörde nach § 13 Abs. 3 Nr. 2 ArbZG an einer begrenzten Anzahl von Sonntagen Beschäftigung in insgesamt drei Fällen zulassen. Dabei geht es einmal um die Interessen des Handelsgewerbes, auch bei besonderen Verhältnissen Arbeitnehmer beschäftigen zu dürfen. Darüber hinaus werden das Verhüten eines unverhältnismäßigen Schadens sowie gesetzlich vorgeschriebene Inventuren erfaßt. Im wesentlichen liegen diesem Tatbestand die Optimierung der grundrechtlichen Freiheit der Berufs ausübung und des Eigentums (Art. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 GG) sowie das öffentliche Interesse des reibungslosen Ablaufs des gesellschaftlichen Lebens zugrunde. Nach § 13 Abs. 4 ArbZG soll die Aufsichtsbehörde Sonntagsbeschäftigung für Arbeiten bewilligen, die zum Beispiel aus biologischen oder physikalischen Gründen einen ununterbrochenen Fortgang an diesem Tag erfordern. Diese Vor-

308 In diesem Bereich ist nach § 13 Abs. 2 auch eine Landesrechtsverordnung möglich, wenn und soweit die Bundesregierung von der Ermächtigung keinen Gebrauch gemacht hat.

90

§ 3 Sonntagsarbeit nach dem Arbeitszeitgesetz

schrift trägt dem Umstand Rechnung, daß bestimmte Arbeitsverfahren aus Gründen, die in ihnen als solchen liegen, einen ununterbrochenen Fortgang der Tätigkeiten erfordern. Gemäß § 13 Abs. 5 ArbZG ist die Aufsichtsbehörde zum Genehmigen von Sonntagsarbeit verpflichtet, wenn die Konkurrenzfähigkeit des antragstellenden Unternehmens trotz weitgehender Ausnutzung der gesetzlich zulässigen wöchentlichen Betriebszeiten und bei längeren Betriebszeiten im Ausland unzumutbar beeinträchtigt ist und durch die Genehmigung die Beschäftigung gesichert werden kann. Diese Vorschrift bezweckt den Erhalt der Konkurrenzfähigkeit deutscher Unternehmen gegenüber ausländischen. § 13 Abs. 4 und Abs. 5 ArbZG optimieren mithin die Grundrechte der Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 GG) und der Eigentumsfreiheit (Art. 14 Abs. 1 GG). § 15 Abs. 2 ArbZG gestattet schließlich der Aufsichtsbehörde die Zulassung von Sonntagsarbeit, soweit dies im öffentlichen Interesse dringend nötig wird. Diese Vorschrift trägt dem Interesse der Allgemeinheit Rechnung, von einem absehbaren, nicht unerheblichen Nachteil verschont zu werden.

§ 4 Verfassungsmäßigkeit der Bestimmungen

über die Sonntagsruhe

Nachdem der Inhalt der §§ 9 ff. ArbZG näher beschrieben worden ist, kommt es nunmehr darauf an, inwieweit diese Vorschriften verfassungsgemäß sind. Vordringlich interessiert dabei die Vereinbarkeit mit Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV. Art. 140 GG macht Art. 139 WRV zum Bestandteil des Grundgesetzes. Nach Art. 139 WRV bleiben der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt. Fraglich ist, ob die §§ 9 ff. ArbZG den Sonntag ausreichend schützen. Daneben gewinnt insbesondere das Grundrecht der Berufsfreiheit der Unternehmer aus Art. 12 Abs. 1 GG Bedeutung. Denn aufgrund des zu unterstellenden Interesses vieler Unternehmer, auch an Sonntagen produzieren zu können, besteht von vornherein ein Spannungsverhältnis zwischen dem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG einerseits und Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV andererseits. Schließlich kann die Verfassungsmäßigkeit bestimmter Einzelvorschriften der §§ 9 ff. ArbZG aus anderen Gründen zweifelhaft sein. Bevor hierauf eingegangen wird, sind die Vorgaben zu untersuchen, die Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV der gesetzlichen Regelung über Sonntagsarbeit macht.

A. Vorgaben des Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV Hinsichtlich der Frage, welche Vorgaben im einzelnen Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV für eine gesetzliche Regelung zu entnehmen sind, insbesondere, inwieweit die gesetzliche Zulassung von Sonntagsarbeit angesichts der genannten Verfassungsbestimmungen statthaft ist, herrscht Streit. Dieser beruht letztlich auf der etwas vagen Formulierung in Art. 139 WRV: "bleiben ... gesetzlich geschützt". Darüber hinaus wird das Verhältnis von Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV zu Grundrechten des Grundgesetzes unterschiedlich beurteilt. Dabei ist das Vorliegen eines Aufeinandertreffens (Kollision) zwischen der Sonntagsgarantie und Grundrechten ebenso streitig wie deren etwaige Lösung. Für die genauere Bestimmung des Inhalts von Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV gibt es zunächst in der Literatur unterschiedliche Ansätze. Auch die höchstrichter-

92

§ 4 Verfassungsmäßigkeit der Bestimmungen über Sonntagsruhe

liche und obergerichtliche Rechtsprechung hat zum Inhalt des Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV Stellung genommen. Diese Auffassungen sollen zunächst dargestellt und kritisiert werden, bevor die eigene Konzeption vorgestellt wird.

I. Ansichten der Literatur

1. Die Ansicht Däublers Däubler1 hält den Wortlaut von Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV für nicht so aussagekräftig, daß sich daraus bestimmte Konsequenzen ableiten ließen. Ausgehend vom Zweck der Vorschriften, dem Dienen religiöser Belange und dem Erreichen des sozialpolitischen Ziels der Erholung und der Regeneration der Arbeitskraft, zeichnet Däubler zunächst die Konturen deutlicher: Gewollt seien das Ausruhen von der Erwerbsarbeit sowie die Gleichzeitigkeit dieses Vorgangs für möglichst viele Gesellschaftsmitglieder. 2 Daraus ergebe sich ein grundsätzliches Arbeitsverbot an Sonntagen. Dieses werde durch Arbeiten durchbrochen, die die Bedürfnisse derjenigen befriedigten, die den Sonntag begingen. Darüber hinaus seien weitere Ausnahmen möglich. Die Grenze des Zulässigen sei allerdings erreicht, wenn "werktägliche" Arbeiten, insbesondere solche zugelassen würden, die nicht der unmittelbaren Befriedigung der Bevölkerung dienen. Nicht ausgeschlossen sei dadurch aber jegliche industrielle Sonntagsarbeit. Insoweit habe der Gesetzgeber die Möglichkeit zur Reaktion auf gewandelte Anschauungen. 3 Offen bleibe aber, wann die quantitative Grenze des Ausnahmebereichs erreicht sei. 4 Diese Frage beantworte sich unter Rückgriff auf den Grundsatz der praktischen Konkordanz. Danach seien alle Grundgesetzbestimmungen im Rahmen des Möglichen so zu handhaben, daß jede in möglichst umfassender Weise zur Geltung kommen könne. Zu fragen sei, wie sich einerseits das Verbot der Sonntagsarbeit nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV voll verwirklichen, andererseits mit den Grundrechten der Eigentumsfreiheit, der Berufsfreiheit und der Pressefreiheit in Einklang bringen lasse. Insoweit bestehe eine Zweiteilung.

I

DB Beilage 7 I 1988, S. 4 ff.

2

Däubler, DB Beilage 7 11988, S. 4/5.

3

Däubler, DB Beilage 7 11988, S. 5.

4

Däubler, DB Beilage 7 I 1988, S. 5 f.

A. Vorgaben des Art. 140 GG i. V.

ID.

Art. l39 WRV

93

Gehe es nur um das Ausüben der genannten Grundrechte durch einzelne Bürger, gehe Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV als Spezialbestimmung vor. Denn es bestehe insofern eine von der Verfassung selbst angeordnete Einschränkung. Habe demgegenüber das Verbot der Sonntagsarbeit Rückwirkung auf die Grundrechtsausübung an Werktagen, wie dies etwa bei zehn Tage dauernden chemischen Prozessen mit gleichbleibenden äußeren Bedingungen der Fall sei, liege ein effektiver Konflikt zwischen Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV und Art. 12 Abs. 1 GG sowie im Einzelfall Art. 14 Abs. 1 GG vor. Im Mittelpunkt stehe in diesem Fall die Frage, wie eine "verhältnismäßige Zuordnung" von Sonntagsarbeitsverbot und Berufsfreiheit beschaffen sein könne. Das Gebot der Sonntagsruhe sei ein "überragend wichtiges Gemeinschaftsgut" im Sinne der Rechtsprechung zum Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG). Daher müsse es sich eine Relativierung allenfalls dann gefallen lassen, wenn seine strikte Durchsetzung wie eine objektive Voraussetzung für die Berufszulassung wirken wÜfde. s Bei der Bestimmung der konkreten Grenze zwischen Sonntagsruhe und unternehmerischer Betätigungsfreiheit komme dem Gesetzgeber eine wichtige Rolle zu. Zwar könne er nicht schon wegen der besseren Berufsausübungsfreiheit das Sonntagsarbeitsverbot einschränken. Er könne aber letztlich bestimmen, welche Nachteile die einzelnen Unternehmer in Kauf nehmen müßten und wann ihre "Opfergrenze" überschritten sei. 6 Däubler ist zuzugeben, daß die Grundsätze der praktischen Konkordanz im Sinne einer Abwägung beim Lösen von Konflikten zwischen Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV und Grundrechten hilfreich sein mögen. Es überzeugt aber nicht, wenn er den Inhalt von Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV nicht näher bestimmt und stattdessen sofort auf den Grundsatz der praktischen Konkordanz abstellt. Wegen der fehlenden Inhaltsbestimmung von Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV überzeugt auch der Gedanke der Spezialität dieser Vorschriften gegenüber einer Grundrechtsausübung an Sonntagen durch einzelne Mitbürger nicht. Der Ansicht von Däubler kann daher nicht gefolgt werden.

5

Däubler, DB Beilage 7 11988, S. 6.

• Däubler, DB Beilage 7 11988, S. 7.

94

§ 4 Verfassungsmäßigkeit der Bestimmungen über Sonntagsruhe

2. Die Ansicht Bendas Benda7 beginnt die Konkretisierung des Norrninhalts von Art. 139 WRV mit dem Hinweis, diese müsse bei der Abgrenzung zwischen geschütztem und ungeschütztem Bereich ansetzen. Die institutionelle Garantie solle sicherstellen, daß die Arbeitsruhe der Vielzahl der Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen auf den gleichen Tag falle. 8 Art. 139 WRV wolle gewährleisten, daß der Sonntag keinen werktäglichen Charakter erhalte. 9 Die Vorschrift konkretisiere das Ausmaß der Schutzes indes nicht, und aus ihr lasse sich ein unmittelbar geltendes Gebot oder Verbot entnehmen. Unverzichtbare Dienstleistungen und solche, die nach allgemeinem Verständnis und langer Tradition zum Sonntag gehörten, seien ohne weiteres als im Lichte von Art. 139 WRV statthaft anzusehen. Darüber hinausgehend müsse es aber für Ausnahmen von der Sonntagsruhe rechtfertigende Gründe geben. lO Zwar dürfe der Gesetzgeber das geltende Recht den sich wandelnden Verhältnissen anpassen. Das Argument allein, daß sich die technischen und wirtschaftlichen Bedingungen erheblich veränderten, dürfe aber nicht zu der Annahme führen, das Gebot der Sonntagsruhe habe seine Berechtigung verloren. 11 Die Gestaltungsbefugnis des Gesetzgebers sei in ihrer Richtung insofern gebunden, als sie auch unter veränderten tatsächlichen Bedingungen für einen wirksamen Schutz des Sonntages sorgen müsse. 12 Durch Festhalten am Prinzip der Sonntagsruhe in der Arbeitswelt und Dulden einer Durchbrechung des Prinzips nur in begrenzten und begründeten Ausnahmefällen werde die äußere Voraussetzung dafür geschaffen, daß der Sonntag auch in Zukunft dem verfassungsrechtlich vorausgesetzten Leitbild entspreche. 13 Zum Verhältnis des Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV zu Grundrechten führt Benda aus: Zwischen Art. 139 WRV und dem Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 GG bestehe keine Kollisionssituation, weil ein innerer Widerspruch zwischen den beiden verfassungsrechtlichen Normen fehle. Daher ergebe sich nicht ein Vorrang des Grundrechts dergestalt, daß die gesetzliche Regelung

7

Probleme, S. 23.

8

Benda, Probleme, S. 25.

9

Benda, Probleme, S. 26.

10

Benda, Probleme, S. 26. Ihm folgend Kuhr, NJW 1994,2186.

11

Benda, Probleme, S. 27.

12

Benda, Probleme, S. 59.

13

Benda, Probleme, S. 33.

A. Vorgaben des Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV

95

der Sonntagsarbeit allein dann zulässig wäre, wenn sie sich innerhalb der durch Art. 12 Abs. 1 GG gezogenen Grenzen halte. 14 Vielmehr stoße das Grundrecht der Berufsausübungsfreiheit von vornherein auf eine Schranke der Grundrechtsausübung, soweit es sich um die unternehmerische Tätigkeit an Sonntagen handele. Denn dem Verfassungsgeber des Art. 12 GG sei das Gebot der Arbeitsruhe aus Art. 139 WRV bekannt gewesen. 15 Art. 139 WRV bewerte den Sonntag als einen Tag der Arbeitsruhe. Eine Gesetzesregelung, die dieses Gebot ausgestalte, sei zweifellos zum Erreichen dieses Ziels geeignet und erforderlich sowie dem betroffenen Unternehmer zumutbar. Anders könne es nur sein, wenn das Verbot gewichtige Nachteile für andere Rechtsgüter bewirke, die auch bei voller Würdigung der Bedeutung der Sonntagsruhe als schutzbedürftiger erschienen. 16 Mithin bedürften die Regelungen der besonderen Rechtfertigung, die die Zielvorstellung des Art. 139 WRV durch Ausnahmen vom Sonntags arbeitsverbot veränderten. 17 Solche Ausnahmen müßten den Geboten der Verhältnismäßigkeit und vor allem der Erforderlichkeit entsprechen. 18 Die allgemein mit der Sonntagsruhe verbundenen Nachteile reichten keinesfalls aus, um Ausnahmen zu begründen. 19 Wenig überzeugend ist, daß Benda zunächst meint, Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV bestimme das Ausmaß des Schutzes nicht konkret und enthalte kein unmittelbar geltendes Gebot oder Verbot, dann aber grundsätzlich verlangt, daß rechtfertigende Gründe für Ausnahmen von der Sonntagsruhe vorliegen müssen. Die für erforderlich gehaltene Abgrenzung zwischen geschütztem und ungeschütztem Bereich wird letztlich durch Anhäufen von Kriterien und Fallgestaltungen offengelassen. Es erscheint widersprüchlich, wenn Benda mit einem verfassungsrechtlich vorausgesetzten Leitbild argumentiert, obwohl er gerade das Ausmaß des Schutzes als nicht durch Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV konkretisiert ansieht. Außerdem bleibt unklar, warum ein innerer Widerspruch zwischen Art. 139 WRV und Art. 12 Abs. 1 GG fehlen soll. Dasselbe gilt für die Feststellung, daß Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV eine Schranke des Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG sei, zumal Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV das Ausmaß des Sonntagsschutzes nach Auffassung Bendas

14

Benda, Probleme, S. 35.

15

Benda, Probleme, S. 37. Ihm folgend Kuhr, NJW 1994,2186.

16

Benda, Probleme, S. 38 f.

17

Benda, Probleme, S. 39 I 59.

18

Benda, Probleme, S. 61.

19

Benda, Probleme, S. 92.

96

§ 4 Verfassungsmäßigkeit der Bestimmungen über Sonntagsruhe

nicht enthalten soll. Wenig aussagekräftig erscheint auch der Hinweis darauf, dem Verfassungsgeber des Art. 12 Abs. 1 GG sei Art. 139 WRV bekannt gewesen. Denn genausogut kann andersherum argumentiert werden, der Verfassungsgeber des Art. 139 WRV habe die seinerzeit bereits geltende Gewerbeordnung mit ihren Ausnahmen vom Sonntagsarbeitsverbot gekannt. Letztlich erscheint auch nicht stichhaltig, für Ausnahmen vom Sonntagsarbeitsverbot auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit abzustellen, obwohl Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV das Ausmaß des Schutzes angeblich nicht selbst bestimmt. Aus diesen Gründen kann Benda nicht gefolgt werden.

3. Die Ansicht Richardis Nach Auffassung von Richardeo ist der Schutz des Sonntages unmittelbar im Grundgesetz festgelegt. Dieses enthalte eine Garantie des status quo für den Sonntag. Sie schließe aus, den Wochenrhythmus zwischen Sonn- und Werktagen wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu opfern. 21 Der Gesetzgeber sei zum Erlaß von Vorschriften verpflichtet, die den Sonntag als Tag der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung schützten. 22 Die Arbeitsruhe müsse zwar nicht für jeden gelten. Einschränkungen bedürften aber der sachlichen Rechtfertigung, für die insbesondere die historische Ausgangslage von Bedeutung sei. 23 Zwischen Art. 139 WRV und dem Grundrecht der Berufsfreiheit in Art. 12 Abs. 1 GG bestehe ein Spannungsverhältnis. 24 Das Verbot von Sonntagsarbeit beschränke die Freiheit der Berufsausübung, betreffe aber nicht das Recht auf freie Berufswahl. Auch soweit die in Art. 14 Abs. 1 GG enthaltene Eigentumsgarantie berührt werde, handele es sich um die Festlegung einer zulässigen Sozialbindung, für die im Grundgesetz selbst eine institutionelle Garantie bestehe. 2s Ein verfassungsrechtlicher Vorrang der Sonntagsruhe vor dem Grundrecht der Berufsfreiheit bestehe zwar nicht. Für die Verfassungsinterpretation sei aber wesentlich, daß das Verbot der Sonntagsarbeit im Grundgesetz selber in Form einer institutionellen Garantie angesiedelt sei, die im Verhältnis zur

20

Rechtsgutachten, S. 45.

21

Richardi, Rechtsgutachten, S. 45.

22

Richardi, Rechtsgutachten, S. 44/ 46.

23

Richardi, Rechtsgutachten, S. 47.

2A

Richardi, Rechtsgutachten, S. 51.

2S

Richardi, Rechtsgutachten, S. 52.

A. Vorgaben des Art. 140 GG i. V.

ffi.

