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German Pages [194] Year 2014
Deutsches Historisches Institut Warschau Quellen und Studien
Dariusz Adamczyk
Band 28
Silber und Macht Fernhandel, Tribute und die piastische Herrschaftsbildung in nordosteuropäischer Perspektive (800-1100)
2014
2014
Harrassowitz Verlag· Wiesbaden
Harrassowitz Verlag· Wiesbaden
2 5 -06- 2015
Inhalt 9
Dank 1.
FragesteDung ..........................................................................................
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2.
Forschungsstand, QueUen und Methode ................................................ Markt, Macht oder Magie? Monetäre Kontroversen ............................. Was und wiesoUuntersucht wecden? ....................................................
17 17 21
Das arabische Fernhandelssystem und seine Peripherien ..................... . Allgemeine Kontexte ............................................................................ . Die Chronologie der Intecaktionen mit dem Norden ............................ . Phase I (von 786/787 bis 839/840) ....................................................... . Phase ll (von 840/841 bis 8961897) ...................................................... . Phase m (von 900 bis 989/990) ............................................................ . Phase IV (von 990 bis ca. 1020) ............................................................ Geografie der Münzprägung ................................................................. . Phase I (vo n 7861787 bis 8201821-8391840) ......................................... . Phase ll (von 840/841 bis 8961897) ...................................................... . Phase m (von 900 bis 989/990) ..... ··························· ............................. Phase IV (von 990 bis ca. 1020) .......................................................... Quantifizierung der Münzströme ........................................................... Phase I (von 7861787 bis 8391840) ....................................................... . Phasen (von 840/841 bis 8961897) ...................................................... . Phase m (von 900 bis 9891990) ............................................................. Phase IV (von 990 bis ca. 1020) ............................................................
27 27 31 31 37 43 48 51 51
2 . 1.
2.2. 3. 3.1.
3.2 K":.JS!AV
I
3.2.1. 3.2.2. 3.2.3. 3.2.4.
33. Bibliogra6sche Information der Deutseben Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek veneichnet diese Publikation in der Deut~eben Narionalbibliogca6e; detaillierte bibliogca6scbe Daten sind im lntemet über http://dnb.dnb.de abrufbac. Bibliographie informa tion published by the Deutsche Nationalbibliolhek The Deutsehe Nationalbibliolhek l ists tbis publicaaon in t be Deutsche Nationalbibliografie; detailed bibliograpbic data ate aftilable oo tbe intemet ar hn p://dnb.dnb.de.
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3.3. 1. 3.3.2. 3.3.3.
3.3.4. 3.4. 3.4.1. 3.4.2. 3.4.3. 3.4.4.
4. 4. 1. 4.2. 4.3.
4.4.
Die Geografie der arabischen Silberströme und ihrer Funktionen: Phase I (von 7861787 bis 8391840) - Pax Chasarica, "Rhos" und die multiethnischen GeseUschaften an der südlichen Ostseeküste ............. . Die Einflusszone des chasarischen Khaganats ..................................... . Die Einflusszone der Rus' ..................................................................... . Handelsemporien an der südlichen Ostseeküste ................................... . Gotland und das schwedische Festland zwischen Kalifat und Karolingerreich .............................................................................. .
55 56 59 60 60 60 61 63
65 65
76 80 87
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5. 5.1. 5.2. 5.3. 5.4.
Inhalt
Inhah
Die Geografie der arabischen Silberströme Wld ihrer Funktionen: Phase li (von 840/841 bis 8961897)- Häuptlinge, Seekönige und die Expansion der Wikinger, oder die Verschiebung nach Nonien ....... 93 Die Einflusszone des chasarischen Khaganats .......... ... .. ........ .. .... ... ....... 93 Die Einflusszone der Rus' ...................................................................... 99 Die Ost- und Nordseewelt ...................................................................... 102 Das mittelostpolnische Binnenland ............. ............ ... ........... ... ... ... ........ 121
Exkurs: Warum haben die arabischen Silberströme im 9. Jahrhundert nicht Großpolen erreicht?....................................................................... 122
6. 6.1. 6.1.1. 6.1.2. 6.1.3. 6.1.4. 6.1.5. 6.1.6. 6.1.7. 6.2. 6.2.1. 6.2.2.
7.
7.1. 7.1.1. 7 .1.2. 7.2. 7.3.
8.