Art. 139 WRV

97

Berufsfreiheit nicht auf einer Stufe minderen Ranges stehe. Daher könne sich die Berufsausübung von vornherein nur innerhalb der grundgesetzlichen Gewährleistung entfalten, daß die Sonntage als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt bleiben?6 Der zur Regelung berufene Gesetzgeber müsse seiner Konzeption zugrunde legen, daß die Sonntagsruhe zu den Gemeinwohlbelangen gehöre, die er zu sichern habe. Wegen Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV sei er verpflichtet, die Berufsausübung zu beschränken, um Sonntagsruhe zu gewährleisten. Aufgrunddessen müsse nicht die Beschränkung der Berufsausübung, sondern eine Abweichung vom Verbot der Sonntagsarbeit sachlich gerechtfertigt sein?7 Insoweit enthalte Art. 12 Abs. 1 GG verbindliche Vorgaben für den Gesetzgeber: Die Gesetzesregelung müsse sich wettbewerbsneutral auswirken. 28 Daher müßten Ausnahmeregelungen vom Sonntagsarbeitsverbot so gestaltet sein, daß durch sie kein ungerechtfertigter Vorteil im Wettbewerb eintrete?9 Ein die Differenzierung sachlich rechtfertigender Grund könne beim Beschränken der Sonntagsruhe nur darin bestehen, daß wegen der Besonderheit des Betriebszwecks oder der Art des Betriebs eine Ausnahme sachlich gerechtfertigt sei. 30 Nach den Grundsätzen der Verfassungsinterpretation gelte zusätzlich, daß die zulässigen Ausnahmen ihrerseits im Lichte der Bedeutung der institutionellen Garantie für die Gestaltung der sozialen Ordnung gebildet und gehandhabt würden. 31 Eine Verbesserung der wirtschaftlichen Rentabilität allein könne beim Einsatz moderner Herstellungstechnologien eine Beschränkung der Sonntagsruhe nicht sachlich rechtfertigen. 32 Insgesamt finde die FestIegung von Ausnahmen vom Sonntagsarbeitsverbot ihre Grenze an der verfassungsrechtlichen Garantie des Sonntages. 33 Damit die institutionelle Garantie des Sonntags schutzes nicht in ihrem Wesensgehalt beeinträchtigt werde, seien für insgesamt drei Bereiche Regelungen bei Ausnahmen vom Verbot der Sonntagsarbeit zu treffen: Erstens müsse die Besonderheit der Betriebsart oder des Arbeitszwecks (etwa der Abwehr von Schäden) eine Ab-

26

Richardi, Rechtsgutachten, S. 53.

27

Richardi, Rechtsgutachten, S. 54.

211

Richardi, Rechtsgutachten, S. 55.

29

Richardi, Rechtsgutachten, S. 56 f.

Richardi, Rechtsgutachten, S. 57. Ähnlich auf S. 59, wo Richardi auf die Art des Betriebs oder die Besonderheit der zu erbringenden Arbeit abstellt. 30

31

Richardi, Rechtsgutachten, S. 59.

32

Richardi, Rechtsgutachten, S. 58.

33

Richardi, Rechtsgutachten, S. 59.

7 Schnieders

98

§ 4 Verfassungsmäßigkeit der Bestimmungen über Sonntagsruhe

weichung sachlich rechtfertigen. Zweitens seien die insoweit zulässigen Arbeiten, vor allem solche, die ihrer Art nach eine Unterbrechung oder einen Aufschub nicht gestatteten, zu bezeichnen. Und drittens seien für die Arbeitnehmer hinsichtlich der gestatteten Arbeiten Bedingungen festzulegen, die gewährleisteten, daß es nicht zu einer Nivellierung von Sonn- und Werktagen komme. 34 An der Auffassung Richardis ist zunächst zu kritisieren, daß er ohne nähere Bestimmung der Merkmale des Art. 139 WRV annimmt, der Schutz des Sonntages sei unmittelbar im Grundgesetz festgelegt. Infolgedessen bleibt auch die Ansicht begründungsbedürftig, Ausnahmen von der Sonntagsruhe bedürften einer sachlichen Rechtfertigung. Im übrigen kann diese Meinung, konsequent zu Ende gedacht, zu einem Übergewicht des Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV gegenüber dem Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG führen. Und schließlich legt Richardi die Voraussetzungen dafür fest, daß eine gesetzliche Regelung der Sonntagsarbeit nicht den Wesensgehalt des Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV betrifft, ohne daß er diesen zuvor bestimmt hat. Daher kann auch seiner Ansicht nicht gefolgt werden.

4. Die Ansicht von Loritz Einen vollkommen anderen Weg beschreitet LoritZ.35 Er untersucht zunächst die Bedeutung einer institutionellen Garantie im System der Verfassung 36, bevor er vergleichend die institutionellen Garantien etwa der Koalitionsfreiheit oder der kommunalen Selbstverwaltung unter Zuhilfenahme der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beschreibt.3? Anschließend unternimmt er den Versuch, den Inhalt des Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV näher zu konkretisieren. 38 Loritz meint, wegen des Wortlauts des Art. 139 WRV, "bleiben ... gesetzlich geschützt", und mit Rücksicht auf die darin zum Ausdruck gekommene Bezugnahme des Verfassungsgeber auf den Gesetzgeber ließen sich enge gesetzgeberische Schranken und strenge Handlungsanweisungen nicht annehmen. Vielmehr habe der Verfassungsgeber Einzelheiten dem Gesetzgeber über-

34

Richardi, Rechtsgutachten, S. 59 f.

35

Möglichkeiten, S. 15 ff.

36

Loritz, Möglichkeiten, S. 21 ff.

37

Loritz, Möglichkeiten, S. 23 ff.

lS

Loritz, Möglichkeiten, S. 36 ff.

A. Vorgaben des Art. 140 GG i. V.

ffi.

Art. 139 WRV

99

lassen. 39 Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV sei sowohl hinsichtlich der Feiertage als auch in bezug auf die Sonntagsruhe institutionelle Garantie mit Gesetzesvorbehalt, der dem Gesetzgeber die Einzelausgestaltung überlasse. 40 Die Gesetzesmerkmale ,,Arbeitsruhe" und "seelische Erhebung" meinten eine Zustandsbeschreibung im Sinne des Empfindens der Allgemeinheit. Dabei könne die allgemeine Ruhe zu einer individuellen Ruhe und seelischen Erhebung des einzelnen Bürgers führen und sich wiederum ohne Ruhe des einzelnen Bürgers nicht denken lassen. Allerdings sicherten die Verfassungsvorschriften nicht dem einzelnen die individuelle Ruhe. 41 Der Begriff ,,Arbeitsruhe", der zudem niemals als absolutes Verbot verstanden worden sei, sei unbestimmt und vielschichtig. 42 Hinzu komme, daß die Vorstellungen über die Gestaltung des Sonntages sehr vielfältig seien. 43 Zwar verlange die institutionelle Garantie die Sicherstellung des Sonntagsschutzes. Indes könne nur die völlige Freigabe jeglicher Arbeit an Sonntagen die praktische Existenz dieses Tages gefährden. Hinsichtlich der "seelischen Erhebung" könne der Staat ohnehin nur die äußeren Daten setzen, damit der einzelne die Möglichkeit zu seelischer Erhebung habe. 44 Der Gesetzgeber könne Sonntagsarbeit auch aus wirtschaftlichen Rentabilitäts- oder Zweckmäßigkeitserwägungen zulassen, um etwa auf diese Weise die Konkurrenzfähigkeit im internationalen Wettbewerb zu erhalten oder wiederherzustellen. Er müsse nur darauf achten, daß er Sonntagsarbeit nicht in einem derart weitgehenden Maß zulasse, daß er den Kern der institutionellen Garantie des Sonntages verletze. 45 Demgegenüber sei er nicht verpflichtet, durch eine gesetzliche Regelung Sonntagsarbeit generell zu verbieten. Er müsse nur das tatsächliche Bestehen der institutionellen Garantie sicherstellen.46 Insoweit sei von einem sehr weiten Gestaltungsspieiraum auszugehen, der Ermessen des Gesetzgebers und politische Handlungsfreiheit beinhalte. Eine Grenze sei erreicht, wo der Kernbereich angetastet werde. Dies sei erst der Fall, wenn Arbeit und Freizeitaktivitäten in einem solchen Ausmaß erlaubt würden, daß schon vom

39

Loritz, Möglichkeiten, S. 37 I 39.

40

Loritz, Möglichkeiten, S. 39.

41

Loritz, Möglichkeiten, S. 40.

~2 Loritz, Möglichkeiten, S. 42. 43

Loritz, Möglichkeiten, S. 43.

44

Loritz, Möglichkeiten, S. 48.

4S

Loritz, Möglichkeiten, S. 56.

46

Loritz, Möglichkeiten, S. 59.

100

§ 4 Verfassungsmäßigkeit der Bestimmungen über Sonntagsruhe

äußeren Erscheinungsbild her die grundlegende Unterscheidung zwischen Werktagen und Sonntagen aufgegeben werde. 47 Hinsichtlich des Verhältnisses von Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV zu Grundrechten führt Loritz aus: Genaugenommen seien es erst die zur Verwirklichung einer verfassungsrechtlichen Einrichtungsgarantie erlassenen Regelungen, die mit den Grundrechten der betroffenen Rechtssubjekte kollidierten. 48 Zu fragen sei insoweit, ob die institutionelle Garantie des Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV dazu führen könne, daß der Gesetzgeber ein Grundrecht der betroffenen Unternehmer über die verfassungsrechtlichen Schranken dieses Grundrechts hinaus, also mehr als die speziellen Schranken zuließen, einschränken könne. 49 Hinsichtlich der Berufsfreiheit der betroffenen Unternehmer meint Loritz: Ein genereller Vorrang des Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV scheide wegen des mit ihm verbundenen Gesetzesvorbehalts aus. Eine Kollision von Verfassungsnormen als solchen liege nur dort vor, wo zur Sicherung des Kernbereichs der institutionellen Sonntagsgarantie in die Berufsfreiheit eingegriffen werde. Insoweit habe der Gesetzgeber das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu beachten. Ansonsten, das heiße wenn er Regelungen treffe, die zur Sicherung des Kernbereichs der Sonntagsgarantie nicht erforderlich seien, sei er an die allgemeinen Grundrechtsschranken gebunden. 50 Das grundsätzliche Arbeitsverbot entspringe vernünftigen Erwägungen des Gemeinwohls im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, ja sogar einem Verfassungsauftrag. 51 Es sei auch geeignet und erforderlich, die Sonntagsruhe zu sichern. Im übrigen müsse der Gesetzgeber darauf achten, ob seine Regelung der Sonntagsarbeit berufsaufnahmeregelnden Charakter habe. Dann sei sie verfassungswidrig, wenn die Sonntagsarbeit den Kernbereich des Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV nicht verletze. Denn es fehle an der zwingenden Erforderlichkeit zur Sicherung eines überragend wichtigen Gemeinschaftsguts im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. 52 Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV ermächtige den Gesetzgeber nicht, ausnahmslos und ohne Rücksicht auf die Schranken des Art. 12 Abs. 1 GG ein Arbeitsverbot an Sonntagen durchzuset-

47

Loritz, Möglichkeiten, S. 53 I 61.

48

Loritz, Möglichkeiten, S. 63.

4. Loritz, Möglichkeiten, S. 66 f. 50

Loritz, Möglichkeiten, S. 77.

51

Loritz, Möglichkeiten, S. 84 f.

52

Loritz, Möglichkeiten, S. 85.

A. Vorgaben des Art. 140 GG i. V.

ffi.

Art. 139 WRV

101

zen, solange es nicht zum Schutz des Kernbereichs der institutionellen Garantie erforderlich sei. 53 Die Auffassung von Loritz führt im Ergebnis zu einer Aushöhlung des Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV, indern nur eine völlige Freigabe jeglicher Arbeit an Sonntagen die praktische Existenz dieses Tages gefährden können soll. Auch ein Zustand, der vor der völligen Freigabe von Sonntagsarbeit liegt, hat mit der in Art. 139 WRV angesprochenen ,,Arbeitsruhe" nicht mehr viel zu tun. Darüber hinaus widerspricht Loritz sich selbst. So führt er einerseits aus, die institutionelle Garantie verlange die Sicherstellung des Sonntagsschutzes, und ein grundsätzliches Sonntagsarbeitsverbot entspreche einern Verfassungsauftrag. Andererseits lehnt er aber eine Pflicht des Gesetzgebers ab, Sonntagsarbeit generell zu verbieten, und er meint, nur das tatsächliche Bestehen der institutionellen Garantie sei sicherzustellen. Welchen Sinn das rein tatsächliche Bestehen einer ausgehöhlten institutionellen Garantie haben soll, bleibt unklar. Hinsichtlich der Kollision von Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV mit Grundrechten geht bereits die Annahme von Loritz fehl, erst das einfache Gesetzesrecht kollidiere mit Grundrechten, nicht aber schon die institutionelle Garantie des Sonntages. Insoweit werden erneut Wortlaut und Bedeutung54 von Art. 139 WRV verkannt. Sein Ansatz, wonach der Gesetzgeber vordringlich die Grundrechtsschranken zu beachten hat, wenn er den Sonntagsschutz ausgestaltet, führt zu einer einseitigen Überbetonung der Grundrechte und einern vernachlässigten Schutz der institutionellen Garantie des Sonntages. Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV wird ein eigenständiger Stellenwert abgesprochen, indern Kollisionslagen einseitig zugunsten kollidierender Grundrechte gelöst werden. Aus allen diesen Gründen kann Loritz nicht gefolgt werden.

5. Die Ansicht Mattners

Mattner nimmt an, Art. 139 WRV stelle ein verfassungs gesetzlich vorgeschriebenes Gestaltungselement dar. 55 Unter Eingehen auf die Merkmale des Art. 139 WRV, "Arbeitsruhe" und "seelische Erhebung", schreibt er der Arbeitsruhe eine gesellschaftliche (Ruhe der Allgemeinheit) und eine individuelle

53

Loritz, Möglichkeiten, S. 86.

54

Diese ist sogleich unter III 1, ab S. 108 darzulegen.

55

Sonn- und Feiertagsrecht, S. 38.

102

§ 4 Verfassungsmäßigkeit der Bestimmungen über Sonntagsruhe

Komponente (Ruhe des einzelnen) ZU. 56 Zwar müßten in einer Industriegesellschaft Notarbeiten möglich sein, und den sich ändernden Anforderungen bestimmter gewerblicher Zweige sei Rechnung zu tragen. Fraglich sei aber, anhand welcher Kriterien die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Ausnahmen mit Blick auf die Anforderungen der Sonntagsruhe zu bestimmen sei. 57 Angesichts des Merkmals "Arbeitsruhe" seien nur unbedingt notwendige Arbeiten zulässig, die in ihrer Gesamtheit nicht dazu führten, daß die Mehrzahl der Bevölkerung an Sonntagen arbeite. Außerdem müsse zumindest die überwiegende Unterbrechung des Arbeitsrhythmus des einzelnen an Sonntagen (Sozialsynchronisation) gewährleistet sein. Durch das Kriterium der Notwendigkeit werde ein Abwägungsprozeß in Gang gesetzt, der den Schutz des einzelnen und der Allgemeinheit einerseits und die Erforderlichkeit der Sonntagsarbeit andererseits in eine Beziehung im Sinne des Verhältnismäßigkeitsprinzips setze. Aufgrunddessen sei ein Kernbereich der Sonntagsruhe unantastbar. Ansonsten seien Eingriffe nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beurteilen. Danach müsse die Sonntagsruhe zur Erreichung des Arbeitsziels geeignet, erforderlich und angemessen sein. Lasse sich die gewünschte Tätigkeit auf einen Werktag verschieben, so sei Sonntagsarbeit nicht erforderlich. Überwögen die Nachteile der Sonntagsarbeit gegenüber ihren Vorteilen, so sei sie nicht angemessen. Für ihre Angemessenheit müßten vernünftige Gründe des Gemeinwohls sprechen. 58 Darüber hinaus seien um so höhere Anforderungen an die Zulässigkeit von Sonntagsarbeit zu stellen, je intensiver sie die Ruhe des einzelnen und der Allgemeinheit beeinträchtige. 59 Ebenso wie die "Arbeitsruhe" weise auch das Merkmal "seelische Erhebung" die gesellschaftliche und die individuelle Komponente auf. 60 Sie ziele darauf ab, daß der Mensch innerlich zur Ruhe komme. Exogene Faktoren wie Arbeitsverbote könnten die äußere und innere Ruhe gewährleisten. Entsprechend dem Grundrecht der Glaubensfreiheit (Art. 4 GG) und wegen der aus der institutionellen Garantie folgenden Gestaltungspflicht müsse der Staat Erscheinungsformen im Dienste der Heilighaltung des Festtags unterstützen. Dies sei beispielsweise bei der Ermöglichung des Kirchgangs der Fall. 61

56

Mattner, Sonn- und Feiertagsrecht, S. 45.

57

Mattner, Sonn- und Feiertagsrecht, S. 46.

5.

Mattner, Sonn- und Feiertagsrecht, S. 47.

5.

Mattner, Sonn- und Feiertagsrecht, S. 48.

60

Mattner, Sonn- und Feiertagsrecht, S. 52.

61

Mattner, Sonn- und Feiertagsrecht, S. 53.

A. Vorgaben des Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV

103

Hinsichtlich des Verhältnisses von Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV zu Grundrechten führt Mattner aus: Es bestünden Konkurrenzen zwischen diesen Vorschriften und den Grundrechten aus Art. 2 Abs. 2 S. 1, 1. Fall GG (Recht auf körperliche Unversehrtheit) und Art. 6 Abs. 1 GG (Schutz der Familie). Die zur Erreichung des Ruheziels notwendigen Voraussetzungen seien aber in Art. 139 WRV festgelegt ("bestimmte Tage", "Arbeitsruhe", "seelische Erhebung"). Diese Vorschrift sei daher spezieller. 62 Darüber hinaus gebe es Kollisionslagen mit Grundrechten. Diese beträfen die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG)63, die Presse- und Informationsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG)64, die Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG)6S, die Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG)66, die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG)67 und die Eigentumsfreiheit (Art. 14 Abs. 1 GG).68 Sachgerechte Ergebnisse ließen sich grundsätzlich durch ausgleichende, abwägende Lösungen erzielen. 69 Wolle man Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 139 WRV versöhnlich in Einklang bringen, zwinge Art. 139 WRV den Gewerbetreibenden, im Rahmen seiner Möglichkeiten die Fertigungsart zu wählen, die Sonntagsarbeit vermeidet oder vermindert. 70 Mattners Ansatz, von den Merkmalen ,,Arbeitsruhe" und "seelische Erhebung" in Art. 139 WRV auszugehen, ist begrüßenswert. Unklar bleibt allerdings, warum wegen des Merkmals ,,Arbeitsruhe" ausschließlich unbedingt notwendige Arbeiten zulässig sein sollen. Infolgedessen bleibt auch der Grund für den daraus gefolgerten Abwägungsprozeß im Dunkeln. Demgegenüber ist Mattners Ansatz der Aufteilung der institutionellen Garantie in einen Kernbereich und eine Schale zutreffend, weil sie dem Bedeutungsgehalt einer institutionellen Garantie entspricht. Allerdings schlägt das Pendel einseitig zugunsten des Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV aus, wenn Mattner das Verhältnismäßigkeitsprinzip nur bezüglich Eingriffen in die Sonntagsruhe anwendet.

62

Mattner, Sonn- und Feiertagsrecht, S. 57 f.

Mattner, Sonn- und Feiertagsrecht, S. 59 ff.; auf S. 63 hält Mattner, Sonn- und Feiertagsrecht fest, das Recht auf individuelle Freizeitgestaltung könne zum Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit gezählt werden. 63

64

Mattner, Sonn- und Feiertagsrecht, S. 65 f.

65

Mattner, Sonn- und Feiertagsrecht, S. 69 f.

66

Mattner, Sonn- und Feiertagsrecht, S. 70 f.

67

Mattner, Sonn- und Feiertagsrecht, S. 71 f.

68

Mattner, Sonn- und Feiertagsrecht, S. 72 f.

69

Mattner, Sonn- und Feiertagsrecht, S. 64 f. I 71 173 I 75.

70

Mattner, Sonn- und Feiertagsrecht, S. 72.

104

§ 4 Verfassungsmäßigkeit der Bestimmungen über Sonntagsruhe

Zuzustimmen ist im Ansatz auch der Überlegung, daß abwägende Lösungen zu sachgerechten Ergebnissen führten. Nur ist nach Mattners Ansicht der Gesetzgeber selbst dazu berufen, diese Lösungen herbeizuführen. Denn er betont, Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV stelle ein verbindliches Gestaltungselement für den Gesetzgeber dar. 7J Daraus würde dann aber folgen, daß die Abwägung des Gesetzgebers grundsätzlich bindet. Insoweit erscheint schließlich auch fragwürdig, von vornherein eine Pflicht des Unternehmers zum Vermeiden von Sonntagsarbeit anzunehmen. Dies müßte nach Auffassung Mattners eine Frage der gesetzgeberischen Entscheidung sein. Trotz vieler begrüßenswerter Ansätze kann Mattner daher nicht in allen Einzelheiten gefolgt werden.

6. Zwischenergebnis Keine der bisher in der Literatur vertretenen Auffassungen vermag völlig zu überzeugen. Während teilweise bereits die Ansätze fehlgehen, wird vielfach nicht genau unter die Merkmale des Art. 139 WRV subsumiert oder dessen Wortlaut verkannt. Zudem treten mehrfach Widersprüche innerhalb ein und derselben Meinung auf. Nach Teilen der Literatur käme es zu einem einseitigen Übergewicht von Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV gegenüber den Grundrechten, nach anderen Vertretern der Literatur überwögen die Grundrechte einseitig den Sonntagsschutz.

ß. Die Ansicht der Rechtsprechung

1. Die Ansicht des Bundesverfassungsgerichts Das Bundesverfassungsgericht hat sich, soweit ersichtlich, nicht unmittelbar zum Inhalt des Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV geäußert, sondern nur im Zusammenhang mit Entscheidungen über die Vereinbarkeit gesetzlicher Bestimmungen mit Grundrechten. So hat das Gericht § 6 Abs. 1 BAZG, wonach ein grundsätzliches Sonntagsbackverbot besteht, für verfassungsgemäß erklärt.72 Beschränkt werde die grundrechtliche Freiheit der Berufsausübung. Der Eingriff sei mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar. Ziel der Regelung sei der Schutz der Ar-

11

Mattner, Sonn- und Feiertagsrecht, S. 38 I 49 I 75.

72

BVerfG vom 17.11.1992, NVwZ 1993, 878, 881.

A. Vorgaben des Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV

105

beitsruhe an Sonn- und Feiertagen. Hierzu sei der Gesetzgeber nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV verpflichtet. Mit Rücksicht auf diesen Schutzauftrag gelte Arbeit an Sonn- und Feiertagen ganz allgemein als Ausnahme. § 6 Abs. 1 BAZG genüge auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.73 An anderer Stelle hat das Gericht betont, das Verbot des Betreibens einer Videothek an Sonntagen stelle eine Regelung der Berufsausübung dar, für die Gründe des Gemeinwohls sprächen und die auch verhältnismäßig sei. Daher liege ein Verfassungsverstoß durch das Verbot nicht vor. 74 Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist für die Bestimmung des Inhalts des Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV unergiebig. Indem das Gericht im übrigen allein von einem Eingriff in Grundrechte durch ein Tätigkeitsverbot an Sonntagen ausgeht und die Grundrechtsschranken zur Lösung heranzieht, betont es den Grundrechtsschutz sehr und läßt Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV in den Hintergrund treten. Ihm kann daher nicht gefolgt werden.

2. Die Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner grundlegenden Entscheidung vom 15. März 1988 75 ausgeführt: Schutzgut des Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV sei die Institution des Sonntages als Tag der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung. Sie werde als ein Grundelement sozialen Zusammenlebens und staatlicher Ordnung verfassungskräftig gewährleistet und dem gesetzlichen Schutz überantwortet. Der besondere gesetzliche Schutz des Sonntages solle gewährleisten, daß die durch die Verfassung festgelegte besondere Zweckbestimmung der Sonn- und Feiertage durch gesetzliche Vorschriften hinreichend gesichert werde. Der Schutz des Sonntages sei durch den hierzu jeweils berufenen Gesetzgeber im Rahmen seiner Gesetzgebungskompetenz zu bewirken. 76 Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV enthalte Normativbestimmungen für die Gesetzgebung von Bund und Ländern. Erst diese setze die für den Bürger unmittelbar verbindlichen Gebote, Verbote, Freiräume, Ausnahmen oder Gestattun-

73

BVerfG vom 17.11.1992, NVwZ 1993, 878, 881.

74

BVerfG vom 24.11.1986, GewArch 1988, 188.

75

BVerwGE 79, 118 ff.

BVerwG vom 15.3.1988, BVerwGE 79, 118, 122. Vgl. auch BVerwG vom 19.4.1988, BVerwGE 79, 236, 238 und vom 7.9.1981, NJW 1982, 899. 76

106

§ 4 Verfassungsmäßigkeit der Bestimmungen über Sonntagsruhe

gen. 77 Der Gesichtspunkt des Sonntagsschutzes sei kein absolut zu setzender Maßstab, dem sich alle anderen für die Regelung des jeweiligen Lebensbereichs bedeutsamen Gesichtspunkte schlechthin unterzuordnen hätten. Vielmehr stelle er sich als ein verfassungsgesetzlich vorgeschriebenes Regelungselement dar, das der Gesetzgeber im Rahmen der ihm zukommenden Gesetzgebungsmacht mit den anderen für den zu regelnden Lebensbereich bedeutsamen Regelungselementen zum Ausgleich bringen und damit im Gesamtzusammenhang der gesetzlichen Ordnung durch eine eigenständige gesetzgeberische Entscheidung konkretisieren müsse. Art, Umfang, Intensität und inhaltliche Ausgestaltung des gesetzlichen Sonntagsschutzes seien damit der spezifischen Regelungsmacht des Gesetzgebers überantwortet und unterlägen seinem gesetzgeberischen Ermessen. Dieses finde seine Grenzen darin, daß einerseits die durch das Grundgesetz festgelegte besondere Zweckbestimmung des Sonntages hinreichend gewährleistet sein müsse. Andererseits dürften die zum Schutz des Sonntages getroffenen Regelungen nicht unverhältnismäßig sein.78 In einer späteren Entscheidung hat das Bundesverwaltungsgericht den Schutz des Sonntages als Institution dahin gehend näher beschrieben, daß Sonn- und Werktage nicht durch die weitgehende Einbeziehung des Sonntages in den werktäglichen Produktionsprozeß nivelliert werden dürften. 79 Die verfassungsgesetzliche Zweckbestimmung des Sonntages als Tag der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung könne nur verwirklicht werden, wenn die werktäglichen Bindungen und Zwänge entfielen und dem einzelnen dadurch ermöglicht werde, im sozialen Zusammenleben den Sonntag nach den individuellen Bedürfnissen ungehindert von den werktäglichen Verpflichtungen und Beanspruchungen zu begehen. Bo Der Sonntags schutz erfülle den verfassungsrechtlichen Zweck nur, wenn an diesem Tag die werktägliche Geschäftigkeit ruhe, sofern sie nicht gerade der Befriedigung sonntäglicher (nichtwerktäglicher) Bedürfnisse diene oder in Wahrnehmung gesetzgeberischer Regelungsmacht durch Gesetz oder aufgrund Gesetzes in verfassungsmäßiger Weise, ins-

77

BVerwG vom 15.3.1988, BVerwGE 79, 118, 122.

BVerwGvom 15.3.1988, BVerwGE 79, 118, 123. Vgl. auch BVerwG vom 14.11.1989, BVerwGE 84 ff. und vom 29.5.1990, NVwZ-RR 1990, 554, 556. 18

1~

BVerwG vom 29.5.1990, NVwZ-RR 1990, 554, 556.

BVerwG vom 15.3.1988, BVerwGE 79, 118, 124. Vgl. auch BVerwG vom 19.4.1988, BVerwGE 79, 236, 239. 80

A. Vorgaben des Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV

107

besondere in Einklang mit Art. 139 WRV, besonders zugelassen sei. 81 Der verfassungsrechtlich gewährleistete Schutz des Sonntages begrenze den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Umfang beruflicher Betätigung auf das mit der Zweckbestimmung des Sonntages noch vereinbare Maß. 82 Das Bundesverwaltungsgericht bestimmt den Inhalt des Art. 139 WRV nicht genau anhand seiner Tatbestandsmerkmale. Es beschäftigt sich auch nicht näher mit den Eigenschaften einer institutionellen Garantie. Zutreffend ist hingegen der Ansatz, den Schutz des Sonntages und andere für den jeweiligen Lebensbereich bedeutsame Regelungselemente ausgleichen zu wollen. Die Grenzen, die das Gericht dem gesetzgeberischen Ermessen zieht, erscheinen allerdings vage, weil es den Mindestschutz der Institution "Sonntag" offen läßt und statt dessen auf die unstatthafte Nivellierung von Sonn- und Werktagen durch die weitgehende Einbeziehung des Sonntages in den werktäglichen Produktionsprozeß abstellt. Zu widersprechen ist schließlich dem Ansatz des Gerichts, der verfassungsgesetzlich gewährleistete Schutz des Sonntages begrenze den Umfang des Grundrechts der Berufsfreiheit auf das mit der Zweckbestimmung des Sonntages noch vereinbare Maß. Auf diese Weise kann es leicht zu einem Übergewicht des Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV kommen, weil die Grundrechtsschranken konsequenterweise nicht zum Zuge kommen. Dem Bundesverwaltungsgericht kann daher nicht vollkommen gefolgt werden.

3. Die Ansicht des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein- Westfalen Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen hat betont, der Schutz der Arbeitsruhe an Sonntagen sei wegen Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV verfassungsrechtlich geboten und rechtfertige auch die Einschränkung grundrechtlicher Freiheiten. Dadurch, daß Art. 139 WRV den Sonntag als Tag der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung schütze, obliege dem Staat die Aufgabe, die unmittelbar durch die Verfassung festgelegte Zweckbestimmung

81 BVerwG vom 15.3.1988, BVerwGE 79, 118, 126 in bezug auf § 4 Abs. 1, 2. Fall Niedersächsisches Feiertagsgesetz, wonach an Sonn- und Feiertagen öffentlich bemerkbare Handlungen, die dem Wesen der Sonn- und Feiertage widersprechen, verboten sind. Vgl. auch BVerwG vom 19.4.1988, BVerwGE 79,236,241. 82 BVerwG vom 15.3.1988, BVerwGE 79, 118, 129. Vgl. auch BVerwG vom 19.4.1988, BVerwGE 79,236,243, auch in bezug auf Art. 14 Abs. 1 GG.

108

§ 4 Verfassungsmäßigkeit der Bestimmungen über Sonntagsruhe

dieses Tages durch Gesetze und deren Vollzug hinreichend zu sichem. 83 An anderer Stelle hat das Gericht ausgeführt, das Gewähren von Ruhezeiten an anderen Tagen stelle wegen Fehlens der typischen Atmosphäre des Sonntages einen unzureichenden Ersatz dar. 84 Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen läßt offen, wie weit die Einschränkung grundrechtlicher Freiheiten gehen darf und wie weit der Schutz des Sonntages gehen muß. Daher reicht diese Rechtsprechung nicht aus, um den Inhalt des Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV genau zu bestimmen.

4. Zwischenergebnis Auch die Rechtsprechung vennag eine überzeugende Lösung zum Ausfüllen des Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV und zum Ausgleich etwaiger Kollisionen von Verfassungsbestimmungen nicht zu geben. Trotz teilweise beachtenswerter Ansätze kann der genannten Rechtsprechung daher nicht gefolgt werden.

UI. Die eigene Konzeption

Zu bestimmen ist, welche Vorgaben Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV einer gesetzlichen Regelung macht und wie sich die genannten Vorschriften zu Grundrechten verhalten.

1. Vorgaben des Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV für eine gesetzliche Regelung Für die Frage, welche Vorgaben Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV für eine gesetzliche Regelung zu entnehmen sind, ist zunächst festzuhalten, daß diese Vorschriften nach unbestrittener Auffassung jedenfalls einen Gesetzgebungsauftrag enthalten. 85 Dies ergibt sich aus dem Wortlaut von Art. 139 WRV, "bleiben ... gesetzlich geschützt", und bedeutet, daß der kompetenziell zuständige Gesetzgeber zum Erlaß von Regelungen verpflichtet ist, die dem sogleich dar-

83

OVG NW vom 9.5.1984, NJW 1985,449.

8. OVG NW vom 5.7.1985, NZA 1986,478,479. 85

Siehe bereits oben S. 32 mit entsprechenden Nachweisen.

A. Vorgaben des Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV

109

zulegenden Gehalt von Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV hinreichend Rechnung tragen.

a) Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV als institutionelle Garantie Hinsichtlich der Bestimmung des näheren Inhalts von Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV ist auszugehen vom Charakter dieser Vorschriften, die nach einhelliger Auffassung eine institutionelle Garantie enthalten. 86 Daher kommt es darauf an, welche Bedeutung eine institutionelle Garantie im System des Grundgesetzes besitzt. 81 Institutionelle Garantien verbürgen nach herkömmlicher Auffassung eine Einrichtung als Element der objektiven Ordnung einer Gemeinschaft. 88 Der Gesetzgeber darf die garantierte Einrichtung zwar rechtlich formen, sie aber weder abschaffen noch ihre typus bestimmenden Gehalte aushöhlen. 89 Zentrales Problem ist dabei die Abgrenzung zwischen unantastbarem Kernbereich und der Schale der institutionellen Garantie, die der gesetzlichen Ausgestaltung zugänglich ist. 90 Dieser Kernbereich ist qualitativ zu bestimmen nach dem Essentiale der Einrichtung. Herauszuarbeiten sind die struktur- und typus bestimmenden Bestandteile, die der Einrichtung das spezifische Gepräge geben. 91 Das charakteristische Erscheinungsbild der Institution ist durch ganzheitliche Betrachtung der geschichtlichen Komponente und der Gegenwart sowie der Zukunftsperspektive zu ermitteln.92 Dieser Ansatz entspricht dem Vorgehen des Bundesverfassungsgerichts. Dieses hat in seiner umfassenden Rechtsprechung zur institutionellen Garantie der kommunalen Selbstverwaltung immer wieder auf den Schutz des Kernbereichs

86

Siehe oben S. 32 mit entsprechenden Nachweisen.

Vgl. zur geschichtlichen Entwicklung der institutionellen Garantie und den verschiedenen inhaltlichen Ansätzen ausführlich Stern, III /1, S. 754 ff., im Zusammenhang mit objektiven Grundrechtsgehalten ausgeführt. 81

88 Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, GG, Art. 1 Abs. III-97. Maunz / Zippelius, Staatsrecht, S. 134, gerade auch zu Art. 140 GG, 139 WRV. 8.

Stern, I, 409; ders., III / I, S. 855 in bezug auf Grundrechtsgehalte, allerdings verallgemeiner-

bar. 90

Stern, III / I, S. 868 in bezug auf Grundrechtsgehalte, allerdings verallgemeinerbar.

Stern, III / I, S. 869 in bezug auf Grundrechtsgehalte, allerdings verallgemeinerbar; ders., I, S. 416 im Zusammenhang mit der gemeindlichen Selbstverwaltung. •1

•2

Stern, III / I, S. 870 in bezug auf Grundrechtsgehalte, allerdings verallgemeinerbar.

110

§ 4 Verfassungs mäßigkeit der Bestimmungen über Sonntagsruhe

abgestellt: Art. 28 Abs. 2 GG gewährleiste das Selbstverwaltungsrecht in dem Sinne, daß Einschränkungen durch den zuständigen Gesetzgeber den Kernbereich des Selbstverwaltungsrechts unangetastet lassen müßten. 93 Der Gesetzgeber dürfe das Selbstverwaltungsrecht nicht derartig einschränken, daß es innerlich ausgehöhlt werde. 94 Bei der Bestimmung dessen, was zum Kernbereich gehöre, sei der geschichtlichen Entwicklung und den verschiedenen historischen Erscheinungsformen der Selbstverwaltung Rechnung zu tragen. 95

b) Kernbereichsbestimmung ausgehend vorn Wortlaut Fraglich ist daher die Bestimmung des Kernbereichs des Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV. Art. 140 GG erklärt unter anderem Art. 139 WRV zum - vollwertigen _96 Bestandteil des Grundgesetzes. Art. 139 WRV lautet: "Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt." Ausgehend von diesem Wortlaut ist der Kernbereich zu ermitteln. Die Begriffe "Arbeitsruhe" und "seelische Erhebung" stellen nämlich die struktur- und typusbestimmenden Bestandteile der Einrichtung des Sonntages dar. Weil die Tatbestandsmerkmale "Arbeitsruhe" und "seelische Erhebung" dem Sonntag nach Art. 139 WRV das spezifische Gepräge geben, kommt der Bestimmung ihres Inhalts besondere Bedeutung zu. "Arbeitsruhe" meint die Freiheit von Arbeit. Erfaßt werden das Ausruhen des einzelnen und auch der Allgemeinheit von der Arbeit. 97 Indern für den wesentlichen Teil der Gesellschaft, insbesondere denjenigen der Arbeitnehmer, Arbeitsruhe stattfindet, wird dem Lebensrhythmus des einzelnen ein den Zeitraum von sieben Tagen umfassender Rahmen vorgeben und darüber hinaus eine So-

93 Ständige Rechtsprechung: BVerfG vom 20.3.1952. BVerfGE I, 167, 175; vom 27.4.1959, BVerfGE 9,268,289 f.; vom 26.11.1963, BVerfGE 17, 172, 182; vom 24.6.1969, BVerfGE 26, 228,238; vom 24.7.1979, BVerfGE 52, 95, 116 f.; vom 7.10.1980, BVerfGE 56, 298,312.

94

BVerfG vom 20.3.1952, BVerfGE I, 167, 175; vom 24.7.1979, BVerfGE 52, 95,117.

Ständige Rechtsprechung: BVerfG vom 26.11.1963, BVerfGE 17, 172, 182; vom 18.7.1967, BVerfGE 22, 180,205; vom 21.5.1968, BVerfGE 23, 353,366; vom 24.6.1969, BVerfGE 26,228, 238; vom 12.1.1982, BVerfGE 59, 216, 226. 95

96

Statt aller BVerfG vom 14.12.1965; BVerfGE 19, 206, 219.

Zmarzlik, AR-Blattei D Arbeitszeit VI A unter IV; Däubler, DB Beilage 7 11988, S. 5; vgl. auch OVG NW vom 5.7.1985, NZA 1986, 478,479. 97

A. Vorgaben des Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV

111

zialsynchronisation bewirkt.98 Auf diese Weise entsteht eine allgemeine äußere Atmosphäre der Arbeitsruhe. Der Arbeitsruhe wohnt damit neben dem individuellen Bestandteil "Ruhe des einzelnen" das gesellschaftliche Moment "Ruhe der Allgemeinheit" inne. 99 Die "seelische Erhebung" drückt das religiöse Element des Art. 139 WRV aus. IOO Dies folgt bereits aus der Stellung des Art. 139 WRV innerhalb des Abschnitts "Religion und Religionsgesellschaften".101 Nach dem Wortsinn zielt "seelische Erhebung" auf das Innere des Menschen ab: Man soll innerlich zur Ruhe, zu sich selbst kommen können und nicht zum Objekt wirtschaftlicher Zwänge werden. 102 Auch hier wird ein äußerer Rahmen für die Ruhe des Individuums und für diejenige der Gesellschaft insgesamt angestrebt. 103 Dabei sind die genannten Tatbestandsmerkmale trotz ihrer getrennten Satzstellung insofern aufeinander bezogen, als dem einzelnen innerliche Ruhe erst dann gelingen kann, wenn er arbeitsfrei hat. Nach dem bisher Gesagten läßt sich das Essentiale der institutionellen Sonntagsgarantie mittels ihres Zwecks zusammengefaßt so beschreiben: Am Sonntag hat für den wesentlichen Teil der Bevölkerung Freiheit von Arbeit zu herrschen. Dadurch, daß der Großteil der Arbeitnehmer gleichzeitig arbeitsfrei hat, ergibt sich ein gesamtgesellschaftlicher Rhythmus. Darüber hinaus sollen der einzelne und auch die Gesellschaft als solche nach den äußeren Gegebenheiten die Möglichkeit haben, innerlich zur Ruhe zu kommen. Letztlich wird damit die Atmosphäre hektischer Alltagsgeschäftigkeit aufgehoben. Dies ist ein sozialpolitischer Zweck des Art. 139 WRV. 104 Zieht man gemäß der eben genannten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 28 Abs. 2 GG zusätzlich die geschichtliche Entwicklung und die verschiedenen historischen Erscheinungsformen des Sonntages heran, so

98 Mattner, Sonn- und Feiertagsrecht, S. 45; vgl. auch v. Mangoldt / Klein / v. Campenhausen, GG, Art. 140 GG, 139 WRV-12; Däubler, DB Beilage 7 /1988, S. 5. 99 100

Loritz, Möglichkeiten S. 40; Mattner, Sonn- und Feiertagsrecht, S. 45. Mattner, Sonn- und Feiertagsrecht, S. 50 f., auch mit Hinweisen zur Entstehungsgeschichte.

Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, GG, Art. 140 GG, 139 WRV-2; vgl. auch Mattner, Sonnund Feiertagsrecht, S. 51 rn. H. auf die Gesetzgebungsgeschichte. 101

102 BayObLG vorn 31.1.1985, NJW 1985, 3091; Mattner, Sonn- und Feiertagsrecht, S.53; v. Mangoldt / Klein / v. Campenhausen, GG, Art. 140 GG, 139 WRV-I0.

103

Loritz, Möglichkeiten S. 40; Mattner, Sonn- und Feiertagsrecht, S. 52.

104

Vgl. Mayen, DÖV 1988,409,412.

112

§ 4 Verfassungsmäßigkeit der Bestimmungen über Sonntagsruhe

ergibt sich folgendes Bild: Seit mehr als einem JahrhundertlOS besteht ein grundsätzliches Beschäftigungsverbot für weite Teile der Arbeitnehmerschaft an Sonntagen. Nachdem dieses Verbot einfachgesetzlich ausgesprochen worden war, hat die Weimarer Reichsverfassung mit Art. 139 den grundsätzlichen Schutz des Sonntages in die Verfassung aufgenommen, indem sie den vorgefundenen Sonntagsschutz zum Ausgang ihrer Verfassungsbestimmung gemacht hat. Die ganze Zeit über ist die Beschäftigungsmöglichkeit an Sonntagen die Ausnahme geblieben. Dies gilt selbst für die bis Mitte 1994 geltende Gewerbeordnung, die in § 105 b ein grundsätzliches Sonntagsarbeitsverbot und in den Folgebestimmungen mehr oder weniger weitreichende Ausnahmen hiervon vorsah. Ähnliches trifft auf die "seelische Erhebung" zu. Zwar läßt sich die Säkularisierung der Gesellschaft in den letzten einhundert Jahren nicht bezweifeln. Allerdings dient auch heute noch der Sonntag Teilen der Bevölkerung dazu, ihren religiösen Bedürfnissen nachzugehen. Daher verändert die Säkularisierung den beschriebenen qualitativen Gehalt der seelischen Erhebung nicht. 106 Die qualitative Bestimmung des unantastbaren Kembereichs des Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV führt daher zu folgendem Ergebnis: Umfaßt wird einerseits die Freiheit von Arbeit für den wesentlichen Teil der Bevölkerung, andererseits die nach den äußeren Gegebenheiten bestehende Möglichkeit für den Großteil der Bevölkerung, innerlich zur Ruhe zu kommen. Auch nach der geschichtlichen Entwicklung des Sonntages in den letzten einhundert Jahren entspricht diesem Kembereich ein grundsätzliches Sonntagsarbeitsverbot. Der Kembereich der institutionellen Sonntagsgarantie ist danach in dem Moment angetastet, wo gesetzliche Regelungen die Arbeitsfreiheit für den wesentlichen Teil der arbeitnehmenden Bevölkerung oder die für ihn gegebene äußere Möglichkeit zur inneren Sammlung abschaffen beziehungsweise aushöhlen.

c) Bedeutung der Schale der institutionellen Sonntagsgarantie Daraus ergibt sich zugleich, daß Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV eine vergleichsweise große Schale aufweist. Dies bedeutet, daß der Gesetzgeber einen nicht unerheblichen Raum für die zulässige gesetzliche Ausgestaltung besitzt. Dieser Umstand ist letztlich bereits im Wortlaut des Art. 139 WRV

105 Siehe zum ,,Arbeiterschutzgesetz" vom 1.6.1891, das 1895 durch kaiserliche Verordnung mit Zustimmung des Bundesrats in Kraft trat, oben S. 29. 106

So auch Matmer, Sonn- und Feiertagsrecht, S. 55 f.

A. Vorgaben des Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV

113

angelegt, wonach der Sonntag gesetzlich geschützt bleibt. Das ergibt sich aber auch aus dem Gehalt der institutionellen Garantie, die nicht einen bestimmten historischen Bestand unveränderbar festschreiben will, sondern entwicklungsoffen iSt. 107 Auf diese Weise kann unter anderem den sich ändernden technischen Entwicklungen Rechnung getragen werden. Mithin kann der Gesetzgeber Ausnahmen vom grundsätzlichen Sonrttagsarbeitsverbot in nicht geringem Umfang bestimmen, ohne den Kern der Institution des Sonntages anzutasten.

d) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Weil aber der aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung gemäß Art. 20 Abs. 3 GG den Gesetzgeber bei jeder Tätigkeit bindeeo8 , müssen die gesetzlichen Regelungen in bezug auf den Sonntag diesem Grundsatz entsprechen. 109 Das gilt zum einen für Vorschriften zum Schutz des Sonntages und bedeutet, daß die vom Gesetzgeber getroffene Regelung zum Erreichen des Sonntagsschutzes geeignet, erforderlich und angemessen sein muß. Zum anderen müssen Vorschriften, die den Grundsatz der Sonntagsruhe durchbrechen, ein verfassungsrechtlich unbedenkliches Ziel verfolgen sowie hierzu geeignet, erforderlich und angemessen seinYo Damit nun der eben beschriebene Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der gesetzlichen Ausgestaltung des Sonntagsschutzes nicht ohne Not eingeschränkt wird, ist ihm ein Beurteilungsspielraum zuzubilligen, der sich auf die Eignung und Erforderlichkeit seiner Regelung bezieht. 111

107 Argument aus der Rechtsprechung des BVerfG, wonach beim Bestimmen des Kembereichs der institutionellen Garantie von Art. 28 Abs. 2 GG der geschichtlichen Entwicklung und den verschiedenen historischen Erscheinungsformen der Selbstverwaltung Rechnung zu tragen ist; vgl. BVerfG vom 26.11.1963, BVerfGE 17, 172, 182; vom 24.6.1969, BVerfGE 26, 228, 238; vom 12.1.1982, BVerfGE 59, 216, 226. Vgl. insoweit auch Stern, 111 11, S. 870. 108 Zum Verhältnismäßigkeitsprinzip statt aller BVerfG vom 5.3.1968, BVerfGE 23, 127, 133 m.w.N.

109 Siehe zu Abweichungen von diesem Grundsatz aus dem Gesichtspunkt der Grundrechtskollision heraus sogleich unter 2 b, ab S. 115. 110 So auch Mattner, Sonn- und Feiertagsrecht, S. 47 in bezug auf die Feiertagsgarantie des Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV in Anlehnung an die Selbstverwaltungsgarantien des GG.

111 Vgl. zum Prognosespielraum des Gesetzgebers BVerfG vom 16.3.1971, BVerfGE 30, 292, 317, wonach bei gesetzlichen Eingriffen in das Wirtschaftsleben vordringlich Sache des Gesetzgebers ist, auf der Grundlage seiner wirtschaftspolitischen Vorstellungen und Ziele und unter Beachtung der Sachgesetzlichkeiten des betreffenden Gebiets zu entscheiden, welche Maßnahme er ergreifen will.

8 Schnieders

114

§ 4 Verfassungsmäßigkeit der Bestimmungen über Sonntagsruhe

Weil der Gesetzgeber aber beim Erlaß von Vorschriften sowohl zugunsten der Sonntagsruhe als auch bei ihrer Durchbrechung gestaltend auf dem Gebiet der Wirtschaft tätig wird, bezieht sich sein Beurteilungsspielraum auf beide Bereiche. Diesen Spielraum überschreitet er erst, wenn seine Erwägungen so offensichtlich fehlsam sind, daß sie vernünftigerweise keine Grundlage für gesetzgeberische Maßnahmen abgeben können. 112 Mit diesem Ergebnis geht eine reduzierte gerichtliche Kontrolle der gesetzgeberischen Entscheidung einher, die sich damit als nur beschränkt nachprüfbar erweist.

2. Verhältnis des Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV zU Grundrechten Damit ist noch das Verhältnis des Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV zu Grundrechten zu bestimmen. Insofern fragt sich, ob die genannten Vorschriften überhaupt mit Grundrechten zusammenstoßen können und wie gegebenenfalls eine etwaige Kollision zu lösen ist.

a) Bestimmung von Kollisionslagen Nach den bisherigen Feststellungen ll3 enthält Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV einen unantastbaren Kernbereich an Sonntagsgarantie, dem ein grundsätzliches Arbeitsverbot entspricht. Es leuchtet ohne weiteres ein, daß ein grundsätzliches Arbeitsverbot nicht nur die Freiheit des einzelnen betrifft, auch an Sonntagen seinem Beruf nachzugehen, sondern auch die Tätigkeit von Presse und Rundfunk. Genausogut kann die allgemeine Handlungsfreiheit des einzelnen berührt sein, der Dienstleistungen in Anspruch nehmen möchte, dies aber mangels Sonntagsbeschäftigten nicht kann. Ein Zusammenstoß des Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV mit den Grundrechten aus Art. 12 Abs. 1 GG, 5 Abs. 1 Satz 2 GG und Art. 2 Abs. 1 GG liegt insofern auf der Hand. Eine Kollision mit Grundrechten könnte aber auch dann vorliegen, wenn die Schale der institutionellen Sonntagsgarantie betroffen ist, die der Ausgestaltung durch den Gesetzgeber zugänglich ist. Bei formaler Betrachtung stößt insoweit

112 Vgl. BVerfG vom 16.3.1971, BVerfGE 30, 292, 317 im Zusammenhang mit Art. 12 Abs. 1 GG sowie Benda, Probleme, S. 61 im Zusammenhang mit Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV.

113

Siehe oben ab S. 109.

A. Vorgaben des Art. 140 GG i. V.

ffi.

Art. 139 WRV

115

zwar erst die einfachgesetzliche Regelung etwa mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit zusammen. 1I4 Allerdings wird bei einer solchen Betrachtungsweise übersehen, daß der Gesetzgeber zum Ausgestalten der institutionellen Garantie des Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV tätig wird. Der mögliche Konflikt wurzelt daher in Art. 139 WRV. Dieser Umstand führt dazu, eine Kollision der institutionellen Sonntagsgarantie mit etwaigen Grundrechten auch in diesem Fall anzunehmen.

b) Lösung der Kollisionslagen Dann bleibt aber die Frage, wie diese Kollision zu lösen ist. Ein kurzer Exkurs möge vorab die Problematik verdeutlichen. Bei der Gestaltung des Sonntages treffen die verschiedenartigsten Interessen aufeinander: Dem Anliegen der Kirchen, den Sonntag entsprechend seines religiösen Inhalts zu begehen, steht das Interesse der Wirtschaft gegenüber, die Produktionsausfälle möglichst gering zu halten. Darüber hinaus spielen die Grundversorgung der Bevölkerung, Verkehrsprobleme etc. eine Rolle. Diese Gemengelage wird zusätzlich dadurch verworren, daß die Berufsfreiheit des Unternehmers aus Art. 12 Abs. 1 GG auf diejenige des Arbeitnehmers stoßen kann. Dies ist etwa der Fall, wenn der Unternehmer die öffentlich-rechtliche Möglichkeit zur Sonntagsarbeit haben möchte, der Arbeitnehmer aber nicht. Nach der Kritik an den bisher angebotenen Wegen steht hinsichtlich der Lösung etwaiger Kollisionslagen bislang zweierlei fest. Es darf weder zu einem einseitigen Ausschlagen des Pendels zugunsten der Grundrechte noch zugunsten des Sonntagsschutzes kommen. m Damit ist aber zugleich die Richtung einer Lösung vorgeben: Sie besteht in einer Abwägung zwischen Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV und den betroffenen Grundrechten. 1I6 Dieser Gedanke beruht auf der Überlegung, daß zum Herstellen eines Ordnungszusammenhangs in bezug auf den Sonntag einerseits seine Eigenschaft als Tag der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung, andererseits grundrechtliche Freiheiten zu berücksichtigen sind. Aufgabe ist es dann, zwischen Sonntagsschutz und betroffenen Grundrechten einen gegenseitigen Einklang herzustellen. Dieses Vorgehen ent-

114

Eine solche Betrachtung findet sich bei Loritz, Möglichkeiten, S. 63.

115

Siehe oben S. 104.

Dies entspricht im Ansatz dem, was Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 317 f., mit "praktischer Konkordanz" bezeichnet. 116

116

§ 4 Verfassungsmäßigkeit der Bestimmungen über Sonntagsruhe

spricht dem vornehmsten Interpretationsprinzip des Grundgesetzes, der Einheit der Verfassung, und dem Gebot, die Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung so auszulegen, daß sie mit den elementaren Grundsätzen des Grundgesetzes, insbesondere den Grundrechten, vereinbar sind. 117 Es führt dazu, daß weder das eine noch das andere Rechtsgut gegenstandslos gemacht wird. Vielmehr wird zwischen den betroffenen Rechtsgütern, dem Sonntagsschutz auf der einen und den verschiedenen Grundrechten auf der anderen Seite, ein Ausgleich hergestellt. Bei alledem kommt es darauf an, in welcher Richtung sich die gesetzliche Regelung zum Sonntagsschutz bewegt. Wenn eine Vorschrift Verbote zugunsten des Sonntages enthält, muß sie wegen der Bindung des Gesetzgebers an die Grundrechte als Teil der verfassungsmäßigen Ordnung gemäß Art. 20 Abs. 3 GG zunächst die Schranken der einschlägigen Grundrechte einhalten, insbesondere verhältnismäßig sein. Demgegenüber erweitern Ausnahmen von Tätigkeitsverboten an Sonntagen von der Stoßrichtung her grundsätzlich die grundrechtlichen Freiheiten. Insoweit kommt es zunächst darauf an, inwieweit noch der Ausgestaltungsspielraum beim Schutz des Sonntages in Abgrenzung zum unantastbaren Kernbereich genutzt wird. Außerdem ist gemäß Art. 20 Abs. 3 GG auch insoweit der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. 1l8 Dies führt im Ergebnis zu einer wechselseitigen Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in bezug auf den Schutz des Sonntages auf der einen und hinsichtlich der Grundrechte auf der anderen Seite, wobei sich Abweichungen nur durch den Abwägungsvorgang als solchen ergeben können. Wegen des Regelungsauftrags des Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV an den Gesetzgeber hat dieser die Abwägung im einzelnen vorzunehmen. Das bedeutet: Er hat für einen Ausgleich des Grundsatzes der Sonntagsruhe auf der einen und der Grundrechte auf der anderen Seite Sorge zu tragen. Auch in dieser Hinsicht ist ihm ein Beurteilungsspielraum zuzubilligen. Denn nur auf diese Weise kann der beschriebenen, mannigfaltigen Gemengelage an Interessen begegnet werden, ohne daß der Judikativen Aufgaben der Legislativen überbürdet werden. Das führt letztlich dazu, daß Entscheidung und Abwägung des Gesetz-

117 Vgl. hierzu BVerfG vom 14.12.1965, BVerfGE 19, 206, 220; vgl. auch BVerfG vom 25.3. 1980, BVerfGE 53,366,400 und vom 13.12.1983, BVerfGE 66, 1,22, wonach die inkorporierten Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung mit dem Grundgesetz ein organisches Ganzes bilden. 118

Vgl. hierzu statt aller BVerfG vom 5.3.1968, BVerfGE 23, 127, 133 m. w. N.

A. Vorgaben des Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV

117

gebers nur in begrenztem Umfang der gerichtlichen Nachprüfung unterliegen, etwa im Hinblick darauf, ob seine Erwägungen offensichtlich fehlsam sind. 119

IV. Ergebnis

Die Untersuchung des Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV hat folgendes gezeigt: Die in Literatur und Rechtsprechung vorhandenen Ansätze zur Bestimmung des Inhalts von Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV sind unzureichend. Entweder bestimmen sie bereits den Inhalt nur vage oder sie sind widersprüchlich. Darüber hinaus kommt es oftmals zu einer Überbetonung entweder grundrechtlicher Freiheiten oder aber des Sonntagsschutzes. Mit Rücksicht darauf ist ein neuer Ansatz zur Lösung dieser Fragen zu entwerfen. Dessen Inhalt läßt sich wie folgt zusammenfassen: Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV enthält einen Auftrag an den Gesetzgeber, den Schutz des Sonntages zu regeln. Der Inhalt der institutionellen Sonntagsgarantie ist ausgehend von deren Charakter zu bestimmen. Danach besteht sie aus einem unantastbaren Kern und einer Schale, die gesetzgeberischer Ausgestaltung zugänglich ist. Der unantastbare Kern des Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV erschließt sich aus den Tatbestandsmerkmalen "Arbeitsruhe" und "seelische Erhebung". Unter "Arbeitsruhe" ist die Freiheit von Arbeit für den wesentlichen Teil der Bevölkerung, insbesondere der arbeitnehmenden, zu verstehen. Infolge kollektiver Arbeitsfreiheit kommt es zu einer Sozialsynchronisation und einem überwiegend einzuhaltenden Sieben-Tage-Rhythmus. Das Merkmal "seelische Erhebung" beinhaltet einen äußeren Rahmen für den Großteil der Bevölkerung, innerlich zur Ruhe zu kommen. Dem Kernbereich des Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV entspricht ein grundsätzliches Sonntags arbeits verbot. Der Kernbereich wird angetastet, wenn gesetzliche Regelungen die Arbeitsfreiheit für den wesentlichen Teil der Bevölkerung, insbesondere der arbeitnehmenden, oder die für ihn gegebene äußere Möglichkeit zur inneren Sammlung abschaffen beziehungsweise aushöhlen. Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV enthält eine relativ große Schale, die dem Gesetzgeber Raum zur Ausgestaltung läßt. Der Gesetzgeber kann beispiels-

119 Vgl. insoweit bereits oben ab S. 113 sowie Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 320 ff. mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des BVerfG.