Die Geografie der arabischen Silberströme und ihrer Funktionen: Phase III (von 900 bis 9891990) - Märkte, Magie und die neuen Herrschaftszentren ... ... .. ... ... ....... .. ... ... .. ... .. ... ... .. .. ... .. ... .... .. .. ... ...... Die Makroanalyse der Funde in der osteuropäischen Peripherie ........... Volgabulgaren und der hohe Nonien ..................................................... Ostsee-Rus' ............................................................................................ Kiever Rus' und das Khaganat ............................................................... Balten und Ostseefinnen ........................................................................ Gotland und das schwedische Festland ............................ ........ .............. Die südwestliche Ostseeküste, elbslawisches Binnenland und die Britischen Inseln..................................................................................... Die Landwegeaufder Ost-West-Achse................................................. Neue Dirhernnetzwerke und der Aufstieg der Piasten ........................... Die Rolle Wollins . ...... ................. ........................ ..... ... ... ... ..... ................ Die Umleitung der Silberströme nach Großpolen und die piastische Herrschaftsbildung ................................................................ Die Geografie der arabisch-westlichen Silberströme und ihrer Funktionen: Phase IV (von 990 bis ca. 1020)- Krise oder StabilisierWlg? Der Zusammenbruch der arabischen Dirhemexporte und die Umorientierung nach Westeuropa ............................................. Das Versiegen des arabischen Silbereinstroms und die Folgen in der Peripherie ........ ..... ...... ... ......... ..... ........ .......................... .. .... ..... .... Rus' ........................................................................................................ Skandinavien und die südliche Ostseeküste ......................................... .. Die Krise des arabischen Silbereinstroms und die Piasten .................... Die Makroanalyse der Umorientierung der Münzströme nach Westeuropa ....................................................................................
125 125 128 131 135 142 143 148 154 163 163
8.1. 8.1.1. 8.1.2. 8.1.3. 8.2. 8.3.
9. 9.1. 9.2. 9.3. 9.4.
Das deutsch-englische Fernhandelssystem Wld seine Peripherien ........ Allgemeine Kontexte .......................... .. .............. .. .... .. ...... ..................... Chronologie der Silberströme und Geografie der Münzprägung .......... Quantifizi.erung der Silberströme .............. .. ............ ........................... .. .. Die Makroanalyse der westlichen Münzfunde in der osteuropäischen Peripherie .. ................................ ......... ... ...................... Die piastische Herrschaft zwischen Überdehnung, Kollaps und Erneuerung ................ ....... ............................... ..... .. ........ ................. Die letzten Silberströme, einheimische Münzprägung Wld der Umbau der piastischen Herrschaft, von ca. 1060 bis ca.ll 00 ............... Die Geografie der späten Silberströme und ihrer Funktionen ......... ... ... Die Piasten zwischen Kreuzdenaren und eigener Münzprägung ...... ..... Der Zusammenbruch der sächsischen Silberzufuhrendogene oder exogene Faktoren? ................................................. ........ Ausblick: Raub versus Markt Wld Zehnt, oder das Piastenreich vor dem Hintergrund der Tributökonomien in Noniost- und Ostrnitteleuropa im frühen 12. Jahrhundert ...........................................
7 231 231 234 242 243 248
257 257 262 278
280
Zusammenfassung ..... ....................... ...... ..... ... ... .. .......... ........ ............ ....... .... ... .... 287 Annexe ................................................................................................................. 293 Schriftliche und numismatische Quellen ............................................................. 321 Sekundärliteratur . ........................................................ ........... .. ...................... ...... 331 Verzeichnis der Orts- und Personennamen ............... ......... ........ .. ... ... .......... ... .... 373
167
193 193 197 20 1 208 219
Die Geografie der westlichen Silberströme und ihrer Funktionen: Phase V (von ca. 1020 bis ca. 1060)- Das Piastenreich in der späten Wikingerzeit und -ökumene .... ........ .. . .. .. ... ... ..... .. .......... ... .. ....... .. 231
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1.
Fragestellung
Gold wurde nlimlich zu seiner Zeit von allenfür so gemein gehalten wie Silber, Silber aber hielt manfür so wohlfeil wie sonst Stroh[ ... ] Denn zu seiner Zeit trugen nicht nur die Leute des Gefolges, sondern überhaupt auch die Edelleute Goldketten von ungeheurem Gewicht, sie waren überreich an solchem Geldüberfluss. Die Frauen des Hofes aber gingen mit goldenen Kronen, Halsbändern, Stäbchenketten, Annreifen, Goldbrokat und Edelsteinen so beschwert einher, dass sie, wären sie nicht von anderen gestüJzt worden, das Metallgewicht nicht hänen tragen können. 1 Diese Passage aus der ältesten "polnischen" Chronik des sog. Gallus Anonymus spiegelt auf beeindruckende, obgleich ein wenig übertriebene Weise die gesellschaftliche Bedeutung von Edelmetallen wider. Der Zufluss und die Zirkulation von Silber fielen zwischen dem 9. und dem frühen 12. Jahrhundert nicht zufa.J.lig mit dem Prozess der Herrschaftsbildung im östlichen Buropa zusammen; sie weisen ja eine bemerkenswerte Rückkopplung auf und erscheinen sogar als zwei Seiten derselben Medaille: von der Kiever Rus' über Skandinavien bis hin zu den Monarchien der Pi'emysliden, Alpaden und Piasten. Die Forschung schenkt zugleich der Formierung der frühmittelalterlichen Reiche große Aufmerksamkeit- ein Sachvethalt, der nicht verwundert angesichts der Tatsache, dass ihre Anfange häufig in Zusammenhang mit den Ursprüngen der jeweiligen Nation gebracht werden. Auch polnische Historiker und Archäologen leisten hier ihren Beitrag und untersuchen seit vielen Jahren die Entstehung des Gnesener "Staates"_2 Unter diesem Begriff versteht man in der Regel ein territorial-politisches Gebilde, das über ein relativ stabiles ökonomisch-
2
Gallus Anonymus: Chronik und Taten der Herzöge und Fürsten von Polen. Übersetzt, eingeleitet und erklärt von JOSEFBUJNOCH, Graz-Wien-Köln 1978, 1/6, S. 57, 1112, S. 69. Die Originalausgabe: Galli Anonymi cronicae et gesta ducurn sive principum Polonorum, hg. von KAROL MALEczYNSKI (MPH NS II), Kra.kau 1952. Polnische Ausgabe: Kronika polska, übertragen von ROMAN GRODF.CKI I MARIAN PIEZIA (Biblioteka Narodowa, ser. I, nr. 59, wyd. 7), Wroclaw 1996. Grundsätzlich: KAZIMIERZ TYMIENIF.CKI, Ksztaltowanie si~ spoleczeilstwa 5redniowiecmego (Polska na tle Slowianszczyzny zachodniej) [Die Entwicklung der mittelalterlichen Gesellschaft. Polen auf dem Hintergrund der Westslawen], Pomati 1996, Bd. 2 (Neuausgabe von 1928, hg. von Jeny Strzelczyk); GERARD LABUDA, Studia nad poczll_tkami pailstwa polskiego [Studien zu den Anfängen des polnischen Staates], Poznati 1946; WJTOLD HENSEI., Polskie tysi~lecie [1000 Jahre Polens], in: Sprawozdania P. M. A. 3 (1950), 1-4, S. 2748; HENRYK LOWMIANSKI, Poczll_tki Polski. Z dziej6w Slowian w I tysiltcleciu n. e. [Die Anflinge Polens. Aus der Geschichte der Slawen im ersten Jahrtausend unserer Zeitrechnung], Warszawa 19631985, 6 Bde.; ALEKSANDER GJEYSZTOR, Geneza patistwa polskiego w Swiede nowszych badali. [Die Genese des polnischen Staates im Lichteneuerer Untersuchungen], in: Kwartalnik Historyczny 61 (1954), I, S. I 03-136. Aus deutscher Sicht neuere knappe Darstellung von EDUARD MüHlE, Die Piasten. Polen im Mittelalter, München 2011.