118

§ 4 Verfassungsmäßigkeit der Bestimmungen über Sonntagsruhe

weise in nicht geringem Umfang Ausnahmen vom grundsätzlichen Sonntagsarbeitsverbot zulassen, ohne den Kernbereich der institutionellen Garantie anzutasten. Gemäß Art. 20 Abs. 3 GG hat der Gesetzgeber den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten, wenn er gesetzliche Bestimmungen über den Sonntagsschutz erläßt. Wird er zum positiven Schutz des Sonntages tätig, müssen seine Regelungen geeignet, erforderlich und angemessen sein. Erläßt er Bestimmungen, die den Grundsatz der Sonntagsruhe durchbrechen, so muß er ein verfassungsrechtlich unbedenkliches Ziel verfolgen. Außerdem muß die getroffene Regelung zum Erreichen des Ziels geeignet, erforderlich und schließlich angemessen sein. In beiden Fällen hat der Gesetzgeber einen Beurteilungsspielraum, der sich auf die Eignung und die Erforderlichkeit bezieht. Diesem Spielraum entspricht eine nur eingeschränkte gerichtliche Nachprüfbarkeit seiner Entscheidungen. Hinsichtlich des Verhältnisses von Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV zu Grundrechten gilt zusätzlich folgendes: Sowohl beim Kernbereich als auch bei der Schale der institutionellen Sonntags garantie findet auf Verfassungsebene eine Kollision mit Grundrechten des entsprechenden Lebensbereichs statt. Eine Lösung der Kollision einseitig zugunsten von Grundrechten oder zugunsten des Sonntagsschutzes hat mit Rücksicht auf das Prinzip der Einheit der Verfassung zu unterbleiben. Diesem Prinzip entspricht vielmehr die Abwägung zwischen dem Sonntagsschutz und den betreffenden Grundrechten, deren Aufgabe die Herstellung eines gegenseitigen Einklangs ist. Hierbei kommt es auf die Stoßrichtung des Gesetzes an: Enthält eine Regelung ein Verbot zugunsten der Sonntagsruhe, hat sie zunächst die Grundrechtsschranken einzuhalten. Insbesondere muß sie verhältnismäßig sein. Bestimmungen über Ausnahmen vom Sonntagsarbeitsverbot erweitern demgegenüber grundsätzlich grundrechtliche Freiheiten. Sie müssen aber ebenfalls den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Auf diese Weise kommt es zu einer wechselseitigen Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Dabei können sich Abweichungen nur durch den Abwägungsvorgang ergeben. Sowohl die Abwägung als auch die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips obliegen dem jeweils zuständigen Gesetzgeber. Dieser hat auch insoweit einen Beurteilungsspielraum. Daher sind seine Entscheidungen nur beschränkt gerichtlich nachprüfbar, etwa dahin gehend, ob seine Erwägungen offensichtlich fehlsam sind.

B. Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der §§ 9 ff. ArbZG

119

B. Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der §§ 9 ff. ArbZG Fraglich ist nunmehr die Verfassungsmäßigkeit der Bestimmungen über die Sonntagsruhe und deren Ausnahmen im Hinblick auf das soeben zu Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV und zu betroffenen Grundrechten entwickelte Konzept. Besondere Bedeutung weist insoweit das Grundrecht der Berufsfreiheit der Unternehmer aus Art. 12 Abs. 1 GG auf. Der Gesetzgeber besitzt, wie dargelegt l20 , bei der Ausgestaltung des Sonntagsschutzes einen nicht unerheblichen Gestaltungsspielraum, solange es um die Schale der institutionellen Sonntagsgarantie geht. Seine Aufgabe ist dann nämlich, letztlich durch Abwägung gemäß seiner Beurteilung und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit einen gegenseitigen Einklang zwischen dem Sonntagsschutz und den betroffenen Grundrechten herzustellen. 121 Daher kommt es für die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes über die Sonntagsruhe und deren Ausnahmen vordringlich darauf an, ob das System als solches insoweit insgesamt ausgewogen ist. Daneben kann die Verfassungsmäßigkeit einzelner Bestimmungen über Sonntagsbeschäftigung aus anderen Gründen zweifelhaft sein.

I. Das System der Sonntagsruhe und ihrer Ausnahmen

Die §§ 9 ff. ArbZG enthalten das bereits eingehend erläuterte l22 Prinzip der grundsätzlichen Sonntagsruhe (§ 9 ArbZG) und Ausnahmen hiervon (§§ 10, 13, 14 Abs. 1, 15 Abs. 2 und 3 ArbZG). Dieses System ist im Hinblick auf die eigene Konzeption zu den Vorgaben des Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV zu bewerten.

1. Einstufung der Ausnahmen vom Verbot der Sonntagsbeschäftigung Was die einzelnen Ausnahmen vom grundsätzlichen Beschäftigungsverbot angeht, kommt es nach der hier entwickelten Konzeption 123 neben der Ausge-

120

Siehe zusammenfassend oben ab S. 117.

121

Siehe zusammenfassend oben ab S. 117.

122

Siehe oben ab S. 33.

123

Siehe dazu zusammenfassend oben ab S. 117.

120

§ 4 Verfassungs mäßigkeit der Bestimmungen über Sonntagsruhe

wogenheit darauf an, ob der Kernbereich der institutionellen Sonntagsgarantie oder aber ihre Schale betroffen ist. Denn nur, wenn nicht der Kernbereich betroffen ist, kann die Regelung im Hinblick auf Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV verfassungsgemäß sein. Die Entscheidung hängt davon ab, ob die gesetzlichen Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes über die Sonntagsbeschäftigung die Arbeitsfreiheit für den wesentlichen Teil der Bevölkerung, insbesondere der arbeitnehmenden, oder die für ihn gegebene Möglichkeit zur inneren Sammlung abschaffen beziehungsweise aushöhlen. 124 Dabei erscheint zum einen bedeutsam, in welchem Umfang die Ausnahmen vom Sonntagsbeschäftigungsverbot rein tatsächlich zu Sonntagsarbeit führen können. Zum anderen ist der Umfang der gesetzlichen Freigabe beachtlich. Was die tatsächlichen Auswirkungen der Gestattung von Sonntagsarbeit anlangt, bietet sich ein Rückgriff auf die Schilderung der bisherigen tatsächlichen Lage bei der Sonntagsarbeit an. Dort war festgestellt worden, daß sich der Umfang der Sonntagsarbeit im Zeitraum von 1987 bis 1993 kaum verändert, also auch nicht weiter zugenommen hat. 1993 arbeiteten 12% der abhängig Beschäftigten, das sind etwa drei Millionen Arbeitnehmer, regelmäßig sonntags. 78% der Beschäftigten arbeiteten sonntags nie. Der Wirtschaftszweig mit der größten Häufigkeit von regelmäßiger Sonntagsarbeit war mit 41 % der Arbeitnehmer das Hotel- und Gaststättengewerbe. 12s Bereits die zuletzt genannte Zahl verdeutlicht, daß nicht die Abschaffung beziehungsweise Aushöhlung der Arbeitsfreiheit für den wesentlichen Teil der arbeitnehmenden Bevölkerung oder die für ihn gegebene Möglichkeit zur inneren Sammlung im Raume steht. Denn bereits bei Betrachtung allein der Arbeitnehmer des Hotel- und Gaststättengewerbes als dem Wirtschafts zweig mit der größten Häufigkeit von regelmäßiger Sonntagsarbeit verbleibt 59% von ihnen, der Mehrheit, der freie Sonntag. Dies gilt um so mehr, wenn man den Anteil der im Hotel- und Gaststättengewerbe sonntags tätigen Arbeitnehmer zur Gesamtzahl der arbeitnehmenden Bevölkerung in Beziehung setzt. Diesem Befund, der sich auf die bis 1994 gültige Rechtslage bezieht, läßt sich auch nicht die Einführung des neuen Arbeitszeitgesetzes entgegenhalten. Denn der Gesetzgeber hat die Ausnahmen der Sonntagsbeschäftigung zugunsten dieses Gewerbezweiges nicht erweitert. 126

124

Siehe dazu zusammenfassend oben S. 117.

m Siehe oben S. 25 f. 126

Vgl. § 105 i GewO einerseits und § 10 Abs. 1 Nr. 4 ArbZG andererseits.

B. Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der §§ 9 ff. ArbZG

121

Selbst bei Berücksichtigung der neu eingeführten Ausnahmen zugunsten von Sonntagsbeschäftigung, das heißt im wesentlichen Teile von § 10 Abs. 1 Nr. 14 und 15 ArbZG 127 sowie § 10 Abs. 1 Nr. 16, § 10 Abs. 2, § 13 Abs. 4 und 5 ArbZG, wird sich eine wesentlich größere Anzahl der regelmäßig sonntags Beschäftigten als 12% nicht ergeben. 128 Das bedeutet aber, daß auch weiterhin der Sonntag als Tag der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung für den wesentlichen Teil der arbeitnehmenden Bevölkerung zur Verfügung steht. Infolgedessen tastet die Regelung der Sonntagsbeschäftigung im Arbeitszeitgesetz nicht schon kraft des tatsächlichen Beschäftigungsumfangs den Kernbereich der institutionellen Sonntagsgarantie an. Dieses Ergebnis ändert sich nicht dadurch, daß man auf den Umfang der gesetzlichen Freigabe von Sonntags arbeit abstellt. Wie soeben erwähnt, finden sich nämlich Erweiterungen gegenüber der bisherigen Rechtslage im wesentlichen in Teilen von § 10 Abs. 1 Nr. 14 und 15 ArbZG sowie in den §§ 10 Abs. 1 Nr. 16, 10 Abs. 2 und in § 13 Abs. 4 und 5 ArbZG. Diese Erweiterungen werden aber schon wegen ihrer teilweise strengen Tatbestandsvoraussetzungen aller Voraussicht nach nicht zu einer derart erheblichen Steigerung des Beschäftigungsumfangs an Sonntagen führen, daß die Arbeitsruhe und die Möglichkeit zu innerer Ruhe für den Großteil der Bevölkerung nicht mehr gewährleistet wäre. Deshalb ist nicht der Kernbereich der institutionellen Sonntagsgarantie durch die Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes über die Sonntagsbeschäftigung betroffen. 129 Weil es nach alledem vielmehr um die Schale der institutionellen Sonntagsgarantie geht, besitzt der Gesetzgeber einen Raum zur Ausgestaltung, in dem er in nicht geringem Umfang Ausnahmen vom grundsätzlichen Sonntagsarbeitsverbot zulassen kann.

121 Hinsichtlich der Aufrechterhaltung der Funktionsflihigkeit von Datennetzen und Rechnersystemen sowie für kontinuierlich durchzuführende Forschungsarbeiten. 128 Das gilt auch andersherum: Eine wesentlich geringere Zahl als 78% Beschäftigte, die sonntags nie arbeiten, wird sich ebenfalls nicht ergeben. Vgl. auch den Bericht des Parlamentarischen Staatssekretärs im BMAS, Horst Günther, MdB, vom 5.9.1995 zu den Genehmigungen nach § 13 Abs. 5 ArbZG. Danach hat sich hierdurch der Anteil der von Sonn- und Feiertagsarbeit betroffenen Arbeitnehmer um 0,05% erhöht. 129 Die §§ 11, 12 ArbZG ändern hieran nichts, weil ein Ausgleich für Sonntagsbeschäftigung und abweichende Regelungen in Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen sich nur auf das vorbeschriebene System des ArbZG bezieht, das, wie dargelegt, nicht den wesentlichen Teil der Bevölkerung von Sonntagsbeschäftigung betroffen sein läßt.

122

§ 4 Verfassungsmäßigkeit der Bestimmungen über Sonntagsruhe

2. Bewertung der Ausnahmen vom Sonntagsbeschäftigungsverbot Die Zulassung VOn Ausnahmen ist aber nach der hier entwickelten Konzeption nicht gänzlich frei. Bei der im Wege der Abwägung durch den Gesetzgeber vorzunehmenden Gestaltung ist vielmehr einerseits der Einklang zwischen der Sonntagsruhe und den betroffenen Grundrechten anzustreben. Andererseits sind die Vorgaben des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes grundsätzlich beachtlich. Das bedeutet, daß die Ausnahmen vom Beschäftigungsverbot zunächst ein verfassungsrechtlich unbedenkliches Ziel verfolgen müssen. Darüber hinaus müssen sie zur Erreichung dieses Ziels geeignet, erforderlich und schließlich angemessen sein. 130 Bei der insoweit gebotenen Gesamtbetrachtung sticht nach den bisherigen Ausführungen ins Auge, daß sich die Ausnahmen vom grundsätzlichen Beschäftigungsverbot allesamt einer begrenzten Anzahl von Zweckkategorien zuordnen lassen. l31 So gestattet der Gesetzgeber Sonntagsbeschäftigung zum Teil aus öffentlichen Interessen, etwa demjenigen des Funktionierens des gesellschaftlichen Lebens. Zum Teil geht es um überwiegende Allgemeininteressen, zum Beispiel, damit der Großteil der Bevölkerung den Sonntag überhaupt zur Erholung etc. nutzen kann. Daneben treten Fälle der Grundrechtsoptimierung und des Eigentumsschutzes. Der Gesetzgeber berücksichtigt außerdem die erhebliche gesamtgesellschaftliche Bedeutung bestimmter Tätigkeiten ebenso wie die gewachsene Tradition. Schließlich findet auch das Interesse an einer Verringerung der Zahl der von Sonntagsarbeit betroffenen Arbeitnehmer Beachtung. Sämtliche vorgenannten Zweckkategorien erscheinen verfassungsrechtlich unbedenklich. Hinsichtlich der Eignung der Ausnahmen vom Beschäftigungsverbot zum Erreichen der beschriebenen Zwecke l32 bestehen zumindest angesichts des Beurteilungsspielraums des Gesetzgebers 133 keine Bedenken. Dasselbe gilt im Ergebnis bezüglich der Erforderlichkeit. So ist nicht zuletzt angesichts der Tatsache, daß das Arbeitszeitgesetz etwa in § 10 Abs. 1 die Sonntagsbeschäftigung nur unter der Voraussetzung erlaubt, daß die Arbeiten nicht an Werktagen vorgenommen werden können, ein gleich geeignetes, aber milderes Mittel zum

130

Siehe dazu zusammenfassend oben ab S. 117.

131

Vgl. dazu zusammenfassend ab S. 87.

132

Siehe hierzu zusammenfassend oben ab S. 87.

133

Vgl. hierzu zusammenfassend oben ab S. 117.

B. Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der §§ 9 ff. ArbZG

123

Erreichen der angestrebten öffentlichen, gesamtgesellschaftlichen und anderen Zwecke nicht ersichtlich. Die Entscheidung des Gesetzgebers, die Ausnahmen vom grundsätzlichen Sonntagsbeschäftigungsverbots in solche kraft Gesetzes, kraft Rechtsverordnung und aufgrund Verwaltungsakts einzuteilen, wurzelt in seinem Gestaltungsermessen im Bereich der Wirtschaftsverwaltung. Danach ist ureigenste Sache des Gesetzgebers, die Gestaltung eines bestimmten wirtschaftlichen Bereichs vorzunehmen. 134 Ebenfalls von diesem Gestaltungsermessen erfaßt ist die Entscheidung für generelle (gesetzliche) und zahlenmäßig begrenzte (behördliche) Freigaben von Sonntagsbeschäftigung und deren Einteilung. Der Gesetzgeber ist gerade auch im Hinblick auf die Verwaltungspraktikabilität nicht gehalten, sämtliche Ausnahmen von einer Entscheidung durch die Verwaltungsbehörde abhängig zu machen. Wegen seiner Ausgestaltungskompetenz im Bereich der Wirtschaftsverwaltung ist der Gesetzgeber auch nicht im Einzelfall auf Mittel zur Gestattung von Sonntagsbeschäftigung zu verweisen, die durch einen geringeren Eingriff in die Sonntagsruhe dem Sonntagsschutz noch mehr entsprächen. Dies gilt unabhängig davon, daß nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auch die gleiche Eignung des möglichen anderen Mittels gegeben sein müßte, damit das Gebot der Erforderlichkeit überhaupt einschlägig ist. Im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, die Angemessenheit, begegnen die Ausnahmen vom grundsätzlichen Beschäftigungsverbot an Sonntagen ebenfalls keinen durchgreifenden Bedenken. Zwar mögen mit Sonntags arbeit insbesondere für die Arbeitsruhe des einzelnen und der Gesellschaft nicht zu verkennende Nachteile einhergehen. Trotzdem kann nicht festgestellt werden, daß das Erlauben von Sonntagsarbeit zu den beschriebenen, hochwertigen Zweckkategorien außer Verhältnis stünde und damit unangemessen wäre. Insoweit sind einerseits die besondere Wertigkeit des öffentlichen Interesses, der gesamtgesellschaftlichen Bedeutung von Tätigkeiten und die Optimierung grundrechtlicher Freiheiten (vor allem des Grundrechts der Berufsfreiheit der Unternehmer aus Art. 12 Abs. 1 GG) zu berücksichtigen. Andererseits wirkt sich die Freigabe von Sonntagsarbeit dadurch sehr differenziert auf die grundsätzliche Sonntagsruhe aus, daß der Gesetzgeber die Ausnahmen unterteilt hat in solche, die kraft Gesetzes, kraft Rechtsverordnung und kraft Verwaltungsakts

134 Vgl. dazu statt aller BVerfG vom 16.3.1971, BVerfGE 30, 292,317, wonach bei gesetzlichen Eingriffen in das Wirtschaftsleben vordringlich Sache des Gesetzgebers ist, auf der Grundlage seiner wirtschaftspolitischen Vorstellungen und Ziele und unter Beachtung der Sachgesetzlichkeiten des betreffenden Gebiets zu entscheiden, welche Maßnalune er ergreifen will.

124

§ 4 Verfassungsmäßigkeit der Bestimmungen über Sonntagsruhe

eintreten. Gerade im zuletzt genannten Fall hängt die Beeinträchtigung der Sonntagsruhe von einer behördlichen Prüfung ab. Hinzu kommt, daß die Anforderungen an die Zulässigkeit von Sonntagsarbeit teilweise sehr hoch sind. Dies gilt zum Beispiel für § 13 Abs. 5 ArbZG, der auf eine "unzumutbare" Beeinträchtigung der Konkurrenzfähigkeit trotz "weitgehender" Ausnutzung der gesetzlich zulässigen wöchentlichen Betriebszeiten abstellt. Und bei der kraft Gesetzes statthaften Sonntagsbeschäftigung nach § 10 Abs. 1 ArbZG hat der Gesetzgeber als Voraussetzung festgeschrieben, daß die Arbeiten nicht an Werktagen vorgenommen werden können. Diese Formulierung trägt dem Sonntags schutz gerade auch insofern Rechnung, als die Nachteile, die dem Betrieb ohne die Sonntagsarbeit drohen, so erheblich sein müssen, daß sie ein Durchbrechen des Sonntagsruhegebots rechtfertigen. 135 Daraus ergibt sich, daß der Gesetzgeber einen Einklang zwischen der Sonntagsruhe auf der einen und den Grundrechten, vor allem der Berufs- und Eigentumsfreiheit (Art. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 GG), auf der anderen Seite angestrebt hat, der unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit nicht zu beanstanden ist.

3. Bewertung des grundsätzlichen Sonntagsbeschäftigungsverbots § 9 Abs. 1 ArbZG, der ein grundsätzliches Beschäftigungsverbot von Arbeitnehmern an Sonntagen enthält, entspricht dem unantastbaren Kernbereich des Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV. 136 Als Regelung zum Schutz des Sonntages muß die Vorschrift hierzu grundsätzlich zunächst geeignet, erforderlich und angemessen sein. An der Eignung des § 9 Abs. 1 ArbZG zum Schutz des Sonntages besteht unabhängig vom Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers 137 kein Zweifel. Denn die Vorschrift trägt unter anderem dem sozialpolitischen Belang der Erholung und Wiederherstellung der Arbeitskraft Rechnung, und sie gewährleistet, daß möglichst viele Bürger gleichzeitig am gesamtgesellschaftlichen Leben teilnehmen und so unter anderem mitmenschliche Beziehungen pflegen können. 138 Dasselbe gilt für die Erforderlichkeit, zumal ein milderes, aber gleich geeignetes Mittel zum Schutz des Sonntages nicht ersichtlich ist.