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I. Fragestellung
1. Fragestellung
rechtliches System vecftigte, das von der Dynastie der Piasten etabliert und mithilfe eines "Verwaltungsapparates" kontrolliert wurde. Seine Elite bildeten neben dem Herzog (später auch König) eine militarisierte Aristokratie, Krieger sowie - nach der Übernahme des lateinischen Christentums - Kleriker, die eine heidnische Priesteckaste abgelöst haben. Die absolute Mehrheit der Historikerzunft geht dabei von einer endogenen Genese der piastischen Monarchie aus, die grundsätzlich aus dem Zerfall der territorialen Stammesstrukturen hervorgegangen sein soll, der- vor allem einigen älteren Forschungsansätzen zu folge - bereits im 8.-9. Jaluhundert eingesetzt habe.3 Demnach wurde der für den Herrschaftsaufbau nötige Mehrwert durch eine Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion erzielt, die wiederum auf die Weiterentwicklung des Pfluges zuriickging.4 Hingewiesen wuroe freilich auf die Tatsache, dass im Prozess der sozialen Schichtung, die eine unentbehrliche Voraussetzung ftir die Herausbildung "friihstaatlicher" Organisationen war, die Gefolgschaften der Stammeskrieger sowie die Stammesaristokratie eine zentrale Rolle spielten; besonders die letzterwähnte konnte einen beachtlichen Reichtum anhäufen. Folglich kam beim "Übergang" von Stammesverbänden zu frühmonarchischen Strukturen Tributen und Abgaben, Raub- und Beutezügen, "Geschenken" und Lösegeldern, generell der "Besteuerung" der benachbarten Bevölkerungsgruppen eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu.~ Inwieweit die Piasten bereits im 10.-11. Jahrhundert auf ein System von Dienstsiedlungen zurückgreifen konnten, bleibt hingegen in der Forschung umstritten. 6 Es wun:le allen:iings erlcannt. dass die Kontrolle der einzelnen Abschnitte der Fernhandelsrouten den Monarchen Einnahmen verschaffte, die die ökonomischen Unterschiede innerhalb der herrschenden Klasse noch verstärlcten. In den letzten Jahren ist auch die Beteiligung dec Machtelite am Sklavenhandel hervorgehoben worden.7 Eine systematische, gründliche Untersuchung der Zusammenhän-
ge zwischen dem Feenhandel und der Heerschaftsbildung der Piasten ist jedoch noch nicht ecfolgt.8 Neuere, aufhistorisch-anthropologischen Erkenntnissen wie archäologischen Befunden beruhende Studien9 betonen, dass die Herausbildung stammesübergreifender politischer Organisationen in Polen wie allgemein im östlichen Europa keineswegs evolutiv über lange Zeiträume hinweg verlief, sondern innerhalb weniger Generationen stattfand. Der für sie nötige Mehrwert wurde nicht unbedingt durch die Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion erzielt. Im Gegenteil: Abgaben und Tribute, Beute und Raub, direkte Beteiligung am Handel sowie Kontrolle der Silberströme und des Femhandels, also die Verfugung über Edelmetalle und Luxusgütec, besaßen zentrale Bedeutung ftir die neuen Eliten, ihr Prestige, ihren gesellschaftlichen Status. Nicht "Land mit Menschen", sondern Silber und ,,mobile" Güter stellten die Grundlagen ihres Reichtums dar. So wutden die Waldprodukte und Menschen der Großregion in die Handelsströme eingespeist und gegen Münzen bzw. Bruchstücke von Münzen eingetauscht Die Verfügung über Edelmetalle half den neuen Dynastien im östlichen Europa, sich Ruhm und ,,guten" Ruf zu verschaffen und neue Gefolgsleute zu gewinnen, die mit Silber entlohnt werden konnten. Das Machtmonopol versuchten die Piasten oder die Rjurikiden mithilfe gut bewaffneter, ihnen loyal ergebener und zu einem nicht unerheblichen Teil aus fremden Kriegern bestehender Gefolgschaft (druzyna) durchzusetzen. Die Gefolgschaft bildete zu dieser Zeit in Osteuropa das Rückgrat der Herrschaft. Folglich: Wer gute Krieger anzuwerben, also sie zu verpflegen und entsprechend zu entlohnen wusste, der konnte durch die Unterwerfung der benachbarten Stämme die zur Tributerhebung/Ausraubung stehende Territorialsphäre ausdehnen und somit seinen Machtbereich erweitern. Damit trug das Edelmetall zur 8