135

Siehe oben S. 38.

136

Siehe dazu zusammenfassend oben ab S. 117.

137

Vgl. hierzu zusammenfassend oben S. 117.

138

Siehe oben S. 34.

B. Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der §§ 9 ff. ArbZG

125

Und das grundsätzliche Sonntagsbeschäftigungsverbot steht selbst angesichts der mit ihm einhergehenden Nachteile unter anderem für die Industrie (Produktionsausfall) und die Gesellschaft (Fehlen von Dienstleistungen an Sonntagen) nicht außer Verhältnis zu dem verfolgten Zweck der Sonntagsruhe und den diesbezüglichen positiven Wirkungen für den einzelnen (Arbeitsruhe, seelische Erhebung) und die Gesellschaft (Sozialsynchronisation). Insoweit ist insbesondere beachtlich, daß das Arbeitszeitgesetz in §§ 10 ff. verschiedene Ausnahmen vom grundsätzlichen Beschäftigungsverbot enthält, die unter anderem öffentlichen Interessen (Arbeit in Krankenhäusern, Gaststätten etc.)139 Rechnung tragen. Aus diesem Grunde bestehen auch keine Bedenken im Hinblick auf die vom grundsätzlichen Sonntagsbeschäftigungsverbot betroffenen Grundrechte, insbesondere der Berufsfreiheit der Unternehmer gemäß Art. 12 Abs. 1 GG. l40 Dieses Grundrecht steht nämlich nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG unter einem einheitlichen Gesetzesvorbehalt. Danach kann ein gesetzlicher Eingriff in die Berufsfreiheit der Unternehmer verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein. Das grundsätzliche Sonntagsbeschäftigungsverbot greift im allgemeinen nur auf der Stufe der Berufsausübung 141 in das Grundrecht ein, weil die Art und Weise der Verrichtungen innerhalb eines Berufsbereiches betroffen iSt. 142 Eine Berufsausübungsregelung ist verfassungsrechtlich zulässig, wenn sie durch vernünftige Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt erscheint, die gewählten Mittel zur Erreichung des verfolgten Zwecks geeignet und erforderlich sind und die Beschränkung dem Betroffenen zumutbar (verhältnismäßig im engeren Sinne) iSt. 143 Das Beschäftigungsverbot an Sonntagen dient dem Schutz der grundsätzlichen Sonntagsruhe. Es entspricht im übrigen dem Kernbereich des Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV I44 und stellt mithin einen vernünftigen Grund des Gemeinwohls im eben genannten Sinne dar. An der Eignung des Sonnntagsbeschäftigungsverbots zum Erreichen des Sonntagsschutzes bestehen keine Zwei-

139

Vgl. § 10 Abs. 1 Nr. 3,4 ArbZG und dazu oben ab S. 40.

Dieses Grundrecht erscheint als das vordringlich betroffene und wird daher exemplarisch der Erörterung zugrunde gelegt. Die nachfolgenden Ausführungen sind im übrigen ohne weiteres auf das Grundrecht der Berufsfreiheit der Arbeitnehmer gemäß Art. 12 Abs. 1 GG übertragbar. 140

141 Vgl. zur sogenannten Dreistufentheorie BVerfG vom 11.6.1958, BVerfGE 7, 377 ff., insbesondere S. 405 f. 142

Siehe dazu BVerfG vom 16.3.1971, BVerfGE 30,292,313.

143

BVerfG vom 12.10.1977, BVerfGE 46, 120, 145; vom 9.2.1982, BVerfGE 59, 336, 355.

144

Siehe dazu zusammenfassend oben ab S. 117.

126

§ 4 Verfassungsmäßigkeit der Bestimmungen über Sonntagsruhe

feI. Ein gleich wirksames, aber geringer in die Berufsfreiheit der Unternehmer eingreifendes Mittel zum grundsätzlichen Schutz des Sonntages ist nicht ersichtlich. Und angesichts der Zulassung von Sonntagsarbeit in §§ 10 ff. ArbZG, die in weiten Teilen gerade auch dem Grundrecht der Berufsfreiheit der Unternehmer Rechnung trägt, kann von einer Unzumutbarkeit des grundsätzlichen Sonntagsbeschäftigungsverbots für die betroffenen Unternehmer keine Rede sein. Weil die Beschränkung der Berufsfreiheit den Betroffenen daher zumutbar ist, bestehen keine Bedenken gegen die grundsätzliche verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Sonntagsbeschäftigungsverbots. Soweit das Sonntagsbeschäftigungsverbot ausnahmsweise die Berufszulassung betreffen sollte, weil in einem Berufszweig typischerweise eine sinnvolle Betätigung ohne Sonntagsarbeit ausgeschlossen ist oder das Verbot Unternehmer im Regelfall und nicht nur vereinzelt zur Aufgabe ihres Berufs nötigt 145 , gewinnen einzelne Ausnahmen der §§ 10 ff. ArbZG besondere Bedeutung. Dies gilt etwa für § 10 Abs. 1 Nr. 16 ArbZG, wonach eine Beschäftigung zum Vermeiden einer Zerstörung oder erheblichen Beschädigung der Produktionseinrichtungen statthaft ist. Zu denken ist aber auch an § 13 Abs. 5 ArbZG, der Sonntagsbeschäftigung zur Beseitigung einer unzumutbaren Beeinträchtigung der Konkurrenzfähigkeit bei längeren Arbeitszeiten im Ausland zuläßt. Das Arbeitszeitgesetz trägt mit den Ausnahmen zugunsten der Sonntagsbeschäftigung daher insbesondere dem Grundrecht der Berufsfreiheit der Unternehmer aus Art. 12 Abs. 1 GG auch nach der eben vorgenommenen Bewertung dieser Ausnahmen l46 hinreichend Rechnung, so daß sich ein Verstoß des § 9 Abs. 1 ArbZG gegen dieses Grundrecht nicht feststellen läßt. Daher ist das grundSätzliche Sonntagsarbeitsverbot in § 9 Abs. 1 ArbZG auch insoweit verfassungsgemäß.

4. Bewertung der Verschiebung der Sonntagsruhe Dasselbe gilt im Ergebnis für die Verschiebung der Sonntagsruhe gemäß § 9 Abs. 2 und 3 ArbZG. Sie muß nach der hier vertretenen Konzeption als Durchbrechung der Sonntagsruhe dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genü-

145

Vgl. dazu BVerfG vom 4.3.1964, BVerfGE 17, 269,276.

146

Siehe oben ab S. 122.

B. Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der §§ 9 ff. ArbZG

127

gen. 147 Die genannten Vorschriften bezwecken die bessere Ausnutzung der Werktagsarbeitszeit durch flexibleren Schichtwechsel auch am Wochenende (§ 9 Abs. 2 ArbZG)148 beziehungsweise den Einklang mit § 30 Abs. 3 Satz 1 StVO, der sonntags ab 22 Uhr den Verkehr mit schweren Lastkraftwagen und Anhängern hinter Lastkraftwagen erlaubt. Diese Ziele, die die grundrechtliche Freiheit der Berufsausübung von Arbeitgeber und Arbeitnehmer (Art. 12 Abs. 1 GG) optimieren wollen, erscheinen verfassungsrechtlich unbedenklich. Darüber hinaus erweisen sie sich unabhängig vom Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers 149 als geeignet, erforderlich und angemessen, zumal die grundsätzliche Sonntagsruhe nur vergleichsweise geringfügig beeinträchtigt wird.

5. Zwischenergebnis Das Regel-Ausnahmeverhältnis der §§ 9 ff. ArbZG über die Sonntagsarbeit erweist sich insbesondere im Hinblick auf die Vorgaben des Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV als verfassungsgemäß. Der Gesetzgeber hat mit dem grundsätzlichen Beschäftigungsverbot an Sonntagen zunächst den Kernbereich von Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV verwirklicht. Aufgrund der in §§ 10 ff. ArbZG niedergelegten Ausnahmen vom grundsätzlichen Beschäftigungsverbot bestehen insoweit keine verfassungsrechtlichen Bedenken im Hinblick insbesondere auf das Grundrecht der Berufsfreiheit der Unternehmer aus Art. 12 Abs. 1 GG. Die Ausnahmen vom grundsätzlichen Beschäftigungsverbot betreffen nach ihren tatsächlichen Auswirkungen und ihrem rechtlichen Umfang die Schale der institutionellen Sonntagsgarantie. Der Gesetzgeber hat hierbei Tatbestände festgeschrieben, die unter anderem öffentlichen Interessen und grundrechtlichen Freiheiten Rechnung tragen. Sie erweisen sich auch im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als tragfähig. In Wahrnehmung seiner Gestaltungsfreiheit hat der Gesetzgeber ein in sich geschlossenes System geschaffen, das ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Sonntagsruhe auf der einen und Grundrechten, vor allem der Berufs- und der Eigentumsfreiheit der Arbeitgeber, auf der anderen Seite herstellt. Auf diese

147

Siehe dazu zusammenfassend oben ab S. 117.

148

Vgl. Roggendorf, ArbZG, § 9-13.

149

Siehe dazu zusammenfassend oben ab S. 117.

128

§ 4 Verfassungsmäßigkeit der Bestimmungen über Sonntagsruhe

Weise wird ein gegenseitiger Einklang zwischen dem Sonntagsschutz und den betreffenden Grundrechten angestrebt, der den Vorgaben des Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRVentspricht.

n. VerCassungsmäßigkeit einzelner Bestimmungen Neben den bisherigen Überlegungen kann die Verfassungsmäßigkeit einzelner Bestimmungen über Sonntagsbeschäftigung aus anderen Gründen zweifelhaft sein. Eigene Bedenken bestehen insoweit allerdings nicht. Soweit ersichtlich, hat sich bislang ausschließlich Kuhr 150 eingehender mit der Sonntagsruhe im Arbeitszeitgesetz in verfassungsrechtlicher Hinsicht beschäftigt und die Verfassungsmäßigkeit einzelner Vorschriften in Zweifel gezogen. 151 Daneben haben Buschmann I Ulber 152 Bedenken gegen einzelne Tatbestände über Sonntagsbeschäftigung vorgetragen.

1. § 13 Abs. 1 Nr. 2 b) 00) ArbZG Buschmann I Ulber 153 haben zunächst Bedenken gegen § 13 Abs. 1 Nr. 2 b) aa) ArbZG. Danach können Rechtsverordnungen Sonntagsarbeit unter anderem zulassen für Betriebe, in denen Arbeiten vorkommen, deren Unterbrechung oder Aufschub nach dem Stand der Technik ihrer Art nach nur mit erheblichen Schwierigkeiten möglich ist. Die Vorschrift sei wegen Verstoßes gegen das Bestimmtheitsgebot aus Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG insoweit nicht anzuwenden. Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG verlangt, daß Inhalt, Ausmaß und Zweck der erteilten Ermächtigung im Gesetz bestimmt werden. Dazu genügt, wenn sich Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung aus dem Gesetz durch Auslegung

ISO

In NJW 1994, 2186 ff.

Kuhr folgt dabei in NJW 1994, 2186 ff. bezüglich der verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV der - hier abgelehnten - Ansicht Bendas und Richardis. Dies gilt vor allem für die Erörterung von § 10 Abs. 1 Nr. 14 und 15, § 10 Abs. 2 sowie § 13 Abs. 4 ArbZG. Seine Auffassung wird daher im folgenden grundsätzlich nur noch insoweit eingebracht, als sie darüber hinausgehende Besonderheiten aufweist. 151

152

Arbeitszeitrechtsgesetz, etwa in § 13-4.

153

Arbeitszeitrechtsgesetz, § 13-4.

B. Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der §§ 9 ff. ArbZG

129

ermitteln lassen ls4. Die Ermächtigung muß nicht so bestimmt wie nur möglich umschrieben, sondern allein hinreichend bestimmt sein. ISS Bei der Frage, ob dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot genügt ist, kommt es auch auf die Eigenart des geregelten Sachbereichs an. IS6 Das Bundesverfassungsgericht hat immer wieder betont, daß der Gesetzgeber Generalklausein und unbestimmte Rechtsbegriffe trotz des Bestimmtheitserfordemisses gerade auch im Bereich der Wirtschafts verwaltung verwenden darf. ls7 Angesichts dieser Ausführungen und der an anderer Stelle vorgegebenen Definition von "erheblichen Schwierigkeiten"ls8 liegt auf der Hand, daß die Verwendung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs durchgreifenden Bedenken im Hinblick auf Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG nicht begegnet. Dies gilt um so mehr, als das Vermeiden "erheblicher Schwierigkeiten" beim Unterbrechen oder Aufschieben der Arbeiten den Zweck der möglichen Verordnung mitbestimmt. Inhaltlich geht es um Ausnahmen vom grundsätzlichen Beschäftigungsverbot an Sonntagen. Und vom Ausmaß her ist das Festschreiben von Beschäftigungsmöglichkeiten nur in Anbindung an die Tatbestandsvoraussetzungen möglich. Mithin sind Inhalt, Ausmaß und Zweck der erteilten Ermächtigung in § 13 Abs. 1 Nr. 2 b) aa) ArbZG hinreichend bestimmt. Daher kann der Ansicht von Buschmann / Ulber nicht gefolgt werden.

2. § 13 Abs. 1 Nr. 2 c) ArbZG § 13 Abs. 1 Nr. 2 c) ArbZG, wonach die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zur Vermeidung erheblicher Schäden unter Berücksichtigung des Schutzes der Arbeitnehmer und der Sonn- und Feiertagsruhe über die Ausnahmen nach § 10 ArbZG weitere Ausnahmen abweichend von § 9 ArbZG aus Gründen des Gemeinwohls, insbesondere auch zur Sicherung der Beschäftigung zulassen kann, begegnet nach Kuhr lS9 in

154

BVerfG vom 12.11.1958, BVerfGE 8, 274, 307; v. Münch-Bryde, GG, Art. 80-22.

155

BVeefG vom 12.11.1958, BVerfGE 8, 274, 275, Leitsatz 5.

156

BVerfG vom 19.4.1978, BVerfGE 48,210,222.

BVerfG vom 12.11.1958, BVerfGE 8, 274, 326; vgl. auch BVerfG vom 19.4.1978, BVerfGE 48, 210, 222. 157

158

Siehe oben zu § 13 Abs. 1 Ne. 2 b) aa) ArbZG ab S. 66.

159

NIW 1994,2186,2188.

9 Schnieders

130

§ 4 Verfassungsmäßigkeit der Bestimmungen über Sonntagsruhe

mehrfacher Hinsicht verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Vorschrift sei einerseits im Hinblick auf das aus Art. 80 GG folgende Erfordernis der Bestimmtheit der Ermächtigung für den Verordnungsgeber bedenklich. Denn bei der "aus Gründen des Gemeinwohls, insbesondere auch zur Sicherung der Beschäftigung", möglichen Rechtsverordnung seien keine Kriterien ersichtlich, die deren Inhalt voraussehbar machten. Außerdem müsse der Gesetzgeber selbst entscheiden, aus welchen Gründen Ausnahmen vom Gebot der Sonntagsruhe zugelassen werden sollten. Dazu habe er der Exekutive Maßstäbe zu liefern, nach welchen Gesichtspunkten eine Abwägung vorzunehmen sei. Vage Begriffe wie "aus Gründen des Gemeinwohls" reichten hierzu nicht. Sonntagsarbeit wegen einer angespannten internationalen Wettbewerbssituation sei ohne Verfassungsänderung nicht möglich. Demgegenüber könne die ausnahmsweise Zulassung von Sonntagsarbeit zur Arbeitsplatzschaffung und -erhaltung mit den Zielsetzungen des Art. 139 WRV für grundsätzlich vereinbar gehalten werden, wobei allerdings die näheren Voraussetzungen gesetzlich genau geregelt werden müßten. 160 Soweit Kuhr im Hinblick auf eine angespannte internationale Wettbewerbssituation eine Verfassungsänderung für notwendig erachtet, liegt dieser Auffassung erneut die hier abgelehnte Konzeption zu Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV zugrunde. 161 Dasselbe gilt für die Bemerkungen über die Arbeitsplatzschaffung und -erhaltung. Fraglich ist demgegenüber die Vereinbarkeit von § 13 Abs. 1 Nr. 2 c) mit Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG. Danach müssen Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetz bestimmt werden. Das bedeutet, daß die Begrenzung der Ermächtigung sich aus dem Gesetz, hier § 13 Abs. 1 Nr. 2 c) ArbZG, ergeben muß. 162 Das ist nicht der Fall bei einer "vagen Generalklausel", nach der die Exekutive die Grenzen der Freiheit im einzelnen bestimmen kann. 163 Andererseits genügt es, wenn sich Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung aus dem Gesetz durch Auslegung ermitteln lassen. l64 Der objektive Wille des Gesetzgebers ist dazu ebenso heranzuziehen wie der Wortlaut und der Sinn zusammenhang der Regelung. Auch die Entstehungsgeschichte kann

160

Kuhr, NJW 1994,2186, 2188 f.

161

Siehe dazu zusammenfassend oben S. 104.

162

Vgl. BVerfG vom 12.11.1958, BVerfGE 8, 274, 323.

163

BVerfG vom 12.11.1958, BVerfGE 8, 274, 325.

164

BVerfG vom 12.11.1958, BVerfGE 8, 274, 307; v. Münch-Bryde, GG, Art. 80-22.

B. Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der §§ 9 ff. ArbZG

131

berücksichtigt werden. 165 Die Ermächtigung muß nicht so bestimmt wie nur möglich umschrieben, sondern allein hinreichend bestimmt sein. 166 Sinn und Zweck des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG ist, daß der Verordnungsgeber nicht sein eigenes Ermessen an die Stelle des Gesetzgebers setzt. 167 Dem widerspricht es, wenn unvorhersehbar ist, in welchen Fällen und mit welcher Tendenz die Ermächtigung gebraucht werden wird. 168 Bei der Frage, ob dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot genügt ist, kommt es auch auf die Eigenart des geregelten Sachbereichs an. 169 Das Bundesverfassungsgericht hat immer wieder betont, daß der Gesetzgeber Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe trotz des Bestimmtheitserfordernisses gerade auch im Bereich der Wirtschaftsverwaltung verwenden darf. 170 Wendet man die vorgenannten Grundsätze auf § 13 Abs. 1 Nr. 2 c) ArbZG an, so ergibt sich folgendes: Die Ermächtigung hat Ausnahmen vom grundsätzlichen Beschäftigungsverbot an Sonntagen zum Gegenstand. Die Wendung "aus Gründen des Gemeinwohls" beschreibt den Zweck. Insoweit ist fraglich, ob hinreichende Bestimmtheit vorliegt. Dagegen könnte sprechen, daß unter diese Formulierung viele Sachverhalte fallen können. Es könnte sich um eine "vage Generalklausel" handeln. Allerdings ist die Wendung "aus Gründen des Gemeinwohls" bereits an anderer Stelle inhaltlich eingegrenzt worden. 171 Darüber hinaus nennt das Gesetz selbst die Sicherung der Beschäftigung beispielhaft als einen Fall des Gemeinwohls. Durch Definition dieser verwendeten Ausdrücke läßt sich daher der Zweck einer Rechtsverordnung nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 c) ArbZG bestimmen. Nicht zuletzt wegen der Vergleichbarkeit zu dem Begriff "volkswirtschaftliche Gründe", den das Bundesverfassungsgericht als bestimmt genug angesehen hae n , bestehen mithin hinsichtlich des Zwecks des § 13 Abs. 1 Nr. 2 c) ArbZG keine durchgreifenden Bedenken.

165

BVerfG vom 12.11.1958, BVerfGE 8, 274, 307.

166

BVerfG vom 12.11.1958, BVerfGE 8, 274, 275 Leitsatz 5.

161

Vgl. Maunz I Dürig I Herzog I Scholz, GG, Art. 80-28.

168

Maunz I Dürig I Herzog I Scholz, GG, Art. 80-27.

16.

BVerfG vom 19.4.1978, BVerfGE 48,210,222.

BVerfG vom 12.11.1958, BVerfGE 8, 274, 326; vgl. auch BVerfG vom 19.4.1978, BVerfGE 48, 210, 222. 110

111

Siehe oben S. 68.

112

BVerfG vom 19.4.1978, BVerfGE 48,210,223.

132

§ 4 Verfassungsmäßigkeit der Bestimmungen über Sonntagsruhe

Aus der zentralen Kategorie des Zwecks lassen sich auch Inhalt und Ausmaß der Ermächtigung erschließen. 173 Es geht inhaltlich bei Verordnungen nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 c) ArbZG um Ausnahmen vom grundsätzlichen Sonntagsbeschäftigungsverbot des Arbeitszeitgesetzes, und das Aus maß entspricht dem Verbot in umgekehrter Hinsicht, ist aber unter anderem 174 abhängig VOn "Gründen des Gemeinwohls". Daher sind auch Inhalt und Ausmaß der Ermächtigung nach Auslegung hinreichend bestimmt. Die Richtigkeit dieses Ergebnisses wird bestätigt durch die Überlegung, daß der Gesetzgeber im Rahmen der Wirtschaftsverwaltung, um die es auch bei der Frage nach den Ausnahmen vom Sonntagsarbeitsverbot geht, die Vielzahl der zu beurteilenden Fälle nicht übersehen kann. Er ist da her auf die Verwendung von unbestimmten Rechtsbegriffen angewiesen. Geht der Verordnungsgeber nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 c) ArbZG vor, so obliegt ihm die - gerichtlich überprüfbare _175 Entscheidung, ob und inwieweit es um Sonntagsarbeit "aus Gründen des Gemeinwohls" geht. Daß er sein Ermessen an die Stelle des Gesetzgebers setzt, ist nach alledem nicht anzunehmen. Folglich verstößt § 13 Abs. 1 Nr. 2 c) ArbZG nicht gegen Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG. Aus den vorgenannten Erwägungen wird deutlich, daß der Gesetzgeber selbst die Entscheidung getroffen hat, aus welchen Gründen Sonntagsbeschäftigung statthaft sein kann. Dies ist "aus Gründen des Gemeinwohls" der Fall. Nach der vorgenommenen Definition dieser Wendung 176 bestehen daher auch keine durchgreifenden Bedenken gegen § 13 Abs. 1 Nr. 2 c) ArbZG im Hinblick auf die aus dem Grundsatz des Gesetzesvorbehalts in Art. 20 Abs. 3 GG folgende sogenannte Wesentlichkeitstheorie 177 , wonach der Gesetzgeber in grundlegenden normativen Bereichen die wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen hat.

173

v. Münch-Bryde, GG, Art. 80-22.

Nach dem Eingangssatz von § 13 Abs. 1 ArbZG ist außerdem ein Handeln "zur Venneidung erheblicher Schäden unter Berücksichtigung des Schutzes der Arbeitnehmer und der Sonn- und Feiertagsruhe" erforderlich. 174

175 Vgl. aber hinsichtlich der Einschätzungsprärogative des Verordnungsgebers bei der Frage der Sicherung der Beschäftigung bereits oben S. 68 f. 176

Siehe oben S. 68.

Vgl. hierzu BVerfG vom 8.8.1978, BVerfGE 49,89, 126 m. w. N.; vom 20.10.1982, BVerfGE 61, 260, 275. 171

B. Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der §§ 9 ff. ArbZG

133

Nach alledem kann der Ansicht Kuhrs nicht gefolgt wer den, weil die von ihm geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 13 Abs. 1 Nr. 2 c) ArbZG nicht durchgreifen.

3. § 15 Abs. 2 ArbZG Gegen § 15 Abs. 2 ArbZG, wonach die Aufsichtsbehörde über die im Arbeitszeitgesetz vorgesehenen Ausnahmen hinaus weitergehende Ausnahmen zugunsten der Sonntagsbeschäftigung zulassen kann, soweit sie im öffentlichen Interesse dringend nötig werden, bestehen nach Kuhr wegen des sehr weit gefaßten Wortlauts Bedenken hinsichtlich des sich aus Art. 139 WRV ergebenden Gesetzgebungsauftrags, Vorschriften zum Schutz der Sonntagsruhe zu erlassen. Weil weder bei der Entscheidung, was im öffentlichen Interesse liege, noch bei der Frage, wann eine Ausnahme dringend nötig sei, Kriterien ersichtlich seien, die zu einer ausreichenden Bestimmtheit der Vorschrift führen könnten, bestünden außerdem Bedenken im Hinblick auf das Rechtsstaatsprinzip.178 Soweit Kuhr erneut auf die verfassungsrechtliche Grundlage des Art. 139 WRV abstellt, legt er die hier abgelehnte Konzeption zu Art. 139 WRV 179 zugrunde. Auch die von Kuhr geltend gemachten Bedenken im Hinblick auf das Rechtsstaatsprinzip greifen im Ergebnis nicht durch. Denn die Tatbestandsmerkmale "im öffentlichen Interesse" und "dringend nötig werden" stellen als solche bereits Kriterien zur Verfügung, die kraft Definition 180 zu einer ausreichenden Bestimmtheit der Vorschrift führen. Das Bundesverfassungsgericht hat denn auch festgehalten, daß die Auslegungsbedürftigkeit einer Vorschrift ihr nicht die rechtsstaatlich gebotene Bestimmtheit nimmt. 181 Im übrigen ist das Tatbestandsmerkmal "im öffentlichen Interesse" gerichtlich voll überprüfbar 182 und daher zumindest bestimmbar. Das genügt den Anforderungen des Rechts-

178

Kuhr, NJW 1994,2186,2189.

179

Siehe oben ab S. 94 zur Ansicht Bendßs und Richardis, der Kuhr, NJW 1994,2186 folgt.

180

Siehe oben S. 86.

181

BVerfG vom 8.3.1983, BVerfGE 63, 312, 324 m. w. N.

182 Vgl. zu § 23 Abs. I Satz I LadsehIG, wonach die zuständige Behörde unter anderem Ausnahmen von den gesetzlichen Ladenschlußzeiten machen kann, soweit dies ,,im öffentlichen Interesse dringend nötig" ist, BVerwG vom 15.5.1974, GewA 1974, 277,278; zu § 9 BAZG, der von "öffentlichem Interesse" spricht, ohne zu zweifeln BayVGH vom 18.8.1980, GewA 1981,22,23.

134

§ 4 Verfassungsmäßigkeit der Bestimmungen über Sonntagsruhe

staatsprinzips. Mithin ist auch Kuhrs Ansicht zur Verfassungsmäßigkeit des § 15 Abs. 2 ArbZG abzulehnen.

4. § 13 Abs. 5 ArbZG Eine besondere Rolle im Rahmen der verfassungsrechtlichen Erörterung Kuhrs nimmt § 13 Abs. 5 ArbZG ein. Dieser Vorschrift fehlten Vorgaben, wann die Genehmigungsbehörde von einer weitgehenden Ausnutzung der gesetzlich zulässigen wöchentlichen Betriebszeit und von einer unzumutbaren Beeinträchtigung der Konkurrenzfähigkeit ausgehen könne. Die Behörden könnten zudem die Konkurrenzfähigkeit deutscher Unternehmen auf den verschiedensten Weltmärkten nicht hinreichend beurteilen. Ihnen fehlten genaue Informationen darüber, aus welchen Gründen bundesdeutsche Unternehmen gegenüber der ausländischen Konkurrenz nicht zum Zuge kämen oder wie die Betriebszeiten ausländischer Konkurrenzbetriebe im Einzelfall aussähen. Von daher sei der verfassungsrechtlich gebotene Ausnahmecharakter der Sonntagsarbeit nicht mehr ausreichend sichergestellt. Schließlich sei verfassungsrechtlich Sonntagsarbeit zur Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen überhaupt nicht, aus Arbeitsplatzgesichtspunkten nur innerhalb eines ganz bestimmten Rahmens möglich. 183 In ähnlicher Richtung argumentieren Buschmann / Ulber. 184 Sie halten § 13 Abs. 5 ArbZG vor allem wegen "nicht hinreichend konkretisierter Vergleichsmaßstäbe" und "unbestimmter Tatbestandsvoraussetzungen" angesichts des Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV für verfassungswidrig. Diese Ansicht ist allerdings nach der hier vertretenen Konzeption zu Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV, wonach der Gesetzgeber in bezug auf die Schale det institutionellen Garantie einen nicht geringen Raum zur Ausgestaltung besitzt 185, sowie nach der vorgenommenen Auslegung 186 des § 13 Abs. 5 ArbZG unhaltbar. Zum einen verwendet der Gesetzgeber in § 13 Abs. 5 ArbZG unbestimmte Rechtsbegriffe, wogegen verfassungsrechtliche Bedenken nicht

183

Kuhr, NJW 1994,2186,2189.

184

Arbeitszeitrechtsgesetz, § 13-10.

185

Siehe dazu zusammenfassend oben ab S. 117.

186

Siehe oben ab S. 77.

B. Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der §§ 9 ff. ArbZG

135

bestehen. 187 Diese Rechtsbegriffe sind - wie gezeige 88 - konkretisierbar, so daß von "unbestimmten Tatbestandsvoraussetzungen" keine Rede sein kann. Auch daß § 13 Abs. 5 ArbZG "nicht hinreichend konkretisierte Vergleichsmaßstäbe" enthalten soll, ist nicht nachvollziehbar. Soweit die Vorschrift auf längere Betriebszeiten im Ausland abstellt, ist der Inhalt dieser Wendung bereits dargelegt worden. 189 Buschmann / Ulber verwechseln offenbar etwaige Ermittlungsschwierigkeiten hinsichtlich längerer Betriebszeiten im Ausland mit der Frage, ob ein hinreichend konkretisierter Vergleichsmaßstab vorliegt. Ihnen kann daher nicht gefolgt werden. Dasselbe gilt im Ergebnis hinsichtlich der Ansicht Kuhrs. Soweit er gegen § 13 Abs. 5 ArbZG den verfassungsrechtlich gebotenen Ausnahmecharakter der Sonntagsarbeit ins Feld führt, liegt dem erneut die abgelehnte Konzeption bezüglich Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV l90 zugrunde. Im übrigen stellen die Tatbestandsmerkmale "weitgehende Ausnutzung der gesetzlich zulässigen wöchentlichen Betriebszeiten" und "unzumutbare Beeinträchtigung der Konkurrenzfähigkeit" sowie die Voraussetzung, daß durch die Genehmigung von Sonntagsarbeit die Beschäftigung gesichert werden kann, strenge V oraussetzungen für eine Genehmigung auf. Sie sorgen gerade dafür, daß es nicht allzu leicht zu einer Genehmigung kommt. Soweit Kuhr darüber hinaus meint, es fehlten Vorgaben dafür, wann etwa eine weitgehende Ausnutzung der gesetzlich zulässigen wöchentlichen Betriebszeiten gegeben sei, verkennt er, daß diese Wendung durch Definition zu veranschaulichen ist. 191 Auch die angeblichen Ermittlungsschwierigkeiten beispielsweise hinsichtlich der Betriebszeiten im Ausland sind angesichts der bestehenden Ermittlungshilfen l92 nicht nachvollziehbar. Soweit Kuhr schließlich auf die angeblich unstatthafte Sicherstellung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit durch Sonntagsarbeit abstellt, liegt dem wiederum die hier abgelehnte Konzeption zu Art. 140 GG i. V. m. Art.

181 Vgl. BVerfG vom 12.11.1958, BVerfGE 8, 274, 326; vgl. auch BVerfG vom 19.4.1978, BVerfGE 48,210,222; Zmarzlik I Anzinger, ArbZG, § 13-105. 18.

Siehe oben S. 77 ff.

189

Siehe oben ab S. 79.

190

Siehe dazu oben ab S. 94 zur Ansicht von Benda und Richardi, der Kuhr, NJW 1994,2186

folgt. 191

Vgl. dazu oben ab S. 78.

192

Siehe dazu oben ab S. 84.

136

§ 4 Verfassungsmäßigkeit der Bestimmungen über Sonntagsruhe

139 WRV 193 zugrunde. Auch der Ansicht Kuhrs zu § 13 Abs. 5 ArbZG kann daher nicht gefolgt werden.

5. Zwischenergebnis Die gegen § 13 Abs. 1 Nr. 2 b) aa), § 13 Abs. 1 Nr. 2 c), § 15 Abs. 2 und § 13 Abs. 5 ArbZG vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken greifen nicht durch.

111. Ergebnis

Die Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes über die Sonntagsruhe und deren Ausnahmen sind als System insgesamt ausgewogen und daher insbesondere im Hinblick auf die Vorgaben des Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV, aber auch hinsichtlich des Grundrechts der Berufsfreiheit der Unternehmer aus Art. 12 Abs. 1 GG verfassungsgemäß. Auch die gegen die §§ 13 Abs. 1 Nr. 2 b) aa), 13 Abs. 1 Nr. 2 c), 15 Abs. 2 und 13 Abs. 5 ArbZG als einzelne Bestimmungen vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken greifen nicht durch.

193

folgt.

Siehe dazu oben ab S. 94 zur Ansicht von Benda und Richardi, der Kuhr, NJW 1994, 2186

§ 5 Tarifmacht gemäß § 12 ArbZG Im Anschluß an die Untersuchung der öffentlich-rechtlichen Zulässigkeit von Sonntagsarbeit stellt sich die Frage, inwieweit die Tarifvertragsparteien Regelungen über Sonntagsarbeit treffen können. Insoweit sind drei mögliche Fälle denkbar, die in den folgenden Abschnitten zu untersuchen sind. Zunächst kann der Gesetzgeber die Tarifpartner ausdrücklich zu bestimmten Regelungen ermächtigen. Des weiteren ist fraglich, ob die Tarifvertragsparteien über die in den § § 10 ff. ArbZG vorgesehenen Tatbestände zugunsten von Sonntagsarbeit weitere Fälle statthafter Sonntagsarbeit festlegen können. Und schließlich wird zu untersuchen sein, inwieweit und gegebenenfalls mit welcher Wirkung sie vereinbaren können, daß sonntags gar nicht gearbeitet werden muß. In diesem Abschnitt ist auf § 12 ArbZG einzugehen. Der Gesetzgeber hat mit dieser Vorschrift ausdrücklich tarifvertragliche Regelungen zugelassen. Nur am Rande sei erwähnt, daß ein Tarifvertrag auch zu Betriebsvereinbarungen über dieselben Fragen ermächtigen kann. § 12 Satz 1 ArbZG enthält insgesamt vier Fälle statthafter tarifvertraglicher Regelungen. Sie sind im folgenden zu beschreiben, soweit sie sich auf Sonntagsarbeit beziehen.

A. Bedeutung und Wirkung des § 12 ArbZG Bevor dies geschieht, ist die Bedeutung der Vorschrift näher zu untersuchen. § 12 ArbZG ermöglicht ausschließlich Abweichungen von den Ausgleichsregelungen für Sonn- und Feiertagsarbeit des § 11 ArbZG. § 11 ArbZG bestimmt unter anderem, daß mindestens fünfzehn Sonntage im Jahr beschäftigungsfrei bleiben (Abs. 1), daß die Arbeitszeit an Sonntagen grundsätzlich höchstens zehn Stunden betragen darf (Abs. 2 i. V. m. § 3 Satz 2 ArbZG)1 und daß Arbeitnehmer zum Ausgleich für Sonntagsbeschäftigung einen Ersatzruhetag haben müs-

1 Vgl. zu tarifvertraglichen Abweichungen von den Grundnonnen der §§ 3 ff. ArbZG gemäß § 7 Abs. 1 und 2 ArbZG, die § 11 Abs. 2 auch für die Beschäftigung an Sonntagen ennöglicht, die Kommentierung bei Roggendorf, ArbZG, § 7-25 ff.

138

§ 5 Tarifmacht gemäß § 12 ArbZG

sen, der innerhalb eines den Beschäftigungstag einschließenden Zeitraums von zwei Wochen zu gewähren ist (Abs. 3 Satz 1). Nach der Gesetzgebungsgeschichte2 überträgt der Gesetzgeber in § 12 ArbZG den Tarifpartnern und für bestimmte Fälle auch den Betriebspartnern die Befugnis, unter bestimmten Voraussetzungen die Dauer der Arbeitszeit bei gesetzlich zugelassener Sonn- und Feiertagsarbeit zu verlängern sowie die Zahl der arbeitsfreien Sonntage zu verändern. § 12 ArbZG ist der Sache nach vergleichbar mit § 7 ArbZG, wonach Tarifverträge beispielsweise von den Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes über die höchstzulässige Arbeitszeit abweichen können. Der Gesetzgeber ermächtigt insoweit die Tarifpartner, mit öffentlich-rechtlicher Wirkung die Grenzen der durch das Arbeitszeitgesetz bestimmten Grundvorschriften zu verschieben? Wenn und soweit also eine Tarifregelung in Anwendung des § 12 ArbZG vorliegt, werden die Schutzgrenzen des Arbeitszeitgesetzes für die arbeitsvertraglichen Pflichten verschoben. Zugleich schafft ein solcher Tarifvertrag die Voraussetzung dafür, daß der Arbeitgeber nicht gemäß § 22 Abs. 1 Nr. 6 ArbZG ordnungswidrig handelt, der das Beschäftigen eines Arbeitnehmers an allen Sonntagen entgegen § 11 Abs. 1 ArbZG oder das nicht oder nicht rechtzeitige Gewähren eines Ersatzruhetags entgegen § 11 Abs. 3 ArbZG sanktioniert. Maßgebend für das Vorliegen einer Ordnungswidrigkeit sind dann also die zulässigerweise neu geschaffenen tarifvertraglichen Grenzen. Entsprechendes gilt für § 22 Abs. 1 Nr. 1 ArbZG, der das Beschäftigen eines Arbeitnehmers über die Grenzen der Arbeitszeit hinaus entgegen § 11 Abs. 2 ArbZG ebenfalls als Ordnungswidrigkeit einstuft.

Die durch Tarifvertrag bewirkte Grenzverschiebung beeinflußt allerdings grundSätzlich nicht den Umfang der Arbeitspflicht des einzelnen Arbeitnehmers. 4 Dieser ergibt sich vielmehr aus den dahin gehenden anderweitigen tarifvertraglichen Regelungen, aus Betriebsvereinbarungen oder aus dem Einzelarbeitsvertrag. 5 Das folgt daraus, daß die öffentlich-rechtlichen Arbeitszeitvorschriften ganz allgemein keine privatrechtliche Pflicht des Arbeitnehmers begründen, beispielsweise während der statthaften Höchstarbeitszeit auch tatsächlich zu arbeiten.

2

Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucksache 12/5888, S. 30.

J

Roggendorf, ArbZG, § 12-6 i. V. m. § 7-25.

• Anderes gilt, wenn der Tarifvertrag auch den Umfang der Arbeitspflicht regelt. Vgl. zu den dahin gehenden Möglichkeiten und Auslegungsfragen Roggendorf, ArbZG, § 12-6 i. V. m. § 7-29 f. 5

Roggendorf, ArbZG, § 12-6 i. V. m. § 7-28 i. V. m. § 2-8.