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V gl. vor allem LoWMIANSKI, ebd. Abweichende Chronologie bei Tymieniecki, fiir den die Ge schichte der polnischen Staatlichkeit erst mit Mieszko I. und zwar kurz vor der Übernahme des Christentums beginnt. TYMIENIECKI, Ksztaltowanie (wie Anm. 2), S. 191. &emplarisch hienu LoWMIANSKI, PocZJll)ci Polski (wie Anm. 2), Bd. 3, S. 223 f.; GIEYSZTCR, Geneza (wie Anm. 2), S. 113, 119. LoWMIANSKI, PocZI\tki Polski (wie Anm. 2), Bd. 4, S. 129 f.; Bd. 5, S. 471. Zu der Jus-ducale Debatte vgl. die Texte von Slawomir Gawlas, Karol Modzelewski, Christian Lübke und Libor Jan vom 5. Joachim Lelewel-Gespräch am 12. 4. 2011 am Deutschen Histori sehen Institut Warschau: Gab es das "Dienstsystem" im mittelalterlichen Polen oder was war das ius ducale? Hg. von EDUARD MOHLE, in: www.perspectivia.net/contentlpublikationen/ lelewel-gespraeche/4-2011. Christian Lübke spricht von ,,Förderung des Marktgeschehens über die Grenzen hinweg und Garantie der Sicherheit auswärtiger Kaufleute". LOBKE, Fremde im östlichen Europa. Von Ge seßschaften ohne Staat zu verstaatlichten Gesellschaften (9. 11. Jahrhundert), Köln u. a. 2001, S. 236. Zur Beteiligung der Elite am Sklavenhandel vgl. z. B. HENRYK SAMSONOWICZ, Ziernie polskie w X wieku i ich maczenie w ksztaltowaniu nowej mapy Europy [Die polnischen Ge biete im 10. Jahrhundert und ihre Bedeutung bei der Gestaltung einerneuen Karte Europas), in: Ziernie polskie w X wieku i ich znaczenie w ksztaltowaniu nowej mapy Europy, hg. von HEN· RYKSAMSONOWICZ, Krak6w 2000, S. 433 441, hierS. 435.
9
S. die Darstellung des Forschungsstandes in Kapitel 2.1. Die Thematik hat der Autor der vor liegenden Studie in einigen Aufsätzen angerissen: DARIUSZ ADAMCZYK, Orientalno-baltycki systern handlowy a proces ksztaltowania si~ Europy Wschodniej w IX i X wieku [Das orientalisch baltische Handelssystem und die Entwicklung Osteuropas im 9. und 10. Jahrhundert), in: Sredniowiecze polskie i powszechne 2, hg. von IDZJ PANIC I JERzy SPERKA, Katowice 2002, S. 63-88, besonders S. 85 ff.; DERS., Silver, Markets, and States. The Impact of Islamic Trade on Eastem Europe in the Ninth through Eleventh Centuries, in: World History Bußetin 22 (2006), Falllssue 2, S. 47-49; DERS., Mi~y Kijowem a Gnieznem. Wybrane aspekty topogra fii i funkcji arabskiego srebra na ziemiach slowiailskich w X i na poc:z~ttku XI w. [Zwischen Kiev und Gnesen. Ausgesuchte Aspekte der Topografie und Funktionen arabischen Silbers in slawischen Gebieten im 10. und zu Beginn des 11. Jahrhunderts), in: Sredniowiecze polskie i powszechne 5, hg. von IDZI PANIC/ JERzy SPERKA, 2009, S. 66 78. In Polen grundlegend PRZEMYSLAW URBANCZYK, Hemchaft und Politik im frühen Mittelalter. Ein historisch-anthropologischer Essay über gesellschaftlichen Wandel und Integration in Mit teleuropa, Frankfurt a. M. 2007. Für die Einbindung anthropologischer Kategorien wie Rituale, Gesten und Spielregeln in die F.cforschung von Herrschaft und Staatlichkeit vgl. im deutschsprachige n Raum unter anderem W ALTER POHL, Staat und Hemchaft im Frühmittelalter: Überlegungen zum Forschungsstand, in: Staat im frühen Mittelalter, hg. von SnJART AIRLIE u. a., Wien 2006, S. 9 38, besonders S. 16 27, und GERD ALllfOFF, Die Macht der Rituale. Symbolik und Herrschaft im Mittelalter, Darmstadt 2003. S. auch Literaturhinweise in Kapitel2. 1.
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I. Fragestellung
I. Fragestellung
Festigung der Herrschaft der neuen Eliten bei. Die Verfügung über Silber stellte Führungsqualitäten unter Beweis und verbesserte die "politische" Situation des Besitzers gegenOber Konkurrenten. Edelmetalle anzuhäufen, sie zur Schau zu stellen und m verteilen, um so viele "Klienten" wie möglich an sich zu binden, infolgedessen Prestige und Autorität weiter m steigern, war demnach ftlr die Machtsicherung und-konsolidierungvon zentraler Bedeutung. Die Gaben aus dem Schatz- wie Mattbias Hardt bemerkt hat- "dienten dem König zur Herstellung des Konsenses mit der Kriegergefolgschaft", und "der Schatz ermöglichte auf diese Weise die ständig notwendige Reproduktion der Königs- und Fürstenherrschaft durch die Redistribution der aus der königlichen Stellung gewonnenen Ressourcen, die Schaffung symbolischen Kapitals und die Beteiligung der Krieger am Erfolg des Königtums". 10 Die große Zahl der im östlichen Buropa gemachten Silberfunde spiegelt diese Prozesse gut wider. Bis etwa 2012 wurden in Polen in rund 160 Schätzen gut 37.000 arabische und in mindestens 280 Depots ca. 100.000 westeuropäische Münzen gefunden, die zwischen dem 9. und dem frühen 12. Jahrhundert dorthin gelangten. Hinzu kommen Prägungen, die die Piasten im Laufe des 11. J alubunderts selbst emittierten. Wenn aber Edelmetalle eine "staatsbildende" Funktion besaßen, dann stellt sich die Frage, wie sich die neuen Dynasten zu den Silberströmen positionierten. Auf welche Art und Weise haben die Piasten versucht, diese Ströme "anzuzapfen" und zu ihren Gunsten umzuleiten? Wie kamen sie an Waren, die in die Fernhandelsnetze eingespeist werden sollten? Wie hat das Streben, die benachbarten Bevölkerungsgruppen zu "besteuern", um silberäquivalente Güter zu erwerben, auf die Expansion ihrer Herrschaft eingewirkt? Inwieweit haben sie Tribute bereits in Form von Silber eingetrieben? Und schließlich: Wie reagierten die Piasten auf die Verschiebung der Silberströme und ihren Rückgang? Hier setzt die vorliegende Arbeit an, die zwei zentrale Aspekte erforschen will: - Erstens soll anband der Topografie und Zusammensetzung der Silberfundefreilich unter Hinzuziehung schriftlicher Quellen und archäologischer Studien - die Entwicklung des Gnesener Reiches im 10.-11. Jahrhundert im Hinblick auf die piastischen Bemühungen, Zugriff auf Silberströme zu erlangen und aufrechtzuerhalten, untersucht werden. - Zweitens soll der Frage nachgegangen werden, inwieweit der schrumpfende Münzzufluss und die eigene, seit dem späten 11. Jahrhundert verstärkt einsetzende Münzprägung einen Wandel in der Herrschaftsausübung der Piasten herbeigeführt haben. Dass die Monografie geografisch um weitere Regionen Ost- und Nordeuropas erweitert wird, erscheint dem Verfasser sel~tverständlich. Die Koryphäe der polnischen Numismatik, Ryszard Kiersnowski, hat bereits 1960 erkannt, dass die Prob-
lematik der Geschichte des Metallgeldes im frühmittelalterlichen Polen "[ ... ] vor dem breiten Hintergrund der ökonomischen, gesellschaftlichen und kulturellen Verhältnisse in Polen selbst und in gewisser Hinsicht auch im gesamten mittelalterlichen Buropa betrachtet werden muss. Die Geschichte des Geldes gehört zu den Themen, die mit dem ganzen historischen Prozess aufs Engste verbunden sind und die sich nicht abgegrenzt und isoliert behandeln lassen." 11 Diesem Postulat möchte die vorliegende Arbeit Rechnung tragen, indem sie nicht nur die Zusammenhänge zwischen den arabischen bzw. deutsch-englischen Silberströmen und der piastischen Herrschaftsbildung untersucht, sondern auch den gesamten nordosteuropäischen Raum berücksichtigt Nordosteuropa meint hier grundsätzlich die Großregion um die Ostsee, die sich von Dänemark und SchleswigHolstein im Westen über Mecklenburg-Vorpommern, Pommern und das Baltikum bis hin nach Nordwestrussland im Osten erstreckt, im Norden die Skandinavische Halbinsel erfasst, im SUden hingegen nach Zentralpolen ausgreift Freilich kam bei der Redistribution von Dirllems den Reichen der Chasaren und der Volgabulgaren, aber auch der Kiever Rus' sowie den Gesellschaften entlang der südlichen OstWest-Handelsachse eine zentralleRolle zu, sodass es sinnvoll erscheint, die in der vorliegenden Studie in Betracht zu ziehende geografische Einordnung variabel zu behandeln und im Hinblick auf die Phasen des arabischen Silberzuflusses um diese Territorien zu erweitern.