B. Inhalt des § 12 ArbZG

139

B. Inhalt des § 12 ArbZG § 12 Satz 1 ArbZG zählt abschließend vier Fälle auf, in denen Tarifverträge von den Vorschriften über den Ausgleich von Sonn- und Feiertagsbeschäftigung abweichen können.

I. Verringerung der Anzahl beschäftigungsfreier Sonntage

Nach Nummer 1 des § 12 Satz 1 ArbZG können die Tarifpartner die Anzahl der beschäftigungsfreien Sonntage auf weniger als fünfzehn 6 verringern und damit die Beschäftigung von Arbeitnehmern in einigen Monaten im Jahr an jedem Sonn- und Feiertag zulassen. Der Tatbestand bezieht sich auf Bereiche, die herkömmlicherweise durch Sonntagsarbeit geprägt sind. So hat der Gesetzgeber diese Abweichungsmöglichkeit etwa wegen der Krankenhäuser und der saisonabhängigen Betriebe im Gaststättengewerbe eingefüge und dabei eine Mindestanzahl von im Jahr beschäftigungsfrei zu haltenden Sonntagen festgelegt. Diese Anzahl lehnt sich an § 4 Abs. 1 der Verordnung über Ausnahmen vom Verbot der Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen in der Eisen- und Stahlindustrie vom 31.07.1968 8 an. Konkret enthält die Vorschrift drei Unterfälle: Die Tarifpartner können einmal die Anzahl der beschäftigungsfreien Sonntage in den Einrichtungen des § 10 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 und 10 ArbZG, das heißt im Bereich beispielsweise der Krankenhäuser, Gaststätten und Verkehrsbetriebe, auf mindestens zehn Sonntage verringern. Im Rundfunk, in Theaterbetrieben, Orchestern sowie bei Schaustellungen ist eine Verringerung auf mindestens acht Sonntage zulässig. Und drittens kann die Anzahl der beschäftigungsfreien Sonntage in Filmtheatern und in der Tierhaltung auf mindestens sechs Sonntage im Jahr verringert werden. Hinsichtlich des Rundfunks hat der Gesetzgeber den Tatbestand erst im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens wegen des besonderen, verfassungsrechtlich geschützten Programm- und Informationsauftrags eingefügt, der auch beim Ausgleich für Sonntagsbeschäftigung zu beachten ist. 9

6

Vgl. § 11 Abs. 1 ArbZO.

7

Vgl. Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucksache 12/5888, S. 30.

8

BOBl. I 1968 S. 886 ff., dort vor allem § 4 der Verordnung.

• Bundestagsausschuß für Arbeit und Sozialordnung, BT-Drucksache 12/6990, S. 43 m. w. N.

140

§ 5 Tarifmacht gemäß § 12 ArbZG

Bereits aus dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift, "mindestens", ergibt sich, daß die jeweils genannte Mindestanzahl beschäftigungs freier Sonntage nicht unterschritten werden darf. IO Im übrigen folgt dieses Ergebnis zwingend aus § 25 Satz 1 ArbZG. Danach bleiben solche tarifvertraglichen Regelungen unberührt, die über den in § 12 Satz 1 ArbZG festgelegten Höchstrahmen hinausgehen, sofern der entsprechende Tarifvertrag bei Inkrafttreten des Arbeitszeitgesetzes besteht oder nachwirkt. In dieser Gesetzesformulierung kommt nämlich der Wille der Gesetzgebers objektiv zum Ausdruck, in § 12 Satz 1 ArbZG einen verbindlichen Höchstrahmen für statthafte tarifliche Abweichungen von § 11 ArbZG festzuschreiben.

11. Abweichung hinsichtlich des Ausgleichszeitraums

§ 12 Satz 1 Nr. 2 ArbZG berücksichtigt, daß die nach § 11 Abs. 3 bestimmten Ausgleichszeiträume in einigen Bereichen nicht für alle Arbeitnehmer eingehalten werden können. 11 § 11 Abs. 3 Satz 1 ArbZG schreibt nämlich vor, daß Arbeitnehmer als Ausgleich für Sonntagsbeschäftigung einen Ersatzruhetag haben müssen, der innerhalb eines den Beschäftigungstag einschließenden Zeitraums von zwei Wochen zu gewähren ist. Hiervon abweichend dürfen die Tarifpartner gemäß § 12 Satz 1 Nr. 2 ArbZG Arbeitnehmer innerhalb eines festzulegenden Ausgleichszeitraums beschäftigungsfrei stellen.

Dieser Tatbestand ermächtigt also zu tarifvertraglichen Regelungen, wonach der Ausgleichszeitraum für das Gewähren des Ersatzruhetags für Sonntagsbeschäftigung über zwei Wochen hinaus verlängert oder ein feststehender Ausgleichszeitraum vereinbart wird. 12

111. Zusammenhängende Gewährung freier Tage in der Seeschiffahrt

Nummer 3 des § 12 Satz 1 ArbZG trägt den Besonderheiten bei der Beschäftigung auf Seeschiffen Rechnung, die nicht in den Anwendungsbereich des

10

So auch Roggendorf, ArbZG, § 12-9.

VgJ. Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucksache 12/5888, S. 30; Zmarzlik / Anzinger, ArbZG, § 12-19 m. Bsp. 11

12 Roggendorf, ArbZG, § 12-11; vgJ. auch Dobberahn, Arbeitszeitrechtsgesetz, S. 46, Rn. 123 sowie Zmarzlik / Anzinger, ArbZG, § 12-14.

B. Inhalt des § 12 ArbZG

141

Seemannsgesetzes fallen. 13 Dies ist etwa bei Fischereischutzbooten und Forschungsschiffen des Bundes der Fall. 14 Die Vorschrift gestattet den Tarifpartnern, "abweichend von § 11 Abs. 1 bis 3 ArbZG in der Seeschiffahrt die den Arbeitnehmern nach diesen Vorschriften zustehenden freien Tage zusammenhängend zu geben". Ermöglicht werden also allein abweichende Regelungen in bezug auf die Lage der nach § 11 Abs. 1 bis 3 ArbZG zu gewährenden Ersatzruhetage. Vor allem die Verlängerung des Ausgleichszeitraums für das Gewähren von Ersatzruhetagen und das Übertragen von Ersatzruhetagen in das nächste Kalenderjahr erweisen sich danach als statthaft. ls Nicht zulässig sind dagegen das Verringern der Mindestanzahl an beschäftigungsfreien Sonntagen oder die Verlängerung der in den §§ 3, 6 Abs. 2 und 7 ArbZG bestimmten Höchstarbeitszeiten. 16 Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift ebenso wie aus dem systematischen Vergleich zu Nummer 1 und 4 des § 12 Satz 1 ArbZG. Diese Tatbestände sehen nämlich abschließend die Verringerung der Anzahl beschäftigungs freier Sonntage beziehungsweise die Verlängerung der Arbeitszeit in bestimmten Bereichen vor. 17

IV. Arbeitszeitverlängerung an Sonntagen in vollkontinuierlichen Schichtbetrieben § 12 Satz 1 Nummer 4 ArbZG will den Tarifpartnern die Möglichkeit einräumen, in vollkontinuierlichen Schichtbetrieben den Arbeitnehmern mehr beschäftigungsfreie Sonntage gewähren zu können. 18

Gemäß § 11 Abs. 2 ArbZG i. V. m. § 3 ArbZG darf die Arbeitszeit der Arbeitnehmer an Sonntagen grundsätzlich acht, höchstens zehn Stunden nicht überschreiten. Hiervon abweichend können die Tarifpartner nach § 12 Satz 1 Nr. 4 ArbZG "in vollkontinuierlichen Schichtbetrieben an Sonn- und Feiertagen

II

Vgl. auch § 18 Abs. 3 ArbZG.

1.

Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucksache 12/5888, S. 30.

IS

Roggendorj, ArbZG, § 12-12.

16

Roggendorj, ArbZG, § 12-12.

17

Siehe dazu oben unter I ab S. 139 bzw. sogleich unter IV ab S. 141.

18

Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucksache 12/5888, S. 30.

142

§ 5 Tarifmacht gemäß § 12 ArbZG

die Arbeitszeit auf bis zu zwölf Stunden verlängern, wenn dadurch zusätzliche freie Schichten an Sonn- und Feiertagen erreicht werden". § 12 Satz 1 Nr. 4 ArbZG bezieht sich auf Betriebe in allen Branchen. 19 Die Möglichkeit zum Verlängern der Arbeitszeit beschränkt sich aber auf solche Betriebe, die vollkontinuierliche Schichten fahren. Dazu ist erforderlich, daß regelmäßig 168 Stunden in der Woche produziert wird. 20 In die Berechnung des Produktionsumfangs sind Betriebsurlaub und technische oder sonstige, vom Arbeitgeber nicht zu vertretende Ausfallzeiten wie Instandhaltungsarbeiten einzubeziehen. 21

Voraussetzung für eine tarifliche Regelung ist weiter, daß durch die Verlängerung der Arbeitszeit zusätzliche freie Schichten an Sonntagen erreicht werden. Dies ist der Fall, wenn die Arbeitnehmer bei einer Produktionsplanung mit 12-Stunden-Schichten an Sonntagen an mehr Sonntagen frei haben als bei einer Produktionsplanung ohne 12-Stunden-Schichten.22 Unter den eben genannten Voraussetzungen sind die Tarifpartner ermächtigt, die Arbeitszeit auf bis zu zwölf Stunden zu verlängern. Zwar spricht der Wortlaut des § 12 Satz 1 Nr. 4 ArbZG etwas ungenau von "in vollkontinuierlichen Schichtbetrieben". Gemeint ist damit aber nicht, daß die Arbeitszeit für alle Arbeitnehmer des Betriebs verlängert werden könnte, also auch für solche in Abteilungen, die nur zweischichtig arbeiten. Vielmehr will der Tatbestand ausschließlich in vollkontinuierlichen Schichtbetrieben zusätzliche freie Schichten ermöglichen. Daher ist eine Verlängerung der Beschäftigungszeit nur für die Betriebsabteilungen statthaft, die vollkontinuierlich arbeiten. 23

v. Anwendung des § 7 Abs. 3 bis 6 ArbZG § 12 Satz 2 ArbZG erklärt § 7 Abs. 3 bis 6 ArbZG für anwendbar. Das bedeutet vor allem, daß die in einem Tarifvertrag zugelassenen Abweichungen nach § 12 Satz 1 ArbZG auch in Betrieben nicht tarifgebundener Arbeitgeber

19

Buschmann I Ulber, Arbeitszeitrechtsgesetz, § 12-7.

20

Eingehend Zmarzlik I Anzinger, ArbZG, § 12-25.

21 Vgl. schon oben zu § 13 Abs. 5 ArbZG hinsichtlich der "weitgehenden Ausnutzung der gesetzlich zulässigen wöchentlichen Betriebszeiten"; so auch Roggendoif, ArbZG, § 12-13. 22

Roggendoif, ArbZG, § 12-14; vgl. auch Buschmann I Ulber, Arbeitszeitrechtsgesetz, § 12-7.

23

So auch Roggendoif, ArbZG, § 12-13.

C. Verfassungsmäßigkeit des § 12 ArbZG

143

durch Betriebsvereinbarung übernommen werden können. Bei Nichtbestehen eines Betriebsrats ist eine Übernahme durch schriftliche Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer möglich (§ 12 Satz 2 i. V. m. § 7 Abs. 3 Satz 1 ArbZG). Darüber hinaus können die Kirchen und die öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften 24 die in § 12 Satz 1 ArbZG zugelassenen Abweichungen in ihren Regelungen vorsehen (§ 12 Satz 2 i. V. m. § 7 Abs. 4 ArbZG). Und nach § 12 Satz 2 i. V. m. § 7 Abs. 5 ArbZG können die Aufsichtsbehörden in einem Bereich, in dem tarifliche Regelungen üblicherweise nicht getroffen werden, Abweichungen im Sinne des § 12 Satz 1 ArbZG bewilligen. Voraussetzung dafür ist, daß betriebliche Gründe dies erfordern und die Gesundheit der Arbeitnehmer nicht gefährdet wird. Bereiche, in denen üblicherweise Tarifregelungen nicht getroffen werden, sind etwa die Industrie- und Handelskammern, Arbeitgeberorganisationen sowie die Gewerkschaften. 25 Gemäß § 12 Satz 2 i. V. m. § 7 Abs. 6 ArbZG kann schließlich die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates Ausnahmen im Rahmen des § 12 Satz 1 ArbZG zulassen, "sofern dies aus betrieblichen Gründen erforderlich ist und die Gesundheit der Arbeitnehmer nicht gefährdet wird".

C. Verfassungsmäßigkeit des § 12 ArbZG Bedenken gegen die Wirksamkeit des § 12 ArbZG, insbesondere im Hinblick auf die aus Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV folgende Pflicht des parlamentarischen Gesetzgebers, den Sonntagsschutz unter Abwägung der Grundrechte zu regeln, bestehen nicht. Denn der Gesetzgeber gewährleistet mit der Begrenzung der Ermächtigung an die Tarifpartner einen ,,Mindestschutz".26 In der Literatur werden allerdings Bedenken gegen die Wirksamkeit des § 12 ArbZG unter anderem im Hinblick auf Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV vorgetragen.

24 Soweit nicht der liturgische Bereich betroffen ist, auf den gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 4 ArbZG dieses Gesetz nicht anzuwenden ist.

2S Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucksache 12/5888, S. 28; Dobberahn, Arbeitszeitrechtsgesetz, S. 55, Rn. 145. 26 Vgl. hinsichtlich des unantastbaren Kembereichs der institutionellen Sonntagsgarantie zusammenfassend oben ab S. 117.

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§ 5 Tarifmacht gemäß § 12 ArbZG

So vertritt Kuhr7 die Auffassung, der große Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien, inwieweit der Sonntag beschäftigungsfrei bleibe, sei nicht vereinbar mit dem auf Art. 139 WRV beruhenden Gesetzgebungsauftrag, Regelungen zum Schutz des Sonntages zu erlassen. Der verfassungsrechtliche Schutzauftrag, die Sicherung der institutionellen Garantie des Sonntages und die nähere Ausgestaltung der Sonntagsruhe dürfe nicht auf die Tarifvertragsparteien übertragen werden, zumal es sich bei ihnen nicht um Ermächtigungsadressaten für eine Rechtsverordnung im Sinne des Art. 80 GG handele. Ein Einbeziehen der Tarifpartner in die Ausgestaltung des Sonntagsschutzes sei nur innerhalb eines bindenden Ralunens möglich, der bei Sonntagsarbeit ein Mindestmaß an sonntäglicher Ruhe garantiere. Nicht jedoch dürfe das Sonntagsruhegebot, wie durch § 12 ArbZG geschehen, in Frage gestellt werden. Kuhr kann jedoch nicht gefolgt werden. Soweit er auf den aus Art. 139 WRV folgenden Gesetzgebungsauftrag abstellt, liegt seiner Auffassung die bereits an anderer Stelle abgelehnte Konzeption Richardis28 zugrunde. 29 Dasselbe gilt für die These, das Einbeziehen der Tarifpartner in die Ausgestaltung des Sonntagsschutzes sei nur innerhalb eines bindenden, ein Mindestmaß an sonntäglicher Ruhe garantierenden Rahmens möglich. Darüber hinaus verkennt diese Bemerkung, daß § 12 ArbZG gerade abschließend und genau eingegrenzt die Fälle aufzählt, in denen die Tarifvertragsparteien mit öffentlich-rechtlicher Wirkung von der Grundvorschrift des § 11 ArbZG abweichen können. Das heißt, der Gesetzgeber gibt mit § 12 ArbZG, wie von Kuhr verlangt, einen bindenden Rahmen vor und löst die wesentlichen Sachprobleme selbst. Des weiteren schreibt § 12 Satz 1 Nr. 1 ArbZG ein absolutes, nicht zu unterschreitendes Mindestmaß an Sonntagsruhe fest, indem nur für bestimmte Bereiche das Verringern der Anzahl beschäftigungsfreier Sonntage auf allerhöchstens sechs im Jahr statthaft ist. Gerade auch nach der von Kuhr herangezogenen Ansicht Richardis30 kann der Gesetzgeber unter diesen Umständen die Tarifpartner in die Gestaltung des Arbeitnehmerschutzes einbeziehen. Weil vor allem die Tätigkeit in Krankenhäusern, Gaststätten, Verkehrsbetrieben, aber auch im Rundfunk, bei Theatervorstellungen und Filmvorführungen31 im Interesse des Funktionierens der Gesellschaft und des effektiven Ausnutzens des Sonntages für die Bevölkerung liegen,

27

DB 1994,2186,2188.

28

Siehe oben ab S. 96.

29

So ausdrücklich der Bezug bei Kuhr, DB 1994,2186,2188 in Fn. 30.

30

Rechtsgutachten, S. 110.

31

Vgl. §§ 12 Satz 1 Nr. 1, 10 Abs. 1 Nr. 3,4,5,8 und 10 ArbZG.

c. Verfassungsmäßigkeit des § 12 ArbZG

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erscheint die tarifvertraglieh vereinbarungsfähige, nur beschränkte Möglichkeit zur Teilnahme am allgemeinen Wochenrhythmus zwischen Sonn- und Werktagen für dort beschäftigte Arbeitnehmer als durch sachliche Gründe gerechtfertigt. 32 § 12 ArbZG überträgt auch nicht, wie Kuhr unterstellt, den Tarifpartnern die nähere Ausgestaltung der Sonntagsruhe. 33 Vielmehr beinhaltet diese Vorschrift die soeben näher beschriebene, genau umgrenzte Möglichkeit zum Abweichen von der Grundvorschrift des § 11 ArbZG in einigen wenigen Fällen. Das Abstellen auf Art. 80 GG geht schließlich am Charakter des § 12 ArbZG vorbei. Danach werden nämlich die Tarifvertragsparteien gerade nicht, wie in Art. 80 GG vorgesehen, zum Erlaß von Rechtsverordnungen ermächtigt. Vielmehr räumt der Gesetzgeber ihnen die Möglichkeit ein, in TarIfverträgen mit öffentlich-rechtlicher Wirkung abzuweichen von § 11 ArbZG. 34 Nach alledem ist die Ansicht Kuhrs zur Wirksamkeit des § 12 ArbZG abzulehnen.

Nach Auffassung von Buschmann I mbe~s dürfen die für das Ausüben der Grundrechte und das Zusammenleben der Gesellschaft wesentlichen Bestimmungen zur Sonntagsruhe aufgrund der sogenannten Wesentlichkeitstheorie des Bundesverfassungsgerichts36 nur in einem parlamentarischen Gesetz getroffen werden. Wegen der grundsätzlichen Pflicht des Gesetzgebers zum Regeln des Sonntagsschutzes und der Definition der verfassungsrechtlich zulässigen Ausnahmetatbestände sei § 12 ArbZG verfassungskonform auszulegen. Daher seien nur solche tarifliche Regelungen statthaft, die entweder den gesetzlichen oder verfassungsrechtlichen Schutz der Sonntagsruhe verstärkten oder die Arbeitsbedingungen entsprechend dem Günstigkeitsprinzip 37 verbesserten.

32

Vgl. zu dieser Frage auch Richardi, Rechtsgutachten, S. 110.

33

So auch Zmarzlik I Anzinger, ArbZG, § 12-4.

Vgl. allgemein zur Statthaftigkeit, den Tarifpartnern innerhalb des durch Art. 9 Abs. 3 GG gesteckten Rahmens ein mehr oder weniger breites Feld zu eigenverantwortlicher Regelung zu eröffnen, Wiedemann I Stumpf, TVG, Einl.-l13. 3