10 MATIHIAS HARDT, Gold und Herrschaft Die Schätze europäischer Könige und Fürsten im ers ten Jahrtausend, Berlin 2004, S . 302; PRzEMYSt.Aw URBANczYK, Trudne JX>CUltki Polski [Die schwierigen Anfänge Polens), Wroclaw 2008, S. 145 154; PoHL, Staat (wie Anm. 9), S. 25 f.; ADAMCZYK, Orientalno-baJtycki system (wie Anm. 8); DERS., Mi~dzy Kijowem (wie Anm . 8).
15
11 RYSZARD KIERSNOWSKI , Pienilldz kruszcowy w Polsee wczesno5redniowiecznej [Das Metall geld im frühmittelalterlichen Polen), Warszawa 1960, S. 5 (Übersetzung von Dariusz Adamc zyk; weiter: D. A.).
2.
Forschungsstand, Quellen und Methode
2.1.
Markt, Macht oder Magie? Monetäre Kontroversen
Die im 9.-11. Jahrhundert nach Ost-, Ostmittel- und Nocdeuropa einfließenden Silberströme stellen für Numismatiker wie Historiker bereits seit vielen Jahren ein wichtiges Forschungsobjekt dar. Die Debatte kreiste ursprunglieh um die Frage nach den Ursachen der Schatzdeponierung. 1 Grundsätzlich wurden zwei Motive genannt: erstens Bedrohung und zweitens die magisch-kultisch-rituelle Handlung. Der erste Aspekt hob die Gefährdung durch Kriege und Raubzüge hervor, die den Besitzer von Silber zu einer Hortung veranlasst haben soll. Dabei betonten Anhänger dieser These die ökonomischen Funktionen von zu verbergenden Edelmetallen. Der zweite Erldärungsansatz stützte sich wiederum auf einige Passagen in den Sagas, denen zu2 folge das deponierte Edelmetall als Opfergabe an die Götter gedient habe. In den letzten Jahren flammte die Debatte in Polen entlang der eingefahrenen Argumeotationsstränge, wenngleich mit einigen erfrischenden Elementen, erneut auf. In aller Kürze kann sie auf die Dichotomie Markt versus Magie/Macht gebracht werden. Eröffnet hat die Diskussion der polnische Archäologe Przemyslaw Urbaitczyk, dem zufolge die Zirkulation der Luxusgüter der Bestimmung der Machtverhältnisse diente. Der Umlauf von Edelmetallen wies somit strategische Bedeutung auf und stellte einen wichtigen Faktor der Madltrepräsentatioo und des gesellschaftlichen Status dar. Dennoch differenziert Urbailczyk: In Systemen, in denen nicht Marktmechanismen. sondern die Aufrechtemaltung hierarchischer Gesellschaftsstrukturen vorherrschten. lässt sich die ökonomische Ebene kaum voo der symbolisch-magischen trennen? Homo oeconomicus und homo symbolicus waren- so In Polen vor allem KIERSNOWSKI, ebd., S. 470480; STANISLAW TABACZYNSKI, Archeologia Problemy, :b-6dla, metody, cde badawcze (Mittdaltediclle Archäologie. Probltme, Quellen, Methoden. Forschungsziele], Wroclaw 1987, S. 179-190. In Deutscllland und Slcandinavien: VERA JAMMER, Die Anfinge der Münzprägung im Herzogtum Sachsen ( 10. und II. Jahrhundert), Harnburg 1952 (Numismatisclle Studien 3-4), S. 3943; CHARWMl! WARNKE, Die Anfänge des Fernhandels in Polen 900-1025, Würzburg 1964, S. 20.24; MARTIN STENBEROER., Die Schatzfunde Gotlands der Wilcingerzeit I, Text, Stoclcholm 1958, S. 307 ff.; GER.T HATZ, Handel und V erleehr zwischen dem Deutseben R.eicll und Scllwcden in der späten Wikingerzeit Die deutschen Münzen des 10. und II. Jahmunderts in Schweden, Lund 1974, 145-161. STANlSLAW SUCHODOLSKI, Kultowa czy eltonomicma geneza slcarb6w epoki wilcing6w7 [Die lcultisclle oder die ökonomisclle Genese der Scllätte in der Wikiogerzeit?] In: Biuletyn Numizmatyczny 3 (2003) , 331, S. 185-196. PRZEMYSLAw URBAN